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Vorkurs Mathematik für Wirtschaftsingenieure und Wirtschaftsinformatiker Vorlesungsskript Wintersemester 2019/20 Fabian Groß, Bettina Böcher Fachbereich Rechts- und Wirtschaftswissenschaften

Vorkurs Mathematik für Wirtschaftsingenieure und ... · Im Vorkurs Mathematik für Wirtschaftsingenieure und Wirtschaftsinformatiker sollen die Studen-ten des ersten Semesters eines

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Vorkurs Mathematik fürWirtschaftsingenieure undWirtschaftsinformatikerVorlesungsskript Wintersemester 2019/20Fabian Groß, Bettina Böcher

Fachbereich Rechts-und Wirtschaftswissenschaften

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VorwortIm Vorkurs Mathematik für Wirtschaftsingenieure und Wirtschaftsinformatiker sollen die Studen-ten des ersten Semesters eines Wirtschaftsingenieurstudiums an der Technischen Universität Darmstadtauf die wesentlichen Elemente einer erstsemestrigen Mathematik-Veranstaltung des jeweiligen Fachbe-reichs vorbereitet werden. Außerdem soll der Vorkurs dazu dienen, auch mathematische Fragestellungenim wirtschaftswissenschaftlichen Bereich zu beantworten. Gegenstand dieses Kurses wird es also sein,das Wissen der gymnasialen Oberstufe zu wiederholen und Einblicke in die mathematischen Themen-bereiche an einer Universität zu bekommen, sprich Themen vorzugreifen. Die größte Veränderung zurSchulmathematik wird wohl die mathematische Strenge sein, auf die an einer Universität erhöhter Wertgelegt wird. Des Weiteren werden manche Themen zunehmend abstrakter – nicht immer ist es möglich,einen Bezug zu realen Anwendungsgebieten zu knüpfen bzw. den Nutzen hinter der gelernten Technikeinzuordnen.Dieser Kurs soll Studenten helfen die Belastung während des ersten Semesters durch eine frühe Ausein-andersetzung mit der Thematik reduzieren zu können.

Weiterhin haben wir es uns zum Ziel gesetzt, die Inhalte anwendungsorientiert zu gestalten. Gegen-stand dieses Kurses soll es also sein, den Studenten Themen, die in der Vergangenheit oft als schwierigund unverständlich eingestuft wurden, anschaulicher näher zu bringen, da die Mathematik-Vorlesungenje nach Dozent sehr formell und somit abstrakt ablaufen können.

Die Themen dieses Kurses orientieren sich größtenteils an nachfolgend genannten, für Wirtschaftsinge-nieure/-informatiker relevanten, Mathematik-Veranstaltungen:

• Mathematik I für Bauwesen

• Mathematik I für Elektrotechnik

• Mathematik I für Informatik und Wirtschaftsinformatik

• Mathematik I für Maschinenbau

Ziel dieses Kurses ist es, den Studenten erste Eindrücke zu vermitteln. Keinesfalls wird von denStudenten verlangt, dass sämtliche Themen unmittelbar nach dem Kurs vollständig verstandenworden sind! Da der Kurs auf wenige Tage beschränkt ist, ist es somit auch gar nicht möglich, alle The-men tiefergehend durchzusprechen. Auch verfügen die Vorlesungs- und Übungsleiter dieses Kurses nichtüber die nötige Zeit, um Themen von Grund auf zu erklären bzw. Zusammenhänge herzuleiten. Aufgabedes Skripts soll es daher sein, sich schon etwas mit der „mathematischen Sprache“ auseinanderzuset-zen und einige Beispiele aufzuführen, für die in der Vorlesung keine Zeit bleibt.

Die Übungen zu den Vorlesungen sollen möglichst viele Themenbereiche abdecken, weshalb die ange-setzten 90 Minuten wahrscheinlich nicht ausreichen werden, um alle Aufgaben in der verfügbaren Zeitzu lösen. Die Studenten sollten sich also vorab mit den Übungsblättern auseinandersetzen und abwägen,welche Themen sie dann in den Übungen behandeln. Zu allen Übungen werden spätestens gegen Endedes jeweiligen Übungstages Lösungsvorschläge veröffentlicht. Auch wenn es Lösungen geben wird, seian dieser Stelle dennoch betont, dass die Übungen im Rahmen eines Universitätsstudiums einen sehrhohen Stellenwert einnehmen, denn durch sie soll das Gelernte vertieft und angewandt werden. Es wirddeshalb empfohlen, die Übungen kontinuierlich zu besuchen!

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Inhaltsverzeichnis

1 Griechisches Alphabet 3

2 Aussagenlogik 4

3 Mengen 6

4 Vektoren und Matrizen 11

5 Komplexe Zahlen 21

6 Funktionen 26

7 Grenzwerte 36

8 Stetigkeit 37

9 Differentialrechnung 41

10 Partielle Differentiation 45

11 Integralrechnung 47

12 Summenalgebra 51

13 Vollständige Induktion 53

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1 Griechisches AlphabetUm noch einmal auf die Wichtigkeit der bereits angesprochenen „mathematischen Sprache“ einzugehen,sei darauf hingewiesen, dass die mathematisch-naturwissenschaftliche Notation häufig auf griechischeBuchstaben zurückgreift. Einfachstes Beispiel dafür ist die Kreiszahl π (gesprochen „Pi“ ). Aus der Schulemüsste außerdem bekannt sein, dass Winkel in der Regel mit griechischen Kleinbuchstaben beschriftetwerden. Im Laufe des Studiums wird beinahe jedem griechischen Buchstaben eine oder gar viele Bedeu-tungen zugewiesen. Um Missverständnissen vorzubeugen, möchten wir deshalb bereits an dieser Stelleein kleines Nachschlagewerk einrichten. Ziel ist ein besseres Verständnis der Sprache des Dozenten oderder Studenten untereinander. Konkret soll erreicht werden, dass beispielsweise das ψ wieder „Psi“ undnicht „Dreizack“ genannt wird. Deutlich soll werden, dass das Verständnis und die eigene Anwendungeiner mathematisch korrekten Ausdrucksweise wichtige Bestandteile der universitären Mathematiklehresind.

Name Kleinbuchstabe Großbuchstabe

Alpha α ABeta β BGamma γ ΓDel ta δ ∆Epsilon ε EZeta ζ ZEta η HTheta ϑ ΘIota ι IKappa κ KLambda λ ΛM y µ MN y ν NX i ξ ΞOmikron o OPi π ΠRho ρ PSigma σ ΣTau τ TY psilon u YPhi ϕ ΦChi χ XPsi ψ ΨOmega ω Ω

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2 AussagenlogikBevor es mit dem ersten Thema losgehen kann, noch eine wichtige Anmerkung: mathematische Skriptesind fast immer nach der folgenden Struktur aufgebaut: Definition, Satz, Beweis. In der Definitionwird ein neues Thema eingeführt, Notationen festgelegt, etc. Ein wichtiges Symbol hierbei ist „:=“ (bzw.„=:“) welches bei Definitionen häufig verwendet wird. Das was definiert wird, steht auf der Seite, aufder sich der Doppelpunkt befindet.

In den einzelnen Sätzen werden Sachverhalte genannt, die aus den Definitionen ableitbar sind, wel-che anschließend mit den Beweisen belegt werden. Die Beweise spielen in der Mathematik eine zentraleRolle und sind nicht wegzudenken. Um anzuzeigen, dass der Beweis zu Ende ist, macht man an das un-tere rechte Ende ein kleines Quadrat oder schreibt q.e.d. (Abkürzung für das lateinische „quod eratdemonstrandum“) bzw. das deutsche Äquivalent w.z.b.w. („was zu beweisen war“). Allerdings soll indiesem Skript die mathematische Strenge an manchen Stellen der besseren Veranschaulichung weichen.

Nun also zur Aussagenlogik, die sich im Wesentlichen mit der Frage beschäftigt, ob eine Aussagewahr oder falsch ist. Zuerst werden die sogenannten Quantoren eingeführt, welche Operatoren sindund Abkürzungen darstellen:

Definition 2.1. Quantoren

1. Der Allquantor ∀ bedeutet „für alle ...“ und bezieht sich auf den nachfolgenden Ausdruck; saloppformuliert bedeutet er „egal welches“.

2. Der Existenzquantor ∃ bedeutet „es existiert mindestens ein/eine ...“ und bezieht sich auf den nach-folgenden Ausdruck.

3. ∃! bedeutet „es existiert exakt ein/eine ...“ und bezieht sich auf den nachfolgenden Ausdruck.

4. Möchte man „es existiert kein/keine ...“ zum Ausdruck bringen, dann verwendet man den durchge-strichenen Existenzquantor: >

Um zwei Aussagen verknüpfen zu können sind Junktoren nötig, die nachfolgend definiert werden:

Definition 2.2. Junktoren

Seien A und B zwei Aussagen, dann nutzt man die Junktoren wie folgt:

1. Die Negation entspricht der Verneinung der Aussage. Wenn A wahr ist, dann ist ¬A unwahr.

2. Die Konjunktion entspricht einem logischen „und“ : Wenn sowohl die Aussage A gilt, als auch dieAussage B, so schreibt man dies als A∧ B.

3. Die Disjunktion entspricht einem logischen „oder“, d.h. entweder die Aussage A gilt, oder die AussageB gilt, oder beide Aussagen gelten. Man schreibt: A∨ B

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Definition 2.3. Aussagen-Pfeile / Implikationen

1. ⇒ bedeutet „wenn die linke Seite gilt, dann auch die rechte Seite“.

2. ⇐ bedeutet „wenn die rechte Seite gilt, dann auch die linke Seite“.

3. ⇔ ist der Äquivalenzpfeil. Zwei Aussagen sind äquivalent, wenn sowohl aus der ersten die zweite, alsauch aus der zweiten die erste folgt.

4. Wenn etwas nicht direkt aus etwas anderem folgt (aber auch nicht ausgeschlossen ist) verwendet mandas Symbol; bzw.: bzw.<.

Satz 2.4. wichtige Äquivalenz

Seien A und B zwei allgemeine Aussagen, dann ist äquivalent:(A⇒ B)⇔ (¬B⇒¬A)

Beispiel: Aussagenlogik

• Sei Aussage F definiert als F :=„Ich wohne in Frankfurt am Main.“

• Sei Aussage H definiert als H :=„Ich wohne in Hessen.“

Dann folgt zunächst:

• ¬F=„Ich wohne nicht in Frankfurt am Main.“

• ¬H=„Ich wohne nicht in Hessen.“

Darüber hinaus gelten folgende Zusammenhänge:

• F ⇒ H (Wenn ich in Frankfurt am Main wohne, wohne ich folglich auch in Hessen.)

• ¬H ⇒¬F (Wenn ich in nicht in Hessen wohne, dann kann ich nicht in Frankfurt am Main wohnen.)

• ¬F ; H bzw. ¬F ; ¬H (Wenn ich nicht in Frankfurt am Main wohne, ist noch nichts darübergesagt ob ich in Hessen oder in einem anderen Bundesland wohne.)

• H ; F bzw. H ; ¬F (Wenn ich in Hessen wohne, ist noch nichts darüber gesagt in welcher Stadtich wohne.)

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3 MengenUm mit dem abstrakten Begriff der Menge zu arbeiten, muss dieser zunächst definiert werden:

Definition 3.1. Menge

Unter einer Menge verstehen wir jede Zusammenfassung M von bestimmten wohlunterschiedenenObjekten m unserer Anschauung oder unseres Denkens (welche die Elemente von M genannt werden)zu einem Ganzen. (Definition nach Georg Cantor, 1895)

Definition 3.2. Leere Menge

; := leere Menge

Die leere Menge enthält keine Elemente. Sie ist allerdings nicht „nichts“, sondern ein existentes Objekt,nämlich diejenige Menge, die nichts enthält.

Mengen kennzeichnet man durch geschweifte Klammern. Sie schließen die Menge ab. Dazwischenbefinden sich die Elemente, welche in der Regel durch Kommata getrennt werden. Sollte man Zahlenin Dezimalschreibweise auflisten wollen, kann man alternativ auch Semikolons verwenden. Ein Beispielwäre 1,3, 4, a, b, z. Die Menge enthält die Elemente 1,3, 4, a, b und z, die Elemente bestehen also ausZahlen und Buchstaben – solch eine Mischung ist vollkommen legitim. Eine Menge kann auch Mengenals Elemente haben, welche ihrerseits wieder Mengen beinhalten können, usw. Ein Beispiel ist die MengeA, die hier wie folgt definiert wird: A := 3, 2,5, 6, 3,4, 5,6,;. Die leere Menge kann ebenfalls mitgeschweiften Klammern dargestellt werden: ;= .

Es werden nun einige wichtige Symbole im Zusammenhang mit Mengen erklärt:

Definition 3.3. Mächtigkeit / Kardinalität

Als die Mächtigkeit oder die Kardinalität einer Menge bezeichnet man die Anzahl der Elemente indieser. Man verwendet zur Kennzeichnung zwei senkrechte Striche. Sei A := 1,2, 3, ..., n eine Menge,dann schreibt man die Mächtigkeit von A als |A|. Es gilt in diesem Fall |A|= n.

Definition 3.4. Teilmengen

Befinden sich alle Elemente einer Menge A in einer Menge B, so ist A eine Teilmenge von B, man schreibtdann kurz: A⊆ B

Kann man sich sogar sicher sein, dass B noch weitere Elemente besitzt als in A enthalten sind, soschreibt man: A⊂ B oder A$ B.

Satz 3.5. Einfache Implikationen

1. A⊆ B⇒ |A| ≤ |B| aber |A| ≤ |B|; A⊆ B

2. A⊂ B⇒ |A|< |B| aber |A|< |B|; A⊂ B

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Definition 3.6. Verknüpfen von Mengen

1. Bildet man eine neue Menge C , die alle Elemente der Menge A und alle Elemente der Menge B bein-haltet, jedoch mehrfach auftretende Elemente nur einmal listet, so spricht man von der Vereinigung.Man schreibt kurz: C = A∪ B

2. Bildet man eine neue Menge D, die nur jene Elemente listet, die sowohl in der Menge A als auch in derMenge B enthalten sind, so spricht man von dem Schnitt zweier Mengen. Man schreibt kurz: D = A∩B

3. Bildet man eine neue Menge E, die nur jene Elemente aus Menge A listet, die nicht in der Menge Bvorkommen, so bildet man die Differenz. Man schreibt kurz: E = A\ B

4. Befindet sich die Menge A in einer Umgebung M, so bezeichnet man die Menge F, die alle Elementedieser Umgebung M mit Ausnahme der Elemente beinhaltet, die in Menge A enthalten sind, als dasKomplement von A. Man schreibt kurz: F = AC = M \ A .

Man kann sich zum besseren Verständnis die nachfolgenden Abbildungen ansehen, man muss jedochbeachten, dass diese Abbildungen Spezialfälle sind und nicht die gesamte Definition umfassen:

Abbildung 3.1: Verschiedene Beispiele für zwei Mengen A (linke Ellipse) und B (rechte Ellipse) in einerUmgebung M (Rechteck). Die Punkte stellen Elemente dar, die Linien sind die Mengen-bzw. Umgebungsbegrenzungen. Das Angegebene ist hervorgehoben.

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Beispiel: Verknüpfungen von Mengen

1. 1, 2,3, 4 ∪ 3,4, 5,6= 1,2, 3,4, 5,6

2. 1, 2,3, 4 ∩ 3,4, 5,6= 3,4

3. 1, 2,3, 4 \ 3, 4,5, 6= 1,2

Definition 3.7. Mengen mit Bedingungen

Beim Definieren von Mengen verwendet man einen senkrechten Strich oder einen Doppelpunktinnerhalb der Menge um das eben Genannte an weitere Bedingungen zu knüpfen. Man schreibt eswie folgt: x | Bedingung von x

Beispiel: Bedingungen einer MengeDie Menge A sei definiert als die Menge, die nur positive gerade Zahlen beinhaltet.⇔ A := x |x ist eine positive gerade Zahl⇔ A := 2, 4,6, 8, ...⇔ A := 2k |k ∈ (N \ 0)

Durch Nutzen der Bedingungen-Schreibweise kann das uneindeutige Formulieren mittels „...“ vermie-den werden.

Nun seien noch ein paar wichtige Mengen definiert:

Definition 3.8. Wichtige Mengen

1. Die Menge der natürlichen Zahlen1 ist die Null, die Eins und alle Zahlen, die durch genügend häufigesAddieren von Eins zu Eins erzeugt werden können.N := 0, 1,2, 3,4, ...

2. Die Menge der ganzen Zahlen enthält alle natürlichen Zahlen sowie deren negative Zahlen.Z := ...,−3,−2,−1, 0,1, 2,3, ...

3. Die Menge der rationalen Zahlen enthält neben allen ganzen Zahlen noch alle Brüche.

Q :=n

pq

p ∈ Z, q ∈ N\0o

4. Die Menge der reellen Zahlen R besteht aus allen endlich und unendlich langen Dezimalzahlen.(Die rationalen Zahlen bestehen nur aus allen endlichen Dezimalzahlen und jenen unendlich langenDezimalzahlen, die eine Periodizität aufweisen. Die reellen Zahlen erweitern also die rationalen Zahlenum solche Dezimalzahlen, die unendlich lange sind und zugleich keine Periodizität aufweisen; Beispielehierfür sind

p2,π, e)

5. Die Menge der irrationalen Zahlen besteht aus allen reellen Zahlen, die keine rationale Zahlen sind,und wird somit als R \Q bezeichnet. (Die irrationalen Zahlen erhalten kein eigenes Symbol.)

6. Die Menge der komplexen Zahlen C enthält zusätzlich die Lösungen aller quadratischen Gleichungen(insbesondere auch x2 + 1= 0).

1 Nicht jeder zählt die Null zu den natürlichen Zahlen, dann steht meist das Zeichen N0 oder N ∪ 0 für die natürlichenZahlen mit Null. Dieses Skript hält sich jedoch an die DIN 5473, nach der die Null zu den natürlichen Zahlen gehört.Wird die Menge der natürlichen Zahlen ohne Null verwendet, so wird in diesem Skript die bereits eingeführte Differenz-Schreibweise N \ 0 verwendet.

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Satz 3.9. Beziehungen der wichtigen Mengen

1. N ⊂ Z ⊂Q ⊂ R ⊂ C

2. (R \Q) ⊂ R ⊂ C

3. (R \Q)∪Q= R

4. (R \Q)∩Q= ;

Satz 3.10. Besondere Einschränkungen von Mengen

1. Sei K eine Menge, dann bezeichnet man mit K+ nur die positiven Elemente dieser Menge. Es gilt alsoK+ := x ∈K | x > 0.

2. Sei K eine Menge, dann bezeichnet man mit K− nur die negativen Elemente dieser Menge. Es gilt alsoK− := x ∈K | x < 0.

3. Sei K eine Menge, dann bezeichnet man mit K0 die Menge K ergänzt um das Element 0. Es gilt alsoK0 :=K∪ 0.

4. Es gilt K+0 :=K+ ∪ 0.

5. Es gilt K−0 :=K− ∪ 0.

Als besonders wichtig haben sich auch folgende Teilmengen von R herausgestellt, die insbesondere imZusammenhang mit Funktionen auftauchen:

Definition 3.11. reelle Intervalle

• Ein Intervall in R (oder reelles Intervall) ist eine Teilmenge I von R, für die gilt:

a, b ∈ I , a ≤ c ≤ b =⇒ c ∈ I (∀a, b, c ∈ R)

• Gibt es zwei reelle Zahlen a und b mit I = x ∈ R | a < x < b, so heißt I offenes reelles Intervall.Man schreibt ]a, b[:= (a, b) := x ∈ R | a < x < b.

• Gibt es zwei reelle Zahlen a und b mit I = x ∈ R | a ≤ x ≤ b, so heißt I abgeschlossenes reellesIntervall. Man schreibt [a, b] := x ∈ R | a ≤ x ≤ b.

• Gilt I = x ∈ R | a < x ≤ b oder I = x ∈ R | a ≤ x < b für zwei reelle Zahlen a und b soheißt I halboffenes reelles Intervall. Man schreibt ]a, b] := (a, b] := x ∈ R | a < x ≤ b bzw.[a, b[:= [a, b) := x ∈ R | a ≤ x < b.

Zwar sind −∞ und∞ keine Elemente von R, dennoch gelten folgende Schreibweisen:

• ]−∞,∞[:= (−∞,∞) := R

• ]−∞, b] := (−∞, b] := x ∈ R | x ≤ b

• ]−∞, b[:= (−∞, b) := x ∈ R | x < b

• [a,∞[:= [a,∞) := x ∈ R | a ≤ x

• ]a,∞[:= (a,∞) := x ∈ R | a < x

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Beispiel: Aufschreiben komplizierter MengenEs gibt einige Mengen die sehr kompliziert aussehen. Ein Beispiel wäre zum Beispiel die Lösungsmengeder Funktion

4 sin

2x +π

2

= 0.

Um eine Vorstellung der Lösungsmenge zu bekommen, wird hier ein Ausschnitt gezeigt:

Lösungsmenge=§

... , −54π , −

34π , −

14π ,

14π ,

34π ,

54π , ...

ª

Dies ist aber eben nur ein Ausschnitt, man vermag die Regel dahinter zu erkennen, jedoch ist das nichtimmer möglich, und deshalb ist die „...“-Schreibweise wie oben bereits erwähnt sehr ungeschickt. Eineeindeutige Variante für die eben beschriebene Lösungsmenge sieht z.B. wie folgt aus:

Lösungsmenge=n

(2k+ 1) ·π

4

k ∈ Zo

Beispiel: Die reellen Zahlen mit einer LückeDie Lösung der Gleichung x2 − 16≥ 0 ist darstellbar als:

]−∞,−4]∪ [4,∞[ = (−∞,−4]∪ [4,∞) = R\]− 4, 4[ = R \ (−4,4)

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4 Vektoren und MatrizenVektoren sind eigentlich abstrakte Konstrukte, wir werden uns hier aber nur mit der anschaulichen Be-deutung, den Pfeilen im Raum, beschäftigen. Dann sind alle Pfeile, die in dieselbe Richtung zeigen undgleichlang sind, derselbe Vektor. Man kann diese Vektoren leicht grafisch addieren, indem man die Vek-toren hintereinander setzt. Man kann sie skalieren (Skalarmultiplikation), sodass ein Vektor ensteht, derin die selbe Richtung zeigt, aber eine andere Länge hat. Dieses Verhalten kann man natürlich auch mitZahlen beschreiben:

Definition 4.1. Vektor, Addition, Multiplikation, Skalarprodukt

1. Ein (reeller) Vektor ist ein aus n reellen Zahlen x1, x2, ... , xn bestehendes Zahlentupel 1:

~x :=

x1x2...

xn

= (x1 x2 · · · xn)T (4.1)

Wenn die Zahlen in einer Spalte stehen, dann nennt man den Vektor auch Spaltenvektor, währendein Vektor mit den Einträgen in einer Zeile (x1 x2 · · · xn) als Zeilenvektor bezeichnet wird. Um einenZeilenvektor in einen Spaltenvektor und umgekehrt umzuwandeln, transponiert man den Vektor. Dieswird durch ein hochgestelltes großes T dargestellt.

2. Addition und Subtraktion: Sind ~x = (x1 x2 · · · xn)T und ~y = (y1 y2 · · · yn)T zwei Vektorengleicher Dimension, so heißt

~x + ~y :=

x1x2...

xn

+

y1y2...yn

:=

x1 + y1x2 + y2

...xn + yn

(4.2)

die Summe und

~x − ~y :=

x1x2...

xn

y1y2...yn

:=

x1 − y1x2 − y2

...xn − yn

(4.3)

die Differenz von ~x und ~y .

3. Skalarmultiplikation: Sei ~x = (x1 x2 · · · xn)T ein Vektor und λ ∈ R ein Skalar, dann setzen wir:

λ · ~x := λ ·

x1x2...

xn

:=

λ · x1λ · x2

...λ · xn

(4.4)

1 Ein Tupel ist eine geordnete Zusammenstellung von Objekten. So ist, anders als bei Mengen, (1, 2) ein anderes Zahlen-tupel als (2, 1).

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4. Die Menge aller Vektoren mit n reellen Einträgen zusammen mit den Operationen Vektoraddition undSkalarmultiplikation nennen wir den Vektorraum Rn.

5. Sind ~x = (x1 x2 · · · xn)T und ~y = (y1 y2 · · · yn)T zwei Vektoren, dann heißt ~x · ~y := x1 y1 + x2 y2 +. . .+ xn yn das innere Produkt oder Skalarprodukt von ~x und ~y . Das Ergebnis ist dabei ein Skalarund kein Vektor mehr - daher der Name.

Beispiel: Anwendung VektorrechnungDie Firma Fürstenhof, ein Zulieferer der Pilsstube Herkules, kauft im Januar 2016 für ihre Büroausstat-tung 20 Kugelschreiber, 100 Bleistifte, 5 Radierer und 200 Pakete Papier ein. Im Februar erhält die Firmaeinen neuen Auftrag und kauft doppelt soviel Büromaterial wie im Januar. Im März kauft die Firma nur15 der im Januar benötigten Produkte. Die Rechnung für das Büromaterial wird über Januar, Februar undMärz ausgestellt. Wie viel muss die Firma Fürstenhof bezahlen, wenn ein Kugelschreiber 20 Cent, einBleistift 10 Cent, ein Radierer 15 Cent und ein Paket Papier 3 Euro kostet?Mit Hilfe der oben definierten Vektoren und Operationen auf Vektoren lässt sich dies sehr leicht berech-nen:

1. Material der Firma im Januar: (20 100 5 200)T .

2. Material der Firma im Februar: 2 · (20 100 5 200)T = (40 200 10 400)T .

3. Material der Firma im März: 15 · (20 100 5 200)T = (4 20 1 40)T .

4. In den drei Monaten: (20 100 5 200)T + (40 200 10 400)T + (4 20 1 40)T = (64 320 16 640)T .

5. Preis des Materials (in Euro):(0, 2 0, 1 0,15 3) · (64 320 16 640)T = 12, 80+ 32+ 2,40+ 1920= 1967,20

Interpretation des Ergebnisses: Die Firma muss 1967,20 Euro für ihr Büromaterial bezahlen.

Ein Problem, dass mit den bisherigen Kenntnissen noch nicht gelöst werden kann: Nehmen wir an,dass die Firma nach dem ersten Quartal des Jahres berechnen will, wie viel sie pro Monat für Büromate-rial ausgegeben hat.

Hier können wir folgende Begriffe der linearen Algebra verwenden:

Definition 4.2. Matrizenrechnung

1. Ein m× n-Zahlenfeld

A :=

a11 · · · a1n...

...am1 · · · amn

heißt m× n-Matrix. Man schreibt auch häufig kurz A∈ Rm×n und (ai j)i=1...m, j=1...n. Letztere Schreib-weise gibt an, dass es einfach das Feld über alle Elemente ist. Um das Element aus der i-ten Zeile undj-ten Spalte zu bezeichnen, verwendet man ai j.

2. Sei A, B ∈ Rm×n, dann ist durch folgende Gleichung die Summe bzw. die Differenz beider Matrizendefiniert.

A± B :=

a11 · · · a1n...

...am1 · · · amn

±

b11 · · · b1n...

...bm1 · · · bmn

:=

a11 ± b11 · · · a1n ± b1n...

...am1 ± bm1 · · · amn ± bmn

(4.5)

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3. Sei A∈ Rm×n und λ ∈ R, dann ist durch

λ · A := λ ·

a11 · · · a1n...

...am1 · · · amn

:=

λ · a11 · · · λ · a1n...

...λ · am1 · · · λ · amn

(4.6)

die Multiplikation einer Matrix mit einem Skalar definiert.

4. Sei A ∈ Rl×m und B ∈ Rm×n, dann ist das Produkt A · B = (ci j)i=1...l, j=1...n durch ci j =∑m

k=1 aik · bk jdefiniert. Einfach ausgedrückt ergibt sich das Element ci j des Produkts durch das Skalarprodukt deri-ten Zeile der Matrix A und der j-ten Spalte der Matrix B. Daraus resultiert natürlich, dass dieMatrix A genauso viele Spalten, wie die Matrix B Zeilen haben muss.

5. Sei A eine m × n-Matrix und ~x ein Vektor mit n Einträgen. Dann wird der Vektor als n × 1-Matrixaufgefasst und das Produkt zwischen Matrix und Vektor durch das Matrixprodukt definiert:

a11 a12 · · · a1n...

...am1 am2 · · · amn

·

x1x2...

xn

:=

a11 x1 + a12 x2 + · · · + a1n xn...

...am1 x1 + am2 x2 + · · · + amn xn

(4.7)

Gerade die Multiplikation zweier Matrizen ist am Anfang eine sehr eigenartige Sache. Man braucht sieaber sehr häufig, deshalb ist es wichtig, sie auch anwenden zu können. Wir rechnen zur Demonstrationein paar Beispiele vor:

Beispiel: Multiplikation zweier 2× 2-Matrizen

1 23 4

·

5 67 8

=

1 · 5+ 2 · 7 1 · 6+ 2 · 83 · 5+ 4 · 7 3 · 6+ 4 · 8

=

19 2243 50

(4.8)

Beispiel: Multiplikation einer 2× 3 Matrix mit einer 3× 2 Matrix

1 2 03 0 1

·

4 51 04 5

=

1 · 4+ 2 · 1+ 0 · 4 1 · 5+ 2 · 0+ 0 · 53 · 4+ 0 · 1+ 1 · 4 3 · 5+ 0 · 0+ 1 · 5

=

6 516 20

(4.9)

Wie man hier schön sehen kann, ist das Produkt zweier Matrizen A ∈ Rl×m und B ∈ Rm×n einel × n-Matrix.

Beispiel: Multiplikation eines Zeilenvektors mit einem Spaltenvektor

2 3 4 2

·

1321

= (2 · 1+ 3 · 3+ 4 · 2+ 2 · 1) = (21) (4.10)

Eine 1× 1-Matrix kann man auch als Zahl auffassen. Wie man an dieser Stelle erkennen kann, könnteman das Skalarprodukt auch alternativ über eine Multiplikation zweier Matrizen definieren.

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Beispiel: Multiplikation eines Spaltenvektors mit einem Zeilenvektor

1321

·

2 3 4 2

=

2 3 4 26 9 12 64 6 8 42 3 4 2

(4.11)

An diesem Beispiel sieht man, dass für Matrizen im Allgemeinen, auch wenn beide Matrizen nicht qua-dratisch sind, nicht A · B = B · A gilt! Man sagt auch, dass die Matrixmultiplikation nicht kommutativist.

Definition 4.3. Transposition von Matrizen

Da wir festgestellt haben, dass Vektoren spezielle Matrizen sind, lässt sich die Transposition auch auf dieseübertragen. Die Transponierte einer (m× n)-Matrix A ist eine (n×m)-Matrix mit der Bezeichnung AT .Folglich führt eine doppelte Transponierung wieder auf die Ausgangsmatrix A zurück:

ATT= A.

Beispiel: Transponierung einer Matrix

A=

2 3 4 26 9 12 64 6 8 42 3 4 2

, AT =

2 6 4 23 9 6 34 12 8 42 6 4 2

, B =

2 6 43 9 6

, BT =

2 36 94 6

(4.12)

Definition 4.4. Einheitsmatrix und Invertierung von Matrizen

Die Einheitsmatrix ist das neutrale Element der quadratischen Matrizenmultiplikation. Sie besitzt folgendeForm:

E4 =

1 0 0 00 1 0 00 0 1 00 0 0 1

, (4.13)

Wird eine (n× n)-Matrix A mit der Einheitsmatrix En multipliziert, so bleibt diese vollständig unverändert,ähnlich wie die Multiplikation einer skalaren Zahl mit der Eins.

A · E = E · A= A (4.14)

Die Inverse einer Matrix A−1 erfüllt folgende Gleichung und sei der Vollständigkeit halber erwähnt.

A · A−1 = A−1 · A= E (4.15)

Sie ist damit das inverse Element und vergleichbar mit dem Kehrwert einer skalaren Zahl. Auch bei derInvertierung führt eine doppelte Anwendung zurück zur Ausgansmatrix:

A−1−1= A.

Für den speziellen Fall einer (2x2)-Matrix gilt folgende Formel:

A=

a bc d

⇒ A−1 =1

det(A)

d −b−c a

(4.16)

14

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Beispiel: Fortsetzung des obigen BeispielsMatrizen kann man auch als Abbildungen auffassen, die von einem Raum Rn in einen anderen Raum Rm

gehen, so war die Multiplikation mit den Vektoren (Euro pro Stück) eine Abbildung von dem Raumder Waren in den Raum des Geldes. Natürlich kann man jetzt auch das Matrizenkalkül verwenden, umkompliziertere Geschehnisse zu bestimmen. Wenn wir jetzt, anstatt für jeden Monat einen Vektor zuverwenden, alle Einkäufe in eine Matrix schreiben, wobei wir für jeden neuen Monat eine neue Zeilenehmen, dann bekommen wir nach der Multiplikation dieser Matrix mit dem Kostenvektor einen Vektor,in dem die Kosten pro Monat stehen:

A · ~x =

20 100 5 20040 200 10 4004 20 1 40

·

0,20,1

0, 153

= ... (4.17)

Matrizen sind aber nicht nur für solche Rechnungen nützlich. Man kann mit ihnen auch sehr gutlineare Gleichungssysteme lösen. Dafür muss man aber erst einmal wissen, wie man lineare Glei-chungssysteme in Matrizen umschreibt. Um es nicht zu theoretisch zu erklären, werden wir das Beispielweiterführen.

Beispiel: Letzte Fortsetzung des obigen BeispielsAls die Firma die Rechnungen für die Kugelschreiber, die Bleistifte und die Radierer für die Monatedes zweiten Quartals erhält, muss sie feststellen, dass die Preise erhöht wurden, denn sie muss fürApril 15,50 Euro, für Mai 24,50 Euro und für Juni 18,50 Euro bezahlen.

Wie viel kosten die jeweiligen Materialien, wenn im April

301005

Einheiten, im Mai

3015010

Einhei-

ten und im Juni

1010015

Einheiten zu den unbekannten Preisen x, y, z gekauft wurden?

Wir können hier drei Gleichungen aufstellen:

(I) (für April) : 30x + 100y + 5z = 15, 50(II) (für Mai) : 30x + 150y + 10z = 24, 50(III) (für Juni) : 10x + 100y + 15z = 18, 50

(4.18)

mit x = Preis der Kugelschreiber, y = Preis der Bleistifte und z = Preis der Radierer.

Dieses Gleichungssystem können wir schnell in eine Matrixgleichung umstellen, indem wir den linkenTeil als ein Produkt einer Matrix mit dem Vektor (x y z)T betrachten:

30 100 530 150 1010 100 15

·

xyz

=

15,524,518,5

(4.19)

Wäre es da nicht viel besser, wenn diese Gleichung in der Form

30 100 50 50 50 0 5

·

xyz

=

15,591

(4.20)

15

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gegeben wäre? Wir könnten jetzt einfach den Wert für z ablesen

5z = 1⇒ z = 15

, diesen Wert in diezweite Zeile einsetzen und so den Wert für y bekommen. Genauso könnten wir den Wert für x mit Hilfeder zuvor bestimmen Werte y und z berechnen.

Um eine Matrix auf eine obere Dreiecksmatrix (so heißt eine Matrix, in der alle Einträge unterhalb derHauptdiagonalen Null sind) zu bringen, verwendet man das Gaußverfahren. Es wird ihnen vielleicht alsAdditionsverfahren von Gleichungen aus der Schule bekannt vorkommen:

Satz 4.5. Gaußverfahren Sei A ∈ Rm×n und ~b ∈ Rn. Dann lässt sich mit Hilfe der folgenden beidenOperationen die Matrix A in eine obere Dreiecksmatrix A′ überführen:

1. Addition eines Vielfachen einer Zeile zu einer anderen Zeile.

2. Vertauschung zweier Zeilen.

3. (Multiplikation einer Zeile mit einer Zahl2.)

Werden die selben Operationen auf den Vektor ~b angewandt, dann hat die Gleichung A · ~x = ~b die gleicheLösung für ~x wie die Gleichung A′ · ~x = ~b′.

Um damit zurecht zu kommen, rechnen wir ein kleines Beispiel vor:

Beispiel: EliminationsverfahrenWir nehmen ein einfacheres Gleichungssystem, das man schnell lösen kann:

x + 2y + 3z = 2x + y + z = 2

3x + 3y + z = 0(4.21)

Das ergibt natürlich sofort folgende Matrixgleichung, die wir gleich umschreiben, damit das Rechnenübersichtlicher wird:

1 2 31 1 13 3 1

·

xyz

=

220

1 2 31 1 13 3 1

220

(4.22)

Wir arbeiten uns spaltenweise durch: Wir fangen mit der ersten Spalte an, in der alle, bis auf das ersteElement Null sein sollen; dafür tauschen wir, wenn das erste Element Null ist, die Zeilen.

In unserem Fall ist dies nicht so. Wir addieren im ersten Schritt das (-1)-fache der 1. Zeile auf die2. Zeile ((−1) · I + I I =: I I ′):

1 2 31 1 13 3 1

220

1 2 30 −1 −23 3 1

200

(4.23)

Als nächstes nehmen wir das (-3)-fache der 1. Zeile und addieren dies auf die 3. Zeile ((−3) · I + I I I =: I I I ′):

1 2 30 −1 −23 3 1

200

1 2 30 −1 −20 −3 −8

20−6

(4.24)

2 Dieser Schritt ist eigentlich nicht notwendig, um eine Matrix in eine obere Dreiecksmatrix zu bringen, jedoch macht esdie weiteren Rechnungen wesentlich leichter, da man sich so nicht mit komplizierten Brüchen herumschlagen muss.

16

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Als letzten Schritt addieren wir das (-3)-fache der 2’. Zeile auf die 3’. Zeile ((−3) · I I ′ + I I I ′ =: I I I ′′):

1 2 30 −1 −20 −3 −8

20−6

1 2 30 −1 −20 0 −2

20−6

(4.25)

Wir sind jetzt fertig und können die Lösung beinahe ablesen: z = 3 , y = −6 , x = 5.

Definition 4.6. DeterminanteDie Determinante einer Matrix A wird als det(A) oder |A| geschrieben und entspricht einer für die Matrixspezifischen Zahl. Die Determinante kann nur für quadratische Matrizen berechnet werden.

1. Die Determinante einer 2× 2-Matrix ist gegeben durch:

det(A) :=

a11 a12a21 a22

:= a11 · a22 − a21 · a12

2. Die Determinante einer 3× 3-Matrix ist gegeben duch:

det(A) :=

a11 a12 a13a21 a22 a23a31 a32 a33

:= a11a22a33 + a12a23a31 + a13a21a32 − a13a22a31 − a11a23a32 − a12a21a33

Eine leichte Methode sich die Berechung der Determinante einer 3× 3-Matrix zu merken ist die Regelvon Sarrus. Dabei schreibt man rechts neben die drei Spalten einer Matrix noch einmal die erste undzweite Spalte. Dann summiert man die drei Produkte, welche durch multiplizieren der Elemente aufeiner Diagonalen von oben links nach unten rechts entstehen, und subtrahiert dann die drei Produkte,welche durch multiplizieren der Elemente auf einer Diagonalen von oben rechts nach unten links ent-stehen. Die beteiligten Diagonalen sind in der nachfolgenden Darstellung markiert; sie soll die Regelverdeutlichen:

3. Die Determinante einer n× n-Matrix (ideal für n ≥ 4) kann man mit Hilfe des Laplace’schen Ent-wicklungssatzes bestimmen. Dabei wird die n× n-Matrix nach einer beliebigen Zeile (oder beliebigenSpalte) entwickelt. Für jedes Element dieser Zeile (bzw. Spalte) wird dann eine Determinante einerentsprechenden Untermatrix (genannt Ai, j) berechnet, welche dann eine (n− 1)× (n− 1)-Matrix ist.Um die Determinante der Ursprungsmatrix zu erhalten, summiert man die Determinanten der n-fachvorkommenden (n− 1)× (n− 1)-Matrizen, multipliziert mit dem Faktor fi, j auf. Der Faktor fi, j einerUntermatrix Ai, j ist definiert als fi, j := (−1)i+ j · ai, j.

In der Sprache der Mathematik lautet der letzte Absatz für eine Entwicklung nach Zeilen (erste Formel)bzw. nach Spalten (zweite Formel):

det(A) =n∑

j=1

(−1)i+ j · ai, j · det

Ai, j

(4.26)

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det(A) =n∑

i=1

(−1)i+ j · ai, j · det

Ai, j

(4.27)

Nun stellt sich noch die Frage, wie die Untermatrizen aussehen: Zum erstellen einer (n− 1)× (n− 1)-Untermatrix des Elements ai, j der n× n-Matrix legt man ein Kreuz über ebendieses Element ai, j undbildet die Untermatrix mit den Elementen, die durch das Kreuz nicht verdeckt werden, wobei die Posi-tionen beibehalten werden.

Ein Beispiel soll das zuletzt genannte Verfahren etwas verständlicher machen:

Beispiel: Laplace’scher Entwicklungssatz

Sei A eine 4× 4-Matrix mit

A :=

1 2 3 06 −1 0 30 −3 0 75 2 −1 7

Zunächst sollte man sich vorab überlegen nach welcher Zeile oder Spalte man entwickelt. (Clever sindhier Zeilen bzw. Spalten mit einfachen Zahlen, allerdings muss man dann auch beachten, dass schwierigeZahlen häufiger vorkommen.) Die schnellste Variante beim Berechnen der Determinante dieser Beispiel-matrix ist das Entwickeln nach der dritten Spalte ( j = 3), da dieses zwei Nullen enthält, und somit eineMenge Rechnerei erspart (Bedenke: Ein Produkt ist dann Null, wenn mindestens ein Faktor Null ist).

Zunächst werden die Untermatrizen erstellt:

Nun folgt also nach Formel (4.27) und Definition 4.6.2:

18

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det(A)(4.27)= (−1)1+3 · 3 · det

6 −1 30 −3 75 2 7

+ (−1)2+3 · 0 · det

1 2 00 −3 75 2 7

+(−1)3+3 · 0 · det

1 2 06 −1 35 2 7

+ (−1)4+3 · (−1) · det

1 2 06 −1 30 −3 7

= 3 · det

6 −1 30 −3 75 2 7

+ det

1 2 06 −1 30 −3 7

4.6.2= 3 · [6 · (−3) · 7+ (−1) · 7 · 5+ 3 · 0 · 2− 5 · (−3) · 3− 2 · 7 · 6− 7 · 0 · (−1)]

+[1 · (−1) · 7+ 2 · 3 · 0+ 0 · 6 · (−3)− 0 · (−1) · 0− (−3) · 3 · 1− 7 · 6 · 2]

= −682

Der Laplace’sche Entwicklungssatz ist beliebig oft anwendbar. Somit kann eine große Matrix bis hinzu 1× 1-Matrizen entwickelt werden. Wendet man ihn auf eine 2× 2-Matrix oder eine 3× 3-Matrix an,so erhält man die in Definition 4.6 genannten Formeln.

Satz 4.7. Rechenregeln für Matrizen und Determinanten

Seien A, B, C Matrizen, die die jeweiligen Zeilen- und Spalten-Bedingungen erfüllen (für jede folgende Zeileindividuell) und λ ∈ C, dann gelten folgende Rechenregeln für Matrizen:

1. A+ B = B + A

2. (A± B)± C = A± (B ± C)

3. A ·λ := λ · A

4. A · B ist in der Regel nicht B · A

5. (A · B) · C = A · (B · C)

6. (λ · B) · C = λ · (B · C)

7. (A± B) · C = A · C ± B · C

8. A · (B ± C) = A · B ± A · C

9. λ · (B ± C) = λ · B ±λ · C

Seien A, B ∈ Cn×n und λ ∈ C. Dann gelten folgende Rechenregeln für Determinanten:

10. |A · B|= |A| · |B|

11. |λ · B|= λn · |B|

Wir haben am Anfang des Kapitels gesagt, dass man sich Vektoren als Pfeile vorstellen kann. Pfeilehaben eigentlich eine Länge, die wir auch für Vektoren definieren können. Nur reden wir hier normaler-weise vom Betrag oder der Norm des Vektors.

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Definition 4.8. Betrag eines Vektors

Sei ~x =

x1 x2 . . . xn

Tein Vektor. ||~x ||2 :=

q

x21 + x2

2 + . . .+ x2n heißt der Betrag oder die Norm

des Vektors ~x . Manchmal spricht man auch von der Länge eines Vektors.

Definition 4.9. Kreuzprodukt

Seien ~a =

a1 a2 a3

Tund ~b =

b1 b2 b3

Tzwei Vektoren. Dann beschreibt der Vektor ~c, der defi-

niert ist als

~c := ~a× ~b :=

a2 b3 − a3 b2a3 b1 − a1 b3a1 b2 − a2 b1

das sogenannte Kreuz- oder Vektorprodukt. Das Kreuzprodukt ist ausschließlich für dreidimensionaleVektoren definiert! Sind die beiden Vektoren ~a und ~b linear unabhängig, so steht der neu gebildete Vektor ~csenkrecht auf ~a und senkrecht auf ~b, d.h. es gilt ~c · ~a = 0 und ~c · ~b = 0. Sind die beiden Vektoren ~a und ~bnicht linear unabhängig, so ist der neu gebildete Vektor ~c der Nullvektor ~0.

Satz 4.10. Rechtshändigkeit des Kreuzprodukts

Für zwei dreidimensionale Vektoren ~a und ~b gilt: ~a× ~b = −

~b× ~a

Definition 4.11. Spatprodukt und Volumen

Drei dreidimensionale, linear unabhängige Vektoren ~a,~b,~c spannen ein dreidimensionales Volumen, genanntSpat, auf. Das sogenannte Spatprodukt ist definiert als

~a× ~bT· ~c. Für das Volumen V des Spats gilt:

V =

~a× ~bT· ~c

Sind die drei Vektoren nicht linear unabhängig, so ist das Volumen 0.

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5 Komplexe ZahlenDie komplexen Zahlen sind eine Erweiterung des bisher bekannten Zahlenmodells der reellen Zahlen.Die komplexen Zahlen wurden eingeführt um für Gleichungen wie beispielsweise x2+1= 0 eine Lösungfinden zu können, für die es im Bereich der reellen Zahlen eben keine Lösung gibt. Alle bisher gelerntenRechengesetze behalten im Bereich der komplexen Zahlen weiterhin ihre Gültigkeit.

Definition 5.1. Komplexe Zahlen und Konjugation

1. Unter einer komplexen Zahl z ∈ C versteht man eine Zahl der Form

z = a+ i b, mit a, b ∈ R wobei i2 = −1.

2. a nennt man den Realteil Re(z) und b den Imaginärteil Im(z) der komplexen Zahl z.

3. Zu einer komplexen Zahl z := a+ i b heißt z := a+ i b := a− i b die konjugiert komplexe Zahl.

Bemerkungen: Sowohl der Realteil als auch der Imaginärteil einer komplexen Zahl sind stets reell!

Nun müssen wir überlegen, ob unsere Rechengesetze wirklich erhalten bleiben und ob wir bei den mög-lichen Verknüpfungen immer in C bleiben. Das bedeutet, dass wir nachprüfen müssen, ob C bezüglichder Addition, Subtraktion, Multiplikation und Division (ohne die Null) abgeschlossen ist.

Definition 5.2. Rechengesetze für komplexe ZahlenGegeben seien zwei komplexe Zahlen c := a+ i b und z := x + i y , d.h. c, z ∈ C und a, b, x , y ∈ R.Dann gilt:

1. Addition: c + z = (a+ i b) + (x + i y) := (a+ x) + i(b+ y)

2. Subtraktion: c − z = (a+ i b)− (x + i y) := (a− x) + i(b− y)

3. Multiplikation: c · z := (a+ i b) · (x + i y) = ax + ai y + i bx + i2 · b y4.1.1= ax + ai y + i bx + (−1) · b y

= (ax − b y) + i(a y + bx)

4. Division: cz =

a+i bx+i y =

a+i bx+i y ·

x−i yx−i y =

(a+i b)(x−i y)x2+y2 = cz

zz , falls z 6= 0

Satz 5.3. Rechenregeln für die komplexe KonjugationSeien c, z ∈ C und n ∈ N, dann gilt

• c ± z = c ± z

• c · z = c · z

• daraus folgend: (cn) = (c)n

• gilt zusätzlich z 6= 0, so ist

cz

= cz

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Anschauung:

Eine komplexe Zahl z = a + i b lässt sich als Punkt mit denKoordinaten (a, b) der sogenannten Gauß’schen Zahlene-bene auffassen. Man betrachtet eine komplexe Zahl z somitnicht zwingend nur als z ∈ C sondern wie in diesem Fall als

Element des R2: z = a+ i b 7→

ab

∈ R2

Nun können wir uns auch die Addition zweier komplexer Zahlen z und c und die Multiplikation einerkomplexen Zahl z mit einer reellen Zahl λ veranschaulichen: Bei der Addition wird einer der Vektoren(im Beispiel der Vektor zur komplexen Zahl c) so in der Gauß’schen Zahlenebene verschoben, dass seinEnde an der Spitze des anderen Vektors ansetzt, er jedoch seine Richtung beibehält (Vektor c wird zu c′

verschoben). Nun ist die Summe der beiden komplexen Zahlen die Spitze des neu entstanden Vektors,welcher durch einen Streckenzug der Vektoren z und c′ entstanden ist. Bei der Multiplikation einer kom-plexen Zahl mit einer reellen Zahl wird der zur komplexen Zahl gehörige Vektor einfach um den Faktor(=reelle Zahl) gestreckt (falls der Betrag des Faktors größer als 1 ist) bzw. gestaucht (falls der Betragdes Faktors kleiner als 1 ist). Ein negativer Faktor spiegelt den am Ursprung beginnenden Vektor amUrsprung.

Abbildung 5.1: Veranschaulichung der komplexen Addition (links) und der Multiplikation einer komple-xen Zahl mit einer reellen Zahl (rechts).

Die Multiplikation zweier komplexer Zahlen lässt sich mit dem bisherigen Modell nicht veranschauli-chen – eine andere Darstellungsform der komplexen Zahlen liefert jedoch eine Anschauung:

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Definition 5.4. Betrag, Argument, komplexe Exponentialfunktion, PolardarstellungGegeben sei eine komplexe Zahl z = a+ i b

1. Der Betrag r einer komplexen Zahl ist definiert durch

r := |z| :=p

zz =Æ

(a+ i b)(a− i b)

=p

a2 + b2 =Æ

Re(z)2 + Im(z)2

2. Das Argument von z wird mit Arg(z) abgekürzt undist der gerichtete Winkel φ zwischen der positiven re-ellen Achse und dem Strahl vom Ursprung nach z (diepositive Drehrichtung in der Mathematik ist gegen denUhrzeigersinn). Das Argument wird zumeist im Bogen-maß angegeben. Da wir bei Addition/Subtraktion von2π denselben Strahl erhalten, wollen wir jeden Winkelder Form

φ′ = φ + 2π · k , k ∈ Z

als Argument von z bezeichnen.

3. Die komplexe Exponentialfunktion ist über eine so genannte Reihendarstellung definiert, die hiernur kurz dargestellt, jedoch nicht weiter erläutert werden soll:

exp(z) := ez :=∞∑

k=0

zk

k!

Diese Reihe wird dann später in der Erstsemester-Mathematik-Veranstaltung genauer erläutert. Wichtigist es erst einmal nur zu verstehen, dass die Exponentialfunktion auch für komplexe Zahlen definiertist. Setzt man eine komplexe Zahl in die komplexe Exponentialfunktion ein, ist das Ergebnis wiedereine komplexe Zahl. Jede komplexe Zahl ist durch die komplexe Exponentialfunktion und einen Vor-faktor darstellbar. (Ist das Funktionsargument reell, so ist die komplexe Exponentialfunktion gleich derreellen Exponentialfunktion.)

Nun lässt sich jede komplexe Zahl anstatt durch Real- und Imaginärteil auch durch ihren Betrag undihr Argument darstellen, was der Polardarstellung entspricht. Statt Polarkoordinaten in Form einesVektors anzugeben, kann die komplexe Exponentialfunktion dazu benutzt werden. Alle Darstellungenlassen sich ineinander überführen, deshalb ist die Beschreibung in allen Fällen vollständig (nur diekomplexe Zahl z = 0 hat kein eindeutiges Argument, deshalb definiert man hier meist das Argument alsNull. Um die Eindeutigkeit der restlichen Zahlen zu gewährleisten vereinbart man, dass das Argumentnur im Intervall [0,2π) liegen darf). Die Exponentialfunktion verkörpert dabei nur das Argument undgehört zu einem Vektor der Länge Eins, weshalb die Exponentialfunktion noch mit dem Betrag derkomplexen Zahl multipliziert werden muss:

z = a+ i b = |z| · ei·Arg(z)

Der Vorteil der Exponentialfunktion-Darstellung liegt darin, dass man damit nach den bekannten Re-chengesetzen rechnen kann.

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Beispiel: Multiplikation zweier komplexer Zahlen

Seien c = a+ i b und z = x+ i y zwei komplexe Zahlen mit den Argumenten Arg(c) = φ und Arg(z) =ψ.Dann gilt für das Produkt der beiden komplexen Zahlen:

c · z = (a+ i b) · (x + i y) = |c|ei·φ · |z|ei·ψ = |c| · |z| · ei·φ+i·ψ = |c| · |z| · ei·(φ+ψ)

Abbildung 5.2: Mit Hilfe der Polardarstellung kann man nun leicht veranschaulichen, wie zwei komplexeZahlen multipliziert werden: Die Beträge werden multipliziert und die Winkel addiert.

Satz 5.5. Übergang von einer Darstellung zur anderen:

1. Von der kartesischen Darstellung zur Polardarstellung:

r ist leicht zu berechnen als Betrag von a+ i b.Für φ ist ein wenig Überlegung nötig. Alle Zahlen auf dem Kreis mit dem Abstand 1 zum Ursprung(auch Einheitskreis genannt) können wir mit den trigonometrischen Funktionen darstellen. Teilen wireine Zahl durch ihren Betrag, liegt das Ergebnis auf dem Einheitskreis, somit lassen sich alle Winkelbestimmen. Wir erhalten:

r =p

a2 + b2 (Satz des Pythagoras)

φ =

arctan

ba

, falls a > 0

arctan

ba

+π , falls a < 0π2 , falls a = 0 und b > 0

−π2 , falls a = 0 und b < 0

0 , falls a = b = 0

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2. Von der Polardarstellung zur kartesischen Darstellung:

Sei z = (r,φ) eine komplexe Zahl in Polardarstellung. Dann gilt z = a + i b mit a = cos(φ) undb = sin(φ). Es gilt also mit Arg(z) = φ:

z = |z| · ei·φ = |z| · (cos (φ) + i · sin (φ))

Die letzte Formel ist auch bekannt als die Euler’sche Formel.

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6 FunktionenIn diesem Abschnitt beschäftigen wir uns mit „Funktionen“, einem zentralen Begriff der mathematischenSprache. Die Idee ist, jedem Objekt aus einer Ansammlung von „Dingen“ genau ein bestimmtes anderes„Ding“ – beispielsweise einen Wert – zuzuordnen. Notiere ich z.B. für eine Gruppe von Menschen dasjeweilige Alter oder fragt man nach den Hauptstädten einiger Länder, so sind dies aus mathematischerSicht Funktionen.

Definition 6.1. Funktionen

Es seien X und Y Mengen mit den Elementen x1, x2, ..., xm ∈ X und y1, y2, ..., yn ∈ Y . Eine Zuordnungf : X → Y nennen wir Funktion, wenn folgendes gilt:

(∀x ∈ X ) (∃!y ∈ Y ) : f (x) = y

Zur Notation einer Funktion:„ f : X → Y : x 7→ y “ ist die vollständige Beschreibung einer Funktion, dabei gibt f den Namen derFunktion an, X bezeichnet den Definitionsbereich, also die Menge aller Elemente x1, x2, ..., xm, die in dieFunktion eingesetzt werden können und für die ein eindeutiger Funktionswert y1, y2, ..., yn existiert undY bezeichnet die Zielmenge, das ist die Menge, in der mindestens alle Funktionswerte liegen. Liegen in Ynur die Funktionswerte der Funktion f und keine weiteren Elemente, so nennt man Y den Bildbereich oder„das Bild von f auf X “ und schreibt Y = f (X ). Es gilt also f (X ) ⊆ Y . Die Schreibweise X → Y bedeutet,die Elemente aus X werden durch die Funktion auf Elemente aus Y abgebildet. x 7→ y gibt die Funktions-vorschrift an, sie beschreibt, was mit jedem einzelnen Element aus X genau passiert. Die Elemente aus Xbezeichnet man auch als (Funktions-)Argumente. Wird die Funktion f auf ein Element x der Menge Xangewandt, so schreibt man f (x). Der Funktionswert in Y , der durch die Abbildung von x ∈ X mittels fnach Y angenommen wird, wird mit y bezeichnet; man schreibt dann f (x) = y . Die Variablen x und ysind dabei Platzhalter für die x1, x2, ..., xm und y1, y2, ..., yn.

Aus dieser Definition lassen sich folgende Zusammenhänge ableiten: Egal welches x aus X man wählt,es gibt stets ein zugeordnetes y in Y , d.h. jedem x ist exakt ein y zugeschrieben. Die Definition schließtdabei nicht aus, dass mehreren Werten aus X dasselbe y ∈ Y zugewiesen wird.

Kann man die Elemente von X und Y sinnvoll in eine Reihenfolge bringen (für reelle Zahlen beispiels-weise nach ihrer Größe), so erweist sich oft die Darstellung in einem Koordinatensystem als günstig.Dabei entspricht üblicherweise X der horizontalen und Y der vertikalen Achse. x 7→ y wird dabei alsPunkt P mit den Koordinaten (x |y) im Koordinatensystem markiert.

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Beispiel: Funktionen und keine Funktionen

a) X sei eine Menge von Kraftfahrzeugen, Y die Menge aller mögli-chen Kennzeichen, f eine Vorschrift, die jedem Kfz sein Kennzei-chen zuordnet.

b) X sei eine Ansammlung von Personen, Y die Menge der auftre-tenden Körpergrößen, f die Vorschrift, die jeder Person die Größezuordnet.

c)

d)

Funktionen

e) X sei eine Menge von Häusern, Y die Menge aller Personen, diein Häusern wohnen. f ordne jedem Haus seine Bewohner zu.

f)

g)

KeineFunktionen

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Übung: Funktionen

1. Man betrachte die Vorschrift, die jedem Bundesbürger die Nummer seines Personalausweises zu-ordnet. Unter welchen Voraussetzungen ist dies eine Funktion?

2. Man begründe formal, d.h. mit Hilfe der Definition, warum die einzelnen Beispiele Funktionen sindbzw. nicht sind.

Funktionen können wichtige Eigenschaften verkörpern, so ist es z.B. von hohem Interesse, ob Y derBildbereich ist, oder ob mehrere Werte aus X auf dasselbe y ∈ Y abgebildet werden. Diese Überlegungenführen zu folgender Definition:

Definition 6.2. Injektivität, Surjektivität und BijektivitätEs seien f : X → Y eine Funktion, x1, x2 ∈ X . Dann heißt die Funktion f

1. injektiv, wenn gilt f (x1) = f (x2)⇒ x1 = x2,

2. surjektiv, wenn gilt (∀y ∈ Y ) (∃x ∈ X ) : f (x) = y ,

3. bijektiv, wenn f sowohl injektiv als auch surjektiv ist.

Statt injektiv sagt man auch eineindeutig.

Beispiel: Injektivität, Surjektivität und Bijektivität

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Als nächstes werden Rechenoperationen für Funktionen definiert:

Definition 6.3. Summe, Differenz, Produkt und Quotient von FunktionenEs seien f , g : X → Y Funktionen und Y eine Menge, in der Addition, Subtraktion, Multiplikation undDivision definiert sind.

1. Die Funktion ( f ±g) : X → Y gegeben durch ( f ±g)(x) := f (x)±g(x) heißt Summe (bzw. Differenz)der Funktionen f und g.

2. Die Funktion ( f · g) : X → Y gegeben durch ( f · g)(x) := f (x) · g(x) heißt Produkt der Funktionenf und g.

3. Ist g(x) 6= 0 für alle x ∈ X , so heißt die Funktion fg : X → Y gegeben durch f

g (x) := f (x)g(x) der Quotient

der Funktionen f und g.

Anmerkung:Elemente x ∈ X , für die g(x) = 0 gilt, heißen Nullstellen der Funktion g. Man betrachtet auch oft denQuotienten von f und g zumindest für die Elemente x ∈ X , für die g(x) 6= 0 gilt. Sei die Menge dieserElemente bezeichnet mit X ∗ := x ∈ X |g(x) 6= 0, so ist das also die Funktion f

g : X ∗→ Y .

Definition 6.4. Verkettung von FunktionenEs seien f : W → X und g : X → Y Funktionen. Dann heißt die Funktion g f : W → Y (sprich„g f “ als „g verkettet mit f“ oder „g nach f“), definiert durch (g f )(x) := g( f (x)) , die Verkettung oderHintereinanderausführung von g und f.

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Beispiel: Verkettungen

1. Seien f (x) = 2 und g(x) = x3 zwei Funktionen. Dann ist (g f )(x) = 23 = 8 und ( f g)(x) = 2.

2. Seien f (x) = sin(x) und g(x) = x2 zwei Funktionen. Dann ist (g f )(x) = (sin(x))2 und( f g)(x) = sin(x2).

Anmerkung: Wie man an diesen Beispielen erkennen kann, gilt in der Regel (g f )(x) 6= ( f g)(x).

Nun werden einige sehr häufig auftretende Funktionen definiert:

Definition 6.5. Polynome und rationale Funktionen

• Eine Funktion f : R→ R mit f (x) = an xn + an−1 xn−1 + . . .+ a0 x0 (ai ∈ R für alle i ∈ 0, . . . , n)heißt Polynom (oder auch ganzrationale Funktion). Der Faktor an wird als Leitkoeffizient bezeich-net und n gibt den Grad des Polynoms an.

• Seien p und q Polynome und D := x ∈ R | q(x) 6= 0 (die Menge der reellen Zahlen, für die q nichtNull wird). Dann heißt f : D→ R gegeben durch f (x) := p(x)

q(x) gebrochen rationale Funktion.

Definition 6.6. WurzelfunktionEine Funktion f : R+0 → R

+0 mit f (x) = npx , n ∈ N \ 0 heißt Wurzelfunktion.

Beispiel:

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Definition 6.7. Exponentialfunktion und LogarithmusDie Funktion f : R → R+ mit f (x) = ex = exp(x), e ≈ 2, 718281 . . . , heißt (natürliche) Exponenti-alfunktion. Ihre Umkehrfunktion f −1 : R+ → R mit f −1(x) = ln(x), definiert durch eln(x) = ln(ex) = x ,heißt (natürlicher) Logarithmus.

Definition 6.8. Trigonometrische FunktionenDie nachfolgenden vier Funktionen sind trigonometrische Funktionen:

1. Sinus-Funktionf (x) = sin(x), x ∈ R

2. Cosinus-Funktionf (x) = cos(x), x ∈ R

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3. Tangens-Funktionf (x) = tan(x) := sin(x)

cos(x) , x ∈ x ∈ R| cos(x) 6= 0

4. Cotangens-Funktionf (x) = cot(x) := 1

tan(x) := cos(x)sin(x) , x ∈ x ∈ R| sin(x) 6= 0

Satz 6.9. Additionstheoreme und weitere Eigenschaften

1. sin2(x) + cos2(x) = 1

2. sin(x ± y) = sin(x) cos(y)± sin(y) cos(x)

3. insbesondere sin(2x) = 2sin(x) cos(x)

4. cos(x ± y) = cos(x) cos(y)∓ sin(x) sin(y)

5. insbesondere cos(2x) = cos2(x)− sin2(x) = cos2(x)− sin2(x)− cos2(x)︸ ︷︷ ︸

=−(sin2(x)+cos2(x))

+ cos2(x)5.9.1= 2 cos2(x)− 1

6. tan(x ± y) = tan(x)±tan(y)1∓tan(x) tan(y)

7. sin(x) = cos

π2 − x

8. cos(x) = sin

π2 ± x

9. sin(x) + sin(y) = 2 sin x+y

2

cos x−y

2

10. cos(x) + cos(y) = 2cos x+y

2

cos x−y

2

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Beispiel: Vergleich des normalen Sinus mit einem modifizierten Sinus

Der modifizierte Sinus hat die allgemeine Form g(x) = A·sin(B · x+C)+D, dabei gibt A die Amplitudean, d.h. |A| = maxg(x)−ming(x)

2 . Ist der Betrag der Amplitude größer als 1, so ist der modifizierte Sinusgegenüber dem normalen Sinus in y-Richtung gestreckt, ist der Betrag kleiner als 1, so ist er gestaucht. Istder Betrag von B größer als 1, so ist der modifizierte Sinus gegenüber dem normalen Sinus in x-Richtunggestaucht, ist der Betrag kleiner als 1, so ist er gestreckt. Der Parameter C gibt eine Verschiebung inx-Richtung an, der Parameter D beschreibt eine Verschiebung in y-Richtung.

Abbildung 6.1: Gezeigt sind die Funktionen f (x) = sin(x) und g(x) = 2sin

4x + π4

+ 1 .

Anmerkung: Bei den trigonometrischen Funktionen fallen bestimmte Symmetrieeigenschaften desGraphen auf, die wir ebenfalls benennen wollen:

Definition 6.10. Symmetrie

Eine Funktion f : D→ R heißt

1. symmetrisch zur y-Achse, falls f (x) = f (−x) für alle x ∈ D gilt.

2. punktsymmetrisch zum Ursprung, falls f (x) = − f (−x) für alle x ∈ D gilt.

Bemerkung: Symmetrische Funktionen nennt man auch gerade, Funktionen punktsymmetrisch zumUrsprung auch ungerade Funktionen.

Beispiel: symmetrische Funktionen

• Die Sinus-, Tangens-, und Cotangens-Funktion sind punktsymmetrisch zum Ursprung.

• Die Cosinus-Funktion ist symmetrisch zur y-Achse.

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Um den qualitativen Verlauf einer Funktion anzugeben, benutzt man noch weitere Begriffe, die nach-folgend definiert werden:

Definition 6.11. Monotonie

Sei f : D→ R eine Funktion und I ⊆ D ein reelles Intervall.

• Gilt für alle a, b aus I a < b ⇒ f (a) ≤ f (b) ( bzw. a < b ⇒ f (a) ≥ f (b)), so heißt f auf Imonoton steigend (bzw. monoton fallend ).

• Gilt sogar für alle a, b aus I a < b⇒ f (a) < f (b) (bzw. a < b⇒ f (a) > f (b)), so heißt f auf Istreng monoton steigend (bzw. streng monoton fallend ).

• f heißt auf I monoton, wenn f auf I monoton wachsend oder monoton fallend ist.

• f heißt auf I streng monoton, wenn f auf I streng monoton wachsend oder streng monoton fallendist.

Beispiel: Monotonie

• Ein Beispiel für eine monoton fallende Funktion ist die abschnittsweise definierte Funktion

f1(x) =

−x − 1 , x < −10 , −1≤ x ≤ 1−x + 1 , 1< x

• Ein Beispiel für eine streng monoton steigende Funktion ist die Funktion f2(x) = x3

Abbildung 6.2: Veranschaulichung verschiedener Monotonieverhalten. Links ein Beispiel für eine mono-ton fallende Funktion, rechts ein Beispiel für eine streng monoton steigende Funktion.Die Funktionen sind f1(x) und f2(x) aus dem Beispiel.

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Definition 6.12. Polstellen, Minima und Maxima

Sei f : D ⊆ R \ x0 → R eine Funktion. Wir sagen

1. f hat eine Polstelle an der Stelle x0, wenn der Betrag von f in jedem offenen Intervall I um x0 (d. h.x0 ∈ I) beliebig große Werte annimmt.

2. f hat ein (lokales) Maximum ((lokales) Minimum) an der Stelle x1 ∈ D, wenn in einem genügendkleinen offenen Intervall I um x1 gilt f (x1) ≥ f (x) ( f (x1) ≤ f (x)) für alle x ∈ I . Hat f an derStelle x1 ein Maximum oder ein Minimum, so sagen wir auch, f hat dort ein (lokales) Extremum.

3. f hat in x1 ∈ D ein globales Maximum (globales Minimum), wenn f (x1)≥ f (x) ( f (x1)≤ f (x))für alle x ∈ D gilt.

Abbildung 6.3: Die Funktionen f1(x) weist an der Stelle x0 eine Polstelle auf, die Funktion f2(x) besitztan der Stelle x1 ein Maximum.

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7 GrenzwerteAn dieser Stelle soll keine ausführliche Einführung in die Mathematik der Grenzwertrechnung erfolgen.Insbesondere sollen keine Rechenregeln für Grenzwerte aufgeführt werden, da sie in diesem Vorkursnicht behandelt werden; dies wird dann in der kommenden Mathematik I Veranstaltung geschehen. Essoll hier lediglich auf die Schreibweise eingegangen werden:

Oft ist das Verhalten einer Funktion für x → ∞ (sprich „x gegen unendlich“) oder x → −∞ vonInteresse. Damit ist dann das Verhalten der Funktion für sehr große (oder betragsmäßig sehr große ne-gative) Argumente gemeint.

Man spricht von Konvergenz, wenn die Funktionswerte einer Funktion gegen einen fixen Wert stre-ben, was als Grenzwert bezeichnet wird. Konvergiert eine Funktion nicht, so spricht man von Divergenz.

Beispielsweise konvergieren die Funktionswerte der Exponentialfunktion f (x) = ex gegen 0, wennman die x-Argumente immer kleiner wählt (wenn man sich also „auf dem Zahlenstrahl in Richtung −∞bewegt“). Dagegen divergiert die Funktion, wenn man die x-Argumente immer größer wählt (wenn manalso „den Zahlenstrahl in Richtung∞ läuft“). Man schreibt kompakt:

ex → 0 für x →−∞

ex →∞ für x →∞

Konvergiert eine Funktion f (x) gegen einen Grenzwert g, wenn sich das Argument x demArgument k nähert, so verwendet man häufig statt der Schreibweise

f (x)→ g für x → k

die Limes-Schreibweise:

limx→k

f (x) = g

Dabei darf k auch ±∞ sein, g jedoch nicht, denn dann würde die Funktion divergieren, und dafür istdie Limes-Schreibweise nicht gültig.

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8 StetigkeitFür das Kapitel „Differentialrechnung“ ist der Begriff der Stetigkeit von grundlegender Bedeutung.Manch einer wird den Begriff aus der Schule kennen, die wenigsten werden ihn jedoch derart präzi-se formuliert haben, wie es für die Hochschul-Mathematik relevant ist.

Mathematische Theorien werden üblicherweise anhand bestimmter Fragestellungen entwickelt. Ho-her Abstraktionsgrad und der Wunsch nach allgemein anwendbaren Ergebnissen haben im vergangenenJahrhundert jedoch zu einer weitgehenden Formalisierung der mathematischen Sprache geführt und all-zu häufig fällt es sehr schwer, die Vorstellung hinter den formalen Sätzen und Definitionen zu erfassen.Für ein tieferes Verständnis und wesentlich leichteren Umgang mit den dargestellten Sachver-halten ist eine eigene Vorstellung aber unverzichtbar! Das soll keineswegs bedeuten, dass man diestrenge mathematische Formulierung dadurch verständlicher macht, indem man sie lockerer formuliert,denn dann hat man das Konzept nicht vollständig verinnerlicht.

Wir wollen versuchen, anhand einer geläufigen Definition der Stetigkeit von Funktionen eine An-schauung für einen komplexeren Sachverhalt so zu erarbeiten, dass die Definition verständlich wird undzugleich aus der Anschauung wieder die Definition ableitbar ist. Wir definieren hier die Stetigkeit vonFunktionen über das sogenannte ε-δ-Kriterium:

Definition 8.1. Stetigkeit von Funktionen

Sei f : D ⊆ R→ R eine Funktion. f heißt stetig im Punkt x0, falls gilt:

(∀ε > 0)(∃δ > 0)(∀ξ ∈ D) |x0 − ξ|< δ⇒ | f (x0)− f (ξ)|< ε

f heißt stetig auf D, falls f stetig in jedem Punkt x ∈ D ist.

Wer die vorangegangenen Zeilen gelesen hat und dabei nicht das geringste verstanden hat, sollte sichan dieser Stelle nicht entmutigen lassen. Dies wird nicht die einzige schwere mathematische Definitionim Studium bleiben. Jedoch hat es seine Gründe, warum die Definition genau so lautet und warum z.B.„(∀ε > 0)(∃δ > 0)“ statt „(∃δ > 0)(∀ε > 0)“ da steht.

Als erstes sollte man – sofern man noch Probleme mit den mathematische Kurzschreibweisen hat – dieDefinition in Prosa wiedergeben:

„Für alle ε, welche stets größer als Null sind, existiert mindestens ein δ, welches ebenfalls grö-ßer als Null sein soll, sodass alle reellen Zahlen ξ aus dem Definitionsbereich die nachfolgendeBedingung erfüllen: Ist die betragsmäßige Differenz von x0 und ξ kleiner als δ so folgt daraus,dass die betragsmäßige Differenz von f (x0) und f (ξ) kleiner als ε ist.“

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Und, verständlicher geworden? Wohl kaum. Das reine Übersetzen der mathematischen Symbole inProsa langt den meisten nicht, um die Definition direkt zu erschließen. Wir formulieren den Prosa-Textetwas um: Zunächst sieht man sich die mathematische Definition an und zieht alle sofort erschließbarenInformationen heraus, sodass diese einmal genannt sind und im folgenden Text weggelassen werdenkönnen, damit dieser leichter zu interpretieren ist. Als letzte Änderung benutzen wir verständlichereSynonyme:

„ε ist größer als Null. δ ist größer als Null. ξ ist eine reelle Zahl aus dem Definitionsbereich. AlleDifferenzen sind wegen des Betrages positiv, entsprechen also ‚Abständen‘.

Dann gilt verkürzt:

Für jedes ε existiert mindestens ein δ, sodass alle ξ die nachfolgende Bedingung erfüllen: Ist derAbstand von x0 und ξ kleiner als δ so folgt daraus, dass der Abstand von f (x0) und f (ξ) kleinerals ε ist.“

Diese verkürzte Form geht schon leichter über die Lippen und ist vielleicht etwas verständlicher alsdie Definition mit ausschließlich mathematischen Symbolen. Diese Definition wird nun ausführlich er-läutert:

Oben wurde erwähnt, dass es einen Unterschied macht, ob der Ausdruck „(∀ε > 0)(∃δ > 0)“ anstellevon „(∃δ > 0)(∀ε > 0)“ da steht. Und in der Tat bedeutet die bei unserer Definition verwendete Form,dass eben erst das ε vorgegeben wird und davon abhängig das δ gewählt wird. ε ist dabei eine Größedie beliebig gewählt werden soll, insbesondere beliebig klein, und der Definition entnimmt man, dassdiese Größe den Abstand der Funktionswerte auf der y-Achse angibt, d.h. wir suchen uns einen Punkt x0,bilden den Funktionswert f (x0) und definieren uns um diesen Funktionswert die ε-Umgebung, in die-sem Fall also eine untere Schranke unterhalb von f (x0) (entspricht „ f (x0)−ε“) und eine obere Schrankeoberhalb von f (x0) (entspricht „ f (x0) + ε“).Durch die Wahl dieser ε-Umgebung wird zugleich die Anzahl möglicher δ-Umgebungen eingeschränkt(„∃δ > 0“ bedeutet ja es gibt mindestens ein δ, dass ...). Die durch das ε eingeschränkte (aber nichteindeutig bestimmte) δ-Umgebung wird nun (aus der Definition ablesbar) den Abstand auf der x-Achsevom Punkt x0 angeben, d.h. in diesem Fall also als eine linke Grenze (entspricht „x0−δ“) und eine rechteGrenze (entspricht „x0 + δ“) angegeben. Dass die δ-Umgebung aus der ε-Umgebung folgt und nichtumgekehrt, folgt aus der Reihenfolge in der Definition.

Nun muss gelten, dass alle Punkte ξ, die sich in dieser δ-Umgebung befinden (entspricht„|x0 − ξ|< δ“) sich nach einsetzen in die Funktion (entspricht „ f (ξ)“) in der ε-Umgebung befinden(entspricht „| f (x0)− f (ξ)|< ε“).

Ist diese Bedingung für alle ξ innerhalb der δ-Umgebung erfüllt, so ist die Funktion an der Stelle x0stetig. Ist die Funktion an allen Stellen innerhalb des Definitionsbereichs stetig, so sagt man die Funktionist auf ihrem gesamten Definitionsbereich stetig oder kurz: die Funktion ist stetig.

Beispiel: ε-δ-Kriterium bei einer stetigen und einer unstetigen Funktion

Betrachte die Funktionen in der Abbildung 7.1. Wir möchten anschaulich erklären, warum die Funk-tion f1(x) an der Stelle x0 nach der obigen Definition stetig ist, die Funktion f2(x) an der Stelle x0jedoch nach obiger Definition unstetig ist.

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Abbildung 8.1: Zwei Funktionen im Vergleich: die linke Funktion ist im Punkt x0 stetig, denn egal wieklein man die ε-Umgebung wählt, man findet eine passende δ-Umgebung dazu, sodassfür alle ξ aus der δ-Umgebung dann f1(ξ) innerhalb der ε-Umgebung liegt. Die rech-te Funktion hingegen ist im Punkt x0 nicht stetig, denn es gibt eine genügend kleineε-Umgebung, sodass – egal wie klein man dann die δ-Umgebung wählt – nicht mehrfür alle ξ aus der δ-Umgebung dann f2(ξ) innerhalb der ε-Umgebung liegt. (Nach derDefinition gilt stets δ 6= 0.)

Satz 8.2. Verknüpfungen stetiger Funktionen sind ebenfalls stetigSeien D ⊆ R der Definitionsbereich und f : D→ R und g : D→ R stetige Funktionen, dann sind folgendeVerknüpfungen ebenfalls stetig:

• f (x)± g(x)

• c · f (x) mit c ∈ R

• f (x) · g(x)

• f (x)g(x) falls g(x) 6= 0 für alle x ∈ D

• ( f g)(x) := f (g(x))

Beispiel: einige stetige Funktionen

Viele bekannte Funktionen sind auf ihrem Definitionsbereich stetig und nach Satz 6.2 auch ihre Ver-knüpfungen miteinander. Einige von ihnen sind:

• x k mit k ∈Q

• sin(x), cos(x), tan(x), cot(x)

• ax mit a ∈ R+

• loga(x) mit a ∈ R+

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Warum so eine komplizierte Definition für die Stetigkeit? In der Schule hat man doch leicht verständ-lich beigebracht bekommen: „Eine Funktion ist dann stetig, wenn man den zugehörigen Graphenzeichnen kann ohne den Stift absetzen zu müssen, d.h. wenn die Funktionswerte keine Sprüngemachen.“ Nun zum einen ist diese „Definition“ nicht ganz präzise, da vorab nicht definiert wurde wasgenau man unter „ohne den Stift absetzen zu müssen“ zu verstehen hat. Wäre dies bekannt, so würdesich die Definition aus der Schule von der hier präsentierten trotzdem unterscheiden, denn nach derSchul-Definition wäre beispielsweise die Funktion f (x) = 1

x nicht stetig, ist sie aber sehr wohl – denneine Funktion ist nach unserer Definition stetig, wenn sie auf ihrem gesamten Definitionsbereich stetigist, und das ist für f : R \ 0 → R : x 7→ 1

x der Fall, obwohl man zum Zeichnen des Graphen „den Stiftabsetzen muss“! Des Weiteren gibt es Funktionen, deren Graph man zwar zeichnen kann „ohne den Stiftabsetzen zu müssen“, die aber dennoch nicht stetig sind (vergleiche Abbildung 7.2)! Solche Funktionenkönnen z.B. bei Abbildungen von R2 nach R auftreten, wie sie im zweiten Semester in Mathematik IIbehandelt werden.

-2

-1

0

1

2

x

-2

-1

0

1

2

y

-1

0

1

f Hx,yL

Abbildung 8.2: Graph einer unstetigen Funktion, welchen man jedoch zeichnen könnte „ohne den Stiftabsetzen zu müssen“. Der gezeigte Graph gehört zu der zweidimensionalen Funk-tion f : R2 → R : (x , y) 7→ Im

p

x + i · y

. Diese Funktion ist an den Stellen v0 mitv0 ∈ (−∞, 0]× 0 unstetig.

Salopp kann man sagen: Nur für Funktionen im eindimensionalen Raum, sprich Funktionen mitnur einer Variablen, ist die Bedingung „man kann den Graph einer Funktion zeichnen ohne den Stiftabsetzen zu müssen“ hinreichend um auf eine stetige Funktion schließen zu können, jedoch keinesfallsnotwendig!

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9 DifferentialrechnungAnhand dieses Kapitels wollen wir uns noch einmal verdeutlichen, wie eine mathematische Theorie oftentsteht: Um irgendein (Alltags-)Problem mithilfe mathematischer Methoden besser beschreiben und lö-sen zu können, wird die Theorie (hier die der Funktionen) um geeignete Begriffe erweitert (hier den derAbleitung), dann wird untersucht, durch welche Gesetzmäßigkeiten sich die Handhabung der Erweite-rung vereinfacht (hier durch die Ableitungsregeln), um nicht jedes Mal auf die Definition zurückgreifenzu müssen. Schließlich stellt man (hoffentlich) fest, dass sich mit dem neuen Teil der Theorie auch an-dere Probleme lösen lassen (hier das der Ermitteln der Extremstellen).

Beispiel: Bierbestandsfunktion

Wir befinden uns in der aus der Übung bekannten Pilsstube Herkules. Hier betrachten wir die Bier-bestandsfunktion f : R+0 → R

+0 , die jedem Zeitpunkt t die aktuell noch vorhandene Biermenge zuordnet.

Klar ist, dass man den aktuellen Bierbestand zum Zeitpunkt t0 einfach am Funktionsgraphen ablesenkann. Nun möchte aber der interessierte amerikanische Austauschstudent gerne das Trinkverhalten derDeutschen anhand des Graphen der Bierbestandsfunktion des Herkules studieren. Wie könnte er dabeivorgehen? Überlege dir, wie sich erhöhter Bierfluss zu den Stoßzeiten auf die Bestandsfunktion auswirkt.Was geschieht, wenn die Pilsstube tatsächlich einmal leer ist? Was geschieht zwischen 5:00 und 6:00 Uhr,wenn der Bestand wieder (stetig) aufgefüllt wird?

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Definition 9.1. Ableitung, Differenzierbarkeit

• Gegeben sei eine Funktion f : D ⊆ R→ R. Die Steigung der Funktion f in dem Punkt x0 ∈ D wirdals Ableitung von f in x0 bezeichnet und ist definiert als der Grenzwert einer Sekantensteigung. Manschreibt f ′ für die Ableitung der Funktion f :

f ′(x0) := limh→0

f (x0 + h)− f (x0)(x0 + h)− (x0)

• Die Funktion f heißt in x0 differenzierbar, wenn dieser Grenzwert existiert.

• Ist f in jedem Punkt x0 ∈ D differenzierbar, so heißt f auf D differenzierbar.Durch f ′ : D→ R : x 7→ f ′(x) wird eine neue Funktion, die Ableitungsfunktion definiert.

Beispiel: Ableitungen

1. f ist in x0 nicht differenzierbar.

2.

Sei f : R→ R gegeben durch f (x) = |x |.Betrachten wir den Grenzwert der Sekanten-steigungen, so finden wir:

limh→0

|x0 + h| − |x0|h

= limh→0

|h|h=§

1, wenn h 0−1, wenn h 0

Dieser Grenzwert ist nicht eindeutig bestimmt,demnach ist f in x0 = 0 nicht differenzierbar.

3. Man betrachte f : R→ R mit f (x) = x2 an der Stelle x0:

f ′(x0) = limh→0

f (x0 + h)− f (x0)h

= limh→0

x20 + 2hx0 + h2 − x2

0

h= lim

h→0

2x0 + h1

= 2x0

also gilt f ′(x) = 2x .

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Um nicht jedes Mal die Ableitung über den Grenzwert der Sekantensteigungen ermitteln zu müssen,zeigen wir im folgenden einige Rechenregeln, mit denen sich aus wenigen bekannten Ableitungsfunktio-nen sehr viele andere bestimmen lassen:

Satz 9.2. AbleitungsregelnSeien die Funktionen u : R→ R und v : R→ R differenzierbar. Dann gilt:

1. Faktorregel: Sei f (x) = c · u(x) (c ∈ R und c = konst.), dann ist f differenzierbar und es giltf ′(x) = c · u′(x).

2. Summenregel: Sei f (x) = u(x)± v (x), dann ist f differenzierbar und es gilt f ′(x) = u′(x)± v ′(x).

3. Produktregel: Sei f (x) = u(x) · v (x), dann ist f differenzierbar und es giltf ′(x) = u′(x) · v (x) + u(x) · v ′(x).

4. Quotientenregel: Sei f (x) = u(x)v (x) , dann ist f differenzierbar in allen Punkten x ∈ R \ x |v (x) = 0

und für diese Punkte gilt f ′(x) = u′(x)·v (x)−u(x)·v ′(x)(v (x))2 .

5. Kettenregel: Sei f (x) = v (u(x)). Dann ist f differenzierbar und es gilt f ′(x) = v ′(u(x)) · u′(x).

Lemma 9.3. Häufig auftretende Ableitungen

f (x) f ′(x)

1 (c ∈ R) 0xa (a ∈ R) a · xa−1

ax (a ∈ R+) ln(a) · ax

ex ex

ln(x) 1x

sin(x) cos(x)cos(x) − sin(x)tan(x) 1

cos2(x)

Anmerkungen:

x−a = 1xa

x1a = apx

Beispiel: QuotientenregelSei f (x) = x5+3x4+1

x2+3 . Setze u(x) = x5 + 3x4 + 1 und v (x) = x2 + 3Dann ist

f ′(x) =

u′︷ ︸︸ ︷

(x5 + 3x4 + 1)′ ·

v︷ ︸︸ ︷

(x2 + 3)−

u︷ ︸︸ ︷

(x5 + 3x4 + 1) ·

v ′︷ ︸︸ ︷

(x2 + 3)′

(x2 + 3)2︸ ︷︷ ︸

v 2

=(5x4 + 12x3) · (x2 + 3)− (x5 + 3x4 + 1) · 2x

(x2 + 3)2= . . .

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Beispiel: KettenregelSei f (x) = 3(x3 + 2x2 + 4)4. Setze v (u) = 3u4 und u(x) = x3 + 2x2 + 4Dann ist f = (v u)(x) = v (u(x)) und f ′(x) = 4 · 3(x3 + 2x2 + 4)3

︸ ︷︷ ︸

v ′(u(x))

· (3x2 + 4x)︸ ︷︷ ︸

u′(x)

= . . .

Mit diesem neuen Werkzeug des Differenzierens haben wir nun ein Mittel zur Bestimmung von Ex-tremstellen gewonnen:

Satz 9.4. ExtremstellenGegeben sei eine differenzierbare Funktion f : D ⊆ R→ R. f hat genau dann ein lokales Minimum (bzw.Maximum) in x0 ∈ D, wenn f ′(x0) = 0 und f ′′(x0) > 0 (bzw. f ′′(x0) < 0) gilt oder wenn alle Ableitungenvon f an der Stelle x0 verschwinden (d.h. f ist in einer Umgebung von x0 konstant).1

Beispiel: ExtremstellenWir betrachten die Funktion f (x) = 1

3 x3 − x . Als erstes suchen wir die Punkte, die als Extremstellen inFrage kommen: Hierzu muss die erste Ableitung 0 sein. Die Ableitung ist f ′(x) = x2−1= (x +1)(x −1)und hat somit ihre Nullstellen bei x1 = 1 und x2 = −1. Setzen wir diese in die zweite Ableitung ein,finden wir f ′′(x1) = 2x1 = 2> 0, also ein Minimum und f ′′(x2) = 2x2 = −2< 0, also ein Maximum.

ImplikationenDer vorangegangene Satz ist ein gutes Anschauungsbeispiel für die Handhabung von Implikationen(„wenn, dann“). Wir spalten den Satz auf:

a) x0 ist relatives Extremum =⇒ f ′(x0) = 0

b) f ′(x0) = 0 und f ′′(x0) 6= 0 =⇒ x0 ist relatives Extremum

Bedingung a) ist notwendig, damit x0 ein Extremum ist. Die Aussage „ f ′(x0) = 0 ⇒ x0 ist relativesExtremum“ wäre nun natürlich falsch: b) besagt ja gerade, dass zusätzlich noch f ′′(x0) 6= 0 benötigtwird. Bedingung b) ist somit eine hinreichende Bedingung dafür, dass x0 eine Extremstelle ist. Wirkönnen aber aus a) auf

c) f ′(x0) 6= 0 =⇒ x0 ist kein relatives Extremum

schließen.

1 Das bedeutet u.a., dass eine konstante Funktion an jeder Stelle ein (sogar globales) Maximum und Minimum besitzt!

44

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10 Partielle DifferentiationPartielle Differentiation ist ein Thema, welches in Mathematik II behandelt wird, allerdings bereits infrüheren Vorlesungen vorausgesetzt wird. Da dieser spezielle Fall der Differentialrechnung bei Studie-renden in der Regel keine besonderen Schwierigkeiten auslöst, werden wir an dieser Stelle eine kleineEinführung in das Thema geben.

Partielle Differentiation ist im Prinzip eine Erweiterung von bereits vorhandenen Kenntnissen und Re-geln um ein paar weiterführende Gedankengänge.

Definition 10.1. Funktionen in mehreren VeränderlichenSei f : Rm→ R eine mehrdimensionale Funktion in m Veränderlichen.1

Beispiel: Funktionen der Form f : Rm→ R

• f (x , y) = x + 3y

• g(x , y, z) = x − ln(2z + x)y

• h(x , y, z) = f (x , y)−p

g(x , y, z)

Definition 10.2. Gradient und partielle AbleitungDie partielle Ableitung beschreibt die Ableitung einer Funktion in mehreren Veränderlichen nach einemArgument. Gebündelt werden alle partiellen Ableitungen in einem Vektor ∇, dem Gradienten von f.Für eine fest gewählte Stelle ~X ∈ Rm und die Funktion f (x1, x2, ..., xm) sind die partiellen Ableitungen füri = 1, ..., m gegeben durch

∂ f∂ x i( ~X ). (10.1)

Die Funktion heißt dann partiell differenzierbar und der Gradient von f an der Stelle ~X wird definiert alsder Spaltenvektor der partiellen Ableitungen

∇ f ( ~X ) =

∂ f∂ x1( ~X )

∂ f∂ x2( ~X )...

∂ f∂ xm( ~X )

. (10.2)

Geometrisch wird ∂ f∂ xi

auch als Richtungsableitung von f in Richtung ~x bezeichnet.

Satz 10.3. Schreibweisen

• ∇ f = grad f

• ∂ f∂ x = ∂x f = fx

1 siehe Abbildung 8.2

45

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Beispiel: Gradient und partielle AbleitungBeim partiellen Ableiten ist es hilfreich, sich die Argumente nach denen gerade nicht abgeleitet wird, alsKonstanten vorzustellen.

• f (x , y) = x − ln(3y + x2)

∂ f∂ x(x , y) = 1−

2x3y + x2

,∂ f∂ y(x , y) = −

33y + x2

, ∇ f (x , y) =

1− 2x3y+x2

− 33y+x2

• g(x , y, z) = x2 y − 3 yz

gx(x , y, z) = 2x y, g y(x , y, z) = x2 −3z

, gz(x , y, z) = 3yz2

, ∇g(1, 3,3) =

601

Definition 10.4. Partielle Ableitung zweiter OrdnungDer Vollständigkeit halber sei noch erwähnt, dass die Ableitung zweiter Ordnung einer Funktion f : Rm→ Rfür i, j = 1, ..., m durch

∂ 2 f∂ x i∂ x j

:=∂

∂ x i

∂ f∂ x j

(10.3)

definiert ist, wobei auch hier die Schreibweise fxi x jbeibehalten werden kann. Außerdem sind die zweiten

partiellen Ableitungen nach dem Satz von Schwarz vertauschbar, wenn diese stetig sind.

fxi x j= fx j xi

(10.4)

Das Äquivalent zum Gradienten nennt sich auf Ebene der zweiten Ordnung Hesse-Matrix. Dabei handelt essich um eine (m×m)-Matrix.

Beispiel: Hesse-Matrix

• f ( ~X ) = f (x , y) = 3x2 y mit ∇ f ( ~X ) =

6x y, 3x2T

∂ 2 f∂ x2( ~X ) = fx x( ~X ) = 6y

∂ 2 f∂ x∂ y

( ~X ) = fx y( ~X ) = f y x( ~X ) =∂ 2 f∂ y∂ x

( ~X ) = 6x

∂ 2 f∂ y2

( ~X ) = f y y( ~X ) = 0

H( ~X ) =

∂ 2 f∂ x2

∂ 2 f∂ x∂ y

∂ 2 f∂ y∂ x

∂ 2 f∂ y2

!

=

6y 6x6x 0

46

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11 IntegralrechnungDie Integralrechnung hat sich unter anderem wegen den folgenden zwei Problemstellungen herausge-bildet:

1.) Wie berechnet man den Flächeninhalt der von der Funktion und der x-Achse begrenzt wird?Für Flächen die durch gerade Strecken berandet sind, stellt dies meist kein Problem dar, für krummlinigberandete Flächen ist die Berechnung weniger einfach. Wir wollen uns hier mit dem Flächeninhalt unterdem Graphen einer Funktion f : [a, b]→ R beschäftigen.

2.) Wie kehre ich die Differenzierung um?Die Fragestellung beinhaltet, ob es für jede Funktion f eine Funktion F mit F ′ = f gibt und ob dieseeindeutig zu bestimmen ist.

Wir wollen uns zunächst dem ersten Problem widmen: Verkürzt formuliert wird versucht, die kompli-zierte Fläche durch Flächen, deren Flächenberechnung einfacher ist, anzunähern. Sinnvollerweise wer-den Rechtecke benutzt, die immer schmaler gemacht werden. Das Integral entsteht also als Grenzwerteines Annäherungsprozesses durch Rechtecksflächen. Man kann herleiten, dass dieser Vorgang der Inte-gration gerade der Umkehrvorgang zur Differenzierung ist (dies besagt der Hauptsatz der Differential-und Integralrechnung). Um es einfacher zu machen, definieren wir daher die Integration gleich über dieDifferenzierung statt über die Flächeninhalte. (Diese Freiheit hat man beim Definieren!)

Definition 11.1. Stammfunktion, Integration, unbestimmtes Integral

1. Eine differenzierbare Funktion F : D ⊆ R→ R heißt Stammfunktion der Funktion f : D ⊆ R→ R,falls für jedes x ∈ D gilt: F ′(x) = f (x) ; sie ist nur bis auf eine Konstante c ∈ R eindeutig bestimmt.f nennt man dann auch integrierbar auf D.

2. Die Operation, die einer Funktion eine Stammfunktion zuordnet, heißt Integration.

3. Die Menge aller Stammfunktionen einer Funktion f : D ⊆ R → R heißt unbestimmtes Integralvon f und wird notiert als

f (x)d x .

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Beispiel: einige wichtige Integrale

•∫

xαd x = 1α+1 xα+1 + c für α ∈ R \ −1

•∫

1x d x = ln |x |+ c

•∫

ea·x d x = 1a ea·x + c für a ∈ R \ 0

•∫

sin(a · x)d x = −1a cos(a · x) + c für a ∈ R \ 0

•∫

cos(a · x)d x = 1a sin(a · x) + c für a ∈ R \ 0

Definition 11.2. Bestimmtes Integral

Sei f : D ⊆ R→ R integrierbar, a, b ∈ D , F : D ⊆ R→ R eine beliebige Stammfunktion von f .Wir definieren

∫ b

a

f (x)d x := [F(x)]ba := F(b)− F(a)

und nennen∫ b

a f (x)d x das bestimmte Integral von f von a bis b .

Dieses bestimmte Integral von f ist unabhängig von der Wahl der Stammfunktion F . Es ist keine Funk-tion mehr, sondern eine reelle Zahl. Der Betrag dieser Zahl entspricht dem Flächeninhalt zwischen demGraphen der Funktion f und der x-Achse auf dem Intervall [a, b]. Durch unsere Wahl der Definitioneiner Stammfunktion müssten wir dies zwar erst noch beweisen, da der Zusammenhang zwischen Flä-cheninhalt und Integral nicht wirklich offensichtlich ist. Wir belassen es hier aber bei dieser Anmerkung.

Nun folgen einige Rechenregeln um mit bestimmten Integralen arbeiten zu können:

Satz 11.3. Rechenregeln für bestimmte Integrale

Gegeben sei eine integrierbare Funktion f : D ⊆ R → R, sowie die Zahlen a, b, c ∈ D mit a < b < c.Dann gilt:

1.∫ a

a f (x)d x = 0

2.∫ b

a f (x)d x = −∫ a

b f (x)d x

3.∫ b

a f (x)d x +∫ c

b f (x)d x =∫ c

a f (x)d x

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Zuletzt wollen wir uns noch mit Methoden zum Lösen „schwieriger“ Integrale beschäftigen1. Es lässtsich leicht zeigen, dass sich die Ableitungsregeln auf die Integrationsregeln übertragen lassen:

Satz 11.4. IntegrationsregelnVoraussetzung: f , u, v seien integrierbare Funktionen, c ∈ R.

1. Faktorregel:∫

c · f (x)d x = c ·∫

f (x)d x

2. Summenregel:∫

(u(x)± v (x))d x =∫

u(x)d x ±∫

v (x)d x

3. Partielle Integration oder Produktintegration (Umkehrung der Produktregel):∫

u′(x) · v (x)d x = u(x) · v (x)−∫

u(x) · v ′(x)d x

4. Substitutionsregel (Umkehrung der Kettenregel):∫

f (g(x)) · g ′(x)d x =∫

f (t)d t

t=g(x)

Beispiel: Partielle Integration

x︸︷︷︸

u′(x)

· ln x︸︷︷︸

v (x)

d x =12

x2

︸︷︷︸

u(x)

ln x︸︷︷︸

v (x)

−∫

12

x2

︸︷︷︸

u(x)

·1x

︸︷︷︸

v ′(x)

d x

=12

x2 ln x −12

xd x

=12

x2 ln x −14

x2 + c mit c ∈ R

Beispiel: Integration durch Substitution

tan(x)d x =

sin(x)cos(x)

d x

Wir haben hier f (g(x)) = 1g(x) und g(x) = cos(x) . Da g ′(x) = − sin(x) folgt:

sin(x)cos(x)

d x = −∫

1cos(x)

· cos(x)′d x = −∫

1t

d t

t=cos(x)

= (− ln |t|+ c)|t=cos(x)

= − ln | cos(x)|+ c

1 Bei äußerst komplizierten Integralen lohnt sich auch häufig mal ein Blick in ein Nachschlagewerk, z.B.:Merziger et al.: „FORMELN + HILFEN, HÖHERE MATHEMATIK“, 62010, Binomi Verlag, Barsinghausen.Bronstein et al.: „Taschenbuch der Mathematik“, 72008, Harri Deutsch Verlag, Frankfurt am Main.Im Internet gibt es eine Vielzahl kostenloser Integratoren, z.B. einen unter http://integrals.wolfram.com/index.jsp

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Wem diese Methode zu mathematisch ist oder für diejenigen, die nicht direkt sehen, welche Ver-knüpfung vorliegt, bietet sich eine „mathematisch lockerere“ Methode an, welche zwar etwas leichternachzuvollziehen und zu berechnen ist, jedoch aufgrund einer ungültigen Operation eigentlich nichtlegitim ist! Man geht beim Verwenden dieser Methode wie folgt vor: Man nutzt sie um eine Stammfunk-tion zu ermitteln, verwirft die Rechnung, behauptet man habe die gefundene Stammfunktion geratenund beweist durch Differenzieren, dass es sich um eine gültige Stammfunktion handelt! Die Methodesoll am obigen Beispiel verdeutlich werden:

tan(x)d x =

sin(x)cos(x)

d x

Wähle eine geschickte Substitution:

z = z(x) = cos(x)

⇒ z′(x) =dzd x= − sin(x)

⇒ d x =dz

− sin(x)

Ersetze im ursprünglichen Integral nun so, dass alle x verschwinden, und ersetze d x ebenfalls, sodassnun wegen dz über die Variable z integriert wird. Nach der Integration wird re-substituiert:

sin(x)cos(x)

d x =

sin(x)z·

dz− sin(x)

=

1−z

dz = −∫

1z

dz = − ln |z|+ c = − ln | cos(x)|+ c

Die ungültige Operation war dabei „ dzd x “ (sprich „dz nach d x“) als Bruch zu betrachten und die Varia-

blen zu trennen. Das ist eigentlich nicht möglich, da „ dzd x “ eine feste, alternative Bezeichnung für die Ab-

leitung ist, welche häufiger als „z′(x)“ benutzt wird, da man hier erkennen kann, nach welcher Variablenabgeleitet wurde, was bei mehrdimensionalen Funktion durch die „ f ′(x , y)“-Schreibweise nicht ersicht-lich ist. In unserem Beispiel wird also die Funktion z nach der Variablen x abgeleitet. Irrwitzigerweiseerhält man also ein Ergebnis, wenn man „ dz

d x “ trotz Verbot umschreibt. Dieses Verfahren bezeichnet manals „Trennung der Variablen“ und es wird häufig beim Lösen von Differentialgleichungen genutzt.

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12 SummenalgebraUm sich einigen Rechenaufwand bei der Benutzung von bestimmten Rechenoperationen zu ersparen,führen wir nun das Summenzeichen

ein.Der Vorteil einer Benutzung des Symbols

besteht darin, dass umfangreiche und komplexe Summen-ausdrücke in eine kurze und übersichtliche Form überführt werden können. Somit lassen sich einigeRechenoperationen wesentlich schneller anwenden.

Definition 12.1. Das Summenzeichen

Die Menge X = [x1, x2, ..., xn] bestehe aus n Elementen. Wir können die Summe aller Elemente der Menge Xmit

x1 + x2 + ...+ xn =n∑

i=1

x i

definieren. i wird als Laufindex bezeichnet. Die Bezeichnung i=1 ist hier der untere Summationsindexund n der obere Summationsindex. Häufiger werden die Summationsindizes auch als Start- und Endwertbezeichnet.

Es folgen nun einige Rechenregeln, um mit dem Summenzeichen arbeiten zu können:

Satz 12.2. Wichtige Rechenregeln für das Summenzeichen

•n∑

i=mx i = xm + ...+ xn mit Laufvariable x i, Laufindex i, Startwert m, Endwert n > m.

•n∑

i=1x i =

m∑

i=1x i +

n∑

i=m+1x i und

n∑

i=1x i = x j +

n∑

i=1,i 6= jx i

•n∑

i=1

m∑

j=1x i j =

m∑

j=1

n∑

i=1x i j

•∞∑

i=1x i = lim

n→∞

n∑

i=1x i

•∂∂ x

n∑

i=1fi(x) =

n∑

i=1

∂ fi(x)∂ x

•n∑

i=11= 1+ 1+ ...+ 1= n

•n∑

i=mx = (n−m+ 1) · x

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Satz 12.3. Wichtige Umformungen für das Summenzeichen

• a+ b (n∑

i=1x i) = a+ bx1 + bx2 + ...+ bxn = a+

n∑

i=1bx i

•n∑

i=1(a+ bx i) = na+ b (

n∑

i=1x i)

•n∑

i=1(x i ± yi) =

n∑

i=1x i ±

n∑

i=1yi

•n∑

i=1(ax i ± b yi) = a(

n∑

i=1x i)± b(

n∑

i=1yi)

• (n∑

i=1x i)2 = (

n∑

i=1x i) · (

n∑

i=1x i) =

n∑

i=1

n∑

j=1x i x j

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13 Vollständige InduktionAls letztes soll noch der Vollständigkeit halber – da es sich hierbei immerhin um eine Mathematik-Veranstaltung handelt – eine grundlegende Beweis-Technik vorgestellt werden. Eine sehr häufig verwen-dete Methode zum Beweisen von Gleichungen bzw. Ungleichungen ist die vollständige Induktion, wiesie auch in der Veranstaltung Mathematik I behandelt wird.

Ein einleitendes Beispiel soll an die Thematik heranführen: Möchte man die Summe der ersten nnatürlichen Zahlen ohne die 0 bilden, d.h. 1+ 2+ 3+ ...+ n, so muss man insgesamt (n− 1)-Additionendurchführen. Wir nutzen im Folgenden die kompakte Schreibweise mittels Summenzeichen 1+2+3+...+n =

∑nk=1 k. Für sehr viele Zahlen, beispielsweise die ersten 1 Mio. natürlichen Zahlen ohne die 0 muss

man folglich 999 999 Additionen ausführen. Auch für einen Computer ist das ein hoher Rechenaufwandund je nach Umfang solcher Aufgabenstellungen muss man sehr lange auf ein Ergebnis warten. ImZeitalter in dem „Zeit Geld ist“ besteht also ein hohes Interesse eine schnellere Rechnung zu finden. Undin der Tat: Es gibt eine sehr kompakte Formel für oben beschriebenes Problem! Mit dieser kann mandie Rechnung, egal wie viele Zahlen man addieren möchte, d.h. egal wie groß das n ist, auf lediglich 3Operationen reduzieren: Eine Addition, eine Multiplikation und eine Division. Die Formel hierfür lautet:

n∑

k=1

k =n(n+ 1)

2

Nun ist das aber eine ziemlich vage Behauptung, dass diese kurze Formel tatsächlich für alle n geltensoll. Man kann probeweise einmal einige Werte für n einsetzen und wird sehen, dass die Formel gilt.Leider ist das noch kein Beweis dafür, dass die Formel tatsächlich für jedes n gilt.

Hier hilft uns die angesprochene vollständige Induktion weiter. Wir wollen sie direkt an der eben ge-nannten Formel exemplarisch vorstellen. Bei der vollständigen Induktion geht man wie folgt vor: Manzeigt, dass die Formel für ein Startglied gilt, in unserem Beispiel das kleinste n, und man zeigt, dass dieFormel, falls sie für n gilt, auch für n + 1, also für alle Folgeglieder, gelten muss. Man kann sich dasähnlich zum sogenannten Domino-Effekt vorstellen: Unser Startglied ist der erste Stein, der umgewor-fen wird, und unser Folgeglied ist die Tatsache „fällt irgendein Stein, so setzt er den nachfolgenden inBewegung, ergo fällt dieser auch um“.

Die vollständige Induktion kann nur als Beweistechnik für Formeln mit diskreten Variablen genutztwerden, d.h. die Variable (hier n) muss eine ganze Zahl sein (was in unserem Beispiel erfüllt ist, dan ∈ (N \ 0) ⊆ Z).

Nun gehen wir wieder in die mathematische Sprache über:

Satz 13.1. Gauß’sche Summenformel

Für die Aufsummierung der ersten n natürlichen Zahlen ohne die 0 ergibt sich folgende kompakte For-mel (genannt Gauß’sche Summenformel):

Es giltn∑

k=1

k =n(n+ 1)

2für alle n ∈ N \ 0.

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Beweis 10.2. Gauß’sche Summenformel

Beweis mittels vollständiger Induktion über n:

Induktionsanfang (IA):Für n= 1 gilt

∑1k=1 k = 1 und 1(1+1)

2 = 22 = 1. Da 1= 1 gilt die Formel für das Startglied.

Man schreibt das gewöhnlich in kompakter Form:∑1

k=1 k = 1= 22 =

1(1+1)2

Induktionsvoraussetzung (IV):Wir nehmen nun an, die Formel gilt allgemein, d.h. es wird angenommen, dass

∑nk=1 k= n(n+1)

2 für allen≥ 1 gilt.

Induktionsschritt (IS):Es gilt die Formel für die Folgeglieder zu zeigen, d.h.:

z.z.:∑n+1

k=1 k = (n+1)((n+1)+1)2

⇒n+1∑

k=1

k =n∑

k=1

k + (n+ 1)(IV)=

n(n+ 1)2

+ (n+ 1)

=n(n+ 1)

2+

2(n+ 1)2

=n(n+ 1) + 2(n+ 1)

2

=n2 + n+ 2n+ 2

2

=(n+ 1)(n+ 2)

2

=(n+ 1)((n+ 1) + 1)

2

⇒∑n+1

k=1 k = (n+1)((n+1)+1)2 , was zu zeigen war.

Anmerkung: In der Definition des Summenzeichens ist folgender Zusammenhang ebenfalls mit ein-geschlossen:

y∑

k=x

ak = 0 , falls y < x gilt.

Deshalb gilt die Gauß’sche Summenformel sogar für n= 0 und somit für alle n ∈ N.

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