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Vorlesung Physikalische Chemie I Christian Mayer 1 Vorlesung PC I Einführung in die Physikalische Chemie für Studierende der Bachelor-Studiengnge Chemie" und Water Science C. Mayer Wintersemester 2016 / 2017 Vorlesung: Mittwoch, 08:00 bis 10:00, S04 T01 A02 Übungen: Dienstag, 09:00 bis 10:00, S04 T01 A02 Beginn der Vorlesung: Mittwoch, den 19. Oktober 2016 Ende der Vorlesung: Mittwoch, den 1. Februar 2017 1 Chemie: die Physik der Elektronen in Atomen und Molekülen 1.1 Das Elektron als Elementarteilchen 1.2 Die Ladung des Elektrons 1.4 Der Radius des Elektrons 1.5 Die Doppelnatur des Elektrons und der eindimensionale Potentialtopf 1.6 Das Wasserstoffatom 1.7 Atome mit mehreren Elektronen 1.8 Chemische Bindungen und Moleküle 1.9 Elektronegativitt und Polaritt 2 Die Elektronenspektroskopie an Atomen und Molekülen 2.1 Grundlagen der Spektroskopie 2.2 Elektronenspektroskopie am eindimensionalen Potentialtopf 2.3 Elektronenspektroskopie am Wasserstoffatom 2.4 Elektronenspektroskopie an Atomen mit mehreren Elektronen 2.5 Elektronenspektroskopie an Molekülen 3 Das Zusammenwirken von Atomen und Molekülen 3.1 Der makroskopische Zustand von Materie 3.2 Zustandsgleichung für Gase: die ideale Gasgleichung 3.3 Das kinetische Gasmodell 3.4 Die korrigierte Gasgleichung nach van der Waals 3.5 Andere Zustandsgleichungen für reale Gase 3.6 Beschreibung von Flüssigkeiten 3.7 Beschreibung von Festkrpern 3.8 Das Phasendiagramm

Vorlesung PC I Einführung in die Physikalische Chemierelaxation.chemie.uni-duisburg-essen.de/lehre/Skript_PC_2016_2017.pdf · Schwingungen möglich, deren Geometrie (d.h. die Zahl

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Vorlesung Physikalische Chemie I Christian Mayer

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Vorlesung PC I Einfuumlhrung in die Physikalische Chemie

fuumlr Studierende der Bachelor-Studiengaumlnge bdquoChemie und bdquoWater Scienceldquo

C Mayer

Wintersemester 2016 2017

Vorlesung Mittwoch 0800 bis 1000 S04 T01 A02 Uumlbungen Dienstag 0900 bis 1000 S04 T01 A02

Beginn der Vorlesung Mittwoch den 19 Oktober 2016 Ende der Vorlesung Mittwoch den 1 Februar 2017

1 Chemie die Physik der Elektronen in Atomen und Molekuumllen 11 Das Elektron als Elementarteilchen 12 Die Ladung des Elektrons 14 Der Radius des Elektrons 15 Die Doppelnatur des Elektrons und der eindimensionale Potentialtopf 16 Das Wasserstoffatom 17 Atome mit mehreren Elektronen 18 Chemische Bindungen und Molekuumlle 19 Elektronegativitaumlt und Polaritaumlt

2 Die Elektronenspektroskopie an Atomen und Molekuumllen 21 Grundlagen der Spektroskopie 22 Elektronenspektroskopie am eindimensionalen Potentialtopf 23 Elektronenspektroskopie am Wasserstoffatom 24 Elektronenspektroskopie an Atomen mit mehreren Elektronen 25 Elektronenspektroskopie an Molekuumllen

3 Das Zusammenwirken von Atomen und Molekuumllen 31 Der makroskopische Zustand von Materie 32 Zustandsgleichung fuumlr Gase die ideale Gasgleichung 33 Das kinetische Gasmodell 34 Die korrigierte Gasgleichung nach van der Waals 35 Andere Zustandsgleichungen fuumlr reale Gase 36 Beschreibung von Fluumlssigkeiten 37 Beschreibung von Festkoumlrpern 38 Das Phasendiagramm

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1 Chemie die Physik der Elektronen in Atomen und Molekuumllen 11 Das Elektron als Elementarteilchen

Das zentrale Elementarteilchen das alle Vorgaumlnge in der Chemie dominiert ist eindeutig das Elektron Die chemischen Eigenschaften jedes Elements und jeder Verbindung der Ablauf chemischer Reaktionen und alle Phaumlnomene die mit chemischen Reaktionen verbunden sind werden nahezu ausschlieszliglich durch Vorgaumlnge im Bereich der Elektronenhuumlllen bestimmt Kurz das Elektron ist der Schluumlssel zum Verstaumlndnis der Chemie Tatsaumlchlich koumlnnte man mit einiger Berechtigung sagen die Chemie sei die Wissenschaft uumlber das Verhalten von Elektronen zwischen Atomen und Molekuumllen Daher besteht der erste notwendige Schritt zum tieferen Verstaumlndnis chemischer Vorgaumlnge in dem Erfassen aller Eigenschaften und Phaumlno-mene dieses Elementarteilchens Das Elektron (haumlufig mit dem Symbol e- bezeichnet) ist neben seinem Antiteilchen dem Positron nach heutigem Kenntnisstand das leichteste elektrisch geladene Elementarteilchen Es besitzt keine bekannte Unterstruktur gehoumlrt zu den Leptonen (s Abb 1) und ist damit wie die so genannten Quarks und das neu entdeckte Higgs-Boson ein bdquoechtesldquo Elementarteilchen Es gilt als absolut stabil besitzt jedoch mindestens eine Lebensdauer von 1024 Jahren

Abb 1 Das Elektron als Schluumlsselteilchen in der Chemie und seine Rolle unter den Elementarteilchen (aus Dave Fehling The Standard Model of Particle Physics)

Im Folgenden werden nun einzelne wichtige Eigenschaften des Elektrons betrachtet die fuumlr chemische Belange von Bedeutung sind

12 Die Ladung des Elektrons

Die Ladung des Elektrons wurde im Jahr 1911 von dem Physiker Millikan gemessen wofuumlr er 1923 den Nobelpreis erhielt Bei dem Versuch werden Oumlltropfen in eine evakuierte Kammer zwischen zwei Elektroden gespruumlht und durch ionisierende Strahlung elektrisch aufgeladen (Abb 2) Die Ladung von einzelnen Tropfen resultiert dabei aus mehreren im Idealfall nur aus einem einzelnen Uumlberschusselektron Die Bewegungen der Tropfen werden anschlieszligend mit einem Mikroskop beobachtet Durch Einstellung der Spannung zwischen den Elektroden kann das Absinken der Troumlpfchen gestoppt werden Uumlber das dann vorhandene Kraumlfte-gleichgewicht zwischen elektrostatischer Kraft und Gravitationskraft erhaumllt man schlieszliglich die Ladung der Elektronen Sie betraumlgt nach heutiger Kenntnis e = -1602176565∙10-19 C

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Dabei steht bdquoCldquo fuumlr die Einheit der Ladung das bdquoCoulombldquo und entspricht der Ladung die bei einem Strom von einem Ampegravere in einer Sekunde bewegt wird

Abb 2 Millikan-Versuch zur Bestimmung der Elektronenladung Robert Millikan 1891 Video unter httpwwwyoutubecomwatchv=XMfYHag7Liw

13 Die Masse des Elektrons

Die Masse des Elektrons laumlsst sich bei bekannter Ladung durch die Beschleunigung des Elektrons in einem elektrischen Feld bestimmen So kann man in einer Vakuumroumlhre einen Elektronenstrahl erzeugen der auf einem gegenuumlberliegenden Fluoreszenzschirm einen hellen Fleck hervorruft Der Strahl kann nun durch das Anlegen von elektrischen Feldern abgelenkt werden wodurch zum Beispiel ein bewegtes Bild entstehen kann (Braunsche Roumlhre) Aus der Geschwindigkeit der Elektronen und der Ablenkung des Elektronenstrahls bei einer gegebenen elektrischen Ladung kann man so die Masse des Elektrons ermitteln Die so genannte Ruhemasse des Elektrons (Masse bei v = 0) betraumlgt me = 910938291∙10-31 kg Video unter httpwwwyoutubecomwatchv=nRRwHjRrAjo

14 Der Radius des Elektrons

Der Radius des Elektrons ist eine eher hypothetische Groumlszlige Er leitet sich aus dem Radius eines gedachten kugelfoumlrmigen Kondensators ab der bei einer Aufladung mit der oben genannten Elementarladung genau diejenige Energie besitzt die nach Einstein (bdquoE = mcsup2ldquo) der Ruhemasse des Elektrons zukommt Mittels dieser Betrachtung kommt man fuumlr das Elektron auf einen Radius von re = 2817940∙10-15 m

15 Die Doppelnatur des Elektrons und der eindimensionale Potentialtopf

Bis zu diesem Punkt kann man also Elektronen als kugelfoumlrmige Teilchen mit einer Ladung e einer Masse me und einem Radius re betrachten Tatsaumlchlich gibt es Experimente bei denen sich ein Elektron genau wie solch ein klassisches Teilchen verhaumllt Finden zum Beispiel elastische Stoumlszlige zwischen Elektronen statt so verhalten sie sich in guter Naumlherung wie Billardkugeln die Gesamtenergie der beiden Teilchen bleibt uumlber den Stoszligvorgang hinweg konstant der Vorgang laumlsst sich wie ein mechanischer Stoszlig zwischen zwei Teilchen beschreiben (Abb 3 links) Solche Vorgaumlnge laufen zum Beispiel ab wenn Materie in einem Elektronenmikroskop untersucht wird Dabei treten so genannte Sekundaumlrelektronen auf die aus elastischen Stoumlszligen resultieren Es gibt jedoch auch ein ganz anderes Phaumlnomen das allen Vorstellungen von teilchenartigen Elektronen zu widersprechen scheint das der Elektronenbeugung Schickt man einen Strahl von Elektronen durch einen engen Spalt so findet man auf einem dahinter montierten Fluoreszenzschirm nicht wie man erwarten sollte eine einzelne helle Linie sondern ein ganzes Linienmuster (Abb 3 rechts) Dieses besteht aus einer zentralen Linie die von einer

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Reihe benachbarter paralleler Linien mit abnehmender Intensitaumlt begleitet wird Ein solches Beugungsmuster beobachtet man gewoumlhnlich bei sich wellenartig ausbreitenden Energie-formen (zB bei Licht) nicht aber bei festen Partikeln

Louis de Broglie (1924)

Abb 3 a) Elastischer Stoszlig zwischen Elektronen b) Beugung von Elektronen an einem Spalt

Der erste der aus dieser Beobachtung die Hypothese der Doppelnatur der Elektronen ableitete war der Physiker Louis de Broglie Er postulierte dass ein Elektron sich so verhaumllt als waumlre es ein Partikel und gleichzeitig () eine Welle Dabei kann fuumlr sich allein weder die Vorstellung eines Elektrons als Partikel noch die Vorstellung als Welle das Verhalten des Elektrons vollstaumlndig beschreiben Erst beide Modelle gemeinsam vermoumlgen das Bild des Elektrons sinnvoll wiederzugeben Dies sei an einem Beispiel dargestellt ein Elektron halte sich in einem eindimensionalen Bereich zwischen zwei reflektierenden Flaumlchen auf Diese Situation wird als eindimensionaler Potentialtopf bezeichnet Betrachtet man das Elektron als Teilchen so kann man es sich als kleine Kugel vorstellen die zwischen zwei Flaumlchen ruht (Abb 4a) Betrachtet man es als Welle so gleicht es einem Lichtstrahl zwischen zwei Spiegeln (Abb 4b) Fuumlr sich gesehen koumlnnte das Elektron nach beiden Modellen beliebige Energien besitzen die jeweils zeitlich konstant sind

Abb 4 Eindimensional bewegliches Elektron zwischen zwei reflektierenden Waumlnden a) Vorstellung als Teilchen (links) b) Vorstellung als Welle (rechts) Dieser Zustand wird als eindimensionaler Potentialtopf oder als bdquoParticle-in-a-boxldquo bezeichnet

Beide Vorstellungen die einigermaszligen gegensaumltzlich sind muumlssen nun unter einen Hut ge-bracht werden das Elektron muss sie gleichzeitig () erfuumlllen Mathematisch gesehen formu-liert man damit eine Gleichung bei der auf der einen Seite die Eigenschaft des Teilchens auf der anderen Seite die der Welle steht Angewandt auf die Eigenschaft Energie lautet sie damit in etwa

Energie des Elektrons als Teilchen = Energie des Elektrons als Welle

Sollen beide Modelle gleichzeitig gelten so kann das Elektron nur noch solche Zustaumlnde einnehmen bei der diese Gleichung exakt erfuumlllt ist Diese bdquozulaumlssigenldquo Zustaumlnde kann man sich bei dem genannten Beispiel als bdquostehende Wellenldquo zwischen den beiden reflektierenden Waumlnden vorstellen Dies waumlre etwa vergleichbar mit einer Gitarrensaite die zwischen den beiden Waumlnden gespannt ist und zum Schwingen gebracht wird Es sind dann nur bestimmte

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Schwingungen moumlglich deren Geometrie (dh die Zahl der Wellenberge Wellentaumller und Knotenpunkte) sowie Energie (dh die Schwingungsfrequenz) genau definierte von einer gewissen Regelmaumlszligigkeit gekennzeichnete Werte aufweisen muumlssen (Abb 5) Die in Abbildung 5 gezeigten Diagramme markieren Momentaufnahmen von drei der Wellenfunktionen Ψ(x) die Loumlsungen der obigen Gleichung darstellen Der Wert Ψ(x) kann dabei positiv negativ oder null (dh oberhalb unterhalb oder auf der gestrichelten Linie) sein Im letzteren Fall spricht man von den bereits erwaumlhnten Knotenpunkten der Funktion Die Wahrscheinlichkeit das Elektron als Teilchen in der Umgebung des Ortes x aufzufinden ist proportional zur Wellenfunktion im Quadrat p(xplusmnΔx) ~ Ψsup2(x) Eine wichtige Randbedingung ist dabei die Forderung dass die Aufenthaltswahrscheinlichkeit des Elektrons an den beiden Waumlnden null ist dort muumlssen also zwangslaumlufig Knotenpunkte liegen Fuumlr den Fall des eindimensionalen Elektrons in einem stationaumlren (dh zeitlich nicht veraumlnderlichen) Zustand ergeben sich dann die in Abbildung 5 angedeuteten Loumlsungen des Problems Der Wert n benennt die einzelnen Loumlsungen (Loumlsung 1 Loumlsung 2 hellip Loumlsung n) und wird auch als Quantenzahl bezeichnet Abb 5 zeigt nur die drei Zustaumlnde mit der niedrigsten Energie und den Quantenzahlen n = 1 2 und 3 es gibt aber prinzipiell unendlich viele Loumlsungen Jede einzelne Loumlsung wird als ein bdquoOrbitalldquo bezeichnet und vermag zwei Elektronen aufzunehmen Die Wellenfunktionen besitzen abseits der reflektierenden Waumlnde jeweils (n-1) Knotenpunkte und eine mit dem Wert n ansteigende Energie Alle Eigenschaften des Elektrons koumlnnen nun aus der jeweils guumlltigen Wellenfunktion Ψn(x) ermittelt werden

etcn = 3

n = 2

n = 1

Ener

gie

usw

a

E = nsup2hsup28masup2

Abb 5 Eindimensional bewegliches Elektron zwischen zwei reflektierenden Waumlnden Moumlgliche Zustaumlnde unter Ansatz des Welle-Teilchen-Modells Gezeigt sind die drei Zustaumlnde mit niedrigster Energie Weitere Zustaumlnde mit n gt 3 besitzen entsprechend houmlhere Zahlen an Knotenpunkten und houmlhere Energie Die Energie kann uumlber die einfache Formel rechts berechnet werden (mit h als der Planckschen Konstante und m als Masse des Elektrons) Jede Wellenfunktion vermag zwei Elektronen aufzunehmen und wird als Orbital bezeichnet Eine sehr schoumlne Animation findet man in Wikipedia unter httpenwikipediaorgwikiParticle_in_a_box

Die bislang anschaulich formulierte Gleichung Energie des Elektrons als Teilchen = Energie des Elektrons als Welle

laumlsst sich fuumlr die Wellenfunktion Ψ(x) im eindimensionalen Potentialtopf auch mathematisch darstellen und lautet dann nach Erwin Schroumldinger (ohne Herleitung und weitere Erklaumlrung)

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idxd

m sup2sup2

2sup2

Erwin Schroumldinger

Diese sehr wichtige Gleichung (sie braucht an dieser Stelle im mathematischen Sinne noch nicht verstanden zu werden) wird als Schroumldinger-Gleichung bezeichnet und besitzt die in Abbildung 5 gezeigten Loumlsungen Ψn(x) mit n = 1 2 3 hellip Diesen Zustaumlnden zugeordnet sind die Energieniveaus 1 2 3 hellip zwischen denen keine weiteren Zustaumlnde moumlglich sind Man sagt die Energie des Elektrons ist bdquogequanteltldquo Der Wert fuumlr E(n) ist proportional zu nsup2 (s Formel in Abb 5 rechts) die Abstaumlnde zwischen aufeinanderfolgenden Energieniveaus werden damit mit steigendem n groumlszliger Der noch recht einfache Fall des eindimensional beweglichen Elektrons hat durchaus eine realistische Entsprechung in der Chemie er beschreibt in sehr guter Naumlherung das Verhalten der Elektronen in Molekuumllen mit alternierenden einfach- und Doppelbindungen zB in Butadien CH2=CH-CH=CH2 oder in β-Carotin

Bei einem solchen Molekuumll kann man durch einfaches Abzaumlhlen die Zahl der Elektronen bestimmen die sich innerhalb des Delokalisationsgebiets befinden (pro Doppelbindung sind es zwei) Anschlieszligend besetzt man die Orbitale des eindimensionalen Potentialtopfes mit aufsteigender Reihenfolge fuumlr jedes n jeweils doppelt Bei dem gezeigten β-Carotin besetzen die vorhandenen 22 Elektronen des Delokalisationsgebiets damit im Grundzustand die ersten 11 Orbitale (mit n = 1 bis 11) Das Orbital mit n = 12 bleibt (wie alle anderen mit n gt 11) unbesetzt Die Energie jedes einzelnen Zustands kann uumlber die einfache Gleichung in Abb 5 rechts berechnet werden Entscheidend ist dabei die Laumlnge a des Potentialtopfes Auch zeigt sich hier die Bedeutung der Masse des Elektrons

16 Das Wasserstoffatom

In den meisten Faumlllen ist das Problem ein Elektron in einem Atom oder Molekuumll zu beschreiben wesentlich komplizierter Dazu gehoumlrt schon der allereinfachste Fall der bei einem Atom gegeben ist die Beschreibung des einzelnen Elektrons in einem Wasserstoff-atom Die im Wasserstoffatom gegebene Situation wird durch die Gegenwart des positiv geladenen Kerns (eines einzelnen Protons) bestimmt Das Elektron wird mit seiner negativen Ladung durch den Kern angezogen und das umso staumlrker je naumlher es ihm kommt Das Elektron befindet sich damit in einem zentrosymmetrischen elektrischen Feld in dem es eine umso

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houmlhere potentielle Energie besitzt je weiter es sich vom Kern entfernt Die Situation ist ein wenig vergleichbar mit der eines Planeten der sich um die Sonne bewegt Haumltte das Elektron nur eine Teilchennatur so koumlnnte es einfach zum Kern stuumlrzen und dort auf dem Zustand niedrigster Energie verharren Dies allerdings wird durch die Wellennatur des Elektrons bdquoverbotenldquo die es sozusagen zwingt eine Art stehende Welle um den Kern herum aufzubauen Fuumlr diese bdquostehende Welle um den Kern herumldquo gibt es verschiedene Loumlsungen die als Orbitale bezeichnet werden Deren Berechnung folgt wieder der Gleichung

Energie des Elektrons als Teilchen = Energie des Elektrons als Welle

die mathematisch als Schroumldinger-Gleichung des dreidimensionalen Raums folgende Form besitzt (auch hier die Mathematik der Gleichung sei an dieser Stelle noch nicht relevant)

irV

zyxm)(

sup2sup2

sup2sup2

sup2sup2

2sup2

Auch hier soll nicht auf die Details der Gleichung eingegangen werden Wichtig ist nur dass nun alle drei Raumrichtungen x y und z eine Rolle spielen Daruumlber hinaus kommt auch die potentielle Energie im elektrischen Feld des Kerns mit ins Spiel die als V(r) eingefuumlhrt wird und kontinuierlich mit groumlszliger werdendem r ansteigt Dadurch werden auch die Loumlsungen dieser Gleichung die nun Ψn lms (xyzt) heiszligen wesentlich komplizierter und vielfaumlltiger Im Gegensatz zu den Loumlsungen Ψn(xt) fuumlr ein eindimensional bewegliches Elektron gibt es nun mitunter fuumlr eine einzelne Quantenzahl n mehrere Loumlsungen Um alle diese Loumlsungen zu erfassen werden neben der (Haupt-)Quantenzahl n weitere Quantenzahlen eingefuumlhrt die wieder nur eine Rolle als benennende Indizes spielen Der vollstaumlndige Satz Quantenzahlen der zur Benennung eines elektronischen Zustands noumltig ist lautet nun

Hauptquantenzahl n mit n = 1 2 3 4 hellip

Nebenquantenzahl l mit l = 0 1 2 hellip (n-1)

Magnetische Quantenzahl m mit m = - l hellip 0 hellip+ l

Spinquantenzahl s mit s = +12 und s = -12

Die zehn ersten moumlglichen Kombinationen von Quantenzahlen (n l m s) des Wasserstoff-elektrons lauten damit (100+12) (100-12) (200+12) (200-12) (21-1+12) (21-1-12) (210+12) (210-12) (21+1+12) (21+1-12) Fuumlr houmlhere Hauptquantenzahlen n gt 2 werden die moumlglichen Kombinationen von Quantenzahlen immer zahlreicher Jedem Satz von Quantenzahlen ist genau ein elektronischer Zustand und genau ein Energieniveau zugeordnet Die Energie jedes Zustands wird bei Wasserstoff im feldfreien Raum allein durch die Hauptquantenzahl bestimmt wobei der Wert in der Folge n = 1 2 3 4hellip kontinuierlich aber mit sinkender Schrittweite waumlchst Das Energieschema weist also bezuumlglich der Quantenzahl n einen groszligen Unterschied zu dem des eindimensionalen Potentialtops auf waumlhren die Abstaumlnde zwischen E(n) und E(n+1) beim Potentialtopf mit steigendem n immer groumlszliger werden so werden sie beim Wasserstoff immer kleiner Der Grenzwert von E fuumlr n gegen unendlich wird beim Wasserstoff Ionisierungsenergie genannt

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Die Energie ist beim Wasserstoff (im Gegensatz zu allen anderen Elementen) voumlllig unab-haumlngig von den weiteren Quantenzahlen obwohl die Wellenfunktionen sehr unterschiedlich aussehen koumlnnen Man nennt solche Zustaumlnde mit unterschiedlicher Wellenfunktion aber gleicher Energie entartet Ein Beispiel fuumlr entartete Zustaumlnde waumlren also die Wellen-funktionen mit den Quantenzahlsaumltzen (200-12) und (21-1-12) Wie lassen sich die verschiedenen Zustaumlnde nun anschaulich darstellen Am besten gelingt das indem man die Bereiche innerhalb derer die Wellenfunktion einen bestimmten Betrag besitzt raumlumlich abbildet In Abbildung 6 ist dies fuumlr die Wellenfunktionen mit den Quantenzahlen n = 1 bis 7 fuumlr l = 0 bis 2 und fuumlr m = 0 bis 2 zeichnerisch umgesetzt worden

Abb 6 Darstellung der elektronischen Wellenfunktionen des Wasserstoffatoms fuumlr die Quantenzahlen n = 1 bis 7 fuumlr l = 0 bis 2 und fuumlr m = 0 bis 2 Aus Gruumlnden der Vergleichbarkeit sind alle Orbitale in gleicher Groumlszlige dargestellt (ansonsten muumlsste die Groumlszlige mit der Quantenzahl n ansteigen) Der Atomkern befindet sich jeweils im Schwerpunkt jeder Orbitalstruktur Die Farbe Orange bedeutet ein positives die Farbe Blau ein negatives Vorzeichen der Wellenfunktion (aus httpchemlinksbeloiteduStarspagesorbitalshtml)

Die raumlumlichen Strukturen die durch die drei Quantenzahlen n l und m festgelegt werden heiszligen Orbitale Grob zusammenfassend kann man sagen dass im Wasserstoffatom die Hauptquantenzahl n die Groumlszlige die Nebenquantenzahl l die Form und die magnetische Quantenzahl m die Ausrichtung der Orbitale bestimmt Da die Quantenzahl s dann noch jeweils zwei Einstellungen besitzt die im Uumlbrigen keinen Einfluss auf die Gestalt der Orbitale nehmen kann jedes dieser Orbitale zwei moumlgliche elektronische Zustaumlnde enthalten (mit s = +12 und s = -12) Alle in Abbildung 6 dargestellten Strukturen repraumlsentieren damit

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moumlgliche Aufenthaltsbereiche fuumlr je zwei verschiedene Zustaumlnde die das Elektron in Wasserstoff einnehmen kann

Die Orbitale mit der Nebenquantenzahl l = 0 heiszligen s-Orbitale Sie besitzen grundsaumltzlich eine kugelsymmetrische Gestalt eine von n abhaumlngige Groumlszlige und keine Ausrichtung Die Orbitale mit der Nebenquantenzahl l = 1 heiszligen p-Orbitale Sie besitzen grundsaumltzlich die Gestalt einer Hantel und ebenfalls eine von n abhaumlngige Groumlszlige Ihre Ausrichtung folgt der x- der y- und der z-Achse verbunden mit den magnetischen Quantenzahlen m = -1 0 oder +1 Die Orbitale mit der Nebenquantenzahl l = 2 heiszligen d-Orbitale und besitzen abhaumlngig von der magnetischen Quantenzahl m kompliziertere Formen und Richtungen Anschaulich sollte man von der Vorstellung Abstand nehmen das Orbital sei ein Volumen innerhalb dessen das Elektron als Teilchen rotiere Vielmehr sollte man das Orbital als eine Art Schwingungsfigur betrachten aumlhnlich wie das Vibrationsbild einer schwingenden Saite Dann macht auch die Tatsache einen Sinn dass die Wellenfunktion einen positiven und einen negativen Wert besitzen kann dieser deutet dann auf die Richtung einer Auslenkung hin entsprechend einer Gitarrensaite die man ebenfalls in zwei verschiedene Richtungen auslenken koumlnnte Erst das Quadrat der Wellenfunktion macht dann eine Aussage uumlber den moumlglichen Aufenthaltsort des Elektrons als Teilchen Moumlchte man wissen mit welcher Wahrscheinlichkeit das Elektron als Teilchen innerhalb eines bestimmten Teilvolumens auftritt so muss man die Quadrate aller Ψ-Werte innerhalb dieses Teilvolumens aufaddieren (integrieren) Integriert man Ψsup2 uumlber das gesamte Volumen des Atoms (das nebenbei gesagt theoretisch unendlich groszlig ist) so resultiert der Wert eins da das Elektron zwangslaumlufig irgendwo sein muss Diese Voraussetzung stellt die Normierungsbedingung dar die jede der Wellenfunktionen des Wasserstoffatoms erfuumlllen muss Sehr schoumlne raumlumliche Abbildungen zu den Elektronenorbitalen des Wasserstoffs finden sich auf der Homepage des Instituts fuumlr Theoretische Chemie der Universitaumlt Sheffield (httpwintergroupshefacukorbitron )

17 Atome mit mehreren Elektronen

Im Falle von Mehrelektronensystemen wie Helium- Lithium- oder Beryllium- sowie allen weiteren Atomen sind die Verhaumlltnisse ungleich komplizierter Hier muumlssten in der Schroumldin-gergleichung auch die elektrostatischen Wechselwirkungen der Elektronen untereinander be-ruumlcksichtigt werden Da aber der Ort aller Elektronen (anders als der des als ruhend angenom-menen Kerns) nur uumlber Wellenfunktionen beschrieben werden kann wuumlrde die dazugehoumlrige Schroumldingergleichung schon fuumlr ein Zweielektronensystem uumlbermaumlszligig kompliziert Deshalb verwendet man folgende vereinfachende Naumlherung man fasst in Gedanken den Atomkern mit allen uumlbrigen Elektronen (also allen Elektronen bis auf das eine dessen Wellenfunktion man gerade ermitteln moumlchte) zusammen und erhaumllt so ein neues fiktives Teilchen dessen Ladung (bei neutralen Atomen) stets den Wert plus eins besitzt Der Ort dieses fiktiven Teilchens ist aufgrund der Symmetrie der Elektronenverteilung zum Kern stets identisch mit dem Ort des Kerns Damit verwandelt sich jedes Atom bei der Betrachtung eines einzelnen Elektrons in ein fiktives Wasserstoffatom und man kann alle Orbitale des Mehrelektronenatoms auf die Wasserstofforbitale zuruumlckfuumlhren Diese Naumlherungsloumlsung ist sehr praktisch hat allerdings ihre Grenzen So koumlnnen viele Gesetzmaumlszligigkeiten die fuumlr das Wasserstoffatom noch gelten nicht beibehalten werden So haumlngt bei Mehrelektronensystemen beispielsweise die Energie eines Orbitals nicht mehr nur von der Hauptquantenzahl n sondern zumindest auch von der Nebenquantenzahl l ab da hier der Einfluss der uumlbrigen Elektronen des Atoms zum Tragen kommt Mit der oben beschriebe-

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nen Naumlherung ist diese Beobachtung nicht mehr vorhersagbar da die Wechselwirkung zwi-schen den Elektronen ignoriert wird

Bei der Besetzung eines Mehrelektronensystems ist zunaumlchst einmal das Pauli-Prinzip zu beachten Dieses Gesetz wird auch Ausschlussprinzip genannt und bedeutet dass zwei Elek-tronen die sich im gleichen Raum aufhalten niemals Wellenfunktionen mit identischen Quantenzahlen belegen duumlrfen Anders gesagt alle Wellenfunktionen die von den in einem gemeinsamen Volumen (also zB in einem Atom) vorhandenen Elektronen besetzt werden muumlssen sich in wenigstens einer der vier Quantenzahlen unterscheiden In erster Konsequenz bedeutet dies dass Materie nicht von anderer Materie durchdrungen werden kann (sonst wuumlrden sich zum Beispiel notwendigerweise irgendwo zwei Elektronen mit den Quanten-zahlsaumltzen (100-12) im selben Volumen begegnen) Dies hat aber auch zur Folge dass ein Orbital mit den drei Quantenzahlen n l und m nur genau zwei Elektronen (mit s = +12 und -12) beherbergen darf

Wolfgang Pauli Friedrich Hund

Abb 7 Darstellung der Besetzungsreihenfolge bezuumlglich der Haupt- und Nebenquantenzahlen bei Mehrelektro-nensystemen Nacheinander wird dabei den von oben nach unten versetzten Pfeilen in der angegebenen Richtung gefolgt Man erhaumllt somit das Besetzungsschema 1s - 2s - 2p - 3s - 3p - 4s - 3d - 4p - 5s - hellip usw

Die Reihenfolge mit der die Haupt- und Nebenquantenzahlen besetzt werden ist durch die so genannte Aufbauregel festgelegt Diese bestimmt die Belegung der Orbitale so wie sie durch die Folge der untereinander versetzten Pfeile in Abbildung 7 dargestellt ist (s oben)

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Bezuumlglich der uumlbrigen Quantenzahlen m und s gilt es den drei Hundschen Regeln zu folgen (Anmerkung in der Literatur ist auch manchmal von vier Hundschen Regeln die Rede wobei sich dann aber die vierte aus den anderen drei ergibt) Die erste Hundsche Regel nennt man in der angelsaumlchsischen Literatur auch bildhaft die bdquobus-seat-ruleldquo Aumlhnlich wie unabhaumlngige Reisende die Zweierreihen eines Busses zunaumlchst alle jeweils einzeln belegen so versuchen auch die Elektronen zunaumlchst alle Varianten der mag-netischen Quantenzahl m einfach zu besetzen Alle diese ungepaarten Elektronen weisen dann dieselbe Spinquantenzahl (s = 12) auf So werden beispielsweise bei den p-Orbitalen immer erst alle drei Orbitale mit m = 1 0 und -1 (jeweils mit s = 12) einfach besetzt Die zweite Hundsche Regel besagt dass das Orbital mit dem groumlszligten Wert fuumlr m (unter Beachtung der ersten Hundschen Regel) immer zuerst besetzt wird Die einfache Besetzung nach der ersten Hundschen Regel beginnt also stets mit m = l danach folgt m = (l - 1) usw Die weitere Besetzung der Orbitale mit einem jeweils zweiten Elektron mit umgekehrtem Spin (s = -12) findet danach in derselben Reihenfolge statt Die dritte Hundsche Regel beschreibt lediglich das Verhalten eines Mehrelektronensystems im Magnetfeld hat aber auf die Reihenfolge der Besetzung der Orbitale keinen Einfluss und braucht daher an dieser Stelle noch nicht beruumlcksichtigt zu werden Das insgesamt resultierende Besetzungsschema wird in der Chemie haumlufig in der so genannten Kaumlstchenschreibweise dargestellt Fuumlr die Nebenquantenzahlen von 0 bis 2 besitzt es unter Beachtung der Hundschen Regeln die folgende Struktur

Abb 8 Darstellung der Besetzungsreihenfolge bezuumlglich der magnetischen Quantenzahl und der Spinquanten-zahl bei Mehrelektronensystemen Jeder aufwaumlrts gerichtete Pfeil steht fuumlr eine Elektronenfunktion mit s = +12 (paralleler Spin) jeder abwaumlrts gerichtete Pfeil fuumlr eine Elektronenfunktion mit s = -12 (antiparalleler Spin)

Betrachten wir einmal denjenigen Radius eines Atoms der bei der direkten Beruumlhrung zweier Atome relevant wird Zunaumlchst koumlnnte man annehmen dass dieser Atomradius mit steigender Zahl an Elektronen grundsaumltzlich groumlszliger werden sollte Innerhalb einer Periode ist aber uumlberraschenderweise das Gegenteil der Fall wie aus folgenden Werten hervorgeht

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Lithium (3 Elektronen) Atomradius 152 pm Beryllium (4 Elektronen) Atomradius 112 pm Bor (5 Elektronen) Atomradius 88 pm Kohlenstoff (6 Elektronen) Atomradius 77 pm Stickstoff (7 Elektronen) Atomradius 70 pm Sauerstoff (8 Elektronen) Atomradius 66 pm Fluor (9 Elektronen) Atomradius 64 pm

Die Ursache hierfuumlr liegt in der staumlrkeren Ladung des Kerns und dem daraus folgenden steileren Potentialverlauf V(r) Die wachsende Ladung des Kerns komprimiert in zuneh-mendem Maszlige die Groumlszlige des Atoms Ein Fluoratom misst trotz der dreifachen Elektronenzahl weniger als die Haumllfte eines Lithiumatoms Vergleicht man allerdings die Atome von aufeinanderfolgenden Perioden innerhalb einer Gruppe (zB in der Reihe Li ndash Na ndash K ndash hellip) so findet man in den meisten Faumlllen den zu erwartenden Groumlszligenanstieg

18 Chemische Bindungen und Molekuumlle

Mit den Loumlsungen der Schroumldingergleichung des Wasserstoffatoms mit der Einfuumlhrung der Orbitale und mit der Beruumlcksichtigung der Besetzungsregeln haben wir nun ein relativ um-fassendes Bild von den Grundbausteinen der Chemie den Atomen Damit ergibt sich nun die Frage wie zwei oder mehr Atome miteinander wechselwirken koumlnnen Zunaumlchst ist zu klaumlren was eigentlich passiert wenn zwei Atome (Atom a und Atom b) immer naumlher zusammen-ruumlcken Eigentlich sollte man annehmen dass in diesem Fall die abstoszligenden Wechselwirkun-gen dominieren da sich bei dem direkten Kontakt zwischen den Atomen zunaumlchst nur die Elektronenhuumlllen beruumlhren sollte es zu einer starken elektrostatischen Abstoszligung kommen Zunaumlchst scheint die Bildung einer chemischen Bindung physikalisch wenig plausibel Trotz-dem existieren in der Natur drei moumlgliche Loumlsungen des Problems

a) Die Ionenbindung Hierbei geht ein oder mehrere Elektronen vollstaumlndig vom Atom a zum Atom b uumlber Dadurch wird das Atom a zum positiv geladenen Kation das Atom b zum negativ geladenen Anion Die anziehende elektrostatische Kraft bewirkt eine stabile Bindung

b) Die kovalente Bindung Es bilden sich zwischen zwei Atomen a und b gemeinsame Elektronenorbitale auf denen Elektronen sozusagen unter den beiden Bindungs-partnern aufgeteilt werden

c) Die metallische Bindung Es bildet sich ein Kontinuum aus sehr groszligen gemeinsa-men Elektronenorbitalen die sich uumlber ein atomares Gitter erstrecken Eine Vielzahl von Elektronen (das so genannte Elektronengas) wird dabei unter einer Vielzahl von Atomen aufgeteilt

Im Folgenden soll vor allem die Loumlsung b also die kovalente Bindung betrachtet werden da die anderen Bindungsformen (wie spaumlter gezeigt wird) auch als Grenzfaumllle dieser Loumlsung gelten koumlnnen Das bedeutet wir betrachten nun eine Situation bei der gemeinsame Orbitale zwischen (im einfachsten Fall) zwei Atomkernen existieren Um dafuumlr die Schroumldingergleichung zu loumlsen

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ist erneut eine Vereinfachung noumltig die als Born-Oppenheimer-Naumlherung gilt Dabei nimmt man an dass der Ort der beiden Atomkerne festgelegt ist obwohl die dazwischen befind-lichen Elektronen durch Wellenfunktionen beschrieben werden Dadurch erspart man sich die Komplikation eines moumlglicherweise zeitlich variablen Kernabstands Gerechtfertigt wird diese Naumlherung dadurch dass die Atomkerne um ein Vielfaches schwerer sind als die Elektronen ihre Bewegungen daher um ein Vielfaches langsamer Mit dieser Naumlherung fuumlhren wir nun folgendes Gedankenexperiment durch wir betrachten zwei Wasserstoffatome mit unendlichem Abstand zueinander Ihre Elektronen befinden sich beide im energetischen Grundzustand besitzen aber unterschiedlichen Spin so dass ihnen die beiden Quantenzahlsaumltze (100+12) und (100-12) zukommen Damit wird dem Pauli-Prinzip Genuumlge getan so dass die beiden Atome nun zusammengeruumlckt werden duumlrfen Je naumlher die beiden Atome einander kommen umso mehr bdquofuumlhltldquo das Elektron des einen Atoms den Kern des anderen so dass die Wellenfunktionen des ungestoumlrten Wasserstoffatoms nun keine guumlltigen Loumlsungen mehr darstellen Es muumlssen also neue molekulare Wellenfunktionen gefunden werden Diese Molekuumllorbitale bildet man am einfachsten indem man Kombina-tionen aus den zuvor guumlltigen Atomorbitalen bildet Wichtig ist es handelt sich dabei nicht um eine einfache Uumlberlappung zwischen den bestehenden Atomorbitalen sondern um die rechnerische Bildung eines neuen Orbitals Im Fall des Wasserstoffatoms im Grundzustand sind zwei solcher Kombinationen moumlglich Vereinfachend kann man das eine entstehende Molekuumllorbital als normierte additive Kombination aus den beiden einzelnen s-Atomorbitalen betrachten (Abb 9 oben links) Es wird als bindendes σ-Molekuumllorbital bezeichnet besitzt eine niedrigere Energie als das s-Atomorbital und weist zwischen den beiden Atomkernen eine hohe Elektronendichte (ein hohes Ψsup2) auf Sein Gegenstuumlck wird entsprechend aus einer Art normierter subtraktiver Kombination der beiden urspruumlnglichen s-Orbitale gebildet (Abb 9 oben rechts) Es wird als antibindendes σ-Molekuumllorbital bezeichnet besitzt eine houmlhere Energie als das s-Atomorbital und weist zwischen den beiden Atomkernen eine niedrige Elektronendichte (ein kleines Ψsup2) auf An einer Stelle besitzt letztere sogar den Wert Null Die bisher vorhandenen Atomorbitale existieren nun nicht mehr

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Abb 9 Darstellung von bindenden (links oben) und antibindenden Molekuumllorbitalen (rechts oben) im Wasserstoffmolekuumll H2 Das Energiediagramm links unten veranschaulicht die Bildung eines bindenden σ-Molekuumllorbitals im Fall von Wasserstoff H2 Das Diagramm rechts unten verdeutlicht die Situation in einem fiktiven Helium-Molekuumll He2 bei dem neben dem bindenden σ-Molekuumllorbital auch das antibindende σ-Molekuumllorbital besetzt wuumlrde Zweiatomiges Helium ist demzufolge nicht stabil

Die hohe Elektronendichte des bindenden σ-Orbitals im Bereich zwischen den Kernen bewirkt dass sich anziehende elektrostatische Wechselwirkungen Kern-Elektron-Kern aus-bilden koumlnnen es haumllt also das Molekuumll zusammen (deswegen bdquobindendldquo) Da das bindende σ-Orbital die niedrigere Energie besitzt wandern die zwei Elektronen des Wasserstoffmole-kuumlls beide (mit unterschiedlichen Spins) in diese Position Damit verbunden ist ein Energie-gewinn der den gebundenen Zustand beguumlnstigt Zur Trennung des Molekuumlls muss Energie aufgebracht werden Das antibindende σ-Orbital weist am Ort zwischen den Kernen die Elektronendichte Null auf Damit dominiert hier die abstoszligende elektrostatische Wechselwirkung Kern-Kern dazu-hin ist es energetisch unguumlnstiger Bei einem fiktiven Helium-Molekuumll (Abb 9 unten rechts) muss wegen der Zahl von vier Elektronen auch dieses σ-Orbital doppelt besetzt sein Dadurch wird sowohl der Energiegewinn als auch die anziehende Wechselwirkung des bindenden σ-Orbitals kompensiert so dass dieses Molekuumll insgesamt nicht stabil ist Grundsaumltzlich sind alle urspruumlnglichen Atomorbitale nach der Bildung des Molekuumlls ver-schwunden alle insgesamt vorhandenen Elektronen werden auf die neu gebildeten Molekuumll-orbitale verteilt Ist das Niveau der Atomorbitale vor der Bildung eines gemeinsamen Mole-kuumllorbitals sehr unterschiedlich so erhaumllt man eine polare kovalente Bindung bei der der Schwerpunkt der Elektronendichte auf der Seite des urspruumlnglich energieaumlrmeren Orbitals

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liegt Im Grenzfall extremer Polaritaumlt erhaumllt man eine Ionenbindung (s oben) Sind sehr viele gleichartige Orbitale an der Bildung des Molekuumllorbitals beteiligt so koumlnnen sich groszlige Delokalisationsgebiete ausbilden Im Extremfall eines Delokalisationsgebiets das sich uumlber ein ganzes Kristallgitter erstreckt spricht man von einer metallischen Bindung (s oben) Die Molekuumllorbitaltheorie (kurz MO-Theorie) ist also in der Lage saumlmtliche Bindungsarten zu beschreiben Energiediagramme wie in Abb 9 unten werden als MO-Schemata bezeichnet Fuumlr zwei-atomige Molekuumlle moumlgen sie noch recht uumlbersichtlich aussehen bei vielatomigen Molekuumllen sind sie dagegen meistens unuumlberschaubar Mit Hilfe leistungsfaumlhiger Computer lassen sich solche Molekuumllorbitale noch rechnerisch erfassen allerdings steigt der Rechenaufwand (und damit die Rechenzeit und die Kosten) mit steigender Molekuumllgroumlszlige sehr rasch an In diesem Fall kann man auf eine vereinfachende Betrachtung ausweichen die so genannte Valence-Bond-Theorie (VB-Theorie Valenzbindungstheorie) Sie wurde in Konkurrenz zur MO-Theorie entwickelt und beinhaltet eine wesentliche zusaumltzliche Naumlherung Sie ist dadurch deutlich weniger genau allerdings auch wesentlich einfacher anwendbar und in der Praxis die beste Methode um rasch und anschaulich Molekuumllgeometrien und Reaktionsmechanismen erklaumlren zu koumlnnen Im Gegensatz zur MO-Theorie geht man bei der VB-Theorie im Grundsatz davon aus dass auch im Molekuumll noch die urspruumlnglichen Atomorbitale existieren Der VB-Theorie nach entsteht die chemische Bindung dadurch dass zwei halb besetzte Atomorbitale der beiden benachbarten Atome A und B uumlberlappen Das bdquoUumlberlappungsorbitalldquo wird dann in der Regel durch die beiden resultierenden Elektronen (eines von A und eines von B) besetzt wobei das wiederum voraussetzt dass sie einen unterschiedlichen Spin aufweisen Jedes durch solche bdquoUumlberlappungldquo gebildete Orbital entspricht einer Bindung Der Einfachheit halber nimmt man an dass die anderen Atomorbitale nicht an der Bindung teilnehmen und somit unveraumlndert bleiben Aufgrund dieser doch recht groben Naumlherung kommt es bei der VB-Betrachtung von einfa-chen Molekuumllen wie Wasser Methan oder Ammoniak sehr schnell zu Problemen Zunaumlchst einmal sind die erhaltenen Bindungswinkel unrealistisch aufgrund der Tatsache dass in allen genannten Faumlllen p-Orbitale beteiligt sind resultiert aus dem VB-Modell immer wieder ein Bindungswinkel von 90deg wohingegen die tatsaumlchlichen Bindungswinkel deutlich groumlszliger sind (Wasser 1045deg Methan 109deg) Ein noch groumlszligeres Problem stellen zB die Bindungs-verhaumlltnisse des Kohlenstoffs dar eigentlich sollte man nach der VB-Theorie fuumlr eine Ver-bindung zwischen Kohlenstoff und Wasserstoff ein bdquoCH2ldquo mit einem Bindungswinkel von 90deg erwarten wobei die zwei jeweils halbbesetzten p-Orbitale des Kohlenstoffs Bindungs-anzahl und ndashwinkel vorgeben Dieser Mangel der VB-Theorie kann weitgehend repariert werden indem man die Schritte der Promotion und der Hybridisierung einfuumlhrt Beide Vorgaumlnge sind dabei nicht als natuumlrliche Prozesse sonder eher als hypothetische Hilfskonstruktionen zu verstehen die lediglich dazu dienen die Maumlngel der VB-Theorie auszuheilen Letztlich ermoumlglichen sie es mit Hilfe von Linearkombinationen aus Atomorbitalen und deren Uumlberlappungszonen den tatsaumlchlich vor-liegenden Molekuumllorbitalen naumlherzukommen

Der erste dazu notwendige Schritt die Promotion dient dazu die fuumlr die gegebene Zahl an Bindungen notwendige Zahl an ungepaarten Elektronen zu schaffen Dazu werden dann einfach Orbitale houmlherer Energie besetzt Im Fall des vierbindigen Kohlenstoffs bedeutet das beispielsweise dass ein s-Elektron an den bereits halbbesetzten px- und py-Orbitalen vorbei auf das energiereichere pz-Orbital gehoben wird Aus der Elektronenkonfiguration

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wird somit 1s 2s 2p

Dieser hypothetische Vorgang kommt einer gewissen Energieerhoumlhung gleich die allerdings dadurch abgemildert wird dass ein nach der ersten Hundschen Regel (bdquobus seat ruleldquo) guumlnsti-gerer Zustand mit ungepaarten Spins entsteht Die vier nunmehr halbbesetzten Orbitale sind in Abbildung 10 dargestellt

Abb 10 Darstellung der vier an der sp3-Hybridisierung des Kohlenstoffs beteiligten Orbitale 2s 2px 2py und 2pz(Quelle Chemgapedia)

Anschlieszligend erfolgt nun die Hybridisierung eine Art Vermischung (oder mathematisch korrekter die Bildung von Linearkombinationen) des s- mit den drei p-Orbitalen Dadurch entstehen Orbitale in gleicher Anzahl aber mit voumlllig neuer Form Symmetrie und Orien-tierung im Raum

Abb 11 Darstellung der vier aus der sp3-Hybridisierung des Kohlenstoffs resultierenden Hybridorbitale Die Ausrichtung der sp3-Hybridorbitale folgt den vier Raumdiagonalen eines Wuumlrfels oder ndash wenn man nur die groumlszligeren Segmente der Orbitale betrachtet ndash den Ecken eines Tetraeders (Quelle Chemgapedia)

Die vier neuen wiederum jeweils halbbesetzten Orbitale zeigen vom Kern aus zu den Ecken eines Tetraeders Mit ihrer Hilfe laumlsst sich nun zwanglos die Bildung des bekannten Methan-Molekuumlls CH4 erklaumlren jedes einzelne sp3-Hybridorbital uumlberlappt mit jeweils einem s-Orbi-tal eines Wasserstoffatoms wodurch eine tetraedrische Molekuumllgeometrie mit vier voumlllig gleichberechtigten Bindungen entsteht Das Ergebnis kommt den tatsaumlchlich vorhandenen Molekuumllorbitalen die sich gemaumlszlig dem MO-Modell formulieren lassen sehr nahe Festzu-halten ist dabei dass es sich sowohl bei der Promotion als auch bei der Hybridisierung um rein fiktive Prozesse handelt die lediglich postuliert werden um den VB-Ansatz zu bdquorettenldquo Der grundsaumltzliche Mangel der darin besteht dass das VB-Modell uumlberwiegend auf Atom-orbitalen beharrt die eigentlich nicht mehr existieren bleibt bestehen Viele Molekuumllgeome-trien lassen sich in der VB-Theorie nur mit Hilfe einer passenden Hybridisierung erklaumlren Dennoch das VB-Modell ist fuumlr die meisten Anwendungen in der Chemie nach wie vor der am haumlufigsten gewaumlhlte Ansatz er ist einfach intuitiv und vielseitig einsetzbar solange man die richtige Form der Hybridisierung waumlhlt Letzteres geschieht auf der Grundlage einer bekannten Molekuumllgeometrie oder unter Beruumlcksichtigung von vorhandenen Mehrfachbindun-gen Im Idealfall aumlhneln die gebildeten Hybridorbitale dann den wirklichen Molekuumllorbitalen

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In der folgenden Tabelle sind die haumlufigsten Hybridisierungsvarianten zusammengefasst und verschiedenen Molekuumllgeometrien zugeordnet Bei gegebener Geometrie des Molekuumlls (z B die trigonal-planare Anordnung um jedes Kohlenstoffatom im Ethylen) kann man so auf die passende Hybridisierung schlieszligen (im gegebenen Fall das sp2-Hybrid)

Tabelle 1 Wichtige Hybridisierungszustaumlnde nach dem VB-Modell

Hybridisierung Promotion Koordinationszahl Geometrie Beispiele

sp uarruarr suarr puarr 2 linear Acetylen Propadien

sp2 uarruarruarr suarr puarruarr 3 trigonal-planar Ethylen Benzol

sp3 uarruarruarruarr suarr puarruarruarr 4 tetraedrisch Methan Ammoniak

sp3d uarruarruarruarruarr suarr puarruarruarr duarr 5 trigonal-bipyramidal

Phosphor-pentachlorid

sp3d2 uarruarruarruarruarruarr suarr puarruarruarr duarruarr 6 oktaedrisch Schwefel-hexafluorid

Die so entstehenden Hybridorbitale kommen in ihrer raumlumlichen Darstellung den tatsaumlchli-chen Molekuumllorbitalen teilweise recht nahe sie korrigieren somit die VB-Theorie in gewissem Sinne in Richtung der MO-Theorie Allerdings bleibt festzuhalten dass die VB-Theorie keine antibindenden Orbitale kennt diese bleiben einfach unberuumlcksichtigt Dies ist eine gravie-rende Schwaumlche der VB-Theorie die sich an vielen Stellen bemerkbar macht (zB bei der Erklaumlrung des Sauerstoff-Biradikals in der Spektroskopie und bei bestimmten Reaktions-typen)

19 Elektronegativitaumlt und Polaritaumlt

In einer chemischen Bindung zwischen verschiedenen Elementen besitzen die beteiligten Atome fuumlr gewoumlhnlich unterschiedliche Tendenzen die Bindungselektronen an sich zu ziehen Bei der Betrachtung der Energieschemata im MO-Modell aumluszligert sich dies darin dass ein bindendes Molekuumllorbital aus einer Linearkombination zweier Atomorbitale mit sehr unterschiedlicher Energie hervorgeht In diesem Fall besitzt das bindende Molekuumllorbital die Tendenz hohe Elektronendichten in der Naumlhe des Elements aufzuweisen dessen Atomorbital energetisch guumlnstiger liegt Man spricht dann von einer hohen Elektronegativitaumlt dieses Elements da es in dem gebundenen Zustand durch die erhoumlhte Elektronendichte eine partiell negative Ladung aufweist Ein klassisches Beispiel ist die Verbindung Fluorwasserstoff (HF) Hier wird ein bindendes Molekuumllorbital aus der Linearkombination zwischen dem 1s-Orbital des Wasserstoffs mit einem 2p-Orbital des Fluors gebildet Letzteres liegt aufgrund der relativ hohen Kernladung und des geringen Atomradius des Fluors energetisch wesentlich tiefer wodurch sich eine stark asymmetrische Elektronenverteilung ergibt Die Elektronegativitaumlt wird in erster Linie durch die Kernladung vor allem aber auch durch den Abstand zwischen den Valenzelektronen und dem Atomkern bestimmt Daher sind auch kleine Atome wie zum Beispiel der Stickstoff der Sauerstoff oder das Fluor auch besonders elektronegativ (s Tabelle Seite 12) Im Periodensystem der Elemente nimmt die Elektro-negativitaumlt tendenziell nach oben und nach rechts zu (Edelgase ausgenommen) Linus Pauling

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schlug vor die Elektronegativitaumlt ausgehend von der VB-Theorie als dimensionslose Kenn-groumlszlige fuumlr jedes einzelne Element einzufuumlhren Sie errechnet sich aus einem Vergleich der Dissoziationsenergien der beteiligten Elemente Demnach besitzt Francium als das am wenigsten elektronegative Element den Wert 070 und Fluor als das am staumlrksten elektro-negative Element den Wert 398 Eine Zwischenstellung nimmt zB Wasserstoff mit 220 ein Bei Bindungen zwischen Elementen mit unterschiedlicher Elektronegativitaumlt spricht man von polaren Bindungen Entlang einer polaren Bindung baut sich durch die ungleiche Elektronen-verteilung ein entsprechendes Dipolmoment auf das haumlufig Anlass fuumlr starke zwischen-molekulare Kraumlfte liefert (s Kapitel 3) Im Extremfall einer sehr polaren kovalenten Bindung kann das Bindungselektron (bzw die Bindungselektronen) praktisch allein dem elektronega-tiveren Element zugesprochen werden Das entsprechende Bindungsorbital besteht dann als Linearkombination von Atomorbitalen fast ausschlieszliglich aus einem Atomorbital welches das elektronegativere Element beisteuert In diesem Fall spricht man nach klassischer Definition von einer Ionenbindung

2 Die Elektronenspektroskopie an Atomen und Molekuumllen 21 Grundlagen der Spektroskopie

Elektronen in Atomen und Molekuumllen koumlnnen ndash soweit die Erkenntnis aus Kapitel 1 ndash durch Wellenfunktionen beschrieben werden Aus diesen kann man nicht nur die Aufenthaltswahr-scheinlichkeit an verschiedenen Positionen im Raum sondern auch die Energie des Elektrons ableiten Eine Folge der Beschraumlnkung der Elektronen auf bestimmte Wellenfunktionen mit jeweils bestimmter Energie ist dass sie auch nur in bestimmten Schritten Energie aufnehmen und abgeben koumlnnen Jede Aufnahme bzw Abgabe von Energie entlang dieses Schrittes ist generell mit der Aufnahme bzw Abgabe von elektromagnetischer Strahlung verbunden Diese Tatsache bildet die Grundlage der Spektroskopie im gegebenen Fall der Elektronenspektros-kopie

Allgemein gesprochen befasst sich die Spektroskopie mit der Wechselwirkung zwischen Strahlung und Materie Etwas genauer laumlsst sich aussagen dass die Spektroskopie unter-sucht mit welcher elektromagnetischen Strahlung sich welcher energetische Uumlbergang anre-gen laumlsst Zwischen der elektromagnetischen Strahlung und dem dabei bewirkten energeti-schen Uumlbergang gilt dann grundsaumltzlich folgende Beziehung Δ E = h ∙ ν mit ΔE als der Energiedifferenz zwischen den beiden Zustaumlnden (in Joule) ν (gesprochen bdquonuumlldquo) als Frequenz der verwendeten elektromagnetischen Strahlung (in 1s oder Hertz Hz) und h als dem so genannten Planckschen Wirkungsquantum (mit h = 6626∙10-34 Js) Somit ist jeder Frequenz ν im elektromagnetischen Spektrum (Abb 12) genau ein Energiewert Δ E zugeordnet Die dazugehoumlrige Wellenlaumlnge im Vakuum (in m) errechnet sich nach λ = c ν mit c als Lichtgeschwindigkeit (im Vakuum c = 299 792 458 ms)

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Abb 12 Elektromagnetisches Spektrum (Quelle Chemgapedia)

Fuumlr die genaue Messung welche Frequenz der elektromagnetischen Strahlung einem gegebe-nen Uumlbergang anzuregen vermag gibt es experimentell zwei verschiedene Ansaumltze Entweder man strahlt Energie auf das System ein und beobachtet den Verlust an Strahlungsintensitaumlt der dann beobachtet wird wenn die Strahlung einen Uumlbergang zu einem houmlheren Energieni-veau bewirkt (Absorption) oder man fuumlhrt dem System Energie zu (zum Beispiel thermisch) und beobachtet dann die Freisetzung von Energie als Strahlung (Emission) Im einen Fall erfuumlllt die Frequenz der absorbierten Strahlung im anderen Fall die der emittierten Strahlung die Frequenzbedingung ΔE = h ∙ ν Mit beiden Methoden kann man so exakt den Energie-unterschied zwischen zwei Energieniveaus ausmessen Die Bestimmung der Werte fuumlr die charakteristischen Energieschritte ΔE eines Systems ist die Hauptaufgabe der Spektroskopie Sie eignet sich insbesondere um elektronische Wellenfunktionen eines Systems zu erkunden

22 Elektronenspektroskopie am eindimensionalen Potentialtopf

Das denkbar einfachste elektronische System ist der eindimensionale Potentialtopf Dennoch kann auch dieses Modell schon in grober Naumlherung auf Molekuumlle angewandt werden speziell auf solche mit annaumlhernd linearen Delokalisationssystemen (s Kapitel 14) Ein Beispiel ist die Reihe Butadien Hexatrien Oktatetraen usw Bildet man mit Hilfe der Loumlsungen der Schroumldingergleichung fuumlr das eindimensionale Potentialtopfmodell einen Ausdruck fuumlr den elektronischen Uumlbergang zwischen dem houmlchsten besetzten Orbital (HOO) und dem niedrig-sten unbesetzten Orbital (LUO) so erhaumllt man fuumlr die damit verbundene Energiedifferenz gemaumlszlig der in Abbildung 5 gezeigten Formel

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ΔE = h ∙ ν = (nsup2LUO-nsup2HOO) ∙ hsup2 (8 me asup2)

Mit wachsender Laumlnge a und wachsender Elektronenzahl (jedes Kohlenstoffatom im Delokali-sationsgebiet traumlgt ein Elektron bei) steigen einerseits die Werte der Quantenzahlen n fuumlr das houmlchste besetzte Orbital (HOO) und das niedrigste unbesetzte Orbital (LUO) an andererseits steigt aber auch die Laumlnge L die quadratisch im Nenner der Gleichung steht Da letzteres insgesamt uumlberwiegt sinkt der Wert fuumlr ΔE und damit fuumlr die Frequenz ν schrittweise mit Anstieg der Kettenlaumlnge Liegt die absorbierte Lichtfrequenz anfaumlnglich im UV-Bereich so verschiebt sie sich beispielsweise fuumlr das Carotin mit 11 Doppelbindungen schon in den sichtbaren blauen Bereich Weil daher Carotin blaues Licht absorbiert erscheint es im Durchlicht betrachtet in der Komplementaumlrfarbe orange-gelb Nach diesem Prinzip lassen sich viele organische Farbstoffe interpretieren Aumlndert sich die Laumlnge bzw die Elektronenzahl (und damit nsup2LUO und nsup2HOO) durch die Protonierung des Molekuumlls so hat man es mit einem Farbstoff zu tun der mit dem pH-Wert seine Farbe aumlndert ndash dies ist die Grundlage vieler pH-Indikatoren

23 Elektronenspektroskopie am Wasserstoffatom

Die wissenschaftliche Spektralanalyse wurde in der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts gemeinsam durch GR Kirchhoff und RW Bunsen entwickelt Sie entdeckten dass alle Elemente beim Erhitzen Licht aussenden Nach Zerlegung des Lichts mit einem Glasprisma erhaumllt man ein fuumlr jedes Element charakteristisches Linienmuster das so genannte Spektrum (s auch UTube-Video bdquospectral lines demoldquo httpwwwyoutubecomwatchv=2ZlhRChr_Bw) Dieses Spektrum reflektiert die Gesamtheit der dem gegebenen Element eigenen elektronischen Uumlbergaumlnge und ist damit ein unverwechselbarer Fingerabdruck Elemente koumlnnen damit sowohl in der Emissionsspektroskopie als auch in der Absorptionsspektroskopie eindeutig und mit hoher Empfindlichkeit identifiziert werden

Die Elektronenspektroskopie kann jedoch noch deutlich mehr sie erlaubt die exakte Uumlber-pruumlfung der durch die Loumlsung der Schroumldingergleichung gefundenen elektronischen Wellen-funktionen Dies wurde zunaumlchst am Wasserstoffatom mit hoher Praumlzision betrieben Histo-risch gesehen ist die erste wichtige Lichtquelle fuumlr spektroskopische Analysen unsere Sonne Dies gilt insbesondere fuumlr das Spektrum des Wasserstoffs Da die Energie der elektronischen Zustaumlnde dort einzig und allein von der Hauptquantenzahl n abhaumlngt (s Kapitel 15) werden lediglich solche Spektrallinien beobachtet die sich genau einem gegebenen ΔE = E(n) - E(nlsquo) zuordnen lassen Zuerst wurde mit der Balmer-Serie der sichtbare Anteil des Spektrums ent-deckt der mit allen Uumlbergaumlngen von oder zu dem Niveau n = 2 verbunden ist (Abb 13) Es folgten spaumlter im UV-Bereich die Lyman-Serie mit n = 1 und im IR-Bereich die Paschen-Serie mit n = 3 die Brackett-Serie mit n = 4 sowie die Pfundt- und die Humphreys-Serie mit n = 5 und n = 6 (letztere sind in Abb 13 nicht mehr eingezeichnet) Weitere Serien mit houmlheren Quantenzahlen existieren tragen aber keine eigenen Namen mehr

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Wel

lenz

ahl

[100

0 cm

-1]

0

10

20

30

40

50

60

70

80

90

100

110Grundzustand

Lyman-serie

Balmer-serie

Paschen-serie

Brackett-serie

n = 5n = 4

n = 3

n = 2

n = 1

Gustav Robert Kirchhoff

Robert Wilhelm Bunsen

Abb 13 Wichtige elektronische Uumlbergaumlnge im Wasserstoffatom

Abbildung 14 zeigt das gesamte Wasserstoffspektrum die Kuumlrzel benennen die entsprechen-den Serien (Ly = Lyman Ba = Balmer etc)

Abb 14 Spektrum des Wasserstoffatoms Die Achse fuumlr die Wellenlaumlnge ist logarithmisch aufgetragen

Eine genaue Analyse ergibt dass sich das Schema der Energiedifferenzen nach Abb 13 fast genau mit den in Kapitel 15 besprochenen Loumlsungen der Schroumldingergleichung deckt Die aumluszligerst kleinen Abweichungen die man dennoch detektieren konnte lieszligen sich auf den Bei-trag des Kerns (trotz seiner hohen Masse kann er sich minimal mit dem Elektron mitbewegen) und des Isotopeneffekts zuruumlckfuumlhren der schwerere Deuteriumkern der aus einem Proton und einem Neutron besteht bewegt sich weniger leicht mit dem Elektron mit als das einsame Proton des bdquonormalenldquo Wasserstoffs Daneben zeigen sich bei sehr hoher Aufloumlsung des Spektrums auch relativistische Effekte die zu weiteren Aufspaltungen fuumlhren

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24 Elektronenspektroskopie an Atomen mit mehreren Elektronen

Aufgrund der Wechselwirkungen zwischen den Elektronen ist bei schwereren Elementen die beim Wasserstoff gegebene Entartung bezuumlglich der Quantenzahlen l und m aufgehoben Damit wird das Energiediagramm bereits fuumlr ein einfaches houmlheres Atom wie zum Beispiel Lithium schon deutlich komplizierter (Abb 15) Neben den Uumlbergaumlngen zwischen verschiede-nen Werten fuumlr n treten nun auch Uumlbergaumlnge zwischen s und p p und d d und f auf Manche Uumlbergaumlnge (zum Beispiel solche zwischen s- und d-Niveaus) werden allerdings gewoumlhnlich nicht beobachtet man nennt sie bdquoverbotenldquo bdquoErlaubtldquo sind nur solche Uumlbergaumlnge bei denen die Nebenquantenzahl sich um den Wert plusmn1 aumlndert (also eben von s nach p von p nach d usw) Die so genannte Auswahlregel welche die erlaubten Uumlbergaumlnge festlegt heiszligt folglich Δl = plusmn1

Als weitere Folge der Wechselwirkungen zwischen den Elektronen besitzt jedes houmlhere Atom ein eigenes und von Wasserstoff verschiedenes Energiediagramm Damit besitzt aber auch jedes Atom ein unverwechselbares Muster von Energieuumlbergaumlngen die es eindeutig kenn-zeichnet Dies laumlsst sich bereits in einfachen Versuchen anhand von Flammenfaumlrbungen zeigen Diejenigen Uumlbergaumlnge deren ΔE den Wellenlaumlngen im sichtbaren Spektrum entspricht (in Abb 15 sind dies die kuumlrzeren unter den eingezeichneten blauen Pfeilen) sorgen bei vielen Elementen fuumlr ein charakteristisches farbiges Leuchten (Abb 15 rechts)

Ener

gie

Wasserstoff Lithium

n = 1

2

3

45

1s

2s

2p

3s

4s

5s

3p

4p5p

3d

4d5d

Abb 15 Termschema von Lithium mit wichtigen elektronischen Uumlbergaumlngen (links) Durch Lithium verursachte Flammenfaumlrbung (rechts Quelle httpwwwitpuni-hannoverde~zawischaITPatomshtml)

Letztlich ist auch bei allen houmlheren Atomen die Elektronenspektroskopie eine ideale Methode um das Energieniveauschema experimentell zugaumlnglich zu machen Sie eignet sich daruumlber hinaus perfekt zur schnellen und empfindlichen Identifikation von Elementen Diese Tatsache

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macht man sich sowohl in der Atomabsorptionsspektroskopie (AAS) als auch in der Atom-emissionsspektroskopie (AES) zunutze Elektronenspektren sind unverwechselbare Finger-abdruumlcke mit denen alle Elemente in hoher Empfindlichkeit und selbst uumlber groszlige Distanzen hinweg sicher identifiziert werden koumlnnen

25 Elektronenspektroskopie an Molekuumllen

Genau wie die Atomorbitale sind auch Molekuumllorbitale der Elektronenspektroskopie zugaumlng-lich Durch die systematische Analyse aller elektronischen Uumlbergaumlnge lassen sich die Energie-niveaus in einem MO-Schema schrittweise ausmessen Besonders interessant wird dieser Ansatz bei der Untersuchung der Bindungsverhaumlltnisse Im Allgemeinen beobachtet man Uumlbergaumlnge zwischen bindenden und nicht bindenden Orbitalen einerseits und den uumlblicherweise unbesetzten antibindenden Orbitalen andererseits In Abb 16 ist dies am Beispiel einer C-O-Bindung in Formaldehyd gezeigt Im Mittelpunkt stehen dabei das binden-de und das antibindende σ-Orbital C-O das bindende und das antibindende π-Orbital C-O sowie das nicht bindende freie Elektronenpaar des Sauerstoffs (ein weiteres freies Elektronen-paar bleibt unbeteiligt)

Ener

gie

σ CO

σ CO

π CO

π CO

n O

C

H

H

O

σ-σ

Uumlbe

rgan

g

π-π

Uumlbe

rgan

gn-π Uumlber-gang

σ

Abb 16 Termschema der CO-Gruppe in Formaldehyd (links) Die beteiligten Bindungen und das im betrachteten Energiefenster liegende freie Elektronenpaar des Sauerstoffs sind rechts skizziert

Die drei wichtigsten Uumlbergaumlnge die an der C-O-Gruppe detektiert werden sind der σ-σ-Uumlbergang der π-π-Uumlbergang und der n-π-Uumlbergang Letzterer ist in einer C-O-Gruppe stets am energieaumlrmsten und kann bereits mit UV-Licht einer Wellenlaumlnge um 280 nm angeregt werden (schwarzer Pfeil in Abb 16) Energiereicher und intensiver ist bei der CO-Gruppe der π-π-Uumlbergang der bei Wellenlaumlngen um 170 nm angeregt wird (roter Pfeil in Abb 16) Daruumlber hinaus zeigt das Spektrum dass die beiden freien Elektronenpaare des Sauerstoffs stark unterschiedlichen Charakter besitzen (nur eines ist an dem n-π-Uumlbergang beteiligt das andere tritt im gegebenen Spektralbereich nicht in Erscheinung)

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Auf aumlhnliche Weise lassen sich alle MO-Schemata komplizierter Molekuumlle analysieren Lie-gen die Anregungsfrequenzen der Uumlbergaumlnge im sichtbaren Bereich so haben die Molekuumlle die Funktion von Farbstoffen Haumlufig besitzen sie dann laumlngere lineare Delokalisationsgebiete deren Elektronenspektren man dann auch in grober Naumlherung mit dem eindimensionalen Potentialtopfmodell beschreiben kann (s Kapitel 22) Werden Bindungselektronen angeregt und aumlndern sich im Verlauf der elektronischen Anre-gung die Bindungsverhaumlltnisse (beispielsweise bei Besetzung eines antibindenden Zustands) so ist mit der elektronischen Anregung zwangslaumlufig auch eine Aumlnderung des energetisch guumlnstigsten Bindungsabstands verbunden Damit einhergehend werden mechanische Schwin-gungen des Molekuumlls angeregt Mit den Molekuumllschwingungen verhaumllt es sich analog zu den elektronischen Zustaumlnden auch Molekuumllschwingungen existieren nur in bestimmten definierten Zustaumlnden die sich dann den elektronischen Zustaumlnden uumlberlagern (Abb 17) Die Folge davon ist dass die Elektronenspektren von Molekuumllen haumlufig keine scharfen Linien sondern breite Absorptionsbereiche (bdquoBandenldquo) aufweisen Alle Linien fuumlr die elektronischen Uumlbergaumlnge zerlegen sich demnach in eine Vielzahl von Einzellinien die verschiedene Schwingungszustaumlnde der benachbarten elektronischen Zustaumlnde miteinander verbinden (in Abb 17 sind exemplarisch neun verschiedene moumlgliche Uumlbergaumlnge eingezeichnet) Normaler-weise liegen alle diese Linien dicht beieinander so dass insgesamt eine verbreiterte Absorp-tionsbande entsteht

Ener

gie

elektronische Niveaus

Schwingungsniveaus

Abb 17 Zum Zustandekommen von breiten Absorptionsbanden in Elektronen-Schwingungsspektren Uumlberlagerung von elektronischen Uumlbergaumlngen mit Schwingungsuumlbergaumlngen Exemplarisch sind jeweils drei Schwingungsniveaus eingezeichnet

Das Elektronenspektrum eines Molekuumlls wird wegen der dazu verwendeten Frequenzbereiche im UV- und im sichtbaren (bdquovisibleldquo) Spektrum auch UV-vis-Spektroskopie genannt Die UV-vis-Spektroskopie dient neben der Aufklaumlrung der MO-Struktur auch der schnellen und bequemen Identifikation von chemischen Verbindungen Aufgrund ihrer im Absorptionsver-fahren sehr einfachen und preisguumlnstigen Messtechnik wird sie auch haumlufig in Kombination mit anderen analytischen Verfahren (zB der Chromatographie) verwendet Uumlber eine Bestim-mung der Intensitaumlt der Anregung kann auch eine quantitative Analyse einzelner Verbindun-gen erfolgen

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3 Das Zusammenwirken von Atomen und Molekuumllen 31 Der makroskopische Zustand von Materie Bisher sind nur einzelne Bausteine der Materie also Atome und Molekuumlle betrachtet worden Nun soll das makroskopische Erscheinungsbild von Materie ins Auge gefasst werden die aus einer Vielzahl von Atomen oder Molekuumllen besteht Um den Zustand dieser aus vielen Teilchen zusammengesetzten Materie uumlberhaupt als Gesamtheit zu beschreiben benoumltigt man zunaumlchst so genannte Zustandsparameter oder Zustandsgroumlszligen Die wichtigsten Vertreter dieser Kenngroumlszligen fuumlr makroskopische Materie sind die Stoffmenge n das Volumen V der Druck P und die Temperatur T

n Stoffmenge Die Stoffmenge wird uumlber die Teilchenzahl definiert

Einheit der Teilchenzahl 1 Mol

Definition Ein Mol eines Stoffes enthaumllt dieselbe Anzahl an Teilchen wie 0012 kg reiner Kohlenstoff des Isotops 12C (1 Mol 60221023

Teilchen) Dabei muss eindeutig festgelegt sein was unter einem Teilchen des Stoffes jeweils zu verstehen ist Ist die Stoffmenge konstant so spricht man von einem geschlossenen System

V Volumen Die Definition des Volumens erfolgt uumlber die festgelegte Laumlngeneinheit und den geometrischen Volumenbegriff

Einheit des Volumens 1 msup3

Definition Ein msup3 ist das Volumen eines wuumlrfelfoumlrmigen Raums mit einer Kantenlaumlnge von einem Meter Ist das Volumen konstant so spricht man von einem isochoren Vorgang

P Druck Die Definition erfolgt uumlber die Kraft die ein Stoff auf jede Flaumlcheneinheit eines ihn einschlieszligenden Behaumllters ausuumlbt

Einheit des Drucks 1 Pascal = 1 Pa = 1 Nmsup2 = 10-5 bar

Definition Ein Pascal ist der Druck bei dem auf jeden Quadratmeter der Behaumllterwaumlnde eine Kraft von 1 Newton ausgeuumlbt wird Ist der Druck konstant so spricht man von einem isobaren Vorgang

T Temperatur

Der sicherlich am schwierigsten fassbare Zustandsparameter makroskopischer Materie ist die Temperatur Zwar ist sie direkt mit der menschlichen Wahrnehmung verknuumlpft (kalt warm heiszlighellip) physikalisch jedoch zunaumlchst sehr undefiniert da sie nicht ohne weiteres auf andere physikalische Groumlszligen zuruumlckfuumlhrbar ist Am ehesten laumlsst sie sich im ersten Ansatz als diejenige Eigenschaft von Materie beschreiben die von einem Thermometer gemessen wird

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Zur Verwendung als Thermometer eignet sich prinzipiell jeder physikalische oder chemische Vorgang der reproduzierbar mit einer Temperaturaumlnderung verknuumlpft ist Klassisch sind dies insbesondere die Ausdehnungsvorgaumlnge von Gasen Fluumlssigkeiten und Festkoumlrpern (Abb 18)

Hg

Festkoumlrperthermometer werden gewoumlhnlich nach demPrinzip des Bimetall-Thermometers ausgelegt (ganzlinks) Dabei werden zwei verschiedene Festkoumlrper(zB zwei Bleche aus verschiedenen Metallen) flaumlchigmiteinander in Kontakt gebracht Bedingt durch dieunterschiedliche thermische Ausdehnung derMaterialien kruumlmmt sich das Bimetall-Blech abhaumlngigvon der Temperatur mehr oder weniger stark zu einerSpirale

Fluumlssigkeitsthermometer (Mitte) und Gasthermometer(rechts) nutzen die Volumenaumlnderung eines fluidenMediums mit der Temperatur Die Genauigkeit kannerhoumlht werden indem einem groszligvolumigen Vorrats-behaumllter ein relativ kleinvolumiger Ausdehnungs- undAblesebereich gegenuumlbergestellt wird

Abb 18 Thermometer die auf der Grundlage der temperaturbedingten Ausdehnung von Materie beruhen

In der Praxis kommen mehr und mehr die elektronischen Varianten der Temperaturmessung zum Zug die zumeist auf der Messung der Thermospannung basieren Neben der Messmetho-de ist die Festlegung einer Temperaturskala wichtig Dazu dienten zunaumlchst einige Fixpunkte die heute teilweise noch historische Bedeutung haben

1) Die tiefste Temperatur des Winters 17081709 in Danzig - 178 degC

2) Die Temperatur von schmelzendem Eis bei 760 Torr (760 Torr = 1 atm = 101 325 Pa) 0 degC

3) Koexistenztemperatur von Eis Wasser und Wasserdampf 001 degC (exakt)

4) Die durchschnittliche Koumlrpertemperatur eines gesunden Menschen 378 degC

5) Die Siedetemperatur des Wassers bei 760 Torr (1 atm = 101 325 Pa) 100 degC

Die Punkte 1 und 4 bildeten die Grundlage des Fahrenheit-Systems die Punkte 2 und 5 die der Celsius-Skala Bei beiden Systemen wurde der definierte Bereich zunaumlchst in 100 gleiche Teile (Grade) aufgeteilt dann extrapoliert Beide Definitionen wurden spaumlter verfeinert (Celsius 9999 Grade C zwischen den Fixpunkten 3 und 5 Fahrenheit 180 Grade F zwischen den Fixpunkten 1 und 5) Trotzdem mangelt es auszliger Punkt 3 allen genannten Fixpunkten an Genauigkeit und Reproduzierbarkeit

Das zweite Problem nach der Unvollkommenheit der Fixpunkte besteht in der Festlegung einer systemunabhaumlngigen linearen Teilung Gewoumlhnlich ist der Verlauf der Skala vom gewaumlhlten Medium abhaumlngig Eine lineare Teilung auf der Skala eines Quecksilber-thermometers entspricht daher nicht einer linearen Teilung auf der Skala eines Alkoholthermometers da die Ausdehnung bei jedem Medium in unterschiedlicher Weise von der Temperatur abhaumlngt

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Beide Probleme sowohl die Wahl der passenden Fixpunkte als auch die Definition einer sinnvollen linearen Teilung werden heute durch die Festlegung der so genannten absoluten Temperaturskala geloumlst Grundlage hierfuumlr sind uumlbereinstimmende Beobachtungen an Gasthermometern

-300 -200 -100 0 100 200

V

T

-27315degCBei wiederholten Messungen mit verschiedenenGasthermometern verschiedenen Gasen undGasvolumina und bei verschiedenen Drucken stelltman fest dass sich die Verlaumlngerungen aller in denjeweiligen Diagrammen erhaltenen Linien in einemPunkt schneiden Dieser Punkt entspricht auf derVolumenachse dem Wert V = 0 und auf derTemperaturachse dem Wert T = -27315 degC

Abb 19 Ausdehnungskurven verschiedener Gase Die Temperaturskala ist zunaumlchst noch in Celsius aufgetragen

Aus dieser Beobachtung wurde geschlossen dass der Temperatur am gemeinsamen Schnitt-punkt aller Ausdehnungskurven eine besondere physikalische Bedeutung zukommt und sie sich daher als Fixpunkt einer neuen Temperaturskala eignet Weiterhin wurde festgestellt dass zwar alle Gase in ihrem Ausdehnungsverhalten von dem linearen Verlauf abweichen dass aber unter bestimmten Umstaumlnden (zB niedriger Druck) ein gemeinsamer Verlauf angestrebt wird den man auch als idealen Verlauf bezeichnen koumlnnte Am besten funktioniert das bei Helium unter schrittweise absinkenden Drucken dessen Verhalten sich fuumlr P rarr 0 zum idealen Verhalten extrapolieren laumlsst Diese Erkenntnis diente zur Definition einer absoluten Temperaturskala in Kelvin

1) Unterer Fixpunkt Schnittpunkt der Volumenexpansionskurven bdquoidealerldquo Gase (zB Helium fuumlr den Grenzfall Prarr0) 0 Kelvin

2) Oberer Fixpunkt Koexistenztemperatur von Eis Wasser und Wasserdampf 27316 Kelvin

3) Das Volumen eines bdquoidealenldquo Gases (zB Helium fuumlr den Grenzfall Prarr0) ist bei konstantem Druck proportional zur Temperatur und definiert die lineare Teilung der Temperaturskala

Gemaumlszlig dieser Definition ist jede beliebige Temperatur unter Nutzung eines bdquoidealenldquo Gasther-mometers auf der absoluten Kelvin-Skala eindeutig festgelegt Die Verwendung der Kelvin-Skala ist gegenuumlber der Nutzung klassischer Temperatursysteme bei der Beschreibung physi-kalischer Vorgaumlnge eindeutig von Vorteil Vorgaumlnge bei denen die Temperatur konstant ist nennt man isotherm Mit der Definition der wichtigsten Zustandsparameter Teilchenzahl n Volumen V Druck P und Temperatur T besteht nun die Moumlglichkeit das Verhalten makroskopischer Materie zu beschreiben Am einfachsten gelingt das im Fall von Gasen

32 Zustandsgleichung fuumlr Gase die ideale Gasgleichung

Gleichungen welche die Zustandsparameter wie n V T und P miteinander verknuumlpfen nennt man Zustandsgleichungen Sie beschreiben das Verhalten einer aus vielen einzelnen Teilchen bestehenden Materie hinsichtlich ihrer makroskopisch messbaren Groumlszligen Am

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einfachsten sind solche Zustandsgleichungen fuumlr Gase aufzustellen Untersucht man bei Gasen systematisch den Zusammenhang zwischen n V P und T so stellt man fest dass fuumlr alle Gase in mehr oder weniger guter Naumlherung folgende einfache Gleichung erfuumlllt isthellip

P ∙ V = n ∙ R ∙ T

hellipwobei R fuumlr die so genannte ideale Gaskonstante steht (R asymp 8314 J K-1 Mol-1) Diese Glei-chung auch bdquoideale Gasgleichungldquo genannt ist ein so genanntes Grenzgesetz kein real exis-tierendes Gas erfuumlllt es genau aber alle Gase kommen ihm recht nahe insbesondere bei hohen Temperaturen und niedrigen Druumlcken Eine Gleichung dieser Form nennt man auch Zustands-gleichung da sie Zustandsparameter miteinander verbindet Grafisch laumlsst sich diese Verknuumlp-fung in einem einfachen Diagramm darstellen bei dem jede Kombination von T und V genau einem Wert fuumlr P zugeordnet ist (Abb 20)

P

V

T

Abb 20 Auftragung von P gegen T und V nach der idealen Gasgleichung

Wir wissen nun dass die Gase aus einer Vielzahl von Teilchen (Atomen oder Molekuumllen) bestehen Wie laumlsst sich das durch die ideale Gasgleichung beschriebene Verhalten nun mit dieser Tatsache in Einklang bringen Was bedeuten eigentlich die Parameter Druck und Tem-peratur fuumlr ein Gas das sich aus vielen einzelnen Atomen und Molekuumllen zusammensetzt Um makroskopische Zustandsparameter uumlberhaupt mit der Teilchenwelt verknuumlpfen zu koumlnnen benoumltigen wir eine Modellvorstellung fuumlr das mechanische Zusammenwirken der Teilchen im Fall von Gasen das so genannte kinetische Gasmodell

33 Das kinetische Gasmodell

Bei den im vorhergehenden Kapitel aufgefuumlhrten Gasgesetzen handelt es sich um mathemati-sche Beschreibungen von makroskopisch beobachtbaren Vorgaumlngen Zur Interpretation der Gasgesetze auf molekularer Ebene wurden verschiedene Modelle vorgeschlagen Das erfolg-reichste unter ihnen war das sogenannte kinetische Gasmodell Es beruht auf der Vorstellung dass ein Gas aus einer Vielzahl von Teilchen besteht die folgende Bedingungen erfuumlllen

1) Sie besitzen eine Atom- oder Molmasse M einen endlichen Durchmesser d und befinden sich in staumlndiger und ungeregelter Bewegung

2) Die Groumlszlige der Teilchen ist im Verhaumlltnis zum freien Volumen vernachlaumlssig-bar

3) Zwischen den Teilchen finden elastische Stoumlszlige statt Ansonsten existieren keine weiteren Wechselwirkungen unter den Teilchen

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Nach der kinetischen Gastheorie besteht der Druck eines Gases aus der Summe aller Kraumlfte (pro Flaumlcheneinheit) die durch auf eine Flaumlche aufprallende Gasteilchen (bzw durch deren Impulsaumlnderung) ausgeuumlbt werden (Abb 21)

Vx t

Abb 21 Links schematische Darstellung der Impulsaumlnderung bei dem Auftreffen eines Gasteilchens auf der Gefaumlszligwand Viele solche Stoumlszlige fuumlhren in der Summe zum Entstehen einer messbaren dem Gasdruck zugeordneten Kraft Rechts Die Geschwindigkeitskomponente vx der Teilchen bestimmt nicht nur die Groumlszlige der Impulsaumlnderung sondern auch die Zahl der Teilchen die pro Zeiteinheit auf die Wand stoszligen Daher geht die Geschwindigkeit der Teilchen bei der Berechnung des Drucks insgesamt quadratisch ein

Dabei wird zunaumlchst davon ausgegangen dass alle Teilchen die gleiche Geschwindigkeits-komponente vx aufweisen Diese Geschwindigkeitskomponente bestimmt zum einen die Heftigkeit der Stoumlszlige zum anderen wie viele Gasteilchen pro Zeiteinheit auf die Wand prallen Insgesamt haumlngt der Druck damit vom Quadrat der Geschwindigkeitskomponente vxab Fuumlhrt man nun ein mittleres Geschwindigkeitsquadrat csup2 ein (mit vxsup2 = 13 csup2) so erhaumllt man fuumlr den an dem beweglichen Kolben spuumlrbaren Druck die Gleichung

P = 13 M csup2 (nV) oder in der Schreibweise der idealen Gasgleichung P V = 13 n M csup2 Der Druck ist nach dem kinetischen Gasmodell also die Folge einer Vielzahl von Stoumlszligen welche die Teilchen gegen die Behaumllterwaumlnde ausfuumlhren Er ist folglich proportional zur Mas-se der Teilchen (je schwerer die Teilchen desto heftiger die Stoumlszlige) zum mittleren Geschwin-digkeitsquadrat (die Geschwindigkeit der Teilchen bestimmt zum einen die Haumlufigkeit zum anderen die Heftigkeit der Stoumlszlige) und zur Zahl der Teilchen pro Volumeneinheit (womit wie nach der idealen Gasgleichung zu erwarten P umgekehrt proportional zu V ist) Die Bedeutung der Temperatur im kinetischen Gasmodell ist dagegen zunaumlchst unklar Mit der idealen Gasgleichung P V = n R T ergibt sich aber durch Koeffizientenvergleich n R T = 13 n M csup2 oder R T = 13 M csup2 Man kann unter Nutzung beider Gasmodelle so zu einem neuen teilchenbezogenen Verstaumlnd-nis des Phaumlnomens Temperatur kommen Die Temperatur eines Gases ist demnach direkt proportional zum mittleren Geschwindigkeitsquadrat der Gasteilchen oder in anderen Worten zu deren kinetischer Energie 12 M csup2 Dies ist fuumlr das Verstaumlndnis des Phaumlnomens Temperatur von groszliger Bedeutung Man kann die Temperatur eines Gases also messen indem man (bei bekannter Masse der Teilchen) die Geschwindigkeit der Gasteilchen bestimmt Die Wurzel aus dem mittleren Geschwindigkeits-quadrat also die Groumlszlige c liegt uumlblicherweise in der Groumlszligenordnung der Schallgeschwindig-keit (zum Beispiel fuumlr Stickstoff bei Raumtemperatur c = 516 ms) und steht zu ihr in einer

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festen Beziehung Tatsaumlchlich laumlsst sich die Temperatur auch uumlber eine Messung der Schall-geschwindigkeit ermitteln Nachdem das mittlere Geschwindigkeitsquadrat der Teilchen bekannt ist stellt sich die Frage nach der Geschwindigkeitsverteilung der Teilchen Die Bewegungsenergie der Teilchen ist wie alle anderen Energieformen (zB elektronische Energie Schwingungsenergie) gequantelt Das bedeutet dass sich die Teilchen auf (hier dicht gestaffelte) Energieniveaus verteilen muumlssen Sie tun das nach einem statistischen Grundprinzip das Boltzmann-Verteilung genannt wird Demnach ist die Besetzung pi eines Energieniveaus i (egal welcher Art die Energie Ei ist) stets proportional zum so genannten Boltzmannfaktor des Zustand i Es gilt

pi ~ exp[-Ei(kBT)]

Die darin enthaltene Boltzmannkonstante kB ist nichts anderes als die allgemeine Gas-konstante R (siehe unter 32) dividiert durch die Zahl NL der Teilchen in einem Mol Substanz (kB = RNL) Das bedeutet die Besetzung eines Zustands ist umso wahrscheinlicher je niedriger dessen Energie ist Steigende Temperatur T hingegen erhoumlht die Wahrscheinlichkeit energiereicher Zustaumlnde Diese Gesetzmaumlszligigkeit gilt fuumlr die Besetzung aller auf atomarer oder molekularer Ebene gegebener Zustaumlnde in einem makroskopischen System Angewandt auf die Bewegungsenergie von Gasteilchen in einer einzelnen Raumrichtung x bedeutet das dass Teilchen mit hoher Geschwindigkeit vx weniger wahrscheinlich sind als solche mit niedriger Geschwindigkeit vx Allerdings steigt die Wahrscheinlichkeit des Auftretens groszliger Werte fuumlr vx mit steigender Temperatur Teilt man den Bereich der auftretenden Geschwindigkeiten in Intervalle auf und zaumlhlt man die Teilchen die gemaumlszlig ihrer Geschwindigkeit zu den einzelnen Intervallen zugeordnet werden koumlnnen so ergibt sich fuumlr die Geschwindigkeitsverteilung in vx und v das Bild das in Abb 22 oben dargestellt ist Die Verteilungsfunktionen fuumlr die Geschwindigkeiten in y- und z-Richtung sind identisch

n(vx)

vx-Intervall

n(vx)

vx-Intervall

Temperatur-erhoumlhung

- 0 +- 0 +n(v)

v-Intervall

Temperatur-erhoumlhung

0 +

n(v)

v-Intervall0 +

Abb 22 Verteilungsfunktionen einer eindimensionalen Geschwindigkeitskomponente (oben) und der Gesamtgeschwindigkeit (unten)

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Betrachtet man die Verteilung n(v) der Gesamtgeschwindigkeit v im dreidimensionalen Raum so wird das Bild komplizierter Bezuumlglich der drei Raumrichtungen x y und z sind weiterhin die kleinen Geschwindigkeiten wahrscheinlicher als die groszligen Da nun aber fuumlr eine groszlige Gesamtgeschwindigkeit v mehr Kombinationsmoumlglichkeiten vx vy vz existieren als fuumlr kleine Gesamtgeschwindigkeiten so wird die Wahrscheinlichkeit fuumlr sehr geringe Gesamtgeschwindigkeiten entsprechend kleiner fuumlr groszlige Gesamtgeschwindigkeiten entsprechend groumlszliger Der daraus resultierende Gewichtungsfaktor fuumlr jedes v ist die relative Flaumlche der Kugelschale mit dem Radius v Insgesamt ergeben sich dann die in Abb 22 unten dargestellten Verteilungsfunktionen fuumlr niedrige und hohe Temperaturen Die Verteilungsfunktionen in vx und v lauten (ohne Herleitung)

f(vx) = [M(2RT)]12 exp [-Mvxsup2(2RT)]

f(v) = 4 [M(2RT)]32 vsup2 exp [-Mvsup2(2RT)] Der Mittelwert von vx (oder jeder anderen eindimensionalen Geschwindigkeitskomponente) ist grundsaumltzlich Null Dagegen besitzt der Mittelwert von v stets eine endliche von Null verschiedene Groumlszlige Bei einer Erhoumlhung der Temperatur werden alle Verteilungsfunktionen breiter der Mittelwert von v vergroumlszligert sich Die Temperatur eines Gases aumluszligert sich also nicht nur im mittleren Geschwindigkeitsquadrat sondern auch in der Form der Geschwindigkeitsverteilungsfunktion Bei der Mischung von Gasen unterschiedlicher Temperatur muss um die oben genannte Forderung zu erfuumlllen aus der einfachen Summe von zwei Verteilungsfunktionen eine neue der Mischtemperatur ent-sprechende Verteilungsfunktion entstehen Dies ist nur unter der Annahme moumlglich dass ein Austausch kinetischer Energie unter den Teilchen erfolgen kann Diese Tatsache bedingt die eingangs gestellte Forderung nach Teilchenstoumlszligen also Wechselwirkungen zwischen den Teilchen Damit muumlssen die Gasteilchen aber auch ein gewisses Volumen besitzen den Teil-chen ohne Eigenvolumen koumlnnen prinzipiell nicht zusammenstoszligen Darin besteht der we-sentliche Unterschied zwischen einem Gas nach dem kinetischen Gasmodell und dem idealen Gas Das ideale Gas koumlnnte man theoretisch auf ein beliebig kleines Volumen komprimieren bei einem kinetischen Gas ist dies aufgrund des Eigenvolumens nicht moumlglich Ansonsten erlaubt das kinetische Gasmodell die vollstaumlndige Interpretation der idealen Gasgleichung

34 Die korrigierte Gasgleichung nach van der Waals JD van der Waals

Mithilfe des kinetischen Gasmodells laumlsst sich die Zustandsgleichung fuumlr Gase weiter verfeinern Zunaumlchst soll beruumlcksichtigt werden dass die Teilchen ein eigenes Volumen besitzen In erster Naumlherung geschieht dies indem man ein vom Eigenvolumen der Gas-teilchen abgeleitetes minimales Volumen des Gases (das so genannte Covolumen) definiert Das Covolumen beschreibt dasjenige Volumen des Gases das bei staumlndigem mechanischem Kontakt zwischen jeweils zwei Teilchen eingenommen wird wenn man den Teilchenpaaren jeweils den sie umschreibenden kugelfoumlrmigen Raum zuordnet (wegen der geringen Wahr-scheinlichkeit von Dreierstoumlszligen kann die Bildung von Dreiergruppen ausgeschlossen werden) Das molare Covolumen b entspricht wenn man eine einfache geometrische Uumlberlegung an-setzt dem vierfachen Eigenvolumen eines Mols der Gasteilchen Um das tatsaumlchliche freie

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Volumen zu erhalten muss das n-fache Covolumen vom gegebenen Volumen abgezogen werden Damit wird aus der idealen Gasgleichung P V = n R T die erste korrigierte Version P (V - n b) = n R T Im zweiten Schritt soll nun uumlber das kinetische Gasmodell hinausgehend auch die anziehen-de Wechselwirkung zwischen den Teilchen beruumlcksichtigt werden Die Anziehung zwischen den Teilchen sorgt nach van der Waals fuumlr einen zusaumltzlichen nach auszligen nicht messbaren bdquoBinnendruckldquo Dieser Binnendruck ist proportional zum Quadrat der Teilchendichte (nV)sup2 Der zwischen den Teilchen tatsaumlchlich wirkende nach auszligen ebenfalls unmessbare Gesamt-druck ist dann gegeben als

Pgesamt (unmessbar) = P (messbar) + a (nV)sup2

mit einer fuumlr die anziehende Wechselwirkung charakteristischen Konstante a Die danach korrigierte Version der Gasgleichung die van-der-Waals-Gleichung fuumlr reale Gase lautet

[P + a (nV)sup2] (V - nb) = n R T

Die Konstanten b und a besitzen fuumlr jedes reale Gas charakteristische Werte die dessen Eigenvolumen (die Groumlszlige der Elektronenhuumllle) und die Staumlrke der intermolekularen Wechsel-wirkungen reflektieren Beispiele

Gas a b

Argon 01345 Pa m6Molsup2 32210-5 msup3Mol Kohlendioxid 03592 Pa m6Molsup2 426710-5 msup3Mol Helium 00034 Pa m6Molsup2 23710-5 msup3Mol Stickstoff 01390 Pa m6Molsup2 391310-5 msup3Mol Wasser 05573 Pa m6Molsup2 31010-5 msup3Mol

Der Parameter b spiegelt mit der Einheit msup3Mol weitgehend die Groumlszlige der einzelnen Teilchen (Atome oder Molekuumlle) wider So besitzt erwartungsgemaumlszlig Kohlendioxid oder Argon einen groumlszligeren Wert fuumlr b als beispielsweise Helium Allerdings sind die Unterschiede erstaunlich klein was auf die Tatsache zuruumlckzufuumlhren ist dass sich das Covolumen auf Teilchenpaare bezieht und ein Paar aus Kohlendioxidmolekuumllen gegenuumlber einem Paar aus Heliumatomen nur etwa das doppelte Volumen benoumltigt

Der Parameter a mit der Einheit Pascal mal Molvolumen zum Quadrat reflektiert die Staumlrke der Wechselwirkungen zwischen den Teilchen Diese Wechselwirkungen beruhen zum groszligen Teil auf den elektrischen Eigenschaften der Teilchen Diese wiederum sind mit der elektronischen Struktur der Atome beziehungsweise der chemischen Bindungen verknuumlpft Am wichtigsten ist dabei das in Kapitel 19 erwaumlhnte Dipolmoment Polare Bindungen koumlnnen zu Teilchen mit permanenten Dipolen fuumlhren (zB HF Wasser Ammoniak CO) Andere Molekuumlle oder Atome sind zwar unpolar koumlnnen aber spontan oder durch aumluszligere

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elektrische Felder polarisiert werden (zB He Ar molekularer Wasserstoff molekulares Chlor) Man spricht dann von polarisierbaren Teilchen mit einem spontanen Dipolmoment oder mit einem durch ein aumluszligeres Feld bewirkten induzierten Dipolmoment In all diesen Faumlllen sind anziehende Wechselwirkungen zwischen den Teilchen moumlglich die in dem Parameter a zusammengefasst werden Daruumlber hinaus koumlnnen sich auch voruumlbergehende chemische Bindungen ausbilden Das prominenteste Beispiel fuumlr diesen Fall ist die bekannte Wasserstoffbruumlckenbindung die bei polaren X-H-Bindungen auftreten kann Im Einzelnen werden demnach folgende Arten von Wechselwirkungen mit absteigender Intensitaumlt unter-schieden

a) Wasserstoffbruumlckenbindung X-H hellip Y Hierbei bildet sich voruumlbergehend eine chemische Bindung zwischen dem polar gebundenen Wasserstoff und einem elektronegativen und mit einem freien Elektronenpaar ausgestatteten Element Y

b) Wechselwirkungen zwischen permanenten Dipolen hier besitzen alle Teilchen ein permanentes Dipolmoment Zwischen den entgegengesetzt geladenen Enden der Teilchen bauen sich dann konstant anziehende elektrostatische Wechselwir-kungen auf

c) Wechselwirkungen zwischen permanenten und induzierten Dipolen die Teil-chen mit permanentem Dipolmoment induzieren ein voruumlbergehendes Dipol-moment bei den benachbarten (zunaumlchst unpolaren) Teilchen In der Folge ergibt sich eine anziehende elektrostatische Wechselwirkung

d) Wechselwirkungen zwischen induzierten Dipolen durch spontane Polarisierung eines Teilchens entsteht ein voruumlbergehendes Dipolmoment welches bei einem benachbarten Teilchen eine Polarisierung hervorruft In der Folge ergibt sich eine kurzfristige und sehr schwache elektrostatische Anziehung zwischen den Teilchen Man spricht dabei auch von der Dispersionswechselwirkung oder der Londonschen Wechselwirkung

Alle diese Effekte sind anziehender Natur und gehen damit in den Parameter a ein Fasst man die beiden Parameter a und b zusammen so entsteht mit der van-der-Waals-Gleichung eine recht zuverlaumlssige Zustandsgleichung fuumlr reale Systeme die sowohl die abstoszligenden als auch die anziehenden Wechselwirkungen beruumlcksichtigt

Ein guter Test fuumlr diese reale Zustandsgleichung ist die Berechnung eines Diagramms von P gegen V fuumlr verschiedene Temperaturen das so genannte P-V-Diagramm und die Gegen-uumlberstellung mit dem entsprechenden experimentellen P-V-Diagramm eines realen Gases Gemaumlszlig der van-der-Waalsrsquoschen Gleichung existieren abhaumlngig von der betrachteten Tempe-ratur drei Typen von Isothermen (Abb 23 links) solche die einer Hyperbel aumlhneln (1) eine einzelne Isotherme die einen Wendepunkt mit waagrechter Tangente besitzt (2) und solche die ein Minimum ein Maximum und einen Wendepunkt aufweisen (3) Das experimentell beobachtete Verhalten stimmt in den ersten beiden Faumlllen recht gut uumlberein weicht aber bei Isothermen des dritten Typs deutlich vom berechneten Verlauf ab (Abb 23 rechts)

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P

V

PV-Diagramm nachvan-der-Waals-Gleichung

1 2

3

P

V

3

experimentell bestimmtesPV-Diagramm f reales Gas

Abb 23 PV-Diagramme fuumlr reale Gase berechnet nach van der Waals (links) und experimentell bestimmt (rechts) Die drei typischen Formen der Isothermen (1 2 und 3) sind im Text beschrieben

Offensichtlich beschreibt die van-der-Waals-Gleichung das Verhalten eines realen Gases in der Umgebung des Wendepunkts weniger gut Experimentell stellt man allerdings fest dass in diesem Bereich tatsaumlchlich auch kein reines Gas sondern vielmehr eine Mischung aus einem Gas und einer kondensierten Fluumlssigkeit also ein Zweiphasenzustand vorliegt Dieser Zwei-phasenbereich beginnt am Wendepunkt der Isothermen des Typs 2 und schlieszligt alle Minima Maxima und Wendepunkte der Isothermen des Typs 3 ein (Abb 24 links)

P

V

Zweiphasen-gebiet

P

V

Zweiphasen-gebiet

Maxwell-Maxwell-KorrekturKorrektur

Zweiphasen-Gebiet

Zweiphasen-Gebiet

A1

A2

Abb 24 PV-Diagramme fuumlr reale Gase mit eingezeichnetem Zweiphasengebiet Der in diesem Bereich bei der Beschreibung nach van der Waals gegebene Fehler kann in guter Naumlherung durch die Maxwell-Korrektur kompensiert werden

Eine einfache Korrektur der van-der-Waals-Gleichung ermoumlglicht eine realistische Beschrei-bung des Zweiphasengebiets Eine horizontale Gerade wird so in der Naumlhe des Wendepunktes gelegt dass die oberhalb und unterhalb der Geraden im Zweiphasenbereich gebildeten Teilflaumlchen A1 und A2 die gleiche Groumlszlige besitzen (sog Maxwell-Korrektur s Abbildung 24 rechts) Dies sieht zwar nach einer etwas willkuumlrlichen Hilfskonstruktion aus trotzdem laumlsst sich damit das Verhalten eines realen Gases im Zweiphasengebiet sehr gut nachvollziehen und vorhersagen Eine besonders ausgewiesene Position im PV-Diagramm eines realen Gases ist der Scheitel-punkt des Zweiphasengebiets der durch den Wendepunkt der Isotherme des Typs 2 gebildet wird (Abb 25)

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P

V

Zweiphasen-gebiet Tc

Pc

Vc

kritischer Punkt

Jedes reale Gas besitzt einen sogenannten kritischenPunkt der durch die kritischen Zustandsgroumlszligen Tc Pc undVc beschrieben wird Die kritische Temperatur Tc istdiejenige Temperatur bei der sich ein Gas unter Druckgerade noch verfluumlssigen laumlszligt Oberhalb der kritischenTemperatur existiert kein fluumlssiger Zustand Derentsprechende Druck Pc wird als kritischer Druckbezeichnet

Die Isotherme die der kritischen Temperatur zugeordnetist besitzt als einzige einen Wendepunkt mit horizontalerTangente der gleichzeitig den kritischen Punkt markiert

Abb 25 PV-Diagramm fuumlr ein reales Gas mit kritischem Punkt

Dieser sogenannte kritische Punkt wird durch die kritische Temperatur Tc den kritischen Druck Pc und das kritische Molvolumen Vc festgelegt Zustaumlnde oberhalb des kritischen Punkts nennt man uumlberkritisch Uumlberkritisches Kohlendioxid besitzt in der Technik groszlige Bedeutung fuumlr das Loumlsen und Ausfaumlllen von pharmazeutischen Wirkstoffen (zB Aspirin fuumlr Brausetabletten) fuumlr die Extraktion (zB bei der Entkoffeinierung von Kaffee) oder zur chemischen Reinigung von Textilien

35 Andere Zustandsgleichungen fuumlr reale Gase

Neben der van-der-Waals-Gleichung existieren weitere Ansaumltze zur Beschreibung realer Gase die zwar eine genauere Anpassung an die gemessenen Werte ermoumlglichen aber auch kompli-zierter sind oder mehr Arbeit bei der Bestimmung der charakteristischen Parameter erfordern Im Folgenden seien als Beispiele die Berthelot-Gleichung und die Virialgleichung erwaumlhnt

a Berthelot-Gleichung (P + (Ansup2)(TVsup2) ) (V - nB) = n R T Berthelot fuumlhrte damit als Besonderheit einen temperaturabhaumlngigen Binnendruck ein Dies ist insoweit physikalisch gerechtfertigt als die vermehrte thermische Bewegung der Ausbildung von Wechselwirkungen zwischen den Molekuumllen entgegenwirken kann

b Virialgleichung P Vm = A + B P + C Psup2 + D Psup3 + Mit Vm = Vn Die Virialgleichung nutzt die Tatsache dass sich fast alle physikalischen Zusammenhaumlnge uumlber einen Potenzreihenansatz a + bx + cxsup2 + dxsup3 + hellip beliebig genau annaumlhern lassen Je nach Anzahl der anpassbaren Parameter ist zwar eine beliebig genaue Beschreibung des realen Gases moumlglich allerdings steigt auch der Aufwand fuumlr die Bestim-mung aller Koeffizienten

36 Beschreibung von Fluumlssigkeiten

Im PV-Diagramm der realen Gase schlieszligt sich links vom Zweiphasengebiet der Bereich der fluumlssigen Phase an Sie zeichnet sich dadurch aus dass mit sinkendem Volumen der Druck ex-trem steil ansteigt Das bedeutet dass bereits eine geringfuumlgige Volumenabnahme mit einem aumluszligerst groszligen Druckanstieg verbunden ist In der Praxis hat das zur Folge dass Fluumlssigkeiten im Gegensatz zu Gasen kaum komprimierbar sind ihre Kompressibilitaumlt geht gegen Null Auch ist die Ausdehnung der Fluumlssigkeiten bei steigender Temperatur und bei konstantem

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Druck (der thermische Ausdehnungskoeffizient) sehr viel kleiner als bei Gasen Eine einfache allgemeine Zustandsgleichung fuumlr die fluumlssige Phase in Analogie zur idealen oder zur van-der-Waals-Gleichung existiert nicht Stattdessen findet man bei der experimentellen Bestimmung des Zusammenhangs zwischen P V und T fuumlr jede Fluumlssigkeit ein sehr charakteristisches Verhalten Vergleicht man die Messergebnisse verschiedener Fluumlssigkeiten untereinander so sind kaum Aumlhnlichkeiten auszumachen Daruumlber hinaus sind bestimmte Messungen (zB die Messung der Abhaumlngigkeit des Drucks vom Volumen bei konstanter Teilchenzahl und Temperatur) technisch sehr schwer zu realisieren Das Fehlen einer einheitlichen Zustandsgleichung V(TPn) fuumlr Fluumlssigkeiten liegt auch in deren komplexer Struktur begruumlndet Betrachtet man ein einzelnes Teilchen in der Fluumlssigkeit so liegt es bezuumlglich der Abstaumlnde zu seinen naumlchsten Nachbarn stets in der Naumlhe des Mini-mums einer Potentialkurve Epot(r) die einen sehr steilen Verlauf besitzt Die Abstaumlnde zu den benachbarten Teilchen sind damit nahezu fixiert folglich ist eine unabhaumlngige Translations-bewegung einzelner Teilchen praktisch unmoumlglich Stattdessen verlaufen alle Bewegungs-prozesse mehr oder weniger kollektiv also unter gleichzeitiger Verschiebung mehrerer Teilchen Daruumlber hinaus gibt es keine nennenswerten freien Volumina so dass der mittlere Abstand der Teilchen nur unwesentlich verringert werden kann ein Umstand der sich in der bereits erwaumlhnten geringen Kompressibilitaumlt aumluszligert Ein Modell fuumlr eine allgemeine Fluumlssigkeit laumlsst sich im Rahmen einer Computersimulation einfuumlhren Man betrachtet dabei einen wuumlrfelfoumlrmigen Raum der einen Ausschnitt aus dem Fluumlssigkeitsvolumen darstellen soll und eine endliche Anzahl n von Fluumlssigkeitsteilchen (zB n = 1000) enthaumllt Um die Zahl der Teilchen konstant zu halten und dabei trotzdem deren Beweglichkeit zu wahren wird eine Kontinuitaumltsbedingung eingefuumlhrt Jedes Teilchen das im Rahmen der Bewegungsprozesse den Wuumlrfel an einer gegebenen Stelle verlaumlsst tritt automatisch an der genau gegenuumlberliegenden Position des Wuumlrfels wieder ein Auf diese Weise ist gewaumlhrleistet dass die Zahl der Teilchen im Wuumlrfel konstant bleibt (Abb 26)

Abb 26 Simulation von Bewegungs-vorgaumlngen in einem Fluumlssigkeitsvolumen unter Wahrung einer konstanten Partikel-anzahl Jedes Teilchen das im Rahmen der Bewegungsprozesse den Wuumlrfel an einer gegebenen Stelle verlaumlsst tritt automatisch an der genau gegenuumlberliegenden Position des Wuumlrfels wieder ein

An diesem System fuumlhrt man nun eine so genannte Monte-Carlo-Simulation durch Dabei setzt ein Zufallsgenerator eine geringfuumlgige Verschiebung eines beliebigen einzelnen Teil-chens in Gang Anschlieszligend wird unter Verwendung des bekannten Potentialverlaufs Epot(r) berechnet wie sich nach der Verschiebung die potentielle Energie des Systems veraumlndert hat Danach entscheidet das Simulationsprogramm zwischen zwei Moumlglichkeiten

- Hat sich die gesamte potentielle Energie des Systems durch die Verschiebung verringert oder blieb sie konstant so wird die Verschiebung akzeptiert und der naumlchste Schritt berechnet - Hat sich die gesamte potentielle Energie durch die Verschiebung um den positiven Wert E erhoumlht so wird die Verschiebung mit einer Wahrscheinlichkeit die von E abhaumlngt akzeptiert und ansonsten verworfen Danach wird der naumlchste Schritt berechnet

Auf diese Weise kann man fuumlr beliebige Fluumlssigkeiten sowohl die typischen Bewegungs-prozesse als auch die einflussbedingten Veraumlnderung von Zustandsgroumlszligen (zB P in Ab-

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haumlngigkeit von V) berechnen Allerdings sind die Rechnungen bei den fuumlr eine realistische Beschreibung eines Fluumlssigkeitsvolumens notwendigen groszligen Teilchenzahlen sehr aufwaumlndig und zeitintensiv

37 Beschreibung von Festkoumlrpern

Begibt man sich im P-V-Diagramm vom fluumlssigen Zustand ausgehend noch weiter nach links (zu kleineren Volumina houmlheren Drucken und niedrigeren Temperaturen) so erreicht man den festen Zustand Die Problematik der Zustandsgleichung V(TPn) von Festkoumlrpern aumlhnelt jener der Fluumlssigkeiten Auch hier sind die Kompressibilitaumlten und die thermischen Aus-dehnungskoeffizienten uumlblicherweise sehr viel geringer als bei Gasen Ebenso wie bei Fluumls-sigkeiten sind dabei die Unterschiede zwischen einzelnen Vertretern der Festkoumlrper recht groszlig so dass keine gemeinsame Zustandsgleichung wie bei Gasen formuliert werden kann Im Vergleich mit den Werten der Fluumlssigkeiten sind die Kompressibilitaumlten und die thermischen Ausdehnungskoeffizienten der Festkoumlrper durchschnittlich nochmals um etwa zwei Groumlszligen-ordnungen geringer

Abb 27 Torsionsexperiment zur Unterscheidung zwischen Fluumlssigkeiten und Festkoumlrpern (s Text)

Der wesentliche Unterschied zwischen Festkoumlrpern und Fluumlssigkeiten besteht allerdings in ihrem gegensaumltzlichen Verhalten bezuumlglich Verformung waumlhrend Fluumlssigkeiten einer gege-benen Verformung durch ihre Zaumlhigkeit (Viskositaumlt) Widerstand leisten reagiert ein Fest-koumlrper auf eine Verformung durch eine elastische Deformation Dieses Verhalten wird in einem Torsionsrheometer deutlich wobei eine feste oder fluumlssige Probe periodisch mit einer torsionsartigen Verformung beaufschlagt wird (Abb 27) Waumlhrend der Drehmomentverlauf des Festkoumlrpers exakt gleichphasig zur periodischen Aus-lenkung erfolgt (elastische Verformung) ist der Drehmomentverlauf der Fluumlssigkeit dazu um ein Viertel einer Wellenlaumlnge phasenverschoben (viskose Reaktion) Bei Fluumlssigkeiten ist der Widerstand dann maximal wenn die Deformationsgeschwindigkeit maximal ist (blaue Linie

t

Dre

hmom

entv

erla

uf

tAusl

enku

ng

Festkoumlrper

t

Dre

hmom

entv

erla

uf

Fluumlssigkeiten

Pruumlfkoumlrper

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in Abb 26) Bei Festkoumlrpern ist die Kraft dann maximal wenn der Deformationszustandmaximal ist (rote Linie in Abb 27) Viele Festkoumlrper stellen Uumlbergaumlnge zwischen diesen beiden Extremfaumlllen dar und werden dann als viskoelastisch bezeichnet Aus der Betrachtung von Messergebnissen an einer Viel-zahl von Materialien geht hervor dass eine eindeutige Abgrenzung zwischen dem fluumlssigen und dem festen Zustand selten moumlglich ist Entsprechend gibt es auch unterschiedliche Strukturmodelle die teilweise das elastische Verhalten teilweise das plastische Verhalten von Festkoumlrpern erklaumlren Dem elastischen Festkoumlrper mit nahezu verschwindender Phasen-verschiebung wird am ehesten das Modell eines idealen Kristalls gerecht Man geht dabei davon aus dass jedes Atom bzw Molekuumll aus dem der Festkoumlrper zusammengesetzt ist sich an einem geometrisch festgelegten Gitterpunkt befindet von dem es sich nicht entfernen kann Als Bewegungsprozess ist dabei lediglich eine Schwingung mit begrenzter Amplitude moumlglich Die denkbaren Geometrien der Gitterstrukturen reichen von primitiv-kubischen Gittern (zB Natriumchlorid) uumlber kubisch-dichteste (zB Silber Kupfer) und hexagonal-dichteste Kugelpackungen (zB Magnesium Zink) bis zur kubisch-raumzentrierten Struktur (zB Eisen Molybdaumln) Haumlufig findet man leichte Abweichungen von der idealen Gitter-struktur die durch lokale Stoumlrungen hervorgerufen werden Akzeptiert man gewisse Anteile an viskosem Verhalten (dh eine leichte Phasenverschiebung) so begibt man sich in den Grenzbereich zwischen Festkoumlrpern und Fluumlssigkeiten In einem Material wie Glas ist die regelmaumlszligige Anordnung eines Gitters nicht gegeben die Atome sind unregelmaumlszligig positioniert und koumlnnen unter Belastung auch flieszligen Solche nicht-kristallinen Festkoumlrper bezeichnet man als amorph Typische Vertreter amorpher Feststoffe sind Fenster-glas viele transparente Kunststoffe (zB Plexiglas Polyester in Getraumlnkeflaschen) Wachs und Aumlhnliches Amorphe Festkoumlrper besitzen keinen Schmelzpunkt sondern erweichen bei steigender Temperatur allmaumlhlich Amorphe Festkoumlrper koumlnnen nachtraumlglich kristallisieren wobei sich haumlufig das aumluszligere Erscheinungsbild und die physikalischen Eigenschaften drastisch aumlndern (zB Plastikfolie unter Zug)

38 Das Phasendiagramm

Die drei wichtigsten Phasenzustaumlnde zu denen sich eine makroskopische Gesamtheit von Atomen oder Molekuumllen zusammenfinden koumlnnen sind also Gase Fluumlssigkeiten und Festkoumlrper Die Frage ist nun unter welchen Bedingungen sich ein System fuumlr den ersten den zweiten oder den dritten Zustand entscheidet Erfahrungsgemaumlszlig haumlngt der gegebene Phasenzustand von den in Kapitel 31 eingefuumlhrten Zustandsparametern n V P und T ab Legt man die Stoffmenge n auf einen Wert fest (zB auf ein Mol Teilchen) und beruumlcksichtigt man dass nach den gegebenen Zustandsgleichungen die Groumlszligen n V P und T miteinander verknuumlpft sind so genuumlgen zwei Parameter um den jeweils guumlnstigsten Phasenzustand eindeutig festzulegen Ein Diagramm bei dem einer der Parameter V P und T gegen einen anderen aufgetragen wird eignet sich also prinzipiell um bei einer gegebenen Teilchenart den unter diesen Bedingungen jeweils angestrebten Phasenzustand zu markieren So kann man gemaumlszlig den Abbildungen 23 bis 25 in einem Diagramm bei dem P gegen V aufgetragen wird schon den jeweils gegebenen Phasenzustand eintragen und ablesen In der Praxis eignen sich solche PV-Diagramme allerdings wenig um Phasenzustaumlnde zu markieren der gasfoumlrmige Zustand nimmt einen sehr breiten Raum ein waumlhrend der fluumlssige und der feste Zustand in dem sehr engen Bereich links neben dem Zweiphasengebiet bdquoeingequetschtldquo waumlre Vor allem in diesem Umfeld waumlre das Diagramm schwer ablesbar

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Wesentlich guumlnstiger ist dagegen die Auftragung vom Druck P gegen die Temperatur T In diesem PT-Diagramm das auch als Phasendiagramm bezeichnet wird lassen sich alle Phasenzustaumlnde uumlbersichtlich zuordnen Dabei bezeichnen Flaumlchenanteile im PT-Diagramm die unter den gegebenen Druck- und Temperaturbedingungen angestrebte Phase (zB fest fluumlssig gasfoumlrmig) waumlhrend Linien die dazwischen vorliegenden Gleichgewichte markieren und Phasengrenzlinien genannt werden (Abb 28)

T

Pfe

st

fluumlss

ig

gasfouml

rmig

kritischerPunkt

Tripel-punkt

Phasengrenzlinie

Abb 28 Phasendiagramm mit Auftragung des Drucks (P) gegen die Temperatur (T)

Auszligerdem enthaumllt ein Phasendiagramm gewoumlhnlich mindestens zwei besonders ausgezeich-nete Punkte den Tripelpunkt an dem die drei im Allgemeinen wichtigsten Phasenzustaumlnde fest fluumlssig und gasfoumlrmig miteinander im Gleichgewicht stehen und den bereits aus dem PV-Diagramm bekannten kritischen Punkt der das Ende eines definierten Uumlbergangs zwischen fluumlssiger und gasfoumlrmiger Phase markiert Beispiele fuumlr Phasendiagramme Kohlen-dioxid und Wasser sind in Abbildung 29 und 30 wiedergegeben

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T

P

fest

fluumlss

iggasfoumlrmig

kritischerPunkt

Tripel-punkt

2168 K

511 bar

CO2

3042 K

728 bar

Abb 29 Phasendiagramm fuumlr Kohlendioxid

T

P

fluumlss

ig

gasfoumlrmig

kritischerPunkt

H2O

Eis 1

Eis 1

Eis 2 Eis 3

Eis 5

Eis 6

Tripelpunkt6473 K

218 bar

6 mbar 27316 K

Abb 30 Phasendiagramm fuumlr Wasser Der Bereich oberhalb von 200 bar ist aus Gruumlnden der

Uumlbersichtlichkeit entlang der P-Achse komprimiert dargestellt

Eine wichtige Besonderheit des Phasenverhaltens von Wasser ist die Tatsache dass die Phasengrenzlinie zwischen fluumlssigem Wasser und Eis 1 eine negative Steigung aufweist Dies hat zur Folge dass gewoumlhnliches Eis durch Erhoumlhung des Drucks zum Schmelzen gebracht werden kann Dieser Umstand ist eine der Ursachen dafuumlr dass eine Kufe auf Eis gleitet da der durch das Schmelzen entstehende Wasserfilm die Reibung vermindert (allerdings spielt hier auch die Reibungswaumlrme eine Rolle) Der Grund fuumlr dieses Verhalten steht in direkter Verbindung mit der strukturbedingten Volumenabnahme beim Schmelzen von Eis (s Videos unter httpwwwyoutubecomwatchv=6s0b_keOiOU und httpswwwyoutubecomwatchv=CDTZoFGmZoc )

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Waumlhlt man in einem Phasendiagramm eine Kombination von Druck und Temperatur so kann man direkt denjenigen Phasenzustand ablesen den die gegebene Teilchenart unter diesen Bedingungen anstrebt Das heiszligt jedoch nicht dass dieser Zustand dann auch in jedem Fall und zu jeder Zeit vorliegt Haumlufig beobachtet man eine so genannte kinetische Hemmung einer Phasenumwandlung So gibt es unterkuumlhlte Fluumlssigkeiten (zB Regentropfen bei -3degC) genauso wie unterkuumlhlte Dampfphasen (zB uumlbersaumlttigten Wasserdampf in Gewitterwolken) oder uumlberhitzte Fluumlssigkeiten (zB uumlberhitztes Wasser bei einem Siedeverzug) Kristalli-sationskeime wie Staubkoumlrner koumlnnen Phasenumwandlungen beschleunigen (zB durch Staub verursachter bdquoIndustrieschneeldquo) Bisher wurden lediglich Phasendiagramme von reinen Stoffen betrachtet die nur aus einer einzelnen Sorte Atomen oder Molekuumllen bestehen Mischt man einem gegebenen Stoff eine weitere Komponente hinzu so aumlndert sich das Phasendiagramm erheblich Als Beispiel betrachten wir ein System in dessen fluumlssiger Phase ein Fremdstoff A geloumlst wird der weder im Festkoumlrper noch im der Gasphase loumlslich ist (zB Kochsalz in Wasser) In diesem Fall dehnt sich der fluumlssige Bereich des Phasendiagramms mit steigender Konzentration von A in alle Richtungen aus so dass gleichzeitig der Schmelzpunkt erniedrigt der Siedepunkt erhoumlht und der Dampfdruck verringert wird (Abb 31) In erster Naumlherung sind alle genannten Aumlnderungen proportional zu cA

T

P

fest

fluumlss

ig

gasfouml

rmig

Abb 31 Phasendiagramm fuumlr ein System in dessen fluumlssiger Phase ein Fremdstoff mit steigender

Konzentration cA geloumlst wird Der Bereich der fluumlssigen Phase dehnt sich daraufhin in alle

Richtungen aus

Bei weiter steigender Konzentration von A kann ein Punkt erreicht werden an dem die Mischung in zwei getrennte Bereiche zerfaumlllt die ebenfalls als Phasen bezeichnet werden (zB Olivenoumll und Wasser) Eine dieser Phasen besitzt dann einen hohen Loumlsemittelanteil bei geringer Konzentration von A die andere besteht aus einem hohen Anteil an A mit einem geringen Gehalt an Loumlsemittel Dieser Vorgang der Phasenseparation binaumlrer (aus zwei Komponenten bestehender) Systeme wird durch eine andere Art von Phasendiagramm beschrieben dem so genannten Mischphasendiagramm (Abb 32) Hierbei wird die Tempe-

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ratur dem relativen Anteil einer Komponente gegenuumlbergestellt der Druck wird als konstant angenommen

Abb 32 Allgemeine Darstellung eines Mischphasendiagramms

Grundsaumltzlich gibt die linke Flanke der Phasentrennlinie (links des kritischen Punkts) die Zusammensetzung der bdquoA-armenldquo Phase an waumlhrend die rechte Flanke (rechts des kritischen Punkts) die Zusammensetzung der A-reichen Phase beschreibt Die Mengen der dabei gebildeten Phasen koumlnnen nach dem so genannten Hebelgesetz berechnet werden Demnach gilt zwischen dem Anteil n1 der A-armen Phase 1 dem Anteil n2 der A-reichen Phase 2 und den Laumlngen der Pfeile s1 und s2 in der vorhergehenden Abbildung folgender Zusammenhang

n1 s1 = n2 s2

Fuumlr das gezeigte Beispiel wuumlrde das bedeuten dass der Anteil der Phase 1 etwa doppelt so groszlig waumlre wie der Anteil der Phase 2 In der Naumlhe der beiden Raumlnder des Diagramms also fuumlr xA 0 (sehr wenig A im Loumlsemittel) oder xA 1 (sehr wenig Loumlsemittel in A) liegen in den meisten Faumlllen einphasige homogene Mischungen vor Das besagt dass auch bei niedrigen Temperaturen ein wenig von dem Stoff A im Loumlsemittel bzw ein wenig Loumlsemittel im Stoff A loumlslich ist Der im Diagramm eingezeichnete kritische Punkt bedeutet dass oberhalb der dazugehoumlrigen kritischen Temperatur keine Entmischung mehr erfolgt dh hier sind die beiden Komponenten vollstaumlndig und in jedem Verhaumlltnis miteinander mischbar Neben solchen oberen kritischen Punkten gibt es auch untere kritische Punkte Im zweiten Fall gilt dass die beiden Komponenten unterhalb einer bestimmten Temperatur in jedem Verhaumlltnis miteinander mischbar sind Im Allgemeinen koumlnnen die drei verschiedenen Faumllle auftreten die in Abbildung 33 dargestellt sind

0 Molenbruch xA der Komponente A 1

Tem

pera

tur

obere kritischeTemperatur

Einphasen-gebiet

Zweiphasen-gebiet

Beispiel xA = 04

T1

Zum gezeigten Beispiel

Eine Mischung mit dem Molenbruch xA = 04 wird von T2 nach T1 abgekuumlhltDabei zerfaumlllt die Mischung bei Tklsquo in zwei Phasen derenZusammensetzung bei T1auf der x-Achse an den Punkten 1 und 2 ablesbar ist

T2

Tklsquo

1 2

kritischer Punkt

s1 s2

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0 xA 1

Tem

pera

tur

System mit oberem kritischen Punkt

kritischer Punkt

0 xA 1Te

mpe

ratu

r

System mit unterem kritischen Punkt

kritischer Punkt

0 xA 1

Tem

pera

tur

System mit oberem und unterem

kritischen Punkt

kritischer Punkt

kritische Punkte

Abb 33 Moumlgliche Varianten von kritischen Punkten bei Systemen aus zwei Komponenten

Obere kritische Punkte findet man dann wenn sich die molekulare thermische Bewegung gegen die Tendenz der Molekuumlle sich mit gleichartigen Molekuumllen zusammenzulagern durchsetzt Dieses Phaumlnomen ist sehr verbreitet so dass ein oberer kritischer Punkt bei sehr vielen Mischphasen beobachtet wird Untere kritische Punkte sind sehr viel seltener Sie treten beispielsweise dann auf wenn die beiden Komponenten miteinander bei tiefen Temperaturen einen Komplex bilden der bei houmlheren Temperaturen wieder zerfaumlllt und dann zu einer Phasenseparation fuumlhrt Ein Beispiel dafuumlr ist die Mischung aus Wasser und Triethylamin

Fuumlr Mischphasen aus drei Komponenten so genannte ternaumlre Mischungen sind die bisher gezeigten Darstellungen ungeeignet Hierfuumlr haben sich Dreiecksdiagramme (Gibbssches Phasendreieck) durchgesetzt die das Phasenverhalten unter Variation der Mengenbeitraumlge aller drei Komponenten aufzeigen (Abb 34) Das Diagramm ist so geartet dass die Summe aller drei Mengenanteile xA xB und xC in jedem Fall den Wert 1 ergibt Damit besitzt die Zusammensetzung des ternaumlren Gemisches zwei Freiheitsgrade Jede Linie die durch eine Ecke des Diagramms fuumlhrt verbindet diejenigen Punkte bei denen das Verhaumlltnis zweier Komponenten gleich ist Jede Linie die parallel zu einer der drei Seiten verlaumluft entspricht Gemischen bei denen der relative Anteil einer Komponente gleich bleibt

00 02 04 06 08 10Komponente A

00

02

04

06

08

10

Kom

pone

nte

B

0002

04

06

08

10

Komponente C

C

A

B

00 02 04 06 08 10Komponente A

00

02

04

06

08

10

Kom

pone

nte

B

00

02

04

06

08

10

Komponente C

x1

x2x

Abb 34 Prinzip eines ternaumlren Phasendiagramms nach Gibbs (Dreiecksdiagramm)

In solche ternaumlren Mischphasendiagramme lassen sich nun entsprechend den binaumlren Mischphasendiagrammen die Ein- und Zweiphasengebiete einzeichnen Das Diagramm in

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Abb 34 rechts gilt zB fuumlr eine ternaumlre Mischung aus A B und C bei der die Komponenten A und B sowie B und C jeweils paarweise in jedem Verhaumlltnis miteinander mischbar sind Die Komponenten A und C sollen dagegen nur begrenzt mischbar sein Als Konsequenz daraus ergibt sich ein Dreiecksdiagramm das an der unteren Achse die dem Anteil 0 der Komponente B entspricht ein Zweiphasengebiet aufweist

Die Hilfslinien im Zweiphasengebiet markieren die Zusammensetzung der entstehenden Einzelphasen So wuumlrde beispielsweise eine Mischung deren Zusammensetzung im Diagramm durch den Punkt x markiert ist in die beiden Phasen x1 und x2 zerfallen Die Mengenanteile der beiden Phasen koumlnnten dabei wieder uumlber das Hebelgesetz berechnet werden Um zusaumltzlich den Einfluss der Temperatur wiederzugeben muss eine weitere Koordinate eingefuumlhrt werden Man erhaumllt dabei ein dreidimensionales Dreiecksdiagramm das haumlufig unter Verwendung von Houmlhenlinien nach der Art einer topographischen Landkarte dargestellt wird Jede Houmlhenlinie des Zweiphasengebiets umschreibt dann seine Ausdehnung bei einer gegebenen Temperatur

Fragt man bei einem System mit bestehenden Randbedingungen nach der Zahl der frei variierbaren Zustandsgroumlszligen also nach der Zahl der Freiheitsgrade so haumlngt die Antwort zunaumlchst davon ab in welchem Phasenzustand sich das System befindet So kann man beispielsweise in der Gasphase (bei festgelegter Stoffmenge) Temperatur und Druck frei waumlhlen wodurch dann automatisch das Volumen festgelegt wird Gleiches gilt fuumlr die feste und die fluumlssige Phase Das System hat innerhalb eines Phasenzustands also zwei Freiheits-grade Setzt man allerdings voraus dass sich das System in einem Gleichgewicht zwischen zwei Phasen befindet (zB auf der Verdampfungslinie) so besitzt es nur einen Freiheitsgrad Am Tripelpunkt schlieszliglich bei einem Gleichgewicht zwischen drei Phasen sind keine Freiheitsgrade mehr vorhanden Zwischen der Zahl der Phasen P und der Zahl der Freiheitsgrade F gibt es also folgende einfache Beziehung

F = 3 - P

Beruumlcksichtigt man weiter dass auch mehr als eine Komponente auftreten kann (Zahl der Komponenten C gt 1) so erhoumlht sich die Zahl der Freiheitsgrade um jede zusaumltzliche Komponente deren Konzentration ja frei waumlhlbar ist um den Wert eins Man erhaumllt damit

F = 3 - P + (C - 1) oder F = C - P + 2

Nach dieser allgemeinguumlltigen Formel der so genannten Gibbsrsquoschen Phasenregel laumlsst sich die Zahl der Freiheitsgrade in jedem beliebigen System bestimmen Sie erlaubt insbesondere bei sehr komplizierten Mischungen mit einer unbekannten Anzahl an Phasenzustaumlnden uumlber eine einfache Betrachtung Ruumlckschluumlsse auf deren Phasenverhalten

Page 2: Vorlesung PC I Einführung in die Physikalische Chemierelaxation.chemie.uni-duisburg-essen.de/lehre/Skript_PC_2016_2017.pdf · Schwingungen möglich, deren Geometrie (d.h. die Zahl

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1 Chemie die Physik der Elektronen in Atomen und Molekuumllen 11 Das Elektron als Elementarteilchen

Das zentrale Elementarteilchen das alle Vorgaumlnge in der Chemie dominiert ist eindeutig das Elektron Die chemischen Eigenschaften jedes Elements und jeder Verbindung der Ablauf chemischer Reaktionen und alle Phaumlnomene die mit chemischen Reaktionen verbunden sind werden nahezu ausschlieszliglich durch Vorgaumlnge im Bereich der Elektronenhuumlllen bestimmt Kurz das Elektron ist der Schluumlssel zum Verstaumlndnis der Chemie Tatsaumlchlich koumlnnte man mit einiger Berechtigung sagen die Chemie sei die Wissenschaft uumlber das Verhalten von Elektronen zwischen Atomen und Molekuumllen Daher besteht der erste notwendige Schritt zum tieferen Verstaumlndnis chemischer Vorgaumlnge in dem Erfassen aller Eigenschaften und Phaumlno-mene dieses Elementarteilchens Das Elektron (haumlufig mit dem Symbol e- bezeichnet) ist neben seinem Antiteilchen dem Positron nach heutigem Kenntnisstand das leichteste elektrisch geladene Elementarteilchen Es besitzt keine bekannte Unterstruktur gehoumlrt zu den Leptonen (s Abb 1) und ist damit wie die so genannten Quarks und das neu entdeckte Higgs-Boson ein bdquoechtesldquo Elementarteilchen Es gilt als absolut stabil besitzt jedoch mindestens eine Lebensdauer von 1024 Jahren

Abb 1 Das Elektron als Schluumlsselteilchen in der Chemie und seine Rolle unter den Elementarteilchen (aus Dave Fehling The Standard Model of Particle Physics)

Im Folgenden werden nun einzelne wichtige Eigenschaften des Elektrons betrachtet die fuumlr chemische Belange von Bedeutung sind

12 Die Ladung des Elektrons

Die Ladung des Elektrons wurde im Jahr 1911 von dem Physiker Millikan gemessen wofuumlr er 1923 den Nobelpreis erhielt Bei dem Versuch werden Oumlltropfen in eine evakuierte Kammer zwischen zwei Elektroden gespruumlht und durch ionisierende Strahlung elektrisch aufgeladen (Abb 2) Die Ladung von einzelnen Tropfen resultiert dabei aus mehreren im Idealfall nur aus einem einzelnen Uumlberschusselektron Die Bewegungen der Tropfen werden anschlieszligend mit einem Mikroskop beobachtet Durch Einstellung der Spannung zwischen den Elektroden kann das Absinken der Troumlpfchen gestoppt werden Uumlber das dann vorhandene Kraumlfte-gleichgewicht zwischen elektrostatischer Kraft und Gravitationskraft erhaumllt man schlieszliglich die Ladung der Elektronen Sie betraumlgt nach heutiger Kenntnis e = -1602176565∙10-19 C

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Dabei steht bdquoCldquo fuumlr die Einheit der Ladung das bdquoCoulombldquo und entspricht der Ladung die bei einem Strom von einem Ampegravere in einer Sekunde bewegt wird

Abb 2 Millikan-Versuch zur Bestimmung der Elektronenladung Robert Millikan 1891 Video unter httpwwwyoutubecomwatchv=XMfYHag7Liw

13 Die Masse des Elektrons

Die Masse des Elektrons laumlsst sich bei bekannter Ladung durch die Beschleunigung des Elektrons in einem elektrischen Feld bestimmen So kann man in einer Vakuumroumlhre einen Elektronenstrahl erzeugen der auf einem gegenuumlberliegenden Fluoreszenzschirm einen hellen Fleck hervorruft Der Strahl kann nun durch das Anlegen von elektrischen Feldern abgelenkt werden wodurch zum Beispiel ein bewegtes Bild entstehen kann (Braunsche Roumlhre) Aus der Geschwindigkeit der Elektronen und der Ablenkung des Elektronenstrahls bei einer gegebenen elektrischen Ladung kann man so die Masse des Elektrons ermitteln Die so genannte Ruhemasse des Elektrons (Masse bei v = 0) betraumlgt me = 910938291∙10-31 kg Video unter httpwwwyoutubecomwatchv=nRRwHjRrAjo

14 Der Radius des Elektrons

Der Radius des Elektrons ist eine eher hypothetische Groumlszlige Er leitet sich aus dem Radius eines gedachten kugelfoumlrmigen Kondensators ab der bei einer Aufladung mit der oben genannten Elementarladung genau diejenige Energie besitzt die nach Einstein (bdquoE = mcsup2ldquo) der Ruhemasse des Elektrons zukommt Mittels dieser Betrachtung kommt man fuumlr das Elektron auf einen Radius von re = 2817940∙10-15 m

15 Die Doppelnatur des Elektrons und der eindimensionale Potentialtopf

Bis zu diesem Punkt kann man also Elektronen als kugelfoumlrmige Teilchen mit einer Ladung e einer Masse me und einem Radius re betrachten Tatsaumlchlich gibt es Experimente bei denen sich ein Elektron genau wie solch ein klassisches Teilchen verhaumllt Finden zum Beispiel elastische Stoumlszlige zwischen Elektronen statt so verhalten sie sich in guter Naumlherung wie Billardkugeln die Gesamtenergie der beiden Teilchen bleibt uumlber den Stoszligvorgang hinweg konstant der Vorgang laumlsst sich wie ein mechanischer Stoszlig zwischen zwei Teilchen beschreiben (Abb 3 links) Solche Vorgaumlnge laufen zum Beispiel ab wenn Materie in einem Elektronenmikroskop untersucht wird Dabei treten so genannte Sekundaumlrelektronen auf die aus elastischen Stoumlszligen resultieren Es gibt jedoch auch ein ganz anderes Phaumlnomen das allen Vorstellungen von teilchenartigen Elektronen zu widersprechen scheint das der Elektronenbeugung Schickt man einen Strahl von Elektronen durch einen engen Spalt so findet man auf einem dahinter montierten Fluoreszenzschirm nicht wie man erwarten sollte eine einzelne helle Linie sondern ein ganzes Linienmuster (Abb 3 rechts) Dieses besteht aus einer zentralen Linie die von einer

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Reihe benachbarter paralleler Linien mit abnehmender Intensitaumlt begleitet wird Ein solches Beugungsmuster beobachtet man gewoumlhnlich bei sich wellenartig ausbreitenden Energie-formen (zB bei Licht) nicht aber bei festen Partikeln

Louis de Broglie (1924)

Abb 3 a) Elastischer Stoszlig zwischen Elektronen b) Beugung von Elektronen an einem Spalt

Der erste der aus dieser Beobachtung die Hypothese der Doppelnatur der Elektronen ableitete war der Physiker Louis de Broglie Er postulierte dass ein Elektron sich so verhaumllt als waumlre es ein Partikel und gleichzeitig () eine Welle Dabei kann fuumlr sich allein weder die Vorstellung eines Elektrons als Partikel noch die Vorstellung als Welle das Verhalten des Elektrons vollstaumlndig beschreiben Erst beide Modelle gemeinsam vermoumlgen das Bild des Elektrons sinnvoll wiederzugeben Dies sei an einem Beispiel dargestellt ein Elektron halte sich in einem eindimensionalen Bereich zwischen zwei reflektierenden Flaumlchen auf Diese Situation wird als eindimensionaler Potentialtopf bezeichnet Betrachtet man das Elektron als Teilchen so kann man es sich als kleine Kugel vorstellen die zwischen zwei Flaumlchen ruht (Abb 4a) Betrachtet man es als Welle so gleicht es einem Lichtstrahl zwischen zwei Spiegeln (Abb 4b) Fuumlr sich gesehen koumlnnte das Elektron nach beiden Modellen beliebige Energien besitzen die jeweils zeitlich konstant sind

Abb 4 Eindimensional bewegliches Elektron zwischen zwei reflektierenden Waumlnden a) Vorstellung als Teilchen (links) b) Vorstellung als Welle (rechts) Dieser Zustand wird als eindimensionaler Potentialtopf oder als bdquoParticle-in-a-boxldquo bezeichnet

Beide Vorstellungen die einigermaszligen gegensaumltzlich sind muumlssen nun unter einen Hut ge-bracht werden das Elektron muss sie gleichzeitig () erfuumlllen Mathematisch gesehen formu-liert man damit eine Gleichung bei der auf der einen Seite die Eigenschaft des Teilchens auf der anderen Seite die der Welle steht Angewandt auf die Eigenschaft Energie lautet sie damit in etwa

Energie des Elektrons als Teilchen = Energie des Elektrons als Welle

Sollen beide Modelle gleichzeitig gelten so kann das Elektron nur noch solche Zustaumlnde einnehmen bei der diese Gleichung exakt erfuumlllt ist Diese bdquozulaumlssigenldquo Zustaumlnde kann man sich bei dem genannten Beispiel als bdquostehende Wellenldquo zwischen den beiden reflektierenden Waumlnden vorstellen Dies waumlre etwa vergleichbar mit einer Gitarrensaite die zwischen den beiden Waumlnden gespannt ist und zum Schwingen gebracht wird Es sind dann nur bestimmte

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Schwingungen moumlglich deren Geometrie (dh die Zahl der Wellenberge Wellentaumller und Knotenpunkte) sowie Energie (dh die Schwingungsfrequenz) genau definierte von einer gewissen Regelmaumlszligigkeit gekennzeichnete Werte aufweisen muumlssen (Abb 5) Die in Abbildung 5 gezeigten Diagramme markieren Momentaufnahmen von drei der Wellenfunktionen Ψ(x) die Loumlsungen der obigen Gleichung darstellen Der Wert Ψ(x) kann dabei positiv negativ oder null (dh oberhalb unterhalb oder auf der gestrichelten Linie) sein Im letzteren Fall spricht man von den bereits erwaumlhnten Knotenpunkten der Funktion Die Wahrscheinlichkeit das Elektron als Teilchen in der Umgebung des Ortes x aufzufinden ist proportional zur Wellenfunktion im Quadrat p(xplusmnΔx) ~ Ψsup2(x) Eine wichtige Randbedingung ist dabei die Forderung dass die Aufenthaltswahrscheinlichkeit des Elektrons an den beiden Waumlnden null ist dort muumlssen also zwangslaumlufig Knotenpunkte liegen Fuumlr den Fall des eindimensionalen Elektrons in einem stationaumlren (dh zeitlich nicht veraumlnderlichen) Zustand ergeben sich dann die in Abbildung 5 angedeuteten Loumlsungen des Problems Der Wert n benennt die einzelnen Loumlsungen (Loumlsung 1 Loumlsung 2 hellip Loumlsung n) und wird auch als Quantenzahl bezeichnet Abb 5 zeigt nur die drei Zustaumlnde mit der niedrigsten Energie und den Quantenzahlen n = 1 2 und 3 es gibt aber prinzipiell unendlich viele Loumlsungen Jede einzelne Loumlsung wird als ein bdquoOrbitalldquo bezeichnet und vermag zwei Elektronen aufzunehmen Die Wellenfunktionen besitzen abseits der reflektierenden Waumlnde jeweils (n-1) Knotenpunkte und eine mit dem Wert n ansteigende Energie Alle Eigenschaften des Elektrons koumlnnen nun aus der jeweils guumlltigen Wellenfunktion Ψn(x) ermittelt werden

etcn = 3

n = 2

n = 1

Ener

gie

usw

a

E = nsup2hsup28masup2

Abb 5 Eindimensional bewegliches Elektron zwischen zwei reflektierenden Waumlnden Moumlgliche Zustaumlnde unter Ansatz des Welle-Teilchen-Modells Gezeigt sind die drei Zustaumlnde mit niedrigster Energie Weitere Zustaumlnde mit n gt 3 besitzen entsprechend houmlhere Zahlen an Knotenpunkten und houmlhere Energie Die Energie kann uumlber die einfache Formel rechts berechnet werden (mit h als der Planckschen Konstante und m als Masse des Elektrons) Jede Wellenfunktion vermag zwei Elektronen aufzunehmen und wird als Orbital bezeichnet Eine sehr schoumlne Animation findet man in Wikipedia unter httpenwikipediaorgwikiParticle_in_a_box

Die bislang anschaulich formulierte Gleichung Energie des Elektrons als Teilchen = Energie des Elektrons als Welle

laumlsst sich fuumlr die Wellenfunktion Ψ(x) im eindimensionalen Potentialtopf auch mathematisch darstellen und lautet dann nach Erwin Schroumldinger (ohne Herleitung und weitere Erklaumlrung)

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idxd

m sup2sup2

2sup2

Erwin Schroumldinger

Diese sehr wichtige Gleichung (sie braucht an dieser Stelle im mathematischen Sinne noch nicht verstanden zu werden) wird als Schroumldinger-Gleichung bezeichnet und besitzt die in Abbildung 5 gezeigten Loumlsungen Ψn(x) mit n = 1 2 3 hellip Diesen Zustaumlnden zugeordnet sind die Energieniveaus 1 2 3 hellip zwischen denen keine weiteren Zustaumlnde moumlglich sind Man sagt die Energie des Elektrons ist bdquogequanteltldquo Der Wert fuumlr E(n) ist proportional zu nsup2 (s Formel in Abb 5 rechts) die Abstaumlnde zwischen aufeinanderfolgenden Energieniveaus werden damit mit steigendem n groumlszliger Der noch recht einfache Fall des eindimensional beweglichen Elektrons hat durchaus eine realistische Entsprechung in der Chemie er beschreibt in sehr guter Naumlherung das Verhalten der Elektronen in Molekuumllen mit alternierenden einfach- und Doppelbindungen zB in Butadien CH2=CH-CH=CH2 oder in β-Carotin

Bei einem solchen Molekuumll kann man durch einfaches Abzaumlhlen die Zahl der Elektronen bestimmen die sich innerhalb des Delokalisationsgebiets befinden (pro Doppelbindung sind es zwei) Anschlieszligend besetzt man die Orbitale des eindimensionalen Potentialtopfes mit aufsteigender Reihenfolge fuumlr jedes n jeweils doppelt Bei dem gezeigten β-Carotin besetzen die vorhandenen 22 Elektronen des Delokalisationsgebiets damit im Grundzustand die ersten 11 Orbitale (mit n = 1 bis 11) Das Orbital mit n = 12 bleibt (wie alle anderen mit n gt 11) unbesetzt Die Energie jedes einzelnen Zustands kann uumlber die einfache Gleichung in Abb 5 rechts berechnet werden Entscheidend ist dabei die Laumlnge a des Potentialtopfes Auch zeigt sich hier die Bedeutung der Masse des Elektrons

16 Das Wasserstoffatom

In den meisten Faumlllen ist das Problem ein Elektron in einem Atom oder Molekuumll zu beschreiben wesentlich komplizierter Dazu gehoumlrt schon der allereinfachste Fall der bei einem Atom gegeben ist die Beschreibung des einzelnen Elektrons in einem Wasserstoff-atom Die im Wasserstoffatom gegebene Situation wird durch die Gegenwart des positiv geladenen Kerns (eines einzelnen Protons) bestimmt Das Elektron wird mit seiner negativen Ladung durch den Kern angezogen und das umso staumlrker je naumlher es ihm kommt Das Elektron befindet sich damit in einem zentrosymmetrischen elektrischen Feld in dem es eine umso

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houmlhere potentielle Energie besitzt je weiter es sich vom Kern entfernt Die Situation ist ein wenig vergleichbar mit der eines Planeten der sich um die Sonne bewegt Haumltte das Elektron nur eine Teilchennatur so koumlnnte es einfach zum Kern stuumlrzen und dort auf dem Zustand niedrigster Energie verharren Dies allerdings wird durch die Wellennatur des Elektrons bdquoverbotenldquo die es sozusagen zwingt eine Art stehende Welle um den Kern herum aufzubauen Fuumlr diese bdquostehende Welle um den Kern herumldquo gibt es verschiedene Loumlsungen die als Orbitale bezeichnet werden Deren Berechnung folgt wieder der Gleichung

Energie des Elektrons als Teilchen = Energie des Elektrons als Welle

die mathematisch als Schroumldinger-Gleichung des dreidimensionalen Raums folgende Form besitzt (auch hier die Mathematik der Gleichung sei an dieser Stelle noch nicht relevant)

irV

zyxm)(

sup2sup2

sup2sup2

sup2sup2

2sup2

Auch hier soll nicht auf die Details der Gleichung eingegangen werden Wichtig ist nur dass nun alle drei Raumrichtungen x y und z eine Rolle spielen Daruumlber hinaus kommt auch die potentielle Energie im elektrischen Feld des Kerns mit ins Spiel die als V(r) eingefuumlhrt wird und kontinuierlich mit groumlszliger werdendem r ansteigt Dadurch werden auch die Loumlsungen dieser Gleichung die nun Ψn lms (xyzt) heiszligen wesentlich komplizierter und vielfaumlltiger Im Gegensatz zu den Loumlsungen Ψn(xt) fuumlr ein eindimensional bewegliches Elektron gibt es nun mitunter fuumlr eine einzelne Quantenzahl n mehrere Loumlsungen Um alle diese Loumlsungen zu erfassen werden neben der (Haupt-)Quantenzahl n weitere Quantenzahlen eingefuumlhrt die wieder nur eine Rolle als benennende Indizes spielen Der vollstaumlndige Satz Quantenzahlen der zur Benennung eines elektronischen Zustands noumltig ist lautet nun

Hauptquantenzahl n mit n = 1 2 3 4 hellip

Nebenquantenzahl l mit l = 0 1 2 hellip (n-1)

Magnetische Quantenzahl m mit m = - l hellip 0 hellip+ l

Spinquantenzahl s mit s = +12 und s = -12

Die zehn ersten moumlglichen Kombinationen von Quantenzahlen (n l m s) des Wasserstoff-elektrons lauten damit (100+12) (100-12) (200+12) (200-12) (21-1+12) (21-1-12) (210+12) (210-12) (21+1+12) (21+1-12) Fuumlr houmlhere Hauptquantenzahlen n gt 2 werden die moumlglichen Kombinationen von Quantenzahlen immer zahlreicher Jedem Satz von Quantenzahlen ist genau ein elektronischer Zustand und genau ein Energieniveau zugeordnet Die Energie jedes Zustands wird bei Wasserstoff im feldfreien Raum allein durch die Hauptquantenzahl bestimmt wobei der Wert in der Folge n = 1 2 3 4hellip kontinuierlich aber mit sinkender Schrittweite waumlchst Das Energieschema weist also bezuumlglich der Quantenzahl n einen groszligen Unterschied zu dem des eindimensionalen Potentialtops auf waumlhren die Abstaumlnde zwischen E(n) und E(n+1) beim Potentialtopf mit steigendem n immer groumlszliger werden so werden sie beim Wasserstoff immer kleiner Der Grenzwert von E fuumlr n gegen unendlich wird beim Wasserstoff Ionisierungsenergie genannt

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Die Energie ist beim Wasserstoff (im Gegensatz zu allen anderen Elementen) voumlllig unab-haumlngig von den weiteren Quantenzahlen obwohl die Wellenfunktionen sehr unterschiedlich aussehen koumlnnen Man nennt solche Zustaumlnde mit unterschiedlicher Wellenfunktion aber gleicher Energie entartet Ein Beispiel fuumlr entartete Zustaumlnde waumlren also die Wellen-funktionen mit den Quantenzahlsaumltzen (200-12) und (21-1-12) Wie lassen sich die verschiedenen Zustaumlnde nun anschaulich darstellen Am besten gelingt das indem man die Bereiche innerhalb derer die Wellenfunktion einen bestimmten Betrag besitzt raumlumlich abbildet In Abbildung 6 ist dies fuumlr die Wellenfunktionen mit den Quantenzahlen n = 1 bis 7 fuumlr l = 0 bis 2 und fuumlr m = 0 bis 2 zeichnerisch umgesetzt worden

Abb 6 Darstellung der elektronischen Wellenfunktionen des Wasserstoffatoms fuumlr die Quantenzahlen n = 1 bis 7 fuumlr l = 0 bis 2 und fuumlr m = 0 bis 2 Aus Gruumlnden der Vergleichbarkeit sind alle Orbitale in gleicher Groumlszlige dargestellt (ansonsten muumlsste die Groumlszlige mit der Quantenzahl n ansteigen) Der Atomkern befindet sich jeweils im Schwerpunkt jeder Orbitalstruktur Die Farbe Orange bedeutet ein positives die Farbe Blau ein negatives Vorzeichen der Wellenfunktion (aus httpchemlinksbeloiteduStarspagesorbitalshtml)

Die raumlumlichen Strukturen die durch die drei Quantenzahlen n l und m festgelegt werden heiszligen Orbitale Grob zusammenfassend kann man sagen dass im Wasserstoffatom die Hauptquantenzahl n die Groumlszlige die Nebenquantenzahl l die Form und die magnetische Quantenzahl m die Ausrichtung der Orbitale bestimmt Da die Quantenzahl s dann noch jeweils zwei Einstellungen besitzt die im Uumlbrigen keinen Einfluss auf die Gestalt der Orbitale nehmen kann jedes dieser Orbitale zwei moumlgliche elektronische Zustaumlnde enthalten (mit s = +12 und s = -12) Alle in Abbildung 6 dargestellten Strukturen repraumlsentieren damit

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moumlgliche Aufenthaltsbereiche fuumlr je zwei verschiedene Zustaumlnde die das Elektron in Wasserstoff einnehmen kann

Die Orbitale mit der Nebenquantenzahl l = 0 heiszligen s-Orbitale Sie besitzen grundsaumltzlich eine kugelsymmetrische Gestalt eine von n abhaumlngige Groumlszlige und keine Ausrichtung Die Orbitale mit der Nebenquantenzahl l = 1 heiszligen p-Orbitale Sie besitzen grundsaumltzlich die Gestalt einer Hantel und ebenfalls eine von n abhaumlngige Groumlszlige Ihre Ausrichtung folgt der x- der y- und der z-Achse verbunden mit den magnetischen Quantenzahlen m = -1 0 oder +1 Die Orbitale mit der Nebenquantenzahl l = 2 heiszligen d-Orbitale und besitzen abhaumlngig von der magnetischen Quantenzahl m kompliziertere Formen und Richtungen Anschaulich sollte man von der Vorstellung Abstand nehmen das Orbital sei ein Volumen innerhalb dessen das Elektron als Teilchen rotiere Vielmehr sollte man das Orbital als eine Art Schwingungsfigur betrachten aumlhnlich wie das Vibrationsbild einer schwingenden Saite Dann macht auch die Tatsache einen Sinn dass die Wellenfunktion einen positiven und einen negativen Wert besitzen kann dieser deutet dann auf die Richtung einer Auslenkung hin entsprechend einer Gitarrensaite die man ebenfalls in zwei verschiedene Richtungen auslenken koumlnnte Erst das Quadrat der Wellenfunktion macht dann eine Aussage uumlber den moumlglichen Aufenthaltsort des Elektrons als Teilchen Moumlchte man wissen mit welcher Wahrscheinlichkeit das Elektron als Teilchen innerhalb eines bestimmten Teilvolumens auftritt so muss man die Quadrate aller Ψ-Werte innerhalb dieses Teilvolumens aufaddieren (integrieren) Integriert man Ψsup2 uumlber das gesamte Volumen des Atoms (das nebenbei gesagt theoretisch unendlich groszlig ist) so resultiert der Wert eins da das Elektron zwangslaumlufig irgendwo sein muss Diese Voraussetzung stellt die Normierungsbedingung dar die jede der Wellenfunktionen des Wasserstoffatoms erfuumlllen muss Sehr schoumlne raumlumliche Abbildungen zu den Elektronenorbitalen des Wasserstoffs finden sich auf der Homepage des Instituts fuumlr Theoretische Chemie der Universitaumlt Sheffield (httpwintergroupshefacukorbitron )

17 Atome mit mehreren Elektronen

Im Falle von Mehrelektronensystemen wie Helium- Lithium- oder Beryllium- sowie allen weiteren Atomen sind die Verhaumlltnisse ungleich komplizierter Hier muumlssten in der Schroumldin-gergleichung auch die elektrostatischen Wechselwirkungen der Elektronen untereinander be-ruumlcksichtigt werden Da aber der Ort aller Elektronen (anders als der des als ruhend angenom-menen Kerns) nur uumlber Wellenfunktionen beschrieben werden kann wuumlrde die dazugehoumlrige Schroumldingergleichung schon fuumlr ein Zweielektronensystem uumlbermaumlszligig kompliziert Deshalb verwendet man folgende vereinfachende Naumlherung man fasst in Gedanken den Atomkern mit allen uumlbrigen Elektronen (also allen Elektronen bis auf das eine dessen Wellenfunktion man gerade ermitteln moumlchte) zusammen und erhaumllt so ein neues fiktives Teilchen dessen Ladung (bei neutralen Atomen) stets den Wert plus eins besitzt Der Ort dieses fiktiven Teilchens ist aufgrund der Symmetrie der Elektronenverteilung zum Kern stets identisch mit dem Ort des Kerns Damit verwandelt sich jedes Atom bei der Betrachtung eines einzelnen Elektrons in ein fiktives Wasserstoffatom und man kann alle Orbitale des Mehrelektronenatoms auf die Wasserstofforbitale zuruumlckfuumlhren Diese Naumlherungsloumlsung ist sehr praktisch hat allerdings ihre Grenzen So koumlnnen viele Gesetzmaumlszligigkeiten die fuumlr das Wasserstoffatom noch gelten nicht beibehalten werden So haumlngt bei Mehrelektronensystemen beispielsweise die Energie eines Orbitals nicht mehr nur von der Hauptquantenzahl n sondern zumindest auch von der Nebenquantenzahl l ab da hier der Einfluss der uumlbrigen Elektronen des Atoms zum Tragen kommt Mit der oben beschriebe-

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nen Naumlherung ist diese Beobachtung nicht mehr vorhersagbar da die Wechselwirkung zwi-schen den Elektronen ignoriert wird

Bei der Besetzung eines Mehrelektronensystems ist zunaumlchst einmal das Pauli-Prinzip zu beachten Dieses Gesetz wird auch Ausschlussprinzip genannt und bedeutet dass zwei Elek-tronen die sich im gleichen Raum aufhalten niemals Wellenfunktionen mit identischen Quantenzahlen belegen duumlrfen Anders gesagt alle Wellenfunktionen die von den in einem gemeinsamen Volumen (also zB in einem Atom) vorhandenen Elektronen besetzt werden muumlssen sich in wenigstens einer der vier Quantenzahlen unterscheiden In erster Konsequenz bedeutet dies dass Materie nicht von anderer Materie durchdrungen werden kann (sonst wuumlrden sich zum Beispiel notwendigerweise irgendwo zwei Elektronen mit den Quanten-zahlsaumltzen (100-12) im selben Volumen begegnen) Dies hat aber auch zur Folge dass ein Orbital mit den drei Quantenzahlen n l und m nur genau zwei Elektronen (mit s = +12 und -12) beherbergen darf

Wolfgang Pauli Friedrich Hund

Abb 7 Darstellung der Besetzungsreihenfolge bezuumlglich der Haupt- und Nebenquantenzahlen bei Mehrelektro-nensystemen Nacheinander wird dabei den von oben nach unten versetzten Pfeilen in der angegebenen Richtung gefolgt Man erhaumllt somit das Besetzungsschema 1s - 2s - 2p - 3s - 3p - 4s - 3d - 4p - 5s - hellip usw

Die Reihenfolge mit der die Haupt- und Nebenquantenzahlen besetzt werden ist durch die so genannte Aufbauregel festgelegt Diese bestimmt die Belegung der Orbitale so wie sie durch die Folge der untereinander versetzten Pfeile in Abbildung 7 dargestellt ist (s oben)

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Bezuumlglich der uumlbrigen Quantenzahlen m und s gilt es den drei Hundschen Regeln zu folgen (Anmerkung in der Literatur ist auch manchmal von vier Hundschen Regeln die Rede wobei sich dann aber die vierte aus den anderen drei ergibt) Die erste Hundsche Regel nennt man in der angelsaumlchsischen Literatur auch bildhaft die bdquobus-seat-ruleldquo Aumlhnlich wie unabhaumlngige Reisende die Zweierreihen eines Busses zunaumlchst alle jeweils einzeln belegen so versuchen auch die Elektronen zunaumlchst alle Varianten der mag-netischen Quantenzahl m einfach zu besetzen Alle diese ungepaarten Elektronen weisen dann dieselbe Spinquantenzahl (s = 12) auf So werden beispielsweise bei den p-Orbitalen immer erst alle drei Orbitale mit m = 1 0 und -1 (jeweils mit s = 12) einfach besetzt Die zweite Hundsche Regel besagt dass das Orbital mit dem groumlszligten Wert fuumlr m (unter Beachtung der ersten Hundschen Regel) immer zuerst besetzt wird Die einfache Besetzung nach der ersten Hundschen Regel beginnt also stets mit m = l danach folgt m = (l - 1) usw Die weitere Besetzung der Orbitale mit einem jeweils zweiten Elektron mit umgekehrtem Spin (s = -12) findet danach in derselben Reihenfolge statt Die dritte Hundsche Regel beschreibt lediglich das Verhalten eines Mehrelektronensystems im Magnetfeld hat aber auf die Reihenfolge der Besetzung der Orbitale keinen Einfluss und braucht daher an dieser Stelle noch nicht beruumlcksichtigt zu werden Das insgesamt resultierende Besetzungsschema wird in der Chemie haumlufig in der so genannten Kaumlstchenschreibweise dargestellt Fuumlr die Nebenquantenzahlen von 0 bis 2 besitzt es unter Beachtung der Hundschen Regeln die folgende Struktur

Abb 8 Darstellung der Besetzungsreihenfolge bezuumlglich der magnetischen Quantenzahl und der Spinquanten-zahl bei Mehrelektronensystemen Jeder aufwaumlrts gerichtete Pfeil steht fuumlr eine Elektronenfunktion mit s = +12 (paralleler Spin) jeder abwaumlrts gerichtete Pfeil fuumlr eine Elektronenfunktion mit s = -12 (antiparalleler Spin)

Betrachten wir einmal denjenigen Radius eines Atoms der bei der direkten Beruumlhrung zweier Atome relevant wird Zunaumlchst koumlnnte man annehmen dass dieser Atomradius mit steigender Zahl an Elektronen grundsaumltzlich groumlszliger werden sollte Innerhalb einer Periode ist aber uumlberraschenderweise das Gegenteil der Fall wie aus folgenden Werten hervorgeht

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Lithium (3 Elektronen) Atomradius 152 pm Beryllium (4 Elektronen) Atomradius 112 pm Bor (5 Elektronen) Atomradius 88 pm Kohlenstoff (6 Elektronen) Atomradius 77 pm Stickstoff (7 Elektronen) Atomradius 70 pm Sauerstoff (8 Elektronen) Atomradius 66 pm Fluor (9 Elektronen) Atomradius 64 pm

Die Ursache hierfuumlr liegt in der staumlrkeren Ladung des Kerns und dem daraus folgenden steileren Potentialverlauf V(r) Die wachsende Ladung des Kerns komprimiert in zuneh-mendem Maszlige die Groumlszlige des Atoms Ein Fluoratom misst trotz der dreifachen Elektronenzahl weniger als die Haumllfte eines Lithiumatoms Vergleicht man allerdings die Atome von aufeinanderfolgenden Perioden innerhalb einer Gruppe (zB in der Reihe Li ndash Na ndash K ndash hellip) so findet man in den meisten Faumlllen den zu erwartenden Groumlszligenanstieg

18 Chemische Bindungen und Molekuumlle

Mit den Loumlsungen der Schroumldingergleichung des Wasserstoffatoms mit der Einfuumlhrung der Orbitale und mit der Beruumlcksichtigung der Besetzungsregeln haben wir nun ein relativ um-fassendes Bild von den Grundbausteinen der Chemie den Atomen Damit ergibt sich nun die Frage wie zwei oder mehr Atome miteinander wechselwirken koumlnnen Zunaumlchst ist zu klaumlren was eigentlich passiert wenn zwei Atome (Atom a und Atom b) immer naumlher zusammen-ruumlcken Eigentlich sollte man annehmen dass in diesem Fall die abstoszligenden Wechselwirkun-gen dominieren da sich bei dem direkten Kontakt zwischen den Atomen zunaumlchst nur die Elektronenhuumlllen beruumlhren sollte es zu einer starken elektrostatischen Abstoszligung kommen Zunaumlchst scheint die Bildung einer chemischen Bindung physikalisch wenig plausibel Trotz-dem existieren in der Natur drei moumlgliche Loumlsungen des Problems

a) Die Ionenbindung Hierbei geht ein oder mehrere Elektronen vollstaumlndig vom Atom a zum Atom b uumlber Dadurch wird das Atom a zum positiv geladenen Kation das Atom b zum negativ geladenen Anion Die anziehende elektrostatische Kraft bewirkt eine stabile Bindung

b) Die kovalente Bindung Es bilden sich zwischen zwei Atomen a und b gemeinsame Elektronenorbitale auf denen Elektronen sozusagen unter den beiden Bindungs-partnern aufgeteilt werden

c) Die metallische Bindung Es bildet sich ein Kontinuum aus sehr groszligen gemeinsa-men Elektronenorbitalen die sich uumlber ein atomares Gitter erstrecken Eine Vielzahl von Elektronen (das so genannte Elektronengas) wird dabei unter einer Vielzahl von Atomen aufgeteilt

Im Folgenden soll vor allem die Loumlsung b also die kovalente Bindung betrachtet werden da die anderen Bindungsformen (wie spaumlter gezeigt wird) auch als Grenzfaumllle dieser Loumlsung gelten koumlnnen Das bedeutet wir betrachten nun eine Situation bei der gemeinsame Orbitale zwischen (im einfachsten Fall) zwei Atomkernen existieren Um dafuumlr die Schroumldingergleichung zu loumlsen

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ist erneut eine Vereinfachung noumltig die als Born-Oppenheimer-Naumlherung gilt Dabei nimmt man an dass der Ort der beiden Atomkerne festgelegt ist obwohl die dazwischen befind-lichen Elektronen durch Wellenfunktionen beschrieben werden Dadurch erspart man sich die Komplikation eines moumlglicherweise zeitlich variablen Kernabstands Gerechtfertigt wird diese Naumlherung dadurch dass die Atomkerne um ein Vielfaches schwerer sind als die Elektronen ihre Bewegungen daher um ein Vielfaches langsamer Mit dieser Naumlherung fuumlhren wir nun folgendes Gedankenexperiment durch wir betrachten zwei Wasserstoffatome mit unendlichem Abstand zueinander Ihre Elektronen befinden sich beide im energetischen Grundzustand besitzen aber unterschiedlichen Spin so dass ihnen die beiden Quantenzahlsaumltze (100+12) und (100-12) zukommen Damit wird dem Pauli-Prinzip Genuumlge getan so dass die beiden Atome nun zusammengeruumlckt werden duumlrfen Je naumlher die beiden Atome einander kommen umso mehr bdquofuumlhltldquo das Elektron des einen Atoms den Kern des anderen so dass die Wellenfunktionen des ungestoumlrten Wasserstoffatoms nun keine guumlltigen Loumlsungen mehr darstellen Es muumlssen also neue molekulare Wellenfunktionen gefunden werden Diese Molekuumllorbitale bildet man am einfachsten indem man Kombina-tionen aus den zuvor guumlltigen Atomorbitalen bildet Wichtig ist es handelt sich dabei nicht um eine einfache Uumlberlappung zwischen den bestehenden Atomorbitalen sondern um die rechnerische Bildung eines neuen Orbitals Im Fall des Wasserstoffatoms im Grundzustand sind zwei solcher Kombinationen moumlglich Vereinfachend kann man das eine entstehende Molekuumllorbital als normierte additive Kombination aus den beiden einzelnen s-Atomorbitalen betrachten (Abb 9 oben links) Es wird als bindendes σ-Molekuumllorbital bezeichnet besitzt eine niedrigere Energie als das s-Atomorbital und weist zwischen den beiden Atomkernen eine hohe Elektronendichte (ein hohes Ψsup2) auf Sein Gegenstuumlck wird entsprechend aus einer Art normierter subtraktiver Kombination der beiden urspruumlnglichen s-Orbitale gebildet (Abb 9 oben rechts) Es wird als antibindendes σ-Molekuumllorbital bezeichnet besitzt eine houmlhere Energie als das s-Atomorbital und weist zwischen den beiden Atomkernen eine niedrige Elektronendichte (ein kleines Ψsup2) auf An einer Stelle besitzt letztere sogar den Wert Null Die bisher vorhandenen Atomorbitale existieren nun nicht mehr

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Abb 9 Darstellung von bindenden (links oben) und antibindenden Molekuumllorbitalen (rechts oben) im Wasserstoffmolekuumll H2 Das Energiediagramm links unten veranschaulicht die Bildung eines bindenden σ-Molekuumllorbitals im Fall von Wasserstoff H2 Das Diagramm rechts unten verdeutlicht die Situation in einem fiktiven Helium-Molekuumll He2 bei dem neben dem bindenden σ-Molekuumllorbital auch das antibindende σ-Molekuumllorbital besetzt wuumlrde Zweiatomiges Helium ist demzufolge nicht stabil

Die hohe Elektronendichte des bindenden σ-Orbitals im Bereich zwischen den Kernen bewirkt dass sich anziehende elektrostatische Wechselwirkungen Kern-Elektron-Kern aus-bilden koumlnnen es haumllt also das Molekuumll zusammen (deswegen bdquobindendldquo) Da das bindende σ-Orbital die niedrigere Energie besitzt wandern die zwei Elektronen des Wasserstoffmole-kuumlls beide (mit unterschiedlichen Spins) in diese Position Damit verbunden ist ein Energie-gewinn der den gebundenen Zustand beguumlnstigt Zur Trennung des Molekuumlls muss Energie aufgebracht werden Das antibindende σ-Orbital weist am Ort zwischen den Kernen die Elektronendichte Null auf Damit dominiert hier die abstoszligende elektrostatische Wechselwirkung Kern-Kern dazu-hin ist es energetisch unguumlnstiger Bei einem fiktiven Helium-Molekuumll (Abb 9 unten rechts) muss wegen der Zahl von vier Elektronen auch dieses σ-Orbital doppelt besetzt sein Dadurch wird sowohl der Energiegewinn als auch die anziehende Wechselwirkung des bindenden σ-Orbitals kompensiert so dass dieses Molekuumll insgesamt nicht stabil ist Grundsaumltzlich sind alle urspruumlnglichen Atomorbitale nach der Bildung des Molekuumlls ver-schwunden alle insgesamt vorhandenen Elektronen werden auf die neu gebildeten Molekuumll-orbitale verteilt Ist das Niveau der Atomorbitale vor der Bildung eines gemeinsamen Mole-kuumllorbitals sehr unterschiedlich so erhaumllt man eine polare kovalente Bindung bei der der Schwerpunkt der Elektronendichte auf der Seite des urspruumlnglich energieaumlrmeren Orbitals

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liegt Im Grenzfall extremer Polaritaumlt erhaumllt man eine Ionenbindung (s oben) Sind sehr viele gleichartige Orbitale an der Bildung des Molekuumllorbitals beteiligt so koumlnnen sich groszlige Delokalisationsgebiete ausbilden Im Extremfall eines Delokalisationsgebiets das sich uumlber ein ganzes Kristallgitter erstreckt spricht man von einer metallischen Bindung (s oben) Die Molekuumllorbitaltheorie (kurz MO-Theorie) ist also in der Lage saumlmtliche Bindungsarten zu beschreiben Energiediagramme wie in Abb 9 unten werden als MO-Schemata bezeichnet Fuumlr zwei-atomige Molekuumlle moumlgen sie noch recht uumlbersichtlich aussehen bei vielatomigen Molekuumllen sind sie dagegen meistens unuumlberschaubar Mit Hilfe leistungsfaumlhiger Computer lassen sich solche Molekuumllorbitale noch rechnerisch erfassen allerdings steigt der Rechenaufwand (und damit die Rechenzeit und die Kosten) mit steigender Molekuumllgroumlszlige sehr rasch an In diesem Fall kann man auf eine vereinfachende Betrachtung ausweichen die so genannte Valence-Bond-Theorie (VB-Theorie Valenzbindungstheorie) Sie wurde in Konkurrenz zur MO-Theorie entwickelt und beinhaltet eine wesentliche zusaumltzliche Naumlherung Sie ist dadurch deutlich weniger genau allerdings auch wesentlich einfacher anwendbar und in der Praxis die beste Methode um rasch und anschaulich Molekuumllgeometrien und Reaktionsmechanismen erklaumlren zu koumlnnen Im Gegensatz zur MO-Theorie geht man bei der VB-Theorie im Grundsatz davon aus dass auch im Molekuumll noch die urspruumlnglichen Atomorbitale existieren Der VB-Theorie nach entsteht die chemische Bindung dadurch dass zwei halb besetzte Atomorbitale der beiden benachbarten Atome A und B uumlberlappen Das bdquoUumlberlappungsorbitalldquo wird dann in der Regel durch die beiden resultierenden Elektronen (eines von A und eines von B) besetzt wobei das wiederum voraussetzt dass sie einen unterschiedlichen Spin aufweisen Jedes durch solche bdquoUumlberlappungldquo gebildete Orbital entspricht einer Bindung Der Einfachheit halber nimmt man an dass die anderen Atomorbitale nicht an der Bindung teilnehmen und somit unveraumlndert bleiben Aufgrund dieser doch recht groben Naumlherung kommt es bei der VB-Betrachtung von einfa-chen Molekuumllen wie Wasser Methan oder Ammoniak sehr schnell zu Problemen Zunaumlchst einmal sind die erhaltenen Bindungswinkel unrealistisch aufgrund der Tatsache dass in allen genannten Faumlllen p-Orbitale beteiligt sind resultiert aus dem VB-Modell immer wieder ein Bindungswinkel von 90deg wohingegen die tatsaumlchlichen Bindungswinkel deutlich groumlszliger sind (Wasser 1045deg Methan 109deg) Ein noch groumlszligeres Problem stellen zB die Bindungs-verhaumlltnisse des Kohlenstoffs dar eigentlich sollte man nach der VB-Theorie fuumlr eine Ver-bindung zwischen Kohlenstoff und Wasserstoff ein bdquoCH2ldquo mit einem Bindungswinkel von 90deg erwarten wobei die zwei jeweils halbbesetzten p-Orbitale des Kohlenstoffs Bindungs-anzahl und ndashwinkel vorgeben Dieser Mangel der VB-Theorie kann weitgehend repariert werden indem man die Schritte der Promotion und der Hybridisierung einfuumlhrt Beide Vorgaumlnge sind dabei nicht als natuumlrliche Prozesse sonder eher als hypothetische Hilfskonstruktionen zu verstehen die lediglich dazu dienen die Maumlngel der VB-Theorie auszuheilen Letztlich ermoumlglichen sie es mit Hilfe von Linearkombinationen aus Atomorbitalen und deren Uumlberlappungszonen den tatsaumlchlich vor-liegenden Molekuumllorbitalen naumlherzukommen

Der erste dazu notwendige Schritt die Promotion dient dazu die fuumlr die gegebene Zahl an Bindungen notwendige Zahl an ungepaarten Elektronen zu schaffen Dazu werden dann einfach Orbitale houmlherer Energie besetzt Im Fall des vierbindigen Kohlenstoffs bedeutet das beispielsweise dass ein s-Elektron an den bereits halbbesetzten px- und py-Orbitalen vorbei auf das energiereichere pz-Orbital gehoben wird Aus der Elektronenkonfiguration

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wird somit 1s 2s 2p

Dieser hypothetische Vorgang kommt einer gewissen Energieerhoumlhung gleich die allerdings dadurch abgemildert wird dass ein nach der ersten Hundschen Regel (bdquobus seat ruleldquo) guumlnsti-gerer Zustand mit ungepaarten Spins entsteht Die vier nunmehr halbbesetzten Orbitale sind in Abbildung 10 dargestellt

Abb 10 Darstellung der vier an der sp3-Hybridisierung des Kohlenstoffs beteiligten Orbitale 2s 2px 2py und 2pz(Quelle Chemgapedia)

Anschlieszligend erfolgt nun die Hybridisierung eine Art Vermischung (oder mathematisch korrekter die Bildung von Linearkombinationen) des s- mit den drei p-Orbitalen Dadurch entstehen Orbitale in gleicher Anzahl aber mit voumlllig neuer Form Symmetrie und Orien-tierung im Raum

Abb 11 Darstellung der vier aus der sp3-Hybridisierung des Kohlenstoffs resultierenden Hybridorbitale Die Ausrichtung der sp3-Hybridorbitale folgt den vier Raumdiagonalen eines Wuumlrfels oder ndash wenn man nur die groumlszligeren Segmente der Orbitale betrachtet ndash den Ecken eines Tetraeders (Quelle Chemgapedia)

Die vier neuen wiederum jeweils halbbesetzten Orbitale zeigen vom Kern aus zu den Ecken eines Tetraeders Mit ihrer Hilfe laumlsst sich nun zwanglos die Bildung des bekannten Methan-Molekuumlls CH4 erklaumlren jedes einzelne sp3-Hybridorbital uumlberlappt mit jeweils einem s-Orbi-tal eines Wasserstoffatoms wodurch eine tetraedrische Molekuumllgeometrie mit vier voumlllig gleichberechtigten Bindungen entsteht Das Ergebnis kommt den tatsaumlchlich vorhandenen Molekuumllorbitalen die sich gemaumlszlig dem MO-Modell formulieren lassen sehr nahe Festzu-halten ist dabei dass es sich sowohl bei der Promotion als auch bei der Hybridisierung um rein fiktive Prozesse handelt die lediglich postuliert werden um den VB-Ansatz zu bdquorettenldquo Der grundsaumltzliche Mangel der darin besteht dass das VB-Modell uumlberwiegend auf Atom-orbitalen beharrt die eigentlich nicht mehr existieren bleibt bestehen Viele Molekuumllgeome-trien lassen sich in der VB-Theorie nur mit Hilfe einer passenden Hybridisierung erklaumlren Dennoch das VB-Modell ist fuumlr die meisten Anwendungen in der Chemie nach wie vor der am haumlufigsten gewaumlhlte Ansatz er ist einfach intuitiv und vielseitig einsetzbar solange man die richtige Form der Hybridisierung waumlhlt Letzteres geschieht auf der Grundlage einer bekannten Molekuumllgeometrie oder unter Beruumlcksichtigung von vorhandenen Mehrfachbindun-gen Im Idealfall aumlhneln die gebildeten Hybridorbitale dann den wirklichen Molekuumllorbitalen

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In der folgenden Tabelle sind die haumlufigsten Hybridisierungsvarianten zusammengefasst und verschiedenen Molekuumllgeometrien zugeordnet Bei gegebener Geometrie des Molekuumlls (z B die trigonal-planare Anordnung um jedes Kohlenstoffatom im Ethylen) kann man so auf die passende Hybridisierung schlieszligen (im gegebenen Fall das sp2-Hybrid)

Tabelle 1 Wichtige Hybridisierungszustaumlnde nach dem VB-Modell

Hybridisierung Promotion Koordinationszahl Geometrie Beispiele

sp uarruarr suarr puarr 2 linear Acetylen Propadien

sp2 uarruarruarr suarr puarruarr 3 trigonal-planar Ethylen Benzol

sp3 uarruarruarruarr suarr puarruarruarr 4 tetraedrisch Methan Ammoniak

sp3d uarruarruarruarruarr suarr puarruarruarr duarr 5 trigonal-bipyramidal

Phosphor-pentachlorid

sp3d2 uarruarruarruarruarruarr suarr puarruarruarr duarruarr 6 oktaedrisch Schwefel-hexafluorid

Die so entstehenden Hybridorbitale kommen in ihrer raumlumlichen Darstellung den tatsaumlchli-chen Molekuumllorbitalen teilweise recht nahe sie korrigieren somit die VB-Theorie in gewissem Sinne in Richtung der MO-Theorie Allerdings bleibt festzuhalten dass die VB-Theorie keine antibindenden Orbitale kennt diese bleiben einfach unberuumlcksichtigt Dies ist eine gravie-rende Schwaumlche der VB-Theorie die sich an vielen Stellen bemerkbar macht (zB bei der Erklaumlrung des Sauerstoff-Biradikals in der Spektroskopie und bei bestimmten Reaktions-typen)

19 Elektronegativitaumlt und Polaritaumlt

In einer chemischen Bindung zwischen verschiedenen Elementen besitzen die beteiligten Atome fuumlr gewoumlhnlich unterschiedliche Tendenzen die Bindungselektronen an sich zu ziehen Bei der Betrachtung der Energieschemata im MO-Modell aumluszligert sich dies darin dass ein bindendes Molekuumllorbital aus einer Linearkombination zweier Atomorbitale mit sehr unterschiedlicher Energie hervorgeht In diesem Fall besitzt das bindende Molekuumllorbital die Tendenz hohe Elektronendichten in der Naumlhe des Elements aufzuweisen dessen Atomorbital energetisch guumlnstiger liegt Man spricht dann von einer hohen Elektronegativitaumlt dieses Elements da es in dem gebundenen Zustand durch die erhoumlhte Elektronendichte eine partiell negative Ladung aufweist Ein klassisches Beispiel ist die Verbindung Fluorwasserstoff (HF) Hier wird ein bindendes Molekuumllorbital aus der Linearkombination zwischen dem 1s-Orbital des Wasserstoffs mit einem 2p-Orbital des Fluors gebildet Letzteres liegt aufgrund der relativ hohen Kernladung und des geringen Atomradius des Fluors energetisch wesentlich tiefer wodurch sich eine stark asymmetrische Elektronenverteilung ergibt Die Elektronegativitaumlt wird in erster Linie durch die Kernladung vor allem aber auch durch den Abstand zwischen den Valenzelektronen und dem Atomkern bestimmt Daher sind auch kleine Atome wie zum Beispiel der Stickstoff der Sauerstoff oder das Fluor auch besonders elektronegativ (s Tabelle Seite 12) Im Periodensystem der Elemente nimmt die Elektro-negativitaumlt tendenziell nach oben und nach rechts zu (Edelgase ausgenommen) Linus Pauling

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schlug vor die Elektronegativitaumlt ausgehend von der VB-Theorie als dimensionslose Kenn-groumlszlige fuumlr jedes einzelne Element einzufuumlhren Sie errechnet sich aus einem Vergleich der Dissoziationsenergien der beteiligten Elemente Demnach besitzt Francium als das am wenigsten elektronegative Element den Wert 070 und Fluor als das am staumlrksten elektro-negative Element den Wert 398 Eine Zwischenstellung nimmt zB Wasserstoff mit 220 ein Bei Bindungen zwischen Elementen mit unterschiedlicher Elektronegativitaumlt spricht man von polaren Bindungen Entlang einer polaren Bindung baut sich durch die ungleiche Elektronen-verteilung ein entsprechendes Dipolmoment auf das haumlufig Anlass fuumlr starke zwischen-molekulare Kraumlfte liefert (s Kapitel 3) Im Extremfall einer sehr polaren kovalenten Bindung kann das Bindungselektron (bzw die Bindungselektronen) praktisch allein dem elektronega-tiveren Element zugesprochen werden Das entsprechende Bindungsorbital besteht dann als Linearkombination von Atomorbitalen fast ausschlieszliglich aus einem Atomorbital welches das elektronegativere Element beisteuert In diesem Fall spricht man nach klassischer Definition von einer Ionenbindung

2 Die Elektronenspektroskopie an Atomen und Molekuumllen 21 Grundlagen der Spektroskopie

Elektronen in Atomen und Molekuumllen koumlnnen ndash soweit die Erkenntnis aus Kapitel 1 ndash durch Wellenfunktionen beschrieben werden Aus diesen kann man nicht nur die Aufenthaltswahr-scheinlichkeit an verschiedenen Positionen im Raum sondern auch die Energie des Elektrons ableiten Eine Folge der Beschraumlnkung der Elektronen auf bestimmte Wellenfunktionen mit jeweils bestimmter Energie ist dass sie auch nur in bestimmten Schritten Energie aufnehmen und abgeben koumlnnen Jede Aufnahme bzw Abgabe von Energie entlang dieses Schrittes ist generell mit der Aufnahme bzw Abgabe von elektromagnetischer Strahlung verbunden Diese Tatsache bildet die Grundlage der Spektroskopie im gegebenen Fall der Elektronenspektros-kopie

Allgemein gesprochen befasst sich die Spektroskopie mit der Wechselwirkung zwischen Strahlung und Materie Etwas genauer laumlsst sich aussagen dass die Spektroskopie unter-sucht mit welcher elektromagnetischen Strahlung sich welcher energetische Uumlbergang anre-gen laumlsst Zwischen der elektromagnetischen Strahlung und dem dabei bewirkten energeti-schen Uumlbergang gilt dann grundsaumltzlich folgende Beziehung Δ E = h ∙ ν mit ΔE als der Energiedifferenz zwischen den beiden Zustaumlnden (in Joule) ν (gesprochen bdquonuumlldquo) als Frequenz der verwendeten elektromagnetischen Strahlung (in 1s oder Hertz Hz) und h als dem so genannten Planckschen Wirkungsquantum (mit h = 6626∙10-34 Js) Somit ist jeder Frequenz ν im elektromagnetischen Spektrum (Abb 12) genau ein Energiewert Δ E zugeordnet Die dazugehoumlrige Wellenlaumlnge im Vakuum (in m) errechnet sich nach λ = c ν mit c als Lichtgeschwindigkeit (im Vakuum c = 299 792 458 ms)

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Abb 12 Elektromagnetisches Spektrum (Quelle Chemgapedia)

Fuumlr die genaue Messung welche Frequenz der elektromagnetischen Strahlung einem gegebe-nen Uumlbergang anzuregen vermag gibt es experimentell zwei verschiedene Ansaumltze Entweder man strahlt Energie auf das System ein und beobachtet den Verlust an Strahlungsintensitaumlt der dann beobachtet wird wenn die Strahlung einen Uumlbergang zu einem houmlheren Energieni-veau bewirkt (Absorption) oder man fuumlhrt dem System Energie zu (zum Beispiel thermisch) und beobachtet dann die Freisetzung von Energie als Strahlung (Emission) Im einen Fall erfuumlllt die Frequenz der absorbierten Strahlung im anderen Fall die der emittierten Strahlung die Frequenzbedingung ΔE = h ∙ ν Mit beiden Methoden kann man so exakt den Energie-unterschied zwischen zwei Energieniveaus ausmessen Die Bestimmung der Werte fuumlr die charakteristischen Energieschritte ΔE eines Systems ist die Hauptaufgabe der Spektroskopie Sie eignet sich insbesondere um elektronische Wellenfunktionen eines Systems zu erkunden

22 Elektronenspektroskopie am eindimensionalen Potentialtopf

Das denkbar einfachste elektronische System ist der eindimensionale Potentialtopf Dennoch kann auch dieses Modell schon in grober Naumlherung auf Molekuumlle angewandt werden speziell auf solche mit annaumlhernd linearen Delokalisationssystemen (s Kapitel 14) Ein Beispiel ist die Reihe Butadien Hexatrien Oktatetraen usw Bildet man mit Hilfe der Loumlsungen der Schroumldingergleichung fuumlr das eindimensionale Potentialtopfmodell einen Ausdruck fuumlr den elektronischen Uumlbergang zwischen dem houmlchsten besetzten Orbital (HOO) und dem niedrig-sten unbesetzten Orbital (LUO) so erhaumllt man fuumlr die damit verbundene Energiedifferenz gemaumlszlig der in Abbildung 5 gezeigten Formel

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ΔE = h ∙ ν = (nsup2LUO-nsup2HOO) ∙ hsup2 (8 me asup2)

Mit wachsender Laumlnge a und wachsender Elektronenzahl (jedes Kohlenstoffatom im Delokali-sationsgebiet traumlgt ein Elektron bei) steigen einerseits die Werte der Quantenzahlen n fuumlr das houmlchste besetzte Orbital (HOO) und das niedrigste unbesetzte Orbital (LUO) an andererseits steigt aber auch die Laumlnge L die quadratisch im Nenner der Gleichung steht Da letzteres insgesamt uumlberwiegt sinkt der Wert fuumlr ΔE und damit fuumlr die Frequenz ν schrittweise mit Anstieg der Kettenlaumlnge Liegt die absorbierte Lichtfrequenz anfaumlnglich im UV-Bereich so verschiebt sie sich beispielsweise fuumlr das Carotin mit 11 Doppelbindungen schon in den sichtbaren blauen Bereich Weil daher Carotin blaues Licht absorbiert erscheint es im Durchlicht betrachtet in der Komplementaumlrfarbe orange-gelb Nach diesem Prinzip lassen sich viele organische Farbstoffe interpretieren Aumlndert sich die Laumlnge bzw die Elektronenzahl (und damit nsup2LUO und nsup2HOO) durch die Protonierung des Molekuumlls so hat man es mit einem Farbstoff zu tun der mit dem pH-Wert seine Farbe aumlndert ndash dies ist die Grundlage vieler pH-Indikatoren

23 Elektronenspektroskopie am Wasserstoffatom

Die wissenschaftliche Spektralanalyse wurde in der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts gemeinsam durch GR Kirchhoff und RW Bunsen entwickelt Sie entdeckten dass alle Elemente beim Erhitzen Licht aussenden Nach Zerlegung des Lichts mit einem Glasprisma erhaumllt man ein fuumlr jedes Element charakteristisches Linienmuster das so genannte Spektrum (s auch UTube-Video bdquospectral lines demoldquo httpwwwyoutubecomwatchv=2ZlhRChr_Bw) Dieses Spektrum reflektiert die Gesamtheit der dem gegebenen Element eigenen elektronischen Uumlbergaumlnge und ist damit ein unverwechselbarer Fingerabdruck Elemente koumlnnen damit sowohl in der Emissionsspektroskopie als auch in der Absorptionsspektroskopie eindeutig und mit hoher Empfindlichkeit identifiziert werden

Die Elektronenspektroskopie kann jedoch noch deutlich mehr sie erlaubt die exakte Uumlber-pruumlfung der durch die Loumlsung der Schroumldingergleichung gefundenen elektronischen Wellen-funktionen Dies wurde zunaumlchst am Wasserstoffatom mit hoher Praumlzision betrieben Histo-risch gesehen ist die erste wichtige Lichtquelle fuumlr spektroskopische Analysen unsere Sonne Dies gilt insbesondere fuumlr das Spektrum des Wasserstoffs Da die Energie der elektronischen Zustaumlnde dort einzig und allein von der Hauptquantenzahl n abhaumlngt (s Kapitel 15) werden lediglich solche Spektrallinien beobachtet die sich genau einem gegebenen ΔE = E(n) - E(nlsquo) zuordnen lassen Zuerst wurde mit der Balmer-Serie der sichtbare Anteil des Spektrums ent-deckt der mit allen Uumlbergaumlngen von oder zu dem Niveau n = 2 verbunden ist (Abb 13) Es folgten spaumlter im UV-Bereich die Lyman-Serie mit n = 1 und im IR-Bereich die Paschen-Serie mit n = 3 die Brackett-Serie mit n = 4 sowie die Pfundt- und die Humphreys-Serie mit n = 5 und n = 6 (letztere sind in Abb 13 nicht mehr eingezeichnet) Weitere Serien mit houmlheren Quantenzahlen existieren tragen aber keine eigenen Namen mehr

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Wel

lenz

ahl

[100

0 cm

-1]

0

10

20

30

40

50

60

70

80

90

100

110Grundzustand

Lyman-serie

Balmer-serie

Paschen-serie

Brackett-serie

n = 5n = 4

n = 3

n = 2

n = 1

Gustav Robert Kirchhoff

Robert Wilhelm Bunsen

Abb 13 Wichtige elektronische Uumlbergaumlnge im Wasserstoffatom

Abbildung 14 zeigt das gesamte Wasserstoffspektrum die Kuumlrzel benennen die entsprechen-den Serien (Ly = Lyman Ba = Balmer etc)

Abb 14 Spektrum des Wasserstoffatoms Die Achse fuumlr die Wellenlaumlnge ist logarithmisch aufgetragen

Eine genaue Analyse ergibt dass sich das Schema der Energiedifferenzen nach Abb 13 fast genau mit den in Kapitel 15 besprochenen Loumlsungen der Schroumldingergleichung deckt Die aumluszligerst kleinen Abweichungen die man dennoch detektieren konnte lieszligen sich auf den Bei-trag des Kerns (trotz seiner hohen Masse kann er sich minimal mit dem Elektron mitbewegen) und des Isotopeneffekts zuruumlckfuumlhren der schwerere Deuteriumkern der aus einem Proton und einem Neutron besteht bewegt sich weniger leicht mit dem Elektron mit als das einsame Proton des bdquonormalenldquo Wasserstoffs Daneben zeigen sich bei sehr hoher Aufloumlsung des Spektrums auch relativistische Effekte die zu weiteren Aufspaltungen fuumlhren

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24 Elektronenspektroskopie an Atomen mit mehreren Elektronen

Aufgrund der Wechselwirkungen zwischen den Elektronen ist bei schwereren Elementen die beim Wasserstoff gegebene Entartung bezuumlglich der Quantenzahlen l und m aufgehoben Damit wird das Energiediagramm bereits fuumlr ein einfaches houmlheres Atom wie zum Beispiel Lithium schon deutlich komplizierter (Abb 15) Neben den Uumlbergaumlngen zwischen verschiede-nen Werten fuumlr n treten nun auch Uumlbergaumlnge zwischen s und p p und d d und f auf Manche Uumlbergaumlnge (zum Beispiel solche zwischen s- und d-Niveaus) werden allerdings gewoumlhnlich nicht beobachtet man nennt sie bdquoverbotenldquo bdquoErlaubtldquo sind nur solche Uumlbergaumlnge bei denen die Nebenquantenzahl sich um den Wert plusmn1 aumlndert (also eben von s nach p von p nach d usw) Die so genannte Auswahlregel welche die erlaubten Uumlbergaumlnge festlegt heiszligt folglich Δl = plusmn1

Als weitere Folge der Wechselwirkungen zwischen den Elektronen besitzt jedes houmlhere Atom ein eigenes und von Wasserstoff verschiedenes Energiediagramm Damit besitzt aber auch jedes Atom ein unverwechselbares Muster von Energieuumlbergaumlngen die es eindeutig kenn-zeichnet Dies laumlsst sich bereits in einfachen Versuchen anhand von Flammenfaumlrbungen zeigen Diejenigen Uumlbergaumlnge deren ΔE den Wellenlaumlngen im sichtbaren Spektrum entspricht (in Abb 15 sind dies die kuumlrzeren unter den eingezeichneten blauen Pfeilen) sorgen bei vielen Elementen fuumlr ein charakteristisches farbiges Leuchten (Abb 15 rechts)

Ener

gie

Wasserstoff Lithium

n = 1

2

3

45

1s

2s

2p

3s

4s

5s

3p

4p5p

3d

4d5d

Abb 15 Termschema von Lithium mit wichtigen elektronischen Uumlbergaumlngen (links) Durch Lithium verursachte Flammenfaumlrbung (rechts Quelle httpwwwitpuni-hannoverde~zawischaITPatomshtml)

Letztlich ist auch bei allen houmlheren Atomen die Elektronenspektroskopie eine ideale Methode um das Energieniveauschema experimentell zugaumlnglich zu machen Sie eignet sich daruumlber hinaus perfekt zur schnellen und empfindlichen Identifikation von Elementen Diese Tatsache

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macht man sich sowohl in der Atomabsorptionsspektroskopie (AAS) als auch in der Atom-emissionsspektroskopie (AES) zunutze Elektronenspektren sind unverwechselbare Finger-abdruumlcke mit denen alle Elemente in hoher Empfindlichkeit und selbst uumlber groszlige Distanzen hinweg sicher identifiziert werden koumlnnen

25 Elektronenspektroskopie an Molekuumllen

Genau wie die Atomorbitale sind auch Molekuumllorbitale der Elektronenspektroskopie zugaumlng-lich Durch die systematische Analyse aller elektronischen Uumlbergaumlnge lassen sich die Energie-niveaus in einem MO-Schema schrittweise ausmessen Besonders interessant wird dieser Ansatz bei der Untersuchung der Bindungsverhaumlltnisse Im Allgemeinen beobachtet man Uumlbergaumlnge zwischen bindenden und nicht bindenden Orbitalen einerseits und den uumlblicherweise unbesetzten antibindenden Orbitalen andererseits In Abb 16 ist dies am Beispiel einer C-O-Bindung in Formaldehyd gezeigt Im Mittelpunkt stehen dabei das binden-de und das antibindende σ-Orbital C-O das bindende und das antibindende π-Orbital C-O sowie das nicht bindende freie Elektronenpaar des Sauerstoffs (ein weiteres freies Elektronen-paar bleibt unbeteiligt)

Ener

gie

σ CO

σ CO

π CO

π CO

n O

C

H

H

O

σ-σ

Uumlbe

rgan

g

π-π

Uumlbe

rgan

gn-π Uumlber-gang

σ

Abb 16 Termschema der CO-Gruppe in Formaldehyd (links) Die beteiligten Bindungen und das im betrachteten Energiefenster liegende freie Elektronenpaar des Sauerstoffs sind rechts skizziert

Die drei wichtigsten Uumlbergaumlnge die an der C-O-Gruppe detektiert werden sind der σ-σ-Uumlbergang der π-π-Uumlbergang und der n-π-Uumlbergang Letzterer ist in einer C-O-Gruppe stets am energieaumlrmsten und kann bereits mit UV-Licht einer Wellenlaumlnge um 280 nm angeregt werden (schwarzer Pfeil in Abb 16) Energiereicher und intensiver ist bei der CO-Gruppe der π-π-Uumlbergang der bei Wellenlaumlngen um 170 nm angeregt wird (roter Pfeil in Abb 16) Daruumlber hinaus zeigt das Spektrum dass die beiden freien Elektronenpaare des Sauerstoffs stark unterschiedlichen Charakter besitzen (nur eines ist an dem n-π-Uumlbergang beteiligt das andere tritt im gegebenen Spektralbereich nicht in Erscheinung)

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Auf aumlhnliche Weise lassen sich alle MO-Schemata komplizierter Molekuumlle analysieren Lie-gen die Anregungsfrequenzen der Uumlbergaumlnge im sichtbaren Bereich so haben die Molekuumlle die Funktion von Farbstoffen Haumlufig besitzen sie dann laumlngere lineare Delokalisationsgebiete deren Elektronenspektren man dann auch in grober Naumlherung mit dem eindimensionalen Potentialtopfmodell beschreiben kann (s Kapitel 22) Werden Bindungselektronen angeregt und aumlndern sich im Verlauf der elektronischen Anre-gung die Bindungsverhaumlltnisse (beispielsweise bei Besetzung eines antibindenden Zustands) so ist mit der elektronischen Anregung zwangslaumlufig auch eine Aumlnderung des energetisch guumlnstigsten Bindungsabstands verbunden Damit einhergehend werden mechanische Schwin-gungen des Molekuumlls angeregt Mit den Molekuumllschwingungen verhaumllt es sich analog zu den elektronischen Zustaumlnden auch Molekuumllschwingungen existieren nur in bestimmten definierten Zustaumlnden die sich dann den elektronischen Zustaumlnden uumlberlagern (Abb 17) Die Folge davon ist dass die Elektronenspektren von Molekuumllen haumlufig keine scharfen Linien sondern breite Absorptionsbereiche (bdquoBandenldquo) aufweisen Alle Linien fuumlr die elektronischen Uumlbergaumlnge zerlegen sich demnach in eine Vielzahl von Einzellinien die verschiedene Schwingungszustaumlnde der benachbarten elektronischen Zustaumlnde miteinander verbinden (in Abb 17 sind exemplarisch neun verschiedene moumlgliche Uumlbergaumlnge eingezeichnet) Normaler-weise liegen alle diese Linien dicht beieinander so dass insgesamt eine verbreiterte Absorp-tionsbande entsteht

Ener

gie

elektronische Niveaus

Schwingungsniveaus

Abb 17 Zum Zustandekommen von breiten Absorptionsbanden in Elektronen-Schwingungsspektren Uumlberlagerung von elektronischen Uumlbergaumlngen mit Schwingungsuumlbergaumlngen Exemplarisch sind jeweils drei Schwingungsniveaus eingezeichnet

Das Elektronenspektrum eines Molekuumlls wird wegen der dazu verwendeten Frequenzbereiche im UV- und im sichtbaren (bdquovisibleldquo) Spektrum auch UV-vis-Spektroskopie genannt Die UV-vis-Spektroskopie dient neben der Aufklaumlrung der MO-Struktur auch der schnellen und bequemen Identifikation von chemischen Verbindungen Aufgrund ihrer im Absorptionsver-fahren sehr einfachen und preisguumlnstigen Messtechnik wird sie auch haumlufig in Kombination mit anderen analytischen Verfahren (zB der Chromatographie) verwendet Uumlber eine Bestim-mung der Intensitaumlt der Anregung kann auch eine quantitative Analyse einzelner Verbindun-gen erfolgen

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3 Das Zusammenwirken von Atomen und Molekuumllen 31 Der makroskopische Zustand von Materie Bisher sind nur einzelne Bausteine der Materie also Atome und Molekuumlle betrachtet worden Nun soll das makroskopische Erscheinungsbild von Materie ins Auge gefasst werden die aus einer Vielzahl von Atomen oder Molekuumllen besteht Um den Zustand dieser aus vielen Teilchen zusammengesetzten Materie uumlberhaupt als Gesamtheit zu beschreiben benoumltigt man zunaumlchst so genannte Zustandsparameter oder Zustandsgroumlszligen Die wichtigsten Vertreter dieser Kenngroumlszligen fuumlr makroskopische Materie sind die Stoffmenge n das Volumen V der Druck P und die Temperatur T

n Stoffmenge Die Stoffmenge wird uumlber die Teilchenzahl definiert

Einheit der Teilchenzahl 1 Mol

Definition Ein Mol eines Stoffes enthaumllt dieselbe Anzahl an Teilchen wie 0012 kg reiner Kohlenstoff des Isotops 12C (1 Mol 60221023

Teilchen) Dabei muss eindeutig festgelegt sein was unter einem Teilchen des Stoffes jeweils zu verstehen ist Ist die Stoffmenge konstant so spricht man von einem geschlossenen System

V Volumen Die Definition des Volumens erfolgt uumlber die festgelegte Laumlngeneinheit und den geometrischen Volumenbegriff

Einheit des Volumens 1 msup3

Definition Ein msup3 ist das Volumen eines wuumlrfelfoumlrmigen Raums mit einer Kantenlaumlnge von einem Meter Ist das Volumen konstant so spricht man von einem isochoren Vorgang

P Druck Die Definition erfolgt uumlber die Kraft die ein Stoff auf jede Flaumlcheneinheit eines ihn einschlieszligenden Behaumllters ausuumlbt

Einheit des Drucks 1 Pascal = 1 Pa = 1 Nmsup2 = 10-5 bar

Definition Ein Pascal ist der Druck bei dem auf jeden Quadratmeter der Behaumllterwaumlnde eine Kraft von 1 Newton ausgeuumlbt wird Ist der Druck konstant so spricht man von einem isobaren Vorgang

T Temperatur

Der sicherlich am schwierigsten fassbare Zustandsparameter makroskopischer Materie ist die Temperatur Zwar ist sie direkt mit der menschlichen Wahrnehmung verknuumlpft (kalt warm heiszlighellip) physikalisch jedoch zunaumlchst sehr undefiniert da sie nicht ohne weiteres auf andere physikalische Groumlszligen zuruumlckfuumlhrbar ist Am ehesten laumlsst sie sich im ersten Ansatz als diejenige Eigenschaft von Materie beschreiben die von einem Thermometer gemessen wird

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Zur Verwendung als Thermometer eignet sich prinzipiell jeder physikalische oder chemische Vorgang der reproduzierbar mit einer Temperaturaumlnderung verknuumlpft ist Klassisch sind dies insbesondere die Ausdehnungsvorgaumlnge von Gasen Fluumlssigkeiten und Festkoumlrpern (Abb 18)

Hg

Festkoumlrperthermometer werden gewoumlhnlich nach demPrinzip des Bimetall-Thermometers ausgelegt (ganzlinks) Dabei werden zwei verschiedene Festkoumlrper(zB zwei Bleche aus verschiedenen Metallen) flaumlchigmiteinander in Kontakt gebracht Bedingt durch dieunterschiedliche thermische Ausdehnung derMaterialien kruumlmmt sich das Bimetall-Blech abhaumlngigvon der Temperatur mehr oder weniger stark zu einerSpirale

Fluumlssigkeitsthermometer (Mitte) und Gasthermometer(rechts) nutzen die Volumenaumlnderung eines fluidenMediums mit der Temperatur Die Genauigkeit kannerhoumlht werden indem einem groszligvolumigen Vorrats-behaumllter ein relativ kleinvolumiger Ausdehnungs- undAblesebereich gegenuumlbergestellt wird

Abb 18 Thermometer die auf der Grundlage der temperaturbedingten Ausdehnung von Materie beruhen

In der Praxis kommen mehr und mehr die elektronischen Varianten der Temperaturmessung zum Zug die zumeist auf der Messung der Thermospannung basieren Neben der Messmetho-de ist die Festlegung einer Temperaturskala wichtig Dazu dienten zunaumlchst einige Fixpunkte die heute teilweise noch historische Bedeutung haben

1) Die tiefste Temperatur des Winters 17081709 in Danzig - 178 degC

2) Die Temperatur von schmelzendem Eis bei 760 Torr (760 Torr = 1 atm = 101 325 Pa) 0 degC

3) Koexistenztemperatur von Eis Wasser und Wasserdampf 001 degC (exakt)

4) Die durchschnittliche Koumlrpertemperatur eines gesunden Menschen 378 degC

5) Die Siedetemperatur des Wassers bei 760 Torr (1 atm = 101 325 Pa) 100 degC

Die Punkte 1 und 4 bildeten die Grundlage des Fahrenheit-Systems die Punkte 2 und 5 die der Celsius-Skala Bei beiden Systemen wurde der definierte Bereich zunaumlchst in 100 gleiche Teile (Grade) aufgeteilt dann extrapoliert Beide Definitionen wurden spaumlter verfeinert (Celsius 9999 Grade C zwischen den Fixpunkten 3 und 5 Fahrenheit 180 Grade F zwischen den Fixpunkten 1 und 5) Trotzdem mangelt es auszliger Punkt 3 allen genannten Fixpunkten an Genauigkeit und Reproduzierbarkeit

Das zweite Problem nach der Unvollkommenheit der Fixpunkte besteht in der Festlegung einer systemunabhaumlngigen linearen Teilung Gewoumlhnlich ist der Verlauf der Skala vom gewaumlhlten Medium abhaumlngig Eine lineare Teilung auf der Skala eines Quecksilber-thermometers entspricht daher nicht einer linearen Teilung auf der Skala eines Alkoholthermometers da die Ausdehnung bei jedem Medium in unterschiedlicher Weise von der Temperatur abhaumlngt

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Beide Probleme sowohl die Wahl der passenden Fixpunkte als auch die Definition einer sinnvollen linearen Teilung werden heute durch die Festlegung der so genannten absoluten Temperaturskala geloumlst Grundlage hierfuumlr sind uumlbereinstimmende Beobachtungen an Gasthermometern

-300 -200 -100 0 100 200

V

T

-27315degCBei wiederholten Messungen mit verschiedenenGasthermometern verschiedenen Gasen undGasvolumina und bei verschiedenen Drucken stelltman fest dass sich die Verlaumlngerungen aller in denjeweiligen Diagrammen erhaltenen Linien in einemPunkt schneiden Dieser Punkt entspricht auf derVolumenachse dem Wert V = 0 und auf derTemperaturachse dem Wert T = -27315 degC

Abb 19 Ausdehnungskurven verschiedener Gase Die Temperaturskala ist zunaumlchst noch in Celsius aufgetragen

Aus dieser Beobachtung wurde geschlossen dass der Temperatur am gemeinsamen Schnitt-punkt aller Ausdehnungskurven eine besondere physikalische Bedeutung zukommt und sie sich daher als Fixpunkt einer neuen Temperaturskala eignet Weiterhin wurde festgestellt dass zwar alle Gase in ihrem Ausdehnungsverhalten von dem linearen Verlauf abweichen dass aber unter bestimmten Umstaumlnden (zB niedriger Druck) ein gemeinsamer Verlauf angestrebt wird den man auch als idealen Verlauf bezeichnen koumlnnte Am besten funktioniert das bei Helium unter schrittweise absinkenden Drucken dessen Verhalten sich fuumlr P rarr 0 zum idealen Verhalten extrapolieren laumlsst Diese Erkenntnis diente zur Definition einer absoluten Temperaturskala in Kelvin

1) Unterer Fixpunkt Schnittpunkt der Volumenexpansionskurven bdquoidealerldquo Gase (zB Helium fuumlr den Grenzfall Prarr0) 0 Kelvin

2) Oberer Fixpunkt Koexistenztemperatur von Eis Wasser und Wasserdampf 27316 Kelvin

3) Das Volumen eines bdquoidealenldquo Gases (zB Helium fuumlr den Grenzfall Prarr0) ist bei konstantem Druck proportional zur Temperatur und definiert die lineare Teilung der Temperaturskala

Gemaumlszlig dieser Definition ist jede beliebige Temperatur unter Nutzung eines bdquoidealenldquo Gasther-mometers auf der absoluten Kelvin-Skala eindeutig festgelegt Die Verwendung der Kelvin-Skala ist gegenuumlber der Nutzung klassischer Temperatursysteme bei der Beschreibung physi-kalischer Vorgaumlnge eindeutig von Vorteil Vorgaumlnge bei denen die Temperatur konstant ist nennt man isotherm Mit der Definition der wichtigsten Zustandsparameter Teilchenzahl n Volumen V Druck P und Temperatur T besteht nun die Moumlglichkeit das Verhalten makroskopischer Materie zu beschreiben Am einfachsten gelingt das im Fall von Gasen

32 Zustandsgleichung fuumlr Gase die ideale Gasgleichung

Gleichungen welche die Zustandsparameter wie n V T und P miteinander verknuumlpfen nennt man Zustandsgleichungen Sie beschreiben das Verhalten einer aus vielen einzelnen Teilchen bestehenden Materie hinsichtlich ihrer makroskopisch messbaren Groumlszligen Am

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einfachsten sind solche Zustandsgleichungen fuumlr Gase aufzustellen Untersucht man bei Gasen systematisch den Zusammenhang zwischen n V P und T so stellt man fest dass fuumlr alle Gase in mehr oder weniger guter Naumlherung folgende einfache Gleichung erfuumlllt isthellip

P ∙ V = n ∙ R ∙ T

hellipwobei R fuumlr die so genannte ideale Gaskonstante steht (R asymp 8314 J K-1 Mol-1) Diese Glei-chung auch bdquoideale Gasgleichungldquo genannt ist ein so genanntes Grenzgesetz kein real exis-tierendes Gas erfuumlllt es genau aber alle Gase kommen ihm recht nahe insbesondere bei hohen Temperaturen und niedrigen Druumlcken Eine Gleichung dieser Form nennt man auch Zustands-gleichung da sie Zustandsparameter miteinander verbindet Grafisch laumlsst sich diese Verknuumlp-fung in einem einfachen Diagramm darstellen bei dem jede Kombination von T und V genau einem Wert fuumlr P zugeordnet ist (Abb 20)

P

V

T

Abb 20 Auftragung von P gegen T und V nach der idealen Gasgleichung

Wir wissen nun dass die Gase aus einer Vielzahl von Teilchen (Atomen oder Molekuumllen) bestehen Wie laumlsst sich das durch die ideale Gasgleichung beschriebene Verhalten nun mit dieser Tatsache in Einklang bringen Was bedeuten eigentlich die Parameter Druck und Tem-peratur fuumlr ein Gas das sich aus vielen einzelnen Atomen und Molekuumllen zusammensetzt Um makroskopische Zustandsparameter uumlberhaupt mit der Teilchenwelt verknuumlpfen zu koumlnnen benoumltigen wir eine Modellvorstellung fuumlr das mechanische Zusammenwirken der Teilchen im Fall von Gasen das so genannte kinetische Gasmodell

33 Das kinetische Gasmodell

Bei den im vorhergehenden Kapitel aufgefuumlhrten Gasgesetzen handelt es sich um mathemati-sche Beschreibungen von makroskopisch beobachtbaren Vorgaumlngen Zur Interpretation der Gasgesetze auf molekularer Ebene wurden verschiedene Modelle vorgeschlagen Das erfolg-reichste unter ihnen war das sogenannte kinetische Gasmodell Es beruht auf der Vorstellung dass ein Gas aus einer Vielzahl von Teilchen besteht die folgende Bedingungen erfuumlllen

1) Sie besitzen eine Atom- oder Molmasse M einen endlichen Durchmesser d und befinden sich in staumlndiger und ungeregelter Bewegung

2) Die Groumlszlige der Teilchen ist im Verhaumlltnis zum freien Volumen vernachlaumlssig-bar

3) Zwischen den Teilchen finden elastische Stoumlszlige statt Ansonsten existieren keine weiteren Wechselwirkungen unter den Teilchen

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Nach der kinetischen Gastheorie besteht der Druck eines Gases aus der Summe aller Kraumlfte (pro Flaumlcheneinheit) die durch auf eine Flaumlche aufprallende Gasteilchen (bzw durch deren Impulsaumlnderung) ausgeuumlbt werden (Abb 21)

Vx t

Abb 21 Links schematische Darstellung der Impulsaumlnderung bei dem Auftreffen eines Gasteilchens auf der Gefaumlszligwand Viele solche Stoumlszlige fuumlhren in der Summe zum Entstehen einer messbaren dem Gasdruck zugeordneten Kraft Rechts Die Geschwindigkeitskomponente vx der Teilchen bestimmt nicht nur die Groumlszlige der Impulsaumlnderung sondern auch die Zahl der Teilchen die pro Zeiteinheit auf die Wand stoszligen Daher geht die Geschwindigkeit der Teilchen bei der Berechnung des Drucks insgesamt quadratisch ein

Dabei wird zunaumlchst davon ausgegangen dass alle Teilchen die gleiche Geschwindigkeits-komponente vx aufweisen Diese Geschwindigkeitskomponente bestimmt zum einen die Heftigkeit der Stoumlszlige zum anderen wie viele Gasteilchen pro Zeiteinheit auf die Wand prallen Insgesamt haumlngt der Druck damit vom Quadrat der Geschwindigkeitskomponente vxab Fuumlhrt man nun ein mittleres Geschwindigkeitsquadrat csup2 ein (mit vxsup2 = 13 csup2) so erhaumllt man fuumlr den an dem beweglichen Kolben spuumlrbaren Druck die Gleichung

P = 13 M csup2 (nV) oder in der Schreibweise der idealen Gasgleichung P V = 13 n M csup2 Der Druck ist nach dem kinetischen Gasmodell also die Folge einer Vielzahl von Stoumlszligen welche die Teilchen gegen die Behaumllterwaumlnde ausfuumlhren Er ist folglich proportional zur Mas-se der Teilchen (je schwerer die Teilchen desto heftiger die Stoumlszlige) zum mittleren Geschwin-digkeitsquadrat (die Geschwindigkeit der Teilchen bestimmt zum einen die Haumlufigkeit zum anderen die Heftigkeit der Stoumlszlige) und zur Zahl der Teilchen pro Volumeneinheit (womit wie nach der idealen Gasgleichung zu erwarten P umgekehrt proportional zu V ist) Die Bedeutung der Temperatur im kinetischen Gasmodell ist dagegen zunaumlchst unklar Mit der idealen Gasgleichung P V = n R T ergibt sich aber durch Koeffizientenvergleich n R T = 13 n M csup2 oder R T = 13 M csup2 Man kann unter Nutzung beider Gasmodelle so zu einem neuen teilchenbezogenen Verstaumlnd-nis des Phaumlnomens Temperatur kommen Die Temperatur eines Gases ist demnach direkt proportional zum mittleren Geschwindigkeitsquadrat der Gasteilchen oder in anderen Worten zu deren kinetischer Energie 12 M csup2 Dies ist fuumlr das Verstaumlndnis des Phaumlnomens Temperatur von groszliger Bedeutung Man kann die Temperatur eines Gases also messen indem man (bei bekannter Masse der Teilchen) die Geschwindigkeit der Gasteilchen bestimmt Die Wurzel aus dem mittleren Geschwindigkeits-quadrat also die Groumlszlige c liegt uumlblicherweise in der Groumlszligenordnung der Schallgeschwindig-keit (zum Beispiel fuumlr Stickstoff bei Raumtemperatur c = 516 ms) und steht zu ihr in einer

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festen Beziehung Tatsaumlchlich laumlsst sich die Temperatur auch uumlber eine Messung der Schall-geschwindigkeit ermitteln Nachdem das mittlere Geschwindigkeitsquadrat der Teilchen bekannt ist stellt sich die Frage nach der Geschwindigkeitsverteilung der Teilchen Die Bewegungsenergie der Teilchen ist wie alle anderen Energieformen (zB elektronische Energie Schwingungsenergie) gequantelt Das bedeutet dass sich die Teilchen auf (hier dicht gestaffelte) Energieniveaus verteilen muumlssen Sie tun das nach einem statistischen Grundprinzip das Boltzmann-Verteilung genannt wird Demnach ist die Besetzung pi eines Energieniveaus i (egal welcher Art die Energie Ei ist) stets proportional zum so genannten Boltzmannfaktor des Zustand i Es gilt

pi ~ exp[-Ei(kBT)]

Die darin enthaltene Boltzmannkonstante kB ist nichts anderes als die allgemeine Gas-konstante R (siehe unter 32) dividiert durch die Zahl NL der Teilchen in einem Mol Substanz (kB = RNL) Das bedeutet die Besetzung eines Zustands ist umso wahrscheinlicher je niedriger dessen Energie ist Steigende Temperatur T hingegen erhoumlht die Wahrscheinlichkeit energiereicher Zustaumlnde Diese Gesetzmaumlszligigkeit gilt fuumlr die Besetzung aller auf atomarer oder molekularer Ebene gegebener Zustaumlnde in einem makroskopischen System Angewandt auf die Bewegungsenergie von Gasteilchen in einer einzelnen Raumrichtung x bedeutet das dass Teilchen mit hoher Geschwindigkeit vx weniger wahrscheinlich sind als solche mit niedriger Geschwindigkeit vx Allerdings steigt die Wahrscheinlichkeit des Auftretens groszliger Werte fuumlr vx mit steigender Temperatur Teilt man den Bereich der auftretenden Geschwindigkeiten in Intervalle auf und zaumlhlt man die Teilchen die gemaumlszlig ihrer Geschwindigkeit zu den einzelnen Intervallen zugeordnet werden koumlnnen so ergibt sich fuumlr die Geschwindigkeitsverteilung in vx und v das Bild das in Abb 22 oben dargestellt ist Die Verteilungsfunktionen fuumlr die Geschwindigkeiten in y- und z-Richtung sind identisch

n(vx)

vx-Intervall

n(vx)

vx-Intervall

Temperatur-erhoumlhung

- 0 +- 0 +n(v)

v-Intervall

Temperatur-erhoumlhung

0 +

n(v)

v-Intervall0 +

Abb 22 Verteilungsfunktionen einer eindimensionalen Geschwindigkeitskomponente (oben) und der Gesamtgeschwindigkeit (unten)

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Betrachtet man die Verteilung n(v) der Gesamtgeschwindigkeit v im dreidimensionalen Raum so wird das Bild komplizierter Bezuumlglich der drei Raumrichtungen x y und z sind weiterhin die kleinen Geschwindigkeiten wahrscheinlicher als die groszligen Da nun aber fuumlr eine groszlige Gesamtgeschwindigkeit v mehr Kombinationsmoumlglichkeiten vx vy vz existieren als fuumlr kleine Gesamtgeschwindigkeiten so wird die Wahrscheinlichkeit fuumlr sehr geringe Gesamtgeschwindigkeiten entsprechend kleiner fuumlr groszlige Gesamtgeschwindigkeiten entsprechend groumlszliger Der daraus resultierende Gewichtungsfaktor fuumlr jedes v ist die relative Flaumlche der Kugelschale mit dem Radius v Insgesamt ergeben sich dann die in Abb 22 unten dargestellten Verteilungsfunktionen fuumlr niedrige und hohe Temperaturen Die Verteilungsfunktionen in vx und v lauten (ohne Herleitung)

f(vx) = [M(2RT)]12 exp [-Mvxsup2(2RT)]

f(v) = 4 [M(2RT)]32 vsup2 exp [-Mvsup2(2RT)] Der Mittelwert von vx (oder jeder anderen eindimensionalen Geschwindigkeitskomponente) ist grundsaumltzlich Null Dagegen besitzt der Mittelwert von v stets eine endliche von Null verschiedene Groumlszlige Bei einer Erhoumlhung der Temperatur werden alle Verteilungsfunktionen breiter der Mittelwert von v vergroumlszligert sich Die Temperatur eines Gases aumluszligert sich also nicht nur im mittleren Geschwindigkeitsquadrat sondern auch in der Form der Geschwindigkeitsverteilungsfunktion Bei der Mischung von Gasen unterschiedlicher Temperatur muss um die oben genannte Forderung zu erfuumlllen aus der einfachen Summe von zwei Verteilungsfunktionen eine neue der Mischtemperatur ent-sprechende Verteilungsfunktion entstehen Dies ist nur unter der Annahme moumlglich dass ein Austausch kinetischer Energie unter den Teilchen erfolgen kann Diese Tatsache bedingt die eingangs gestellte Forderung nach Teilchenstoumlszligen also Wechselwirkungen zwischen den Teilchen Damit muumlssen die Gasteilchen aber auch ein gewisses Volumen besitzen den Teil-chen ohne Eigenvolumen koumlnnen prinzipiell nicht zusammenstoszligen Darin besteht der we-sentliche Unterschied zwischen einem Gas nach dem kinetischen Gasmodell und dem idealen Gas Das ideale Gas koumlnnte man theoretisch auf ein beliebig kleines Volumen komprimieren bei einem kinetischen Gas ist dies aufgrund des Eigenvolumens nicht moumlglich Ansonsten erlaubt das kinetische Gasmodell die vollstaumlndige Interpretation der idealen Gasgleichung

34 Die korrigierte Gasgleichung nach van der Waals JD van der Waals

Mithilfe des kinetischen Gasmodells laumlsst sich die Zustandsgleichung fuumlr Gase weiter verfeinern Zunaumlchst soll beruumlcksichtigt werden dass die Teilchen ein eigenes Volumen besitzen In erster Naumlherung geschieht dies indem man ein vom Eigenvolumen der Gas-teilchen abgeleitetes minimales Volumen des Gases (das so genannte Covolumen) definiert Das Covolumen beschreibt dasjenige Volumen des Gases das bei staumlndigem mechanischem Kontakt zwischen jeweils zwei Teilchen eingenommen wird wenn man den Teilchenpaaren jeweils den sie umschreibenden kugelfoumlrmigen Raum zuordnet (wegen der geringen Wahr-scheinlichkeit von Dreierstoumlszligen kann die Bildung von Dreiergruppen ausgeschlossen werden) Das molare Covolumen b entspricht wenn man eine einfache geometrische Uumlberlegung an-setzt dem vierfachen Eigenvolumen eines Mols der Gasteilchen Um das tatsaumlchliche freie

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32

Volumen zu erhalten muss das n-fache Covolumen vom gegebenen Volumen abgezogen werden Damit wird aus der idealen Gasgleichung P V = n R T die erste korrigierte Version P (V - n b) = n R T Im zweiten Schritt soll nun uumlber das kinetische Gasmodell hinausgehend auch die anziehen-de Wechselwirkung zwischen den Teilchen beruumlcksichtigt werden Die Anziehung zwischen den Teilchen sorgt nach van der Waals fuumlr einen zusaumltzlichen nach auszligen nicht messbaren bdquoBinnendruckldquo Dieser Binnendruck ist proportional zum Quadrat der Teilchendichte (nV)sup2 Der zwischen den Teilchen tatsaumlchlich wirkende nach auszligen ebenfalls unmessbare Gesamt-druck ist dann gegeben als

Pgesamt (unmessbar) = P (messbar) + a (nV)sup2

mit einer fuumlr die anziehende Wechselwirkung charakteristischen Konstante a Die danach korrigierte Version der Gasgleichung die van-der-Waals-Gleichung fuumlr reale Gase lautet

[P + a (nV)sup2] (V - nb) = n R T

Die Konstanten b und a besitzen fuumlr jedes reale Gas charakteristische Werte die dessen Eigenvolumen (die Groumlszlige der Elektronenhuumllle) und die Staumlrke der intermolekularen Wechsel-wirkungen reflektieren Beispiele

Gas a b

Argon 01345 Pa m6Molsup2 32210-5 msup3Mol Kohlendioxid 03592 Pa m6Molsup2 426710-5 msup3Mol Helium 00034 Pa m6Molsup2 23710-5 msup3Mol Stickstoff 01390 Pa m6Molsup2 391310-5 msup3Mol Wasser 05573 Pa m6Molsup2 31010-5 msup3Mol

Der Parameter b spiegelt mit der Einheit msup3Mol weitgehend die Groumlszlige der einzelnen Teilchen (Atome oder Molekuumlle) wider So besitzt erwartungsgemaumlszlig Kohlendioxid oder Argon einen groumlszligeren Wert fuumlr b als beispielsweise Helium Allerdings sind die Unterschiede erstaunlich klein was auf die Tatsache zuruumlckzufuumlhren ist dass sich das Covolumen auf Teilchenpaare bezieht und ein Paar aus Kohlendioxidmolekuumllen gegenuumlber einem Paar aus Heliumatomen nur etwa das doppelte Volumen benoumltigt

Der Parameter a mit der Einheit Pascal mal Molvolumen zum Quadrat reflektiert die Staumlrke der Wechselwirkungen zwischen den Teilchen Diese Wechselwirkungen beruhen zum groszligen Teil auf den elektrischen Eigenschaften der Teilchen Diese wiederum sind mit der elektronischen Struktur der Atome beziehungsweise der chemischen Bindungen verknuumlpft Am wichtigsten ist dabei das in Kapitel 19 erwaumlhnte Dipolmoment Polare Bindungen koumlnnen zu Teilchen mit permanenten Dipolen fuumlhren (zB HF Wasser Ammoniak CO) Andere Molekuumlle oder Atome sind zwar unpolar koumlnnen aber spontan oder durch aumluszligere

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33

elektrische Felder polarisiert werden (zB He Ar molekularer Wasserstoff molekulares Chlor) Man spricht dann von polarisierbaren Teilchen mit einem spontanen Dipolmoment oder mit einem durch ein aumluszligeres Feld bewirkten induzierten Dipolmoment In all diesen Faumlllen sind anziehende Wechselwirkungen zwischen den Teilchen moumlglich die in dem Parameter a zusammengefasst werden Daruumlber hinaus koumlnnen sich auch voruumlbergehende chemische Bindungen ausbilden Das prominenteste Beispiel fuumlr diesen Fall ist die bekannte Wasserstoffbruumlckenbindung die bei polaren X-H-Bindungen auftreten kann Im Einzelnen werden demnach folgende Arten von Wechselwirkungen mit absteigender Intensitaumlt unter-schieden

a) Wasserstoffbruumlckenbindung X-H hellip Y Hierbei bildet sich voruumlbergehend eine chemische Bindung zwischen dem polar gebundenen Wasserstoff und einem elektronegativen und mit einem freien Elektronenpaar ausgestatteten Element Y

b) Wechselwirkungen zwischen permanenten Dipolen hier besitzen alle Teilchen ein permanentes Dipolmoment Zwischen den entgegengesetzt geladenen Enden der Teilchen bauen sich dann konstant anziehende elektrostatische Wechselwir-kungen auf

c) Wechselwirkungen zwischen permanenten und induzierten Dipolen die Teil-chen mit permanentem Dipolmoment induzieren ein voruumlbergehendes Dipol-moment bei den benachbarten (zunaumlchst unpolaren) Teilchen In der Folge ergibt sich eine anziehende elektrostatische Wechselwirkung

d) Wechselwirkungen zwischen induzierten Dipolen durch spontane Polarisierung eines Teilchens entsteht ein voruumlbergehendes Dipolmoment welches bei einem benachbarten Teilchen eine Polarisierung hervorruft In der Folge ergibt sich eine kurzfristige und sehr schwache elektrostatische Anziehung zwischen den Teilchen Man spricht dabei auch von der Dispersionswechselwirkung oder der Londonschen Wechselwirkung

Alle diese Effekte sind anziehender Natur und gehen damit in den Parameter a ein Fasst man die beiden Parameter a und b zusammen so entsteht mit der van-der-Waals-Gleichung eine recht zuverlaumlssige Zustandsgleichung fuumlr reale Systeme die sowohl die abstoszligenden als auch die anziehenden Wechselwirkungen beruumlcksichtigt

Ein guter Test fuumlr diese reale Zustandsgleichung ist die Berechnung eines Diagramms von P gegen V fuumlr verschiedene Temperaturen das so genannte P-V-Diagramm und die Gegen-uumlberstellung mit dem entsprechenden experimentellen P-V-Diagramm eines realen Gases Gemaumlszlig der van-der-Waalsrsquoschen Gleichung existieren abhaumlngig von der betrachteten Tempe-ratur drei Typen von Isothermen (Abb 23 links) solche die einer Hyperbel aumlhneln (1) eine einzelne Isotherme die einen Wendepunkt mit waagrechter Tangente besitzt (2) und solche die ein Minimum ein Maximum und einen Wendepunkt aufweisen (3) Das experimentell beobachtete Verhalten stimmt in den ersten beiden Faumlllen recht gut uumlberein weicht aber bei Isothermen des dritten Typs deutlich vom berechneten Verlauf ab (Abb 23 rechts)

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34

P

V

PV-Diagramm nachvan-der-Waals-Gleichung

1 2

3

P

V

3

experimentell bestimmtesPV-Diagramm f reales Gas

Abb 23 PV-Diagramme fuumlr reale Gase berechnet nach van der Waals (links) und experimentell bestimmt (rechts) Die drei typischen Formen der Isothermen (1 2 und 3) sind im Text beschrieben

Offensichtlich beschreibt die van-der-Waals-Gleichung das Verhalten eines realen Gases in der Umgebung des Wendepunkts weniger gut Experimentell stellt man allerdings fest dass in diesem Bereich tatsaumlchlich auch kein reines Gas sondern vielmehr eine Mischung aus einem Gas und einer kondensierten Fluumlssigkeit also ein Zweiphasenzustand vorliegt Dieser Zwei-phasenbereich beginnt am Wendepunkt der Isothermen des Typs 2 und schlieszligt alle Minima Maxima und Wendepunkte der Isothermen des Typs 3 ein (Abb 24 links)

P

V

Zweiphasen-gebiet

P

V

Zweiphasen-gebiet

Maxwell-Maxwell-KorrekturKorrektur

Zweiphasen-Gebiet

Zweiphasen-Gebiet

A1

A2

Abb 24 PV-Diagramme fuumlr reale Gase mit eingezeichnetem Zweiphasengebiet Der in diesem Bereich bei der Beschreibung nach van der Waals gegebene Fehler kann in guter Naumlherung durch die Maxwell-Korrektur kompensiert werden

Eine einfache Korrektur der van-der-Waals-Gleichung ermoumlglicht eine realistische Beschrei-bung des Zweiphasengebiets Eine horizontale Gerade wird so in der Naumlhe des Wendepunktes gelegt dass die oberhalb und unterhalb der Geraden im Zweiphasenbereich gebildeten Teilflaumlchen A1 und A2 die gleiche Groumlszlige besitzen (sog Maxwell-Korrektur s Abbildung 24 rechts) Dies sieht zwar nach einer etwas willkuumlrlichen Hilfskonstruktion aus trotzdem laumlsst sich damit das Verhalten eines realen Gases im Zweiphasengebiet sehr gut nachvollziehen und vorhersagen Eine besonders ausgewiesene Position im PV-Diagramm eines realen Gases ist der Scheitel-punkt des Zweiphasengebiets der durch den Wendepunkt der Isotherme des Typs 2 gebildet wird (Abb 25)

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P

V

Zweiphasen-gebiet Tc

Pc

Vc

kritischer Punkt

Jedes reale Gas besitzt einen sogenannten kritischenPunkt der durch die kritischen Zustandsgroumlszligen Tc Pc undVc beschrieben wird Die kritische Temperatur Tc istdiejenige Temperatur bei der sich ein Gas unter Druckgerade noch verfluumlssigen laumlszligt Oberhalb der kritischenTemperatur existiert kein fluumlssiger Zustand Derentsprechende Druck Pc wird als kritischer Druckbezeichnet

Die Isotherme die der kritischen Temperatur zugeordnetist besitzt als einzige einen Wendepunkt mit horizontalerTangente der gleichzeitig den kritischen Punkt markiert

Abb 25 PV-Diagramm fuumlr ein reales Gas mit kritischem Punkt

Dieser sogenannte kritische Punkt wird durch die kritische Temperatur Tc den kritischen Druck Pc und das kritische Molvolumen Vc festgelegt Zustaumlnde oberhalb des kritischen Punkts nennt man uumlberkritisch Uumlberkritisches Kohlendioxid besitzt in der Technik groszlige Bedeutung fuumlr das Loumlsen und Ausfaumlllen von pharmazeutischen Wirkstoffen (zB Aspirin fuumlr Brausetabletten) fuumlr die Extraktion (zB bei der Entkoffeinierung von Kaffee) oder zur chemischen Reinigung von Textilien

35 Andere Zustandsgleichungen fuumlr reale Gase

Neben der van-der-Waals-Gleichung existieren weitere Ansaumltze zur Beschreibung realer Gase die zwar eine genauere Anpassung an die gemessenen Werte ermoumlglichen aber auch kompli-zierter sind oder mehr Arbeit bei der Bestimmung der charakteristischen Parameter erfordern Im Folgenden seien als Beispiele die Berthelot-Gleichung und die Virialgleichung erwaumlhnt

a Berthelot-Gleichung (P + (Ansup2)(TVsup2) ) (V - nB) = n R T Berthelot fuumlhrte damit als Besonderheit einen temperaturabhaumlngigen Binnendruck ein Dies ist insoweit physikalisch gerechtfertigt als die vermehrte thermische Bewegung der Ausbildung von Wechselwirkungen zwischen den Molekuumllen entgegenwirken kann

b Virialgleichung P Vm = A + B P + C Psup2 + D Psup3 + Mit Vm = Vn Die Virialgleichung nutzt die Tatsache dass sich fast alle physikalischen Zusammenhaumlnge uumlber einen Potenzreihenansatz a + bx + cxsup2 + dxsup3 + hellip beliebig genau annaumlhern lassen Je nach Anzahl der anpassbaren Parameter ist zwar eine beliebig genaue Beschreibung des realen Gases moumlglich allerdings steigt auch der Aufwand fuumlr die Bestim-mung aller Koeffizienten

36 Beschreibung von Fluumlssigkeiten

Im PV-Diagramm der realen Gase schlieszligt sich links vom Zweiphasengebiet der Bereich der fluumlssigen Phase an Sie zeichnet sich dadurch aus dass mit sinkendem Volumen der Druck ex-trem steil ansteigt Das bedeutet dass bereits eine geringfuumlgige Volumenabnahme mit einem aumluszligerst groszligen Druckanstieg verbunden ist In der Praxis hat das zur Folge dass Fluumlssigkeiten im Gegensatz zu Gasen kaum komprimierbar sind ihre Kompressibilitaumlt geht gegen Null Auch ist die Ausdehnung der Fluumlssigkeiten bei steigender Temperatur und bei konstantem

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36

Druck (der thermische Ausdehnungskoeffizient) sehr viel kleiner als bei Gasen Eine einfache allgemeine Zustandsgleichung fuumlr die fluumlssige Phase in Analogie zur idealen oder zur van-der-Waals-Gleichung existiert nicht Stattdessen findet man bei der experimentellen Bestimmung des Zusammenhangs zwischen P V und T fuumlr jede Fluumlssigkeit ein sehr charakteristisches Verhalten Vergleicht man die Messergebnisse verschiedener Fluumlssigkeiten untereinander so sind kaum Aumlhnlichkeiten auszumachen Daruumlber hinaus sind bestimmte Messungen (zB die Messung der Abhaumlngigkeit des Drucks vom Volumen bei konstanter Teilchenzahl und Temperatur) technisch sehr schwer zu realisieren Das Fehlen einer einheitlichen Zustandsgleichung V(TPn) fuumlr Fluumlssigkeiten liegt auch in deren komplexer Struktur begruumlndet Betrachtet man ein einzelnes Teilchen in der Fluumlssigkeit so liegt es bezuumlglich der Abstaumlnde zu seinen naumlchsten Nachbarn stets in der Naumlhe des Mini-mums einer Potentialkurve Epot(r) die einen sehr steilen Verlauf besitzt Die Abstaumlnde zu den benachbarten Teilchen sind damit nahezu fixiert folglich ist eine unabhaumlngige Translations-bewegung einzelner Teilchen praktisch unmoumlglich Stattdessen verlaufen alle Bewegungs-prozesse mehr oder weniger kollektiv also unter gleichzeitiger Verschiebung mehrerer Teilchen Daruumlber hinaus gibt es keine nennenswerten freien Volumina so dass der mittlere Abstand der Teilchen nur unwesentlich verringert werden kann ein Umstand der sich in der bereits erwaumlhnten geringen Kompressibilitaumlt aumluszligert Ein Modell fuumlr eine allgemeine Fluumlssigkeit laumlsst sich im Rahmen einer Computersimulation einfuumlhren Man betrachtet dabei einen wuumlrfelfoumlrmigen Raum der einen Ausschnitt aus dem Fluumlssigkeitsvolumen darstellen soll und eine endliche Anzahl n von Fluumlssigkeitsteilchen (zB n = 1000) enthaumllt Um die Zahl der Teilchen konstant zu halten und dabei trotzdem deren Beweglichkeit zu wahren wird eine Kontinuitaumltsbedingung eingefuumlhrt Jedes Teilchen das im Rahmen der Bewegungsprozesse den Wuumlrfel an einer gegebenen Stelle verlaumlsst tritt automatisch an der genau gegenuumlberliegenden Position des Wuumlrfels wieder ein Auf diese Weise ist gewaumlhrleistet dass die Zahl der Teilchen im Wuumlrfel konstant bleibt (Abb 26)

Abb 26 Simulation von Bewegungs-vorgaumlngen in einem Fluumlssigkeitsvolumen unter Wahrung einer konstanten Partikel-anzahl Jedes Teilchen das im Rahmen der Bewegungsprozesse den Wuumlrfel an einer gegebenen Stelle verlaumlsst tritt automatisch an der genau gegenuumlberliegenden Position des Wuumlrfels wieder ein

An diesem System fuumlhrt man nun eine so genannte Monte-Carlo-Simulation durch Dabei setzt ein Zufallsgenerator eine geringfuumlgige Verschiebung eines beliebigen einzelnen Teil-chens in Gang Anschlieszligend wird unter Verwendung des bekannten Potentialverlaufs Epot(r) berechnet wie sich nach der Verschiebung die potentielle Energie des Systems veraumlndert hat Danach entscheidet das Simulationsprogramm zwischen zwei Moumlglichkeiten

- Hat sich die gesamte potentielle Energie des Systems durch die Verschiebung verringert oder blieb sie konstant so wird die Verschiebung akzeptiert und der naumlchste Schritt berechnet - Hat sich die gesamte potentielle Energie durch die Verschiebung um den positiven Wert E erhoumlht so wird die Verschiebung mit einer Wahrscheinlichkeit die von E abhaumlngt akzeptiert und ansonsten verworfen Danach wird der naumlchste Schritt berechnet

Auf diese Weise kann man fuumlr beliebige Fluumlssigkeiten sowohl die typischen Bewegungs-prozesse als auch die einflussbedingten Veraumlnderung von Zustandsgroumlszligen (zB P in Ab-

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37

haumlngigkeit von V) berechnen Allerdings sind die Rechnungen bei den fuumlr eine realistische Beschreibung eines Fluumlssigkeitsvolumens notwendigen groszligen Teilchenzahlen sehr aufwaumlndig und zeitintensiv

37 Beschreibung von Festkoumlrpern

Begibt man sich im P-V-Diagramm vom fluumlssigen Zustand ausgehend noch weiter nach links (zu kleineren Volumina houmlheren Drucken und niedrigeren Temperaturen) so erreicht man den festen Zustand Die Problematik der Zustandsgleichung V(TPn) von Festkoumlrpern aumlhnelt jener der Fluumlssigkeiten Auch hier sind die Kompressibilitaumlten und die thermischen Aus-dehnungskoeffizienten uumlblicherweise sehr viel geringer als bei Gasen Ebenso wie bei Fluumls-sigkeiten sind dabei die Unterschiede zwischen einzelnen Vertretern der Festkoumlrper recht groszlig so dass keine gemeinsame Zustandsgleichung wie bei Gasen formuliert werden kann Im Vergleich mit den Werten der Fluumlssigkeiten sind die Kompressibilitaumlten und die thermischen Ausdehnungskoeffizienten der Festkoumlrper durchschnittlich nochmals um etwa zwei Groumlszligen-ordnungen geringer

Abb 27 Torsionsexperiment zur Unterscheidung zwischen Fluumlssigkeiten und Festkoumlrpern (s Text)

Der wesentliche Unterschied zwischen Festkoumlrpern und Fluumlssigkeiten besteht allerdings in ihrem gegensaumltzlichen Verhalten bezuumlglich Verformung waumlhrend Fluumlssigkeiten einer gege-benen Verformung durch ihre Zaumlhigkeit (Viskositaumlt) Widerstand leisten reagiert ein Fest-koumlrper auf eine Verformung durch eine elastische Deformation Dieses Verhalten wird in einem Torsionsrheometer deutlich wobei eine feste oder fluumlssige Probe periodisch mit einer torsionsartigen Verformung beaufschlagt wird (Abb 27) Waumlhrend der Drehmomentverlauf des Festkoumlrpers exakt gleichphasig zur periodischen Aus-lenkung erfolgt (elastische Verformung) ist der Drehmomentverlauf der Fluumlssigkeit dazu um ein Viertel einer Wellenlaumlnge phasenverschoben (viskose Reaktion) Bei Fluumlssigkeiten ist der Widerstand dann maximal wenn die Deformationsgeschwindigkeit maximal ist (blaue Linie

t

Dre

hmom

entv

erla

uf

tAusl

enku

ng

Festkoumlrper

t

Dre

hmom

entv

erla

uf

Fluumlssigkeiten

Pruumlfkoumlrper

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in Abb 26) Bei Festkoumlrpern ist die Kraft dann maximal wenn der Deformationszustandmaximal ist (rote Linie in Abb 27) Viele Festkoumlrper stellen Uumlbergaumlnge zwischen diesen beiden Extremfaumlllen dar und werden dann als viskoelastisch bezeichnet Aus der Betrachtung von Messergebnissen an einer Viel-zahl von Materialien geht hervor dass eine eindeutige Abgrenzung zwischen dem fluumlssigen und dem festen Zustand selten moumlglich ist Entsprechend gibt es auch unterschiedliche Strukturmodelle die teilweise das elastische Verhalten teilweise das plastische Verhalten von Festkoumlrpern erklaumlren Dem elastischen Festkoumlrper mit nahezu verschwindender Phasen-verschiebung wird am ehesten das Modell eines idealen Kristalls gerecht Man geht dabei davon aus dass jedes Atom bzw Molekuumll aus dem der Festkoumlrper zusammengesetzt ist sich an einem geometrisch festgelegten Gitterpunkt befindet von dem es sich nicht entfernen kann Als Bewegungsprozess ist dabei lediglich eine Schwingung mit begrenzter Amplitude moumlglich Die denkbaren Geometrien der Gitterstrukturen reichen von primitiv-kubischen Gittern (zB Natriumchlorid) uumlber kubisch-dichteste (zB Silber Kupfer) und hexagonal-dichteste Kugelpackungen (zB Magnesium Zink) bis zur kubisch-raumzentrierten Struktur (zB Eisen Molybdaumln) Haumlufig findet man leichte Abweichungen von der idealen Gitter-struktur die durch lokale Stoumlrungen hervorgerufen werden Akzeptiert man gewisse Anteile an viskosem Verhalten (dh eine leichte Phasenverschiebung) so begibt man sich in den Grenzbereich zwischen Festkoumlrpern und Fluumlssigkeiten In einem Material wie Glas ist die regelmaumlszligige Anordnung eines Gitters nicht gegeben die Atome sind unregelmaumlszligig positioniert und koumlnnen unter Belastung auch flieszligen Solche nicht-kristallinen Festkoumlrper bezeichnet man als amorph Typische Vertreter amorpher Feststoffe sind Fenster-glas viele transparente Kunststoffe (zB Plexiglas Polyester in Getraumlnkeflaschen) Wachs und Aumlhnliches Amorphe Festkoumlrper besitzen keinen Schmelzpunkt sondern erweichen bei steigender Temperatur allmaumlhlich Amorphe Festkoumlrper koumlnnen nachtraumlglich kristallisieren wobei sich haumlufig das aumluszligere Erscheinungsbild und die physikalischen Eigenschaften drastisch aumlndern (zB Plastikfolie unter Zug)

38 Das Phasendiagramm

Die drei wichtigsten Phasenzustaumlnde zu denen sich eine makroskopische Gesamtheit von Atomen oder Molekuumllen zusammenfinden koumlnnen sind also Gase Fluumlssigkeiten und Festkoumlrper Die Frage ist nun unter welchen Bedingungen sich ein System fuumlr den ersten den zweiten oder den dritten Zustand entscheidet Erfahrungsgemaumlszlig haumlngt der gegebene Phasenzustand von den in Kapitel 31 eingefuumlhrten Zustandsparametern n V P und T ab Legt man die Stoffmenge n auf einen Wert fest (zB auf ein Mol Teilchen) und beruumlcksichtigt man dass nach den gegebenen Zustandsgleichungen die Groumlszligen n V P und T miteinander verknuumlpft sind so genuumlgen zwei Parameter um den jeweils guumlnstigsten Phasenzustand eindeutig festzulegen Ein Diagramm bei dem einer der Parameter V P und T gegen einen anderen aufgetragen wird eignet sich also prinzipiell um bei einer gegebenen Teilchenart den unter diesen Bedingungen jeweils angestrebten Phasenzustand zu markieren So kann man gemaumlszlig den Abbildungen 23 bis 25 in einem Diagramm bei dem P gegen V aufgetragen wird schon den jeweils gegebenen Phasenzustand eintragen und ablesen In der Praxis eignen sich solche PV-Diagramme allerdings wenig um Phasenzustaumlnde zu markieren der gasfoumlrmige Zustand nimmt einen sehr breiten Raum ein waumlhrend der fluumlssige und der feste Zustand in dem sehr engen Bereich links neben dem Zweiphasengebiet bdquoeingequetschtldquo waumlre Vor allem in diesem Umfeld waumlre das Diagramm schwer ablesbar

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Wesentlich guumlnstiger ist dagegen die Auftragung vom Druck P gegen die Temperatur T In diesem PT-Diagramm das auch als Phasendiagramm bezeichnet wird lassen sich alle Phasenzustaumlnde uumlbersichtlich zuordnen Dabei bezeichnen Flaumlchenanteile im PT-Diagramm die unter den gegebenen Druck- und Temperaturbedingungen angestrebte Phase (zB fest fluumlssig gasfoumlrmig) waumlhrend Linien die dazwischen vorliegenden Gleichgewichte markieren und Phasengrenzlinien genannt werden (Abb 28)

T

Pfe

st

fluumlss

ig

gasfouml

rmig

kritischerPunkt

Tripel-punkt

Phasengrenzlinie

Abb 28 Phasendiagramm mit Auftragung des Drucks (P) gegen die Temperatur (T)

Auszligerdem enthaumllt ein Phasendiagramm gewoumlhnlich mindestens zwei besonders ausgezeich-nete Punkte den Tripelpunkt an dem die drei im Allgemeinen wichtigsten Phasenzustaumlnde fest fluumlssig und gasfoumlrmig miteinander im Gleichgewicht stehen und den bereits aus dem PV-Diagramm bekannten kritischen Punkt der das Ende eines definierten Uumlbergangs zwischen fluumlssiger und gasfoumlrmiger Phase markiert Beispiele fuumlr Phasendiagramme Kohlen-dioxid und Wasser sind in Abbildung 29 und 30 wiedergegeben

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T

P

fest

fluumlss

iggasfoumlrmig

kritischerPunkt

Tripel-punkt

2168 K

511 bar

CO2

3042 K

728 bar

Abb 29 Phasendiagramm fuumlr Kohlendioxid

T

P

fluumlss

ig

gasfoumlrmig

kritischerPunkt

H2O

Eis 1

Eis 1

Eis 2 Eis 3

Eis 5

Eis 6

Tripelpunkt6473 K

218 bar

6 mbar 27316 K

Abb 30 Phasendiagramm fuumlr Wasser Der Bereich oberhalb von 200 bar ist aus Gruumlnden der

Uumlbersichtlichkeit entlang der P-Achse komprimiert dargestellt

Eine wichtige Besonderheit des Phasenverhaltens von Wasser ist die Tatsache dass die Phasengrenzlinie zwischen fluumlssigem Wasser und Eis 1 eine negative Steigung aufweist Dies hat zur Folge dass gewoumlhnliches Eis durch Erhoumlhung des Drucks zum Schmelzen gebracht werden kann Dieser Umstand ist eine der Ursachen dafuumlr dass eine Kufe auf Eis gleitet da der durch das Schmelzen entstehende Wasserfilm die Reibung vermindert (allerdings spielt hier auch die Reibungswaumlrme eine Rolle) Der Grund fuumlr dieses Verhalten steht in direkter Verbindung mit der strukturbedingten Volumenabnahme beim Schmelzen von Eis (s Videos unter httpwwwyoutubecomwatchv=6s0b_keOiOU und httpswwwyoutubecomwatchv=CDTZoFGmZoc )

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Waumlhlt man in einem Phasendiagramm eine Kombination von Druck und Temperatur so kann man direkt denjenigen Phasenzustand ablesen den die gegebene Teilchenart unter diesen Bedingungen anstrebt Das heiszligt jedoch nicht dass dieser Zustand dann auch in jedem Fall und zu jeder Zeit vorliegt Haumlufig beobachtet man eine so genannte kinetische Hemmung einer Phasenumwandlung So gibt es unterkuumlhlte Fluumlssigkeiten (zB Regentropfen bei -3degC) genauso wie unterkuumlhlte Dampfphasen (zB uumlbersaumlttigten Wasserdampf in Gewitterwolken) oder uumlberhitzte Fluumlssigkeiten (zB uumlberhitztes Wasser bei einem Siedeverzug) Kristalli-sationskeime wie Staubkoumlrner koumlnnen Phasenumwandlungen beschleunigen (zB durch Staub verursachter bdquoIndustrieschneeldquo) Bisher wurden lediglich Phasendiagramme von reinen Stoffen betrachtet die nur aus einer einzelnen Sorte Atomen oder Molekuumllen bestehen Mischt man einem gegebenen Stoff eine weitere Komponente hinzu so aumlndert sich das Phasendiagramm erheblich Als Beispiel betrachten wir ein System in dessen fluumlssiger Phase ein Fremdstoff A geloumlst wird der weder im Festkoumlrper noch im der Gasphase loumlslich ist (zB Kochsalz in Wasser) In diesem Fall dehnt sich der fluumlssige Bereich des Phasendiagramms mit steigender Konzentration von A in alle Richtungen aus so dass gleichzeitig der Schmelzpunkt erniedrigt der Siedepunkt erhoumlht und der Dampfdruck verringert wird (Abb 31) In erster Naumlherung sind alle genannten Aumlnderungen proportional zu cA

T

P

fest

fluumlss

ig

gasfouml

rmig

Abb 31 Phasendiagramm fuumlr ein System in dessen fluumlssiger Phase ein Fremdstoff mit steigender

Konzentration cA geloumlst wird Der Bereich der fluumlssigen Phase dehnt sich daraufhin in alle

Richtungen aus

Bei weiter steigender Konzentration von A kann ein Punkt erreicht werden an dem die Mischung in zwei getrennte Bereiche zerfaumlllt die ebenfalls als Phasen bezeichnet werden (zB Olivenoumll und Wasser) Eine dieser Phasen besitzt dann einen hohen Loumlsemittelanteil bei geringer Konzentration von A die andere besteht aus einem hohen Anteil an A mit einem geringen Gehalt an Loumlsemittel Dieser Vorgang der Phasenseparation binaumlrer (aus zwei Komponenten bestehender) Systeme wird durch eine andere Art von Phasendiagramm beschrieben dem so genannten Mischphasendiagramm (Abb 32) Hierbei wird die Tempe-

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ratur dem relativen Anteil einer Komponente gegenuumlbergestellt der Druck wird als konstant angenommen

Abb 32 Allgemeine Darstellung eines Mischphasendiagramms

Grundsaumltzlich gibt die linke Flanke der Phasentrennlinie (links des kritischen Punkts) die Zusammensetzung der bdquoA-armenldquo Phase an waumlhrend die rechte Flanke (rechts des kritischen Punkts) die Zusammensetzung der A-reichen Phase beschreibt Die Mengen der dabei gebildeten Phasen koumlnnen nach dem so genannten Hebelgesetz berechnet werden Demnach gilt zwischen dem Anteil n1 der A-armen Phase 1 dem Anteil n2 der A-reichen Phase 2 und den Laumlngen der Pfeile s1 und s2 in der vorhergehenden Abbildung folgender Zusammenhang

n1 s1 = n2 s2

Fuumlr das gezeigte Beispiel wuumlrde das bedeuten dass der Anteil der Phase 1 etwa doppelt so groszlig waumlre wie der Anteil der Phase 2 In der Naumlhe der beiden Raumlnder des Diagramms also fuumlr xA 0 (sehr wenig A im Loumlsemittel) oder xA 1 (sehr wenig Loumlsemittel in A) liegen in den meisten Faumlllen einphasige homogene Mischungen vor Das besagt dass auch bei niedrigen Temperaturen ein wenig von dem Stoff A im Loumlsemittel bzw ein wenig Loumlsemittel im Stoff A loumlslich ist Der im Diagramm eingezeichnete kritische Punkt bedeutet dass oberhalb der dazugehoumlrigen kritischen Temperatur keine Entmischung mehr erfolgt dh hier sind die beiden Komponenten vollstaumlndig und in jedem Verhaumlltnis miteinander mischbar Neben solchen oberen kritischen Punkten gibt es auch untere kritische Punkte Im zweiten Fall gilt dass die beiden Komponenten unterhalb einer bestimmten Temperatur in jedem Verhaumlltnis miteinander mischbar sind Im Allgemeinen koumlnnen die drei verschiedenen Faumllle auftreten die in Abbildung 33 dargestellt sind

0 Molenbruch xA der Komponente A 1

Tem

pera

tur

obere kritischeTemperatur

Einphasen-gebiet

Zweiphasen-gebiet

Beispiel xA = 04

T1

Zum gezeigten Beispiel

Eine Mischung mit dem Molenbruch xA = 04 wird von T2 nach T1 abgekuumlhltDabei zerfaumlllt die Mischung bei Tklsquo in zwei Phasen derenZusammensetzung bei T1auf der x-Achse an den Punkten 1 und 2 ablesbar ist

T2

Tklsquo

1 2

kritischer Punkt

s1 s2

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43

0 xA 1

Tem

pera

tur

System mit oberem kritischen Punkt

kritischer Punkt

0 xA 1Te

mpe

ratu

r

System mit unterem kritischen Punkt

kritischer Punkt

0 xA 1

Tem

pera

tur

System mit oberem und unterem

kritischen Punkt

kritischer Punkt

kritische Punkte

Abb 33 Moumlgliche Varianten von kritischen Punkten bei Systemen aus zwei Komponenten

Obere kritische Punkte findet man dann wenn sich die molekulare thermische Bewegung gegen die Tendenz der Molekuumlle sich mit gleichartigen Molekuumllen zusammenzulagern durchsetzt Dieses Phaumlnomen ist sehr verbreitet so dass ein oberer kritischer Punkt bei sehr vielen Mischphasen beobachtet wird Untere kritische Punkte sind sehr viel seltener Sie treten beispielsweise dann auf wenn die beiden Komponenten miteinander bei tiefen Temperaturen einen Komplex bilden der bei houmlheren Temperaturen wieder zerfaumlllt und dann zu einer Phasenseparation fuumlhrt Ein Beispiel dafuumlr ist die Mischung aus Wasser und Triethylamin

Fuumlr Mischphasen aus drei Komponenten so genannte ternaumlre Mischungen sind die bisher gezeigten Darstellungen ungeeignet Hierfuumlr haben sich Dreiecksdiagramme (Gibbssches Phasendreieck) durchgesetzt die das Phasenverhalten unter Variation der Mengenbeitraumlge aller drei Komponenten aufzeigen (Abb 34) Das Diagramm ist so geartet dass die Summe aller drei Mengenanteile xA xB und xC in jedem Fall den Wert 1 ergibt Damit besitzt die Zusammensetzung des ternaumlren Gemisches zwei Freiheitsgrade Jede Linie die durch eine Ecke des Diagramms fuumlhrt verbindet diejenigen Punkte bei denen das Verhaumlltnis zweier Komponenten gleich ist Jede Linie die parallel zu einer der drei Seiten verlaumluft entspricht Gemischen bei denen der relative Anteil einer Komponente gleich bleibt

00 02 04 06 08 10Komponente A

00

02

04

06

08

10

Kom

pone

nte

B

0002

04

06

08

10

Komponente C

C

A

B

00 02 04 06 08 10Komponente A

00

02

04

06

08

10

Kom

pone

nte

B

00

02

04

06

08

10

Komponente C

x1

x2x

Abb 34 Prinzip eines ternaumlren Phasendiagramms nach Gibbs (Dreiecksdiagramm)

In solche ternaumlren Mischphasendiagramme lassen sich nun entsprechend den binaumlren Mischphasendiagrammen die Ein- und Zweiphasengebiete einzeichnen Das Diagramm in

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Abb 34 rechts gilt zB fuumlr eine ternaumlre Mischung aus A B und C bei der die Komponenten A und B sowie B und C jeweils paarweise in jedem Verhaumlltnis miteinander mischbar sind Die Komponenten A und C sollen dagegen nur begrenzt mischbar sein Als Konsequenz daraus ergibt sich ein Dreiecksdiagramm das an der unteren Achse die dem Anteil 0 der Komponente B entspricht ein Zweiphasengebiet aufweist

Die Hilfslinien im Zweiphasengebiet markieren die Zusammensetzung der entstehenden Einzelphasen So wuumlrde beispielsweise eine Mischung deren Zusammensetzung im Diagramm durch den Punkt x markiert ist in die beiden Phasen x1 und x2 zerfallen Die Mengenanteile der beiden Phasen koumlnnten dabei wieder uumlber das Hebelgesetz berechnet werden Um zusaumltzlich den Einfluss der Temperatur wiederzugeben muss eine weitere Koordinate eingefuumlhrt werden Man erhaumllt dabei ein dreidimensionales Dreiecksdiagramm das haumlufig unter Verwendung von Houmlhenlinien nach der Art einer topographischen Landkarte dargestellt wird Jede Houmlhenlinie des Zweiphasengebiets umschreibt dann seine Ausdehnung bei einer gegebenen Temperatur

Fragt man bei einem System mit bestehenden Randbedingungen nach der Zahl der frei variierbaren Zustandsgroumlszligen also nach der Zahl der Freiheitsgrade so haumlngt die Antwort zunaumlchst davon ab in welchem Phasenzustand sich das System befindet So kann man beispielsweise in der Gasphase (bei festgelegter Stoffmenge) Temperatur und Druck frei waumlhlen wodurch dann automatisch das Volumen festgelegt wird Gleiches gilt fuumlr die feste und die fluumlssige Phase Das System hat innerhalb eines Phasenzustands also zwei Freiheits-grade Setzt man allerdings voraus dass sich das System in einem Gleichgewicht zwischen zwei Phasen befindet (zB auf der Verdampfungslinie) so besitzt es nur einen Freiheitsgrad Am Tripelpunkt schlieszliglich bei einem Gleichgewicht zwischen drei Phasen sind keine Freiheitsgrade mehr vorhanden Zwischen der Zahl der Phasen P und der Zahl der Freiheitsgrade F gibt es also folgende einfache Beziehung

F = 3 - P

Beruumlcksichtigt man weiter dass auch mehr als eine Komponente auftreten kann (Zahl der Komponenten C gt 1) so erhoumlht sich die Zahl der Freiheitsgrade um jede zusaumltzliche Komponente deren Konzentration ja frei waumlhlbar ist um den Wert eins Man erhaumllt damit

F = 3 - P + (C - 1) oder F = C - P + 2

Nach dieser allgemeinguumlltigen Formel der so genannten Gibbsrsquoschen Phasenregel laumlsst sich die Zahl der Freiheitsgrade in jedem beliebigen System bestimmen Sie erlaubt insbesondere bei sehr komplizierten Mischungen mit einer unbekannten Anzahl an Phasenzustaumlnden uumlber eine einfache Betrachtung Ruumlckschluumlsse auf deren Phasenverhalten

Page 3: Vorlesung PC I Einführung in die Physikalische Chemierelaxation.chemie.uni-duisburg-essen.de/lehre/Skript_PC_2016_2017.pdf · Schwingungen möglich, deren Geometrie (d.h. die Zahl

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Dabei steht bdquoCldquo fuumlr die Einheit der Ladung das bdquoCoulombldquo und entspricht der Ladung die bei einem Strom von einem Ampegravere in einer Sekunde bewegt wird

Abb 2 Millikan-Versuch zur Bestimmung der Elektronenladung Robert Millikan 1891 Video unter httpwwwyoutubecomwatchv=XMfYHag7Liw

13 Die Masse des Elektrons

Die Masse des Elektrons laumlsst sich bei bekannter Ladung durch die Beschleunigung des Elektrons in einem elektrischen Feld bestimmen So kann man in einer Vakuumroumlhre einen Elektronenstrahl erzeugen der auf einem gegenuumlberliegenden Fluoreszenzschirm einen hellen Fleck hervorruft Der Strahl kann nun durch das Anlegen von elektrischen Feldern abgelenkt werden wodurch zum Beispiel ein bewegtes Bild entstehen kann (Braunsche Roumlhre) Aus der Geschwindigkeit der Elektronen und der Ablenkung des Elektronenstrahls bei einer gegebenen elektrischen Ladung kann man so die Masse des Elektrons ermitteln Die so genannte Ruhemasse des Elektrons (Masse bei v = 0) betraumlgt me = 910938291∙10-31 kg Video unter httpwwwyoutubecomwatchv=nRRwHjRrAjo

14 Der Radius des Elektrons

Der Radius des Elektrons ist eine eher hypothetische Groumlszlige Er leitet sich aus dem Radius eines gedachten kugelfoumlrmigen Kondensators ab der bei einer Aufladung mit der oben genannten Elementarladung genau diejenige Energie besitzt die nach Einstein (bdquoE = mcsup2ldquo) der Ruhemasse des Elektrons zukommt Mittels dieser Betrachtung kommt man fuumlr das Elektron auf einen Radius von re = 2817940∙10-15 m

15 Die Doppelnatur des Elektrons und der eindimensionale Potentialtopf

Bis zu diesem Punkt kann man also Elektronen als kugelfoumlrmige Teilchen mit einer Ladung e einer Masse me und einem Radius re betrachten Tatsaumlchlich gibt es Experimente bei denen sich ein Elektron genau wie solch ein klassisches Teilchen verhaumllt Finden zum Beispiel elastische Stoumlszlige zwischen Elektronen statt so verhalten sie sich in guter Naumlherung wie Billardkugeln die Gesamtenergie der beiden Teilchen bleibt uumlber den Stoszligvorgang hinweg konstant der Vorgang laumlsst sich wie ein mechanischer Stoszlig zwischen zwei Teilchen beschreiben (Abb 3 links) Solche Vorgaumlnge laufen zum Beispiel ab wenn Materie in einem Elektronenmikroskop untersucht wird Dabei treten so genannte Sekundaumlrelektronen auf die aus elastischen Stoumlszligen resultieren Es gibt jedoch auch ein ganz anderes Phaumlnomen das allen Vorstellungen von teilchenartigen Elektronen zu widersprechen scheint das der Elektronenbeugung Schickt man einen Strahl von Elektronen durch einen engen Spalt so findet man auf einem dahinter montierten Fluoreszenzschirm nicht wie man erwarten sollte eine einzelne helle Linie sondern ein ganzes Linienmuster (Abb 3 rechts) Dieses besteht aus einer zentralen Linie die von einer

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Reihe benachbarter paralleler Linien mit abnehmender Intensitaumlt begleitet wird Ein solches Beugungsmuster beobachtet man gewoumlhnlich bei sich wellenartig ausbreitenden Energie-formen (zB bei Licht) nicht aber bei festen Partikeln

Louis de Broglie (1924)

Abb 3 a) Elastischer Stoszlig zwischen Elektronen b) Beugung von Elektronen an einem Spalt

Der erste der aus dieser Beobachtung die Hypothese der Doppelnatur der Elektronen ableitete war der Physiker Louis de Broglie Er postulierte dass ein Elektron sich so verhaumllt als waumlre es ein Partikel und gleichzeitig () eine Welle Dabei kann fuumlr sich allein weder die Vorstellung eines Elektrons als Partikel noch die Vorstellung als Welle das Verhalten des Elektrons vollstaumlndig beschreiben Erst beide Modelle gemeinsam vermoumlgen das Bild des Elektrons sinnvoll wiederzugeben Dies sei an einem Beispiel dargestellt ein Elektron halte sich in einem eindimensionalen Bereich zwischen zwei reflektierenden Flaumlchen auf Diese Situation wird als eindimensionaler Potentialtopf bezeichnet Betrachtet man das Elektron als Teilchen so kann man es sich als kleine Kugel vorstellen die zwischen zwei Flaumlchen ruht (Abb 4a) Betrachtet man es als Welle so gleicht es einem Lichtstrahl zwischen zwei Spiegeln (Abb 4b) Fuumlr sich gesehen koumlnnte das Elektron nach beiden Modellen beliebige Energien besitzen die jeweils zeitlich konstant sind

Abb 4 Eindimensional bewegliches Elektron zwischen zwei reflektierenden Waumlnden a) Vorstellung als Teilchen (links) b) Vorstellung als Welle (rechts) Dieser Zustand wird als eindimensionaler Potentialtopf oder als bdquoParticle-in-a-boxldquo bezeichnet

Beide Vorstellungen die einigermaszligen gegensaumltzlich sind muumlssen nun unter einen Hut ge-bracht werden das Elektron muss sie gleichzeitig () erfuumlllen Mathematisch gesehen formu-liert man damit eine Gleichung bei der auf der einen Seite die Eigenschaft des Teilchens auf der anderen Seite die der Welle steht Angewandt auf die Eigenschaft Energie lautet sie damit in etwa

Energie des Elektrons als Teilchen = Energie des Elektrons als Welle

Sollen beide Modelle gleichzeitig gelten so kann das Elektron nur noch solche Zustaumlnde einnehmen bei der diese Gleichung exakt erfuumlllt ist Diese bdquozulaumlssigenldquo Zustaumlnde kann man sich bei dem genannten Beispiel als bdquostehende Wellenldquo zwischen den beiden reflektierenden Waumlnden vorstellen Dies waumlre etwa vergleichbar mit einer Gitarrensaite die zwischen den beiden Waumlnden gespannt ist und zum Schwingen gebracht wird Es sind dann nur bestimmte

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Schwingungen moumlglich deren Geometrie (dh die Zahl der Wellenberge Wellentaumller und Knotenpunkte) sowie Energie (dh die Schwingungsfrequenz) genau definierte von einer gewissen Regelmaumlszligigkeit gekennzeichnete Werte aufweisen muumlssen (Abb 5) Die in Abbildung 5 gezeigten Diagramme markieren Momentaufnahmen von drei der Wellenfunktionen Ψ(x) die Loumlsungen der obigen Gleichung darstellen Der Wert Ψ(x) kann dabei positiv negativ oder null (dh oberhalb unterhalb oder auf der gestrichelten Linie) sein Im letzteren Fall spricht man von den bereits erwaumlhnten Knotenpunkten der Funktion Die Wahrscheinlichkeit das Elektron als Teilchen in der Umgebung des Ortes x aufzufinden ist proportional zur Wellenfunktion im Quadrat p(xplusmnΔx) ~ Ψsup2(x) Eine wichtige Randbedingung ist dabei die Forderung dass die Aufenthaltswahrscheinlichkeit des Elektrons an den beiden Waumlnden null ist dort muumlssen also zwangslaumlufig Knotenpunkte liegen Fuumlr den Fall des eindimensionalen Elektrons in einem stationaumlren (dh zeitlich nicht veraumlnderlichen) Zustand ergeben sich dann die in Abbildung 5 angedeuteten Loumlsungen des Problems Der Wert n benennt die einzelnen Loumlsungen (Loumlsung 1 Loumlsung 2 hellip Loumlsung n) und wird auch als Quantenzahl bezeichnet Abb 5 zeigt nur die drei Zustaumlnde mit der niedrigsten Energie und den Quantenzahlen n = 1 2 und 3 es gibt aber prinzipiell unendlich viele Loumlsungen Jede einzelne Loumlsung wird als ein bdquoOrbitalldquo bezeichnet und vermag zwei Elektronen aufzunehmen Die Wellenfunktionen besitzen abseits der reflektierenden Waumlnde jeweils (n-1) Knotenpunkte und eine mit dem Wert n ansteigende Energie Alle Eigenschaften des Elektrons koumlnnen nun aus der jeweils guumlltigen Wellenfunktion Ψn(x) ermittelt werden

etcn = 3

n = 2

n = 1

Ener

gie

usw

a

E = nsup2hsup28masup2

Abb 5 Eindimensional bewegliches Elektron zwischen zwei reflektierenden Waumlnden Moumlgliche Zustaumlnde unter Ansatz des Welle-Teilchen-Modells Gezeigt sind die drei Zustaumlnde mit niedrigster Energie Weitere Zustaumlnde mit n gt 3 besitzen entsprechend houmlhere Zahlen an Knotenpunkten und houmlhere Energie Die Energie kann uumlber die einfache Formel rechts berechnet werden (mit h als der Planckschen Konstante und m als Masse des Elektrons) Jede Wellenfunktion vermag zwei Elektronen aufzunehmen und wird als Orbital bezeichnet Eine sehr schoumlne Animation findet man in Wikipedia unter httpenwikipediaorgwikiParticle_in_a_box

Die bislang anschaulich formulierte Gleichung Energie des Elektrons als Teilchen = Energie des Elektrons als Welle

laumlsst sich fuumlr die Wellenfunktion Ψ(x) im eindimensionalen Potentialtopf auch mathematisch darstellen und lautet dann nach Erwin Schroumldinger (ohne Herleitung und weitere Erklaumlrung)

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idxd

m sup2sup2

2sup2

Erwin Schroumldinger

Diese sehr wichtige Gleichung (sie braucht an dieser Stelle im mathematischen Sinne noch nicht verstanden zu werden) wird als Schroumldinger-Gleichung bezeichnet und besitzt die in Abbildung 5 gezeigten Loumlsungen Ψn(x) mit n = 1 2 3 hellip Diesen Zustaumlnden zugeordnet sind die Energieniveaus 1 2 3 hellip zwischen denen keine weiteren Zustaumlnde moumlglich sind Man sagt die Energie des Elektrons ist bdquogequanteltldquo Der Wert fuumlr E(n) ist proportional zu nsup2 (s Formel in Abb 5 rechts) die Abstaumlnde zwischen aufeinanderfolgenden Energieniveaus werden damit mit steigendem n groumlszliger Der noch recht einfache Fall des eindimensional beweglichen Elektrons hat durchaus eine realistische Entsprechung in der Chemie er beschreibt in sehr guter Naumlherung das Verhalten der Elektronen in Molekuumllen mit alternierenden einfach- und Doppelbindungen zB in Butadien CH2=CH-CH=CH2 oder in β-Carotin

Bei einem solchen Molekuumll kann man durch einfaches Abzaumlhlen die Zahl der Elektronen bestimmen die sich innerhalb des Delokalisationsgebiets befinden (pro Doppelbindung sind es zwei) Anschlieszligend besetzt man die Orbitale des eindimensionalen Potentialtopfes mit aufsteigender Reihenfolge fuumlr jedes n jeweils doppelt Bei dem gezeigten β-Carotin besetzen die vorhandenen 22 Elektronen des Delokalisationsgebiets damit im Grundzustand die ersten 11 Orbitale (mit n = 1 bis 11) Das Orbital mit n = 12 bleibt (wie alle anderen mit n gt 11) unbesetzt Die Energie jedes einzelnen Zustands kann uumlber die einfache Gleichung in Abb 5 rechts berechnet werden Entscheidend ist dabei die Laumlnge a des Potentialtopfes Auch zeigt sich hier die Bedeutung der Masse des Elektrons

16 Das Wasserstoffatom

In den meisten Faumlllen ist das Problem ein Elektron in einem Atom oder Molekuumll zu beschreiben wesentlich komplizierter Dazu gehoumlrt schon der allereinfachste Fall der bei einem Atom gegeben ist die Beschreibung des einzelnen Elektrons in einem Wasserstoff-atom Die im Wasserstoffatom gegebene Situation wird durch die Gegenwart des positiv geladenen Kerns (eines einzelnen Protons) bestimmt Das Elektron wird mit seiner negativen Ladung durch den Kern angezogen und das umso staumlrker je naumlher es ihm kommt Das Elektron befindet sich damit in einem zentrosymmetrischen elektrischen Feld in dem es eine umso

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houmlhere potentielle Energie besitzt je weiter es sich vom Kern entfernt Die Situation ist ein wenig vergleichbar mit der eines Planeten der sich um die Sonne bewegt Haumltte das Elektron nur eine Teilchennatur so koumlnnte es einfach zum Kern stuumlrzen und dort auf dem Zustand niedrigster Energie verharren Dies allerdings wird durch die Wellennatur des Elektrons bdquoverbotenldquo die es sozusagen zwingt eine Art stehende Welle um den Kern herum aufzubauen Fuumlr diese bdquostehende Welle um den Kern herumldquo gibt es verschiedene Loumlsungen die als Orbitale bezeichnet werden Deren Berechnung folgt wieder der Gleichung

Energie des Elektrons als Teilchen = Energie des Elektrons als Welle

die mathematisch als Schroumldinger-Gleichung des dreidimensionalen Raums folgende Form besitzt (auch hier die Mathematik der Gleichung sei an dieser Stelle noch nicht relevant)

irV

zyxm)(

sup2sup2

sup2sup2

sup2sup2

2sup2

Auch hier soll nicht auf die Details der Gleichung eingegangen werden Wichtig ist nur dass nun alle drei Raumrichtungen x y und z eine Rolle spielen Daruumlber hinaus kommt auch die potentielle Energie im elektrischen Feld des Kerns mit ins Spiel die als V(r) eingefuumlhrt wird und kontinuierlich mit groumlszliger werdendem r ansteigt Dadurch werden auch die Loumlsungen dieser Gleichung die nun Ψn lms (xyzt) heiszligen wesentlich komplizierter und vielfaumlltiger Im Gegensatz zu den Loumlsungen Ψn(xt) fuumlr ein eindimensional bewegliches Elektron gibt es nun mitunter fuumlr eine einzelne Quantenzahl n mehrere Loumlsungen Um alle diese Loumlsungen zu erfassen werden neben der (Haupt-)Quantenzahl n weitere Quantenzahlen eingefuumlhrt die wieder nur eine Rolle als benennende Indizes spielen Der vollstaumlndige Satz Quantenzahlen der zur Benennung eines elektronischen Zustands noumltig ist lautet nun

Hauptquantenzahl n mit n = 1 2 3 4 hellip

Nebenquantenzahl l mit l = 0 1 2 hellip (n-1)

Magnetische Quantenzahl m mit m = - l hellip 0 hellip+ l

Spinquantenzahl s mit s = +12 und s = -12

Die zehn ersten moumlglichen Kombinationen von Quantenzahlen (n l m s) des Wasserstoff-elektrons lauten damit (100+12) (100-12) (200+12) (200-12) (21-1+12) (21-1-12) (210+12) (210-12) (21+1+12) (21+1-12) Fuumlr houmlhere Hauptquantenzahlen n gt 2 werden die moumlglichen Kombinationen von Quantenzahlen immer zahlreicher Jedem Satz von Quantenzahlen ist genau ein elektronischer Zustand und genau ein Energieniveau zugeordnet Die Energie jedes Zustands wird bei Wasserstoff im feldfreien Raum allein durch die Hauptquantenzahl bestimmt wobei der Wert in der Folge n = 1 2 3 4hellip kontinuierlich aber mit sinkender Schrittweite waumlchst Das Energieschema weist also bezuumlglich der Quantenzahl n einen groszligen Unterschied zu dem des eindimensionalen Potentialtops auf waumlhren die Abstaumlnde zwischen E(n) und E(n+1) beim Potentialtopf mit steigendem n immer groumlszliger werden so werden sie beim Wasserstoff immer kleiner Der Grenzwert von E fuumlr n gegen unendlich wird beim Wasserstoff Ionisierungsenergie genannt

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Die Energie ist beim Wasserstoff (im Gegensatz zu allen anderen Elementen) voumlllig unab-haumlngig von den weiteren Quantenzahlen obwohl die Wellenfunktionen sehr unterschiedlich aussehen koumlnnen Man nennt solche Zustaumlnde mit unterschiedlicher Wellenfunktion aber gleicher Energie entartet Ein Beispiel fuumlr entartete Zustaumlnde waumlren also die Wellen-funktionen mit den Quantenzahlsaumltzen (200-12) und (21-1-12) Wie lassen sich die verschiedenen Zustaumlnde nun anschaulich darstellen Am besten gelingt das indem man die Bereiche innerhalb derer die Wellenfunktion einen bestimmten Betrag besitzt raumlumlich abbildet In Abbildung 6 ist dies fuumlr die Wellenfunktionen mit den Quantenzahlen n = 1 bis 7 fuumlr l = 0 bis 2 und fuumlr m = 0 bis 2 zeichnerisch umgesetzt worden

Abb 6 Darstellung der elektronischen Wellenfunktionen des Wasserstoffatoms fuumlr die Quantenzahlen n = 1 bis 7 fuumlr l = 0 bis 2 und fuumlr m = 0 bis 2 Aus Gruumlnden der Vergleichbarkeit sind alle Orbitale in gleicher Groumlszlige dargestellt (ansonsten muumlsste die Groumlszlige mit der Quantenzahl n ansteigen) Der Atomkern befindet sich jeweils im Schwerpunkt jeder Orbitalstruktur Die Farbe Orange bedeutet ein positives die Farbe Blau ein negatives Vorzeichen der Wellenfunktion (aus httpchemlinksbeloiteduStarspagesorbitalshtml)

Die raumlumlichen Strukturen die durch die drei Quantenzahlen n l und m festgelegt werden heiszligen Orbitale Grob zusammenfassend kann man sagen dass im Wasserstoffatom die Hauptquantenzahl n die Groumlszlige die Nebenquantenzahl l die Form und die magnetische Quantenzahl m die Ausrichtung der Orbitale bestimmt Da die Quantenzahl s dann noch jeweils zwei Einstellungen besitzt die im Uumlbrigen keinen Einfluss auf die Gestalt der Orbitale nehmen kann jedes dieser Orbitale zwei moumlgliche elektronische Zustaumlnde enthalten (mit s = +12 und s = -12) Alle in Abbildung 6 dargestellten Strukturen repraumlsentieren damit

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moumlgliche Aufenthaltsbereiche fuumlr je zwei verschiedene Zustaumlnde die das Elektron in Wasserstoff einnehmen kann

Die Orbitale mit der Nebenquantenzahl l = 0 heiszligen s-Orbitale Sie besitzen grundsaumltzlich eine kugelsymmetrische Gestalt eine von n abhaumlngige Groumlszlige und keine Ausrichtung Die Orbitale mit der Nebenquantenzahl l = 1 heiszligen p-Orbitale Sie besitzen grundsaumltzlich die Gestalt einer Hantel und ebenfalls eine von n abhaumlngige Groumlszlige Ihre Ausrichtung folgt der x- der y- und der z-Achse verbunden mit den magnetischen Quantenzahlen m = -1 0 oder +1 Die Orbitale mit der Nebenquantenzahl l = 2 heiszligen d-Orbitale und besitzen abhaumlngig von der magnetischen Quantenzahl m kompliziertere Formen und Richtungen Anschaulich sollte man von der Vorstellung Abstand nehmen das Orbital sei ein Volumen innerhalb dessen das Elektron als Teilchen rotiere Vielmehr sollte man das Orbital als eine Art Schwingungsfigur betrachten aumlhnlich wie das Vibrationsbild einer schwingenden Saite Dann macht auch die Tatsache einen Sinn dass die Wellenfunktion einen positiven und einen negativen Wert besitzen kann dieser deutet dann auf die Richtung einer Auslenkung hin entsprechend einer Gitarrensaite die man ebenfalls in zwei verschiedene Richtungen auslenken koumlnnte Erst das Quadrat der Wellenfunktion macht dann eine Aussage uumlber den moumlglichen Aufenthaltsort des Elektrons als Teilchen Moumlchte man wissen mit welcher Wahrscheinlichkeit das Elektron als Teilchen innerhalb eines bestimmten Teilvolumens auftritt so muss man die Quadrate aller Ψ-Werte innerhalb dieses Teilvolumens aufaddieren (integrieren) Integriert man Ψsup2 uumlber das gesamte Volumen des Atoms (das nebenbei gesagt theoretisch unendlich groszlig ist) so resultiert der Wert eins da das Elektron zwangslaumlufig irgendwo sein muss Diese Voraussetzung stellt die Normierungsbedingung dar die jede der Wellenfunktionen des Wasserstoffatoms erfuumlllen muss Sehr schoumlne raumlumliche Abbildungen zu den Elektronenorbitalen des Wasserstoffs finden sich auf der Homepage des Instituts fuumlr Theoretische Chemie der Universitaumlt Sheffield (httpwintergroupshefacukorbitron )

17 Atome mit mehreren Elektronen

Im Falle von Mehrelektronensystemen wie Helium- Lithium- oder Beryllium- sowie allen weiteren Atomen sind die Verhaumlltnisse ungleich komplizierter Hier muumlssten in der Schroumldin-gergleichung auch die elektrostatischen Wechselwirkungen der Elektronen untereinander be-ruumlcksichtigt werden Da aber der Ort aller Elektronen (anders als der des als ruhend angenom-menen Kerns) nur uumlber Wellenfunktionen beschrieben werden kann wuumlrde die dazugehoumlrige Schroumldingergleichung schon fuumlr ein Zweielektronensystem uumlbermaumlszligig kompliziert Deshalb verwendet man folgende vereinfachende Naumlherung man fasst in Gedanken den Atomkern mit allen uumlbrigen Elektronen (also allen Elektronen bis auf das eine dessen Wellenfunktion man gerade ermitteln moumlchte) zusammen und erhaumllt so ein neues fiktives Teilchen dessen Ladung (bei neutralen Atomen) stets den Wert plus eins besitzt Der Ort dieses fiktiven Teilchens ist aufgrund der Symmetrie der Elektronenverteilung zum Kern stets identisch mit dem Ort des Kerns Damit verwandelt sich jedes Atom bei der Betrachtung eines einzelnen Elektrons in ein fiktives Wasserstoffatom und man kann alle Orbitale des Mehrelektronenatoms auf die Wasserstofforbitale zuruumlckfuumlhren Diese Naumlherungsloumlsung ist sehr praktisch hat allerdings ihre Grenzen So koumlnnen viele Gesetzmaumlszligigkeiten die fuumlr das Wasserstoffatom noch gelten nicht beibehalten werden So haumlngt bei Mehrelektronensystemen beispielsweise die Energie eines Orbitals nicht mehr nur von der Hauptquantenzahl n sondern zumindest auch von der Nebenquantenzahl l ab da hier der Einfluss der uumlbrigen Elektronen des Atoms zum Tragen kommt Mit der oben beschriebe-

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nen Naumlherung ist diese Beobachtung nicht mehr vorhersagbar da die Wechselwirkung zwi-schen den Elektronen ignoriert wird

Bei der Besetzung eines Mehrelektronensystems ist zunaumlchst einmal das Pauli-Prinzip zu beachten Dieses Gesetz wird auch Ausschlussprinzip genannt und bedeutet dass zwei Elek-tronen die sich im gleichen Raum aufhalten niemals Wellenfunktionen mit identischen Quantenzahlen belegen duumlrfen Anders gesagt alle Wellenfunktionen die von den in einem gemeinsamen Volumen (also zB in einem Atom) vorhandenen Elektronen besetzt werden muumlssen sich in wenigstens einer der vier Quantenzahlen unterscheiden In erster Konsequenz bedeutet dies dass Materie nicht von anderer Materie durchdrungen werden kann (sonst wuumlrden sich zum Beispiel notwendigerweise irgendwo zwei Elektronen mit den Quanten-zahlsaumltzen (100-12) im selben Volumen begegnen) Dies hat aber auch zur Folge dass ein Orbital mit den drei Quantenzahlen n l und m nur genau zwei Elektronen (mit s = +12 und -12) beherbergen darf

Wolfgang Pauli Friedrich Hund

Abb 7 Darstellung der Besetzungsreihenfolge bezuumlglich der Haupt- und Nebenquantenzahlen bei Mehrelektro-nensystemen Nacheinander wird dabei den von oben nach unten versetzten Pfeilen in der angegebenen Richtung gefolgt Man erhaumllt somit das Besetzungsschema 1s - 2s - 2p - 3s - 3p - 4s - 3d - 4p - 5s - hellip usw

Die Reihenfolge mit der die Haupt- und Nebenquantenzahlen besetzt werden ist durch die so genannte Aufbauregel festgelegt Diese bestimmt die Belegung der Orbitale so wie sie durch die Folge der untereinander versetzten Pfeile in Abbildung 7 dargestellt ist (s oben)

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Bezuumlglich der uumlbrigen Quantenzahlen m und s gilt es den drei Hundschen Regeln zu folgen (Anmerkung in der Literatur ist auch manchmal von vier Hundschen Regeln die Rede wobei sich dann aber die vierte aus den anderen drei ergibt) Die erste Hundsche Regel nennt man in der angelsaumlchsischen Literatur auch bildhaft die bdquobus-seat-ruleldquo Aumlhnlich wie unabhaumlngige Reisende die Zweierreihen eines Busses zunaumlchst alle jeweils einzeln belegen so versuchen auch die Elektronen zunaumlchst alle Varianten der mag-netischen Quantenzahl m einfach zu besetzen Alle diese ungepaarten Elektronen weisen dann dieselbe Spinquantenzahl (s = 12) auf So werden beispielsweise bei den p-Orbitalen immer erst alle drei Orbitale mit m = 1 0 und -1 (jeweils mit s = 12) einfach besetzt Die zweite Hundsche Regel besagt dass das Orbital mit dem groumlszligten Wert fuumlr m (unter Beachtung der ersten Hundschen Regel) immer zuerst besetzt wird Die einfache Besetzung nach der ersten Hundschen Regel beginnt also stets mit m = l danach folgt m = (l - 1) usw Die weitere Besetzung der Orbitale mit einem jeweils zweiten Elektron mit umgekehrtem Spin (s = -12) findet danach in derselben Reihenfolge statt Die dritte Hundsche Regel beschreibt lediglich das Verhalten eines Mehrelektronensystems im Magnetfeld hat aber auf die Reihenfolge der Besetzung der Orbitale keinen Einfluss und braucht daher an dieser Stelle noch nicht beruumlcksichtigt zu werden Das insgesamt resultierende Besetzungsschema wird in der Chemie haumlufig in der so genannten Kaumlstchenschreibweise dargestellt Fuumlr die Nebenquantenzahlen von 0 bis 2 besitzt es unter Beachtung der Hundschen Regeln die folgende Struktur

Abb 8 Darstellung der Besetzungsreihenfolge bezuumlglich der magnetischen Quantenzahl und der Spinquanten-zahl bei Mehrelektronensystemen Jeder aufwaumlrts gerichtete Pfeil steht fuumlr eine Elektronenfunktion mit s = +12 (paralleler Spin) jeder abwaumlrts gerichtete Pfeil fuumlr eine Elektronenfunktion mit s = -12 (antiparalleler Spin)

Betrachten wir einmal denjenigen Radius eines Atoms der bei der direkten Beruumlhrung zweier Atome relevant wird Zunaumlchst koumlnnte man annehmen dass dieser Atomradius mit steigender Zahl an Elektronen grundsaumltzlich groumlszliger werden sollte Innerhalb einer Periode ist aber uumlberraschenderweise das Gegenteil der Fall wie aus folgenden Werten hervorgeht

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Lithium (3 Elektronen) Atomradius 152 pm Beryllium (4 Elektronen) Atomradius 112 pm Bor (5 Elektronen) Atomradius 88 pm Kohlenstoff (6 Elektronen) Atomradius 77 pm Stickstoff (7 Elektronen) Atomradius 70 pm Sauerstoff (8 Elektronen) Atomradius 66 pm Fluor (9 Elektronen) Atomradius 64 pm

Die Ursache hierfuumlr liegt in der staumlrkeren Ladung des Kerns und dem daraus folgenden steileren Potentialverlauf V(r) Die wachsende Ladung des Kerns komprimiert in zuneh-mendem Maszlige die Groumlszlige des Atoms Ein Fluoratom misst trotz der dreifachen Elektronenzahl weniger als die Haumllfte eines Lithiumatoms Vergleicht man allerdings die Atome von aufeinanderfolgenden Perioden innerhalb einer Gruppe (zB in der Reihe Li ndash Na ndash K ndash hellip) so findet man in den meisten Faumlllen den zu erwartenden Groumlszligenanstieg

18 Chemische Bindungen und Molekuumlle

Mit den Loumlsungen der Schroumldingergleichung des Wasserstoffatoms mit der Einfuumlhrung der Orbitale und mit der Beruumlcksichtigung der Besetzungsregeln haben wir nun ein relativ um-fassendes Bild von den Grundbausteinen der Chemie den Atomen Damit ergibt sich nun die Frage wie zwei oder mehr Atome miteinander wechselwirken koumlnnen Zunaumlchst ist zu klaumlren was eigentlich passiert wenn zwei Atome (Atom a und Atom b) immer naumlher zusammen-ruumlcken Eigentlich sollte man annehmen dass in diesem Fall die abstoszligenden Wechselwirkun-gen dominieren da sich bei dem direkten Kontakt zwischen den Atomen zunaumlchst nur die Elektronenhuumlllen beruumlhren sollte es zu einer starken elektrostatischen Abstoszligung kommen Zunaumlchst scheint die Bildung einer chemischen Bindung physikalisch wenig plausibel Trotz-dem existieren in der Natur drei moumlgliche Loumlsungen des Problems

a) Die Ionenbindung Hierbei geht ein oder mehrere Elektronen vollstaumlndig vom Atom a zum Atom b uumlber Dadurch wird das Atom a zum positiv geladenen Kation das Atom b zum negativ geladenen Anion Die anziehende elektrostatische Kraft bewirkt eine stabile Bindung

b) Die kovalente Bindung Es bilden sich zwischen zwei Atomen a und b gemeinsame Elektronenorbitale auf denen Elektronen sozusagen unter den beiden Bindungs-partnern aufgeteilt werden

c) Die metallische Bindung Es bildet sich ein Kontinuum aus sehr groszligen gemeinsa-men Elektronenorbitalen die sich uumlber ein atomares Gitter erstrecken Eine Vielzahl von Elektronen (das so genannte Elektronengas) wird dabei unter einer Vielzahl von Atomen aufgeteilt

Im Folgenden soll vor allem die Loumlsung b also die kovalente Bindung betrachtet werden da die anderen Bindungsformen (wie spaumlter gezeigt wird) auch als Grenzfaumllle dieser Loumlsung gelten koumlnnen Das bedeutet wir betrachten nun eine Situation bei der gemeinsame Orbitale zwischen (im einfachsten Fall) zwei Atomkernen existieren Um dafuumlr die Schroumldingergleichung zu loumlsen

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ist erneut eine Vereinfachung noumltig die als Born-Oppenheimer-Naumlherung gilt Dabei nimmt man an dass der Ort der beiden Atomkerne festgelegt ist obwohl die dazwischen befind-lichen Elektronen durch Wellenfunktionen beschrieben werden Dadurch erspart man sich die Komplikation eines moumlglicherweise zeitlich variablen Kernabstands Gerechtfertigt wird diese Naumlherung dadurch dass die Atomkerne um ein Vielfaches schwerer sind als die Elektronen ihre Bewegungen daher um ein Vielfaches langsamer Mit dieser Naumlherung fuumlhren wir nun folgendes Gedankenexperiment durch wir betrachten zwei Wasserstoffatome mit unendlichem Abstand zueinander Ihre Elektronen befinden sich beide im energetischen Grundzustand besitzen aber unterschiedlichen Spin so dass ihnen die beiden Quantenzahlsaumltze (100+12) und (100-12) zukommen Damit wird dem Pauli-Prinzip Genuumlge getan so dass die beiden Atome nun zusammengeruumlckt werden duumlrfen Je naumlher die beiden Atome einander kommen umso mehr bdquofuumlhltldquo das Elektron des einen Atoms den Kern des anderen so dass die Wellenfunktionen des ungestoumlrten Wasserstoffatoms nun keine guumlltigen Loumlsungen mehr darstellen Es muumlssen also neue molekulare Wellenfunktionen gefunden werden Diese Molekuumllorbitale bildet man am einfachsten indem man Kombina-tionen aus den zuvor guumlltigen Atomorbitalen bildet Wichtig ist es handelt sich dabei nicht um eine einfache Uumlberlappung zwischen den bestehenden Atomorbitalen sondern um die rechnerische Bildung eines neuen Orbitals Im Fall des Wasserstoffatoms im Grundzustand sind zwei solcher Kombinationen moumlglich Vereinfachend kann man das eine entstehende Molekuumllorbital als normierte additive Kombination aus den beiden einzelnen s-Atomorbitalen betrachten (Abb 9 oben links) Es wird als bindendes σ-Molekuumllorbital bezeichnet besitzt eine niedrigere Energie als das s-Atomorbital und weist zwischen den beiden Atomkernen eine hohe Elektronendichte (ein hohes Ψsup2) auf Sein Gegenstuumlck wird entsprechend aus einer Art normierter subtraktiver Kombination der beiden urspruumlnglichen s-Orbitale gebildet (Abb 9 oben rechts) Es wird als antibindendes σ-Molekuumllorbital bezeichnet besitzt eine houmlhere Energie als das s-Atomorbital und weist zwischen den beiden Atomkernen eine niedrige Elektronendichte (ein kleines Ψsup2) auf An einer Stelle besitzt letztere sogar den Wert Null Die bisher vorhandenen Atomorbitale existieren nun nicht mehr

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Abb 9 Darstellung von bindenden (links oben) und antibindenden Molekuumllorbitalen (rechts oben) im Wasserstoffmolekuumll H2 Das Energiediagramm links unten veranschaulicht die Bildung eines bindenden σ-Molekuumllorbitals im Fall von Wasserstoff H2 Das Diagramm rechts unten verdeutlicht die Situation in einem fiktiven Helium-Molekuumll He2 bei dem neben dem bindenden σ-Molekuumllorbital auch das antibindende σ-Molekuumllorbital besetzt wuumlrde Zweiatomiges Helium ist demzufolge nicht stabil

Die hohe Elektronendichte des bindenden σ-Orbitals im Bereich zwischen den Kernen bewirkt dass sich anziehende elektrostatische Wechselwirkungen Kern-Elektron-Kern aus-bilden koumlnnen es haumllt also das Molekuumll zusammen (deswegen bdquobindendldquo) Da das bindende σ-Orbital die niedrigere Energie besitzt wandern die zwei Elektronen des Wasserstoffmole-kuumlls beide (mit unterschiedlichen Spins) in diese Position Damit verbunden ist ein Energie-gewinn der den gebundenen Zustand beguumlnstigt Zur Trennung des Molekuumlls muss Energie aufgebracht werden Das antibindende σ-Orbital weist am Ort zwischen den Kernen die Elektronendichte Null auf Damit dominiert hier die abstoszligende elektrostatische Wechselwirkung Kern-Kern dazu-hin ist es energetisch unguumlnstiger Bei einem fiktiven Helium-Molekuumll (Abb 9 unten rechts) muss wegen der Zahl von vier Elektronen auch dieses σ-Orbital doppelt besetzt sein Dadurch wird sowohl der Energiegewinn als auch die anziehende Wechselwirkung des bindenden σ-Orbitals kompensiert so dass dieses Molekuumll insgesamt nicht stabil ist Grundsaumltzlich sind alle urspruumlnglichen Atomorbitale nach der Bildung des Molekuumlls ver-schwunden alle insgesamt vorhandenen Elektronen werden auf die neu gebildeten Molekuumll-orbitale verteilt Ist das Niveau der Atomorbitale vor der Bildung eines gemeinsamen Mole-kuumllorbitals sehr unterschiedlich so erhaumllt man eine polare kovalente Bindung bei der der Schwerpunkt der Elektronendichte auf der Seite des urspruumlnglich energieaumlrmeren Orbitals

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liegt Im Grenzfall extremer Polaritaumlt erhaumllt man eine Ionenbindung (s oben) Sind sehr viele gleichartige Orbitale an der Bildung des Molekuumllorbitals beteiligt so koumlnnen sich groszlige Delokalisationsgebiete ausbilden Im Extremfall eines Delokalisationsgebiets das sich uumlber ein ganzes Kristallgitter erstreckt spricht man von einer metallischen Bindung (s oben) Die Molekuumllorbitaltheorie (kurz MO-Theorie) ist also in der Lage saumlmtliche Bindungsarten zu beschreiben Energiediagramme wie in Abb 9 unten werden als MO-Schemata bezeichnet Fuumlr zwei-atomige Molekuumlle moumlgen sie noch recht uumlbersichtlich aussehen bei vielatomigen Molekuumllen sind sie dagegen meistens unuumlberschaubar Mit Hilfe leistungsfaumlhiger Computer lassen sich solche Molekuumllorbitale noch rechnerisch erfassen allerdings steigt der Rechenaufwand (und damit die Rechenzeit und die Kosten) mit steigender Molekuumllgroumlszlige sehr rasch an In diesem Fall kann man auf eine vereinfachende Betrachtung ausweichen die so genannte Valence-Bond-Theorie (VB-Theorie Valenzbindungstheorie) Sie wurde in Konkurrenz zur MO-Theorie entwickelt und beinhaltet eine wesentliche zusaumltzliche Naumlherung Sie ist dadurch deutlich weniger genau allerdings auch wesentlich einfacher anwendbar und in der Praxis die beste Methode um rasch und anschaulich Molekuumllgeometrien und Reaktionsmechanismen erklaumlren zu koumlnnen Im Gegensatz zur MO-Theorie geht man bei der VB-Theorie im Grundsatz davon aus dass auch im Molekuumll noch die urspruumlnglichen Atomorbitale existieren Der VB-Theorie nach entsteht die chemische Bindung dadurch dass zwei halb besetzte Atomorbitale der beiden benachbarten Atome A und B uumlberlappen Das bdquoUumlberlappungsorbitalldquo wird dann in der Regel durch die beiden resultierenden Elektronen (eines von A und eines von B) besetzt wobei das wiederum voraussetzt dass sie einen unterschiedlichen Spin aufweisen Jedes durch solche bdquoUumlberlappungldquo gebildete Orbital entspricht einer Bindung Der Einfachheit halber nimmt man an dass die anderen Atomorbitale nicht an der Bindung teilnehmen und somit unveraumlndert bleiben Aufgrund dieser doch recht groben Naumlherung kommt es bei der VB-Betrachtung von einfa-chen Molekuumllen wie Wasser Methan oder Ammoniak sehr schnell zu Problemen Zunaumlchst einmal sind die erhaltenen Bindungswinkel unrealistisch aufgrund der Tatsache dass in allen genannten Faumlllen p-Orbitale beteiligt sind resultiert aus dem VB-Modell immer wieder ein Bindungswinkel von 90deg wohingegen die tatsaumlchlichen Bindungswinkel deutlich groumlszliger sind (Wasser 1045deg Methan 109deg) Ein noch groumlszligeres Problem stellen zB die Bindungs-verhaumlltnisse des Kohlenstoffs dar eigentlich sollte man nach der VB-Theorie fuumlr eine Ver-bindung zwischen Kohlenstoff und Wasserstoff ein bdquoCH2ldquo mit einem Bindungswinkel von 90deg erwarten wobei die zwei jeweils halbbesetzten p-Orbitale des Kohlenstoffs Bindungs-anzahl und ndashwinkel vorgeben Dieser Mangel der VB-Theorie kann weitgehend repariert werden indem man die Schritte der Promotion und der Hybridisierung einfuumlhrt Beide Vorgaumlnge sind dabei nicht als natuumlrliche Prozesse sonder eher als hypothetische Hilfskonstruktionen zu verstehen die lediglich dazu dienen die Maumlngel der VB-Theorie auszuheilen Letztlich ermoumlglichen sie es mit Hilfe von Linearkombinationen aus Atomorbitalen und deren Uumlberlappungszonen den tatsaumlchlich vor-liegenden Molekuumllorbitalen naumlherzukommen

Der erste dazu notwendige Schritt die Promotion dient dazu die fuumlr die gegebene Zahl an Bindungen notwendige Zahl an ungepaarten Elektronen zu schaffen Dazu werden dann einfach Orbitale houmlherer Energie besetzt Im Fall des vierbindigen Kohlenstoffs bedeutet das beispielsweise dass ein s-Elektron an den bereits halbbesetzten px- und py-Orbitalen vorbei auf das energiereichere pz-Orbital gehoben wird Aus der Elektronenkonfiguration

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wird somit 1s 2s 2p

Dieser hypothetische Vorgang kommt einer gewissen Energieerhoumlhung gleich die allerdings dadurch abgemildert wird dass ein nach der ersten Hundschen Regel (bdquobus seat ruleldquo) guumlnsti-gerer Zustand mit ungepaarten Spins entsteht Die vier nunmehr halbbesetzten Orbitale sind in Abbildung 10 dargestellt

Abb 10 Darstellung der vier an der sp3-Hybridisierung des Kohlenstoffs beteiligten Orbitale 2s 2px 2py und 2pz(Quelle Chemgapedia)

Anschlieszligend erfolgt nun die Hybridisierung eine Art Vermischung (oder mathematisch korrekter die Bildung von Linearkombinationen) des s- mit den drei p-Orbitalen Dadurch entstehen Orbitale in gleicher Anzahl aber mit voumlllig neuer Form Symmetrie und Orien-tierung im Raum

Abb 11 Darstellung der vier aus der sp3-Hybridisierung des Kohlenstoffs resultierenden Hybridorbitale Die Ausrichtung der sp3-Hybridorbitale folgt den vier Raumdiagonalen eines Wuumlrfels oder ndash wenn man nur die groumlszligeren Segmente der Orbitale betrachtet ndash den Ecken eines Tetraeders (Quelle Chemgapedia)

Die vier neuen wiederum jeweils halbbesetzten Orbitale zeigen vom Kern aus zu den Ecken eines Tetraeders Mit ihrer Hilfe laumlsst sich nun zwanglos die Bildung des bekannten Methan-Molekuumlls CH4 erklaumlren jedes einzelne sp3-Hybridorbital uumlberlappt mit jeweils einem s-Orbi-tal eines Wasserstoffatoms wodurch eine tetraedrische Molekuumllgeometrie mit vier voumlllig gleichberechtigten Bindungen entsteht Das Ergebnis kommt den tatsaumlchlich vorhandenen Molekuumllorbitalen die sich gemaumlszlig dem MO-Modell formulieren lassen sehr nahe Festzu-halten ist dabei dass es sich sowohl bei der Promotion als auch bei der Hybridisierung um rein fiktive Prozesse handelt die lediglich postuliert werden um den VB-Ansatz zu bdquorettenldquo Der grundsaumltzliche Mangel der darin besteht dass das VB-Modell uumlberwiegend auf Atom-orbitalen beharrt die eigentlich nicht mehr existieren bleibt bestehen Viele Molekuumllgeome-trien lassen sich in der VB-Theorie nur mit Hilfe einer passenden Hybridisierung erklaumlren Dennoch das VB-Modell ist fuumlr die meisten Anwendungen in der Chemie nach wie vor der am haumlufigsten gewaumlhlte Ansatz er ist einfach intuitiv und vielseitig einsetzbar solange man die richtige Form der Hybridisierung waumlhlt Letzteres geschieht auf der Grundlage einer bekannten Molekuumllgeometrie oder unter Beruumlcksichtigung von vorhandenen Mehrfachbindun-gen Im Idealfall aumlhneln die gebildeten Hybridorbitale dann den wirklichen Molekuumllorbitalen

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In der folgenden Tabelle sind die haumlufigsten Hybridisierungsvarianten zusammengefasst und verschiedenen Molekuumllgeometrien zugeordnet Bei gegebener Geometrie des Molekuumlls (z B die trigonal-planare Anordnung um jedes Kohlenstoffatom im Ethylen) kann man so auf die passende Hybridisierung schlieszligen (im gegebenen Fall das sp2-Hybrid)

Tabelle 1 Wichtige Hybridisierungszustaumlnde nach dem VB-Modell

Hybridisierung Promotion Koordinationszahl Geometrie Beispiele

sp uarruarr suarr puarr 2 linear Acetylen Propadien

sp2 uarruarruarr suarr puarruarr 3 trigonal-planar Ethylen Benzol

sp3 uarruarruarruarr suarr puarruarruarr 4 tetraedrisch Methan Ammoniak

sp3d uarruarruarruarruarr suarr puarruarruarr duarr 5 trigonal-bipyramidal

Phosphor-pentachlorid

sp3d2 uarruarruarruarruarruarr suarr puarruarruarr duarruarr 6 oktaedrisch Schwefel-hexafluorid

Die so entstehenden Hybridorbitale kommen in ihrer raumlumlichen Darstellung den tatsaumlchli-chen Molekuumllorbitalen teilweise recht nahe sie korrigieren somit die VB-Theorie in gewissem Sinne in Richtung der MO-Theorie Allerdings bleibt festzuhalten dass die VB-Theorie keine antibindenden Orbitale kennt diese bleiben einfach unberuumlcksichtigt Dies ist eine gravie-rende Schwaumlche der VB-Theorie die sich an vielen Stellen bemerkbar macht (zB bei der Erklaumlrung des Sauerstoff-Biradikals in der Spektroskopie und bei bestimmten Reaktions-typen)

19 Elektronegativitaumlt und Polaritaumlt

In einer chemischen Bindung zwischen verschiedenen Elementen besitzen die beteiligten Atome fuumlr gewoumlhnlich unterschiedliche Tendenzen die Bindungselektronen an sich zu ziehen Bei der Betrachtung der Energieschemata im MO-Modell aumluszligert sich dies darin dass ein bindendes Molekuumllorbital aus einer Linearkombination zweier Atomorbitale mit sehr unterschiedlicher Energie hervorgeht In diesem Fall besitzt das bindende Molekuumllorbital die Tendenz hohe Elektronendichten in der Naumlhe des Elements aufzuweisen dessen Atomorbital energetisch guumlnstiger liegt Man spricht dann von einer hohen Elektronegativitaumlt dieses Elements da es in dem gebundenen Zustand durch die erhoumlhte Elektronendichte eine partiell negative Ladung aufweist Ein klassisches Beispiel ist die Verbindung Fluorwasserstoff (HF) Hier wird ein bindendes Molekuumllorbital aus der Linearkombination zwischen dem 1s-Orbital des Wasserstoffs mit einem 2p-Orbital des Fluors gebildet Letzteres liegt aufgrund der relativ hohen Kernladung und des geringen Atomradius des Fluors energetisch wesentlich tiefer wodurch sich eine stark asymmetrische Elektronenverteilung ergibt Die Elektronegativitaumlt wird in erster Linie durch die Kernladung vor allem aber auch durch den Abstand zwischen den Valenzelektronen und dem Atomkern bestimmt Daher sind auch kleine Atome wie zum Beispiel der Stickstoff der Sauerstoff oder das Fluor auch besonders elektronegativ (s Tabelle Seite 12) Im Periodensystem der Elemente nimmt die Elektro-negativitaumlt tendenziell nach oben und nach rechts zu (Edelgase ausgenommen) Linus Pauling

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schlug vor die Elektronegativitaumlt ausgehend von der VB-Theorie als dimensionslose Kenn-groumlszlige fuumlr jedes einzelne Element einzufuumlhren Sie errechnet sich aus einem Vergleich der Dissoziationsenergien der beteiligten Elemente Demnach besitzt Francium als das am wenigsten elektronegative Element den Wert 070 und Fluor als das am staumlrksten elektro-negative Element den Wert 398 Eine Zwischenstellung nimmt zB Wasserstoff mit 220 ein Bei Bindungen zwischen Elementen mit unterschiedlicher Elektronegativitaumlt spricht man von polaren Bindungen Entlang einer polaren Bindung baut sich durch die ungleiche Elektronen-verteilung ein entsprechendes Dipolmoment auf das haumlufig Anlass fuumlr starke zwischen-molekulare Kraumlfte liefert (s Kapitel 3) Im Extremfall einer sehr polaren kovalenten Bindung kann das Bindungselektron (bzw die Bindungselektronen) praktisch allein dem elektronega-tiveren Element zugesprochen werden Das entsprechende Bindungsorbital besteht dann als Linearkombination von Atomorbitalen fast ausschlieszliglich aus einem Atomorbital welches das elektronegativere Element beisteuert In diesem Fall spricht man nach klassischer Definition von einer Ionenbindung

2 Die Elektronenspektroskopie an Atomen und Molekuumllen 21 Grundlagen der Spektroskopie

Elektronen in Atomen und Molekuumllen koumlnnen ndash soweit die Erkenntnis aus Kapitel 1 ndash durch Wellenfunktionen beschrieben werden Aus diesen kann man nicht nur die Aufenthaltswahr-scheinlichkeit an verschiedenen Positionen im Raum sondern auch die Energie des Elektrons ableiten Eine Folge der Beschraumlnkung der Elektronen auf bestimmte Wellenfunktionen mit jeweils bestimmter Energie ist dass sie auch nur in bestimmten Schritten Energie aufnehmen und abgeben koumlnnen Jede Aufnahme bzw Abgabe von Energie entlang dieses Schrittes ist generell mit der Aufnahme bzw Abgabe von elektromagnetischer Strahlung verbunden Diese Tatsache bildet die Grundlage der Spektroskopie im gegebenen Fall der Elektronenspektros-kopie

Allgemein gesprochen befasst sich die Spektroskopie mit der Wechselwirkung zwischen Strahlung und Materie Etwas genauer laumlsst sich aussagen dass die Spektroskopie unter-sucht mit welcher elektromagnetischen Strahlung sich welcher energetische Uumlbergang anre-gen laumlsst Zwischen der elektromagnetischen Strahlung und dem dabei bewirkten energeti-schen Uumlbergang gilt dann grundsaumltzlich folgende Beziehung Δ E = h ∙ ν mit ΔE als der Energiedifferenz zwischen den beiden Zustaumlnden (in Joule) ν (gesprochen bdquonuumlldquo) als Frequenz der verwendeten elektromagnetischen Strahlung (in 1s oder Hertz Hz) und h als dem so genannten Planckschen Wirkungsquantum (mit h = 6626∙10-34 Js) Somit ist jeder Frequenz ν im elektromagnetischen Spektrum (Abb 12) genau ein Energiewert Δ E zugeordnet Die dazugehoumlrige Wellenlaumlnge im Vakuum (in m) errechnet sich nach λ = c ν mit c als Lichtgeschwindigkeit (im Vakuum c = 299 792 458 ms)

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Abb 12 Elektromagnetisches Spektrum (Quelle Chemgapedia)

Fuumlr die genaue Messung welche Frequenz der elektromagnetischen Strahlung einem gegebe-nen Uumlbergang anzuregen vermag gibt es experimentell zwei verschiedene Ansaumltze Entweder man strahlt Energie auf das System ein und beobachtet den Verlust an Strahlungsintensitaumlt der dann beobachtet wird wenn die Strahlung einen Uumlbergang zu einem houmlheren Energieni-veau bewirkt (Absorption) oder man fuumlhrt dem System Energie zu (zum Beispiel thermisch) und beobachtet dann die Freisetzung von Energie als Strahlung (Emission) Im einen Fall erfuumlllt die Frequenz der absorbierten Strahlung im anderen Fall die der emittierten Strahlung die Frequenzbedingung ΔE = h ∙ ν Mit beiden Methoden kann man so exakt den Energie-unterschied zwischen zwei Energieniveaus ausmessen Die Bestimmung der Werte fuumlr die charakteristischen Energieschritte ΔE eines Systems ist die Hauptaufgabe der Spektroskopie Sie eignet sich insbesondere um elektronische Wellenfunktionen eines Systems zu erkunden

22 Elektronenspektroskopie am eindimensionalen Potentialtopf

Das denkbar einfachste elektronische System ist der eindimensionale Potentialtopf Dennoch kann auch dieses Modell schon in grober Naumlherung auf Molekuumlle angewandt werden speziell auf solche mit annaumlhernd linearen Delokalisationssystemen (s Kapitel 14) Ein Beispiel ist die Reihe Butadien Hexatrien Oktatetraen usw Bildet man mit Hilfe der Loumlsungen der Schroumldingergleichung fuumlr das eindimensionale Potentialtopfmodell einen Ausdruck fuumlr den elektronischen Uumlbergang zwischen dem houmlchsten besetzten Orbital (HOO) und dem niedrig-sten unbesetzten Orbital (LUO) so erhaumllt man fuumlr die damit verbundene Energiedifferenz gemaumlszlig der in Abbildung 5 gezeigten Formel

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ΔE = h ∙ ν = (nsup2LUO-nsup2HOO) ∙ hsup2 (8 me asup2)

Mit wachsender Laumlnge a und wachsender Elektronenzahl (jedes Kohlenstoffatom im Delokali-sationsgebiet traumlgt ein Elektron bei) steigen einerseits die Werte der Quantenzahlen n fuumlr das houmlchste besetzte Orbital (HOO) und das niedrigste unbesetzte Orbital (LUO) an andererseits steigt aber auch die Laumlnge L die quadratisch im Nenner der Gleichung steht Da letzteres insgesamt uumlberwiegt sinkt der Wert fuumlr ΔE und damit fuumlr die Frequenz ν schrittweise mit Anstieg der Kettenlaumlnge Liegt die absorbierte Lichtfrequenz anfaumlnglich im UV-Bereich so verschiebt sie sich beispielsweise fuumlr das Carotin mit 11 Doppelbindungen schon in den sichtbaren blauen Bereich Weil daher Carotin blaues Licht absorbiert erscheint es im Durchlicht betrachtet in der Komplementaumlrfarbe orange-gelb Nach diesem Prinzip lassen sich viele organische Farbstoffe interpretieren Aumlndert sich die Laumlnge bzw die Elektronenzahl (und damit nsup2LUO und nsup2HOO) durch die Protonierung des Molekuumlls so hat man es mit einem Farbstoff zu tun der mit dem pH-Wert seine Farbe aumlndert ndash dies ist die Grundlage vieler pH-Indikatoren

23 Elektronenspektroskopie am Wasserstoffatom

Die wissenschaftliche Spektralanalyse wurde in der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts gemeinsam durch GR Kirchhoff und RW Bunsen entwickelt Sie entdeckten dass alle Elemente beim Erhitzen Licht aussenden Nach Zerlegung des Lichts mit einem Glasprisma erhaumllt man ein fuumlr jedes Element charakteristisches Linienmuster das so genannte Spektrum (s auch UTube-Video bdquospectral lines demoldquo httpwwwyoutubecomwatchv=2ZlhRChr_Bw) Dieses Spektrum reflektiert die Gesamtheit der dem gegebenen Element eigenen elektronischen Uumlbergaumlnge und ist damit ein unverwechselbarer Fingerabdruck Elemente koumlnnen damit sowohl in der Emissionsspektroskopie als auch in der Absorptionsspektroskopie eindeutig und mit hoher Empfindlichkeit identifiziert werden

Die Elektronenspektroskopie kann jedoch noch deutlich mehr sie erlaubt die exakte Uumlber-pruumlfung der durch die Loumlsung der Schroumldingergleichung gefundenen elektronischen Wellen-funktionen Dies wurde zunaumlchst am Wasserstoffatom mit hoher Praumlzision betrieben Histo-risch gesehen ist die erste wichtige Lichtquelle fuumlr spektroskopische Analysen unsere Sonne Dies gilt insbesondere fuumlr das Spektrum des Wasserstoffs Da die Energie der elektronischen Zustaumlnde dort einzig und allein von der Hauptquantenzahl n abhaumlngt (s Kapitel 15) werden lediglich solche Spektrallinien beobachtet die sich genau einem gegebenen ΔE = E(n) - E(nlsquo) zuordnen lassen Zuerst wurde mit der Balmer-Serie der sichtbare Anteil des Spektrums ent-deckt der mit allen Uumlbergaumlngen von oder zu dem Niveau n = 2 verbunden ist (Abb 13) Es folgten spaumlter im UV-Bereich die Lyman-Serie mit n = 1 und im IR-Bereich die Paschen-Serie mit n = 3 die Brackett-Serie mit n = 4 sowie die Pfundt- und die Humphreys-Serie mit n = 5 und n = 6 (letztere sind in Abb 13 nicht mehr eingezeichnet) Weitere Serien mit houmlheren Quantenzahlen existieren tragen aber keine eigenen Namen mehr

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Wel

lenz

ahl

[100

0 cm

-1]

0

10

20

30

40

50

60

70

80

90

100

110Grundzustand

Lyman-serie

Balmer-serie

Paschen-serie

Brackett-serie

n = 5n = 4

n = 3

n = 2

n = 1

Gustav Robert Kirchhoff

Robert Wilhelm Bunsen

Abb 13 Wichtige elektronische Uumlbergaumlnge im Wasserstoffatom

Abbildung 14 zeigt das gesamte Wasserstoffspektrum die Kuumlrzel benennen die entsprechen-den Serien (Ly = Lyman Ba = Balmer etc)

Abb 14 Spektrum des Wasserstoffatoms Die Achse fuumlr die Wellenlaumlnge ist logarithmisch aufgetragen

Eine genaue Analyse ergibt dass sich das Schema der Energiedifferenzen nach Abb 13 fast genau mit den in Kapitel 15 besprochenen Loumlsungen der Schroumldingergleichung deckt Die aumluszligerst kleinen Abweichungen die man dennoch detektieren konnte lieszligen sich auf den Bei-trag des Kerns (trotz seiner hohen Masse kann er sich minimal mit dem Elektron mitbewegen) und des Isotopeneffekts zuruumlckfuumlhren der schwerere Deuteriumkern der aus einem Proton und einem Neutron besteht bewegt sich weniger leicht mit dem Elektron mit als das einsame Proton des bdquonormalenldquo Wasserstoffs Daneben zeigen sich bei sehr hoher Aufloumlsung des Spektrums auch relativistische Effekte die zu weiteren Aufspaltungen fuumlhren

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24 Elektronenspektroskopie an Atomen mit mehreren Elektronen

Aufgrund der Wechselwirkungen zwischen den Elektronen ist bei schwereren Elementen die beim Wasserstoff gegebene Entartung bezuumlglich der Quantenzahlen l und m aufgehoben Damit wird das Energiediagramm bereits fuumlr ein einfaches houmlheres Atom wie zum Beispiel Lithium schon deutlich komplizierter (Abb 15) Neben den Uumlbergaumlngen zwischen verschiede-nen Werten fuumlr n treten nun auch Uumlbergaumlnge zwischen s und p p und d d und f auf Manche Uumlbergaumlnge (zum Beispiel solche zwischen s- und d-Niveaus) werden allerdings gewoumlhnlich nicht beobachtet man nennt sie bdquoverbotenldquo bdquoErlaubtldquo sind nur solche Uumlbergaumlnge bei denen die Nebenquantenzahl sich um den Wert plusmn1 aumlndert (also eben von s nach p von p nach d usw) Die so genannte Auswahlregel welche die erlaubten Uumlbergaumlnge festlegt heiszligt folglich Δl = plusmn1

Als weitere Folge der Wechselwirkungen zwischen den Elektronen besitzt jedes houmlhere Atom ein eigenes und von Wasserstoff verschiedenes Energiediagramm Damit besitzt aber auch jedes Atom ein unverwechselbares Muster von Energieuumlbergaumlngen die es eindeutig kenn-zeichnet Dies laumlsst sich bereits in einfachen Versuchen anhand von Flammenfaumlrbungen zeigen Diejenigen Uumlbergaumlnge deren ΔE den Wellenlaumlngen im sichtbaren Spektrum entspricht (in Abb 15 sind dies die kuumlrzeren unter den eingezeichneten blauen Pfeilen) sorgen bei vielen Elementen fuumlr ein charakteristisches farbiges Leuchten (Abb 15 rechts)

Ener

gie

Wasserstoff Lithium

n = 1

2

3

45

1s

2s

2p

3s

4s

5s

3p

4p5p

3d

4d5d

Abb 15 Termschema von Lithium mit wichtigen elektronischen Uumlbergaumlngen (links) Durch Lithium verursachte Flammenfaumlrbung (rechts Quelle httpwwwitpuni-hannoverde~zawischaITPatomshtml)

Letztlich ist auch bei allen houmlheren Atomen die Elektronenspektroskopie eine ideale Methode um das Energieniveauschema experimentell zugaumlnglich zu machen Sie eignet sich daruumlber hinaus perfekt zur schnellen und empfindlichen Identifikation von Elementen Diese Tatsache

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macht man sich sowohl in der Atomabsorptionsspektroskopie (AAS) als auch in der Atom-emissionsspektroskopie (AES) zunutze Elektronenspektren sind unverwechselbare Finger-abdruumlcke mit denen alle Elemente in hoher Empfindlichkeit und selbst uumlber groszlige Distanzen hinweg sicher identifiziert werden koumlnnen

25 Elektronenspektroskopie an Molekuumllen

Genau wie die Atomorbitale sind auch Molekuumllorbitale der Elektronenspektroskopie zugaumlng-lich Durch die systematische Analyse aller elektronischen Uumlbergaumlnge lassen sich die Energie-niveaus in einem MO-Schema schrittweise ausmessen Besonders interessant wird dieser Ansatz bei der Untersuchung der Bindungsverhaumlltnisse Im Allgemeinen beobachtet man Uumlbergaumlnge zwischen bindenden und nicht bindenden Orbitalen einerseits und den uumlblicherweise unbesetzten antibindenden Orbitalen andererseits In Abb 16 ist dies am Beispiel einer C-O-Bindung in Formaldehyd gezeigt Im Mittelpunkt stehen dabei das binden-de und das antibindende σ-Orbital C-O das bindende und das antibindende π-Orbital C-O sowie das nicht bindende freie Elektronenpaar des Sauerstoffs (ein weiteres freies Elektronen-paar bleibt unbeteiligt)

Ener

gie

σ CO

σ CO

π CO

π CO

n O

C

H

H

O

σ-σ

Uumlbe

rgan

g

π-π

Uumlbe

rgan

gn-π Uumlber-gang

σ

Abb 16 Termschema der CO-Gruppe in Formaldehyd (links) Die beteiligten Bindungen und das im betrachteten Energiefenster liegende freie Elektronenpaar des Sauerstoffs sind rechts skizziert

Die drei wichtigsten Uumlbergaumlnge die an der C-O-Gruppe detektiert werden sind der σ-σ-Uumlbergang der π-π-Uumlbergang und der n-π-Uumlbergang Letzterer ist in einer C-O-Gruppe stets am energieaumlrmsten und kann bereits mit UV-Licht einer Wellenlaumlnge um 280 nm angeregt werden (schwarzer Pfeil in Abb 16) Energiereicher und intensiver ist bei der CO-Gruppe der π-π-Uumlbergang der bei Wellenlaumlngen um 170 nm angeregt wird (roter Pfeil in Abb 16) Daruumlber hinaus zeigt das Spektrum dass die beiden freien Elektronenpaare des Sauerstoffs stark unterschiedlichen Charakter besitzen (nur eines ist an dem n-π-Uumlbergang beteiligt das andere tritt im gegebenen Spektralbereich nicht in Erscheinung)

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Auf aumlhnliche Weise lassen sich alle MO-Schemata komplizierter Molekuumlle analysieren Lie-gen die Anregungsfrequenzen der Uumlbergaumlnge im sichtbaren Bereich so haben die Molekuumlle die Funktion von Farbstoffen Haumlufig besitzen sie dann laumlngere lineare Delokalisationsgebiete deren Elektronenspektren man dann auch in grober Naumlherung mit dem eindimensionalen Potentialtopfmodell beschreiben kann (s Kapitel 22) Werden Bindungselektronen angeregt und aumlndern sich im Verlauf der elektronischen Anre-gung die Bindungsverhaumlltnisse (beispielsweise bei Besetzung eines antibindenden Zustands) so ist mit der elektronischen Anregung zwangslaumlufig auch eine Aumlnderung des energetisch guumlnstigsten Bindungsabstands verbunden Damit einhergehend werden mechanische Schwin-gungen des Molekuumlls angeregt Mit den Molekuumllschwingungen verhaumllt es sich analog zu den elektronischen Zustaumlnden auch Molekuumllschwingungen existieren nur in bestimmten definierten Zustaumlnden die sich dann den elektronischen Zustaumlnden uumlberlagern (Abb 17) Die Folge davon ist dass die Elektronenspektren von Molekuumllen haumlufig keine scharfen Linien sondern breite Absorptionsbereiche (bdquoBandenldquo) aufweisen Alle Linien fuumlr die elektronischen Uumlbergaumlnge zerlegen sich demnach in eine Vielzahl von Einzellinien die verschiedene Schwingungszustaumlnde der benachbarten elektronischen Zustaumlnde miteinander verbinden (in Abb 17 sind exemplarisch neun verschiedene moumlgliche Uumlbergaumlnge eingezeichnet) Normaler-weise liegen alle diese Linien dicht beieinander so dass insgesamt eine verbreiterte Absorp-tionsbande entsteht

Ener

gie

elektronische Niveaus

Schwingungsniveaus

Abb 17 Zum Zustandekommen von breiten Absorptionsbanden in Elektronen-Schwingungsspektren Uumlberlagerung von elektronischen Uumlbergaumlngen mit Schwingungsuumlbergaumlngen Exemplarisch sind jeweils drei Schwingungsniveaus eingezeichnet

Das Elektronenspektrum eines Molekuumlls wird wegen der dazu verwendeten Frequenzbereiche im UV- und im sichtbaren (bdquovisibleldquo) Spektrum auch UV-vis-Spektroskopie genannt Die UV-vis-Spektroskopie dient neben der Aufklaumlrung der MO-Struktur auch der schnellen und bequemen Identifikation von chemischen Verbindungen Aufgrund ihrer im Absorptionsver-fahren sehr einfachen und preisguumlnstigen Messtechnik wird sie auch haumlufig in Kombination mit anderen analytischen Verfahren (zB der Chromatographie) verwendet Uumlber eine Bestim-mung der Intensitaumlt der Anregung kann auch eine quantitative Analyse einzelner Verbindun-gen erfolgen

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3 Das Zusammenwirken von Atomen und Molekuumllen 31 Der makroskopische Zustand von Materie Bisher sind nur einzelne Bausteine der Materie also Atome und Molekuumlle betrachtet worden Nun soll das makroskopische Erscheinungsbild von Materie ins Auge gefasst werden die aus einer Vielzahl von Atomen oder Molekuumllen besteht Um den Zustand dieser aus vielen Teilchen zusammengesetzten Materie uumlberhaupt als Gesamtheit zu beschreiben benoumltigt man zunaumlchst so genannte Zustandsparameter oder Zustandsgroumlszligen Die wichtigsten Vertreter dieser Kenngroumlszligen fuumlr makroskopische Materie sind die Stoffmenge n das Volumen V der Druck P und die Temperatur T

n Stoffmenge Die Stoffmenge wird uumlber die Teilchenzahl definiert

Einheit der Teilchenzahl 1 Mol

Definition Ein Mol eines Stoffes enthaumllt dieselbe Anzahl an Teilchen wie 0012 kg reiner Kohlenstoff des Isotops 12C (1 Mol 60221023

Teilchen) Dabei muss eindeutig festgelegt sein was unter einem Teilchen des Stoffes jeweils zu verstehen ist Ist die Stoffmenge konstant so spricht man von einem geschlossenen System

V Volumen Die Definition des Volumens erfolgt uumlber die festgelegte Laumlngeneinheit und den geometrischen Volumenbegriff

Einheit des Volumens 1 msup3

Definition Ein msup3 ist das Volumen eines wuumlrfelfoumlrmigen Raums mit einer Kantenlaumlnge von einem Meter Ist das Volumen konstant so spricht man von einem isochoren Vorgang

P Druck Die Definition erfolgt uumlber die Kraft die ein Stoff auf jede Flaumlcheneinheit eines ihn einschlieszligenden Behaumllters ausuumlbt

Einheit des Drucks 1 Pascal = 1 Pa = 1 Nmsup2 = 10-5 bar

Definition Ein Pascal ist der Druck bei dem auf jeden Quadratmeter der Behaumllterwaumlnde eine Kraft von 1 Newton ausgeuumlbt wird Ist der Druck konstant so spricht man von einem isobaren Vorgang

T Temperatur

Der sicherlich am schwierigsten fassbare Zustandsparameter makroskopischer Materie ist die Temperatur Zwar ist sie direkt mit der menschlichen Wahrnehmung verknuumlpft (kalt warm heiszlighellip) physikalisch jedoch zunaumlchst sehr undefiniert da sie nicht ohne weiteres auf andere physikalische Groumlszligen zuruumlckfuumlhrbar ist Am ehesten laumlsst sie sich im ersten Ansatz als diejenige Eigenschaft von Materie beschreiben die von einem Thermometer gemessen wird

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Zur Verwendung als Thermometer eignet sich prinzipiell jeder physikalische oder chemische Vorgang der reproduzierbar mit einer Temperaturaumlnderung verknuumlpft ist Klassisch sind dies insbesondere die Ausdehnungsvorgaumlnge von Gasen Fluumlssigkeiten und Festkoumlrpern (Abb 18)

Hg

Festkoumlrperthermometer werden gewoumlhnlich nach demPrinzip des Bimetall-Thermometers ausgelegt (ganzlinks) Dabei werden zwei verschiedene Festkoumlrper(zB zwei Bleche aus verschiedenen Metallen) flaumlchigmiteinander in Kontakt gebracht Bedingt durch dieunterschiedliche thermische Ausdehnung derMaterialien kruumlmmt sich das Bimetall-Blech abhaumlngigvon der Temperatur mehr oder weniger stark zu einerSpirale

Fluumlssigkeitsthermometer (Mitte) und Gasthermometer(rechts) nutzen die Volumenaumlnderung eines fluidenMediums mit der Temperatur Die Genauigkeit kannerhoumlht werden indem einem groszligvolumigen Vorrats-behaumllter ein relativ kleinvolumiger Ausdehnungs- undAblesebereich gegenuumlbergestellt wird

Abb 18 Thermometer die auf der Grundlage der temperaturbedingten Ausdehnung von Materie beruhen

In der Praxis kommen mehr und mehr die elektronischen Varianten der Temperaturmessung zum Zug die zumeist auf der Messung der Thermospannung basieren Neben der Messmetho-de ist die Festlegung einer Temperaturskala wichtig Dazu dienten zunaumlchst einige Fixpunkte die heute teilweise noch historische Bedeutung haben

1) Die tiefste Temperatur des Winters 17081709 in Danzig - 178 degC

2) Die Temperatur von schmelzendem Eis bei 760 Torr (760 Torr = 1 atm = 101 325 Pa) 0 degC

3) Koexistenztemperatur von Eis Wasser und Wasserdampf 001 degC (exakt)

4) Die durchschnittliche Koumlrpertemperatur eines gesunden Menschen 378 degC

5) Die Siedetemperatur des Wassers bei 760 Torr (1 atm = 101 325 Pa) 100 degC

Die Punkte 1 und 4 bildeten die Grundlage des Fahrenheit-Systems die Punkte 2 und 5 die der Celsius-Skala Bei beiden Systemen wurde der definierte Bereich zunaumlchst in 100 gleiche Teile (Grade) aufgeteilt dann extrapoliert Beide Definitionen wurden spaumlter verfeinert (Celsius 9999 Grade C zwischen den Fixpunkten 3 und 5 Fahrenheit 180 Grade F zwischen den Fixpunkten 1 und 5) Trotzdem mangelt es auszliger Punkt 3 allen genannten Fixpunkten an Genauigkeit und Reproduzierbarkeit

Das zweite Problem nach der Unvollkommenheit der Fixpunkte besteht in der Festlegung einer systemunabhaumlngigen linearen Teilung Gewoumlhnlich ist der Verlauf der Skala vom gewaumlhlten Medium abhaumlngig Eine lineare Teilung auf der Skala eines Quecksilber-thermometers entspricht daher nicht einer linearen Teilung auf der Skala eines Alkoholthermometers da die Ausdehnung bei jedem Medium in unterschiedlicher Weise von der Temperatur abhaumlngt

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Beide Probleme sowohl die Wahl der passenden Fixpunkte als auch die Definition einer sinnvollen linearen Teilung werden heute durch die Festlegung der so genannten absoluten Temperaturskala geloumlst Grundlage hierfuumlr sind uumlbereinstimmende Beobachtungen an Gasthermometern

-300 -200 -100 0 100 200

V

T

-27315degCBei wiederholten Messungen mit verschiedenenGasthermometern verschiedenen Gasen undGasvolumina und bei verschiedenen Drucken stelltman fest dass sich die Verlaumlngerungen aller in denjeweiligen Diagrammen erhaltenen Linien in einemPunkt schneiden Dieser Punkt entspricht auf derVolumenachse dem Wert V = 0 und auf derTemperaturachse dem Wert T = -27315 degC

Abb 19 Ausdehnungskurven verschiedener Gase Die Temperaturskala ist zunaumlchst noch in Celsius aufgetragen

Aus dieser Beobachtung wurde geschlossen dass der Temperatur am gemeinsamen Schnitt-punkt aller Ausdehnungskurven eine besondere physikalische Bedeutung zukommt und sie sich daher als Fixpunkt einer neuen Temperaturskala eignet Weiterhin wurde festgestellt dass zwar alle Gase in ihrem Ausdehnungsverhalten von dem linearen Verlauf abweichen dass aber unter bestimmten Umstaumlnden (zB niedriger Druck) ein gemeinsamer Verlauf angestrebt wird den man auch als idealen Verlauf bezeichnen koumlnnte Am besten funktioniert das bei Helium unter schrittweise absinkenden Drucken dessen Verhalten sich fuumlr P rarr 0 zum idealen Verhalten extrapolieren laumlsst Diese Erkenntnis diente zur Definition einer absoluten Temperaturskala in Kelvin

1) Unterer Fixpunkt Schnittpunkt der Volumenexpansionskurven bdquoidealerldquo Gase (zB Helium fuumlr den Grenzfall Prarr0) 0 Kelvin

2) Oberer Fixpunkt Koexistenztemperatur von Eis Wasser und Wasserdampf 27316 Kelvin

3) Das Volumen eines bdquoidealenldquo Gases (zB Helium fuumlr den Grenzfall Prarr0) ist bei konstantem Druck proportional zur Temperatur und definiert die lineare Teilung der Temperaturskala

Gemaumlszlig dieser Definition ist jede beliebige Temperatur unter Nutzung eines bdquoidealenldquo Gasther-mometers auf der absoluten Kelvin-Skala eindeutig festgelegt Die Verwendung der Kelvin-Skala ist gegenuumlber der Nutzung klassischer Temperatursysteme bei der Beschreibung physi-kalischer Vorgaumlnge eindeutig von Vorteil Vorgaumlnge bei denen die Temperatur konstant ist nennt man isotherm Mit der Definition der wichtigsten Zustandsparameter Teilchenzahl n Volumen V Druck P und Temperatur T besteht nun die Moumlglichkeit das Verhalten makroskopischer Materie zu beschreiben Am einfachsten gelingt das im Fall von Gasen

32 Zustandsgleichung fuumlr Gase die ideale Gasgleichung

Gleichungen welche die Zustandsparameter wie n V T und P miteinander verknuumlpfen nennt man Zustandsgleichungen Sie beschreiben das Verhalten einer aus vielen einzelnen Teilchen bestehenden Materie hinsichtlich ihrer makroskopisch messbaren Groumlszligen Am

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einfachsten sind solche Zustandsgleichungen fuumlr Gase aufzustellen Untersucht man bei Gasen systematisch den Zusammenhang zwischen n V P und T so stellt man fest dass fuumlr alle Gase in mehr oder weniger guter Naumlherung folgende einfache Gleichung erfuumlllt isthellip

P ∙ V = n ∙ R ∙ T

hellipwobei R fuumlr die so genannte ideale Gaskonstante steht (R asymp 8314 J K-1 Mol-1) Diese Glei-chung auch bdquoideale Gasgleichungldquo genannt ist ein so genanntes Grenzgesetz kein real exis-tierendes Gas erfuumlllt es genau aber alle Gase kommen ihm recht nahe insbesondere bei hohen Temperaturen und niedrigen Druumlcken Eine Gleichung dieser Form nennt man auch Zustands-gleichung da sie Zustandsparameter miteinander verbindet Grafisch laumlsst sich diese Verknuumlp-fung in einem einfachen Diagramm darstellen bei dem jede Kombination von T und V genau einem Wert fuumlr P zugeordnet ist (Abb 20)

P

V

T

Abb 20 Auftragung von P gegen T und V nach der idealen Gasgleichung

Wir wissen nun dass die Gase aus einer Vielzahl von Teilchen (Atomen oder Molekuumllen) bestehen Wie laumlsst sich das durch die ideale Gasgleichung beschriebene Verhalten nun mit dieser Tatsache in Einklang bringen Was bedeuten eigentlich die Parameter Druck und Tem-peratur fuumlr ein Gas das sich aus vielen einzelnen Atomen und Molekuumllen zusammensetzt Um makroskopische Zustandsparameter uumlberhaupt mit der Teilchenwelt verknuumlpfen zu koumlnnen benoumltigen wir eine Modellvorstellung fuumlr das mechanische Zusammenwirken der Teilchen im Fall von Gasen das so genannte kinetische Gasmodell

33 Das kinetische Gasmodell

Bei den im vorhergehenden Kapitel aufgefuumlhrten Gasgesetzen handelt es sich um mathemati-sche Beschreibungen von makroskopisch beobachtbaren Vorgaumlngen Zur Interpretation der Gasgesetze auf molekularer Ebene wurden verschiedene Modelle vorgeschlagen Das erfolg-reichste unter ihnen war das sogenannte kinetische Gasmodell Es beruht auf der Vorstellung dass ein Gas aus einer Vielzahl von Teilchen besteht die folgende Bedingungen erfuumlllen

1) Sie besitzen eine Atom- oder Molmasse M einen endlichen Durchmesser d und befinden sich in staumlndiger und ungeregelter Bewegung

2) Die Groumlszlige der Teilchen ist im Verhaumlltnis zum freien Volumen vernachlaumlssig-bar

3) Zwischen den Teilchen finden elastische Stoumlszlige statt Ansonsten existieren keine weiteren Wechselwirkungen unter den Teilchen

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Nach der kinetischen Gastheorie besteht der Druck eines Gases aus der Summe aller Kraumlfte (pro Flaumlcheneinheit) die durch auf eine Flaumlche aufprallende Gasteilchen (bzw durch deren Impulsaumlnderung) ausgeuumlbt werden (Abb 21)

Vx t

Abb 21 Links schematische Darstellung der Impulsaumlnderung bei dem Auftreffen eines Gasteilchens auf der Gefaumlszligwand Viele solche Stoumlszlige fuumlhren in der Summe zum Entstehen einer messbaren dem Gasdruck zugeordneten Kraft Rechts Die Geschwindigkeitskomponente vx der Teilchen bestimmt nicht nur die Groumlszlige der Impulsaumlnderung sondern auch die Zahl der Teilchen die pro Zeiteinheit auf die Wand stoszligen Daher geht die Geschwindigkeit der Teilchen bei der Berechnung des Drucks insgesamt quadratisch ein

Dabei wird zunaumlchst davon ausgegangen dass alle Teilchen die gleiche Geschwindigkeits-komponente vx aufweisen Diese Geschwindigkeitskomponente bestimmt zum einen die Heftigkeit der Stoumlszlige zum anderen wie viele Gasteilchen pro Zeiteinheit auf die Wand prallen Insgesamt haumlngt der Druck damit vom Quadrat der Geschwindigkeitskomponente vxab Fuumlhrt man nun ein mittleres Geschwindigkeitsquadrat csup2 ein (mit vxsup2 = 13 csup2) so erhaumllt man fuumlr den an dem beweglichen Kolben spuumlrbaren Druck die Gleichung

P = 13 M csup2 (nV) oder in der Schreibweise der idealen Gasgleichung P V = 13 n M csup2 Der Druck ist nach dem kinetischen Gasmodell also die Folge einer Vielzahl von Stoumlszligen welche die Teilchen gegen die Behaumllterwaumlnde ausfuumlhren Er ist folglich proportional zur Mas-se der Teilchen (je schwerer die Teilchen desto heftiger die Stoumlszlige) zum mittleren Geschwin-digkeitsquadrat (die Geschwindigkeit der Teilchen bestimmt zum einen die Haumlufigkeit zum anderen die Heftigkeit der Stoumlszlige) und zur Zahl der Teilchen pro Volumeneinheit (womit wie nach der idealen Gasgleichung zu erwarten P umgekehrt proportional zu V ist) Die Bedeutung der Temperatur im kinetischen Gasmodell ist dagegen zunaumlchst unklar Mit der idealen Gasgleichung P V = n R T ergibt sich aber durch Koeffizientenvergleich n R T = 13 n M csup2 oder R T = 13 M csup2 Man kann unter Nutzung beider Gasmodelle so zu einem neuen teilchenbezogenen Verstaumlnd-nis des Phaumlnomens Temperatur kommen Die Temperatur eines Gases ist demnach direkt proportional zum mittleren Geschwindigkeitsquadrat der Gasteilchen oder in anderen Worten zu deren kinetischer Energie 12 M csup2 Dies ist fuumlr das Verstaumlndnis des Phaumlnomens Temperatur von groszliger Bedeutung Man kann die Temperatur eines Gases also messen indem man (bei bekannter Masse der Teilchen) die Geschwindigkeit der Gasteilchen bestimmt Die Wurzel aus dem mittleren Geschwindigkeits-quadrat also die Groumlszlige c liegt uumlblicherweise in der Groumlszligenordnung der Schallgeschwindig-keit (zum Beispiel fuumlr Stickstoff bei Raumtemperatur c = 516 ms) und steht zu ihr in einer

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festen Beziehung Tatsaumlchlich laumlsst sich die Temperatur auch uumlber eine Messung der Schall-geschwindigkeit ermitteln Nachdem das mittlere Geschwindigkeitsquadrat der Teilchen bekannt ist stellt sich die Frage nach der Geschwindigkeitsverteilung der Teilchen Die Bewegungsenergie der Teilchen ist wie alle anderen Energieformen (zB elektronische Energie Schwingungsenergie) gequantelt Das bedeutet dass sich die Teilchen auf (hier dicht gestaffelte) Energieniveaus verteilen muumlssen Sie tun das nach einem statistischen Grundprinzip das Boltzmann-Verteilung genannt wird Demnach ist die Besetzung pi eines Energieniveaus i (egal welcher Art die Energie Ei ist) stets proportional zum so genannten Boltzmannfaktor des Zustand i Es gilt

pi ~ exp[-Ei(kBT)]

Die darin enthaltene Boltzmannkonstante kB ist nichts anderes als die allgemeine Gas-konstante R (siehe unter 32) dividiert durch die Zahl NL der Teilchen in einem Mol Substanz (kB = RNL) Das bedeutet die Besetzung eines Zustands ist umso wahrscheinlicher je niedriger dessen Energie ist Steigende Temperatur T hingegen erhoumlht die Wahrscheinlichkeit energiereicher Zustaumlnde Diese Gesetzmaumlszligigkeit gilt fuumlr die Besetzung aller auf atomarer oder molekularer Ebene gegebener Zustaumlnde in einem makroskopischen System Angewandt auf die Bewegungsenergie von Gasteilchen in einer einzelnen Raumrichtung x bedeutet das dass Teilchen mit hoher Geschwindigkeit vx weniger wahrscheinlich sind als solche mit niedriger Geschwindigkeit vx Allerdings steigt die Wahrscheinlichkeit des Auftretens groszliger Werte fuumlr vx mit steigender Temperatur Teilt man den Bereich der auftretenden Geschwindigkeiten in Intervalle auf und zaumlhlt man die Teilchen die gemaumlszlig ihrer Geschwindigkeit zu den einzelnen Intervallen zugeordnet werden koumlnnen so ergibt sich fuumlr die Geschwindigkeitsverteilung in vx und v das Bild das in Abb 22 oben dargestellt ist Die Verteilungsfunktionen fuumlr die Geschwindigkeiten in y- und z-Richtung sind identisch

n(vx)

vx-Intervall

n(vx)

vx-Intervall

Temperatur-erhoumlhung

- 0 +- 0 +n(v)

v-Intervall

Temperatur-erhoumlhung

0 +

n(v)

v-Intervall0 +

Abb 22 Verteilungsfunktionen einer eindimensionalen Geschwindigkeitskomponente (oben) und der Gesamtgeschwindigkeit (unten)

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Betrachtet man die Verteilung n(v) der Gesamtgeschwindigkeit v im dreidimensionalen Raum so wird das Bild komplizierter Bezuumlglich der drei Raumrichtungen x y und z sind weiterhin die kleinen Geschwindigkeiten wahrscheinlicher als die groszligen Da nun aber fuumlr eine groszlige Gesamtgeschwindigkeit v mehr Kombinationsmoumlglichkeiten vx vy vz existieren als fuumlr kleine Gesamtgeschwindigkeiten so wird die Wahrscheinlichkeit fuumlr sehr geringe Gesamtgeschwindigkeiten entsprechend kleiner fuumlr groszlige Gesamtgeschwindigkeiten entsprechend groumlszliger Der daraus resultierende Gewichtungsfaktor fuumlr jedes v ist die relative Flaumlche der Kugelschale mit dem Radius v Insgesamt ergeben sich dann die in Abb 22 unten dargestellten Verteilungsfunktionen fuumlr niedrige und hohe Temperaturen Die Verteilungsfunktionen in vx und v lauten (ohne Herleitung)

f(vx) = [M(2RT)]12 exp [-Mvxsup2(2RT)]

f(v) = 4 [M(2RT)]32 vsup2 exp [-Mvsup2(2RT)] Der Mittelwert von vx (oder jeder anderen eindimensionalen Geschwindigkeitskomponente) ist grundsaumltzlich Null Dagegen besitzt der Mittelwert von v stets eine endliche von Null verschiedene Groumlszlige Bei einer Erhoumlhung der Temperatur werden alle Verteilungsfunktionen breiter der Mittelwert von v vergroumlszligert sich Die Temperatur eines Gases aumluszligert sich also nicht nur im mittleren Geschwindigkeitsquadrat sondern auch in der Form der Geschwindigkeitsverteilungsfunktion Bei der Mischung von Gasen unterschiedlicher Temperatur muss um die oben genannte Forderung zu erfuumlllen aus der einfachen Summe von zwei Verteilungsfunktionen eine neue der Mischtemperatur ent-sprechende Verteilungsfunktion entstehen Dies ist nur unter der Annahme moumlglich dass ein Austausch kinetischer Energie unter den Teilchen erfolgen kann Diese Tatsache bedingt die eingangs gestellte Forderung nach Teilchenstoumlszligen also Wechselwirkungen zwischen den Teilchen Damit muumlssen die Gasteilchen aber auch ein gewisses Volumen besitzen den Teil-chen ohne Eigenvolumen koumlnnen prinzipiell nicht zusammenstoszligen Darin besteht der we-sentliche Unterschied zwischen einem Gas nach dem kinetischen Gasmodell und dem idealen Gas Das ideale Gas koumlnnte man theoretisch auf ein beliebig kleines Volumen komprimieren bei einem kinetischen Gas ist dies aufgrund des Eigenvolumens nicht moumlglich Ansonsten erlaubt das kinetische Gasmodell die vollstaumlndige Interpretation der idealen Gasgleichung

34 Die korrigierte Gasgleichung nach van der Waals JD van der Waals

Mithilfe des kinetischen Gasmodells laumlsst sich die Zustandsgleichung fuumlr Gase weiter verfeinern Zunaumlchst soll beruumlcksichtigt werden dass die Teilchen ein eigenes Volumen besitzen In erster Naumlherung geschieht dies indem man ein vom Eigenvolumen der Gas-teilchen abgeleitetes minimales Volumen des Gases (das so genannte Covolumen) definiert Das Covolumen beschreibt dasjenige Volumen des Gases das bei staumlndigem mechanischem Kontakt zwischen jeweils zwei Teilchen eingenommen wird wenn man den Teilchenpaaren jeweils den sie umschreibenden kugelfoumlrmigen Raum zuordnet (wegen der geringen Wahr-scheinlichkeit von Dreierstoumlszligen kann die Bildung von Dreiergruppen ausgeschlossen werden) Das molare Covolumen b entspricht wenn man eine einfache geometrische Uumlberlegung an-setzt dem vierfachen Eigenvolumen eines Mols der Gasteilchen Um das tatsaumlchliche freie

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Volumen zu erhalten muss das n-fache Covolumen vom gegebenen Volumen abgezogen werden Damit wird aus der idealen Gasgleichung P V = n R T die erste korrigierte Version P (V - n b) = n R T Im zweiten Schritt soll nun uumlber das kinetische Gasmodell hinausgehend auch die anziehen-de Wechselwirkung zwischen den Teilchen beruumlcksichtigt werden Die Anziehung zwischen den Teilchen sorgt nach van der Waals fuumlr einen zusaumltzlichen nach auszligen nicht messbaren bdquoBinnendruckldquo Dieser Binnendruck ist proportional zum Quadrat der Teilchendichte (nV)sup2 Der zwischen den Teilchen tatsaumlchlich wirkende nach auszligen ebenfalls unmessbare Gesamt-druck ist dann gegeben als

Pgesamt (unmessbar) = P (messbar) + a (nV)sup2

mit einer fuumlr die anziehende Wechselwirkung charakteristischen Konstante a Die danach korrigierte Version der Gasgleichung die van-der-Waals-Gleichung fuumlr reale Gase lautet

[P + a (nV)sup2] (V - nb) = n R T

Die Konstanten b und a besitzen fuumlr jedes reale Gas charakteristische Werte die dessen Eigenvolumen (die Groumlszlige der Elektronenhuumllle) und die Staumlrke der intermolekularen Wechsel-wirkungen reflektieren Beispiele

Gas a b

Argon 01345 Pa m6Molsup2 32210-5 msup3Mol Kohlendioxid 03592 Pa m6Molsup2 426710-5 msup3Mol Helium 00034 Pa m6Molsup2 23710-5 msup3Mol Stickstoff 01390 Pa m6Molsup2 391310-5 msup3Mol Wasser 05573 Pa m6Molsup2 31010-5 msup3Mol

Der Parameter b spiegelt mit der Einheit msup3Mol weitgehend die Groumlszlige der einzelnen Teilchen (Atome oder Molekuumlle) wider So besitzt erwartungsgemaumlszlig Kohlendioxid oder Argon einen groumlszligeren Wert fuumlr b als beispielsweise Helium Allerdings sind die Unterschiede erstaunlich klein was auf die Tatsache zuruumlckzufuumlhren ist dass sich das Covolumen auf Teilchenpaare bezieht und ein Paar aus Kohlendioxidmolekuumllen gegenuumlber einem Paar aus Heliumatomen nur etwa das doppelte Volumen benoumltigt

Der Parameter a mit der Einheit Pascal mal Molvolumen zum Quadrat reflektiert die Staumlrke der Wechselwirkungen zwischen den Teilchen Diese Wechselwirkungen beruhen zum groszligen Teil auf den elektrischen Eigenschaften der Teilchen Diese wiederum sind mit der elektronischen Struktur der Atome beziehungsweise der chemischen Bindungen verknuumlpft Am wichtigsten ist dabei das in Kapitel 19 erwaumlhnte Dipolmoment Polare Bindungen koumlnnen zu Teilchen mit permanenten Dipolen fuumlhren (zB HF Wasser Ammoniak CO) Andere Molekuumlle oder Atome sind zwar unpolar koumlnnen aber spontan oder durch aumluszligere

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elektrische Felder polarisiert werden (zB He Ar molekularer Wasserstoff molekulares Chlor) Man spricht dann von polarisierbaren Teilchen mit einem spontanen Dipolmoment oder mit einem durch ein aumluszligeres Feld bewirkten induzierten Dipolmoment In all diesen Faumlllen sind anziehende Wechselwirkungen zwischen den Teilchen moumlglich die in dem Parameter a zusammengefasst werden Daruumlber hinaus koumlnnen sich auch voruumlbergehende chemische Bindungen ausbilden Das prominenteste Beispiel fuumlr diesen Fall ist die bekannte Wasserstoffbruumlckenbindung die bei polaren X-H-Bindungen auftreten kann Im Einzelnen werden demnach folgende Arten von Wechselwirkungen mit absteigender Intensitaumlt unter-schieden

a) Wasserstoffbruumlckenbindung X-H hellip Y Hierbei bildet sich voruumlbergehend eine chemische Bindung zwischen dem polar gebundenen Wasserstoff und einem elektronegativen und mit einem freien Elektronenpaar ausgestatteten Element Y

b) Wechselwirkungen zwischen permanenten Dipolen hier besitzen alle Teilchen ein permanentes Dipolmoment Zwischen den entgegengesetzt geladenen Enden der Teilchen bauen sich dann konstant anziehende elektrostatische Wechselwir-kungen auf

c) Wechselwirkungen zwischen permanenten und induzierten Dipolen die Teil-chen mit permanentem Dipolmoment induzieren ein voruumlbergehendes Dipol-moment bei den benachbarten (zunaumlchst unpolaren) Teilchen In der Folge ergibt sich eine anziehende elektrostatische Wechselwirkung

d) Wechselwirkungen zwischen induzierten Dipolen durch spontane Polarisierung eines Teilchens entsteht ein voruumlbergehendes Dipolmoment welches bei einem benachbarten Teilchen eine Polarisierung hervorruft In der Folge ergibt sich eine kurzfristige und sehr schwache elektrostatische Anziehung zwischen den Teilchen Man spricht dabei auch von der Dispersionswechselwirkung oder der Londonschen Wechselwirkung

Alle diese Effekte sind anziehender Natur und gehen damit in den Parameter a ein Fasst man die beiden Parameter a und b zusammen so entsteht mit der van-der-Waals-Gleichung eine recht zuverlaumlssige Zustandsgleichung fuumlr reale Systeme die sowohl die abstoszligenden als auch die anziehenden Wechselwirkungen beruumlcksichtigt

Ein guter Test fuumlr diese reale Zustandsgleichung ist die Berechnung eines Diagramms von P gegen V fuumlr verschiedene Temperaturen das so genannte P-V-Diagramm und die Gegen-uumlberstellung mit dem entsprechenden experimentellen P-V-Diagramm eines realen Gases Gemaumlszlig der van-der-Waalsrsquoschen Gleichung existieren abhaumlngig von der betrachteten Tempe-ratur drei Typen von Isothermen (Abb 23 links) solche die einer Hyperbel aumlhneln (1) eine einzelne Isotherme die einen Wendepunkt mit waagrechter Tangente besitzt (2) und solche die ein Minimum ein Maximum und einen Wendepunkt aufweisen (3) Das experimentell beobachtete Verhalten stimmt in den ersten beiden Faumlllen recht gut uumlberein weicht aber bei Isothermen des dritten Typs deutlich vom berechneten Verlauf ab (Abb 23 rechts)

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P

V

PV-Diagramm nachvan-der-Waals-Gleichung

1 2

3

P

V

3

experimentell bestimmtesPV-Diagramm f reales Gas

Abb 23 PV-Diagramme fuumlr reale Gase berechnet nach van der Waals (links) und experimentell bestimmt (rechts) Die drei typischen Formen der Isothermen (1 2 und 3) sind im Text beschrieben

Offensichtlich beschreibt die van-der-Waals-Gleichung das Verhalten eines realen Gases in der Umgebung des Wendepunkts weniger gut Experimentell stellt man allerdings fest dass in diesem Bereich tatsaumlchlich auch kein reines Gas sondern vielmehr eine Mischung aus einem Gas und einer kondensierten Fluumlssigkeit also ein Zweiphasenzustand vorliegt Dieser Zwei-phasenbereich beginnt am Wendepunkt der Isothermen des Typs 2 und schlieszligt alle Minima Maxima und Wendepunkte der Isothermen des Typs 3 ein (Abb 24 links)

P

V

Zweiphasen-gebiet

P

V

Zweiphasen-gebiet

Maxwell-Maxwell-KorrekturKorrektur

Zweiphasen-Gebiet

Zweiphasen-Gebiet

A1

A2

Abb 24 PV-Diagramme fuumlr reale Gase mit eingezeichnetem Zweiphasengebiet Der in diesem Bereich bei der Beschreibung nach van der Waals gegebene Fehler kann in guter Naumlherung durch die Maxwell-Korrektur kompensiert werden

Eine einfache Korrektur der van-der-Waals-Gleichung ermoumlglicht eine realistische Beschrei-bung des Zweiphasengebiets Eine horizontale Gerade wird so in der Naumlhe des Wendepunktes gelegt dass die oberhalb und unterhalb der Geraden im Zweiphasenbereich gebildeten Teilflaumlchen A1 und A2 die gleiche Groumlszlige besitzen (sog Maxwell-Korrektur s Abbildung 24 rechts) Dies sieht zwar nach einer etwas willkuumlrlichen Hilfskonstruktion aus trotzdem laumlsst sich damit das Verhalten eines realen Gases im Zweiphasengebiet sehr gut nachvollziehen und vorhersagen Eine besonders ausgewiesene Position im PV-Diagramm eines realen Gases ist der Scheitel-punkt des Zweiphasengebiets der durch den Wendepunkt der Isotherme des Typs 2 gebildet wird (Abb 25)

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P

V

Zweiphasen-gebiet Tc

Pc

Vc

kritischer Punkt

Jedes reale Gas besitzt einen sogenannten kritischenPunkt der durch die kritischen Zustandsgroumlszligen Tc Pc undVc beschrieben wird Die kritische Temperatur Tc istdiejenige Temperatur bei der sich ein Gas unter Druckgerade noch verfluumlssigen laumlszligt Oberhalb der kritischenTemperatur existiert kein fluumlssiger Zustand Derentsprechende Druck Pc wird als kritischer Druckbezeichnet

Die Isotherme die der kritischen Temperatur zugeordnetist besitzt als einzige einen Wendepunkt mit horizontalerTangente der gleichzeitig den kritischen Punkt markiert

Abb 25 PV-Diagramm fuumlr ein reales Gas mit kritischem Punkt

Dieser sogenannte kritische Punkt wird durch die kritische Temperatur Tc den kritischen Druck Pc und das kritische Molvolumen Vc festgelegt Zustaumlnde oberhalb des kritischen Punkts nennt man uumlberkritisch Uumlberkritisches Kohlendioxid besitzt in der Technik groszlige Bedeutung fuumlr das Loumlsen und Ausfaumlllen von pharmazeutischen Wirkstoffen (zB Aspirin fuumlr Brausetabletten) fuumlr die Extraktion (zB bei der Entkoffeinierung von Kaffee) oder zur chemischen Reinigung von Textilien

35 Andere Zustandsgleichungen fuumlr reale Gase

Neben der van-der-Waals-Gleichung existieren weitere Ansaumltze zur Beschreibung realer Gase die zwar eine genauere Anpassung an die gemessenen Werte ermoumlglichen aber auch kompli-zierter sind oder mehr Arbeit bei der Bestimmung der charakteristischen Parameter erfordern Im Folgenden seien als Beispiele die Berthelot-Gleichung und die Virialgleichung erwaumlhnt

a Berthelot-Gleichung (P + (Ansup2)(TVsup2) ) (V - nB) = n R T Berthelot fuumlhrte damit als Besonderheit einen temperaturabhaumlngigen Binnendruck ein Dies ist insoweit physikalisch gerechtfertigt als die vermehrte thermische Bewegung der Ausbildung von Wechselwirkungen zwischen den Molekuumllen entgegenwirken kann

b Virialgleichung P Vm = A + B P + C Psup2 + D Psup3 + Mit Vm = Vn Die Virialgleichung nutzt die Tatsache dass sich fast alle physikalischen Zusammenhaumlnge uumlber einen Potenzreihenansatz a + bx + cxsup2 + dxsup3 + hellip beliebig genau annaumlhern lassen Je nach Anzahl der anpassbaren Parameter ist zwar eine beliebig genaue Beschreibung des realen Gases moumlglich allerdings steigt auch der Aufwand fuumlr die Bestim-mung aller Koeffizienten

36 Beschreibung von Fluumlssigkeiten

Im PV-Diagramm der realen Gase schlieszligt sich links vom Zweiphasengebiet der Bereich der fluumlssigen Phase an Sie zeichnet sich dadurch aus dass mit sinkendem Volumen der Druck ex-trem steil ansteigt Das bedeutet dass bereits eine geringfuumlgige Volumenabnahme mit einem aumluszligerst groszligen Druckanstieg verbunden ist In der Praxis hat das zur Folge dass Fluumlssigkeiten im Gegensatz zu Gasen kaum komprimierbar sind ihre Kompressibilitaumlt geht gegen Null Auch ist die Ausdehnung der Fluumlssigkeiten bei steigender Temperatur und bei konstantem

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Druck (der thermische Ausdehnungskoeffizient) sehr viel kleiner als bei Gasen Eine einfache allgemeine Zustandsgleichung fuumlr die fluumlssige Phase in Analogie zur idealen oder zur van-der-Waals-Gleichung existiert nicht Stattdessen findet man bei der experimentellen Bestimmung des Zusammenhangs zwischen P V und T fuumlr jede Fluumlssigkeit ein sehr charakteristisches Verhalten Vergleicht man die Messergebnisse verschiedener Fluumlssigkeiten untereinander so sind kaum Aumlhnlichkeiten auszumachen Daruumlber hinaus sind bestimmte Messungen (zB die Messung der Abhaumlngigkeit des Drucks vom Volumen bei konstanter Teilchenzahl und Temperatur) technisch sehr schwer zu realisieren Das Fehlen einer einheitlichen Zustandsgleichung V(TPn) fuumlr Fluumlssigkeiten liegt auch in deren komplexer Struktur begruumlndet Betrachtet man ein einzelnes Teilchen in der Fluumlssigkeit so liegt es bezuumlglich der Abstaumlnde zu seinen naumlchsten Nachbarn stets in der Naumlhe des Mini-mums einer Potentialkurve Epot(r) die einen sehr steilen Verlauf besitzt Die Abstaumlnde zu den benachbarten Teilchen sind damit nahezu fixiert folglich ist eine unabhaumlngige Translations-bewegung einzelner Teilchen praktisch unmoumlglich Stattdessen verlaufen alle Bewegungs-prozesse mehr oder weniger kollektiv also unter gleichzeitiger Verschiebung mehrerer Teilchen Daruumlber hinaus gibt es keine nennenswerten freien Volumina so dass der mittlere Abstand der Teilchen nur unwesentlich verringert werden kann ein Umstand der sich in der bereits erwaumlhnten geringen Kompressibilitaumlt aumluszligert Ein Modell fuumlr eine allgemeine Fluumlssigkeit laumlsst sich im Rahmen einer Computersimulation einfuumlhren Man betrachtet dabei einen wuumlrfelfoumlrmigen Raum der einen Ausschnitt aus dem Fluumlssigkeitsvolumen darstellen soll und eine endliche Anzahl n von Fluumlssigkeitsteilchen (zB n = 1000) enthaumllt Um die Zahl der Teilchen konstant zu halten und dabei trotzdem deren Beweglichkeit zu wahren wird eine Kontinuitaumltsbedingung eingefuumlhrt Jedes Teilchen das im Rahmen der Bewegungsprozesse den Wuumlrfel an einer gegebenen Stelle verlaumlsst tritt automatisch an der genau gegenuumlberliegenden Position des Wuumlrfels wieder ein Auf diese Weise ist gewaumlhrleistet dass die Zahl der Teilchen im Wuumlrfel konstant bleibt (Abb 26)

Abb 26 Simulation von Bewegungs-vorgaumlngen in einem Fluumlssigkeitsvolumen unter Wahrung einer konstanten Partikel-anzahl Jedes Teilchen das im Rahmen der Bewegungsprozesse den Wuumlrfel an einer gegebenen Stelle verlaumlsst tritt automatisch an der genau gegenuumlberliegenden Position des Wuumlrfels wieder ein

An diesem System fuumlhrt man nun eine so genannte Monte-Carlo-Simulation durch Dabei setzt ein Zufallsgenerator eine geringfuumlgige Verschiebung eines beliebigen einzelnen Teil-chens in Gang Anschlieszligend wird unter Verwendung des bekannten Potentialverlaufs Epot(r) berechnet wie sich nach der Verschiebung die potentielle Energie des Systems veraumlndert hat Danach entscheidet das Simulationsprogramm zwischen zwei Moumlglichkeiten

- Hat sich die gesamte potentielle Energie des Systems durch die Verschiebung verringert oder blieb sie konstant so wird die Verschiebung akzeptiert und der naumlchste Schritt berechnet - Hat sich die gesamte potentielle Energie durch die Verschiebung um den positiven Wert E erhoumlht so wird die Verschiebung mit einer Wahrscheinlichkeit die von E abhaumlngt akzeptiert und ansonsten verworfen Danach wird der naumlchste Schritt berechnet

Auf diese Weise kann man fuumlr beliebige Fluumlssigkeiten sowohl die typischen Bewegungs-prozesse als auch die einflussbedingten Veraumlnderung von Zustandsgroumlszligen (zB P in Ab-

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haumlngigkeit von V) berechnen Allerdings sind die Rechnungen bei den fuumlr eine realistische Beschreibung eines Fluumlssigkeitsvolumens notwendigen groszligen Teilchenzahlen sehr aufwaumlndig und zeitintensiv

37 Beschreibung von Festkoumlrpern

Begibt man sich im P-V-Diagramm vom fluumlssigen Zustand ausgehend noch weiter nach links (zu kleineren Volumina houmlheren Drucken und niedrigeren Temperaturen) so erreicht man den festen Zustand Die Problematik der Zustandsgleichung V(TPn) von Festkoumlrpern aumlhnelt jener der Fluumlssigkeiten Auch hier sind die Kompressibilitaumlten und die thermischen Aus-dehnungskoeffizienten uumlblicherweise sehr viel geringer als bei Gasen Ebenso wie bei Fluumls-sigkeiten sind dabei die Unterschiede zwischen einzelnen Vertretern der Festkoumlrper recht groszlig so dass keine gemeinsame Zustandsgleichung wie bei Gasen formuliert werden kann Im Vergleich mit den Werten der Fluumlssigkeiten sind die Kompressibilitaumlten und die thermischen Ausdehnungskoeffizienten der Festkoumlrper durchschnittlich nochmals um etwa zwei Groumlszligen-ordnungen geringer

Abb 27 Torsionsexperiment zur Unterscheidung zwischen Fluumlssigkeiten und Festkoumlrpern (s Text)

Der wesentliche Unterschied zwischen Festkoumlrpern und Fluumlssigkeiten besteht allerdings in ihrem gegensaumltzlichen Verhalten bezuumlglich Verformung waumlhrend Fluumlssigkeiten einer gege-benen Verformung durch ihre Zaumlhigkeit (Viskositaumlt) Widerstand leisten reagiert ein Fest-koumlrper auf eine Verformung durch eine elastische Deformation Dieses Verhalten wird in einem Torsionsrheometer deutlich wobei eine feste oder fluumlssige Probe periodisch mit einer torsionsartigen Verformung beaufschlagt wird (Abb 27) Waumlhrend der Drehmomentverlauf des Festkoumlrpers exakt gleichphasig zur periodischen Aus-lenkung erfolgt (elastische Verformung) ist der Drehmomentverlauf der Fluumlssigkeit dazu um ein Viertel einer Wellenlaumlnge phasenverschoben (viskose Reaktion) Bei Fluumlssigkeiten ist der Widerstand dann maximal wenn die Deformationsgeschwindigkeit maximal ist (blaue Linie

t

Dre

hmom

entv

erla

uf

tAusl

enku

ng

Festkoumlrper

t

Dre

hmom

entv

erla

uf

Fluumlssigkeiten

Pruumlfkoumlrper

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in Abb 26) Bei Festkoumlrpern ist die Kraft dann maximal wenn der Deformationszustandmaximal ist (rote Linie in Abb 27) Viele Festkoumlrper stellen Uumlbergaumlnge zwischen diesen beiden Extremfaumlllen dar und werden dann als viskoelastisch bezeichnet Aus der Betrachtung von Messergebnissen an einer Viel-zahl von Materialien geht hervor dass eine eindeutige Abgrenzung zwischen dem fluumlssigen und dem festen Zustand selten moumlglich ist Entsprechend gibt es auch unterschiedliche Strukturmodelle die teilweise das elastische Verhalten teilweise das plastische Verhalten von Festkoumlrpern erklaumlren Dem elastischen Festkoumlrper mit nahezu verschwindender Phasen-verschiebung wird am ehesten das Modell eines idealen Kristalls gerecht Man geht dabei davon aus dass jedes Atom bzw Molekuumll aus dem der Festkoumlrper zusammengesetzt ist sich an einem geometrisch festgelegten Gitterpunkt befindet von dem es sich nicht entfernen kann Als Bewegungsprozess ist dabei lediglich eine Schwingung mit begrenzter Amplitude moumlglich Die denkbaren Geometrien der Gitterstrukturen reichen von primitiv-kubischen Gittern (zB Natriumchlorid) uumlber kubisch-dichteste (zB Silber Kupfer) und hexagonal-dichteste Kugelpackungen (zB Magnesium Zink) bis zur kubisch-raumzentrierten Struktur (zB Eisen Molybdaumln) Haumlufig findet man leichte Abweichungen von der idealen Gitter-struktur die durch lokale Stoumlrungen hervorgerufen werden Akzeptiert man gewisse Anteile an viskosem Verhalten (dh eine leichte Phasenverschiebung) so begibt man sich in den Grenzbereich zwischen Festkoumlrpern und Fluumlssigkeiten In einem Material wie Glas ist die regelmaumlszligige Anordnung eines Gitters nicht gegeben die Atome sind unregelmaumlszligig positioniert und koumlnnen unter Belastung auch flieszligen Solche nicht-kristallinen Festkoumlrper bezeichnet man als amorph Typische Vertreter amorpher Feststoffe sind Fenster-glas viele transparente Kunststoffe (zB Plexiglas Polyester in Getraumlnkeflaschen) Wachs und Aumlhnliches Amorphe Festkoumlrper besitzen keinen Schmelzpunkt sondern erweichen bei steigender Temperatur allmaumlhlich Amorphe Festkoumlrper koumlnnen nachtraumlglich kristallisieren wobei sich haumlufig das aumluszligere Erscheinungsbild und die physikalischen Eigenschaften drastisch aumlndern (zB Plastikfolie unter Zug)

38 Das Phasendiagramm

Die drei wichtigsten Phasenzustaumlnde zu denen sich eine makroskopische Gesamtheit von Atomen oder Molekuumllen zusammenfinden koumlnnen sind also Gase Fluumlssigkeiten und Festkoumlrper Die Frage ist nun unter welchen Bedingungen sich ein System fuumlr den ersten den zweiten oder den dritten Zustand entscheidet Erfahrungsgemaumlszlig haumlngt der gegebene Phasenzustand von den in Kapitel 31 eingefuumlhrten Zustandsparametern n V P und T ab Legt man die Stoffmenge n auf einen Wert fest (zB auf ein Mol Teilchen) und beruumlcksichtigt man dass nach den gegebenen Zustandsgleichungen die Groumlszligen n V P und T miteinander verknuumlpft sind so genuumlgen zwei Parameter um den jeweils guumlnstigsten Phasenzustand eindeutig festzulegen Ein Diagramm bei dem einer der Parameter V P und T gegen einen anderen aufgetragen wird eignet sich also prinzipiell um bei einer gegebenen Teilchenart den unter diesen Bedingungen jeweils angestrebten Phasenzustand zu markieren So kann man gemaumlszlig den Abbildungen 23 bis 25 in einem Diagramm bei dem P gegen V aufgetragen wird schon den jeweils gegebenen Phasenzustand eintragen und ablesen In der Praxis eignen sich solche PV-Diagramme allerdings wenig um Phasenzustaumlnde zu markieren der gasfoumlrmige Zustand nimmt einen sehr breiten Raum ein waumlhrend der fluumlssige und der feste Zustand in dem sehr engen Bereich links neben dem Zweiphasengebiet bdquoeingequetschtldquo waumlre Vor allem in diesem Umfeld waumlre das Diagramm schwer ablesbar

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Wesentlich guumlnstiger ist dagegen die Auftragung vom Druck P gegen die Temperatur T In diesem PT-Diagramm das auch als Phasendiagramm bezeichnet wird lassen sich alle Phasenzustaumlnde uumlbersichtlich zuordnen Dabei bezeichnen Flaumlchenanteile im PT-Diagramm die unter den gegebenen Druck- und Temperaturbedingungen angestrebte Phase (zB fest fluumlssig gasfoumlrmig) waumlhrend Linien die dazwischen vorliegenden Gleichgewichte markieren und Phasengrenzlinien genannt werden (Abb 28)

T

Pfe

st

fluumlss

ig

gasfouml

rmig

kritischerPunkt

Tripel-punkt

Phasengrenzlinie

Abb 28 Phasendiagramm mit Auftragung des Drucks (P) gegen die Temperatur (T)

Auszligerdem enthaumllt ein Phasendiagramm gewoumlhnlich mindestens zwei besonders ausgezeich-nete Punkte den Tripelpunkt an dem die drei im Allgemeinen wichtigsten Phasenzustaumlnde fest fluumlssig und gasfoumlrmig miteinander im Gleichgewicht stehen und den bereits aus dem PV-Diagramm bekannten kritischen Punkt der das Ende eines definierten Uumlbergangs zwischen fluumlssiger und gasfoumlrmiger Phase markiert Beispiele fuumlr Phasendiagramme Kohlen-dioxid und Wasser sind in Abbildung 29 und 30 wiedergegeben

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T

P

fest

fluumlss

iggasfoumlrmig

kritischerPunkt

Tripel-punkt

2168 K

511 bar

CO2

3042 K

728 bar

Abb 29 Phasendiagramm fuumlr Kohlendioxid

T

P

fluumlss

ig

gasfoumlrmig

kritischerPunkt

H2O

Eis 1

Eis 1

Eis 2 Eis 3

Eis 5

Eis 6

Tripelpunkt6473 K

218 bar

6 mbar 27316 K

Abb 30 Phasendiagramm fuumlr Wasser Der Bereich oberhalb von 200 bar ist aus Gruumlnden der

Uumlbersichtlichkeit entlang der P-Achse komprimiert dargestellt

Eine wichtige Besonderheit des Phasenverhaltens von Wasser ist die Tatsache dass die Phasengrenzlinie zwischen fluumlssigem Wasser und Eis 1 eine negative Steigung aufweist Dies hat zur Folge dass gewoumlhnliches Eis durch Erhoumlhung des Drucks zum Schmelzen gebracht werden kann Dieser Umstand ist eine der Ursachen dafuumlr dass eine Kufe auf Eis gleitet da der durch das Schmelzen entstehende Wasserfilm die Reibung vermindert (allerdings spielt hier auch die Reibungswaumlrme eine Rolle) Der Grund fuumlr dieses Verhalten steht in direkter Verbindung mit der strukturbedingten Volumenabnahme beim Schmelzen von Eis (s Videos unter httpwwwyoutubecomwatchv=6s0b_keOiOU und httpswwwyoutubecomwatchv=CDTZoFGmZoc )

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Waumlhlt man in einem Phasendiagramm eine Kombination von Druck und Temperatur so kann man direkt denjenigen Phasenzustand ablesen den die gegebene Teilchenart unter diesen Bedingungen anstrebt Das heiszligt jedoch nicht dass dieser Zustand dann auch in jedem Fall und zu jeder Zeit vorliegt Haumlufig beobachtet man eine so genannte kinetische Hemmung einer Phasenumwandlung So gibt es unterkuumlhlte Fluumlssigkeiten (zB Regentropfen bei -3degC) genauso wie unterkuumlhlte Dampfphasen (zB uumlbersaumlttigten Wasserdampf in Gewitterwolken) oder uumlberhitzte Fluumlssigkeiten (zB uumlberhitztes Wasser bei einem Siedeverzug) Kristalli-sationskeime wie Staubkoumlrner koumlnnen Phasenumwandlungen beschleunigen (zB durch Staub verursachter bdquoIndustrieschneeldquo) Bisher wurden lediglich Phasendiagramme von reinen Stoffen betrachtet die nur aus einer einzelnen Sorte Atomen oder Molekuumllen bestehen Mischt man einem gegebenen Stoff eine weitere Komponente hinzu so aumlndert sich das Phasendiagramm erheblich Als Beispiel betrachten wir ein System in dessen fluumlssiger Phase ein Fremdstoff A geloumlst wird der weder im Festkoumlrper noch im der Gasphase loumlslich ist (zB Kochsalz in Wasser) In diesem Fall dehnt sich der fluumlssige Bereich des Phasendiagramms mit steigender Konzentration von A in alle Richtungen aus so dass gleichzeitig der Schmelzpunkt erniedrigt der Siedepunkt erhoumlht und der Dampfdruck verringert wird (Abb 31) In erster Naumlherung sind alle genannten Aumlnderungen proportional zu cA

T

P

fest

fluumlss

ig

gasfouml

rmig

Abb 31 Phasendiagramm fuumlr ein System in dessen fluumlssiger Phase ein Fremdstoff mit steigender

Konzentration cA geloumlst wird Der Bereich der fluumlssigen Phase dehnt sich daraufhin in alle

Richtungen aus

Bei weiter steigender Konzentration von A kann ein Punkt erreicht werden an dem die Mischung in zwei getrennte Bereiche zerfaumlllt die ebenfalls als Phasen bezeichnet werden (zB Olivenoumll und Wasser) Eine dieser Phasen besitzt dann einen hohen Loumlsemittelanteil bei geringer Konzentration von A die andere besteht aus einem hohen Anteil an A mit einem geringen Gehalt an Loumlsemittel Dieser Vorgang der Phasenseparation binaumlrer (aus zwei Komponenten bestehender) Systeme wird durch eine andere Art von Phasendiagramm beschrieben dem so genannten Mischphasendiagramm (Abb 32) Hierbei wird die Tempe-

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ratur dem relativen Anteil einer Komponente gegenuumlbergestellt der Druck wird als konstant angenommen

Abb 32 Allgemeine Darstellung eines Mischphasendiagramms

Grundsaumltzlich gibt die linke Flanke der Phasentrennlinie (links des kritischen Punkts) die Zusammensetzung der bdquoA-armenldquo Phase an waumlhrend die rechte Flanke (rechts des kritischen Punkts) die Zusammensetzung der A-reichen Phase beschreibt Die Mengen der dabei gebildeten Phasen koumlnnen nach dem so genannten Hebelgesetz berechnet werden Demnach gilt zwischen dem Anteil n1 der A-armen Phase 1 dem Anteil n2 der A-reichen Phase 2 und den Laumlngen der Pfeile s1 und s2 in der vorhergehenden Abbildung folgender Zusammenhang

n1 s1 = n2 s2

Fuumlr das gezeigte Beispiel wuumlrde das bedeuten dass der Anteil der Phase 1 etwa doppelt so groszlig waumlre wie der Anteil der Phase 2 In der Naumlhe der beiden Raumlnder des Diagramms also fuumlr xA 0 (sehr wenig A im Loumlsemittel) oder xA 1 (sehr wenig Loumlsemittel in A) liegen in den meisten Faumlllen einphasige homogene Mischungen vor Das besagt dass auch bei niedrigen Temperaturen ein wenig von dem Stoff A im Loumlsemittel bzw ein wenig Loumlsemittel im Stoff A loumlslich ist Der im Diagramm eingezeichnete kritische Punkt bedeutet dass oberhalb der dazugehoumlrigen kritischen Temperatur keine Entmischung mehr erfolgt dh hier sind die beiden Komponenten vollstaumlndig und in jedem Verhaumlltnis miteinander mischbar Neben solchen oberen kritischen Punkten gibt es auch untere kritische Punkte Im zweiten Fall gilt dass die beiden Komponenten unterhalb einer bestimmten Temperatur in jedem Verhaumlltnis miteinander mischbar sind Im Allgemeinen koumlnnen die drei verschiedenen Faumllle auftreten die in Abbildung 33 dargestellt sind

0 Molenbruch xA der Komponente A 1

Tem

pera

tur

obere kritischeTemperatur

Einphasen-gebiet

Zweiphasen-gebiet

Beispiel xA = 04

T1

Zum gezeigten Beispiel

Eine Mischung mit dem Molenbruch xA = 04 wird von T2 nach T1 abgekuumlhltDabei zerfaumlllt die Mischung bei Tklsquo in zwei Phasen derenZusammensetzung bei T1auf der x-Achse an den Punkten 1 und 2 ablesbar ist

T2

Tklsquo

1 2

kritischer Punkt

s1 s2

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0 xA 1

Tem

pera

tur

System mit oberem kritischen Punkt

kritischer Punkt

0 xA 1Te

mpe

ratu

r

System mit unterem kritischen Punkt

kritischer Punkt

0 xA 1

Tem

pera

tur

System mit oberem und unterem

kritischen Punkt

kritischer Punkt

kritische Punkte

Abb 33 Moumlgliche Varianten von kritischen Punkten bei Systemen aus zwei Komponenten

Obere kritische Punkte findet man dann wenn sich die molekulare thermische Bewegung gegen die Tendenz der Molekuumlle sich mit gleichartigen Molekuumllen zusammenzulagern durchsetzt Dieses Phaumlnomen ist sehr verbreitet so dass ein oberer kritischer Punkt bei sehr vielen Mischphasen beobachtet wird Untere kritische Punkte sind sehr viel seltener Sie treten beispielsweise dann auf wenn die beiden Komponenten miteinander bei tiefen Temperaturen einen Komplex bilden der bei houmlheren Temperaturen wieder zerfaumlllt und dann zu einer Phasenseparation fuumlhrt Ein Beispiel dafuumlr ist die Mischung aus Wasser und Triethylamin

Fuumlr Mischphasen aus drei Komponenten so genannte ternaumlre Mischungen sind die bisher gezeigten Darstellungen ungeeignet Hierfuumlr haben sich Dreiecksdiagramme (Gibbssches Phasendreieck) durchgesetzt die das Phasenverhalten unter Variation der Mengenbeitraumlge aller drei Komponenten aufzeigen (Abb 34) Das Diagramm ist so geartet dass die Summe aller drei Mengenanteile xA xB und xC in jedem Fall den Wert 1 ergibt Damit besitzt die Zusammensetzung des ternaumlren Gemisches zwei Freiheitsgrade Jede Linie die durch eine Ecke des Diagramms fuumlhrt verbindet diejenigen Punkte bei denen das Verhaumlltnis zweier Komponenten gleich ist Jede Linie die parallel zu einer der drei Seiten verlaumluft entspricht Gemischen bei denen der relative Anteil einer Komponente gleich bleibt

00 02 04 06 08 10Komponente A

00

02

04

06

08

10

Kom

pone

nte

B

0002

04

06

08

10

Komponente C

C

A

B

00 02 04 06 08 10Komponente A

00

02

04

06

08

10

Kom

pone

nte

B

00

02

04

06

08

10

Komponente C

x1

x2x

Abb 34 Prinzip eines ternaumlren Phasendiagramms nach Gibbs (Dreiecksdiagramm)

In solche ternaumlren Mischphasendiagramme lassen sich nun entsprechend den binaumlren Mischphasendiagrammen die Ein- und Zweiphasengebiete einzeichnen Das Diagramm in

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Abb 34 rechts gilt zB fuumlr eine ternaumlre Mischung aus A B und C bei der die Komponenten A und B sowie B und C jeweils paarweise in jedem Verhaumlltnis miteinander mischbar sind Die Komponenten A und C sollen dagegen nur begrenzt mischbar sein Als Konsequenz daraus ergibt sich ein Dreiecksdiagramm das an der unteren Achse die dem Anteil 0 der Komponente B entspricht ein Zweiphasengebiet aufweist

Die Hilfslinien im Zweiphasengebiet markieren die Zusammensetzung der entstehenden Einzelphasen So wuumlrde beispielsweise eine Mischung deren Zusammensetzung im Diagramm durch den Punkt x markiert ist in die beiden Phasen x1 und x2 zerfallen Die Mengenanteile der beiden Phasen koumlnnten dabei wieder uumlber das Hebelgesetz berechnet werden Um zusaumltzlich den Einfluss der Temperatur wiederzugeben muss eine weitere Koordinate eingefuumlhrt werden Man erhaumllt dabei ein dreidimensionales Dreiecksdiagramm das haumlufig unter Verwendung von Houmlhenlinien nach der Art einer topographischen Landkarte dargestellt wird Jede Houmlhenlinie des Zweiphasengebiets umschreibt dann seine Ausdehnung bei einer gegebenen Temperatur

Fragt man bei einem System mit bestehenden Randbedingungen nach der Zahl der frei variierbaren Zustandsgroumlszligen also nach der Zahl der Freiheitsgrade so haumlngt die Antwort zunaumlchst davon ab in welchem Phasenzustand sich das System befindet So kann man beispielsweise in der Gasphase (bei festgelegter Stoffmenge) Temperatur und Druck frei waumlhlen wodurch dann automatisch das Volumen festgelegt wird Gleiches gilt fuumlr die feste und die fluumlssige Phase Das System hat innerhalb eines Phasenzustands also zwei Freiheits-grade Setzt man allerdings voraus dass sich das System in einem Gleichgewicht zwischen zwei Phasen befindet (zB auf der Verdampfungslinie) so besitzt es nur einen Freiheitsgrad Am Tripelpunkt schlieszliglich bei einem Gleichgewicht zwischen drei Phasen sind keine Freiheitsgrade mehr vorhanden Zwischen der Zahl der Phasen P und der Zahl der Freiheitsgrade F gibt es also folgende einfache Beziehung

F = 3 - P

Beruumlcksichtigt man weiter dass auch mehr als eine Komponente auftreten kann (Zahl der Komponenten C gt 1) so erhoumlht sich die Zahl der Freiheitsgrade um jede zusaumltzliche Komponente deren Konzentration ja frei waumlhlbar ist um den Wert eins Man erhaumllt damit

F = 3 - P + (C - 1) oder F = C - P + 2

Nach dieser allgemeinguumlltigen Formel der so genannten Gibbsrsquoschen Phasenregel laumlsst sich die Zahl der Freiheitsgrade in jedem beliebigen System bestimmen Sie erlaubt insbesondere bei sehr komplizierten Mischungen mit einer unbekannten Anzahl an Phasenzustaumlnden uumlber eine einfache Betrachtung Ruumlckschluumlsse auf deren Phasenverhalten

Page 4: Vorlesung PC I Einführung in die Physikalische Chemierelaxation.chemie.uni-duisburg-essen.de/lehre/Skript_PC_2016_2017.pdf · Schwingungen möglich, deren Geometrie (d.h. die Zahl

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Reihe benachbarter paralleler Linien mit abnehmender Intensitaumlt begleitet wird Ein solches Beugungsmuster beobachtet man gewoumlhnlich bei sich wellenartig ausbreitenden Energie-formen (zB bei Licht) nicht aber bei festen Partikeln

Louis de Broglie (1924)

Abb 3 a) Elastischer Stoszlig zwischen Elektronen b) Beugung von Elektronen an einem Spalt

Der erste der aus dieser Beobachtung die Hypothese der Doppelnatur der Elektronen ableitete war der Physiker Louis de Broglie Er postulierte dass ein Elektron sich so verhaumllt als waumlre es ein Partikel und gleichzeitig () eine Welle Dabei kann fuumlr sich allein weder die Vorstellung eines Elektrons als Partikel noch die Vorstellung als Welle das Verhalten des Elektrons vollstaumlndig beschreiben Erst beide Modelle gemeinsam vermoumlgen das Bild des Elektrons sinnvoll wiederzugeben Dies sei an einem Beispiel dargestellt ein Elektron halte sich in einem eindimensionalen Bereich zwischen zwei reflektierenden Flaumlchen auf Diese Situation wird als eindimensionaler Potentialtopf bezeichnet Betrachtet man das Elektron als Teilchen so kann man es sich als kleine Kugel vorstellen die zwischen zwei Flaumlchen ruht (Abb 4a) Betrachtet man es als Welle so gleicht es einem Lichtstrahl zwischen zwei Spiegeln (Abb 4b) Fuumlr sich gesehen koumlnnte das Elektron nach beiden Modellen beliebige Energien besitzen die jeweils zeitlich konstant sind

Abb 4 Eindimensional bewegliches Elektron zwischen zwei reflektierenden Waumlnden a) Vorstellung als Teilchen (links) b) Vorstellung als Welle (rechts) Dieser Zustand wird als eindimensionaler Potentialtopf oder als bdquoParticle-in-a-boxldquo bezeichnet

Beide Vorstellungen die einigermaszligen gegensaumltzlich sind muumlssen nun unter einen Hut ge-bracht werden das Elektron muss sie gleichzeitig () erfuumlllen Mathematisch gesehen formu-liert man damit eine Gleichung bei der auf der einen Seite die Eigenschaft des Teilchens auf der anderen Seite die der Welle steht Angewandt auf die Eigenschaft Energie lautet sie damit in etwa

Energie des Elektrons als Teilchen = Energie des Elektrons als Welle

Sollen beide Modelle gleichzeitig gelten so kann das Elektron nur noch solche Zustaumlnde einnehmen bei der diese Gleichung exakt erfuumlllt ist Diese bdquozulaumlssigenldquo Zustaumlnde kann man sich bei dem genannten Beispiel als bdquostehende Wellenldquo zwischen den beiden reflektierenden Waumlnden vorstellen Dies waumlre etwa vergleichbar mit einer Gitarrensaite die zwischen den beiden Waumlnden gespannt ist und zum Schwingen gebracht wird Es sind dann nur bestimmte

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Schwingungen moumlglich deren Geometrie (dh die Zahl der Wellenberge Wellentaumller und Knotenpunkte) sowie Energie (dh die Schwingungsfrequenz) genau definierte von einer gewissen Regelmaumlszligigkeit gekennzeichnete Werte aufweisen muumlssen (Abb 5) Die in Abbildung 5 gezeigten Diagramme markieren Momentaufnahmen von drei der Wellenfunktionen Ψ(x) die Loumlsungen der obigen Gleichung darstellen Der Wert Ψ(x) kann dabei positiv negativ oder null (dh oberhalb unterhalb oder auf der gestrichelten Linie) sein Im letzteren Fall spricht man von den bereits erwaumlhnten Knotenpunkten der Funktion Die Wahrscheinlichkeit das Elektron als Teilchen in der Umgebung des Ortes x aufzufinden ist proportional zur Wellenfunktion im Quadrat p(xplusmnΔx) ~ Ψsup2(x) Eine wichtige Randbedingung ist dabei die Forderung dass die Aufenthaltswahrscheinlichkeit des Elektrons an den beiden Waumlnden null ist dort muumlssen also zwangslaumlufig Knotenpunkte liegen Fuumlr den Fall des eindimensionalen Elektrons in einem stationaumlren (dh zeitlich nicht veraumlnderlichen) Zustand ergeben sich dann die in Abbildung 5 angedeuteten Loumlsungen des Problems Der Wert n benennt die einzelnen Loumlsungen (Loumlsung 1 Loumlsung 2 hellip Loumlsung n) und wird auch als Quantenzahl bezeichnet Abb 5 zeigt nur die drei Zustaumlnde mit der niedrigsten Energie und den Quantenzahlen n = 1 2 und 3 es gibt aber prinzipiell unendlich viele Loumlsungen Jede einzelne Loumlsung wird als ein bdquoOrbitalldquo bezeichnet und vermag zwei Elektronen aufzunehmen Die Wellenfunktionen besitzen abseits der reflektierenden Waumlnde jeweils (n-1) Knotenpunkte und eine mit dem Wert n ansteigende Energie Alle Eigenschaften des Elektrons koumlnnen nun aus der jeweils guumlltigen Wellenfunktion Ψn(x) ermittelt werden

etcn = 3

n = 2

n = 1

Ener

gie

usw

a

E = nsup2hsup28masup2

Abb 5 Eindimensional bewegliches Elektron zwischen zwei reflektierenden Waumlnden Moumlgliche Zustaumlnde unter Ansatz des Welle-Teilchen-Modells Gezeigt sind die drei Zustaumlnde mit niedrigster Energie Weitere Zustaumlnde mit n gt 3 besitzen entsprechend houmlhere Zahlen an Knotenpunkten und houmlhere Energie Die Energie kann uumlber die einfache Formel rechts berechnet werden (mit h als der Planckschen Konstante und m als Masse des Elektrons) Jede Wellenfunktion vermag zwei Elektronen aufzunehmen und wird als Orbital bezeichnet Eine sehr schoumlne Animation findet man in Wikipedia unter httpenwikipediaorgwikiParticle_in_a_box

Die bislang anschaulich formulierte Gleichung Energie des Elektrons als Teilchen = Energie des Elektrons als Welle

laumlsst sich fuumlr die Wellenfunktion Ψ(x) im eindimensionalen Potentialtopf auch mathematisch darstellen und lautet dann nach Erwin Schroumldinger (ohne Herleitung und weitere Erklaumlrung)

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6

idxd

m sup2sup2

2sup2

Erwin Schroumldinger

Diese sehr wichtige Gleichung (sie braucht an dieser Stelle im mathematischen Sinne noch nicht verstanden zu werden) wird als Schroumldinger-Gleichung bezeichnet und besitzt die in Abbildung 5 gezeigten Loumlsungen Ψn(x) mit n = 1 2 3 hellip Diesen Zustaumlnden zugeordnet sind die Energieniveaus 1 2 3 hellip zwischen denen keine weiteren Zustaumlnde moumlglich sind Man sagt die Energie des Elektrons ist bdquogequanteltldquo Der Wert fuumlr E(n) ist proportional zu nsup2 (s Formel in Abb 5 rechts) die Abstaumlnde zwischen aufeinanderfolgenden Energieniveaus werden damit mit steigendem n groumlszliger Der noch recht einfache Fall des eindimensional beweglichen Elektrons hat durchaus eine realistische Entsprechung in der Chemie er beschreibt in sehr guter Naumlherung das Verhalten der Elektronen in Molekuumllen mit alternierenden einfach- und Doppelbindungen zB in Butadien CH2=CH-CH=CH2 oder in β-Carotin

Bei einem solchen Molekuumll kann man durch einfaches Abzaumlhlen die Zahl der Elektronen bestimmen die sich innerhalb des Delokalisationsgebiets befinden (pro Doppelbindung sind es zwei) Anschlieszligend besetzt man die Orbitale des eindimensionalen Potentialtopfes mit aufsteigender Reihenfolge fuumlr jedes n jeweils doppelt Bei dem gezeigten β-Carotin besetzen die vorhandenen 22 Elektronen des Delokalisationsgebiets damit im Grundzustand die ersten 11 Orbitale (mit n = 1 bis 11) Das Orbital mit n = 12 bleibt (wie alle anderen mit n gt 11) unbesetzt Die Energie jedes einzelnen Zustands kann uumlber die einfache Gleichung in Abb 5 rechts berechnet werden Entscheidend ist dabei die Laumlnge a des Potentialtopfes Auch zeigt sich hier die Bedeutung der Masse des Elektrons

16 Das Wasserstoffatom

In den meisten Faumlllen ist das Problem ein Elektron in einem Atom oder Molekuumll zu beschreiben wesentlich komplizierter Dazu gehoumlrt schon der allereinfachste Fall der bei einem Atom gegeben ist die Beschreibung des einzelnen Elektrons in einem Wasserstoff-atom Die im Wasserstoffatom gegebene Situation wird durch die Gegenwart des positiv geladenen Kerns (eines einzelnen Protons) bestimmt Das Elektron wird mit seiner negativen Ladung durch den Kern angezogen und das umso staumlrker je naumlher es ihm kommt Das Elektron befindet sich damit in einem zentrosymmetrischen elektrischen Feld in dem es eine umso

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houmlhere potentielle Energie besitzt je weiter es sich vom Kern entfernt Die Situation ist ein wenig vergleichbar mit der eines Planeten der sich um die Sonne bewegt Haumltte das Elektron nur eine Teilchennatur so koumlnnte es einfach zum Kern stuumlrzen und dort auf dem Zustand niedrigster Energie verharren Dies allerdings wird durch die Wellennatur des Elektrons bdquoverbotenldquo die es sozusagen zwingt eine Art stehende Welle um den Kern herum aufzubauen Fuumlr diese bdquostehende Welle um den Kern herumldquo gibt es verschiedene Loumlsungen die als Orbitale bezeichnet werden Deren Berechnung folgt wieder der Gleichung

Energie des Elektrons als Teilchen = Energie des Elektrons als Welle

die mathematisch als Schroumldinger-Gleichung des dreidimensionalen Raums folgende Form besitzt (auch hier die Mathematik der Gleichung sei an dieser Stelle noch nicht relevant)

irV

zyxm)(

sup2sup2

sup2sup2

sup2sup2

2sup2

Auch hier soll nicht auf die Details der Gleichung eingegangen werden Wichtig ist nur dass nun alle drei Raumrichtungen x y und z eine Rolle spielen Daruumlber hinaus kommt auch die potentielle Energie im elektrischen Feld des Kerns mit ins Spiel die als V(r) eingefuumlhrt wird und kontinuierlich mit groumlszliger werdendem r ansteigt Dadurch werden auch die Loumlsungen dieser Gleichung die nun Ψn lms (xyzt) heiszligen wesentlich komplizierter und vielfaumlltiger Im Gegensatz zu den Loumlsungen Ψn(xt) fuumlr ein eindimensional bewegliches Elektron gibt es nun mitunter fuumlr eine einzelne Quantenzahl n mehrere Loumlsungen Um alle diese Loumlsungen zu erfassen werden neben der (Haupt-)Quantenzahl n weitere Quantenzahlen eingefuumlhrt die wieder nur eine Rolle als benennende Indizes spielen Der vollstaumlndige Satz Quantenzahlen der zur Benennung eines elektronischen Zustands noumltig ist lautet nun

Hauptquantenzahl n mit n = 1 2 3 4 hellip

Nebenquantenzahl l mit l = 0 1 2 hellip (n-1)

Magnetische Quantenzahl m mit m = - l hellip 0 hellip+ l

Spinquantenzahl s mit s = +12 und s = -12

Die zehn ersten moumlglichen Kombinationen von Quantenzahlen (n l m s) des Wasserstoff-elektrons lauten damit (100+12) (100-12) (200+12) (200-12) (21-1+12) (21-1-12) (210+12) (210-12) (21+1+12) (21+1-12) Fuumlr houmlhere Hauptquantenzahlen n gt 2 werden die moumlglichen Kombinationen von Quantenzahlen immer zahlreicher Jedem Satz von Quantenzahlen ist genau ein elektronischer Zustand und genau ein Energieniveau zugeordnet Die Energie jedes Zustands wird bei Wasserstoff im feldfreien Raum allein durch die Hauptquantenzahl bestimmt wobei der Wert in der Folge n = 1 2 3 4hellip kontinuierlich aber mit sinkender Schrittweite waumlchst Das Energieschema weist also bezuumlglich der Quantenzahl n einen groszligen Unterschied zu dem des eindimensionalen Potentialtops auf waumlhren die Abstaumlnde zwischen E(n) und E(n+1) beim Potentialtopf mit steigendem n immer groumlszliger werden so werden sie beim Wasserstoff immer kleiner Der Grenzwert von E fuumlr n gegen unendlich wird beim Wasserstoff Ionisierungsenergie genannt

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Die Energie ist beim Wasserstoff (im Gegensatz zu allen anderen Elementen) voumlllig unab-haumlngig von den weiteren Quantenzahlen obwohl die Wellenfunktionen sehr unterschiedlich aussehen koumlnnen Man nennt solche Zustaumlnde mit unterschiedlicher Wellenfunktion aber gleicher Energie entartet Ein Beispiel fuumlr entartete Zustaumlnde waumlren also die Wellen-funktionen mit den Quantenzahlsaumltzen (200-12) und (21-1-12) Wie lassen sich die verschiedenen Zustaumlnde nun anschaulich darstellen Am besten gelingt das indem man die Bereiche innerhalb derer die Wellenfunktion einen bestimmten Betrag besitzt raumlumlich abbildet In Abbildung 6 ist dies fuumlr die Wellenfunktionen mit den Quantenzahlen n = 1 bis 7 fuumlr l = 0 bis 2 und fuumlr m = 0 bis 2 zeichnerisch umgesetzt worden

Abb 6 Darstellung der elektronischen Wellenfunktionen des Wasserstoffatoms fuumlr die Quantenzahlen n = 1 bis 7 fuumlr l = 0 bis 2 und fuumlr m = 0 bis 2 Aus Gruumlnden der Vergleichbarkeit sind alle Orbitale in gleicher Groumlszlige dargestellt (ansonsten muumlsste die Groumlszlige mit der Quantenzahl n ansteigen) Der Atomkern befindet sich jeweils im Schwerpunkt jeder Orbitalstruktur Die Farbe Orange bedeutet ein positives die Farbe Blau ein negatives Vorzeichen der Wellenfunktion (aus httpchemlinksbeloiteduStarspagesorbitalshtml)

Die raumlumlichen Strukturen die durch die drei Quantenzahlen n l und m festgelegt werden heiszligen Orbitale Grob zusammenfassend kann man sagen dass im Wasserstoffatom die Hauptquantenzahl n die Groumlszlige die Nebenquantenzahl l die Form und die magnetische Quantenzahl m die Ausrichtung der Orbitale bestimmt Da die Quantenzahl s dann noch jeweils zwei Einstellungen besitzt die im Uumlbrigen keinen Einfluss auf die Gestalt der Orbitale nehmen kann jedes dieser Orbitale zwei moumlgliche elektronische Zustaumlnde enthalten (mit s = +12 und s = -12) Alle in Abbildung 6 dargestellten Strukturen repraumlsentieren damit

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moumlgliche Aufenthaltsbereiche fuumlr je zwei verschiedene Zustaumlnde die das Elektron in Wasserstoff einnehmen kann

Die Orbitale mit der Nebenquantenzahl l = 0 heiszligen s-Orbitale Sie besitzen grundsaumltzlich eine kugelsymmetrische Gestalt eine von n abhaumlngige Groumlszlige und keine Ausrichtung Die Orbitale mit der Nebenquantenzahl l = 1 heiszligen p-Orbitale Sie besitzen grundsaumltzlich die Gestalt einer Hantel und ebenfalls eine von n abhaumlngige Groumlszlige Ihre Ausrichtung folgt der x- der y- und der z-Achse verbunden mit den magnetischen Quantenzahlen m = -1 0 oder +1 Die Orbitale mit der Nebenquantenzahl l = 2 heiszligen d-Orbitale und besitzen abhaumlngig von der magnetischen Quantenzahl m kompliziertere Formen und Richtungen Anschaulich sollte man von der Vorstellung Abstand nehmen das Orbital sei ein Volumen innerhalb dessen das Elektron als Teilchen rotiere Vielmehr sollte man das Orbital als eine Art Schwingungsfigur betrachten aumlhnlich wie das Vibrationsbild einer schwingenden Saite Dann macht auch die Tatsache einen Sinn dass die Wellenfunktion einen positiven und einen negativen Wert besitzen kann dieser deutet dann auf die Richtung einer Auslenkung hin entsprechend einer Gitarrensaite die man ebenfalls in zwei verschiedene Richtungen auslenken koumlnnte Erst das Quadrat der Wellenfunktion macht dann eine Aussage uumlber den moumlglichen Aufenthaltsort des Elektrons als Teilchen Moumlchte man wissen mit welcher Wahrscheinlichkeit das Elektron als Teilchen innerhalb eines bestimmten Teilvolumens auftritt so muss man die Quadrate aller Ψ-Werte innerhalb dieses Teilvolumens aufaddieren (integrieren) Integriert man Ψsup2 uumlber das gesamte Volumen des Atoms (das nebenbei gesagt theoretisch unendlich groszlig ist) so resultiert der Wert eins da das Elektron zwangslaumlufig irgendwo sein muss Diese Voraussetzung stellt die Normierungsbedingung dar die jede der Wellenfunktionen des Wasserstoffatoms erfuumlllen muss Sehr schoumlne raumlumliche Abbildungen zu den Elektronenorbitalen des Wasserstoffs finden sich auf der Homepage des Instituts fuumlr Theoretische Chemie der Universitaumlt Sheffield (httpwintergroupshefacukorbitron )

17 Atome mit mehreren Elektronen

Im Falle von Mehrelektronensystemen wie Helium- Lithium- oder Beryllium- sowie allen weiteren Atomen sind die Verhaumlltnisse ungleich komplizierter Hier muumlssten in der Schroumldin-gergleichung auch die elektrostatischen Wechselwirkungen der Elektronen untereinander be-ruumlcksichtigt werden Da aber der Ort aller Elektronen (anders als der des als ruhend angenom-menen Kerns) nur uumlber Wellenfunktionen beschrieben werden kann wuumlrde die dazugehoumlrige Schroumldingergleichung schon fuumlr ein Zweielektronensystem uumlbermaumlszligig kompliziert Deshalb verwendet man folgende vereinfachende Naumlherung man fasst in Gedanken den Atomkern mit allen uumlbrigen Elektronen (also allen Elektronen bis auf das eine dessen Wellenfunktion man gerade ermitteln moumlchte) zusammen und erhaumllt so ein neues fiktives Teilchen dessen Ladung (bei neutralen Atomen) stets den Wert plus eins besitzt Der Ort dieses fiktiven Teilchens ist aufgrund der Symmetrie der Elektronenverteilung zum Kern stets identisch mit dem Ort des Kerns Damit verwandelt sich jedes Atom bei der Betrachtung eines einzelnen Elektrons in ein fiktives Wasserstoffatom und man kann alle Orbitale des Mehrelektronenatoms auf die Wasserstofforbitale zuruumlckfuumlhren Diese Naumlherungsloumlsung ist sehr praktisch hat allerdings ihre Grenzen So koumlnnen viele Gesetzmaumlszligigkeiten die fuumlr das Wasserstoffatom noch gelten nicht beibehalten werden So haumlngt bei Mehrelektronensystemen beispielsweise die Energie eines Orbitals nicht mehr nur von der Hauptquantenzahl n sondern zumindest auch von der Nebenquantenzahl l ab da hier der Einfluss der uumlbrigen Elektronen des Atoms zum Tragen kommt Mit der oben beschriebe-

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nen Naumlherung ist diese Beobachtung nicht mehr vorhersagbar da die Wechselwirkung zwi-schen den Elektronen ignoriert wird

Bei der Besetzung eines Mehrelektronensystems ist zunaumlchst einmal das Pauli-Prinzip zu beachten Dieses Gesetz wird auch Ausschlussprinzip genannt und bedeutet dass zwei Elek-tronen die sich im gleichen Raum aufhalten niemals Wellenfunktionen mit identischen Quantenzahlen belegen duumlrfen Anders gesagt alle Wellenfunktionen die von den in einem gemeinsamen Volumen (also zB in einem Atom) vorhandenen Elektronen besetzt werden muumlssen sich in wenigstens einer der vier Quantenzahlen unterscheiden In erster Konsequenz bedeutet dies dass Materie nicht von anderer Materie durchdrungen werden kann (sonst wuumlrden sich zum Beispiel notwendigerweise irgendwo zwei Elektronen mit den Quanten-zahlsaumltzen (100-12) im selben Volumen begegnen) Dies hat aber auch zur Folge dass ein Orbital mit den drei Quantenzahlen n l und m nur genau zwei Elektronen (mit s = +12 und -12) beherbergen darf

Wolfgang Pauli Friedrich Hund

Abb 7 Darstellung der Besetzungsreihenfolge bezuumlglich der Haupt- und Nebenquantenzahlen bei Mehrelektro-nensystemen Nacheinander wird dabei den von oben nach unten versetzten Pfeilen in der angegebenen Richtung gefolgt Man erhaumllt somit das Besetzungsschema 1s - 2s - 2p - 3s - 3p - 4s - 3d - 4p - 5s - hellip usw

Die Reihenfolge mit der die Haupt- und Nebenquantenzahlen besetzt werden ist durch die so genannte Aufbauregel festgelegt Diese bestimmt die Belegung der Orbitale so wie sie durch die Folge der untereinander versetzten Pfeile in Abbildung 7 dargestellt ist (s oben)

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Bezuumlglich der uumlbrigen Quantenzahlen m und s gilt es den drei Hundschen Regeln zu folgen (Anmerkung in der Literatur ist auch manchmal von vier Hundschen Regeln die Rede wobei sich dann aber die vierte aus den anderen drei ergibt) Die erste Hundsche Regel nennt man in der angelsaumlchsischen Literatur auch bildhaft die bdquobus-seat-ruleldquo Aumlhnlich wie unabhaumlngige Reisende die Zweierreihen eines Busses zunaumlchst alle jeweils einzeln belegen so versuchen auch die Elektronen zunaumlchst alle Varianten der mag-netischen Quantenzahl m einfach zu besetzen Alle diese ungepaarten Elektronen weisen dann dieselbe Spinquantenzahl (s = 12) auf So werden beispielsweise bei den p-Orbitalen immer erst alle drei Orbitale mit m = 1 0 und -1 (jeweils mit s = 12) einfach besetzt Die zweite Hundsche Regel besagt dass das Orbital mit dem groumlszligten Wert fuumlr m (unter Beachtung der ersten Hundschen Regel) immer zuerst besetzt wird Die einfache Besetzung nach der ersten Hundschen Regel beginnt also stets mit m = l danach folgt m = (l - 1) usw Die weitere Besetzung der Orbitale mit einem jeweils zweiten Elektron mit umgekehrtem Spin (s = -12) findet danach in derselben Reihenfolge statt Die dritte Hundsche Regel beschreibt lediglich das Verhalten eines Mehrelektronensystems im Magnetfeld hat aber auf die Reihenfolge der Besetzung der Orbitale keinen Einfluss und braucht daher an dieser Stelle noch nicht beruumlcksichtigt zu werden Das insgesamt resultierende Besetzungsschema wird in der Chemie haumlufig in der so genannten Kaumlstchenschreibweise dargestellt Fuumlr die Nebenquantenzahlen von 0 bis 2 besitzt es unter Beachtung der Hundschen Regeln die folgende Struktur

Abb 8 Darstellung der Besetzungsreihenfolge bezuumlglich der magnetischen Quantenzahl und der Spinquanten-zahl bei Mehrelektronensystemen Jeder aufwaumlrts gerichtete Pfeil steht fuumlr eine Elektronenfunktion mit s = +12 (paralleler Spin) jeder abwaumlrts gerichtete Pfeil fuumlr eine Elektronenfunktion mit s = -12 (antiparalleler Spin)

Betrachten wir einmal denjenigen Radius eines Atoms der bei der direkten Beruumlhrung zweier Atome relevant wird Zunaumlchst koumlnnte man annehmen dass dieser Atomradius mit steigender Zahl an Elektronen grundsaumltzlich groumlszliger werden sollte Innerhalb einer Periode ist aber uumlberraschenderweise das Gegenteil der Fall wie aus folgenden Werten hervorgeht

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Lithium (3 Elektronen) Atomradius 152 pm Beryllium (4 Elektronen) Atomradius 112 pm Bor (5 Elektronen) Atomradius 88 pm Kohlenstoff (6 Elektronen) Atomradius 77 pm Stickstoff (7 Elektronen) Atomradius 70 pm Sauerstoff (8 Elektronen) Atomradius 66 pm Fluor (9 Elektronen) Atomradius 64 pm

Die Ursache hierfuumlr liegt in der staumlrkeren Ladung des Kerns und dem daraus folgenden steileren Potentialverlauf V(r) Die wachsende Ladung des Kerns komprimiert in zuneh-mendem Maszlige die Groumlszlige des Atoms Ein Fluoratom misst trotz der dreifachen Elektronenzahl weniger als die Haumllfte eines Lithiumatoms Vergleicht man allerdings die Atome von aufeinanderfolgenden Perioden innerhalb einer Gruppe (zB in der Reihe Li ndash Na ndash K ndash hellip) so findet man in den meisten Faumlllen den zu erwartenden Groumlszligenanstieg

18 Chemische Bindungen und Molekuumlle

Mit den Loumlsungen der Schroumldingergleichung des Wasserstoffatoms mit der Einfuumlhrung der Orbitale und mit der Beruumlcksichtigung der Besetzungsregeln haben wir nun ein relativ um-fassendes Bild von den Grundbausteinen der Chemie den Atomen Damit ergibt sich nun die Frage wie zwei oder mehr Atome miteinander wechselwirken koumlnnen Zunaumlchst ist zu klaumlren was eigentlich passiert wenn zwei Atome (Atom a und Atom b) immer naumlher zusammen-ruumlcken Eigentlich sollte man annehmen dass in diesem Fall die abstoszligenden Wechselwirkun-gen dominieren da sich bei dem direkten Kontakt zwischen den Atomen zunaumlchst nur die Elektronenhuumlllen beruumlhren sollte es zu einer starken elektrostatischen Abstoszligung kommen Zunaumlchst scheint die Bildung einer chemischen Bindung physikalisch wenig plausibel Trotz-dem existieren in der Natur drei moumlgliche Loumlsungen des Problems

a) Die Ionenbindung Hierbei geht ein oder mehrere Elektronen vollstaumlndig vom Atom a zum Atom b uumlber Dadurch wird das Atom a zum positiv geladenen Kation das Atom b zum negativ geladenen Anion Die anziehende elektrostatische Kraft bewirkt eine stabile Bindung

b) Die kovalente Bindung Es bilden sich zwischen zwei Atomen a und b gemeinsame Elektronenorbitale auf denen Elektronen sozusagen unter den beiden Bindungs-partnern aufgeteilt werden

c) Die metallische Bindung Es bildet sich ein Kontinuum aus sehr groszligen gemeinsa-men Elektronenorbitalen die sich uumlber ein atomares Gitter erstrecken Eine Vielzahl von Elektronen (das so genannte Elektronengas) wird dabei unter einer Vielzahl von Atomen aufgeteilt

Im Folgenden soll vor allem die Loumlsung b also die kovalente Bindung betrachtet werden da die anderen Bindungsformen (wie spaumlter gezeigt wird) auch als Grenzfaumllle dieser Loumlsung gelten koumlnnen Das bedeutet wir betrachten nun eine Situation bei der gemeinsame Orbitale zwischen (im einfachsten Fall) zwei Atomkernen existieren Um dafuumlr die Schroumldingergleichung zu loumlsen

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ist erneut eine Vereinfachung noumltig die als Born-Oppenheimer-Naumlherung gilt Dabei nimmt man an dass der Ort der beiden Atomkerne festgelegt ist obwohl die dazwischen befind-lichen Elektronen durch Wellenfunktionen beschrieben werden Dadurch erspart man sich die Komplikation eines moumlglicherweise zeitlich variablen Kernabstands Gerechtfertigt wird diese Naumlherung dadurch dass die Atomkerne um ein Vielfaches schwerer sind als die Elektronen ihre Bewegungen daher um ein Vielfaches langsamer Mit dieser Naumlherung fuumlhren wir nun folgendes Gedankenexperiment durch wir betrachten zwei Wasserstoffatome mit unendlichem Abstand zueinander Ihre Elektronen befinden sich beide im energetischen Grundzustand besitzen aber unterschiedlichen Spin so dass ihnen die beiden Quantenzahlsaumltze (100+12) und (100-12) zukommen Damit wird dem Pauli-Prinzip Genuumlge getan so dass die beiden Atome nun zusammengeruumlckt werden duumlrfen Je naumlher die beiden Atome einander kommen umso mehr bdquofuumlhltldquo das Elektron des einen Atoms den Kern des anderen so dass die Wellenfunktionen des ungestoumlrten Wasserstoffatoms nun keine guumlltigen Loumlsungen mehr darstellen Es muumlssen also neue molekulare Wellenfunktionen gefunden werden Diese Molekuumllorbitale bildet man am einfachsten indem man Kombina-tionen aus den zuvor guumlltigen Atomorbitalen bildet Wichtig ist es handelt sich dabei nicht um eine einfache Uumlberlappung zwischen den bestehenden Atomorbitalen sondern um die rechnerische Bildung eines neuen Orbitals Im Fall des Wasserstoffatoms im Grundzustand sind zwei solcher Kombinationen moumlglich Vereinfachend kann man das eine entstehende Molekuumllorbital als normierte additive Kombination aus den beiden einzelnen s-Atomorbitalen betrachten (Abb 9 oben links) Es wird als bindendes σ-Molekuumllorbital bezeichnet besitzt eine niedrigere Energie als das s-Atomorbital und weist zwischen den beiden Atomkernen eine hohe Elektronendichte (ein hohes Ψsup2) auf Sein Gegenstuumlck wird entsprechend aus einer Art normierter subtraktiver Kombination der beiden urspruumlnglichen s-Orbitale gebildet (Abb 9 oben rechts) Es wird als antibindendes σ-Molekuumllorbital bezeichnet besitzt eine houmlhere Energie als das s-Atomorbital und weist zwischen den beiden Atomkernen eine niedrige Elektronendichte (ein kleines Ψsup2) auf An einer Stelle besitzt letztere sogar den Wert Null Die bisher vorhandenen Atomorbitale existieren nun nicht mehr

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Abb 9 Darstellung von bindenden (links oben) und antibindenden Molekuumllorbitalen (rechts oben) im Wasserstoffmolekuumll H2 Das Energiediagramm links unten veranschaulicht die Bildung eines bindenden σ-Molekuumllorbitals im Fall von Wasserstoff H2 Das Diagramm rechts unten verdeutlicht die Situation in einem fiktiven Helium-Molekuumll He2 bei dem neben dem bindenden σ-Molekuumllorbital auch das antibindende σ-Molekuumllorbital besetzt wuumlrde Zweiatomiges Helium ist demzufolge nicht stabil

Die hohe Elektronendichte des bindenden σ-Orbitals im Bereich zwischen den Kernen bewirkt dass sich anziehende elektrostatische Wechselwirkungen Kern-Elektron-Kern aus-bilden koumlnnen es haumllt also das Molekuumll zusammen (deswegen bdquobindendldquo) Da das bindende σ-Orbital die niedrigere Energie besitzt wandern die zwei Elektronen des Wasserstoffmole-kuumlls beide (mit unterschiedlichen Spins) in diese Position Damit verbunden ist ein Energie-gewinn der den gebundenen Zustand beguumlnstigt Zur Trennung des Molekuumlls muss Energie aufgebracht werden Das antibindende σ-Orbital weist am Ort zwischen den Kernen die Elektronendichte Null auf Damit dominiert hier die abstoszligende elektrostatische Wechselwirkung Kern-Kern dazu-hin ist es energetisch unguumlnstiger Bei einem fiktiven Helium-Molekuumll (Abb 9 unten rechts) muss wegen der Zahl von vier Elektronen auch dieses σ-Orbital doppelt besetzt sein Dadurch wird sowohl der Energiegewinn als auch die anziehende Wechselwirkung des bindenden σ-Orbitals kompensiert so dass dieses Molekuumll insgesamt nicht stabil ist Grundsaumltzlich sind alle urspruumlnglichen Atomorbitale nach der Bildung des Molekuumlls ver-schwunden alle insgesamt vorhandenen Elektronen werden auf die neu gebildeten Molekuumll-orbitale verteilt Ist das Niveau der Atomorbitale vor der Bildung eines gemeinsamen Mole-kuumllorbitals sehr unterschiedlich so erhaumllt man eine polare kovalente Bindung bei der der Schwerpunkt der Elektronendichte auf der Seite des urspruumlnglich energieaumlrmeren Orbitals

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liegt Im Grenzfall extremer Polaritaumlt erhaumllt man eine Ionenbindung (s oben) Sind sehr viele gleichartige Orbitale an der Bildung des Molekuumllorbitals beteiligt so koumlnnen sich groszlige Delokalisationsgebiete ausbilden Im Extremfall eines Delokalisationsgebiets das sich uumlber ein ganzes Kristallgitter erstreckt spricht man von einer metallischen Bindung (s oben) Die Molekuumllorbitaltheorie (kurz MO-Theorie) ist also in der Lage saumlmtliche Bindungsarten zu beschreiben Energiediagramme wie in Abb 9 unten werden als MO-Schemata bezeichnet Fuumlr zwei-atomige Molekuumlle moumlgen sie noch recht uumlbersichtlich aussehen bei vielatomigen Molekuumllen sind sie dagegen meistens unuumlberschaubar Mit Hilfe leistungsfaumlhiger Computer lassen sich solche Molekuumllorbitale noch rechnerisch erfassen allerdings steigt der Rechenaufwand (und damit die Rechenzeit und die Kosten) mit steigender Molekuumllgroumlszlige sehr rasch an In diesem Fall kann man auf eine vereinfachende Betrachtung ausweichen die so genannte Valence-Bond-Theorie (VB-Theorie Valenzbindungstheorie) Sie wurde in Konkurrenz zur MO-Theorie entwickelt und beinhaltet eine wesentliche zusaumltzliche Naumlherung Sie ist dadurch deutlich weniger genau allerdings auch wesentlich einfacher anwendbar und in der Praxis die beste Methode um rasch und anschaulich Molekuumllgeometrien und Reaktionsmechanismen erklaumlren zu koumlnnen Im Gegensatz zur MO-Theorie geht man bei der VB-Theorie im Grundsatz davon aus dass auch im Molekuumll noch die urspruumlnglichen Atomorbitale existieren Der VB-Theorie nach entsteht die chemische Bindung dadurch dass zwei halb besetzte Atomorbitale der beiden benachbarten Atome A und B uumlberlappen Das bdquoUumlberlappungsorbitalldquo wird dann in der Regel durch die beiden resultierenden Elektronen (eines von A und eines von B) besetzt wobei das wiederum voraussetzt dass sie einen unterschiedlichen Spin aufweisen Jedes durch solche bdquoUumlberlappungldquo gebildete Orbital entspricht einer Bindung Der Einfachheit halber nimmt man an dass die anderen Atomorbitale nicht an der Bindung teilnehmen und somit unveraumlndert bleiben Aufgrund dieser doch recht groben Naumlherung kommt es bei der VB-Betrachtung von einfa-chen Molekuumllen wie Wasser Methan oder Ammoniak sehr schnell zu Problemen Zunaumlchst einmal sind die erhaltenen Bindungswinkel unrealistisch aufgrund der Tatsache dass in allen genannten Faumlllen p-Orbitale beteiligt sind resultiert aus dem VB-Modell immer wieder ein Bindungswinkel von 90deg wohingegen die tatsaumlchlichen Bindungswinkel deutlich groumlszliger sind (Wasser 1045deg Methan 109deg) Ein noch groumlszligeres Problem stellen zB die Bindungs-verhaumlltnisse des Kohlenstoffs dar eigentlich sollte man nach der VB-Theorie fuumlr eine Ver-bindung zwischen Kohlenstoff und Wasserstoff ein bdquoCH2ldquo mit einem Bindungswinkel von 90deg erwarten wobei die zwei jeweils halbbesetzten p-Orbitale des Kohlenstoffs Bindungs-anzahl und ndashwinkel vorgeben Dieser Mangel der VB-Theorie kann weitgehend repariert werden indem man die Schritte der Promotion und der Hybridisierung einfuumlhrt Beide Vorgaumlnge sind dabei nicht als natuumlrliche Prozesse sonder eher als hypothetische Hilfskonstruktionen zu verstehen die lediglich dazu dienen die Maumlngel der VB-Theorie auszuheilen Letztlich ermoumlglichen sie es mit Hilfe von Linearkombinationen aus Atomorbitalen und deren Uumlberlappungszonen den tatsaumlchlich vor-liegenden Molekuumllorbitalen naumlherzukommen

Der erste dazu notwendige Schritt die Promotion dient dazu die fuumlr die gegebene Zahl an Bindungen notwendige Zahl an ungepaarten Elektronen zu schaffen Dazu werden dann einfach Orbitale houmlherer Energie besetzt Im Fall des vierbindigen Kohlenstoffs bedeutet das beispielsweise dass ein s-Elektron an den bereits halbbesetzten px- und py-Orbitalen vorbei auf das energiereichere pz-Orbital gehoben wird Aus der Elektronenkonfiguration

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wird somit 1s 2s 2p

Dieser hypothetische Vorgang kommt einer gewissen Energieerhoumlhung gleich die allerdings dadurch abgemildert wird dass ein nach der ersten Hundschen Regel (bdquobus seat ruleldquo) guumlnsti-gerer Zustand mit ungepaarten Spins entsteht Die vier nunmehr halbbesetzten Orbitale sind in Abbildung 10 dargestellt

Abb 10 Darstellung der vier an der sp3-Hybridisierung des Kohlenstoffs beteiligten Orbitale 2s 2px 2py und 2pz(Quelle Chemgapedia)

Anschlieszligend erfolgt nun die Hybridisierung eine Art Vermischung (oder mathematisch korrekter die Bildung von Linearkombinationen) des s- mit den drei p-Orbitalen Dadurch entstehen Orbitale in gleicher Anzahl aber mit voumlllig neuer Form Symmetrie und Orien-tierung im Raum

Abb 11 Darstellung der vier aus der sp3-Hybridisierung des Kohlenstoffs resultierenden Hybridorbitale Die Ausrichtung der sp3-Hybridorbitale folgt den vier Raumdiagonalen eines Wuumlrfels oder ndash wenn man nur die groumlszligeren Segmente der Orbitale betrachtet ndash den Ecken eines Tetraeders (Quelle Chemgapedia)

Die vier neuen wiederum jeweils halbbesetzten Orbitale zeigen vom Kern aus zu den Ecken eines Tetraeders Mit ihrer Hilfe laumlsst sich nun zwanglos die Bildung des bekannten Methan-Molekuumlls CH4 erklaumlren jedes einzelne sp3-Hybridorbital uumlberlappt mit jeweils einem s-Orbi-tal eines Wasserstoffatoms wodurch eine tetraedrische Molekuumllgeometrie mit vier voumlllig gleichberechtigten Bindungen entsteht Das Ergebnis kommt den tatsaumlchlich vorhandenen Molekuumllorbitalen die sich gemaumlszlig dem MO-Modell formulieren lassen sehr nahe Festzu-halten ist dabei dass es sich sowohl bei der Promotion als auch bei der Hybridisierung um rein fiktive Prozesse handelt die lediglich postuliert werden um den VB-Ansatz zu bdquorettenldquo Der grundsaumltzliche Mangel der darin besteht dass das VB-Modell uumlberwiegend auf Atom-orbitalen beharrt die eigentlich nicht mehr existieren bleibt bestehen Viele Molekuumllgeome-trien lassen sich in der VB-Theorie nur mit Hilfe einer passenden Hybridisierung erklaumlren Dennoch das VB-Modell ist fuumlr die meisten Anwendungen in der Chemie nach wie vor der am haumlufigsten gewaumlhlte Ansatz er ist einfach intuitiv und vielseitig einsetzbar solange man die richtige Form der Hybridisierung waumlhlt Letzteres geschieht auf der Grundlage einer bekannten Molekuumllgeometrie oder unter Beruumlcksichtigung von vorhandenen Mehrfachbindun-gen Im Idealfall aumlhneln die gebildeten Hybridorbitale dann den wirklichen Molekuumllorbitalen

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In der folgenden Tabelle sind die haumlufigsten Hybridisierungsvarianten zusammengefasst und verschiedenen Molekuumllgeometrien zugeordnet Bei gegebener Geometrie des Molekuumlls (z B die trigonal-planare Anordnung um jedes Kohlenstoffatom im Ethylen) kann man so auf die passende Hybridisierung schlieszligen (im gegebenen Fall das sp2-Hybrid)

Tabelle 1 Wichtige Hybridisierungszustaumlnde nach dem VB-Modell

Hybridisierung Promotion Koordinationszahl Geometrie Beispiele

sp uarruarr suarr puarr 2 linear Acetylen Propadien

sp2 uarruarruarr suarr puarruarr 3 trigonal-planar Ethylen Benzol

sp3 uarruarruarruarr suarr puarruarruarr 4 tetraedrisch Methan Ammoniak

sp3d uarruarruarruarruarr suarr puarruarruarr duarr 5 trigonal-bipyramidal

Phosphor-pentachlorid

sp3d2 uarruarruarruarruarruarr suarr puarruarruarr duarruarr 6 oktaedrisch Schwefel-hexafluorid

Die so entstehenden Hybridorbitale kommen in ihrer raumlumlichen Darstellung den tatsaumlchli-chen Molekuumllorbitalen teilweise recht nahe sie korrigieren somit die VB-Theorie in gewissem Sinne in Richtung der MO-Theorie Allerdings bleibt festzuhalten dass die VB-Theorie keine antibindenden Orbitale kennt diese bleiben einfach unberuumlcksichtigt Dies ist eine gravie-rende Schwaumlche der VB-Theorie die sich an vielen Stellen bemerkbar macht (zB bei der Erklaumlrung des Sauerstoff-Biradikals in der Spektroskopie und bei bestimmten Reaktions-typen)

19 Elektronegativitaumlt und Polaritaumlt

In einer chemischen Bindung zwischen verschiedenen Elementen besitzen die beteiligten Atome fuumlr gewoumlhnlich unterschiedliche Tendenzen die Bindungselektronen an sich zu ziehen Bei der Betrachtung der Energieschemata im MO-Modell aumluszligert sich dies darin dass ein bindendes Molekuumllorbital aus einer Linearkombination zweier Atomorbitale mit sehr unterschiedlicher Energie hervorgeht In diesem Fall besitzt das bindende Molekuumllorbital die Tendenz hohe Elektronendichten in der Naumlhe des Elements aufzuweisen dessen Atomorbital energetisch guumlnstiger liegt Man spricht dann von einer hohen Elektronegativitaumlt dieses Elements da es in dem gebundenen Zustand durch die erhoumlhte Elektronendichte eine partiell negative Ladung aufweist Ein klassisches Beispiel ist die Verbindung Fluorwasserstoff (HF) Hier wird ein bindendes Molekuumllorbital aus der Linearkombination zwischen dem 1s-Orbital des Wasserstoffs mit einem 2p-Orbital des Fluors gebildet Letzteres liegt aufgrund der relativ hohen Kernladung und des geringen Atomradius des Fluors energetisch wesentlich tiefer wodurch sich eine stark asymmetrische Elektronenverteilung ergibt Die Elektronegativitaumlt wird in erster Linie durch die Kernladung vor allem aber auch durch den Abstand zwischen den Valenzelektronen und dem Atomkern bestimmt Daher sind auch kleine Atome wie zum Beispiel der Stickstoff der Sauerstoff oder das Fluor auch besonders elektronegativ (s Tabelle Seite 12) Im Periodensystem der Elemente nimmt die Elektro-negativitaumlt tendenziell nach oben und nach rechts zu (Edelgase ausgenommen) Linus Pauling

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schlug vor die Elektronegativitaumlt ausgehend von der VB-Theorie als dimensionslose Kenn-groumlszlige fuumlr jedes einzelne Element einzufuumlhren Sie errechnet sich aus einem Vergleich der Dissoziationsenergien der beteiligten Elemente Demnach besitzt Francium als das am wenigsten elektronegative Element den Wert 070 und Fluor als das am staumlrksten elektro-negative Element den Wert 398 Eine Zwischenstellung nimmt zB Wasserstoff mit 220 ein Bei Bindungen zwischen Elementen mit unterschiedlicher Elektronegativitaumlt spricht man von polaren Bindungen Entlang einer polaren Bindung baut sich durch die ungleiche Elektronen-verteilung ein entsprechendes Dipolmoment auf das haumlufig Anlass fuumlr starke zwischen-molekulare Kraumlfte liefert (s Kapitel 3) Im Extremfall einer sehr polaren kovalenten Bindung kann das Bindungselektron (bzw die Bindungselektronen) praktisch allein dem elektronega-tiveren Element zugesprochen werden Das entsprechende Bindungsorbital besteht dann als Linearkombination von Atomorbitalen fast ausschlieszliglich aus einem Atomorbital welches das elektronegativere Element beisteuert In diesem Fall spricht man nach klassischer Definition von einer Ionenbindung

2 Die Elektronenspektroskopie an Atomen und Molekuumllen 21 Grundlagen der Spektroskopie

Elektronen in Atomen und Molekuumllen koumlnnen ndash soweit die Erkenntnis aus Kapitel 1 ndash durch Wellenfunktionen beschrieben werden Aus diesen kann man nicht nur die Aufenthaltswahr-scheinlichkeit an verschiedenen Positionen im Raum sondern auch die Energie des Elektrons ableiten Eine Folge der Beschraumlnkung der Elektronen auf bestimmte Wellenfunktionen mit jeweils bestimmter Energie ist dass sie auch nur in bestimmten Schritten Energie aufnehmen und abgeben koumlnnen Jede Aufnahme bzw Abgabe von Energie entlang dieses Schrittes ist generell mit der Aufnahme bzw Abgabe von elektromagnetischer Strahlung verbunden Diese Tatsache bildet die Grundlage der Spektroskopie im gegebenen Fall der Elektronenspektros-kopie

Allgemein gesprochen befasst sich die Spektroskopie mit der Wechselwirkung zwischen Strahlung und Materie Etwas genauer laumlsst sich aussagen dass die Spektroskopie unter-sucht mit welcher elektromagnetischen Strahlung sich welcher energetische Uumlbergang anre-gen laumlsst Zwischen der elektromagnetischen Strahlung und dem dabei bewirkten energeti-schen Uumlbergang gilt dann grundsaumltzlich folgende Beziehung Δ E = h ∙ ν mit ΔE als der Energiedifferenz zwischen den beiden Zustaumlnden (in Joule) ν (gesprochen bdquonuumlldquo) als Frequenz der verwendeten elektromagnetischen Strahlung (in 1s oder Hertz Hz) und h als dem so genannten Planckschen Wirkungsquantum (mit h = 6626∙10-34 Js) Somit ist jeder Frequenz ν im elektromagnetischen Spektrum (Abb 12) genau ein Energiewert Δ E zugeordnet Die dazugehoumlrige Wellenlaumlnge im Vakuum (in m) errechnet sich nach λ = c ν mit c als Lichtgeschwindigkeit (im Vakuum c = 299 792 458 ms)

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Abb 12 Elektromagnetisches Spektrum (Quelle Chemgapedia)

Fuumlr die genaue Messung welche Frequenz der elektromagnetischen Strahlung einem gegebe-nen Uumlbergang anzuregen vermag gibt es experimentell zwei verschiedene Ansaumltze Entweder man strahlt Energie auf das System ein und beobachtet den Verlust an Strahlungsintensitaumlt der dann beobachtet wird wenn die Strahlung einen Uumlbergang zu einem houmlheren Energieni-veau bewirkt (Absorption) oder man fuumlhrt dem System Energie zu (zum Beispiel thermisch) und beobachtet dann die Freisetzung von Energie als Strahlung (Emission) Im einen Fall erfuumlllt die Frequenz der absorbierten Strahlung im anderen Fall die der emittierten Strahlung die Frequenzbedingung ΔE = h ∙ ν Mit beiden Methoden kann man so exakt den Energie-unterschied zwischen zwei Energieniveaus ausmessen Die Bestimmung der Werte fuumlr die charakteristischen Energieschritte ΔE eines Systems ist die Hauptaufgabe der Spektroskopie Sie eignet sich insbesondere um elektronische Wellenfunktionen eines Systems zu erkunden

22 Elektronenspektroskopie am eindimensionalen Potentialtopf

Das denkbar einfachste elektronische System ist der eindimensionale Potentialtopf Dennoch kann auch dieses Modell schon in grober Naumlherung auf Molekuumlle angewandt werden speziell auf solche mit annaumlhernd linearen Delokalisationssystemen (s Kapitel 14) Ein Beispiel ist die Reihe Butadien Hexatrien Oktatetraen usw Bildet man mit Hilfe der Loumlsungen der Schroumldingergleichung fuumlr das eindimensionale Potentialtopfmodell einen Ausdruck fuumlr den elektronischen Uumlbergang zwischen dem houmlchsten besetzten Orbital (HOO) und dem niedrig-sten unbesetzten Orbital (LUO) so erhaumllt man fuumlr die damit verbundene Energiedifferenz gemaumlszlig der in Abbildung 5 gezeigten Formel

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ΔE = h ∙ ν = (nsup2LUO-nsup2HOO) ∙ hsup2 (8 me asup2)

Mit wachsender Laumlnge a und wachsender Elektronenzahl (jedes Kohlenstoffatom im Delokali-sationsgebiet traumlgt ein Elektron bei) steigen einerseits die Werte der Quantenzahlen n fuumlr das houmlchste besetzte Orbital (HOO) und das niedrigste unbesetzte Orbital (LUO) an andererseits steigt aber auch die Laumlnge L die quadratisch im Nenner der Gleichung steht Da letzteres insgesamt uumlberwiegt sinkt der Wert fuumlr ΔE und damit fuumlr die Frequenz ν schrittweise mit Anstieg der Kettenlaumlnge Liegt die absorbierte Lichtfrequenz anfaumlnglich im UV-Bereich so verschiebt sie sich beispielsweise fuumlr das Carotin mit 11 Doppelbindungen schon in den sichtbaren blauen Bereich Weil daher Carotin blaues Licht absorbiert erscheint es im Durchlicht betrachtet in der Komplementaumlrfarbe orange-gelb Nach diesem Prinzip lassen sich viele organische Farbstoffe interpretieren Aumlndert sich die Laumlnge bzw die Elektronenzahl (und damit nsup2LUO und nsup2HOO) durch die Protonierung des Molekuumlls so hat man es mit einem Farbstoff zu tun der mit dem pH-Wert seine Farbe aumlndert ndash dies ist die Grundlage vieler pH-Indikatoren

23 Elektronenspektroskopie am Wasserstoffatom

Die wissenschaftliche Spektralanalyse wurde in der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts gemeinsam durch GR Kirchhoff und RW Bunsen entwickelt Sie entdeckten dass alle Elemente beim Erhitzen Licht aussenden Nach Zerlegung des Lichts mit einem Glasprisma erhaumllt man ein fuumlr jedes Element charakteristisches Linienmuster das so genannte Spektrum (s auch UTube-Video bdquospectral lines demoldquo httpwwwyoutubecomwatchv=2ZlhRChr_Bw) Dieses Spektrum reflektiert die Gesamtheit der dem gegebenen Element eigenen elektronischen Uumlbergaumlnge und ist damit ein unverwechselbarer Fingerabdruck Elemente koumlnnen damit sowohl in der Emissionsspektroskopie als auch in der Absorptionsspektroskopie eindeutig und mit hoher Empfindlichkeit identifiziert werden

Die Elektronenspektroskopie kann jedoch noch deutlich mehr sie erlaubt die exakte Uumlber-pruumlfung der durch die Loumlsung der Schroumldingergleichung gefundenen elektronischen Wellen-funktionen Dies wurde zunaumlchst am Wasserstoffatom mit hoher Praumlzision betrieben Histo-risch gesehen ist die erste wichtige Lichtquelle fuumlr spektroskopische Analysen unsere Sonne Dies gilt insbesondere fuumlr das Spektrum des Wasserstoffs Da die Energie der elektronischen Zustaumlnde dort einzig und allein von der Hauptquantenzahl n abhaumlngt (s Kapitel 15) werden lediglich solche Spektrallinien beobachtet die sich genau einem gegebenen ΔE = E(n) - E(nlsquo) zuordnen lassen Zuerst wurde mit der Balmer-Serie der sichtbare Anteil des Spektrums ent-deckt der mit allen Uumlbergaumlngen von oder zu dem Niveau n = 2 verbunden ist (Abb 13) Es folgten spaumlter im UV-Bereich die Lyman-Serie mit n = 1 und im IR-Bereich die Paschen-Serie mit n = 3 die Brackett-Serie mit n = 4 sowie die Pfundt- und die Humphreys-Serie mit n = 5 und n = 6 (letztere sind in Abb 13 nicht mehr eingezeichnet) Weitere Serien mit houmlheren Quantenzahlen existieren tragen aber keine eigenen Namen mehr

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Wel

lenz

ahl

[100

0 cm

-1]

0

10

20

30

40

50

60

70

80

90

100

110Grundzustand

Lyman-serie

Balmer-serie

Paschen-serie

Brackett-serie

n = 5n = 4

n = 3

n = 2

n = 1

Gustav Robert Kirchhoff

Robert Wilhelm Bunsen

Abb 13 Wichtige elektronische Uumlbergaumlnge im Wasserstoffatom

Abbildung 14 zeigt das gesamte Wasserstoffspektrum die Kuumlrzel benennen die entsprechen-den Serien (Ly = Lyman Ba = Balmer etc)

Abb 14 Spektrum des Wasserstoffatoms Die Achse fuumlr die Wellenlaumlnge ist logarithmisch aufgetragen

Eine genaue Analyse ergibt dass sich das Schema der Energiedifferenzen nach Abb 13 fast genau mit den in Kapitel 15 besprochenen Loumlsungen der Schroumldingergleichung deckt Die aumluszligerst kleinen Abweichungen die man dennoch detektieren konnte lieszligen sich auf den Bei-trag des Kerns (trotz seiner hohen Masse kann er sich minimal mit dem Elektron mitbewegen) und des Isotopeneffekts zuruumlckfuumlhren der schwerere Deuteriumkern der aus einem Proton und einem Neutron besteht bewegt sich weniger leicht mit dem Elektron mit als das einsame Proton des bdquonormalenldquo Wasserstoffs Daneben zeigen sich bei sehr hoher Aufloumlsung des Spektrums auch relativistische Effekte die zu weiteren Aufspaltungen fuumlhren

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24 Elektronenspektroskopie an Atomen mit mehreren Elektronen

Aufgrund der Wechselwirkungen zwischen den Elektronen ist bei schwereren Elementen die beim Wasserstoff gegebene Entartung bezuumlglich der Quantenzahlen l und m aufgehoben Damit wird das Energiediagramm bereits fuumlr ein einfaches houmlheres Atom wie zum Beispiel Lithium schon deutlich komplizierter (Abb 15) Neben den Uumlbergaumlngen zwischen verschiede-nen Werten fuumlr n treten nun auch Uumlbergaumlnge zwischen s und p p und d d und f auf Manche Uumlbergaumlnge (zum Beispiel solche zwischen s- und d-Niveaus) werden allerdings gewoumlhnlich nicht beobachtet man nennt sie bdquoverbotenldquo bdquoErlaubtldquo sind nur solche Uumlbergaumlnge bei denen die Nebenquantenzahl sich um den Wert plusmn1 aumlndert (also eben von s nach p von p nach d usw) Die so genannte Auswahlregel welche die erlaubten Uumlbergaumlnge festlegt heiszligt folglich Δl = plusmn1

Als weitere Folge der Wechselwirkungen zwischen den Elektronen besitzt jedes houmlhere Atom ein eigenes und von Wasserstoff verschiedenes Energiediagramm Damit besitzt aber auch jedes Atom ein unverwechselbares Muster von Energieuumlbergaumlngen die es eindeutig kenn-zeichnet Dies laumlsst sich bereits in einfachen Versuchen anhand von Flammenfaumlrbungen zeigen Diejenigen Uumlbergaumlnge deren ΔE den Wellenlaumlngen im sichtbaren Spektrum entspricht (in Abb 15 sind dies die kuumlrzeren unter den eingezeichneten blauen Pfeilen) sorgen bei vielen Elementen fuumlr ein charakteristisches farbiges Leuchten (Abb 15 rechts)

Ener

gie

Wasserstoff Lithium

n = 1

2

3

45

1s

2s

2p

3s

4s

5s

3p

4p5p

3d

4d5d

Abb 15 Termschema von Lithium mit wichtigen elektronischen Uumlbergaumlngen (links) Durch Lithium verursachte Flammenfaumlrbung (rechts Quelle httpwwwitpuni-hannoverde~zawischaITPatomshtml)

Letztlich ist auch bei allen houmlheren Atomen die Elektronenspektroskopie eine ideale Methode um das Energieniveauschema experimentell zugaumlnglich zu machen Sie eignet sich daruumlber hinaus perfekt zur schnellen und empfindlichen Identifikation von Elementen Diese Tatsache

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macht man sich sowohl in der Atomabsorptionsspektroskopie (AAS) als auch in der Atom-emissionsspektroskopie (AES) zunutze Elektronenspektren sind unverwechselbare Finger-abdruumlcke mit denen alle Elemente in hoher Empfindlichkeit und selbst uumlber groszlige Distanzen hinweg sicher identifiziert werden koumlnnen

25 Elektronenspektroskopie an Molekuumllen

Genau wie die Atomorbitale sind auch Molekuumllorbitale der Elektronenspektroskopie zugaumlng-lich Durch die systematische Analyse aller elektronischen Uumlbergaumlnge lassen sich die Energie-niveaus in einem MO-Schema schrittweise ausmessen Besonders interessant wird dieser Ansatz bei der Untersuchung der Bindungsverhaumlltnisse Im Allgemeinen beobachtet man Uumlbergaumlnge zwischen bindenden und nicht bindenden Orbitalen einerseits und den uumlblicherweise unbesetzten antibindenden Orbitalen andererseits In Abb 16 ist dies am Beispiel einer C-O-Bindung in Formaldehyd gezeigt Im Mittelpunkt stehen dabei das binden-de und das antibindende σ-Orbital C-O das bindende und das antibindende π-Orbital C-O sowie das nicht bindende freie Elektronenpaar des Sauerstoffs (ein weiteres freies Elektronen-paar bleibt unbeteiligt)

Ener

gie

σ CO

σ CO

π CO

π CO

n O

C

H

H

O

σ-σ

Uumlbe

rgan

g

π-π

Uumlbe

rgan

gn-π Uumlber-gang

σ

Abb 16 Termschema der CO-Gruppe in Formaldehyd (links) Die beteiligten Bindungen und das im betrachteten Energiefenster liegende freie Elektronenpaar des Sauerstoffs sind rechts skizziert

Die drei wichtigsten Uumlbergaumlnge die an der C-O-Gruppe detektiert werden sind der σ-σ-Uumlbergang der π-π-Uumlbergang und der n-π-Uumlbergang Letzterer ist in einer C-O-Gruppe stets am energieaumlrmsten und kann bereits mit UV-Licht einer Wellenlaumlnge um 280 nm angeregt werden (schwarzer Pfeil in Abb 16) Energiereicher und intensiver ist bei der CO-Gruppe der π-π-Uumlbergang der bei Wellenlaumlngen um 170 nm angeregt wird (roter Pfeil in Abb 16) Daruumlber hinaus zeigt das Spektrum dass die beiden freien Elektronenpaare des Sauerstoffs stark unterschiedlichen Charakter besitzen (nur eines ist an dem n-π-Uumlbergang beteiligt das andere tritt im gegebenen Spektralbereich nicht in Erscheinung)

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Auf aumlhnliche Weise lassen sich alle MO-Schemata komplizierter Molekuumlle analysieren Lie-gen die Anregungsfrequenzen der Uumlbergaumlnge im sichtbaren Bereich so haben die Molekuumlle die Funktion von Farbstoffen Haumlufig besitzen sie dann laumlngere lineare Delokalisationsgebiete deren Elektronenspektren man dann auch in grober Naumlherung mit dem eindimensionalen Potentialtopfmodell beschreiben kann (s Kapitel 22) Werden Bindungselektronen angeregt und aumlndern sich im Verlauf der elektronischen Anre-gung die Bindungsverhaumlltnisse (beispielsweise bei Besetzung eines antibindenden Zustands) so ist mit der elektronischen Anregung zwangslaumlufig auch eine Aumlnderung des energetisch guumlnstigsten Bindungsabstands verbunden Damit einhergehend werden mechanische Schwin-gungen des Molekuumlls angeregt Mit den Molekuumllschwingungen verhaumllt es sich analog zu den elektronischen Zustaumlnden auch Molekuumllschwingungen existieren nur in bestimmten definierten Zustaumlnden die sich dann den elektronischen Zustaumlnden uumlberlagern (Abb 17) Die Folge davon ist dass die Elektronenspektren von Molekuumllen haumlufig keine scharfen Linien sondern breite Absorptionsbereiche (bdquoBandenldquo) aufweisen Alle Linien fuumlr die elektronischen Uumlbergaumlnge zerlegen sich demnach in eine Vielzahl von Einzellinien die verschiedene Schwingungszustaumlnde der benachbarten elektronischen Zustaumlnde miteinander verbinden (in Abb 17 sind exemplarisch neun verschiedene moumlgliche Uumlbergaumlnge eingezeichnet) Normaler-weise liegen alle diese Linien dicht beieinander so dass insgesamt eine verbreiterte Absorp-tionsbande entsteht

Ener

gie

elektronische Niveaus

Schwingungsniveaus

Abb 17 Zum Zustandekommen von breiten Absorptionsbanden in Elektronen-Schwingungsspektren Uumlberlagerung von elektronischen Uumlbergaumlngen mit Schwingungsuumlbergaumlngen Exemplarisch sind jeweils drei Schwingungsniveaus eingezeichnet

Das Elektronenspektrum eines Molekuumlls wird wegen der dazu verwendeten Frequenzbereiche im UV- und im sichtbaren (bdquovisibleldquo) Spektrum auch UV-vis-Spektroskopie genannt Die UV-vis-Spektroskopie dient neben der Aufklaumlrung der MO-Struktur auch der schnellen und bequemen Identifikation von chemischen Verbindungen Aufgrund ihrer im Absorptionsver-fahren sehr einfachen und preisguumlnstigen Messtechnik wird sie auch haumlufig in Kombination mit anderen analytischen Verfahren (zB der Chromatographie) verwendet Uumlber eine Bestim-mung der Intensitaumlt der Anregung kann auch eine quantitative Analyse einzelner Verbindun-gen erfolgen

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3 Das Zusammenwirken von Atomen und Molekuumllen 31 Der makroskopische Zustand von Materie Bisher sind nur einzelne Bausteine der Materie also Atome und Molekuumlle betrachtet worden Nun soll das makroskopische Erscheinungsbild von Materie ins Auge gefasst werden die aus einer Vielzahl von Atomen oder Molekuumllen besteht Um den Zustand dieser aus vielen Teilchen zusammengesetzten Materie uumlberhaupt als Gesamtheit zu beschreiben benoumltigt man zunaumlchst so genannte Zustandsparameter oder Zustandsgroumlszligen Die wichtigsten Vertreter dieser Kenngroumlszligen fuumlr makroskopische Materie sind die Stoffmenge n das Volumen V der Druck P und die Temperatur T

n Stoffmenge Die Stoffmenge wird uumlber die Teilchenzahl definiert

Einheit der Teilchenzahl 1 Mol

Definition Ein Mol eines Stoffes enthaumllt dieselbe Anzahl an Teilchen wie 0012 kg reiner Kohlenstoff des Isotops 12C (1 Mol 60221023

Teilchen) Dabei muss eindeutig festgelegt sein was unter einem Teilchen des Stoffes jeweils zu verstehen ist Ist die Stoffmenge konstant so spricht man von einem geschlossenen System

V Volumen Die Definition des Volumens erfolgt uumlber die festgelegte Laumlngeneinheit und den geometrischen Volumenbegriff

Einheit des Volumens 1 msup3

Definition Ein msup3 ist das Volumen eines wuumlrfelfoumlrmigen Raums mit einer Kantenlaumlnge von einem Meter Ist das Volumen konstant so spricht man von einem isochoren Vorgang

P Druck Die Definition erfolgt uumlber die Kraft die ein Stoff auf jede Flaumlcheneinheit eines ihn einschlieszligenden Behaumllters ausuumlbt

Einheit des Drucks 1 Pascal = 1 Pa = 1 Nmsup2 = 10-5 bar

Definition Ein Pascal ist der Druck bei dem auf jeden Quadratmeter der Behaumllterwaumlnde eine Kraft von 1 Newton ausgeuumlbt wird Ist der Druck konstant so spricht man von einem isobaren Vorgang

T Temperatur

Der sicherlich am schwierigsten fassbare Zustandsparameter makroskopischer Materie ist die Temperatur Zwar ist sie direkt mit der menschlichen Wahrnehmung verknuumlpft (kalt warm heiszlighellip) physikalisch jedoch zunaumlchst sehr undefiniert da sie nicht ohne weiteres auf andere physikalische Groumlszligen zuruumlckfuumlhrbar ist Am ehesten laumlsst sie sich im ersten Ansatz als diejenige Eigenschaft von Materie beschreiben die von einem Thermometer gemessen wird

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Zur Verwendung als Thermometer eignet sich prinzipiell jeder physikalische oder chemische Vorgang der reproduzierbar mit einer Temperaturaumlnderung verknuumlpft ist Klassisch sind dies insbesondere die Ausdehnungsvorgaumlnge von Gasen Fluumlssigkeiten und Festkoumlrpern (Abb 18)

Hg

Festkoumlrperthermometer werden gewoumlhnlich nach demPrinzip des Bimetall-Thermometers ausgelegt (ganzlinks) Dabei werden zwei verschiedene Festkoumlrper(zB zwei Bleche aus verschiedenen Metallen) flaumlchigmiteinander in Kontakt gebracht Bedingt durch dieunterschiedliche thermische Ausdehnung derMaterialien kruumlmmt sich das Bimetall-Blech abhaumlngigvon der Temperatur mehr oder weniger stark zu einerSpirale

Fluumlssigkeitsthermometer (Mitte) und Gasthermometer(rechts) nutzen die Volumenaumlnderung eines fluidenMediums mit der Temperatur Die Genauigkeit kannerhoumlht werden indem einem groszligvolumigen Vorrats-behaumllter ein relativ kleinvolumiger Ausdehnungs- undAblesebereich gegenuumlbergestellt wird

Abb 18 Thermometer die auf der Grundlage der temperaturbedingten Ausdehnung von Materie beruhen

In der Praxis kommen mehr und mehr die elektronischen Varianten der Temperaturmessung zum Zug die zumeist auf der Messung der Thermospannung basieren Neben der Messmetho-de ist die Festlegung einer Temperaturskala wichtig Dazu dienten zunaumlchst einige Fixpunkte die heute teilweise noch historische Bedeutung haben

1) Die tiefste Temperatur des Winters 17081709 in Danzig - 178 degC

2) Die Temperatur von schmelzendem Eis bei 760 Torr (760 Torr = 1 atm = 101 325 Pa) 0 degC

3) Koexistenztemperatur von Eis Wasser und Wasserdampf 001 degC (exakt)

4) Die durchschnittliche Koumlrpertemperatur eines gesunden Menschen 378 degC

5) Die Siedetemperatur des Wassers bei 760 Torr (1 atm = 101 325 Pa) 100 degC

Die Punkte 1 und 4 bildeten die Grundlage des Fahrenheit-Systems die Punkte 2 und 5 die der Celsius-Skala Bei beiden Systemen wurde der definierte Bereich zunaumlchst in 100 gleiche Teile (Grade) aufgeteilt dann extrapoliert Beide Definitionen wurden spaumlter verfeinert (Celsius 9999 Grade C zwischen den Fixpunkten 3 und 5 Fahrenheit 180 Grade F zwischen den Fixpunkten 1 und 5) Trotzdem mangelt es auszliger Punkt 3 allen genannten Fixpunkten an Genauigkeit und Reproduzierbarkeit

Das zweite Problem nach der Unvollkommenheit der Fixpunkte besteht in der Festlegung einer systemunabhaumlngigen linearen Teilung Gewoumlhnlich ist der Verlauf der Skala vom gewaumlhlten Medium abhaumlngig Eine lineare Teilung auf der Skala eines Quecksilber-thermometers entspricht daher nicht einer linearen Teilung auf der Skala eines Alkoholthermometers da die Ausdehnung bei jedem Medium in unterschiedlicher Weise von der Temperatur abhaumlngt

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Beide Probleme sowohl die Wahl der passenden Fixpunkte als auch die Definition einer sinnvollen linearen Teilung werden heute durch die Festlegung der so genannten absoluten Temperaturskala geloumlst Grundlage hierfuumlr sind uumlbereinstimmende Beobachtungen an Gasthermometern

-300 -200 -100 0 100 200

V

T

-27315degCBei wiederholten Messungen mit verschiedenenGasthermometern verschiedenen Gasen undGasvolumina und bei verschiedenen Drucken stelltman fest dass sich die Verlaumlngerungen aller in denjeweiligen Diagrammen erhaltenen Linien in einemPunkt schneiden Dieser Punkt entspricht auf derVolumenachse dem Wert V = 0 und auf derTemperaturachse dem Wert T = -27315 degC

Abb 19 Ausdehnungskurven verschiedener Gase Die Temperaturskala ist zunaumlchst noch in Celsius aufgetragen

Aus dieser Beobachtung wurde geschlossen dass der Temperatur am gemeinsamen Schnitt-punkt aller Ausdehnungskurven eine besondere physikalische Bedeutung zukommt und sie sich daher als Fixpunkt einer neuen Temperaturskala eignet Weiterhin wurde festgestellt dass zwar alle Gase in ihrem Ausdehnungsverhalten von dem linearen Verlauf abweichen dass aber unter bestimmten Umstaumlnden (zB niedriger Druck) ein gemeinsamer Verlauf angestrebt wird den man auch als idealen Verlauf bezeichnen koumlnnte Am besten funktioniert das bei Helium unter schrittweise absinkenden Drucken dessen Verhalten sich fuumlr P rarr 0 zum idealen Verhalten extrapolieren laumlsst Diese Erkenntnis diente zur Definition einer absoluten Temperaturskala in Kelvin

1) Unterer Fixpunkt Schnittpunkt der Volumenexpansionskurven bdquoidealerldquo Gase (zB Helium fuumlr den Grenzfall Prarr0) 0 Kelvin

2) Oberer Fixpunkt Koexistenztemperatur von Eis Wasser und Wasserdampf 27316 Kelvin

3) Das Volumen eines bdquoidealenldquo Gases (zB Helium fuumlr den Grenzfall Prarr0) ist bei konstantem Druck proportional zur Temperatur und definiert die lineare Teilung der Temperaturskala

Gemaumlszlig dieser Definition ist jede beliebige Temperatur unter Nutzung eines bdquoidealenldquo Gasther-mometers auf der absoluten Kelvin-Skala eindeutig festgelegt Die Verwendung der Kelvin-Skala ist gegenuumlber der Nutzung klassischer Temperatursysteme bei der Beschreibung physi-kalischer Vorgaumlnge eindeutig von Vorteil Vorgaumlnge bei denen die Temperatur konstant ist nennt man isotherm Mit der Definition der wichtigsten Zustandsparameter Teilchenzahl n Volumen V Druck P und Temperatur T besteht nun die Moumlglichkeit das Verhalten makroskopischer Materie zu beschreiben Am einfachsten gelingt das im Fall von Gasen

32 Zustandsgleichung fuumlr Gase die ideale Gasgleichung

Gleichungen welche die Zustandsparameter wie n V T und P miteinander verknuumlpfen nennt man Zustandsgleichungen Sie beschreiben das Verhalten einer aus vielen einzelnen Teilchen bestehenden Materie hinsichtlich ihrer makroskopisch messbaren Groumlszligen Am

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einfachsten sind solche Zustandsgleichungen fuumlr Gase aufzustellen Untersucht man bei Gasen systematisch den Zusammenhang zwischen n V P und T so stellt man fest dass fuumlr alle Gase in mehr oder weniger guter Naumlherung folgende einfache Gleichung erfuumlllt isthellip

P ∙ V = n ∙ R ∙ T

hellipwobei R fuumlr die so genannte ideale Gaskonstante steht (R asymp 8314 J K-1 Mol-1) Diese Glei-chung auch bdquoideale Gasgleichungldquo genannt ist ein so genanntes Grenzgesetz kein real exis-tierendes Gas erfuumlllt es genau aber alle Gase kommen ihm recht nahe insbesondere bei hohen Temperaturen und niedrigen Druumlcken Eine Gleichung dieser Form nennt man auch Zustands-gleichung da sie Zustandsparameter miteinander verbindet Grafisch laumlsst sich diese Verknuumlp-fung in einem einfachen Diagramm darstellen bei dem jede Kombination von T und V genau einem Wert fuumlr P zugeordnet ist (Abb 20)

P

V

T

Abb 20 Auftragung von P gegen T und V nach der idealen Gasgleichung

Wir wissen nun dass die Gase aus einer Vielzahl von Teilchen (Atomen oder Molekuumllen) bestehen Wie laumlsst sich das durch die ideale Gasgleichung beschriebene Verhalten nun mit dieser Tatsache in Einklang bringen Was bedeuten eigentlich die Parameter Druck und Tem-peratur fuumlr ein Gas das sich aus vielen einzelnen Atomen und Molekuumllen zusammensetzt Um makroskopische Zustandsparameter uumlberhaupt mit der Teilchenwelt verknuumlpfen zu koumlnnen benoumltigen wir eine Modellvorstellung fuumlr das mechanische Zusammenwirken der Teilchen im Fall von Gasen das so genannte kinetische Gasmodell

33 Das kinetische Gasmodell

Bei den im vorhergehenden Kapitel aufgefuumlhrten Gasgesetzen handelt es sich um mathemati-sche Beschreibungen von makroskopisch beobachtbaren Vorgaumlngen Zur Interpretation der Gasgesetze auf molekularer Ebene wurden verschiedene Modelle vorgeschlagen Das erfolg-reichste unter ihnen war das sogenannte kinetische Gasmodell Es beruht auf der Vorstellung dass ein Gas aus einer Vielzahl von Teilchen besteht die folgende Bedingungen erfuumlllen

1) Sie besitzen eine Atom- oder Molmasse M einen endlichen Durchmesser d und befinden sich in staumlndiger und ungeregelter Bewegung

2) Die Groumlszlige der Teilchen ist im Verhaumlltnis zum freien Volumen vernachlaumlssig-bar

3) Zwischen den Teilchen finden elastische Stoumlszlige statt Ansonsten existieren keine weiteren Wechselwirkungen unter den Teilchen

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Nach der kinetischen Gastheorie besteht der Druck eines Gases aus der Summe aller Kraumlfte (pro Flaumlcheneinheit) die durch auf eine Flaumlche aufprallende Gasteilchen (bzw durch deren Impulsaumlnderung) ausgeuumlbt werden (Abb 21)

Vx t

Abb 21 Links schematische Darstellung der Impulsaumlnderung bei dem Auftreffen eines Gasteilchens auf der Gefaumlszligwand Viele solche Stoumlszlige fuumlhren in der Summe zum Entstehen einer messbaren dem Gasdruck zugeordneten Kraft Rechts Die Geschwindigkeitskomponente vx der Teilchen bestimmt nicht nur die Groumlszlige der Impulsaumlnderung sondern auch die Zahl der Teilchen die pro Zeiteinheit auf die Wand stoszligen Daher geht die Geschwindigkeit der Teilchen bei der Berechnung des Drucks insgesamt quadratisch ein

Dabei wird zunaumlchst davon ausgegangen dass alle Teilchen die gleiche Geschwindigkeits-komponente vx aufweisen Diese Geschwindigkeitskomponente bestimmt zum einen die Heftigkeit der Stoumlszlige zum anderen wie viele Gasteilchen pro Zeiteinheit auf die Wand prallen Insgesamt haumlngt der Druck damit vom Quadrat der Geschwindigkeitskomponente vxab Fuumlhrt man nun ein mittleres Geschwindigkeitsquadrat csup2 ein (mit vxsup2 = 13 csup2) so erhaumllt man fuumlr den an dem beweglichen Kolben spuumlrbaren Druck die Gleichung

P = 13 M csup2 (nV) oder in der Schreibweise der idealen Gasgleichung P V = 13 n M csup2 Der Druck ist nach dem kinetischen Gasmodell also die Folge einer Vielzahl von Stoumlszligen welche die Teilchen gegen die Behaumllterwaumlnde ausfuumlhren Er ist folglich proportional zur Mas-se der Teilchen (je schwerer die Teilchen desto heftiger die Stoumlszlige) zum mittleren Geschwin-digkeitsquadrat (die Geschwindigkeit der Teilchen bestimmt zum einen die Haumlufigkeit zum anderen die Heftigkeit der Stoumlszlige) und zur Zahl der Teilchen pro Volumeneinheit (womit wie nach der idealen Gasgleichung zu erwarten P umgekehrt proportional zu V ist) Die Bedeutung der Temperatur im kinetischen Gasmodell ist dagegen zunaumlchst unklar Mit der idealen Gasgleichung P V = n R T ergibt sich aber durch Koeffizientenvergleich n R T = 13 n M csup2 oder R T = 13 M csup2 Man kann unter Nutzung beider Gasmodelle so zu einem neuen teilchenbezogenen Verstaumlnd-nis des Phaumlnomens Temperatur kommen Die Temperatur eines Gases ist demnach direkt proportional zum mittleren Geschwindigkeitsquadrat der Gasteilchen oder in anderen Worten zu deren kinetischer Energie 12 M csup2 Dies ist fuumlr das Verstaumlndnis des Phaumlnomens Temperatur von groszliger Bedeutung Man kann die Temperatur eines Gases also messen indem man (bei bekannter Masse der Teilchen) die Geschwindigkeit der Gasteilchen bestimmt Die Wurzel aus dem mittleren Geschwindigkeits-quadrat also die Groumlszlige c liegt uumlblicherweise in der Groumlszligenordnung der Schallgeschwindig-keit (zum Beispiel fuumlr Stickstoff bei Raumtemperatur c = 516 ms) und steht zu ihr in einer

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festen Beziehung Tatsaumlchlich laumlsst sich die Temperatur auch uumlber eine Messung der Schall-geschwindigkeit ermitteln Nachdem das mittlere Geschwindigkeitsquadrat der Teilchen bekannt ist stellt sich die Frage nach der Geschwindigkeitsverteilung der Teilchen Die Bewegungsenergie der Teilchen ist wie alle anderen Energieformen (zB elektronische Energie Schwingungsenergie) gequantelt Das bedeutet dass sich die Teilchen auf (hier dicht gestaffelte) Energieniveaus verteilen muumlssen Sie tun das nach einem statistischen Grundprinzip das Boltzmann-Verteilung genannt wird Demnach ist die Besetzung pi eines Energieniveaus i (egal welcher Art die Energie Ei ist) stets proportional zum so genannten Boltzmannfaktor des Zustand i Es gilt

pi ~ exp[-Ei(kBT)]

Die darin enthaltene Boltzmannkonstante kB ist nichts anderes als die allgemeine Gas-konstante R (siehe unter 32) dividiert durch die Zahl NL der Teilchen in einem Mol Substanz (kB = RNL) Das bedeutet die Besetzung eines Zustands ist umso wahrscheinlicher je niedriger dessen Energie ist Steigende Temperatur T hingegen erhoumlht die Wahrscheinlichkeit energiereicher Zustaumlnde Diese Gesetzmaumlszligigkeit gilt fuumlr die Besetzung aller auf atomarer oder molekularer Ebene gegebener Zustaumlnde in einem makroskopischen System Angewandt auf die Bewegungsenergie von Gasteilchen in einer einzelnen Raumrichtung x bedeutet das dass Teilchen mit hoher Geschwindigkeit vx weniger wahrscheinlich sind als solche mit niedriger Geschwindigkeit vx Allerdings steigt die Wahrscheinlichkeit des Auftretens groszliger Werte fuumlr vx mit steigender Temperatur Teilt man den Bereich der auftretenden Geschwindigkeiten in Intervalle auf und zaumlhlt man die Teilchen die gemaumlszlig ihrer Geschwindigkeit zu den einzelnen Intervallen zugeordnet werden koumlnnen so ergibt sich fuumlr die Geschwindigkeitsverteilung in vx und v das Bild das in Abb 22 oben dargestellt ist Die Verteilungsfunktionen fuumlr die Geschwindigkeiten in y- und z-Richtung sind identisch

n(vx)

vx-Intervall

n(vx)

vx-Intervall

Temperatur-erhoumlhung

- 0 +- 0 +n(v)

v-Intervall

Temperatur-erhoumlhung

0 +

n(v)

v-Intervall0 +

Abb 22 Verteilungsfunktionen einer eindimensionalen Geschwindigkeitskomponente (oben) und der Gesamtgeschwindigkeit (unten)

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Betrachtet man die Verteilung n(v) der Gesamtgeschwindigkeit v im dreidimensionalen Raum so wird das Bild komplizierter Bezuumlglich der drei Raumrichtungen x y und z sind weiterhin die kleinen Geschwindigkeiten wahrscheinlicher als die groszligen Da nun aber fuumlr eine groszlige Gesamtgeschwindigkeit v mehr Kombinationsmoumlglichkeiten vx vy vz existieren als fuumlr kleine Gesamtgeschwindigkeiten so wird die Wahrscheinlichkeit fuumlr sehr geringe Gesamtgeschwindigkeiten entsprechend kleiner fuumlr groszlige Gesamtgeschwindigkeiten entsprechend groumlszliger Der daraus resultierende Gewichtungsfaktor fuumlr jedes v ist die relative Flaumlche der Kugelschale mit dem Radius v Insgesamt ergeben sich dann die in Abb 22 unten dargestellten Verteilungsfunktionen fuumlr niedrige und hohe Temperaturen Die Verteilungsfunktionen in vx und v lauten (ohne Herleitung)

f(vx) = [M(2RT)]12 exp [-Mvxsup2(2RT)]

f(v) = 4 [M(2RT)]32 vsup2 exp [-Mvsup2(2RT)] Der Mittelwert von vx (oder jeder anderen eindimensionalen Geschwindigkeitskomponente) ist grundsaumltzlich Null Dagegen besitzt der Mittelwert von v stets eine endliche von Null verschiedene Groumlszlige Bei einer Erhoumlhung der Temperatur werden alle Verteilungsfunktionen breiter der Mittelwert von v vergroumlszligert sich Die Temperatur eines Gases aumluszligert sich also nicht nur im mittleren Geschwindigkeitsquadrat sondern auch in der Form der Geschwindigkeitsverteilungsfunktion Bei der Mischung von Gasen unterschiedlicher Temperatur muss um die oben genannte Forderung zu erfuumlllen aus der einfachen Summe von zwei Verteilungsfunktionen eine neue der Mischtemperatur ent-sprechende Verteilungsfunktion entstehen Dies ist nur unter der Annahme moumlglich dass ein Austausch kinetischer Energie unter den Teilchen erfolgen kann Diese Tatsache bedingt die eingangs gestellte Forderung nach Teilchenstoumlszligen also Wechselwirkungen zwischen den Teilchen Damit muumlssen die Gasteilchen aber auch ein gewisses Volumen besitzen den Teil-chen ohne Eigenvolumen koumlnnen prinzipiell nicht zusammenstoszligen Darin besteht der we-sentliche Unterschied zwischen einem Gas nach dem kinetischen Gasmodell und dem idealen Gas Das ideale Gas koumlnnte man theoretisch auf ein beliebig kleines Volumen komprimieren bei einem kinetischen Gas ist dies aufgrund des Eigenvolumens nicht moumlglich Ansonsten erlaubt das kinetische Gasmodell die vollstaumlndige Interpretation der idealen Gasgleichung

34 Die korrigierte Gasgleichung nach van der Waals JD van der Waals

Mithilfe des kinetischen Gasmodells laumlsst sich die Zustandsgleichung fuumlr Gase weiter verfeinern Zunaumlchst soll beruumlcksichtigt werden dass die Teilchen ein eigenes Volumen besitzen In erster Naumlherung geschieht dies indem man ein vom Eigenvolumen der Gas-teilchen abgeleitetes minimales Volumen des Gases (das so genannte Covolumen) definiert Das Covolumen beschreibt dasjenige Volumen des Gases das bei staumlndigem mechanischem Kontakt zwischen jeweils zwei Teilchen eingenommen wird wenn man den Teilchenpaaren jeweils den sie umschreibenden kugelfoumlrmigen Raum zuordnet (wegen der geringen Wahr-scheinlichkeit von Dreierstoumlszligen kann die Bildung von Dreiergruppen ausgeschlossen werden) Das molare Covolumen b entspricht wenn man eine einfache geometrische Uumlberlegung an-setzt dem vierfachen Eigenvolumen eines Mols der Gasteilchen Um das tatsaumlchliche freie

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Volumen zu erhalten muss das n-fache Covolumen vom gegebenen Volumen abgezogen werden Damit wird aus der idealen Gasgleichung P V = n R T die erste korrigierte Version P (V - n b) = n R T Im zweiten Schritt soll nun uumlber das kinetische Gasmodell hinausgehend auch die anziehen-de Wechselwirkung zwischen den Teilchen beruumlcksichtigt werden Die Anziehung zwischen den Teilchen sorgt nach van der Waals fuumlr einen zusaumltzlichen nach auszligen nicht messbaren bdquoBinnendruckldquo Dieser Binnendruck ist proportional zum Quadrat der Teilchendichte (nV)sup2 Der zwischen den Teilchen tatsaumlchlich wirkende nach auszligen ebenfalls unmessbare Gesamt-druck ist dann gegeben als

Pgesamt (unmessbar) = P (messbar) + a (nV)sup2

mit einer fuumlr die anziehende Wechselwirkung charakteristischen Konstante a Die danach korrigierte Version der Gasgleichung die van-der-Waals-Gleichung fuumlr reale Gase lautet

[P + a (nV)sup2] (V - nb) = n R T

Die Konstanten b und a besitzen fuumlr jedes reale Gas charakteristische Werte die dessen Eigenvolumen (die Groumlszlige der Elektronenhuumllle) und die Staumlrke der intermolekularen Wechsel-wirkungen reflektieren Beispiele

Gas a b

Argon 01345 Pa m6Molsup2 32210-5 msup3Mol Kohlendioxid 03592 Pa m6Molsup2 426710-5 msup3Mol Helium 00034 Pa m6Molsup2 23710-5 msup3Mol Stickstoff 01390 Pa m6Molsup2 391310-5 msup3Mol Wasser 05573 Pa m6Molsup2 31010-5 msup3Mol

Der Parameter b spiegelt mit der Einheit msup3Mol weitgehend die Groumlszlige der einzelnen Teilchen (Atome oder Molekuumlle) wider So besitzt erwartungsgemaumlszlig Kohlendioxid oder Argon einen groumlszligeren Wert fuumlr b als beispielsweise Helium Allerdings sind die Unterschiede erstaunlich klein was auf die Tatsache zuruumlckzufuumlhren ist dass sich das Covolumen auf Teilchenpaare bezieht und ein Paar aus Kohlendioxidmolekuumllen gegenuumlber einem Paar aus Heliumatomen nur etwa das doppelte Volumen benoumltigt

Der Parameter a mit der Einheit Pascal mal Molvolumen zum Quadrat reflektiert die Staumlrke der Wechselwirkungen zwischen den Teilchen Diese Wechselwirkungen beruhen zum groszligen Teil auf den elektrischen Eigenschaften der Teilchen Diese wiederum sind mit der elektronischen Struktur der Atome beziehungsweise der chemischen Bindungen verknuumlpft Am wichtigsten ist dabei das in Kapitel 19 erwaumlhnte Dipolmoment Polare Bindungen koumlnnen zu Teilchen mit permanenten Dipolen fuumlhren (zB HF Wasser Ammoniak CO) Andere Molekuumlle oder Atome sind zwar unpolar koumlnnen aber spontan oder durch aumluszligere

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elektrische Felder polarisiert werden (zB He Ar molekularer Wasserstoff molekulares Chlor) Man spricht dann von polarisierbaren Teilchen mit einem spontanen Dipolmoment oder mit einem durch ein aumluszligeres Feld bewirkten induzierten Dipolmoment In all diesen Faumlllen sind anziehende Wechselwirkungen zwischen den Teilchen moumlglich die in dem Parameter a zusammengefasst werden Daruumlber hinaus koumlnnen sich auch voruumlbergehende chemische Bindungen ausbilden Das prominenteste Beispiel fuumlr diesen Fall ist die bekannte Wasserstoffbruumlckenbindung die bei polaren X-H-Bindungen auftreten kann Im Einzelnen werden demnach folgende Arten von Wechselwirkungen mit absteigender Intensitaumlt unter-schieden

a) Wasserstoffbruumlckenbindung X-H hellip Y Hierbei bildet sich voruumlbergehend eine chemische Bindung zwischen dem polar gebundenen Wasserstoff und einem elektronegativen und mit einem freien Elektronenpaar ausgestatteten Element Y

b) Wechselwirkungen zwischen permanenten Dipolen hier besitzen alle Teilchen ein permanentes Dipolmoment Zwischen den entgegengesetzt geladenen Enden der Teilchen bauen sich dann konstant anziehende elektrostatische Wechselwir-kungen auf

c) Wechselwirkungen zwischen permanenten und induzierten Dipolen die Teil-chen mit permanentem Dipolmoment induzieren ein voruumlbergehendes Dipol-moment bei den benachbarten (zunaumlchst unpolaren) Teilchen In der Folge ergibt sich eine anziehende elektrostatische Wechselwirkung

d) Wechselwirkungen zwischen induzierten Dipolen durch spontane Polarisierung eines Teilchens entsteht ein voruumlbergehendes Dipolmoment welches bei einem benachbarten Teilchen eine Polarisierung hervorruft In der Folge ergibt sich eine kurzfristige und sehr schwache elektrostatische Anziehung zwischen den Teilchen Man spricht dabei auch von der Dispersionswechselwirkung oder der Londonschen Wechselwirkung

Alle diese Effekte sind anziehender Natur und gehen damit in den Parameter a ein Fasst man die beiden Parameter a und b zusammen so entsteht mit der van-der-Waals-Gleichung eine recht zuverlaumlssige Zustandsgleichung fuumlr reale Systeme die sowohl die abstoszligenden als auch die anziehenden Wechselwirkungen beruumlcksichtigt

Ein guter Test fuumlr diese reale Zustandsgleichung ist die Berechnung eines Diagramms von P gegen V fuumlr verschiedene Temperaturen das so genannte P-V-Diagramm und die Gegen-uumlberstellung mit dem entsprechenden experimentellen P-V-Diagramm eines realen Gases Gemaumlszlig der van-der-Waalsrsquoschen Gleichung existieren abhaumlngig von der betrachteten Tempe-ratur drei Typen von Isothermen (Abb 23 links) solche die einer Hyperbel aumlhneln (1) eine einzelne Isotherme die einen Wendepunkt mit waagrechter Tangente besitzt (2) und solche die ein Minimum ein Maximum und einen Wendepunkt aufweisen (3) Das experimentell beobachtete Verhalten stimmt in den ersten beiden Faumlllen recht gut uumlberein weicht aber bei Isothermen des dritten Typs deutlich vom berechneten Verlauf ab (Abb 23 rechts)

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34

P

V

PV-Diagramm nachvan-der-Waals-Gleichung

1 2

3

P

V

3

experimentell bestimmtesPV-Diagramm f reales Gas

Abb 23 PV-Diagramme fuumlr reale Gase berechnet nach van der Waals (links) und experimentell bestimmt (rechts) Die drei typischen Formen der Isothermen (1 2 und 3) sind im Text beschrieben

Offensichtlich beschreibt die van-der-Waals-Gleichung das Verhalten eines realen Gases in der Umgebung des Wendepunkts weniger gut Experimentell stellt man allerdings fest dass in diesem Bereich tatsaumlchlich auch kein reines Gas sondern vielmehr eine Mischung aus einem Gas und einer kondensierten Fluumlssigkeit also ein Zweiphasenzustand vorliegt Dieser Zwei-phasenbereich beginnt am Wendepunkt der Isothermen des Typs 2 und schlieszligt alle Minima Maxima und Wendepunkte der Isothermen des Typs 3 ein (Abb 24 links)

P

V

Zweiphasen-gebiet

P

V

Zweiphasen-gebiet

Maxwell-Maxwell-KorrekturKorrektur

Zweiphasen-Gebiet

Zweiphasen-Gebiet

A1

A2

Abb 24 PV-Diagramme fuumlr reale Gase mit eingezeichnetem Zweiphasengebiet Der in diesem Bereich bei der Beschreibung nach van der Waals gegebene Fehler kann in guter Naumlherung durch die Maxwell-Korrektur kompensiert werden

Eine einfache Korrektur der van-der-Waals-Gleichung ermoumlglicht eine realistische Beschrei-bung des Zweiphasengebiets Eine horizontale Gerade wird so in der Naumlhe des Wendepunktes gelegt dass die oberhalb und unterhalb der Geraden im Zweiphasenbereich gebildeten Teilflaumlchen A1 und A2 die gleiche Groumlszlige besitzen (sog Maxwell-Korrektur s Abbildung 24 rechts) Dies sieht zwar nach einer etwas willkuumlrlichen Hilfskonstruktion aus trotzdem laumlsst sich damit das Verhalten eines realen Gases im Zweiphasengebiet sehr gut nachvollziehen und vorhersagen Eine besonders ausgewiesene Position im PV-Diagramm eines realen Gases ist der Scheitel-punkt des Zweiphasengebiets der durch den Wendepunkt der Isotherme des Typs 2 gebildet wird (Abb 25)

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35

P

V

Zweiphasen-gebiet Tc

Pc

Vc

kritischer Punkt

Jedes reale Gas besitzt einen sogenannten kritischenPunkt der durch die kritischen Zustandsgroumlszligen Tc Pc undVc beschrieben wird Die kritische Temperatur Tc istdiejenige Temperatur bei der sich ein Gas unter Druckgerade noch verfluumlssigen laumlszligt Oberhalb der kritischenTemperatur existiert kein fluumlssiger Zustand Derentsprechende Druck Pc wird als kritischer Druckbezeichnet

Die Isotherme die der kritischen Temperatur zugeordnetist besitzt als einzige einen Wendepunkt mit horizontalerTangente der gleichzeitig den kritischen Punkt markiert

Abb 25 PV-Diagramm fuumlr ein reales Gas mit kritischem Punkt

Dieser sogenannte kritische Punkt wird durch die kritische Temperatur Tc den kritischen Druck Pc und das kritische Molvolumen Vc festgelegt Zustaumlnde oberhalb des kritischen Punkts nennt man uumlberkritisch Uumlberkritisches Kohlendioxid besitzt in der Technik groszlige Bedeutung fuumlr das Loumlsen und Ausfaumlllen von pharmazeutischen Wirkstoffen (zB Aspirin fuumlr Brausetabletten) fuumlr die Extraktion (zB bei der Entkoffeinierung von Kaffee) oder zur chemischen Reinigung von Textilien

35 Andere Zustandsgleichungen fuumlr reale Gase

Neben der van-der-Waals-Gleichung existieren weitere Ansaumltze zur Beschreibung realer Gase die zwar eine genauere Anpassung an die gemessenen Werte ermoumlglichen aber auch kompli-zierter sind oder mehr Arbeit bei der Bestimmung der charakteristischen Parameter erfordern Im Folgenden seien als Beispiele die Berthelot-Gleichung und die Virialgleichung erwaumlhnt

a Berthelot-Gleichung (P + (Ansup2)(TVsup2) ) (V - nB) = n R T Berthelot fuumlhrte damit als Besonderheit einen temperaturabhaumlngigen Binnendruck ein Dies ist insoweit physikalisch gerechtfertigt als die vermehrte thermische Bewegung der Ausbildung von Wechselwirkungen zwischen den Molekuumllen entgegenwirken kann

b Virialgleichung P Vm = A + B P + C Psup2 + D Psup3 + Mit Vm = Vn Die Virialgleichung nutzt die Tatsache dass sich fast alle physikalischen Zusammenhaumlnge uumlber einen Potenzreihenansatz a + bx + cxsup2 + dxsup3 + hellip beliebig genau annaumlhern lassen Je nach Anzahl der anpassbaren Parameter ist zwar eine beliebig genaue Beschreibung des realen Gases moumlglich allerdings steigt auch der Aufwand fuumlr die Bestim-mung aller Koeffizienten

36 Beschreibung von Fluumlssigkeiten

Im PV-Diagramm der realen Gase schlieszligt sich links vom Zweiphasengebiet der Bereich der fluumlssigen Phase an Sie zeichnet sich dadurch aus dass mit sinkendem Volumen der Druck ex-trem steil ansteigt Das bedeutet dass bereits eine geringfuumlgige Volumenabnahme mit einem aumluszligerst groszligen Druckanstieg verbunden ist In der Praxis hat das zur Folge dass Fluumlssigkeiten im Gegensatz zu Gasen kaum komprimierbar sind ihre Kompressibilitaumlt geht gegen Null Auch ist die Ausdehnung der Fluumlssigkeiten bei steigender Temperatur und bei konstantem

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36

Druck (der thermische Ausdehnungskoeffizient) sehr viel kleiner als bei Gasen Eine einfache allgemeine Zustandsgleichung fuumlr die fluumlssige Phase in Analogie zur idealen oder zur van-der-Waals-Gleichung existiert nicht Stattdessen findet man bei der experimentellen Bestimmung des Zusammenhangs zwischen P V und T fuumlr jede Fluumlssigkeit ein sehr charakteristisches Verhalten Vergleicht man die Messergebnisse verschiedener Fluumlssigkeiten untereinander so sind kaum Aumlhnlichkeiten auszumachen Daruumlber hinaus sind bestimmte Messungen (zB die Messung der Abhaumlngigkeit des Drucks vom Volumen bei konstanter Teilchenzahl und Temperatur) technisch sehr schwer zu realisieren Das Fehlen einer einheitlichen Zustandsgleichung V(TPn) fuumlr Fluumlssigkeiten liegt auch in deren komplexer Struktur begruumlndet Betrachtet man ein einzelnes Teilchen in der Fluumlssigkeit so liegt es bezuumlglich der Abstaumlnde zu seinen naumlchsten Nachbarn stets in der Naumlhe des Mini-mums einer Potentialkurve Epot(r) die einen sehr steilen Verlauf besitzt Die Abstaumlnde zu den benachbarten Teilchen sind damit nahezu fixiert folglich ist eine unabhaumlngige Translations-bewegung einzelner Teilchen praktisch unmoumlglich Stattdessen verlaufen alle Bewegungs-prozesse mehr oder weniger kollektiv also unter gleichzeitiger Verschiebung mehrerer Teilchen Daruumlber hinaus gibt es keine nennenswerten freien Volumina so dass der mittlere Abstand der Teilchen nur unwesentlich verringert werden kann ein Umstand der sich in der bereits erwaumlhnten geringen Kompressibilitaumlt aumluszligert Ein Modell fuumlr eine allgemeine Fluumlssigkeit laumlsst sich im Rahmen einer Computersimulation einfuumlhren Man betrachtet dabei einen wuumlrfelfoumlrmigen Raum der einen Ausschnitt aus dem Fluumlssigkeitsvolumen darstellen soll und eine endliche Anzahl n von Fluumlssigkeitsteilchen (zB n = 1000) enthaumllt Um die Zahl der Teilchen konstant zu halten und dabei trotzdem deren Beweglichkeit zu wahren wird eine Kontinuitaumltsbedingung eingefuumlhrt Jedes Teilchen das im Rahmen der Bewegungsprozesse den Wuumlrfel an einer gegebenen Stelle verlaumlsst tritt automatisch an der genau gegenuumlberliegenden Position des Wuumlrfels wieder ein Auf diese Weise ist gewaumlhrleistet dass die Zahl der Teilchen im Wuumlrfel konstant bleibt (Abb 26)

Abb 26 Simulation von Bewegungs-vorgaumlngen in einem Fluumlssigkeitsvolumen unter Wahrung einer konstanten Partikel-anzahl Jedes Teilchen das im Rahmen der Bewegungsprozesse den Wuumlrfel an einer gegebenen Stelle verlaumlsst tritt automatisch an der genau gegenuumlberliegenden Position des Wuumlrfels wieder ein

An diesem System fuumlhrt man nun eine so genannte Monte-Carlo-Simulation durch Dabei setzt ein Zufallsgenerator eine geringfuumlgige Verschiebung eines beliebigen einzelnen Teil-chens in Gang Anschlieszligend wird unter Verwendung des bekannten Potentialverlaufs Epot(r) berechnet wie sich nach der Verschiebung die potentielle Energie des Systems veraumlndert hat Danach entscheidet das Simulationsprogramm zwischen zwei Moumlglichkeiten

- Hat sich die gesamte potentielle Energie des Systems durch die Verschiebung verringert oder blieb sie konstant so wird die Verschiebung akzeptiert und der naumlchste Schritt berechnet - Hat sich die gesamte potentielle Energie durch die Verschiebung um den positiven Wert E erhoumlht so wird die Verschiebung mit einer Wahrscheinlichkeit die von E abhaumlngt akzeptiert und ansonsten verworfen Danach wird der naumlchste Schritt berechnet

Auf diese Weise kann man fuumlr beliebige Fluumlssigkeiten sowohl die typischen Bewegungs-prozesse als auch die einflussbedingten Veraumlnderung von Zustandsgroumlszligen (zB P in Ab-

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37

haumlngigkeit von V) berechnen Allerdings sind die Rechnungen bei den fuumlr eine realistische Beschreibung eines Fluumlssigkeitsvolumens notwendigen groszligen Teilchenzahlen sehr aufwaumlndig und zeitintensiv

37 Beschreibung von Festkoumlrpern

Begibt man sich im P-V-Diagramm vom fluumlssigen Zustand ausgehend noch weiter nach links (zu kleineren Volumina houmlheren Drucken und niedrigeren Temperaturen) so erreicht man den festen Zustand Die Problematik der Zustandsgleichung V(TPn) von Festkoumlrpern aumlhnelt jener der Fluumlssigkeiten Auch hier sind die Kompressibilitaumlten und die thermischen Aus-dehnungskoeffizienten uumlblicherweise sehr viel geringer als bei Gasen Ebenso wie bei Fluumls-sigkeiten sind dabei die Unterschiede zwischen einzelnen Vertretern der Festkoumlrper recht groszlig so dass keine gemeinsame Zustandsgleichung wie bei Gasen formuliert werden kann Im Vergleich mit den Werten der Fluumlssigkeiten sind die Kompressibilitaumlten und die thermischen Ausdehnungskoeffizienten der Festkoumlrper durchschnittlich nochmals um etwa zwei Groumlszligen-ordnungen geringer

Abb 27 Torsionsexperiment zur Unterscheidung zwischen Fluumlssigkeiten und Festkoumlrpern (s Text)

Der wesentliche Unterschied zwischen Festkoumlrpern und Fluumlssigkeiten besteht allerdings in ihrem gegensaumltzlichen Verhalten bezuumlglich Verformung waumlhrend Fluumlssigkeiten einer gege-benen Verformung durch ihre Zaumlhigkeit (Viskositaumlt) Widerstand leisten reagiert ein Fest-koumlrper auf eine Verformung durch eine elastische Deformation Dieses Verhalten wird in einem Torsionsrheometer deutlich wobei eine feste oder fluumlssige Probe periodisch mit einer torsionsartigen Verformung beaufschlagt wird (Abb 27) Waumlhrend der Drehmomentverlauf des Festkoumlrpers exakt gleichphasig zur periodischen Aus-lenkung erfolgt (elastische Verformung) ist der Drehmomentverlauf der Fluumlssigkeit dazu um ein Viertel einer Wellenlaumlnge phasenverschoben (viskose Reaktion) Bei Fluumlssigkeiten ist der Widerstand dann maximal wenn die Deformationsgeschwindigkeit maximal ist (blaue Linie

t

Dre

hmom

entv

erla

uf

tAusl

enku

ng

Festkoumlrper

t

Dre

hmom

entv

erla

uf

Fluumlssigkeiten

Pruumlfkoumlrper

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in Abb 26) Bei Festkoumlrpern ist die Kraft dann maximal wenn der Deformationszustandmaximal ist (rote Linie in Abb 27) Viele Festkoumlrper stellen Uumlbergaumlnge zwischen diesen beiden Extremfaumlllen dar und werden dann als viskoelastisch bezeichnet Aus der Betrachtung von Messergebnissen an einer Viel-zahl von Materialien geht hervor dass eine eindeutige Abgrenzung zwischen dem fluumlssigen und dem festen Zustand selten moumlglich ist Entsprechend gibt es auch unterschiedliche Strukturmodelle die teilweise das elastische Verhalten teilweise das plastische Verhalten von Festkoumlrpern erklaumlren Dem elastischen Festkoumlrper mit nahezu verschwindender Phasen-verschiebung wird am ehesten das Modell eines idealen Kristalls gerecht Man geht dabei davon aus dass jedes Atom bzw Molekuumll aus dem der Festkoumlrper zusammengesetzt ist sich an einem geometrisch festgelegten Gitterpunkt befindet von dem es sich nicht entfernen kann Als Bewegungsprozess ist dabei lediglich eine Schwingung mit begrenzter Amplitude moumlglich Die denkbaren Geometrien der Gitterstrukturen reichen von primitiv-kubischen Gittern (zB Natriumchlorid) uumlber kubisch-dichteste (zB Silber Kupfer) und hexagonal-dichteste Kugelpackungen (zB Magnesium Zink) bis zur kubisch-raumzentrierten Struktur (zB Eisen Molybdaumln) Haumlufig findet man leichte Abweichungen von der idealen Gitter-struktur die durch lokale Stoumlrungen hervorgerufen werden Akzeptiert man gewisse Anteile an viskosem Verhalten (dh eine leichte Phasenverschiebung) so begibt man sich in den Grenzbereich zwischen Festkoumlrpern und Fluumlssigkeiten In einem Material wie Glas ist die regelmaumlszligige Anordnung eines Gitters nicht gegeben die Atome sind unregelmaumlszligig positioniert und koumlnnen unter Belastung auch flieszligen Solche nicht-kristallinen Festkoumlrper bezeichnet man als amorph Typische Vertreter amorpher Feststoffe sind Fenster-glas viele transparente Kunststoffe (zB Plexiglas Polyester in Getraumlnkeflaschen) Wachs und Aumlhnliches Amorphe Festkoumlrper besitzen keinen Schmelzpunkt sondern erweichen bei steigender Temperatur allmaumlhlich Amorphe Festkoumlrper koumlnnen nachtraumlglich kristallisieren wobei sich haumlufig das aumluszligere Erscheinungsbild und die physikalischen Eigenschaften drastisch aumlndern (zB Plastikfolie unter Zug)

38 Das Phasendiagramm

Die drei wichtigsten Phasenzustaumlnde zu denen sich eine makroskopische Gesamtheit von Atomen oder Molekuumllen zusammenfinden koumlnnen sind also Gase Fluumlssigkeiten und Festkoumlrper Die Frage ist nun unter welchen Bedingungen sich ein System fuumlr den ersten den zweiten oder den dritten Zustand entscheidet Erfahrungsgemaumlszlig haumlngt der gegebene Phasenzustand von den in Kapitel 31 eingefuumlhrten Zustandsparametern n V P und T ab Legt man die Stoffmenge n auf einen Wert fest (zB auf ein Mol Teilchen) und beruumlcksichtigt man dass nach den gegebenen Zustandsgleichungen die Groumlszligen n V P und T miteinander verknuumlpft sind so genuumlgen zwei Parameter um den jeweils guumlnstigsten Phasenzustand eindeutig festzulegen Ein Diagramm bei dem einer der Parameter V P und T gegen einen anderen aufgetragen wird eignet sich also prinzipiell um bei einer gegebenen Teilchenart den unter diesen Bedingungen jeweils angestrebten Phasenzustand zu markieren So kann man gemaumlszlig den Abbildungen 23 bis 25 in einem Diagramm bei dem P gegen V aufgetragen wird schon den jeweils gegebenen Phasenzustand eintragen und ablesen In der Praxis eignen sich solche PV-Diagramme allerdings wenig um Phasenzustaumlnde zu markieren der gasfoumlrmige Zustand nimmt einen sehr breiten Raum ein waumlhrend der fluumlssige und der feste Zustand in dem sehr engen Bereich links neben dem Zweiphasengebiet bdquoeingequetschtldquo waumlre Vor allem in diesem Umfeld waumlre das Diagramm schwer ablesbar

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Wesentlich guumlnstiger ist dagegen die Auftragung vom Druck P gegen die Temperatur T In diesem PT-Diagramm das auch als Phasendiagramm bezeichnet wird lassen sich alle Phasenzustaumlnde uumlbersichtlich zuordnen Dabei bezeichnen Flaumlchenanteile im PT-Diagramm die unter den gegebenen Druck- und Temperaturbedingungen angestrebte Phase (zB fest fluumlssig gasfoumlrmig) waumlhrend Linien die dazwischen vorliegenden Gleichgewichte markieren und Phasengrenzlinien genannt werden (Abb 28)

T

Pfe

st

fluumlss

ig

gasfouml

rmig

kritischerPunkt

Tripel-punkt

Phasengrenzlinie

Abb 28 Phasendiagramm mit Auftragung des Drucks (P) gegen die Temperatur (T)

Auszligerdem enthaumllt ein Phasendiagramm gewoumlhnlich mindestens zwei besonders ausgezeich-nete Punkte den Tripelpunkt an dem die drei im Allgemeinen wichtigsten Phasenzustaumlnde fest fluumlssig und gasfoumlrmig miteinander im Gleichgewicht stehen und den bereits aus dem PV-Diagramm bekannten kritischen Punkt der das Ende eines definierten Uumlbergangs zwischen fluumlssiger und gasfoumlrmiger Phase markiert Beispiele fuumlr Phasendiagramme Kohlen-dioxid und Wasser sind in Abbildung 29 und 30 wiedergegeben

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T

P

fest

fluumlss

iggasfoumlrmig

kritischerPunkt

Tripel-punkt

2168 K

511 bar

CO2

3042 K

728 bar

Abb 29 Phasendiagramm fuumlr Kohlendioxid

T

P

fluumlss

ig

gasfoumlrmig

kritischerPunkt

H2O

Eis 1

Eis 1

Eis 2 Eis 3

Eis 5

Eis 6

Tripelpunkt6473 K

218 bar

6 mbar 27316 K

Abb 30 Phasendiagramm fuumlr Wasser Der Bereich oberhalb von 200 bar ist aus Gruumlnden der

Uumlbersichtlichkeit entlang der P-Achse komprimiert dargestellt

Eine wichtige Besonderheit des Phasenverhaltens von Wasser ist die Tatsache dass die Phasengrenzlinie zwischen fluumlssigem Wasser und Eis 1 eine negative Steigung aufweist Dies hat zur Folge dass gewoumlhnliches Eis durch Erhoumlhung des Drucks zum Schmelzen gebracht werden kann Dieser Umstand ist eine der Ursachen dafuumlr dass eine Kufe auf Eis gleitet da der durch das Schmelzen entstehende Wasserfilm die Reibung vermindert (allerdings spielt hier auch die Reibungswaumlrme eine Rolle) Der Grund fuumlr dieses Verhalten steht in direkter Verbindung mit der strukturbedingten Volumenabnahme beim Schmelzen von Eis (s Videos unter httpwwwyoutubecomwatchv=6s0b_keOiOU und httpswwwyoutubecomwatchv=CDTZoFGmZoc )

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Waumlhlt man in einem Phasendiagramm eine Kombination von Druck und Temperatur so kann man direkt denjenigen Phasenzustand ablesen den die gegebene Teilchenart unter diesen Bedingungen anstrebt Das heiszligt jedoch nicht dass dieser Zustand dann auch in jedem Fall und zu jeder Zeit vorliegt Haumlufig beobachtet man eine so genannte kinetische Hemmung einer Phasenumwandlung So gibt es unterkuumlhlte Fluumlssigkeiten (zB Regentropfen bei -3degC) genauso wie unterkuumlhlte Dampfphasen (zB uumlbersaumlttigten Wasserdampf in Gewitterwolken) oder uumlberhitzte Fluumlssigkeiten (zB uumlberhitztes Wasser bei einem Siedeverzug) Kristalli-sationskeime wie Staubkoumlrner koumlnnen Phasenumwandlungen beschleunigen (zB durch Staub verursachter bdquoIndustrieschneeldquo) Bisher wurden lediglich Phasendiagramme von reinen Stoffen betrachtet die nur aus einer einzelnen Sorte Atomen oder Molekuumllen bestehen Mischt man einem gegebenen Stoff eine weitere Komponente hinzu so aumlndert sich das Phasendiagramm erheblich Als Beispiel betrachten wir ein System in dessen fluumlssiger Phase ein Fremdstoff A geloumlst wird der weder im Festkoumlrper noch im der Gasphase loumlslich ist (zB Kochsalz in Wasser) In diesem Fall dehnt sich der fluumlssige Bereich des Phasendiagramms mit steigender Konzentration von A in alle Richtungen aus so dass gleichzeitig der Schmelzpunkt erniedrigt der Siedepunkt erhoumlht und der Dampfdruck verringert wird (Abb 31) In erster Naumlherung sind alle genannten Aumlnderungen proportional zu cA

T

P

fest

fluumlss

ig

gasfouml

rmig

Abb 31 Phasendiagramm fuumlr ein System in dessen fluumlssiger Phase ein Fremdstoff mit steigender

Konzentration cA geloumlst wird Der Bereich der fluumlssigen Phase dehnt sich daraufhin in alle

Richtungen aus

Bei weiter steigender Konzentration von A kann ein Punkt erreicht werden an dem die Mischung in zwei getrennte Bereiche zerfaumlllt die ebenfalls als Phasen bezeichnet werden (zB Olivenoumll und Wasser) Eine dieser Phasen besitzt dann einen hohen Loumlsemittelanteil bei geringer Konzentration von A die andere besteht aus einem hohen Anteil an A mit einem geringen Gehalt an Loumlsemittel Dieser Vorgang der Phasenseparation binaumlrer (aus zwei Komponenten bestehender) Systeme wird durch eine andere Art von Phasendiagramm beschrieben dem so genannten Mischphasendiagramm (Abb 32) Hierbei wird die Tempe-

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ratur dem relativen Anteil einer Komponente gegenuumlbergestellt der Druck wird als konstant angenommen

Abb 32 Allgemeine Darstellung eines Mischphasendiagramms

Grundsaumltzlich gibt die linke Flanke der Phasentrennlinie (links des kritischen Punkts) die Zusammensetzung der bdquoA-armenldquo Phase an waumlhrend die rechte Flanke (rechts des kritischen Punkts) die Zusammensetzung der A-reichen Phase beschreibt Die Mengen der dabei gebildeten Phasen koumlnnen nach dem so genannten Hebelgesetz berechnet werden Demnach gilt zwischen dem Anteil n1 der A-armen Phase 1 dem Anteil n2 der A-reichen Phase 2 und den Laumlngen der Pfeile s1 und s2 in der vorhergehenden Abbildung folgender Zusammenhang

n1 s1 = n2 s2

Fuumlr das gezeigte Beispiel wuumlrde das bedeuten dass der Anteil der Phase 1 etwa doppelt so groszlig waumlre wie der Anteil der Phase 2 In der Naumlhe der beiden Raumlnder des Diagramms also fuumlr xA 0 (sehr wenig A im Loumlsemittel) oder xA 1 (sehr wenig Loumlsemittel in A) liegen in den meisten Faumlllen einphasige homogene Mischungen vor Das besagt dass auch bei niedrigen Temperaturen ein wenig von dem Stoff A im Loumlsemittel bzw ein wenig Loumlsemittel im Stoff A loumlslich ist Der im Diagramm eingezeichnete kritische Punkt bedeutet dass oberhalb der dazugehoumlrigen kritischen Temperatur keine Entmischung mehr erfolgt dh hier sind die beiden Komponenten vollstaumlndig und in jedem Verhaumlltnis miteinander mischbar Neben solchen oberen kritischen Punkten gibt es auch untere kritische Punkte Im zweiten Fall gilt dass die beiden Komponenten unterhalb einer bestimmten Temperatur in jedem Verhaumlltnis miteinander mischbar sind Im Allgemeinen koumlnnen die drei verschiedenen Faumllle auftreten die in Abbildung 33 dargestellt sind

0 Molenbruch xA der Komponente A 1

Tem

pera

tur

obere kritischeTemperatur

Einphasen-gebiet

Zweiphasen-gebiet

Beispiel xA = 04

T1

Zum gezeigten Beispiel

Eine Mischung mit dem Molenbruch xA = 04 wird von T2 nach T1 abgekuumlhltDabei zerfaumlllt die Mischung bei Tklsquo in zwei Phasen derenZusammensetzung bei T1auf der x-Achse an den Punkten 1 und 2 ablesbar ist

T2

Tklsquo

1 2

kritischer Punkt

s1 s2

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0 xA 1

Tem

pera

tur

System mit oberem kritischen Punkt

kritischer Punkt

0 xA 1Te

mpe

ratu

r

System mit unterem kritischen Punkt

kritischer Punkt

0 xA 1

Tem

pera

tur

System mit oberem und unterem

kritischen Punkt

kritischer Punkt

kritische Punkte

Abb 33 Moumlgliche Varianten von kritischen Punkten bei Systemen aus zwei Komponenten

Obere kritische Punkte findet man dann wenn sich die molekulare thermische Bewegung gegen die Tendenz der Molekuumlle sich mit gleichartigen Molekuumllen zusammenzulagern durchsetzt Dieses Phaumlnomen ist sehr verbreitet so dass ein oberer kritischer Punkt bei sehr vielen Mischphasen beobachtet wird Untere kritische Punkte sind sehr viel seltener Sie treten beispielsweise dann auf wenn die beiden Komponenten miteinander bei tiefen Temperaturen einen Komplex bilden der bei houmlheren Temperaturen wieder zerfaumlllt und dann zu einer Phasenseparation fuumlhrt Ein Beispiel dafuumlr ist die Mischung aus Wasser und Triethylamin

Fuumlr Mischphasen aus drei Komponenten so genannte ternaumlre Mischungen sind die bisher gezeigten Darstellungen ungeeignet Hierfuumlr haben sich Dreiecksdiagramme (Gibbssches Phasendreieck) durchgesetzt die das Phasenverhalten unter Variation der Mengenbeitraumlge aller drei Komponenten aufzeigen (Abb 34) Das Diagramm ist so geartet dass die Summe aller drei Mengenanteile xA xB und xC in jedem Fall den Wert 1 ergibt Damit besitzt die Zusammensetzung des ternaumlren Gemisches zwei Freiheitsgrade Jede Linie die durch eine Ecke des Diagramms fuumlhrt verbindet diejenigen Punkte bei denen das Verhaumlltnis zweier Komponenten gleich ist Jede Linie die parallel zu einer der drei Seiten verlaumluft entspricht Gemischen bei denen der relative Anteil einer Komponente gleich bleibt

00 02 04 06 08 10Komponente A

00

02

04

06

08

10

Kom

pone

nte

B

0002

04

06

08

10

Komponente C

C

A

B

00 02 04 06 08 10Komponente A

00

02

04

06

08

10

Kom

pone

nte

B

00

02

04

06

08

10

Komponente C

x1

x2x

Abb 34 Prinzip eines ternaumlren Phasendiagramms nach Gibbs (Dreiecksdiagramm)

In solche ternaumlren Mischphasendiagramme lassen sich nun entsprechend den binaumlren Mischphasendiagrammen die Ein- und Zweiphasengebiete einzeichnen Das Diagramm in

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Abb 34 rechts gilt zB fuumlr eine ternaumlre Mischung aus A B und C bei der die Komponenten A und B sowie B und C jeweils paarweise in jedem Verhaumlltnis miteinander mischbar sind Die Komponenten A und C sollen dagegen nur begrenzt mischbar sein Als Konsequenz daraus ergibt sich ein Dreiecksdiagramm das an der unteren Achse die dem Anteil 0 der Komponente B entspricht ein Zweiphasengebiet aufweist

Die Hilfslinien im Zweiphasengebiet markieren die Zusammensetzung der entstehenden Einzelphasen So wuumlrde beispielsweise eine Mischung deren Zusammensetzung im Diagramm durch den Punkt x markiert ist in die beiden Phasen x1 und x2 zerfallen Die Mengenanteile der beiden Phasen koumlnnten dabei wieder uumlber das Hebelgesetz berechnet werden Um zusaumltzlich den Einfluss der Temperatur wiederzugeben muss eine weitere Koordinate eingefuumlhrt werden Man erhaumllt dabei ein dreidimensionales Dreiecksdiagramm das haumlufig unter Verwendung von Houmlhenlinien nach der Art einer topographischen Landkarte dargestellt wird Jede Houmlhenlinie des Zweiphasengebiets umschreibt dann seine Ausdehnung bei einer gegebenen Temperatur

Fragt man bei einem System mit bestehenden Randbedingungen nach der Zahl der frei variierbaren Zustandsgroumlszligen also nach der Zahl der Freiheitsgrade so haumlngt die Antwort zunaumlchst davon ab in welchem Phasenzustand sich das System befindet So kann man beispielsweise in der Gasphase (bei festgelegter Stoffmenge) Temperatur und Druck frei waumlhlen wodurch dann automatisch das Volumen festgelegt wird Gleiches gilt fuumlr die feste und die fluumlssige Phase Das System hat innerhalb eines Phasenzustands also zwei Freiheits-grade Setzt man allerdings voraus dass sich das System in einem Gleichgewicht zwischen zwei Phasen befindet (zB auf der Verdampfungslinie) so besitzt es nur einen Freiheitsgrad Am Tripelpunkt schlieszliglich bei einem Gleichgewicht zwischen drei Phasen sind keine Freiheitsgrade mehr vorhanden Zwischen der Zahl der Phasen P und der Zahl der Freiheitsgrade F gibt es also folgende einfache Beziehung

F = 3 - P

Beruumlcksichtigt man weiter dass auch mehr als eine Komponente auftreten kann (Zahl der Komponenten C gt 1) so erhoumlht sich die Zahl der Freiheitsgrade um jede zusaumltzliche Komponente deren Konzentration ja frei waumlhlbar ist um den Wert eins Man erhaumllt damit

F = 3 - P + (C - 1) oder F = C - P + 2

Nach dieser allgemeinguumlltigen Formel der so genannten Gibbsrsquoschen Phasenregel laumlsst sich die Zahl der Freiheitsgrade in jedem beliebigen System bestimmen Sie erlaubt insbesondere bei sehr komplizierten Mischungen mit einer unbekannten Anzahl an Phasenzustaumlnden uumlber eine einfache Betrachtung Ruumlckschluumlsse auf deren Phasenverhalten

Page 5: Vorlesung PC I Einführung in die Physikalische Chemierelaxation.chemie.uni-duisburg-essen.de/lehre/Skript_PC_2016_2017.pdf · Schwingungen möglich, deren Geometrie (d.h. die Zahl

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Schwingungen moumlglich deren Geometrie (dh die Zahl der Wellenberge Wellentaumller und Knotenpunkte) sowie Energie (dh die Schwingungsfrequenz) genau definierte von einer gewissen Regelmaumlszligigkeit gekennzeichnete Werte aufweisen muumlssen (Abb 5) Die in Abbildung 5 gezeigten Diagramme markieren Momentaufnahmen von drei der Wellenfunktionen Ψ(x) die Loumlsungen der obigen Gleichung darstellen Der Wert Ψ(x) kann dabei positiv negativ oder null (dh oberhalb unterhalb oder auf der gestrichelten Linie) sein Im letzteren Fall spricht man von den bereits erwaumlhnten Knotenpunkten der Funktion Die Wahrscheinlichkeit das Elektron als Teilchen in der Umgebung des Ortes x aufzufinden ist proportional zur Wellenfunktion im Quadrat p(xplusmnΔx) ~ Ψsup2(x) Eine wichtige Randbedingung ist dabei die Forderung dass die Aufenthaltswahrscheinlichkeit des Elektrons an den beiden Waumlnden null ist dort muumlssen also zwangslaumlufig Knotenpunkte liegen Fuumlr den Fall des eindimensionalen Elektrons in einem stationaumlren (dh zeitlich nicht veraumlnderlichen) Zustand ergeben sich dann die in Abbildung 5 angedeuteten Loumlsungen des Problems Der Wert n benennt die einzelnen Loumlsungen (Loumlsung 1 Loumlsung 2 hellip Loumlsung n) und wird auch als Quantenzahl bezeichnet Abb 5 zeigt nur die drei Zustaumlnde mit der niedrigsten Energie und den Quantenzahlen n = 1 2 und 3 es gibt aber prinzipiell unendlich viele Loumlsungen Jede einzelne Loumlsung wird als ein bdquoOrbitalldquo bezeichnet und vermag zwei Elektronen aufzunehmen Die Wellenfunktionen besitzen abseits der reflektierenden Waumlnde jeweils (n-1) Knotenpunkte und eine mit dem Wert n ansteigende Energie Alle Eigenschaften des Elektrons koumlnnen nun aus der jeweils guumlltigen Wellenfunktion Ψn(x) ermittelt werden

etcn = 3

n = 2

n = 1

Ener

gie

usw

a

E = nsup2hsup28masup2

Abb 5 Eindimensional bewegliches Elektron zwischen zwei reflektierenden Waumlnden Moumlgliche Zustaumlnde unter Ansatz des Welle-Teilchen-Modells Gezeigt sind die drei Zustaumlnde mit niedrigster Energie Weitere Zustaumlnde mit n gt 3 besitzen entsprechend houmlhere Zahlen an Knotenpunkten und houmlhere Energie Die Energie kann uumlber die einfache Formel rechts berechnet werden (mit h als der Planckschen Konstante und m als Masse des Elektrons) Jede Wellenfunktion vermag zwei Elektronen aufzunehmen und wird als Orbital bezeichnet Eine sehr schoumlne Animation findet man in Wikipedia unter httpenwikipediaorgwikiParticle_in_a_box

Die bislang anschaulich formulierte Gleichung Energie des Elektrons als Teilchen = Energie des Elektrons als Welle

laumlsst sich fuumlr die Wellenfunktion Ψ(x) im eindimensionalen Potentialtopf auch mathematisch darstellen und lautet dann nach Erwin Schroumldinger (ohne Herleitung und weitere Erklaumlrung)

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m sup2sup2

2sup2

Erwin Schroumldinger

Diese sehr wichtige Gleichung (sie braucht an dieser Stelle im mathematischen Sinne noch nicht verstanden zu werden) wird als Schroumldinger-Gleichung bezeichnet und besitzt die in Abbildung 5 gezeigten Loumlsungen Ψn(x) mit n = 1 2 3 hellip Diesen Zustaumlnden zugeordnet sind die Energieniveaus 1 2 3 hellip zwischen denen keine weiteren Zustaumlnde moumlglich sind Man sagt die Energie des Elektrons ist bdquogequanteltldquo Der Wert fuumlr E(n) ist proportional zu nsup2 (s Formel in Abb 5 rechts) die Abstaumlnde zwischen aufeinanderfolgenden Energieniveaus werden damit mit steigendem n groumlszliger Der noch recht einfache Fall des eindimensional beweglichen Elektrons hat durchaus eine realistische Entsprechung in der Chemie er beschreibt in sehr guter Naumlherung das Verhalten der Elektronen in Molekuumllen mit alternierenden einfach- und Doppelbindungen zB in Butadien CH2=CH-CH=CH2 oder in β-Carotin

Bei einem solchen Molekuumll kann man durch einfaches Abzaumlhlen die Zahl der Elektronen bestimmen die sich innerhalb des Delokalisationsgebiets befinden (pro Doppelbindung sind es zwei) Anschlieszligend besetzt man die Orbitale des eindimensionalen Potentialtopfes mit aufsteigender Reihenfolge fuumlr jedes n jeweils doppelt Bei dem gezeigten β-Carotin besetzen die vorhandenen 22 Elektronen des Delokalisationsgebiets damit im Grundzustand die ersten 11 Orbitale (mit n = 1 bis 11) Das Orbital mit n = 12 bleibt (wie alle anderen mit n gt 11) unbesetzt Die Energie jedes einzelnen Zustands kann uumlber die einfache Gleichung in Abb 5 rechts berechnet werden Entscheidend ist dabei die Laumlnge a des Potentialtopfes Auch zeigt sich hier die Bedeutung der Masse des Elektrons

16 Das Wasserstoffatom

In den meisten Faumlllen ist das Problem ein Elektron in einem Atom oder Molekuumll zu beschreiben wesentlich komplizierter Dazu gehoumlrt schon der allereinfachste Fall der bei einem Atom gegeben ist die Beschreibung des einzelnen Elektrons in einem Wasserstoff-atom Die im Wasserstoffatom gegebene Situation wird durch die Gegenwart des positiv geladenen Kerns (eines einzelnen Protons) bestimmt Das Elektron wird mit seiner negativen Ladung durch den Kern angezogen und das umso staumlrker je naumlher es ihm kommt Das Elektron befindet sich damit in einem zentrosymmetrischen elektrischen Feld in dem es eine umso

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houmlhere potentielle Energie besitzt je weiter es sich vom Kern entfernt Die Situation ist ein wenig vergleichbar mit der eines Planeten der sich um die Sonne bewegt Haumltte das Elektron nur eine Teilchennatur so koumlnnte es einfach zum Kern stuumlrzen und dort auf dem Zustand niedrigster Energie verharren Dies allerdings wird durch die Wellennatur des Elektrons bdquoverbotenldquo die es sozusagen zwingt eine Art stehende Welle um den Kern herum aufzubauen Fuumlr diese bdquostehende Welle um den Kern herumldquo gibt es verschiedene Loumlsungen die als Orbitale bezeichnet werden Deren Berechnung folgt wieder der Gleichung

Energie des Elektrons als Teilchen = Energie des Elektrons als Welle

die mathematisch als Schroumldinger-Gleichung des dreidimensionalen Raums folgende Form besitzt (auch hier die Mathematik der Gleichung sei an dieser Stelle noch nicht relevant)

irV

zyxm)(

sup2sup2

sup2sup2

sup2sup2

2sup2

Auch hier soll nicht auf die Details der Gleichung eingegangen werden Wichtig ist nur dass nun alle drei Raumrichtungen x y und z eine Rolle spielen Daruumlber hinaus kommt auch die potentielle Energie im elektrischen Feld des Kerns mit ins Spiel die als V(r) eingefuumlhrt wird und kontinuierlich mit groumlszliger werdendem r ansteigt Dadurch werden auch die Loumlsungen dieser Gleichung die nun Ψn lms (xyzt) heiszligen wesentlich komplizierter und vielfaumlltiger Im Gegensatz zu den Loumlsungen Ψn(xt) fuumlr ein eindimensional bewegliches Elektron gibt es nun mitunter fuumlr eine einzelne Quantenzahl n mehrere Loumlsungen Um alle diese Loumlsungen zu erfassen werden neben der (Haupt-)Quantenzahl n weitere Quantenzahlen eingefuumlhrt die wieder nur eine Rolle als benennende Indizes spielen Der vollstaumlndige Satz Quantenzahlen der zur Benennung eines elektronischen Zustands noumltig ist lautet nun

Hauptquantenzahl n mit n = 1 2 3 4 hellip

Nebenquantenzahl l mit l = 0 1 2 hellip (n-1)

Magnetische Quantenzahl m mit m = - l hellip 0 hellip+ l

Spinquantenzahl s mit s = +12 und s = -12

Die zehn ersten moumlglichen Kombinationen von Quantenzahlen (n l m s) des Wasserstoff-elektrons lauten damit (100+12) (100-12) (200+12) (200-12) (21-1+12) (21-1-12) (210+12) (210-12) (21+1+12) (21+1-12) Fuumlr houmlhere Hauptquantenzahlen n gt 2 werden die moumlglichen Kombinationen von Quantenzahlen immer zahlreicher Jedem Satz von Quantenzahlen ist genau ein elektronischer Zustand und genau ein Energieniveau zugeordnet Die Energie jedes Zustands wird bei Wasserstoff im feldfreien Raum allein durch die Hauptquantenzahl bestimmt wobei der Wert in der Folge n = 1 2 3 4hellip kontinuierlich aber mit sinkender Schrittweite waumlchst Das Energieschema weist also bezuumlglich der Quantenzahl n einen groszligen Unterschied zu dem des eindimensionalen Potentialtops auf waumlhren die Abstaumlnde zwischen E(n) und E(n+1) beim Potentialtopf mit steigendem n immer groumlszliger werden so werden sie beim Wasserstoff immer kleiner Der Grenzwert von E fuumlr n gegen unendlich wird beim Wasserstoff Ionisierungsenergie genannt

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Die Energie ist beim Wasserstoff (im Gegensatz zu allen anderen Elementen) voumlllig unab-haumlngig von den weiteren Quantenzahlen obwohl die Wellenfunktionen sehr unterschiedlich aussehen koumlnnen Man nennt solche Zustaumlnde mit unterschiedlicher Wellenfunktion aber gleicher Energie entartet Ein Beispiel fuumlr entartete Zustaumlnde waumlren also die Wellen-funktionen mit den Quantenzahlsaumltzen (200-12) und (21-1-12) Wie lassen sich die verschiedenen Zustaumlnde nun anschaulich darstellen Am besten gelingt das indem man die Bereiche innerhalb derer die Wellenfunktion einen bestimmten Betrag besitzt raumlumlich abbildet In Abbildung 6 ist dies fuumlr die Wellenfunktionen mit den Quantenzahlen n = 1 bis 7 fuumlr l = 0 bis 2 und fuumlr m = 0 bis 2 zeichnerisch umgesetzt worden

Abb 6 Darstellung der elektronischen Wellenfunktionen des Wasserstoffatoms fuumlr die Quantenzahlen n = 1 bis 7 fuumlr l = 0 bis 2 und fuumlr m = 0 bis 2 Aus Gruumlnden der Vergleichbarkeit sind alle Orbitale in gleicher Groumlszlige dargestellt (ansonsten muumlsste die Groumlszlige mit der Quantenzahl n ansteigen) Der Atomkern befindet sich jeweils im Schwerpunkt jeder Orbitalstruktur Die Farbe Orange bedeutet ein positives die Farbe Blau ein negatives Vorzeichen der Wellenfunktion (aus httpchemlinksbeloiteduStarspagesorbitalshtml)

Die raumlumlichen Strukturen die durch die drei Quantenzahlen n l und m festgelegt werden heiszligen Orbitale Grob zusammenfassend kann man sagen dass im Wasserstoffatom die Hauptquantenzahl n die Groumlszlige die Nebenquantenzahl l die Form und die magnetische Quantenzahl m die Ausrichtung der Orbitale bestimmt Da die Quantenzahl s dann noch jeweils zwei Einstellungen besitzt die im Uumlbrigen keinen Einfluss auf die Gestalt der Orbitale nehmen kann jedes dieser Orbitale zwei moumlgliche elektronische Zustaumlnde enthalten (mit s = +12 und s = -12) Alle in Abbildung 6 dargestellten Strukturen repraumlsentieren damit

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moumlgliche Aufenthaltsbereiche fuumlr je zwei verschiedene Zustaumlnde die das Elektron in Wasserstoff einnehmen kann

Die Orbitale mit der Nebenquantenzahl l = 0 heiszligen s-Orbitale Sie besitzen grundsaumltzlich eine kugelsymmetrische Gestalt eine von n abhaumlngige Groumlszlige und keine Ausrichtung Die Orbitale mit der Nebenquantenzahl l = 1 heiszligen p-Orbitale Sie besitzen grundsaumltzlich die Gestalt einer Hantel und ebenfalls eine von n abhaumlngige Groumlszlige Ihre Ausrichtung folgt der x- der y- und der z-Achse verbunden mit den magnetischen Quantenzahlen m = -1 0 oder +1 Die Orbitale mit der Nebenquantenzahl l = 2 heiszligen d-Orbitale und besitzen abhaumlngig von der magnetischen Quantenzahl m kompliziertere Formen und Richtungen Anschaulich sollte man von der Vorstellung Abstand nehmen das Orbital sei ein Volumen innerhalb dessen das Elektron als Teilchen rotiere Vielmehr sollte man das Orbital als eine Art Schwingungsfigur betrachten aumlhnlich wie das Vibrationsbild einer schwingenden Saite Dann macht auch die Tatsache einen Sinn dass die Wellenfunktion einen positiven und einen negativen Wert besitzen kann dieser deutet dann auf die Richtung einer Auslenkung hin entsprechend einer Gitarrensaite die man ebenfalls in zwei verschiedene Richtungen auslenken koumlnnte Erst das Quadrat der Wellenfunktion macht dann eine Aussage uumlber den moumlglichen Aufenthaltsort des Elektrons als Teilchen Moumlchte man wissen mit welcher Wahrscheinlichkeit das Elektron als Teilchen innerhalb eines bestimmten Teilvolumens auftritt so muss man die Quadrate aller Ψ-Werte innerhalb dieses Teilvolumens aufaddieren (integrieren) Integriert man Ψsup2 uumlber das gesamte Volumen des Atoms (das nebenbei gesagt theoretisch unendlich groszlig ist) so resultiert der Wert eins da das Elektron zwangslaumlufig irgendwo sein muss Diese Voraussetzung stellt die Normierungsbedingung dar die jede der Wellenfunktionen des Wasserstoffatoms erfuumlllen muss Sehr schoumlne raumlumliche Abbildungen zu den Elektronenorbitalen des Wasserstoffs finden sich auf der Homepage des Instituts fuumlr Theoretische Chemie der Universitaumlt Sheffield (httpwintergroupshefacukorbitron )

17 Atome mit mehreren Elektronen

Im Falle von Mehrelektronensystemen wie Helium- Lithium- oder Beryllium- sowie allen weiteren Atomen sind die Verhaumlltnisse ungleich komplizierter Hier muumlssten in der Schroumldin-gergleichung auch die elektrostatischen Wechselwirkungen der Elektronen untereinander be-ruumlcksichtigt werden Da aber der Ort aller Elektronen (anders als der des als ruhend angenom-menen Kerns) nur uumlber Wellenfunktionen beschrieben werden kann wuumlrde die dazugehoumlrige Schroumldingergleichung schon fuumlr ein Zweielektronensystem uumlbermaumlszligig kompliziert Deshalb verwendet man folgende vereinfachende Naumlherung man fasst in Gedanken den Atomkern mit allen uumlbrigen Elektronen (also allen Elektronen bis auf das eine dessen Wellenfunktion man gerade ermitteln moumlchte) zusammen und erhaumllt so ein neues fiktives Teilchen dessen Ladung (bei neutralen Atomen) stets den Wert plus eins besitzt Der Ort dieses fiktiven Teilchens ist aufgrund der Symmetrie der Elektronenverteilung zum Kern stets identisch mit dem Ort des Kerns Damit verwandelt sich jedes Atom bei der Betrachtung eines einzelnen Elektrons in ein fiktives Wasserstoffatom und man kann alle Orbitale des Mehrelektronenatoms auf die Wasserstofforbitale zuruumlckfuumlhren Diese Naumlherungsloumlsung ist sehr praktisch hat allerdings ihre Grenzen So koumlnnen viele Gesetzmaumlszligigkeiten die fuumlr das Wasserstoffatom noch gelten nicht beibehalten werden So haumlngt bei Mehrelektronensystemen beispielsweise die Energie eines Orbitals nicht mehr nur von der Hauptquantenzahl n sondern zumindest auch von der Nebenquantenzahl l ab da hier der Einfluss der uumlbrigen Elektronen des Atoms zum Tragen kommt Mit der oben beschriebe-

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nen Naumlherung ist diese Beobachtung nicht mehr vorhersagbar da die Wechselwirkung zwi-schen den Elektronen ignoriert wird

Bei der Besetzung eines Mehrelektronensystems ist zunaumlchst einmal das Pauli-Prinzip zu beachten Dieses Gesetz wird auch Ausschlussprinzip genannt und bedeutet dass zwei Elek-tronen die sich im gleichen Raum aufhalten niemals Wellenfunktionen mit identischen Quantenzahlen belegen duumlrfen Anders gesagt alle Wellenfunktionen die von den in einem gemeinsamen Volumen (also zB in einem Atom) vorhandenen Elektronen besetzt werden muumlssen sich in wenigstens einer der vier Quantenzahlen unterscheiden In erster Konsequenz bedeutet dies dass Materie nicht von anderer Materie durchdrungen werden kann (sonst wuumlrden sich zum Beispiel notwendigerweise irgendwo zwei Elektronen mit den Quanten-zahlsaumltzen (100-12) im selben Volumen begegnen) Dies hat aber auch zur Folge dass ein Orbital mit den drei Quantenzahlen n l und m nur genau zwei Elektronen (mit s = +12 und -12) beherbergen darf

Wolfgang Pauli Friedrich Hund

Abb 7 Darstellung der Besetzungsreihenfolge bezuumlglich der Haupt- und Nebenquantenzahlen bei Mehrelektro-nensystemen Nacheinander wird dabei den von oben nach unten versetzten Pfeilen in der angegebenen Richtung gefolgt Man erhaumllt somit das Besetzungsschema 1s - 2s - 2p - 3s - 3p - 4s - 3d - 4p - 5s - hellip usw

Die Reihenfolge mit der die Haupt- und Nebenquantenzahlen besetzt werden ist durch die so genannte Aufbauregel festgelegt Diese bestimmt die Belegung der Orbitale so wie sie durch die Folge der untereinander versetzten Pfeile in Abbildung 7 dargestellt ist (s oben)

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Bezuumlglich der uumlbrigen Quantenzahlen m und s gilt es den drei Hundschen Regeln zu folgen (Anmerkung in der Literatur ist auch manchmal von vier Hundschen Regeln die Rede wobei sich dann aber die vierte aus den anderen drei ergibt) Die erste Hundsche Regel nennt man in der angelsaumlchsischen Literatur auch bildhaft die bdquobus-seat-ruleldquo Aumlhnlich wie unabhaumlngige Reisende die Zweierreihen eines Busses zunaumlchst alle jeweils einzeln belegen so versuchen auch die Elektronen zunaumlchst alle Varianten der mag-netischen Quantenzahl m einfach zu besetzen Alle diese ungepaarten Elektronen weisen dann dieselbe Spinquantenzahl (s = 12) auf So werden beispielsweise bei den p-Orbitalen immer erst alle drei Orbitale mit m = 1 0 und -1 (jeweils mit s = 12) einfach besetzt Die zweite Hundsche Regel besagt dass das Orbital mit dem groumlszligten Wert fuumlr m (unter Beachtung der ersten Hundschen Regel) immer zuerst besetzt wird Die einfache Besetzung nach der ersten Hundschen Regel beginnt also stets mit m = l danach folgt m = (l - 1) usw Die weitere Besetzung der Orbitale mit einem jeweils zweiten Elektron mit umgekehrtem Spin (s = -12) findet danach in derselben Reihenfolge statt Die dritte Hundsche Regel beschreibt lediglich das Verhalten eines Mehrelektronensystems im Magnetfeld hat aber auf die Reihenfolge der Besetzung der Orbitale keinen Einfluss und braucht daher an dieser Stelle noch nicht beruumlcksichtigt zu werden Das insgesamt resultierende Besetzungsschema wird in der Chemie haumlufig in der so genannten Kaumlstchenschreibweise dargestellt Fuumlr die Nebenquantenzahlen von 0 bis 2 besitzt es unter Beachtung der Hundschen Regeln die folgende Struktur

Abb 8 Darstellung der Besetzungsreihenfolge bezuumlglich der magnetischen Quantenzahl und der Spinquanten-zahl bei Mehrelektronensystemen Jeder aufwaumlrts gerichtete Pfeil steht fuumlr eine Elektronenfunktion mit s = +12 (paralleler Spin) jeder abwaumlrts gerichtete Pfeil fuumlr eine Elektronenfunktion mit s = -12 (antiparalleler Spin)

Betrachten wir einmal denjenigen Radius eines Atoms der bei der direkten Beruumlhrung zweier Atome relevant wird Zunaumlchst koumlnnte man annehmen dass dieser Atomradius mit steigender Zahl an Elektronen grundsaumltzlich groumlszliger werden sollte Innerhalb einer Periode ist aber uumlberraschenderweise das Gegenteil der Fall wie aus folgenden Werten hervorgeht

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Lithium (3 Elektronen) Atomradius 152 pm Beryllium (4 Elektronen) Atomradius 112 pm Bor (5 Elektronen) Atomradius 88 pm Kohlenstoff (6 Elektronen) Atomradius 77 pm Stickstoff (7 Elektronen) Atomradius 70 pm Sauerstoff (8 Elektronen) Atomradius 66 pm Fluor (9 Elektronen) Atomradius 64 pm

Die Ursache hierfuumlr liegt in der staumlrkeren Ladung des Kerns und dem daraus folgenden steileren Potentialverlauf V(r) Die wachsende Ladung des Kerns komprimiert in zuneh-mendem Maszlige die Groumlszlige des Atoms Ein Fluoratom misst trotz der dreifachen Elektronenzahl weniger als die Haumllfte eines Lithiumatoms Vergleicht man allerdings die Atome von aufeinanderfolgenden Perioden innerhalb einer Gruppe (zB in der Reihe Li ndash Na ndash K ndash hellip) so findet man in den meisten Faumlllen den zu erwartenden Groumlszligenanstieg

18 Chemische Bindungen und Molekuumlle

Mit den Loumlsungen der Schroumldingergleichung des Wasserstoffatoms mit der Einfuumlhrung der Orbitale und mit der Beruumlcksichtigung der Besetzungsregeln haben wir nun ein relativ um-fassendes Bild von den Grundbausteinen der Chemie den Atomen Damit ergibt sich nun die Frage wie zwei oder mehr Atome miteinander wechselwirken koumlnnen Zunaumlchst ist zu klaumlren was eigentlich passiert wenn zwei Atome (Atom a und Atom b) immer naumlher zusammen-ruumlcken Eigentlich sollte man annehmen dass in diesem Fall die abstoszligenden Wechselwirkun-gen dominieren da sich bei dem direkten Kontakt zwischen den Atomen zunaumlchst nur die Elektronenhuumlllen beruumlhren sollte es zu einer starken elektrostatischen Abstoszligung kommen Zunaumlchst scheint die Bildung einer chemischen Bindung physikalisch wenig plausibel Trotz-dem existieren in der Natur drei moumlgliche Loumlsungen des Problems

a) Die Ionenbindung Hierbei geht ein oder mehrere Elektronen vollstaumlndig vom Atom a zum Atom b uumlber Dadurch wird das Atom a zum positiv geladenen Kation das Atom b zum negativ geladenen Anion Die anziehende elektrostatische Kraft bewirkt eine stabile Bindung

b) Die kovalente Bindung Es bilden sich zwischen zwei Atomen a und b gemeinsame Elektronenorbitale auf denen Elektronen sozusagen unter den beiden Bindungs-partnern aufgeteilt werden

c) Die metallische Bindung Es bildet sich ein Kontinuum aus sehr groszligen gemeinsa-men Elektronenorbitalen die sich uumlber ein atomares Gitter erstrecken Eine Vielzahl von Elektronen (das so genannte Elektronengas) wird dabei unter einer Vielzahl von Atomen aufgeteilt

Im Folgenden soll vor allem die Loumlsung b also die kovalente Bindung betrachtet werden da die anderen Bindungsformen (wie spaumlter gezeigt wird) auch als Grenzfaumllle dieser Loumlsung gelten koumlnnen Das bedeutet wir betrachten nun eine Situation bei der gemeinsame Orbitale zwischen (im einfachsten Fall) zwei Atomkernen existieren Um dafuumlr die Schroumldingergleichung zu loumlsen

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ist erneut eine Vereinfachung noumltig die als Born-Oppenheimer-Naumlherung gilt Dabei nimmt man an dass der Ort der beiden Atomkerne festgelegt ist obwohl die dazwischen befind-lichen Elektronen durch Wellenfunktionen beschrieben werden Dadurch erspart man sich die Komplikation eines moumlglicherweise zeitlich variablen Kernabstands Gerechtfertigt wird diese Naumlherung dadurch dass die Atomkerne um ein Vielfaches schwerer sind als die Elektronen ihre Bewegungen daher um ein Vielfaches langsamer Mit dieser Naumlherung fuumlhren wir nun folgendes Gedankenexperiment durch wir betrachten zwei Wasserstoffatome mit unendlichem Abstand zueinander Ihre Elektronen befinden sich beide im energetischen Grundzustand besitzen aber unterschiedlichen Spin so dass ihnen die beiden Quantenzahlsaumltze (100+12) und (100-12) zukommen Damit wird dem Pauli-Prinzip Genuumlge getan so dass die beiden Atome nun zusammengeruumlckt werden duumlrfen Je naumlher die beiden Atome einander kommen umso mehr bdquofuumlhltldquo das Elektron des einen Atoms den Kern des anderen so dass die Wellenfunktionen des ungestoumlrten Wasserstoffatoms nun keine guumlltigen Loumlsungen mehr darstellen Es muumlssen also neue molekulare Wellenfunktionen gefunden werden Diese Molekuumllorbitale bildet man am einfachsten indem man Kombina-tionen aus den zuvor guumlltigen Atomorbitalen bildet Wichtig ist es handelt sich dabei nicht um eine einfache Uumlberlappung zwischen den bestehenden Atomorbitalen sondern um die rechnerische Bildung eines neuen Orbitals Im Fall des Wasserstoffatoms im Grundzustand sind zwei solcher Kombinationen moumlglich Vereinfachend kann man das eine entstehende Molekuumllorbital als normierte additive Kombination aus den beiden einzelnen s-Atomorbitalen betrachten (Abb 9 oben links) Es wird als bindendes σ-Molekuumllorbital bezeichnet besitzt eine niedrigere Energie als das s-Atomorbital und weist zwischen den beiden Atomkernen eine hohe Elektronendichte (ein hohes Ψsup2) auf Sein Gegenstuumlck wird entsprechend aus einer Art normierter subtraktiver Kombination der beiden urspruumlnglichen s-Orbitale gebildet (Abb 9 oben rechts) Es wird als antibindendes σ-Molekuumllorbital bezeichnet besitzt eine houmlhere Energie als das s-Atomorbital und weist zwischen den beiden Atomkernen eine niedrige Elektronendichte (ein kleines Ψsup2) auf An einer Stelle besitzt letztere sogar den Wert Null Die bisher vorhandenen Atomorbitale existieren nun nicht mehr

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Abb 9 Darstellung von bindenden (links oben) und antibindenden Molekuumllorbitalen (rechts oben) im Wasserstoffmolekuumll H2 Das Energiediagramm links unten veranschaulicht die Bildung eines bindenden σ-Molekuumllorbitals im Fall von Wasserstoff H2 Das Diagramm rechts unten verdeutlicht die Situation in einem fiktiven Helium-Molekuumll He2 bei dem neben dem bindenden σ-Molekuumllorbital auch das antibindende σ-Molekuumllorbital besetzt wuumlrde Zweiatomiges Helium ist demzufolge nicht stabil

Die hohe Elektronendichte des bindenden σ-Orbitals im Bereich zwischen den Kernen bewirkt dass sich anziehende elektrostatische Wechselwirkungen Kern-Elektron-Kern aus-bilden koumlnnen es haumllt also das Molekuumll zusammen (deswegen bdquobindendldquo) Da das bindende σ-Orbital die niedrigere Energie besitzt wandern die zwei Elektronen des Wasserstoffmole-kuumlls beide (mit unterschiedlichen Spins) in diese Position Damit verbunden ist ein Energie-gewinn der den gebundenen Zustand beguumlnstigt Zur Trennung des Molekuumlls muss Energie aufgebracht werden Das antibindende σ-Orbital weist am Ort zwischen den Kernen die Elektronendichte Null auf Damit dominiert hier die abstoszligende elektrostatische Wechselwirkung Kern-Kern dazu-hin ist es energetisch unguumlnstiger Bei einem fiktiven Helium-Molekuumll (Abb 9 unten rechts) muss wegen der Zahl von vier Elektronen auch dieses σ-Orbital doppelt besetzt sein Dadurch wird sowohl der Energiegewinn als auch die anziehende Wechselwirkung des bindenden σ-Orbitals kompensiert so dass dieses Molekuumll insgesamt nicht stabil ist Grundsaumltzlich sind alle urspruumlnglichen Atomorbitale nach der Bildung des Molekuumlls ver-schwunden alle insgesamt vorhandenen Elektronen werden auf die neu gebildeten Molekuumll-orbitale verteilt Ist das Niveau der Atomorbitale vor der Bildung eines gemeinsamen Mole-kuumllorbitals sehr unterschiedlich so erhaumllt man eine polare kovalente Bindung bei der der Schwerpunkt der Elektronendichte auf der Seite des urspruumlnglich energieaumlrmeren Orbitals

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liegt Im Grenzfall extremer Polaritaumlt erhaumllt man eine Ionenbindung (s oben) Sind sehr viele gleichartige Orbitale an der Bildung des Molekuumllorbitals beteiligt so koumlnnen sich groszlige Delokalisationsgebiete ausbilden Im Extremfall eines Delokalisationsgebiets das sich uumlber ein ganzes Kristallgitter erstreckt spricht man von einer metallischen Bindung (s oben) Die Molekuumllorbitaltheorie (kurz MO-Theorie) ist also in der Lage saumlmtliche Bindungsarten zu beschreiben Energiediagramme wie in Abb 9 unten werden als MO-Schemata bezeichnet Fuumlr zwei-atomige Molekuumlle moumlgen sie noch recht uumlbersichtlich aussehen bei vielatomigen Molekuumllen sind sie dagegen meistens unuumlberschaubar Mit Hilfe leistungsfaumlhiger Computer lassen sich solche Molekuumllorbitale noch rechnerisch erfassen allerdings steigt der Rechenaufwand (und damit die Rechenzeit und die Kosten) mit steigender Molekuumllgroumlszlige sehr rasch an In diesem Fall kann man auf eine vereinfachende Betrachtung ausweichen die so genannte Valence-Bond-Theorie (VB-Theorie Valenzbindungstheorie) Sie wurde in Konkurrenz zur MO-Theorie entwickelt und beinhaltet eine wesentliche zusaumltzliche Naumlherung Sie ist dadurch deutlich weniger genau allerdings auch wesentlich einfacher anwendbar und in der Praxis die beste Methode um rasch und anschaulich Molekuumllgeometrien und Reaktionsmechanismen erklaumlren zu koumlnnen Im Gegensatz zur MO-Theorie geht man bei der VB-Theorie im Grundsatz davon aus dass auch im Molekuumll noch die urspruumlnglichen Atomorbitale existieren Der VB-Theorie nach entsteht die chemische Bindung dadurch dass zwei halb besetzte Atomorbitale der beiden benachbarten Atome A und B uumlberlappen Das bdquoUumlberlappungsorbitalldquo wird dann in der Regel durch die beiden resultierenden Elektronen (eines von A und eines von B) besetzt wobei das wiederum voraussetzt dass sie einen unterschiedlichen Spin aufweisen Jedes durch solche bdquoUumlberlappungldquo gebildete Orbital entspricht einer Bindung Der Einfachheit halber nimmt man an dass die anderen Atomorbitale nicht an der Bindung teilnehmen und somit unveraumlndert bleiben Aufgrund dieser doch recht groben Naumlherung kommt es bei der VB-Betrachtung von einfa-chen Molekuumllen wie Wasser Methan oder Ammoniak sehr schnell zu Problemen Zunaumlchst einmal sind die erhaltenen Bindungswinkel unrealistisch aufgrund der Tatsache dass in allen genannten Faumlllen p-Orbitale beteiligt sind resultiert aus dem VB-Modell immer wieder ein Bindungswinkel von 90deg wohingegen die tatsaumlchlichen Bindungswinkel deutlich groumlszliger sind (Wasser 1045deg Methan 109deg) Ein noch groumlszligeres Problem stellen zB die Bindungs-verhaumlltnisse des Kohlenstoffs dar eigentlich sollte man nach der VB-Theorie fuumlr eine Ver-bindung zwischen Kohlenstoff und Wasserstoff ein bdquoCH2ldquo mit einem Bindungswinkel von 90deg erwarten wobei die zwei jeweils halbbesetzten p-Orbitale des Kohlenstoffs Bindungs-anzahl und ndashwinkel vorgeben Dieser Mangel der VB-Theorie kann weitgehend repariert werden indem man die Schritte der Promotion und der Hybridisierung einfuumlhrt Beide Vorgaumlnge sind dabei nicht als natuumlrliche Prozesse sonder eher als hypothetische Hilfskonstruktionen zu verstehen die lediglich dazu dienen die Maumlngel der VB-Theorie auszuheilen Letztlich ermoumlglichen sie es mit Hilfe von Linearkombinationen aus Atomorbitalen und deren Uumlberlappungszonen den tatsaumlchlich vor-liegenden Molekuumllorbitalen naumlherzukommen

Der erste dazu notwendige Schritt die Promotion dient dazu die fuumlr die gegebene Zahl an Bindungen notwendige Zahl an ungepaarten Elektronen zu schaffen Dazu werden dann einfach Orbitale houmlherer Energie besetzt Im Fall des vierbindigen Kohlenstoffs bedeutet das beispielsweise dass ein s-Elektron an den bereits halbbesetzten px- und py-Orbitalen vorbei auf das energiereichere pz-Orbital gehoben wird Aus der Elektronenkonfiguration

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wird somit 1s 2s 2p

Dieser hypothetische Vorgang kommt einer gewissen Energieerhoumlhung gleich die allerdings dadurch abgemildert wird dass ein nach der ersten Hundschen Regel (bdquobus seat ruleldquo) guumlnsti-gerer Zustand mit ungepaarten Spins entsteht Die vier nunmehr halbbesetzten Orbitale sind in Abbildung 10 dargestellt

Abb 10 Darstellung der vier an der sp3-Hybridisierung des Kohlenstoffs beteiligten Orbitale 2s 2px 2py und 2pz(Quelle Chemgapedia)

Anschlieszligend erfolgt nun die Hybridisierung eine Art Vermischung (oder mathematisch korrekter die Bildung von Linearkombinationen) des s- mit den drei p-Orbitalen Dadurch entstehen Orbitale in gleicher Anzahl aber mit voumlllig neuer Form Symmetrie und Orien-tierung im Raum

Abb 11 Darstellung der vier aus der sp3-Hybridisierung des Kohlenstoffs resultierenden Hybridorbitale Die Ausrichtung der sp3-Hybridorbitale folgt den vier Raumdiagonalen eines Wuumlrfels oder ndash wenn man nur die groumlszligeren Segmente der Orbitale betrachtet ndash den Ecken eines Tetraeders (Quelle Chemgapedia)

Die vier neuen wiederum jeweils halbbesetzten Orbitale zeigen vom Kern aus zu den Ecken eines Tetraeders Mit ihrer Hilfe laumlsst sich nun zwanglos die Bildung des bekannten Methan-Molekuumlls CH4 erklaumlren jedes einzelne sp3-Hybridorbital uumlberlappt mit jeweils einem s-Orbi-tal eines Wasserstoffatoms wodurch eine tetraedrische Molekuumllgeometrie mit vier voumlllig gleichberechtigten Bindungen entsteht Das Ergebnis kommt den tatsaumlchlich vorhandenen Molekuumllorbitalen die sich gemaumlszlig dem MO-Modell formulieren lassen sehr nahe Festzu-halten ist dabei dass es sich sowohl bei der Promotion als auch bei der Hybridisierung um rein fiktive Prozesse handelt die lediglich postuliert werden um den VB-Ansatz zu bdquorettenldquo Der grundsaumltzliche Mangel der darin besteht dass das VB-Modell uumlberwiegend auf Atom-orbitalen beharrt die eigentlich nicht mehr existieren bleibt bestehen Viele Molekuumllgeome-trien lassen sich in der VB-Theorie nur mit Hilfe einer passenden Hybridisierung erklaumlren Dennoch das VB-Modell ist fuumlr die meisten Anwendungen in der Chemie nach wie vor der am haumlufigsten gewaumlhlte Ansatz er ist einfach intuitiv und vielseitig einsetzbar solange man die richtige Form der Hybridisierung waumlhlt Letzteres geschieht auf der Grundlage einer bekannten Molekuumllgeometrie oder unter Beruumlcksichtigung von vorhandenen Mehrfachbindun-gen Im Idealfall aumlhneln die gebildeten Hybridorbitale dann den wirklichen Molekuumllorbitalen

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In der folgenden Tabelle sind die haumlufigsten Hybridisierungsvarianten zusammengefasst und verschiedenen Molekuumllgeometrien zugeordnet Bei gegebener Geometrie des Molekuumlls (z B die trigonal-planare Anordnung um jedes Kohlenstoffatom im Ethylen) kann man so auf die passende Hybridisierung schlieszligen (im gegebenen Fall das sp2-Hybrid)

Tabelle 1 Wichtige Hybridisierungszustaumlnde nach dem VB-Modell

Hybridisierung Promotion Koordinationszahl Geometrie Beispiele

sp uarruarr suarr puarr 2 linear Acetylen Propadien

sp2 uarruarruarr suarr puarruarr 3 trigonal-planar Ethylen Benzol

sp3 uarruarruarruarr suarr puarruarruarr 4 tetraedrisch Methan Ammoniak

sp3d uarruarruarruarruarr suarr puarruarruarr duarr 5 trigonal-bipyramidal

Phosphor-pentachlorid

sp3d2 uarruarruarruarruarruarr suarr puarruarruarr duarruarr 6 oktaedrisch Schwefel-hexafluorid

Die so entstehenden Hybridorbitale kommen in ihrer raumlumlichen Darstellung den tatsaumlchli-chen Molekuumllorbitalen teilweise recht nahe sie korrigieren somit die VB-Theorie in gewissem Sinne in Richtung der MO-Theorie Allerdings bleibt festzuhalten dass die VB-Theorie keine antibindenden Orbitale kennt diese bleiben einfach unberuumlcksichtigt Dies ist eine gravie-rende Schwaumlche der VB-Theorie die sich an vielen Stellen bemerkbar macht (zB bei der Erklaumlrung des Sauerstoff-Biradikals in der Spektroskopie und bei bestimmten Reaktions-typen)

19 Elektronegativitaumlt und Polaritaumlt

In einer chemischen Bindung zwischen verschiedenen Elementen besitzen die beteiligten Atome fuumlr gewoumlhnlich unterschiedliche Tendenzen die Bindungselektronen an sich zu ziehen Bei der Betrachtung der Energieschemata im MO-Modell aumluszligert sich dies darin dass ein bindendes Molekuumllorbital aus einer Linearkombination zweier Atomorbitale mit sehr unterschiedlicher Energie hervorgeht In diesem Fall besitzt das bindende Molekuumllorbital die Tendenz hohe Elektronendichten in der Naumlhe des Elements aufzuweisen dessen Atomorbital energetisch guumlnstiger liegt Man spricht dann von einer hohen Elektronegativitaumlt dieses Elements da es in dem gebundenen Zustand durch die erhoumlhte Elektronendichte eine partiell negative Ladung aufweist Ein klassisches Beispiel ist die Verbindung Fluorwasserstoff (HF) Hier wird ein bindendes Molekuumllorbital aus der Linearkombination zwischen dem 1s-Orbital des Wasserstoffs mit einem 2p-Orbital des Fluors gebildet Letzteres liegt aufgrund der relativ hohen Kernladung und des geringen Atomradius des Fluors energetisch wesentlich tiefer wodurch sich eine stark asymmetrische Elektronenverteilung ergibt Die Elektronegativitaumlt wird in erster Linie durch die Kernladung vor allem aber auch durch den Abstand zwischen den Valenzelektronen und dem Atomkern bestimmt Daher sind auch kleine Atome wie zum Beispiel der Stickstoff der Sauerstoff oder das Fluor auch besonders elektronegativ (s Tabelle Seite 12) Im Periodensystem der Elemente nimmt die Elektro-negativitaumlt tendenziell nach oben und nach rechts zu (Edelgase ausgenommen) Linus Pauling

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schlug vor die Elektronegativitaumlt ausgehend von der VB-Theorie als dimensionslose Kenn-groumlszlige fuumlr jedes einzelne Element einzufuumlhren Sie errechnet sich aus einem Vergleich der Dissoziationsenergien der beteiligten Elemente Demnach besitzt Francium als das am wenigsten elektronegative Element den Wert 070 und Fluor als das am staumlrksten elektro-negative Element den Wert 398 Eine Zwischenstellung nimmt zB Wasserstoff mit 220 ein Bei Bindungen zwischen Elementen mit unterschiedlicher Elektronegativitaumlt spricht man von polaren Bindungen Entlang einer polaren Bindung baut sich durch die ungleiche Elektronen-verteilung ein entsprechendes Dipolmoment auf das haumlufig Anlass fuumlr starke zwischen-molekulare Kraumlfte liefert (s Kapitel 3) Im Extremfall einer sehr polaren kovalenten Bindung kann das Bindungselektron (bzw die Bindungselektronen) praktisch allein dem elektronega-tiveren Element zugesprochen werden Das entsprechende Bindungsorbital besteht dann als Linearkombination von Atomorbitalen fast ausschlieszliglich aus einem Atomorbital welches das elektronegativere Element beisteuert In diesem Fall spricht man nach klassischer Definition von einer Ionenbindung

2 Die Elektronenspektroskopie an Atomen und Molekuumllen 21 Grundlagen der Spektroskopie

Elektronen in Atomen und Molekuumllen koumlnnen ndash soweit die Erkenntnis aus Kapitel 1 ndash durch Wellenfunktionen beschrieben werden Aus diesen kann man nicht nur die Aufenthaltswahr-scheinlichkeit an verschiedenen Positionen im Raum sondern auch die Energie des Elektrons ableiten Eine Folge der Beschraumlnkung der Elektronen auf bestimmte Wellenfunktionen mit jeweils bestimmter Energie ist dass sie auch nur in bestimmten Schritten Energie aufnehmen und abgeben koumlnnen Jede Aufnahme bzw Abgabe von Energie entlang dieses Schrittes ist generell mit der Aufnahme bzw Abgabe von elektromagnetischer Strahlung verbunden Diese Tatsache bildet die Grundlage der Spektroskopie im gegebenen Fall der Elektronenspektros-kopie

Allgemein gesprochen befasst sich die Spektroskopie mit der Wechselwirkung zwischen Strahlung und Materie Etwas genauer laumlsst sich aussagen dass die Spektroskopie unter-sucht mit welcher elektromagnetischen Strahlung sich welcher energetische Uumlbergang anre-gen laumlsst Zwischen der elektromagnetischen Strahlung und dem dabei bewirkten energeti-schen Uumlbergang gilt dann grundsaumltzlich folgende Beziehung Δ E = h ∙ ν mit ΔE als der Energiedifferenz zwischen den beiden Zustaumlnden (in Joule) ν (gesprochen bdquonuumlldquo) als Frequenz der verwendeten elektromagnetischen Strahlung (in 1s oder Hertz Hz) und h als dem so genannten Planckschen Wirkungsquantum (mit h = 6626∙10-34 Js) Somit ist jeder Frequenz ν im elektromagnetischen Spektrum (Abb 12) genau ein Energiewert Δ E zugeordnet Die dazugehoumlrige Wellenlaumlnge im Vakuum (in m) errechnet sich nach λ = c ν mit c als Lichtgeschwindigkeit (im Vakuum c = 299 792 458 ms)

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Abb 12 Elektromagnetisches Spektrum (Quelle Chemgapedia)

Fuumlr die genaue Messung welche Frequenz der elektromagnetischen Strahlung einem gegebe-nen Uumlbergang anzuregen vermag gibt es experimentell zwei verschiedene Ansaumltze Entweder man strahlt Energie auf das System ein und beobachtet den Verlust an Strahlungsintensitaumlt der dann beobachtet wird wenn die Strahlung einen Uumlbergang zu einem houmlheren Energieni-veau bewirkt (Absorption) oder man fuumlhrt dem System Energie zu (zum Beispiel thermisch) und beobachtet dann die Freisetzung von Energie als Strahlung (Emission) Im einen Fall erfuumlllt die Frequenz der absorbierten Strahlung im anderen Fall die der emittierten Strahlung die Frequenzbedingung ΔE = h ∙ ν Mit beiden Methoden kann man so exakt den Energie-unterschied zwischen zwei Energieniveaus ausmessen Die Bestimmung der Werte fuumlr die charakteristischen Energieschritte ΔE eines Systems ist die Hauptaufgabe der Spektroskopie Sie eignet sich insbesondere um elektronische Wellenfunktionen eines Systems zu erkunden

22 Elektronenspektroskopie am eindimensionalen Potentialtopf

Das denkbar einfachste elektronische System ist der eindimensionale Potentialtopf Dennoch kann auch dieses Modell schon in grober Naumlherung auf Molekuumlle angewandt werden speziell auf solche mit annaumlhernd linearen Delokalisationssystemen (s Kapitel 14) Ein Beispiel ist die Reihe Butadien Hexatrien Oktatetraen usw Bildet man mit Hilfe der Loumlsungen der Schroumldingergleichung fuumlr das eindimensionale Potentialtopfmodell einen Ausdruck fuumlr den elektronischen Uumlbergang zwischen dem houmlchsten besetzten Orbital (HOO) und dem niedrig-sten unbesetzten Orbital (LUO) so erhaumllt man fuumlr die damit verbundene Energiedifferenz gemaumlszlig der in Abbildung 5 gezeigten Formel

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ΔE = h ∙ ν = (nsup2LUO-nsup2HOO) ∙ hsup2 (8 me asup2)

Mit wachsender Laumlnge a und wachsender Elektronenzahl (jedes Kohlenstoffatom im Delokali-sationsgebiet traumlgt ein Elektron bei) steigen einerseits die Werte der Quantenzahlen n fuumlr das houmlchste besetzte Orbital (HOO) und das niedrigste unbesetzte Orbital (LUO) an andererseits steigt aber auch die Laumlnge L die quadratisch im Nenner der Gleichung steht Da letzteres insgesamt uumlberwiegt sinkt der Wert fuumlr ΔE und damit fuumlr die Frequenz ν schrittweise mit Anstieg der Kettenlaumlnge Liegt die absorbierte Lichtfrequenz anfaumlnglich im UV-Bereich so verschiebt sie sich beispielsweise fuumlr das Carotin mit 11 Doppelbindungen schon in den sichtbaren blauen Bereich Weil daher Carotin blaues Licht absorbiert erscheint es im Durchlicht betrachtet in der Komplementaumlrfarbe orange-gelb Nach diesem Prinzip lassen sich viele organische Farbstoffe interpretieren Aumlndert sich die Laumlnge bzw die Elektronenzahl (und damit nsup2LUO und nsup2HOO) durch die Protonierung des Molekuumlls so hat man es mit einem Farbstoff zu tun der mit dem pH-Wert seine Farbe aumlndert ndash dies ist die Grundlage vieler pH-Indikatoren

23 Elektronenspektroskopie am Wasserstoffatom

Die wissenschaftliche Spektralanalyse wurde in der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts gemeinsam durch GR Kirchhoff und RW Bunsen entwickelt Sie entdeckten dass alle Elemente beim Erhitzen Licht aussenden Nach Zerlegung des Lichts mit einem Glasprisma erhaumllt man ein fuumlr jedes Element charakteristisches Linienmuster das so genannte Spektrum (s auch UTube-Video bdquospectral lines demoldquo httpwwwyoutubecomwatchv=2ZlhRChr_Bw) Dieses Spektrum reflektiert die Gesamtheit der dem gegebenen Element eigenen elektronischen Uumlbergaumlnge und ist damit ein unverwechselbarer Fingerabdruck Elemente koumlnnen damit sowohl in der Emissionsspektroskopie als auch in der Absorptionsspektroskopie eindeutig und mit hoher Empfindlichkeit identifiziert werden

Die Elektronenspektroskopie kann jedoch noch deutlich mehr sie erlaubt die exakte Uumlber-pruumlfung der durch die Loumlsung der Schroumldingergleichung gefundenen elektronischen Wellen-funktionen Dies wurde zunaumlchst am Wasserstoffatom mit hoher Praumlzision betrieben Histo-risch gesehen ist die erste wichtige Lichtquelle fuumlr spektroskopische Analysen unsere Sonne Dies gilt insbesondere fuumlr das Spektrum des Wasserstoffs Da die Energie der elektronischen Zustaumlnde dort einzig und allein von der Hauptquantenzahl n abhaumlngt (s Kapitel 15) werden lediglich solche Spektrallinien beobachtet die sich genau einem gegebenen ΔE = E(n) - E(nlsquo) zuordnen lassen Zuerst wurde mit der Balmer-Serie der sichtbare Anteil des Spektrums ent-deckt der mit allen Uumlbergaumlngen von oder zu dem Niveau n = 2 verbunden ist (Abb 13) Es folgten spaumlter im UV-Bereich die Lyman-Serie mit n = 1 und im IR-Bereich die Paschen-Serie mit n = 3 die Brackett-Serie mit n = 4 sowie die Pfundt- und die Humphreys-Serie mit n = 5 und n = 6 (letztere sind in Abb 13 nicht mehr eingezeichnet) Weitere Serien mit houmlheren Quantenzahlen existieren tragen aber keine eigenen Namen mehr

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Wel

lenz

ahl

[100

0 cm

-1]

0

10

20

30

40

50

60

70

80

90

100

110Grundzustand

Lyman-serie

Balmer-serie

Paschen-serie

Brackett-serie

n = 5n = 4

n = 3

n = 2

n = 1

Gustav Robert Kirchhoff

Robert Wilhelm Bunsen

Abb 13 Wichtige elektronische Uumlbergaumlnge im Wasserstoffatom

Abbildung 14 zeigt das gesamte Wasserstoffspektrum die Kuumlrzel benennen die entsprechen-den Serien (Ly = Lyman Ba = Balmer etc)

Abb 14 Spektrum des Wasserstoffatoms Die Achse fuumlr die Wellenlaumlnge ist logarithmisch aufgetragen

Eine genaue Analyse ergibt dass sich das Schema der Energiedifferenzen nach Abb 13 fast genau mit den in Kapitel 15 besprochenen Loumlsungen der Schroumldingergleichung deckt Die aumluszligerst kleinen Abweichungen die man dennoch detektieren konnte lieszligen sich auf den Bei-trag des Kerns (trotz seiner hohen Masse kann er sich minimal mit dem Elektron mitbewegen) und des Isotopeneffekts zuruumlckfuumlhren der schwerere Deuteriumkern der aus einem Proton und einem Neutron besteht bewegt sich weniger leicht mit dem Elektron mit als das einsame Proton des bdquonormalenldquo Wasserstoffs Daneben zeigen sich bei sehr hoher Aufloumlsung des Spektrums auch relativistische Effekte die zu weiteren Aufspaltungen fuumlhren

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24 Elektronenspektroskopie an Atomen mit mehreren Elektronen

Aufgrund der Wechselwirkungen zwischen den Elektronen ist bei schwereren Elementen die beim Wasserstoff gegebene Entartung bezuumlglich der Quantenzahlen l und m aufgehoben Damit wird das Energiediagramm bereits fuumlr ein einfaches houmlheres Atom wie zum Beispiel Lithium schon deutlich komplizierter (Abb 15) Neben den Uumlbergaumlngen zwischen verschiede-nen Werten fuumlr n treten nun auch Uumlbergaumlnge zwischen s und p p und d d und f auf Manche Uumlbergaumlnge (zum Beispiel solche zwischen s- und d-Niveaus) werden allerdings gewoumlhnlich nicht beobachtet man nennt sie bdquoverbotenldquo bdquoErlaubtldquo sind nur solche Uumlbergaumlnge bei denen die Nebenquantenzahl sich um den Wert plusmn1 aumlndert (also eben von s nach p von p nach d usw) Die so genannte Auswahlregel welche die erlaubten Uumlbergaumlnge festlegt heiszligt folglich Δl = plusmn1

Als weitere Folge der Wechselwirkungen zwischen den Elektronen besitzt jedes houmlhere Atom ein eigenes und von Wasserstoff verschiedenes Energiediagramm Damit besitzt aber auch jedes Atom ein unverwechselbares Muster von Energieuumlbergaumlngen die es eindeutig kenn-zeichnet Dies laumlsst sich bereits in einfachen Versuchen anhand von Flammenfaumlrbungen zeigen Diejenigen Uumlbergaumlnge deren ΔE den Wellenlaumlngen im sichtbaren Spektrum entspricht (in Abb 15 sind dies die kuumlrzeren unter den eingezeichneten blauen Pfeilen) sorgen bei vielen Elementen fuumlr ein charakteristisches farbiges Leuchten (Abb 15 rechts)

Ener

gie

Wasserstoff Lithium

n = 1

2

3

45

1s

2s

2p

3s

4s

5s

3p

4p5p

3d

4d5d

Abb 15 Termschema von Lithium mit wichtigen elektronischen Uumlbergaumlngen (links) Durch Lithium verursachte Flammenfaumlrbung (rechts Quelle httpwwwitpuni-hannoverde~zawischaITPatomshtml)

Letztlich ist auch bei allen houmlheren Atomen die Elektronenspektroskopie eine ideale Methode um das Energieniveauschema experimentell zugaumlnglich zu machen Sie eignet sich daruumlber hinaus perfekt zur schnellen und empfindlichen Identifikation von Elementen Diese Tatsache

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macht man sich sowohl in der Atomabsorptionsspektroskopie (AAS) als auch in der Atom-emissionsspektroskopie (AES) zunutze Elektronenspektren sind unverwechselbare Finger-abdruumlcke mit denen alle Elemente in hoher Empfindlichkeit und selbst uumlber groszlige Distanzen hinweg sicher identifiziert werden koumlnnen

25 Elektronenspektroskopie an Molekuumllen

Genau wie die Atomorbitale sind auch Molekuumllorbitale der Elektronenspektroskopie zugaumlng-lich Durch die systematische Analyse aller elektronischen Uumlbergaumlnge lassen sich die Energie-niveaus in einem MO-Schema schrittweise ausmessen Besonders interessant wird dieser Ansatz bei der Untersuchung der Bindungsverhaumlltnisse Im Allgemeinen beobachtet man Uumlbergaumlnge zwischen bindenden und nicht bindenden Orbitalen einerseits und den uumlblicherweise unbesetzten antibindenden Orbitalen andererseits In Abb 16 ist dies am Beispiel einer C-O-Bindung in Formaldehyd gezeigt Im Mittelpunkt stehen dabei das binden-de und das antibindende σ-Orbital C-O das bindende und das antibindende π-Orbital C-O sowie das nicht bindende freie Elektronenpaar des Sauerstoffs (ein weiteres freies Elektronen-paar bleibt unbeteiligt)

Ener

gie

σ CO

σ CO

π CO

π CO

n O

C

H

H

O

σ-σ

Uumlbe

rgan

g

π-π

Uumlbe

rgan

gn-π Uumlber-gang

σ

Abb 16 Termschema der CO-Gruppe in Formaldehyd (links) Die beteiligten Bindungen und das im betrachteten Energiefenster liegende freie Elektronenpaar des Sauerstoffs sind rechts skizziert

Die drei wichtigsten Uumlbergaumlnge die an der C-O-Gruppe detektiert werden sind der σ-σ-Uumlbergang der π-π-Uumlbergang und der n-π-Uumlbergang Letzterer ist in einer C-O-Gruppe stets am energieaumlrmsten und kann bereits mit UV-Licht einer Wellenlaumlnge um 280 nm angeregt werden (schwarzer Pfeil in Abb 16) Energiereicher und intensiver ist bei der CO-Gruppe der π-π-Uumlbergang der bei Wellenlaumlngen um 170 nm angeregt wird (roter Pfeil in Abb 16) Daruumlber hinaus zeigt das Spektrum dass die beiden freien Elektronenpaare des Sauerstoffs stark unterschiedlichen Charakter besitzen (nur eines ist an dem n-π-Uumlbergang beteiligt das andere tritt im gegebenen Spektralbereich nicht in Erscheinung)

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Auf aumlhnliche Weise lassen sich alle MO-Schemata komplizierter Molekuumlle analysieren Lie-gen die Anregungsfrequenzen der Uumlbergaumlnge im sichtbaren Bereich so haben die Molekuumlle die Funktion von Farbstoffen Haumlufig besitzen sie dann laumlngere lineare Delokalisationsgebiete deren Elektronenspektren man dann auch in grober Naumlherung mit dem eindimensionalen Potentialtopfmodell beschreiben kann (s Kapitel 22) Werden Bindungselektronen angeregt und aumlndern sich im Verlauf der elektronischen Anre-gung die Bindungsverhaumlltnisse (beispielsweise bei Besetzung eines antibindenden Zustands) so ist mit der elektronischen Anregung zwangslaumlufig auch eine Aumlnderung des energetisch guumlnstigsten Bindungsabstands verbunden Damit einhergehend werden mechanische Schwin-gungen des Molekuumlls angeregt Mit den Molekuumllschwingungen verhaumllt es sich analog zu den elektronischen Zustaumlnden auch Molekuumllschwingungen existieren nur in bestimmten definierten Zustaumlnden die sich dann den elektronischen Zustaumlnden uumlberlagern (Abb 17) Die Folge davon ist dass die Elektronenspektren von Molekuumllen haumlufig keine scharfen Linien sondern breite Absorptionsbereiche (bdquoBandenldquo) aufweisen Alle Linien fuumlr die elektronischen Uumlbergaumlnge zerlegen sich demnach in eine Vielzahl von Einzellinien die verschiedene Schwingungszustaumlnde der benachbarten elektronischen Zustaumlnde miteinander verbinden (in Abb 17 sind exemplarisch neun verschiedene moumlgliche Uumlbergaumlnge eingezeichnet) Normaler-weise liegen alle diese Linien dicht beieinander so dass insgesamt eine verbreiterte Absorp-tionsbande entsteht

Ener

gie

elektronische Niveaus

Schwingungsniveaus

Abb 17 Zum Zustandekommen von breiten Absorptionsbanden in Elektronen-Schwingungsspektren Uumlberlagerung von elektronischen Uumlbergaumlngen mit Schwingungsuumlbergaumlngen Exemplarisch sind jeweils drei Schwingungsniveaus eingezeichnet

Das Elektronenspektrum eines Molekuumlls wird wegen der dazu verwendeten Frequenzbereiche im UV- und im sichtbaren (bdquovisibleldquo) Spektrum auch UV-vis-Spektroskopie genannt Die UV-vis-Spektroskopie dient neben der Aufklaumlrung der MO-Struktur auch der schnellen und bequemen Identifikation von chemischen Verbindungen Aufgrund ihrer im Absorptionsver-fahren sehr einfachen und preisguumlnstigen Messtechnik wird sie auch haumlufig in Kombination mit anderen analytischen Verfahren (zB der Chromatographie) verwendet Uumlber eine Bestim-mung der Intensitaumlt der Anregung kann auch eine quantitative Analyse einzelner Verbindun-gen erfolgen

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3 Das Zusammenwirken von Atomen und Molekuumllen 31 Der makroskopische Zustand von Materie Bisher sind nur einzelne Bausteine der Materie also Atome und Molekuumlle betrachtet worden Nun soll das makroskopische Erscheinungsbild von Materie ins Auge gefasst werden die aus einer Vielzahl von Atomen oder Molekuumllen besteht Um den Zustand dieser aus vielen Teilchen zusammengesetzten Materie uumlberhaupt als Gesamtheit zu beschreiben benoumltigt man zunaumlchst so genannte Zustandsparameter oder Zustandsgroumlszligen Die wichtigsten Vertreter dieser Kenngroumlszligen fuumlr makroskopische Materie sind die Stoffmenge n das Volumen V der Druck P und die Temperatur T

n Stoffmenge Die Stoffmenge wird uumlber die Teilchenzahl definiert

Einheit der Teilchenzahl 1 Mol

Definition Ein Mol eines Stoffes enthaumllt dieselbe Anzahl an Teilchen wie 0012 kg reiner Kohlenstoff des Isotops 12C (1 Mol 60221023

Teilchen) Dabei muss eindeutig festgelegt sein was unter einem Teilchen des Stoffes jeweils zu verstehen ist Ist die Stoffmenge konstant so spricht man von einem geschlossenen System

V Volumen Die Definition des Volumens erfolgt uumlber die festgelegte Laumlngeneinheit und den geometrischen Volumenbegriff

Einheit des Volumens 1 msup3

Definition Ein msup3 ist das Volumen eines wuumlrfelfoumlrmigen Raums mit einer Kantenlaumlnge von einem Meter Ist das Volumen konstant so spricht man von einem isochoren Vorgang

P Druck Die Definition erfolgt uumlber die Kraft die ein Stoff auf jede Flaumlcheneinheit eines ihn einschlieszligenden Behaumllters ausuumlbt

Einheit des Drucks 1 Pascal = 1 Pa = 1 Nmsup2 = 10-5 bar

Definition Ein Pascal ist der Druck bei dem auf jeden Quadratmeter der Behaumllterwaumlnde eine Kraft von 1 Newton ausgeuumlbt wird Ist der Druck konstant so spricht man von einem isobaren Vorgang

T Temperatur

Der sicherlich am schwierigsten fassbare Zustandsparameter makroskopischer Materie ist die Temperatur Zwar ist sie direkt mit der menschlichen Wahrnehmung verknuumlpft (kalt warm heiszlighellip) physikalisch jedoch zunaumlchst sehr undefiniert da sie nicht ohne weiteres auf andere physikalische Groumlszligen zuruumlckfuumlhrbar ist Am ehesten laumlsst sie sich im ersten Ansatz als diejenige Eigenschaft von Materie beschreiben die von einem Thermometer gemessen wird

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Zur Verwendung als Thermometer eignet sich prinzipiell jeder physikalische oder chemische Vorgang der reproduzierbar mit einer Temperaturaumlnderung verknuumlpft ist Klassisch sind dies insbesondere die Ausdehnungsvorgaumlnge von Gasen Fluumlssigkeiten und Festkoumlrpern (Abb 18)

Hg

Festkoumlrperthermometer werden gewoumlhnlich nach demPrinzip des Bimetall-Thermometers ausgelegt (ganzlinks) Dabei werden zwei verschiedene Festkoumlrper(zB zwei Bleche aus verschiedenen Metallen) flaumlchigmiteinander in Kontakt gebracht Bedingt durch dieunterschiedliche thermische Ausdehnung derMaterialien kruumlmmt sich das Bimetall-Blech abhaumlngigvon der Temperatur mehr oder weniger stark zu einerSpirale

Fluumlssigkeitsthermometer (Mitte) und Gasthermometer(rechts) nutzen die Volumenaumlnderung eines fluidenMediums mit der Temperatur Die Genauigkeit kannerhoumlht werden indem einem groszligvolumigen Vorrats-behaumllter ein relativ kleinvolumiger Ausdehnungs- undAblesebereich gegenuumlbergestellt wird

Abb 18 Thermometer die auf der Grundlage der temperaturbedingten Ausdehnung von Materie beruhen

In der Praxis kommen mehr und mehr die elektronischen Varianten der Temperaturmessung zum Zug die zumeist auf der Messung der Thermospannung basieren Neben der Messmetho-de ist die Festlegung einer Temperaturskala wichtig Dazu dienten zunaumlchst einige Fixpunkte die heute teilweise noch historische Bedeutung haben

1) Die tiefste Temperatur des Winters 17081709 in Danzig - 178 degC

2) Die Temperatur von schmelzendem Eis bei 760 Torr (760 Torr = 1 atm = 101 325 Pa) 0 degC

3) Koexistenztemperatur von Eis Wasser und Wasserdampf 001 degC (exakt)

4) Die durchschnittliche Koumlrpertemperatur eines gesunden Menschen 378 degC

5) Die Siedetemperatur des Wassers bei 760 Torr (1 atm = 101 325 Pa) 100 degC

Die Punkte 1 und 4 bildeten die Grundlage des Fahrenheit-Systems die Punkte 2 und 5 die der Celsius-Skala Bei beiden Systemen wurde der definierte Bereich zunaumlchst in 100 gleiche Teile (Grade) aufgeteilt dann extrapoliert Beide Definitionen wurden spaumlter verfeinert (Celsius 9999 Grade C zwischen den Fixpunkten 3 und 5 Fahrenheit 180 Grade F zwischen den Fixpunkten 1 und 5) Trotzdem mangelt es auszliger Punkt 3 allen genannten Fixpunkten an Genauigkeit und Reproduzierbarkeit

Das zweite Problem nach der Unvollkommenheit der Fixpunkte besteht in der Festlegung einer systemunabhaumlngigen linearen Teilung Gewoumlhnlich ist der Verlauf der Skala vom gewaumlhlten Medium abhaumlngig Eine lineare Teilung auf der Skala eines Quecksilber-thermometers entspricht daher nicht einer linearen Teilung auf der Skala eines Alkoholthermometers da die Ausdehnung bei jedem Medium in unterschiedlicher Weise von der Temperatur abhaumlngt

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Beide Probleme sowohl die Wahl der passenden Fixpunkte als auch die Definition einer sinnvollen linearen Teilung werden heute durch die Festlegung der so genannten absoluten Temperaturskala geloumlst Grundlage hierfuumlr sind uumlbereinstimmende Beobachtungen an Gasthermometern

-300 -200 -100 0 100 200

V

T

-27315degCBei wiederholten Messungen mit verschiedenenGasthermometern verschiedenen Gasen undGasvolumina und bei verschiedenen Drucken stelltman fest dass sich die Verlaumlngerungen aller in denjeweiligen Diagrammen erhaltenen Linien in einemPunkt schneiden Dieser Punkt entspricht auf derVolumenachse dem Wert V = 0 und auf derTemperaturachse dem Wert T = -27315 degC

Abb 19 Ausdehnungskurven verschiedener Gase Die Temperaturskala ist zunaumlchst noch in Celsius aufgetragen

Aus dieser Beobachtung wurde geschlossen dass der Temperatur am gemeinsamen Schnitt-punkt aller Ausdehnungskurven eine besondere physikalische Bedeutung zukommt und sie sich daher als Fixpunkt einer neuen Temperaturskala eignet Weiterhin wurde festgestellt dass zwar alle Gase in ihrem Ausdehnungsverhalten von dem linearen Verlauf abweichen dass aber unter bestimmten Umstaumlnden (zB niedriger Druck) ein gemeinsamer Verlauf angestrebt wird den man auch als idealen Verlauf bezeichnen koumlnnte Am besten funktioniert das bei Helium unter schrittweise absinkenden Drucken dessen Verhalten sich fuumlr P rarr 0 zum idealen Verhalten extrapolieren laumlsst Diese Erkenntnis diente zur Definition einer absoluten Temperaturskala in Kelvin

1) Unterer Fixpunkt Schnittpunkt der Volumenexpansionskurven bdquoidealerldquo Gase (zB Helium fuumlr den Grenzfall Prarr0) 0 Kelvin

2) Oberer Fixpunkt Koexistenztemperatur von Eis Wasser und Wasserdampf 27316 Kelvin

3) Das Volumen eines bdquoidealenldquo Gases (zB Helium fuumlr den Grenzfall Prarr0) ist bei konstantem Druck proportional zur Temperatur und definiert die lineare Teilung der Temperaturskala

Gemaumlszlig dieser Definition ist jede beliebige Temperatur unter Nutzung eines bdquoidealenldquo Gasther-mometers auf der absoluten Kelvin-Skala eindeutig festgelegt Die Verwendung der Kelvin-Skala ist gegenuumlber der Nutzung klassischer Temperatursysteme bei der Beschreibung physi-kalischer Vorgaumlnge eindeutig von Vorteil Vorgaumlnge bei denen die Temperatur konstant ist nennt man isotherm Mit der Definition der wichtigsten Zustandsparameter Teilchenzahl n Volumen V Druck P und Temperatur T besteht nun die Moumlglichkeit das Verhalten makroskopischer Materie zu beschreiben Am einfachsten gelingt das im Fall von Gasen

32 Zustandsgleichung fuumlr Gase die ideale Gasgleichung

Gleichungen welche die Zustandsparameter wie n V T und P miteinander verknuumlpfen nennt man Zustandsgleichungen Sie beschreiben das Verhalten einer aus vielen einzelnen Teilchen bestehenden Materie hinsichtlich ihrer makroskopisch messbaren Groumlszligen Am

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einfachsten sind solche Zustandsgleichungen fuumlr Gase aufzustellen Untersucht man bei Gasen systematisch den Zusammenhang zwischen n V P und T so stellt man fest dass fuumlr alle Gase in mehr oder weniger guter Naumlherung folgende einfache Gleichung erfuumlllt isthellip

P ∙ V = n ∙ R ∙ T

hellipwobei R fuumlr die so genannte ideale Gaskonstante steht (R asymp 8314 J K-1 Mol-1) Diese Glei-chung auch bdquoideale Gasgleichungldquo genannt ist ein so genanntes Grenzgesetz kein real exis-tierendes Gas erfuumlllt es genau aber alle Gase kommen ihm recht nahe insbesondere bei hohen Temperaturen und niedrigen Druumlcken Eine Gleichung dieser Form nennt man auch Zustands-gleichung da sie Zustandsparameter miteinander verbindet Grafisch laumlsst sich diese Verknuumlp-fung in einem einfachen Diagramm darstellen bei dem jede Kombination von T und V genau einem Wert fuumlr P zugeordnet ist (Abb 20)

P

V

T

Abb 20 Auftragung von P gegen T und V nach der idealen Gasgleichung

Wir wissen nun dass die Gase aus einer Vielzahl von Teilchen (Atomen oder Molekuumllen) bestehen Wie laumlsst sich das durch die ideale Gasgleichung beschriebene Verhalten nun mit dieser Tatsache in Einklang bringen Was bedeuten eigentlich die Parameter Druck und Tem-peratur fuumlr ein Gas das sich aus vielen einzelnen Atomen und Molekuumllen zusammensetzt Um makroskopische Zustandsparameter uumlberhaupt mit der Teilchenwelt verknuumlpfen zu koumlnnen benoumltigen wir eine Modellvorstellung fuumlr das mechanische Zusammenwirken der Teilchen im Fall von Gasen das so genannte kinetische Gasmodell

33 Das kinetische Gasmodell

Bei den im vorhergehenden Kapitel aufgefuumlhrten Gasgesetzen handelt es sich um mathemati-sche Beschreibungen von makroskopisch beobachtbaren Vorgaumlngen Zur Interpretation der Gasgesetze auf molekularer Ebene wurden verschiedene Modelle vorgeschlagen Das erfolg-reichste unter ihnen war das sogenannte kinetische Gasmodell Es beruht auf der Vorstellung dass ein Gas aus einer Vielzahl von Teilchen besteht die folgende Bedingungen erfuumlllen

1) Sie besitzen eine Atom- oder Molmasse M einen endlichen Durchmesser d und befinden sich in staumlndiger und ungeregelter Bewegung

2) Die Groumlszlige der Teilchen ist im Verhaumlltnis zum freien Volumen vernachlaumlssig-bar

3) Zwischen den Teilchen finden elastische Stoumlszlige statt Ansonsten existieren keine weiteren Wechselwirkungen unter den Teilchen

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Nach der kinetischen Gastheorie besteht der Druck eines Gases aus der Summe aller Kraumlfte (pro Flaumlcheneinheit) die durch auf eine Flaumlche aufprallende Gasteilchen (bzw durch deren Impulsaumlnderung) ausgeuumlbt werden (Abb 21)

Vx t

Abb 21 Links schematische Darstellung der Impulsaumlnderung bei dem Auftreffen eines Gasteilchens auf der Gefaumlszligwand Viele solche Stoumlszlige fuumlhren in der Summe zum Entstehen einer messbaren dem Gasdruck zugeordneten Kraft Rechts Die Geschwindigkeitskomponente vx der Teilchen bestimmt nicht nur die Groumlszlige der Impulsaumlnderung sondern auch die Zahl der Teilchen die pro Zeiteinheit auf die Wand stoszligen Daher geht die Geschwindigkeit der Teilchen bei der Berechnung des Drucks insgesamt quadratisch ein

Dabei wird zunaumlchst davon ausgegangen dass alle Teilchen die gleiche Geschwindigkeits-komponente vx aufweisen Diese Geschwindigkeitskomponente bestimmt zum einen die Heftigkeit der Stoumlszlige zum anderen wie viele Gasteilchen pro Zeiteinheit auf die Wand prallen Insgesamt haumlngt der Druck damit vom Quadrat der Geschwindigkeitskomponente vxab Fuumlhrt man nun ein mittleres Geschwindigkeitsquadrat csup2 ein (mit vxsup2 = 13 csup2) so erhaumllt man fuumlr den an dem beweglichen Kolben spuumlrbaren Druck die Gleichung

P = 13 M csup2 (nV) oder in der Schreibweise der idealen Gasgleichung P V = 13 n M csup2 Der Druck ist nach dem kinetischen Gasmodell also die Folge einer Vielzahl von Stoumlszligen welche die Teilchen gegen die Behaumllterwaumlnde ausfuumlhren Er ist folglich proportional zur Mas-se der Teilchen (je schwerer die Teilchen desto heftiger die Stoumlszlige) zum mittleren Geschwin-digkeitsquadrat (die Geschwindigkeit der Teilchen bestimmt zum einen die Haumlufigkeit zum anderen die Heftigkeit der Stoumlszlige) und zur Zahl der Teilchen pro Volumeneinheit (womit wie nach der idealen Gasgleichung zu erwarten P umgekehrt proportional zu V ist) Die Bedeutung der Temperatur im kinetischen Gasmodell ist dagegen zunaumlchst unklar Mit der idealen Gasgleichung P V = n R T ergibt sich aber durch Koeffizientenvergleich n R T = 13 n M csup2 oder R T = 13 M csup2 Man kann unter Nutzung beider Gasmodelle so zu einem neuen teilchenbezogenen Verstaumlnd-nis des Phaumlnomens Temperatur kommen Die Temperatur eines Gases ist demnach direkt proportional zum mittleren Geschwindigkeitsquadrat der Gasteilchen oder in anderen Worten zu deren kinetischer Energie 12 M csup2 Dies ist fuumlr das Verstaumlndnis des Phaumlnomens Temperatur von groszliger Bedeutung Man kann die Temperatur eines Gases also messen indem man (bei bekannter Masse der Teilchen) die Geschwindigkeit der Gasteilchen bestimmt Die Wurzel aus dem mittleren Geschwindigkeits-quadrat also die Groumlszlige c liegt uumlblicherweise in der Groumlszligenordnung der Schallgeschwindig-keit (zum Beispiel fuumlr Stickstoff bei Raumtemperatur c = 516 ms) und steht zu ihr in einer

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festen Beziehung Tatsaumlchlich laumlsst sich die Temperatur auch uumlber eine Messung der Schall-geschwindigkeit ermitteln Nachdem das mittlere Geschwindigkeitsquadrat der Teilchen bekannt ist stellt sich die Frage nach der Geschwindigkeitsverteilung der Teilchen Die Bewegungsenergie der Teilchen ist wie alle anderen Energieformen (zB elektronische Energie Schwingungsenergie) gequantelt Das bedeutet dass sich die Teilchen auf (hier dicht gestaffelte) Energieniveaus verteilen muumlssen Sie tun das nach einem statistischen Grundprinzip das Boltzmann-Verteilung genannt wird Demnach ist die Besetzung pi eines Energieniveaus i (egal welcher Art die Energie Ei ist) stets proportional zum so genannten Boltzmannfaktor des Zustand i Es gilt

pi ~ exp[-Ei(kBT)]

Die darin enthaltene Boltzmannkonstante kB ist nichts anderes als die allgemeine Gas-konstante R (siehe unter 32) dividiert durch die Zahl NL der Teilchen in einem Mol Substanz (kB = RNL) Das bedeutet die Besetzung eines Zustands ist umso wahrscheinlicher je niedriger dessen Energie ist Steigende Temperatur T hingegen erhoumlht die Wahrscheinlichkeit energiereicher Zustaumlnde Diese Gesetzmaumlszligigkeit gilt fuumlr die Besetzung aller auf atomarer oder molekularer Ebene gegebener Zustaumlnde in einem makroskopischen System Angewandt auf die Bewegungsenergie von Gasteilchen in einer einzelnen Raumrichtung x bedeutet das dass Teilchen mit hoher Geschwindigkeit vx weniger wahrscheinlich sind als solche mit niedriger Geschwindigkeit vx Allerdings steigt die Wahrscheinlichkeit des Auftretens groszliger Werte fuumlr vx mit steigender Temperatur Teilt man den Bereich der auftretenden Geschwindigkeiten in Intervalle auf und zaumlhlt man die Teilchen die gemaumlszlig ihrer Geschwindigkeit zu den einzelnen Intervallen zugeordnet werden koumlnnen so ergibt sich fuumlr die Geschwindigkeitsverteilung in vx und v das Bild das in Abb 22 oben dargestellt ist Die Verteilungsfunktionen fuumlr die Geschwindigkeiten in y- und z-Richtung sind identisch

n(vx)

vx-Intervall

n(vx)

vx-Intervall

Temperatur-erhoumlhung

- 0 +- 0 +n(v)

v-Intervall

Temperatur-erhoumlhung

0 +

n(v)

v-Intervall0 +

Abb 22 Verteilungsfunktionen einer eindimensionalen Geschwindigkeitskomponente (oben) und der Gesamtgeschwindigkeit (unten)

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Betrachtet man die Verteilung n(v) der Gesamtgeschwindigkeit v im dreidimensionalen Raum so wird das Bild komplizierter Bezuumlglich der drei Raumrichtungen x y und z sind weiterhin die kleinen Geschwindigkeiten wahrscheinlicher als die groszligen Da nun aber fuumlr eine groszlige Gesamtgeschwindigkeit v mehr Kombinationsmoumlglichkeiten vx vy vz existieren als fuumlr kleine Gesamtgeschwindigkeiten so wird die Wahrscheinlichkeit fuumlr sehr geringe Gesamtgeschwindigkeiten entsprechend kleiner fuumlr groszlige Gesamtgeschwindigkeiten entsprechend groumlszliger Der daraus resultierende Gewichtungsfaktor fuumlr jedes v ist die relative Flaumlche der Kugelschale mit dem Radius v Insgesamt ergeben sich dann die in Abb 22 unten dargestellten Verteilungsfunktionen fuumlr niedrige und hohe Temperaturen Die Verteilungsfunktionen in vx und v lauten (ohne Herleitung)

f(vx) = [M(2RT)]12 exp [-Mvxsup2(2RT)]

f(v) = 4 [M(2RT)]32 vsup2 exp [-Mvsup2(2RT)] Der Mittelwert von vx (oder jeder anderen eindimensionalen Geschwindigkeitskomponente) ist grundsaumltzlich Null Dagegen besitzt der Mittelwert von v stets eine endliche von Null verschiedene Groumlszlige Bei einer Erhoumlhung der Temperatur werden alle Verteilungsfunktionen breiter der Mittelwert von v vergroumlszligert sich Die Temperatur eines Gases aumluszligert sich also nicht nur im mittleren Geschwindigkeitsquadrat sondern auch in der Form der Geschwindigkeitsverteilungsfunktion Bei der Mischung von Gasen unterschiedlicher Temperatur muss um die oben genannte Forderung zu erfuumlllen aus der einfachen Summe von zwei Verteilungsfunktionen eine neue der Mischtemperatur ent-sprechende Verteilungsfunktion entstehen Dies ist nur unter der Annahme moumlglich dass ein Austausch kinetischer Energie unter den Teilchen erfolgen kann Diese Tatsache bedingt die eingangs gestellte Forderung nach Teilchenstoumlszligen also Wechselwirkungen zwischen den Teilchen Damit muumlssen die Gasteilchen aber auch ein gewisses Volumen besitzen den Teil-chen ohne Eigenvolumen koumlnnen prinzipiell nicht zusammenstoszligen Darin besteht der we-sentliche Unterschied zwischen einem Gas nach dem kinetischen Gasmodell und dem idealen Gas Das ideale Gas koumlnnte man theoretisch auf ein beliebig kleines Volumen komprimieren bei einem kinetischen Gas ist dies aufgrund des Eigenvolumens nicht moumlglich Ansonsten erlaubt das kinetische Gasmodell die vollstaumlndige Interpretation der idealen Gasgleichung

34 Die korrigierte Gasgleichung nach van der Waals JD van der Waals

Mithilfe des kinetischen Gasmodells laumlsst sich die Zustandsgleichung fuumlr Gase weiter verfeinern Zunaumlchst soll beruumlcksichtigt werden dass die Teilchen ein eigenes Volumen besitzen In erster Naumlherung geschieht dies indem man ein vom Eigenvolumen der Gas-teilchen abgeleitetes minimales Volumen des Gases (das so genannte Covolumen) definiert Das Covolumen beschreibt dasjenige Volumen des Gases das bei staumlndigem mechanischem Kontakt zwischen jeweils zwei Teilchen eingenommen wird wenn man den Teilchenpaaren jeweils den sie umschreibenden kugelfoumlrmigen Raum zuordnet (wegen der geringen Wahr-scheinlichkeit von Dreierstoumlszligen kann die Bildung von Dreiergruppen ausgeschlossen werden) Das molare Covolumen b entspricht wenn man eine einfache geometrische Uumlberlegung an-setzt dem vierfachen Eigenvolumen eines Mols der Gasteilchen Um das tatsaumlchliche freie

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Volumen zu erhalten muss das n-fache Covolumen vom gegebenen Volumen abgezogen werden Damit wird aus der idealen Gasgleichung P V = n R T die erste korrigierte Version P (V - n b) = n R T Im zweiten Schritt soll nun uumlber das kinetische Gasmodell hinausgehend auch die anziehen-de Wechselwirkung zwischen den Teilchen beruumlcksichtigt werden Die Anziehung zwischen den Teilchen sorgt nach van der Waals fuumlr einen zusaumltzlichen nach auszligen nicht messbaren bdquoBinnendruckldquo Dieser Binnendruck ist proportional zum Quadrat der Teilchendichte (nV)sup2 Der zwischen den Teilchen tatsaumlchlich wirkende nach auszligen ebenfalls unmessbare Gesamt-druck ist dann gegeben als

Pgesamt (unmessbar) = P (messbar) + a (nV)sup2

mit einer fuumlr die anziehende Wechselwirkung charakteristischen Konstante a Die danach korrigierte Version der Gasgleichung die van-der-Waals-Gleichung fuumlr reale Gase lautet

[P + a (nV)sup2] (V - nb) = n R T

Die Konstanten b und a besitzen fuumlr jedes reale Gas charakteristische Werte die dessen Eigenvolumen (die Groumlszlige der Elektronenhuumllle) und die Staumlrke der intermolekularen Wechsel-wirkungen reflektieren Beispiele

Gas a b

Argon 01345 Pa m6Molsup2 32210-5 msup3Mol Kohlendioxid 03592 Pa m6Molsup2 426710-5 msup3Mol Helium 00034 Pa m6Molsup2 23710-5 msup3Mol Stickstoff 01390 Pa m6Molsup2 391310-5 msup3Mol Wasser 05573 Pa m6Molsup2 31010-5 msup3Mol

Der Parameter b spiegelt mit der Einheit msup3Mol weitgehend die Groumlszlige der einzelnen Teilchen (Atome oder Molekuumlle) wider So besitzt erwartungsgemaumlszlig Kohlendioxid oder Argon einen groumlszligeren Wert fuumlr b als beispielsweise Helium Allerdings sind die Unterschiede erstaunlich klein was auf die Tatsache zuruumlckzufuumlhren ist dass sich das Covolumen auf Teilchenpaare bezieht und ein Paar aus Kohlendioxidmolekuumllen gegenuumlber einem Paar aus Heliumatomen nur etwa das doppelte Volumen benoumltigt

Der Parameter a mit der Einheit Pascal mal Molvolumen zum Quadrat reflektiert die Staumlrke der Wechselwirkungen zwischen den Teilchen Diese Wechselwirkungen beruhen zum groszligen Teil auf den elektrischen Eigenschaften der Teilchen Diese wiederum sind mit der elektronischen Struktur der Atome beziehungsweise der chemischen Bindungen verknuumlpft Am wichtigsten ist dabei das in Kapitel 19 erwaumlhnte Dipolmoment Polare Bindungen koumlnnen zu Teilchen mit permanenten Dipolen fuumlhren (zB HF Wasser Ammoniak CO) Andere Molekuumlle oder Atome sind zwar unpolar koumlnnen aber spontan oder durch aumluszligere

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elektrische Felder polarisiert werden (zB He Ar molekularer Wasserstoff molekulares Chlor) Man spricht dann von polarisierbaren Teilchen mit einem spontanen Dipolmoment oder mit einem durch ein aumluszligeres Feld bewirkten induzierten Dipolmoment In all diesen Faumlllen sind anziehende Wechselwirkungen zwischen den Teilchen moumlglich die in dem Parameter a zusammengefasst werden Daruumlber hinaus koumlnnen sich auch voruumlbergehende chemische Bindungen ausbilden Das prominenteste Beispiel fuumlr diesen Fall ist die bekannte Wasserstoffbruumlckenbindung die bei polaren X-H-Bindungen auftreten kann Im Einzelnen werden demnach folgende Arten von Wechselwirkungen mit absteigender Intensitaumlt unter-schieden

a) Wasserstoffbruumlckenbindung X-H hellip Y Hierbei bildet sich voruumlbergehend eine chemische Bindung zwischen dem polar gebundenen Wasserstoff und einem elektronegativen und mit einem freien Elektronenpaar ausgestatteten Element Y

b) Wechselwirkungen zwischen permanenten Dipolen hier besitzen alle Teilchen ein permanentes Dipolmoment Zwischen den entgegengesetzt geladenen Enden der Teilchen bauen sich dann konstant anziehende elektrostatische Wechselwir-kungen auf

c) Wechselwirkungen zwischen permanenten und induzierten Dipolen die Teil-chen mit permanentem Dipolmoment induzieren ein voruumlbergehendes Dipol-moment bei den benachbarten (zunaumlchst unpolaren) Teilchen In der Folge ergibt sich eine anziehende elektrostatische Wechselwirkung

d) Wechselwirkungen zwischen induzierten Dipolen durch spontane Polarisierung eines Teilchens entsteht ein voruumlbergehendes Dipolmoment welches bei einem benachbarten Teilchen eine Polarisierung hervorruft In der Folge ergibt sich eine kurzfristige und sehr schwache elektrostatische Anziehung zwischen den Teilchen Man spricht dabei auch von der Dispersionswechselwirkung oder der Londonschen Wechselwirkung

Alle diese Effekte sind anziehender Natur und gehen damit in den Parameter a ein Fasst man die beiden Parameter a und b zusammen so entsteht mit der van-der-Waals-Gleichung eine recht zuverlaumlssige Zustandsgleichung fuumlr reale Systeme die sowohl die abstoszligenden als auch die anziehenden Wechselwirkungen beruumlcksichtigt

Ein guter Test fuumlr diese reale Zustandsgleichung ist die Berechnung eines Diagramms von P gegen V fuumlr verschiedene Temperaturen das so genannte P-V-Diagramm und die Gegen-uumlberstellung mit dem entsprechenden experimentellen P-V-Diagramm eines realen Gases Gemaumlszlig der van-der-Waalsrsquoschen Gleichung existieren abhaumlngig von der betrachteten Tempe-ratur drei Typen von Isothermen (Abb 23 links) solche die einer Hyperbel aumlhneln (1) eine einzelne Isotherme die einen Wendepunkt mit waagrechter Tangente besitzt (2) und solche die ein Minimum ein Maximum und einen Wendepunkt aufweisen (3) Das experimentell beobachtete Verhalten stimmt in den ersten beiden Faumlllen recht gut uumlberein weicht aber bei Isothermen des dritten Typs deutlich vom berechneten Verlauf ab (Abb 23 rechts)

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P

V

PV-Diagramm nachvan-der-Waals-Gleichung

1 2

3

P

V

3

experimentell bestimmtesPV-Diagramm f reales Gas

Abb 23 PV-Diagramme fuumlr reale Gase berechnet nach van der Waals (links) und experimentell bestimmt (rechts) Die drei typischen Formen der Isothermen (1 2 und 3) sind im Text beschrieben

Offensichtlich beschreibt die van-der-Waals-Gleichung das Verhalten eines realen Gases in der Umgebung des Wendepunkts weniger gut Experimentell stellt man allerdings fest dass in diesem Bereich tatsaumlchlich auch kein reines Gas sondern vielmehr eine Mischung aus einem Gas und einer kondensierten Fluumlssigkeit also ein Zweiphasenzustand vorliegt Dieser Zwei-phasenbereich beginnt am Wendepunkt der Isothermen des Typs 2 und schlieszligt alle Minima Maxima und Wendepunkte der Isothermen des Typs 3 ein (Abb 24 links)

P

V

Zweiphasen-gebiet

P

V

Zweiphasen-gebiet

Maxwell-Maxwell-KorrekturKorrektur

Zweiphasen-Gebiet

Zweiphasen-Gebiet

A1

A2

Abb 24 PV-Diagramme fuumlr reale Gase mit eingezeichnetem Zweiphasengebiet Der in diesem Bereich bei der Beschreibung nach van der Waals gegebene Fehler kann in guter Naumlherung durch die Maxwell-Korrektur kompensiert werden

Eine einfache Korrektur der van-der-Waals-Gleichung ermoumlglicht eine realistische Beschrei-bung des Zweiphasengebiets Eine horizontale Gerade wird so in der Naumlhe des Wendepunktes gelegt dass die oberhalb und unterhalb der Geraden im Zweiphasenbereich gebildeten Teilflaumlchen A1 und A2 die gleiche Groumlszlige besitzen (sog Maxwell-Korrektur s Abbildung 24 rechts) Dies sieht zwar nach einer etwas willkuumlrlichen Hilfskonstruktion aus trotzdem laumlsst sich damit das Verhalten eines realen Gases im Zweiphasengebiet sehr gut nachvollziehen und vorhersagen Eine besonders ausgewiesene Position im PV-Diagramm eines realen Gases ist der Scheitel-punkt des Zweiphasengebiets der durch den Wendepunkt der Isotherme des Typs 2 gebildet wird (Abb 25)

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P

V

Zweiphasen-gebiet Tc

Pc

Vc

kritischer Punkt

Jedes reale Gas besitzt einen sogenannten kritischenPunkt der durch die kritischen Zustandsgroumlszligen Tc Pc undVc beschrieben wird Die kritische Temperatur Tc istdiejenige Temperatur bei der sich ein Gas unter Druckgerade noch verfluumlssigen laumlszligt Oberhalb der kritischenTemperatur existiert kein fluumlssiger Zustand Derentsprechende Druck Pc wird als kritischer Druckbezeichnet

Die Isotherme die der kritischen Temperatur zugeordnetist besitzt als einzige einen Wendepunkt mit horizontalerTangente der gleichzeitig den kritischen Punkt markiert

Abb 25 PV-Diagramm fuumlr ein reales Gas mit kritischem Punkt

Dieser sogenannte kritische Punkt wird durch die kritische Temperatur Tc den kritischen Druck Pc und das kritische Molvolumen Vc festgelegt Zustaumlnde oberhalb des kritischen Punkts nennt man uumlberkritisch Uumlberkritisches Kohlendioxid besitzt in der Technik groszlige Bedeutung fuumlr das Loumlsen und Ausfaumlllen von pharmazeutischen Wirkstoffen (zB Aspirin fuumlr Brausetabletten) fuumlr die Extraktion (zB bei der Entkoffeinierung von Kaffee) oder zur chemischen Reinigung von Textilien

35 Andere Zustandsgleichungen fuumlr reale Gase

Neben der van-der-Waals-Gleichung existieren weitere Ansaumltze zur Beschreibung realer Gase die zwar eine genauere Anpassung an die gemessenen Werte ermoumlglichen aber auch kompli-zierter sind oder mehr Arbeit bei der Bestimmung der charakteristischen Parameter erfordern Im Folgenden seien als Beispiele die Berthelot-Gleichung und die Virialgleichung erwaumlhnt

a Berthelot-Gleichung (P + (Ansup2)(TVsup2) ) (V - nB) = n R T Berthelot fuumlhrte damit als Besonderheit einen temperaturabhaumlngigen Binnendruck ein Dies ist insoweit physikalisch gerechtfertigt als die vermehrte thermische Bewegung der Ausbildung von Wechselwirkungen zwischen den Molekuumllen entgegenwirken kann

b Virialgleichung P Vm = A + B P + C Psup2 + D Psup3 + Mit Vm = Vn Die Virialgleichung nutzt die Tatsache dass sich fast alle physikalischen Zusammenhaumlnge uumlber einen Potenzreihenansatz a + bx + cxsup2 + dxsup3 + hellip beliebig genau annaumlhern lassen Je nach Anzahl der anpassbaren Parameter ist zwar eine beliebig genaue Beschreibung des realen Gases moumlglich allerdings steigt auch der Aufwand fuumlr die Bestim-mung aller Koeffizienten

36 Beschreibung von Fluumlssigkeiten

Im PV-Diagramm der realen Gase schlieszligt sich links vom Zweiphasengebiet der Bereich der fluumlssigen Phase an Sie zeichnet sich dadurch aus dass mit sinkendem Volumen der Druck ex-trem steil ansteigt Das bedeutet dass bereits eine geringfuumlgige Volumenabnahme mit einem aumluszligerst groszligen Druckanstieg verbunden ist In der Praxis hat das zur Folge dass Fluumlssigkeiten im Gegensatz zu Gasen kaum komprimierbar sind ihre Kompressibilitaumlt geht gegen Null Auch ist die Ausdehnung der Fluumlssigkeiten bei steigender Temperatur und bei konstantem

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Druck (der thermische Ausdehnungskoeffizient) sehr viel kleiner als bei Gasen Eine einfache allgemeine Zustandsgleichung fuumlr die fluumlssige Phase in Analogie zur idealen oder zur van-der-Waals-Gleichung existiert nicht Stattdessen findet man bei der experimentellen Bestimmung des Zusammenhangs zwischen P V und T fuumlr jede Fluumlssigkeit ein sehr charakteristisches Verhalten Vergleicht man die Messergebnisse verschiedener Fluumlssigkeiten untereinander so sind kaum Aumlhnlichkeiten auszumachen Daruumlber hinaus sind bestimmte Messungen (zB die Messung der Abhaumlngigkeit des Drucks vom Volumen bei konstanter Teilchenzahl und Temperatur) technisch sehr schwer zu realisieren Das Fehlen einer einheitlichen Zustandsgleichung V(TPn) fuumlr Fluumlssigkeiten liegt auch in deren komplexer Struktur begruumlndet Betrachtet man ein einzelnes Teilchen in der Fluumlssigkeit so liegt es bezuumlglich der Abstaumlnde zu seinen naumlchsten Nachbarn stets in der Naumlhe des Mini-mums einer Potentialkurve Epot(r) die einen sehr steilen Verlauf besitzt Die Abstaumlnde zu den benachbarten Teilchen sind damit nahezu fixiert folglich ist eine unabhaumlngige Translations-bewegung einzelner Teilchen praktisch unmoumlglich Stattdessen verlaufen alle Bewegungs-prozesse mehr oder weniger kollektiv also unter gleichzeitiger Verschiebung mehrerer Teilchen Daruumlber hinaus gibt es keine nennenswerten freien Volumina so dass der mittlere Abstand der Teilchen nur unwesentlich verringert werden kann ein Umstand der sich in der bereits erwaumlhnten geringen Kompressibilitaumlt aumluszligert Ein Modell fuumlr eine allgemeine Fluumlssigkeit laumlsst sich im Rahmen einer Computersimulation einfuumlhren Man betrachtet dabei einen wuumlrfelfoumlrmigen Raum der einen Ausschnitt aus dem Fluumlssigkeitsvolumen darstellen soll und eine endliche Anzahl n von Fluumlssigkeitsteilchen (zB n = 1000) enthaumllt Um die Zahl der Teilchen konstant zu halten und dabei trotzdem deren Beweglichkeit zu wahren wird eine Kontinuitaumltsbedingung eingefuumlhrt Jedes Teilchen das im Rahmen der Bewegungsprozesse den Wuumlrfel an einer gegebenen Stelle verlaumlsst tritt automatisch an der genau gegenuumlberliegenden Position des Wuumlrfels wieder ein Auf diese Weise ist gewaumlhrleistet dass die Zahl der Teilchen im Wuumlrfel konstant bleibt (Abb 26)

Abb 26 Simulation von Bewegungs-vorgaumlngen in einem Fluumlssigkeitsvolumen unter Wahrung einer konstanten Partikel-anzahl Jedes Teilchen das im Rahmen der Bewegungsprozesse den Wuumlrfel an einer gegebenen Stelle verlaumlsst tritt automatisch an der genau gegenuumlberliegenden Position des Wuumlrfels wieder ein

An diesem System fuumlhrt man nun eine so genannte Monte-Carlo-Simulation durch Dabei setzt ein Zufallsgenerator eine geringfuumlgige Verschiebung eines beliebigen einzelnen Teil-chens in Gang Anschlieszligend wird unter Verwendung des bekannten Potentialverlaufs Epot(r) berechnet wie sich nach der Verschiebung die potentielle Energie des Systems veraumlndert hat Danach entscheidet das Simulationsprogramm zwischen zwei Moumlglichkeiten

- Hat sich die gesamte potentielle Energie des Systems durch die Verschiebung verringert oder blieb sie konstant so wird die Verschiebung akzeptiert und der naumlchste Schritt berechnet - Hat sich die gesamte potentielle Energie durch die Verschiebung um den positiven Wert E erhoumlht so wird die Verschiebung mit einer Wahrscheinlichkeit die von E abhaumlngt akzeptiert und ansonsten verworfen Danach wird der naumlchste Schritt berechnet

Auf diese Weise kann man fuumlr beliebige Fluumlssigkeiten sowohl die typischen Bewegungs-prozesse als auch die einflussbedingten Veraumlnderung von Zustandsgroumlszligen (zB P in Ab-

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haumlngigkeit von V) berechnen Allerdings sind die Rechnungen bei den fuumlr eine realistische Beschreibung eines Fluumlssigkeitsvolumens notwendigen groszligen Teilchenzahlen sehr aufwaumlndig und zeitintensiv

37 Beschreibung von Festkoumlrpern

Begibt man sich im P-V-Diagramm vom fluumlssigen Zustand ausgehend noch weiter nach links (zu kleineren Volumina houmlheren Drucken und niedrigeren Temperaturen) so erreicht man den festen Zustand Die Problematik der Zustandsgleichung V(TPn) von Festkoumlrpern aumlhnelt jener der Fluumlssigkeiten Auch hier sind die Kompressibilitaumlten und die thermischen Aus-dehnungskoeffizienten uumlblicherweise sehr viel geringer als bei Gasen Ebenso wie bei Fluumls-sigkeiten sind dabei die Unterschiede zwischen einzelnen Vertretern der Festkoumlrper recht groszlig so dass keine gemeinsame Zustandsgleichung wie bei Gasen formuliert werden kann Im Vergleich mit den Werten der Fluumlssigkeiten sind die Kompressibilitaumlten und die thermischen Ausdehnungskoeffizienten der Festkoumlrper durchschnittlich nochmals um etwa zwei Groumlszligen-ordnungen geringer

Abb 27 Torsionsexperiment zur Unterscheidung zwischen Fluumlssigkeiten und Festkoumlrpern (s Text)

Der wesentliche Unterschied zwischen Festkoumlrpern und Fluumlssigkeiten besteht allerdings in ihrem gegensaumltzlichen Verhalten bezuumlglich Verformung waumlhrend Fluumlssigkeiten einer gege-benen Verformung durch ihre Zaumlhigkeit (Viskositaumlt) Widerstand leisten reagiert ein Fest-koumlrper auf eine Verformung durch eine elastische Deformation Dieses Verhalten wird in einem Torsionsrheometer deutlich wobei eine feste oder fluumlssige Probe periodisch mit einer torsionsartigen Verformung beaufschlagt wird (Abb 27) Waumlhrend der Drehmomentverlauf des Festkoumlrpers exakt gleichphasig zur periodischen Aus-lenkung erfolgt (elastische Verformung) ist der Drehmomentverlauf der Fluumlssigkeit dazu um ein Viertel einer Wellenlaumlnge phasenverschoben (viskose Reaktion) Bei Fluumlssigkeiten ist der Widerstand dann maximal wenn die Deformationsgeschwindigkeit maximal ist (blaue Linie

t

Dre

hmom

entv

erla

uf

tAusl

enku

ng

Festkoumlrper

t

Dre

hmom

entv

erla

uf

Fluumlssigkeiten

Pruumlfkoumlrper

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in Abb 26) Bei Festkoumlrpern ist die Kraft dann maximal wenn der Deformationszustandmaximal ist (rote Linie in Abb 27) Viele Festkoumlrper stellen Uumlbergaumlnge zwischen diesen beiden Extremfaumlllen dar und werden dann als viskoelastisch bezeichnet Aus der Betrachtung von Messergebnissen an einer Viel-zahl von Materialien geht hervor dass eine eindeutige Abgrenzung zwischen dem fluumlssigen und dem festen Zustand selten moumlglich ist Entsprechend gibt es auch unterschiedliche Strukturmodelle die teilweise das elastische Verhalten teilweise das plastische Verhalten von Festkoumlrpern erklaumlren Dem elastischen Festkoumlrper mit nahezu verschwindender Phasen-verschiebung wird am ehesten das Modell eines idealen Kristalls gerecht Man geht dabei davon aus dass jedes Atom bzw Molekuumll aus dem der Festkoumlrper zusammengesetzt ist sich an einem geometrisch festgelegten Gitterpunkt befindet von dem es sich nicht entfernen kann Als Bewegungsprozess ist dabei lediglich eine Schwingung mit begrenzter Amplitude moumlglich Die denkbaren Geometrien der Gitterstrukturen reichen von primitiv-kubischen Gittern (zB Natriumchlorid) uumlber kubisch-dichteste (zB Silber Kupfer) und hexagonal-dichteste Kugelpackungen (zB Magnesium Zink) bis zur kubisch-raumzentrierten Struktur (zB Eisen Molybdaumln) Haumlufig findet man leichte Abweichungen von der idealen Gitter-struktur die durch lokale Stoumlrungen hervorgerufen werden Akzeptiert man gewisse Anteile an viskosem Verhalten (dh eine leichte Phasenverschiebung) so begibt man sich in den Grenzbereich zwischen Festkoumlrpern und Fluumlssigkeiten In einem Material wie Glas ist die regelmaumlszligige Anordnung eines Gitters nicht gegeben die Atome sind unregelmaumlszligig positioniert und koumlnnen unter Belastung auch flieszligen Solche nicht-kristallinen Festkoumlrper bezeichnet man als amorph Typische Vertreter amorpher Feststoffe sind Fenster-glas viele transparente Kunststoffe (zB Plexiglas Polyester in Getraumlnkeflaschen) Wachs und Aumlhnliches Amorphe Festkoumlrper besitzen keinen Schmelzpunkt sondern erweichen bei steigender Temperatur allmaumlhlich Amorphe Festkoumlrper koumlnnen nachtraumlglich kristallisieren wobei sich haumlufig das aumluszligere Erscheinungsbild und die physikalischen Eigenschaften drastisch aumlndern (zB Plastikfolie unter Zug)

38 Das Phasendiagramm

Die drei wichtigsten Phasenzustaumlnde zu denen sich eine makroskopische Gesamtheit von Atomen oder Molekuumllen zusammenfinden koumlnnen sind also Gase Fluumlssigkeiten und Festkoumlrper Die Frage ist nun unter welchen Bedingungen sich ein System fuumlr den ersten den zweiten oder den dritten Zustand entscheidet Erfahrungsgemaumlszlig haumlngt der gegebene Phasenzustand von den in Kapitel 31 eingefuumlhrten Zustandsparametern n V P und T ab Legt man die Stoffmenge n auf einen Wert fest (zB auf ein Mol Teilchen) und beruumlcksichtigt man dass nach den gegebenen Zustandsgleichungen die Groumlszligen n V P und T miteinander verknuumlpft sind so genuumlgen zwei Parameter um den jeweils guumlnstigsten Phasenzustand eindeutig festzulegen Ein Diagramm bei dem einer der Parameter V P und T gegen einen anderen aufgetragen wird eignet sich also prinzipiell um bei einer gegebenen Teilchenart den unter diesen Bedingungen jeweils angestrebten Phasenzustand zu markieren So kann man gemaumlszlig den Abbildungen 23 bis 25 in einem Diagramm bei dem P gegen V aufgetragen wird schon den jeweils gegebenen Phasenzustand eintragen und ablesen In der Praxis eignen sich solche PV-Diagramme allerdings wenig um Phasenzustaumlnde zu markieren der gasfoumlrmige Zustand nimmt einen sehr breiten Raum ein waumlhrend der fluumlssige und der feste Zustand in dem sehr engen Bereich links neben dem Zweiphasengebiet bdquoeingequetschtldquo waumlre Vor allem in diesem Umfeld waumlre das Diagramm schwer ablesbar

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Wesentlich guumlnstiger ist dagegen die Auftragung vom Druck P gegen die Temperatur T In diesem PT-Diagramm das auch als Phasendiagramm bezeichnet wird lassen sich alle Phasenzustaumlnde uumlbersichtlich zuordnen Dabei bezeichnen Flaumlchenanteile im PT-Diagramm die unter den gegebenen Druck- und Temperaturbedingungen angestrebte Phase (zB fest fluumlssig gasfoumlrmig) waumlhrend Linien die dazwischen vorliegenden Gleichgewichte markieren und Phasengrenzlinien genannt werden (Abb 28)

T

Pfe

st

fluumlss

ig

gasfouml

rmig

kritischerPunkt

Tripel-punkt

Phasengrenzlinie

Abb 28 Phasendiagramm mit Auftragung des Drucks (P) gegen die Temperatur (T)

Auszligerdem enthaumllt ein Phasendiagramm gewoumlhnlich mindestens zwei besonders ausgezeich-nete Punkte den Tripelpunkt an dem die drei im Allgemeinen wichtigsten Phasenzustaumlnde fest fluumlssig und gasfoumlrmig miteinander im Gleichgewicht stehen und den bereits aus dem PV-Diagramm bekannten kritischen Punkt der das Ende eines definierten Uumlbergangs zwischen fluumlssiger und gasfoumlrmiger Phase markiert Beispiele fuumlr Phasendiagramme Kohlen-dioxid und Wasser sind in Abbildung 29 und 30 wiedergegeben

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T

P

fest

fluumlss

iggasfoumlrmig

kritischerPunkt

Tripel-punkt

2168 K

511 bar

CO2

3042 K

728 bar

Abb 29 Phasendiagramm fuumlr Kohlendioxid

T

P

fluumlss

ig

gasfoumlrmig

kritischerPunkt

H2O

Eis 1

Eis 1

Eis 2 Eis 3

Eis 5

Eis 6

Tripelpunkt6473 K

218 bar

6 mbar 27316 K

Abb 30 Phasendiagramm fuumlr Wasser Der Bereich oberhalb von 200 bar ist aus Gruumlnden der

Uumlbersichtlichkeit entlang der P-Achse komprimiert dargestellt

Eine wichtige Besonderheit des Phasenverhaltens von Wasser ist die Tatsache dass die Phasengrenzlinie zwischen fluumlssigem Wasser und Eis 1 eine negative Steigung aufweist Dies hat zur Folge dass gewoumlhnliches Eis durch Erhoumlhung des Drucks zum Schmelzen gebracht werden kann Dieser Umstand ist eine der Ursachen dafuumlr dass eine Kufe auf Eis gleitet da der durch das Schmelzen entstehende Wasserfilm die Reibung vermindert (allerdings spielt hier auch die Reibungswaumlrme eine Rolle) Der Grund fuumlr dieses Verhalten steht in direkter Verbindung mit der strukturbedingten Volumenabnahme beim Schmelzen von Eis (s Videos unter httpwwwyoutubecomwatchv=6s0b_keOiOU und httpswwwyoutubecomwatchv=CDTZoFGmZoc )

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Waumlhlt man in einem Phasendiagramm eine Kombination von Druck und Temperatur so kann man direkt denjenigen Phasenzustand ablesen den die gegebene Teilchenart unter diesen Bedingungen anstrebt Das heiszligt jedoch nicht dass dieser Zustand dann auch in jedem Fall und zu jeder Zeit vorliegt Haumlufig beobachtet man eine so genannte kinetische Hemmung einer Phasenumwandlung So gibt es unterkuumlhlte Fluumlssigkeiten (zB Regentropfen bei -3degC) genauso wie unterkuumlhlte Dampfphasen (zB uumlbersaumlttigten Wasserdampf in Gewitterwolken) oder uumlberhitzte Fluumlssigkeiten (zB uumlberhitztes Wasser bei einem Siedeverzug) Kristalli-sationskeime wie Staubkoumlrner koumlnnen Phasenumwandlungen beschleunigen (zB durch Staub verursachter bdquoIndustrieschneeldquo) Bisher wurden lediglich Phasendiagramme von reinen Stoffen betrachtet die nur aus einer einzelnen Sorte Atomen oder Molekuumllen bestehen Mischt man einem gegebenen Stoff eine weitere Komponente hinzu so aumlndert sich das Phasendiagramm erheblich Als Beispiel betrachten wir ein System in dessen fluumlssiger Phase ein Fremdstoff A geloumlst wird der weder im Festkoumlrper noch im der Gasphase loumlslich ist (zB Kochsalz in Wasser) In diesem Fall dehnt sich der fluumlssige Bereich des Phasendiagramms mit steigender Konzentration von A in alle Richtungen aus so dass gleichzeitig der Schmelzpunkt erniedrigt der Siedepunkt erhoumlht und der Dampfdruck verringert wird (Abb 31) In erster Naumlherung sind alle genannten Aumlnderungen proportional zu cA

T

P

fest

fluumlss

ig

gasfouml

rmig

Abb 31 Phasendiagramm fuumlr ein System in dessen fluumlssiger Phase ein Fremdstoff mit steigender

Konzentration cA geloumlst wird Der Bereich der fluumlssigen Phase dehnt sich daraufhin in alle

Richtungen aus

Bei weiter steigender Konzentration von A kann ein Punkt erreicht werden an dem die Mischung in zwei getrennte Bereiche zerfaumlllt die ebenfalls als Phasen bezeichnet werden (zB Olivenoumll und Wasser) Eine dieser Phasen besitzt dann einen hohen Loumlsemittelanteil bei geringer Konzentration von A die andere besteht aus einem hohen Anteil an A mit einem geringen Gehalt an Loumlsemittel Dieser Vorgang der Phasenseparation binaumlrer (aus zwei Komponenten bestehender) Systeme wird durch eine andere Art von Phasendiagramm beschrieben dem so genannten Mischphasendiagramm (Abb 32) Hierbei wird die Tempe-

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ratur dem relativen Anteil einer Komponente gegenuumlbergestellt der Druck wird als konstant angenommen

Abb 32 Allgemeine Darstellung eines Mischphasendiagramms

Grundsaumltzlich gibt die linke Flanke der Phasentrennlinie (links des kritischen Punkts) die Zusammensetzung der bdquoA-armenldquo Phase an waumlhrend die rechte Flanke (rechts des kritischen Punkts) die Zusammensetzung der A-reichen Phase beschreibt Die Mengen der dabei gebildeten Phasen koumlnnen nach dem so genannten Hebelgesetz berechnet werden Demnach gilt zwischen dem Anteil n1 der A-armen Phase 1 dem Anteil n2 der A-reichen Phase 2 und den Laumlngen der Pfeile s1 und s2 in der vorhergehenden Abbildung folgender Zusammenhang

n1 s1 = n2 s2

Fuumlr das gezeigte Beispiel wuumlrde das bedeuten dass der Anteil der Phase 1 etwa doppelt so groszlig waumlre wie der Anteil der Phase 2 In der Naumlhe der beiden Raumlnder des Diagramms also fuumlr xA 0 (sehr wenig A im Loumlsemittel) oder xA 1 (sehr wenig Loumlsemittel in A) liegen in den meisten Faumlllen einphasige homogene Mischungen vor Das besagt dass auch bei niedrigen Temperaturen ein wenig von dem Stoff A im Loumlsemittel bzw ein wenig Loumlsemittel im Stoff A loumlslich ist Der im Diagramm eingezeichnete kritische Punkt bedeutet dass oberhalb der dazugehoumlrigen kritischen Temperatur keine Entmischung mehr erfolgt dh hier sind die beiden Komponenten vollstaumlndig und in jedem Verhaumlltnis miteinander mischbar Neben solchen oberen kritischen Punkten gibt es auch untere kritische Punkte Im zweiten Fall gilt dass die beiden Komponenten unterhalb einer bestimmten Temperatur in jedem Verhaumlltnis miteinander mischbar sind Im Allgemeinen koumlnnen die drei verschiedenen Faumllle auftreten die in Abbildung 33 dargestellt sind

0 Molenbruch xA der Komponente A 1

Tem

pera

tur

obere kritischeTemperatur

Einphasen-gebiet

Zweiphasen-gebiet

Beispiel xA = 04

T1

Zum gezeigten Beispiel

Eine Mischung mit dem Molenbruch xA = 04 wird von T2 nach T1 abgekuumlhltDabei zerfaumlllt die Mischung bei Tklsquo in zwei Phasen derenZusammensetzung bei T1auf der x-Achse an den Punkten 1 und 2 ablesbar ist

T2

Tklsquo

1 2

kritischer Punkt

s1 s2

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43

0 xA 1

Tem

pera

tur

System mit oberem kritischen Punkt

kritischer Punkt

0 xA 1Te

mpe

ratu

r

System mit unterem kritischen Punkt

kritischer Punkt

0 xA 1

Tem

pera

tur

System mit oberem und unterem

kritischen Punkt

kritischer Punkt

kritische Punkte

Abb 33 Moumlgliche Varianten von kritischen Punkten bei Systemen aus zwei Komponenten

Obere kritische Punkte findet man dann wenn sich die molekulare thermische Bewegung gegen die Tendenz der Molekuumlle sich mit gleichartigen Molekuumllen zusammenzulagern durchsetzt Dieses Phaumlnomen ist sehr verbreitet so dass ein oberer kritischer Punkt bei sehr vielen Mischphasen beobachtet wird Untere kritische Punkte sind sehr viel seltener Sie treten beispielsweise dann auf wenn die beiden Komponenten miteinander bei tiefen Temperaturen einen Komplex bilden der bei houmlheren Temperaturen wieder zerfaumlllt und dann zu einer Phasenseparation fuumlhrt Ein Beispiel dafuumlr ist die Mischung aus Wasser und Triethylamin

Fuumlr Mischphasen aus drei Komponenten so genannte ternaumlre Mischungen sind die bisher gezeigten Darstellungen ungeeignet Hierfuumlr haben sich Dreiecksdiagramme (Gibbssches Phasendreieck) durchgesetzt die das Phasenverhalten unter Variation der Mengenbeitraumlge aller drei Komponenten aufzeigen (Abb 34) Das Diagramm ist so geartet dass die Summe aller drei Mengenanteile xA xB und xC in jedem Fall den Wert 1 ergibt Damit besitzt die Zusammensetzung des ternaumlren Gemisches zwei Freiheitsgrade Jede Linie die durch eine Ecke des Diagramms fuumlhrt verbindet diejenigen Punkte bei denen das Verhaumlltnis zweier Komponenten gleich ist Jede Linie die parallel zu einer der drei Seiten verlaumluft entspricht Gemischen bei denen der relative Anteil einer Komponente gleich bleibt

00 02 04 06 08 10Komponente A

00

02

04

06

08

10

Kom

pone

nte

B

0002

04

06

08

10

Komponente C

C

A

B

00 02 04 06 08 10Komponente A

00

02

04

06

08

10

Kom

pone

nte

B

00

02

04

06

08

10

Komponente C

x1

x2x

Abb 34 Prinzip eines ternaumlren Phasendiagramms nach Gibbs (Dreiecksdiagramm)

In solche ternaumlren Mischphasendiagramme lassen sich nun entsprechend den binaumlren Mischphasendiagrammen die Ein- und Zweiphasengebiete einzeichnen Das Diagramm in

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Abb 34 rechts gilt zB fuumlr eine ternaumlre Mischung aus A B und C bei der die Komponenten A und B sowie B und C jeweils paarweise in jedem Verhaumlltnis miteinander mischbar sind Die Komponenten A und C sollen dagegen nur begrenzt mischbar sein Als Konsequenz daraus ergibt sich ein Dreiecksdiagramm das an der unteren Achse die dem Anteil 0 der Komponente B entspricht ein Zweiphasengebiet aufweist

Die Hilfslinien im Zweiphasengebiet markieren die Zusammensetzung der entstehenden Einzelphasen So wuumlrde beispielsweise eine Mischung deren Zusammensetzung im Diagramm durch den Punkt x markiert ist in die beiden Phasen x1 und x2 zerfallen Die Mengenanteile der beiden Phasen koumlnnten dabei wieder uumlber das Hebelgesetz berechnet werden Um zusaumltzlich den Einfluss der Temperatur wiederzugeben muss eine weitere Koordinate eingefuumlhrt werden Man erhaumllt dabei ein dreidimensionales Dreiecksdiagramm das haumlufig unter Verwendung von Houmlhenlinien nach der Art einer topographischen Landkarte dargestellt wird Jede Houmlhenlinie des Zweiphasengebiets umschreibt dann seine Ausdehnung bei einer gegebenen Temperatur

Fragt man bei einem System mit bestehenden Randbedingungen nach der Zahl der frei variierbaren Zustandsgroumlszligen also nach der Zahl der Freiheitsgrade so haumlngt die Antwort zunaumlchst davon ab in welchem Phasenzustand sich das System befindet So kann man beispielsweise in der Gasphase (bei festgelegter Stoffmenge) Temperatur und Druck frei waumlhlen wodurch dann automatisch das Volumen festgelegt wird Gleiches gilt fuumlr die feste und die fluumlssige Phase Das System hat innerhalb eines Phasenzustands also zwei Freiheits-grade Setzt man allerdings voraus dass sich das System in einem Gleichgewicht zwischen zwei Phasen befindet (zB auf der Verdampfungslinie) so besitzt es nur einen Freiheitsgrad Am Tripelpunkt schlieszliglich bei einem Gleichgewicht zwischen drei Phasen sind keine Freiheitsgrade mehr vorhanden Zwischen der Zahl der Phasen P und der Zahl der Freiheitsgrade F gibt es also folgende einfache Beziehung

F = 3 - P

Beruumlcksichtigt man weiter dass auch mehr als eine Komponente auftreten kann (Zahl der Komponenten C gt 1) so erhoumlht sich die Zahl der Freiheitsgrade um jede zusaumltzliche Komponente deren Konzentration ja frei waumlhlbar ist um den Wert eins Man erhaumllt damit

F = 3 - P + (C - 1) oder F = C - P + 2

Nach dieser allgemeinguumlltigen Formel der so genannten Gibbsrsquoschen Phasenregel laumlsst sich die Zahl der Freiheitsgrade in jedem beliebigen System bestimmen Sie erlaubt insbesondere bei sehr komplizierten Mischungen mit einer unbekannten Anzahl an Phasenzustaumlnden uumlber eine einfache Betrachtung Ruumlckschluumlsse auf deren Phasenverhalten

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idxd

m sup2sup2

2sup2

Erwin Schroumldinger

Diese sehr wichtige Gleichung (sie braucht an dieser Stelle im mathematischen Sinne noch nicht verstanden zu werden) wird als Schroumldinger-Gleichung bezeichnet und besitzt die in Abbildung 5 gezeigten Loumlsungen Ψn(x) mit n = 1 2 3 hellip Diesen Zustaumlnden zugeordnet sind die Energieniveaus 1 2 3 hellip zwischen denen keine weiteren Zustaumlnde moumlglich sind Man sagt die Energie des Elektrons ist bdquogequanteltldquo Der Wert fuumlr E(n) ist proportional zu nsup2 (s Formel in Abb 5 rechts) die Abstaumlnde zwischen aufeinanderfolgenden Energieniveaus werden damit mit steigendem n groumlszliger Der noch recht einfache Fall des eindimensional beweglichen Elektrons hat durchaus eine realistische Entsprechung in der Chemie er beschreibt in sehr guter Naumlherung das Verhalten der Elektronen in Molekuumllen mit alternierenden einfach- und Doppelbindungen zB in Butadien CH2=CH-CH=CH2 oder in β-Carotin

Bei einem solchen Molekuumll kann man durch einfaches Abzaumlhlen die Zahl der Elektronen bestimmen die sich innerhalb des Delokalisationsgebiets befinden (pro Doppelbindung sind es zwei) Anschlieszligend besetzt man die Orbitale des eindimensionalen Potentialtopfes mit aufsteigender Reihenfolge fuumlr jedes n jeweils doppelt Bei dem gezeigten β-Carotin besetzen die vorhandenen 22 Elektronen des Delokalisationsgebiets damit im Grundzustand die ersten 11 Orbitale (mit n = 1 bis 11) Das Orbital mit n = 12 bleibt (wie alle anderen mit n gt 11) unbesetzt Die Energie jedes einzelnen Zustands kann uumlber die einfache Gleichung in Abb 5 rechts berechnet werden Entscheidend ist dabei die Laumlnge a des Potentialtopfes Auch zeigt sich hier die Bedeutung der Masse des Elektrons

16 Das Wasserstoffatom

In den meisten Faumlllen ist das Problem ein Elektron in einem Atom oder Molekuumll zu beschreiben wesentlich komplizierter Dazu gehoumlrt schon der allereinfachste Fall der bei einem Atom gegeben ist die Beschreibung des einzelnen Elektrons in einem Wasserstoff-atom Die im Wasserstoffatom gegebene Situation wird durch die Gegenwart des positiv geladenen Kerns (eines einzelnen Protons) bestimmt Das Elektron wird mit seiner negativen Ladung durch den Kern angezogen und das umso staumlrker je naumlher es ihm kommt Das Elektron befindet sich damit in einem zentrosymmetrischen elektrischen Feld in dem es eine umso

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houmlhere potentielle Energie besitzt je weiter es sich vom Kern entfernt Die Situation ist ein wenig vergleichbar mit der eines Planeten der sich um die Sonne bewegt Haumltte das Elektron nur eine Teilchennatur so koumlnnte es einfach zum Kern stuumlrzen und dort auf dem Zustand niedrigster Energie verharren Dies allerdings wird durch die Wellennatur des Elektrons bdquoverbotenldquo die es sozusagen zwingt eine Art stehende Welle um den Kern herum aufzubauen Fuumlr diese bdquostehende Welle um den Kern herumldquo gibt es verschiedene Loumlsungen die als Orbitale bezeichnet werden Deren Berechnung folgt wieder der Gleichung

Energie des Elektrons als Teilchen = Energie des Elektrons als Welle

die mathematisch als Schroumldinger-Gleichung des dreidimensionalen Raums folgende Form besitzt (auch hier die Mathematik der Gleichung sei an dieser Stelle noch nicht relevant)

irV

zyxm)(

sup2sup2

sup2sup2

sup2sup2

2sup2

Auch hier soll nicht auf die Details der Gleichung eingegangen werden Wichtig ist nur dass nun alle drei Raumrichtungen x y und z eine Rolle spielen Daruumlber hinaus kommt auch die potentielle Energie im elektrischen Feld des Kerns mit ins Spiel die als V(r) eingefuumlhrt wird und kontinuierlich mit groumlszliger werdendem r ansteigt Dadurch werden auch die Loumlsungen dieser Gleichung die nun Ψn lms (xyzt) heiszligen wesentlich komplizierter und vielfaumlltiger Im Gegensatz zu den Loumlsungen Ψn(xt) fuumlr ein eindimensional bewegliches Elektron gibt es nun mitunter fuumlr eine einzelne Quantenzahl n mehrere Loumlsungen Um alle diese Loumlsungen zu erfassen werden neben der (Haupt-)Quantenzahl n weitere Quantenzahlen eingefuumlhrt die wieder nur eine Rolle als benennende Indizes spielen Der vollstaumlndige Satz Quantenzahlen der zur Benennung eines elektronischen Zustands noumltig ist lautet nun

Hauptquantenzahl n mit n = 1 2 3 4 hellip

Nebenquantenzahl l mit l = 0 1 2 hellip (n-1)

Magnetische Quantenzahl m mit m = - l hellip 0 hellip+ l

Spinquantenzahl s mit s = +12 und s = -12

Die zehn ersten moumlglichen Kombinationen von Quantenzahlen (n l m s) des Wasserstoff-elektrons lauten damit (100+12) (100-12) (200+12) (200-12) (21-1+12) (21-1-12) (210+12) (210-12) (21+1+12) (21+1-12) Fuumlr houmlhere Hauptquantenzahlen n gt 2 werden die moumlglichen Kombinationen von Quantenzahlen immer zahlreicher Jedem Satz von Quantenzahlen ist genau ein elektronischer Zustand und genau ein Energieniveau zugeordnet Die Energie jedes Zustands wird bei Wasserstoff im feldfreien Raum allein durch die Hauptquantenzahl bestimmt wobei der Wert in der Folge n = 1 2 3 4hellip kontinuierlich aber mit sinkender Schrittweite waumlchst Das Energieschema weist also bezuumlglich der Quantenzahl n einen groszligen Unterschied zu dem des eindimensionalen Potentialtops auf waumlhren die Abstaumlnde zwischen E(n) und E(n+1) beim Potentialtopf mit steigendem n immer groumlszliger werden so werden sie beim Wasserstoff immer kleiner Der Grenzwert von E fuumlr n gegen unendlich wird beim Wasserstoff Ionisierungsenergie genannt

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Die Energie ist beim Wasserstoff (im Gegensatz zu allen anderen Elementen) voumlllig unab-haumlngig von den weiteren Quantenzahlen obwohl die Wellenfunktionen sehr unterschiedlich aussehen koumlnnen Man nennt solche Zustaumlnde mit unterschiedlicher Wellenfunktion aber gleicher Energie entartet Ein Beispiel fuumlr entartete Zustaumlnde waumlren also die Wellen-funktionen mit den Quantenzahlsaumltzen (200-12) und (21-1-12) Wie lassen sich die verschiedenen Zustaumlnde nun anschaulich darstellen Am besten gelingt das indem man die Bereiche innerhalb derer die Wellenfunktion einen bestimmten Betrag besitzt raumlumlich abbildet In Abbildung 6 ist dies fuumlr die Wellenfunktionen mit den Quantenzahlen n = 1 bis 7 fuumlr l = 0 bis 2 und fuumlr m = 0 bis 2 zeichnerisch umgesetzt worden

Abb 6 Darstellung der elektronischen Wellenfunktionen des Wasserstoffatoms fuumlr die Quantenzahlen n = 1 bis 7 fuumlr l = 0 bis 2 und fuumlr m = 0 bis 2 Aus Gruumlnden der Vergleichbarkeit sind alle Orbitale in gleicher Groumlszlige dargestellt (ansonsten muumlsste die Groumlszlige mit der Quantenzahl n ansteigen) Der Atomkern befindet sich jeweils im Schwerpunkt jeder Orbitalstruktur Die Farbe Orange bedeutet ein positives die Farbe Blau ein negatives Vorzeichen der Wellenfunktion (aus httpchemlinksbeloiteduStarspagesorbitalshtml)

Die raumlumlichen Strukturen die durch die drei Quantenzahlen n l und m festgelegt werden heiszligen Orbitale Grob zusammenfassend kann man sagen dass im Wasserstoffatom die Hauptquantenzahl n die Groumlszlige die Nebenquantenzahl l die Form und die magnetische Quantenzahl m die Ausrichtung der Orbitale bestimmt Da die Quantenzahl s dann noch jeweils zwei Einstellungen besitzt die im Uumlbrigen keinen Einfluss auf die Gestalt der Orbitale nehmen kann jedes dieser Orbitale zwei moumlgliche elektronische Zustaumlnde enthalten (mit s = +12 und s = -12) Alle in Abbildung 6 dargestellten Strukturen repraumlsentieren damit

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moumlgliche Aufenthaltsbereiche fuumlr je zwei verschiedene Zustaumlnde die das Elektron in Wasserstoff einnehmen kann

Die Orbitale mit der Nebenquantenzahl l = 0 heiszligen s-Orbitale Sie besitzen grundsaumltzlich eine kugelsymmetrische Gestalt eine von n abhaumlngige Groumlszlige und keine Ausrichtung Die Orbitale mit der Nebenquantenzahl l = 1 heiszligen p-Orbitale Sie besitzen grundsaumltzlich die Gestalt einer Hantel und ebenfalls eine von n abhaumlngige Groumlszlige Ihre Ausrichtung folgt der x- der y- und der z-Achse verbunden mit den magnetischen Quantenzahlen m = -1 0 oder +1 Die Orbitale mit der Nebenquantenzahl l = 2 heiszligen d-Orbitale und besitzen abhaumlngig von der magnetischen Quantenzahl m kompliziertere Formen und Richtungen Anschaulich sollte man von der Vorstellung Abstand nehmen das Orbital sei ein Volumen innerhalb dessen das Elektron als Teilchen rotiere Vielmehr sollte man das Orbital als eine Art Schwingungsfigur betrachten aumlhnlich wie das Vibrationsbild einer schwingenden Saite Dann macht auch die Tatsache einen Sinn dass die Wellenfunktion einen positiven und einen negativen Wert besitzen kann dieser deutet dann auf die Richtung einer Auslenkung hin entsprechend einer Gitarrensaite die man ebenfalls in zwei verschiedene Richtungen auslenken koumlnnte Erst das Quadrat der Wellenfunktion macht dann eine Aussage uumlber den moumlglichen Aufenthaltsort des Elektrons als Teilchen Moumlchte man wissen mit welcher Wahrscheinlichkeit das Elektron als Teilchen innerhalb eines bestimmten Teilvolumens auftritt so muss man die Quadrate aller Ψ-Werte innerhalb dieses Teilvolumens aufaddieren (integrieren) Integriert man Ψsup2 uumlber das gesamte Volumen des Atoms (das nebenbei gesagt theoretisch unendlich groszlig ist) so resultiert der Wert eins da das Elektron zwangslaumlufig irgendwo sein muss Diese Voraussetzung stellt die Normierungsbedingung dar die jede der Wellenfunktionen des Wasserstoffatoms erfuumlllen muss Sehr schoumlne raumlumliche Abbildungen zu den Elektronenorbitalen des Wasserstoffs finden sich auf der Homepage des Instituts fuumlr Theoretische Chemie der Universitaumlt Sheffield (httpwintergroupshefacukorbitron )

17 Atome mit mehreren Elektronen

Im Falle von Mehrelektronensystemen wie Helium- Lithium- oder Beryllium- sowie allen weiteren Atomen sind die Verhaumlltnisse ungleich komplizierter Hier muumlssten in der Schroumldin-gergleichung auch die elektrostatischen Wechselwirkungen der Elektronen untereinander be-ruumlcksichtigt werden Da aber der Ort aller Elektronen (anders als der des als ruhend angenom-menen Kerns) nur uumlber Wellenfunktionen beschrieben werden kann wuumlrde die dazugehoumlrige Schroumldingergleichung schon fuumlr ein Zweielektronensystem uumlbermaumlszligig kompliziert Deshalb verwendet man folgende vereinfachende Naumlherung man fasst in Gedanken den Atomkern mit allen uumlbrigen Elektronen (also allen Elektronen bis auf das eine dessen Wellenfunktion man gerade ermitteln moumlchte) zusammen und erhaumllt so ein neues fiktives Teilchen dessen Ladung (bei neutralen Atomen) stets den Wert plus eins besitzt Der Ort dieses fiktiven Teilchens ist aufgrund der Symmetrie der Elektronenverteilung zum Kern stets identisch mit dem Ort des Kerns Damit verwandelt sich jedes Atom bei der Betrachtung eines einzelnen Elektrons in ein fiktives Wasserstoffatom und man kann alle Orbitale des Mehrelektronenatoms auf die Wasserstofforbitale zuruumlckfuumlhren Diese Naumlherungsloumlsung ist sehr praktisch hat allerdings ihre Grenzen So koumlnnen viele Gesetzmaumlszligigkeiten die fuumlr das Wasserstoffatom noch gelten nicht beibehalten werden So haumlngt bei Mehrelektronensystemen beispielsweise die Energie eines Orbitals nicht mehr nur von der Hauptquantenzahl n sondern zumindest auch von der Nebenquantenzahl l ab da hier der Einfluss der uumlbrigen Elektronen des Atoms zum Tragen kommt Mit der oben beschriebe-

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nen Naumlherung ist diese Beobachtung nicht mehr vorhersagbar da die Wechselwirkung zwi-schen den Elektronen ignoriert wird

Bei der Besetzung eines Mehrelektronensystems ist zunaumlchst einmal das Pauli-Prinzip zu beachten Dieses Gesetz wird auch Ausschlussprinzip genannt und bedeutet dass zwei Elek-tronen die sich im gleichen Raum aufhalten niemals Wellenfunktionen mit identischen Quantenzahlen belegen duumlrfen Anders gesagt alle Wellenfunktionen die von den in einem gemeinsamen Volumen (also zB in einem Atom) vorhandenen Elektronen besetzt werden muumlssen sich in wenigstens einer der vier Quantenzahlen unterscheiden In erster Konsequenz bedeutet dies dass Materie nicht von anderer Materie durchdrungen werden kann (sonst wuumlrden sich zum Beispiel notwendigerweise irgendwo zwei Elektronen mit den Quanten-zahlsaumltzen (100-12) im selben Volumen begegnen) Dies hat aber auch zur Folge dass ein Orbital mit den drei Quantenzahlen n l und m nur genau zwei Elektronen (mit s = +12 und -12) beherbergen darf

Wolfgang Pauli Friedrich Hund

Abb 7 Darstellung der Besetzungsreihenfolge bezuumlglich der Haupt- und Nebenquantenzahlen bei Mehrelektro-nensystemen Nacheinander wird dabei den von oben nach unten versetzten Pfeilen in der angegebenen Richtung gefolgt Man erhaumllt somit das Besetzungsschema 1s - 2s - 2p - 3s - 3p - 4s - 3d - 4p - 5s - hellip usw

Die Reihenfolge mit der die Haupt- und Nebenquantenzahlen besetzt werden ist durch die so genannte Aufbauregel festgelegt Diese bestimmt die Belegung der Orbitale so wie sie durch die Folge der untereinander versetzten Pfeile in Abbildung 7 dargestellt ist (s oben)

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Bezuumlglich der uumlbrigen Quantenzahlen m und s gilt es den drei Hundschen Regeln zu folgen (Anmerkung in der Literatur ist auch manchmal von vier Hundschen Regeln die Rede wobei sich dann aber die vierte aus den anderen drei ergibt) Die erste Hundsche Regel nennt man in der angelsaumlchsischen Literatur auch bildhaft die bdquobus-seat-ruleldquo Aumlhnlich wie unabhaumlngige Reisende die Zweierreihen eines Busses zunaumlchst alle jeweils einzeln belegen so versuchen auch die Elektronen zunaumlchst alle Varianten der mag-netischen Quantenzahl m einfach zu besetzen Alle diese ungepaarten Elektronen weisen dann dieselbe Spinquantenzahl (s = 12) auf So werden beispielsweise bei den p-Orbitalen immer erst alle drei Orbitale mit m = 1 0 und -1 (jeweils mit s = 12) einfach besetzt Die zweite Hundsche Regel besagt dass das Orbital mit dem groumlszligten Wert fuumlr m (unter Beachtung der ersten Hundschen Regel) immer zuerst besetzt wird Die einfache Besetzung nach der ersten Hundschen Regel beginnt also stets mit m = l danach folgt m = (l - 1) usw Die weitere Besetzung der Orbitale mit einem jeweils zweiten Elektron mit umgekehrtem Spin (s = -12) findet danach in derselben Reihenfolge statt Die dritte Hundsche Regel beschreibt lediglich das Verhalten eines Mehrelektronensystems im Magnetfeld hat aber auf die Reihenfolge der Besetzung der Orbitale keinen Einfluss und braucht daher an dieser Stelle noch nicht beruumlcksichtigt zu werden Das insgesamt resultierende Besetzungsschema wird in der Chemie haumlufig in der so genannten Kaumlstchenschreibweise dargestellt Fuumlr die Nebenquantenzahlen von 0 bis 2 besitzt es unter Beachtung der Hundschen Regeln die folgende Struktur

Abb 8 Darstellung der Besetzungsreihenfolge bezuumlglich der magnetischen Quantenzahl und der Spinquanten-zahl bei Mehrelektronensystemen Jeder aufwaumlrts gerichtete Pfeil steht fuumlr eine Elektronenfunktion mit s = +12 (paralleler Spin) jeder abwaumlrts gerichtete Pfeil fuumlr eine Elektronenfunktion mit s = -12 (antiparalleler Spin)

Betrachten wir einmal denjenigen Radius eines Atoms der bei der direkten Beruumlhrung zweier Atome relevant wird Zunaumlchst koumlnnte man annehmen dass dieser Atomradius mit steigender Zahl an Elektronen grundsaumltzlich groumlszliger werden sollte Innerhalb einer Periode ist aber uumlberraschenderweise das Gegenteil der Fall wie aus folgenden Werten hervorgeht

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Lithium (3 Elektronen) Atomradius 152 pm Beryllium (4 Elektronen) Atomradius 112 pm Bor (5 Elektronen) Atomradius 88 pm Kohlenstoff (6 Elektronen) Atomradius 77 pm Stickstoff (7 Elektronen) Atomradius 70 pm Sauerstoff (8 Elektronen) Atomradius 66 pm Fluor (9 Elektronen) Atomradius 64 pm

Die Ursache hierfuumlr liegt in der staumlrkeren Ladung des Kerns und dem daraus folgenden steileren Potentialverlauf V(r) Die wachsende Ladung des Kerns komprimiert in zuneh-mendem Maszlige die Groumlszlige des Atoms Ein Fluoratom misst trotz der dreifachen Elektronenzahl weniger als die Haumllfte eines Lithiumatoms Vergleicht man allerdings die Atome von aufeinanderfolgenden Perioden innerhalb einer Gruppe (zB in der Reihe Li ndash Na ndash K ndash hellip) so findet man in den meisten Faumlllen den zu erwartenden Groumlszligenanstieg

18 Chemische Bindungen und Molekuumlle

Mit den Loumlsungen der Schroumldingergleichung des Wasserstoffatoms mit der Einfuumlhrung der Orbitale und mit der Beruumlcksichtigung der Besetzungsregeln haben wir nun ein relativ um-fassendes Bild von den Grundbausteinen der Chemie den Atomen Damit ergibt sich nun die Frage wie zwei oder mehr Atome miteinander wechselwirken koumlnnen Zunaumlchst ist zu klaumlren was eigentlich passiert wenn zwei Atome (Atom a und Atom b) immer naumlher zusammen-ruumlcken Eigentlich sollte man annehmen dass in diesem Fall die abstoszligenden Wechselwirkun-gen dominieren da sich bei dem direkten Kontakt zwischen den Atomen zunaumlchst nur die Elektronenhuumlllen beruumlhren sollte es zu einer starken elektrostatischen Abstoszligung kommen Zunaumlchst scheint die Bildung einer chemischen Bindung physikalisch wenig plausibel Trotz-dem existieren in der Natur drei moumlgliche Loumlsungen des Problems

a) Die Ionenbindung Hierbei geht ein oder mehrere Elektronen vollstaumlndig vom Atom a zum Atom b uumlber Dadurch wird das Atom a zum positiv geladenen Kation das Atom b zum negativ geladenen Anion Die anziehende elektrostatische Kraft bewirkt eine stabile Bindung

b) Die kovalente Bindung Es bilden sich zwischen zwei Atomen a und b gemeinsame Elektronenorbitale auf denen Elektronen sozusagen unter den beiden Bindungs-partnern aufgeteilt werden

c) Die metallische Bindung Es bildet sich ein Kontinuum aus sehr groszligen gemeinsa-men Elektronenorbitalen die sich uumlber ein atomares Gitter erstrecken Eine Vielzahl von Elektronen (das so genannte Elektronengas) wird dabei unter einer Vielzahl von Atomen aufgeteilt

Im Folgenden soll vor allem die Loumlsung b also die kovalente Bindung betrachtet werden da die anderen Bindungsformen (wie spaumlter gezeigt wird) auch als Grenzfaumllle dieser Loumlsung gelten koumlnnen Das bedeutet wir betrachten nun eine Situation bei der gemeinsame Orbitale zwischen (im einfachsten Fall) zwei Atomkernen existieren Um dafuumlr die Schroumldingergleichung zu loumlsen

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ist erneut eine Vereinfachung noumltig die als Born-Oppenheimer-Naumlherung gilt Dabei nimmt man an dass der Ort der beiden Atomkerne festgelegt ist obwohl die dazwischen befind-lichen Elektronen durch Wellenfunktionen beschrieben werden Dadurch erspart man sich die Komplikation eines moumlglicherweise zeitlich variablen Kernabstands Gerechtfertigt wird diese Naumlherung dadurch dass die Atomkerne um ein Vielfaches schwerer sind als die Elektronen ihre Bewegungen daher um ein Vielfaches langsamer Mit dieser Naumlherung fuumlhren wir nun folgendes Gedankenexperiment durch wir betrachten zwei Wasserstoffatome mit unendlichem Abstand zueinander Ihre Elektronen befinden sich beide im energetischen Grundzustand besitzen aber unterschiedlichen Spin so dass ihnen die beiden Quantenzahlsaumltze (100+12) und (100-12) zukommen Damit wird dem Pauli-Prinzip Genuumlge getan so dass die beiden Atome nun zusammengeruumlckt werden duumlrfen Je naumlher die beiden Atome einander kommen umso mehr bdquofuumlhltldquo das Elektron des einen Atoms den Kern des anderen so dass die Wellenfunktionen des ungestoumlrten Wasserstoffatoms nun keine guumlltigen Loumlsungen mehr darstellen Es muumlssen also neue molekulare Wellenfunktionen gefunden werden Diese Molekuumllorbitale bildet man am einfachsten indem man Kombina-tionen aus den zuvor guumlltigen Atomorbitalen bildet Wichtig ist es handelt sich dabei nicht um eine einfache Uumlberlappung zwischen den bestehenden Atomorbitalen sondern um die rechnerische Bildung eines neuen Orbitals Im Fall des Wasserstoffatoms im Grundzustand sind zwei solcher Kombinationen moumlglich Vereinfachend kann man das eine entstehende Molekuumllorbital als normierte additive Kombination aus den beiden einzelnen s-Atomorbitalen betrachten (Abb 9 oben links) Es wird als bindendes σ-Molekuumllorbital bezeichnet besitzt eine niedrigere Energie als das s-Atomorbital und weist zwischen den beiden Atomkernen eine hohe Elektronendichte (ein hohes Ψsup2) auf Sein Gegenstuumlck wird entsprechend aus einer Art normierter subtraktiver Kombination der beiden urspruumlnglichen s-Orbitale gebildet (Abb 9 oben rechts) Es wird als antibindendes σ-Molekuumllorbital bezeichnet besitzt eine houmlhere Energie als das s-Atomorbital und weist zwischen den beiden Atomkernen eine niedrige Elektronendichte (ein kleines Ψsup2) auf An einer Stelle besitzt letztere sogar den Wert Null Die bisher vorhandenen Atomorbitale existieren nun nicht mehr

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Abb 9 Darstellung von bindenden (links oben) und antibindenden Molekuumllorbitalen (rechts oben) im Wasserstoffmolekuumll H2 Das Energiediagramm links unten veranschaulicht die Bildung eines bindenden σ-Molekuumllorbitals im Fall von Wasserstoff H2 Das Diagramm rechts unten verdeutlicht die Situation in einem fiktiven Helium-Molekuumll He2 bei dem neben dem bindenden σ-Molekuumllorbital auch das antibindende σ-Molekuumllorbital besetzt wuumlrde Zweiatomiges Helium ist demzufolge nicht stabil

Die hohe Elektronendichte des bindenden σ-Orbitals im Bereich zwischen den Kernen bewirkt dass sich anziehende elektrostatische Wechselwirkungen Kern-Elektron-Kern aus-bilden koumlnnen es haumllt also das Molekuumll zusammen (deswegen bdquobindendldquo) Da das bindende σ-Orbital die niedrigere Energie besitzt wandern die zwei Elektronen des Wasserstoffmole-kuumlls beide (mit unterschiedlichen Spins) in diese Position Damit verbunden ist ein Energie-gewinn der den gebundenen Zustand beguumlnstigt Zur Trennung des Molekuumlls muss Energie aufgebracht werden Das antibindende σ-Orbital weist am Ort zwischen den Kernen die Elektronendichte Null auf Damit dominiert hier die abstoszligende elektrostatische Wechselwirkung Kern-Kern dazu-hin ist es energetisch unguumlnstiger Bei einem fiktiven Helium-Molekuumll (Abb 9 unten rechts) muss wegen der Zahl von vier Elektronen auch dieses σ-Orbital doppelt besetzt sein Dadurch wird sowohl der Energiegewinn als auch die anziehende Wechselwirkung des bindenden σ-Orbitals kompensiert so dass dieses Molekuumll insgesamt nicht stabil ist Grundsaumltzlich sind alle urspruumlnglichen Atomorbitale nach der Bildung des Molekuumlls ver-schwunden alle insgesamt vorhandenen Elektronen werden auf die neu gebildeten Molekuumll-orbitale verteilt Ist das Niveau der Atomorbitale vor der Bildung eines gemeinsamen Mole-kuumllorbitals sehr unterschiedlich so erhaumllt man eine polare kovalente Bindung bei der der Schwerpunkt der Elektronendichte auf der Seite des urspruumlnglich energieaumlrmeren Orbitals

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liegt Im Grenzfall extremer Polaritaumlt erhaumllt man eine Ionenbindung (s oben) Sind sehr viele gleichartige Orbitale an der Bildung des Molekuumllorbitals beteiligt so koumlnnen sich groszlige Delokalisationsgebiete ausbilden Im Extremfall eines Delokalisationsgebiets das sich uumlber ein ganzes Kristallgitter erstreckt spricht man von einer metallischen Bindung (s oben) Die Molekuumllorbitaltheorie (kurz MO-Theorie) ist also in der Lage saumlmtliche Bindungsarten zu beschreiben Energiediagramme wie in Abb 9 unten werden als MO-Schemata bezeichnet Fuumlr zwei-atomige Molekuumlle moumlgen sie noch recht uumlbersichtlich aussehen bei vielatomigen Molekuumllen sind sie dagegen meistens unuumlberschaubar Mit Hilfe leistungsfaumlhiger Computer lassen sich solche Molekuumllorbitale noch rechnerisch erfassen allerdings steigt der Rechenaufwand (und damit die Rechenzeit und die Kosten) mit steigender Molekuumllgroumlszlige sehr rasch an In diesem Fall kann man auf eine vereinfachende Betrachtung ausweichen die so genannte Valence-Bond-Theorie (VB-Theorie Valenzbindungstheorie) Sie wurde in Konkurrenz zur MO-Theorie entwickelt und beinhaltet eine wesentliche zusaumltzliche Naumlherung Sie ist dadurch deutlich weniger genau allerdings auch wesentlich einfacher anwendbar und in der Praxis die beste Methode um rasch und anschaulich Molekuumllgeometrien und Reaktionsmechanismen erklaumlren zu koumlnnen Im Gegensatz zur MO-Theorie geht man bei der VB-Theorie im Grundsatz davon aus dass auch im Molekuumll noch die urspruumlnglichen Atomorbitale existieren Der VB-Theorie nach entsteht die chemische Bindung dadurch dass zwei halb besetzte Atomorbitale der beiden benachbarten Atome A und B uumlberlappen Das bdquoUumlberlappungsorbitalldquo wird dann in der Regel durch die beiden resultierenden Elektronen (eines von A und eines von B) besetzt wobei das wiederum voraussetzt dass sie einen unterschiedlichen Spin aufweisen Jedes durch solche bdquoUumlberlappungldquo gebildete Orbital entspricht einer Bindung Der Einfachheit halber nimmt man an dass die anderen Atomorbitale nicht an der Bindung teilnehmen und somit unveraumlndert bleiben Aufgrund dieser doch recht groben Naumlherung kommt es bei der VB-Betrachtung von einfa-chen Molekuumllen wie Wasser Methan oder Ammoniak sehr schnell zu Problemen Zunaumlchst einmal sind die erhaltenen Bindungswinkel unrealistisch aufgrund der Tatsache dass in allen genannten Faumlllen p-Orbitale beteiligt sind resultiert aus dem VB-Modell immer wieder ein Bindungswinkel von 90deg wohingegen die tatsaumlchlichen Bindungswinkel deutlich groumlszliger sind (Wasser 1045deg Methan 109deg) Ein noch groumlszligeres Problem stellen zB die Bindungs-verhaumlltnisse des Kohlenstoffs dar eigentlich sollte man nach der VB-Theorie fuumlr eine Ver-bindung zwischen Kohlenstoff und Wasserstoff ein bdquoCH2ldquo mit einem Bindungswinkel von 90deg erwarten wobei die zwei jeweils halbbesetzten p-Orbitale des Kohlenstoffs Bindungs-anzahl und ndashwinkel vorgeben Dieser Mangel der VB-Theorie kann weitgehend repariert werden indem man die Schritte der Promotion und der Hybridisierung einfuumlhrt Beide Vorgaumlnge sind dabei nicht als natuumlrliche Prozesse sonder eher als hypothetische Hilfskonstruktionen zu verstehen die lediglich dazu dienen die Maumlngel der VB-Theorie auszuheilen Letztlich ermoumlglichen sie es mit Hilfe von Linearkombinationen aus Atomorbitalen und deren Uumlberlappungszonen den tatsaumlchlich vor-liegenden Molekuumllorbitalen naumlherzukommen

Der erste dazu notwendige Schritt die Promotion dient dazu die fuumlr die gegebene Zahl an Bindungen notwendige Zahl an ungepaarten Elektronen zu schaffen Dazu werden dann einfach Orbitale houmlherer Energie besetzt Im Fall des vierbindigen Kohlenstoffs bedeutet das beispielsweise dass ein s-Elektron an den bereits halbbesetzten px- und py-Orbitalen vorbei auf das energiereichere pz-Orbital gehoben wird Aus der Elektronenkonfiguration

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wird somit 1s 2s 2p

Dieser hypothetische Vorgang kommt einer gewissen Energieerhoumlhung gleich die allerdings dadurch abgemildert wird dass ein nach der ersten Hundschen Regel (bdquobus seat ruleldquo) guumlnsti-gerer Zustand mit ungepaarten Spins entsteht Die vier nunmehr halbbesetzten Orbitale sind in Abbildung 10 dargestellt

Abb 10 Darstellung der vier an der sp3-Hybridisierung des Kohlenstoffs beteiligten Orbitale 2s 2px 2py und 2pz(Quelle Chemgapedia)

Anschlieszligend erfolgt nun die Hybridisierung eine Art Vermischung (oder mathematisch korrekter die Bildung von Linearkombinationen) des s- mit den drei p-Orbitalen Dadurch entstehen Orbitale in gleicher Anzahl aber mit voumlllig neuer Form Symmetrie und Orien-tierung im Raum

Abb 11 Darstellung der vier aus der sp3-Hybridisierung des Kohlenstoffs resultierenden Hybridorbitale Die Ausrichtung der sp3-Hybridorbitale folgt den vier Raumdiagonalen eines Wuumlrfels oder ndash wenn man nur die groumlszligeren Segmente der Orbitale betrachtet ndash den Ecken eines Tetraeders (Quelle Chemgapedia)

Die vier neuen wiederum jeweils halbbesetzten Orbitale zeigen vom Kern aus zu den Ecken eines Tetraeders Mit ihrer Hilfe laumlsst sich nun zwanglos die Bildung des bekannten Methan-Molekuumlls CH4 erklaumlren jedes einzelne sp3-Hybridorbital uumlberlappt mit jeweils einem s-Orbi-tal eines Wasserstoffatoms wodurch eine tetraedrische Molekuumllgeometrie mit vier voumlllig gleichberechtigten Bindungen entsteht Das Ergebnis kommt den tatsaumlchlich vorhandenen Molekuumllorbitalen die sich gemaumlszlig dem MO-Modell formulieren lassen sehr nahe Festzu-halten ist dabei dass es sich sowohl bei der Promotion als auch bei der Hybridisierung um rein fiktive Prozesse handelt die lediglich postuliert werden um den VB-Ansatz zu bdquorettenldquo Der grundsaumltzliche Mangel der darin besteht dass das VB-Modell uumlberwiegend auf Atom-orbitalen beharrt die eigentlich nicht mehr existieren bleibt bestehen Viele Molekuumllgeome-trien lassen sich in der VB-Theorie nur mit Hilfe einer passenden Hybridisierung erklaumlren Dennoch das VB-Modell ist fuumlr die meisten Anwendungen in der Chemie nach wie vor der am haumlufigsten gewaumlhlte Ansatz er ist einfach intuitiv und vielseitig einsetzbar solange man die richtige Form der Hybridisierung waumlhlt Letzteres geschieht auf der Grundlage einer bekannten Molekuumllgeometrie oder unter Beruumlcksichtigung von vorhandenen Mehrfachbindun-gen Im Idealfall aumlhneln die gebildeten Hybridorbitale dann den wirklichen Molekuumllorbitalen

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In der folgenden Tabelle sind die haumlufigsten Hybridisierungsvarianten zusammengefasst und verschiedenen Molekuumllgeometrien zugeordnet Bei gegebener Geometrie des Molekuumlls (z B die trigonal-planare Anordnung um jedes Kohlenstoffatom im Ethylen) kann man so auf die passende Hybridisierung schlieszligen (im gegebenen Fall das sp2-Hybrid)

Tabelle 1 Wichtige Hybridisierungszustaumlnde nach dem VB-Modell

Hybridisierung Promotion Koordinationszahl Geometrie Beispiele

sp uarruarr suarr puarr 2 linear Acetylen Propadien

sp2 uarruarruarr suarr puarruarr 3 trigonal-planar Ethylen Benzol

sp3 uarruarruarruarr suarr puarruarruarr 4 tetraedrisch Methan Ammoniak

sp3d uarruarruarruarruarr suarr puarruarruarr duarr 5 trigonal-bipyramidal

Phosphor-pentachlorid

sp3d2 uarruarruarruarruarruarr suarr puarruarruarr duarruarr 6 oktaedrisch Schwefel-hexafluorid

Die so entstehenden Hybridorbitale kommen in ihrer raumlumlichen Darstellung den tatsaumlchli-chen Molekuumllorbitalen teilweise recht nahe sie korrigieren somit die VB-Theorie in gewissem Sinne in Richtung der MO-Theorie Allerdings bleibt festzuhalten dass die VB-Theorie keine antibindenden Orbitale kennt diese bleiben einfach unberuumlcksichtigt Dies ist eine gravie-rende Schwaumlche der VB-Theorie die sich an vielen Stellen bemerkbar macht (zB bei der Erklaumlrung des Sauerstoff-Biradikals in der Spektroskopie und bei bestimmten Reaktions-typen)

19 Elektronegativitaumlt und Polaritaumlt

In einer chemischen Bindung zwischen verschiedenen Elementen besitzen die beteiligten Atome fuumlr gewoumlhnlich unterschiedliche Tendenzen die Bindungselektronen an sich zu ziehen Bei der Betrachtung der Energieschemata im MO-Modell aumluszligert sich dies darin dass ein bindendes Molekuumllorbital aus einer Linearkombination zweier Atomorbitale mit sehr unterschiedlicher Energie hervorgeht In diesem Fall besitzt das bindende Molekuumllorbital die Tendenz hohe Elektronendichten in der Naumlhe des Elements aufzuweisen dessen Atomorbital energetisch guumlnstiger liegt Man spricht dann von einer hohen Elektronegativitaumlt dieses Elements da es in dem gebundenen Zustand durch die erhoumlhte Elektronendichte eine partiell negative Ladung aufweist Ein klassisches Beispiel ist die Verbindung Fluorwasserstoff (HF) Hier wird ein bindendes Molekuumllorbital aus der Linearkombination zwischen dem 1s-Orbital des Wasserstoffs mit einem 2p-Orbital des Fluors gebildet Letzteres liegt aufgrund der relativ hohen Kernladung und des geringen Atomradius des Fluors energetisch wesentlich tiefer wodurch sich eine stark asymmetrische Elektronenverteilung ergibt Die Elektronegativitaumlt wird in erster Linie durch die Kernladung vor allem aber auch durch den Abstand zwischen den Valenzelektronen und dem Atomkern bestimmt Daher sind auch kleine Atome wie zum Beispiel der Stickstoff der Sauerstoff oder das Fluor auch besonders elektronegativ (s Tabelle Seite 12) Im Periodensystem der Elemente nimmt die Elektro-negativitaumlt tendenziell nach oben und nach rechts zu (Edelgase ausgenommen) Linus Pauling

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schlug vor die Elektronegativitaumlt ausgehend von der VB-Theorie als dimensionslose Kenn-groumlszlige fuumlr jedes einzelne Element einzufuumlhren Sie errechnet sich aus einem Vergleich der Dissoziationsenergien der beteiligten Elemente Demnach besitzt Francium als das am wenigsten elektronegative Element den Wert 070 und Fluor als das am staumlrksten elektro-negative Element den Wert 398 Eine Zwischenstellung nimmt zB Wasserstoff mit 220 ein Bei Bindungen zwischen Elementen mit unterschiedlicher Elektronegativitaumlt spricht man von polaren Bindungen Entlang einer polaren Bindung baut sich durch die ungleiche Elektronen-verteilung ein entsprechendes Dipolmoment auf das haumlufig Anlass fuumlr starke zwischen-molekulare Kraumlfte liefert (s Kapitel 3) Im Extremfall einer sehr polaren kovalenten Bindung kann das Bindungselektron (bzw die Bindungselektronen) praktisch allein dem elektronega-tiveren Element zugesprochen werden Das entsprechende Bindungsorbital besteht dann als Linearkombination von Atomorbitalen fast ausschlieszliglich aus einem Atomorbital welches das elektronegativere Element beisteuert In diesem Fall spricht man nach klassischer Definition von einer Ionenbindung

2 Die Elektronenspektroskopie an Atomen und Molekuumllen 21 Grundlagen der Spektroskopie

Elektronen in Atomen und Molekuumllen koumlnnen ndash soweit die Erkenntnis aus Kapitel 1 ndash durch Wellenfunktionen beschrieben werden Aus diesen kann man nicht nur die Aufenthaltswahr-scheinlichkeit an verschiedenen Positionen im Raum sondern auch die Energie des Elektrons ableiten Eine Folge der Beschraumlnkung der Elektronen auf bestimmte Wellenfunktionen mit jeweils bestimmter Energie ist dass sie auch nur in bestimmten Schritten Energie aufnehmen und abgeben koumlnnen Jede Aufnahme bzw Abgabe von Energie entlang dieses Schrittes ist generell mit der Aufnahme bzw Abgabe von elektromagnetischer Strahlung verbunden Diese Tatsache bildet die Grundlage der Spektroskopie im gegebenen Fall der Elektronenspektros-kopie

Allgemein gesprochen befasst sich die Spektroskopie mit der Wechselwirkung zwischen Strahlung und Materie Etwas genauer laumlsst sich aussagen dass die Spektroskopie unter-sucht mit welcher elektromagnetischen Strahlung sich welcher energetische Uumlbergang anre-gen laumlsst Zwischen der elektromagnetischen Strahlung und dem dabei bewirkten energeti-schen Uumlbergang gilt dann grundsaumltzlich folgende Beziehung Δ E = h ∙ ν mit ΔE als der Energiedifferenz zwischen den beiden Zustaumlnden (in Joule) ν (gesprochen bdquonuumlldquo) als Frequenz der verwendeten elektromagnetischen Strahlung (in 1s oder Hertz Hz) und h als dem so genannten Planckschen Wirkungsquantum (mit h = 6626∙10-34 Js) Somit ist jeder Frequenz ν im elektromagnetischen Spektrum (Abb 12) genau ein Energiewert Δ E zugeordnet Die dazugehoumlrige Wellenlaumlnge im Vakuum (in m) errechnet sich nach λ = c ν mit c als Lichtgeschwindigkeit (im Vakuum c = 299 792 458 ms)

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Abb 12 Elektromagnetisches Spektrum (Quelle Chemgapedia)

Fuumlr die genaue Messung welche Frequenz der elektromagnetischen Strahlung einem gegebe-nen Uumlbergang anzuregen vermag gibt es experimentell zwei verschiedene Ansaumltze Entweder man strahlt Energie auf das System ein und beobachtet den Verlust an Strahlungsintensitaumlt der dann beobachtet wird wenn die Strahlung einen Uumlbergang zu einem houmlheren Energieni-veau bewirkt (Absorption) oder man fuumlhrt dem System Energie zu (zum Beispiel thermisch) und beobachtet dann die Freisetzung von Energie als Strahlung (Emission) Im einen Fall erfuumlllt die Frequenz der absorbierten Strahlung im anderen Fall die der emittierten Strahlung die Frequenzbedingung ΔE = h ∙ ν Mit beiden Methoden kann man so exakt den Energie-unterschied zwischen zwei Energieniveaus ausmessen Die Bestimmung der Werte fuumlr die charakteristischen Energieschritte ΔE eines Systems ist die Hauptaufgabe der Spektroskopie Sie eignet sich insbesondere um elektronische Wellenfunktionen eines Systems zu erkunden

22 Elektronenspektroskopie am eindimensionalen Potentialtopf

Das denkbar einfachste elektronische System ist der eindimensionale Potentialtopf Dennoch kann auch dieses Modell schon in grober Naumlherung auf Molekuumlle angewandt werden speziell auf solche mit annaumlhernd linearen Delokalisationssystemen (s Kapitel 14) Ein Beispiel ist die Reihe Butadien Hexatrien Oktatetraen usw Bildet man mit Hilfe der Loumlsungen der Schroumldingergleichung fuumlr das eindimensionale Potentialtopfmodell einen Ausdruck fuumlr den elektronischen Uumlbergang zwischen dem houmlchsten besetzten Orbital (HOO) und dem niedrig-sten unbesetzten Orbital (LUO) so erhaumllt man fuumlr die damit verbundene Energiedifferenz gemaumlszlig der in Abbildung 5 gezeigten Formel

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ΔE = h ∙ ν = (nsup2LUO-nsup2HOO) ∙ hsup2 (8 me asup2)

Mit wachsender Laumlnge a und wachsender Elektronenzahl (jedes Kohlenstoffatom im Delokali-sationsgebiet traumlgt ein Elektron bei) steigen einerseits die Werte der Quantenzahlen n fuumlr das houmlchste besetzte Orbital (HOO) und das niedrigste unbesetzte Orbital (LUO) an andererseits steigt aber auch die Laumlnge L die quadratisch im Nenner der Gleichung steht Da letzteres insgesamt uumlberwiegt sinkt der Wert fuumlr ΔE und damit fuumlr die Frequenz ν schrittweise mit Anstieg der Kettenlaumlnge Liegt die absorbierte Lichtfrequenz anfaumlnglich im UV-Bereich so verschiebt sie sich beispielsweise fuumlr das Carotin mit 11 Doppelbindungen schon in den sichtbaren blauen Bereich Weil daher Carotin blaues Licht absorbiert erscheint es im Durchlicht betrachtet in der Komplementaumlrfarbe orange-gelb Nach diesem Prinzip lassen sich viele organische Farbstoffe interpretieren Aumlndert sich die Laumlnge bzw die Elektronenzahl (und damit nsup2LUO und nsup2HOO) durch die Protonierung des Molekuumlls so hat man es mit einem Farbstoff zu tun der mit dem pH-Wert seine Farbe aumlndert ndash dies ist die Grundlage vieler pH-Indikatoren

23 Elektronenspektroskopie am Wasserstoffatom

Die wissenschaftliche Spektralanalyse wurde in der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts gemeinsam durch GR Kirchhoff und RW Bunsen entwickelt Sie entdeckten dass alle Elemente beim Erhitzen Licht aussenden Nach Zerlegung des Lichts mit einem Glasprisma erhaumllt man ein fuumlr jedes Element charakteristisches Linienmuster das so genannte Spektrum (s auch UTube-Video bdquospectral lines demoldquo httpwwwyoutubecomwatchv=2ZlhRChr_Bw) Dieses Spektrum reflektiert die Gesamtheit der dem gegebenen Element eigenen elektronischen Uumlbergaumlnge und ist damit ein unverwechselbarer Fingerabdruck Elemente koumlnnen damit sowohl in der Emissionsspektroskopie als auch in der Absorptionsspektroskopie eindeutig und mit hoher Empfindlichkeit identifiziert werden

Die Elektronenspektroskopie kann jedoch noch deutlich mehr sie erlaubt die exakte Uumlber-pruumlfung der durch die Loumlsung der Schroumldingergleichung gefundenen elektronischen Wellen-funktionen Dies wurde zunaumlchst am Wasserstoffatom mit hoher Praumlzision betrieben Histo-risch gesehen ist die erste wichtige Lichtquelle fuumlr spektroskopische Analysen unsere Sonne Dies gilt insbesondere fuumlr das Spektrum des Wasserstoffs Da die Energie der elektronischen Zustaumlnde dort einzig und allein von der Hauptquantenzahl n abhaumlngt (s Kapitel 15) werden lediglich solche Spektrallinien beobachtet die sich genau einem gegebenen ΔE = E(n) - E(nlsquo) zuordnen lassen Zuerst wurde mit der Balmer-Serie der sichtbare Anteil des Spektrums ent-deckt der mit allen Uumlbergaumlngen von oder zu dem Niveau n = 2 verbunden ist (Abb 13) Es folgten spaumlter im UV-Bereich die Lyman-Serie mit n = 1 und im IR-Bereich die Paschen-Serie mit n = 3 die Brackett-Serie mit n = 4 sowie die Pfundt- und die Humphreys-Serie mit n = 5 und n = 6 (letztere sind in Abb 13 nicht mehr eingezeichnet) Weitere Serien mit houmlheren Quantenzahlen existieren tragen aber keine eigenen Namen mehr

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Wel

lenz

ahl

[100

0 cm

-1]

0

10

20

30

40

50

60

70

80

90

100

110Grundzustand

Lyman-serie

Balmer-serie

Paschen-serie

Brackett-serie

n = 5n = 4

n = 3

n = 2

n = 1

Gustav Robert Kirchhoff

Robert Wilhelm Bunsen

Abb 13 Wichtige elektronische Uumlbergaumlnge im Wasserstoffatom

Abbildung 14 zeigt das gesamte Wasserstoffspektrum die Kuumlrzel benennen die entsprechen-den Serien (Ly = Lyman Ba = Balmer etc)

Abb 14 Spektrum des Wasserstoffatoms Die Achse fuumlr die Wellenlaumlnge ist logarithmisch aufgetragen

Eine genaue Analyse ergibt dass sich das Schema der Energiedifferenzen nach Abb 13 fast genau mit den in Kapitel 15 besprochenen Loumlsungen der Schroumldingergleichung deckt Die aumluszligerst kleinen Abweichungen die man dennoch detektieren konnte lieszligen sich auf den Bei-trag des Kerns (trotz seiner hohen Masse kann er sich minimal mit dem Elektron mitbewegen) und des Isotopeneffekts zuruumlckfuumlhren der schwerere Deuteriumkern der aus einem Proton und einem Neutron besteht bewegt sich weniger leicht mit dem Elektron mit als das einsame Proton des bdquonormalenldquo Wasserstoffs Daneben zeigen sich bei sehr hoher Aufloumlsung des Spektrums auch relativistische Effekte die zu weiteren Aufspaltungen fuumlhren

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24 Elektronenspektroskopie an Atomen mit mehreren Elektronen

Aufgrund der Wechselwirkungen zwischen den Elektronen ist bei schwereren Elementen die beim Wasserstoff gegebene Entartung bezuumlglich der Quantenzahlen l und m aufgehoben Damit wird das Energiediagramm bereits fuumlr ein einfaches houmlheres Atom wie zum Beispiel Lithium schon deutlich komplizierter (Abb 15) Neben den Uumlbergaumlngen zwischen verschiede-nen Werten fuumlr n treten nun auch Uumlbergaumlnge zwischen s und p p und d d und f auf Manche Uumlbergaumlnge (zum Beispiel solche zwischen s- und d-Niveaus) werden allerdings gewoumlhnlich nicht beobachtet man nennt sie bdquoverbotenldquo bdquoErlaubtldquo sind nur solche Uumlbergaumlnge bei denen die Nebenquantenzahl sich um den Wert plusmn1 aumlndert (also eben von s nach p von p nach d usw) Die so genannte Auswahlregel welche die erlaubten Uumlbergaumlnge festlegt heiszligt folglich Δl = plusmn1

Als weitere Folge der Wechselwirkungen zwischen den Elektronen besitzt jedes houmlhere Atom ein eigenes und von Wasserstoff verschiedenes Energiediagramm Damit besitzt aber auch jedes Atom ein unverwechselbares Muster von Energieuumlbergaumlngen die es eindeutig kenn-zeichnet Dies laumlsst sich bereits in einfachen Versuchen anhand von Flammenfaumlrbungen zeigen Diejenigen Uumlbergaumlnge deren ΔE den Wellenlaumlngen im sichtbaren Spektrum entspricht (in Abb 15 sind dies die kuumlrzeren unter den eingezeichneten blauen Pfeilen) sorgen bei vielen Elementen fuumlr ein charakteristisches farbiges Leuchten (Abb 15 rechts)

Ener

gie

Wasserstoff Lithium

n = 1

2

3

45

1s

2s

2p

3s

4s

5s

3p

4p5p

3d

4d5d

Abb 15 Termschema von Lithium mit wichtigen elektronischen Uumlbergaumlngen (links) Durch Lithium verursachte Flammenfaumlrbung (rechts Quelle httpwwwitpuni-hannoverde~zawischaITPatomshtml)

Letztlich ist auch bei allen houmlheren Atomen die Elektronenspektroskopie eine ideale Methode um das Energieniveauschema experimentell zugaumlnglich zu machen Sie eignet sich daruumlber hinaus perfekt zur schnellen und empfindlichen Identifikation von Elementen Diese Tatsache

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macht man sich sowohl in der Atomabsorptionsspektroskopie (AAS) als auch in der Atom-emissionsspektroskopie (AES) zunutze Elektronenspektren sind unverwechselbare Finger-abdruumlcke mit denen alle Elemente in hoher Empfindlichkeit und selbst uumlber groszlige Distanzen hinweg sicher identifiziert werden koumlnnen

25 Elektronenspektroskopie an Molekuumllen

Genau wie die Atomorbitale sind auch Molekuumllorbitale der Elektronenspektroskopie zugaumlng-lich Durch die systematische Analyse aller elektronischen Uumlbergaumlnge lassen sich die Energie-niveaus in einem MO-Schema schrittweise ausmessen Besonders interessant wird dieser Ansatz bei der Untersuchung der Bindungsverhaumlltnisse Im Allgemeinen beobachtet man Uumlbergaumlnge zwischen bindenden und nicht bindenden Orbitalen einerseits und den uumlblicherweise unbesetzten antibindenden Orbitalen andererseits In Abb 16 ist dies am Beispiel einer C-O-Bindung in Formaldehyd gezeigt Im Mittelpunkt stehen dabei das binden-de und das antibindende σ-Orbital C-O das bindende und das antibindende π-Orbital C-O sowie das nicht bindende freie Elektronenpaar des Sauerstoffs (ein weiteres freies Elektronen-paar bleibt unbeteiligt)

Ener

gie

σ CO

σ CO

π CO

π CO

n O

C

H

H

O

σ-σ

Uumlbe

rgan

g

π-π

Uumlbe

rgan

gn-π Uumlber-gang

σ

Abb 16 Termschema der CO-Gruppe in Formaldehyd (links) Die beteiligten Bindungen und das im betrachteten Energiefenster liegende freie Elektronenpaar des Sauerstoffs sind rechts skizziert

Die drei wichtigsten Uumlbergaumlnge die an der C-O-Gruppe detektiert werden sind der σ-σ-Uumlbergang der π-π-Uumlbergang und der n-π-Uumlbergang Letzterer ist in einer C-O-Gruppe stets am energieaumlrmsten und kann bereits mit UV-Licht einer Wellenlaumlnge um 280 nm angeregt werden (schwarzer Pfeil in Abb 16) Energiereicher und intensiver ist bei der CO-Gruppe der π-π-Uumlbergang der bei Wellenlaumlngen um 170 nm angeregt wird (roter Pfeil in Abb 16) Daruumlber hinaus zeigt das Spektrum dass die beiden freien Elektronenpaare des Sauerstoffs stark unterschiedlichen Charakter besitzen (nur eines ist an dem n-π-Uumlbergang beteiligt das andere tritt im gegebenen Spektralbereich nicht in Erscheinung)

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Auf aumlhnliche Weise lassen sich alle MO-Schemata komplizierter Molekuumlle analysieren Lie-gen die Anregungsfrequenzen der Uumlbergaumlnge im sichtbaren Bereich so haben die Molekuumlle die Funktion von Farbstoffen Haumlufig besitzen sie dann laumlngere lineare Delokalisationsgebiete deren Elektronenspektren man dann auch in grober Naumlherung mit dem eindimensionalen Potentialtopfmodell beschreiben kann (s Kapitel 22) Werden Bindungselektronen angeregt und aumlndern sich im Verlauf der elektronischen Anre-gung die Bindungsverhaumlltnisse (beispielsweise bei Besetzung eines antibindenden Zustands) so ist mit der elektronischen Anregung zwangslaumlufig auch eine Aumlnderung des energetisch guumlnstigsten Bindungsabstands verbunden Damit einhergehend werden mechanische Schwin-gungen des Molekuumlls angeregt Mit den Molekuumllschwingungen verhaumllt es sich analog zu den elektronischen Zustaumlnden auch Molekuumllschwingungen existieren nur in bestimmten definierten Zustaumlnden die sich dann den elektronischen Zustaumlnden uumlberlagern (Abb 17) Die Folge davon ist dass die Elektronenspektren von Molekuumllen haumlufig keine scharfen Linien sondern breite Absorptionsbereiche (bdquoBandenldquo) aufweisen Alle Linien fuumlr die elektronischen Uumlbergaumlnge zerlegen sich demnach in eine Vielzahl von Einzellinien die verschiedene Schwingungszustaumlnde der benachbarten elektronischen Zustaumlnde miteinander verbinden (in Abb 17 sind exemplarisch neun verschiedene moumlgliche Uumlbergaumlnge eingezeichnet) Normaler-weise liegen alle diese Linien dicht beieinander so dass insgesamt eine verbreiterte Absorp-tionsbande entsteht

Ener

gie

elektronische Niveaus

Schwingungsniveaus

Abb 17 Zum Zustandekommen von breiten Absorptionsbanden in Elektronen-Schwingungsspektren Uumlberlagerung von elektronischen Uumlbergaumlngen mit Schwingungsuumlbergaumlngen Exemplarisch sind jeweils drei Schwingungsniveaus eingezeichnet

Das Elektronenspektrum eines Molekuumlls wird wegen der dazu verwendeten Frequenzbereiche im UV- und im sichtbaren (bdquovisibleldquo) Spektrum auch UV-vis-Spektroskopie genannt Die UV-vis-Spektroskopie dient neben der Aufklaumlrung der MO-Struktur auch der schnellen und bequemen Identifikation von chemischen Verbindungen Aufgrund ihrer im Absorptionsver-fahren sehr einfachen und preisguumlnstigen Messtechnik wird sie auch haumlufig in Kombination mit anderen analytischen Verfahren (zB der Chromatographie) verwendet Uumlber eine Bestim-mung der Intensitaumlt der Anregung kann auch eine quantitative Analyse einzelner Verbindun-gen erfolgen

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3 Das Zusammenwirken von Atomen und Molekuumllen 31 Der makroskopische Zustand von Materie Bisher sind nur einzelne Bausteine der Materie also Atome und Molekuumlle betrachtet worden Nun soll das makroskopische Erscheinungsbild von Materie ins Auge gefasst werden die aus einer Vielzahl von Atomen oder Molekuumllen besteht Um den Zustand dieser aus vielen Teilchen zusammengesetzten Materie uumlberhaupt als Gesamtheit zu beschreiben benoumltigt man zunaumlchst so genannte Zustandsparameter oder Zustandsgroumlszligen Die wichtigsten Vertreter dieser Kenngroumlszligen fuumlr makroskopische Materie sind die Stoffmenge n das Volumen V der Druck P und die Temperatur T

n Stoffmenge Die Stoffmenge wird uumlber die Teilchenzahl definiert

Einheit der Teilchenzahl 1 Mol

Definition Ein Mol eines Stoffes enthaumllt dieselbe Anzahl an Teilchen wie 0012 kg reiner Kohlenstoff des Isotops 12C (1 Mol 60221023

Teilchen) Dabei muss eindeutig festgelegt sein was unter einem Teilchen des Stoffes jeweils zu verstehen ist Ist die Stoffmenge konstant so spricht man von einem geschlossenen System

V Volumen Die Definition des Volumens erfolgt uumlber die festgelegte Laumlngeneinheit und den geometrischen Volumenbegriff

Einheit des Volumens 1 msup3

Definition Ein msup3 ist das Volumen eines wuumlrfelfoumlrmigen Raums mit einer Kantenlaumlnge von einem Meter Ist das Volumen konstant so spricht man von einem isochoren Vorgang

P Druck Die Definition erfolgt uumlber die Kraft die ein Stoff auf jede Flaumlcheneinheit eines ihn einschlieszligenden Behaumllters ausuumlbt

Einheit des Drucks 1 Pascal = 1 Pa = 1 Nmsup2 = 10-5 bar

Definition Ein Pascal ist der Druck bei dem auf jeden Quadratmeter der Behaumllterwaumlnde eine Kraft von 1 Newton ausgeuumlbt wird Ist der Druck konstant so spricht man von einem isobaren Vorgang

T Temperatur

Der sicherlich am schwierigsten fassbare Zustandsparameter makroskopischer Materie ist die Temperatur Zwar ist sie direkt mit der menschlichen Wahrnehmung verknuumlpft (kalt warm heiszlighellip) physikalisch jedoch zunaumlchst sehr undefiniert da sie nicht ohne weiteres auf andere physikalische Groumlszligen zuruumlckfuumlhrbar ist Am ehesten laumlsst sie sich im ersten Ansatz als diejenige Eigenschaft von Materie beschreiben die von einem Thermometer gemessen wird

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Zur Verwendung als Thermometer eignet sich prinzipiell jeder physikalische oder chemische Vorgang der reproduzierbar mit einer Temperaturaumlnderung verknuumlpft ist Klassisch sind dies insbesondere die Ausdehnungsvorgaumlnge von Gasen Fluumlssigkeiten und Festkoumlrpern (Abb 18)

Hg

Festkoumlrperthermometer werden gewoumlhnlich nach demPrinzip des Bimetall-Thermometers ausgelegt (ganzlinks) Dabei werden zwei verschiedene Festkoumlrper(zB zwei Bleche aus verschiedenen Metallen) flaumlchigmiteinander in Kontakt gebracht Bedingt durch dieunterschiedliche thermische Ausdehnung derMaterialien kruumlmmt sich das Bimetall-Blech abhaumlngigvon der Temperatur mehr oder weniger stark zu einerSpirale

Fluumlssigkeitsthermometer (Mitte) und Gasthermometer(rechts) nutzen die Volumenaumlnderung eines fluidenMediums mit der Temperatur Die Genauigkeit kannerhoumlht werden indem einem groszligvolumigen Vorrats-behaumllter ein relativ kleinvolumiger Ausdehnungs- undAblesebereich gegenuumlbergestellt wird

Abb 18 Thermometer die auf der Grundlage der temperaturbedingten Ausdehnung von Materie beruhen

In der Praxis kommen mehr und mehr die elektronischen Varianten der Temperaturmessung zum Zug die zumeist auf der Messung der Thermospannung basieren Neben der Messmetho-de ist die Festlegung einer Temperaturskala wichtig Dazu dienten zunaumlchst einige Fixpunkte die heute teilweise noch historische Bedeutung haben

1) Die tiefste Temperatur des Winters 17081709 in Danzig - 178 degC

2) Die Temperatur von schmelzendem Eis bei 760 Torr (760 Torr = 1 atm = 101 325 Pa) 0 degC

3) Koexistenztemperatur von Eis Wasser und Wasserdampf 001 degC (exakt)

4) Die durchschnittliche Koumlrpertemperatur eines gesunden Menschen 378 degC

5) Die Siedetemperatur des Wassers bei 760 Torr (1 atm = 101 325 Pa) 100 degC

Die Punkte 1 und 4 bildeten die Grundlage des Fahrenheit-Systems die Punkte 2 und 5 die der Celsius-Skala Bei beiden Systemen wurde der definierte Bereich zunaumlchst in 100 gleiche Teile (Grade) aufgeteilt dann extrapoliert Beide Definitionen wurden spaumlter verfeinert (Celsius 9999 Grade C zwischen den Fixpunkten 3 und 5 Fahrenheit 180 Grade F zwischen den Fixpunkten 1 und 5) Trotzdem mangelt es auszliger Punkt 3 allen genannten Fixpunkten an Genauigkeit und Reproduzierbarkeit

Das zweite Problem nach der Unvollkommenheit der Fixpunkte besteht in der Festlegung einer systemunabhaumlngigen linearen Teilung Gewoumlhnlich ist der Verlauf der Skala vom gewaumlhlten Medium abhaumlngig Eine lineare Teilung auf der Skala eines Quecksilber-thermometers entspricht daher nicht einer linearen Teilung auf der Skala eines Alkoholthermometers da die Ausdehnung bei jedem Medium in unterschiedlicher Weise von der Temperatur abhaumlngt

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Beide Probleme sowohl die Wahl der passenden Fixpunkte als auch die Definition einer sinnvollen linearen Teilung werden heute durch die Festlegung der so genannten absoluten Temperaturskala geloumlst Grundlage hierfuumlr sind uumlbereinstimmende Beobachtungen an Gasthermometern

-300 -200 -100 0 100 200

V

T

-27315degCBei wiederholten Messungen mit verschiedenenGasthermometern verschiedenen Gasen undGasvolumina und bei verschiedenen Drucken stelltman fest dass sich die Verlaumlngerungen aller in denjeweiligen Diagrammen erhaltenen Linien in einemPunkt schneiden Dieser Punkt entspricht auf derVolumenachse dem Wert V = 0 und auf derTemperaturachse dem Wert T = -27315 degC

Abb 19 Ausdehnungskurven verschiedener Gase Die Temperaturskala ist zunaumlchst noch in Celsius aufgetragen

Aus dieser Beobachtung wurde geschlossen dass der Temperatur am gemeinsamen Schnitt-punkt aller Ausdehnungskurven eine besondere physikalische Bedeutung zukommt und sie sich daher als Fixpunkt einer neuen Temperaturskala eignet Weiterhin wurde festgestellt dass zwar alle Gase in ihrem Ausdehnungsverhalten von dem linearen Verlauf abweichen dass aber unter bestimmten Umstaumlnden (zB niedriger Druck) ein gemeinsamer Verlauf angestrebt wird den man auch als idealen Verlauf bezeichnen koumlnnte Am besten funktioniert das bei Helium unter schrittweise absinkenden Drucken dessen Verhalten sich fuumlr P rarr 0 zum idealen Verhalten extrapolieren laumlsst Diese Erkenntnis diente zur Definition einer absoluten Temperaturskala in Kelvin

1) Unterer Fixpunkt Schnittpunkt der Volumenexpansionskurven bdquoidealerldquo Gase (zB Helium fuumlr den Grenzfall Prarr0) 0 Kelvin

2) Oberer Fixpunkt Koexistenztemperatur von Eis Wasser und Wasserdampf 27316 Kelvin

3) Das Volumen eines bdquoidealenldquo Gases (zB Helium fuumlr den Grenzfall Prarr0) ist bei konstantem Druck proportional zur Temperatur und definiert die lineare Teilung der Temperaturskala

Gemaumlszlig dieser Definition ist jede beliebige Temperatur unter Nutzung eines bdquoidealenldquo Gasther-mometers auf der absoluten Kelvin-Skala eindeutig festgelegt Die Verwendung der Kelvin-Skala ist gegenuumlber der Nutzung klassischer Temperatursysteme bei der Beschreibung physi-kalischer Vorgaumlnge eindeutig von Vorteil Vorgaumlnge bei denen die Temperatur konstant ist nennt man isotherm Mit der Definition der wichtigsten Zustandsparameter Teilchenzahl n Volumen V Druck P und Temperatur T besteht nun die Moumlglichkeit das Verhalten makroskopischer Materie zu beschreiben Am einfachsten gelingt das im Fall von Gasen

32 Zustandsgleichung fuumlr Gase die ideale Gasgleichung

Gleichungen welche die Zustandsparameter wie n V T und P miteinander verknuumlpfen nennt man Zustandsgleichungen Sie beschreiben das Verhalten einer aus vielen einzelnen Teilchen bestehenden Materie hinsichtlich ihrer makroskopisch messbaren Groumlszligen Am

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einfachsten sind solche Zustandsgleichungen fuumlr Gase aufzustellen Untersucht man bei Gasen systematisch den Zusammenhang zwischen n V P und T so stellt man fest dass fuumlr alle Gase in mehr oder weniger guter Naumlherung folgende einfache Gleichung erfuumlllt isthellip

P ∙ V = n ∙ R ∙ T

hellipwobei R fuumlr die so genannte ideale Gaskonstante steht (R asymp 8314 J K-1 Mol-1) Diese Glei-chung auch bdquoideale Gasgleichungldquo genannt ist ein so genanntes Grenzgesetz kein real exis-tierendes Gas erfuumlllt es genau aber alle Gase kommen ihm recht nahe insbesondere bei hohen Temperaturen und niedrigen Druumlcken Eine Gleichung dieser Form nennt man auch Zustands-gleichung da sie Zustandsparameter miteinander verbindet Grafisch laumlsst sich diese Verknuumlp-fung in einem einfachen Diagramm darstellen bei dem jede Kombination von T und V genau einem Wert fuumlr P zugeordnet ist (Abb 20)

P

V

T

Abb 20 Auftragung von P gegen T und V nach der idealen Gasgleichung

Wir wissen nun dass die Gase aus einer Vielzahl von Teilchen (Atomen oder Molekuumllen) bestehen Wie laumlsst sich das durch die ideale Gasgleichung beschriebene Verhalten nun mit dieser Tatsache in Einklang bringen Was bedeuten eigentlich die Parameter Druck und Tem-peratur fuumlr ein Gas das sich aus vielen einzelnen Atomen und Molekuumllen zusammensetzt Um makroskopische Zustandsparameter uumlberhaupt mit der Teilchenwelt verknuumlpfen zu koumlnnen benoumltigen wir eine Modellvorstellung fuumlr das mechanische Zusammenwirken der Teilchen im Fall von Gasen das so genannte kinetische Gasmodell

33 Das kinetische Gasmodell

Bei den im vorhergehenden Kapitel aufgefuumlhrten Gasgesetzen handelt es sich um mathemati-sche Beschreibungen von makroskopisch beobachtbaren Vorgaumlngen Zur Interpretation der Gasgesetze auf molekularer Ebene wurden verschiedene Modelle vorgeschlagen Das erfolg-reichste unter ihnen war das sogenannte kinetische Gasmodell Es beruht auf der Vorstellung dass ein Gas aus einer Vielzahl von Teilchen besteht die folgende Bedingungen erfuumlllen

1) Sie besitzen eine Atom- oder Molmasse M einen endlichen Durchmesser d und befinden sich in staumlndiger und ungeregelter Bewegung

2) Die Groumlszlige der Teilchen ist im Verhaumlltnis zum freien Volumen vernachlaumlssig-bar

3) Zwischen den Teilchen finden elastische Stoumlszlige statt Ansonsten existieren keine weiteren Wechselwirkungen unter den Teilchen

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Nach der kinetischen Gastheorie besteht der Druck eines Gases aus der Summe aller Kraumlfte (pro Flaumlcheneinheit) die durch auf eine Flaumlche aufprallende Gasteilchen (bzw durch deren Impulsaumlnderung) ausgeuumlbt werden (Abb 21)

Vx t

Abb 21 Links schematische Darstellung der Impulsaumlnderung bei dem Auftreffen eines Gasteilchens auf der Gefaumlszligwand Viele solche Stoumlszlige fuumlhren in der Summe zum Entstehen einer messbaren dem Gasdruck zugeordneten Kraft Rechts Die Geschwindigkeitskomponente vx der Teilchen bestimmt nicht nur die Groumlszlige der Impulsaumlnderung sondern auch die Zahl der Teilchen die pro Zeiteinheit auf die Wand stoszligen Daher geht die Geschwindigkeit der Teilchen bei der Berechnung des Drucks insgesamt quadratisch ein

Dabei wird zunaumlchst davon ausgegangen dass alle Teilchen die gleiche Geschwindigkeits-komponente vx aufweisen Diese Geschwindigkeitskomponente bestimmt zum einen die Heftigkeit der Stoumlszlige zum anderen wie viele Gasteilchen pro Zeiteinheit auf die Wand prallen Insgesamt haumlngt der Druck damit vom Quadrat der Geschwindigkeitskomponente vxab Fuumlhrt man nun ein mittleres Geschwindigkeitsquadrat csup2 ein (mit vxsup2 = 13 csup2) so erhaumllt man fuumlr den an dem beweglichen Kolben spuumlrbaren Druck die Gleichung

P = 13 M csup2 (nV) oder in der Schreibweise der idealen Gasgleichung P V = 13 n M csup2 Der Druck ist nach dem kinetischen Gasmodell also die Folge einer Vielzahl von Stoumlszligen welche die Teilchen gegen die Behaumllterwaumlnde ausfuumlhren Er ist folglich proportional zur Mas-se der Teilchen (je schwerer die Teilchen desto heftiger die Stoumlszlige) zum mittleren Geschwin-digkeitsquadrat (die Geschwindigkeit der Teilchen bestimmt zum einen die Haumlufigkeit zum anderen die Heftigkeit der Stoumlszlige) und zur Zahl der Teilchen pro Volumeneinheit (womit wie nach der idealen Gasgleichung zu erwarten P umgekehrt proportional zu V ist) Die Bedeutung der Temperatur im kinetischen Gasmodell ist dagegen zunaumlchst unklar Mit der idealen Gasgleichung P V = n R T ergibt sich aber durch Koeffizientenvergleich n R T = 13 n M csup2 oder R T = 13 M csup2 Man kann unter Nutzung beider Gasmodelle so zu einem neuen teilchenbezogenen Verstaumlnd-nis des Phaumlnomens Temperatur kommen Die Temperatur eines Gases ist demnach direkt proportional zum mittleren Geschwindigkeitsquadrat der Gasteilchen oder in anderen Worten zu deren kinetischer Energie 12 M csup2 Dies ist fuumlr das Verstaumlndnis des Phaumlnomens Temperatur von groszliger Bedeutung Man kann die Temperatur eines Gases also messen indem man (bei bekannter Masse der Teilchen) die Geschwindigkeit der Gasteilchen bestimmt Die Wurzel aus dem mittleren Geschwindigkeits-quadrat also die Groumlszlige c liegt uumlblicherweise in der Groumlszligenordnung der Schallgeschwindig-keit (zum Beispiel fuumlr Stickstoff bei Raumtemperatur c = 516 ms) und steht zu ihr in einer

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festen Beziehung Tatsaumlchlich laumlsst sich die Temperatur auch uumlber eine Messung der Schall-geschwindigkeit ermitteln Nachdem das mittlere Geschwindigkeitsquadrat der Teilchen bekannt ist stellt sich die Frage nach der Geschwindigkeitsverteilung der Teilchen Die Bewegungsenergie der Teilchen ist wie alle anderen Energieformen (zB elektronische Energie Schwingungsenergie) gequantelt Das bedeutet dass sich die Teilchen auf (hier dicht gestaffelte) Energieniveaus verteilen muumlssen Sie tun das nach einem statistischen Grundprinzip das Boltzmann-Verteilung genannt wird Demnach ist die Besetzung pi eines Energieniveaus i (egal welcher Art die Energie Ei ist) stets proportional zum so genannten Boltzmannfaktor des Zustand i Es gilt

pi ~ exp[-Ei(kBT)]

Die darin enthaltene Boltzmannkonstante kB ist nichts anderes als die allgemeine Gas-konstante R (siehe unter 32) dividiert durch die Zahl NL der Teilchen in einem Mol Substanz (kB = RNL) Das bedeutet die Besetzung eines Zustands ist umso wahrscheinlicher je niedriger dessen Energie ist Steigende Temperatur T hingegen erhoumlht die Wahrscheinlichkeit energiereicher Zustaumlnde Diese Gesetzmaumlszligigkeit gilt fuumlr die Besetzung aller auf atomarer oder molekularer Ebene gegebener Zustaumlnde in einem makroskopischen System Angewandt auf die Bewegungsenergie von Gasteilchen in einer einzelnen Raumrichtung x bedeutet das dass Teilchen mit hoher Geschwindigkeit vx weniger wahrscheinlich sind als solche mit niedriger Geschwindigkeit vx Allerdings steigt die Wahrscheinlichkeit des Auftretens groszliger Werte fuumlr vx mit steigender Temperatur Teilt man den Bereich der auftretenden Geschwindigkeiten in Intervalle auf und zaumlhlt man die Teilchen die gemaumlszlig ihrer Geschwindigkeit zu den einzelnen Intervallen zugeordnet werden koumlnnen so ergibt sich fuumlr die Geschwindigkeitsverteilung in vx und v das Bild das in Abb 22 oben dargestellt ist Die Verteilungsfunktionen fuumlr die Geschwindigkeiten in y- und z-Richtung sind identisch

n(vx)

vx-Intervall

n(vx)

vx-Intervall

Temperatur-erhoumlhung

- 0 +- 0 +n(v)

v-Intervall

Temperatur-erhoumlhung

0 +

n(v)

v-Intervall0 +

Abb 22 Verteilungsfunktionen einer eindimensionalen Geschwindigkeitskomponente (oben) und der Gesamtgeschwindigkeit (unten)

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Betrachtet man die Verteilung n(v) der Gesamtgeschwindigkeit v im dreidimensionalen Raum so wird das Bild komplizierter Bezuumlglich der drei Raumrichtungen x y und z sind weiterhin die kleinen Geschwindigkeiten wahrscheinlicher als die groszligen Da nun aber fuumlr eine groszlige Gesamtgeschwindigkeit v mehr Kombinationsmoumlglichkeiten vx vy vz existieren als fuumlr kleine Gesamtgeschwindigkeiten so wird die Wahrscheinlichkeit fuumlr sehr geringe Gesamtgeschwindigkeiten entsprechend kleiner fuumlr groszlige Gesamtgeschwindigkeiten entsprechend groumlszliger Der daraus resultierende Gewichtungsfaktor fuumlr jedes v ist die relative Flaumlche der Kugelschale mit dem Radius v Insgesamt ergeben sich dann die in Abb 22 unten dargestellten Verteilungsfunktionen fuumlr niedrige und hohe Temperaturen Die Verteilungsfunktionen in vx und v lauten (ohne Herleitung)

f(vx) = [M(2RT)]12 exp [-Mvxsup2(2RT)]

f(v) = 4 [M(2RT)]32 vsup2 exp [-Mvsup2(2RT)] Der Mittelwert von vx (oder jeder anderen eindimensionalen Geschwindigkeitskomponente) ist grundsaumltzlich Null Dagegen besitzt der Mittelwert von v stets eine endliche von Null verschiedene Groumlszlige Bei einer Erhoumlhung der Temperatur werden alle Verteilungsfunktionen breiter der Mittelwert von v vergroumlszligert sich Die Temperatur eines Gases aumluszligert sich also nicht nur im mittleren Geschwindigkeitsquadrat sondern auch in der Form der Geschwindigkeitsverteilungsfunktion Bei der Mischung von Gasen unterschiedlicher Temperatur muss um die oben genannte Forderung zu erfuumlllen aus der einfachen Summe von zwei Verteilungsfunktionen eine neue der Mischtemperatur ent-sprechende Verteilungsfunktion entstehen Dies ist nur unter der Annahme moumlglich dass ein Austausch kinetischer Energie unter den Teilchen erfolgen kann Diese Tatsache bedingt die eingangs gestellte Forderung nach Teilchenstoumlszligen also Wechselwirkungen zwischen den Teilchen Damit muumlssen die Gasteilchen aber auch ein gewisses Volumen besitzen den Teil-chen ohne Eigenvolumen koumlnnen prinzipiell nicht zusammenstoszligen Darin besteht der we-sentliche Unterschied zwischen einem Gas nach dem kinetischen Gasmodell und dem idealen Gas Das ideale Gas koumlnnte man theoretisch auf ein beliebig kleines Volumen komprimieren bei einem kinetischen Gas ist dies aufgrund des Eigenvolumens nicht moumlglich Ansonsten erlaubt das kinetische Gasmodell die vollstaumlndige Interpretation der idealen Gasgleichung

34 Die korrigierte Gasgleichung nach van der Waals JD van der Waals

Mithilfe des kinetischen Gasmodells laumlsst sich die Zustandsgleichung fuumlr Gase weiter verfeinern Zunaumlchst soll beruumlcksichtigt werden dass die Teilchen ein eigenes Volumen besitzen In erster Naumlherung geschieht dies indem man ein vom Eigenvolumen der Gas-teilchen abgeleitetes minimales Volumen des Gases (das so genannte Covolumen) definiert Das Covolumen beschreibt dasjenige Volumen des Gases das bei staumlndigem mechanischem Kontakt zwischen jeweils zwei Teilchen eingenommen wird wenn man den Teilchenpaaren jeweils den sie umschreibenden kugelfoumlrmigen Raum zuordnet (wegen der geringen Wahr-scheinlichkeit von Dreierstoumlszligen kann die Bildung von Dreiergruppen ausgeschlossen werden) Das molare Covolumen b entspricht wenn man eine einfache geometrische Uumlberlegung an-setzt dem vierfachen Eigenvolumen eines Mols der Gasteilchen Um das tatsaumlchliche freie

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Volumen zu erhalten muss das n-fache Covolumen vom gegebenen Volumen abgezogen werden Damit wird aus der idealen Gasgleichung P V = n R T die erste korrigierte Version P (V - n b) = n R T Im zweiten Schritt soll nun uumlber das kinetische Gasmodell hinausgehend auch die anziehen-de Wechselwirkung zwischen den Teilchen beruumlcksichtigt werden Die Anziehung zwischen den Teilchen sorgt nach van der Waals fuumlr einen zusaumltzlichen nach auszligen nicht messbaren bdquoBinnendruckldquo Dieser Binnendruck ist proportional zum Quadrat der Teilchendichte (nV)sup2 Der zwischen den Teilchen tatsaumlchlich wirkende nach auszligen ebenfalls unmessbare Gesamt-druck ist dann gegeben als

Pgesamt (unmessbar) = P (messbar) + a (nV)sup2

mit einer fuumlr die anziehende Wechselwirkung charakteristischen Konstante a Die danach korrigierte Version der Gasgleichung die van-der-Waals-Gleichung fuumlr reale Gase lautet

[P + a (nV)sup2] (V - nb) = n R T

Die Konstanten b und a besitzen fuumlr jedes reale Gas charakteristische Werte die dessen Eigenvolumen (die Groumlszlige der Elektronenhuumllle) und die Staumlrke der intermolekularen Wechsel-wirkungen reflektieren Beispiele

Gas a b

Argon 01345 Pa m6Molsup2 32210-5 msup3Mol Kohlendioxid 03592 Pa m6Molsup2 426710-5 msup3Mol Helium 00034 Pa m6Molsup2 23710-5 msup3Mol Stickstoff 01390 Pa m6Molsup2 391310-5 msup3Mol Wasser 05573 Pa m6Molsup2 31010-5 msup3Mol

Der Parameter b spiegelt mit der Einheit msup3Mol weitgehend die Groumlszlige der einzelnen Teilchen (Atome oder Molekuumlle) wider So besitzt erwartungsgemaumlszlig Kohlendioxid oder Argon einen groumlszligeren Wert fuumlr b als beispielsweise Helium Allerdings sind die Unterschiede erstaunlich klein was auf die Tatsache zuruumlckzufuumlhren ist dass sich das Covolumen auf Teilchenpaare bezieht und ein Paar aus Kohlendioxidmolekuumllen gegenuumlber einem Paar aus Heliumatomen nur etwa das doppelte Volumen benoumltigt

Der Parameter a mit der Einheit Pascal mal Molvolumen zum Quadrat reflektiert die Staumlrke der Wechselwirkungen zwischen den Teilchen Diese Wechselwirkungen beruhen zum groszligen Teil auf den elektrischen Eigenschaften der Teilchen Diese wiederum sind mit der elektronischen Struktur der Atome beziehungsweise der chemischen Bindungen verknuumlpft Am wichtigsten ist dabei das in Kapitel 19 erwaumlhnte Dipolmoment Polare Bindungen koumlnnen zu Teilchen mit permanenten Dipolen fuumlhren (zB HF Wasser Ammoniak CO) Andere Molekuumlle oder Atome sind zwar unpolar koumlnnen aber spontan oder durch aumluszligere

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elektrische Felder polarisiert werden (zB He Ar molekularer Wasserstoff molekulares Chlor) Man spricht dann von polarisierbaren Teilchen mit einem spontanen Dipolmoment oder mit einem durch ein aumluszligeres Feld bewirkten induzierten Dipolmoment In all diesen Faumlllen sind anziehende Wechselwirkungen zwischen den Teilchen moumlglich die in dem Parameter a zusammengefasst werden Daruumlber hinaus koumlnnen sich auch voruumlbergehende chemische Bindungen ausbilden Das prominenteste Beispiel fuumlr diesen Fall ist die bekannte Wasserstoffbruumlckenbindung die bei polaren X-H-Bindungen auftreten kann Im Einzelnen werden demnach folgende Arten von Wechselwirkungen mit absteigender Intensitaumlt unter-schieden

a) Wasserstoffbruumlckenbindung X-H hellip Y Hierbei bildet sich voruumlbergehend eine chemische Bindung zwischen dem polar gebundenen Wasserstoff und einem elektronegativen und mit einem freien Elektronenpaar ausgestatteten Element Y

b) Wechselwirkungen zwischen permanenten Dipolen hier besitzen alle Teilchen ein permanentes Dipolmoment Zwischen den entgegengesetzt geladenen Enden der Teilchen bauen sich dann konstant anziehende elektrostatische Wechselwir-kungen auf

c) Wechselwirkungen zwischen permanenten und induzierten Dipolen die Teil-chen mit permanentem Dipolmoment induzieren ein voruumlbergehendes Dipol-moment bei den benachbarten (zunaumlchst unpolaren) Teilchen In der Folge ergibt sich eine anziehende elektrostatische Wechselwirkung

d) Wechselwirkungen zwischen induzierten Dipolen durch spontane Polarisierung eines Teilchens entsteht ein voruumlbergehendes Dipolmoment welches bei einem benachbarten Teilchen eine Polarisierung hervorruft In der Folge ergibt sich eine kurzfristige und sehr schwache elektrostatische Anziehung zwischen den Teilchen Man spricht dabei auch von der Dispersionswechselwirkung oder der Londonschen Wechselwirkung

Alle diese Effekte sind anziehender Natur und gehen damit in den Parameter a ein Fasst man die beiden Parameter a und b zusammen so entsteht mit der van-der-Waals-Gleichung eine recht zuverlaumlssige Zustandsgleichung fuumlr reale Systeme die sowohl die abstoszligenden als auch die anziehenden Wechselwirkungen beruumlcksichtigt

Ein guter Test fuumlr diese reale Zustandsgleichung ist die Berechnung eines Diagramms von P gegen V fuumlr verschiedene Temperaturen das so genannte P-V-Diagramm und die Gegen-uumlberstellung mit dem entsprechenden experimentellen P-V-Diagramm eines realen Gases Gemaumlszlig der van-der-Waalsrsquoschen Gleichung existieren abhaumlngig von der betrachteten Tempe-ratur drei Typen von Isothermen (Abb 23 links) solche die einer Hyperbel aumlhneln (1) eine einzelne Isotherme die einen Wendepunkt mit waagrechter Tangente besitzt (2) und solche die ein Minimum ein Maximum und einen Wendepunkt aufweisen (3) Das experimentell beobachtete Verhalten stimmt in den ersten beiden Faumlllen recht gut uumlberein weicht aber bei Isothermen des dritten Typs deutlich vom berechneten Verlauf ab (Abb 23 rechts)

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P

V

PV-Diagramm nachvan-der-Waals-Gleichung

1 2

3

P

V

3

experimentell bestimmtesPV-Diagramm f reales Gas

Abb 23 PV-Diagramme fuumlr reale Gase berechnet nach van der Waals (links) und experimentell bestimmt (rechts) Die drei typischen Formen der Isothermen (1 2 und 3) sind im Text beschrieben

Offensichtlich beschreibt die van-der-Waals-Gleichung das Verhalten eines realen Gases in der Umgebung des Wendepunkts weniger gut Experimentell stellt man allerdings fest dass in diesem Bereich tatsaumlchlich auch kein reines Gas sondern vielmehr eine Mischung aus einem Gas und einer kondensierten Fluumlssigkeit also ein Zweiphasenzustand vorliegt Dieser Zwei-phasenbereich beginnt am Wendepunkt der Isothermen des Typs 2 und schlieszligt alle Minima Maxima und Wendepunkte der Isothermen des Typs 3 ein (Abb 24 links)

P

V

Zweiphasen-gebiet

P

V

Zweiphasen-gebiet

Maxwell-Maxwell-KorrekturKorrektur

Zweiphasen-Gebiet

Zweiphasen-Gebiet

A1

A2

Abb 24 PV-Diagramme fuumlr reale Gase mit eingezeichnetem Zweiphasengebiet Der in diesem Bereich bei der Beschreibung nach van der Waals gegebene Fehler kann in guter Naumlherung durch die Maxwell-Korrektur kompensiert werden

Eine einfache Korrektur der van-der-Waals-Gleichung ermoumlglicht eine realistische Beschrei-bung des Zweiphasengebiets Eine horizontale Gerade wird so in der Naumlhe des Wendepunktes gelegt dass die oberhalb und unterhalb der Geraden im Zweiphasenbereich gebildeten Teilflaumlchen A1 und A2 die gleiche Groumlszlige besitzen (sog Maxwell-Korrektur s Abbildung 24 rechts) Dies sieht zwar nach einer etwas willkuumlrlichen Hilfskonstruktion aus trotzdem laumlsst sich damit das Verhalten eines realen Gases im Zweiphasengebiet sehr gut nachvollziehen und vorhersagen Eine besonders ausgewiesene Position im PV-Diagramm eines realen Gases ist der Scheitel-punkt des Zweiphasengebiets der durch den Wendepunkt der Isotherme des Typs 2 gebildet wird (Abb 25)

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P

V

Zweiphasen-gebiet Tc

Pc

Vc

kritischer Punkt

Jedes reale Gas besitzt einen sogenannten kritischenPunkt der durch die kritischen Zustandsgroumlszligen Tc Pc undVc beschrieben wird Die kritische Temperatur Tc istdiejenige Temperatur bei der sich ein Gas unter Druckgerade noch verfluumlssigen laumlszligt Oberhalb der kritischenTemperatur existiert kein fluumlssiger Zustand Derentsprechende Druck Pc wird als kritischer Druckbezeichnet

Die Isotherme die der kritischen Temperatur zugeordnetist besitzt als einzige einen Wendepunkt mit horizontalerTangente der gleichzeitig den kritischen Punkt markiert

Abb 25 PV-Diagramm fuumlr ein reales Gas mit kritischem Punkt

Dieser sogenannte kritische Punkt wird durch die kritische Temperatur Tc den kritischen Druck Pc und das kritische Molvolumen Vc festgelegt Zustaumlnde oberhalb des kritischen Punkts nennt man uumlberkritisch Uumlberkritisches Kohlendioxid besitzt in der Technik groszlige Bedeutung fuumlr das Loumlsen und Ausfaumlllen von pharmazeutischen Wirkstoffen (zB Aspirin fuumlr Brausetabletten) fuumlr die Extraktion (zB bei der Entkoffeinierung von Kaffee) oder zur chemischen Reinigung von Textilien

35 Andere Zustandsgleichungen fuumlr reale Gase

Neben der van-der-Waals-Gleichung existieren weitere Ansaumltze zur Beschreibung realer Gase die zwar eine genauere Anpassung an die gemessenen Werte ermoumlglichen aber auch kompli-zierter sind oder mehr Arbeit bei der Bestimmung der charakteristischen Parameter erfordern Im Folgenden seien als Beispiele die Berthelot-Gleichung und die Virialgleichung erwaumlhnt

a Berthelot-Gleichung (P + (Ansup2)(TVsup2) ) (V - nB) = n R T Berthelot fuumlhrte damit als Besonderheit einen temperaturabhaumlngigen Binnendruck ein Dies ist insoweit physikalisch gerechtfertigt als die vermehrte thermische Bewegung der Ausbildung von Wechselwirkungen zwischen den Molekuumllen entgegenwirken kann

b Virialgleichung P Vm = A + B P + C Psup2 + D Psup3 + Mit Vm = Vn Die Virialgleichung nutzt die Tatsache dass sich fast alle physikalischen Zusammenhaumlnge uumlber einen Potenzreihenansatz a + bx + cxsup2 + dxsup3 + hellip beliebig genau annaumlhern lassen Je nach Anzahl der anpassbaren Parameter ist zwar eine beliebig genaue Beschreibung des realen Gases moumlglich allerdings steigt auch der Aufwand fuumlr die Bestim-mung aller Koeffizienten

36 Beschreibung von Fluumlssigkeiten

Im PV-Diagramm der realen Gase schlieszligt sich links vom Zweiphasengebiet der Bereich der fluumlssigen Phase an Sie zeichnet sich dadurch aus dass mit sinkendem Volumen der Druck ex-trem steil ansteigt Das bedeutet dass bereits eine geringfuumlgige Volumenabnahme mit einem aumluszligerst groszligen Druckanstieg verbunden ist In der Praxis hat das zur Folge dass Fluumlssigkeiten im Gegensatz zu Gasen kaum komprimierbar sind ihre Kompressibilitaumlt geht gegen Null Auch ist die Ausdehnung der Fluumlssigkeiten bei steigender Temperatur und bei konstantem

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Druck (der thermische Ausdehnungskoeffizient) sehr viel kleiner als bei Gasen Eine einfache allgemeine Zustandsgleichung fuumlr die fluumlssige Phase in Analogie zur idealen oder zur van-der-Waals-Gleichung existiert nicht Stattdessen findet man bei der experimentellen Bestimmung des Zusammenhangs zwischen P V und T fuumlr jede Fluumlssigkeit ein sehr charakteristisches Verhalten Vergleicht man die Messergebnisse verschiedener Fluumlssigkeiten untereinander so sind kaum Aumlhnlichkeiten auszumachen Daruumlber hinaus sind bestimmte Messungen (zB die Messung der Abhaumlngigkeit des Drucks vom Volumen bei konstanter Teilchenzahl und Temperatur) technisch sehr schwer zu realisieren Das Fehlen einer einheitlichen Zustandsgleichung V(TPn) fuumlr Fluumlssigkeiten liegt auch in deren komplexer Struktur begruumlndet Betrachtet man ein einzelnes Teilchen in der Fluumlssigkeit so liegt es bezuumlglich der Abstaumlnde zu seinen naumlchsten Nachbarn stets in der Naumlhe des Mini-mums einer Potentialkurve Epot(r) die einen sehr steilen Verlauf besitzt Die Abstaumlnde zu den benachbarten Teilchen sind damit nahezu fixiert folglich ist eine unabhaumlngige Translations-bewegung einzelner Teilchen praktisch unmoumlglich Stattdessen verlaufen alle Bewegungs-prozesse mehr oder weniger kollektiv also unter gleichzeitiger Verschiebung mehrerer Teilchen Daruumlber hinaus gibt es keine nennenswerten freien Volumina so dass der mittlere Abstand der Teilchen nur unwesentlich verringert werden kann ein Umstand der sich in der bereits erwaumlhnten geringen Kompressibilitaumlt aumluszligert Ein Modell fuumlr eine allgemeine Fluumlssigkeit laumlsst sich im Rahmen einer Computersimulation einfuumlhren Man betrachtet dabei einen wuumlrfelfoumlrmigen Raum der einen Ausschnitt aus dem Fluumlssigkeitsvolumen darstellen soll und eine endliche Anzahl n von Fluumlssigkeitsteilchen (zB n = 1000) enthaumllt Um die Zahl der Teilchen konstant zu halten und dabei trotzdem deren Beweglichkeit zu wahren wird eine Kontinuitaumltsbedingung eingefuumlhrt Jedes Teilchen das im Rahmen der Bewegungsprozesse den Wuumlrfel an einer gegebenen Stelle verlaumlsst tritt automatisch an der genau gegenuumlberliegenden Position des Wuumlrfels wieder ein Auf diese Weise ist gewaumlhrleistet dass die Zahl der Teilchen im Wuumlrfel konstant bleibt (Abb 26)

Abb 26 Simulation von Bewegungs-vorgaumlngen in einem Fluumlssigkeitsvolumen unter Wahrung einer konstanten Partikel-anzahl Jedes Teilchen das im Rahmen der Bewegungsprozesse den Wuumlrfel an einer gegebenen Stelle verlaumlsst tritt automatisch an der genau gegenuumlberliegenden Position des Wuumlrfels wieder ein

An diesem System fuumlhrt man nun eine so genannte Monte-Carlo-Simulation durch Dabei setzt ein Zufallsgenerator eine geringfuumlgige Verschiebung eines beliebigen einzelnen Teil-chens in Gang Anschlieszligend wird unter Verwendung des bekannten Potentialverlaufs Epot(r) berechnet wie sich nach der Verschiebung die potentielle Energie des Systems veraumlndert hat Danach entscheidet das Simulationsprogramm zwischen zwei Moumlglichkeiten

- Hat sich die gesamte potentielle Energie des Systems durch die Verschiebung verringert oder blieb sie konstant so wird die Verschiebung akzeptiert und der naumlchste Schritt berechnet - Hat sich die gesamte potentielle Energie durch die Verschiebung um den positiven Wert E erhoumlht so wird die Verschiebung mit einer Wahrscheinlichkeit die von E abhaumlngt akzeptiert und ansonsten verworfen Danach wird der naumlchste Schritt berechnet

Auf diese Weise kann man fuumlr beliebige Fluumlssigkeiten sowohl die typischen Bewegungs-prozesse als auch die einflussbedingten Veraumlnderung von Zustandsgroumlszligen (zB P in Ab-

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haumlngigkeit von V) berechnen Allerdings sind die Rechnungen bei den fuumlr eine realistische Beschreibung eines Fluumlssigkeitsvolumens notwendigen groszligen Teilchenzahlen sehr aufwaumlndig und zeitintensiv

37 Beschreibung von Festkoumlrpern

Begibt man sich im P-V-Diagramm vom fluumlssigen Zustand ausgehend noch weiter nach links (zu kleineren Volumina houmlheren Drucken und niedrigeren Temperaturen) so erreicht man den festen Zustand Die Problematik der Zustandsgleichung V(TPn) von Festkoumlrpern aumlhnelt jener der Fluumlssigkeiten Auch hier sind die Kompressibilitaumlten und die thermischen Aus-dehnungskoeffizienten uumlblicherweise sehr viel geringer als bei Gasen Ebenso wie bei Fluumls-sigkeiten sind dabei die Unterschiede zwischen einzelnen Vertretern der Festkoumlrper recht groszlig so dass keine gemeinsame Zustandsgleichung wie bei Gasen formuliert werden kann Im Vergleich mit den Werten der Fluumlssigkeiten sind die Kompressibilitaumlten und die thermischen Ausdehnungskoeffizienten der Festkoumlrper durchschnittlich nochmals um etwa zwei Groumlszligen-ordnungen geringer

Abb 27 Torsionsexperiment zur Unterscheidung zwischen Fluumlssigkeiten und Festkoumlrpern (s Text)

Der wesentliche Unterschied zwischen Festkoumlrpern und Fluumlssigkeiten besteht allerdings in ihrem gegensaumltzlichen Verhalten bezuumlglich Verformung waumlhrend Fluumlssigkeiten einer gege-benen Verformung durch ihre Zaumlhigkeit (Viskositaumlt) Widerstand leisten reagiert ein Fest-koumlrper auf eine Verformung durch eine elastische Deformation Dieses Verhalten wird in einem Torsionsrheometer deutlich wobei eine feste oder fluumlssige Probe periodisch mit einer torsionsartigen Verformung beaufschlagt wird (Abb 27) Waumlhrend der Drehmomentverlauf des Festkoumlrpers exakt gleichphasig zur periodischen Aus-lenkung erfolgt (elastische Verformung) ist der Drehmomentverlauf der Fluumlssigkeit dazu um ein Viertel einer Wellenlaumlnge phasenverschoben (viskose Reaktion) Bei Fluumlssigkeiten ist der Widerstand dann maximal wenn die Deformationsgeschwindigkeit maximal ist (blaue Linie

t

Dre

hmom

entv

erla

uf

tAusl

enku

ng

Festkoumlrper

t

Dre

hmom

entv

erla

uf

Fluumlssigkeiten

Pruumlfkoumlrper

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in Abb 26) Bei Festkoumlrpern ist die Kraft dann maximal wenn der Deformationszustandmaximal ist (rote Linie in Abb 27) Viele Festkoumlrper stellen Uumlbergaumlnge zwischen diesen beiden Extremfaumlllen dar und werden dann als viskoelastisch bezeichnet Aus der Betrachtung von Messergebnissen an einer Viel-zahl von Materialien geht hervor dass eine eindeutige Abgrenzung zwischen dem fluumlssigen und dem festen Zustand selten moumlglich ist Entsprechend gibt es auch unterschiedliche Strukturmodelle die teilweise das elastische Verhalten teilweise das plastische Verhalten von Festkoumlrpern erklaumlren Dem elastischen Festkoumlrper mit nahezu verschwindender Phasen-verschiebung wird am ehesten das Modell eines idealen Kristalls gerecht Man geht dabei davon aus dass jedes Atom bzw Molekuumll aus dem der Festkoumlrper zusammengesetzt ist sich an einem geometrisch festgelegten Gitterpunkt befindet von dem es sich nicht entfernen kann Als Bewegungsprozess ist dabei lediglich eine Schwingung mit begrenzter Amplitude moumlglich Die denkbaren Geometrien der Gitterstrukturen reichen von primitiv-kubischen Gittern (zB Natriumchlorid) uumlber kubisch-dichteste (zB Silber Kupfer) und hexagonal-dichteste Kugelpackungen (zB Magnesium Zink) bis zur kubisch-raumzentrierten Struktur (zB Eisen Molybdaumln) Haumlufig findet man leichte Abweichungen von der idealen Gitter-struktur die durch lokale Stoumlrungen hervorgerufen werden Akzeptiert man gewisse Anteile an viskosem Verhalten (dh eine leichte Phasenverschiebung) so begibt man sich in den Grenzbereich zwischen Festkoumlrpern und Fluumlssigkeiten In einem Material wie Glas ist die regelmaumlszligige Anordnung eines Gitters nicht gegeben die Atome sind unregelmaumlszligig positioniert und koumlnnen unter Belastung auch flieszligen Solche nicht-kristallinen Festkoumlrper bezeichnet man als amorph Typische Vertreter amorpher Feststoffe sind Fenster-glas viele transparente Kunststoffe (zB Plexiglas Polyester in Getraumlnkeflaschen) Wachs und Aumlhnliches Amorphe Festkoumlrper besitzen keinen Schmelzpunkt sondern erweichen bei steigender Temperatur allmaumlhlich Amorphe Festkoumlrper koumlnnen nachtraumlglich kristallisieren wobei sich haumlufig das aumluszligere Erscheinungsbild und die physikalischen Eigenschaften drastisch aumlndern (zB Plastikfolie unter Zug)

38 Das Phasendiagramm

Die drei wichtigsten Phasenzustaumlnde zu denen sich eine makroskopische Gesamtheit von Atomen oder Molekuumllen zusammenfinden koumlnnen sind also Gase Fluumlssigkeiten und Festkoumlrper Die Frage ist nun unter welchen Bedingungen sich ein System fuumlr den ersten den zweiten oder den dritten Zustand entscheidet Erfahrungsgemaumlszlig haumlngt der gegebene Phasenzustand von den in Kapitel 31 eingefuumlhrten Zustandsparametern n V P und T ab Legt man die Stoffmenge n auf einen Wert fest (zB auf ein Mol Teilchen) und beruumlcksichtigt man dass nach den gegebenen Zustandsgleichungen die Groumlszligen n V P und T miteinander verknuumlpft sind so genuumlgen zwei Parameter um den jeweils guumlnstigsten Phasenzustand eindeutig festzulegen Ein Diagramm bei dem einer der Parameter V P und T gegen einen anderen aufgetragen wird eignet sich also prinzipiell um bei einer gegebenen Teilchenart den unter diesen Bedingungen jeweils angestrebten Phasenzustand zu markieren So kann man gemaumlszlig den Abbildungen 23 bis 25 in einem Diagramm bei dem P gegen V aufgetragen wird schon den jeweils gegebenen Phasenzustand eintragen und ablesen In der Praxis eignen sich solche PV-Diagramme allerdings wenig um Phasenzustaumlnde zu markieren der gasfoumlrmige Zustand nimmt einen sehr breiten Raum ein waumlhrend der fluumlssige und der feste Zustand in dem sehr engen Bereich links neben dem Zweiphasengebiet bdquoeingequetschtldquo waumlre Vor allem in diesem Umfeld waumlre das Diagramm schwer ablesbar

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Wesentlich guumlnstiger ist dagegen die Auftragung vom Druck P gegen die Temperatur T In diesem PT-Diagramm das auch als Phasendiagramm bezeichnet wird lassen sich alle Phasenzustaumlnde uumlbersichtlich zuordnen Dabei bezeichnen Flaumlchenanteile im PT-Diagramm die unter den gegebenen Druck- und Temperaturbedingungen angestrebte Phase (zB fest fluumlssig gasfoumlrmig) waumlhrend Linien die dazwischen vorliegenden Gleichgewichte markieren und Phasengrenzlinien genannt werden (Abb 28)

T

Pfe

st

fluumlss

ig

gasfouml

rmig

kritischerPunkt

Tripel-punkt

Phasengrenzlinie

Abb 28 Phasendiagramm mit Auftragung des Drucks (P) gegen die Temperatur (T)

Auszligerdem enthaumllt ein Phasendiagramm gewoumlhnlich mindestens zwei besonders ausgezeich-nete Punkte den Tripelpunkt an dem die drei im Allgemeinen wichtigsten Phasenzustaumlnde fest fluumlssig und gasfoumlrmig miteinander im Gleichgewicht stehen und den bereits aus dem PV-Diagramm bekannten kritischen Punkt der das Ende eines definierten Uumlbergangs zwischen fluumlssiger und gasfoumlrmiger Phase markiert Beispiele fuumlr Phasendiagramme Kohlen-dioxid und Wasser sind in Abbildung 29 und 30 wiedergegeben

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T

P

fest

fluumlss

iggasfoumlrmig

kritischerPunkt

Tripel-punkt

2168 K

511 bar

CO2

3042 K

728 bar

Abb 29 Phasendiagramm fuumlr Kohlendioxid

T

P

fluumlss

ig

gasfoumlrmig

kritischerPunkt

H2O

Eis 1

Eis 1

Eis 2 Eis 3

Eis 5

Eis 6

Tripelpunkt6473 K

218 bar

6 mbar 27316 K

Abb 30 Phasendiagramm fuumlr Wasser Der Bereich oberhalb von 200 bar ist aus Gruumlnden der

Uumlbersichtlichkeit entlang der P-Achse komprimiert dargestellt

Eine wichtige Besonderheit des Phasenverhaltens von Wasser ist die Tatsache dass die Phasengrenzlinie zwischen fluumlssigem Wasser und Eis 1 eine negative Steigung aufweist Dies hat zur Folge dass gewoumlhnliches Eis durch Erhoumlhung des Drucks zum Schmelzen gebracht werden kann Dieser Umstand ist eine der Ursachen dafuumlr dass eine Kufe auf Eis gleitet da der durch das Schmelzen entstehende Wasserfilm die Reibung vermindert (allerdings spielt hier auch die Reibungswaumlrme eine Rolle) Der Grund fuumlr dieses Verhalten steht in direkter Verbindung mit der strukturbedingten Volumenabnahme beim Schmelzen von Eis (s Videos unter httpwwwyoutubecomwatchv=6s0b_keOiOU und httpswwwyoutubecomwatchv=CDTZoFGmZoc )

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Waumlhlt man in einem Phasendiagramm eine Kombination von Druck und Temperatur so kann man direkt denjenigen Phasenzustand ablesen den die gegebene Teilchenart unter diesen Bedingungen anstrebt Das heiszligt jedoch nicht dass dieser Zustand dann auch in jedem Fall und zu jeder Zeit vorliegt Haumlufig beobachtet man eine so genannte kinetische Hemmung einer Phasenumwandlung So gibt es unterkuumlhlte Fluumlssigkeiten (zB Regentropfen bei -3degC) genauso wie unterkuumlhlte Dampfphasen (zB uumlbersaumlttigten Wasserdampf in Gewitterwolken) oder uumlberhitzte Fluumlssigkeiten (zB uumlberhitztes Wasser bei einem Siedeverzug) Kristalli-sationskeime wie Staubkoumlrner koumlnnen Phasenumwandlungen beschleunigen (zB durch Staub verursachter bdquoIndustrieschneeldquo) Bisher wurden lediglich Phasendiagramme von reinen Stoffen betrachtet die nur aus einer einzelnen Sorte Atomen oder Molekuumllen bestehen Mischt man einem gegebenen Stoff eine weitere Komponente hinzu so aumlndert sich das Phasendiagramm erheblich Als Beispiel betrachten wir ein System in dessen fluumlssiger Phase ein Fremdstoff A geloumlst wird der weder im Festkoumlrper noch im der Gasphase loumlslich ist (zB Kochsalz in Wasser) In diesem Fall dehnt sich der fluumlssige Bereich des Phasendiagramms mit steigender Konzentration von A in alle Richtungen aus so dass gleichzeitig der Schmelzpunkt erniedrigt der Siedepunkt erhoumlht und der Dampfdruck verringert wird (Abb 31) In erster Naumlherung sind alle genannten Aumlnderungen proportional zu cA

T

P

fest

fluumlss

ig

gasfouml

rmig

Abb 31 Phasendiagramm fuumlr ein System in dessen fluumlssiger Phase ein Fremdstoff mit steigender

Konzentration cA geloumlst wird Der Bereich der fluumlssigen Phase dehnt sich daraufhin in alle

Richtungen aus

Bei weiter steigender Konzentration von A kann ein Punkt erreicht werden an dem die Mischung in zwei getrennte Bereiche zerfaumlllt die ebenfalls als Phasen bezeichnet werden (zB Olivenoumll und Wasser) Eine dieser Phasen besitzt dann einen hohen Loumlsemittelanteil bei geringer Konzentration von A die andere besteht aus einem hohen Anteil an A mit einem geringen Gehalt an Loumlsemittel Dieser Vorgang der Phasenseparation binaumlrer (aus zwei Komponenten bestehender) Systeme wird durch eine andere Art von Phasendiagramm beschrieben dem so genannten Mischphasendiagramm (Abb 32) Hierbei wird die Tempe-

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ratur dem relativen Anteil einer Komponente gegenuumlbergestellt der Druck wird als konstant angenommen

Abb 32 Allgemeine Darstellung eines Mischphasendiagramms

Grundsaumltzlich gibt die linke Flanke der Phasentrennlinie (links des kritischen Punkts) die Zusammensetzung der bdquoA-armenldquo Phase an waumlhrend die rechte Flanke (rechts des kritischen Punkts) die Zusammensetzung der A-reichen Phase beschreibt Die Mengen der dabei gebildeten Phasen koumlnnen nach dem so genannten Hebelgesetz berechnet werden Demnach gilt zwischen dem Anteil n1 der A-armen Phase 1 dem Anteil n2 der A-reichen Phase 2 und den Laumlngen der Pfeile s1 und s2 in der vorhergehenden Abbildung folgender Zusammenhang

n1 s1 = n2 s2

Fuumlr das gezeigte Beispiel wuumlrde das bedeuten dass der Anteil der Phase 1 etwa doppelt so groszlig waumlre wie der Anteil der Phase 2 In der Naumlhe der beiden Raumlnder des Diagramms also fuumlr xA 0 (sehr wenig A im Loumlsemittel) oder xA 1 (sehr wenig Loumlsemittel in A) liegen in den meisten Faumlllen einphasige homogene Mischungen vor Das besagt dass auch bei niedrigen Temperaturen ein wenig von dem Stoff A im Loumlsemittel bzw ein wenig Loumlsemittel im Stoff A loumlslich ist Der im Diagramm eingezeichnete kritische Punkt bedeutet dass oberhalb der dazugehoumlrigen kritischen Temperatur keine Entmischung mehr erfolgt dh hier sind die beiden Komponenten vollstaumlndig und in jedem Verhaumlltnis miteinander mischbar Neben solchen oberen kritischen Punkten gibt es auch untere kritische Punkte Im zweiten Fall gilt dass die beiden Komponenten unterhalb einer bestimmten Temperatur in jedem Verhaumlltnis miteinander mischbar sind Im Allgemeinen koumlnnen die drei verschiedenen Faumllle auftreten die in Abbildung 33 dargestellt sind

0 Molenbruch xA der Komponente A 1

Tem

pera

tur

obere kritischeTemperatur

Einphasen-gebiet

Zweiphasen-gebiet

Beispiel xA = 04

T1

Zum gezeigten Beispiel

Eine Mischung mit dem Molenbruch xA = 04 wird von T2 nach T1 abgekuumlhltDabei zerfaumlllt die Mischung bei Tklsquo in zwei Phasen derenZusammensetzung bei T1auf der x-Achse an den Punkten 1 und 2 ablesbar ist

T2

Tklsquo

1 2

kritischer Punkt

s1 s2

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0 xA 1

Tem

pera

tur

System mit oberem kritischen Punkt

kritischer Punkt

0 xA 1Te

mpe

ratu

r

System mit unterem kritischen Punkt

kritischer Punkt

0 xA 1

Tem

pera

tur

System mit oberem und unterem

kritischen Punkt

kritischer Punkt

kritische Punkte

Abb 33 Moumlgliche Varianten von kritischen Punkten bei Systemen aus zwei Komponenten

Obere kritische Punkte findet man dann wenn sich die molekulare thermische Bewegung gegen die Tendenz der Molekuumlle sich mit gleichartigen Molekuumllen zusammenzulagern durchsetzt Dieses Phaumlnomen ist sehr verbreitet so dass ein oberer kritischer Punkt bei sehr vielen Mischphasen beobachtet wird Untere kritische Punkte sind sehr viel seltener Sie treten beispielsweise dann auf wenn die beiden Komponenten miteinander bei tiefen Temperaturen einen Komplex bilden der bei houmlheren Temperaturen wieder zerfaumlllt und dann zu einer Phasenseparation fuumlhrt Ein Beispiel dafuumlr ist die Mischung aus Wasser und Triethylamin

Fuumlr Mischphasen aus drei Komponenten so genannte ternaumlre Mischungen sind die bisher gezeigten Darstellungen ungeeignet Hierfuumlr haben sich Dreiecksdiagramme (Gibbssches Phasendreieck) durchgesetzt die das Phasenverhalten unter Variation der Mengenbeitraumlge aller drei Komponenten aufzeigen (Abb 34) Das Diagramm ist so geartet dass die Summe aller drei Mengenanteile xA xB und xC in jedem Fall den Wert 1 ergibt Damit besitzt die Zusammensetzung des ternaumlren Gemisches zwei Freiheitsgrade Jede Linie die durch eine Ecke des Diagramms fuumlhrt verbindet diejenigen Punkte bei denen das Verhaumlltnis zweier Komponenten gleich ist Jede Linie die parallel zu einer der drei Seiten verlaumluft entspricht Gemischen bei denen der relative Anteil einer Komponente gleich bleibt

00 02 04 06 08 10Komponente A

00

02

04

06

08

10

Kom

pone

nte

B

0002

04

06

08

10

Komponente C

C

A

B

00 02 04 06 08 10Komponente A

00

02

04

06

08

10

Kom

pone

nte

B

00

02

04

06

08

10

Komponente C

x1

x2x

Abb 34 Prinzip eines ternaumlren Phasendiagramms nach Gibbs (Dreiecksdiagramm)

In solche ternaumlren Mischphasendiagramme lassen sich nun entsprechend den binaumlren Mischphasendiagrammen die Ein- und Zweiphasengebiete einzeichnen Das Diagramm in

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Abb 34 rechts gilt zB fuumlr eine ternaumlre Mischung aus A B und C bei der die Komponenten A und B sowie B und C jeweils paarweise in jedem Verhaumlltnis miteinander mischbar sind Die Komponenten A und C sollen dagegen nur begrenzt mischbar sein Als Konsequenz daraus ergibt sich ein Dreiecksdiagramm das an der unteren Achse die dem Anteil 0 der Komponente B entspricht ein Zweiphasengebiet aufweist

Die Hilfslinien im Zweiphasengebiet markieren die Zusammensetzung der entstehenden Einzelphasen So wuumlrde beispielsweise eine Mischung deren Zusammensetzung im Diagramm durch den Punkt x markiert ist in die beiden Phasen x1 und x2 zerfallen Die Mengenanteile der beiden Phasen koumlnnten dabei wieder uumlber das Hebelgesetz berechnet werden Um zusaumltzlich den Einfluss der Temperatur wiederzugeben muss eine weitere Koordinate eingefuumlhrt werden Man erhaumllt dabei ein dreidimensionales Dreiecksdiagramm das haumlufig unter Verwendung von Houmlhenlinien nach der Art einer topographischen Landkarte dargestellt wird Jede Houmlhenlinie des Zweiphasengebiets umschreibt dann seine Ausdehnung bei einer gegebenen Temperatur

Fragt man bei einem System mit bestehenden Randbedingungen nach der Zahl der frei variierbaren Zustandsgroumlszligen also nach der Zahl der Freiheitsgrade so haumlngt die Antwort zunaumlchst davon ab in welchem Phasenzustand sich das System befindet So kann man beispielsweise in der Gasphase (bei festgelegter Stoffmenge) Temperatur und Druck frei waumlhlen wodurch dann automatisch das Volumen festgelegt wird Gleiches gilt fuumlr die feste und die fluumlssige Phase Das System hat innerhalb eines Phasenzustands also zwei Freiheits-grade Setzt man allerdings voraus dass sich das System in einem Gleichgewicht zwischen zwei Phasen befindet (zB auf der Verdampfungslinie) so besitzt es nur einen Freiheitsgrad Am Tripelpunkt schlieszliglich bei einem Gleichgewicht zwischen drei Phasen sind keine Freiheitsgrade mehr vorhanden Zwischen der Zahl der Phasen P und der Zahl der Freiheitsgrade F gibt es also folgende einfache Beziehung

F = 3 - P

Beruumlcksichtigt man weiter dass auch mehr als eine Komponente auftreten kann (Zahl der Komponenten C gt 1) so erhoumlht sich die Zahl der Freiheitsgrade um jede zusaumltzliche Komponente deren Konzentration ja frei waumlhlbar ist um den Wert eins Man erhaumllt damit

F = 3 - P + (C - 1) oder F = C - P + 2

Nach dieser allgemeinguumlltigen Formel der so genannten Gibbsrsquoschen Phasenregel laumlsst sich die Zahl der Freiheitsgrade in jedem beliebigen System bestimmen Sie erlaubt insbesondere bei sehr komplizierten Mischungen mit einer unbekannten Anzahl an Phasenzustaumlnden uumlber eine einfache Betrachtung Ruumlckschluumlsse auf deren Phasenverhalten

Page 7: Vorlesung PC I Einführung in die Physikalische Chemierelaxation.chemie.uni-duisburg-essen.de/lehre/Skript_PC_2016_2017.pdf · Schwingungen möglich, deren Geometrie (d.h. die Zahl

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houmlhere potentielle Energie besitzt je weiter es sich vom Kern entfernt Die Situation ist ein wenig vergleichbar mit der eines Planeten der sich um die Sonne bewegt Haumltte das Elektron nur eine Teilchennatur so koumlnnte es einfach zum Kern stuumlrzen und dort auf dem Zustand niedrigster Energie verharren Dies allerdings wird durch die Wellennatur des Elektrons bdquoverbotenldquo die es sozusagen zwingt eine Art stehende Welle um den Kern herum aufzubauen Fuumlr diese bdquostehende Welle um den Kern herumldquo gibt es verschiedene Loumlsungen die als Orbitale bezeichnet werden Deren Berechnung folgt wieder der Gleichung

Energie des Elektrons als Teilchen = Energie des Elektrons als Welle

die mathematisch als Schroumldinger-Gleichung des dreidimensionalen Raums folgende Form besitzt (auch hier die Mathematik der Gleichung sei an dieser Stelle noch nicht relevant)

irV

zyxm)(

sup2sup2

sup2sup2

sup2sup2

2sup2

Auch hier soll nicht auf die Details der Gleichung eingegangen werden Wichtig ist nur dass nun alle drei Raumrichtungen x y und z eine Rolle spielen Daruumlber hinaus kommt auch die potentielle Energie im elektrischen Feld des Kerns mit ins Spiel die als V(r) eingefuumlhrt wird und kontinuierlich mit groumlszliger werdendem r ansteigt Dadurch werden auch die Loumlsungen dieser Gleichung die nun Ψn lms (xyzt) heiszligen wesentlich komplizierter und vielfaumlltiger Im Gegensatz zu den Loumlsungen Ψn(xt) fuumlr ein eindimensional bewegliches Elektron gibt es nun mitunter fuumlr eine einzelne Quantenzahl n mehrere Loumlsungen Um alle diese Loumlsungen zu erfassen werden neben der (Haupt-)Quantenzahl n weitere Quantenzahlen eingefuumlhrt die wieder nur eine Rolle als benennende Indizes spielen Der vollstaumlndige Satz Quantenzahlen der zur Benennung eines elektronischen Zustands noumltig ist lautet nun

Hauptquantenzahl n mit n = 1 2 3 4 hellip

Nebenquantenzahl l mit l = 0 1 2 hellip (n-1)

Magnetische Quantenzahl m mit m = - l hellip 0 hellip+ l

Spinquantenzahl s mit s = +12 und s = -12

Die zehn ersten moumlglichen Kombinationen von Quantenzahlen (n l m s) des Wasserstoff-elektrons lauten damit (100+12) (100-12) (200+12) (200-12) (21-1+12) (21-1-12) (210+12) (210-12) (21+1+12) (21+1-12) Fuumlr houmlhere Hauptquantenzahlen n gt 2 werden die moumlglichen Kombinationen von Quantenzahlen immer zahlreicher Jedem Satz von Quantenzahlen ist genau ein elektronischer Zustand und genau ein Energieniveau zugeordnet Die Energie jedes Zustands wird bei Wasserstoff im feldfreien Raum allein durch die Hauptquantenzahl bestimmt wobei der Wert in der Folge n = 1 2 3 4hellip kontinuierlich aber mit sinkender Schrittweite waumlchst Das Energieschema weist also bezuumlglich der Quantenzahl n einen groszligen Unterschied zu dem des eindimensionalen Potentialtops auf waumlhren die Abstaumlnde zwischen E(n) und E(n+1) beim Potentialtopf mit steigendem n immer groumlszliger werden so werden sie beim Wasserstoff immer kleiner Der Grenzwert von E fuumlr n gegen unendlich wird beim Wasserstoff Ionisierungsenergie genannt

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Die Energie ist beim Wasserstoff (im Gegensatz zu allen anderen Elementen) voumlllig unab-haumlngig von den weiteren Quantenzahlen obwohl die Wellenfunktionen sehr unterschiedlich aussehen koumlnnen Man nennt solche Zustaumlnde mit unterschiedlicher Wellenfunktion aber gleicher Energie entartet Ein Beispiel fuumlr entartete Zustaumlnde waumlren also die Wellen-funktionen mit den Quantenzahlsaumltzen (200-12) und (21-1-12) Wie lassen sich die verschiedenen Zustaumlnde nun anschaulich darstellen Am besten gelingt das indem man die Bereiche innerhalb derer die Wellenfunktion einen bestimmten Betrag besitzt raumlumlich abbildet In Abbildung 6 ist dies fuumlr die Wellenfunktionen mit den Quantenzahlen n = 1 bis 7 fuumlr l = 0 bis 2 und fuumlr m = 0 bis 2 zeichnerisch umgesetzt worden

Abb 6 Darstellung der elektronischen Wellenfunktionen des Wasserstoffatoms fuumlr die Quantenzahlen n = 1 bis 7 fuumlr l = 0 bis 2 und fuumlr m = 0 bis 2 Aus Gruumlnden der Vergleichbarkeit sind alle Orbitale in gleicher Groumlszlige dargestellt (ansonsten muumlsste die Groumlszlige mit der Quantenzahl n ansteigen) Der Atomkern befindet sich jeweils im Schwerpunkt jeder Orbitalstruktur Die Farbe Orange bedeutet ein positives die Farbe Blau ein negatives Vorzeichen der Wellenfunktion (aus httpchemlinksbeloiteduStarspagesorbitalshtml)

Die raumlumlichen Strukturen die durch die drei Quantenzahlen n l und m festgelegt werden heiszligen Orbitale Grob zusammenfassend kann man sagen dass im Wasserstoffatom die Hauptquantenzahl n die Groumlszlige die Nebenquantenzahl l die Form und die magnetische Quantenzahl m die Ausrichtung der Orbitale bestimmt Da die Quantenzahl s dann noch jeweils zwei Einstellungen besitzt die im Uumlbrigen keinen Einfluss auf die Gestalt der Orbitale nehmen kann jedes dieser Orbitale zwei moumlgliche elektronische Zustaumlnde enthalten (mit s = +12 und s = -12) Alle in Abbildung 6 dargestellten Strukturen repraumlsentieren damit

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moumlgliche Aufenthaltsbereiche fuumlr je zwei verschiedene Zustaumlnde die das Elektron in Wasserstoff einnehmen kann

Die Orbitale mit der Nebenquantenzahl l = 0 heiszligen s-Orbitale Sie besitzen grundsaumltzlich eine kugelsymmetrische Gestalt eine von n abhaumlngige Groumlszlige und keine Ausrichtung Die Orbitale mit der Nebenquantenzahl l = 1 heiszligen p-Orbitale Sie besitzen grundsaumltzlich die Gestalt einer Hantel und ebenfalls eine von n abhaumlngige Groumlszlige Ihre Ausrichtung folgt der x- der y- und der z-Achse verbunden mit den magnetischen Quantenzahlen m = -1 0 oder +1 Die Orbitale mit der Nebenquantenzahl l = 2 heiszligen d-Orbitale und besitzen abhaumlngig von der magnetischen Quantenzahl m kompliziertere Formen und Richtungen Anschaulich sollte man von der Vorstellung Abstand nehmen das Orbital sei ein Volumen innerhalb dessen das Elektron als Teilchen rotiere Vielmehr sollte man das Orbital als eine Art Schwingungsfigur betrachten aumlhnlich wie das Vibrationsbild einer schwingenden Saite Dann macht auch die Tatsache einen Sinn dass die Wellenfunktion einen positiven und einen negativen Wert besitzen kann dieser deutet dann auf die Richtung einer Auslenkung hin entsprechend einer Gitarrensaite die man ebenfalls in zwei verschiedene Richtungen auslenken koumlnnte Erst das Quadrat der Wellenfunktion macht dann eine Aussage uumlber den moumlglichen Aufenthaltsort des Elektrons als Teilchen Moumlchte man wissen mit welcher Wahrscheinlichkeit das Elektron als Teilchen innerhalb eines bestimmten Teilvolumens auftritt so muss man die Quadrate aller Ψ-Werte innerhalb dieses Teilvolumens aufaddieren (integrieren) Integriert man Ψsup2 uumlber das gesamte Volumen des Atoms (das nebenbei gesagt theoretisch unendlich groszlig ist) so resultiert der Wert eins da das Elektron zwangslaumlufig irgendwo sein muss Diese Voraussetzung stellt die Normierungsbedingung dar die jede der Wellenfunktionen des Wasserstoffatoms erfuumlllen muss Sehr schoumlne raumlumliche Abbildungen zu den Elektronenorbitalen des Wasserstoffs finden sich auf der Homepage des Instituts fuumlr Theoretische Chemie der Universitaumlt Sheffield (httpwintergroupshefacukorbitron )

17 Atome mit mehreren Elektronen

Im Falle von Mehrelektronensystemen wie Helium- Lithium- oder Beryllium- sowie allen weiteren Atomen sind die Verhaumlltnisse ungleich komplizierter Hier muumlssten in der Schroumldin-gergleichung auch die elektrostatischen Wechselwirkungen der Elektronen untereinander be-ruumlcksichtigt werden Da aber der Ort aller Elektronen (anders als der des als ruhend angenom-menen Kerns) nur uumlber Wellenfunktionen beschrieben werden kann wuumlrde die dazugehoumlrige Schroumldingergleichung schon fuumlr ein Zweielektronensystem uumlbermaumlszligig kompliziert Deshalb verwendet man folgende vereinfachende Naumlherung man fasst in Gedanken den Atomkern mit allen uumlbrigen Elektronen (also allen Elektronen bis auf das eine dessen Wellenfunktion man gerade ermitteln moumlchte) zusammen und erhaumllt so ein neues fiktives Teilchen dessen Ladung (bei neutralen Atomen) stets den Wert plus eins besitzt Der Ort dieses fiktiven Teilchens ist aufgrund der Symmetrie der Elektronenverteilung zum Kern stets identisch mit dem Ort des Kerns Damit verwandelt sich jedes Atom bei der Betrachtung eines einzelnen Elektrons in ein fiktives Wasserstoffatom und man kann alle Orbitale des Mehrelektronenatoms auf die Wasserstofforbitale zuruumlckfuumlhren Diese Naumlherungsloumlsung ist sehr praktisch hat allerdings ihre Grenzen So koumlnnen viele Gesetzmaumlszligigkeiten die fuumlr das Wasserstoffatom noch gelten nicht beibehalten werden So haumlngt bei Mehrelektronensystemen beispielsweise die Energie eines Orbitals nicht mehr nur von der Hauptquantenzahl n sondern zumindest auch von der Nebenquantenzahl l ab da hier der Einfluss der uumlbrigen Elektronen des Atoms zum Tragen kommt Mit der oben beschriebe-

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nen Naumlherung ist diese Beobachtung nicht mehr vorhersagbar da die Wechselwirkung zwi-schen den Elektronen ignoriert wird

Bei der Besetzung eines Mehrelektronensystems ist zunaumlchst einmal das Pauli-Prinzip zu beachten Dieses Gesetz wird auch Ausschlussprinzip genannt und bedeutet dass zwei Elek-tronen die sich im gleichen Raum aufhalten niemals Wellenfunktionen mit identischen Quantenzahlen belegen duumlrfen Anders gesagt alle Wellenfunktionen die von den in einem gemeinsamen Volumen (also zB in einem Atom) vorhandenen Elektronen besetzt werden muumlssen sich in wenigstens einer der vier Quantenzahlen unterscheiden In erster Konsequenz bedeutet dies dass Materie nicht von anderer Materie durchdrungen werden kann (sonst wuumlrden sich zum Beispiel notwendigerweise irgendwo zwei Elektronen mit den Quanten-zahlsaumltzen (100-12) im selben Volumen begegnen) Dies hat aber auch zur Folge dass ein Orbital mit den drei Quantenzahlen n l und m nur genau zwei Elektronen (mit s = +12 und -12) beherbergen darf

Wolfgang Pauli Friedrich Hund

Abb 7 Darstellung der Besetzungsreihenfolge bezuumlglich der Haupt- und Nebenquantenzahlen bei Mehrelektro-nensystemen Nacheinander wird dabei den von oben nach unten versetzten Pfeilen in der angegebenen Richtung gefolgt Man erhaumllt somit das Besetzungsschema 1s - 2s - 2p - 3s - 3p - 4s - 3d - 4p - 5s - hellip usw

Die Reihenfolge mit der die Haupt- und Nebenquantenzahlen besetzt werden ist durch die so genannte Aufbauregel festgelegt Diese bestimmt die Belegung der Orbitale so wie sie durch die Folge der untereinander versetzten Pfeile in Abbildung 7 dargestellt ist (s oben)

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Bezuumlglich der uumlbrigen Quantenzahlen m und s gilt es den drei Hundschen Regeln zu folgen (Anmerkung in der Literatur ist auch manchmal von vier Hundschen Regeln die Rede wobei sich dann aber die vierte aus den anderen drei ergibt) Die erste Hundsche Regel nennt man in der angelsaumlchsischen Literatur auch bildhaft die bdquobus-seat-ruleldquo Aumlhnlich wie unabhaumlngige Reisende die Zweierreihen eines Busses zunaumlchst alle jeweils einzeln belegen so versuchen auch die Elektronen zunaumlchst alle Varianten der mag-netischen Quantenzahl m einfach zu besetzen Alle diese ungepaarten Elektronen weisen dann dieselbe Spinquantenzahl (s = 12) auf So werden beispielsweise bei den p-Orbitalen immer erst alle drei Orbitale mit m = 1 0 und -1 (jeweils mit s = 12) einfach besetzt Die zweite Hundsche Regel besagt dass das Orbital mit dem groumlszligten Wert fuumlr m (unter Beachtung der ersten Hundschen Regel) immer zuerst besetzt wird Die einfache Besetzung nach der ersten Hundschen Regel beginnt also stets mit m = l danach folgt m = (l - 1) usw Die weitere Besetzung der Orbitale mit einem jeweils zweiten Elektron mit umgekehrtem Spin (s = -12) findet danach in derselben Reihenfolge statt Die dritte Hundsche Regel beschreibt lediglich das Verhalten eines Mehrelektronensystems im Magnetfeld hat aber auf die Reihenfolge der Besetzung der Orbitale keinen Einfluss und braucht daher an dieser Stelle noch nicht beruumlcksichtigt zu werden Das insgesamt resultierende Besetzungsschema wird in der Chemie haumlufig in der so genannten Kaumlstchenschreibweise dargestellt Fuumlr die Nebenquantenzahlen von 0 bis 2 besitzt es unter Beachtung der Hundschen Regeln die folgende Struktur

Abb 8 Darstellung der Besetzungsreihenfolge bezuumlglich der magnetischen Quantenzahl und der Spinquanten-zahl bei Mehrelektronensystemen Jeder aufwaumlrts gerichtete Pfeil steht fuumlr eine Elektronenfunktion mit s = +12 (paralleler Spin) jeder abwaumlrts gerichtete Pfeil fuumlr eine Elektronenfunktion mit s = -12 (antiparalleler Spin)

Betrachten wir einmal denjenigen Radius eines Atoms der bei der direkten Beruumlhrung zweier Atome relevant wird Zunaumlchst koumlnnte man annehmen dass dieser Atomradius mit steigender Zahl an Elektronen grundsaumltzlich groumlszliger werden sollte Innerhalb einer Periode ist aber uumlberraschenderweise das Gegenteil der Fall wie aus folgenden Werten hervorgeht

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Lithium (3 Elektronen) Atomradius 152 pm Beryllium (4 Elektronen) Atomradius 112 pm Bor (5 Elektronen) Atomradius 88 pm Kohlenstoff (6 Elektronen) Atomradius 77 pm Stickstoff (7 Elektronen) Atomradius 70 pm Sauerstoff (8 Elektronen) Atomradius 66 pm Fluor (9 Elektronen) Atomradius 64 pm

Die Ursache hierfuumlr liegt in der staumlrkeren Ladung des Kerns und dem daraus folgenden steileren Potentialverlauf V(r) Die wachsende Ladung des Kerns komprimiert in zuneh-mendem Maszlige die Groumlszlige des Atoms Ein Fluoratom misst trotz der dreifachen Elektronenzahl weniger als die Haumllfte eines Lithiumatoms Vergleicht man allerdings die Atome von aufeinanderfolgenden Perioden innerhalb einer Gruppe (zB in der Reihe Li ndash Na ndash K ndash hellip) so findet man in den meisten Faumlllen den zu erwartenden Groumlszligenanstieg

18 Chemische Bindungen und Molekuumlle

Mit den Loumlsungen der Schroumldingergleichung des Wasserstoffatoms mit der Einfuumlhrung der Orbitale und mit der Beruumlcksichtigung der Besetzungsregeln haben wir nun ein relativ um-fassendes Bild von den Grundbausteinen der Chemie den Atomen Damit ergibt sich nun die Frage wie zwei oder mehr Atome miteinander wechselwirken koumlnnen Zunaumlchst ist zu klaumlren was eigentlich passiert wenn zwei Atome (Atom a und Atom b) immer naumlher zusammen-ruumlcken Eigentlich sollte man annehmen dass in diesem Fall die abstoszligenden Wechselwirkun-gen dominieren da sich bei dem direkten Kontakt zwischen den Atomen zunaumlchst nur die Elektronenhuumlllen beruumlhren sollte es zu einer starken elektrostatischen Abstoszligung kommen Zunaumlchst scheint die Bildung einer chemischen Bindung physikalisch wenig plausibel Trotz-dem existieren in der Natur drei moumlgliche Loumlsungen des Problems

a) Die Ionenbindung Hierbei geht ein oder mehrere Elektronen vollstaumlndig vom Atom a zum Atom b uumlber Dadurch wird das Atom a zum positiv geladenen Kation das Atom b zum negativ geladenen Anion Die anziehende elektrostatische Kraft bewirkt eine stabile Bindung

b) Die kovalente Bindung Es bilden sich zwischen zwei Atomen a und b gemeinsame Elektronenorbitale auf denen Elektronen sozusagen unter den beiden Bindungs-partnern aufgeteilt werden

c) Die metallische Bindung Es bildet sich ein Kontinuum aus sehr groszligen gemeinsa-men Elektronenorbitalen die sich uumlber ein atomares Gitter erstrecken Eine Vielzahl von Elektronen (das so genannte Elektronengas) wird dabei unter einer Vielzahl von Atomen aufgeteilt

Im Folgenden soll vor allem die Loumlsung b also die kovalente Bindung betrachtet werden da die anderen Bindungsformen (wie spaumlter gezeigt wird) auch als Grenzfaumllle dieser Loumlsung gelten koumlnnen Das bedeutet wir betrachten nun eine Situation bei der gemeinsame Orbitale zwischen (im einfachsten Fall) zwei Atomkernen existieren Um dafuumlr die Schroumldingergleichung zu loumlsen

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ist erneut eine Vereinfachung noumltig die als Born-Oppenheimer-Naumlherung gilt Dabei nimmt man an dass der Ort der beiden Atomkerne festgelegt ist obwohl die dazwischen befind-lichen Elektronen durch Wellenfunktionen beschrieben werden Dadurch erspart man sich die Komplikation eines moumlglicherweise zeitlich variablen Kernabstands Gerechtfertigt wird diese Naumlherung dadurch dass die Atomkerne um ein Vielfaches schwerer sind als die Elektronen ihre Bewegungen daher um ein Vielfaches langsamer Mit dieser Naumlherung fuumlhren wir nun folgendes Gedankenexperiment durch wir betrachten zwei Wasserstoffatome mit unendlichem Abstand zueinander Ihre Elektronen befinden sich beide im energetischen Grundzustand besitzen aber unterschiedlichen Spin so dass ihnen die beiden Quantenzahlsaumltze (100+12) und (100-12) zukommen Damit wird dem Pauli-Prinzip Genuumlge getan so dass die beiden Atome nun zusammengeruumlckt werden duumlrfen Je naumlher die beiden Atome einander kommen umso mehr bdquofuumlhltldquo das Elektron des einen Atoms den Kern des anderen so dass die Wellenfunktionen des ungestoumlrten Wasserstoffatoms nun keine guumlltigen Loumlsungen mehr darstellen Es muumlssen also neue molekulare Wellenfunktionen gefunden werden Diese Molekuumllorbitale bildet man am einfachsten indem man Kombina-tionen aus den zuvor guumlltigen Atomorbitalen bildet Wichtig ist es handelt sich dabei nicht um eine einfache Uumlberlappung zwischen den bestehenden Atomorbitalen sondern um die rechnerische Bildung eines neuen Orbitals Im Fall des Wasserstoffatoms im Grundzustand sind zwei solcher Kombinationen moumlglich Vereinfachend kann man das eine entstehende Molekuumllorbital als normierte additive Kombination aus den beiden einzelnen s-Atomorbitalen betrachten (Abb 9 oben links) Es wird als bindendes σ-Molekuumllorbital bezeichnet besitzt eine niedrigere Energie als das s-Atomorbital und weist zwischen den beiden Atomkernen eine hohe Elektronendichte (ein hohes Ψsup2) auf Sein Gegenstuumlck wird entsprechend aus einer Art normierter subtraktiver Kombination der beiden urspruumlnglichen s-Orbitale gebildet (Abb 9 oben rechts) Es wird als antibindendes σ-Molekuumllorbital bezeichnet besitzt eine houmlhere Energie als das s-Atomorbital und weist zwischen den beiden Atomkernen eine niedrige Elektronendichte (ein kleines Ψsup2) auf An einer Stelle besitzt letztere sogar den Wert Null Die bisher vorhandenen Atomorbitale existieren nun nicht mehr

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Abb 9 Darstellung von bindenden (links oben) und antibindenden Molekuumllorbitalen (rechts oben) im Wasserstoffmolekuumll H2 Das Energiediagramm links unten veranschaulicht die Bildung eines bindenden σ-Molekuumllorbitals im Fall von Wasserstoff H2 Das Diagramm rechts unten verdeutlicht die Situation in einem fiktiven Helium-Molekuumll He2 bei dem neben dem bindenden σ-Molekuumllorbital auch das antibindende σ-Molekuumllorbital besetzt wuumlrde Zweiatomiges Helium ist demzufolge nicht stabil

Die hohe Elektronendichte des bindenden σ-Orbitals im Bereich zwischen den Kernen bewirkt dass sich anziehende elektrostatische Wechselwirkungen Kern-Elektron-Kern aus-bilden koumlnnen es haumllt also das Molekuumll zusammen (deswegen bdquobindendldquo) Da das bindende σ-Orbital die niedrigere Energie besitzt wandern die zwei Elektronen des Wasserstoffmole-kuumlls beide (mit unterschiedlichen Spins) in diese Position Damit verbunden ist ein Energie-gewinn der den gebundenen Zustand beguumlnstigt Zur Trennung des Molekuumlls muss Energie aufgebracht werden Das antibindende σ-Orbital weist am Ort zwischen den Kernen die Elektronendichte Null auf Damit dominiert hier die abstoszligende elektrostatische Wechselwirkung Kern-Kern dazu-hin ist es energetisch unguumlnstiger Bei einem fiktiven Helium-Molekuumll (Abb 9 unten rechts) muss wegen der Zahl von vier Elektronen auch dieses σ-Orbital doppelt besetzt sein Dadurch wird sowohl der Energiegewinn als auch die anziehende Wechselwirkung des bindenden σ-Orbitals kompensiert so dass dieses Molekuumll insgesamt nicht stabil ist Grundsaumltzlich sind alle urspruumlnglichen Atomorbitale nach der Bildung des Molekuumlls ver-schwunden alle insgesamt vorhandenen Elektronen werden auf die neu gebildeten Molekuumll-orbitale verteilt Ist das Niveau der Atomorbitale vor der Bildung eines gemeinsamen Mole-kuumllorbitals sehr unterschiedlich so erhaumllt man eine polare kovalente Bindung bei der der Schwerpunkt der Elektronendichte auf der Seite des urspruumlnglich energieaumlrmeren Orbitals

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liegt Im Grenzfall extremer Polaritaumlt erhaumllt man eine Ionenbindung (s oben) Sind sehr viele gleichartige Orbitale an der Bildung des Molekuumllorbitals beteiligt so koumlnnen sich groszlige Delokalisationsgebiete ausbilden Im Extremfall eines Delokalisationsgebiets das sich uumlber ein ganzes Kristallgitter erstreckt spricht man von einer metallischen Bindung (s oben) Die Molekuumllorbitaltheorie (kurz MO-Theorie) ist also in der Lage saumlmtliche Bindungsarten zu beschreiben Energiediagramme wie in Abb 9 unten werden als MO-Schemata bezeichnet Fuumlr zwei-atomige Molekuumlle moumlgen sie noch recht uumlbersichtlich aussehen bei vielatomigen Molekuumllen sind sie dagegen meistens unuumlberschaubar Mit Hilfe leistungsfaumlhiger Computer lassen sich solche Molekuumllorbitale noch rechnerisch erfassen allerdings steigt der Rechenaufwand (und damit die Rechenzeit und die Kosten) mit steigender Molekuumllgroumlszlige sehr rasch an In diesem Fall kann man auf eine vereinfachende Betrachtung ausweichen die so genannte Valence-Bond-Theorie (VB-Theorie Valenzbindungstheorie) Sie wurde in Konkurrenz zur MO-Theorie entwickelt und beinhaltet eine wesentliche zusaumltzliche Naumlherung Sie ist dadurch deutlich weniger genau allerdings auch wesentlich einfacher anwendbar und in der Praxis die beste Methode um rasch und anschaulich Molekuumllgeometrien und Reaktionsmechanismen erklaumlren zu koumlnnen Im Gegensatz zur MO-Theorie geht man bei der VB-Theorie im Grundsatz davon aus dass auch im Molekuumll noch die urspruumlnglichen Atomorbitale existieren Der VB-Theorie nach entsteht die chemische Bindung dadurch dass zwei halb besetzte Atomorbitale der beiden benachbarten Atome A und B uumlberlappen Das bdquoUumlberlappungsorbitalldquo wird dann in der Regel durch die beiden resultierenden Elektronen (eines von A und eines von B) besetzt wobei das wiederum voraussetzt dass sie einen unterschiedlichen Spin aufweisen Jedes durch solche bdquoUumlberlappungldquo gebildete Orbital entspricht einer Bindung Der Einfachheit halber nimmt man an dass die anderen Atomorbitale nicht an der Bindung teilnehmen und somit unveraumlndert bleiben Aufgrund dieser doch recht groben Naumlherung kommt es bei der VB-Betrachtung von einfa-chen Molekuumllen wie Wasser Methan oder Ammoniak sehr schnell zu Problemen Zunaumlchst einmal sind die erhaltenen Bindungswinkel unrealistisch aufgrund der Tatsache dass in allen genannten Faumlllen p-Orbitale beteiligt sind resultiert aus dem VB-Modell immer wieder ein Bindungswinkel von 90deg wohingegen die tatsaumlchlichen Bindungswinkel deutlich groumlszliger sind (Wasser 1045deg Methan 109deg) Ein noch groumlszligeres Problem stellen zB die Bindungs-verhaumlltnisse des Kohlenstoffs dar eigentlich sollte man nach der VB-Theorie fuumlr eine Ver-bindung zwischen Kohlenstoff und Wasserstoff ein bdquoCH2ldquo mit einem Bindungswinkel von 90deg erwarten wobei die zwei jeweils halbbesetzten p-Orbitale des Kohlenstoffs Bindungs-anzahl und ndashwinkel vorgeben Dieser Mangel der VB-Theorie kann weitgehend repariert werden indem man die Schritte der Promotion und der Hybridisierung einfuumlhrt Beide Vorgaumlnge sind dabei nicht als natuumlrliche Prozesse sonder eher als hypothetische Hilfskonstruktionen zu verstehen die lediglich dazu dienen die Maumlngel der VB-Theorie auszuheilen Letztlich ermoumlglichen sie es mit Hilfe von Linearkombinationen aus Atomorbitalen und deren Uumlberlappungszonen den tatsaumlchlich vor-liegenden Molekuumllorbitalen naumlherzukommen

Der erste dazu notwendige Schritt die Promotion dient dazu die fuumlr die gegebene Zahl an Bindungen notwendige Zahl an ungepaarten Elektronen zu schaffen Dazu werden dann einfach Orbitale houmlherer Energie besetzt Im Fall des vierbindigen Kohlenstoffs bedeutet das beispielsweise dass ein s-Elektron an den bereits halbbesetzten px- und py-Orbitalen vorbei auf das energiereichere pz-Orbital gehoben wird Aus der Elektronenkonfiguration

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wird somit 1s 2s 2p

Dieser hypothetische Vorgang kommt einer gewissen Energieerhoumlhung gleich die allerdings dadurch abgemildert wird dass ein nach der ersten Hundschen Regel (bdquobus seat ruleldquo) guumlnsti-gerer Zustand mit ungepaarten Spins entsteht Die vier nunmehr halbbesetzten Orbitale sind in Abbildung 10 dargestellt

Abb 10 Darstellung der vier an der sp3-Hybridisierung des Kohlenstoffs beteiligten Orbitale 2s 2px 2py und 2pz(Quelle Chemgapedia)

Anschlieszligend erfolgt nun die Hybridisierung eine Art Vermischung (oder mathematisch korrekter die Bildung von Linearkombinationen) des s- mit den drei p-Orbitalen Dadurch entstehen Orbitale in gleicher Anzahl aber mit voumlllig neuer Form Symmetrie und Orien-tierung im Raum

Abb 11 Darstellung der vier aus der sp3-Hybridisierung des Kohlenstoffs resultierenden Hybridorbitale Die Ausrichtung der sp3-Hybridorbitale folgt den vier Raumdiagonalen eines Wuumlrfels oder ndash wenn man nur die groumlszligeren Segmente der Orbitale betrachtet ndash den Ecken eines Tetraeders (Quelle Chemgapedia)

Die vier neuen wiederum jeweils halbbesetzten Orbitale zeigen vom Kern aus zu den Ecken eines Tetraeders Mit ihrer Hilfe laumlsst sich nun zwanglos die Bildung des bekannten Methan-Molekuumlls CH4 erklaumlren jedes einzelne sp3-Hybridorbital uumlberlappt mit jeweils einem s-Orbi-tal eines Wasserstoffatoms wodurch eine tetraedrische Molekuumllgeometrie mit vier voumlllig gleichberechtigten Bindungen entsteht Das Ergebnis kommt den tatsaumlchlich vorhandenen Molekuumllorbitalen die sich gemaumlszlig dem MO-Modell formulieren lassen sehr nahe Festzu-halten ist dabei dass es sich sowohl bei der Promotion als auch bei der Hybridisierung um rein fiktive Prozesse handelt die lediglich postuliert werden um den VB-Ansatz zu bdquorettenldquo Der grundsaumltzliche Mangel der darin besteht dass das VB-Modell uumlberwiegend auf Atom-orbitalen beharrt die eigentlich nicht mehr existieren bleibt bestehen Viele Molekuumllgeome-trien lassen sich in der VB-Theorie nur mit Hilfe einer passenden Hybridisierung erklaumlren Dennoch das VB-Modell ist fuumlr die meisten Anwendungen in der Chemie nach wie vor der am haumlufigsten gewaumlhlte Ansatz er ist einfach intuitiv und vielseitig einsetzbar solange man die richtige Form der Hybridisierung waumlhlt Letzteres geschieht auf der Grundlage einer bekannten Molekuumllgeometrie oder unter Beruumlcksichtigung von vorhandenen Mehrfachbindun-gen Im Idealfall aumlhneln die gebildeten Hybridorbitale dann den wirklichen Molekuumllorbitalen

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In der folgenden Tabelle sind die haumlufigsten Hybridisierungsvarianten zusammengefasst und verschiedenen Molekuumllgeometrien zugeordnet Bei gegebener Geometrie des Molekuumlls (z B die trigonal-planare Anordnung um jedes Kohlenstoffatom im Ethylen) kann man so auf die passende Hybridisierung schlieszligen (im gegebenen Fall das sp2-Hybrid)

Tabelle 1 Wichtige Hybridisierungszustaumlnde nach dem VB-Modell

Hybridisierung Promotion Koordinationszahl Geometrie Beispiele

sp uarruarr suarr puarr 2 linear Acetylen Propadien

sp2 uarruarruarr suarr puarruarr 3 trigonal-planar Ethylen Benzol

sp3 uarruarruarruarr suarr puarruarruarr 4 tetraedrisch Methan Ammoniak

sp3d uarruarruarruarruarr suarr puarruarruarr duarr 5 trigonal-bipyramidal

Phosphor-pentachlorid

sp3d2 uarruarruarruarruarruarr suarr puarruarruarr duarruarr 6 oktaedrisch Schwefel-hexafluorid

Die so entstehenden Hybridorbitale kommen in ihrer raumlumlichen Darstellung den tatsaumlchli-chen Molekuumllorbitalen teilweise recht nahe sie korrigieren somit die VB-Theorie in gewissem Sinne in Richtung der MO-Theorie Allerdings bleibt festzuhalten dass die VB-Theorie keine antibindenden Orbitale kennt diese bleiben einfach unberuumlcksichtigt Dies ist eine gravie-rende Schwaumlche der VB-Theorie die sich an vielen Stellen bemerkbar macht (zB bei der Erklaumlrung des Sauerstoff-Biradikals in der Spektroskopie und bei bestimmten Reaktions-typen)

19 Elektronegativitaumlt und Polaritaumlt

In einer chemischen Bindung zwischen verschiedenen Elementen besitzen die beteiligten Atome fuumlr gewoumlhnlich unterschiedliche Tendenzen die Bindungselektronen an sich zu ziehen Bei der Betrachtung der Energieschemata im MO-Modell aumluszligert sich dies darin dass ein bindendes Molekuumllorbital aus einer Linearkombination zweier Atomorbitale mit sehr unterschiedlicher Energie hervorgeht In diesem Fall besitzt das bindende Molekuumllorbital die Tendenz hohe Elektronendichten in der Naumlhe des Elements aufzuweisen dessen Atomorbital energetisch guumlnstiger liegt Man spricht dann von einer hohen Elektronegativitaumlt dieses Elements da es in dem gebundenen Zustand durch die erhoumlhte Elektronendichte eine partiell negative Ladung aufweist Ein klassisches Beispiel ist die Verbindung Fluorwasserstoff (HF) Hier wird ein bindendes Molekuumllorbital aus der Linearkombination zwischen dem 1s-Orbital des Wasserstoffs mit einem 2p-Orbital des Fluors gebildet Letzteres liegt aufgrund der relativ hohen Kernladung und des geringen Atomradius des Fluors energetisch wesentlich tiefer wodurch sich eine stark asymmetrische Elektronenverteilung ergibt Die Elektronegativitaumlt wird in erster Linie durch die Kernladung vor allem aber auch durch den Abstand zwischen den Valenzelektronen und dem Atomkern bestimmt Daher sind auch kleine Atome wie zum Beispiel der Stickstoff der Sauerstoff oder das Fluor auch besonders elektronegativ (s Tabelle Seite 12) Im Periodensystem der Elemente nimmt die Elektro-negativitaumlt tendenziell nach oben und nach rechts zu (Edelgase ausgenommen) Linus Pauling

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schlug vor die Elektronegativitaumlt ausgehend von der VB-Theorie als dimensionslose Kenn-groumlszlige fuumlr jedes einzelne Element einzufuumlhren Sie errechnet sich aus einem Vergleich der Dissoziationsenergien der beteiligten Elemente Demnach besitzt Francium als das am wenigsten elektronegative Element den Wert 070 und Fluor als das am staumlrksten elektro-negative Element den Wert 398 Eine Zwischenstellung nimmt zB Wasserstoff mit 220 ein Bei Bindungen zwischen Elementen mit unterschiedlicher Elektronegativitaumlt spricht man von polaren Bindungen Entlang einer polaren Bindung baut sich durch die ungleiche Elektronen-verteilung ein entsprechendes Dipolmoment auf das haumlufig Anlass fuumlr starke zwischen-molekulare Kraumlfte liefert (s Kapitel 3) Im Extremfall einer sehr polaren kovalenten Bindung kann das Bindungselektron (bzw die Bindungselektronen) praktisch allein dem elektronega-tiveren Element zugesprochen werden Das entsprechende Bindungsorbital besteht dann als Linearkombination von Atomorbitalen fast ausschlieszliglich aus einem Atomorbital welches das elektronegativere Element beisteuert In diesem Fall spricht man nach klassischer Definition von einer Ionenbindung

2 Die Elektronenspektroskopie an Atomen und Molekuumllen 21 Grundlagen der Spektroskopie

Elektronen in Atomen und Molekuumllen koumlnnen ndash soweit die Erkenntnis aus Kapitel 1 ndash durch Wellenfunktionen beschrieben werden Aus diesen kann man nicht nur die Aufenthaltswahr-scheinlichkeit an verschiedenen Positionen im Raum sondern auch die Energie des Elektrons ableiten Eine Folge der Beschraumlnkung der Elektronen auf bestimmte Wellenfunktionen mit jeweils bestimmter Energie ist dass sie auch nur in bestimmten Schritten Energie aufnehmen und abgeben koumlnnen Jede Aufnahme bzw Abgabe von Energie entlang dieses Schrittes ist generell mit der Aufnahme bzw Abgabe von elektromagnetischer Strahlung verbunden Diese Tatsache bildet die Grundlage der Spektroskopie im gegebenen Fall der Elektronenspektros-kopie

Allgemein gesprochen befasst sich die Spektroskopie mit der Wechselwirkung zwischen Strahlung und Materie Etwas genauer laumlsst sich aussagen dass die Spektroskopie unter-sucht mit welcher elektromagnetischen Strahlung sich welcher energetische Uumlbergang anre-gen laumlsst Zwischen der elektromagnetischen Strahlung und dem dabei bewirkten energeti-schen Uumlbergang gilt dann grundsaumltzlich folgende Beziehung Δ E = h ∙ ν mit ΔE als der Energiedifferenz zwischen den beiden Zustaumlnden (in Joule) ν (gesprochen bdquonuumlldquo) als Frequenz der verwendeten elektromagnetischen Strahlung (in 1s oder Hertz Hz) und h als dem so genannten Planckschen Wirkungsquantum (mit h = 6626∙10-34 Js) Somit ist jeder Frequenz ν im elektromagnetischen Spektrum (Abb 12) genau ein Energiewert Δ E zugeordnet Die dazugehoumlrige Wellenlaumlnge im Vakuum (in m) errechnet sich nach λ = c ν mit c als Lichtgeschwindigkeit (im Vakuum c = 299 792 458 ms)

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Abb 12 Elektromagnetisches Spektrum (Quelle Chemgapedia)

Fuumlr die genaue Messung welche Frequenz der elektromagnetischen Strahlung einem gegebe-nen Uumlbergang anzuregen vermag gibt es experimentell zwei verschiedene Ansaumltze Entweder man strahlt Energie auf das System ein und beobachtet den Verlust an Strahlungsintensitaumlt der dann beobachtet wird wenn die Strahlung einen Uumlbergang zu einem houmlheren Energieni-veau bewirkt (Absorption) oder man fuumlhrt dem System Energie zu (zum Beispiel thermisch) und beobachtet dann die Freisetzung von Energie als Strahlung (Emission) Im einen Fall erfuumlllt die Frequenz der absorbierten Strahlung im anderen Fall die der emittierten Strahlung die Frequenzbedingung ΔE = h ∙ ν Mit beiden Methoden kann man so exakt den Energie-unterschied zwischen zwei Energieniveaus ausmessen Die Bestimmung der Werte fuumlr die charakteristischen Energieschritte ΔE eines Systems ist die Hauptaufgabe der Spektroskopie Sie eignet sich insbesondere um elektronische Wellenfunktionen eines Systems zu erkunden

22 Elektronenspektroskopie am eindimensionalen Potentialtopf

Das denkbar einfachste elektronische System ist der eindimensionale Potentialtopf Dennoch kann auch dieses Modell schon in grober Naumlherung auf Molekuumlle angewandt werden speziell auf solche mit annaumlhernd linearen Delokalisationssystemen (s Kapitel 14) Ein Beispiel ist die Reihe Butadien Hexatrien Oktatetraen usw Bildet man mit Hilfe der Loumlsungen der Schroumldingergleichung fuumlr das eindimensionale Potentialtopfmodell einen Ausdruck fuumlr den elektronischen Uumlbergang zwischen dem houmlchsten besetzten Orbital (HOO) und dem niedrig-sten unbesetzten Orbital (LUO) so erhaumllt man fuumlr die damit verbundene Energiedifferenz gemaumlszlig der in Abbildung 5 gezeigten Formel

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ΔE = h ∙ ν = (nsup2LUO-nsup2HOO) ∙ hsup2 (8 me asup2)

Mit wachsender Laumlnge a und wachsender Elektronenzahl (jedes Kohlenstoffatom im Delokali-sationsgebiet traumlgt ein Elektron bei) steigen einerseits die Werte der Quantenzahlen n fuumlr das houmlchste besetzte Orbital (HOO) und das niedrigste unbesetzte Orbital (LUO) an andererseits steigt aber auch die Laumlnge L die quadratisch im Nenner der Gleichung steht Da letzteres insgesamt uumlberwiegt sinkt der Wert fuumlr ΔE und damit fuumlr die Frequenz ν schrittweise mit Anstieg der Kettenlaumlnge Liegt die absorbierte Lichtfrequenz anfaumlnglich im UV-Bereich so verschiebt sie sich beispielsweise fuumlr das Carotin mit 11 Doppelbindungen schon in den sichtbaren blauen Bereich Weil daher Carotin blaues Licht absorbiert erscheint es im Durchlicht betrachtet in der Komplementaumlrfarbe orange-gelb Nach diesem Prinzip lassen sich viele organische Farbstoffe interpretieren Aumlndert sich die Laumlnge bzw die Elektronenzahl (und damit nsup2LUO und nsup2HOO) durch die Protonierung des Molekuumlls so hat man es mit einem Farbstoff zu tun der mit dem pH-Wert seine Farbe aumlndert ndash dies ist die Grundlage vieler pH-Indikatoren

23 Elektronenspektroskopie am Wasserstoffatom

Die wissenschaftliche Spektralanalyse wurde in der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts gemeinsam durch GR Kirchhoff und RW Bunsen entwickelt Sie entdeckten dass alle Elemente beim Erhitzen Licht aussenden Nach Zerlegung des Lichts mit einem Glasprisma erhaumllt man ein fuumlr jedes Element charakteristisches Linienmuster das so genannte Spektrum (s auch UTube-Video bdquospectral lines demoldquo httpwwwyoutubecomwatchv=2ZlhRChr_Bw) Dieses Spektrum reflektiert die Gesamtheit der dem gegebenen Element eigenen elektronischen Uumlbergaumlnge und ist damit ein unverwechselbarer Fingerabdruck Elemente koumlnnen damit sowohl in der Emissionsspektroskopie als auch in der Absorptionsspektroskopie eindeutig und mit hoher Empfindlichkeit identifiziert werden

Die Elektronenspektroskopie kann jedoch noch deutlich mehr sie erlaubt die exakte Uumlber-pruumlfung der durch die Loumlsung der Schroumldingergleichung gefundenen elektronischen Wellen-funktionen Dies wurde zunaumlchst am Wasserstoffatom mit hoher Praumlzision betrieben Histo-risch gesehen ist die erste wichtige Lichtquelle fuumlr spektroskopische Analysen unsere Sonne Dies gilt insbesondere fuumlr das Spektrum des Wasserstoffs Da die Energie der elektronischen Zustaumlnde dort einzig und allein von der Hauptquantenzahl n abhaumlngt (s Kapitel 15) werden lediglich solche Spektrallinien beobachtet die sich genau einem gegebenen ΔE = E(n) - E(nlsquo) zuordnen lassen Zuerst wurde mit der Balmer-Serie der sichtbare Anteil des Spektrums ent-deckt der mit allen Uumlbergaumlngen von oder zu dem Niveau n = 2 verbunden ist (Abb 13) Es folgten spaumlter im UV-Bereich die Lyman-Serie mit n = 1 und im IR-Bereich die Paschen-Serie mit n = 3 die Brackett-Serie mit n = 4 sowie die Pfundt- und die Humphreys-Serie mit n = 5 und n = 6 (letztere sind in Abb 13 nicht mehr eingezeichnet) Weitere Serien mit houmlheren Quantenzahlen existieren tragen aber keine eigenen Namen mehr

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Wel

lenz

ahl

[100

0 cm

-1]

0

10

20

30

40

50

60

70

80

90

100

110Grundzustand

Lyman-serie

Balmer-serie

Paschen-serie

Brackett-serie

n = 5n = 4

n = 3

n = 2

n = 1

Gustav Robert Kirchhoff

Robert Wilhelm Bunsen

Abb 13 Wichtige elektronische Uumlbergaumlnge im Wasserstoffatom

Abbildung 14 zeigt das gesamte Wasserstoffspektrum die Kuumlrzel benennen die entsprechen-den Serien (Ly = Lyman Ba = Balmer etc)

Abb 14 Spektrum des Wasserstoffatoms Die Achse fuumlr die Wellenlaumlnge ist logarithmisch aufgetragen

Eine genaue Analyse ergibt dass sich das Schema der Energiedifferenzen nach Abb 13 fast genau mit den in Kapitel 15 besprochenen Loumlsungen der Schroumldingergleichung deckt Die aumluszligerst kleinen Abweichungen die man dennoch detektieren konnte lieszligen sich auf den Bei-trag des Kerns (trotz seiner hohen Masse kann er sich minimal mit dem Elektron mitbewegen) und des Isotopeneffekts zuruumlckfuumlhren der schwerere Deuteriumkern der aus einem Proton und einem Neutron besteht bewegt sich weniger leicht mit dem Elektron mit als das einsame Proton des bdquonormalenldquo Wasserstoffs Daneben zeigen sich bei sehr hoher Aufloumlsung des Spektrums auch relativistische Effekte die zu weiteren Aufspaltungen fuumlhren

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24 Elektronenspektroskopie an Atomen mit mehreren Elektronen

Aufgrund der Wechselwirkungen zwischen den Elektronen ist bei schwereren Elementen die beim Wasserstoff gegebene Entartung bezuumlglich der Quantenzahlen l und m aufgehoben Damit wird das Energiediagramm bereits fuumlr ein einfaches houmlheres Atom wie zum Beispiel Lithium schon deutlich komplizierter (Abb 15) Neben den Uumlbergaumlngen zwischen verschiede-nen Werten fuumlr n treten nun auch Uumlbergaumlnge zwischen s und p p und d d und f auf Manche Uumlbergaumlnge (zum Beispiel solche zwischen s- und d-Niveaus) werden allerdings gewoumlhnlich nicht beobachtet man nennt sie bdquoverbotenldquo bdquoErlaubtldquo sind nur solche Uumlbergaumlnge bei denen die Nebenquantenzahl sich um den Wert plusmn1 aumlndert (also eben von s nach p von p nach d usw) Die so genannte Auswahlregel welche die erlaubten Uumlbergaumlnge festlegt heiszligt folglich Δl = plusmn1

Als weitere Folge der Wechselwirkungen zwischen den Elektronen besitzt jedes houmlhere Atom ein eigenes und von Wasserstoff verschiedenes Energiediagramm Damit besitzt aber auch jedes Atom ein unverwechselbares Muster von Energieuumlbergaumlngen die es eindeutig kenn-zeichnet Dies laumlsst sich bereits in einfachen Versuchen anhand von Flammenfaumlrbungen zeigen Diejenigen Uumlbergaumlnge deren ΔE den Wellenlaumlngen im sichtbaren Spektrum entspricht (in Abb 15 sind dies die kuumlrzeren unter den eingezeichneten blauen Pfeilen) sorgen bei vielen Elementen fuumlr ein charakteristisches farbiges Leuchten (Abb 15 rechts)

Ener

gie

Wasserstoff Lithium

n = 1

2

3

45

1s

2s

2p

3s

4s

5s

3p

4p5p

3d

4d5d

Abb 15 Termschema von Lithium mit wichtigen elektronischen Uumlbergaumlngen (links) Durch Lithium verursachte Flammenfaumlrbung (rechts Quelle httpwwwitpuni-hannoverde~zawischaITPatomshtml)

Letztlich ist auch bei allen houmlheren Atomen die Elektronenspektroskopie eine ideale Methode um das Energieniveauschema experimentell zugaumlnglich zu machen Sie eignet sich daruumlber hinaus perfekt zur schnellen und empfindlichen Identifikation von Elementen Diese Tatsache

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macht man sich sowohl in der Atomabsorptionsspektroskopie (AAS) als auch in der Atom-emissionsspektroskopie (AES) zunutze Elektronenspektren sind unverwechselbare Finger-abdruumlcke mit denen alle Elemente in hoher Empfindlichkeit und selbst uumlber groszlige Distanzen hinweg sicher identifiziert werden koumlnnen

25 Elektronenspektroskopie an Molekuumllen

Genau wie die Atomorbitale sind auch Molekuumllorbitale der Elektronenspektroskopie zugaumlng-lich Durch die systematische Analyse aller elektronischen Uumlbergaumlnge lassen sich die Energie-niveaus in einem MO-Schema schrittweise ausmessen Besonders interessant wird dieser Ansatz bei der Untersuchung der Bindungsverhaumlltnisse Im Allgemeinen beobachtet man Uumlbergaumlnge zwischen bindenden und nicht bindenden Orbitalen einerseits und den uumlblicherweise unbesetzten antibindenden Orbitalen andererseits In Abb 16 ist dies am Beispiel einer C-O-Bindung in Formaldehyd gezeigt Im Mittelpunkt stehen dabei das binden-de und das antibindende σ-Orbital C-O das bindende und das antibindende π-Orbital C-O sowie das nicht bindende freie Elektronenpaar des Sauerstoffs (ein weiteres freies Elektronen-paar bleibt unbeteiligt)

Ener

gie

σ CO

σ CO

π CO

π CO

n O

C

H

H

O

σ-σ

Uumlbe

rgan

g

π-π

Uumlbe

rgan

gn-π Uumlber-gang

σ

Abb 16 Termschema der CO-Gruppe in Formaldehyd (links) Die beteiligten Bindungen und das im betrachteten Energiefenster liegende freie Elektronenpaar des Sauerstoffs sind rechts skizziert

Die drei wichtigsten Uumlbergaumlnge die an der C-O-Gruppe detektiert werden sind der σ-σ-Uumlbergang der π-π-Uumlbergang und der n-π-Uumlbergang Letzterer ist in einer C-O-Gruppe stets am energieaumlrmsten und kann bereits mit UV-Licht einer Wellenlaumlnge um 280 nm angeregt werden (schwarzer Pfeil in Abb 16) Energiereicher und intensiver ist bei der CO-Gruppe der π-π-Uumlbergang der bei Wellenlaumlngen um 170 nm angeregt wird (roter Pfeil in Abb 16) Daruumlber hinaus zeigt das Spektrum dass die beiden freien Elektronenpaare des Sauerstoffs stark unterschiedlichen Charakter besitzen (nur eines ist an dem n-π-Uumlbergang beteiligt das andere tritt im gegebenen Spektralbereich nicht in Erscheinung)

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Auf aumlhnliche Weise lassen sich alle MO-Schemata komplizierter Molekuumlle analysieren Lie-gen die Anregungsfrequenzen der Uumlbergaumlnge im sichtbaren Bereich so haben die Molekuumlle die Funktion von Farbstoffen Haumlufig besitzen sie dann laumlngere lineare Delokalisationsgebiete deren Elektronenspektren man dann auch in grober Naumlherung mit dem eindimensionalen Potentialtopfmodell beschreiben kann (s Kapitel 22) Werden Bindungselektronen angeregt und aumlndern sich im Verlauf der elektronischen Anre-gung die Bindungsverhaumlltnisse (beispielsweise bei Besetzung eines antibindenden Zustands) so ist mit der elektronischen Anregung zwangslaumlufig auch eine Aumlnderung des energetisch guumlnstigsten Bindungsabstands verbunden Damit einhergehend werden mechanische Schwin-gungen des Molekuumlls angeregt Mit den Molekuumllschwingungen verhaumllt es sich analog zu den elektronischen Zustaumlnden auch Molekuumllschwingungen existieren nur in bestimmten definierten Zustaumlnden die sich dann den elektronischen Zustaumlnden uumlberlagern (Abb 17) Die Folge davon ist dass die Elektronenspektren von Molekuumllen haumlufig keine scharfen Linien sondern breite Absorptionsbereiche (bdquoBandenldquo) aufweisen Alle Linien fuumlr die elektronischen Uumlbergaumlnge zerlegen sich demnach in eine Vielzahl von Einzellinien die verschiedene Schwingungszustaumlnde der benachbarten elektronischen Zustaumlnde miteinander verbinden (in Abb 17 sind exemplarisch neun verschiedene moumlgliche Uumlbergaumlnge eingezeichnet) Normaler-weise liegen alle diese Linien dicht beieinander so dass insgesamt eine verbreiterte Absorp-tionsbande entsteht

Ener

gie

elektronische Niveaus

Schwingungsniveaus

Abb 17 Zum Zustandekommen von breiten Absorptionsbanden in Elektronen-Schwingungsspektren Uumlberlagerung von elektronischen Uumlbergaumlngen mit Schwingungsuumlbergaumlngen Exemplarisch sind jeweils drei Schwingungsniveaus eingezeichnet

Das Elektronenspektrum eines Molekuumlls wird wegen der dazu verwendeten Frequenzbereiche im UV- und im sichtbaren (bdquovisibleldquo) Spektrum auch UV-vis-Spektroskopie genannt Die UV-vis-Spektroskopie dient neben der Aufklaumlrung der MO-Struktur auch der schnellen und bequemen Identifikation von chemischen Verbindungen Aufgrund ihrer im Absorptionsver-fahren sehr einfachen und preisguumlnstigen Messtechnik wird sie auch haumlufig in Kombination mit anderen analytischen Verfahren (zB der Chromatographie) verwendet Uumlber eine Bestim-mung der Intensitaumlt der Anregung kann auch eine quantitative Analyse einzelner Verbindun-gen erfolgen

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3 Das Zusammenwirken von Atomen und Molekuumllen 31 Der makroskopische Zustand von Materie Bisher sind nur einzelne Bausteine der Materie also Atome und Molekuumlle betrachtet worden Nun soll das makroskopische Erscheinungsbild von Materie ins Auge gefasst werden die aus einer Vielzahl von Atomen oder Molekuumllen besteht Um den Zustand dieser aus vielen Teilchen zusammengesetzten Materie uumlberhaupt als Gesamtheit zu beschreiben benoumltigt man zunaumlchst so genannte Zustandsparameter oder Zustandsgroumlszligen Die wichtigsten Vertreter dieser Kenngroumlszligen fuumlr makroskopische Materie sind die Stoffmenge n das Volumen V der Druck P und die Temperatur T

n Stoffmenge Die Stoffmenge wird uumlber die Teilchenzahl definiert

Einheit der Teilchenzahl 1 Mol

Definition Ein Mol eines Stoffes enthaumllt dieselbe Anzahl an Teilchen wie 0012 kg reiner Kohlenstoff des Isotops 12C (1 Mol 60221023

Teilchen) Dabei muss eindeutig festgelegt sein was unter einem Teilchen des Stoffes jeweils zu verstehen ist Ist die Stoffmenge konstant so spricht man von einem geschlossenen System

V Volumen Die Definition des Volumens erfolgt uumlber die festgelegte Laumlngeneinheit und den geometrischen Volumenbegriff

Einheit des Volumens 1 msup3

Definition Ein msup3 ist das Volumen eines wuumlrfelfoumlrmigen Raums mit einer Kantenlaumlnge von einem Meter Ist das Volumen konstant so spricht man von einem isochoren Vorgang

P Druck Die Definition erfolgt uumlber die Kraft die ein Stoff auf jede Flaumlcheneinheit eines ihn einschlieszligenden Behaumllters ausuumlbt

Einheit des Drucks 1 Pascal = 1 Pa = 1 Nmsup2 = 10-5 bar

Definition Ein Pascal ist der Druck bei dem auf jeden Quadratmeter der Behaumllterwaumlnde eine Kraft von 1 Newton ausgeuumlbt wird Ist der Druck konstant so spricht man von einem isobaren Vorgang

T Temperatur

Der sicherlich am schwierigsten fassbare Zustandsparameter makroskopischer Materie ist die Temperatur Zwar ist sie direkt mit der menschlichen Wahrnehmung verknuumlpft (kalt warm heiszlighellip) physikalisch jedoch zunaumlchst sehr undefiniert da sie nicht ohne weiteres auf andere physikalische Groumlszligen zuruumlckfuumlhrbar ist Am ehesten laumlsst sie sich im ersten Ansatz als diejenige Eigenschaft von Materie beschreiben die von einem Thermometer gemessen wird

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Zur Verwendung als Thermometer eignet sich prinzipiell jeder physikalische oder chemische Vorgang der reproduzierbar mit einer Temperaturaumlnderung verknuumlpft ist Klassisch sind dies insbesondere die Ausdehnungsvorgaumlnge von Gasen Fluumlssigkeiten und Festkoumlrpern (Abb 18)

Hg

Festkoumlrperthermometer werden gewoumlhnlich nach demPrinzip des Bimetall-Thermometers ausgelegt (ganzlinks) Dabei werden zwei verschiedene Festkoumlrper(zB zwei Bleche aus verschiedenen Metallen) flaumlchigmiteinander in Kontakt gebracht Bedingt durch dieunterschiedliche thermische Ausdehnung derMaterialien kruumlmmt sich das Bimetall-Blech abhaumlngigvon der Temperatur mehr oder weniger stark zu einerSpirale

Fluumlssigkeitsthermometer (Mitte) und Gasthermometer(rechts) nutzen die Volumenaumlnderung eines fluidenMediums mit der Temperatur Die Genauigkeit kannerhoumlht werden indem einem groszligvolumigen Vorrats-behaumllter ein relativ kleinvolumiger Ausdehnungs- undAblesebereich gegenuumlbergestellt wird

Abb 18 Thermometer die auf der Grundlage der temperaturbedingten Ausdehnung von Materie beruhen

In der Praxis kommen mehr und mehr die elektronischen Varianten der Temperaturmessung zum Zug die zumeist auf der Messung der Thermospannung basieren Neben der Messmetho-de ist die Festlegung einer Temperaturskala wichtig Dazu dienten zunaumlchst einige Fixpunkte die heute teilweise noch historische Bedeutung haben

1) Die tiefste Temperatur des Winters 17081709 in Danzig - 178 degC

2) Die Temperatur von schmelzendem Eis bei 760 Torr (760 Torr = 1 atm = 101 325 Pa) 0 degC

3) Koexistenztemperatur von Eis Wasser und Wasserdampf 001 degC (exakt)

4) Die durchschnittliche Koumlrpertemperatur eines gesunden Menschen 378 degC

5) Die Siedetemperatur des Wassers bei 760 Torr (1 atm = 101 325 Pa) 100 degC

Die Punkte 1 und 4 bildeten die Grundlage des Fahrenheit-Systems die Punkte 2 und 5 die der Celsius-Skala Bei beiden Systemen wurde der definierte Bereich zunaumlchst in 100 gleiche Teile (Grade) aufgeteilt dann extrapoliert Beide Definitionen wurden spaumlter verfeinert (Celsius 9999 Grade C zwischen den Fixpunkten 3 und 5 Fahrenheit 180 Grade F zwischen den Fixpunkten 1 und 5) Trotzdem mangelt es auszliger Punkt 3 allen genannten Fixpunkten an Genauigkeit und Reproduzierbarkeit

Das zweite Problem nach der Unvollkommenheit der Fixpunkte besteht in der Festlegung einer systemunabhaumlngigen linearen Teilung Gewoumlhnlich ist der Verlauf der Skala vom gewaumlhlten Medium abhaumlngig Eine lineare Teilung auf der Skala eines Quecksilber-thermometers entspricht daher nicht einer linearen Teilung auf der Skala eines Alkoholthermometers da die Ausdehnung bei jedem Medium in unterschiedlicher Weise von der Temperatur abhaumlngt

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Beide Probleme sowohl die Wahl der passenden Fixpunkte als auch die Definition einer sinnvollen linearen Teilung werden heute durch die Festlegung der so genannten absoluten Temperaturskala geloumlst Grundlage hierfuumlr sind uumlbereinstimmende Beobachtungen an Gasthermometern

-300 -200 -100 0 100 200

V

T

-27315degCBei wiederholten Messungen mit verschiedenenGasthermometern verschiedenen Gasen undGasvolumina und bei verschiedenen Drucken stelltman fest dass sich die Verlaumlngerungen aller in denjeweiligen Diagrammen erhaltenen Linien in einemPunkt schneiden Dieser Punkt entspricht auf derVolumenachse dem Wert V = 0 und auf derTemperaturachse dem Wert T = -27315 degC

Abb 19 Ausdehnungskurven verschiedener Gase Die Temperaturskala ist zunaumlchst noch in Celsius aufgetragen

Aus dieser Beobachtung wurde geschlossen dass der Temperatur am gemeinsamen Schnitt-punkt aller Ausdehnungskurven eine besondere physikalische Bedeutung zukommt und sie sich daher als Fixpunkt einer neuen Temperaturskala eignet Weiterhin wurde festgestellt dass zwar alle Gase in ihrem Ausdehnungsverhalten von dem linearen Verlauf abweichen dass aber unter bestimmten Umstaumlnden (zB niedriger Druck) ein gemeinsamer Verlauf angestrebt wird den man auch als idealen Verlauf bezeichnen koumlnnte Am besten funktioniert das bei Helium unter schrittweise absinkenden Drucken dessen Verhalten sich fuumlr P rarr 0 zum idealen Verhalten extrapolieren laumlsst Diese Erkenntnis diente zur Definition einer absoluten Temperaturskala in Kelvin

1) Unterer Fixpunkt Schnittpunkt der Volumenexpansionskurven bdquoidealerldquo Gase (zB Helium fuumlr den Grenzfall Prarr0) 0 Kelvin

2) Oberer Fixpunkt Koexistenztemperatur von Eis Wasser und Wasserdampf 27316 Kelvin

3) Das Volumen eines bdquoidealenldquo Gases (zB Helium fuumlr den Grenzfall Prarr0) ist bei konstantem Druck proportional zur Temperatur und definiert die lineare Teilung der Temperaturskala

Gemaumlszlig dieser Definition ist jede beliebige Temperatur unter Nutzung eines bdquoidealenldquo Gasther-mometers auf der absoluten Kelvin-Skala eindeutig festgelegt Die Verwendung der Kelvin-Skala ist gegenuumlber der Nutzung klassischer Temperatursysteme bei der Beschreibung physi-kalischer Vorgaumlnge eindeutig von Vorteil Vorgaumlnge bei denen die Temperatur konstant ist nennt man isotherm Mit der Definition der wichtigsten Zustandsparameter Teilchenzahl n Volumen V Druck P und Temperatur T besteht nun die Moumlglichkeit das Verhalten makroskopischer Materie zu beschreiben Am einfachsten gelingt das im Fall von Gasen

32 Zustandsgleichung fuumlr Gase die ideale Gasgleichung

Gleichungen welche die Zustandsparameter wie n V T und P miteinander verknuumlpfen nennt man Zustandsgleichungen Sie beschreiben das Verhalten einer aus vielen einzelnen Teilchen bestehenden Materie hinsichtlich ihrer makroskopisch messbaren Groumlszligen Am

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einfachsten sind solche Zustandsgleichungen fuumlr Gase aufzustellen Untersucht man bei Gasen systematisch den Zusammenhang zwischen n V P und T so stellt man fest dass fuumlr alle Gase in mehr oder weniger guter Naumlherung folgende einfache Gleichung erfuumlllt isthellip

P ∙ V = n ∙ R ∙ T

hellipwobei R fuumlr die so genannte ideale Gaskonstante steht (R asymp 8314 J K-1 Mol-1) Diese Glei-chung auch bdquoideale Gasgleichungldquo genannt ist ein so genanntes Grenzgesetz kein real exis-tierendes Gas erfuumlllt es genau aber alle Gase kommen ihm recht nahe insbesondere bei hohen Temperaturen und niedrigen Druumlcken Eine Gleichung dieser Form nennt man auch Zustands-gleichung da sie Zustandsparameter miteinander verbindet Grafisch laumlsst sich diese Verknuumlp-fung in einem einfachen Diagramm darstellen bei dem jede Kombination von T und V genau einem Wert fuumlr P zugeordnet ist (Abb 20)

P

V

T

Abb 20 Auftragung von P gegen T und V nach der idealen Gasgleichung

Wir wissen nun dass die Gase aus einer Vielzahl von Teilchen (Atomen oder Molekuumllen) bestehen Wie laumlsst sich das durch die ideale Gasgleichung beschriebene Verhalten nun mit dieser Tatsache in Einklang bringen Was bedeuten eigentlich die Parameter Druck und Tem-peratur fuumlr ein Gas das sich aus vielen einzelnen Atomen und Molekuumllen zusammensetzt Um makroskopische Zustandsparameter uumlberhaupt mit der Teilchenwelt verknuumlpfen zu koumlnnen benoumltigen wir eine Modellvorstellung fuumlr das mechanische Zusammenwirken der Teilchen im Fall von Gasen das so genannte kinetische Gasmodell

33 Das kinetische Gasmodell

Bei den im vorhergehenden Kapitel aufgefuumlhrten Gasgesetzen handelt es sich um mathemati-sche Beschreibungen von makroskopisch beobachtbaren Vorgaumlngen Zur Interpretation der Gasgesetze auf molekularer Ebene wurden verschiedene Modelle vorgeschlagen Das erfolg-reichste unter ihnen war das sogenannte kinetische Gasmodell Es beruht auf der Vorstellung dass ein Gas aus einer Vielzahl von Teilchen besteht die folgende Bedingungen erfuumlllen

1) Sie besitzen eine Atom- oder Molmasse M einen endlichen Durchmesser d und befinden sich in staumlndiger und ungeregelter Bewegung

2) Die Groumlszlige der Teilchen ist im Verhaumlltnis zum freien Volumen vernachlaumlssig-bar

3) Zwischen den Teilchen finden elastische Stoumlszlige statt Ansonsten existieren keine weiteren Wechselwirkungen unter den Teilchen

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Nach der kinetischen Gastheorie besteht der Druck eines Gases aus der Summe aller Kraumlfte (pro Flaumlcheneinheit) die durch auf eine Flaumlche aufprallende Gasteilchen (bzw durch deren Impulsaumlnderung) ausgeuumlbt werden (Abb 21)

Vx t

Abb 21 Links schematische Darstellung der Impulsaumlnderung bei dem Auftreffen eines Gasteilchens auf der Gefaumlszligwand Viele solche Stoumlszlige fuumlhren in der Summe zum Entstehen einer messbaren dem Gasdruck zugeordneten Kraft Rechts Die Geschwindigkeitskomponente vx der Teilchen bestimmt nicht nur die Groumlszlige der Impulsaumlnderung sondern auch die Zahl der Teilchen die pro Zeiteinheit auf die Wand stoszligen Daher geht die Geschwindigkeit der Teilchen bei der Berechnung des Drucks insgesamt quadratisch ein

Dabei wird zunaumlchst davon ausgegangen dass alle Teilchen die gleiche Geschwindigkeits-komponente vx aufweisen Diese Geschwindigkeitskomponente bestimmt zum einen die Heftigkeit der Stoumlszlige zum anderen wie viele Gasteilchen pro Zeiteinheit auf die Wand prallen Insgesamt haumlngt der Druck damit vom Quadrat der Geschwindigkeitskomponente vxab Fuumlhrt man nun ein mittleres Geschwindigkeitsquadrat csup2 ein (mit vxsup2 = 13 csup2) so erhaumllt man fuumlr den an dem beweglichen Kolben spuumlrbaren Druck die Gleichung

P = 13 M csup2 (nV) oder in der Schreibweise der idealen Gasgleichung P V = 13 n M csup2 Der Druck ist nach dem kinetischen Gasmodell also die Folge einer Vielzahl von Stoumlszligen welche die Teilchen gegen die Behaumllterwaumlnde ausfuumlhren Er ist folglich proportional zur Mas-se der Teilchen (je schwerer die Teilchen desto heftiger die Stoumlszlige) zum mittleren Geschwin-digkeitsquadrat (die Geschwindigkeit der Teilchen bestimmt zum einen die Haumlufigkeit zum anderen die Heftigkeit der Stoumlszlige) und zur Zahl der Teilchen pro Volumeneinheit (womit wie nach der idealen Gasgleichung zu erwarten P umgekehrt proportional zu V ist) Die Bedeutung der Temperatur im kinetischen Gasmodell ist dagegen zunaumlchst unklar Mit der idealen Gasgleichung P V = n R T ergibt sich aber durch Koeffizientenvergleich n R T = 13 n M csup2 oder R T = 13 M csup2 Man kann unter Nutzung beider Gasmodelle so zu einem neuen teilchenbezogenen Verstaumlnd-nis des Phaumlnomens Temperatur kommen Die Temperatur eines Gases ist demnach direkt proportional zum mittleren Geschwindigkeitsquadrat der Gasteilchen oder in anderen Worten zu deren kinetischer Energie 12 M csup2 Dies ist fuumlr das Verstaumlndnis des Phaumlnomens Temperatur von groszliger Bedeutung Man kann die Temperatur eines Gases also messen indem man (bei bekannter Masse der Teilchen) die Geschwindigkeit der Gasteilchen bestimmt Die Wurzel aus dem mittleren Geschwindigkeits-quadrat also die Groumlszlige c liegt uumlblicherweise in der Groumlszligenordnung der Schallgeschwindig-keit (zum Beispiel fuumlr Stickstoff bei Raumtemperatur c = 516 ms) und steht zu ihr in einer

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festen Beziehung Tatsaumlchlich laumlsst sich die Temperatur auch uumlber eine Messung der Schall-geschwindigkeit ermitteln Nachdem das mittlere Geschwindigkeitsquadrat der Teilchen bekannt ist stellt sich die Frage nach der Geschwindigkeitsverteilung der Teilchen Die Bewegungsenergie der Teilchen ist wie alle anderen Energieformen (zB elektronische Energie Schwingungsenergie) gequantelt Das bedeutet dass sich die Teilchen auf (hier dicht gestaffelte) Energieniveaus verteilen muumlssen Sie tun das nach einem statistischen Grundprinzip das Boltzmann-Verteilung genannt wird Demnach ist die Besetzung pi eines Energieniveaus i (egal welcher Art die Energie Ei ist) stets proportional zum so genannten Boltzmannfaktor des Zustand i Es gilt

pi ~ exp[-Ei(kBT)]

Die darin enthaltene Boltzmannkonstante kB ist nichts anderes als die allgemeine Gas-konstante R (siehe unter 32) dividiert durch die Zahl NL der Teilchen in einem Mol Substanz (kB = RNL) Das bedeutet die Besetzung eines Zustands ist umso wahrscheinlicher je niedriger dessen Energie ist Steigende Temperatur T hingegen erhoumlht die Wahrscheinlichkeit energiereicher Zustaumlnde Diese Gesetzmaumlszligigkeit gilt fuumlr die Besetzung aller auf atomarer oder molekularer Ebene gegebener Zustaumlnde in einem makroskopischen System Angewandt auf die Bewegungsenergie von Gasteilchen in einer einzelnen Raumrichtung x bedeutet das dass Teilchen mit hoher Geschwindigkeit vx weniger wahrscheinlich sind als solche mit niedriger Geschwindigkeit vx Allerdings steigt die Wahrscheinlichkeit des Auftretens groszliger Werte fuumlr vx mit steigender Temperatur Teilt man den Bereich der auftretenden Geschwindigkeiten in Intervalle auf und zaumlhlt man die Teilchen die gemaumlszlig ihrer Geschwindigkeit zu den einzelnen Intervallen zugeordnet werden koumlnnen so ergibt sich fuumlr die Geschwindigkeitsverteilung in vx und v das Bild das in Abb 22 oben dargestellt ist Die Verteilungsfunktionen fuumlr die Geschwindigkeiten in y- und z-Richtung sind identisch

n(vx)

vx-Intervall

n(vx)

vx-Intervall

Temperatur-erhoumlhung

- 0 +- 0 +n(v)

v-Intervall

Temperatur-erhoumlhung

0 +

n(v)

v-Intervall0 +

Abb 22 Verteilungsfunktionen einer eindimensionalen Geschwindigkeitskomponente (oben) und der Gesamtgeschwindigkeit (unten)

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Betrachtet man die Verteilung n(v) der Gesamtgeschwindigkeit v im dreidimensionalen Raum so wird das Bild komplizierter Bezuumlglich der drei Raumrichtungen x y und z sind weiterhin die kleinen Geschwindigkeiten wahrscheinlicher als die groszligen Da nun aber fuumlr eine groszlige Gesamtgeschwindigkeit v mehr Kombinationsmoumlglichkeiten vx vy vz existieren als fuumlr kleine Gesamtgeschwindigkeiten so wird die Wahrscheinlichkeit fuumlr sehr geringe Gesamtgeschwindigkeiten entsprechend kleiner fuumlr groszlige Gesamtgeschwindigkeiten entsprechend groumlszliger Der daraus resultierende Gewichtungsfaktor fuumlr jedes v ist die relative Flaumlche der Kugelschale mit dem Radius v Insgesamt ergeben sich dann die in Abb 22 unten dargestellten Verteilungsfunktionen fuumlr niedrige und hohe Temperaturen Die Verteilungsfunktionen in vx und v lauten (ohne Herleitung)

f(vx) = [M(2RT)]12 exp [-Mvxsup2(2RT)]

f(v) = 4 [M(2RT)]32 vsup2 exp [-Mvsup2(2RT)] Der Mittelwert von vx (oder jeder anderen eindimensionalen Geschwindigkeitskomponente) ist grundsaumltzlich Null Dagegen besitzt der Mittelwert von v stets eine endliche von Null verschiedene Groumlszlige Bei einer Erhoumlhung der Temperatur werden alle Verteilungsfunktionen breiter der Mittelwert von v vergroumlszligert sich Die Temperatur eines Gases aumluszligert sich also nicht nur im mittleren Geschwindigkeitsquadrat sondern auch in der Form der Geschwindigkeitsverteilungsfunktion Bei der Mischung von Gasen unterschiedlicher Temperatur muss um die oben genannte Forderung zu erfuumlllen aus der einfachen Summe von zwei Verteilungsfunktionen eine neue der Mischtemperatur ent-sprechende Verteilungsfunktion entstehen Dies ist nur unter der Annahme moumlglich dass ein Austausch kinetischer Energie unter den Teilchen erfolgen kann Diese Tatsache bedingt die eingangs gestellte Forderung nach Teilchenstoumlszligen also Wechselwirkungen zwischen den Teilchen Damit muumlssen die Gasteilchen aber auch ein gewisses Volumen besitzen den Teil-chen ohne Eigenvolumen koumlnnen prinzipiell nicht zusammenstoszligen Darin besteht der we-sentliche Unterschied zwischen einem Gas nach dem kinetischen Gasmodell und dem idealen Gas Das ideale Gas koumlnnte man theoretisch auf ein beliebig kleines Volumen komprimieren bei einem kinetischen Gas ist dies aufgrund des Eigenvolumens nicht moumlglich Ansonsten erlaubt das kinetische Gasmodell die vollstaumlndige Interpretation der idealen Gasgleichung

34 Die korrigierte Gasgleichung nach van der Waals JD van der Waals

Mithilfe des kinetischen Gasmodells laumlsst sich die Zustandsgleichung fuumlr Gase weiter verfeinern Zunaumlchst soll beruumlcksichtigt werden dass die Teilchen ein eigenes Volumen besitzen In erster Naumlherung geschieht dies indem man ein vom Eigenvolumen der Gas-teilchen abgeleitetes minimales Volumen des Gases (das so genannte Covolumen) definiert Das Covolumen beschreibt dasjenige Volumen des Gases das bei staumlndigem mechanischem Kontakt zwischen jeweils zwei Teilchen eingenommen wird wenn man den Teilchenpaaren jeweils den sie umschreibenden kugelfoumlrmigen Raum zuordnet (wegen der geringen Wahr-scheinlichkeit von Dreierstoumlszligen kann die Bildung von Dreiergruppen ausgeschlossen werden) Das molare Covolumen b entspricht wenn man eine einfache geometrische Uumlberlegung an-setzt dem vierfachen Eigenvolumen eines Mols der Gasteilchen Um das tatsaumlchliche freie

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Volumen zu erhalten muss das n-fache Covolumen vom gegebenen Volumen abgezogen werden Damit wird aus der idealen Gasgleichung P V = n R T die erste korrigierte Version P (V - n b) = n R T Im zweiten Schritt soll nun uumlber das kinetische Gasmodell hinausgehend auch die anziehen-de Wechselwirkung zwischen den Teilchen beruumlcksichtigt werden Die Anziehung zwischen den Teilchen sorgt nach van der Waals fuumlr einen zusaumltzlichen nach auszligen nicht messbaren bdquoBinnendruckldquo Dieser Binnendruck ist proportional zum Quadrat der Teilchendichte (nV)sup2 Der zwischen den Teilchen tatsaumlchlich wirkende nach auszligen ebenfalls unmessbare Gesamt-druck ist dann gegeben als

Pgesamt (unmessbar) = P (messbar) + a (nV)sup2

mit einer fuumlr die anziehende Wechselwirkung charakteristischen Konstante a Die danach korrigierte Version der Gasgleichung die van-der-Waals-Gleichung fuumlr reale Gase lautet

[P + a (nV)sup2] (V - nb) = n R T

Die Konstanten b und a besitzen fuumlr jedes reale Gas charakteristische Werte die dessen Eigenvolumen (die Groumlszlige der Elektronenhuumllle) und die Staumlrke der intermolekularen Wechsel-wirkungen reflektieren Beispiele

Gas a b

Argon 01345 Pa m6Molsup2 32210-5 msup3Mol Kohlendioxid 03592 Pa m6Molsup2 426710-5 msup3Mol Helium 00034 Pa m6Molsup2 23710-5 msup3Mol Stickstoff 01390 Pa m6Molsup2 391310-5 msup3Mol Wasser 05573 Pa m6Molsup2 31010-5 msup3Mol

Der Parameter b spiegelt mit der Einheit msup3Mol weitgehend die Groumlszlige der einzelnen Teilchen (Atome oder Molekuumlle) wider So besitzt erwartungsgemaumlszlig Kohlendioxid oder Argon einen groumlszligeren Wert fuumlr b als beispielsweise Helium Allerdings sind die Unterschiede erstaunlich klein was auf die Tatsache zuruumlckzufuumlhren ist dass sich das Covolumen auf Teilchenpaare bezieht und ein Paar aus Kohlendioxidmolekuumllen gegenuumlber einem Paar aus Heliumatomen nur etwa das doppelte Volumen benoumltigt

Der Parameter a mit der Einheit Pascal mal Molvolumen zum Quadrat reflektiert die Staumlrke der Wechselwirkungen zwischen den Teilchen Diese Wechselwirkungen beruhen zum groszligen Teil auf den elektrischen Eigenschaften der Teilchen Diese wiederum sind mit der elektronischen Struktur der Atome beziehungsweise der chemischen Bindungen verknuumlpft Am wichtigsten ist dabei das in Kapitel 19 erwaumlhnte Dipolmoment Polare Bindungen koumlnnen zu Teilchen mit permanenten Dipolen fuumlhren (zB HF Wasser Ammoniak CO) Andere Molekuumlle oder Atome sind zwar unpolar koumlnnen aber spontan oder durch aumluszligere

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elektrische Felder polarisiert werden (zB He Ar molekularer Wasserstoff molekulares Chlor) Man spricht dann von polarisierbaren Teilchen mit einem spontanen Dipolmoment oder mit einem durch ein aumluszligeres Feld bewirkten induzierten Dipolmoment In all diesen Faumlllen sind anziehende Wechselwirkungen zwischen den Teilchen moumlglich die in dem Parameter a zusammengefasst werden Daruumlber hinaus koumlnnen sich auch voruumlbergehende chemische Bindungen ausbilden Das prominenteste Beispiel fuumlr diesen Fall ist die bekannte Wasserstoffbruumlckenbindung die bei polaren X-H-Bindungen auftreten kann Im Einzelnen werden demnach folgende Arten von Wechselwirkungen mit absteigender Intensitaumlt unter-schieden

a) Wasserstoffbruumlckenbindung X-H hellip Y Hierbei bildet sich voruumlbergehend eine chemische Bindung zwischen dem polar gebundenen Wasserstoff und einem elektronegativen und mit einem freien Elektronenpaar ausgestatteten Element Y

b) Wechselwirkungen zwischen permanenten Dipolen hier besitzen alle Teilchen ein permanentes Dipolmoment Zwischen den entgegengesetzt geladenen Enden der Teilchen bauen sich dann konstant anziehende elektrostatische Wechselwir-kungen auf

c) Wechselwirkungen zwischen permanenten und induzierten Dipolen die Teil-chen mit permanentem Dipolmoment induzieren ein voruumlbergehendes Dipol-moment bei den benachbarten (zunaumlchst unpolaren) Teilchen In der Folge ergibt sich eine anziehende elektrostatische Wechselwirkung

d) Wechselwirkungen zwischen induzierten Dipolen durch spontane Polarisierung eines Teilchens entsteht ein voruumlbergehendes Dipolmoment welches bei einem benachbarten Teilchen eine Polarisierung hervorruft In der Folge ergibt sich eine kurzfristige und sehr schwache elektrostatische Anziehung zwischen den Teilchen Man spricht dabei auch von der Dispersionswechselwirkung oder der Londonschen Wechselwirkung

Alle diese Effekte sind anziehender Natur und gehen damit in den Parameter a ein Fasst man die beiden Parameter a und b zusammen so entsteht mit der van-der-Waals-Gleichung eine recht zuverlaumlssige Zustandsgleichung fuumlr reale Systeme die sowohl die abstoszligenden als auch die anziehenden Wechselwirkungen beruumlcksichtigt

Ein guter Test fuumlr diese reale Zustandsgleichung ist die Berechnung eines Diagramms von P gegen V fuumlr verschiedene Temperaturen das so genannte P-V-Diagramm und die Gegen-uumlberstellung mit dem entsprechenden experimentellen P-V-Diagramm eines realen Gases Gemaumlszlig der van-der-Waalsrsquoschen Gleichung existieren abhaumlngig von der betrachteten Tempe-ratur drei Typen von Isothermen (Abb 23 links) solche die einer Hyperbel aumlhneln (1) eine einzelne Isotherme die einen Wendepunkt mit waagrechter Tangente besitzt (2) und solche die ein Minimum ein Maximum und einen Wendepunkt aufweisen (3) Das experimentell beobachtete Verhalten stimmt in den ersten beiden Faumlllen recht gut uumlberein weicht aber bei Isothermen des dritten Typs deutlich vom berechneten Verlauf ab (Abb 23 rechts)

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P

V

PV-Diagramm nachvan-der-Waals-Gleichung

1 2

3

P

V

3

experimentell bestimmtesPV-Diagramm f reales Gas

Abb 23 PV-Diagramme fuumlr reale Gase berechnet nach van der Waals (links) und experimentell bestimmt (rechts) Die drei typischen Formen der Isothermen (1 2 und 3) sind im Text beschrieben

Offensichtlich beschreibt die van-der-Waals-Gleichung das Verhalten eines realen Gases in der Umgebung des Wendepunkts weniger gut Experimentell stellt man allerdings fest dass in diesem Bereich tatsaumlchlich auch kein reines Gas sondern vielmehr eine Mischung aus einem Gas und einer kondensierten Fluumlssigkeit also ein Zweiphasenzustand vorliegt Dieser Zwei-phasenbereich beginnt am Wendepunkt der Isothermen des Typs 2 und schlieszligt alle Minima Maxima und Wendepunkte der Isothermen des Typs 3 ein (Abb 24 links)

P

V

Zweiphasen-gebiet

P

V

Zweiphasen-gebiet

Maxwell-Maxwell-KorrekturKorrektur

Zweiphasen-Gebiet

Zweiphasen-Gebiet

A1

A2

Abb 24 PV-Diagramme fuumlr reale Gase mit eingezeichnetem Zweiphasengebiet Der in diesem Bereich bei der Beschreibung nach van der Waals gegebene Fehler kann in guter Naumlherung durch die Maxwell-Korrektur kompensiert werden

Eine einfache Korrektur der van-der-Waals-Gleichung ermoumlglicht eine realistische Beschrei-bung des Zweiphasengebiets Eine horizontale Gerade wird so in der Naumlhe des Wendepunktes gelegt dass die oberhalb und unterhalb der Geraden im Zweiphasenbereich gebildeten Teilflaumlchen A1 und A2 die gleiche Groumlszlige besitzen (sog Maxwell-Korrektur s Abbildung 24 rechts) Dies sieht zwar nach einer etwas willkuumlrlichen Hilfskonstruktion aus trotzdem laumlsst sich damit das Verhalten eines realen Gases im Zweiphasengebiet sehr gut nachvollziehen und vorhersagen Eine besonders ausgewiesene Position im PV-Diagramm eines realen Gases ist der Scheitel-punkt des Zweiphasengebiets der durch den Wendepunkt der Isotherme des Typs 2 gebildet wird (Abb 25)

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P

V

Zweiphasen-gebiet Tc

Pc

Vc

kritischer Punkt

Jedes reale Gas besitzt einen sogenannten kritischenPunkt der durch die kritischen Zustandsgroumlszligen Tc Pc undVc beschrieben wird Die kritische Temperatur Tc istdiejenige Temperatur bei der sich ein Gas unter Druckgerade noch verfluumlssigen laumlszligt Oberhalb der kritischenTemperatur existiert kein fluumlssiger Zustand Derentsprechende Druck Pc wird als kritischer Druckbezeichnet

Die Isotherme die der kritischen Temperatur zugeordnetist besitzt als einzige einen Wendepunkt mit horizontalerTangente der gleichzeitig den kritischen Punkt markiert

Abb 25 PV-Diagramm fuumlr ein reales Gas mit kritischem Punkt

Dieser sogenannte kritische Punkt wird durch die kritische Temperatur Tc den kritischen Druck Pc und das kritische Molvolumen Vc festgelegt Zustaumlnde oberhalb des kritischen Punkts nennt man uumlberkritisch Uumlberkritisches Kohlendioxid besitzt in der Technik groszlige Bedeutung fuumlr das Loumlsen und Ausfaumlllen von pharmazeutischen Wirkstoffen (zB Aspirin fuumlr Brausetabletten) fuumlr die Extraktion (zB bei der Entkoffeinierung von Kaffee) oder zur chemischen Reinigung von Textilien

35 Andere Zustandsgleichungen fuumlr reale Gase

Neben der van-der-Waals-Gleichung existieren weitere Ansaumltze zur Beschreibung realer Gase die zwar eine genauere Anpassung an die gemessenen Werte ermoumlglichen aber auch kompli-zierter sind oder mehr Arbeit bei der Bestimmung der charakteristischen Parameter erfordern Im Folgenden seien als Beispiele die Berthelot-Gleichung und die Virialgleichung erwaumlhnt

a Berthelot-Gleichung (P + (Ansup2)(TVsup2) ) (V - nB) = n R T Berthelot fuumlhrte damit als Besonderheit einen temperaturabhaumlngigen Binnendruck ein Dies ist insoweit physikalisch gerechtfertigt als die vermehrte thermische Bewegung der Ausbildung von Wechselwirkungen zwischen den Molekuumllen entgegenwirken kann

b Virialgleichung P Vm = A + B P + C Psup2 + D Psup3 + Mit Vm = Vn Die Virialgleichung nutzt die Tatsache dass sich fast alle physikalischen Zusammenhaumlnge uumlber einen Potenzreihenansatz a + bx + cxsup2 + dxsup3 + hellip beliebig genau annaumlhern lassen Je nach Anzahl der anpassbaren Parameter ist zwar eine beliebig genaue Beschreibung des realen Gases moumlglich allerdings steigt auch der Aufwand fuumlr die Bestim-mung aller Koeffizienten

36 Beschreibung von Fluumlssigkeiten

Im PV-Diagramm der realen Gase schlieszligt sich links vom Zweiphasengebiet der Bereich der fluumlssigen Phase an Sie zeichnet sich dadurch aus dass mit sinkendem Volumen der Druck ex-trem steil ansteigt Das bedeutet dass bereits eine geringfuumlgige Volumenabnahme mit einem aumluszligerst groszligen Druckanstieg verbunden ist In der Praxis hat das zur Folge dass Fluumlssigkeiten im Gegensatz zu Gasen kaum komprimierbar sind ihre Kompressibilitaumlt geht gegen Null Auch ist die Ausdehnung der Fluumlssigkeiten bei steigender Temperatur und bei konstantem

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Druck (der thermische Ausdehnungskoeffizient) sehr viel kleiner als bei Gasen Eine einfache allgemeine Zustandsgleichung fuumlr die fluumlssige Phase in Analogie zur idealen oder zur van-der-Waals-Gleichung existiert nicht Stattdessen findet man bei der experimentellen Bestimmung des Zusammenhangs zwischen P V und T fuumlr jede Fluumlssigkeit ein sehr charakteristisches Verhalten Vergleicht man die Messergebnisse verschiedener Fluumlssigkeiten untereinander so sind kaum Aumlhnlichkeiten auszumachen Daruumlber hinaus sind bestimmte Messungen (zB die Messung der Abhaumlngigkeit des Drucks vom Volumen bei konstanter Teilchenzahl und Temperatur) technisch sehr schwer zu realisieren Das Fehlen einer einheitlichen Zustandsgleichung V(TPn) fuumlr Fluumlssigkeiten liegt auch in deren komplexer Struktur begruumlndet Betrachtet man ein einzelnes Teilchen in der Fluumlssigkeit so liegt es bezuumlglich der Abstaumlnde zu seinen naumlchsten Nachbarn stets in der Naumlhe des Mini-mums einer Potentialkurve Epot(r) die einen sehr steilen Verlauf besitzt Die Abstaumlnde zu den benachbarten Teilchen sind damit nahezu fixiert folglich ist eine unabhaumlngige Translations-bewegung einzelner Teilchen praktisch unmoumlglich Stattdessen verlaufen alle Bewegungs-prozesse mehr oder weniger kollektiv also unter gleichzeitiger Verschiebung mehrerer Teilchen Daruumlber hinaus gibt es keine nennenswerten freien Volumina so dass der mittlere Abstand der Teilchen nur unwesentlich verringert werden kann ein Umstand der sich in der bereits erwaumlhnten geringen Kompressibilitaumlt aumluszligert Ein Modell fuumlr eine allgemeine Fluumlssigkeit laumlsst sich im Rahmen einer Computersimulation einfuumlhren Man betrachtet dabei einen wuumlrfelfoumlrmigen Raum der einen Ausschnitt aus dem Fluumlssigkeitsvolumen darstellen soll und eine endliche Anzahl n von Fluumlssigkeitsteilchen (zB n = 1000) enthaumllt Um die Zahl der Teilchen konstant zu halten und dabei trotzdem deren Beweglichkeit zu wahren wird eine Kontinuitaumltsbedingung eingefuumlhrt Jedes Teilchen das im Rahmen der Bewegungsprozesse den Wuumlrfel an einer gegebenen Stelle verlaumlsst tritt automatisch an der genau gegenuumlberliegenden Position des Wuumlrfels wieder ein Auf diese Weise ist gewaumlhrleistet dass die Zahl der Teilchen im Wuumlrfel konstant bleibt (Abb 26)

Abb 26 Simulation von Bewegungs-vorgaumlngen in einem Fluumlssigkeitsvolumen unter Wahrung einer konstanten Partikel-anzahl Jedes Teilchen das im Rahmen der Bewegungsprozesse den Wuumlrfel an einer gegebenen Stelle verlaumlsst tritt automatisch an der genau gegenuumlberliegenden Position des Wuumlrfels wieder ein

An diesem System fuumlhrt man nun eine so genannte Monte-Carlo-Simulation durch Dabei setzt ein Zufallsgenerator eine geringfuumlgige Verschiebung eines beliebigen einzelnen Teil-chens in Gang Anschlieszligend wird unter Verwendung des bekannten Potentialverlaufs Epot(r) berechnet wie sich nach der Verschiebung die potentielle Energie des Systems veraumlndert hat Danach entscheidet das Simulationsprogramm zwischen zwei Moumlglichkeiten

- Hat sich die gesamte potentielle Energie des Systems durch die Verschiebung verringert oder blieb sie konstant so wird die Verschiebung akzeptiert und der naumlchste Schritt berechnet - Hat sich die gesamte potentielle Energie durch die Verschiebung um den positiven Wert E erhoumlht so wird die Verschiebung mit einer Wahrscheinlichkeit die von E abhaumlngt akzeptiert und ansonsten verworfen Danach wird der naumlchste Schritt berechnet

Auf diese Weise kann man fuumlr beliebige Fluumlssigkeiten sowohl die typischen Bewegungs-prozesse als auch die einflussbedingten Veraumlnderung von Zustandsgroumlszligen (zB P in Ab-

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haumlngigkeit von V) berechnen Allerdings sind die Rechnungen bei den fuumlr eine realistische Beschreibung eines Fluumlssigkeitsvolumens notwendigen groszligen Teilchenzahlen sehr aufwaumlndig und zeitintensiv

37 Beschreibung von Festkoumlrpern

Begibt man sich im P-V-Diagramm vom fluumlssigen Zustand ausgehend noch weiter nach links (zu kleineren Volumina houmlheren Drucken und niedrigeren Temperaturen) so erreicht man den festen Zustand Die Problematik der Zustandsgleichung V(TPn) von Festkoumlrpern aumlhnelt jener der Fluumlssigkeiten Auch hier sind die Kompressibilitaumlten und die thermischen Aus-dehnungskoeffizienten uumlblicherweise sehr viel geringer als bei Gasen Ebenso wie bei Fluumls-sigkeiten sind dabei die Unterschiede zwischen einzelnen Vertretern der Festkoumlrper recht groszlig so dass keine gemeinsame Zustandsgleichung wie bei Gasen formuliert werden kann Im Vergleich mit den Werten der Fluumlssigkeiten sind die Kompressibilitaumlten und die thermischen Ausdehnungskoeffizienten der Festkoumlrper durchschnittlich nochmals um etwa zwei Groumlszligen-ordnungen geringer

Abb 27 Torsionsexperiment zur Unterscheidung zwischen Fluumlssigkeiten und Festkoumlrpern (s Text)

Der wesentliche Unterschied zwischen Festkoumlrpern und Fluumlssigkeiten besteht allerdings in ihrem gegensaumltzlichen Verhalten bezuumlglich Verformung waumlhrend Fluumlssigkeiten einer gege-benen Verformung durch ihre Zaumlhigkeit (Viskositaumlt) Widerstand leisten reagiert ein Fest-koumlrper auf eine Verformung durch eine elastische Deformation Dieses Verhalten wird in einem Torsionsrheometer deutlich wobei eine feste oder fluumlssige Probe periodisch mit einer torsionsartigen Verformung beaufschlagt wird (Abb 27) Waumlhrend der Drehmomentverlauf des Festkoumlrpers exakt gleichphasig zur periodischen Aus-lenkung erfolgt (elastische Verformung) ist der Drehmomentverlauf der Fluumlssigkeit dazu um ein Viertel einer Wellenlaumlnge phasenverschoben (viskose Reaktion) Bei Fluumlssigkeiten ist der Widerstand dann maximal wenn die Deformationsgeschwindigkeit maximal ist (blaue Linie

t

Dre

hmom

entv

erla

uf

tAusl

enku

ng

Festkoumlrper

t

Dre

hmom

entv

erla

uf

Fluumlssigkeiten

Pruumlfkoumlrper

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in Abb 26) Bei Festkoumlrpern ist die Kraft dann maximal wenn der Deformationszustandmaximal ist (rote Linie in Abb 27) Viele Festkoumlrper stellen Uumlbergaumlnge zwischen diesen beiden Extremfaumlllen dar und werden dann als viskoelastisch bezeichnet Aus der Betrachtung von Messergebnissen an einer Viel-zahl von Materialien geht hervor dass eine eindeutige Abgrenzung zwischen dem fluumlssigen und dem festen Zustand selten moumlglich ist Entsprechend gibt es auch unterschiedliche Strukturmodelle die teilweise das elastische Verhalten teilweise das plastische Verhalten von Festkoumlrpern erklaumlren Dem elastischen Festkoumlrper mit nahezu verschwindender Phasen-verschiebung wird am ehesten das Modell eines idealen Kristalls gerecht Man geht dabei davon aus dass jedes Atom bzw Molekuumll aus dem der Festkoumlrper zusammengesetzt ist sich an einem geometrisch festgelegten Gitterpunkt befindet von dem es sich nicht entfernen kann Als Bewegungsprozess ist dabei lediglich eine Schwingung mit begrenzter Amplitude moumlglich Die denkbaren Geometrien der Gitterstrukturen reichen von primitiv-kubischen Gittern (zB Natriumchlorid) uumlber kubisch-dichteste (zB Silber Kupfer) und hexagonal-dichteste Kugelpackungen (zB Magnesium Zink) bis zur kubisch-raumzentrierten Struktur (zB Eisen Molybdaumln) Haumlufig findet man leichte Abweichungen von der idealen Gitter-struktur die durch lokale Stoumlrungen hervorgerufen werden Akzeptiert man gewisse Anteile an viskosem Verhalten (dh eine leichte Phasenverschiebung) so begibt man sich in den Grenzbereich zwischen Festkoumlrpern und Fluumlssigkeiten In einem Material wie Glas ist die regelmaumlszligige Anordnung eines Gitters nicht gegeben die Atome sind unregelmaumlszligig positioniert und koumlnnen unter Belastung auch flieszligen Solche nicht-kristallinen Festkoumlrper bezeichnet man als amorph Typische Vertreter amorpher Feststoffe sind Fenster-glas viele transparente Kunststoffe (zB Plexiglas Polyester in Getraumlnkeflaschen) Wachs und Aumlhnliches Amorphe Festkoumlrper besitzen keinen Schmelzpunkt sondern erweichen bei steigender Temperatur allmaumlhlich Amorphe Festkoumlrper koumlnnen nachtraumlglich kristallisieren wobei sich haumlufig das aumluszligere Erscheinungsbild und die physikalischen Eigenschaften drastisch aumlndern (zB Plastikfolie unter Zug)

38 Das Phasendiagramm

Die drei wichtigsten Phasenzustaumlnde zu denen sich eine makroskopische Gesamtheit von Atomen oder Molekuumllen zusammenfinden koumlnnen sind also Gase Fluumlssigkeiten und Festkoumlrper Die Frage ist nun unter welchen Bedingungen sich ein System fuumlr den ersten den zweiten oder den dritten Zustand entscheidet Erfahrungsgemaumlszlig haumlngt der gegebene Phasenzustand von den in Kapitel 31 eingefuumlhrten Zustandsparametern n V P und T ab Legt man die Stoffmenge n auf einen Wert fest (zB auf ein Mol Teilchen) und beruumlcksichtigt man dass nach den gegebenen Zustandsgleichungen die Groumlszligen n V P und T miteinander verknuumlpft sind so genuumlgen zwei Parameter um den jeweils guumlnstigsten Phasenzustand eindeutig festzulegen Ein Diagramm bei dem einer der Parameter V P und T gegen einen anderen aufgetragen wird eignet sich also prinzipiell um bei einer gegebenen Teilchenart den unter diesen Bedingungen jeweils angestrebten Phasenzustand zu markieren So kann man gemaumlszlig den Abbildungen 23 bis 25 in einem Diagramm bei dem P gegen V aufgetragen wird schon den jeweils gegebenen Phasenzustand eintragen und ablesen In der Praxis eignen sich solche PV-Diagramme allerdings wenig um Phasenzustaumlnde zu markieren der gasfoumlrmige Zustand nimmt einen sehr breiten Raum ein waumlhrend der fluumlssige und der feste Zustand in dem sehr engen Bereich links neben dem Zweiphasengebiet bdquoeingequetschtldquo waumlre Vor allem in diesem Umfeld waumlre das Diagramm schwer ablesbar

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39

Wesentlich guumlnstiger ist dagegen die Auftragung vom Druck P gegen die Temperatur T In diesem PT-Diagramm das auch als Phasendiagramm bezeichnet wird lassen sich alle Phasenzustaumlnde uumlbersichtlich zuordnen Dabei bezeichnen Flaumlchenanteile im PT-Diagramm die unter den gegebenen Druck- und Temperaturbedingungen angestrebte Phase (zB fest fluumlssig gasfoumlrmig) waumlhrend Linien die dazwischen vorliegenden Gleichgewichte markieren und Phasengrenzlinien genannt werden (Abb 28)

T

Pfe

st

fluumlss

ig

gasfouml

rmig

kritischerPunkt

Tripel-punkt

Phasengrenzlinie

Abb 28 Phasendiagramm mit Auftragung des Drucks (P) gegen die Temperatur (T)

Auszligerdem enthaumllt ein Phasendiagramm gewoumlhnlich mindestens zwei besonders ausgezeich-nete Punkte den Tripelpunkt an dem die drei im Allgemeinen wichtigsten Phasenzustaumlnde fest fluumlssig und gasfoumlrmig miteinander im Gleichgewicht stehen und den bereits aus dem PV-Diagramm bekannten kritischen Punkt der das Ende eines definierten Uumlbergangs zwischen fluumlssiger und gasfoumlrmiger Phase markiert Beispiele fuumlr Phasendiagramme Kohlen-dioxid und Wasser sind in Abbildung 29 und 30 wiedergegeben

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T

P

fest

fluumlss

iggasfoumlrmig

kritischerPunkt

Tripel-punkt

2168 K

511 bar

CO2

3042 K

728 bar

Abb 29 Phasendiagramm fuumlr Kohlendioxid

T

P

fluumlss

ig

gasfoumlrmig

kritischerPunkt

H2O

Eis 1

Eis 1

Eis 2 Eis 3

Eis 5

Eis 6

Tripelpunkt6473 K

218 bar

6 mbar 27316 K

Abb 30 Phasendiagramm fuumlr Wasser Der Bereich oberhalb von 200 bar ist aus Gruumlnden der

Uumlbersichtlichkeit entlang der P-Achse komprimiert dargestellt

Eine wichtige Besonderheit des Phasenverhaltens von Wasser ist die Tatsache dass die Phasengrenzlinie zwischen fluumlssigem Wasser und Eis 1 eine negative Steigung aufweist Dies hat zur Folge dass gewoumlhnliches Eis durch Erhoumlhung des Drucks zum Schmelzen gebracht werden kann Dieser Umstand ist eine der Ursachen dafuumlr dass eine Kufe auf Eis gleitet da der durch das Schmelzen entstehende Wasserfilm die Reibung vermindert (allerdings spielt hier auch die Reibungswaumlrme eine Rolle) Der Grund fuumlr dieses Verhalten steht in direkter Verbindung mit der strukturbedingten Volumenabnahme beim Schmelzen von Eis (s Videos unter httpwwwyoutubecomwatchv=6s0b_keOiOU und httpswwwyoutubecomwatchv=CDTZoFGmZoc )

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Waumlhlt man in einem Phasendiagramm eine Kombination von Druck und Temperatur so kann man direkt denjenigen Phasenzustand ablesen den die gegebene Teilchenart unter diesen Bedingungen anstrebt Das heiszligt jedoch nicht dass dieser Zustand dann auch in jedem Fall und zu jeder Zeit vorliegt Haumlufig beobachtet man eine so genannte kinetische Hemmung einer Phasenumwandlung So gibt es unterkuumlhlte Fluumlssigkeiten (zB Regentropfen bei -3degC) genauso wie unterkuumlhlte Dampfphasen (zB uumlbersaumlttigten Wasserdampf in Gewitterwolken) oder uumlberhitzte Fluumlssigkeiten (zB uumlberhitztes Wasser bei einem Siedeverzug) Kristalli-sationskeime wie Staubkoumlrner koumlnnen Phasenumwandlungen beschleunigen (zB durch Staub verursachter bdquoIndustrieschneeldquo) Bisher wurden lediglich Phasendiagramme von reinen Stoffen betrachtet die nur aus einer einzelnen Sorte Atomen oder Molekuumllen bestehen Mischt man einem gegebenen Stoff eine weitere Komponente hinzu so aumlndert sich das Phasendiagramm erheblich Als Beispiel betrachten wir ein System in dessen fluumlssiger Phase ein Fremdstoff A geloumlst wird der weder im Festkoumlrper noch im der Gasphase loumlslich ist (zB Kochsalz in Wasser) In diesem Fall dehnt sich der fluumlssige Bereich des Phasendiagramms mit steigender Konzentration von A in alle Richtungen aus so dass gleichzeitig der Schmelzpunkt erniedrigt der Siedepunkt erhoumlht und der Dampfdruck verringert wird (Abb 31) In erster Naumlherung sind alle genannten Aumlnderungen proportional zu cA

T

P

fest

fluumlss

ig

gasfouml

rmig

Abb 31 Phasendiagramm fuumlr ein System in dessen fluumlssiger Phase ein Fremdstoff mit steigender

Konzentration cA geloumlst wird Der Bereich der fluumlssigen Phase dehnt sich daraufhin in alle

Richtungen aus

Bei weiter steigender Konzentration von A kann ein Punkt erreicht werden an dem die Mischung in zwei getrennte Bereiche zerfaumlllt die ebenfalls als Phasen bezeichnet werden (zB Olivenoumll und Wasser) Eine dieser Phasen besitzt dann einen hohen Loumlsemittelanteil bei geringer Konzentration von A die andere besteht aus einem hohen Anteil an A mit einem geringen Gehalt an Loumlsemittel Dieser Vorgang der Phasenseparation binaumlrer (aus zwei Komponenten bestehender) Systeme wird durch eine andere Art von Phasendiagramm beschrieben dem so genannten Mischphasendiagramm (Abb 32) Hierbei wird die Tempe-

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ratur dem relativen Anteil einer Komponente gegenuumlbergestellt der Druck wird als konstant angenommen

Abb 32 Allgemeine Darstellung eines Mischphasendiagramms

Grundsaumltzlich gibt die linke Flanke der Phasentrennlinie (links des kritischen Punkts) die Zusammensetzung der bdquoA-armenldquo Phase an waumlhrend die rechte Flanke (rechts des kritischen Punkts) die Zusammensetzung der A-reichen Phase beschreibt Die Mengen der dabei gebildeten Phasen koumlnnen nach dem so genannten Hebelgesetz berechnet werden Demnach gilt zwischen dem Anteil n1 der A-armen Phase 1 dem Anteil n2 der A-reichen Phase 2 und den Laumlngen der Pfeile s1 und s2 in der vorhergehenden Abbildung folgender Zusammenhang

n1 s1 = n2 s2

Fuumlr das gezeigte Beispiel wuumlrde das bedeuten dass der Anteil der Phase 1 etwa doppelt so groszlig waumlre wie der Anteil der Phase 2 In der Naumlhe der beiden Raumlnder des Diagramms also fuumlr xA 0 (sehr wenig A im Loumlsemittel) oder xA 1 (sehr wenig Loumlsemittel in A) liegen in den meisten Faumlllen einphasige homogene Mischungen vor Das besagt dass auch bei niedrigen Temperaturen ein wenig von dem Stoff A im Loumlsemittel bzw ein wenig Loumlsemittel im Stoff A loumlslich ist Der im Diagramm eingezeichnete kritische Punkt bedeutet dass oberhalb der dazugehoumlrigen kritischen Temperatur keine Entmischung mehr erfolgt dh hier sind die beiden Komponenten vollstaumlndig und in jedem Verhaumlltnis miteinander mischbar Neben solchen oberen kritischen Punkten gibt es auch untere kritische Punkte Im zweiten Fall gilt dass die beiden Komponenten unterhalb einer bestimmten Temperatur in jedem Verhaumlltnis miteinander mischbar sind Im Allgemeinen koumlnnen die drei verschiedenen Faumllle auftreten die in Abbildung 33 dargestellt sind

0 Molenbruch xA der Komponente A 1

Tem

pera

tur

obere kritischeTemperatur

Einphasen-gebiet

Zweiphasen-gebiet

Beispiel xA = 04

T1

Zum gezeigten Beispiel

Eine Mischung mit dem Molenbruch xA = 04 wird von T2 nach T1 abgekuumlhltDabei zerfaumlllt die Mischung bei Tklsquo in zwei Phasen derenZusammensetzung bei T1auf der x-Achse an den Punkten 1 und 2 ablesbar ist

T2

Tklsquo

1 2

kritischer Punkt

s1 s2

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0 xA 1

Tem

pera

tur

System mit oberem kritischen Punkt

kritischer Punkt

0 xA 1Te

mpe

ratu

r

System mit unterem kritischen Punkt

kritischer Punkt

0 xA 1

Tem

pera

tur

System mit oberem und unterem

kritischen Punkt

kritischer Punkt

kritische Punkte

Abb 33 Moumlgliche Varianten von kritischen Punkten bei Systemen aus zwei Komponenten

Obere kritische Punkte findet man dann wenn sich die molekulare thermische Bewegung gegen die Tendenz der Molekuumlle sich mit gleichartigen Molekuumllen zusammenzulagern durchsetzt Dieses Phaumlnomen ist sehr verbreitet so dass ein oberer kritischer Punkt bei sehr vielen Mischphasen beobachtet wird Untere kritische Punkte sind sehr viel seltener Sie treten beispielsweise dann auf wenn die beiden Komponenten miteinander bei tiefen Temperaturen einen Komplex bilden der bei houmlheren Temperaturen wieder zerfaumlllt und dann zu einer Phasenseparation fuumlhrt Ein Beispiel dafuumlr ist die Mischung aus Wasser und Triethylamin

Fuumlr Mischphasen aus drei Komponenten so genannte ternaumlre Mischungen sind die bisher gezeigten Darstellungen ungeeignet Hierfuumlr haben sich Dreiecksdiagramme (Gibbssches Phasendreieck) durchgesetzt die das Phasenverhalten unter Variation der Mengenbeitraumlge aller drei Komponenten aufzeigen (Abb 34) Das Diagramm ist so geartet dass die Summe aller drei Mengenanteile xA xB und xC in jedem Fall den Wert 1 ergibt Damit besitzt die Zusammensetzung des ternaumlren Gemisches zwei Freiheitsgrade Jede Linie die durch eine Ecke des Diagramms fuumlhrt verbindet diejenigen Punkte bei denen das Verhaumlltnis zweier Komponenten gleich ist Jede Linie die parallel zu einer der drei Seiten verlaumluft entspricht Gemischen bei denen der relative Anteil einer Komponente gleich bleibt

00 02 04 06 08 10Komponente A

00

02

04

06

08

10

Kom

pone

nte

B

0002

04

06

08

10

Komponente C

C

A

B

00 02 04 06 08 10Komponente A

00

02

04

06

08

10

Kom

pone

nte

B

00

02

04

06

08

10

Komponente C

x1

x2x

Abb 34 Prinzip eines ternaumlren Phasendiagramms nach Gibbs (Dreiecksdiagramm)

In solche ternaumlren Mischphasendiagramme lassen sich nun entsprechend den binaumlren Mischphasendiagrammen die Ein- und Zweiphasengebiete einzeichnen Das Diagramm in

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Abb 34 rechts gilt zB fuumlr eine ternaumlre Mischung aus A B und C bei der die Komponenten A und B sowie B und C jeweils paarweise in jedem Verhaumlltnis miteinander mischbar sind Die Komponenten A und C sollen dagegen nur begrenzt mischbar sein Als Konsequenz daraus ergibt sich ein Dreiecksdiagramm das an der unteren Achse die dem Anteil 0 der Komponente B entspricht ein Zweiphasengebiet aufweist

Die Hilfslinien im Zweiphasengebiet markieren die Zusammensetzung der entstehenden Einzelphasen So wuumlrde beispielsweise eine Mischung deren Zusammensetzung im Diagramm durch den Punkt x markiert ist in die beiden Phasen x1 und x2 zerfallen Die Mengenanteile der beiden Phasen koumlnnten dabei wieder uumlber das Hebelgesetz berechnet werden Um zusaumltzlich den Einfluss der Temperatur wiederzugeben muss eine weitere Koordinate eingefuumlhrt werden Man erhaumllt dabei ein dreidimensionales Dreiecksdiagramm das haumlufig unter Verwendung von Houmlhenlinien nach der Art einer topographischen Landkarte dargestellt wird Jede Houmlhenlinie des Zweiphasengebiets umschreibt dann seine Ausdehnung bei einer gegebenen Temperatur

Fragt man bei einem System mit bestehenden Randbedingungen nach der Zahl der frei variierbaren Zustandsgroumlszligen also nach der Zahl der Freiheitsgrade so haumlngt die Antwort zunaumlchst davon ab in welchem Phasenzustand sich das System befindet So kann man beispielsweise in der Gasphase (bei festgelegter Stoffmenge) Temperatur und Druck frei waumlhlen wodurch dann automatisch das Volumen festgelegt wird Gleiches gilt fuumlr die feste und die fluumlssige Phase Das System hat innerhalb eines Phasenzustands also zwei Freiheits-grade Setzt man allerdings voraus dass sich das System in einem Gleichgewicht zwischen zwei Phasen befindet (zB auf der Verdampfungslinie) so besitzt es nur einen Freiheitsgrad Am Tripelpunkt schlieszliglich bei einem Gleichgewicht zwischen drei Phasen sind keine Freiheitsgrade mehr vorhanden Zwischen der Zahl der Phasen P und der Zahl der Freiheitsgrade F gibt es also folgende einfache Beziehung

F = 3 - P

Beruumlcksichtigt man weiter dass auch mehr als eine Komponente auftreten kann (Zahl der Komponenten C gt 1) so erhoumlht sich die Zahl der Freiheitsgrade um jede zusaumltzliche Komponente deren Konzentration ja frei waumlhlbar ist um den Wert eins Man erhaumllt damit

F = 3 - P + (C - 1) oder F = C - P + 2

Nach dieser allgemeinguumlltigen Formel der so genannten Gibbsrsquoschen Phasenregel laumlsst sich die Zahl der Freiheitsgrade in jedem beliebigen System bestimmen Sie erlaubt insbesondere bei sehr komplizierten Mischungen mit einer unbekannten Anzahl an Phasenzustaumlnden uumlber eine einfache Betrachtung Ruumlckschluumlsse auf deren Phasenverhalten

Page 8: Vorlesung PC I Einführung in die Physikalische Chemierelaxation.chemie.uni-duisburg-essen.de/lehre/Skript_PC_2016_2017.pdf · Schwingungen möglich, deren Geometrie (d.h. die Zahl

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Die Energie ist beim Wasserstoff (im Gegensatz zu allen anderen Elementen) voumlllig unab-haumlngig von den weiteren Quantenzahlen obwohl die Wellenfunktionen sehr unterschiedlich aussehen koumlnnen Man nennt solche Zustaumlnde mit unterschiedlicher Wellenfunktion aber gleicher Energie entartet Ein Beispiel fuumlr entartete Zustaumlnde waumlren also die Wellen-funktionen mit den Quantenzahlsaumltzen (200-12) und (21-1-12) Wie lassen sich die verschiedenen Zustaumlnde nun anschaulich darstellen Am besten gelingt das indem man die Bereiche innerhalb derer die Wellenfunktion einen bestimmten Betrag besitzt raumlumlich abbildet In Abbildung 6 ist dies fuumlr die Wellenfunktionen mit den Quantenzahlen n = 1 bis 7 fuumlr l = 0 bis 2 und fuumlr m = 0 bis 2 zeichnerisch umgesetzt worden

Abb 6 Darstellung der elektronischen Wellenfunktionen des Wasserstoffatoms fuumlr die Quantenzahlen n = 1 bis 7 fuumlr l = 0 bis 2 und fuumlr m = 0 bis 2 Aus Gruumlnden der Vergleichbarkeit sind alle Orbitale in gleicher Groumlszlige dargestellt (ansonsten muumlsste die Groumlszlige mit der Quantenzahl n ansteigen) Der Atomkern befindet sich jeweils im Schwerpunkt jeder Orbitalstruktur Die Farbe Orange bedeutet ein positives die Farbe Blau ein negatives Vorzeichen der Wellenfunktion (aus httpchemlinksbeloiteduStarspagesorbitalshtml)

Die raumlumlichen Strukturen die durch die drei Quantenzahlen n l und m festgelegt werden heiszligen Orbitale Grob zusammenfassend kann man sagen dass im Wasserstoffatom die Hauptquantenzahl n die Groumlszlige die Nebenquantenzahl l die Form und die magnetische Quantenzahl m die Ausrichtung der Orbitale bestimmt Da die Quantenzahl s dann noch jeweils zwei Einstellungen besitzt die im Uumlbrigen keinen Einfluss auf die Gestalt der Orbitale nehmen kann jedes dieser Orbitale zwei moumlgliche elektronische Zustaumlnde enthalten (mit s = +12 und s = -12) Alle in Abbildung 6 dargestellten Strukturen repraumlsentieren damit

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moumlgliche Aufenthaltsbereiche fuumlr je zwei verschiedene Zustaumlnde die das Elektron in Wasserstoff einnehmen kann

Die Orbitale mit der Nebenquantenzahl l = 0 heiszligen s-Orbitale Sie besitzen grundsaumltzlich eine kugelsymmetrische Gestalt eine von n abhaumlngige Groumlszlige und keine Ausrichtung Die Orbitale mit der Nebenquantenzahl l = 1 heiszligen p-Orbitale Sie besitzen grundsaumltzlich die Gestalt einer Hantel und ebenfalls eine von n abhaumlngige Groumlszlige Ihre Ausrichtung folgt der x- der y- und der z-Achse verbunden mit den magnetischen Quantenzahlen m = -1 0 oder +1 Die Orbitale mit der Nebenquantenzahl l = 2 heiszligen d-Orbitale und besitzen abhaumlngig von der magnetischen Quantenzahl m kompliziertere Formen und Richtungen Anschaulich sollte man von der Vorstellung Abstand nehmen das Orbital sei ein Volumen innerhalb dessen das Elektron als Teilchen rotiere Vielmehr sollte man das Orbital als eine Art Schwingungsfigur betrachten aumlhnlich wie das Vibrationsbild einer schwingenden Saite Dann macht auch die Tatsache einen Sinn dass die Wellenfunktion einen positiven und einen negativen Wert besitzen kann dieser deutet dann auf die Richtung einer Auslenkung hin entsprechend einer Gitarrensaite die man ebenfalls in zwei verschiedene Richtungen auslenken koumlnnte Erst das Quadrat der Wellenfunktion macht dann eine Aussage uumlber den moumlglichen Aufenthaltsort des Elektrons als Teilchen Moumlchte man wissen mit welcher Wahrscheinlichkeit das Elektron als Teilchen innerhalb eines bestimmten Teilvolumens auftritt so muss man die Quadrate aller Ψ-Werte innerhalb dieses Teilvolumens aufaddieren (integrieren) Integriert man Ψsup2 uumlber das gesamte Volumen des Atoms (das nebenbei gesagt theoretisch unendlich groszlig ist) so resultiert der Wert eins da das Elektron zwangslaumlufig irgendwo sein muss Diese Voraussetzung stellt die Normierungsbedingung dar die jede der Wellenfunktionen des Wasserstoffatoms erfuumlllen muss Sehr schoumlne raumlumliche Abbildungen zu den Elektronenorbitalen des Wasserstoffs finden sich auf der Homepage des Instituts fuumlr Theoretische Chemie der Universitaumlt Sheffield (httpwintergroupshefacukorbitron )

17 Atome mit mehreren Elektronen

Im Falle von Mehrelektronensystemen wie Helium- Lithium- oder Beryllium- sowie allen weiteren Atomen sind die Verhaumlltnisse ungleich komplizierter Hier muumlssten in der Schroumldin-gergleichung auch die elektrostatischen Wechselwirkungen der Elektronen untereinander be-ruumlcksichtigt werden Da aber der Ort aller Elektronen (anders als der des als ruhend angenom-menen Kerns) nur uumlber Wellenfunktionen beschrieben werden kann wuumlrde die dazugehoumlrige Schroumldingergleichung schon fuumlr ein Zweielektronensystem uumlbermaumlszligig kompliziert Deshalb verwendet man folgende vereinfachende Naumlherung man fasst in Gedanken den Atomkern mit allen uumlbrigen Elektronen (also allen Elektronen bis auf das eine dessen Wellenfunktion man gerade ermitteln moumlchte) zusammen und erhaumllt so ein neues fiktives Teilchen dessen Ladung (bei neutralen Atomen) stets den Wert plus eins besitzt Der Ort dieses fiktiven Teilchens ist aufgrund der Symmetrie der Elektronenverteilung zum Kern stets identisch mit dem Ort des Kerns Damit verwandelt sich jedes Atom bei der Betrachtung eines einzelnen Elektrons in ein fiktives Wasserstoffatom und man kann alle Orbitale des Mehrelektronenatoms auf die Wasserstofforbitale zuruumlckfuumlhren Diese Naumlherungsloumlsung ist sehr praktisch hat allerdings ihre Grenzen So koumlnnen viele Gesetzmaumlszligigkeiten die fuumlr das Wasserstoffatom noch gelten nicht beibehalten werden So haumlngt bei Mehrelektronensystemen beispielsweise die Energie eines Orbitals nicht mehr nur von der Hauptquantenzahl n sondern zumindest auch von der Nebenquantenzahl l ab da hier der Einfluss der uumlbrigen Elektronen des Atoms zum Tragen kommt Mit der oben beschriebe-

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nen Naumlherung ist diese Beobachtung nicht mehr vorhersagbar da die Wechselwirkung zwi-schen den Elektronen ignoriert wird

Bei der Besetzung eines Mehrelektronensystems ist zunaumlchst einmal das Pauli-Prinzip zu beachten Dieses Gesetz wird auch Ausschlussprinzip genannt und bedeutet dass zwei Elek-tronen die sich im gleichen Raum aufhalten niemals Wellenfunktionen mit identischen Quantenzahlen belegen duumlrfen Anders gesagt alle Wellenfunktionen die von den in einem gemeinsamen Volumen (also zB in einem Atom) vorhandenen Elektronen besetzt werden muumlssen sich in wenigstens einer der vier Quantenzahlen unterscheiden In erster Konsequenz bedeutet dies dass Materie nicht von anderer Materie durchdrungen werden kann (sonst wuumlrden sich zum Beispiel notwendigerweise irgendwo zwei Elektronen mit den Quanten-zahlsaumltzen (100-12) im selben Volumen begegnen) Dies hat aber auch zur Folge dass ein Orbital mit den drei Quantenzahlen n l und m nur genau zwei Elektronen (mit s = +12 und -12) beherbergen darf

Wolfgang Pauli Friedrich Hund

Abb 7 Darstellung der Besetzungsreihenfolge bezuumlglich der Haupt- und Nebenquantenzahlen bei Mehrelektro-nensystemen Nacheinander wird dabei den von oben nach unten versetzten Pfeilen in der angegebenen Richtung gefolgt Man erhaumllt somit das Besetzungsschema 1s - 2s - 2p - 3s - 3p - 4s - 3d - 4p - 5s - hellip usw

Die Reihenfolge mit der die Haupt- und Nebenquantenzahlen besetzt werden ist durch die so genannte Aufbauregel festgelegt Diese bestimmt die Belegung der Orbitale so wie sie durch die Folge der untereinander versetzten Pfeile in Abbildung 7 dargestellt ist (s oben)

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Bezuumlglich der uumlbrigen Quantenzahlen m und s gilt es den drei Hundschen Regeln zu folgen (Anmerkung in der Literatur ist auch manchmal von vier Hundschen Regeln die Rede wobei sich dann aber die vierte aus den anderen drei ergibt) Die erste Hundsche Regel nennt man in der angelsaumlchsischen Literatur auch bildhaft die bdquobus-seat-ruleldquo Aumlhnlich wie unabhaumlngige Reisende die Zweierreihen eines Busses zunaumlchst alle jeweils einzeln belegen so versuchen auch die Elektronen zunaumlchst alle Varianten der mag-netischen Quantenzahl m einfach zu besetzen Alle diese ungepaarten Elektronen weisen dann dieselbe Spinquantenzahl (s = 12) auf So werden beispielsweise bei den p-Orbitalen immer erst alle drei Orbitale mit m = 1 0 und -1 (jeweils mit s = 12) einfach besetzt Die zweite Hundsche Regel besagt dass das Orbital mit dem groumlszligten Wert fuumlr m (unter Beachtung der ersten Hundschen Regel) immer zuerst besetzt wird Die einfache Besetzung nach der ersten Hundschen Regel beginnt also stets mit m = l danach folgt m = (l - 1) usw Die weitere Besetzung der Orbitale mit einem jeweils zweiten Elektron mit umgekehrtem Spin (s = -12) findet danach in derselben Reihenfolge statt Die dritte Hundsche Regel beschreibt lediglich das Verhalten eines Mehrelektronensystems im Magnetfeld hat aber auf die Reihenfolge der Besetzung der Orbitale keinen Einfluss und braucht daher an dieser Stelle noch nicht beruumlcksichtigt zu werden Das insgesamt resultierende Besetzungsschema wird in der Chemie haumlufig in der so genannten Kaumlstchenschreibweise dargestellt Fuumlr die Nebenquantenzahlen von 0 bis 2 besitzt es unter Beachtung der Hundschen Regeln die folgende Struktur

Abb 8 Darstellung der Besetzungsreihenfolge bezuumlglich der magnetischen Quantenzahl und der Spinquanten-zahl bei Mehrelektronensystemen Jeder aufwaumlrts gerichtete Pfeil steht fuumlr eine Elektronenfunktion mit s = +12 (paralleler Spin) jeder abwaumlrts gerichtete Pfeil fuumlr eine Elektronenfunktion mit s = -12 (antiparalleler Spin)

Betrachten wir einmal denjenigen Radius eines Atoms der bei der direkten Beruumlhrung zweier Atome relevant wird Zunaumlchst koumlnnte man annehmen dass dieser Atomradius mit steigender Zahl an Elektronen grundsaumltzlich groumlszliger werden sollte Innerhalb einer Periode ist aber uumlberraschenderweise das Gegenteil der Fall wie aus folgenden Werten hervorgeht

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Lithium (3 Elektronen) Atomradius 152 pm Beryllium (4 Elektronen) Atomradius 112 pm Bor (5 Elektronen) Atomradius 88 pm Kohlenstoff (6 Elektronen) Atomradius 77 pm Stickstoff (7 Elektronen) Atomradius 70 pm Sauerstoff (8 Elektronen) Atomradius 66 pm Fluor (9 Elektronen) Atomradius 64 pm

Die Ursache hierfuumlr liegt in der staumlrkeren Ladung des Kerns und dem daraus folgenden steileren Potentialverlauf V(r) Die wachsende Ladung des Kerns komprimiert in zuneh-mendem Maszlige die Groumlszlige des Atoms Ein Fluoratom misst trotz der dreifachen Elektronenzahl weniger als die Haumllfte eines Lithiumatoms Vergleicht man allerdings die Atome von aufeinanderfolgenden Perioden innerhalb einer Gruppe (zB in der Reihe Li ndash Na ndash K ndash hellip) so findet man in den meisten Faumlllen den zu erwartenden Groumlszligenanstieg

18 Chemische Bindungen und Molekuumlle

Mit den Loumlsungen der Schroumldingergleichung des Wasserstoffatoms mit der Einfuumlhrung der Orbitale und mit der Beruumlcksichtigung der Besetzungsregeln haben wir nun ein relativ um-fassendes Bild von den Grundbausteinen der Chemie den Atomen Damit ergibt sich nun die Frage wie zwei oder mehr Atome miteinander wechselwirken koumlnnen Zunaumlchst ist zu klaumlren was eigentlich passiert wenn zwei Atome (Atom a und Atom b) immer naumlher zusammen-ruumlcken Eigentlich sollte man annehmen dass in diesem Fall die abstoszligenden Wechselwirkun-gen dominieren da sich bei dem direkten Kontakt zwischen den Atomen zunaumlchst nur die Elektronenhuumlllen beruumlhren sollte es zu einer starken elektrostatischen Abstoszligung kommen Zunaumlchst scheint die Bildung einer chemischen Bindung physikalisch wenig plausibel Trotz-dem existieren in der Natur drei moumlgliche Loumlsungen des Problems

a) Die Ionenbindung Hierbei geht ein oder mehrere Elektronen vollstaumlndig vom Atom a zum Atom b uumlber Dadurch wird das Atom a zum positiv geladenen Kation das Atom b zum negativ geladenen Anion Die anziehende elektrostatische Kraft bewirkt eine stabile Bindung

b) Die kovalente Bindung Es bilden sich zwischen zwei Atomen a und b gemeinsame Elektronenorbitale auf denen Elektronen sozusagen unter den beiden Bindungs-partnern aufgeteilt werden

c) Die metallische Bindung Es bildet sich ein Kontinuum aus sehr groszligen gemeinsa-men Elektronenorbitalen die sich uumlber ein atomares Gitter erstrecken Eine Vielzahl von Elektronen (das so genannte Elektronengas) wird dabei unter einer Vielzahl von Atomen aufgeteilt

Im Folgenden soll vor allem die Loumlsung b also die kovalente Bindung betrachtet werden da die anderen Bindungsformen (wie spaumlter gezeigt wird) auch als Grenzfaumllle dieser Loumlsung gelten koumlnnen Das bedeutet wir betrachten nun eine Situation bei der gemeinsame Orbitale zwischen (im einfachsten Fall) zwei Atomkernen existieren Um dafuumlr die Schroumldingergleichung zu loumlsen

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ist erneut eine Vereinfachung noumltig die als Born-Oppenheimer-Naumlherung gilt Dabei nimmt man an dass der Ort der beiden Atomkerne festgelegt ist obwohl die dazwischen befind-lichen Elektronen durch Wellenfunktionen beschrieben werden Dadurch erspart man sich die Komplikation eines moumlglicherweise zeitlich variablen Kernabstands Gerechtfertigt wird diese Naumlherung dadurch dass die Atomkerne um ein Vielfaches schwerer sind als die Elektronen ihre Bewegungen daher um ein Vielfaches langsamer Mit dieser Naumlherung fuumlhren wir nun folgendes Gedankenexperiment durch wir betrachten zwei Wasserstoffatome mit unendlichem Abstand zueinander Ihre Elektronen befinden sich beide im energetischen Grundzustand besitzen aber unterschiedlichen Spin so dass ihnen die beiden Quantenzahlsaumltze (100+12) und (100-12) zukommen Damit wird dem Pauli-Prinzip Genuumlge getan so dass die beiden Atome nun zusammengeruumlckt werden duumlrfen Je naumlher die beiden Atome einander kommen umso mehr bdquofuumlhltldquo das Elektron des einen Atoms den Kern des anderen so dass die Wellenfunktionen des ungestoumlrten Wasserstoffatoms nun keine guumlltigen Loumlsungen mehr darstellen Es muumlssen also neue molekulare Wellenfunktionen gefunden werden Diese Molekuumllorbitale bildet man am einfachsten indem man Kombina-tionen aus den zuvor guumlltigen Atomorbitalen bildet Wichtig ist es handelt sich dabei nicht um eine einfache Uumlberlappung zwischen den bestehenden Atomorbitalen sondern um die rechnerische Bildung eines neuen Orbitals Im Fall des Wasserstoffatoms im Grundzustand sind zwei solcher Kombinationen moumlglich Vereinfachend kann man das eine entstehende Molekuumllorbital als normierte additive Kombination aus den beiden einzelnen s-Atomorbitalen betrachten (Abb 9 oben links) Es wird als bindendes σ-Molekuumllorbital bezeichnet besitzt eine niedrigere Energie als das s-Atomorbital und weist zwischen den beiden Atomkernen eine hohe Elektronendichte (ein hohes Ψsup2) auf Sein Gegenstuumlck wird entsprechend aus einer Art normierter subtraktiver Kombination der beiden urspruumlnglichen s-Orbitale gebildet (Abb 9 oben rechts) Es wird als antibindendes σ-Molekuumllorbital bezeichnet besitzt eine houmlhere Energie als das s-Atomorbital und weist zwischen den beiden Atomkernen eine niedrige Elektronendichte (ein kleines Ψsup2) auf An einer Stelle besitzt letztere sogar den Wert Null Die bisher vorhandenen Atomorbitale existieren nun nicht mehr

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Abb 9 Darstellung von bindenden (links oben) und antibindenden Molekuumllorbitalen (rechts oben) im Wasserstoffmolekuumll H2 Das Energiediagramm links unten veranschaulicht die Bildung eines bindenden σ-Molekuumllorbitals im Fall von Wasserstoff H2 Das Diagramm rechts unten verdeutlicht die Situation in einem fiktiven Helium-Molekuumll He2 bei dem neben dem bindenden σ-Molekuumllorbital auch das antibindende σ-Molekuumllorbital besetzt wuumlrde Zweiatomiges Helium ist demzufolge nicht stabil

Die hohe Elektronendichte des bindenden σ-Orbitals im Bereich zwischen den Kernen bewirkt dass sich anziehende elektrostatische Wechselwirkungen Kern-Elektron-Kern aus-bilden koumlnnen es haumllt also das Molekuumll zusammen (deswegen bdquobindendldquo) Da das bindende σ-Orbital die niedrigere Energie besitzt wandern die zwei Elektronen des Wasserstoffmole-kuumlls beide (mit unterschiedlichen Spins) in diese Position Damit verbunden ist ein Energie-gewinn der den gebundenen Zustand beguumlnstigt Zur Trennung des Molekuumlls muss Energie aufgebracht werden Das antibindende σ-Orbital weist am Ort zwischen den Kernen die Elektronendichte Null auf Damit dominiert hier die abstoszligende elektrostatische Wechselwirkung Kern-Kern dazu-hin ist es energetisch unguumlnstiger Bei einem fiktiven Helium-Molekuumll (Abb 9 unten rechts) muss wegen der Zahl von vier Elektronen auch dieses σ-Orbital doppelt besetzt sein Dadurch wird sowohl der Energiegewinn als auch die anziehende Wechselwirkung des bindenden σ-Orbitals kompensiert so dass dieses Molekuumll insgesamt nicht stabil ist Grundsaumltzlich sind alle urspruumlnglichen Atomorbitale nach der Bildung des Molekuumlls ver-schwunden alle insgesamt vorhandenen Elektronen werden auf die neu gebildeten Molekuumll-orbitale verteilt Ist das Niveau der Atomorbitale vor der Bildung eines gemeinsamen Mole-kuumllorbitals sehr unterschiedlich so erhaumllt man eine polare kovalente Bindung bei der der Schwerpunkt der Elektronendichte auf der Seite des urspruumlnglich energieaumlrmeren Orbitals

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liegt Im Grenzfall extremer Polaritaumlt erhaumllt man eine Ionenbindung (s oben) Sind sehr viele gleichartige Orbitale an der Bildung des Molekuumllorbitals beteiligt so koumlnnen sich groszlige Delokalisationsgebiete ausbilden Im Extremfall eines Delokalisationsgebiets das sich uumlber ein ganzes Kristallgitter erstreckt spricht man von einer metallischen Bindung (s oben) Die Molekuumllorbitaltheorie (kurz MO-Theorie) ist also in der Lage saumlmtliche Bindungsarten zu beschreiben Energiediagramme wie in Abb 9 unten werden als MO-Schemata bezeichnet Fuumlr zwei-atomige Molekuumlle moumlgen sie noch recht uumlbersichtlich aussehen bei vielatomigen Molekuumllen sind sie dagegen meistens unuumlberschaubar Mit Hilfe leistungsfaumlhiger Computer lassen sich solche Molekuumllorbitale noch rechnerisch erfassen allerdings steigt der Rechenaufwand (und damit die Rechenzeit und die Kosten) mit steigender Molekuumllgroumlszlige sehr rasch an In diesem Fall kann man auf eine vereinfachende Betrachtung ausweichen die so genannte Valence-Bond-Theorie (VB-Theorie Valenzbindungstheorie) Sie wurde in Konkurrenz zur MO-Theorie entwickelt und beinhaltet eine wesentliche zusaumltzliche Naumlherung Sie ist dadurch deutlich weniger genau allerdings auch wesentlich einfacher anwendbar und in der Praxis die beste Methode um rasch und anschaulich Molekuumllgeometrien und Reaktionsmechanismen erklaumlren zu koumlnnen Im Gegensatz zur MO-Theorie geht man bei der VB-Theorie im Grundsatz davon aus dass auch im Molekuumll noch die urspruumlnglichen Atomorbitale existieren Der VB-Theorie nach entsteht die chemische Bindung dadurch dass zwei halb besetzte Atomorbitale der beiden benachbarten Atome A und B uumlberlappen Das bdquoUumlberlappungsorbitalldquo wird dann in der Regel durch die beiden resultierenden Elektronen (eines von A und eines von B) besetzt wobei das wiederum voraussetzt dass sie einen unterschiedlichen Spin aufweisen Jedes durch solche bdquoUumlberlappungldquo gebildete Orbital entspricht einer Bindung Der Einfachheit halber nimmt man an dass die anderen Atomorbitale nicht an der Bindung teilnehmen und somit unveraumlndert bleiben Aufgrund dieser doch recht groben Naumlherung kommt es bei der VB-Betrachtung von einfa-chen Molekuumllen wie Wasser Methan oder Ammoniak sehr schnell zu Problemen Zunaumlchst einmal sind die erhaltenen Bindungswinkel unrealistisch aufgrund der Tatsache dass in allen genannten Faumlllen p-Orbitale beteiligt sind resultiert aus dem VB-Modell immer wieder ein Bindungswinkel von 90deg wohingegen die tatsaumlchlichen Bindungswinkel deutlich groumlszliger sind (Wasser 1045deg Methan 109deg) Ein noch groumlszligeres Problem stellen zB die Bindungs-verhaumlltnisse des Kohlenstoffs dar eigentlich sollte man nach der VB-Theorie fuumlr eine Ver-bindung zwischen Kohlenstoff und Wasserstoff ein bdquoCH2ldquo mit einem Bindungswinkel von 90deg erwarten wobei die zwei jeweils halbbesetzten p-Orbitale des Kohlenstoffs Bindungs-anzahl und ndashwinkel vorgeben Dieser Mangel der VB-Theorie kann weitgehend repariert werden indem man die Schritte der Promotion und der Hybridisierung einfuumlhrt Beide Vorgaumlnge sind dabei nicht als natuumlrliche Prozesse sonder eher als hypothetische Hilfskonstruktionen zu verstehen die lediglich dazu dienen die Maumlngel der VB-Theorie auszuheilen Letztlich ermoumlglichen sie es mit Hilfe von Linearkombinationen aus Atomorbitalen und deren Uumlberlappungszonen den tatsaumlchlich vor-liegenden Molekuumllorbitalen naumlherzukommen

Der erste dazu notwendige Schritt die Promotion dient dazu die fuumlr die gegebene Zahl an Bindungen notwendige Zahl an ungepaarten Elektronen zu schaffen Dazu werden dann einfach Orbitale houmlherer Energie besetzt Im Fall des vierbindigen Kohlenstoffs bedeutet das beispielsweise dass ein s-Elektron an den bereits halbbesetzten px- und py-Orbitalen vorbei auf das energiereichere pz-Orbital gehoben wird Aus der Elektronenkonfiguration

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wird somit 1s 2s 2p

Dieser hypothetische Vorgang kommt einer gewissen Energieerhoumlhung gleich die allerdings dadurch abgemildert wird dass ein nach der ersten Hundschen Regel (bdquobus seat ruleldquo) guumlnsti-gerer Zustand mit ungepaarten Spins entsteht Die vier nunmehr halbbesetzten Orbitale sind in Abbildung 10 dargestellt

Abb 10 Darstellung der vier an der sp3-Hybridisierung des Kohlenstoffs beteiligten Orbitale 2s 2px 2py und 2pz(Quelle Chemgapedia)

Anschlieszligend erfolgt nun die Hybridisierung eine Art Vermischung (oder mathematisch korrekter die Bildung von Linearkombinationen) des s- mit den drei p-Orbitalen Dadurch entstehen Orbitale in gleicher Anzahl aber mit voumlllig neuer Form Symmetrie und Orien-tierung im Raum

Abb 11 Darstellung der vier aus der sp3-Hybridisierung des Kohlenstoffs resultierenden Hybridorbitale Die Ausrichtung der sp3-Hybridorbitale folgt den vier Raumdiagonalen eines Wuumlrfels oder ndash wenn man nur die groumlszligeren Segmente der Orbitale betrachtet ndash den Ecken eines Tetraeders (Quelle Chemgapedia)

Die vier neuen wiederum jeweils halbbesetzten Orbitale zeigen vom Kern aus zu den Ecken eines Tetraeders Mit ihrer Hilfe laumlsst sich nun zwanglos die Bildung des bekannten Methan-Molekuumlls CH4 erklaumlren jedes einzelne sp3-Hybridorbital uumlberlappt mit jeweils einem s-Orbi-tal eines Wasserstoffatoms wodurch eine tetraedrische Molekuumllgeometrie mit vier voumlllig gleichberechtigten Bindungen entsteht Das Ergebnis kommt den tatsaumlchlich vorhandenen Molekuumllorbitalen die sich gemaumlszlig dem MO-Modell formulieren lassen sehr nahe Festzu-halten ist dabei dass es sich sowohl bei der Promotion als auch bei der Hybridisierung um rein fiktive Prozesse handelt die lediglich postuliert werden um den VB-Ansatz zu bdquorettenldquo Der grundsaumltzliche Mangel der darin besteht dass das VB-Modell uumlberwiegend auf Atom-orbitalen beharrt die eigentlich nicht mehr existieren bleibt bestehen Viele Molekuumllgeome-trien lassen sich in der VB-Theorie nur mit Hilfe einer passenden Hybridisierung erklaumlren Dennoch das VB-Modell ist fuumlr die meisten Anwendungen in der Chemie nach wie vor der am haumlufigsten gewaumlhlte Ansatz er ist einfach intuitiv und vielseitig einsetzbar solange man die richtige Form der Hybridisierung waumlhlt Letzteres geschieht auf der Grundlage einer bekannten Molekuumllgeometrie oder unter Beruumlcksichtigung von vorhandenen Mehrfachbindun-gen Im Idealfall aumlhneln die gebildeten Hybridorbitale dann den wirklichen Molekuumllorbitalen

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In der folgenden Tabelle sind die haumlufigsten Hybridisierungsvarianten zusammengefasst und verschiedenen Molekuumllgeometrien zugeordnet Bei gegebener Geometrie des Molekuumlls (z B die trigonal-planare Anordnung um jedes Kohlenstoffatom im Ethylen) kann man so auf die passende Hybridisierung schlieszligen (im gegebenen Fall das sp2-Hybrid)

Tabelle 1 Wichtige Hybridisierungszustaumlnde nach dem VB-Modell

Hybridisierung Promotion Koordinationszahl Geometrie Beispiele

sp uarruarr suarr puarr 2 linear Acetylen Propadien

sp2 uarruarruarr suarr puarruarr 3 trigonal-planar Ethylen Benzol

sp3 uarruarruarruarr suarr puarruarruarr 4 tetraedrisch Methan Ammoniak

sp3d uarruarruarruarruarr suarr puarruarruarr duarr 5 trigonal-bipyramidal

Phosphor-pentachlorid

sp3d2 uarruarruarruarruarruarr suarr puarruarruarr duarruarr 6 oktaedrisch Schwefel-hexafluorid

Die so entstehenden Hybridorbitale kommen in ihrer raumlumlichen Darstellung den tatsaumlchli-chen Molekuumllorbitalen teilweise recht nahe sie korrigieren somit die VB-Theorie in gewissem Sinne in Richtung der MO-Theorie Allerdings bleibt festzuhalten dass die VB-Theorie keine antibindenden Orbitale kennt diese bleiben einfach unberuumlcksichtigt Dies ist eine gravie-rende Schwaumlche der VB-Theorie die sich an vielen Stellen bemerkbar macht (zB bei der Erklaumlrung des Sauerstoff-Biradikals in der Spektroskopie und bei bestimmten Reaktions-typen)

19 Elektronegativitaumlt und Polaritaumlt

In einer chemischen Bindung zwischen verschiedenen Elementen besitzen die beteiligten Atome fuumlr gewoumlhnlich unterschiedliche Tendenzen die Bindungselektronen an sich zu ziehen Bei der Betrachtung der Energieschemata im MO-Modell aumluszligert sich dies darin dass ein bindendes Molekuumllorbital aus einer Linearkombination zweier Atomorbitale mit sehr unterschiedlicher Energie hervorgeht In diesem Fall besitzt das bindende Molekuumllorbital die Tendenz hohe Elektronendichten in der Naumlhe des Elements aufzuweisen dessen Atomorbital energetisch guumlnstiger liegt Man spricht dann von einer hohen Elektronegativitaumlt dieses Elements da es in dem gebundenen Zustand durch die erhoumlhte Elektronendichte eine partiell negative Ladung aufweist Ein klassisches Beispiel ist die Verbindung Fluorwasserstoff (HF) Hier wird ein bindendes Molekuumllorbital aus der Linearkombination zwischen dem 1s-Orbital des Wasserstoffs mit einem 2p-Orbital des Fluors gebildet Letzteres liegt aufgrund der relativ hohen Kernladung und des geringen Atomradius des Fluors energetisch wesentlich tiefer wodurch sich eine stark asymmetrische Elektronenverteilung ergibt Die Elektronegativitaumlt wird in erster Linie durch die Kernladung vor allem aber auch durch den Abstand zwischen den Valenzelektronen und dem Atomkern bestimmt Daher sind auch kleine Atome wie zum Beispiel der Stickstoff der Sauerstoff oder das Fluor auch besonders elektronegativ (s Tabelle Seite 12) Im Periodensystem der Elemente nimmt die Elektro-negativitaumlt tendenziell nach oben und nach rechts zu (Edelgase ausgenommen) Linus Pauling

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schlug vor die Elektronegativitaumlt ausgehend von der VB-Theorie als dimensionslose Kenn-groumlszlige fuumlr jedes einzelne Element einzufuumlhren Sie errechnet sich aus einem Vergleich der Dissoziationsenergien der beteiligten Elemente Demnach besitzt Francium als das am wenigsten elektronegative Element den Wert 070 und Fluor als das am staumlrksten elektro-negative Element den Wert 398 Eine Zwischenstellung nimmt zB Wasserstoff mit 220 ein Bei Bindungen zwischen Elementen mit unterschiedlicher Elektronegativitaumlt spricht man von polaren Bindungen Entlang einer polaren Bindung baut sich durch die ungleiche Elektronen-verteilung ein entsprechendes Dipolmoment auf das haumlufig Anlass fuumlr starke zwischen-molekulare Kraumlfte liefert (s Kapitel 3) Im Extremfall einer sehr polaren kovalenten Bindung kann das Bindungselektron (bzw die Bindungselektronen) praktisch allein dem elektronega-tiveren Element zugesprochen werden Das entsprechende Bindungsorbital besteht dann als Linearkombination von Atomorbitalen fast ausschlieszliglich aus einem Atomorbital welches das elektronegativere Element beisteuert In diesem Fall spricht man nach klassischer Definition von einer Ionenbindung

2 Die Elektronenspektroskopie an Atomen und Molekuumllen 21 Grundlagen der Spektroskopie

Elektronen in Atomen und Molekuumllen koumlnnen ndash soweit die Erkenntnis aus Kapitel 1 ndash durch Wellenfunktionen beschrieben werden Aus diesen kann man nicht nur die Aufenthaltswahr-scheinlichkeit an verschiedenen Positionen im Raum sondern auch die Energie des Elektrons ableiten Eine Folge der Beschraumlnkung der Elektronen auf bestimmte Wellenfunktionen mit jeweils bestimmter Energie ist dass sie auch nur in bestimmten Schritten Energie aufnehmen und abgeben koumlnnen Jede Aufnahme bzw Abgabe von Energie entlang dieses Schrittes ist generell mit der Aufnahme bzw Abgabe von elektromagnetischer Strahlung verbunden Diese Tatsache bildet die Grundlage der Spektroskopie im gegebenen Fall der Elektronenspektros-kopie

Allgemein gesprochen befasst sich die Spektroskopie mit der Wechselwirkung zwischen Strahlung und Materie Etwas genauer laumlsst sich aussagen dass die Spektroskopie unter-sucht mit welcher elektromagnetischen Strahlung sich welcher energetische Uumlbergang anre-gen laumlsst Zwischen der elektromagnetischen Strahlung und dem dabei bewirkten energeti-schen Uumlbergang gilt dann grundsaumltzlich folgende Beziehung Δ E = h ∙ ν mit ΔE als der Energiedifferenz zwischen den beiden Zustaumlnden (in Joule) ν (gesprochen bdquonuumlldquo) als Frequenz der verwendeten elektromagnetischen Strahlung (in 1s oder Hertz Hz) und h als dem so genannten Planckschen Wirkungsquantum (mit h = 6626∙10-34 Js) Somit ist jeder Frequenz ν im elektromagnetischen Spektrum (Abb 12) genau ein Energiewert Δ E zugeordnet Die dazugehoumlrige Wellenlaumlnge im Vakuum (in m) errechnet sich nach λ = c ν mit c als Lichtgeschwindigkeit (im Vakuum c = 299 792 458 ms)

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Abb 12 Elektromagnetisches Spektrum (Quelle Chemgapedia)

Fuumlr die genaue Messung welche Frequenz der elektromagnetischen Strahlung einem gegebe-nen Uumlbergang anzuregen vermag gibt es experimentell zwei verschiedene Ansaumltze Entweder man strahlt Energie auf das System ein und beobachtet den Verlust an Strahlungsintensitaumlt der dann beobachtet wird wenn die Strahlung einen Uumlbergang zu einem houmlheren Energieni-veau bewirkt (Absorption) oder man fuumlhrt dem System Energie zu (zum Beispiel thermisch) und beobachtet dann die Freisetzung von Energie als Strahlung (Emission) Im einen Fall erfuumlllt die Frequenz der absorbierten Strahlung im anderen Fall die der emittierten Strahlung die Frequenzbedingung ΔE = h ∙ ν Mit beiden Methoden kann man so exakt den Energie-unterschied zwischen zwei Energieniveaus ausmessen Die Bestimmung der Werte fuumlr die charakteristischen Energieschritte ΔE eines Systems ist die Hauptaufgabe der Spektroskopie Sie eignet sich insbesondere um elektronische Wellenfunktionen eines Systems zu erkunden

22 Elektronenspektroskopie am eindimensionalen Potentialtopf

Das denkbar einfachste elektronische System ist der eindimensionale Potentialtopf Dennoch kann auch dieses Modell schon in grober Naumlherung auf Molekuumlle angewandt werden speziell auf solche mit annaumlhernd linearen Delokalisationssystemen (s Kapitel 14) Ein Beispiel ist die Reihe Butadien Hexatrien Oktatetraen usw Bildet man mit Hilfe der Loumlsungen der Schroumldingergleichung fuumlr das eindimensionale Potentialtopfmodell einen Ausdruck fuumlr den elektronischen Uumlbergang zwischen dem houmlchsten besetzten Orbital (HOO) und dem niedrig-sten unbesetzten Orbital (LUO) so erhaumllt man fuumlr die damit verbundene Energiedifferenz gemaumlszlig der in Abbildung 5 gezeigten Formel

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ΔE = h ∙ ν = (nsup2LUO-nsup2HOO) ∙ hsup2 (8 me asup2)

Mit wachsender Laumlnge a und wachsender Elektronenzahl (jedes Kohlenstoffatom im Delokali-sationsgebiet traumlgt ein Elektron bei) steigen einerseits die Werte der Quantenzahlen n fuumlr das houmlchste besetzte Orbital (HOO) und das niedrigste unbesetzte Orbital (LUO) an andererseits steigt aber auch die Laumlnge L die quadratisch im Nenner der Gleichung steht Da letzteres insgesamt uumlberwiegt sinkt der Wert fuumlr ΔE und damit fuumlr die Frequenz ν schrittweise mit Anstieg der Kettenlaumlnge Liegt die absorbierte Lichtfrequenz anfaumlnglich im UV-Bereich so verschiebt sie sich beispielsweise fuumlr das Carotin mit 11 Doppelbindungen schon in den sichtbaren blauen Bereich Weil daher Carotin blaues Licht absorbiert erscheint es im Durchlicht betrachtet in der Komplementaumlrfarbe orange-gelb Nach diesem Prinzip lassen sich viele organische Farbstoffe interpretieren Aumlndert sich die Laumlnge bzw die Elektronenzahl (und damit nsup2LUO und nsup2HOO) durch die Protonierung des Molekuumlls so hat man es mit einem Farbstoff zu tun der mit dem pH-Wert seine Farbe aumlndert ndash dies ist die Grundlage vieler pH-Indikatoren

23 Elektronenspektroskopie am Wasserstoffatom

Die wissenschaftliche Spektralanalyse wurde in der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts gemeinsam durch GR Kirchhoff und RW Bunsen entwickelt Sie entdeckten dass alle Elemente beim Erhitzen Licht aussenden Nach Zerlegung des Lichts mit einem Glasprisma erhaumllt man ein fuumlr jedes Element charakteristisches Linienmuster das so genannte Spektrum (s auch UTube-Video bdquospectral lines demoldquo httpwwwyoutubecomwatchv=2ZlhRChr_Bw) Dieses Spektrum reflektiert die Gesamtheit der dem gegebenen Element eigenen elektronischen Uumlbergaumlnge und ist damit ein unverwechselbarer Fingerabdruck Elemente koumlnnen damit sowohl in der Emissionsspektroskopie als auch in der Absorptionsspektroskopie eindeutig und mit hoher Empfindlichkeit identifiziert werden

Die Elektronenspektroskopie kann jedoch noch deutlich mehr sie erlaubt die exakte Uumlber-pruumlfung der durch die Loumlsung der Schroumldingergleichung gefundenen elektronischen Wellen-funktionen Dies wurde zunaumlchst am Wasserstoffatom mit hoher Praumlzision betrieben Histo-risch gesehen ist die erste wichtige Lichtquelle fuumlr spektroskopische Analysen unsere Sonne Dies gilt insbesondere fuumlr das Spektrum des Wasserstoffs Da die Energie der elektronischen Zustaumlnde dort einzig und allein von der Hauptquantenzahl n abhaumlngt (s Kapitel 15) werden lediglich solche Spektrallinien beobachtet die sich genau einem gegebenen ΔE = E(n) - E(nlsquo) zuordnen lassen Zuerst wurde mit der Balmer-Serie der sichtbare Anteil des Spektrums ent-deckt der mit allen Uumlbergaumlngen von oder zu dem Niveau n = 2 verbunden ist (Abb 13) Es folgten spaumlter im UV-Bereich die Lyman-Serie mit n = 1 und im IR-Bereich die Paschen-Serie mit n = 3 die Brackett-Serie mit n = 4 sowie die Pfundt- und die Humphreys-Serie mit n = 5 und n = 6 (letztere sind in Abb 13 nicht mehr eingezeichnet) Weitere Serien mit houmlheren Quantenzahlen existieren tragen aber keine eigenen Namen mehr

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Wel

lenz

ahl

[100

0 cm

-1]

0

10

20

30

40

50

60

70

80

90

100

110Grundzustand

Lyman-serie

Balmer-serie

Paschen-serie

Brackett-serie

n = 5n = 4

n = 3

n = 2

n = 1

Gustav Robert Kirchhoff

Robert Wilhelm Bunsen

Abb 13 Wichtige elektronische Uumlbergaumlnge im Wasserstoffatom

Abbildung 14 zeigt das gesamte Wasserstoffspektrum die Kuumlrzel benennen die entsprechen-den Serien (Ly = Lyman Ba = Balmer etc)

Abb 14 Spektrum des Wasserstoffatoms Die Achse fuumlr die Wellenlaumlnge ist logarithmisch aufgetragen

Eine genaue Analyse ergibt dass sich das Schema der Energiedifferenzen nach Abb 13 fast genau mit den in Kapitel 15 besprochenen Loumlsungen der Schroumldingergleichung deckt Die aumluszligerst kleinen Abweichungen die man dennoch detektieren konnte lieszligen sich auf den Bei-trag des Kerns (trotz seiner hohen Masse kann er sich minimal mit dem Elektron mitbewegen) und des Isotopeneffekts zuruumlckfuumlhren der schwerere Deuteriumkern der aus einem Proton und einem Neutron besteht bewegt sich weniger leicht mit dem Elektron mit als das einsame Proton des bdquonormalenldquo Wasserstoffs Daneben zeigen sich bei sehr hoher Aufloumlsung des Spektrums auch relativistische Effekte die zu weiteren Aufspaltungen fuumlhren

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24 Elektronenspektroskopie an Atomen mit mehreren Elektronen

Aufgrund der Wechselwirkungen zwischen den Elektronen ist bei schwereren Elementen die beim Wasserstoff gegebene Entartung bezuumlglich der Quantenzahlen l und m aufgehoben Damit wird das Energiediagramm bereits fuumlr ein einfaches houmlheres Atom wie zum Beispiel Lithium schon deutlich komplizierter (Abb 15) Neben den Uumlbergaumlngen zwischen verschiede-nen Werten fuumlr n treten nun auch Uumlbergaumlnge zwischen s und p p und d d und f auf Manche Uumlbergaumlnge (zum Beispiel solche zwischen s- und d-Niveaus) werden allerdings gewoumlhnlich nicht beobachtet man nennt sie bdquoverbotenldquo bdquoErlaubtldquo sind nur solche Uumlbergaumlnge bei denen die Nebenquantenzahl sich um den Wert plusmn1 aumlndert (also eben von s nach p von p nach d usw) Die so genannte Auswahlregel welche die erlaubten Uumlbergaumlnge festlegt heiszligt folglich Δl = plusmn1

Als weitere Folge der Wechselwirkungen zwischen den Elektronen besitzt jedes houmlhere Atom ein eigenes und von Wasserstoff verschiedenes Energiediagramm Damit besitzt aber auch jedes Atom ein unverwechselbares Muster von Energieuumlbergaumlngen die es eindeutig kenn-zeichnet Dies laumlsst sich bereits in einfachen Versuchen anhand von Flammenfaumlrbungen zeigen Diejenigen Uumlbergaumlnge deren ΔE den Wellenlaumlngen im sichtbaren Spektrum entspricht (in Abb 15 sind dies die kuumlrzeren unter den eingezeichneten blauen Pfeilen) sorgen bei vielen Elementen fuumlr ein charakteristisches farbiges Leuchten (Abb 15 rechts)

Ener

gie

Wasserstoff Lithium

n = 1

2

3

45

1s

2s

2p

3s

4s

5s

3p

4p5p

3d

4d5d

Abb 15 Termschema von Lithium mit wichtigen elektronischen Uumlbergaumlngen (links) Durch Lithium verursachte Flammenfaumlrbung (rechts Quelle httpwwwitpuni-hannoverde~zawischaITPatomshtml)

Letztlich ist auch bei allen houmlheren Atomen die Elektronenspektroskopie eine ideale Methode um das Energieniveauschema experimentell zugaumlnglich zu machen Sie eignet sich daruumlber hinaus perfekt zur schnellen und empfindlichen Identifikation von Elementen Diese Tatsache

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macht man sich sowohl in der Atomabsorptionsspektroskopie (AAS) als auch in der Atom-emissionsspektroskopie (AES) zunutze Elektronenspektren sind unverwechselbare Finger-abdruumlcke mit denen alle Elemente in hoher Empfindlichkeit und selbst uumlber groszlige Distanzen hinweg sicher identifiziert werden koumlnnen

25 Elektronenspektroskopie an Molekuumllen

Genau wie die Atomorbitale sind auch Molekuumllorbitale der Elektronenspektroskopie zugaumlng-lich Durch die systematische Analyse aller elektronischen Uumlbergaumlnge lassen sich die Energie-niveaus in einem MO-Schema schrittweise ausmessen Besonders interessant wird dieser Ansatz bei der Untersuchung der Bindungsverhaumlltnisse Im Allgemeinen beobachtet man Uumlbergaumlnge zwischen bindenden und nicht bindenden Orbitalen einerseits und den uumlblicherweise unbesetzten antibindenden Orbitalen andererseits In Abb 16 ist dies am Beispiel einer C-O-Bindung in Formaldehyd gezeigt Im Mittelpunkt stehen dabei das binden-de und das antibindende σ-Orbital C-O das bindende und das antibindende π-Orbital C-O sowie das nicht bindende freie Elektronenpaar des Sauerstoffs (ein weiteres freies Elektronen-paar bleibt unbeteiligt)

Ener

gie

σ CO

σ CO

π CO

π CO

n O

C

H

H

O

σ-σ

Uumlbe

rgan

g

π-π

Uumlbe

rgan

gn-π Uumlber-gang

σ

Abb 16 Termschema der CO-Gruppe in Formaldehyd (links) Die beteiligten Bindungen und das im betrachteten Energiefenster liegende freie Elektronenpaar des Sauerstoffs sind rechts skizziert

Die drei wichtigsten Uumlbergaumlnge die an der C-O-Gruppe detektiert werden sind der σ-σ-Uumlbergang der π-π-Uumlbergang und der n-π-Uumlbergang Letzterer ist in einer C-O-Gruppe stets am energieaumlrmsten und kann bereits mit UV-Licht einer Wellenlaumlnge um 280 nm angeregt werden (schwarzer Pfeil in Abb 16) Energiereicher und intensiver ist bei der CO-Gruppe der π-π-Uumlbergang der bei Wellenlaumlngen um 170 nm angeregt wird (roter Pfeil in Abb 16) Daruumlber hinaus zeigt das Spektrum dass die beiden freien Elektronenpaare des Sauerstoffs stark unterschiedlichen Charakter besitzen (nur eines ist an dem n-π-Uumlbergang beteiligt das andere tritt im gegebenen Spektralbereich nicht in Erscheinung)

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Auf aumlhnliche Weise lassen sich alle MO-Schemata komplizierter Molekuumlle analysieren Lie-gen die Anregungsfrequenzen der Uumlbergaumlnge im sichtbaren Bereich so haben die Molekuumlle die Funktion von Farbstoffen Haumlufig besitzen sie dann laumlngere lineare Delokalisationsgebiete deren Elektronenspektren man dann auch in grober Naumlherung mit dem eindimensionalen Potentialtopfmodell beschreiben kann (s Kapitel 22) Werden Bindungselektronen angeregt und aumlndern sich im Verlauf der elektronischen Anre-gung die Bindungsverhaumlltnisse (beispielsweise bei Besetzung eines antibindenden Zustands) so ist mit der elektronischen Anregung zwangslaumlufig auch eine Aumlnderung des energetisch guumlnstigsten Bindungsabstands verbunden Damit einhergehend werden mechanische Schwin-gungen des Molekuumlls angeregt Mit den Molekuumllschwingungen verhaumllt es sich analog zu den elektronischen Zustaumlnden auch Molekuumllschwingungen existieren nur in bestimmten definierten Zustaumlnden die sich dann den elektronischen Zustaumlnden uumlberlagern (Abb 17) Die Folge davon ist dass die Elektronenspektren von Molekuumllen haumlufig keine scharfen Linien sondern breite Absorptionsbereiche (bdquoBandenldquo) aufweisen Alle Linien fuumlr die elektronischen Uumlbergaumlnge zerlegen sich demnach in eine Vielzahl von Einzellinien die verschiedene Schwingungszustaumlnde der benachbarten elektronischen Zustaumlnde miteinander verbinden (in Abb 17 sind exemplarisch neun verschiedene moumlgliche Uumlbergaumlnge eingezeichnet) Normaler-weise liegen alle diese Linien dicht beieinander so dass insgesamt eine verbreiterte Absorp-tionsbande entsteht

Ener

gie

elektronische Niveaus

Schwingungsniveaus

Abb 17 Zum Zustandekommen von breiten Absorptionsbanden in Elektronen-Schwingungsspektren Uumlberlagerung von elektronischen Uumlbergaumlngen mit Schwingungsuumlbergaumlngen Exemplarisch sind jeweils drei Schwingungsniveaus eingezeichnet

Das Elektronenspektrum eines Molekuumlls wird wegen der dazu verwendeten Frequenzbereiche im UV- und im sichtbaren (bdquovisibleldquo) Spektrum auch UV-vis-Spektroskopie genannt Die UV-vis-Spektroskopie dient neben der Aufklaumlrung der MO-Struktur auch der schnellen und bequemen Identifikation von chemischen Verbindungen Aufgrund ihrer im Absorptionsver-fahren sehr einfachen und preisguumlnstigen Messtechnik wird sie auch haumlufig in Kombination mit anderen analytischen Verfahren (zB der Chromatographie) verwendet Uumlber eine Bestim-mung der Intensitaumlt der Anregung kann auch eine quantitative Analyse einzelner Verbindun-gen erfolgen

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3 Das Zusammenwirken von Atomen und Molekuumllen 31 Der makroskopische Zustand von Materie Bisher sind nur einzelne Bausteine der Materie also Atome und Molekuumlle betrachtet worden Nun soll das makroskopische Erscheinungsbild von Materie ins Auge gefasst werden die aus einer Vielzahl von Atomen oder Molekuumllen besteht Um den Zustand dieser aus vielen Teilchen zusammengesetzten Materie uumlberhaupt als Gesamtheit zu beschreiben benoumltigt man zunaumlchst so genannte Zustandsparameter oder Zustandsgroumlszligen Die wichtigsten Vertreter dieser Kenngroumlszligen fuumlr makroskopische Materie sind die Stoffmenge n das Volumen V der Druck P und die Temperatur T

n Stoffmenge Die Stoffmenge wird uumlber die Teilchenzahl definiert

Einheit der Teilchenzahl 1 Mol

Definition Ein Mol eines Stoffes enthaumllt dieselbe Anzahl an Teilchen wie 0012 kg reiner Kohlenstoff des Isotops 12C (1 Mol 60221023

Teilchen) Dabei muss eindeutig festgelegt sein was unter einem Teilchen des Stoffes jeweils zu verstehen ist Ist die Stoffmenge konstant so spricht man von einem geschlossenen System

V Volumen Die Definition des Volumens erfolgt uumlber die festgelegte Laumlngeneinheit und den geometrischen Volumenbegriff

Einheit des Volumens 1 msup3

Definition Ein msup3 ist das Volumen eines wuumlrfelfoumlrmigen Raums mit einer Kantenlaumlnge von einem Meter Ist das Volumen konstant so spricht man von einem isochoren Vorgang

P Druck Die Definition erfolgt uumlber die Kraft die ein Stoff auf jede Flaumlcheneinheit eines ihn einschlieszligenden Behaumllters ausuumlbt

Einheit des Drucks 1 Pascal = 1 Pa = 1 Nmsup2 = 10-5 bar

Definition Ein Pascal ist der Druck bei dem auf jeden Quadratmeter der Behaumllterwaumlnde eine Kraft von 1 Newton ausgeuumlbt wird Ist der Druck konstant so spricht man von einem isobaren Vorgang

T Temperatur

Der sicherlich am schwierigsten fassbare Zustandsparameter makroskopischer Materie ist die Temperatur Zwar ist sie direkt mit der menschlichen Wahrnehmung verknuumlpft (kalt warm heiszlighellip) physikalisch jedoch zunaumlchst sehr undefiniert da sie nicht ohne weiteres auf andere physikalische Groumlszligen zuruumlckfuumlhrbar ist Am ehesten laumlsst sie sich im ersten Ansatz als diejenige Eigenschaft von Materie beschreiben die von einem Thermometer gemessen wird

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Zur Verwendung als Thermometer eignet sich prinzipiell jeder physikalische oder chemische Vorgang der reproduzierbar mit einer Temperaturaumlnderung verknuumlpft ist Klassisch sind dies insbesondere die Ausdehnungsvorgaumlnge von Gasen Fluumlssigkeiten und Festkoumlrpern (Abb 18)

Hg

Festkoumlrperthermometer werden gewoumlhnlich nach demPrinzip des Bimetall-Thermometers ausgelegt (ganzlinks) Dabei werden zwei verschiedene Festkoumlrper(zB zwei Bleche aus verschiedenen Metallen) flaumlchigmiteinander in Kontakt gebracht Bedingt durch dieunterschiedliche thermische Ausdehnung derMaterialien kruumlmmt sich das Bimetall-Blech abhaumlngigvon der Temperatur mehr oder weniger stark zu einerSpirale

Fluumlssigkeitsthermometer (Mitte) und Gasthermometer(rechts) nutzen die Volumenaumlnderung eines fluidenMediums mit der Temperatur Die Genauigkeit kannerhoumlht werden indem einem groszligvolumigen Vorrats-behaumllter ein relativ kleinvolumiger Ausdehnungs- undAblesebereich gegenuumlbergestellt wird

Abb 18 Thermometer die auf der Grundlage der temperaturbedingten Ausdehnung von Materie beruhen

In der Praxis kommen mehr und mehr die elektronischen Varianten der Temperaturmessung zum Zug die zumeist auf der Messung der Thermospannung basieren Neben der Messmetho-de ist die Festlegung einer Temperaturskala wichtig Dazu dienten zunaumlchst einige Fixpunkte die heute teilweise noch historische Bedeutung haben

1) Die tiefste Temperatur des Winters 17081709 in Danzig - 178 degC

2) Die Temperatur von schmelzendem Eis bei 760 Torr (760 Torr = 1 atm = 101 325 Pa) 0 degC

3) Koexistenztemperatur von Eis Wasser und Wasserdampf 001 degC (exakt)

4) Die durchschnittliche Koumlrpertemperatur eines gesunden Menschen 378 degC

5) Die Siedetemperatur des Wassers bei 760 Torr (1 atm = 101 325 Pa) 100 degC

Die Punkte 1 und 4 bildeten die Grundlage des Fahrenheit-Systems die Punkte 2 und 5 die der Celsius-Skala Bei beiden Systemen wurde der definierte Bereich zunaumlchst in 100 gleiche Teile (Grade) aufgeteilt dann extrapoliert Beide Definitionen wurden spaumlter verfeinert (Celsius 9999 Grade C zwischen den Fixpunkten 3 und 5 Fahrenheit 180 Grade F zwischen den Fixpunkten 1 und 5) Trotzdem mangelt es auszliger Punkt 3 allen genannten Fixpunkten an Genauigkeit und Reproduzierbarkeit

Das zweite Problem nach der Unvollkommenheit der Fixpunkte besteht in der Festlegung einer systemunabhaumlngigen linearen Teilung Gewoumlhnlich ist der Verlauf der Skala vom gewaumlhlten Medium abhaumlngig Eine lineare Teilung auf der Skala eines Quecksilber-thermometers entspricht daher nicht einer linearen Teilung auf der Skala eines Alkoholthermometers da die Ausdehnung bei jedem Medium in unterschiedlicher Weise von der Temperatur abhaumlngt

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Beide Probleme sowohl die Wahl der passenden Fixpunkte als auch die Definition einer sinnvollen linearen Teilung werden heute durch die Festlegung der so genannten absoluten Temperaturskala geloumlst Grundlage hierfuumlr sind uumlbereinstimmende Beobachtungen an Gasthermometern

-300 -200 -100 0 100 200

V

T

-27315degCBei wiederholten Messungen mit verschiedenenGasthermometern verschiedenen Gasen undGasvolumina und bei verschiedenen Drucken stelltman fest dass sich die Verlaumlngerungen aller in denjeweiligen Diagrammen erhaltenen Linien in einemPunkt schneiden Dieser Punkt entspricht auf derVolumenachse dem Wert V = 0 und auf derTemperaturachse dem Wert T = -27315 degC

Abb 19 Ausdehnungskurven verschiedener Gase Die Temperaturskala ist zunaumlchst noch in Celsius aufgetragen

Aus dieser Beobachtung wurde geschlossen dass der Temperatur am gemeinsamen Schnitt-punkt aller Ausdehnungskurven eine besondere physikalische Bedeutung zukommt und sie sich daher als Fixpunkt einer neuen Temperaturskala eignet Weiterhin wurde festgestellt dass zwar alle Gase in ihrem Ausdehnungsverhalten von dem linearen Verlauf abweichen dass aber unter bestimmten Umstaumlnden (zB niedriger Druck) ein gemeinsamer Verlauf angestrebt wird den man auch als idealen Verlauf bezeichnen koumlnnte Am besten funktioniert das bei Helium unter schrittweise absinkenden Drucken dessen Verhalten sich fuumlr P rarr 0 zum idealen Verhalten extrapolieren laumlsst Diese Erkenntnis diente zur Definition einer absoluten Temperaturskala in Kelvin

1) Unterer Fixpunkt Schnittpunkt der Volumenexpansionskurven bdquoidealerldquo Gase (zB Helium fuumlr den Grenzfall Prarr0) 0 Kelvin

2) Oberer Fixpunkt Koexistenztemperatur von Eis Wasser und Wasserdampf 27316 Kelvin

3) Das Volumen eines bdquoidealenldquo Gases (zB Helium fuumlr den Grenzfall Prarr0) ist bei konstantem Druck proportional zur Temperatur und definiert die lineare Teilung der Temperaturskala

Gemaumlszlig dieser Definition ist jede beliebige Temperatur unter Nutzung eines bdquoidealenldquo Gasther-mometers auf der absoluten Kelvin-Skala eindeutig festgelegt Die Verwendung der Kelvin-Skala ist gegenuumlber der Nutzung klassischer Temperatursysteme bei der Beschreibung physi-kalischer Vorgaumlnge eindeutig von Vorteil Vorgaumlnge bei denen die Temperatur konstant ist nennt man isotherm Mit der Definition der wichtigsten Zustandsparameter Teilchenzahl n Volumen V Druck P und Temperatur T besteht nun die Moumlglichkeit das Verhalten makroskopischer Materie zu beschreiben Am einfachsten gelingt das im Fall von Gasen

32 Zustandsgleichung fuumlr Gase die ideale Gasgleichung

Gleichungen welche die Zustandsparameter wie n V T und P miteinander verknuumlpfen nennt man Zustandsgleichungen Sie beschreiben das Verhalten einer aus vielen einzelnen Teilchen bestehenden Materie hinsichtlich ihrer makroskopisch messbaren Groumlszligen Am

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einfachsten sind solche Zustandsgleichungen fuumlr Gase aufzustellen Untersucht man bei Gasen systematisch den Zusammenhang zwischen n V P und T so stellt man fest dass fuumlr alle Gase in mehr oder weniger guter Naumlherung folgende einfache Gleichung erfuumlllt isthellip

P ∙ V = n ∙ R ∙ T

hellipwobei R fuumlr die so genannte ideale Gaskonstante steht (R asymp 8314 J K-1 Mol-1) Diese Glei-chung auch bdquoideale Gasgleichungldquo genannt ist ein so genanntes Grenzgesetz kein real exis-tierendes Gas erfuumlllt es genau aber alle Gase kommen ihm recht nahe insbesondere bei hohen Temperaturen und niedrigen Druumlcken Eine Gleichung dieser Form nennt man auch Zustands-gleichung da sie Zustandsparameter miteinander verbindet Grafisch laumlsst sich diese Verknuumlp-fung in einem einfachen Diagramm darstellen bei dem jede Kombination von T und V genau einem Wert fuumlr P zugeordnet ist (Abb 20)

P

V

T

Abb 20 Auftragung von P gegen T und V nach der idealen Gasgleichung

Wir wissen nun dass die Gase aus einer Vielzahl von Teilchen (Atomen oder Molekuumllen) bestehen Wie laumlsst sich das durch die ideale Gasgleichung beschriebene Verhalten nun mit dieser Tatsache in Einklang bringen Was bedeuten eigentlich die Parameter Druck und Tem-peratur fuumlr ein Gas das sich aus vielen einzelnen Atomen und Molekuumllen zusammensetzt Um makroskopische Zustandsparameter uumlberhaupt mit der Teilchenwelt verknuumlpfen zu koumlnnen benoumltigen wir eine Modellvorstellung fuumlr das mechanische Zusammenwirken der Teilchen im Fall von Gasen das so genannte kinetische Gasmodell

33 Das kinetische Gasmodell

Bei den im vorhergehenden Kapitel aufgefuumlhrten Gasgesetzen handelt es sich um mathemati-sche Beschreibungen von makroskopisch beobachtbaren Vorgaumlngen Zur Interpretation der Gasgesetze auf molekularer Ebene wurden verschiedene Modelle vorgeschlagen Das erfolg-reichste unter ihnen war das sogenannte kinetische Gasmodell Es beruht auf der Vorstellung dass ein Gas aus einer Vielzahl von Teilchen besteht die folgende Bedingungen erfuumlllen

1) Sie besitzen eine Atom- oder Molmasse M einen endlichen Durchmesser d und befinden sich in staumlndiger und ungeregelter Bewegung

2) Die Groumlszlige der Teilchen ist im Verhaumlltnis zum freien Volumen vernachlaumlssig-bar

3) Zwischen den Teilchen finden elastische Stoumlszlige statt Ansonsten existieren keine weiteren Wechselwirkungen unter den Teilchen

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Nach der kinetischen Gastheorie besteht der Druck eines Gases aus der Summe aller Kraumlfte (pro Flaumlcheneinheit) die durch auf eine Flaumlche aufprallende Gasteilchen (bzw durch deren Impulsaumlnderung) ausgeuumlbt werden (Abb 21)

Vx t

Abb 21 Links schematische Darstellung der Impulsaumlnderung bei dem Auftreffen eines Gasteilchens auf der Gefaumlszligwand Viele solche Stoumlszlige fuumlhren in der Summe zum Entstehen einer messbaren dem Gasdruck zugeordneten Kraft Rechts Die Geschwindigkeitskomponente vx der Teilchen bestimmt nicht nur die Groumlszlige der Impulsaumlnderung sondern auch die Zahl der Teilchen die pro Zeiteinheit auf die Wand stoszligen Daher geht die Geschwindigkeit der Teilchen bei der Berechnung des Drucks insgesamt quadratisch ein

Dabei wird zunaumlchst davon ausgegangen dass alle Teilchen die gleiche Geschwindigkeits-komponente vx aufweisen Diese Geschwindigkeitskomponente bestimmt zum einen die Heftigkeit der Stoumlszlige zum anderen wie viele Gasteilchen pro Zeiteinheit auf die Wand prallen Insgesamt haumlngt der Druck damit vom Quadrat der Geschwindigkeitskomponente vxab Fuumlhrt man nun ein mittleres Geschwindigkeitsquadrat csup2 ein (mit vxsup2 = 13 csup2) so erhaumllt man fuumlr den an dem beweglichen Kolben spuumlrbaren Druck die Gleichung

P = 13 M csup2 (nV) oder in der Schreibweise der idealen Gasgleichung P V = 13 n M csup2 Der Druck ist nach dem kinetischen Gasmodell also die Folge einer Vielzahl von Stoumlszligen welche die Teilchen gegen die Behaumllterwaumlnde ausfuumlhren Er ist folglich proportional zur Mas-se der Teilchen (je schwerer die Teilchen desto heftiger die Stoumlszlige) zum mittleren Geschwin-digkeitsquadrat (die Geschwindigkeit der Teilchen bestimmt zum einen die Haumlufigkeit zum anderen die Heftigkeit der Stoumlszlige) und zur Zahl der Teilchen pro Volumeneinheit (womit wie nach der idealen Gasgleichung zu erwarten P umgekehrt proportional zu V ist) Die Bedeutung der Temperatur im kinetischen Gasmodell ist dagegen zunaumlchst unklar Mit der idealen Gasgleichung P V = n R T ergibt sich aber durch Koeffizientenvergleich n R T = 13 n M csup2 oder R T = 13 M csup2 Man kann unter Nutzung beider Gasmodelle so zu einem neuen teilchenbezogenen Verstaumlnd-nis des Phaumlnomens Temperatur kommen Die Temperatur eines Gases ist demnach direkt proportional zum mittleren Geschwindigkeitsquadrat der Gasteilchen oder in anderen Worten zu deren kinetischer Energie 12 M csup2 Dies ist fuumlr das Verstaumlndnis des Phaumlnomens Temperatur von groszliger Bedeutung Man kann die Temperatur eines Gases also messen indem man (bei bekannter Masse der Teilchen) die Geschwindigkeit der Gasteilchen bestimmt Die Wurzel aus dem mittleren Geschwindigkeits-quadrat also die Groumlszlige c liegt uumlblicherweise in der Groumlszligenordnung der Schallgeschwindig-keit (zum Beispiel fuumlr Stickstoff bei Raumtemperatur c = 516 ms) und steht zu ihr in einer

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festen Beziehung Tatsaumlchlich laumlsst sich die Temperatur auch uumlber eine Messung der Schall-geschwindigkeit ermitteln Nachdem das mittlere Geschwindigkeitsquadrat der Teilchen bekannt ist stellt sich die Frage nach der Geschwindigkeitsverteilung der Teilchen Die Bewegungsenergie der Teilchen ist wie alle anderen Energieformen (zB elektronische Energie Schwingungsenergie) gequantelt Das bedeutet dass sich die Teilchen auf (hier dicht gestaffelte) Energieniveaus verteilen muumlssen Sie tun das nach einem statistischen Grundprinzip das Boltzmann-Verteilung genannt wird Demnach ist die Besetzung pi eines Energieniveaus i (egal welcher Art die Energie Ei ist) stets proportional zum so genannten Boltzmannfaktor des Zustand i Es gilt

pi ~ exp[-Ei(kBT)]

Die darin enthaltene Boltzmannkonstante kB ist nichts anderes als die allgemeine Gas-konstante R (siehe unter 32) dividiert durch die Zahl NL der Teilchen in einem Mol Substanz (kB = RNL) Das bedeutet die Besetzung eines Zustands ist umso wahrscheinlicher je niedriger dessen Energie ist Steigende Temperatur T hingegen erhoumlht die Wahrscheinlichkeit energiereicher Zustaumlnde Diese Gesetzmaumlszligigkeit gilt fuumlr die Besetzung aller auf atomarer oder molekularer Ebene gegebener Zustaumlnde in einem makroskopischen System Angewandt auf die Bewegungsenergie von Gasteilchen in einer einzelnen Raumrichtung x bedeutet das dass Teilchen mit hoher Geschwindigkeit vx weniger wahrscheinlich sind als solche mit niedriger Geschwindigkeit vx Allerdings steigt die Wahrscheinlichkeit des Auftretens groszliger Werte fuumlr vx mit steigender Temperatur Teilt man den Bereich der auftretenden Geschwindigkeiten in Intervalle auf und zaumlhlt man die Teilchen die gemaumlszlig ihrer Geschwindigkeit zu den einzelnen Intervallen zugeordnet werden koumlnnen so ergibt sich fuumlr die Geschwindigkeitsverteilung in vx und v das Bild das in Abb 22 oben dargestellt ist Die Verteilungsfunktionen fuumlr die Geschwindigkeiten in y- und z-Richtung sind identisch

n(vx)

vx-Intervall

n(vx)

vx-Intervall

Temperatur-erhoumlhung

- 0 +- 0 +n(v)

v-Intervall

Temperatur-erhoumlhung

0 +

n(v)

v-Intervall0 +

Abb 22 Verteilungsfunktionen einer eindimensionalen Geschwindigkeitskomponente (oben) und der Gesamtgeschwindigkeit (unten)

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Betrachtet man die Verteilung n(v) der Gesamtgeschwindigkeit v im dreidimensionalen Raum so wird das Bild komplizierter Bezuumlglich der drei Raumrichtungen x y und z sind weiterhin die kleinen Geschwindigkeiten wahrscheinlicher als die groszligen Da nun aber fuumlr eine groszlige Gesamtgeschwindigkeit v mehr Kombinationsmoumlglichkeiten vx vy vz existieren als fuumlr kleine Gesamtgeschwindigkeiten so wird die Wahrscheinlichkeit fuumlr sehr geringe Gesamtgeschwindigkeiten entsprechend kleiner fuumlr groszlige Gesamtgeschwindigkeiten entsprechend groumlszliger Der daraus resultierende Gewichtungsfaktor fuumlr jedes v ist die relative Flaumlche der Kugelschale mit dem Radius v Insgesamt ergeben sich dann die in Abb 22 unten dargestellten Verteilungsfunktionen fuumlr niedrige und hohe Temperaturen Die Verteilungsfunktionen in vx und v lauten (ohne Herleitung)

f(vx) = [M(2RT)]12 exp [-Mvxsup2(2RT)]

f(v) = 4 [M(2RT)]32 vsup2 exp [-Mvsup2(2RT)] Der Mittelwert von vx (oder jeder anderen eindimensionalen Geschwindigkeitskomponente) ist grundsaumltzlich Null Dagegen besitzt der Mittelwert von v stets eine endliche von Null verschiedene Groumlszlige Bei einer Erhoumlhung der Temperatur werden alle Verteilungsfunktionen breiter der Mittelwert von v vergroumlszligert sich Die Temperatur eines Gases aumluszligert sich also nicht nur im mittleren Geschwindigkeitsquadrat sondern auch in der Form der Geschwindigkeitsverteilungsfunktion Bei der Mischung von Gasen unterschiedlicher Temperatur muss um die oben genannte Forderung zu erfuumlllen aus der einfachen Summe von zwei Verteilungsfunktionen eine neue der Mischtemperatur ent-sprechende Verteilungsfunktion entstehen Dies ist nur unter der Annahme moumlglich dass ein Austausch kinetischer Energie unter den Teilchen erfolgen kann Diese Tatsache bedingt die eingangs gestellte Forderung nach Teilchenstoumlszligen also Wechselwirkungen zwischen den Teilchen Damit muumlssen die Gasteilchen aber auch ein gewisses Volumen besitzen den Teil-chen ohne Eigenvolumen koumlnnen prinzipiell nicht zusammenstoszligen Darin besteht der we-sentliche Unterschied zwischen einem Gas nach dem kinetischen Gasmodell und dem idealen Gas Das ideale Gas koumlnnte man theoretisch auf ein beliebig kleines Volumen komprimieren bei einem kinetischen Gas ist dies aufgrund des Eigenvolumens nicht moumlglich Ansonsten erlaubt das kinetische Gasmodell die vollstaumlndige Interpretation der idealen Gasgleichung

34 Die korrigierte Gasgleichung nach van der Waals JD van der Waals

Mithilfe des kinetischen Gasmodells laumlsst sich die Zustandsgleichung fuumlr Gase weiter verfeinern Zunaumlchst soll beruumlcksichtigt werden dass die Teilchen ein eigenes Volumen besitzen In erster Naumlherung geschieht dies indem man ein vom Eigenvolumen der Gas-teilchen abgeleitetes minimales Volumen des Gases (das so genannte Covolumen) definiert Das Covolumen beschreibt dasjenige Volumen des Gases das bei staumlndigem mechanischem Kontakt zwischen jeweils zwei Teilchen eingenommen wird wenn man den Teilchenpaaren jeweils den sie umschreibenden kugelfoumlrmigen Raum zuordnet (wegen der geringen Wahr-scheinlichkeit von Dreierstoumlszligen kann die Bildung von Dreiergruppen ausgeschlossen werden) Das molare Covolumen b entspricht wenn man eine einfache geometrische Uumlberlegung an-setzt dem vierfachen Eigenvolumen eines Mols der Gasteilchen Um das tatsaumlchliche freie

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Volumen zu erhalten muss das n-fache Covolumen vom gegebenen Volumen abgezogen werden Damit wird aus der idealen Gasgleichung P V = n R T die erste korrigierte Version P (V - n b) = n R T Im zweiten Schritt soll nun uumlber das kinetische Gasmodell hinausgehend auch die anziehen-de Wechselwirkung zwischen den Teilchen beruumlcksichtigt werden Die Anziehung zwischen den Teilchen sorgt nach van der Waals fuumlr einen zusaumltzlichen nach auszligen nicht messbaren bdquoBinnendruckldquo Dieser Binnendruck ist proportional zum Quadrat der Teilchendichte (nV)sup2 Der zwischen den Teilchen tatsaumlchlich wirkende nach auszligen ebenfalls unmessbare Gesamt-druck ist dann gegeben als

Pgesamt (unmessbar) = P (messbar) + a (nV)sup2

mit einer fuumlr die anziehende Wechselwirkung charakteristischen Konstante a Die danach korrigierte Version der Gasgleichung die van-der-Waals-Gleichung fuumlr reale Gase lautet

[P + a (nV)sup2] (V - nb) = n R T

Die Konstanten b und a besitzen fuumlr jedes reale Gas charakteristische Werte die dessen Eigenvolumen (die Groumlszlige der Elektronenhuumllle) und die Staumlrke der intermolekularen Wechsel-wirkungen reflektieren Beispiele

Gas a b

Argon 01345 Pa m6Molsup2 32210-5 msup3Mol Kohlendioxid 03592 Pa m6Molsup2 426710-5 msup3Mol Helium 00034 Pa m6Molsup2 23710-5 msup3Mol Stickstoff 01390 Pa m6Molsup2 391310-5 msup3Mol Wasser 05573 Pa m6Molsup2 31010-5 msup3Mol

Der Parameter b spiegelt mit der Einheit msup3Mol weitgehend die Groumlszlige der einzelnen Teilchen (Atome oder Molekuumlle) wider So besitzt erwartungsgemaumlszlig Kohlendioxid oder Argon einen groumlszligeren Wert fuumlr b als beispielsweise Helium Allerdings sind die Unterschiede erstaunlich klein was auf die Tatsache zuruumlckzufuumlhren ist dass sich das Covolumen auf Teilchenpaare bezieht und ein Paar aus Kohlendioxidmolekuumllen gegenuumlber einem Paar aus Heliumatomen nur etwa das doppelte Volumen benoumltigt

Der Parameter a mit der Einheit Pascal mal Molvolumen zum Quadrat reflektiert die Staumlrke der Wechselwirkungen zwischen den Teilchen Diese Wechselwirkungen beruhen zum groszligen Teil auf den elektrischen Eigenschaften der Teilchen Diese wiederum sind mit der elektronischen Struktur der Atome beziehungsweise der chemischen Bindungen verknuumlpft Am wichtigsten ist dabei das in Kapitel 19 erwaumlhnte Dipolmoment Polare Bindungen koumlnnen zu Teilchen mit permanenten Dipolen fuumlhren (zB HF Wasser Ammoniak CO) Andere Molekuumlle oder Atome sind zwar unpolar koumlnnen aber spontan oder durch aumluszligere

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elektrische Felder polarisiert werden (zB He Ar molekularer Wasserstoff molekulares Chlor) Man spricht dann von polarisierbaren Teilchen mit einem spontanen Dipolmoment oder mit einem durch ein aumluszligeres Feld bewirkten induzierten Dipolmoment In all diesen Faumlllen sind anziehende Wechselwirkungen zwischen den Teilchen moumlglich die in dem Parameter a zusammengefasst werden Daruumlber hinaus koumlnnen sich auch voruumlbergehende chemische Bindungen ausbilden Das prominenteste Beispiel fuumlr diesen Fall ist die bekannte Wasserstoffbruumlckenbindung die bei polaren X-H-Bindungen auftreten kann Im Einzelnen werden demnach folgende Arten von Wechselwirkungen mit absteigender Intensitaumlt unter-schieden

a) Wasserstoffbruumlckenbindung X-H hellip Y Hierbei bildet sich voruumlbergehend eine chemische Bindung zwischen dem polar gebundenen Wasserstoff und einem elektronegativen und mit einem freien Elektronenpaar ausgestatteten Element Y

b) Wechselwirkungen zwischen permanenten Dipolen hier besitzen alle Teilchen ein permanentes Dipolmoment Zwischen den entgegengesetzt geladenen Enden der Teilchen bauen sich dann konstant anziehende elektrostatische Wechselwir-kungen auf

c) Wechselwirkungen zwischen permanenten und induzierten Dipolen die Teil-chen mit permanentem Dipolmoment induzieren ein voruumlbergehendes Dipol-moment bei den benachbarten (zunaumlchst unpolaren) Teilchen In der Folge ergibt sich eine anziehende elektrostatische Wechselwirkung

d) Wechselwirkungen zwischen induzierten Dipolen durch spontane Polarisierung eines Teilchens entsteht ein voruumlbergehendes Dipolmoment welches bei einem benachbarten Teilchen eine Polarisierung hervorruft In der Folge ergibt sich eine kurzfristige und sehr schwache elektrostatische Anziehung zwischen den Teilchen Man spricht dabei auch von der Dispersionswechselwirkung oder der Londonschen Wechselwirkung

Alle diese Effekte sind anziehender Natur und gehen damit in den Parameter a ein Fasst man die beiden Parameter a und b zusammen so entsteht mit der van-der-Waals-Gleichung eine recht zuverlaumlssige Zustandsgleichung fuumlr reale Systeme die sowohl die abstoszligenden als auch die anziehenden Wechselwirkungen beruumlcksichtigt

Ein guter Test fuumlr diese reale Zustandsgleichung ist die Berechnung eines Diagramms von P gegen V fuumlr verschiedene Temperaturen das so genannte P-V-Diagramm und die Gegen-uumlberstellung mit dem entsprechenden experimentellen P-V-Diagramm eines realen Gases Gemaumlszlig der van-der-Waalsrsquoschen Gleichung existieren abhaumlngig von der betrachteten Tempe-ratur drei Typen von Isothermen (Abb 23 links) solche die einer Hyperbel aumlhneln (1) eine einzelne Isotherme die einen Wendepunkt mit waagrechter Tangente besitzt (2) und solche die ein Minimum ein Maximum und einen Wendepunkt aufweisen (3) Das experimentell beobachtete Verhalten stimmt in den ersten beiden Faumlllen recht gut uumlberein weicht aber bei Isothermen des dritten Typs deutlich vom berechneten Verlauf ab (Abb 23 rechts)

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P

V

PV-Diagramm nachvan-der-Waals-Gleichung

1 2

3

P

V

3

experimentell bestimmtesPV-Diagramm f reales Gas

Abb 23 PV-Diagramme fuumlr reale Gase berechnet nach van der Waals (links) und experimentell bestimmt (rechts) Die drei typischen Formen der Isothermen (1 2 und 3) sind im Text beschrieben

Offensichtlich beschreibt die van-der-Waals-Gleichung das Verhalten eines realen Gases in der Umgebung des Wendepunkts weniger gut Experimentell stellt man allerdings fest dass in diesem Bereich tatsaumlchlich auch kein reines Gas sondern vielmehr eine Mischung aus einem Gas und einer kondensierten Fluumlssigkeit also ein Zweiphasenzustand vorliegt Dieser Zwei-phasenbereich beginnt am Wendepunkt der Isothermen des Typs 2 und schlieszligt alle Minima Maxima und Wendepunkte der Isothermen des Typs 3 ein (Abb 24 links)

P

V

Zweiphasen-gebiet

P

V

Zweiphasen-gebiet

Maxwell-Maxwell-KorrekturKorrektur

Zweiphasen-Gebiet

Zweiphasen-Gebiet

A1

A2

Abb 24 PV-Diagramme fuumlr reale Gase mit eingezeichnetem Zweiphasengebiet Der in diesem Bereich bei der Beschreibung nach van der Waals gegebene Fehler kann in guter Naumlherung durch die Maxwell-Korrektur kompensiert werden

Eine einfache Korrektur der van-der-Waals-Gleichung ermoumlglicht eine realistische Beschrei-bung des Zweiphasengebiets Eine horizontale Gerade wird so in der Naumlhe des Wendepunktes gelegt dass die oberhalb und unterhalb der Geraden im Zweiphasenbereich gebildeten Teilflaumlchen A1 und A2 die gleiche Groumlszlige besitzen (sog Maxwell-Korrektur s Abbildung 24 rechts) Dies sieht zwar nach einer etwas willkuumlrlichen Hilfskonstruktion aus trotzdem laumlsst sich damit das Verhalten eines realen Gases im Zweiphasengebiet sehr gut nachvollziehen und vorhersagen Eine besonders ausgewiesene Position im PV-Diagramm eines realen Gases ist der Scheitel-punkt des Zweiphasengebiets der durch den Wendepunkt der Isotherme des Typs 2 gebildet wird (Abb 25)

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P

V

Zweiphasen-gebiet Tc

Pc

Vc

kritischer Punkt

Jedes reale Gas besitzt einen sogenannten kritischenPunkt der durch die kritischen Zustandsgroumlszligen Tc Pc undVc beschrieben wird Die kritische Temperatur Tc istdiejenige Temperatur bei der sich ein Gas unter Druckgerade noch verfluumlssigen laumlszligt Oberhalb der kritischenTemperatur existiert kein fluumlssiger Zustand Derentsprechende Druck Pc wird als kritischer Druckbezeichnet

Die Isotherme die der kritischen Temperatur zugeordnetist besitzt als einzige einen Wendepunkt mit horizontalerTangente der gleichzeitig den kritischen Punkt markiert

Abb 25 PV-Diagramm fuumlr ein reales Gas mit kritischem Punkt

Dieser sogenannte kritische Punkt wird durch die kritische Temperatur Tc den kritischen Druck Pc und das kritische Molvolumen Vc festgelegt Zustaumlnde oberhalb des kritischen Punkts nennt man uumlberkritisch Uumlberkritisches Kohlendioxid besitzt in der Technik groszlige Bedeutung fuumlr das Loumlsen und Ausfaumlllen von pharmazeutischen Wirkstoffen (zB Aspirin fuumlr Brausetabletten) fuumlr die Extraktion (zB bei der Entkoffeinierung von Kaffee) oder zur chemischen Reinigung von Textilien

35 Andere Zustandsgleichungen fuumlr reale Gase

Neben der van-der-Waals-Gleichung existieren weitere Ansaumltze zur Beschreibung realer Gase die zwar eine genauere Anpassung an die gemessenen Werte ermoumlglichen aber auch kompli-zierter sind oder mehr Arbeit bei der Bestimmung der charakteristischen Parameter erfordern Im Folgenden seien als Beispiele die Berthelot-Gleichung und die Virialgleichung erwaumlhnt

a Berthelot-Gleichung (P + (Ansup2)(TVsup2) ) (V - nB) = n R T Berthelot fuumlhrte damit als Besonderheit einen temperaturabhaumlngigen Binnendruck ein Dies ist insoweit physikalisch gerechtfertigt als die vermehrte thermische Bewegung der Ausbildung von Wechselwirkungen zwischen den Molekuumllen entgegenwirken kann

b Virialgleichung P Vm = A + B P + C Psup2 + D Psup3 + Mit Vm = Vn Die Virialgleichung nutzt die Tatsache dass sich fast alle physikalischen Zusammenhaumlnge uumlber einen Potenzreihenansatz a + bx + cxsup2 + dxsup3 + hellip beliebig genau annaumlhern lassen Je nach Anzahl der anpassbaren Parameter ist zwar eine beliebig genaue Beschreibung des realen Gases moumlglich allerdings steigt auch der Aufwand fuumlr die Bestim-mung aller Koeffizienten

36 Beschreibung von Fluumlssigkeiten

Im PV-Diagramm der realen Gase schlieszligt sich links vom Zweiphasengebiet der Bereich der fluumlssigen Phase an Sie zeichnet sich dadurch aus dass mit sinkendem Volumen der Druck ex-trem steil ansteigt Das bedeutet dass bereits eine geringfuumlgige Volumenabnahme mit einem aumluszligerst groszligen Druckanstieg verbunden ist In der Praxis hat das zur Folge dass Fluumlssigkeiten im Gegensatz zu Gasen kaum komprimierbar sind ihre Kompressibilitaumlt geht gegen Null Auch ist die Ausdehnung der Fluumlssigkeiten bei steigender Temperatur und bei konstantem

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Druck (der thermische Ausdehnungskoeffizient) sehr viel kleiner als bei Gasen Eine einfache allgemeine Zustandsgleichung fuumlr die fluumlssige Phase in Analogie zur idealen oder zur van-der-Waals-Gleichung existiert nicht Stattdessen findet man bei der experimentellen Bestimmung des Zusammenhangs zwischen P V und T fuumlr jede Fluumlssigkeit ein sehr charakteristisches Verhalten Vergleicht man die Messergebnisse verschiedener Fluumlssigkeiten untereinander so sind kaum Aumlhnlichkeiten auszumachen Daruumlber hinaus sind bestimmte Messungen (zB die Messung der Abhaumlngigkeit des Drucks vom Volumen bei konstanter Teilchenzahl und Temperatur) technisch sehr schwer zu realisieren Das Fehlen einer einheitlichen Zustandsgleichung V(TPn) fuumlr Fluumlssigkeiten liegt auch in deren komplexer Struktur begruumlndet Betrachtet man ein einzelnes Teilchen in der Fluumlssigkeit so liegt es bezuumlglich der Abstaumlnde zu seinen naumlchsten Nachbarn stets in der Naumlhe des Mini-mums einer Potentialkurve Epot(r) die einen sehr steilen Verlauf besitzt Die Abstaumlnde zu den benachbarten Teilchen sind damit nahezu fixiert folglich ist eine unabhaumlngige Translations-bewegung einzelner Teilchen praktisch unmoumlglich Stattdessen verlaufen alle Bewegungs-prozesse mehr oder weniger kollektiv also unter gleichzeitiger Verschiebung mehrerer Teilchen Daruumlber hinaus gibt es keine nennenswerten freien Volumina so dass der mittlere Abstand der Teilchen nur unwesentlich verringert werden kann ein Umstand der sich in der bereits erwaumlhnten geringen Kompressibilitaumlt aumluszligert Ein Modell fuumlr eine allgemeine Fluumlssigkeit laumlsst sich im Rahmen einer Computersimulation einfuumlhren Man betrachtet dabei einen wuumlrfelfoumlrmigen Raum der einen Ausschnitt aus dem Fluumlssigkeitsvolumen darstellen soll und eine endliche Anzahl n von Fluumlssigkeitsteilchen (zB n = 1000) enthaumllt Um die Zahl der Teilchen konstant zu halten und dabei trotzdem deren Beweglichkeit zu wahren wird eine Kontinuitaumltsbedingung eingefuumlhrt Jedes Teilchen das im Rahmen der Bewegungsprozesse den Wuumlrfel an einer gegebenen Stelle verlaumlsst tritt automatisch an der genau gegenuumlberliegenden Position des Wuumlrfels wieder ein Auf diese Weise ist gewaumlhrleistet dass die Zahl der Teilchen im Wuumlrfel konstant bleibt (Abb 26)

Abb 26 Simulation von Bewegungs-vorgaumlngen in einem Fluumlssigkeitsvolumen unter Wahrung einer konstanten Partikel-anzahl Jedes Teilchen das im Rahmen der Bewegungsprozesse den Wuumlrfel an einer gegebenen Stelle verlaumlsst tritt automatisch an der genau gegenuumlberliegenden Position des Wuumlrfels wieder ein

An diesem System fuumlhrt man nun eine so genannte Monte-Carlo-Simulation durch Dabei setzt ein Zufallsgenerator eine geringfuumlgige Verschiebung eines beliebigen einzelnen Teil-chens in Gang Anschlieszligend wird unter Verwendung des bekannten Potentialverlaufs Epot(r) berechnet wie sich nach der Verschiebung die potentielle Energie des Systems veraumlndert hat Danach entscheidet das Simulationsprogramm zwischen zwei Moumlglichkeiten

- Hat sich die gesamte potentielle Energie des Systems durch die Verschiebung verringert oder blieb sie konstant so wird die Verschiebung akzeptiert und der naumlchste Schritt berechnet - Hat sich die gesamte potentielle Energie durch die Verschiebung um den positiven Wert E erhoumlht so wird die Verschiebung mit einer Wahrscheinlichkeit die von E abhaumlngt akzeptiert und ansonsten verworfen Danach wird der naumlchste Schritt berechnet

Auf diese Weise kann man fuumlr beliebige Fluumlssigkeiten sowohl die typischen Bewegungs-prozesse als auch die einflussbedingten Veraumlnderung von Zustandsgroumlszligen (zB P in Ab-

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haumlngigkeit von V) berechnen Allerdings sind die Rechnungen bei den fuumlr eine realistische Beschreibung eines Fluumlssigkeitsvolumens notwendigen groszligen Teilchenzahlen sehr aufwaumlndig und zeitintensiv

37 Beschreibung von Festkoumlrpern

Begibt man sich im P-V-Diagramm vom fluumlssigen Zustand ausgehend noch weiter nach links (zu kleineren Volumina houmlheren Drucken und niedrigeren Temperaturen) so erreicht man den festen Zustand Die Problematik der Zustandsgleichung V(TPn) von Festkoumlrpern aumlhnelt jener der Fluumlssigkeiten Auch hier sind die Kompressibilitaumlten und die thermischen Aus-dehnungskoeffizienten uumlblicherweise sehr viel geringer als bei Gasen Ebenso wie bei Fluumls-sigkeiten sind dabei die Unterschiede zwischen einzelnen Vertretern der Festkoumlrper recht groszlig so dass keine gemeinsame Zustandsgleichung wie bei Gasen formuliert werden kann Im Vergleich mit den Werten der Fluumlssigkeiten sind die Kompressibilitaumlten und die thermischen Ausdehnungskoeffizienten der Festkoumlrper durchschnittlich nochmals um etwa zwei Groumlszligen-ordnungen geringer

Abb 27 Torsionsexperiment zur Unterscheidung zwischen Fluumlssigkeiten und Festkoumlrpern (s Text)

Der wesentliche Unterschied zwischen Festkoumlrpern und Fluumlssigkeiten besteht allerdings in ihrem gegensaumltzlichen Verhalten bezuumlglich Verformung waumlhrend Fluumlssigkeiten einer gege-benen Verformung durch ihre Zaumlhigkeit (Viskositaumlt) Widerstand leisten reagiert ein Fest-koumlrper auf eine Verformung durch eine elastische Deformation Dieses Verhalten wird in einem Torsionsrheometer deutlich wobei eine feste oder fluumlssige Probe periodisch mit einer torsionsartigen Verformung beaufschlagt wird (Abb 27) Waumlhrend der Drehmomentverlauf des Festkoumlrpers exakt gleichphasig zur periodischen Aus-lenkung erfolgt (elastische Verformung) ist der Drehmomentverlauf der Fluumlssigkeit dazu um ein Viertel einer Wellenlaumlnge phasenverschoben (viskose Reaktion) Bei Fluumlssigkeiten ist der Widerstand dann maximal wenn die Deformationsgeschwindigkeit maximal ist (blaue Linie

t

Dre

hmom

entv

erla

uf

tAusl

enku

ng

Festkoumlrper

t

Dre

hmom

entv

erla

uf

Fluumlssigkeiten

Pruumlfkoumlrper

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in Abb 26) Bei Festkoumlrpern ist die Kraft dann maximal wenn der Deformationszustandmaximal ist (rote Linie in Abb 27) Viele Festkoumlrper stellen Uumlbergaumlnge zwischen diesen beiden Extremfaumlllen dar und werden dann als viskoelastisch bezeichnet Aus der Betrachtung von Messergebnissen an einer Viel-zahl von Materialien geht hervor dass eine eindeutige Abgrenzung zwischen dem fluumlssigen und dem festen Zustand selten moumlglich ist Entsprechend gibt es auch unterschiedliche Strukturmodelle die teilweise das elastische Verhalten teilweise das plastische Verhalten von Festkoumlrpern erklaumlren Dem elastischen Festkoumlrper mit nahezu verschwindender Phasen-verschiebung wird am ehesten das Modell eines idealen Kristalls gerecht Man geht dabei davon aus dass jedes Atom bzw Molekuumll aus dem der Festkoumlrper zusammengesetzt ist sich an einem geometrisch festgelegten Gitterpunkt befindet von dem es sich nicht entfernen kann Als Bewegungsprozess ist dabei lediglich eine Schwingung mit begrenzter Amplitude moumlglich Die denkbaren Geometrien der Gitterstrukturen reichen von primitiv-kubischen Gittern (zB Natriumchlorid) uumlber kubisch-dichteste (zB Silber Kupfer) und hexagonal-dichteste Kugelpackungen (zB Magnesium Zink) bis zur kubisch-raumzentrierten Struktur (zB Eisen Molybdaumln) Haumlufig findet man leichte Abweichungen von der idealen Gitter-struktur die durch lokale Stoumlrungen hervorgerufen werden Akzeptiert man gewisse Anteile an viskosem Verhalten (dh eine leichte Phasenverschiebung) so begibt man sich in den Grenzbereich zwischen Festkoumlrpern und Fluumlssigkeiten In einem Material wie Glas ist die regelmaumlszligige Anordnung eines Gitters nicht gegeben die Atome sind unregelmaumlszligig positioniert und koumlnnen unter Belastung auch flieszligen Solche nicht-kristallinen Festkoumlrper bezeichnet man als amorph Typische Vertreter amorpher Feststoffe sind Fenster-glas viele transparente Kunststoffe (zB Plexiglas Polyester in Getraumlnkeflaschen) Wachs und Aumlhnliches Amorphe Festkoumlrper besitzen keinen Schmelzpunkt sondern erweichen bei steigender Temperatur allmaumlhlich Amorphe Festkoumlrper koumlnnen nachtraumlglich kristallisieren wobei sich haumlufig das aumluszligere Erscheinungsbild und die physikalischen Eigenschaften drastisch aumlndern (zB Plastikfolie unter Zug)

38 Das Phasendiagramm

Die drei wichtigsten Phasenzustaumlnde zu denen sich eine makroskopische Gesamtheit von Atomen oder Molekuumllen zusammenfinden koumlnnen sind also Gase Fluumlssigkeiten und Festkoumlrper Die Frage ist nun unter welchen Bedingungen sich ein System fuumlr den ersten den zweiten oder den dritten Zustand entscheidet Erfahrungsgemaumlszlig haumlngt der gegebene Phasenzustand von den in Kapitel 31 eingefuumlhrten Zustandsparametern n V P und T ab Legt man die Stoffmenge n auf einen Wert fest (zB auf ein Mol Teilchen) und beruumlcksichtigt man dass nach den gegebenen Zustandsgleichungen die Groumlszligen n V P und T miteinander verknuumlpft sind so genuumlgen zwei Parameter um den jeweils guumlnstigsten Phasenzustand eindeutig festzulegen Ein Diagramm bei dem einer der Parameter V P und T gegen einen anderen aufgetragen wird eignet sich also prinzipiell um bei einer gegebenen Teilchenart den unter diesen Bedingungen jeweils angestrebten Phasenzustand zu markieren So kann man gemaumlszlig den Abbildungen 23 bis 25 in einem Diagramm bei dem P gegen V aufgetragen wird schon den jeweils gegebenen Phasenzustand eintragen und ablesen In der Praxis eignen sich solche PV-Diagramme allerdings wenig um Phasenzustaumlnde zu markieren der gasfoumlrmige Zustand nimmt einen sehr breiten Raum ein waumlhrend der fluumlssige und der feste Zustand in dem sehr engen Bereich links neben dem Zweiphasengebiet bdquoeingequetschtldquo waumlre Vor allem in diesem Umfeld waumlre das Diagramm schwer ablesbar

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Wesentlich guumlnstiger ist dagegen die Auftragung vom Druck P gegen die Temperatur T In diesem PT-Diagramm das auch als Phasendiagramm bezeichnet wird lassen sich alle Phasenzustaumlnde uumlbersichtlich zuordnen Dabei bezeichnen Flaumlchenanteile im PT-Diagramm die unter den gegebenen Druck- und Temperaturbedingungen angestrebte Phase (zB fest fluumlssig gasfoumlrmig) waumlhrend Linien die dazwischen vorliegenden Gleichgewichte markieren und Phasengrenzlinien genannt werden (Abb 28)

T

Pfe

st

fluumlss

ig

gasfouml

rmig

kritischerPunkt

Tripel-punkt

Phasengrenzlinie

Abb 28 Phasendiagramm mit Auftragung des Drucks (P) gegen die Temperatur (T)

Auszligerdem enthaumllt ein Phasendiagramm gewoumlhnlich mindestens zwei besonders ausgezeich-nete Punkte den Tripelpunkt an dem die drei im Allgemeinen wichtigsten Phasenzustaumlnde fest fluumlssig und gasfoumlrmig miteinander im Gleichgewicht stehen und den bereits aus dem PV-Diagramm bekannten kritischen Punkt der das Ende eines definierten Uumlbergangs zwischen fluumlssiger und gasfoumlrmiger Phase markiert Beispiele fuumlr Phasendiagramme Kohlen-dioxid und Wasser sind in Abbildung 29 und 30 wiedergegeben

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T

P

fest

fluumlss

iggasfoumlrmig

kritischerPunkt

Tripel-punkt

2168 K

511 bar

CO2

3042 K

728 bar

Abb 29 Phasendiagramm fuumlr Kohlendioxid

T

P

fluumlss

ig

gasfoumlrmig

kritischerPunkt

H2O

Eis 1

Eis 1

Eis 2 Eis 3

Eis 5

Eis 6

Tripelpunkt6473 K

218 bar

6 mbar 27316 K

Abb 30 Phasendiagramm fuumlr Wasser Der Bereich oberhalb von 200 bar ist aus Gruumlnden der

Uumlbersichtlichkeit entlang der P-Achse komprimiert dargestellt

Eine wichtige Besonderheit des Phasenverhaltens von Wasser ist die Tatsache dass die Phasengrenzlinie zwischen fluumlssigem Wasser und Eis 1 eine negative Steigung aufweist Dies hat zur Folge dass gewoumlhnliches Eis durch Erhoumlhung des Drucks zum Schmelzen gebracht werden kann Dieser Umstand ist eine der Ursachen dafuumlr dass eine Kufe auf Eis gleitet da der durch das Schmelzen entstehende Wasserfilm die Reibung vermindert (allerdings spielt hier auch die Reibungswaumlrme eine Rolle) Der Grund fuumlr dieses Verhalten steht in direkter Verbindung mit der strukturbedingten Volumenabnahme beim Schmelzen von Eis (s Videos unter httpwwwyoutubecomwatchv=6s0b_keOiOU und httpswwwyoutubecomwatchv=CDTZoFGmZoc )

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Waumlhlt man in einem Phasendiagramm eine Kombination von Druck und Temperatur so kann man direkt denjenigen Phasenzustand ablesen den die gegebene Teilchenart unter diesen Bedingungen anstrebt Das heiszligt jedoch nicht dass dieser Zustand dann auch in jedem Fall und zu jeder Zeit vorliegt Haumlufig beobachtet man eine so genannte kinetische Hemmung einer Phasenumwandlung So gibt es unterkuumlhlte Fluumlssigkeiten (zB Regentropfen bei -3degC) genauso wie unterkuumlhlte Dampfphasen (zB uumlbersaumlttigten Wasserdampf in Gewitterwolken) oder uumlberhitzte Fluumlssigkeiten (zB uumlberhitztes Wasser bei einem Siedeverzug) Kristalli-sationskeime wie Staubkoumlrner koumlnnen Phasenumwandlungen beschleunigen (zB durch Staub verursachter bdquoIndustrieschneeldquo) Bisher wurden lediglich Phasendiagramme von reinen Stoffen betrachtet die nur aus einer einzelnen Sorte Atomen oder Molekuumllen bestehen Mischt man einem gegebenen Stoff eine weitere Komponente hinzu so aumlndert sich das Phasendiagramm erheblich Als Beispiel betrachten wir ein System in dessen fluumlssiger Phase ein Fremdstoff A geloumlst wird der weder im Festkoumlrper noch im der Gasphase loumlslich ist (zB Kochsalz in Wasser) In diesem Fall dehnt sich der fluumlssige Bereich des Phasendiagramms mit steigender Konzentration von A in alle Richtungen aus so dass gleichzeitig der Schmelzpunkt erniedrigt der Siedepunkt erhoumlht und der Dampfdruck verringert wird (Abb 31) In erster Naumlherung sind alle genannten Aumlnderungen proportional zu cA

T

P

fest

fluumlss

ig

gasfouml

rmig

Abb 31 Phasendiagramm fuumlr ein System in dessen fluumlssiger Phase ein Fremdstoff mit steigender

Konzentration cA geloumlst wird Der Bereich der fluumlssigen Phase dehnt sich daraufhin in alle

Richtungen aus

Bei weiter steigender Konzentration von A kann ein Punkt erreicht werden an dem die Mischung in zwei getrennte Bereiche zerfaumlllt die ebenfalls als Phasen bezeichnet werden (zB Olivenoumll und Wasser) Eine dieser Phasen besitzt dann einen hohen Loumlsemittelanteil bei geringer Konzentration von A die andere besteht aus einem hohen Anteil an A mit einem geringen Gehalt an Loumlsemittel Dieser Vorgang der Phasenseparation binaumlrer (aus zwei Komponenten bestehender) Systeme wird durch eine andere Art von Phasendiagramm beschrieben dem so genannten Mischphasendiagramm (Abb 32) Hierbei wird die Tempe-

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ratur dem relativen Anteil einer Komponente gegenuumlbergestellt der Druck wird als konstant angenommen

Abb 32 Allgemeine Darstellung eines Mischphasendiagramms

Grundsaumltzlich gibt die linke Flanke der Phasentrennlinie (links des kritischen Punkts) die Zusammensetzung der bdquoA-armenldquo Phase an waumlhrend die rechte Flanke (rechts des kritischen Punkts) die Zusammensetzung der A-reichen Phase beschreibt Die Mengen der dabei gebildeten Phasen koumlnnen nach dem so genannten Hebelgesetz berechnet werden Demnach gilt zwischen dem Anteil n1 der A-armen Phase 1 dem Anteil n2 der A-reichen Phase 2 und den Laumlngen der Pfeile s1 und s2 in der vorhergehenden Abbildung folgender Zusammenhang

n1 s1 = n2 s2

Fuumlr das gezeigte Beispiel wuumlrde das bedeuten dass der Anteil der Phase 1 etwa doppelt so groszlig waumlre wie der Anteil der Phase 2 In der Naumlhe der beiden Raumlnder des Diagramms also fuumlr xA 0 (sehr wenig A im Loumlsemittel) oder xA 1 (sehr wenig Loumlsemittel in A) liegen in den meisten Faumlllen einphasige homogene Mischungen vor Das besagt dass auch bei niedrigen Temperaturen ein wenig von dem Stoff A im Loumlsemittel bzw ein wenig Loumlsemittel im Stoff A loumlslich ist Der im Diagramm eingezeichnete kritische Punkt bedeutet dass oberhalb der dazugehoumlrigen kritischen Temperatur keine Entmischung mehr erfolgt dh hier sind die beiden Komponenten vollstaumlndig und in jedem Verhaumlltnis miteinander mischbar Neben solchen oberen kritischen Punkten gibt es auch untere kritische Punkte Im zweiten Fall gilt dass die beiden Komponenten unterhalb einer bestimmten Temperatur in jedem Verhaumlltnis miteinander mischbar sind Im Allgemeinen koumlnnen die drei verschiedenen Faumllle auftreten die in Abbildung 33 dargestellt sind

0 Molenbruch xA der Komponente A 1

Tem

pera

tur

obere kritischeTemperatur

Einphasen-gebiet

Zweiphasen-gebiet

Beispiel xA = 04

T1

Zum gezeigten Beispiel

Eine Mischung mit dem Molenbruch xA = 04 wird von T2 nach T1 abgekuumlhltDabei zerfaumlllt die Mischung bei Tklsquo in zwei Phasen derenZusammensetzung bei T1auf der x-Achse an den Punkten 1 und 2 ablesbar ist

T2

Tklsquo

1 2

kritischer Punkt

s1 s2

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0 xA 1

Tem

pera

tur

System mit oberem kritischen Punkt

kritischer Punkt

0 xA 1Te

mpe

ratu

r

System mit unterem kritischen Punkt

kritischer Punkt

0 xA 1

Tem

pera

tur

System mit oberem und unterem

kritischen Punkt

kritischer Punkt

kritische Punkte

Abb 33 Moumlgliche Varianten von kritischen Punkten bei Systemen aus zwei Komponenten

Obere kritische Punkte findet man dann wenn sich die molekulare thermische Bewegung gegen die Tendenz der Molekuumlle sich mit gleichartigen Molekuumllen zusammenzulagern durchsetzt Dieses Phaumlnomen ist sehr verbreitet so dass ein oberer kritischer Punkt bei sehr vielen Mischphasen beobachtet wird Untere kritische Punkte sind sehr viel seltener Sie treten beispielsweise dann auf wenn die beiden Komponenten miteinander bei tiefen Temperaturen einen Komplex bilden der bei houmlheren Temperaturen wieder zerfaumlllt und dann zu einer Phasenseparation fuumlhrt Ein Beispiel dafuumlr ist die Mischung aus Wasser und Triethylamin

Fuumlr Mischphasen aus drei Komponenten so genannte ternaumlre Mischungen sind die bisher gezeigten Darstellungen ungeeignet Hierfuumlr haben sich Dreiecksdiagramme (Gibbssches Phasendreieck) durchgesetzt die das Phasenverhalten unter Variation der Mengenbeitraumlge aller drei Komponenten aufzeigen (Abb 34) Das Diagramm ist so geartet dass die Summe aller drei Mengenanteile xA xB und xC in jedem Fall den Wert 1 ergibt Damit besitzt die Zusammensetzung des ternaumlren Gemisches zwei Freiheitsgrade Jede Linie die durch eine Ecke des Diagramms fuumlhrt verbindet diejenigen Punkte bei denen das Verhaumlltnis zweier Komponenten gleich ist Jede Linie die parallel zu einer der drei Seiten verlaumluft entspricht Gemischen bei denen der relative Anteil einer Komponente gleich bleibt

00 02 04 06 08 10Komponente A

00

02

04

06

08

10

Kom

pone

nte

B

0002

04

06

08

10

Komponente C

C

A

B

00 02 04 06 08 10Komponente A

00

02

04

06

08

10

Kom

pone

nte

B

00

02

04

06

08

10

Komponente C

x1

x2x

Abb 34 Prinzip eines ternaumlren Phasendiagramms nach Gibbs (Dreiecksdiagramm)

In solche ternaumlren Mischphasendiagramme lassen sich nun entsprechend den binaumlren Mischphasendiagrammen die Ein- und Zweiphasengebiete einzeichnen Das Diagramm in

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Abb 34 rechts gilt zB fuumlr eine ternaumlre Mischung aus A B und C bei der die Komponenten A und B sowie B und C jeweils paarweise in jedem Verhaumlltnis miteinander mischbar sind Die Komponenten A und C sollen dagegen nur begrenzt mischbar sein Als Konsequenz daraus ergibt sich ein Dreiecksdiagramm das an der unteren Achse die dem Anteil 0 der Komponente B entspricht ein Zweiphasengebiet aufweist

Die Hilfslinien im Zweiphasengebiet markieren die Zusammensetzung der entstehenden Einzelphasen So wuumlrde beispielsweise eine Mischung deren Zusammensetzung im Diagramm durch den Punkt x markiert ist in die beiden Phasen x1 und x2 zerfallen Die Mengenanteile der beiden Phasen koumlnnten dabei wieder uumlber das Hebelgesetz berechnet werden Um zusaumltzlich den Einfluss der Temperatur wiederzugeben muss eine weitere Koordinate eingefuumlhrt werden Man erhaumllt dabei ein dreidimensionales Dreiecksdiagramm das haumlufig unter Verwendung von Houmlhenlinien nach der Art einer topographischen Landkarte dargestellt wird Jede Houmlhenlinie des Zweiphasengebiets umschreibt dann seine Ausdehnung bei einer gegebenen Temperatur

Fragt man bei einem System mit bestehenden Randbedingungen nach der Zahl der frei variierbaren Zustandsgroumlszligen also nach der Zahl der Freiheitsgrade so haumlngt die Antwort zunaumlchst davon ab in welchem Phasenzustand sich das System befindet So kann man beispielsweise in der Gasphase (bei festgelegter Stoffmenge) Temperatur und Druck frei waumlhlen wodurch dann automatisch das Volumen festgelegt wird Gleiches gilt fuumlr die feste und die fluumlssige Phase Das System hat innerhalb eines Phasenzustands also zwei Freiheits-grade Setzt man allerdings voraus dass sich das System in einem Gleichgewicht zwischen zwei Phasen befindet (zB auf der Verdampfungslinie) so besitzt es nur einen Freiheitsgrad Am Tripelpunkt schlieszliglich bei einem Gleichgewicht zwischen drei Phasen sind keine Freiheitsgrade mehr vorhanden Zwischen der Zahl der Phasen P und der Zahl der Freiheitsgrade F gibt es also folgende einfache Beziehung

F = 3 - P

Beruumlcksichtigt man weiter dass auch mehr als eine Komponente auftreten kann (Zahl der Komponenten C gt 1) so erhoumlht sich die Zahl der Freiheitsgrade um jede zusaumltzliche Komponente deren Konzentration ja frei waumlhlbar ist um den Wert eins Man erhaumllt damit

F = 3 - P + (C - 1) oder F = C - P + 2

Nach dieser allgemeinguumlltigen Formel der so genannten Gibbsrsquoschen Phasenregel laumlsst sich die Zahl der Freiheitsgrade in jedem beliebigen System bestimmen Sie erlaubt insbesondere bei sehr komplizierten Mischungen mit einer unbekannten Anzahl an Phasenzustaumlnden uumlber eine einfache Betrachtung Ruumlckschluumlsse auf deren Phasenverhalten

Page 9: Vorlesung PC I Einführung in die Physikalische Chemierelaxation.chemie.uni-duisburg-essen.de/lehre/Skript_PC_2016_2017.pdf · Schwingungen möglich, deren Geometrie (d.h. die Zahl

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moumlgliche Aufenthaltsbereiche fuumlr je zwei verschiedene Zustaumlnde die das Elektron in Wasserstoff einnehmen kann

Die Orbitale mit der Nebenquantenzahl l = 0 heiszligen s-Orbitale Sie besitzen grundsaumltzlich eine kugelsymmetrische Gestalt eine von n abhaumlngige Groumlszlige und keine Ausrichtung Die Orbitale mit der Nebenquantenzahl l = 1 heiszligen p-Orbitale Sie besitzen grundsaumltzlich die Gestalt einer Hantel und ebenfalls eine von n abhaumlngige Groumlszlige Ihre Ausrichtung folgt der x- der y- und der z-Achse verbunden mit den magnetischen Quantenzahlen m = -1 0 oder +1 Die Orbitale mit der Nebenquantenzahl l = 2 heiszligen d-Orbitale und besitzen abhaumlngig von der magnetischen Quantenzahl m kompliziertere Formen und Richtungen Anschaulich sollte man von der Vorstellung Abstand nehmen das Orbital sei ein Volumen innerhalb dessen das Elektron als Teilchen rotiere Vielmehr sollte man das Orbital als eine Art Schwingungsfigur betrachten aumlhnlich wie das Vibrationsbild einer schwingenden Saite Dann macht auch die Tatsache einen Sinn dass die Wellenfunktion einen positiven und einen negativen Wert besitzen kann dieser deutet dann auf die Richtung einer Auslenkung hin entsprechend einer Gitarrensaite die man ebenfalls in zwei verschiedene Richtungen auslenken koumlnnte Erst das Quadrat der Wellenfunktion macht dann eine Aussage uumlber den moumlglichen Aufenthaltsort des Elektrons als Teilchen Moumlchte man wissen mit welcher Wahrscheinlichkeit das Elektron als Teilchen innerhalb eines bestimmten Teilvolumens auftritt so muss man die Quadrate aller Ψ-Werte innerhalb dieses Teilvolumens aufaddieren (integrieren) Integriert man Ψsup2 uumlber das gesamte Volumen des Atoms (das nebenbei gesagt theoretisch unendlich groszlig ist) so resultiert der Wert eins da das Elektron zwangslaumlufig irgendwo sein muss Diese Voraussetzung stellt die Normierungsbedingung dar die jede der Wellenfunktionen des Wasserstoffatoms erfuumlllen muss Sehr schoumlne raumlumliche Abbildungen zu den Elektronenorbitalen des Wasserstoffs finden sich auf der Homepage des Instituts fuumlr Theoretische Chemie der Universitaumlt Sheffield (httpwintergroupshefacukorbitron )

17 Atome mit mehreren Elektronen

Im Falle von Mehrelektronensystemen wie Helium- Lithium- oder Beryllium- sowie allen weiteren Atomen sind die Verhaumlltnisse ungleich komplizierter Hier muumlssten in der Schroumldin-gergleichung auch die elektrostatischen Wechselwirkungen der Elektronen untereinander be-ruumlcksichtigt werden Da aber der Ort aller Elektronen (anders als der des als ruhend angenom-menen Kerns) nur uumlber Wellenfunktionen beschrieben werden kann wuumlrde die dazugehoumlrige Schroumldingergleichung schon fuumlr ein Zweielektronensystem uumlbermaumlszligig kompliziert Deshalb verwendet man folgende vereinfachende Naumlherung man fasst in Gedanken den Atomkern mit allen uumlbrigen Elektronen (also allen Elektronen bis auf das eine dessen Wellenfunktion man gerade ermitteln moumlchte) zusammen und erhaumllt so ein neues fiktives Teilchen dessen Ladung (bei neutralen Atomen) stets den Wert plus eins besitzt Der Ort dieses fiktiven Teilchens ist aufgrund der Symmetrie der Elektronenverteilung zum Kern stets identisch mit dem Ort des Kerns Damit verwandelt sich jedes Atom bei der Betrachtung eines einzelnen Elektrons in ein fiktives Wasserstoffatom und man kann alle Orbitale des Mehrelektronenatoms auf die Wasserstofforbitale zuruumlckfuumlhren Diese Naumlherungsloumlsung ist sehr praktisch hat allerdings ihre Grenzen So koumlnnen viele Gesetzmaumlszligigkeiten die fuumlr das Wasserstoffatom noch gelten nicht beibehalten werden So haumlngt bei Mehrelektronensystemen beispielsweise die Energie eines Orbitals nicht mehr nur von der Hauptquantenzahl n sondern zumindest auch von der Nebenquantenzahl l ab da hier der Einfluss der uumlbrigen Elektronen des Atoms zum Tragen kommt Mit der oben beschriebe-

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nen Naumlherung ist diese Beobachtung nicht mehr vorhersagbar da die Wechselwirkung zwi-schen den Elektronen ignoriert wird

Bei der Besetzung eines Mehrelektronensystems ist zunaumlchst einmal das Pauli-Prinzip zu beachten Dieses Gesetz wird auch Ausschlussprinzip genannt und bedeutet dass zwei Elek-tronen die sich im gleichen Raum aufhalten niemals Wellenfunktionen mit identischen Quantenzahlen belegen duumlrfen Anders gesagt alle Wellenfunktionen die von den in einem gemeinsamen Volumen (also zB in einem Atom) vorhandenen Elektronen besetzt werden muumlssen sich in wenigstens einer der vier Quantenzahlen unterscheiden In erster Konsequenz bedeutet dies dass Materie nicht von anderer Materie durchdrungen werden kann (sonst wuumlrden sich zum Beispiel notwendigerweise irgendwo zwei Elektronen mit den Quanten-zahlsaumltzen (100-12) im selben Volumen begegnen) Dies hat aber auch zur Folge dass ein Orbital mit den drei Quantenzahlen n l und m nur genau zwei Elektronen (mit s = +12 und -12) beherbergen darf

Wolfgang Pauli Friedrich Hund

Abb 7 Darstellung der Besetzungsreihenfolge bezuumlglich der Haupt- und Nebenquantenzahlen bei Mehrelektro-nensystemen Nacheinander wird dabei den von oben nach unten versetzten Pfeilen in der angegebenen Richtung gefolgt Man erhaumllt somit das Besetzungsschema 1s - 2s - 2p - 3s - 3p - 4s - 3d - 4p - 5s - hellip usw

Die Reihenfolge mit der die Haupt- und Nebenquantenzahlen besetzt werden ist durch die so genannte Aufbauregel festgelegt Diese bestimmt die Belegung der Orbitale so wie sie durch die Folge der untereinander versetzten Pfeile in Abbildung 7 dargestellt ist (s oben)

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Bezuumlglich der uumlbrigen Quantenzahlen m und s gilt es den drei Hundschen Regeln zu folgen (Anmerkung in der Literatur ist auch manchmal von vier Hundschen Regeln die Rede wobei sich dann aber die vierte aus den anderen drei ergibt) Die erste Hundsche Regel nennt man in der angelsaumlchsischen Literatur auch bildhaft die bdquobus-seat-ruleldquo Aumlhnlich wie unabhaumlngige Reisende die Zweierreihen eines Busses zunaumlchst alle jeweils einzeln belegen so versuchen auch die Elektronen zunaumlchst alle Varianten der mag-netischen Quantenzahl m einfach zu besetzen Alle diese ungepaarten Elektronen weisen dann dieselbe Spinquantenzahl (s = 12) auf So werden beispielsweise bei den p-Orbitalen immer erst alle drei Orbitale mit m = 1 0 und -1 (jeweils mit s = 12) einfach besetzt Die zweite Hundsche Regel besagt dass das Orbital mit dem groumlszligten Wert fuumlr m (unter Beachtung der ersten Hundschen Regel) immer zuerst besetzt wird Die einfache Besetzung nach der ersten Hundschen Regel beginnt also stets mit m = l danach folgt m = (l - 1) usw Die weitere Besetzung der Orbitale mit einem jeweils zweiten Elektron mit umgekehrtem Spin (s = -12) findet danach in derselben Reihenfolge statt Die dritte Hundsche Regel beschreibt lediglich das Verhalten eines Mehrelektronensystems im Magnetfeld hat aber auf die Reihenfolge der Besetzung der Orbitale keinen Einfluss und braucht daher an dieser Stelle noch nicht beruumlcksichtigt zu werden Das insgesamt resultierende Besetzungsschema wird in der Chemie haumlufig in der so genannten Kaumlstchenschreibweise dargestellt Fuumlr die Nebenquantenzahlen von 0 bis 2 besitzt es unter Beachtung der Hundschen Regeln die folgende Struktur

Abb 8 Darstellung der Besetzungsreihenfolge bezuumlglich der magnetischen Quantenzahl und der Spinquanten-zahl bei Mehrelektronensystemen Jeder aufwaumlrts gerichtete Pfeil steht fuumlr eine Elektronenfunktion mit s = +12 (paralleler Spin) jeder abwaumlrts gerichtete Pfeil fuumlr eine Elektronenfunktion mit s = -12 (antiparalleler Spin)

Betrachten wir einmal denjenigen Radius eines Atoms der bei der direkten Beruumlhrung zweier Atome relevant wird Zunaumlchst koumlnnte man annehmen dass dieser Atomradius mit steigender Zahl an Elektronen grundsaumltzlich groumlszliger werden sollte Innerhalb einer Periode ist aber uumlberraschenderweise das Gegenteil der Fall wie aus folgenden Werten hervorgeht

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Lithium (3 Elektronen) Atomradius 152 pm Beryllium (4 Elektronen) Atomradius 112 pm Bor (5 Elektronen) Atomradius 88 pm Kohlenstoff (6 Elektronen) Atomradius 77 pm Stickstoff (7 Elektronen) Atomradius 70 pm Sauerstoff (8 Elektronen) Atomradius 66 pm Fluor (9 Elektronen) Atomradius 64 pm

Die Ursache hierfuumlr liegt in der staumlrkeren Ladung des Kerns und dem daraus folgenden steileren Potentialverlauf V(r) Die wachsende Ladung des Kerns komprimiert in zuneh-mendem Maszlige die Groumlszlige des Atoms Ein Fluoratom misst trotz der dreifachen Elektronenzahl weniger als die Haumllfte eines Lithiumatoms Vergleicht man allerdings die Atome von aufeinanderfolgenden Perioden innerhalb einer Gruppe (zB in der Reihe Li ndash Na ndash K ndash hellip) so findet man in den meisten Faumlllen den zu erwartenden Groumlszligenanstieg

18 Chemische Bindungen und Molekuumlle

Mit den Loumlsungen der Schroumldingergleichung des Wasserstoffatoms mit der Einfuumlhrung der Orbitale und mit der Beruumlcksichtigung der Besetzungsregeln haben wir nun ein relativ um-fassendes Bild von den Grundbausteinen der Chemie den Atomen Damit ergibt sich nun die Frage wie zwei oder mehr Atome miteinander wechselwirken koumlnnen Zunaumlchst ist zu klaumlren was eigentlich passiert wenn zwei Atome (Atom a und Atom b) immer naumlher zusammen-ruumlcken Eigentlich sollte man annehmen dass in diesem Fall die abstoszligenden Wechselwirkun-gen dominieren da sich bei dem direkten Kontakt zwischen den Atomen zunaumlchst nur die Elektronenhuumlllen beruumlhren sollte es zu einer starken elektrostatischen Abstoszligung kommen Zunaumlchst scheint die Bildung einer chemischen Bindung physikalisch wenig plausibel Trotz-dem existieren in der Natur drei moumlgliche Loumlsungen des Problems

a) Die Ionenbindung Hierbei geht ein oder mehrere Elektronen vollstaumlndig vom Atom a zum Atom b uumlber Dadurch wird das Atom a zum positiv geladenen Kation das Atom b zum negativ geladenen Anion Die anziehende elektrostatische Kraft bewirkt eine stabile Bindung

b) Die kovalente Bindung Es bilden sich zwischen zwei Atomen a und b gemeinsame Elektronenorbitale auf denen Elektronen sozusagen unter den beiden Bindungs-partnern aufgeteilt werden

c) Die metallische Bindung Es bildet sich ein Kontinuum aus sehr groszligen gemeinsa-men Elektronenorbitalen die sich uumlber ein atomares Gitter erstrecken Eine Vielzahl von Elektronen (das so genannte Elektronengas) wird dabei unter einer Vielzahl von Atomen aufgeteilt

Im Folgenden soll vor allem die Loumlsung b also die kovalente Bindung betrachtet werden da die anderen Bindungsformen (wie spaumlter gezeigt wird) auch als Grenzfaumllle dieser Loumlsung gelten koumlnnen Das bedeutet wir betrachten nun eine Situation bei der gemeinsame Orbitale zwischen (im einfachsten Fall) zwei Atomkernen existieren Um dafuumlr die Schroumldingergleichung zu loumlsen

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ist erneut eine Vereinfachung noumltig die als Born-Oppenheimer-Naumlherung gilt Dabei nimmt man an dass der Ort der beiden Atomkerne festgelegt ist obwohl die dazwischen befind-lichen Elektronen durch Wellenfunktionen beschrieben werden Dadurch erspart man sich die Komplikation eines moumlglicherweise zeitlich variablen Kernabstands Gerechtfertigt wird diese Naumlherung dadurch dass die Atomkerne um ein Vielfaches schwerer sind als die Elektronen ihre Bewegungen daher um ein Vielfaches langsamer Mit dieser Naumlherung fuumlhren wir nun folgendes Gedankenexperiment durch wir betrachten zwei Wasserstoffatome mit unendlichem Abstand zueinander Ihre Elektronen befinden sich beide im energetischen Grundzustand besitzen aber unterschiedlichen Spin so dass ihnen die beiden Quantenzahlsaumltze (100+12) und (100-12) zukommen Damit wird dem Pauli-Prinzip Genuumlge getan so dass die beiden Atome nun zusammengeruumlckt werden duumlrfen Je naumlher die beiden Atome einander kommen umso mehr bdquofuumlhltldquo das Elektron des einen Atoms den Kern des anderen so dass die Wellenfunktionen des ungestoumlrten Wasserstoffatoms nun keine guumlltigen Loumlsungen mehr darstellen Es muumlssen also neue molekulare Wellenfunktionen gefunden werden Diese Molekuumllorbitale bildet man am einfachsten indem man Kombina-tionen aus den zuvor guumlltigen Atomorbitalen bildet Wichtig ist es handelt sich dabei nicht um eine einfache Uumlberlappung zwischen den bestehenden Atomorbitalen sondern um die rechnerische Bildung eines neuen Orbitals Im Fall des Wasserstoffatoms im Grundzustand sind zwei solcher Kombinationen moumlglich Vereinfachend kann man das eine entstehende Molekuumllorbital als normierte additive Kombination aus den beiden einzelnen s-Atomorbitalen betrachten (Abb 9 oben links) Es wird als bindendes σ-Molekuumllorbital bezeichnet besitzt eine niedrigere Energie als das s-Atomorbital und weist zwischen den beiden Atomkernen eine hohe Elektronendichte (ein hohes Ψsup2) auf Sein Gegenstuumlck wird entsprechend aus einer Art normierter subtraktiver Kombination der beiden urspruumlnglichen s-Orbitale gebildet (Abb 9 oben rechts) Es wird als antibindendes σ-Molekuumllorbital bezeichnet besitzt eine houmlhere Energie als das s-Atomorbital und weist zwischen den beiden Atomkernen eine niedrige Elektronendichte (ein kleines Ψsup2) auf An einer Stelle besitzt letztere sogar den Wert Null Die bisher vorhandenen Atomorbitale existieren nun nicht mehr

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Abb 9 Darstellung von bindenden (links oben) und antibindenden Molekuumllorbitalen (rechts oben) im Wasserstoffmolekuumll H2 Das Energiediagramm links unten veranschaulicht die Bildung eines bindenden σ-Molekuumllorbitals im Fall von Wasserstoff H2 Das Diagramm rechts unten verdeutlicht die Situation in einem fiktiven Helium-Molekuumll He2 bei dem neben dem bindenden σ-Molekuumllorbital auch das antibindende σ-Molekuumllorbital besetzt wuumlrde Zweiatomiges Helium ist demzufolge nicht stabil

Die hohe Elektronendichte des bindenden σ-Orbitals im Bereich zwischen den Kernen bewirkt dass sich anziehende elektrostatische Wechselwirkungen Kern-Elektron-Kern aus-bilden koumlnnen es haumllt also das Molekuumll zusammen (deswegen bdquobindendldquo) Da das bindende σ-Orbital die niedrigere Energie besitzt wandern die zwei Elektronen des Wasserstoffmole-kuumlls beide (mit unterschiedlichen Spins) in diese Position Damit verbunden ist ein Energie-gewinn der den gebundenen Zustand beguumlnstigt Zur Trennung des Molekuumlls muss Energie aufgebracht werden Das antibindende σ-Orbital weist am Ort zwischen den Kernen die Elektronendichte Null auf Damit dominiert hier die abstoszligende elektrostatische Wechselwirkung Kern-Kern dazu-hin ist es energetisch unguumlnstiger Bei einem fiktiven Helium-Molekuumll (Abb 9 unten rechts) muss wegen der Zahl von vier Elektronen auch dieses σ-Orbital doppelt besetzt sein Dadurch wird sowohl der Energiegewinn als auch die anziehende Wechselwirkung des bindenden σ-Orbitals kompensiert so dass dieses Molekuumll insgesamt nicht stabil ist Grundsaumltzlich sind alle urspruumlnglichen Atomorbitale nach der Bildung des Molekuumlls ver-schwunden alle insgesamt vorhandenen Elektronen werden auf die neu gebildeten Molekuumll-orbitale verteilt Ist das Niveau der Atomorbitale vor der Bildung eines gemeinsamen Mole-kuumllorbitals sehr unterschiedlich so erhaumllt man eine polare kovalente Bindung bei der der Schwerpunkt der Elektronendichte auf der Seite des urspruumlnglich energieaumlrmeren Orbitals

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liegt Im Grenzfall extremer Polaritaumlt erhaumllt man eine Ionenbindung (s oben) Sind sehr viele gleichartige Orbitale an der Bildung des Molekuumllorbitals beteiligt so koumlnnen sich groszlige Delokalisationsgebiete ausbilden Im Extremfall eines Delokalisationsgebiets das sich uumlber ein ganzes Kristallgitter erstreckt spricht man von einer metallischen Bindung (s oben) Die Molekuumllorbitaltheorie (kurz MO-Theorie) ist also in der Lage saumlmtliche Bindungsarten zu beschreiben Energiediagramme wie in Abb 9 unten werden als MO-Schemata bezeichnet Fuumlr zwei-atomige Molekuumlle moumlgen sie noch recht uumlbersichtlich aussehen bei vielatomigen Molekuumllen sind sie dagegen meistens unuumlberschaubar Mit Hilfe leistungsfaumlhiger Computer lassen sich solche Molekuumllorbitale noch rechnerisch erfassen allerdings steigt der Rechenaufwand (und damit die Rechenzeit und die Kosten) mit steigender Molekuumllgroumlszlige sehr rasch an In diesem Fall kann man auf eine vereinfachende Betrachtung ausweichen die so genannte Valence-Bond-Theorie (VB-Theorie Valenzbindungstheorie) Sie wurde in Konkurrenz zur MO-Theorie entwickelt und beinhaltet eine wesentliche zusaumltzliche Naumlherung Sie ist dadurch deutlich weniger genau allerdings auch wesentlich einfacher anwendbar und in der Praxis die beste Methode um rasch und anschaulich Molekuumllgeometrien und Reaktionsmechanismen erklaumlren zu koumlnnen Im Gegensatz zur MO-Theorie geht man bei der VB-Theorie im Grundsatz davon aus dass auch im Molekuumll noch die urspruumlnglichen Atomorbitale existieren Der VB-Theorie nach entsteht die chemische Bindung dadurch dass zwei halb besetzte Atomorbitale der beiden benachbarten Atome A und B uumlberlappen Das bdquoUumlberlappungsorbitalldquo wird dann in der Regel durch die beiden resultierenden Elektronen (eines von A und eines von B) besetzt wobei das wiederum voraussetzt dass sie einen unterschiedlichen Spin aufweisen Jedes durch solche bdquoUumlberlappungldquo gebildete Orbital entspricht einer Bindung Der Einfachheit halber nimmt man an dass die anderen Atomorbitale nicht an der Bindung teilnehmen und somit unveraumlndert bleiben Aufgrund dieser doch recht groben Naumlherung kommt es bei der VB-Betrachtung von einfa-chen Molekuumllen wie Wasser Methan oder Ammoniak sehr schnell zu Problemen Zunaumlchst einmal sind die erhaltenen Bindungswinkel unrealistisch aufgrund der Tatsache dass in allen genannten Faumlllen p-Orbitale beteiligt sind resultiert aus dem VB-Modell immer wieder ein Bindungswinkel von 90deg wohingegen die tatsaumlchlichen Bindungswinkel deutlich groumlszliger sind (Wasser 1045deg Methan 109deg) Ein noch groumlszligeres Problem stellen zB die Bindungs-verhaumlltnisse des Kohlenstoffs dar eigentlich sollte man nach der VB-Theorie fuumlr eine Ver-bindung zwischen Kohlenstoff und Wasserstoff ein bdquoCH2ldquo mit einem Bindungswinkel von 90deg erwarten wobei die zwei jeweils halbbesetzten p-Orbitale des Kohlenstoffs Bindungs-anzahl und ndashwinkel vorgeben Dieser Mangel der VB-Theorie kann weitgehend repariert werden indem man die Schritte der Promotion und der Hybridisierung einfuumlhrt Beide Vorgaumlnge sind dabei nicht als natuumlrliche Prozesse sonder eher als hypothetische Hilfskonstruktionen zu verstehen die lediglich dazu dienen die Maumlngel der VB-Theorie auszuheilen Letztlich ermoumlglichen sie es mit Hilfe von Linearkombinationen aus Atomorbitalen und deren Uumlberlappungszonen den tatsaumlchlich vor-liegenden Molekuumllorbitalen naumlherzukommen

Der erste dazu notwendige Schritt die Promotion dient dazu die fuumlr die gegebene Zahl an Bindungen notwendige Zahl an ungepaarten Elektronen zu schaffen Dazu werden dann einfach Orbitale houmlherer Energie besetzt Im Fall des vierbindigen Kohlenstoffs bedeutet das beispielsweise dass ein s-Elektron an den bereits halbbesetzten px- und py-Orbitalen vorbei auf das energiereichere pz-Orbital gehoben wird Aus der Elektronenkonfiguration

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wird somit 1s 2s 2p

Dieser hypothetische Vorgang kommt einer gewissen Energieerhoumlhung gleich die allerdings dadurch abgemildert wird dass ein nach der ersten Hundschen Regel (bdquobus seat ruleldquo) guumlnsti-gerer Zustand mit ungepaarten Spins entsteht Die vier nunmehr halbbesetzten Orbitale sind in Abbildung 10 dargestellt

Abb 10 Darstellung der vier an der sp3-Hybridisierung des Kohlenstoffs beteiligten Orbitale 2s 2px 2py und 2pz(Quelle Chemgapedia)

Anschlieszligend erfolgt nun die Hybridisierung eine Art Vermischung (oder mathematisch korrekter die Bildung von Linearkombinationen) des s- mit den drei p-Orbitalen Dadurch entstehen Orbitale in gleicher Anzahl aber mit voumlllig neuer Form Symmetrie und Orien-tierung im Raum

Abb 11 Darstellung der vier aus der sp3-Hybridisierung des Kohlenstoffs resultierenden Hybridorbitale Die Ausrichtung der sp3-Hybridorbitale folgt den vier Raumdiagonalen eines Wuumlrfels oder ndash wenn man nur die groumlszligeren Segmente der Orbitale betrachtet ndash den Ecken eines Tetraeders (Quelle Chemgapedia)

Die vier neuen wiederum jeweils halbbesetzten Orbitale zeigen vom Kern aus zu den Ecken eines Tetraeders Mit ihrer Hilfe laumlsst sich nun zwanglos die Bildung des bekannten Methan-Molekuumlls CH4 erklaumlren jedes einzelne sp3-Hybridorbital uumlberlappt mit jeweils einem s-Orbi-tal eines Wasserstoffatoms wodurch eine tetraedrische Molekuumllgeometrie mit vier voumlllig gleichberechtigten Bindungen entsteht Das Ergebnis kommt den tatsaumlchlich vorhandenen Molekuumllorbitalen die sich gemaumlszlig dem MO-Modell formulieren lassen sehr nahe Festzu-halten ist dabei dass es sich sowohl bei der Promotion als auch bei der Hybridisierung um rein fiktive Prozesse handelt die lediglich postuliert werden um den VB-Ansatz zu bdquorettenldquo Der grundsaumltzliche Mangel der darin besteht dass das VB-Modell uumlberwiegend auf Atom-orbitalen beharrt die eigentlich nicht mehr existieren bleibt bestehen Viele Molekuumllgeome-trien lassen sich in der VB-Theorie nur mit Hilfe einer passenden Hybridisierung erklaumlren Dennoch das VB-Modell ist fuumlr die meisten Anwendungen in der Chemie nach wie vor der am haumlufigsten gewaumlhlte Ansatz er ist einfach intuitiv und vielseitig einsetzbar solange man die richtige Form der Hybridisierung waumlhlt Letzteres geschieht auf der Grundlage einer bekannten Molekuumllgeometrie oder unter Beruumlcksichtigung von vorhandenen Mehrfachbindun-gen Im Idealfall aumlhneln die gebildeten Hybridorbitale dann den wirklichen Molekuumllorbitalen

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In der folgenden Tabelle sind die haumlufigsten Hybridisierungsvarianten zusammengefasst und verschiedenen Molekuumllgeometrien zugeordnet Bei gegebener Geometrie des Molekuumlls (z B die trigonal-planare Anordnung um jedes Kohlenstoffatom im Ethylen) kann man so auf die passende Hybridisierung schlieszligen (im gegebenen Fall das sp2-Hybrid)

Tabelle 1 Wichtige Hybridisierungszustaumlnde nach dem VB-Modell

Hybridisierung Promotion Koordinationszahl Geometrie Beispiele

sp uarruarr suarr puarr 2 linear Acetylen Propadien

sp2 uarruarruarr suarr puarruarr 3 trigonal-planar Ethylen Benzol

sp3 uarruarruarruarr suarr puarruarruarr 4 tetraedrisch Methan Ammoniak

sp3d uarruarruarruarruarr suarr puarruarruarr duarr 5 trigonal-bipyramidal

Phosphor-pentachlorid

sp3d2 uarruarruarruarruarruarr suarr puarruarruarr duarruarr 6 oktaedrisch Schwefel-hexafluorid

Die so entstehenden Hybridorbitale kommen in ihrer raumlumlichen Darstellung den tatsaumlchli-chen Molekuumllorbitalen teilweise recht nahe sie korrigieren somit die VB-Theorie in gewissem Sinne in Richtung der MO-Theorie Allerdings bleibt festzuhalten dass die VB-Theorie keine antibindenden Orbitale kennt diese bleiben einfach unberuumlcksichtigt Dies ist eine gravie-rende Schwaumlche der VB-Theorie die sich an vielen Stellen bemerkbar macht (zB bei der Erklaumlrung des Sauerstoff-Biradikals in der Spektroskopie und bei bestimmten Reaktions-typen)

19 Elektronegativitaumlt und Polaritaumlt

In einer chemischen Bindung zwischen verschiedenen Elementen besitzen die beteiligten Atome fuumlr gewoumlhnlich unterschiedliche Tendenzen die Bindungselektronen an sich zu ziehen Bei der Betrachtung der Energieschemata im MO-Modell aumluszligert sich dies darin dass ein bindendes Molekuumllorbital aus einer Linearkombination zweier Atomorbitale mit sehr unterschiedlicher Energie hervorgeht In diesem Fall besitzt das bindende Molekuumllorbital die Tendenz hohe Elektronendichten in der Naumlhe des Elements aufzuweisen dessen Atomorbital energetisch guumlnstiger liegt Man spricht dann von einer hohen Elektronegativitaumlt dieses Elements da es in dem gebundenen Zustand durch die erhoumlhte Elektronendichte eine partiell negative Ladung aufweist Ein klassisches Beispiel ist die Verbindung Fluorwasserstoff (HF) Hier wird ein bindendes Molekuumllorbital aus der Linearkombination zwischen dem 1s-Orbital des Wasserstoffs mit einem 2p-Orbital des Fluors gebildet Letzteres liegt aufgrund der relativ hohen Kernladung und des geringen Atomradius des Fluors energetisch wesentlich tiefer wodurch sich eine stark asymmetrische Elektronenverteilung ergibt Die Elektronegativitaumlt wird in erster Linie durch die Kernladung vor allem aber auch durch den Abstand zwischen den Valenzelektronen und dem Atomkern bestimmt Daher sind auch kleine Atome wie zum Beispiel der Stickstoff der Sauerstoff oder das Fluor auch besonders elektronegativ (s Tabelle Seite 12) Im Periodensystem der Elemente nimmt die Elektro-negativitaumlt tendenziell nach oben und nach rechts zu (Edelgase ausgenommen) Linus Pauling

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schlug vor die Elektronegativitaumlt ausgehend von der VB-Theorie als dimensionslose Kenn-groumlszlige fuumlr jedes einzelne Element einzufuumlhren Sie errechnet sich aus einem Vergleich der Dissoziationsenergien der beteiligten Elemente Demnach besitzt Francium als das am wenigsten elektronegative Element den Wert 070 und Fluor als das am staumlrksten elektro-negative Element den Wert 398 Eine Zwischenstellung nimmt zB Wasserstoff mit 220 ein Bei Bindungen zwischen Elementen mit unterschiedlicher Elektronegativitaumlt spricht man von polaren Bindungen Entlang einer polaren Bindung baut sich durch die ungleiche Elektronen-verteilung ein entsprechendes Dipolmoment auf das haumlufig Anlass fuumlr starke zwischen-molekulare Kraumlfte liefert (s Kapitel 3) Im Extremfall einer sehr polaren kovalenten Bindung kann das Bindungselektron (bzw die Bindungselektronen) praktisch allein dem elektronega-tiveren Element zugesprochen werden Das entsprechende Bindungsorbital besteht dann als Linearkombination von Atomorbitalen fast ausschlieszliglich aus einem Atomorbital welches das elektronegativere Element beisteuert In diesem Fall spricht man nach klassischer Definition von einer Ionenbindung

2 Die Elektronenspektroskopie an Atomen und Molekuumllen 21 Grundlagen der Spektroskopie

Elektronen in Atomen und Molekuumllen koumlnnen ndash soweit die Erkenntnis aus Kapitel 1 ndash durch Wellenfunktionen beschrieben werden Aus diesen kann man nicht nur die Aufenthaltswahr-scheinlichkeit an verschiedenen Positionen im Raum sondern auch die Energie des Elektrons ableiten Eine Folge der Beschraumlnkung der Elektronen auf bestimmte Wellenfunktionen mit jeweils bestimmter Energie ist dass sie auch nur in bestimmten Schritten Energie aufnehmen und abgeben koumlnnen Jede Aufnahme bzw Abgabe von Energie entlang dieses Schrittes ist generell mit der Aufnahme bzw Abgabe von elektromagnetischer Strahlung verbunden Diese Tatsache bildet die Grundlage der Spektroskopie im gegebenen Fall der Elektronenspektros-kopie

Allgemein gesprochen befasst sich die Spektroskopie mit der Wechselwirkung zwischen Strahlung und Materie Etwas genauer laumlsst sich aussagen dass die Spektroskopie unter-sucht mit welcher elektromagnetischen Strahlung sich welcher energetische Uumlbergang anre-gen laumlsst Zwischen der elektromagnetischen Strahlung und dem dabei bewirkten energeti-schen Uumlbergang gilt dann grundsaumltzlich folgende Beziehung Δ E = h ∙ ν mit ΔE als der Energiedifferenz zwischen den beiden Zustaumlnden (in Joule) ν (gesprochen bdquonuumlldquo) als Frequenz der verwendeten elektromagnetischen Strahlung (in 1s oder Hertz Hz) und h als dem so genannten Planckschen Wirkungsquantum (mit h = 6626∙10-34 Js) Somit ist jeder Frequenz ν im elektromagnetischen Spektrum (Abb 12) genau ein Energiewert Δ E zugeordnet Die dazugehoumlrige Wellenlaumlnge im Vakuum (in m) errechnet sich nach λ = c ν mit c als Lichtgeschwindigkeit (im Vakuum c = 299 792 458 ms)

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Abb 12 Elektromagnetisches Spektrum (Quelle Chemgapedia)

Fuumlr die genaue Messung welche Frequenz der elektromagnetischen Strahlung einem gegebe-nen Uumlbergang anzuregen vermag gibt es experimentell zwei verschiedene Ansaumltze Entweder man strahlt Energie auf das System ein und beobachtet den Verlust an Strahlungsintensitaumlt der dann beobachtet wird wenn die Strahlung einen Uumlbergang zu einem houmlheren Energieni-veau bewirkt (Absorption) oder man fuumlhrt dem System Energie zu (zum Beispiel thermisch) und beobachtet dann die Freisetzung von Energie als Strahlung (Emission) Im einen Fall erfuumlllt die Frequenz der absorbierten Strahlung im anderen Fall die der emittierten Strahlung die Frequenzbedingung ΔE = h ∙ ν Mit beiden Methoden kann man so exakt den Energie-unterschied zwischen zwei Energieniveaus ausmessen Die Bestimmung der Werte fuumlr die charakteristischen Energieschritte ΔE eines Systems ist die Hauptaufgabe der Spektroskopie Sie eignet sich insbesondere um elektronische Wellenfunktionen eines Systems zu erkunden

22 Elektronenspektroskopie am eindimensionalen Potentialtopf

Das denkbar einfachste elektronische System ist der eindimensionale Potentialtopf Dennoch kann auch dieses Modell schon in grober Naumlherung auf Molekuumlle angewandt werden speziell auf solche mit annaumlhernd linearen Delokalisationssystemen (s Kapitel 14) Ein Beispiel ist die Reihe Butadien Hexatrien Oktatetraen usw Bildet man mit Hilfe der Loumlsungen der Schroumldingergleichung fuumlr das eindimensionale Potentialtopfmodell einen Ausdruck fuumlr den elektronischen Uumlbergang zwischen dem houmlchsten besetzten Orbital (HOO) und dem niedrig-sten unbesetzten Orbital (LUO) so erhaumllt man fuumlr die damit verbundene Energiedifferenz gemaumlszlig der in Abbildung 5 gezeigten Formel

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ΔE = h ∙ ν = (nsup2LUO-nsup2HOO) ∙ hsup2 (8 me asup2)

Mit wachsender Laumlnge a und wachsender Elektronenzahl (jedes Kohlenstoffatom im Delokali-sationsgebiet traumlgt ein Elektron bei) steigen einerseits die Werte der Quantenzahlen n fuumlr das houmlchste besetzte Orbital (HOO) und das niedrigste unbesetzte Orbital (LUO) an andererseits steigt aber auch die Laumlnge L die quadratisch im Nenner der Gleichung steht Da letzteres insgesamt uumlberwiegt sinkt der Wert fuumlr ΔE und damit fuumlr die Frequenz ν schrittweise mit Anstieg der Kettenlaumlnge Liegt die absorbierte Lichtfrequenz anfaumlnglich im UV-Bereich so verschiebt sie sich beispielsweise fuumlr das Carotin mit 11 Doppelbindungen schon in den sichtbaren blauen Bereich Weil daher Carotin blaues Licht absorbiert erscheint es im Durchlicht betrachtet in der Komplementaumlrfarbe orange-gelb Nach diesem Prinzip lassen sich viele organische Farbstoffe interpretieren Aumlndert sich die Laumlnge bzw die Elektronenzahl (und damit nsup2LUO und nsup2HOO) durch die Protonierung des Molekuumlls so hat man es mit einem Farbstoff zu tun der mit dem pH-Wert seine Farbe aumlndert ndash dies ist die Grundlage vieler pH-Indikatoren

23 Elektronenspektroskopie am Wasserstoffatom

Die wissenschaftliche Spektralanalyse wurde in der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts gemeinsam durch GR Kirchhoff und RW Bunsen entwickelt Sie entdeckten dass alle Elemente beim Erhitzen Licht aussenden Nach Zerlegung des Lichts mit einem Glasprisma erhaumllt man ein fuumlr jedes Element charakteristisches Linienmuster das so genannte Spektrum (s auch UTube-Video bdquospectral lines demoldquo httpwwwyoutubecomwatchv=2ZlhRChr_Bw) Dieses Spektrum reflektiert die Gesamtheit der dem gegebenen Element eigenen elektronischen Uumlbergaumlnge und ist damit ein unverwechselbarer Fingerabdruck Elemente koumlnnen damit sowohl in der Emissionsspektroskopie als auch in der Absorptionsspektroskopie eindeutig und mit hoher Empfindlichkeit identifiziert werden

Die Elektronenspektroskopie kann jedoch noch deutlich mehr sie erlaubt die exakte Uumlber-pruumlfung der durch die Loumlsung der Schroumldingergleichung gefundenen elektronischen Wellen-funktionen Dies wurde zunaumlchst am Wasserstoffatom mit hoher Praumlzision betrieben Histo-risch gesehen ist die erste wichtige Lichtquelle fuumlr spektroskopische Analysen unsere Sonne Dies gilt insbesondere fuumlr das Spektrum des Wasserstoffs Da die Energie der elektronischen Zustaumlnde dort einzig und allein von der Hauptquantenzahl n abhaumlngt (s Kapitel 15) werden lediglich solche Spektrallinien beobachtet die sich genau einem gegebenen ΔE = E(n) - E(nlsquo) zuordnen lassen Zuerst wurde mit der Balmer-Serie der sichtbare Anteil des Spektrums ent-deckt der mit allen Uumlbergaumlngen von oder zu dem Niveau n = 2 verbunden ist (Abb 13) Es folgten spaumlter im UV-Bereich die Lyman-Serie mit n = 1 und im IR-Bereich die Paschen-Serie mit n = 3 die Brackett-Serie mit n = 4 sowie die Pfundt- und die Humphreys-Serie mit n = 5 und n = 6 (letztere sind in Abb 13 nicht mehr eingezeichnet) Weitere Serien mit houmlheren Quantenzahlen existieren tragen aber keine eigenen Namen mehr

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Wel

lenz

ahl

[100

0 cm

-1]

0

10

20

30

40

50

60

70

80

90

100

110Grundzustand

Lyman-serie

Balmer-serie

Paschen-serie

Brackett-serie

n = 5n = 4

n = 3

n = 2

n = 1

Gustav Robert Kirchhoff

Robert Wilhelm Bunsen

Abb 13 Wichtige elektronische Uumlbergaumlnge im Wasserstoffatom

Abbildung 14 zeigt das gesamte Wasserstoffspektrum die Kuumlrzel benennen die entsprechen-den Serien (Ly = Lyman Ba = Balmer etc)

Abb 14 Spektrum des Wasserstoffatoms Die Achse fuumlr die Wellenlaumlnge ist logarithmisch aufgetragen

Eine genaue Analyse ergibt dass sich das Schema der Energiedifferenzen nach Abb 13 fast genau mit den in Kapitel 15 besprochenen Loumlsungen der Schroumldingergleichung deckt Die aumluszligerst kleinen Abweichungen die man dennoch detektieren konnte lieszligen sich auf den Bei-trag des Kerns (trotz seiner hohen Masse kann er sich minimal mit dem Elektron mitbewegen) und des Isotopeneffekts zuruumlckfuumlhren der schwerere Deuteriumkern der aus einem Proton und einem Neutron besteht bewegt sich weniger leicht mit dem Elektron mit als das einsame Proton des bdquonormalenldquo Wasserstoffs Daneben zeigen sich bei sehr hoher Aufloumlsung des Spektrums auch relativistische Effekte die zu weiteren Aufspaltungen fuumlhren

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24 Elektronenspektroskopie an Atomen mit mehreren Elektronen

Aufgrund der Wechselwirkungen zwischen den Elektronen ist bei schwereren Elementen die beim Wasserstoff gegebene Entartung bezuumlglich der Quantenzahlen l und m aufgehoben Damit wird das Energiediagramm bereits fuumlr ein einfaches houmlheres Atom wie zum Beispiel Lithium schon deutlich komplizierter (Abb 15) Neben den Uumlbergaumlngen zwischen verschiede-nen Werten fuumlr n treten nun auch Uumlbergaumlnge zwischen s und p p und d d und f auf Manche Uumlbergaumlnge (zum Beispiel solche zwischen s- und d-Niveaus) werden allerdings gewoumlhnlich nicht beobachtet man nennt sie bdquoverbotenldquo bdquoErlaubtldquo sind nur solche Uumlbergaumlnge bei denen die Nebenquantenzahl sich um den Wert plusmn1 aumlndert (also eben von s nach p von p nach d usw) Die so genannte Auswahlregel welche die erlaubten Uumlbergaumlnge festlegt heiszligt folglich Δl = plusmn1

Als weitere Folge der Wechselwirkungen zwischen den Elektronen besitzt jedes houmlhere Atom ein eigenes und von Wasserstoff verschiedenes Energiediagramm Damit besitzt aber auch jedes Atom ein unverwechselbares Muster von Energieuumlbergaumlngen die es eindeutig kenn-zeichnet Dies laumlsst sich bereits in einfachen Versuchen anhand von Flammenfaumlrbungen zeigen Diejenigen Uumlbergaumlnge deren ΔE den Wellenlaumlngen im sichtbaren Spektrum entspricht (in Abb 15 sind dies die kuumlrzeren unter den eingezeichneten blauen Pfeilen) sorgen bei vielen Elementen fuumlr ein charakteristisches farbiges Leuchten (Abb 15 rechts)

Ener

gie

Wasserstoff Lithium

n = 1

2

3

45

1s

2s

2p

3s

4s

5s

3p

4p5p

3d

4d5d

Abb 15 Termschema von Lithium mit wichtigen elektronischen Uumlbergaumlngen (links) Durch Lithium verursachte Flammenfaumlrbung (rechts Quelle httpwwwitpuni-hannoverde~zawischaITPatomshtml)

Letztlich ist auch bei allen houmlheren Atomen die Elektronenspektroskopie eine ideale Methode um das Energieniveauschema experimentell zugaumlnglich zu machen Sie eignet sich daruumlber hinaus perfekt zur schnellen und empfindlichen Identifikation von Elementen Diese Tatsache

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macht man sich sowohl in der Atomabsorptionsspektroskopie (AAS) als auch in der Atom-emissionsspektroskopie (AES) zunutze Elektronenspektren sind unverwechselbare Finger-abdruumlcke mit denen alle Elemente in hoher Empfindlichkeit und selbst uumlber groszlige Distanzen hinweg sicher identifiziert werden koumlnnen

25 Elektronenspektroskopie an Molekuumllen

Genau wie die Atomorbitale sind auch Molekuumllorbitale der Elektronenspektroskopie zugaumlng-lich Durch die systematische Analyse aller elektronischen Uumlbergaumlnge lassen sich die Energie-niveaus in einem MO-Schema schrittweise ausmessen Besonders interessant wird dieser Ansatz bei der Untersuchung der Bindungsverhaumlltnisse Im Allgemeinen beobachtet man Uumlbergaumlnge zwischen bindenden und nicht bindenden Orbitalen einerseits und den uumlblicherweise unbesetzten antibindenden Orbitalen andererseits In Abb 16 ist dies am Beispiel einer C-O-Bindung in Formaldehyd gezeigt Im Mittelpunkt stehen dabei das binden-de und das antibindende σ-Orbital C-O das bindende und das antibindende π-Orbital C-O sowie das nicht bindende freie Elektronenpaar des Sauerstoffs (ein weiteres freies Elektronen-paar bleibt unbeteiligt)

Ener

gie

σ CO

σ CO

π CO

π CO

n O

C

H

H

O

σ-σ

Uumlbe

rgan

g

π-π

Uumlbe

rgan

gn-π Uumlber-gang

σ

Abb 16 Termschema der CO-Gruppe in Formaldehyd (links) Die beteiligten Bindungen und das im betrachteten Energiefenster liegende freie Elektronenpaar des Sauerstoffs sind rechts skizziert

Die drei wichtigsten Uumlbergaumlnge die an der C-O-Gruppe detektiert werden sind der σ-σ-Uumlbergang der π-π-Uumlbergang und der n-π-Uumlbergang Letzterer ist in einer C-O-Gruppe stets am energieaumlrmsten und kann bereits mit UV-Licht einer Wellenlaumlnge um 280 nm angeregt werden (schwarzer Pfeil in Abb 16) Energiereicher und intensiver ist bei der CO-Gruppe der π-π-Uumlbergang der bei Wellenlaumlngen um 170 nm angeregt wird (roter Pfeil in Abb 16) Daruumlber hinaus zeigt das Spektrum dass die beiden freien Elektronenpaare des Sauerstoffs stark unterschiedlichen Charakter besitzen (nur eines ist an dem n-π-Uumlbergang beteiligt das andere tritt im gegebenen Spektralbereich nicht in Erscheinung)

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Auf aumlhnliche Weise lassen sich alle MO-Schemata komplizierter Molekuumlle analysieren Lie-gen die Anregungsfrequenzen der Uumlbergaumlnge im sichtbaren Bereich so haben die Molekuumlle die Funktion von Farbstoffen Haumlufig besitzen sie dann laumlngere lineare Delokalisationsgebiete deren Elektronenspektren man dann auch in grober Naumlherung mit dem eindimensionalen Potentialtopfmodell beschreiben kann (s Kapitel 22) Werden Bindungselektronen angeregt und aumlndern sich im Verlauf der elektronischen Anre-gung die Bindungsverhaumlltnisse (beispielsweise bei Besetzung eines antibindenden Zustands) so ist mit der elektronischen Anregung zwangslaumlufig auch eine Aumlnderung des energetisch guumlnstigsten Bindungsabstands verbunden Damit einhergehend werden mechanische Schwin-gungen des Molekuumlls angeregt Mit den Molekuumllschwingungen verhaumllt es sich analog zu den elektronischen Zustaumlnden auch Molekuumllschwingungen existieren nur in bestimmten definierten Zustaumlnden die sich dann den elektronischen Zustaumlnden uumlberlagern (Abb 17) Die Folge davon ist dass die Elektronenspektren von Molekuumllen haumlufig keine scharfen Linien sondern breite Absorptionsbereiche (bdquoBandenldquo) aufweisen Alle Linien fuumlr die elektronischen Uumlbergaumlnge zerlegen sich demnach in eine Vielzahl von Einzellinien die verschiedene Schwingungszustaumlnde der benachbarten elektronischen Zustaumlnde miteinander verbinden (in Abb 17 sind exemplarisch neun verschiedene moumlgliche Uumlbergaumlnge eingezeichnet) Normaler-weise liegen alle diese Linien dicht beieinander so dass insgesamt eine verbreiterte Absorp-tionsbande entsteht

Ener

gie

elektronische Niveaus

Schwingungsniveaus

Abb 17 Zum Zustandekommen von breiten Absorptionsbanden in Elektronen-Schwingungsspektren Uumlberlagerung von elektronischen Uumlbergaumlngen mit Schwingungsuumlbergaumlngen Exemplarisch sind jeweils drei Schwingungsniveaus eingezeichnet

Das Elektronenspektrum eines Molekuumlls wird wegen der dazu verwendeten Frequenzbereiche im UV- und im sichtbaren (bdquovisibleldquo) Spektrum auch UV-vis-Spektroskopie genannt Die UV-vis-Spektroskopie dient neben der Aufklaumlrung der MO-Struktur auch der schnellen und bequemen Identifikation von chemischen Verbindungen Aufgrund ihrer im Absorptionsver-fahren sehr einfachen und preisguumlnstigen Messtechnik wird sie auch haumlufig in Kombination mit anderen analytischen Verfahren (zB der Chromatographie) verwendet Uumlber eine Bestim-mung der Intensitaumlt der Anregung kann auch eine quantitative Analyse einzelner Verbindun-gen erfolgen

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3 Das Zusammenwirken von Atomen und Molekuumllen 31 Der makroskopische Zustand von Materie Bisher sind nur einzelne Bausteine der Materie also Atome und Molekuumlle betrachtet worden Nun soll das makroskopische Erscheinungsbild von Materie ins Auge gefasst werden die aus einer Vielzahl von Atomen oder Molekuumllen besteht Um den Zustand dieser aus vielen Teilchen zusammengesetzten Materie uumlberhaupt als Gesamtheit zu beschreiben benoumltigt man zunaumlchst so genannte Zustandsparameter oder Zustandsgroumlszligen Die wichtigsten Vertreter dieser Kenngroumlszligen fuumlr makroskopische Materie sind die Stoffmenge n das Volumen V der Druck P und die Temperatur T

n Stoffmenge Die Stoffmenge wird uumlber die Teilchenzahl definiert

Einheit der Teilchenzahl 1 Mol

Definition Ein Mol eines Stoffes enthaumllt dieselbe Anzahl an Teilchen wie 0012 kg reiner Kohlenstoff des Isotops 12C (1 Mol 60221023

Teilchen) Dabei muss eindeutig festgelegt sein was unter einem Teilchen des Stoffes jeweils zu verstehen ist Ist die Stoffmenge konstant so spricht man von einem geschlossenen System

V Volumen Die Definition des Volumens erfolgt uumlber die festgelegte Laumlngeneinheit und den geometrischen Volumenbegriff

Einheit des Volumens 1 msup3

Definition Ein msup3 ist das Volumen eines wuumlrfelfoumlrmigen Raums mit einer Kantenlaumlnge von einem Meter Ist das Volumen konstant so spricht man von einem isochoren Vorgang

P Druck Die Definition erfolgt uumlber die Kraft die ein Stoff auf jede Flaumlcheneinheit eines ihn einschlieszligenden Behaumllters ausuumlbt

Einheit des Drucks 1 Pascal = 1 Pa = 1 Nmsup2 = 10-5 bar

Definition Ein Pascal ist der Druck bei dem auf jeden Quadratmeter der Behaumllterwaumlnde eine Kraft von 1 Newton ausgeuumlbt wird Ist der Druck konstant so spricht man von einem isobaren Vorgang

T Temperatur

Der sicherlich am schwierigsten fassbare Zustandsparameter makroskopischer Materie ist die Temperatur Zwar ist sie direkt mit der menschlichen Wahrnehmung verknuumlpft (kalt warm heiszlighellip) physikalisch jedoch zunaumlchst sehr undefiniert da sie nicht ohne weiteres auf andere physikalische Groumlszligen zuruumlckfuumlhrbar ist Am ehesten laumlsst sie sich im ersten Ansatz als diejenige Eigenschaft von Materie beschreiben die von einem Thermometer gemessen wird

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Zur Verwendung als Thermometer eignet sich prinzipiell jeder physikalische oder chemische Vorgang der reproduzierbar mit einer Temperaturaumlnderung verknuumlpft ist Klassisch sind dies insbesondere die Ausdehnungsvorgaumlnge von Gasen Fluumlssigkeiten und Festkoumlrpern (Abb 18)

Hg

Festkoumlrperthermometer werden gewoumlhnlich nach demPrinzip des Bimetall-Thermometers ausgelegt (ganzlinks) Dabei werden zwei verschiedene Festkoumlrper(zB zwei Bleche aus verschiedenen Metallen) flaumlchigmiteinander in Kontakt gebracht Bedingt durch dieunterschiedliche thermische Ausdehnung derMaterialien kruumlmmt sich das Bimetall-Blech abhaumlngigvon der Temperatur mehr oder weniger stark zu einerSpirale

Fluumlssigkeitsthermometer (Mitte) und Gasthermometer(rechts) nutzen die Volumenaumlnderung eines fluidenMediums mit der Temperatur Die Genauigkeit kannerhoumlht werden indem einem groszligvolumigen Vorrats-behaumllter ein relativ kleinvolumiger Ausdehnungs- undAblesebereich gegenuumlbergestellt wird

Abb 18 Thermometer die auf der Grundlage der temperaturbedingten Ausdehnung von Materie beruhen

In der Praxis kommen mehr und mehr die elektronischen Varianten der Temperaturmessung zum Zug die zumeist auf der Messung der Thermospannung basieren Neben der Messmetho-de ist die Festlegung einer Temperaturskala wichtig Dazu dienten zunaumlchst einige Fixpunkte die heute teilweise noch historische Bedeutung haben

1) Die tiefste Temperatur des Winters 17081709 in Danzig - 178 degC

2) Die Temperatur von schmelzendem Eis bei 760 Torr (760 Torr = 1 atm = 101 325 Pa) 0 degC

3) Koexistenztemperatur von Eis Wasser und Wasserdampf 001 degC (exakt)

4) Die durchschnittliche Koumlrpertemperatur eines gesunden Menschen 378 degC

5) Die Siedetemperatur des Wassers bei 760 Torr (1 atm = 101 325 Pa) 100 degC

Die Punkte 1 und 4 bildeten die Grundlage des Fahrenheit-Systems die Punkte 2 und 5 die der Celsius-Skala Bei beiden Systemen wurde der definierte Bereich zunaumlchst in 100 gleiche Teile (Grade) aufgeteilt dann extrapoliert Beide Definitionen wurden spaumlter verfeinert (Celsius 9999 Grade C zwischen den Fixpunkten 3 und 5 Fahrenheit 180 Grade F zwischen den Fixpunkten 1 und 5) Trotzdem mangelt es auszliger Punkt 3 allen genannten Fixpunkten an Genauigkeit und Reproduzierbarkeit

Das zweite Problem nach der Unvollkommenheit der Fixpunkte besteht in der Festlegung einer systemunabhaumlngigen linearen Teilung Gewoumlhnlich ist der Verlauf der Skala vom gewaumlhlten Medium abhaumlngig Eine lineare Teilung auf der Skala eines Quecksilber-thermometers entspricht daher nicht einer linearen Teilung auf der Skala eines Alkoholthermometers da die Ausdehnung bei jedem Medium in unterschiedlicher Weise von der Temperatur abhaumlngt

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Beide Probleme sowohl die Wahl der passenden Fixpunkte als auch die Definition einer sinnvollen linearen Teilung werden heute durch die Festlegung der so genannten absoluten Temperaturskala geloumlst Grundlage hierfuumlr sind uumlbereinstimmende Beobachtungen an Gasthermometern

-300 -200 -100 0 100 200

V

T

-27315degCBei wiederholten Messungen mit verschiedenenGasthermometern verschiedenen Gasen undGasvolumina und bei verschiedenen Drucken stelltman fest dass sich die Verlaumlngerungen aller in denjeweiligen Diagrammen erhaltenen Linien in einemPunkt schneiden Dieser Punkt entspricht auf derVolumenachse dem Wert V = 0 und auf derTemperaturachse dem Wert T = -27315 degC

Abb 19 Ausdehnungskurven verschiedener Gase Die Temperaturskala ist zunaumlchst noch in Celsius aufgetragen

Aus dieser Beobachtung wurde geschlossen dass der Temperatur am gemeinsamen Schnitt-punkt aller Ausdehnungskurven eine besondere physikalische Bedeutung zukommt und sie sich daher als Fixpunkt einer neuen Temperaturskala eignet Weiterhin wurde festgestellt dass zwar alle Gase in ihrem Ausdehnungsverhalten von dem linearen Verlauf abweichen dass aber unter bestimmten Umstaumlnden (zB niedriger Druck) ein gemeinsamer Verlauf angestrebt wird den man auch als idealen Verlauf bezeichnen koumlnnte Am besten funktioniert das bei Helium unter schrittweise absinkenden Drucken dessen Verhalten sich fuumlr P rarr 0 zum idealen Verhalten extrapolieren laumlsst Diese Erkenntnis diente zur Definition einer absoluten Temperaturskala in Kelvin

1) Unterer Fixpunkt Schnittpunkt der Volumenexpansionskurven bdquoidealerldquo Gase (zB Helium fuumlr den Grenzfall Prarr0) 0 Kelvin

2) Oberer Fixpunkt Koexistenztemperatur von Eis Wasser und Wasserdampf 27316 Kelvin

3) Das Volumen eines bdquoidealenldquo Gases (zB Helium fuumlr den Grenzfall Prarr0) ist bei konstantem Druck proportional zur Temperatur und definiert die lineare Teilung der Temperaturskala

Gemaumlszlig dieser Definition ist jede beliebige Temperatur unter Nutzung eines bdquoidealenldquo Gasther-mometers auf der absoluten Kelvin-Skala eindeutig festgelegt Die Verwendung der Kelvin-Skala ist gegenuumlber der Nutzung klassischer Temperatursysteme bei der Beschreibung physi-kalischer Vorgaumlnge eindeutig von Vorteil Vorgaumlnge bei denen die Temperatur konstant ist nennt man isotherm Mit der Definition der wichtigsten Zustandsparameter Teilchenzahl n Volumen V Druck P und Temperatur T besteht nun die Moumlglichkeit das Verhalten makroskopischer Materie zu beschreiben Am einfachsten gelingt das im Fall von Gasen

32 Zustandsgleichung fuumlr Gase die ideale Gasgleichung

Gleichungen welche die Zustandsparameter wie n V T und P miteinander verknuumlpfen nennt man Zustandsgleichungen Sie beschreiben das Verhalten einer aus vielen einzelnen Teilchen bestehenden Materie hinsichtlich ihrer makroskopisch messbaren Groumlszligen Am

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einfachsten sind solche Zustandsgleichungen fuumlr Gase aufzustellen Untersucht man bei Gasen systematisch den Zusammenhang zwischen n V P und T so stellt man fest dass fuumlr alle Gase in mehr oder weniger guter Naumlherung folgende einfache Gleichung erfuumlllt isthellip

P ∙ V = n ∙ R ∙ T

hellipwobei R fuumlr die so genannte ideale Gaskonstante steht (R asymp 8314 J K-1 Mol-1) Diese Glei-chung auch bdquoideale Gasgleichungldquo genannt ist ein so genanntes Grenzgesetz kein real exis-tierendes Gas erfuumlllt es genau aber alle Gase kommen ihm recht nahe insbesondere bei hohen Temperaturen und niedrigen Druumlcken Eine Gleichung dieser Form nennt man auch Zustands-gleichung da sie Zustandsparameter miteinander verbindet Grafisch laumlsst sich diese Verknuumlp-fung in einem einfachen Diagramm darstellen bei dem jede Kombination von T und V genau einem Wert fuumlr P zugeordnet ist (Abb 20)

P

V

T

Abb 20 Auftragung von P gegen T und V nach der idealen Gasgleichung

Wir wissen nun dass die Gase aus einer Vielzahl von Teilchen (Atomen oder Molekuumllen) bestehen Wie laumlsst sich das durch die ideale Gasgleichung beschriebene Verhalten nun mit dieser Tatsache in Einklang bringen Was bedeuten eigentlich die Parameter Druck und Tem-peratur fuumlr ein Gas das sich aus vielen einzelnen Atomen und Molekuumllen zusammensetzt Um makroskopische Zustandsparameter uumlberhaupt mit der Teilchenwelt verknuumlpfen zu koumlnnen benoumltigen wir eine Modellvorstellung fuumlr das mechanische Zusammenwirken der Teilchen im Fall von Gasen das so genannte kinetische Gasmodell

33 Das kinetische Gasmodell

Bei den im vorhergehenden Kapitel aufgefuumlhrten Gasgesetzen handelt es sich um mathemati-sche Beschreibungen von makroskopisch beobachtbaren Vorgaumlngen Zur Interpretation der Gasgesetze auf molekularer Ebene wurden verschiedene Modelle vorgeschlagen Das erfolg-reichste unter ihnen war das sogenannte kinetische Gasmodell Es beruht auf der Vorstellung dass ein Gas aus einer Vielzahl von Teilchen besteht die folgende Bedingungen erfuumlllen

1) Sie besitzen eine Atom- oder Molmasse M einen endlichen Durchmesser d und befinden sich in staumlndiger und ungeregelter Bewegung

2) Die Groumlszlige der Teilchen ist im Verhaumlltnis zum freien Volumen vernachlaumlssig-bar

3) Zwischen den Teilchen finden elastische Stoumlszlige statt Ansonsten existieren keine weiteren Wechselwirkungen unter den Teilchen

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Nach der kinetischen Gastheorie besteht der Druck eines Gases aus der Summe aller Kraumlfte (pro Flaumlcheneinheit) die durch auf eine Flaumlche aufprallende Gasteilchen (bzw durch deren Impulsaumlnderung) ausgeuumlbt werden (Abb 21)

Vx t

Abb 21 Links schematische Darstellung der Impulsaumlnderung bei dem Auftreffen eines Gasteilchens auf der Gefaumlszligwand Viele solche Stoumlszlige fuumlhren in der Summe zum Entstehen einer messbaren dem Gasdruck zugeordneten Kraft Rechts Die Geschwindigkeitskomponente vx der Teilchen bestimmt nicht nur die Groumlszlige der Impulsaumlnderung sondern auch die Zahl der Teilchen die pro Zeiteinheit auf die Wand stoszligen Daher geht die Geschwindigkeit der Teilchen bei der Berechnung des Drucks insgesamt quadratisch ein

Dabei wird zunaumlchst davon ausgegangen dass alle Teilchen die gleiche Geschwindigkeits-komponente vx aufweisen Diese Geschwindigkeitskomponente bestimmt zum einen die Heftigkeit der Stoumlszlige zum anderen wie viele Gasteilchen pro Zeiteinheit auf die Wand prallen Insgesamt haumlngt der Druck damit vom Quadrat der Geschwindigkeitskomponente vxab Fuumlhrt man nun ein mittleres Geschwindigkeitsquadrat csup2 ein (mit vxsup2 = 13 csup2) so erhaumllt man fuumlr den an dem beweglichen Kolben spuumlrbaren Druck die Gleichung

P = 13 M csup2 (nV) oder in der Schreibweise der idealen Gasgleichung P V = 13 n M csup2 Der Druck ist nach dem kinetischen Gasmodell also die Folge einer Vielzahl von Stoumlszligen welche die Teilchen gegen die Behaumllterwaumlnde ausfuumlhren Er ist folglich proportional zur Mas-se der Teilchen (je schwerer die Teilchen desto heftiger die Stoumlszlige) zum mittleren Geschwin-digkeitsquadrat (die Geschwindigkeit der Teilchen bestimmt zum einen die Haumlufigkeit zum anderen die Heftigkeit der Stoumlszlige) und zur Zahl der Teilchen pro Volumeneinheit (womit wie nach der idealen Gasgleichung zu erwarten P umgekehrt proportional zu V ist) Die Bedeutung der Temperatur im kinetischen Gasmodell ist dagegen zunaumlchst unklar Mit der idealen Gasgleichung P V = n R T ergibt sich aber durch Koeffizientenvergleich n R T = 13 n M csup2 oder R T = 13 M csup2 Man kann unter Nutzung beider Gasmodelle so zu einem neuen teilchenbezogenen Verstaumlnd-nis des Phaumlnomens Temperatur kommen Die Temperatur eines Gases ist demnach direkt proportional zum mittleren Geschwindigkeitsquadrat der Gasteilchen oder in anderen Worten zu deren kinetischer Energie 12 M csup2 Dies ist fuumlr das Verstaumlndnis des Phaumlnomens Temperatur von groszliger Bedeutung Man kann die Temperatur eines Gases also messen indem man (bei bekannter Masse der Teilchen) die Geschwindigkeit der Gasteilchen bestimmt Die Wurzel aus dem mittleren Geschwindigkeits-quadrat also die Groumlszlige c liegt uumlblicherweise in der Groumlszligenordnung der Schallgeschwindig-keit (zum Beispiel fuumlr Stickstoff bei Raumtemperatur c = 516 ms) und steht zu ihr in einer

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festen Beziehung Tatsaumlchlich laumlsst sich die Temperatur auch uumlber eine Messung der Schall-geschwindigkeit ermitteln Nachdem das mittlere Geschwindigkeitsquadrat der Teilchen bekannt ist stellt sich die Frage nach der Geschwindigkeitsverteilung der Teilchen Die Bewegungsenergie der Teilchen ist wie alle anderen Energieformen (zB elektronische Energie Schwingungsenergie) gequantelt Das bedeutet dass sich die Teilchen auf (hier dicht gestaffelte) Energieniveaus verteilen muumlssen Sie tun das nach einem statistischen Grundprinzip das Boltzmann-Verteilung genannt wird Demnach ist die Besetzung pi eines Energieniveaus i (egal welcher Art die Energie Ei ist) stets proportional zum so genannten Boltzmannfaktor des Zustand i Es gilt

pi ~ exp[-Ei(kBT)]

Die darin enthaltene Boltzmannkonstante kB ist nichts anderes als die allgemeine Gas-konstante R (siehe unter 32) dividiert durch die Zahl NL der Teilchen in einem Mol Substanz (kB = RNL) Das bedeutet die Besetzung eines Zustands ist umso wahrscheinlicher je niedriger dessen Energie ist Steigende Temperatur T hingegen erhoumlht die Wahrscheinlichkeit energiereicher Zustaumlnde Diese Gesetzmaumlszligigkeit gilt fuumlr die Besetzung aller auf atomarer oder molekularer Ebene gegebener Zustaumlnde in einem makroskopischen System Angewandt auf die Bewegungsenergie von Gasteilchen in einer einzelnen Raumrichtung x bedeutet das dass Teilchen mit hoher Geschwindigkeit vx weniger wahrscheinlich sind als solche mit niedriger Geschwindigkeit vx Allerdings steigt die Wahrscheinlichkeit des Auftretens groszliger Werte fuumlr vx mit steigender Temperatur Teilt man den Bereich der auftretenden Geschwindigkeiten in Intervalle auf und zaumlhlt man die Teilchen die gemaumlszlig ihrer Geschwindigkeit zu den einzelnen Intervallen zugeordnet werden koumlnnen so ergibt sich fuumlr die Geschwindigkeitsverteilung in vx und v das Bild das in Abb 22 oben dargestellt ist Die Verteilungsfunktionen fuumlr die Geschwindigkeiten in y- und z-Richtung sind identisch

n(vx)

vx-Intervall

n(vx)

vx-Intervall

Temperatur-erhoumlhung

- 0 +- 0 +n(v)

v-Intervall

Temperatur-erhoumlhung

0 +

n(v)

v-Intervall0 +

Abb 22 Verteilungsfunktionen einer eindimensionalen Geschwindigkeitskomponente (oben) und der Gesamtgeschwindigkeit (unten)

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Betrachtet man die Verteilung n(v) der Gesamtgeschwindigkeit v im dreidimensionalen Raum so wird das Bild komplizierter Bezuumlglich der drei Raumrichtungen x y und z sind weiterhin die kleinen Geschwindigkeiten wahrscheinlicher als die groszligen Da nun aber fuumlr eine groszlige Gesamtgeschwindigkeit v mehr Kombinationsmoumlglichkeiten vx vy vz existieren als fuumlr kleine Gesamtgeschwindigkeiten so wird die Wahrscheinlichkeit fuumlr sehr geringe Gesamtgeschwindigkeiten entsprechend kleiner fuumlr groszlige Gesamtgeschwindigkeiten entsprechend groumlszliger Der daraus resultierende Gewichtungsfaktor fuumlr jedes v ist die relative Flaumlche der Kugelschale mit dem Radius v Insgesamt ergeben sich dann die in Abb 22 unten dargestellten Verteilungsfunktionen fuumlr niedrige und hohe Temperaturen Die Verteilungsfunktionen in vx und v lauten (ohne Herleitung)

f(vx) = [M(2RT)]12 exp [-Mvxsup2(2RT)]

f(v) = 4 [M(2RT)]32 vsup2 exp [-Mvsup2(2RT)] Der Mittelwert von vx (oder jeder anderen eindimensionalen Geschwindigkeitskomponente) ist grundsaumltzlich Null Dagegen besitzt der Mittelwert von v stets eine endliche von Null verschiedene Groumlszlige Bei einer Erhoumlhung der Temperatur werden alle Verteilungsfunktionen breiter der Mittelwert von v vergroumlszligert sich Die Temperatur eines Gases aumluszligert sich also nicht nur im mittleren Geschwindigkeitsquadrat sondern auch in der Form der Geschwindigkeitsverteilungsfunktion Bei der Mischung von Gasen unterschiedlicher Temperatur muss um die oben genannte Forderung zu erfuumlllen aus der einfachen Summe von zwei Verteilungsfunktionen eine neue der Mischtemperatur ent-sprechende Verteilungsfunktion entstehen Dies ist nur unter der Annahme moumlglich dass ein Austausch kinetischer Energie unter den Teilchen erfolgen kann Diese Tatsache bedingt die eingangs gestellte Forderung nach Teilchenstoumlszligen also Wechselwirkungen zwischen den Teilchen Damit muumlssen die Gasteilchen aber auch ein gewisses Volumen besitzen den Teil-chen ohne Eigenvolumen koumlnnen prinzipiell nicht zusammenstoszligen Darin besteht der we-sentliche Unterschied zwischen einem Gas nach dem kinetischen Gasmodell und dem idealen Gas Das ideale Gas koumlnnte man theoretisch auf ein beliebig kleines Volumen komprimieren bei einem kinetischen Gas ist dies aufgrund des Eigenvolumens nicht moumlglich Ansonsten erlaubt das kinetische Gasmodell die vollstaumlndige Interpretation der idealen Gasgleichung

34 Die korrigierte Gasgleichung nach van der Waals JD van der Waals

Mithilfe des kinetischen Gasmodells laumlsst sich die Zustandsgleichung fuumlr Gase weiter verfeinern Zunaumlchst soll beruumlcksichtigt werden dass die Teilchen ein eigenes Volumen besitzen In erster Naumlherung geschieht dies indem man ein vom Eigenvolumen der Gas-teilchen abgeleitetes minimales Volumen des Gases (das so genannte Covolumen) definiert Das Covolumen beschreibt dasjenige Volumen des Gases das bei staumlndigem mechanischem Kontakt zwischen jeweils zwei Teilchen eingenommen wird wenn man den Teilchenpaaren jeweils den sie umschreibenden kugelfoumlrmigen Raum zuordnet (wegen der geringen Wahr-scheinlichkeit von Dreierstoumlszligen kann die Bildung von Dreiergruppen ausgeschlossen werden) Das molare Covolumen b entspricht wenn man eine einfache geometrische Uumlberlegung an-setzt dem vierfachen Eigenvolumen eines Mols der Gasteilchen Um das tatsaumlchliche freie

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Volumen zu erhalten muss das n-fache Covolumen vom gegebenen Volumen abgezogen werden Damit wird aus der idealen Gasgleichung P V = n R T die erste korrigierte Version P (V - n b) = n R T Im zweiten Schritt soll nun uumlber das kinetische Gasmodell hinausgehend auch die anziehen-de Wechselwirkung zwischen den Teilchen beruumlcksichtigt werden Die Anziehung zwischen den Teilchen sorgt nach van der Waals fuumlr einen zusaumltzlichen nach auszligen nicht messbaren bdquoBinnendruckldquo Dieser Binnendruck ist proportional zum Quadrat der Teilchendichte (nV)sup2 Der zwischen den Teilchen tatsaumlchlich wirkende nach auszligen ebenfalls unmessbare Gesamt-druck ist dann gegeben als

Pgesamt (unmessbar) = P (messbar) + a (nV)sup2

mit einer fuumlr die anziehende Wechselwirkung charakteristischen Konstante a Die danach korrigierte Version der Gasgleichung die van-der-Waals-Gleichung fuumlr reale Gase lautet

[P + a (nV)sup2] (V - nb) = n R T

Die Konstanten b und a besitzen fuumlr jedes reale Gas charakteristische Werte die dessen Eigenvolumen (die Groumlszlige der Elektronenhuumllle) und die Staumlrke der intermolekularen Wechsel-wirkungen reflektieren Beispiele

Gas a b

Argon 01345 Pa m6Molsup2 32210-5 msup3Mol Kohlendioxid 03592 Pa m6Molsup2 426710-5 msup3Mol Helium 00034 Pa m6Molsup2 23710-5 msup3Mol Stickstoff 01390 Pa m6Molsup2 391310-5 msup3Mol Wasser 05573 Pa m6Molsup2 31010-5 msup3Mol

Der Parameter b spiegelt mit der Einheit msup3Mol weitgehend die Groumlszlige der einzelnen Teilchen (Atome oder Molekuumlle) wider So besitzt erwartungsgemaumlszlig Kohlendioxid oder Argon einen groumlszligeren Wert fuumlr b als beispielsweise Helium Allerdings sind die Unterschiede erstaunlich klein was auf die Tatsache zuruumlckzufuumlhren ist dass sich das Covolumen auf Teilchenpaare bezieht und ein Paar aus Kohlendioxidmolekuumllen gegenuumlber einem Paar aus Heliumatomen nur etwa das doppelte Volumen benoumltigt

Der Parameter a mit der Einheit Pascal mal Molvolumen zum Quadrat reflektiert die Staumlrke der Wechselwirkungen zwischen den Teilchen Diese Wechselwirkungen beruhen zum groszligen Teil auf den elektrischen Eigenschaften der Teilchen Diese wiederum sind mit der elektronischen Struktur der Atome beziehungsweise der chemischen Bindungen verknuumlpft Am wichtigsten ist dabei das in Kapitel 19 erwaumlhnte Dipolmoment Polare Bindungen koumlnnen zu Teilchen mit permanenten Dipolen fuumlhren (zB HF Wasser Ammoniak CO) Andere Molekuumlle oder Atome sind zwar unpolar koumlnnen aber spontan oder durch aumluszligere

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elektrische Felder polarisiert werden (zB He Ar molekularer Wasserstoff molekulares Chlor) Man spricht dann von polarisierbaren Teilchen mit einem spontanen Dipolmoment oder mit einem durch ein aumluszligeres Feld bewirkten induzierten Dipolmoment In all diesen Faumlllen sind anziehende Wechselwirkungen zwischen den Teilchen moumlglich die in dem Parameter a zusammengefasst werden Daruumlber hinaus koumlnnen sich auch voruumlbergehende chemische Bindungen ausbilden Das prominenteste Beispiel fuumlr diesen Fall ist die bekannte Wasserstoffbruumlckenbindung die bei polaren X-H-Bindungen auftreten kann Im Einzelnen werden demnach folgende Arten von Wechselwirkungen mit absteigender Intensitaumlt unter-schieden

a) Wasserstoffbruumlckenbindung X-H hellip Y Hierbei bildet sich voruumlbergehend eine chemische Bindung zwischen dem polar gebundenen Wasserstoff und einem elektronegativen und mit einem freien Elektronenpaar ausgestatteten Element Y

b) Wechselwirkungen zwischen permanenten Dipolen hier besitzen alle Teilchen ein permanentes Dipolmoment Zwischen den entgegengesetzt geladenen Enden der Teilchen bauen sich dann konstant anziehende elektrostatische Wechselwir-kungen auf

c) Wechselwirkungen zwischen permanenten und induzierten Dipolen die Teil-chen mit permanentem Dipolmoment induzieren ein voruumlbergehendes Dipol-moment bei den benachbarten (zunaumlchst unpolaren) Teilchen In der Folge ergibt sich eine anziehende elektrostatische Wechselwirkung

d) Wechselwirkungen zwischen induzierten Dipolen durch spontane Polarisierung eines Teilchens entsteht ein voruumlbergehendes Dipolmoment welches bei einem benachbarten Teilchen eine Polarisierung hervorruft In der Folge ergibt sich eine kurzfristige und sehr schwache elektrostatische Anziehung zwischen den Teilchen Man spricht dabei auch von der Dispersionswechselwirkung oder der Londonschen Wechselwirkung

Alle diese Effekte sind anziehender Natur und gehen damit in den Parameter a ein Fasst man die beiden Parameter a und b zusammen so entsteht mit der van-der-Waals-Gleichung eine recht zuverlaumlssige Zustandsgleichung fuumlr reale Systeme die sowohl die abstoszligenden als auch die anziehenden Wechselwirkungen beruumlcksichtigt

Ein guter Test fuumlr diese reale Zustandsgleichung ist die Berechnung eines Diagramms von P gegen V fuumlr verschiedene Temperaturen das so genannte P-V-Diagramm und die Gegen-uumlberstellung mit dem entsprechenden experimentellen P-V-Diagramm eines realen Gases Gemaumlszlig der van-der-Waalsrsquoschen Gleichung existieren abhaumlngig von der betrachteten Tempe-ratur drei Typen von Isothermen (Abb 23 links) solche die einer Hyperbel aumlhneln (1) eine einzelne Isotherme die einen Wendepunkt mit waagrechter Tangente besitzt (2) und solche die ein Minimum ein Maximum und einen Wendepunkt aufweisen (3) Das experimentell beobachtete Verhalten stimmt in den ersten beiden Faumlllen recht gut uumlberein weicht aber bei Isothermen des dritten Typs deutlich vom berechneten Verlauf ab (Abb 23 rechts)

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P

V

PV-Diagramm nachvan-der-Waals-Gleichung

1 2

3

P

V

3

experimentell bestimmtesPV-Diagramm f reales Gas

Abb 23 PV-Diagramme fuumlr reale Gase berechnet nach van der Waals (links) und experimentell bestimmt (rechts) Die drei typischen Formen der Isothermen (1 2 und 3) sind im Text beschrieben

Offensichtlich beschreibt die van-der-Waals-Gleichung das Verhalten eines realen Gases in der Umgebung des Wendepunkts weniger gut Experimentell stellt man allerdings fest dass in diesem Bereich tatsaumlchlich auch kein reines Gas sondern vielmehr eine Mischung aus einem Gas und einer kondensierten Fluumlssigkeit also ein Zweiphasenzustand vorliegt Dieser Zwei-phasenbereich beginnt am Wendepunkt der Isothermen des Typs 2 und schlieszligt alle Minima Maxima und Wendepunkte der Isothermen des Typs 3 ein (Abb 24 links)

P

V

Zweiphasen-gebiet

P

V

Zweiphasen-gebiet

Maxwell-Maxwell-KorrekturKorrektur

Zweiphasen-Gebiet

Zweiphasen-Gebiet

A1

A2

Abb 24 PV-Diagramme fuumlr reale Gase mit eingezeichnetem Zweiphasengebiet Der in diesem Bereich bei der Beschreibung nach van der Waals gegebene Fehler kann in guter Naumlherung durch die Maxwell-Korrektur kompensiert werden

Eine einfache Korrektur der van-der-Waals-Gleichung ermoumlglicht eine realistische Beschrei-bung des Zweiphasengebiets Eine horizontale Gerade wird so in der Naumlhe des Wendepunktes gelegt dass die oberhalb und unterhalb der Geraden im Zweiphasenbereich gebildeten Teilflaumlchen A1 und A2 die gleiche Groumlszlige besitzen (sog Maxwell-Korrektur s Abbildung 24 rechts) Dies sieht zwar nach einer etwas willkuumlrlichen Hilfskonstruktion aus trotzdem laumlsst sich damit das Verhalten eines realen Gases im Zweiphasengebiet sehr gut nachvollziehen und vorhersagen Eine besonders ausgewiesene Position im PV-Diagramm eines realen Gases ist der Scheitel-punkt des Zweiphasengebiets der durch den Wendepunkt der Isotherme des Typs 2 gebildet wird (Abb 25)

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P

V

Zweiphasen-gebiet Tc

Pc

Vc

kritischer Punkt

Jedes reale Gas besitzt einen sogenannten kritischenPunkt der durch die kritischen Zustandsgroumlszligen Tc Pc undVc beschrieben wird Die kritische Temperatur Tc istdiejenige Temperatur bei der sich ein Gas unter Druckgerade noch verfluumlssigen laumlszligt Oberhalb der kritischenTemperatur existiert kein fluumlssiger Zustand Derentsprechende Druck Pc wird als kritischer Druckbezeichnet

Die Isotherme die der kritischen Temperatur zugeordnetist besitzt als einzige einen Wendepunkt mit horizontalerTangente der gleichzeitig den kritischen Punkt markiert

Abb 25 PV-Diagramm fuumlr ein reales Gas mit kritischem Punkt

Dieser sogenannte kritische Punkt wird durch die kritische Temperatur Tc den kritischen Druck Pc und das kritische Molvolumen Vc festgelegt Zustaumlnde oberhalb des kritischen Punkts nennt man uumlberkritisch Uumlberkritisches Kohlendioxid besitzt in der Technik groszlige Bedeutung fuumlr das Loumlsen und Ausfaumlllen von pharmazeutischen Wirkstoffen (zB Aspirin fuumlr Brausetabletten) fuumlr die Extraktion (zB bei der Entkoffeinierung von Kaffee) oder zur chemischen Reinigung von Textilien

35 Andere Zustandsgleichungen fuumlr reale Gase

Neben der van-der-Waals-Gleichung existieren weitere Ansaumltze zur Beschreibung realer Gase die zwar eine genauere Anpassung an die gemessenen Werte ermoumlglichen aber auch kompli-zierter sind oder mehr Arbeit bei der Bestimmung der charakteristischen Parameter erfordern Im Folgenden seien als Beispiele die Berthelot-Gleichung und die Virialgleichung erwaumlhnt

a Berthelot-Gleichung (P + (Ansup2)(TVsup2) ) (V - nB) = n R T Berthelot fuumlhrte damit als Besonderheit einen temperaturabhaumlngigen Binnendruck ein Dies ist insoweit physikalisch gerechtfertigt als die vermehrte thermische Bewegung der Ausbildung von Wechselwirkungen zwischen den Molekuumllen entgegenwirken kann

b Virialgleichung P Vm = A + B P + C Psup2 + D Psup3 + Mit Vm = Vn Die Virialgleichung nutzt die Tatsache dass sich fast alle physikalischen Zusammenhaumlnge uumlber einen Potenzreihenansatz a + bx + cxsup2 + dxsup3 + hellip beliebig genau annaumlhern lassen Je nach Anzahl der anpassbaren Parameter ist zwar eine beliebig genaue Beschreibung des realen Gases moumlglich allerdings steigt auch der Aufwand fuumlr die Bestim-mung aller Koeffizienten

36 Beschreibung von Fluumlssigkeiten

Im PV-Diagramm der realen Gase schlieszligt sich links vom Zweiphasengebiet der Bereich der fluumlssigen Phase an Sie zeichnet sich dadurch aus dass mit sinkendem Volumen der Druck ex-trem steil ansteigt Das bedeutet dass bereits eine geringfuumlgige Volumenabnahme mit einem aumluszligerst groszligen Druckanstieg verbunden ist In der Praxis hat das zur Folge dass Fluumlssigkeiten im Gegensatz zu Gasen kaum komprimierbar sind ihre Kompressibilitaumlt geht gegen Null Auch ist die Ausdehnung der Fluumlssigkeiten bei steigender Temperatur und bei konstantem

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Druck (der thermische Ausdehnungskoeffizient) sehr viel kleiner als bei Gasen Eine einfache allgemeine Zustandsgleichung fuumlr die fluumlssige Phase in Analogie zur idealen oder zur van-der-Waals-Gleichung existiert nicht Stattdessen findet man bei der experimentellen Bestimmung des Zusammenhangs zwischen P V und T fuumlr jede Fluumlssigkeit ein sehr charakteristisches Verhalten Vergleicht man die Messergebnisse verschiedener Fluumlssigkeiten untereinander so sind kaum Aumlhnlichkeiten auszumachen Daruumlber hinaus sind bestimmte Messungen (zB die Messung der Abhaumlngigkeit des Drucks vom Volumen bei konstanter Teilchenzahl und Temperatur) technisch sehr schwer zu realisieren Das Fehlen einer einheitlichen Zustandsgleichung V(TPn) fuumlr Fluumlssigkeiten liegt auch in deren komplexer Struktur begruumlndet Betrachtet man ein einzelnes Teilchen in der Fluumlssigkeit so liegt es bezuumlglich der Abstaumlnde zu seinen naumlchsten Nachbarn stets in der Naumlhe des Mini-mums einer Potentialkurve Epot(r) die einen sehr steilen Verlauf besitzt Die Abstaumlnde zu den benachbarten Teilchen sind damit nahezu fixiert folglich ist eine unabhaumlngige Translations-bewegung einzelner Teilchen praktisch unmoumlglich Stattdessen verlaufen alle Bewegungs-prozesse mehr oder weniger kollektiv also unter gleichzeitiger Verschiebung mehrerer Teilchen Daruumlber hinaus gibt es keine nennenswerten freien Volumina so dass der mittlere Abstand der Teilchen nur unwesentlich verringert werden kann ein Umstand der sich in der bereits erwaumlhnten geringen Kompressibilitaumlt aumluszligert Ein Modell fuumlr eine allgemeine Fluumlssigkeit laumlsst sich im Rahmen einer Computersimulation einfuumlhren Man betrachtet dabei einen wuumlrfelfoumlrmigen Raum der einen Ausschnitt aus dem Fluumlssigkeitsvolumen darstellen soll und eine endliche Anzahl n von Fluumlssigkeitsteilchen (zB n = 1000) enthaumllt Um die Zahl der Teilchen konstant zu halten und dabei trotzdem deren Beweglichkeit zu wahren wird eine Kontinuitaumltsbedingung eingefuumlhrt Jedes Teilchen das im Rahmen der Bewegungsprozesse den Wuumlrfel an einer gegebenen Stelle verlaumlsst tritt automatisch an der genau gegenuumlberliegenden Position des Wuumlrfels wieder ein Auf diese Weise ist gewaumlhrleistet dass die Zahl der Teilchen im Wuumlrfel konstant bleibt (Abb 26)

Abb 26 Simulation von Bewegungs-vorgaumlngen in einem Fluumlssigkeitsvolumen unter Wahrung einer konstanten Partikel-anzahl Jedes Teilchen das im Rahmen der Bewegungsprozesse den Wuumlrfel an einer gegebenen Stelle verlaumlsst tritt automatisch an der genau gegenuumlberliegenden Position des Wuumlrfels wieder ein

An diesem System fuumlhrt man nun eine so genannte Monte-Carlo-Simulation durch Dabei setzt ein Zufallsgenerator eine geringfuumlgige Verschiebung eines beliebigen einzelnen Teil-chens in Gang Anschlieszligend wird unter Verwendung des bekannten Potentialverlaufs Epot(r) berechnet wie sich nach der Verschiebung die potentielle Energie des Systems veraumlndert hat Danach entscheidet das Simulationsprogramm zwischen zwei Moumlglichkeiten

- Hat sich die gesamte potentielle Energie des Systems durch die Verschiebung verringert oder blieb sie konstant so wird die Verschiebung akzeptiert und der naumlchste Schritt berechnet - Hat sich die gesamte potentielle Energie durch die Verschiebung um den positiven Wert E erhoumlht so wird die Verschiebung mit einer Wahrscheinlichkeit die von E abhaumlngt akzeptiert und ansonsten verworfen Danach wird der naumlchste Schritt berechnet

Auf diese Weise kann man fuumlr beliebige Fluumlssigkeiten sowohl die typischen Bewegungs-prozesse als auch die einflussbedingten Veraumlnderung von Zustandsgroumlszligen (zB P in Ab-

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haumlngigkeit von V) berechnen Allerdings sind die Rechnungen bei den fuumlr eine realistische Beschreibung eines Fluumlssigkeitsvolumens notwendigen groszligen Teilchenzahlen sehr aufwaumlndig und zeitintensiv

37 Beschreibung von Festkoumlrpern

Begibt man sich im P-V-Diagramm vom fluumlssigen Zustand ausgehend noch weiter nach links (zu kleineren Volumina houmlheren Drucken und niedrigeren Temperaturen) so erreicht man den festen Zustand Die Problematik der Zustandsgleichung V(TPn) von Festkoumlrpern aumlhnelt jener der Fluumlssigkeiten Auch hier sind die Kompressibilitaumlten und die thermischen Aus-dehnungskoeffizienten uumlblicherweise sehr viel geringer als bei Gasen Ebenso wie bei Fluumls-sigkeiten sind dabei die Unterschiede zwischen einzelnen Vertretern der Festkoumlrper recht groszlig so dass keine gemeinsame Zustandsgleichung wie bei Gasen formuliert werden kann Im Vergleich mit den Werten der Fluumlssigkeiten sind die Kompressibilitaumlten und die thermischen Ausdehnungskoeffizienten der Festkoumlrper durchschnittlich nochmals um etwa zwei Groumlszligen-ordnungen geringer

Abb 27 Torsionsexperiment zur Unterscheidung zwischen Fluumlssigkeiten und Festkoumlrpern (s Text)

Der wesentliche Unterschied zwischen Festkoumlrpern und Fluumlssigkeiten besteht allerdings in ihrem gegensaumltzlichen Verhalten bezuumlglich Verformung waumlhrend Fluumlssigkeiten einer gege-benen Verformung durch ihre Zaumlhigkeit (Viskositaumlt) Widerstand leisten reagiert ein Fest-koumlrper auf eine Verformung durch eine elastische Deformation Dieses Verhalten wird in einem Torsionsrheometer deutlich wobei eine feste oder fluumlssige Probe periodisch mit einer torsionsartigen Verformung beaufschlagt wird (Abb 27) Waumlhrend der Drehmomentverlauf des Festkoumlrpers exakt gleichphasig zur periodischen Aus-lenkung erfolgt (elastische Verformung) ist der Drehmomentverlauf der Fluumlssigkeit dazu um ein Viertel einer Wellenlaumlnge phasenverschoben (viskose Reaktion) Bei Fluumlssigkeiten ist der Widerstand dann maximal wenn die Deformationsgeschwindigkeit maximal ist (blaue Linie

t

Dre

hmom

entv

erla

uf

tAusl

enku

ng

Festkoumlrper

t

Dre

hmom

entv

erla

uf

Fluumlssigkeiten

Pruumlfkoumlrper

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in Abb 26) Bei Festkoumlrpern ist die Kraft dann maximal wenn der Deformationszustandmaximal ist (rote Linie in Abb 27) Viele Festkoumlrper stellen Uumlbergaumlnge zwischen diesen beiden Extremfaumlllen dar und werden dann als viskoelastisch bezeichnet Aus der Betrachtung von Messergebnissen an einer Viel-zahl von Materialien geht hervor dass eine eindeutige Abgrenzung zwischen dem fluumlssigen und dem festen Zustand selten moumlglich ist Entsprechend gibt es auch unterschiedliche Strukturmodelle die teilweise das elastische Verhalten teilweise das plastische Verhalten von Festkoumlrpern erklaumlren Dem elastischen Festkoumlrper mit nahezu verschwindender Phasen-verschiebung wird am ehesten das Modell eines idealen Kristalls gerecht Man geht dabei davon aus dass jedes Atom bzw Molekuumll aus dem der Festkoumlrper zusammengesetzt ist sich an einem geometrisch festgelegten Gitterpunkt befindet von dem es sich nicht entfernen kann Als Bewegungsprozess ist dabei lediglich eine Schwingung mit begrenzter Amplitude moumlglich Die denkbaren Geometrien der Gitterstrukturen reichen von primitiv-kubischen Gittern (zB Natriumchlorid) uumlber kubisch-dichteste (zB Silber Kupfer) und hexagonal-dichteste Kugelpackungen (zB Magnesium Zink) bis zur kubisch-raumzentrierten Struktur (zB Eisen Molybdaumln) Haumlufig findet man leichte Abweichungen von der idealen Gitter-struktur die durch lokale Stoumlrungen hervorgerufen werden Akzeptiert man gewisse Anteile an viskosem Verhalten (dh eine leichte Phasenverschiebung) so begibt man sich in den Grenzbereich zwischen Festkoumlrpern und Fluumlssigkeiten In einem Material wie Glas ist die regelmaumlszligige Anordnung eines Gitters nicht gegeben die Atome sind unregelmaumlszligig positioniert und koumlnnen unter Belastung auch flieszligen Solche nicht-kristallinen Festkoumlrper bezeichnet man als amorph Typische Vertreter amorpher Feststoffe sind Fenster-glas viele transparente Kunststoffe (zB Plexiglas Polyester in Getraumlnkeflaschen) Wachs und Aumlhnliches Amorphe Festkoumlrper besitzen keinen Schmelzpunkt sondern erweichen bei steigender Temperatur allmaumlhlich Amorphe Festkoumlrper koumlnnen nachtraumlglich kristallisieren wobei sich haumlufig das aumluszligere Erscheinungsbild und die physikalischen Eigenschaften drastisch aumlndern (zB Plastikfolie unter Zug)

38 Das Phasendiagramm

Die drei wichtigsten Phasenzustaumlnde zu denen sich eine makroskopische Gesamtheit von Atomen oder Molekuumllen zusammenfinden koumlnnen sind also Gase Fluumlssigkeiten und Festkoumlrper Die Frage ist nun unter welchen Bedingungen sich ein System fuumlr den ersten den zweiten oder den dritten Zustand entscheidet Erfahrungsgemaumlszlig haumlngt der gegebene Phasenzustand von den in Kapitel 31 eingefuumlhrten Zustandsparametern n V P und T ab Legt man die Stoffmenge n auf einen Wert fest (zB auf ein Mol Teilchen) und beruumlcksichtigt man dass nach den gegebenen Zustandsgleichungen die Groumlszligen n V P und T miteinander verknuumlpft sind so genuumlgen zwei Parameter um den jeweils guumlnstigsten Phasenzustand eindeutig festzulegen Ein Diagramm bei dem einer der Parameter V P und T gegen einen anderen aufgetragen wird eignet sich also prinzipiell um bei einer gegebenen Teilchenart den unter diesen Bedingungen jeweils angestrebten Phasenzustand zu markieren So kann man gemaumlszlig den Abbildungen 23 bis 25 in einem Diagramm bei dem P gegen V aufgetragen wird schon den jeweils gegebenen Phasenzustand eintragen und ablesen In der Praxis eignen sich solche PV-Diagramme allerdings wenig um Phasenzustaumlnde zu markieren der gasfoumlrmige Zustand nimmt einen sehr breiten Raum ein waumlhrend der fluumlssige und der feste Zustand in dem sehr engen Bereich links neben dem Zweiphasengebiet bdquoeingequetschtldquo waumlre Vor allem in diesem Umfeld waumlre das Diagramm schwer ablesbar

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39

Wesentlich guumlnstiger ist dagegen die Auftragung vom Druck P gegen die Temperatur T In diesem PT-Diagramm das auch als Phasendiagramm bezeichnet wird lassen sich alle Phasenzustaumlnde uumlbersichtlich zuordnen Dabei bezeichnen Flaumlchenanteile im PT-Diagramm die unter den gegebenen Druck- und Temperaturbedingungen angestrebte Phase (zB fest fluumlssig gasfoumlrmig) waumlhrend Linien die dazwischen vorliegenden Gleichgewichte markieren und Phasengrenzlinien genannt werden (Abb 28)

T

Pfe

st

fluumlss

ig

gasfouml

rmig

kritischerPunkt

Tripel-punkt

Phasengrenzlinie

Abb 28 Phasendiagramm mit Auftragung des Drucks (P) gegen die Temperatur (T)

Auszligerdem enthaumllt ein Phasendiagramm gewoumlhnlich mindestens zwei besonders ausgezeich-nete Punkte den Tripelpunkt an dem die drei im Allgemeinen wichtigsten Phasenzustaumlnde fest fluumlssig und gasfoumlrmig miteinander im Gleichgewicht stehen und den bereits aus dem PV-Diagramm bekannten kritischen Punkt der das Ende eines definierten Uumlbergangs zwischen fluumlssiger und gasfoumlrmiger Phase markiert Beispiele fuumlr Phasendiagramme Kohlen-dioxid und Wasser sind in Abbildung 29 und 30 wiedergegeben

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T

P

fest

fluumlss

iggasfoumlrmig

kritischerPunkt

Tripel-punkt

2168 K

511 bar

CO2

3042 K

728 bar

Abb 29 Phasendiagramm fuumlr Kohlendioxid

T

P

fluumlss

ig

gasfoumlrmig

kritischerPunkt

H2O

Eis 1

Eis 1

Eis 2 Eis 3

Eis 5

Eis 6

Tripelpunkt6473 K

218 bar

6 mbar 27316 K

Abb 30 Phasendiagramm fuumlr Wasser Der Bereich oberhalb von 200 bar ist aus Gruumlnden der

Uumlbersichtlichkeit entlang der P-Achse komprimiert dargestellt

Eine wichtige Besonderheit des Phasenverhaltens von Wasser ist die Tatsache dass die Phasengrenzlinie zwischen fluumlssigem Wasser und Eis 1 eine negative Steigung aufweist Dies hat zur Folge dass gewoumlhnliches Eis durch Erhoumlhung des Drucks zum Schmelzen gebracht werden kann Dieser Umstand ist eine der Ursachen dafuumlr dass eine Kufe auf Eis gleitet da der durch das Schmelzen entstehende Wasserfilm die Reibung vermindert (allerdings spielt hier auch die Reibungswaumlrme eine Rolle) Der Grund fuumlr dieses Verhalten steht in direkter Verbindung mit der strukturbedingten Volumenabnahme beim Schmelzen von Eis (s Videos unter httpwwwyoutubecomwatchv=6s0b_keOiOU und httpswwwyoutubecomwatchv=CDTZoFGmZoc )

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Waumlhlt man in einem Phasendiagramm eine Kombination von Druck und Temperatur so kann man direkt denjenigen Phasenzustand ablesen den die gegebene Teilchenart unter diesen Bedingungen anstrebt Das heiszligt jedoch nicht dass dieser Zustand dann auch in jedem Fall und zu jeder Zeit vorliegt Haumlufig beobachtet man eine so genannte kinetische Hemmung einer Phasenumwandlung So gibt es unterkuumlhlte Fluumlssigkeiten (zB Regentropfen bei -3degC) genauso wie unterkuumlhlte Dampfphasen (zB uumlbersaumlttigten Wasserdampf in Gewitterwolken) oder uumlberhitzte Fluumlssigkeiten (zB uumlberhitztes Wasser bei einem Siedeverzug) Kristalli-sationskeime wie Staubkoumlrner koumlnnen Phasenumwandlungen beschleunigen (zB durch Staub verursachter bdquoIndustrieschneeldquo) Bisher wurden lediglich Phasendiagramme von reinen Stoffen betrachtet die nur aus einer einzelnen Sorte Atomen oder Molekuumllen bestehen Mischt man einem gegebenen Stoff eine weitere Komponente hinzu so aumlndert sich das Phasendiagramm erheblich Als Beispiel betrachten wir ein System in dessen fluumlssiger Phase ein Fremdstoff A geloumlst wird der weder im Festkoumlrper noch im der Gasphase loumlslich ist (zB Kochsalz in Wasser) In diesem Fall dehnt sich der fluumlssige Bereich des Phasendiagramms mit steigender Konzentration von A in alle Richtungen aus so dass gleichzeitig der Schmelzpunkt erniedrigt der Siedepunkt erhoumlht und der Dampfdruck verringert wird (Abb 31) In erster Naumlherung sind alle genannten Aumlnderungen proportional zu cA

T

P

fest

fluumlss

ig

gasfouml

rmig

Abb 31 Phasendiagramm fuumlr ein System in dessen fluumlssiger Phase ein Fremdstoff mit steigender

Konzentration cA geloumlst wird Der Bereich der fluumlssigen Phase dehnt sich daraufhin in alle

Richtungen aus

Bei weiter steigender Konzentration von A kann ein Punkt erreicht werden an dem die Mischung in zwei getrennte Bereiche zerfaumlllt die ebenfalls als Phasen bezeichnet werden (zB Olivenoumll und Wasser) Eine dieser Phasen besitzt dann einen hohen Loumlsemittelanteil bei geringer Konzentration von A die andere besteht aus einem hohen Anteil an A mit einem geringen Gehalt an Loumlsemittel Dieser Vorgang der Phasenseparation binaumlrer (aus zwei Komponenten bestehender) Systeme wird durch eine andere Art von Phasendiagramm beschrieben dem so genannten Mischphasendiagramm (Abb 32) Hierbei wird die Tempe-

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ratur dem relativen Anteil einer Komponente gegenuumlbergestellt der Druck wird als konstant angenommen

Abb 32 Allgemeine Darstellung eines Mischphasendiagramms

Grundsaumltzlich gibt die linke Flanke der Phasentrennlinie (links des kritischen Punkts) die Zusammensetzung der bdquoA-armenldquo Phase an waumlhrend die rechte Flanke (rechts des kritischen Punkts) die Zusammensetzung der A-reichen Phase beschreibt Die Mengen der dabei gebildeten Phasen koumlnnen nach dem so genannten Hebelgesetz berechnet werden Demnach gilt zwischen dem Anteil n1 der A-armen Phase 1 dem Anteil n2 der A-reichen Phase 2 und den Laumlngen der Pfeile s1 und s2 in der vorhergehenden Abbildung folgender Zusammenhang

n1 s1 = n2 s2

Fuumlr das gezeigte Beispiel wuumlrde das bedeuten dass der Anteil der Phase 1 etwa doppelt so groszlig waumlre wie der Anteil der Phase 2 In der Naumlhe der beiden Raumlnder des Diagramms also fuumlr xA 0 (sehr wenig A im Loumlsemittel) oder xA 1 (sehr wenig Loumlsemittel in A) liegen in den meisten Faumlllen einphasige homogene Mischungen vor Das besagt dass auch bei niedrigen Temperaturen ein wenig von dem Stoff A im Loumlsemittel bzw ein wenig Loumlsemittel im Stoff A loumlslich ist Der im Diagramm eingezeichnete kritische Punkt bedeutet dass oberhalb der dazugehoumlrigen kritischen Temperatur keine Entmischung mehr erfolgt dh hier sind die beiden Komponenten vollstaumlndig und in jedem Verhaumlltnis miteinander mischbar Neben solchen oberen kritischen Punkten gibt es auch untere kritische Punkte Im zweiten Fall gilt dass die beiden Komponenten unterhalb einer bestimmten Temperatur in jedem Verhaumlltnis miteinander mischbar sind Im Allgemeinen koumlnnen die drei verschiedenen Faumllle auftreten die in Abbildung 33 dargestellt sind

0 Molenbruch xA der Komponente A 1

Tem

pera

tur

obere kritischeTemperatur

Einphasen-gebiet

Zweiphasen-gebiet

Beispiel xA = 04

T1

Zum gezeigten Beispiel

Eine Mischung mit dem Molenbruch xA = 04 wird von T2 nach T1 abgekuumlhltDabei zerfaumlllt die Mischung bei Tklsquo in zwei Phasen derenZusammensetzung bei T1auf der x-Achse an den Punkten 1 und 2 ablesbar ist

T2

Tklsquo

1 2

kritischer Punkt

s1 s2

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0 xA 1

Tem

pera

tur

System mit oberem kritischen Punkt

kritischer Punkt

0 xA 1Te

mpe

ratu

r

System mit unterem kritischen Punkt

kritischer Punkt

0 xA 1

Tem

pera

tur

System mit oberem und unterem

kritischen Punkt

kritischer Punkt

kritische Punkte

Abb 33 Moumlgliche Varianten von kritischen Punkten bei Systemen aus zwei Komponenten

Obere kritische Punkte findet man dann wenn sich die molekulare thermische Bewegung gegen die Tendenz der Molekuumlle sich mit gleichartigen Molekuumllen zusammenzulagern durchsetzt Dieses Phaumlnomen ist sehr verbreitet so dass ein oberer kritischer Punkt bei sehr vielen Mischphasen beobachtet wird Untere kritische Punkte sind sehr viel seltener Sie treten beispielsweise dann auf wenn die beiden Komponenten miteinander bei tiefen Temperaturen einen Komplex bilden der bei houmlheren Temperaturen wieder zerfaumlllt und dann zu einer Phasenseparation fuumlhrt Ein Beispiel dafuumlr ist die Mischung aus Wasser und Triethylamin

Fuumlr Mischphasen aus drei Komponenten so genannte ternaumlre Mischungen sind die bisher gezeigten Darstellungen ungeeignet Hierfuumlr haben sich Dreiecksdiagramme (Gibbssches Phasendreieck) durchgesetzt die das Phasenverhalten unter Variation der Mengenbeitraumlge aller drei Komponenten aufzeigen (Abb 34) Das Diagramm ist so geartet dass die Summe aller drei Mengenanteile xA xB und xC in jedem Fall den Wert 1 ergibt Damit besitzt die Zusammensetzung des ternaumlren Gemisches zwei Freiheitsgrade Jede Linie die durch eine Ecke des Diagramms fuumlhrt verbindet diejenigen Punkte bei denen das Verhaumlltnis zweier Komponenten gleich ist Jede Linie die parallel zu einer der drei Seiten verlaumluft entspricht Gemischen bei denen der relative Anteil einer Komponente gleich bleibt

00 02 04 06 08 10Komponente A

00

02

04

06

08

10

Kom

pone

nte

B

0002

04

06

08

10

Komponente C

C

A

B

00 02 04 06 08 10Komponente A

00

02

04

06

08

10

Kom

pone

nte

B

00

02

04

06

08

10

Komponente C

x1

x2x

Abb 34 Prinzip eines ternaumlren Phasendiagramms nach Gibbs (Dreiecksdiagramm)

In solche ternaumlren Mischphasendiagramme lassen sich nun entsprechend den binaumlren Mischphasendiagrammen die Ein- und Zweiphasengebiete einzeichnen Das Diagramm in

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Abb 34 rechts gilt zB fuumlr eine ternaumlre Mischung aus A B und C bei der die Komponenten A und B sowie B und C jeweils paarweise in jedem Verhaumlltnis miteinander mischbar sind Die Komponenten A und C sollen dagegen nur begrenzt mischbar sein Als Konsequenz daraus ergibt sich ein Dreiecksdiagramm das an der unteren Achse die dem Anteil 0 der Komponente B entspricht ein Zweiphasengebiet aufweist

Die Hilfslinien im Zweiphasengebiet markieren die Zusammensetzung der entstehenden Einzelphasen So wuumlrde beispielsweise eine Mischung deren Zusammensetzung im Diagramm durch den Punkt x markiert ist in die beiden Phasen x1 und x2 zerfallen Die Mengenanteile der beiden Phasen koumlnnten dabei wieder uumlber das Hebelgesetz berechnet werden Um zusaumltzlich den Einfluss der Temperatur wiederzugeben muss eine weitere Koordinate eingefuumlhrt werden Man erhaumllt dabei ein dreidimensionales Dreiecksdiagramm das haumlufig unter Verwendung von Houmlhenlinien nach der Art einer topographischen Landkarte dargestellt wird Jede Houmlhenlinie des Zweiphasengebiets umschreibt dann seine Ausdehnung bei einer gegebenen Temperatur

Fragt man bei einem System mit bestehenden Randbedingungen nach der Zahl der frei variierbaren Zustandsgroumlszligen also nach der Zahl der Freiheitsgrade so haumlngt die Antwort zunaumlchst davon ab in welchem Phasenzustand sich das System befindet So kann man beispielsweise in der Gasphase (bei festgelegter Stoffmenge) Temperatur und Druck frei waumlhlen wodurch dann automatisch das Volumen festgelegt wird Gleiches gilt fuumlr die feste und die fluumlssige Phase Das System hat innerhalb eines Phasenzustands also zwei Freiheits-grade Setzt man allerdings voraus dass sich das System in einem Gleichgewicht zwischen zwei Phasen befindet (zB auf der Verdampfungslinie) so besitzt es nur einen Freiheitsgrad Am Tripelpunkt schlieszliglich bei einem Gleichgewicht zwischen drei Phasen sind keine Freiheitsgrade mehr vorhanden Zwischen der Zahl der Phasen P und der Zahl der Freiheitsgrade F gibt es also folgende einfache Beziehung

F = 3 - P

Beruumlcksichtigt man weiter dass auch mehr als eine Komponente auftreten kann (Zahl der Komponenten C gt 1) so erhoumlht sich die Zahl der Freiheitsgrade um jede zusaumltzliche Komponente deren Konzentration ja frei waumlhlbar ist um den Wert eins Man erhaumllt damit

F = 3 - P + (C - 1) oder F = C - P + 2

Nach dieser allgemeinguumlltigen Formel der so genannten Gibbsrsquoschen Phasenregel laumlsst sich die Zahl der Freiheitsgrade in jedem beliebigen System bestimmen Sie erlaubt insbesondere bei sehr komplizierten Mischungen mit einer unbekannten Anzahl an Phasenzustaumlnden uumlber eine einfache Betrachtung Ruumlckschluumlsse auf deren Phasenverhalten

Page 10: Vorlesung PC I Einführung in die Physikalische Chemierelaxation.chemie.uni-duisburg-essen.de/lehre/Skript_PC_2016_2017.pdf · Schwingungen möglich, deren Geometrie (d.h. die Zahl

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nen Naumlherung ist diese Beobachtung nicht mehr vorhersagbar da die Wechselwirkung zwi-schen den Elektronen ignoriert wird

Bei der Besetzung eines Mehrelektronensystems ist zunaumlchst einmal das Pauli-Prinzip zu beachten Dieses Gesetz wird auch Ausschlussprinzip genannt und bedeutet dass zwei Elek-tronen die sich im gleichen Raum aufhalten niemals Wellenfunktionen mit identischen Quantenzahlen belegen duumlrfen Anders gesagt alle Wellenfunktionen die von den in einem gemeinsamen Volumen (also zB in einem Atom) vorhandenen Elektronen besetzt werden muumlssen sich in wenigstens einer der vier Quantenzahlen unterscheiden In erster Konsequenz bedeutet dies dass Materie nicht von anderer Materie durchdrungen werden kann (sonst wuumlrden sich zum Beispiel notwendigerweise irgendwo zwei Elektronen mit den Quanten-zahlsaumltzen (100-12) im selben Volumen begegnen) Dies hat aber auch zur Folge dass ein Orbital mit den drei Quantenzahlen n l und m nur genau zwei Elektronen (mit s = +12 und -12) beherbergen darf

Wolfgang Pauli Friedrich Hund

Abb 7 Darstellung der Besetzungsreihenfolge bezuumlglich der Haupt- und Nebenquantenzahlen bei Mehrelektro-nensystemen Nacheinander wird dabei den von oben nach unten versetzten Pfeilen in der angegebenen Richtung gefolgt Man erhaumllt somit das Besetzungsschema 1s - 2s - 2p - 3s - 3p - 4s - 3d - 4p - 5s - hellip usw

Die Reihenfolge mit der die Haupt- und Nebenquantenzahlen besetzt werden ist durch die so genannte Aufbauregel festgelegt Diese bestimmt die Belegung der Orbitale so wie sie durch die Folge der untereinander versetzten Pfeile in Abbildung 7 dargestellt ist (s oben)

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Bezuumlglich der uumlbrigen Quantenzahlen m und s gilt es den drei Hundschen Regeln zu folgen (Anmerkung in der Literatur ist auch manchmal von vier Hundschen Regeln die Rede wobei sich dann aber die vierte aus den anderen drei ergibt) Die erste Hundsche Regel nennt man in der angelsaumlchsischen Literatur auch bildhaft die bdquobus-seat-ruleldquo Aumlhnlich wie unabhaumlngige Reisende die Zweierreihen eines Busses zunaumlchst alle jeweils einzeln belegen so versuchen auch die Elektronen zunaumlchst alle Varianten der mag-netischen Quantenzahl m einfach zu besetzen Alle diese ungepaarten Elektronen weisen dann dieselbe Spinquantenzahl (s = 12) auf So werden beispielsweise bei den p-Orbitalen immer erst alle drei Orbitale mit m = 1 0 und -1 (jeweils mit s = 12) einfach besetzt Die zweite Hundsche Regel besagt dass das Orbital mit dem groumlszligten Wert fuumlr m (unter Beachtung der ersten Hundschen Regel) immer zuerst besetzt wird Die einfache Besetzung nach der ersten Hundschen Regel beginnt also stets mit m = l danach folgt m = (l - 1) usw Die weitere Besetzung der Orbitale mit einem jeweils zweiten Elektron mit umgekehrtem Spin (s = -12) findet danach in derselben Reihenfolge statt Die dritte Hundsche Regel beschreibt lediglich das Verhalten eines Mehrelektronensystems im Magnetfeld hat aber auf die Reihenfolge der Besetzung der Orbitale keinen Einfluss und braucht daher an dieser Stelle noch nicht beruumlcksichtigt zu werden Das insgesamt resultierende Besetzungsschema wird in der Chemie haumlufig in der so genannten Kaumlstchenschreibweise dargestellt Fuumlr die Nebenquantenzahlen von 0 bis 2 besitzt es unter Beachtung der Hundschen Regeln die folgende Struktur

Abb 8 Darstellung der Besetzungsreihenfolge bezuumlglich der magnetischen Quantenzahl und der Spinquanten-zahl bei Mehrelektronensystemen Jeder aufwaumlrts gerichtete Pfeil steht fuumlr eine Elektronenfunktion mit s = +12 (paralleler Spin) jeder abwaumlrts gerichtete Pfeil fuumlr eine Elektronenfunktion mit s = -12 (antiparalleler Spin)

Betrachten wir einmal denjenigen Radius eines Atoms der bei der direkten Beruumlhrung zweier Atome relevant wird Zunaumlchst koumlnnte man annehmen dass dieser Atomradius mit steigender Zahl an Elektronen grundsaumltzlich groumlszliger werden sollte Innerhalb einer Periode ist aber uumlberraschenderweise das Gegenteil der Fall wie aus folgenden Werten hervorgeht

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Lithium (3 Elektronen) Atomradius 152 pm Beryllium (4 Elektronen) Atomradius 112 pm Bor (5 Elektronen) Atomradius 88 pm Kohlenstoff (6 Elektronen) Atomradius 77 pm Stickstoff (7 Elektronen) Atomradius 70 pm Sauerstoff (8 Elektronen) Atomradius 66 pm Fluor (9 Elektronen) Atomradius 64 pm

Die Ursache hierfuumlr liegt in der staumlrkeren Ladung des Kerns und dem daraus folgenden steileren Potentialverlauf V(r) Die wachsende Ladung des Kerns komprimiert in zuneh-mendem Maszlige die Groumlszlige des Atoms Ein Fluoratom misst trotz der dreifachen Elektronenzahl weniger als die Haumllfte eines Lithiumatoms Vergleicht man allerdings die Atome von aufeinanderfolgenden Perioden innerhalb einer Gruppe (zB in der Reihe Li ndash Na ndash K ndash hellip) so findet man in den meisten Faumlllen den zu erwartenden Groumlszligenanstieg

18 Chemische Bindungen und Molekuumlle

Mit den Loumlsungen der Schroumldingergleichung des Wasserstoffatoms mit der Einfuumlhrung der Orbitale und mit der Beruumlcksichtigung der Besetzungsregeln haben wir nun ein relativ um-fassendes Bild von den Grundbausteinen der Chemie den Atomen Damit ergibt sich nun die Frage wie zwei oder mehr Atome miteinander wechselwirken koumlnnen Zunaumlchst ist zu klaumlren was eigentlich passiert wenn zwei Atome (Atom a und Atom b) immer naumlher zusammen-ruumlcken Eigentlich sollte man annehmen dass in diesem Fall die abstoszligenden Wechselwirkun-gen dominieren da sich bei dem direkten Kontakt zwischen den Atomen zunaumlchst nur die Elektronenhuumlllen beruumlhren sollte es zu einer starken elektrostatischen Abstoszligung kommen Zunaumlchst scheint die Bildung einer chemischen Bindung physikalisch wenig plausibel Trotz-dem existieren in der Natur drei moumlgliche Loumlsungen des Problems

a) Die Ionenbindung Hierbei geht ein oder mehrere Elektronen vollstaumlndig vom Atom a zum Atom b uumlber Dadurch wird das Atom a zum positiv geladenen Kation das Atom b zum negativ geladenen Anion Die anziehende elektrostatische Kraft bewirkt eine stabile Bindung

b) Die kovalente Bindung Es bilden sich zwischen zwei Atomen a und b gemeinsame Elektronenorbitale auf denen Elektronen sozusagen unter den beiden Bindungs-partnern aufgeteilt werden

c) Die metallische Bindung Es bildet sich ein Kontinuum aus sehr groszligen gemeinsa-men Elektronenorbitalen die sich uumlber ein atomares Gitter erstrecken Eine Vielzahl von Elektronen (das so genannte Elektronengas) wird dabei unter einer Vielzahl von Atomen aufgeteilt

Im Folgenden soll vor allem die Loumlsung b also die kovalente Bindung betrachtet werden da die anderen Bindungsformen (wie spaumlter gezeigt wird) auch als Grenzfaumllle dieser Loumlsung gelten koumlnnen Das bedeutet wir betrachten nun eine Situation bei der gemeinsame Orbitale zwischen (im einfachsten Fall) zwei Atomkernen existieren Um dafuumlr die Schroumldingergleichung zu loumlsen

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ist erneut eine Vereinfachung noumltig die als Born-Oppenheimer-Naumlherung gilt Dabei nimmt man an dass der Ort der beiden Atomkerne festgelegt ist obwohl die dazwischen befind-lichen Elektronen durch Wellenfunktionen beschrieben werden Dadurch erspart man sich die Komplikation eines moumlglicherweise zeitlich variablen Kernabstands Gerechtfertigt wird diese Naumlherung dadurch dass die Atomkerne um ein Vielfaches schwerer sind als die Elektronen ihre Bewegungen daher um ein Vielfaches langsamer Mit dieser Naumlherung fuumlhren wir nun folgendes Gedankenexperiment durch wir betrachten zwei Wasserstoffatome mit unendlichem Abstand zueinander Ihre Elektronen befinden sich beide im energetischen Grundzustand besitzen aber unterschiedlichen Spin so dass ihnen die beiden Quantenzahlsaumltze (100+12) und (100-12) zukommen Damit wird dem Pauli-Prinzip Genuumlge getan so dass die beiden Atome nun zusammengeruumlckt werden duumlrfen Je naumlher die beiden Atome einander kommen umso mehr bdquofuumlhltldquo das Elektron des einen Atoms den Kern des anderen so dass die Wellenfunktionen des ungestoumlrten Wasserstoffatoms nun keine guumlltigen Loumlsungen mehr darstellen Es muumlssen also neue molekulare Wellenfunktionen gefunden werden Diese Molekuumllorbitale bildet man am einfachsten indem man Kombina-tionen aus den zuvor guumlltigen Atomorbitalen bildet Wichtig ist es handelt sich dabei nicht um eine einfache Uumlberlappung zwischen den bestehenden Atomorbitalen sondern um die rechnerische Bildung eines neuen Orbitals Im Fall des Wasserstoffatoms im Grundzustand sind zwei solcher Kombinationen moumlglich Vereinfachend kann man das eine entstehende Molekuumllorbital als normierte additive Kombination aus den beiden einzelnen s-Atomorbitalen betrachten (Abb 9 oben links) Es wird als bindendes σ-Molekuumllorbital bezeichnet besitzt eine niedrigere Energie als das s-Atomorbital und weist zwischen den beiden Atomkernen eine hohe Elektronendichte (ein hohes Ψsup2) auf Sein Gegenstuumlck wird entsprechend aus einer Art normierter subtraktiver Kombination der beiden urspruumlnglichen s-Orbitale gebildet (Abb 9 oben rechts) Es wird als antibindendes σ-Molekuumllorbital bezeichnet besitzt eine houmlhere Energie als das s-Atomorbital und weist zwischen den beiden Atomkernen eine niedrige Elektronendichte (ein kleines Ψsup2) auf An einer Stelle besitzt letztere sogar den Wert Null Die bisher vorhandenen Atomorbitale existieren nun nicht mehr

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Abb 9 Darstellung von bindenden (links oben) und antibindenden Molekuumllorbitalen (rechts oben) im Wasserstoffmolekuumll H2 Das Energiediagramm links unten veranschaulicht die Bildung eines bindenden σ-Molekuumllorbitals im Fall von Wasserstoff H2 Das Diagramm rechts unten verdeutlicht die Situation in einem fiktiven Helium-Molekuumll He2 bei dem neben dem bindenden σ-Molekuumllorbital auch das antibindende σ-Molekuumllorbital besetzt wuumlrde Zweiatomiges Helium ist demzufolge nicht stabil

Die hohe Elektronendichte des bindenden σ-Orbitals im Bereich zwischen den Kernen bewirkt dass sich anziehende elektrostatische Wechselwirkungen Kern-Elektron-Kern aus-bilden koumlnnen es haumllt also das Molekuumll zusammen (deswegen bdquobindendldquo) Da das bindende σ-Orbital die niedrigere Energie besitzt wandern die zwei Elektronen des Wasserstoffmole-kuumlls beide (mit unterschiedlichen Spins) in diese Position Damit verbunden ist ein Energie-gewinn der den gebundenen Zustand beguumlnstigt Zur Trennung des Molekuumlls muss Energie aufgebracht werden Das antibindende σ-Orbital weist am Ort zwischen den Kernen die Elektronendichte Null auf Damit dominiert hier die abstoszligende elektrostatische Wechselwirkung Kern-Kern dazu-hin ist es energetisch unguumlnstiger Bei einem fiktiven Helium-Molekuumll (Abb 9 unten rechts) muss wegen der Zahl von vier Elektronen auch dieses σ-Orbital doppelt besetzt sein Dadurch wird sowohl der Energiegewinn als auch die anziehende Wechselwirkung des bindenden σ-Orbitals kompensiert so dass dieses Molekuumll insgesamt nicht stabil ist Grundsaumltzlich sind alle urspruumlnglichen Atomorbitale nach der Bildung des Molekuumlls ver-schwunden alle insgesamt vorhandenen Elektronen werden auf die neu gebildeten Molekuumll-orbitale verteilt Ist das Niveau der Atomorbitale vor der Bildung eines gemeinsamen Mole-kuumllorbitals sehr unterschiedlich so erhaumllt man eine polare kovalente Bindung bei der der Schwerpunkt der Elektronendichte auf der Seite des urspruumlnglich energieaumlrmeren Orbitals

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liegt Im Grenzfall extremer Polaritaumlt erhaumllt man eine Ionenbindung (s oben) Sind sehr viele gleichartige Orbitale an der Bildung des Molekuumllorbitals beteiligt so koumlnnen sich groszlige Delokalisationsgebiete ausbilden Im Extremfall eines Delokalisationsgebiets das sich uumlber ein ganzes Kristallgitter erstreckt spricht man von einer metallischen Bindung (s oben) Die Molekuumllorbitaltheorie (kurz MO-Theorie) ist also in der Lage saumlmtliche Bindungsarten zu beschreiben Energiediagramme wie in Abb 9 unten werden als MO-Schemata bezeichnet Fuumlr zwei-atomige Molekuumlle moumlgen sie noch recht uumlbersichtlich aussehen bei vielatomigen Molekuumllen sind sie dagegen meistens unuumlberschaubar Mit Hilfe leistungsfaumlhiger Computer lassen sich solche Molekuumllorbitale noch rechnerisch erfassen allerdings steigt der Rechenaufwand (und damit die Rechenzeit und die Kosten) mit steigender Molekuumllgroumlszlige sehr rasch an In diesem Fall kann man auf eine vereinfachende Betrachtung ausweichen die so genannte Valence-Bond-Theorie (VB-Theorie Valenzbindungstheorie) Sie wurde in Konkurrenz zur MO-Theorie entwickelt und beinhaltet eine wesentliche zusaumltzliche Naumlherung Sie ist dadurch deutlich weniger genau allerdings auch wesentlich einfacher anwendbar und in der Praxis die beste Methode um rasch und anschaulich Molekuumllgeometrien und Reaktionsmechanismen erklaumlren zu koumlnnen Im Gegensatz zur MO-Theorie geht man bei der VB-Theorie im Grundsatz davon aus dass auch im Molekuumll noch die urspruumlnglichen Atomorbitale existieren Der VB-Theorie nach entsteht die chemische Bindung dadurch dass zwei halb besetzte Atomorbitale der beiden benachbarten Atome A und B uumlberlappen Das bdquoUumlberlappungsorbitalldquo wird dann in der Regel durch die beiden resultierenden Elektronen (eines von A und eines von B) besetzt wobei das wiederum voraussetzt dass sie einen unterschiedlichen Spin aufweisen Jedes durch solche bdquoUumlberlappungldquo gebildete Orbital entspricht einer Bindung Der Einfachheit halber nimmt man an dass die anderen Atomorbitale nicht an der Bindung teilnehmen und somit unveraumlndert bleiben Aufgrund dieser doch recht groben Naumlherung kommt es bei der VB-Betrachtung von einfa-chen Molekuumllen wie Wasser Methan oder Ammoniak sehr schnell zu Problemen Zunaumlchst einmal sind die erhaltenen Bindungswinkel unrealistisch aufgrund der Tatsache dass in allen genannten Faumlllen p-Orbitale beteiligt sind resultiert aus dem VB-Modell immer wieder ein Bindungswinkel von 90deg wohingegen die tatsaumlchlichen Bindungswinkel deutlich groumlszliger sind (Wasser 1045deg Methan 109deg) Ein noch groumlszligeres Problem stellen zB die Bindungs-verhaumlltnisse des Kohlenstoffs dar eigentlich sollte man nach der VB-Theorie fuumlr eine Ver-bindung zwischen Kohlenstoff und Wasserstoff ein bdquoCH2ldquo mit einem Bindungswinkel von 90deg erwarten wobei die zwei jeweils halbbesetzten p-Orbitale des Kohlenstoffs Bindungs-anzahl und ndashwinkel vorgeben Dieser Mangel der VB-Theorie kann weitgehend repariert werden indem man die Schritte der Promotion und der Hybridisierung einfuumlhrt Beide Vorgaumlnge sind dabei nicht als natuumlrliche Prozesse sonder eher als hypothetische Hilfskonstruktionen zu verstehen die lediglich dazu dienen die Maumlngel der VB-Theorie auszuheilen Letztlich ermoumlglichen sie es mit Hilfe von Linearkombinationen aus Atomorbitalen und deren Uumlberlappungszonen den tatsaumlchlich vor-liegenden Molekuumllorbitalen naumlherzukommen

Der erste dazu notwendige Schritt die Promotion dient dazu die fuumlr die gegebene Zahl an Bindungen notwendige Zahl an ungepaarten Elektronen zu schaffen Dazu werden dann einfach Orbitale houmlherer Energie besetzt Im Fall des vierbindigen Kohlenstoffs bedeutet das beispielsweise dass ein s-Elektron an den bereits halbbesetzten px- und py-Orbitalen vorbei auf das energiereichere pz-Orbital gehoben wird Aus der Elektronenkonfiguration

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wird somit 1s 2s 2p

Dieser hypothetische Vorgang kommt einer gewissen Energieerhoumlhung gleich die allerdings dadurch abgemildert wird dass ein nach der ersten Hundschen Regel (bdquobus seat ruleldquo) guumlnsti-gerer Zustand mit ungepaarten Spins entsteht Die vier nunmehr halbbesetzten Orbitale sind in Abbildung 10 dargestellt

Abb 10 Darstellung der vier an der sp3-Hybridisierung des Kohlenstoffs beteiligten Orbitale 2s 2px 2py und 2pz(Quelle Chemgapedia)

Anschlieszligend erfolgt nun die Hybridisierung eine Art Vermischung (oder mathematisch korrekter die Bildung von Linearkombinationen) des s- mit den drei p-Orbitalen Dadurch entstehen Orbitale in gleicher Anzahl aber mit voumlllig neuer Form Symmetrie und Orien-tierung im Raum

Abb 11 Darstellung der vier aus der sp3-Hybridisierung des Kohlenstoffs resultierenden Hybridorbitale Die Ausrichtung der sp3-Hybridorbitale folgt den vier Raumdiagonalen eines Wuumlrfels oder ndash wenn man nur die groumlszligeren Segmente der Orbitale betrachtet ndash den Ecken eines Tetraeders (Quelle Chemgapedia)

Die vier neuen wiederum jeweils halbbesetzten Orbitale zeigen vom Kern aus zu den Ecken eines Tetraeders Mit ihrer Hilfe laumlsst sich nun zwanglos die Bildung des bekannten Methan-Molekuumlls CH4 erklaumlren jedes einzelne sp3-Hybridorbital uumlberlappt mit jeweils einem s-Orbi-tal eines Wasserstoffatoms wodurch eine tetraedrische Molekuumllgeometrie mit vier voumlllig gleichberechtigten Bindungen entsteht Das Ergebnis kommt den tatsaumlchlich vorhandenen Molekuumllorbitalen die sich gemaumlszlig dem MO-Modell formulieren lassen sehr nahe Festzu-halten ist dabei dass es sich sowohl bei der Promotion als auch bei der Hybridisierung um rein fiktive Prozesse handelt die lediglich postuliert werden um den VB-Ansatz zu bdquorettenldquo Der grundsaumltzliche Mangel der darin besteht dass das VB-Modell uumlberwiegend auf Atom-orbitalen beharrt die eigentlich nicht mehr existieren bleibt bestehen Viele Molekuumllgeome-trien lassen sich in der VB-Theorie nur mit Hilfe einer passenden Hybridisierung erklaumlren Dennoch das VB-Modell ist fuumlr die meisten Anwendungen in der Chemie nach wie vor der am haumlufigsten gewaumlhlte Ansatz er ist einfach intuitiv und vielseitig einsetzbar solange man die richtige Form der Hybridisierung waumlhlt Letzteres geschieht auf der Grundlage einer bekannten Molekuumllgeometrie oder unter Beruumlcksichtigung von vorhandenen Mehrfachbindun-gen Im Idealfall aumlhneln die gebildeten Hybridorbitale dann den wirklichen Molekuumllorbitalen

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17

In der folgenden Tabelle sind die haumlufigsten Hybridisierungsvarianten zusammengefasst und verschiedenen Molekuumllgeometrien zugeordnet Bei gegebener Geometrie des Molekuumlls (z B die trigonal-planare Anordnung um jedes Kohlenstoffatom im Ethylen) kann man so auf die passende Hybridisierung schlieszligen (im gegebenen Fall das sp2-Hybrid)

Tabelle 1 Wichtige Hybridisierungszustaumlnde nach dem VB-Modell

Hybridisierung Promotion Koordinationszahl Geometrie Beispiele

sp uarruarr suarr puarr 2 linear Acetylen Propadien

sp2 uarruarruarr suarr puarruarr 3 trigonal-planar Ethylen Benzol

sp3 uarruarruarruarr suarr puarruarruarr 4 tetraedrisch Methan Ammoniak

sp3d uarruarruarruarruarr suarr puarruarruarr duarr 5 trigonal-bipyramidal

Phosphor-pentachlorid

sp3d2 uarruarruarruarruarruarr suarr puarruarruarr duarruarr 6 oktaedrisch Schwefel-hexafluorid

Die so entstehenden Hybridorbitale kommen in ihrer raumlumlichen Darstellung den tatsaumlchli-chen Molekuumllorbitalen teilweise recht nahe sie korrigieren somit die VB-Theorie in gewissem Sinne in Richtung der MO-Theorie Allerdings bleibt festzuhalten dass die VB-Theorie keine antibindenden Orbitale kennt diese bleiben einfach unberuumlcksichtigt Dies ist eine gravie-rende Schwaumlche der VB-Theorie die sich an vielen Stellen bemerkbar macht (zB bei der Erklaumlrung des Sauerstoff-Biradikals in der Spektroskopie und bei bestimmten Reaktions-typen)

19 Elektronegativitaumlt und Polaritaumlt

In einer chemischen Bindung zwischen verschiedenen Elementen besitzen die beteiligten Atome fuumlr gewoumlhnlich unterschiedliche Tendenzen die Bindungselektronen an sich zu ziehen Bei der Betrachtung der Energieschemata im MO-Modell aumluszligert sich dies darin dass ein bindendes Molekuumllorbital aus einer Linearkombination zweier Atomorbitale mit sehr unterschiedlicher Energie hervorgeht In diesem Fall besitzt das bindende Molekuumllorbital die Tendenz hohe Elektronendichten in der Naumlhe des Elements aufzuweisen dessen Atomorbital energetisch guumlnstiger liegt Man spricht dann von einer hohen Elektronegativitaumlt dieses Elements da es in dem gebundenen Zustand durch die erhoumlhte Elektronendichte eine partiell negative Ladung aufweist Ein klassisches Beispiel ist die Verbindung Fluorwasserstoff (HF) Hier wird ein bindendes Molekuumllorbital aus der Linearkombination zwischen dem 1s-Orbital des Wasserstoffs mit einem 2p-Orbital des Fluors gebildet Letzteres liegt aufgrund der relativ hohen Kernladung und des geringen Atomradius des Fluors energetisch wesentlich tiefer wodurch sich eine stark asymmetrische Elektronenverteilung ergibt Die Elektronegativitaumlt wird in erster Linie durch die Kernladung vor allem aber auch durch den Abstand zwischen den Valenzelektronen und dem Atomkern bestimmt Daher sind auch kleine Atome wie zum Beispiel der Stickstoff der Sauerstoff oder das Fluor auch besonders elektronegativ (s Tabelle Seite 12) Im Periodensystem der Elemente nimmt die Elektro-negativitaumlt tendenziell nach oben und nach rechts zu (Edelgase ausgenommen) Linus Pauling

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schlug vor die Elektronegativitaumlt ausgehend von der VB-Theorie als dimensionslose Kenn-groumlszlige fuumlr jedes einzelne Element einzufuumlhren Sie errechnet sich aus einem Vergleich der Dissoziationsenergien der beteiligten Elemente Demnach besitzt Francium als das am wenigsten elektronegative Element den Wert 070 und Fluor als das am staumlrksten elektro-negative Element den Wert 398 Eine Zwischenstellung nimmt zB Wasserstoff mit 220 ein Bei Bindungen zwischen Elementen mit unterschiedlicher Elektronegativitaumlt spricht man von polaren Bindungen Entlang einer polaren Bindung baut sich durch die ungleiche Elektronen-verteilung ein entsprechendes Dipolmoment auf das haumlufig Anlass fuumlr starke zwischen-molekulare Kraumlfte liefert (s Kapitel 3) Im Extremfall einer sehr polaren kovalenten Bindung kann das Bindungselektron (bzw die Bindungselektronen) praktisch allein dem elektronega-tiveren Element zugesprochen werden Das entsprechende Bindungsorbital besteht dann als Linearkombination von Atomorbitalen fast ausschlieszliglich aus einem Atomorbital welches das elektronegativere Element beisteuert In diesem Fall spricht man nach klassischer Definition von einer Ionenbindung

2 Die Elektronenspektroskopie an Atomen und Molekuumllen 21 Grundlagen der Spektroskopie

Elektronen in Atomen und Molekuumllen koumlnnen ndash soweit die Erkenntnis aus Kapitel 1 ndash durch Wellenfunktionen beschrieben werden Aus diesen kann man nicht nur die Aufenthaltswahr-scheinlichkeit an verschiedenen Positionen im Raum sondern auch die Energie des Elektrons ableiten Eine Folge der Beschraumlnkung der Elektronen auf bestimmte Wellenfunktionen mit jeweils bestimmter Energie ist dass sie auch nur in bestimmten Schritten Energie aufnehmen und abgeben koumlnnen Jede Aufnahme bzw Abgabe von Energie entlang dieses Schrittes ist generell mit der Aufnahme bzw Abgabe von elektromagnetischer Strahlung verbunden Diese Tatsache bildet die Grundlage der Spektroskopie im gegebenen Fall der Elektronenspektros-kopie

Allgemein gesprochen befasst sich die Spektroskopie mit der Wechselwirkung zwischen Strahlung und Materie Etwas genauer laumlsst sich aussagen dass die Spektroskopie unter-sucht mit welcher elektromagnetischen Strahlung sich welcher energetische Uumlbergang anre-gen laumlsst Zwischen der elektromagnetischen Strahlung und dem dabei bewirkten energeti-schen Uumlbergang gilt dann grundsaumltzlich folgende Beziehung Δ E = h ∙ ν mit ΔE als der Energiedifferenz zwischen den beiden Zustaumlnden (in Joule) ν (gesprochen bdquonuumlldquo) als Frequenz der verwendeten elektromagnetischen Strahlung (in 1s oder Hertz Hz) und h als dem so genannten Planckschen Wirkungsquantum (mit h = 6626∙10-34 Js) Somit ist jeder Frequenz ν im elektromagnetischen Spektrum (Abb 12) genau ein Energiewert Δ E zugeordnet Die dazugehoumlrige Wellenlaumlnge im Vakuum (in m) errechnet sich nach λ = c ν mit c als Lichtgeschwindigkeit (im Vakuum c = 299 792 458 ms)

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Abb 12 Elektromagnetisches Spektrum (Quelle Chemgapedia)

Fuumlr die genaue Messung welche Frequenz der elektromagnetischen Strahlung einem gegebe-nen Uumlbergang anzuregen vermag gibt es experimentell zwei verschiedene Ansaumltze Entweder man strahlt Energie auf das System ein und beobachtet den Verlust an Strahlungsintensitaumlt der dann beobachtet wird wenn die Strahlung einen Uumlbergang zu einem houmlheren Energieni-veau bewirkt (Absorption) oder man fuumlhrt dem System Energie zu (zum Beispiel thermisch) und beobachtet dann die Freisetzung von Energie als Strahlung (Emission) Im einen Fall erfuumlllt die Frequenz der absorbierten Strahlung im anderen Fall die der emittierten Strahlung die Frequenzbedingung ΔE = h ∙ ν Mit beiden Methoden kann man so exakt den Energie-unterschied zwischen zwei Energieniveaus ausmessen Die Bestimmung der Werte fuumlr die charakteristischen Energieschritte ΔE eines Systems ist die Hauptaufgabe der Spektroskopie Sie eignet sich insbesondere um elektronische Wellenfunktionen eines Systems zu erkunden

22 Elektronenspektroskopie am eindimensionalen Potentialtopf

Das denkbar einfachste elektronische System ist der eindimensionale Potentialtopf Dennoch kann auch dieses Modell schon in grober Naumlherung auf Molekuumlle angewandt werden speziell auf solche mit annaumlhernd linearen Delokalisationssystemen (s Kapitel 14) Ein Beispiel ist die Reihe Butadien Hexatrien Oktatetraen usw Bildet man mit Hilfe der Loumlsungen der Schroumldingergleichung fuumlr das eindimensionale Potentialtopfmodell einen Ausdruck fuumlr den elektronischen Uumlbergang zwischen dem houmlchsten besetzten Orbital (HOO) und dem niedrig-sten unbesetzten Orbital (LUO) so erhaumllt man fuumlr die damit verbundene Energiedifferenz gemaumlszlig der in Abbildung 5 gezeigten Formel

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ΔE = h ∙ ν = (nsup2LUO-nsup2HOO) ∙ hsup2 (8 me asup2)

Mit wachsender Laumlnge a und wachsender Elektronenzahl (jedes Kohlenstoffatom im Delokali-sationsgebiet traumlgt ein Elektron bei) steigen einerseits die Werte der Quantenzahlen n fuumlr das houmlchste besetzte Orbital (HOO) und das niedrigste unbesetzte Orbital (LUO) an andererseits steigt aber auch die Laumlnge L die quadratisch im Nenner der Gleichung steht Da letzteres insgesamt uumlberwiegt sinkt der Wert fuumlr ΔE und damit fuumlr die Frequenz ν schrittweise mit Anstieg der Kettenlaumlnge Liegt die absorbierte Lichtfrequenz anfaumlnglich im UV-Bereich so verschiebt sie sich beispielsweise fuumlr das Carotin mit 11 Doppelbindungen schon in den sichtbaren blauen Bereich Weil daher Carotin blaues Licht absorbiert erscheint es im Durchlicht betrachtet in der Komplementaumlrfarbe orange-gelb Nach diesem Prinzip lassen sich viele organische Farbstoffe interpretieren Aumlndert sich die Laumlnge bzw die Elektronenzahl (und damit nsup2LUO und nsup2HOO) durch die Protonierung des Molekuumlls so hat man es mit einem Farbstoff zu tun der mit dem pH-Wert seine Farbe aumlndert ndash dies ist die Grundlage vieler pH-Indikatoren

23 Elektronenspektroskopie am Wasserstoffatom

Die wissenschaftliche Spektralanalyse wurde in der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts gemeinsam durch GR Kirchhoff und RW Bunsen entwickelt Sie entdeckten dass alle Elemente beim Erhitzen Licht aussenden Nach Zerlegung des Lichts mit einem Glasprisma erhaumllt man ein fuumlr jedes Element charakteristisches Linienmuster das so genannte Spektrum (s auch UTube-Video bdquospectral lines demoldquo httpwwwyoutubecomwatchv=2ZlhRChr_Bw) Dieses Spektrum reflektiert die Gesamtheit der dem gegebenen Element eigenen elektronischen Uumlbergaumlnge und ist damit ein unverwechselbarer Fingerabdruck Elemente koumlnnen damit sowohl in der Emissionsspektroskopie als auch in der Absorptionsspektroskopie eindeutig und mit hoher Empfindlichkeit identifiziert werden

Die Elektronenspektroskopie kann jedoch noch deutlich mehr sie erlaubt die exakte Uumlber-pruumlfung der durch die Loumlsung der Schroumldingergleichung gefundenen elektronischen Wellen-funktionen Dies wurde zunaumlchst am Wasserstoffatom mit hoher Praumlzision betrieben Histo-risch gesehen ist die erste wichtige Lichtquelle fuumlr spektroskopische Analysen unsere Sonne Dies gilt insbesondere fuumlr das Spektrum des Wasserstoffs Da die Energie der elektronischen Zustaumlnde dort einzig und allein von der Hauptquantenzahl n abhaumlngt (s Kapitel 15) werden lediglich solche Spektrallinien beobachtet die sich genau einem gegebenen ΔE = E(n) - E(nlsquo) zuordnen lassen Zuerst wurde mit der Balmer-Serie der sichtbare Anteil des Spektrums ent-deckt der mit allen Uumlbergaumlngen von oder zu dem Niveau n = 2 verbunden ist (Abb 13) Es folgten spaumlter im UV-Bereich die Lyman-Serie mit n = 1 und im IR-Bereich die Paschen-Serie mit n = 3 die Brackett-Serie mit n = 4 sowie die Pfundt- und die Humphreys-Serie mit n = 5 und n = 6 (letztere sind in Abb 13 nicht mehr eingezeichnet) Weitere Serien mit houmlheren Quantenzahlen existieren tragen aber keine eigenen Namen mehr

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Wel

lenz

ahl

[100

0 cm

-1]

0

10

20

30

40

50

60

70

80

90

100

110Grundzustand

Lyman-serie

Balmer-serie

Paschen-serie

Brackett-serie

n = 5n = 4

n = 3

n = 2

n = 1

Gustav Robert Kirchhoff

Robert Wilhelm Bunsen

Abb 13 Wichtige elektronische Uumlbergaumlnge im Wasserstoffatom

Abbildung 14 zeigt das gesamte Wasserstoffspektrum die Kuumlrzel benennen die entsprechen-den Serien (Ly = Lyman Ba = Balmer etc)

Abb 14 Spektrum des Wasserstoffatoms Die Achse fuumlr die Wellenlaumlnge ist logarithmisch aufgetragen

Eine genaue Analyse ergibt dass sich das Schema der Energiedifferenzen nach Abb 13 fast genau mit den in Kapitel 15 besprochenen Loumlsungen der Schroumldingergleichung deckt Die aumluszligerst kleinen Abweichungen die man dennoch detektieren konnte lieszligen sich auf den Bei-trag des Kerns (trotz seiner hohen Masse kann er sich minimal mit dem Elektron mitbewegen) und des Isotopeneffekts zuruumlckfuumlhren der schwerere Deuteriumkern der aus einem Proton und einem Neutron besteht bewegt sich weniger leicht mit dem Elektron mit als das einsame Proton des bdquonormalenldquo Wasserstoffs Daneben zeigen sich bei sehr hoher Aufloumlsung des Spektrums auch relativistische Effekte die zu weiteren Aufspaltungen fuumlhren

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24 Elektronenspektroskopie an Atomen mit mehreren Elektronen

Aufgrund der Wechselwirkungen zwischen den Elektronen ist bei schwereren Elementen die beim Wasserstoff gegebene Entartung bezuumlglich der Quantenzahlen l und m aufgehoben Damit wird das Energiediagramm bereits fuumlr ein einfaches houmlheres Atom wie zum Beispiel Lithium schon deutlich komplizierter (Abb 15) Neben den Uumlbergaumlngen zwischen verschiede-nen Werten fuumlr n treten nun auch Uumlbergaumlnge zwischen s und p p und d d und f auf Manche Uumlbergaumlnge (zum Beispiel solche zwischen s- und d-Niveaus) werden allerdings gewoumlhnlich nicht beobachtet man nennt sie bdquoverbotenldquo bdquoErlaubtldquo sind nur solche Uumlbergaumlnge bei denen die Nebenquantenzahl sich um den Wert plusmn1 aumlndert (also eben von s nach p von p nach d usw) Die so genannte Auswahlregel welche die erlaubten Uumlbergaumlnge festlegt heiszligt folglich Δl = plusmn1

Als weitere Folge der Wechselwirkungen zwischen den Elektronen besitzt jedes houmlhere Atom ein eigenes und von Wasserstoff verschiedenes Energiediagramm Damit besitzt aber auch jedes Atom ein unverwechselbares Muster von Energieuumlbergaumlngen die es eindeutig kenn-zeichnet Dies laumlsst sich bereits in einfachen Versuchen anhand von Flammenfaumlrbungen zeigen Diejenigen Uumlbergaumlnge deren ΔE den Wellenlaumlngen im sichtbaren Spektrum entspricht (in Abb 15 sind dies die kuumlrzeren unter den eingezeichneten blauen Pfeilen) sorgen bei vielen Elementen fuumlr ein charakteristisches farbiges Leuchten (Abb 15 rechts)

Ener

gie

Wasserstoff Lithium

n = 1

2

3

45

1s

2s

2p

3s

4s

5s

3p

4p5p

3d

4d5d

Abb 15 Termschema von Lithium mit wichtigen elektronischen Uumlbergaumlngen (links) Durch Lithium verursachte Flammenfaumlrbung (rechts Quelle httpwwwitpuni-hannoverde~zawischaITPatomshtml)

Letztlich ist auch bei allen houmlheren Atomen die Elektronenspektroskopie eine ideale Methode um das Energieniveauschema experimentell zugaumlnglich zu machen Sie eignet sich daruumlber hinaus perfekt zur schnellen und empfindlichen Identifikation von Elementen Diese Tatsache

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macht man sich sowohl in der Atomabsorptionsspektroskopie (AAS) als auch in der Atom-emissionsspektroskopie (AES) zunutze Elektronenspektren sind unverwechselbare Finger-abdruumlcke mit denen alle Elemente in hoher Empfindlichkeit und selbst uumlber groszlige Distanzen hinweg sicher identifiziert werden koumlnnen

25 Elektronenspektroskopie an Molekuumllen

Genau wie die Atomorbitale sind auch Molekuumllorbitale der Elektronenspektroskopie zugaumlng-lich Durch die systematische Analyse aller elektronischen Uumlbergaumlnge lassen sich die Energie-niveaus in einem MO-Schema schrittweise ausmessen Besonders interessant wird dieser Ansatz bei der Untersuchung der Bindungsverhaumlltnisse Im Allgemeinen beobachtet man Uumlbergaumlnge zwischen bindenden und nicht bindenden Orbitalen einerseits und den uumlblicherweise unbesetzten antibindenden Orbitalen andererseits In Abb 16 ist dies am Beispiel einer C-O-Bindung in Formaldehyd gezeigt Im Mittelpunkt stehen dabei das binden-de und das antibindende σ-Orbital C-O das bindende und das antibindende π-Orbital C-O sowie das nicht bindende freie Elektronenpaar des Sauerstoffs (ein weiteres freies Elektronen-paar bleibt unbeteiligt)

Ener

gie

σ CO

σ CO

π CO

π CO

n O

C

H

H

O

σ-σ

Uumlbe

rgan

g

π-π

Uumlbe

rgan

gn-π Uumlber-gang

σ

Abb 16 Termschema der CO-Gruppe in Formaldehyd (links) Die beteiligten Bindungen und das im betrachteten Energiefenster liegende freie Elektronenpaar des Sauerstoffs sind rechts skizziert

Die drei wichtigsten Uumlbergaumlnge die an der C-O-Gruppe detektiert werden sind der σ-σ-Uumlbergang der π-π-Uumlbergang und der n-π-Uumlbergang Letzterer ist in einer C-O-Gruppe stets am energieaumlrmsten und kann bereits mit UV-Licht einer Wellenlaumlnge um 280 nm angeregt werden (schwarzer Pfeil in Abb 16) Energiereicher und intensiver ist bei der CO-Gruppe der π-π-Uumlbergang der bei Wellenlaumlngen um 170 nm angeregt wird (roter Pfeil in Abb 16) Daruumlber hinaus zeigt das Spektrum dass die beiden freien Elektronenpaare des Sauerstoffs stark unterschiedlichen Charakter besitzen (nur eines ist an dem n-π-Uumlbergang beteiligt das andere tritt im gegebenen Spektralbereich nicht in Erscheinung)

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Auf aumlhnliche Weise lassen sich alle MO-Schemata komplizierter Molekuumlle analysieren Lie-gen die Anregungsfrequenzen der Uumlbergaumlnge im sichtbaren Bereich so haben die Molekuumlle die Funktion von Farbstoffen Haumlufig besitzen sie dann laumlngere lineare Delokalisationsgebiete deren Elektronenspektren man dann auch in grober Naumlherung mit dem eindimensionalen Potentialtopfmodell beschreiben kann (s Kapitel 22) Werden Bindungselektronen angeregt und aumlndern sich im Verlauf der elektronischen Anre-gung die Bindungsverhaumlltnisse (beispielsweise bei Besetzung eines antibindenden Zustands) so ist mit der elektronischen Anregung zwangslaumlufig auch eine Aumlnderung des energetisch guumlnstigsten Bindungsabstands verbunden Damit einhergehend werden mechanische Schwin-gungen des Molekuumlls angeregt Mit den Molekuumllschwingungen verhaumllt es sich analog zu den elektronischen Zustaumlnden auch Molekuumllschwingungen existieren nur in bestimmten definierten Zustaumlnden die sich dann den elektronischen Zustaumlnden uumlberlagern (Abb 17) Die Folge davon ist dass die Elektronenspektren von Molekuumllen haumlufig keine scharfen Linien sondern breite Absorptionsbereiche (bdquoBandenldquo) aufweisen Alle Linien fuumlr die elektronischen Uumlbergaumlnge zerlegen sich demnach in eine Vielzahl von Einzellinien die verschiedene Schwingungszustaumlnde der benachbarten elektronischen Zustaumlnde miteinander verbinden (in Abb 17 sind exemplarisch neun verschiedene moumlgliche Uumlbergaumlnge eingezeichnet) Normaler-weise liegen alle diese Linien dicht beieinander so dass insgesamt eine verbreiterte Absorp-tionsbande entsteht

Ener

gie

elektronische Niveaus

Schwingungsniveaus

Abb 17 Zum Zustandekommen von breiten Absorptionsbanden in Elektronen-Schwingungsspektren Uumlberlagerung von elektronischen Uumlbergaumlngen mit Schwingungsuumlbergaumlngen Exemplarisch sind jeweils drei Schwingungsniveaus eingezeichnet

Das Elektronenspektrum eines Molekuumlls wird wegen der dazu verwendeten Frequenzbereiche im UV- und im sichtbaren (bdquovisibleldquo) Spektrum auch UV-vis-Spektroskopie genannt Die UV-vis-Spektroskopie dient neben der Aufklaumlrung der MO-Struktur auch der schnellen und bequemen Identifikation von chemischen Verbindungen Aufgrund ihrer im Absorptionsver-fahren sehr einfachen und preisguumlnstigen Messtechnik wird sie auch haumlufig in Kombination mit anderen analytischen Verfahren (zB der Chromatographie) verwendet Uumlber eine Bestim-mung der Intensitaumlt der Anregung kann auch eine quantitative Analyse einzelner Verbindun-gen erfolgen

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3 Das Zusammenwirken von Atomen und Molekuumllen 31 Der makroskopische Zustand von Materie Bisher sind nur einzelne Bausteine der Materie also Atome und Molekuumlle betrachtet worden Nun soll das makroskopische Erscheinungsbild von Materie ins Auge gefasst werden die aus einer Vielzahl von Atomen oder Molekuumllen besteht Um den Zustand dieser aus vielen Teilchen zusammengesetzten Materie uumlberhaupt als Gesamtheit zu beschreiben benoumltigt man zunaumlchst so genannte Zustandsparameter oder Zustandsgroumlszligen Die wichtigsten Vertreter dieser Kenngroumlszligen fuumlr makroskopische Materie sind die Stoffmenge n das Volumen V der Druck P und die Temperatur T

n Stoffmenge Die Stoffmenge wird uumlber die Teilchenzahl definiert

Einheit der Teilchenzahl 1 Mol

Definition Ein Mol eines Stoffes enthaumllt dieselbe Anzahl an Teilchen wie 0012 kg reiner Kohlenstoff des Isotops 12C (1 Mol 60221023

Teilchen) Dabei muss eindeutig festgelegt sein was unter einem Teilchen des Stoffes jeweils zu verstehen ist Ist die Stoffmenge konstant so spricht man von einem geschlossenen System

V Volumen Die Definition des Volumens erfolgt uumlber die festgelegte Laumlngeneinheit und den geometrischen Volumenbegriff

Einheit des Volumens 1 msup3

Definition Ein msup3 ist das Volumen eines wuumlrfelfoumlrmigen Raums mit einer Kantenlaumlnge von einem Meter Ist das Volumen konstant so spricht man von einem isochoren Vorgang

P Druck Die Definition erfolgt uumlber die Kraft die ein Stoff auf jede Flaumlcheneinheit eines ihn einschlieszligenden Behaumllters ausuumlbt

Einheit des Drucks 1 Pascal = 1 Pa = 1 Nmsup2 = 10-5 bar

Definition Ein Pascal ist der Druck bei dem auf jeden Quadratmeter der Behaumllterwaumlnde eine Kraft von 1 Newton ausgeuumlbt wird Ist der Druck konstant so spricht man von einem isobaren Vorgang

T Temperatur

Der sicherlich am schwierigsten fassbare Zustandsparameter makroskopischer Materie ist die Temperatur Zwar ist sie direkt mit der menschlichen Wahrnehmung verknuumlpft (kalt warm heiszlighellip) physikalisch jedoch zunaumlchst sehr undefiniert da sie nicht ohne weiteres auf andere physikalische Groumlszligen zuruumlckfuumlhrbar ist Am ehesten laumlsst sie sich im ersten Ansatz als diejenige Eigenschaft von Materie beschreiben die von einem Thermometer gemessen wird

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Zur Verwendung als Thermometer eignet sich prinzipiell jeder physikalische oder chemische Vorgang der reproduzierbar mit einer Temperaturaumlnderung verknuumlpft ist Klassisch sind dies insbesondere die Ausdehnungsvorgaumlnge von Gasen Fluumlssigkeiten und Festkoumlrpern (Abb 18)

Hg

Festkoumlrperthermometer werden gewoumlhnlich nach demPrinzip des Bimetall-Thermometers ausgelegt (ganzlinks) Dabei werden zwei verschiedene Festkoumlrper(zB zwei Bleche aus verschiedenen Metallen) flaumlchigmiteinander in Kontakt gebracht Bedingt durch dieunterschiedliche thermische Ausdehnung derMaterialien kruumlmmt sich das Bimetall-Blech abhaumlngigvon der Temperatur mehr oder weniger stark zu einerSpirale

Fluumlssigkeitsthermometer (Mitte) und Gasthermometer(rechts) nutzen die Volumenaumlnderung eines fluidenMediums mit der Temperatur Die Genauigkeit kannerhoumlht werden indem einem groszligvolumigen Vorrats-behaumllter ein relativ kleinvolumiger Ausdehnungs- undAblesebereich gegenuumlbergestellt wird

Abb 18 Thermometer die auf der Grundlage der temperaturbedingten Ausdehnung von Materie beruhen

In der Praxis kommen mehr und mehr die elektronischen Varianten der Temperaturmessung zum Zug die zumeist auf der Messung der Thermospannung basieren Neben der Messmetho-de ist die Festlegung einer Temperaturskala wichtig Dazu dienten zunaumlchst einige Fixpunkte die heute teilweise noch historische Bedeutung haben

1) Die tiefste Temperatur des Winters 17081709 in Danzig - 178 degC

2) Die Temperatur von schmelzendem Eis bei 760 Torr (760 Torr = 1 atm = 101 325 Pa) 0 degC

3) Koexistenztemperatur von Eis Wasser und Wasserdampf 001 degC (exakt)

4) Die durchschnittliche Koumlrpertemperatur eines gesunden Menschen 378 degC

5) Die Siedetemperatur des Wassers bei 760 Torr (1 atm = 101 325 Pa) 100 degC

Die Punkte 1 und 4 bildeten die Grundlage des Fahrenheit-Systems die Punkte 2 und 5 die der Celsius-Skala Bei beiden Systemen wurde der definierte Bereich zunaumlchst in 100 gleiche Teile (Grade) aufgeteilt dann extrapoliert Beide Definitionen wurden spaumlter verfeinert (Celsius 9999 Grade C zwischen den Fixpunkten 3 und 5 Fahrenheit 180 Grade F zwischen den Fixpunkten 1 und 5) Trotzdem mangelt es auszliger Punkt 3 allen genannten Fixpunkten an Genauigkeit und Reproduzierbarkeit

Das zweite Problem nach der Unvollkommenheit der Fixpunkte besteht in der Festlegung einer systemunabhaumlngigen linearen Teilung Gewoumlhnlich ist der Verlauf der Skala vom gewaumlhlten Medium abhaumlngig Eine lineare Teilung auf der Skala eines Quecksilber-thermometers entspricht daher nicht einer linearen Teilung auf der Skala eines Alkoholthermometers da die Ausdehnung bei jedem Medium in unterschiedlicher Weise von der Temperatur abhaumlngt

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Beide Probleme sowohl die Wahl der passenden Fixpunkte als auch die Definition einer sinnvollen linearen Teilung werden heute durch die Festlegung der so genannten absoluten Temperaturskala geloumlst Grundlage hierfuumlr sind uumlbereinstimmende Beobachtungen an Gasthermometern

-300 -200 -100 0 100 200

V

T

-27315degCBei wiederholten Messungen mit verschiedenenGasthermometern verschiedenen Gasen undGasvolumina und bei verschiedenen Drucken stelltman fest dass sich die Verlaumlngerungen aller in denjeweiligen Diagrammen erhaltenen Linien in einemPunkt schneiden Dieser Punkt entspricht auf derVolumenachse dem Wert V = 0 und auf derTemperaturachse dem Wert T = -27315 degC

Abb 19 Ausdehnungskurven verschiedener Gase Die Temperaturskala ist zunaumlchst noch in Celsius aufgetragen

Aus dieser Beobachtung wurde geschlossen dass der Temperatur am gemeinsamen Schnitt-punkt aller Ausdehnungskurven eine besondere physikalische Bedeutung zukommt und sie sich daher als Fixpunkt einer neuen Temperaturskala eignet Weiterhin wurde festgestellt dass zwar alle Gase in ihrem Ausdehnungsverhalten von dem linearen Verlauf abweichen dass aber unter bestimmten Umstaumlnden (zB niedriger Druck) ein gemeinsamer Verlauf angestrebt wird den man auch als idealen Verlauf bezeichnen koumlnnte Am besten funktioniert das bei Helium unter schrittweise absinkenden Drucken dessen Verhalten sich fuumlr P rarr 0 zum idealen Verhalten extrapolieren laumlsst Diese Erkenntnis diente zur Definition einer absoluten Temperaturskala in Kelvin

1) Unterer Fixpunkt Schnittpunkt der Volumenexpansionskurven bdquoidealerldquo Gase (zB Helium fuumlr den Grenzfall Prarr0) 0 Kelvin

2) Oberer Fixpunkt Koexistenztemperatur von Eis Wasser und Wasserdampf 27316 Kelvin

3) Das Volumen eines bdquoidealenldquo Gases (zB Helium fuumlr den Grenzfall Prarr0) ist bei konstantem Druck proportional zur Temperatur und definiert die lineare Teilung der Temperaturskala

Gemaumlszlig dieser Definition ist jede beliebige Temperatur unter Nutzung eines bdquoidealenldquo Gasther-mometers auf der absoluten Kelvin-Skala eindeutig festgelegt Die Verwendung der Kelvin-Skala ist gegenuumlber der Nutzung klassischer Temperatursysteme bei der Beschreibung physi-kalischer Vorgaumlnge eindeutig von Vorteil Vorgaumlnge bei denen die Temperatur konstant ist nennt man isotherm Mit der Definition der wichtigsten Zustandsparameter Teilchenzahl n Volumen V Druck P und Temperatur T besteht nun die Moumlglichkeit das Verhalten makroskopischer Materie zu beschreiben Am einfachsten gelingt das im Fall von Gasen

32 Zustandsgleichung fuumlr Gase die ideale Gasgleichung

Gleichungen welche die Zustandsparameter wie n V T und P miteinander verknuumlpfen nennt man Zustandsgleichungen Sie beschreiben das Verhalten einer aus vielen einzelnen Teilchen bestehenden Materie hinsichtlich ihrer makroskopisch messbaren Groumlszligen Am

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einfachsten sind solche Zustandsgleichungen fuumlr Gase aufzustellen Untersucht man bei Gasen systematisch den Zusammenhang zwischen n V P und T so stellt man fest dass fuumlr alle Gase in mehr oder weniger guter Naumlherung folgende einfache Gleichung erfuumlllt isthellip

P ∙ V = n ∙ R ∙ T

hellipwobei R fuumlr die so genannte ideale Gaskonstante steht (R asymp 8314 J K-1 Mol-1) Diese Glei-chung auch bdquoideale Gasgleichungldquo genannt ist ein so genanntes Grenzgesetz kein real exis-tierendes Gas erfuumlllt es genau aber alle Gase kommen ihm recht nahe insbesondere bei hohen Temperaturen und niedrigen Druumlcken Eine Gleichung dieser Form nennt man auch Zustands-gleichung da sie Zustandsparameter miteinander verbindet Grafisch laumlsst sich diese Verknuumlp-fung in einem einfachen Diagramm darstellen bei dem jede Kombination von T und V genau einem Wert fuumlr P zugeordnet ist (Abb 20)

P

V

T

Abb 20 Auftragung von P gegen T und V nach der idealen Gasgleichung

Wir wissen nun dass die Gase aus einer Vielzahl von Teilchen (Atomen oder Molekuumllen) bestehen Wie laumlsst sich das durch die ideale Gasgleichung beschriebene Verhalten nun mit dieser Tatsache in Einklang bringen Was bedeuten eigentlich die Parameter Druck und Tem-peratur fuumlr ein Gas das sich aus vielen einzelnen Atomen und Molekuumllen zusammensetzt Um makroskopische Zustandsparameter uumlberhaupt mit der Teilchenwelt verknuumlpfen zu koumlnnen benoumltigen wir eine Modellvorstellung fuumlr das mechanische Zusammenwirken der Teilchen im Fall von Gasen das so genannte kinetische Gasmodell

33 Das kinetische Gasmodell

Bei den im vorhergehenden Kapitel aufgefuumlhrten Gasgesetzen handelt es sich um mathemati-sche Beschreibungen von makroskopisch beobachtbaren Vorgaumlngen Zur Interpretation der Gasgesetze auf molekularer Ebene wurden verschiedene Modelle vorgeschlagen Das erfolg-reichste unter ihnen war das sogenannte kinetische Gasmodell Es beruht auf der Vorstellung dass ein Gas aus einer Vielzahl von Teilchen besteht die folgende Bedingungen erfuumlllen

1) Sie besitzen eine Atom- oder Molmasse M einen endlichen Durchmesser d und befinden sich in staumlndiger und ungeregelter Bewegung

2) Die Groumlszlige der Teilchen ist im Verhaumlltnis zum freien Volumen vernachlaumlssig-bar

3) Zwischen den Teilchen finden elastische Stoumlszlige statt Ansonsten existieren keine weiteren Wechselwirkungen unter den Teilchen

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Nach der kinetischen Gastheorie besteht der Druck eines Gases aus der Summe aller Kraumlfte (pro Flaumlcheneinheit) die durch auf eine Flaumlche aufprallende Gasteilchen (bzw durch deren Impulsaumlnderung) ausgeuumlbt werden (Abb 21)

Vx t

Abb 21 Links schematische Darstellung der Impulsaumlnderung bei dem Auftreffen eines Gasteilchens auf der Gefaumlszligwand Viele solche Stoumlszlige fuumlhren in der Summe zum Entstehen einer messbaren dem Gasdruck zugeordneten Kraft Rechts Die Geschwindigkeitskomponente vx der Teilchen bestimmt nicht nur die Groumlszlige der Impulsaumlnderung sondern auch die Zahl der Teilchen die pro Zeiteinheit auf die Wand stoszligen Daher geht die Geschwindigkeit der Teilchen bei der Berechnung des Drucks insgesamt quadratisch ein

Dabei wird zunaumlchst davon ausgegangen dass alle Teilchen die gleiche Geschwindigkeits-komponente vx aufweisen Diese Geschwindigkeitskomponente bestimmt zum einen die Heftigkeit der Stoumlszlige zum anderen wie viele Gasteilchen pro Zeiteinheit auf die Wand prallen Insgesamt haumlngt der Druck damit vom Quadrat der Geschwindigkeitskomponente vxab Fuumlhrt man nun ein mittleres Geschwindigkeitsquadrat csup2 ein (mit vxsup2 = 13 csup2) so erhaumllt man fuumlr den an dem beweglichen Kolben spuumlrbaren Druck die Gleichung

P = 13 M csup2 (nV) oder in der Schreibweise der idealen Gasgleichung P V = 13 n M csup2 Der Druck ist nach dem kinetischen Gasmodell also die Folge einer Vielzahl von Stoumlszligen welche die Teilchen gegen die Behaumllterwaumlnde ausfuumlhren Er ist folglich proportional zur Mas-se der Teilchen (je schwerer die Teilchen desto heftiger die Stoumlszlige) zum mittleren Geschwin-digkeitsquadrat (die Geschwindigkeit der Teilchen bestimmt zum einen die Haumlufigkeit zum anderen die Heftigkeit der Stoumlszlige) und zur Zahl der Teilchen pro Volumeneinheit (womit wie nach der idealen Gasgleichung zu erwarten P umgekehrt proportional zu V ist) Die Bedeutung der Temperatur im kinetischen Gasmodell ist dagegen zunaumlchst unklar Mit der idealen Gasgleichung P V = n R T ergibt sich aber durch Koeffizientenvergleich n R T = 13 n M csup2 oder R T = 13 M csup2 Man kann unter Nutzung beider Gasmodelle so zu einem neuen teilchenbezogenen Verstaumlnd-nis des Phaumlnomens Temperatur kommen Die Temperatur eines Gases ist demnach direkt proportional zum mittleren Geschwindigkeitsquadrat der Gasteilchen oder in anderen Worten zu deren kinetischer Energie 12 M csup2 Dies ist fuumlr das Verstaumlndnis des Phaumlnomens Temperatur von groszliger Bedeutung Man kann die Temperatur eines Gases also messen indem man (bei bekannter Masse der Teilchen) die Geschwindigkeit der Gasteilchen bestimmt Die Wurzel aus dem mittleren Geschwindigkeits-quadrat also die Groumlszlige c liegt uumlblicherweise in der Groumlszligenordnung der Schallgeschwindig-keit (zum Beispiel fuumlr Stickstoff bei Raumtemperatur c = 516 ms) und steht zu ihr in einer

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festen Beziehung Tatsaumlchlich laumlsst sich die Temperatur auch uumlber eine Messung der Schall-geschwindigkeit ermitteln Nachdem das mittlere Geschwindigkeitsquadrat der Teilchen bekannt ist stellt sich die Frage nach der Geschwindigkeitsverteilung der Teilchen Die Bewegungsenergie der Teilchen ist wie alle anderen Energieformen (zB elektronische Energie Schwingungsenergie) gequantelt Das bedeutet dass sich die Teilchen auf (hier dicht gestaffelte) Energieniveaus verteilen muumlssen Sie tun das nach einem statistischen Grundprinzip das Boltzmann-Verteilung genannt wird Demnach ist die Besetzung pi eines Energieniveaus i (egal welcher Art die Energie Ei ist) stets proportional zum so genannten Boltzmannfaktor des Zustand i Es gilt

pi ~ exp[-Ei(kBT)]

Die darin enthaltene Boltzmannkonstante kB ist nichts anderes als die allgemeine Gas-konstante R (siehe unter 32) dividiert durch die Zahl NL der Teilchen in einem Mol Substanz (kB = RNL) Das bedeutet die Besetzung eines Zustands ist umso wahrscheinlicher je niedriger dessen Energie ist Steigende Temperatur T hingegen erhoumlht die Wahrscheinlichkeit energiereicher Zustaumlnde Diese Gesetzmaumlszligigkeit gilt fuumlr die Besetzung aller auf atomarer oder molekularer Ebene gegebener Zustaumlnde in einem makroskopischen System Angewandt auf die Bewegungsenergie von Gasteilchen in einer einzelnen Raumrichtung x bedeutet das dass Teilchen mit hoher Geschwindigkeit vx weniger wahrscheinlich sind als solche mit niedriger Geschwindigkeit vx Allerdings steigt die Wahrscheinlichkeit des Auftretens groszliger Werte fuumlr vx mit steigender Temperatur Teilt man den Bereich der auftretenden Geschwindigkeiten in Intervalle auf und zaumlhlt man die Teilchen die gemaumlszlig ihrer Geschwindigkeit zu den einzelnen Intervallen zugeordnet werden koumlnnen so ergibt sich fuumlr die Geschwindigkeitsverteilung in vx und v das Bild das in Abb 22 oben dargestellt ist Die Verteilungsfunktionen fuumlr die Geschwindigkeiten in y- und z-Richtung sind identisch

n(vx)

vx-Intervall

n(vx)

vx-Intervall

Temperatur-erhoumlhung

- 0 +- 0 +n(v)

v-Intervall

Temperatur-erhoumlhung

0 +

n(v)

v-Intervall0 +

Abb 22 Verteilungsfunktionen einer eindimensionalen Geschwindigkeitskomponente (oben) und der Gesamtgeschwindigkeit (unten)

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Betrachtet man die Verteilung n(v) der Gesamtgeschwindigkeit v im dreidimensionalen Raum so wird das Bild komplizierter Bezuumlglich der drei Raumrichtungen x y und z sind weiterhin die kleinen Geschwindigkeiten wahrscheinlicher als die groszligen Da nun aber fuumlr eine groszlige Gesamtgeschwindigkeit v mehr Kombinationsmoumlglichkeiten vx vy vz existieren als fuumlr kleine Gesamtgeschwindigkeiten so wird die Wahrscheinlichkeit fuumlr sehr geringe Gesamtgeschwindigkeiten entsprechend kleiner fuumlr groszlige Gesamtgeschwindigkeiten entsprechend groumlszliger Der daraus resultierende Gewichtungsfaktor fuumlr jedes v ist die relative Flaumlche der Kugelschale mit dem Radius v Insgesamt ergeben sich dann die in Abb 22 unten dargestellten Verteilungsfunktionen fuumlr niedrige und hohe Temperaturen Die Verteilungsfunktionen in vx und v lauten (ohne Herleitung)

f(vx) = [M(2RT)]12 exp [-Mvxsup2(2RT)]

f(v) = 4 [M(2RT)]32 vsup2 exp [-Mvsup2(2RT)] Der Mittelwert von vx (oder jeder anderen eindimensionalen Geschwindigkeitskomponente) ist grundsaumltzlich Null Dagegen besitzt der Mittelwert von v stets eine endliche von Null verschiedene Groumlszlige Bei einer Erhoumlhung der Temperatur werden alle Verteilungsfunktionen breiter der Mittelwert von v vergroumlszligert sich Die Temperatur eines Gases aumluszligert sich also nicht nur im mittleren Geschwindigkeitsquadrat sondern auch in der Form der Geschwindigkeitsverteilungsfunktion Bei der Mischung von Gasen unterschiedlicher Temperatur muss um die oben genannte Forderung zu erfuumlllen aus der einfachen Summe von zwei Verteilungsfunktionen eine neue der Mischtemperatur ent-sprechende Verteilungsfunktion entstehen Dies ist nur unter der Annahme moumlglich dass ein Austausch kinetischer Energie unter den Teilchen erfolgen kann Diese Tatsache bedingt die eingangs gestellte Forderung nach Teilchenstoumlszligen also Wechselwirkungen zwischen den Teilchen Damit muumlssen die Gasteilchen aber auch ein gewisses Volumen besitzen den Teil-chen ohne Eigenvolumen koumlnnen prinzipiell nicht zusammenstoszligen Darin besteht der we-sentliche Unterschied zwischen einem Gas nach dem kinetischen Gasmodell und dem idealen Gas Das ideale Gas koumlnnte man theoretisch auf ein beliebig kleines Volumen komprimieren bei einem kinetischen Gas ist dies aufgrund des Eigenvolumens nicht moumlglich Ansonsten erlaubt das kinetische Gasmodell die vollstaumlndige Interpretation der idealen Gasgleichung

34 Die korrigierte Gasgleichung nach van der Waals JD van der Waals

Mithilfe des kinetischen Gasmodells laumlsst sich die Zustandsgleichung fuumlr Gase weiter verfeinern Zunaumlchst soll beruumlcksichtigt werden dass die Teilchen ein eigenes Volumen besitzen In erster Naumlherung geschieht dies indem man ein vom Eigenvolumen der Gas-teilchen abgeleitetes minimales Volumen des Gases (das so genannte Covolumen) definiert Das Covolumen beschreibt dasjenige Volumen des Gases das bei staumlndigem mechanischem Kontakt zwischen jeweils zwei Teilchen eingenommen wird wenn man den Teilchenpaaren jeweils den sie umschreibenden kugelfoumlrmigen Raum zuordnet (wegen der geringen Wahr-scheinlichkeit von Dreierstoumlszligen kann die Bildung von Dreiergruppen ausgeschlossen werden) Das molare Covolumen b entspricht wenn man eine einfache geometrische Uumlberlegung an-setzt dem vierfachen Eigenvolumen eines Mols der Gasteilchen Um das tatsaumlchliche freie

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Volumen zu erhalten muss das n-fache Covolumen vom gegebenen Volumen abgezogen werden Damit wird aus der idealen Gasgleichung P V = n R T die erste korrigierte Version P (V - n b) = n R T Im zweiten Schritt soll nun uumlber das kinetische Gasmodell hinausgehend auch die anziehen-de Wechselwirkung zwischen den Teilchen beruumlcksichtigt werden Die Anziehung zwischen den Teilchen sorgt nach van der Waals fuumlr einen zusaumltzlichen nach auszligen nicht messbaren bdquoBinnendruckldquo Dieser Binnendruck ist proportional zum Quadrat der Teilchendichte (nV)sup2 Der zwischen den Teilchen tatsaumlchlich wirkende nach auszligen ebenfalls unmessbare Gesamt-druck ist dann gegeben als

Pgesamt (unmessbar) = P (messbar) + a (nV)sup2

mit einer fuumlr die anziehende Wechselwirkung charakteristischen Konstante a Die danach korrigierte Version der Gasgleichung die van-der-Waals-Gleichung fuumlr reale Gase lautet

[P + a (nV)sup2] (V - nb) = n R T

Die Konstanten b und a besitzen fuumlr jedes reale Gas charakteristische Werte die dessen Eigenvolumen (die Groumlszlige der Elektronenhuumllle) und die Staumlrke der intermolekularen Wechsel-wirkungen reflektieren Beispiele

Gas a b

Argon 01345 Pa m6Molsup2 32210-5 msup3Mol Kohlendioxid 03592 Pa m6Molsup2 426710-5 msup3Mol Helium 00034 Pa m6Molsup2 23710-5 msup3Mol Stickstoff 01390 Pa m6Molsup2 391310-5 msup3Mol Wasser 05573 Pa m6Molsup2 31010-5 msup3Mol

Der Parameter b spiegelt mit der Einheit msup3Mol weitgehend die Groumlszlige der einzelnen Teilchen (Atome oder Molekuumlle) wider So besitzt erwartungsgemaumlszlig Kohlendioxid oder Argon einen groumlszligeren Wert fuumlr b als beispielsweise Helium Allerdings sind die Unterschiede erstaunlich klein was auf die Tatsache zuruumlckzufuumlhren ist dass sich das Covolumen auf Teilchenpaare bezieht und ein Paar aus Kohlendioxidmolekuumllen gegenuumlber einem Paar aus Heliumatomen nur etwa das doppelte Volumen benoumltigt

Der Parameter a mit der Einheit Pascal mal Molvolumen zum Quadrat reflektiert die Staumlrke der Wechselwirkungen zwischen den Teilchen Diese Wechselwirkungen beruhen zum groszligen Teil auf den elektrischen Eigenschaften der Teilchen Diese wiederum sind mit der elektronischen Struktur der Atome beziehungsweise der chemischen Bindungen verknuumlpft Am wichtigsten ist dabei das in Kapitel 19 erwaumlhnte Dipolmoment Polare Bindungen koumlnnen zu Teilchen mit permanenten Dipolen fuumlhren (zB HF Wasser Ammoniak CO) Andere Molekuumlle oder Atome sind zwar unpolar koumlnnen aber spontan oder durch aumluszligere

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elektrische Felder polarisiert werden (zB He Ar molekularer Wasserstoff molekulares Chlor) Man spricht dann von polarisierbaren Teilchen mit einem spontanen Dipolmoment oder mit einem durch ein aumluszligeres Feld bewirkten induzierten Dipolmoment In all diesen Faumlllen sind anziehende Wechselwirkungen zwischen den Teilchen moumlglich die in dem Parameter a zusammengefasst werden Daruumlber hinaus koumlnnen sich auch voruumlbergehende chemische Bindungen ausbilden Das prominenteste Beispiel fuumlr diesen Fall ist die bekannte Wasserstoffbruumlckenbindung die bei polaren X-H-Bindungen auftreten kann Im Einzelnen werden demnach folgende Arten von Wechselwirkungen mit absteigender Intensitaumlt unter-schieden

a) Wasserstoffbruumlckenbindung X-H hellip Y Hierbei bildet sich voruumlbergehend eine chemische Bindung zwischen dem polar gebundenen Wasserstoff und einem elektronegativen und mit einem freien Elektronenpaar ausgestatteten Element Y

b) Wechselwirkungen zwischen permanenten Dipolen hier besitzen alle Teilchen ein permanentes Dipolmoment Zwischen den entgegengesetzt geladenen Enden der Teilchen bauen sich dann konstant anziehende elektrostatische Wechselwir-kungen auf

c) Wechselwirkungen zwischen permanenten und induzierten Dipolen die Teil-chen mit permanentem Dipolmoment induzieren ein voruumlbergehendes Dipol-moment bei den benachbarten (zunaumlchst unpolaren) Teilchen In der Folge ergibt sich eine anziehende elektrostatische Wechselwirkung

d) Wechselwirkungen zwischen induzierten Dipolen durch spontane Polarisierung eines Teilchens entsteht ein voruumlbergehendes Dipolmoment welches bei einem benachbarten Teilchen eine Polarisierung hervorruft In der Folge ergibt sich eine kurzfristige und sehr schwache elektrostatische Anziehung zwischen den Teilchen Man spricht dabei auch von der Dispersionswechselwirkung oder der Londonschen Wechselwirkung

Alle diese Effekte sind anziehender Natur und gehen damit in den Parameter a ein Fasst man die beiden Parameter a und b zusammen so entsteht mit der van-der-Waals-Gleichung eine recht zuverlaumlssige Zustandsgleichung fuumlr reale Systeme die sowohl die abstoszligenden als auch die anziehenden Wechselwirkungen beruumlcksichtigt

Ein guter Test fuumlr diese reale Zustandsgleichung ist die Berechnung eines Diagramms von P gegen V fuumlr verschiedene Temperaturen das so genannte P-V-Diagramm und die Gegen-uumlberstellung mit dem entsprechenden experimentellen P-V-Diagramm eines realen Gases Gemaumlszlig der van-der-Waalsrsquoschen Gleichung existieren abhaumlngig von der betrachteten Tempe-ratur drei Typen von Isothermen (Abb 23 links) solche die einer Hyperbel aumlhneln (1) eine einzelne Isotherme die einen Wendepunkt mit waagrechter Tangente besitzt (2) und solche die ein Minimum ein Maximum und einen Wendepunkt aufweisen (3) Das experimentell beobachtete Verhalten stimmt in den ersten beiden Faumlllen recht gut uumlberein weicht aber bei Isothermen des dritten Typs deutlich vom berechneten Verlauf ab (Abb 23 rechts)

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P

V

PV-Diagramm nachvan-der-Waals-Gleichung

1 2

3

P

V

3

experimentell bestimmtesPV-Diagramm f reales Gas

Abb 23 PV-Diagramme fuumlr reale Gase berechnet nach van der Waals (links) und experimentell bestimmt (rechts) Die drei typischen Formen der Isothermen (1 2 und 3) sind im Text beschrieben

Offensichtlich beschreibt die van-der-Waals-Gleichung das Verhalten eines realen Gases in der Umgebung des Wendepunkts weniger gut Experimentell stellt man allerdings fest dass in diesem Bereich tatsaumlchlich auch kein reines Gas sondern vielmehr eine Mischung aus einem Gas und einer kondensierten Fluumlssigkeit also ein Zweiphasenzustand vorliegt Dieser Zwei-phasenbereich beginnt am Wendepunkt der Isothermen des Typs 2 und schlieszligt alle Minima Maxima und Wendepunkte der Isothermen des Typs 3 ein (Abb 24 links)

P

V

Zweiphasen-gebiet

P

V

Zweiphasen-gebiet

Maxwell-Maxwell-KorrekturKorrektur

Zweiphasen-Gebiet

Zweiphasen-Gebiet

A1

A2

Abb 24 PV-Diagramme fuumlr reale Gase mit eingezeichnetem Zweiphasengebiet Der in diesem Bereich bei der Beschreibung nach van der Waals gegebene Fehler kann in guter Naumlherung durch die Maxwell-Korrektur kompensiert werden

Eine einfache Korrektur der van-der-Waals-Gleichung ermoumlglicht eine realistische Beschrei-bung des Zweiphasengebiets Eine horizontale Gerade wird so in der Naumlhe des Wendepunktes gelegt dass die oberhalb und unterhalb der Geraden im Zweiphasenbereich gebildeten Teilflaumlchen A1 und A2 die gleiche Groumlszlige besitzen (sog Maxwell-Korrektur s Abbildung 24 rechts) Dies sieht zwar nach einer etwas willkuumlrlichen Hilfskonstruktion aus trotzdem laumlsst sich damit das Verhalten eines realen Gases im Zweiphasengebiet sehr gut nachvollziehen und vorhersagen Eine besonders ausgewiesene Position im PV-Diagramm eines realen Gases ist der Scheitel-punkt des Zweiphasengebiets der durch den Wendepunkt der Isotherme des Typs 2 gebildet wird (Abb 25)

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P

V

Zweiphasen-gebiet Tc

Pc

Vc

kritischer Punkt

Jedes reale Gas besitzt einen sogenannten kritischenPunkt der durch die kritischen Zustandsgroumlszligen Tc Pc undVc beschrieben wird Die kritische Temperatur Tc istdiejenige Temperatur bei der sich ein Gas unter Druckgerade noch verfluumlssigen laumlszligt Oberhalb der kritischenTemperatur existiert kein fluumlssiger Zustand Derentsprechende Druck Pc wird als kritischer Druckbezeichnet

Die Isotherme die der kritischen Temperatur zugeordnetist besitzt als einzige einen Wendepunkt mit horizontalerTangente der gleichzeitig den kritischen Punkt markiert

Abb 25 PV-Diagramm fuumlr ein reales Gas mit kritischem Punkt

Dieser sogenannte kritische Punkt wird durch die kritische Temperatur Tc den kritischen Druck Pc und das kritische Molvolumen Vc festgelegt Zustaumlnde oberhalb des kritischen Punkts nennt man uumlberkritisch Uumlberkritisches Kohlendioxid besitzt in der Technik groszlige Bedeutung fuumlr das Loumlsen und Ausfaumlllen von pharmazeutischen Wirkstoffen (zB Aspirin fuumlr Brausetabletten) fuumlr die Extraktion (zB bei der Entkoffeinierung von Kaffee) oder zur chemischen Reinigung von Textilien

35 Andere Zustandsgleichungen fuumlr reale Gase

Neben der van-der-Waals-Gleichung existieren weitere Ansaumltze zur Beschreibung realer Gase die zwar eine genauere Anpassung an die gemessenen Werte ermoumlglichen aber auch kompli-zierter sind oder mehr Arbeit bei der Bestimmung der charakteristischen Parameter erfordern Im Folgenden seien als Beispiele die Berthelot-Gleichung und die Virialgleichung erwaumlhnt

a Berthelot-Gleichung (P + (Ansup2)(TVsup2) ) (V - nB) = n R T Berthelot fuumlhrte damit als Besonderheit einen temperaturabhaumlngigen Binnendruck ein Dies ist insoweit physikalisch gerechtfertigt als die vermehrte thermische Bewegung der Ausbildung von Wechselwirkungen zwischen den Molekuumllen entgegenwirken kann

b Virialgleichung P Vm = A + B P + C Psup2 + D Psup3 + Mit Vm = Vn Die Virialgleichung nutzt die Tatsache dass sich fast alle physikalischen Zusammenhaumlnge uumlber einen Potenzreihenansatz a + bx + cxsup2 + dxsup3 + hellip beliebig genau annaumlhern lassen Je nach Anzahl der anpassbaren Parameter ist zwar eine beliebig genaue Beschreibung des realen Gases moumlglich allerdings steigt auch der Aufwand fuumlr die Bestim-mung aller Koeffizienten

36 Beschreibung von Fluumlssigkeiten

Im PV-Diagramm der realen Gase schlieszligt sich links vom Zweiphasengebiet der Bereich der fluumlssigen Phase an Sie zeichnet sich dadurch aus dass mit sinkendem Volumen der Druck ex-trem steil ansteigt Das bedeutet dass bereits eine geringfuumlgige Volumenabnahme mit einem aumluszligerst groszligen Druckanstieg verbunden ist In der Praxis hat das zur Folge dass Fluumlssigkeiten im Gegensatz zu Gasen kaum komprimierbar sind ihre Kompressibilitaumlt geht gegen Null Auch ist die Ausdehnung der Fluumlssigkeiten bei steigender Temperatur und bei konstantem

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Druck (der thermische Ausdehnungskoeffizient) sehr viel kleiner als bei Gasen Eine einfache allgemeine Zustandsgleichung fuumlr die fluumlssige Phase in Analogie zur idealen oder zur van-der-Waals-Gleichung existiert nicht Stattdessen findet man bei der experimentellen Bestimmung des Zusammenhangs zwischen P V und T fuumlr jede Fluumlssigkeit ein sehr charakteristisches Verhalten Vergleicht man die Messergebnisse verschiedener Fluumlssigkeiten untereinander so sind kaum Aumlhnlichkeiten auszumachen Daruumlber hinaus sind bestimmte Messungen (zB die Messung der Abhaumlngigkeit des Drucks vom Volumen bei konstanter Teilchenzahl und Temperatur) technisch sehr schwer zu realisieren Das Fehlen einer einheitlichen Zustandsgleichung V(TPn) fuumlr Fluumlssigkeiten liegt auch in deren komplexer Struktur begruumlndet Betrachtet man ein einzelnes Teilchen in der Fluumlssigkeit so liegt es bezuumlglich der Abstaumlnde zu seinen naumlchsten Nachbarn stets in der Naumlhe des Mini-mums einer Potentialkurve Epot(r) die einen sehr steilen Verlauf besitzt Die Abstaumlnde zu den benachbarten Teilchen sind damit nahezu fixiert folglich ist eine unabhaumlngige Translations-bewegung einzelner Teilchen praktisch unmoumlglich Stattdessen verlaufen alle Bewegungs-prozesse mehr oder weniger kollektiv also unter gleichzeitiger Verschiebung mehrerer Teilchen Daruumlber hinaus gibt es keine nennenswerten freien Volumina so dass der mittlere Abstand der Teilchen nur unwesentlich verringert werden kann ein Umstand der sich in der bereits erwaumlhnten geringen Kompressibilitaumlt aumluszligert Ein Modell fuumlr eine allgemeine Fluumlssigkeit laumlsst sich im Rahmen einer Computersimulation einfuumlhren Man betrachtet dabei einen wuumlrfelfoumlrmigen Raum der einen Ausschnitt aus dem Fluumlssigkeitsvolumen darstellen soll und eine endliche Anzahl n von Fluumlssigkeitsteilchen (zB n = 1000) enthaumllt Um die Zahl der Teilchen konstant zu halten und dabei trotzdem deren Beweglichkeit zu wahren wird eine Kontinuitaumltsbedingung eingefuumlhrt Jedes Teilchen das im Rahmen der Bewegungsprozesse den Wuumlrfel an einer gegebenen Stelle verlaumlsst tritt automatisch an der genau gegenuumlberliegenden Position des Wuumlrfels wieder ein Auf diese Weise ist gewaumlhrleistet dass die Zahl der Teilchen im Wuumlrfel konstant bleibt (Abb 26)

Abb 26 Simulation von Bewegungs-vorgaumlngen in einem Fluumlssigkeitsvolumen unter Wahrung einer konstanten Partikel-anzahl Jedes Teilchen das im Rahmen der Bewegungsprozesse den Wuumlrfel an einer gegebenen Stelle verlaumlsst tritt automatisch an der genau gegenuumlberliegenden Position des Wuumlrfels wieder ein

An diesem System fuumlhrt man nun eine so genannte Monte-Carlo-Simulation durch Dabei setzt ein Zufallsgenerator eine geringfuumlgige Verschiebung eines beliebigen einzelnen Teil-chens in Gang Anschlieszligend wird unter Verwendung des bekannten Potentialverlaufs Epot(r) berechnet wie sich nach der Verschiebung die potentielle Energie des Systems veraumlndert hat Danach entscheidet das Simulationsprogramm zwischen zwei Moumlglichkeiten

- Hat sich die gesamte potentielle Energie des Systems durch die Verschiebung verringert oder blieb sie konstant so wird die Verschiebung akzeptiert und der naumlchste Schritt berechnet - Hat sich die gesamte potentielle Energie durch die Verschiebung um den positiven Wert E erhoumlht so wird die Verschiebung mit einer Wahrscheinlichkeit die von E abhaumlngt akzeptiert und ansonsten verworfen Danach wird der naumlchste Schritt berechnet

Auf diese Weise kann man fuumlr beliebige Fluumlssigkeiten sowohl die typischen Bewegungs-prozesse als auch die einflussbedingten Veraumlnderung von Zustandsgroumlszligen (zB P in Ab-

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haumlngigkeit von V) berechnen Allerdings sind die Rechnungen bei den fuumlr eine realistische Beschreibung eines Fluumlssigkeitsvolumens notwendigen groszligen Teilchenzahlen sehr aufwaumlndig und zeitintensiv

37 Beschreibung von Festkoumlrpern

Begibt man sich im P-V-Diagramm vom fluumlssigen Zustand ausgehend noch weiter nach links (zu kleineren Volumina houmlheren Drucken und niedrigeren Temperaturen) so erreicht man den festen Zustand Die Problematik der Zustandsgleichung V(TPn) von Festkoumlrpern aumlhnelt jener der Fluumlssigkeiten Auch hier sind die Kompressibilitaumlten und die thermischen Aus-dehnungskoeffizienten uumlblicherweise sehr viel geringer als bei Gasen Ebenso wie bei Fluumls-sigkeiten sind dabei die Unterschiede zwischen einzelnen Vertretern der Festkoumlrper recht groszlig so dass keine gemeinsame Zustandsgleichung wie bei Gasen formuliert werden kann Im Vergleich mit den Werten der Fluumlssigkeiten sind die Kompressibilitaumlten und die thermischen Ausdehnungskoeffizienten der Festkoumlrper durchschnittlich nochmals um etwa zwei Groumlszligen-ordnungen geringer

Abb 27 Torsionsexperiment zur Unterscheidung zwischen Fluumlssigkeiten und Festkoumlrpern (s Text)

Der wesentliche Unterschied zwischen Festkoumlrpern und Fluumlssigkeiten besteht allerdings in ihrem gegensaumltzlichen Verhalten bezuumlglich Verformung waumlhrend Fluumlssigkeiten einer gege-benen Verformung durch ihre Zaumlhigkeit (Viskositaumlt) Widerstand leisten reagiert ein Fest-koumlrper auf eine Verformung durch eine elastische Deformation Dieses Verhalten wird in einem Torsionsrheometer deutlich wobei eine feste oder fluumlssige Probe periodisch mit einer torsionsartigen Verformung beaufschlagt wird (Abb 27) Waumlhrend der Drehmomentverlauf des Festkoumlrpers exakt gleichphasig zur periodischen Aus-lenkung erfolgt (elastische Verformung) ist der Drehmomentverlauf der Fluumlssigkeit dazu um ein Viertel einer Wellenlaumlnge phasenverschoben (viskose Reaktion) Bei Fluumlssigkeiten ist der Widerstand dann maximal wenn die Deformationsgeschwindigkeit maximal ist (blaue Linie

t

Dre

hmom

entv

erla

uf

tAusl

enku

ng

Festkoumlrper

t

Dre

hmom

entv

erla

uf

Fluumlssigkeiten

Pruumlfkoumlrper

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in Abb 26) Bei Festkoumlrpern ist die Kraft dann maximal wenn der Deformationszustandmaximal ist (rote Linie in Abb 27) Viele Festkoumlrper stellen Uumlbergaumlnge zwischen diesen beiden Extremfaumlllen dar und werden dann als viskoelastisch bezeichnet Aus der Betrachtung von Messergebnissen an einer Viel-zahl von Materialien geht hervor dass eine eindeutige Abgrenzung zwischen dem fluumlssigen und dem festen Zustand selten moumlglich ist Entsprechend gibt es auch unterschiedliche Strukturmodelle die teilweise das elastische Verhalten teilweise das plastische Verhalten von Festkoumlrpern erklaumlren Dem elastischen Festkoumlrper mit nahezu verschwindender Phasen-verschiebung wird am ehesten das Modell eines idealen Kristalls gerecht Man geht dabei davon aus dass jedes Atom bzw Molekuumll aus dem der Festkoumlrper zusammengesetzt ist sich an einem geometrisch festgelegten Gitterpunkt befindet von dem es sich nicht entfernen kann Als Bewegungsprozess ist dabei lediglich eine Schwingung mit begrenzter Amplitude moumlglich Die denkbaren Geometrien der Gitterstrukturen reichen von primitiv-kubischen Gittern (zB Natriumchlorid) uumlber kubisch-dichteste (zB Silber Kupfer) und hexagonal-dichteste Kugelpackungen (zB Magnesium Zink) bis zur kubisch-raumzentrierten Struktur (zB Eisen Molybdaumln) Haumlufig findet man leichte Abweichungen von der idealen Gitter-struktur die durch lokale Stoumlrungen hervorgerufen werden Akzeptiert man gewisse Anteile an viskosem Verhalten (dh eine leichte Phasenverschiebung) so begibt man sich in den Grenzbereich zwischen Festkoumlrpern und Fluumlssigkeiten In einem Material wie Glas ist die regelmaumlszligige Anordnung eines Gitters nicht gegeben die Atome sind unregelmaumlszligig positioniert und koumlnnen unter Belastung auch flieszligen Solche nicht-kristallinen Festkoumlrper bezeichnet man als amorph Typische Vertreter amorpher Feststoffe sind Fenster-glas viele transparente Kunststoffe (zB Plexiglas Polyester in Getraumlnkeflaschen) Wachs und Aumlhnliches Amorphe Festkoumlrper besitzen keinen Schmelzpunkt sondern erweichen bei steigender Temperatur allmaumlhlich Amorphe Festkoumlrper koumlnnen nachtraumlglich kristallisieren wobei sich haumlufig das aumluszligere Erscheinungsbild und die physikalischen Eigenschaften drastisch aumlndern (zB Plastikfolie unter Zug)

38 Das Phasendiagramm

Die drei wichtigsten Phasenzustaumlnde zu denen sich eine makroskopische Gesamtheit von Atomen oder Molekuumllen zusammenfinden koumlnnen sind also Gase Fluumlssigkeiten und Festkoumlrper Die Frage ist nun unter welchen Bedingungen sich ein System fuumlr den ersten den zweiten oder den dritten Zustand entscheidet Erfahrungsgemaumlszlig haumlngt der gegebene Phasenzustand von den in Kapitel 31 eingefuumlhrten Zustandsparametern n V P und T ab Legt man die Stoffmenge n auf einen Wert fest (zB auf ein Mol Teilchen) und beruumlcksichtigt man dass nach den gegebenen Zustandsgleichungen die Groumlszligen n V P und T miteinander verknuumlpft sind so genuumlgen zwei Parameter um den jeweils guumlnstigsten Phasenzustand eindeutig festzulegen Ein Diagramm bei dem einer der Parameter V P und T gegen einen anderen aufgetragen wird eignet sich also prinzipiell um bei einer gegebenen Teilchenart den unter diesen Bedingungen jeweils angestrebten Phasenzustand zu markieren So kann man gemaumlszlig den Abbildungen 23 bis 25 in einem Diagramm bei dem P gegen V aufgetragen wird schon den jeweils gegebenen Phasenzustand eintragen und ablesen In der Praxis eignen sich solche PV-Diagramme allerdings wenig um Phasenzustaumlnde zu markieren der gasfoumlrmige Zustand nimmt einen sehr breiten Raum ein waumlhrend der fluumlssige und der feste Zustand in dem sehr engen Bereich links neben dem Zweiphasengebiet bdquoeingequetschtldquo waumlre Vor allem in diesem Umfeld waumlre das Diagramm schwer ablesbar

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Wesentlich guumlnstiger ist dagegen die Auftragung vom Druck P gegen die Temperatur T In diesem PT-Diagramm das auch als Phasendiagramm bezeichnet wird lassen sich alle Phasenzustaumlnde uumlbersichtlich zuordnen Dabei bezeichnen Flaumlchenanteile im PT-Diagramm die unter den gegebenen Druck- und Temperaturbedingungen angestrebte Phase (zB fest fluumlssig gasfoumlrmig) waumlhrend Linien die dazwischen vorliegenden Gleichgewichte markieren und Phasengrenzlinien genannt werden (Abb 28)

T

Pfe

st

fluumlss

ig

gasfouml

rmig

kritischerPunkt

Tripel-punkt

Phasengrenzlinie

Abb 28 Phasendiagramm mit Auftragung des Drucks (P) gegen die Temperatur (T)

Auszligerdem enthaumllt ein Phasendiagramm gewoumlhnlich mindestens zwei besonders ausgezeich-nete Punkte den Tripelpunkt an dem die drei im Allgemeinen wichtigsten Phasenzustaumlnde fest fluumlssig und gasfoumlrmig miteinander im Gleichgewicht stehen und den bereits aus dem PV-Diagramm bekannten kritischen Punkt der das Ende eines definierten Uumlbergangs zwischen fluumlssiger und gasfoumlrmiger Phase markiert Beispiele fuumlr Phasendiagramme Kohlen-dioxid und Wasser sind in Abbildung 29 und 30 wiedergegeben

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40

T

P

fest

fluumlss

iggasfoumlrmig

kritischerPunkt

Tripel-punkt

2168 K

511 bar

CO2

3042 K

728 bar

Abb 29 Phasendiagramm fuumlr Kohlendioxid

T

P

fluumlss

ig

gasfoumlrmig

kritischerPunkt

H2O

Eis 1

Eis 1

Eis 2 Eis 3

Eis 5

Eis 6

Tripelpunkt6473 K

218 bar

6 mbar 27316 K

Abb 30 Phasendiagramm fuumlr Wasser Der Bereich oberhalb von 200 bar ist aus Gruumlnden der

Uumlbersichtlichkeit entlang der P-Achse komprimiert dargestellt

Eine wichtige Besonderheit des Phasenverhaltens von Wasser ist die Tatsache dass die Phasengrenzlinie zwischen fluumlssigem Wasser und Eis 1 eine negative Steigung aufweist Dies hat zur Folge dass gewoumlhnliches Eis durch Erhoumlhung des Drucks zum Schmelzen gebracht werden kann Dieser Umstand ist eine der Ursachen dafuumlr dass eine Kufe auf Eis gleitet da der durch das Schmelzen entstehende Wasserfilm die Reibung vermindert (allerdings spielt hier auch die Reibungswaumlrme eine Rolle) Der Grund fuumlr dieses Verhalten steht in direkter Verbindung mit der strukturbedingten Volumenabnahme beim Schmelzen von Eis (s Videos unter httpwwwyoutubecomwatchv=6s0b_keOiOU und httpswwwyoutubecomwatchv=CDTZoFGmZoc )

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Waumlhlt man in einem Phasendiagramm eine Kombination von Druck und Temperatur so kann man direkt denjenigen Phasenzustand ablesen den die gegebene Teilchenart unter diesen Bedingungen anstrebt Das heiszligt jedoch nicht dass dieser Zustand dann auch in jedem Fall und zu jeder Zeit vorliegt Haumlufig beobachtet man eine so genannte kinetische Hemmung einer Phasenumwandlung So gibt es unterkuumlhlte Fluumlssigkeiten (zB Regentropfen bei -3degC) genauso wie unterkuumlhlte Dampfphasen (zB uumlbersaumlttigten Wasserdampf in Gewitterwolken) oder uumlberhitzte Fluumlssigkeiten (zB uumlberhitztes Wasser bei einem Siedeverzug) Kristalli-sationskeime wie Staubkoumlrner koumlnnen Phasenumwandlungen beschleunigen (zB durch Staub verursachter bdquoIndustrieschneeldquo) Bisher wurden lediglich Phasendiagramme von reinen Stoffen betrachtet die nur aus einer einzelnen Sorte Atomen oder Molekuumllen bestehen Mischt man einem gegebenen Stoff eine weitere Komponente hinzu so aumlndert sich das Phasendiagramm erheblich Als Beispiel betrachten wir ein System in dessen fluumlssiger Phase ein Fremdstoff A geloumlst wird der weder im Festkoumlrper noch im der Gasphase loumlslich ist (zB Kochsalz in Wasser) In diesem Fall dehnt sich der fluumlssige Bereich des Phasendiagramms mit steigender Konzentration von A in alle Richtungen aus so dass gleichzeitig der Schmelzpunkt erniedrigt der Siedepunkt erhoumlht und der Dampfdruck verringert wird (Abb 31) In erster Naumlherung sind alle genannten Aumlnderungen proportional zu cA

T

P

fest

fluumlss

ig

gasfouml

rmig

Abb 31 Phasendiagramm fuumlr ein System in dessen fluumlssiger Phase ein Fremdstoff mit steigender

Konzentration cA geloumlst wird Der Bereich der fluumlssigen Phase dehnt sich daraufhin in alle

Richtungen aus

Bei weiter steigender Konzentration von A kann ein Punkt erreicht werden an dem die Mischung in zwei getrennte Bereiche zerfaumlllt die ebenfalls als Phasen bezeichnet werden (zB Olivenoumll und Wasser) Eine dieser Phasen besitzt dann einen hohen Loumlsemittelanteil bei geringer Konzentration von A die andere besteht aus einem hohen Anteil an A mit einem geringen Gehalt an Loumlsemittel Dieser Vorgang der Phasenseparation binaumlrer (aus zwei Komponenten bestehender) Systeme wird durch eine andere Art von Phasendiagramm beschrieben dem so genannten Mischphasendiagramm (Abb 32) Hierbei wird die Tempe-

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ratur dem relativen Anteil einer Komponente gegenuumlbergestellt der Druck wird als konstant angenommen

Abb 32 Allgemeine Darstellung eines Mischphasendiagramms

Grundsaumltzlich gibt die linke Flanke der Phasentrennlinie (links des kritischen Punkts) die Zusammensetzung der bdquoA-armenldquo Phase an waumlhrend die rechte Flanke (rechts des kritischen Punkts) die Zusammensetzung der A-reichen Phase beschreibt Die Mengen der dabei gebildeten Phasen koumlnnen nach dem so genannten Hebelgesetz berechnet werden Demnach gilt zwischen dem Anteil n1 der A-armen Phase 1 dem Anteil n2 der A-reichen Phase 2 und den Laumlngen der Pfeile s1 und s2 in der vorhergehenden Abbildung folgender Zusammenhang

n1 s1 = n2 s2

Fuumlr das gezeigte Beispiel wuumlrde das bedeuten dass der Anteil der Phase 1 etwa doppelt so groszlig waumlre wie der Anteil der Phase 2 In der Naumlhe der beiden Raumlnder des Diagramms also fuumlr xA 0 (sehr wenig A im Loumlsemittel) oder xA 1 (sehr wenig Loumlsemittel in A) liegen in den meisten Faumlllen einphasige homogene Mischungen vor Das besagt dass auch bei niedrigen Temperaturen ein wenig von dem Stoff A im Loumlsemittel bzw ein wenig Loumlsemittel im Stoff A loumlslich ist Der im Diagramm eingezeichnete kritische Punkt bedeutet dass oberhalb der dazugehoumlrigen kritischen Temperatur keine Entmischung mehr erfolgt dh hier sind die beiden Komponenten vollstaumlndig und in jedem Verhaumlltnis miteinander mischbar Neben solchen oberen kritischen Punkten gibt es auch untere kritische Punkte Im zweiten Fall gilt dass die beiden Komponenten unterhalb einer bestimmten Temperatur in jedem Verhaumlltnis miteinander mischbar sind Im Allgemeinen koumlnnen die drei verschiedenen Faumllle auftreten die in Abbildung 33 dargestellt sind

0 Molenbruch xA der Komponente A 1

Tem

pera

tur

obere kritischeTemperatur

Einphasen-gebiet

Zweiphasen-gebiet

Beispiel xA = 04

T1

Zum gezeigten Beispiel

Eine Mischung mit dem Molenbruch xA = 04 wird von T2 nach T1 abgekuumlhltDabei zerfaumlllt die Mischung bei Tklsquo in zwei Phasen derenZusammensetzung bei T1auf der x-Achse an den Punkten 1 und 2 ablesbar ist

T2

Tklsquo

1 2

kritischer Punkt

s1 s2

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0 xA 1

Tem

pera

tur

System mit oberem kritischen Punkt

kritischer Punkt

0 xA 1Te

mpe

ratu

r

System mit unterem kritischen Punkt

kritischer Punkt

0 xA 1

Tem

pera

tur

System mit oberem und unterem

kritischen Punkt

kritischer Punkt

kritische Punkte

Abb 33 Moumlgliche Varianten von kritischen Punkten bei Systemen aus zwei Komponenten

Obere kritische Punkte findet man dann wenn sich die molekulare thermische Bewegung gegen die Tendenz der Molekuumlle sich mit gleichartigen Molekuumllen zusammenzulagern durchsetzt Dieses Phaumlnomen ist sehr verbreitet so dass ein oberer kritischer Punkt bei sehr vielen Mischphasen beobachtet wird Untere kritische Punkte sind sehr viel seltener Sie treten beispielsweise dann auf wenn die beiden Komponenten miteinander bei tiefen Temperaturen einen Komplex bilden der bei houmlheren Temperaturen wieder zerfaumlllt und dann zu einer Phasenseparation fuumlhrt Ein Beispiel dafuumlr ist die Mischung aus Wasser und Triethylamin

Fuumlr Mischphasen aus drei Komponenten so genannte ternaumlre Mischungen sind die bisher gezeigten Darstellungen ungeeignet Hierfuumlr haben sich Dreiecksdiagramme (Gibbssches Phasendreieck) durchgesetzt die das Phasenverhalten unter Variation der Mengenbeitraumlge aller drei Komponenten aufzeigen (Abb 34) Das Diagramm ist so geartet dass die Summe aller drei Mengenanteile xA xB und xC in jedem Fall den Wert 1 ergibt Damit besitzt die Zusammensetzung des ternaumlren Gemisches zwei Freiheitsgrade Jede Linie die durch eine Ecke des Diagramms fuumlhrt verbindet diejenigen Punkte bei denen das Verhaumlltnis zweier Komponenten gleich ist Jede Linie die parallel zu einer der drei Seiten verlaumluft entspricht Gemischen bei denen der relative Anteil einer Komponente gleich bleibt

00 02 04 06 08 10Komponente A

00

02

04

06

08

10

Kom

pone

nte

B

0002

04

06

08

10

Komponente C

C

A

B

00 02 04 06 08 10Komponente A

00

02

04

06

08

10

Kom

pone

nte

B

00

02

04

06

08

10

Komponente C

x1

x2x

Abb 34 Prinzip eines ternaumlren Phasendiagramms nach Gibbs (Dreiecksdiagramm)

In solche ternaumlren Mischphasendiagramme lassen sich nun entsprechend den binaumlren Mischphasendiagrammen die Ein- und Zweiphasengebiete einzeichnen Das Diagramm in

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Abb 34 rechts gilt zB fuumlr eine ternaumlre Mischung aus A B und C bei der die Komponenten A und B sowie B und C jeweils paarweise in jedem Verhaumlltnis miteinander mischbar sind Die Komponenten A und C sollen dagegen nur begrenzt mischbar sein Als Konsequenz daraus ergibt sich ein Dreiecksdiagramm das an der unteren Achse die dem Anteil 0 der Komponente B entspricht ein Zweiphasengebiet aufweist

Die Hilfslinien im Zweiphasengebiet markieren die Zusammensetzung der entstehenden Einzelphasen So wuumlrde beispielsweise eine Mischung deren Zusammensetzung im Diagramm durch den Punkt x markiert ist in die beiden Phasen x1 und x2 zerfallen Die Mengenanteile der beiden Phasen koumlnnten dabei wieder uumlber das Hebelgesetz berechnet werden Um zusaumltzlich den Einfluss der Temperatur wiederzugeben muss eine weitere Koordinate eingefuumlhrt werden Man erhaumllt dabei ein dreidimensionales Dreiecksdiagramm das haumlufig unter Verwendung von Houmlhenlinien nach der Art einer topographischen Landkarte dargestellt wird Jede Houmlhenlinie des Zweiphasengebiets umschreibt dann seine Ausdehnung bei einer gegebenen Temperatur

Fragt man bei einem System mit bestehenden Randbedingungen nach der Zahl der frei variierbaren Zustandsgroumlszligen also nach der Zahl der Freiheitsgrade so haumlngt die Antwort zunaumlchst davon ab in welchem Phasenzustand sich das System befindet So kann man beispielsweise in der Gasphase (bei festgelegter Stoffmenge) Temperatur und Druck frei waumlhlen wodurch dann automatisch das Volumen festgelegt wird Gleiches gilt fuumlr die feste und die fluumlssige Phase Das System hat innerhalb eines Phasenzustands also zwei Freiheits-grade Setzt man allerdings voraus dass sich das System in einem Gleichgewicht zwischen zwei Phasen befindet (zB auf der Verdampfungslinie) so besitzt es nur einen Freiheitsgrad Am Tripelpunkt schlieszliglich bei einem Gleichgewicht zwischen drei Phasen sind keine Freiheitsgrade mehr vorhanden Zwischen der Zahl der Phasen P und der Zahl der Freiheitsgrade F gibt es also folgende einfache Beziehung

F = 3 - P

Beruumlcksichtigt man weiter dass auch mehr als eine Komponente auftreten kann (Zahl der Komponenten C gt 1) so erhoumlht sich die Zahl der Freiheitsgrade um jede zusaumltzliche Komponente deren Konzentration ja frei waumlhlbar ist um den Wert eins Man erhaumllt damit

F = 3 - P + (C - 1) oder F = C - P + 2

Nach dieser allgemeinguumlltigen Formel der so genannten Gibbsrsquoschen Phasenregel laumlsst sich die Zahl der Freiheitsgrade in jedem beliebigen System bestimmen Sie erlaubt insbesondere bei sehr komplizierten Mischungen mit einer unbekannten Anzahl an Phasenzustaumlnden uumlber eine einfache Betrachtung Ruumlckschluumlsse auf deren Phasenverhalten

Page 11: Vorlesung PC I Einführung in die Physikalische Chemierelaxation.chemie.uni-duisburg-essen.de/lehre/Skript_PC_2016_2017.pdf · Schwingungen möglich, deren Geometrie (d.h. die Zahl

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Bezuumlglich der uumlbrigen Quantenzahlen m und s gilt es den drei Hundschen Regeln zu folgen (Anmerkung in der Literatur ist auch manchmal von vier Hundschen Regeln die Rede wobei sich dann aber die vierte aus den anderen drei ergibt) Die erste Hundsche Regel nennt man in der angelsaumlchsischen Literatur auch bildhaft die bdquobus-seat-ruleldquo Aumlhnlich wie unabhaumlngige Reisende die Zweierreihen eines Busses zunaumlchst alle jeweils einzeln belegen so versuchen auch die Elektronen zunaumlchst alle Varianten der mag-netischen Quantenzahl m einfach zu besetzen Alle diese ungepaarten Elektronen weisen dann dieselbe Spinquantenzahl (s = 12) auf So werden beispielsweise bei den p-Orbitalen immer erst alle drei Orbitale mit m = 1 0 und -1 (jeweils mit s = 12) einfach besetzt Die zweite Hundsche Regel besagt dass das Orbital mit dem groumlszligten Wert fuumlr m (unter Beachtung der ersten Hundschen Regel) immer zuerst besetzt wird Die einfache Besetzung nach der ersten Hundschen Regel beginnt also stets mit m = l danach folgt m = (l - 1) usw Die weitere Besetzung der Orbitale mit einem jeweils zweiten Elektron mit umgekehrtem Spin (s = -12) findet danach in derselben Reihenfolge statt Die dritte Hundsche Regel beschreibt lediglich das Verhalten eines Mehrelektronensystems im Magnetfeld hat aber auf die Reihenfolge der Besetzung der Orbitale keinen Einfluss und braucht daher an dieser Stelle noch nicht beruumlcksichtigt zu werden Das insgesamt resultierende Besetzungsschema wird in der Chemie haumlufig in der so genannten Kaumlstchenschreibweise dargestellt Fuumlr die Nebenquantenzahlen von 0 bis 2 besitzt es unter Beachtung der Hundschen Regeln die folgende Struktur

Abb 8 Darstellung der Besetzungsreihenfolge bezuumlglich der magnetischen Quantenzahl und der Spinquanten-zahl bei Mehrelektronensystemen Jeder aufwaumlrts gerichtete Pfeil steht fuumlr eine Elektronenfunktion mit s = +12 (paralleler Spin) jeder abwaumlrts gerichtete Pfeil fuumlr eine Elektronenfunktion mit s = -12 (antiparalleler Spin)

Betrachten wir einmal denjenigen Radius eines Atoms der bei der direkten Beruumlhrung zweier Atome relevant wird Zunaumlchst koumlnnte man annehmen dass dieser Atomradius mit steigender Zahl an Elektronen grundsaumltzlich groumlszliger werden sollte Innerhalb einer Periode ist aber uumlberraschenderweise das Gegenteil der Fall wie aus folgenden Werten hervorgeht

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Lithium (3 Elektronen) Atomradius 152 pm Beryllium (4 Elektronen) Atomradius 112 pm Bor (5 Elektronen) Atomradius 88 pm Kohlenstoff (6 Elektronen) Atomradius 77 pm Stickstoff (7 Elektronen) Atomradius 70 pm Sauerstoff (8 Elektronen) Atomradius 66 pm Fluor (9 Elektronen) Atomradius 64 pm

Die Ursache hierfuumlr liegt in der staumlrkeren Ladung des Kerns und dem daraus folgenden steileren Potentialverlauf V(r) Die wachsende Ladung des Kerns komprimiert in zuneh-mendem Maszlige die Groumlszlige des Atoms Ein Fluoratom misst trotz der dreifachen Elektronenzahl weniger als die Haumllfte eines Lithiumatoms Vergleicht man allerdings die Atome von aufeinanderfolgenden Perioden innerhalb einer Gruppe (zB in der Reihe Li ndash Na ndash K ndash hellip) so findet man in den meisten Faumlllen den zu erwartenden Groumlszligenanstieg

18 Chemische Bindungen und Molekuumlle

Mit den Loumlsungen der Schroumldingergleichung des Wasserstoffatoms mit der Einfuumlhrung der Orbitale und mit der Beruumlcksichtigung der Besetzungsregeln haben wir nun ein relativ um-fassendes Bild von den Grundbausteinen der Chemie den Atomen Damit ergibt sich nun die Frage wie zwei oder mehr Atome miteinander wechselwirken koumlnnen Zunaumlchst ist zu klaumlren was eigentlich passiert wenn zwei Atome (Atom a und Atom b) immer naumlher zusammen-ruumlcken Eigentlich sollte man annehmen dass in diesem Fall die abstoszligenden Wechselwirkun-gen dominieren da sich bei dem direkten Kontakt zwischen den Atomen zunaumlchst nur die Elektronenhuumlllen beruumlhren sollte es zu einer starken elektrostatischen Abstoszligung kommen Zunaumlchst scheint die Bildung einer chemischen Bindung physikalisch wenig plausibel Trotz-dem existieren in der Natur drei moumlgliche Loumlsungen des Problems

a) Die Ionenbindung Hierbei geht ein oder mehrere Elektronen vollstaumlndig vom Atom a zum Atom b uumlber Dadurch wird das Atom a zum positiv geladenen Kation das Atom b zum negativ geladenen Anion Die anziehende elektrostatische Kraft bewirkt eine stabile Bindung

b) Die kovalente Bindung Es bilden sich zwischen zwei Atomen a und b gemeinsame Elektronenorbitale auf denen Elektronen sozusagen unter den beiden Bindungs-partnern aufgeteilt werden

c) Die metallische Bindung Es bildet sich ein Kontinuum aus sehr groszligen gemeinsa-men Elektronenorbitalen die sich uumlber ein atomares Gitter erstrecken Eine Vielzahl von Elektronen (das so genannte Elektronengas) wird dabei unter einer Vielzahl von Atomen aufgeteilt

Im Folgenden soll vor allem die Loumlsung b also die kovalente Bindung betrachtet werden da die anderen Bindungsformen (wie spaumlter gezeigt wird) auch als Grenzfaumllle dieser Loumlsung gelten koumlnnen Das bedeutet wir betrachten nun eine Situation bei der gemeinsame Orbitale zwischen (im einfachsten Fall) zwei Atomkernen existieren Um dafuumlr die Schroumldingergleichung zu loumlsen

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ist erneut eine Vereinfachung noumltig die als Born-Oppenheimer-Naumlherung gilt Dabei nimmt man an dass der Ort der beiden Atomkerne festgelegt ist obwohl die dazwischen befind-lichen Elektronen durch Wellenfunktionen beschrieben werden Dadurch erspart man sich die Komplikation eines moumlglicherweise zeitlich variablen Kernabstands Gerechtfertigt wird diese Naumlherung dadurch dass die Atomkerne um ein Vielfaches schwerer sind als die Elektronen ihre Bewegungen daher um ein Vielfaches langsamer Mit dieser Naumlherung fuumlhren wir nun folgendes Gedankenexperiment durch wir betrachten zwei Wasserstoffatome mit unendlichem Abstand zueinander Ihre Elektronen befinden sich beide im energetischen Grundzustand besitzen aber unterschiedlichen Spin so dass ihnen die beiden Quantenzahlsaumltze (100+12) und (100-12) zukommen Damit wird dem Pauli-Prinzip Genuumlge getan so dass die beiden Atome nun zusammengeruumlckt werden duumlrfen Je naumlher die beiden Atome einander kommen umso mehr bdquofuumlhltldquo das Elektron des einen Atoms den Kern des anderen so dass die Wellenfunktionen des ungestoumlrten Wasserstoffatoms nun keine guumlltigen Loumlsungen mehr darstellen Es muumlssen also neue molekulare Wellenfunktionen gefunden werden Diese Molekuumllorbitale bildet man am einfachsten indem man Kombina-tionen aus den zuvor guumlltigen Atomorbitalen bildet Wichtig ist es handelt sich dabei nicht um eine einfache Uumlberlappung zwischen den bestehenden Atomorbitalen sondern um die rechnerische Bildung eines neuen Orbitals Im Fall des Wasserstoffatoms im Grundzustand sind zwei solcher Kombinationen moumlglich Vereinfachend kann man das eine entstehende Molekuumllorbital als normierte additive Kombination aus den beiden einzelnen s-Atomorbitalen betrachten (Abb 9 oben links) Es wird als bindendes σ-Molekuumllorbital bezeichnet besitzt eine niedrigere Energie als das s-Atomorbital und weist zwischen den beiden Atomkernen eine hohe Elektronendichte (ein hohes Ψsup2) auf Sein Gegenstuumlck wird entsprechend aus einer Art normierter subtraktiver Kombination der beiden urspruumlnglichen s-Orbitale gebildet (Abb 9 oben rechts) Es wird als antibindendes σ-Molekuumllorbital bezeichnet besitzt eine houmlhere Energie als das s-Atomorbital und weist zwischen den beiden Atomkernen eine niedrige Elektronendichte (ein kleines Ψsup2) auf An einer Stelle besitzt letztere sogar den Wert Null Die bisher vorhandenen Atomorbitale existieren nun nicht mehr

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Abb 9 Darstellung von bindenden (links oben) und antibindenden Molekuumllorbitalen (rechts oben) im Wasserstoffmolekuumll H2 Das Energiediagramm links unten veranschaulicht die Bildung eines bindenden σ-Molekuumllorbitals im Fall von Wasserstoff H2 Das Diagramm rechts unten verdeutlicht die Situation in einem fiktiven Helium-Molekuumll He2 bei dem neben dem bindenden σ-Molekuumllorbital auch das antibindende σ-Molekuumllorbital besetzt wuumlrde Zweiatomiges Helium ist demzufolge nicht stabil

Die hohe Elektronendichte des bindenden σ-Orbitals im Bereich zwischen den Kernen bewirkt dass sich anziehende elektrostatische Wechselwirkungen Kern-Elektron-Kern aus-bilden koumlnnen es haumllt also das Molekuumll zusammen (deswegen bdquobindendldquo) Da das bindende σ-Orbital die niedrigere Energie besitzt wandern die zwei Elektronen des Wasserstoffmole-kuumlls beide (mit unterschiedlichen Spins) in diese Position Damit verbunden ist ein Energie-gewinn der den gebundenen Zustand beguumlnstigt Zur Trennung des Molekuumlls muss Energie aufgebracht werden Das antibindende σ-Orbital weist am Ort zwischen den Kernen die Elektronendichte Null auf Damit dominiert hier die abstoszligende elektrostatische Wechselwirkung Kern-Kern dazu-hin ist es energetisch unguumlnstiger Bei einem fiktiven Helium-Molekuumll (Abb 9 unten rechts) muss wegen der Zahl von vier Elektronen auch dieses σ-Orbital doppelt besetzt sein Dadurch wird sowohl der Energiegewinn als auch die anziehende Wechselwirkung des bindenden σ-Orbitals kompensiert so dass dieses Molekuumll insgesamt nicht stabil ist Grundsaumltzlich sind alle urspruumlnglichen Atomorbitale nach der Bildung des Molekuumlls ver-schwunden alle insgesamt vorhandenen Elektronen werden auf die neu gebildeten Molekuumll-orbitale verteilt Ist das Niveau der Atomorbitale vor der Bildung eines gemeinsamen Mole-kuumllorbitals sehr unterschiedlich so erhaumllt man eine polare kovalente Bindung bei der der Schwerpunkt der Elektronendichte auf der Seite des urspruumlnglich energieaumlrmeren Orbitals

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liegt Im Grenzfall extremer Polaritaumlt erhaumllt man eine Ionenbindung (s oben) Sind sehr viele gleichartige Orbitale an der Bildung des Molekuumllorbitals beteiligt so koumlnnen sich groszlige Delokalisationsgebiete ausbilden Im Extremfall eines Delokalisationsgebiets das sich uumlber ein ganzes Kristallgitter erstreckt spricht man von einer metallischen Bindung (s oben) Die Molekuumllorbitaltheorie (kurz MO-Theorie) ist also in der Lage saumlmtliche Bindungsarten zu beschreiben Energiediagramme wie in Abb 9 unten werden als MO-Schemata bezeichnet Fuumlr zwei-atomige Molekuumlle moumlgen sie noch recht uumlbersichtlich aussehen bei vielatomigen Molekuumllen sind sie dagegen meistens unuumlberschaubar Mit Hilfe leistungsfaumlhiger Computer lassen sich solche Molekuumllorbitale noch rechnerisch erfassen allerdings steigt der Rechenaufwand (und damit die Rechenzeit und die Kosten) mit steigender Molekuumllgroumlszlige sehr rasch an In diesem Fall kann man auf eine vereinfachende Betrachtung ausweichen die so genannte Valence-Bond-Theorie (VB-Theorie Valenzbindungstheorie) Sie wurde in Konkurrenz zur MO-Theorie entwickelt und beinhaltet eine wesentliche zusaumltzliche Naumlherung Sie ist dadurch deutlich weniger genau allerdings auch wesentlich einfacher anwendbar und in der Praxis die beste Methode um rasch und anschaulich Molekuumllgeometrien und Reaktionsmechanismen erklaumlren zu koumlnnen Im Gegensatz zur MO-Theorie geht man bei der VB-Theorie im Grundsatz davon aus dass auch im Molekuumll noch die urspruumlnglichen Atomorbitale existieren Der VB-Theorie nach entsteht die chemische Bindung dadurch dass zwei halb besetzte Atomorbitale der beiden benachbarten Atome A und B uumlberlappen Das bdquoUumlberlappungsorbitalldquo wird dann in der Regel durch die beiden resultierenden Elektronen (eines von A und eines von B) besetzt wobei das wiederum voraussetzt dass sie einen unterschiedlichen Spin aufweisen Jedes durch solche bdquoUumlberlappungldquo gebildete Orbital entspricht einer Bindung Der Einfachheit halber nimmt man an dass die anderen Atomorbitale nicht an der Bindung teilnehmen und somit unveraumlndert bleiben Aufgrund dieser doch recht groben Naumlherung kommt es bei der VB-Betrachtung von einfa-chen Molekuumllen wie Wasser Methan oder Ammoniak sehr schnell zu Problemen Zunaumlchst einmal sind die erhaltenen Bindungswinkel unrealistisch aufgrund der Tatsache dass in allen genannten Faumlllen p-Orbitale beteiligt sind resultiert aus dem VB-Modell immer wieder ein Bindungswinkel von 90deg wohingegen die tatsaumlchlichen Bindungswinkel deutlich groumlszliger sind (Wasser 1045deg Methan 109deg) Ein noch groumlszligeres Problem stellen zB die Bindungs-verhaumlltnisse des Kohlenstoffs dar eigentlich sollte man nach der VB-Theorie fuumlr eine Ver-bindung zwischen Kohlenstoff und Wasserstoff ein bdquoCH2ldquo mit einem Bindungswinkel von 90deg erwarten wobei die zwei jeweils halbbesetzten p-Orbitale des Kohlenstoffs Bindungs-anzahl und ndashwinkel vorgeben Dieser Mangel der VB-Theorie kann weitgehend repariert werden indem man die Schritte der Promotion und der Hybridisierung einfuumlhrt Beide Vorgaumlnge sind dabei nicht als natuumlrliche Prozesse sonder eher als hypothetische Hilfskonstruktionen zu verstehen die lediglich dazu dienen die Maumlngel der VB-Theorie auszuheilen Letztlich ermoumlglichen sie es mit Hilfe von Linearkombinationen aus Atomorbitalen und deren Uumlberlappungszonen den tatsaumlchlich vor-liegenden Molekuumllorbitalen naumlherzukommen

Der erste dazu notwendige Schritt die Promotion dient dazu die fuumlr die gegebene Zahl an Bindungen notwendige Zahl an ungepaarten Elektronen zu schaffen Dazu werden dann einfach Orbitale houmlherer Energie besetzt Im Fall des vierbindigen Kohlenstoffs bedeutet das beispielsweise dass ein s-Elektron an den bereits halbbesetzten px- und py-Orbitalen vorbei auf das energiereichere pz-Orbital gehoben wird Aus der Elektronenkonfiguration

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wird somit 1s 2s 2p

Dieser hypothetische Vorgang kommt einer gewissen Energieerhoumlhung gleich die allerdings dadurch abgemildert wird dass ein nach der ersten Hundschen Regel (bdquobus seat ruleldquo) guumlnsti-gerer Zustand mit ungepaarten Spins entsteht Die vier nunmehr halbbesetzten Orbitale sind in Abbildung 10 dargestellt

Abb 10 Darstellung der vier an der sp3-Hybridisierung des Kohlenstoffs beteiligten Orbitale 2s 2px 2py und 2pz(Quelle Chemgapedia)

Anschlieszligend erfolgt nun die Hybridisierung eine Art Vermischung (oder mathematisch korrekter die Bildung von Linearkombinationen) des s- mit den drei p-Orbitalen Dadurch entstehen Orbitale in gleicher Anzahl aber mit voumlllig neuer Form Symmetrie und Orien-tierung im Raum

Abb 11 Darstellung der vier aus der sp3-Hybridisierung des Kohlenstoffs resultierenden Hybridorbitale Die Ausrichtung der sp3-Hybridorbitale folgt den vier Raumdiagonalen eines Wuumlrfels oder ndash wenn man nur die groumlszligeren Segmente der Orbitale betrachtet ndash den Ecken eines Tetraeders (Quelle Chemgapedia)

Die vier neuen wiederum jeweils halbbesetzten Orbitale zeigen vom Kern aus zu den Ecken eines Tetraeders Mit ihrer Hilfe laumlsst sich nun zwanglos die Bildung des bekannten Methan-Molekuumlls CH4 erklaumlren jedes einzelne sp3-Hybridorbital uumlberlappt mit jeweils einem s-Orbi-tal eines Wasserstoffatoms wodurch eine tetraedrische Molekuumllgeometrie mit vier voumlllig gleichberechtigten Bindungen entsteht Das Ergebnis kommt den tatsaumlchlich vorhandenen Molekuumllorbitalen die sich gemaumlszlig dem MO-Modell formulieren lassen sehr nahe Festzu-halten ist dabei dass es sich sowohl bei der Promotion als auch bei der Hybridisierung um rein fiktive Prozesse handelt die lediglich postuliert werden um den VB-Ansatz zu bdquorettenldquo Der grundsaumltzliche Mangel der darin besteht dass das VB-Modell uumlberwiegend auf Atom-orbitalen beharrt die eigentlich nicht mehr existieren bleibt bestehen Viele Molekuumllgeome-trien lassen sich in der VB-Theorie nur mit Hilfe einer passenden Hybridisierung erklaumlren Dennoch das VB-Modell ist fuumlr die meisten Anwendungen in der Chemie nach wie vor der am haumlufigsten gewaumlhlte Ansatz er ist einfach intuitiv und vielseitig einsetzbar solange man die richtige Form der Hybridisierung waumlhlt Letzteres geschieht auf der Grundlage einer bekannten Molekuumllgeometrie oder unter Beruumlcksichtigung von vorhandenen Mehrfachbindun-gen Im Idealfall aumlhneln die gebildeten Hybridorbitale dann den wirklichen Molekuumllorbitalen

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In der folgenden Tabelle sind die haumlufigsten Hybridisierungsvarianten zusammengefasst und verschiedenen Molekuumllgeometrien zugeordnet Bei gegebener Geometrie des Molekuumlls (z B die trigonal-planare Anordnung um jedes Kohlenstoffatom im Ethylen) kann man so auf die passende Hybridisierung schlieszligen (im gegebenen Fall das sp2-Hybrid)

Tabelle 1 Wichtige Hybridisierungszustaumlnde nach dem VB-Modell

Hybridisierung Promotion Koordinationszahl Geometrie Beispiele

sp uarruarr suarr puarr 2 linear Acetylen Propadien

sp2 uarruarruarr suarr puarruarr 3 trigonal-planar Ethylen Benzol

sp3 uarruarruarruarr suarr puarruarruarr 4 tetraedrisch Methan Ammoniak

sp3d uarruarruarruarruarr suarr puarruarruarr duarr 5 trigonal-bipyramidal

Phosphor-pentachlorid

sp3d2 uarruarruarruarruarruarr suarr puarruarruarr duarruarr 6 oktaedrisch Schwefel-hexafluorid

Die so entstehenden Hybridorbitale kommen in ihrer raumlumlichen Darstellung den tatsaumlchli-chen Molekuumllorbitalen teilweise recht nahe sie korrigieren somit die VB-Theorie in gewissem Sinne in Richtung der MO-Theorie Allerdings bleibt festzuhalten dass die VB-Theorie keine antibindenden Orbitale kennt diese bleiben einfach unberuumlcksichtigt Dies ist eine gravie-rende Schwaumlche der VB-Theorie die sich an vielen Stellen bemerkbar macht (zB bei der Erklaumlrung des Sauerstoff-Biradikals in der Spektroskopie und bei bestimmten Reaktions-typen)

19 Elektronegativitaumlt und Polaritaumlt

In einer chemischen Bindung zwischen verschiedenen Elementen besitzen die beteiligten Atome fuumlr gewoumlhnlich unterschiedliche Tendenzen die Bindungselektronen an sich zu ziehen Bei der Betrachtung der Energieschemata im MO-Modell aumluszligert sich dies darin dass ein bindendes Molekuumllorbital aus einer Linearkombination zweier Atomorbitale mit sehr unterschiedlicher Energie hervorgeht In diesem Fall besitzt das bindende Molekuumllorbital die Tendenz hohe Elektronendichten in der Naumlhe des Elements aufzuweisen dessen Atomorbital energetisch guumlnstiger liegt Man spricht dann von einer hohen Elektronegativitaumlt dieses Elements da es in dem gebundenen Zustand durch die erhoumlhte Elektronendichte eine partiell negative Ladung aufweist Ein klassisches Beispiel ist die Verbindung Fluorwasserstoff (HF) Hier wird ein bindendes Molekuumllorbital aus der Linearkombination zwischen dem 1s-Orbital des Wasserstoffs mit einem 2p-Orbital des Fluors gebildet Letzteres liegt aufgrund der relativ hohen Kernladung und des geringen Atomradius des Fluors energetisch wesentlich tiefer wodurch sich eine stark asymmetrische Elektronenverteilung ergibt Die Elektronegativitaumlt wird in erster Linie durch die Kernladung vor allem aber auch durch den Abstand zwischen den Valenzelektronen und dem Atomkern bestimmt Daher sind auch kleine Atome wie zum Beispiel der Stickstoff der Sauerstoff oder das Fluor auch besonders elektronegativ (s Tabelle Seite 12) Im Periodensystem der Elemente nimmt die Elektro-negativitaumlt tendenziell nach oben und nach rechts zu (Edelgase ausgenommen) Linus Pauling

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schlug vor die Elektronegativitaumlt ausgehend von der VB-Theorie als dimensionslose Kenn-groumlszlige fuumlr jedes einzelne Element einzufuumlhren Sie errechnet sich aus einem Vergleich der Dissoziationsenergien der beteiligten Elemente Demnach besitzt Francium als das am wenigsten elektronegative Element den Wert 070 und Fluor als das am staumlrksten elektro-negative Element den Wert 398 Eine Zwischenstellung nimmt zB Wasserstoff mit 220 ein Bei Bindungen zwischen Elementen mit unterschiedlicher Elektronegativitaumlt spricht man von polaren Bindungen Entlang einer polaren Bindung baut sich durch die ungleiche Elektronen-verteilung ein entsprechendes Dipolmoment auf das haumlufig Anlass fuumlr starke zwischen-molekulare Kraumlfte liefert (s Kapitel 3) Im Extremfall einer sehr polaren kovalenten Bindung kann das Bindungselektron (bzw die Bindungselektronen) praktisch allein dem elektronega-tiveren Element zugesprochen werden Das entsprechende Bindungsorbital besteht dann als Linearkombination von Atomorbitalen fast ausschlieszliglich aus einem Atomorbital welches das elektronegativere Element beisteuert In diesem Fall spricht man nach klassischer Definition von einer Ionenbindung

2 Die Elektronenspektroskopie an Atomen und Molekuumllen 21 Grundlagen der Spektroskopie

Elektronen in Atomen und Molekuumllen koumlnnen ndash soweit die Erkenntnis aus Kapitel 1 ndash durch Wellenfunktionen beschrieben werden Aus diesen kann man nicht nur die Aufenthaltswahr-scheinlichkeit an verschiedenen Positionen im Raum sondern auch die Energie des Elektrons ableiten Eine Folge der Beschraumlnkung der Elektronen auf bestimmte Wellenfunktionen mit jeweils bestimmter Energie ist dass sie auch nur in bestimmten Schritten Energie aufnehmen und abgeben koumlnnen Jede Aufnahme bzw Abgabe von Energie entlang dieses Schrittes ist generell mit der Aufnahme bzw Abgabe von elektromagnetischer Strahlung verbunden Diese Tatsache bildet die Grundlage der Spektroskopie im gegebenen Fall der Elektronenspektros-kopie

Allgemein gesprochen befasst sich die Spektroskopie mit der Wechselwirkung zwischen Strahlung und Materie Etwas genauer laumlsst sich aussagen dass die Spektroskopie unter-sucht mit welcher elektromagnetischen Strahlung sich welcher energetische Uumlbergang anre-gen laumlsst Zwischen der elektromagnetischen Strahlung und dem dabei bewirkten energeti-schen Uumlbergang gilt dann grundsaumltzlich folgende Beziehung Δ E = h ∙ ν mit ΔE als der Energiedifferenz zwischen den beiden Zustaumlnden (in Joule) ν (gesprochen bdquonuumlldquo) als Frequenz der verwendeten elektromagnetischen Strahlung (in 1s oder Hertz Hz) und h als dem so genannten Planckschen Wirkungsquantum (mit h = 6626∙10-34 Js) Somit ist jeder Frequenz ν im elektromagnetischen Spektrum (Abb 12) genau ein Energiewert Δ E zugeordnet Die dazugehoumlrige Wellenlaumlnge im Vakuum (in m) errechnet sich nach λ = c ν mit c als Lichtgeschwindigkeit (im Vakuum c = 299 792 458 ms)

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Abb 12 Elektromagnetisches Spektrum (Quelle Chemgapedia)

Fuumlr die genaue Messung welche Frequenz der elektromagnetischen Strahlung einem gegebe-nen Uumlbergang anzuregen vermag gibt es experimentell zwei verschiedene Ansaumltze Entweder man strahlt Energie auf das System ein und beobachtet den Verlust an Strahlungsintensitaumlt der dann beobachtet wird wenn die Strahlung einen Uumlbergang zu einem houmlheren Energieni-veau bewirkt (Absorption) oder man fuumlhrt dem System Energie zu (zum Beispiel thermisch) und beobachtet dann die Freisetzung von Energie als Strahlung (Emission) Im einen Fall erfuumlllt die Frequenz der absorbierten Strahlung im anderen Fall die der emittierten Strahlung die Frequenzbedingung ΔE = h ∙ ν Mit beiden Methoden kann man so exakt den Energie-unterschied zwischen zwei Energieniveaus ausmessen Die Bestimmung der Werte fuumlr die charakteristischen Energieschritte ΔE eines Systems ist die Hauptaufgabe der Spektroskopie Sie eignet sich insbesondere um elektronische Wellenfunktionen eines Systems zu erkunden

22 Elektronenspektroskopie am eindimensionalen Potentialtopf

Das denkbar einfachste elektronische System ist der eindimensionale Potentialtopf Dennoch kann auch dieses Modell schon in grober Naumlherung auf Molekuumlle angewandt werden speziell auf solche mit annaumlhernd linearen Delokalisationssystemen (s Kapitel 14) Ein Beispiel ist die Reihe Butadien Hexatrien Oktatetraen usw Bildet man mit Hilfe der Loumlsungen der Schroumldingergleichung fuumlr das eindimensionale Potentialtopfmodell einen Ausdruck fuumlr den elektronischen Uumlbergang zwischen dem houmlchsten besetzten Orbital (HOO) und dem niedrig-sten unbesetzten Orbital (LUO) so erhaumllt man fuumlr die damit verbundene Energiedifferenz gemaumlszlig der in Abbildung 5 gezeigten Formel

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ΔE = h ∙ ν = (nsup2LUO-nsup2HOO) ∙ hsup2 (8 me asup2)

Mit wachsender Laumlnge a und wachsender Elektronenzahl (jedes Kohlenstoffatom im Delokali-sationsgebiet traumlgt ein Elektron bei) steigen einerseits die Werte der Quantenzahlen n fuumlr das houmlchste besetzte Orbital (HOO) und das niedrigste unbesetzte Orbital (LUO) an andererseits steigt aber auch die Laumlnge L die quadratisch im Nenner der Gleichung steht Da letzteres insgesamt uumlberwiegt sinkt der Wert fuumlr ΔE und damit fuumlr die Frequenz ν schrittweise mit Anstieg der Kettenlaumlnge Liegt die absorbierte Lichtfrequenz anfaumlnglich im UV-Bereich so verschiebt sie sich beispielsweise fuumlr das Carotin mit 11 Doppelbindungen schon in den sichtbaren blauen Bereich Weil daher Carotin blaues Licht absorbiert erscheint es im Durchlicht betrachtet in der Komplementaumlrfarbe orange-gelb Nach diesem Prinzip lassen sich viele organische Farbstoffe interpretieren Aumlndert sich die Laumlnge bzw die Elektronenzahl (und damit nsup2LUO und nsup2HOO) durch die Protonierung des Molekuumlls so hat man es mit einem Farbstoff zu tun der mit dem pH-Wert seine Farbe aumlndert ndash dies ist die Grundlage vieler pH-Indikatoren

23 Elektronenspektroskopie am Wasserstoffatom

Die wissenschaftliche Spektralanalyse wurde in der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts gemeinsam durch GR Kirchhoff und RW Bunsen entwickelt Sie entdeckten dass alle Elemente beim Erhitzen Licht aussenden Nach Zerlegung des Lichts mit einem Glasprisma erhaumllt man ein fuumlr jedes Element charakteristisches Linienmuster das so genannte Spektrum (s auch UTube-Video bdquospectral lines demoldquo httpwwwyoutubecomwatchv=2ZlhRChr_Bw) Dieses Spektrum reflektiert die Gesamtheit der dem gegebenen Element eigenen elektronischen Uumlbergaumlnge und ist damit ein unverwechselbarer Fingerabdruck Elemente koumlnnen damit sowohl in der Emissionsspektroskopie als auch in der Absorptionsspektroskopie eindeutig und mit hoher Empfindlichkeit identifiziert werden

Die Elektronenspektroskopie kann jedoch noch deutlich mehr sie erlaubt die exakte Uumlber-pruumlfung der durch die Loumlsung der Schroumldingergleichung gefundenen elektronischen Wellen-funktionen Dies wurde zunaumlchst am Wasserstoffatom mit hoher Praumlzision betrieben Histo-risch gesehen ist die erste wichtige Lichtquelle fuumlr spektroskopische Analysen unsere Sonne Dies gilt insbesondere fuumlr das Spektrum des Wasserstoffs Da die Energie der elektronischen Zustaumlnde dort einzig und allein von der Hauptquantenzahl n abhaumlngt (s Kapitel 15) werden lediglich solche Spektrallinien beobachtet die sich genau einem gegebenen ΔE = E(n) - E(nlsquo) zuordnen lassen Zuerst wurde mit der Balmer-Serie der sichtbare Anteil des Spektrums ent-deckt der mit allen Uumlbergaumlngen von oder zu dem Niveau n = 2 verbunden ist (Abb 13) Es folgten spaumlter im UV-Bereich die Lyman-Serie mit n = 1 und im IR-Bereich die Paschen-Serie mit n = 3 die Brackett-Serie mit n = 4 sowie die Pfundt- und die Humphreys-Serie mit n = 5 und n = 6 (letztere sind in Abb 13 nicht mehr eingezeichnet) Weitere Serien mit houmlheren Quantenzahlen existieren tragen aber keine eigenen Namen mehr

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Wel

lenz

ahl

[100

0 cm

-1]

0

10

20

30

40

50

60

70

80

90

100

110Grundzustand

Lyman-serie

Balmer-serie

Paschen-serie

Brackett-serie

n = 5n = 4

n = 3

n = 2

n = 1

Gustav Robert Kirchhoff

Robert Wilhelm Bunsen

Abb 13 Wichtige elektronische Uumlbergaumlnge im Wasserstoffatom

Abbildung 14 zeigt das gesamte Wasserstoffspektrum die Kuumlrzel benennen die entsprechen-den Serien (Ly = Lyman Ba = Balmer etc)

Abb 14 Spektrum des Wasserstoffatoms Die Achse fuumlr die Wellenlaumlnge ist logarithmisch aufgetragen

Eine genaue Analyse ergibt dass sich das Schema der Energiedifferenzen nach Abb 13 fast genau mit den in Kapitel 15 besprochenen Loumlsungen der Schroumldingergleichung deckt Die aumluszligerst kleinen Abweichungen die man dennoch detektieren konnte lieszligen sich auf den Bei-trag des Kerns (trotz seiner hohen Masse kann er sich minimal mit dem Elektron mitbewegen) und des Isotopeneffekts zuruumlckfuumlhren der schwerere Deuteriumkern der aus einem Proton und einem Neutron besteht bewegt sich weniger leicht mit dem Elektron mit als das einsame Proton des bdquonormalenldquo Wasserstoffs Daneben zeigen sich bei sehr hoher Aufloumlsung des Spektrums auch relativistische Effekte die zu weiteren Aufspaltungen fuumlhren

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24 Elektronenspektroskopie an Atomen mit mehreren Elektronen

Aufgrund der Wechselwirkungen zwischen den Elektronen ist bei schwereren Elementen die beim Wasserstoff gegebene Entartung bezuumlglich der Quantenzahlen l und m aufgehoben Damit wird das Energiediagramm bereits fuumlr ein einfaches houmlheres Atom wie zum Beispiel Lithium schon deutlich komplizierter (Abb 15) Neben den Uumlbergaumlngen zwischen verschiede-nen Werten fuumlr n treten nun auch Uumlbergaumlnge zwischen s und p p und d d und f auf Manche Uumlbergaumlnge (zum Beispiel solche zwischen s- und d-Niveaus) werden allerdings gewoumlhnlich nicht beobachtet man nennt sie bdquoverbotenldquo bdquoErlaubtldquo sind nur solche Uumlbergaumlnge bei denen die Nebenquantenzahl sich um den Wert plusmn1 aumlndert (also eben von s nach p von p nach d usw) Die so genannte Auswahlregel welche die erlaubten Uumlbergaumlnge festlegt heiszligt folglich Δl = plusmn1

Als weitere Folge der Wechselwirkungen zwischen den Elektronen besitzt jedes houmlhere Atom ein eigenes und von Wasserstoff verschiedenes Energiediagramm Damit besitzt aber auch jedes Atom ein unverwechselbares Muster von Energieuumlbergaumlngen die es eindeutig kenn-zeichnet Dies laumlsst sich bereits in einfachen Versuchen anhand von Flammenfaumlrbungen zeigen Diejenigen Uumlbergaumlnge deren ΔE den Wellenlaumlngen im sichtbaren Spektrum entspricht (in Abb 15 sind dies die kuumlrzeren unter den eingezeichneten blauen Pfeilen) sorgen bei vielen Elementen fuumlr ein charakteristisches farbiges Leuchten (Abb 15 rechts)

Ener

gie

Wasserstoff Lithium

n = 1

2

3

45

1s

2s

2p

3s

4s

5s

3p

4p5p

3d

4d5d

Abb 15 Termschema von Lithium mit wichtigen elektronischen Uumlbergaumlngen (links) Durch Lithium verursachte Flammenfaumlrbung (rechts Quelle httpwwwitpuni-hannoverde~zawischaITPatomshtml)

Letztlich ist auch bei allen houmlheren Atomen die Elektronenspektroskopie eine ideale Methode um das Energieniveauschema experimentell zugaumlnglich zu machen Sie eignet sich daruumlber hinaus perfekt zur schnellen und empfindlichen Identifikation von Elementen Diese Tatsache

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macht man sich sowohl in der Atomabsorptionsspektroskopie (AAS) als auch in der Atom-emissionsspektroskopie (AES) zunutze Elektronenspektren sind unverwechselbare Finger-abdruumlcke mit denen alle Elemente in hoher Empfindlichkeit und selbst uumlber groszlige Distanzen hinweg sicher identifiziert werden koumlnnen

25 Elektronenspektroskopie an Molekuumllen

Genau wie die Atomorbitale sind auch Molekuumllorbitale der Elektronenspektroskopie zugaumlng-lich Durch die systematische Analyse aller elektronischen Uumlbergaumlnge lassen sich die Energie-niveaus in einem MO-Schema schrittweise ausmessen Besonders interessant wird dieser Ansatz bei der Untersuchung der Bindungsverhaumlltnisse Im Allgemeinen beobachtet man Uumlbergaumlnge zwischen bindenden und nicht bindenden Orbitalen einerseits und den uumlblicherweise unbesetzten antibindenden Orbitalen andererseits In Abb 16 ist dies am Beispiel einer C-O-Bindung in Formaldehyd gezeigt Im Mittelpunkt stehen dabei das binden-de und das antibindende σ-Orbital C-O das bindende und das antibindende π-Orbital C-O sowie das nicht bindende freie Elektronenpaar des Sauerstoffs (ein weiteres freies Elektronen-paar bleibt unbeteiligt)

Ener

gie

σ CO

σ CO

π CO

π CO

n O

C

H

H

O

σ-σ

Uumlbe

rgan

g

π-π

Uumlbe

rgan

gn-π Uumlber-gang

σ

Abb 16 Termschema der CO-Gruppe in Formaldehyd (links) Die beteiligten Bindungen und das im betrachteten Energiefenster liegende freie Elektronenpaar des Sauerstoffs sind rechts skizziert

Die drei wichtigsten Uumlbergaumlnge die an der C-O-Gruppe detektiert werden sind der σ-σ-Uumlbergang der π-π-Uumlbergang und der n-π-Uumlbergang Letzterer ist in einer C-O-Gruppe stets am energieaumlrmsten und kann bereits mit UV-Licht einer Wellenlaumlnge um 280 nm angeregt werden (schwarzer Pfeil in Abb 16) Energiereicher und intensiver ist bei der CO-Gruppe der π-π-Uumlbergang der bei Wellenlaumlngen um 170 nm angeregt wird (roter Pfeil in Abb 16) Daruumlber hinaus zeigt das Spektrum dass die beiden freien Elektronenpaare des Sauerstoffs stark unterschiedlichen Charakter besitzen (nur eines ist an dem n-π-Uumlbergang beteiligt das andere tritt im gegebenen Spektralbereich nicht in Erscheinung)

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Auf aumlhnliche Weise lassen sich alle MO-Schemata komplizierter Molekuumlle analysieren Lie-gen die Anregungsfrequenzen der Uumlbergaumlnge im sichtbaren Bereich so haben die Molekuumlle die Funktion von Farbstoffen Haumlufig besitzen sie dann laumlngere lineare Delokalisationsgebiete deren Elektronenspektren man dann auch in grober Naumlherung mit dem eindimensionalen Potentialtopfmodell beschreiben kann (s Kapitel 22) Werden Bindungselektronen angeregt und aumlndern sich im Verlauf der elektronischen Anre-gung die Bindungsverhaumlltnisse (beispielsweise bei Besetzung eines antibindenden Zustands) so ist mit der elektronischen Anregung zwangslaumlufig auch eine Aumlnderung des energetisch guumlnstigsten Bindungsabstands verbunden Damit einhergehend werden mechanische Schwin-gungen des Molekuumlls angeregt Mit den Molekuumllschwingungen verhaumllt es sich analog zu den elektronischen Zustaumlnden auch Molekuumllschwingungen existieren nur in bestimmten definierten Zustaumlnden die sich dann den elektronischen Zustaumlnden uumlberlagern (Abb 17) Die Folge davon ist dass die Elektronenspektren von Molekuumllen haumlufig keine scharfen Linien sondern breite Absorptionsbereiche (bdquoBandenldquo) aufweisen Alle Linien fuumlr die elektronischen Uumlbergaumlnge zerlegen sich demnach in eine Vielzahl von Einzellinien die verschiedene Schwingungszustaumlnde der benachbarten elektronischen Zustaumlnde miteinander verbinden (in Abb 17 sind exemplarisch neun verschiedene moumlgliche Uumlbergaumlnge eingezeichnet) Normaler-weise liegen alle diese Linien dicht beieinander so dass insgesamt eine verbreiterte Absorp-tionsbande entsteht

Ener

gie

elektronische Niveaus

Schwingungsniveaus

Abb 17 Zum Zustandekommen von breiten Absorptionsbanden in Elektronen-Schwingungsspektren Uumlberlagerung von elektronischen Uumlbergaumlngen mit Schwingungsuumlbergaumlngen Exemplarisch sind jeweils drei Schwingungsniveaus eingezeichnet

Das Elektronenspektrum eines Molekuumlls wird wegen der dazu verwendeten Frequenzbereiche im UV- und im sichtbaren (bdquovisibleldquo) Spektrum auch UV-vis-Spektroskopie genannt Die UV-vis-Spektroskopie dient neben der Aufklaumlrung der MO-Struktur auch der schnellen und bequemen Identifikation von chemischen Verbindungen Aufgrund ihrer im Absorptionsver-fahren sehr einfachen und preisguumlnstigen Messtechnik wird sie auch haumlufig in Kombination mit anderen analytischen Verfahren (zB der Chromatographie) verwendet Uumlber eine Bestim-mung der Intensitaumlt der Anregung kann auch eine quantitative Analyse einzelner Verbindun-gen erfolgen

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3 Das Zusammenwirken von Atomen und Molekuumllen 31 Der makroskopische Zustand von Materie Bisher sind nur einzelne Bausteine der Materie also Atome und Molekuumlle betrachtet worden Nun soll das makroskopische Erscheinungsbild von Materie ins Auge gefasst werden die aus einer Vielzahl von Atomen oder Molekuumllen besteht Um den Zustand dieser aus vielen Teilchen zusammengesetzten Materie uumlberhaupt als Gesamtheit zu beschreiben benoumltigt man zunaumlchst so genannte Zustandsparameter oder Zustandsgroumlszligen Die wichtigsten Vertreter dieser Kenngroumlszligen fuumlr makroskopische Materie sind die Stoffmenge n das Volumen V der Druck P und die Temperatur T

n Stoffmenge Die Stoffmenge wird uumlber die Teilchenzahl definiert

Einheit der Teilchenzahl 1 Mol

Definition Ein Mol eines Stoffes enthaumllt dieselbe Anzahl an Teilchen wie 0012 kg reiner Kohlenstoff des Isotops 12C (1 Mol 60221023

Teilchen) Dabei muss eindeutig festgelegt sein was unter einem Teilchen des Stoffes jeweils zu verstehen ist Ist die Stoffmenge konstant so spricht man von einem geschlossenen System

V Volumen Die Definition des Volumens erfolgt uumlber die festgelegte Laumlngeneinheit und den geometrischen Volumenbegriff

Einheit des Volumens 1 msup3

Definition Ein msup3 ist das Volumen eines wuumlrfelfoumlrmigen Raums mit einer Kantenlaumlnge von einem Meter Ist das Volumen konstant so spricht man von einem isochoren Vorgang

P Druck Die Definition erfolgt uumlber die Kraft die ein Stoff auf jede Flaumlcheneinheit eines ihn einschlieszligenden Behaumllters ausuumlbt

Einheit des Drucks 1 Pascal = 1 Pa = 1 Nmsup2 = 10-5 bar

Definition Ein Pascal ist der Druck bei dem auf jeden Quadratmeter der Behaumllterwaumlnde eine Kraft von 1 Newton ausgeuumlbt wird Ist der Druck konstant so spricht man von einem isobaren Vorgang

T Temperatur

Der sicherlich am schwierigsten fassbare Zustandsparameter makroskopischer Materie ist die Temperatur Zwar ist sie direkt mit der menschlichen Wahrnehmung verknuumlpft (kalt warm heiszlighellip) physikalisch jedoch zunaumlchst sehr undefiniert da sie nicht ohne weiteres auf andere physikalische Groumlszligen zuruumlckfuumlhrbar ist Am ehesten laumlsst sie sich im ersten Ansatz als diejenige Eigenschaft von Materie beschreiben die von einem Thermometer gemessen wird

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Zur Verwendung als Thermometer eignet sich prinzipiell jeder physikalische oder chemische Vorgang der reproduzierbar mit einer Temperaturaumlnderung verknuumlpft ist Klassisch sind dies insbesondere die Ausdehnungsvorgaumlnge von Gasen Fluumlssigkeiten und Festkoumlrpern (Abb 18)

Hg

Festkoumlrperthermometer werden gewoumlhnlich nach demPrinzip des Bimetall-Thermometers ausgelegt (ganzlinks) Dabei werden zwei verschiedene Festkoumlrper(zB zwei Bleche aus verschiedenen Metallen) flaumlchigmiteinander in Kontakt gebracht Bedingt durch dieunterschiedliche thermische Ausdehnung derMaterialien kruumlmmt sich das Bimetall-Blech abhaumlngigvon der Temperatur mehr oder weniger stark zu einerSpirale

Fluumlssigkeitsthermometer (Mitte) und Gasthermometer(rechts) nutzen die Volumenaumlnderung eines fluidenMediums mit der Temperatur Die Genauigkeit kannerhoumlht werden indem einem groszligvolumigen Vorrats-behaumllter ein relativ kleinvolumiger Ausdehnungs- undAblesebereich gegenuumlbergestellt wird

Abb 18 Thermometer die auf der Grundlage der temperaturbedingten Ausdehnung von Materie beruhen

In der Praxis kommen mehr und mehr die elektronischen Varianten der Temperaturmessung zum Zug die zumeist auf der Messung der Thermospannung basieren Neben der Messmetho-de ist die Festlegung einer Temperaturskala wichtig Dazu dienten zunaumlchst einige Fixpunkte die heute teilweise noch historische Bedeutung haben

1) Die tiefste Temperatur des Winters 17081709 in Danzig - 178 degC

2) Die Temperatur von schmelzendem Eis bei 760 Torr (760 Torr = 1 atm = 101 325 Pa) 0 degC

3) Koexistenztemperatur von Eis Wasser und Wasserdampf 001 degC (exakt)

4) Die durchschnittliche Koumlrpertemperatur eines gesunden Menschen 378 degC

5) Die Siedetemperatur des Wassers bei 760 Torr (1 atm = 101 325 Pa) 100 degC

Die Punkte 1 und 4 bildeten die Grundlage des Fahrenheit-Systems die Punkte 2 und 5 die der Celsius-Skala Bei beiden Systemen wurde der definierte Bereich zunaumlchst in 100 gleiche Teile (Grade) aufgeteilt dann extrapoliert Beide Definitionen wurden spaumlter verfeinert (Celsius 9999 Grade C zwischen den Fixpunkten 3 und 5 Fahrenheit 180 Grade F zwischen den Fixpunkten 1 und 5) Trotzdem mangelt es auszliger Punkt 3 allen genannten Fixpunkten an Genauigkeit und Reproduzierbarkeit

Das zweite Problem nach der Unvollkommenheit der Fixpunkte besteht in der Festlegung einer systemunabhaumlngigen linearen Teilung Gewoumlhnlich ist der Verlauf der Skala vom gewaumlhlten Medium abhaumlngig Eine lineare Teilung auf der Skala eines Quecksilber-thermometers entspricht daher nicht einer linearen Teilung auf der Skala eines Alkoholthermometers da die Ausdehnung bei jedem Medium in unterschiedlicher Weise von der Temperatur abhaumlngt

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Beide Probleme sowohl die Wahl der passenden Fixpunkte als auch die Definition einer sinnvollen linearen Teilung werden heute durch die Festlegung der so genannten absoluten Temperaturskala geloumlst Grundlage hierfuumlr sind uumlbereinstimmende Beobachtungen an Gasthermometern

-300 -200 -100 0 100 200

V

T

-27315degCBei wiederholten Messungen mit verschiedenenGasthermometern verschiedenen Gasen undGasvolumina und bei verschiedenen Drucken stelltman fest dass sich die Verlaumlngerungen aller in denjeweiligen Diagrammen erhaltenen Linien in einemPunkt schneiden Dieser Punkt entspricht auf derVolumenachse dem Wert V = 0 und auf derTemperaturachse dem Wert T = -27315 degC

Abb 19 Ausdehnungskurven verschiedener Gase Die Temperaturskala ist zunaumlchst noch in Celsius aufgetragen

Aus dieser Beobachtung wurde geschlossen dass der Temperatur am gemeinsamen Schnitt-punkt aller Ausdehnungskurven eine besondere physikalische Bedeutung zukommt und sie sich daher als Fixpunkt einer neuen Temperaturskala eignet Weiterhin wurde festgestellt dass zwar alle Gase in ihrem Ausdehnungsverhalten von dem linearen Verlauf abweichen dass aber unter bestimmten Umstaumlnden (zB niedriger Druck) ein gemeinsamer Verlauf angestrebt wird den man auch als idealen Verlauf bezeichnen koumlnnte Am besten funktioniert das bei Helium unter schrittweise absinkenden Drucken dessen Verhalten sich fuumlr P rarr 0 zum idealen Verhalten extrapolieren laumlsst Diese Erkenntnis diente zur Definition einer absoluten Temperaturskala in Kelvin

1) Unterer Fixpunkt Schnittpunkt der Volumenexpansionskurven bdquoidealerldquo Gase (zB Helium fuumlr den Grenzfall Prarr0) 0 Kelvin

2) Oberer Fixpunkt Koexistenztemperatur von Eis Wasser und Wasserdampf 27316 Kelvin

3) Das Volumen eines bdquoidealenldquo Gases (zB Helium fuumlr den Grenzfall Prarr0) ist bei konstantem Druck proportional zur Temperatur und definiert die lineare Teilung der Temperaturskala

Gemaumlszlig dieser Definition ist jede beliebige Temperatur unter Nutzung eines bdquoidealenldquo Gasther-mometers auf der absoluten Kelvin-Skala eindeutig festgelegt Die Verwendung der Kelvin-Skala ist gegenuumlber der Nutzung klassischer Temperatursysteme bei der Beschreibung physi-kalischer Vorgaumlnge eindeutig von Vorteil Vorgaumlnge bei denen die Temperatur konstant ist nennt man isotherm Mit der Definition der wichtigsten Zustandsparameter Teilchenzahl n Volumen V Druck P und Temperatur T besteht nun die Moumlglichkeit das Verhalten makroskopischer Materie zu beschreiben Am einfachsten gelingt das im Fall von Gasen

32 Zustandsgleichung fuumlr Gase die ideale Gasgleichung

Gleichungen welche die Zustandsparameter wie n V T und P miteinander verknuumlpfen nennt man Zustandsgleichungen Sie beschreiben das Verhalten einer aus vielen einzelnen Teilchen bestehenden Materie hinsichtlich ihrer makroskopisch messbaren Groumlszligen Am

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einfachsten sind solche Zustandsgleichungen fuumlr Gase aufzustellen Untersucht man bei Gasen systematisch den Zusammenhang zwischen n V P und T so stellt man fest dass fuumlr alle Gase in mehr oder weniger guter Naumlherung folgende einfache Gleichung erfuumlllt isthellip

P ∙ V = n ∙ R ∙ T

hellipwobei R fuumlr die so genannte ideale Gaskonstante steht (R asymp 8314 J K-1 Mol-1) Diese Glei-chung auch bdquoideale Gasgleichungldquo genannt ist ein so genanntes Grenzgesetz kein real exis-tierendes Gas erfuumlllt es genau aber alle Gase kommen ihm recht nahe insbesondere bei hohen Temperaturen und niedrigen Druumlcken Eine Gleichung dieser Form nennt man auch Zustands-gleichung da sie Zustandsparameter miteinander verbindet Grafisch laumlsst sich diese Verknuumlp-fung in einem einfachen Diagramm darstellen bei dem jede Kombination von T und V genau einem Wert fuumlr P zugeordnet ist (Abb 20)

P

V

T

Abb 20 Auftragung von P gegen T und V nach der idealen Gasgleichung

Wir wissen nun dass die Gase aus einer Vielzahl von Teilchen (Atomen oder Molekuumllen) bestehen Wie laumlsst sich das durch die ideale Gasgleichung beschriebene Verhalten nun mit dieser Tatsache in Einklang bringen Was bedeuten eigentlich die Parameter Druck und Tem-peratur fuumlr ein Gas das sich aus vielen einzelnen Atomen und Molekuumllen zusammensetzt Um makroskopische Zustandsparameter uumlberhaupt mit der Teilchenwelt verknuumlpfen zu koumlnnen benoumltigen wir eine Modellvorstellung fuumlr das mechanische Zusammenwirken der Teilchen im Fall von Gasen das so genannte kinetische Gasmodell

33 Das kinetische Gasmodell

Bei den im vorhergehenden Kapitel aufgefuumlhrten Gasgesetzen handelt es sich um mathemati-sche Beschreibungen von makroskopisch beobachtbaren Vorgaumlngen Zur Interpretation der Gasgesetze auf molekularer Ebene wurden verschiedene Modelle vorgeschlagen Das erfolg-reichste unter ihnen war das sogenannte kinetische Gasmodell Es beruht auf der Vorstellung dass ein Gas aus einer Vielzahl von Teilchen besteht die folgende Bedingungen erfuumlllen

1) Sie besitzen eine Atom- oder Molmasse M einen endlichen Durchmesser d und befinden sich in staumlndiger und ungeregelter Bewegung

2) Die Groumlszlige der Teilchen ist im Verhaumlltnis zum freien Volumen vernachlaumlssig-bar

3) Zwischen den Teilchen finden elastische Stoumlszlige statt Ansonsten existieren keine weiteren Wechselwirkungen unter den Teilchen

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Nach der kinetischen Gastheorie besteht der Druck eines Gases aus der Summe aller Kraumlfte (pro Flaumlcheneinheit) die durch auf eine Flaumlche aufprallende Gasteilchen (bzw durch deren Impulsaumlnderung) ausgeuumlbt werden (Abb 21)

Vx t

Abb 21 Links schematische Darstellung der Impulsaumlnderung bei dem Auftreffen eines Gasteilchens auf der Gefaumlszligwand Viele solche Stoumlszlige fuumlhren in der Summe zum Entstehen einer messbaren dem Gasdruck zugeordneten Kraft Rechts Die Geschwindigkeitskomponente vx der Teilchen bestimmt nicht nur die Groumlszlige der Impulsaumlnderung sondern auch die Zahl der Teilchen die pro Zeiteinheit auf die Wand stoszligen Daher geht die Geschwindigkeit der Teilchen bei der Berechnung des Drucks insgesamt quadratisch ein

Dabei wird zunaumlchst davon ausgegangen dass alle Teilchen die gleiche Geschwindigkeits-komponente vx aufweisen Diese Geschwindigkeitskomponente bestimmt zum einen die Heftigkeit der Stoumlszlige zum anderen wie viele Gasteilchen pro Zeiteinheit auf die Wand prallen Insgesamt haumlngt der Druck damit vom Quadrat der Geschwindigkeitskomponente vxab Fuumlhrt man nun ein mittleres Geschwindigkeitsquadrat csup2 ein (mit vxsup2 = 13 csup2) so erhaumllt man fuumlr den an dem beweglichen Kolben spuumlrbaren Druck die Gleichung

P = 13 M csup2 (nV) oder in der Schreibweise der idealen Gasgleichung P V = 13 n M csup2 Der Druck ist nach dem kinetischen Gasmodell also die Folge einer Vielzahl von Stoumlszligen welche die Teilchen gegen die Behaumllterwaumlnde ausfuumlhren Er ist folglich proportional zur Mas-se der Teilchen (je schwerer die Teilchen desto heftiger die Stoumlszlige) zum mittleren Geschwin-digkeitsquadrat (die Geschwindigkeit der Teilchen bestimmt zum einen die Haumlufigkeit zum anderen die Heftigkeit der Stoumlszlige) und zur Zahl der Teilchen pro Volumeneinheit (womit wie nach der idealen Gasgleichung zu erwarten P umgekehrt proportional zu V ist) Die Bedeutung der Temperatur im kinetischen Gasmodell ist dagegen zunaumlchst unklar Mit der idealen Gasgleichung P V = n R T ergibt sich aber durch Koeffizientenvergleich n R T = 13 n M csup2 oder R T = 13 M csup2 Man kann unter Nutzung beider Gasmodelle so zu einem neuen teilchenbezogenen Verstaumlnd-nis des Phaumlnomens Temperatur kommen Die Temperatur eines Gases ist demnach direkt proportional zum mittleren Geschwindigkeitsquadrat der Gasteilchen oder in anderen Worten zu deren kinetischer Energie 12 M csup2 Dies ist fuumlr das Verstaumlndnis des Phaumlnomens Temperatur von groszliger Bedeutung Man kann die Temperatur eines Gases also messen indem man (bei bekannter Masse der Teilchen) die Geschwindigkeit der Gasteilchen bestimmt Die Wurzel aus dem mittleren Geschwindigkeits-quadrat also die Groumlszlige c liegt uumlblicherweise in der Groumlszligenordnung der Schallgeschwindig-keit (zum Beispiel fuumlr Stickstoff bei Raumtemperatur c = 516 ms) und steht zu ihr in einer

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festen Beziehung Tatsaumlchlich laumlsst sich die Temperatur auch uumlber eine Messung der Schall-geschwindigkeit ermitteln Nachdem das mittlere Geschwindigkeitsquadrat der Teilchen bekannt ist stellt sich die Frage nach der Geschwindigkeitsverteilung der Teilchen Die Bewegungsenergie der Teilchen ist wie alle anderen Energieformen (zB elektronische Energie Schwingungsenergie) gequantelt Das bedeutet dass sich die Teilchen auf (hier dicht gestaffelte) Energieniveaus verteilen muumlssen Sie tun das nach einem statistischen Grundprinzip das Boltzmann-Verteilung genannt wird Demnach ist die Besetzung pi eines Energieniveaus i (egal welcher Art die Energie Ei ist) stets proportional zum so genannten Boltzmannfaktor des Zustand i Es gilt

pi ~ exp[-Ei(kBT)]

Die darin enthaltene Boltzmannkonstante kB ist nichts anderes als die allgemeine Gas-konstante R (siehe unter 32) dividiert durch die Zahl NL der Teilchen in einem Mol Substanz (kB = RNL) Das bedeutet die Besetzung eines Zustands ist umso wahrscheinlicher je niedriger dessen Energie ist Steigende Temperatur T hingegen erhoumlht die Wahrscheinlichkeit energiereicher Zustaumlnde Diese Gesetzmaumlszligigkeit gilt fuumlr die Besetzung aller auf atomarer oder molekularer Ebene gegebener Zustaumlnde in einem makroskopischen System Angewandt auf die Bewegungsenergie von Gasteilchen in einer einzelnen Raumrichtung x bedeutet das dass Teilchen mit hoher Geschwindigkeit vx weniger wahrscheinlich sind als solche mit niedriger Geschwindigkeit vx Allerdings steigt die Wahrscheinlichkeit des Auftretens groszliger Werte fuumlr vx mit steigender Temperatur Teilt man den Bereich der auftretenden Geschwindigkeiten in Intervalle auf und zaumlhlt man die Teilchen die gemaumlszlig ihrer Geschwindigkeit zu den einzelnen Intervallen zugeordnet werden koumlnnen so ergibt sich fuumlr die Geschwindigkeitsverteilung in vx und v das Bild das in Abb 22 oben dargestellt ist Die Verteilungsfunktionen fuumlr die Geschwindigkeiten in y- und z-Richtung sind identisch

n(vx)

vx-Intervall

n(vx)

vx-Intervall

Temperatur-erhoumlhung

- 0 +- 0 +n(v)

v-Intervall

Temperatur-erhoumlhung

0 +

n(v)

v-Intervall0 +

Abb 22 Verteilungsfunktionen einer eindimensionalen Geschwindigkeitskomponente (oben) und der Gesamtgeschwindigkeit (unten)

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Betrachtet man die Verteilung n(v) der Gesamtgeschwindigkeit v im dreidimensionalen Raum so wird das Bild komplizierter Bezuumlglich der drei Raumrichtungen x y und z sind weiterhin die kleinen Geschwindigkeiten wahrscheinlicher als die groszligen Da nun aber fuumlr eine groszlige Gesamtgeschwindigkeit v mehr Kombinationsmoumlglichkeiten vx vy vz existieren als fuumlr kleine Gesamtgeschwindigkeiten so wird die Wahrscheinlichkeit fuumlr sehr geringe Gesamtgeschwindigkeiten entsprechend kleiner fuumlr groszlige Gesamtgeschwindigkeiten entsprechend groumlszliger Der daraus resultierende Gewichtungsfaktor fuumlr jedes v ist die relative Flaumlche der Kugelschale mit dem Radius v Insgesamt ergeben sich dann die in Abb 22 unten dargestellten Verteilungsfunktionen fuumlr niedrige und hohe Temperaturen Die Verteilungsfunktionen in vx und v lauten (ohne Herleitung)

f(vx) = [M(2RT)]12 exp [-Mvxsup2(2RT)]

f(v) = 4 [M(2RT)]32 vsup2 exp [-Mvsup2(2RT)] Der Mittelwert von vx (oder jeder anderen eindimensionalen Geschwindigkeitskomponente) ist grundsaumltzlich Null Dagegen besitzt der Mittelwert von v stets eine endliche von Null verschiedene Groumlszlige Bei einer Erhoumlhung der Temperatur werden alle Verteilungsfunktionen breiter der Mittelwert von v vergroumlszligert sich Die Temperatur eines Gases aumluszligert sich also nicht nur im mittleren Geschwindigkeitsquadrat sondern auch in der Form der Geschwindigkeitsverteilungsfunktion Bei der Mischung von Gasen unterschiedlicher Temperatur muss um die oben genannte Forderung zu erfuumlllen aus der einfachen Summe von zwei Verteilungsfunktionen eine neue der Mischtemperatur ent-sprechende Verteilungsfunktion entstehen Dies ist nur unter der Annahme moumlglich dass ein Austausch kinetischer Energie unter den Teilchen erfolgen kann Diese Tatsache bedingt die eingangs gestellte Forderung nach Teilchenstoumlszligen also Wechselwirkungen zwischen den Teilchen Damit muumlssen die Gasteilchen aber auch ein gewisses Volumen besitzen den Teil-chen ohne Eigenvolumen koumlnnen prinzipiell nicht zusammenstoszligen Darin besteht der we-sentliche Unterschied zwischen einem Gas nach dem kinetischen Gasmodell und dem idealen Gas Das ideale Gas koumlnnte man theoretisch auf ein beliebig kleines Volumen komprimieren bei einem kinetischen Gas ist dies aufgrund des Eigenvolumens nicht moumlglich Ansonsten erlaubt das kinetische Gasmodell die vollstaumlndige Interpretation der idealen Gasgleichung

34 Die korrigierte Gasgleichung nach van der Waals JD van der Waals

Mithilfe des kinetischen Gasmodells laumlsst sich die Zustandsgleichung fuumlr Gase weiter verfeinern Zunaumlchst soll beruumlcksichtigt werden dass die Teilchen ein eigenes Volumen besitzen In erster Naumlherung geschieht dies indem man ein vom Eigenvolumen der Gas-teilchen abgeleitetes minimales Volumen des Gases (das so genannte Covolumen) definiert Das Covolumen beschreibt dasjenige Volumen des Gases das bei staumlndigem mechanischem Kontakt zwischen jeweils zwei Teilchen eingenommen wird wenn man den Teilchenpaaren jeweils den sie umschreibenden kugelfoumlrmigen Raum zuordnet (wegen der geringen Wahr-scheinlichkeit von Dreierstoumlszligen kann die Bildung von Dreiergruppen ausgeschlossen werden) Das molare Covolumen b entspricht wenn man eine einfache geometrische Uumlberlegung an-setzt dem vierfachen Eigenvolumen eines Mols der Gasteilchen Um das tatsaumlchliche freie

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32

Volumen zu erhalten muss das n-fache Covolumen vom gegebenen Volumen abgezogen werden Damit wird aus der idealen Gasgleichung P V = n R T die erste korrigierte Version P (V - n b) = n R T Im zweiten Schritt soll nun uumlber das kinetische Gasmodell hinausgehend auch die anziehen-de Wechselwirkung zwischen den Teilchen beruumlcksichtigt werden Die Anziehung zwischen den Teilchen sorgt nach van der Waals fuumlr einen zusaumltzlichen nach auszligen nicht messbaren bdquoBinnendruckldquo Dieser Binnendruck ist proportional zum Quadrat der Teilchendichte (nV)sup2 Der zwischen den Teilchen tatsaumlchlich wirkende nach auszligen ebenfalls unmessbare Gesamt-druck ist dann gegeben als

Pgesamt (unmessbar) = P (messbar) + a (nV)sup2

mit einer fuumlr die anziehende Wechselwirkung charakteristischen Konstante a Die danach korrigierte Version der Gasgleichung die van-der-Waals-Gleichung fuumlr reale Gase lautet

[P + a (nV)sup2] (V - nb) = n R T

Die Konstanten b und a besitzen fuumlr jedes reale Gas charakteristische Werte die dessen Eigenvolumen (die Groumlszlige der Elektronenhuumllle) und die Staumlrke der intermolekularen Wechsel-wirkungen reflektieren Beispiele

Gas a b

Argon 01345 Pa m6Molsup2 32210-5 msup3Mol Kohlendioxid 03592 Pa m6Molsup2 426710-5 msup3Mol Helium 00034 Pa m6Molsup2 23710-5 msup3Mol Stickstoff 01390 Pa m6Molsup2 391310-5 msup3Mol Wasser 05573 Pa m6Molsup2 31010-5 msup3Mol

Der Parameter b spiegelt mit der Einheit msup3Mol weitgehend die Groumlszlige der einzelnen Teilchen (Atome oder Molekuumlle) wider So besitzt erwartungsgemaumlszlig Kohlendioxid oder Argon einen groumlszligeren Wert fuumlr b als beispielsweise Helium Allerdings sind die Unterschiede erstaunlich klein was auf die Tatsache zuruumlckzufuumlhren ist dass sich das Covolumen auf Teilchenpaare bezieht und ein Paar aus Kohlendioxidmolekuumllen gegenuumlber einem Paar aus Heliumatomen nur etwa das doppelte Volumen benoumltigt

Der Parameter a mit der Einheit Pascal mal Molvolumen zum Quadrat reflektiert die Staumlrke der Wechselwirkungen zwischen den Teilchen Diese Wechselwirkungen beruhen zum groszligen Teil auf den elektrischen Eigenschaften der Teilchen Diese wiederum sind mit der elektronischen Struktur der Atome beziehungsweise der chemischen Bindungen verknuumlpft Am wichtigsten ist dabei das in Kapitel 19 erwaumlhnte Dipolmoment Polare Bindungen koumlnnen zu Teilchen mit permanenten Dipolen fuumlhren (zB HF Wasser Ammoniak CO) Andere Molekuumlle oder Atome sind zwar unpolar koumlnnen aber spontan oder durch aumluszligere

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33

elektrische Felder polarisiert werden (zB He Ar molekularer Wasserstoff molekulares Chlor) Man spricht dann von polarisierbaren Teilchen mit einem spontanen Dipolmoment oder mit einem durch ein aumluszligeres Feld bewirkten induzierten Dipolmoment In all diesen Faumlllen sind anziehende Wechselwirkungen zwischen den Teilchen moumlglich die in dem Parameter a zusammengefasst werden Daruumlber hinaus koumlnnen sich auch voruumlbergehende chemische Bindungen ausbilden Das prominenteste Beispiel fuumlr diesen Fall ist die bekannte Wasserstoffbruumlckenbindung die bei polaren X-H-Bindungen auftreten kann Im Einzelnen werden demnach folgende Arten von Wechselwirkungen mit absteigender Intensitaumlt unter-schieden

a) Wasserstoffbruumlckenbindung X-H hellip Y Hierbei bildet sich voruumlbergehend eine chemische Bindung zwischen dem polar gebundenen Wasserstoff und einem elektronegativen und mit einem freien Elektronenpaar ausgestatteten Element Y

b) Wechselwirkungen zwischen permanenten Dipolen hier besitzen alle Teilchen ein permanentes Dipolmoment Zwischen den entgegengesetzt geladenen Enden der Teilchen bauen sich dann konstant anziehende elektrostatische Wechselwir-kungen auf

c) Wechselwirkungen zwischen permanenten und induzierten Dipolen die Teil-chen mit permanentem Dipolmoment induzieren ein voruumlbergehendes Dipol-moment bei den benachbarten (zunaumlchst unpolaren) Teilchen In der Folge ergibt sich eine anziehende elektrostatische Wechselwirkung

d) Wechselwirkungen zwischen induzierten Dipolen durch spontane Polarisierung eines Teilchens entsteht ein voruumlbergehendes Dipolmoment welches bei einem benachbarten Teilchen eine Polarisierung hervorruft In der Folge ergibt sich eine kurzfristige und sehr schwache elektrostatische Anziehung zwischen den Teilchen Man spricht dabei auch von der Dispersionswechselwirkung oder der Londonschen Wechselwirkung

Alle diese Effekte sind anziehender Natur und gehen damit in den Parameter a ein Fasst man die beiden Parameter a und b zusammen so entsteht mit der van-der-Waals-Gleichung eine recht zuverlaumlssige Zustandsgleichung fuumlr reale Systeme die sowohl die abstoszligenden als auch die anziehenden Wechselwirkungen beruumlcksichtigt

Ein guter Test fuumlr diese reale Zustandsgleichung ist die Berechnung eines Diagramms von P gegen V fuumlr verschiedene Temperaturen das so genannte P-V-Diagramm und die Gegen-uumlberstellung mit dem entsprechenden experimentellen P-V-Diagramm eines realen Gases Gemaumlszlig der van-der-Waalsrsquoschen Gleichung existieren abhaumlngig von der betrachteten Tempe-ratur drei Typen von Isothermen (Abb 23 links) solche die einer Hyperbel aumlhneln (1) eine einzelne Isotherme die einen Wendepunkt mit waagrechter Tangente besitzt (2) und solche die ein Minimum ein Maximum und einen Wendepunkt aufweisen (3) Das experimentell beobachtete Verhalten stimmt in den ersten beiden Faumlllen recht gut uumlberein weicht aber bei Isothermen des dritten Typs deutlich vom berechneten Verlauf ab (Abb 23 rechts)

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P

V

PV-Diagramm nachvan-der-Waals-Gleichung

1 2

3

P

V

3

experimentell bestimmtesPV-Diagramm f reales Gas

Abb 23 PV-Diagramme fuumlr reale Gase berechnet nach van der Waals (links) und experimentell bestimmt (rechts) Die drei typischen Formen der Isothermen (1 2 und 3) sind im Text beschrieben

Offensichtlich beschreibt die van-der-Waals-Gleichung das Verhalten eines realen Gases in der Umgebung des Wendepunkts weniger gut Experimentell stellt man allerdings fest dass in diesem Bereich tatsaumlchlich auch kein reines Gas sondern vielmehr eine Mischung aus einem Gas und einer kondensierten Fluumlssigkeit also ein Zweiphasenzustand vorliegt Dieser Zwei-phasenbereich beginnt am Wendepunkt der Isothermen des Typs 2 und schlieszligt alle Minima Maxima und Wendepunkte der Isothermen des Typs 3 ein (Abb 24 links)

P

V

Zweiphasen-gebiet

P

V

Zweiphasen-gebiet

Maxwell-Maxwell-KorrekturKorrektur

Zweiphasen-Gebiet

Zweiphasen-Gebiet

A1

A2

Abb 24 PV-Diagramme fuumlr reale Gase mit eingezeichnetem Zweiphasengebiet Der in diesem Bereich bei der Beschreibung nach van der Waals gegebene Fehler kann in guter Naumlherung durch die Maxwell-Korrektur kompensiert werden

Eine einfache Korrektur der van-der-Waals-Gleichung ermoumlglicht eine realistische Beschrei-bung des Zweiphasengebiets Eine horizontale Gerade wird so in der Naumlhe des Wendepunktes gelegt dass die oberhalb und unterhalb der Geraden im Zweiphasenbereich gebildeten Teilflaumlchen A1 und A2 die gleiche Groumlszlige besitzen (sog Maxwell-Korrektur s Abbildung 24 rechts) Dies sieht zwar nach einer etwas willkuumlrlichen Hilfskonstruktion aus trotzdem laumlsst sich damit das Verhalten eines realen Gases im Zweiphasengebiet sehr gut nachvollziehen und vorhersagen Eine besonders ausgewiesene Position im PV-Diagramm eines realen Gases ist der Scheitel-punkt des Zweiphasengebiets der durch den Wendepunkt der Isotherme des Typs 2 gebildet wird (Abb 25)

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P

V

Zweiphasen-gebiet Tc

Pc

Vc

kritischer Punkt

Jedes reale Gas besitzt einen sogenannten kritischenPunkt der durch die kritischen Zustandsgroumlszligen Tc Pc undVc beschrieben wird Die kritische Temperatur Tc istdiejenige Temperatur bei der sich ein Gas unter Druckgerade noch verfluumlssigen laumlszligt Oberhalb der kritischenTemperatur existiert kein fluumlssiger Zustand Derentsprechende Druck Pc wird als kritischer Druckbezeichnet

Die Isotherme die der kritischen Temperatur zugeordnetist besitzt als einzige einen Wendepunkt mit horizontalerTangente der gleichzeitig den kritischen Punkt markiert

Abb 25 PV-Diagramm fuumlr ein reales Gas mit kritischem Punkt

Dieser sogenannte kritische Punkt wird durch die kritische Temperatur Tc den kritischen Druck Pc und das kritische Molvolumen Vc festgelegt Zustaumlnde oberhalb des kritischen Punkts nennt man uumlberkritisch Uumlberkritisches Kohlendioxid besitzt in der Technik groszlige Bedeutung fuumlr das Loumlsen und Ausfaumlllen von pharmazeutischen Wirkstoffen (zB Aspirin fuumlr Brausetabletten) fuumlr die Extraktion (zB bei der Entkoffeinierung von Kaffee) oder zur chemischen Reinigung von Textilien

35 Andere Zustandsgleichungen fuumlr reale Gase

Neben der van-der-Waals-Gleichung existieren weitere Ansaumltze zur Beschreibung realer Gase die zwar eine genauere Anpassung an die gemessenen Werte ermoumlglichen aber auch kompli-zierter sind oder mehr Arbeit bei der Bestimmung der charakteristischen Parameter erfordern Im Folgenden seien als Beispiele die Berthelot-Gleichung und die Virialgleichung erwaumlhnt

a Berthelot-Gleichung (P + (Ansup2)(TVsup2) ) (V - nB) = n R T Berthelot fuumlhrte damit als Besonderheit einen temperaturabhaumlngigen Binnendruck ein Dies ist insoweit physikalisch gerechtfertigt als die vermehrte thermische Bewegung der Ausbildung von Wechselwirkungen zwischen den Molekuumllen entgegenwirken kann

b Virialgleichung P Vm = A + B P + C Psup2 + D Psup3 + Mit Vm = Vn Die Virialgleichung nutzt die Tatsache dass sich fast alle physikalischen Zusammenhaumlnge uumlber einen Potenzreihenansatz a + bx + cxsup2 + dxsup3 + hellip beliebig genau annaumlhern lassen Je nach Anzahl der anpassbaren Parameter ist zwar eine beliebig genaue Beschreibung des realen Gases moumlglich allerdings steigt auch der Aufwand fuumlr die Bestim-mung aller Koeffizienten

36 Beschreibung von Fluumlssigkeiten

Im PV-Diagramm der realen Gase schlieszligt sich links vom Zweiphasengebiet der Bereich der fluumlssigen Phase an Sie zeichnet sich dadurch aus dass mit sinkendem Volumen der Druck ex-trem steil ansteigt Das bedeutet dass bereits eine geringfuumlgige Volumenabnahme mit einem aumluszligerst groszligen Druckanstieg verbunden ist In der Praxis hat das zur Folge dass Fluumlssigkeiten im Gegensatz zu Gasen kaum komprimierbar sind ihre Kompressibilitaumlt geht gegen Null Auch ist die Ausdehnung der Fluumlssigkeiten bei steigender Temperatur und bei konstantem

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36

Druck (der thermische Ausdehnungskoeffizient) sehr viel kleiner als bei Gasen Eine einfache allgemeine Zustandsgleichung fuumlr die fluumlssige Phase in Analogie zur idealen oder zur van-der-Waals-Gleichung existiert nicht Stattdessen findet man bei der experimentellen Bestimmung des Zusammenhangs zwischen P V und T fuumlr jede Fluumlssigkeit ein sehr charakteristisches Verhalten Vergleicht man die Messergebnisse verschiedener Fluumlssigkeiten untereinander so sind kaum Aumlhnlichkeiten auszumachen Daruumlber hinaus sind bestimmte Messungen (zB die Messung der Abhaumlngigkeit des Drucks vom Volumen bei konstanter Teilchenzahl und Temperatur) technisch sehr schwer zu realisieren Das Fehlen einer einheitlichen Zustandsgleichung V(TPn) fuumlr Fluumlssigkeiten liegt auch in deren komplexer Struktur begruumlndet Betrachtet man ein einzelnes Teilchen in der Fluumlssigkeit so liegt es bezuumlglich der Abstaumlnde zu seinen naumlchsten Nachbarn stets in der Naumlhe des Mini-mums einer Potentialkurve Epot(r) die einen sehr steilen Verlauf besitzt Die Abstaumlnde zu den benachbarten Teilchen sind damit nahezu fixiert folglich ist eine unabhaumlngige Translations-bewegung einzelner Teilchen praktisch unmoumlglich Stattdessen verlaufen alle Bewegungs-prozesse mehr oder weniger kollektiv also unter gleichzeitiger Verschiebung mehrerer Teilchen Daruumlber hinaus gibt es keine nennenswerten freien Volumina so dass der mittlere Abstand der Teilchen nur unwesentlich verringert werden kann ein Umstand der sich in der bereits erwaumlhnten geringen Kompressibilitaumlt aumluszligert Ein Modell fuumlr eine allgemeine Fluumlssigkeit laumlsst sich im Rahmen einer Computersimulation einfuumlhren Man betrachtet dabei einen wuumlrfelfoumlrmigen Raum der einen Ausschnitt aus dem Fluumlssigkeitsvolumen darstellen soll und eine endliche Anzahl n von Fluumlssigkeitsteilchen (zB n = 1000) enthaumllt Um die Zahl der Teilchen konstant zu halten und dabei trotzdem deren Beweglichkeit zu wahren wird eine Kontinuitaumltsbedingung eingefuumlhrt Jedes Teilchen das im Rahmen der Bewegungsprozesse den Wuumlrfel an einer gegebenen Stelle verlaumlsst tritt automatisch an der genau gegenuumlberliegenden Position des Wuumlrfels wieder ein Auf diese Weise ist gewaumlhrleistet dass die Zahl der Teilchen im Wuumlrfel konstant bleibt (Abb 26)

Abb 26 Simulation von Bewegungs-vorgaumlngen in einem Fluumlssigkeitsvolumen unter Wahrung einer konstanten Partikel-anzahl Jedes Teilchen das im Rahmen der Bewegungsprozesse den Wuumlrfel an einer gegebenen Stelle verlaumlsst tritt automatisch an der genau gegenuumlberliegenden Position des Wuumlrfels wieder ein

An diesem System fuumlhrt man nun eine so genannte Monte-Carlo-Simulation durch Dabei setzt ein Zufallsgenerator eine geringfuumlgige Verschiebung eines beliebigen einzelnen Teil-chens in Gang Anschlieszligend wird unter Verwendung des bekannten Potentialverlaufs Epot(r) berechnet wie sich nach der Verschiebung die potentielle Energie des Systems veraumlndert hat Danach entscheidet das Simulationsprogramm zwischen zwei Moumlglichkeiten

- Hat sich die gesamte potentielle Energie des Systems durch die Verschiebung verringert oder blieb sie konstant so wird die Verschiebung akzeptiert und der naumlchste Schritt berechnet - Hat sich die gesamte potentielle Energie durch die Verschiebung um den positiven Wert E erhoumlht so wird die Verschiebung mit einer Wahrscheinlichkeit die von E abhaumlngt akzeptiert und ansonsten verworfen Danach wird der naumlchste Schritt berechnet

Auf diese Weise kann man fuumlr beliebige Fluumlssigkeiten sowohl die typischen Bewegungs-prozesse als auch die einflussbedingten Veraumlnderung von Zustandsgroumlszligen (zB P in Ab-

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haumlngigkeit von V) berechnen Allerdings sind die Rechnungen bei den fuumlr eine realistische Beschreibung eines Fluumlssigkeitsvolumens notwendigen groszligen Teilchenzahlen sehr aufwaumlndig und zeitintensiv

37 Beschreibung von Festkoumlrpern

Begibt man sich im P-V-Diagramm vom fluumlssigen Zustand ausgehend noch weiter nach links (zu kleineren Volumina houmlheren Drucken und niedrigeren Temperaturen) so erreicht man den festen Zustand Die Problematik der Zustandsgleichung V(TPn) von Festkoumlrpern aumlhnelt jener der Fluumlssigkeiten Auch hier sind die Kompressibilitaumlten und die thermischen Aus-dehnungskoeffizienten uumlblicherweise sehr viel geringer als bei Gasen Ebenso wie bei Fluumls-sigkeiten sind dabei die Unterschiede zwischen einzelnen Vertretern der Festkoumlrper recht groszlig so dass keine gemeinsame Zustandsgleichung wie bei Gasen formuliert werden kann Im Vergleich mit den Werten der Fluumlssigkeiten sind die Kompressibilitaumlten und die thermischen Ausdehnungskoeffizienten der Festkoumlrper durchschnittlich nochmals um etwa zwei Groumlszligen-ordnungen geringer

Abb 27 Torsionsexperiment zur Unterscheidung zwischen Fluumlssigkeiten und Festkoumlrpern (s Text)

Der wesentliche Unterschied zwischen Festkoumlrpern und Fluumlssigkeiten besteht allerdings in ihrem gegensaumltzlichen Verhalten bezuumlglich Verformung waumlhrend Fluumlssigkeiten einer gege-benen Verformung durch ihre Zaumlhigkeit (Viskositaumlt) Widerstand leisten reagiert ein Fest-koumlrper auf eine Verformung durch eine elastische Deformation Dieses Verhalten wird in einem Torsionsrheometer deutlich wobei eine feste oder fluumlssige Probe periodisch mit einer torsionsartigen Verformung beaufschlagt wird (Abb 27) Waumlhrend der Drehmomentverlauf des Festkoumlrpers exakt gleichphasig zur periodischen Aus-lenkung erfolgt (elastische Verformung) ist der Drehmomentverlauf der Fluumlssigkeit dazu um ein Viertel einer Wellenlaumlnge phasenverschoben (viskose Reaktion) Bei Fluumlssigkeiten ist der Widerstand dann maximal wenn die Deformationsgeschwindigkeit maximal ist (blaue Linie

t

Dre

hmom

entv

erla

uf

tAusl

enku

ng

Festkoumlrper

t

Dre

hmom

entv

erla

uf

Fluumlssigkeiten

Pruumlfkoumlrper

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in Abb 26) Bei Festkoumlrpern ist die Kraft dann maximal wenn der Deformationszustandmaximal ist (rote Linie in Abb 27) Viele Festkoumlrper stellen Uumlbergaumlnge zwischen diesen beiden Extremfaumlllen dar und werden dann als viskoelastisch bezeichnet Aus der Betrachtung von Messergebnissen an einer Viel-zahl von Materialien geht hervor dass eine eindeutige Abgrenzung zwischen dem fluumlssigen und dem festen Zustand selten moumlglich ist Entsprechend gibt es auch unterschiedliche Strukturmodelle die teilweise das elastische Verhalten teilweise das plastische Verhalten von Festkoumlrpern erklaumlren Dem elastischen Festkoumlrper mit nahezu verschwindender Phasen-verschiebung wird am ehesten das Modell eines idealen Kristalls gerecht Man geht dabei davon aus dass jedes Atom bzw Molekuumll aus dem der Festkoumlrper zusammengesetzt ist sich an einem geometrisch festgelegten Gitterpunkt befindet von dem es sich nicht entfernen kann Als Bewegungsprozess ist dabei lediglich eine Schwingung mit begrenzter Amplitude moumlglich Die denkbaren Geometrien der Gitterstrukturen reichen von primitiv-kubischen Gittern (zB Natriumchlorid) uumlber kubisch-dichteste (zB Silber Kupfer) und hexagonal-dichteste Kugelpackungen (zB Magnesium Zink) bis zur kubisch-raumzentrierten Struktur (zB Eisen Molybdaumln) Haumlufig findet man leichte Abweichungen von der idealen Gitter-struktur die durch lokale Stoumlrungen hervorgerufen werden Akzeptiert man gewisse Anteile an viskosem Verhalten (dh eine leichte Phasenverschiebung) so begibt man sich in den Grenzbereich zwischen Festkoumlrpern und Fluumlssigkeiten In einem Material wie Glas ist die regelmaumlszligige Anordnung eines Gitters nicht gegeben die Atome sind unregelmaumlszligig positioniert und koumlnnen unter Belastung auch flieszligen Solche nicht-kristallinen Festkoumlrper bezeichnet man als amorph Typische Vertreter amorpher Feststoffe sind Fenster-glas viele transparente Kunststoffe (zB Plexiglas Polyester in Getraumlnkeflaschen) Wachs und Aumlhnliches Amorphe Festkoumlrper besitzen keinen Schmelzpunkt sondern erweichen bei steigender Temperatur allmaumlhlich Amorphe Festkoumlrper koumlnnen nachtraumlglich kristallisieren wobei sich haumlufig das aumluszligere Erscheinungsbild und die physikalischen Eigenschaften drastisch aumlndern (zB Plastikfolie unter Zug)

38 Das Phasendiagramm

Die drei wichtigsten Phasenzustaumlnde zu denen sich eine makroskopische Gesamtheit von Atomen oder Molekuumllen zusammenfinden koumlnnen sind also Gase Fluumlssigkeiten und Festkoumlrper Die Frage ist nun unter welchen Bedingungen sich ein System fuumlr den ersten den zweiten oder den dritten Zustand entscheidet Erfahrungsgemaumlszlig haumlngt der gegebene Phasenzustand von den in Kapitel 31 eingefuumlhrten Zustandsparametern n V P und T ab Legt man die Stoffmenge n auf einen Wert fest (zB auf ein Mol Teilchen) und beruumlcksichtigt man dass nach den gegebenen Zustandsgleichungen die Groumlszligen n V P und T miteinander verknuumlpft sind so genuumlgen zwei Parameter um den jeweils guumlnstigsten Phasenzustand eindeutig festzulegen Ein Diagramm bei dem einer der Parameter V P und T gegen einen anderen aufgetragen wird eignet sich also prinzipiell um bei einer gegebenen Teilchenart den unter diesen Bedingungen jeweils angestrebten Phasenzustand zu markieren So kann man gemaumlszlig den Abbildungen 23 bis 25 in einem Diagramm bei dem P gegen V aufgetragen wird schon den jeweils gegebenen Phasenzustand eintragen und ablesen In der Praxis eignen sich solche PV-Diagramme allerdings wenig um Phasenzustaumlnde zu markieren der gasfoumlrmige Zustand nimmt einen sehr breiten Raum ein waumlhrend der fluumlssige und der feste Zustand in dem sehr engen Bereich links neben dem Zweiphasengebiet bdquoeingequetschtldquo waumlre Vor allem in diesem Umfeld waumlre das Diagramm schwer ablesbar

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Wesentlich guumlnstiger ist dagegen die Auftragung vom Druck P gegen die Temperatur T In diesem PT-Diagramm das auch als Phasendiagramm bezeichnet wird lassen sich alle Phasenzustaumlnde uumlbersichtlich zuordnen Dabei bezeichnen Flaumlchenanteile im PT-Diagramm die unter den gegebenen Druck- und Temperaturbedingungen angestrebte Phase (zB fest fluumlssig gasfoumlrmig) waumlhrend Linien die dazwischen vorliegenden Gleichgewichte markieren und Phasengrenzlinien genannt werden (Abb 28)

T

Pfe

st

fluumlss

ig

gasfouml

rmig

kritischerPunkt

Tripel-punkt

Phasengrenzlinie

Abb 28 Phasendiagramm mit Auftragung des Drucks (P) gegen die Temperatur (T)

Auszligerdem enthaumllt ein Phasendiagramm gewoumlhnlich mindestens zwei besonders ausgezeich-nete Punkte den Tripelpunkt an dem die drei im Allgemeinen wichtigsten Phasenzustaumlnde fest fluumlssig und gasfoumlrmig miteinander im Gleichgewicht stehen und den bereits aus dem PV-Diagramm bekannten kritischen Punkt der das Ende eines definierten Uumlbergangs zwischen fluumlssiger und gasfoumlrmiger Phase markiert Beispiele fuumlr Phasendiagramme Kohlen-dioxid und Wasser sind in Abbildung 29 und 30 wiedergegeben

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T

P

fest

fluumlss

iggasfoumlrmig

kritischerPunkt

Tripel-punkt

2168 K

511 bar

CO2

3042 K

728 bar

Abb 29 Phasendiagramm fuumlr Kohlendioxid

T

P

fluumlss

ig

gasfoumlrmig

kritischerPunkt

H2O

Eis 1

Eis 1

Eis 2 Eis 3

Eis 5

Eis 6

Tripelpunkt6473 K

218 bar

6 mbar 27316 K

Abb 30 Phasendiagramm fuumlr Wasser Der Bereich oberhalb von 200 bar ist aus Gruumlnden der

Uumlbersichtlichkeit entlang der P-Achse komprimiert dargestellt

Eine wichtige Besonderheit des Phasenverhaltens von Wasser ist die Tatsache dass die Phasengrenzlinie zwischen fluumlssigem Wasser und Eis 1 eine negative Steigung aufweist Dies hat zur Folge dass gewoumlhnliches Eis durch Erhoumlhung des Drucks zum Schmelzen gebracht werden kann Dieser Umstand ist eine der Ursachen dafuumlr dass eine Kufe auf Eis gleitet da der durch das Schmelzen entstehende Wasserfilm die Reibung vermindert (allerdings spielt hier auch die Reibungswaumlrme eine Rolle) Der Grund fuumlr dieses Verhalten steht in direkter Verbindung mit der strukturbedingten Volumenabnahme beim Schmelzen von Eis (s Videos unter httpwwwyoutubecomwatchv=6s0b_keOiOU und httpswwwyoutubecomwatchv=CDTZoFGmZoc )

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Waumlhlt man in einem Phasendiagramm eine Kombination von Druck und Temperatur so kann man direkt denjenigen Phasenzustand ablesen den die gegebene Teilchenart unter diesen Bedingungen anstrebt Das heiszligt jedoch nicht dass dieser Zustand dann auch in jedem Fall und zu jeder Zeit vorliegt Haumlufig beobachtet man eine so genannte kinetische Hemmung einer Phasenumwandlung So gibt es unterkuumlhlte Fluumlssigkeiten (zB Regentropfen bei -3degC) genauso wie unterkuumlhlte Dampfphasen (zB uumlbersaumlttigten Wasserdampf in Gewitterwolken) oder uumlberhitzte Fluumlssigkeiten (zB uumlberhitztes Wasser bei einem Siedeverzug) Kristalli-sationskeime wie Staubkoumlrner koumlnnen Phasenumwandlungen beschleunigen (zB durch Staub verursachter bdquoIndustrieschneeldquo) Bisher wurden lediglich Phasendiagramme von reinen Stoffen betrachtet die nur aus einer einzelnen Sorte Atomen oder Molekuumllen bestehen Mischt man einem gegebenen Stoff eine weitere Komponente hinzu so aumlndert sich das Phasendiagramm erheblich Als Beispiel betrachten wir ein System in dessen fluumlssiger Phase ein Fremdstoff A geloumlst wird der weder im Festkoumlrper noch im der Gasphase loumlslich ist (zB Kochsalz in Wasser) In diesem Fall dehnt sich der fluumlssige Bereich des Phasendiagramms mit steigender Konzentration von A in alle Richtungen aus so dass gleichzeitig der Schmelzpunkt erniedrigt der Siedepunkt erhoumlht und der Dampfdruck verringert wird (Abb 31) In erster Naumlherung sind alle genannten Aumlnderungen proportional zu cA

T

P

fest

fluumlss

ig

gasfouml

rmig

Abb 31 Phasendiagramm fuumlr ein System in dessen fluumlssiger Phase ein Fremdstoff mit steigender

Konzentration cA geloumlst wird Der Bereich der fluumlssigen Phase dehnt sich daraufhin in alle

Richtungen aus

Bei weiter steigender Konzentration von A kann ein Punkt erreicht werden an dem die Mischung in zwei getrennte Bereiche zerfaumlllt die ebenfalls als Phasen bezeichnet werden (zB Olivenoumll und Wasser) Eine dieser Phasen besitzt dann einen hohen Loumlsemittelanteil bei geringer Konzentration von A die andere besteht aus einem hohen Anteil an A mit einem geringen Gehalt an Loumlsemittel Dieser Vorgang der Phasenseparation binaumlrer (aus zwei Komponenten bestehender) Systeme wird durch eine andere Art von Phasendiagramm beschrieben dem so genannten Mischphasendiagramm (Abb 32) Hierbei wird die Tempe-

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ratur dem relativen Anteil einer Komponente gegenuumlbergestellt der Druck wird als konstant angenommen

Abb 32 Allgemeine Darstellung eines Mischphasendiagramms

Grundsaumltzlich gibt die linke Flanke der Phasentrennlinie (links des kritischen Punkts) die Zusammensetzung der bdquoA-armenldquo Phase an waumlhrend die rechte Flanke (rechts des kritischen Punkts) die Zusammensetzung der A-reichen Phase beschreibt Die Mengen der dabei gebildeten Phasen koumlnnen nach dem so genannten Hebelgesetz berechnet werden Demnach gilt zwischen dem Anteil n1 der A-armen Phase 1 dem Anteil n2 der A-reichen Phase 2 und den Laumlngen der Pfeile s1 und s2 in der vorhergehenden Abbildung folgender Zusammenhang

n1 s1 = n2 s2

Fuumlr das gezeigte Beispiel wuumlrde das bedeuten dass der Anteil der Phase 1 etwa doppelt so groszlig waumlre wie der Anteil der Phase 2 In der Naumlhe der beiden Raumlnder des Diagramms also fuumlr xA 0 (sehr wenig A im Loumlsemittel) oder xA 1 (sehr wenig Loumlsemittel in A) liegen in den meisten Faumlllen einphasige homogene Mischungen vor Das besagt dass auch bei niedrigen Temperaturen ein wenig von dem Stoff A im Loumlsemittel bzw ein wenig Loumlsemittel im Stoff A loumlslich ist Der im Diagramm eingezeichnete kritische Punkt bedeutet dass oberhalb der dazugehoumlrigen kritischen Temperatur keine Entmischung mehr erfolgt dh hier sind die beiden Komponenten vollstaumlndig und in jedem Verhaumlltnis miteinander mischbar Neben solchen oberen kritischen Punkten gibt es auch untere kritische Punkte Im zweiten Fall gilt dass die beiden Komponenten unterhalb einer bestimmten Temperatur in jedem Verhaumlltnis miteinander mischbar sind Im Allgemeinen koumlnnen die drei verschiedenen Faumllle auftreten die in Abbildung 33 dargestellt sind

0 Molenbruch xA der Komponente A 1

Tem

pera

tur

obere kritischeTemperatur

Einphasen-gebiet

Zweiphasen-gebiet

Beispiel xA = 04

T1

Zum gezeigten Beispiel

Eine Mischung mit dem Molenbruch xA = 04 wird von T2 nach T1 abgekuumlhltDabei zerfaumlllt die Mischung bei Tklsquo in zwei Phasen derenZusammensetzung bei T1auf der x-Achse an den Punkten 1 und 2 ablesbar ist

T2

Tklsquo

1 2

kritischer Punkt

s1 s2

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43

0 xA 1

Tem

pera

tur

System mit oberem kritischen Punkt

kritischer Punkt

0 xA 1Te

mpe

ratu

r

System mit unterem kritischen Punkt

kritischer Punkt

0 xA 1

Tem

pera

tur

System mit oberem und unterem

kritischen Punkt

kritischer Punkt

kritische Punkte

Abb 33 Moumlgliche Varianten von kritischen Punkten bei Systemen aus zwei Komponenten

Obere kritische Punkte findet man dann wenn sich die molekulare thermische Bewegung gegen die Tendenz der Molekuumlle sich mit gleichartigen Molekuumllen zusammenzulagern durchsetzt Dieses Phaumlnomen ist sehr verbreitet so dass ein oberer kritischer Punkt bei sehr vielen Mischphasen beobachtet wird Untere kritische Punkte sind sehr viel seltener Sie treten beispielsweise dann auf wenn die beiden Komponenten miteinander bei tiefen Temperaturen einen Komplex bilden der bei houmlheren Temperaturen wieder zerfaumlllt und dann zu einer Phasenseparation fuumlhrt Ein Beispiel dafuumlr ist die Mischung aus Wasser und Triethylamin

Fuumlr Mischphasen aus drei Komponenten so genannte ternaumlre Mischungen sind die bisher gezeigten Darstellungen ungeeignet Hierfuumlr haben sich Dreiecksdiagramme (Gibbssches Phasendreieck) durchgesetzt die das Phasenverhalten unter Variation der Mengenbeitraumlge aller drei Komponenten aufzeigen (Abb 34) Das Diagramm ist so geartet dass die Summe aller drei Mengenanteile xA xB und xC in jedem Fall den Wert 1 ergibt Damit besitzt die Zusammensetzung des ternaumlren Gemisches zwei Freiheitsgrade Jede Linie die durch eine Ecke des Diagramms fuumlhrt verbindet diejenigen Punkte bei denen das Verhaumlltnis zweier Komponenten gleich ist Jede Linie die parallel zu einer der drei Seiten verlaumluft entspricht Gemischen bei denen der relative Anteil einer Komponente gleich bleibt

00 02 04 06 08 10Komponente A

00

02

04

06

08

10

Kom

pone

nte

B

0002

04

06

08

10

Komponente C

C

A

B

00 02 04 06 08 10Komponente A

00

02

04

06

08

10

Kom

pone

nte

B

00

02

04

06

08

10

Komponente C

x1

x2x

Abb 34 Prinzip eines ternaumlren Phasendiagramms nach Gibbs (Dreiecksdiagramm)

In solche ternaumlren Mischphasendiagramme lassen sich nun entsprechend den binaumlren Mischphasendiagrammen die Ein- und Zweiphasengebiete einzeichnen Das Diagramm in

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Abb 34 rechts gilt zB fuumlr eine ternaumlre Mischung aus A B und C bei der die Komponenten A und B sowie B und C jeweils paarweise in jedem Verhaumlltnis miteinander mischbar sind Die Komponenten A und C sollen dagegen nur begrenzt mischbar sein Als Konsequenz daraus ergibt sich ein Dreiecksdiagramm das an der unteren Achse die dem Anteil 0 der Komponente B entspricht ein Zweiphasengebiet aufweist

Die Hilfslinien im Zweiphasengebiet markieren die Zusammensetzung der entstehenden Einzelphasen So wuumlrde beispielsweise eine Mischung deren Zusammensetzung im Diagramm durch den Punkt x markiert ist in die beiden Phasen x1 und x2 zerfallen Die Mengenanteile der beiden Phasen koumlnnten dabei wieder uumlber das Hebelgesetz berechnet werden Um zusaumltzlich den Einfluss der Temperatur wiederzugeben muss eine weitere Koordinate eingefuumlhrt werden Man erhaumllt dabei ein dreidimensionales Dreiecksdiagramm das haumlufig unter Verwendung von Houmlhenlinien nach der Art einer topographischen Landkarte dargestellt wird Jede Houmlhenlinie des Zweiphasengebiets umschreibt dann seine Ausdehnung bei einer gegebenen Temperatur

Fragt man bei einem System mit bestehenden Randbedingungen nach der Zahl der frei variierbaren Zustandsgroumlszligen also nach der Zahl der Freiheitsgrade so haumlngt die Antwort zunaumlchst davon ab in welchem Phasenzustand sich das System befindet So kann man beispielsweise in der Gasphase (bei festgelegter Stoffmenge) Temperatur und Druck frei waumlhlen wodurch dann automatisch das Volumen festgelegt wird Gleiches gilt fuumlr die feste und die fluumlssige Phase Das System hat innerhalb eines Phasenzustands also zwei Freiheits-grade Setzt man allerdings voraus dass sich das System in einem Gleichgewicht zwischen zwei Phasen befindet (zB auf der Verdampfungslinie) so besitzt es nur einen Freiheitsgrad Am Tripelpunkt schlieszliglich bei einem Gleichgewicht zwischen drei Phasen sind keine Freiheitsgrade mehr vorhanden Zwischen der Zahl der Phasen P und der Zahl der Freiheitsgrade F gibt es also folgende einfache Beziehung

F = 3 - P

Beruumlcksichtigt man weiter dass auch mehr als eine Komponente auftreten kann (Zahl der Komponenten C gt 1) so erhoumlht sich die Zahl der Freiheitsgrade um jede zusaumltzliche Komponente deren Konzentration ja frei waumlhlbar ist um den Wert eins Man erhaumllt damit

F = 3 - P + (C - 1) oder F = C - P + 2

Nach dieser allgemeinguumlltigen Formel der so genannten Gibbsrsquoschen Phasenregel laumlsst sich die Zahl der Freiheitsgrade in jedem beliebigen System bestimmen Sie erlaubt insbesondere bei sehr komplizierten Mischungen mit einer unbekannten Anzahl an Phasenzustaumlnden uumlber eine einfache Betrachtung Ruumlckschluumlsse auf deren Phasenverhalten

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Lithium (3 Elektronen) Atomradius 152 pm Beryllium (4 Elektronen) Atomradius 112 pm Bor (5 Elektronen) Atomradius 88 pm Kohlenstoff (6 Elektronen) Atomradius 77 pm Stickstoff (7 Elektronen) Atomradius 70 pm Sauerstoff (8 Elektronen) Atomradius 66 pm Fluor (9 Elektronen) Atomradius 64 pm

Die Ursache hierfuumlr liegt in der staumlrkeren Ladung des Kerns und dem daraus folgenden steileren Potentialverlauf V(r) Die wachsende Ladung des Kerns komprimiert in zuneh-mendem Maszlige die Groumlszlige des Atoms Ein Fluoratom misst trotz der dreifachen Elektronenzahl weniger als die Haumllfte eines Lithiumatoms Vergleicht man allerdings die Atome von aufeinanderfolgenden Perioden innerhalb einer Gruppe (zB in der Reihe Li ndash Na ndash K ndash hellip) so findet man in den meisten Faumlllen den zu erwartenden Groumlszligenanstieg

18 Chemische Bindungen und Molekuumlle

Mit den Loumlsungen der Schroumldingergleichung des Wasserstoffatoms mit der Einfuumlhrung der Orbitale und mit der Beruumlcksichtigung der Besetzungsregeln haben wir nun ein relativ um-fassendes Bild von den Grundbausteinen der Chemie den Atomen Damit ergibt sich nun die Frage wie zwei oder mehr Atome miteinander wechselwirken koumlnnen Zunaumlchst ist zu klaumlren was eigentlich passiert wenn zwei Atome (Atom a und Atom b) immer naumlher zusammen-ruumlcken Eigentlich sollte man annehmen dass in diesem Fall die abstoszligenden Wechselwirkun-gen dominieren da sich bei dem direkten Kontakt zwischen den Atomen zunaumlchst nur die Elektronenhuumlllen beruumlhren sollte es zu einer starken elektrostatischen Abstoszligung kommen Zunaumlchst scheint die Bildung einer chemischen Bindung physikalisch wenig plausibel Trotz-dem existieren in der Natur drei moumlgliche Loumlsungen des Problems

a) Die Ionenbindung Hierbei geht ein oder mehrere Elektronen vollstaumlndig vom Atom a zum Atom b uumlber Dadurch wird das Atom a zum positiv geladenen Kation das Atom b zum negativ geladenen Anion Die anziehende elektrostatische Kraft bewirkt eine stabile Bindung

b) Die kovalente Bindung Es bilden sich zwischen zwei Atomen a und b gemeinsame Elektronenorbitale auf denen Elektronen sozusagen unter den beiden Bindungs-partnern aufgeteilt werden

c) Die metallische Bindung Es bildet sich ein Kontinuum aus sehr groszligen gemeinsa-men Elektronenorbitalen die sich uumlber ein atomares Gitter erstrecken Eine Vielzahl von Elektronen (das so genannte Elektronengas) wird dabei unter einer Vielzahl von Atomen aufgeteilt

Im Folgenden soll vor allem die Loumlsung b also die kovalente Bindung betrachtet werden da die anderen Bindungsformen (wie spaumlter gezeigt wird) auch als Grenzfaumllle dieser Loumlsung gelten koumlnnen Das bedeutet wir betrachten nun eine Situation bei der gemeinsame Orbitale zwischen (im einfachsten Fall) zwei Atomkernen existieren Um dafuumlr die Schroumldingergleichung zu loumlsen

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ist erneut eine Vereinfachung noumltig die als Born-Oppenheimer-Naumlherung gilt Dabei nimmt man an dass der Ort der beiden Atomkerne festgelegt ist obwohl die dazwischen befind-lichen Elektronen durch Wellenfunktionen beschrieben werden Dadurch erspart man sich die Komplikation eines moumlglicherweise zeitlich variablen Kernabstands Gerechtfertigt wird diese Naumlherung dadurch dass die Atomkerne um ein Vielfaches schwerer sind als die Elektronen ihre Bewegungen daher um ein Vielfaches langsamer Mit dieser Naumlherung fuumlhren wir nun folgendes Gedankenexperiment durch wir betrachten zwei Wasserstoffatome mit unendlichem Abstand zueinander Ihre Elektronen befinden sich beide im energetischen Grundzustand besitzen aber unterschiedlichen Spin so dass ihnen die beiden Quantenzahlsaumltze (100+12) und (100-12) zukommen Damit wird dem Pauli-Prinzip Genuumlge getan so dass die beiden Atome nun zusammengeruumlckt werden duumlrfen Je naumlher die beiden Atome einander kommen umso mehr bdquofuumlhltldquo das Elektron des einen Atoms den Kern des anderen so dass die Wellenfunktionen des ungestoumlrten Wasserstoffatoms nun keine guumlltigen Loumlsungen mehr darstellen Es muumlssen also neue molekulare Wellenfunktionen gefunden werden Diese Molekuumllorbitale bildet man am einfachsten indem man Kombina-tionen aus den zuvor guumlltigen Atomorbitalen bildet Wichtig ist es handelt sich dabei nicht um eine einfache Uumlberlappung zwischen den bestehenden Atomorbitalen sondern um die rechnerische Bildung eines neuen Orbitals Im Fall des Wasserstoffatoms im Grundzustand sind zwei solcher Kombinationen moumlglich Vereinfachend kann man das eine entstehende Molekuumllorbital als normierte additive Kombination aus den beiden einzelnen s-Atomorbitalen betrachten (Abb 9 oben links) Es wird als bindendes σ-Molekuumllorbital bezeichnet besitzt eine niedrigere Energie als das s-Atomorbital und weist zwischen den beiden Atomkernen eine hohe Elektronendichte (ein hohes Ψsup2) auf Sein Gegenstuumlck wird entsprechend aus einer Art normierter subtraktiver Kombination der beiden urspruumlnglichen s-Orbitale gebildet (Abb 9 oben rechts) Es wird als antibindendes σ-Molekuumllorbital bezeichnet besitzt eine houmlhere Energie als das s-Atomorbital und weist zwischen den beiden Atomkernen eine niedrige Elektronendichte (ein kleines Ψsup2) auf An einer Stelle besitzt letztere sogar den Wert Null Die bisher vorhandenen Atomorbitale existieren nun nicht mehr

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Abb 9 Darstellung von bindenden (links oben) und antibindenden Molekuumllorbitalen (rechts oben) im Wasserstoffmolekuumll H2 Das Energiediagramm links unten veranschaulicht die Bildung eines bindenden σ-Molekuumllorbitals im Fall von Wasserstoff H2 Das Diagramm rechts unten verdeutlicht die Situation in einem fiktiven Helium-Molekuumll He2 bei dem neben dem bindenden σ-Molekuumllorbital auch das antibindende σ-Molekuumllorbital besetzt wuumlrde Zweiatomiges Helium ist demzufolge nicht stabil

Die hohe Elektronendichte des bindenden σ-Orbitals im Bereich zwischen den Kernen bewirkt dass sich anziehende elektrostatische Wechselwirkungen Kern-Elektron-Kern aus-bilden koumlnnen es haumllt also das Molekuumll zusammen (deswegen bdquobindendldquo) Da das bindende σ-Orbital die niedrigere Energie besitzt wandern die zwei Elektronen des Wasserstoffmole-kuumlls beide (mit unterschiedlichen Spins) in diese Position Damit verbunden ist ein Energie-gewinn der den gebundenen Zustand beguumlnstigt Zur Trennung des Molekuumlls muss Energie aufgebracht werden Das antibindende σ-Orbital weist am Ort zwischen den Kernen die Elektronendichte Null auf Damit dominiert hier die abstoszligende elektrostatische Wechselwirkung Kern-Kern dazu-hin ist es energetisch unguumlnstiger Bei einem fiktiven Helium-Molekuumll (Abb 9 unten rechts) muss wegen der Zahl von vier Elektronen auch dieses σ-Orbital doppelt besetzt sein Dadurch wird sowohl der Energiegewinn als auch die anziehende Wechselwirkung des bindenden σ-Orbitals kompensiert so dass dieses Molekuumll insgesamt nicht stabil ist Grundsaumltzlich sind alle urspruumlnglichen Atomorbitale nach der Bildung des Molekuumlls ver-schwunden alle insgesamt vorhandenen Elektronen werden auf die neu gebildeten Molekuumll-orbitale verteilt Ist das Niveau der Atomorbitale vor der Bildung eines gemeinsamen Mole-kuumllorbitals sehr unterschiedlich so erhaumllt man eine polare kovalente Bindung bei der der Schwerpunkt der Elektronendichte auf der Seite des urspruumlnglich energieaumlrmeren Orbitals

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liegt Im Grenzfall extremer Polaritaumlt erhaumllt man eine Ionenbindung (s oben) Sind sehr viele gleichartige Orbitale an der Bildung des Molekuumllorbitals beteiligt so koumlnnen sich groszlige Delokalisationsgebiete ausbilden Im Extremfall eines Delokalisationsgebiets das sich uumlber ein ganzes Kristallgitter erstreckt spricht man von einer metallischen Bindung (s oben) Die Molekuumllorbitaltheorie (kurz MO-Theorie) ist also in der Lage saumlmtliche Bindungsarten zu beschreiben Energiediagramme wie in Abb 9 unten werden als MO-Schemata bezeichnet Fuumlr zwei-atomige Molekuumlle moumlgen sie noch recht uumlbersichtlich aussehen bei vielatomigen Molekuumllen sind sie dagegen meistens unuumlberschaubar Mit Hilfe leistungsfaumlhiger Computer lassen sich solche Molekuumllorbitale noch rechnerisch erfassen allerdings steigt der Rechenaufwand (und damit die Rechenzeit und die Kosten) mit steigender Molekuumllgroumlszlige sehr rasch an In diesem Fall kann man auf eine vereinfachende Betrachtung ausweichen die so genannte Valence-Bond-Theorie (VB-Theorie Valenzbindungstheorie) Sie wurde in Konkurrenz zur MO-Theorie entwickelt und beinhaltet eine wesentliche zusaumltzliche Naumlherung Sie ist dadurch deutlich weniger genau allerdings auch wesentlich einfacher anwendbar und in der Praxis die beste Methode um rasch und anschaulich Molekuumllgeometrien und Reaktionsmechanismen erklaumlren zu koumlnnen Im Gegensatz zur MO-Theorie geht man bei der VB-Theorie im Grundsatz davon aus dass auch im Molekuumll noch die urspruumlnglichen Atomorbitale existieren Der VB-Theorie nach entsteht die chemische Bindung dadurch dass zwei halb besetzte Atomorbitale der beiden benachbarten Atome A und B uumlberlappen Das bdquoUumlberlappungsorbitalldquo wird dann in der Regel durch die beiden resultierenden Elektronen (eines von A und eines von B) besetzt wobei das wiederum voraussetzt dass sie einen unterschiedlichen Spin aufweisen Jedes durch solche bdquoUumlberlappungldquo gebildete Orbital entspricht einer Bindung Der Einfachheit halber nimmt man an dass die anderen Atomorbitale nicht an der Bindung teilnehmen und somit unveraumlndert bleiben Aufgrund dieser doch recht groben Naumlherung kommt es bei der VB-Betrachtung von einfa-chen Molekuumllen wie Wasser Methan oder Ammoniak sehr schnell zu Problemen Zunaumlchst einmal sind die erhaltenen Bindungswinkel unrealistisch aufgrund der Tatsache dass in allen genannten Faumlllen p-Orbitale beteiligt sind resultiert aus dem VB-Modell immer wieder ein Bindungswinkel von 90deg wohingegen die tatsaumlchlichen Bindungswinkel deutlich groumlszliger sind (Wasser 1045deg Methan 109deg) Ein noch groumlszligeres Problem stellen zB die Bindungs-verhaumlltnisse des Kohlenstoffs dar eigentlich sollte man nach der VB-Theorie fuumlr eine Ver-bindung zwischen Kohlenstoff und Wasserstoff ein bdquoCH2ldquo mit einem Bindungswinkel von 90deg erwarten wobei die zwei jeweils halbbesetzten p-Orbitale des Kohlenstoffs Bindungs-anzahl und ndashwinkel vorgeben Dieser Mangel der VB-Theorie kann weitgehend repariert werden indem man die Schritte der Promotion und der Hybridisierung einfuumlhrt Beide Vorgaumlnge sind dabei nicht als natuumlrliche Prozesse sonder eher als hypothetische Hilfskonstruktionen zu verstehen die lediglich dazu dienen die Maumlngel der VB-Theorie auszuheilen Letztlich ermoumlglichen sie es mit Hilfe von Linearkombinationen aus Atomorbitalen und deren Uumlberlappungszonen den tatsaumlchlich vor-liegenden Molekuumllorbitalen naumlherzukommen

Der erste dazu notwendige Schritt die Promotion dient dazu die fuumlr die gegebene Zahl an Bindungen notwendige Zahl an ungepaarten Elektronen zu schaffen Dazu werden dann einfach Orbitale houmlherer Energie besetzt Im Fall des vierbindigen Kohlenstoffs bedeutet das beispielsweise dass ein s-Elektron an den bereits halbbesetzten px- und py-Orbitalen vorbei auf das energiereichere pz-Orbital gehoben wird Aus der Elektronenkonfiguration

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wird somit 1s 2s 2p

Dieser hypothetische Vorgang kommt einer gewissen Energieerhoumlhung gleich die allerdings dadurch abgemildert wird dass ein nach der ersten Hundschen Regel (bdquobus seat ruleldquo) guumlnsti-gerer Zustand mit ungepaarten Spins entsteht Die vier nunmehr halbbesetzten Orbitale sind in Abbildung 10 dargestellt

Abb 10 Darstellung der vier an der sp3-Hybridisierung des Kohlenstoffs beteiligten Orbitale 2s 2px 2py und 2pz(Quelle Chemgapedia)

Anschlieszligend erfolgt nun die Hybridisierung eine Art Vermischung (oder mathematisch korrekter die Bildung von Linearkombinationen) des s- mit den drei p-Orbitalen Dadurch entstehen Orbitale in gleicher Anzahl aber mit voumlllig neuer Form Symmetrie und Orien-tierung im Raum

Abb 11 Darstellung der vier aus der sp3-Hybridisierung des Kohlenstoffs resultierenden Hybridorbitale Die Ausrichtung der sp3-Hybridorbitale folgt den vier Raumdiagonalen eines Wuumlrfels oder ndash wenn man nur die groumlszligeren Segmente der Orbitale betrachtet ndash den Ecken eines Tetraeders (Quelle Chemgapedia)

Die vier neuen wiederum jeweils halbbesetzten Orbitale zeigen vom Kern aus zu den Ecken eines Tetraeders Mit ihrer Hilfe laumlsst sich nun zwanglos die Bildung des bekannten Methan-Molekuumlls CH4 erklaumlren jedes einzelne sp3-Hybridorbital uumlberlappt mit jeweils einem s-Orbi-tal eines Wasserstoffatoms wodurch eine tetraedrische Molekuumllgeometrie mit vier voumlllig gleichberechtigten Bindungen entsteht Das Ergebnis kommt den tatsaumlchlich vorhandenen Molekuumllorbitalen die sich gemaumlszlig dem MO-Modell formulieren lassen sehr nahe Festzu-halten ist dabei dass es sich sowohl bei der Promotion als auch bei der Hybridisierung um rein fiktive Prozesse handelt die lediglich postuliert werden um den VB-Ansatz zu bdquorettenldquo Der grundsaumltzliche Mangel der darin besteht dass das VB-Modell uumlberwiegend auf Atom-orbitalen beharrt die eigentlich nicht mehr existieren bleibt bestehen Viele Molekuumllgeome-trien lassen sich in der VB-Theorie nur mit Hilfe einer passenden Hybridisierung erklaumlren Dennoch das VB-Modell ist fuumlr die meisten Anwendungen in der Chemie nach wie vor der am haumlufigsten gewaumlhlte Ansatz er ist einfach intuitiv und vielseitig einsetzbar solange man die richtige Form der Hybridisierung waumlhlt Letzteres geschieht auf der Grundlage einer bekannten Molekuumllgeometrie oder unter Beruumlcksichtigung von vorhandenen Mehrfachbindun-gen Im Idealfall aumlhneln die gebildeten Hybridorbitale dann den wirklichen Molekuumllorbitalen

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In der folgenden Tabelle sind die haumlufigsten Hybridisierungsvarianten zusammengefasst und verschiedenen Molekuumllgeometrien zugeordnet Bei gegebener Geometrie des Molekuumlls (z B die trigonal-planare Anordnung um jedes Kohlenstoffatom im Ethylen) kann man so auf die passende Hybridisierung schlieszligen (im gegebenen Fall das sp2-Hybrid)

Tabelle 1 Wichtige Hybridisierungszustaumlnde nach dem VB-Modell

Hybridisierung Promotion Koordinationszahl Geometrie Beispiele

sp uarruarr suarr puarr 2 linear Acetylen Propadien

sp2 uarruarruarr suarr puarruarr 3 trigonal-planar Ethylen Benzol

sp3 uarruarruarruarr suarr puarruarruarr 4 tetraedrisch Methan Ammoniak

sp3d uarruarruarruarruarr suarr puarruarruarr duarr 5 trigonal-bipyramidal

Phosphor-pentachlorid

sp3d2 uarruarruarruarruarruarr suarr puarruarruarr duarruarr 6 oktaedrisch Schwefel-hexafluorid

Die so entstehenden Hybridorbitale kommen in ihrer raumlumlichen Darstellung den tatsaumlchli-chen Molekuumllorbitalen teilweise recht nahe sie korrigieren somit die VB-Theorie in gewissem Sinne in Richtung der MO-Theorie Allerdings bleibt festzuhalten dass die VB-Theorie keine antibindenden Orbitale kennt diese bleiben einfach unberuumlcksichtigt Dies ist eine gravie-rende Schwaumlche der VB-Theorie die sich an vielen Stellen bemerkbar macht (zB bei der Erklaumlrung des Sauerstoff-Biradikals in der Spektroskopie und bei bestimmten Reaktions-typen)

19 Elektronegativitaumlt und Polaritaumlt

In einer chemischen Bindung zwischen verschiedenen Elementen besitzen die beteiligten Atome fuumlr gewoumlhnlich unterschiedliche Tendenzen die Bindungselektronen an sich zu ziehen Bei der Betrachtung der Energieschemata im MO-Modell aumluszligert sich dies darin dass ein bindendes Molekuumllorbital aus einer Linearkombination zweier Atomorbitale mit sehr unterschiedlicher Energie hervorgeht In diesem Fall besitzt das bindende Molekuumllorbital die Tendenz hohe Elektronendichten in der Naumlhe des Elements aufzuweisen dessen Atomorbital energetisch guumlnstiger liegt Man spricht dann von einer hohen Elektronegativitaumlt dieses Elements da es in dem gebundenen Zustand durch die erhoumlhte Elektronendichte eine partiell negative Ladung aufweist Ein klassisches Beispiel ist die Verbindung Fluorwasserstoff (HF) Hier wird ein bindendes Molekuumllorbital aus der Linearkombination zwischen dem 1s-Orbital des Wasserstoffs mit einem 2p-Orbital des Fluors gebildet Letzteres liegt aufgrund der relativ hohen Kernladung und des geringen Atomradius des Fluors energetisch wesentlich tiefer wodurch sich eine stark asymmetrische Elektronenverteilung ergibt Die Elektronegativitaumlt wird in erster Linie durch die Kernladung vor allem aber auch durch den Abstand zwischen den Valenzelektronen und dem Atomkern bestimmt Daher sind auch kleine Atome wie zum Beispiel der Stickstoff der Sauerstoff oder das Fluor auch besonders elektronegativ (s Tabelle Seite 12) Im Periodensystem der Elemente nimmt die Elektro-negativitaumlt tendenziell nach oben und nach rechts zu (Edelgase ausgenommen) Linus Pauling

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schlug vor die Elektronegativitaumlt ausgehend von der VB-Theorie als dimensionslose Kenn-groumlszlige fuumlr jedes einzelne Element einzufuumlhren Sie errechnet sich aus einem Vergleich der Dissoziationsenergien der beteiligten Elemente Demnach besitzt Francium als das am wenigsten elektronegative Element den Wert 070 und Fluor als das am staumlrksten elektro-negative Element den Wert 398 Eine Zwischenstellung nimmt zB Wasserstoff mit 220 ein Bei Bindungen zwischen Elementen mit unterschiedlicher Elektronegativitaumlt spricht man von polaren Bindungen Entlang einer polaren Bindung baut sich durch die ungleiche Elektronen-verteilung ein entsprechendes Dipolmoment auf das haumlufig Anlass fuumlr starke zwischen-molekulare Kraumlfte liefert (s Kapitel 3) Im Extremfall einer sehr polaren kovalenten Bindung kann das Bindungselektron (bzw die Bindungselektronen) praktisch allein dem elektronega-tiveren Element zugesprochen werden Das entsprechende Bindungsorbital besteht dann als Linearkombination von Atomorbitalen fast ausschlieszliglich aus einem Atomorbital welches das elektronegativere Element beisteuert In diesem Fall spricht man nach klassischer Definition von einer Ionenbindung

2 Die Elektronenspektroskopie an Atomen und Molekuumllen 21 Grundlagen der Spektroskopie

Elektronen in Atomen und Molekuumllen koumlnnen ndash soweit die Erkenntnis aus Kapitel 1 ndash durch Wellenfunktionen beschrieben werden Aus diesen kann man nicht nur die Aufenthaltswahr-scheinlichkeit an verschiedenen Positionen im Raum sondern auch die Energie des Elektrons ableiten Eine Folge der Beschraumlnkung der Elektronen auf bestimmte Wellenfunktionen mit jeweils bestimmter Energie ist dass sie auch nur in bestimmten Schritten Energie aufnehmen und abgeben koumlnnen Jede Aufnahme bzw Abgabe von Energie entlang dieses Schrittes ist generell mit der Aufnahme bzw Abgabe von elektromagnetischer Strahlung verbunden Diese Tatsache bildet die Grundlage der Spektroskopie im gegebenen Fall der Elektronenspektros-kopie

Allgemein gesprochen befasst sich die Spektroskopie mit der Wechselwirkung zwischen Strahlung und Materie Etwas genauer laumlsst sich aussagen dass die Spektroskopie unter-sucht mit welcher elektromagnetischen Strahlung sich welcher energetische Uumlbergang anre-gen laumlsst Zwischen der elektromagnetischen Strahlung und dem dabei bewirkten energeti-schen Uumlbergang gilt dann grundsaumltzlich folgende Beziehung Δ E = h ∙ ν mit ΔE als der Energiedifferenz zwischen den beiden Zustaumlnden (in Joule) ν (gesprochen bdquonuumlldquo) als Frequenz der verwendeten elektromagnetischen Strahlung (in 1s oder Hertz Hz) und h als dem so genannten Planckschen Wirkungsquantum (mit h = 6626∙10-34 Js) Somit ist jeder Frequenz ν im elektromagnetischen Spektrum (Abb 12) genau ein Energiewert Δ E zugeordnet Die dazugehoumlrige Wellenlaumlnge im Vakuum (in m) errechnet sich nach λ = c ν mit c als Lichtgeschwindigkeit (im Vakuum c = 299 792 458 ms)

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Abb 12 Elektromagnetisches Spektrum (Quelle Chemgapedia)

Fuumlr die genaue Messung welche Frequenz der elektromagnetischen Strahlung einem gegebe-nen Uumlbergang anzuregen vermag gibt es experimentell zwei verschiedene Ansaumltze Entweder man strahlt Energie auf das System ein und beobachtet den Verlust an Strahlungsintensitaumlt der dann beobachtet wird wenn die Strahlung einen Uumlbergang zu einem houmlheren Energieni-veau bewirkt (Absorption) oder man fuumlhrt dem System Energie zu (zum Beispiel thermisch) und beobachtet dann die Freisetzung von Energie als Strahlung (Emission) Im einen Fall erfuumlllt die Frequenz der absorbierten Strahlung im anderen Fall die der emittierten Strahlung die Frequenzbedingung ΔE = h ∙ ν Mit beiden Methoden kann man so exakt den Energie-unterschied zwischen zwei Energieniveaus ausmessen Die Bestimmung der Werte fuumlr die charakteristischen Energieschritte ΔE eines Systems ist die Hauptaufgabe der Spektroskopie Sie eignet sich insbesondere um elektronische Wellenfunktionen eines Systems zu erkunden

22 Elektronenspektroskopie am eindimensionalen Potentialtopf

Das denkbar einfachste elektronische System ist der eindimensionale Potentialtopf Dennoch kann auch dieses Modell schon in grober Naumlherung auf Molekuumlle angewandt werden speziell auf solche mit annaumlhernd linearen Delokalisationssystemen (s Kapitel 14) Ein Beispiel ist die Reihe Butadien Hexatrien Oktatetraen usw Bildet man mit Hilfe der Loumlsungen der Schroumldingergleichung fuumlr das eindimensionale Potentialtopfmodell einen Ausdruck fuumlr den elektronischen Uumlbergang zwischen dem houmlchsten besetzten Orbital (HOO) und dem niedrig-sten unbesetzten Orbital (LUO) so erhaumllt man fuumlr die damit verbundene Energiedifferenz gemaumlszlig der in Abbildung 5 gezeigten Formel

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ΔE = h ∙ ν = (nsup2LUO-nsup2HOO) ∙ hsup2 (8 me asup2)

Mit wachsender Laumlnge a und wachsender Elektronenzahl (jedes Kohlenstoffatom im Delokali-sationsgebiet traumlgt ein Elektron bei) steigen einerseits die Werte der Quantenzahlen n fuumlr das houmlchste besetzte Orbital (HOO) und das niedrigste unbesetzte Orbital (LUO) an andererseits steigt aber auch die Laumlnge L die quadratisch im Nenner der Gleichung steht Da letzteres insgesamt uumlberwiegt sinkt der Wert fuumlr ΔE und damit fuumlr die Frequenz ν schrittweise mit Anstieg der Kettenlaumlnge Liegt die absorbierte Lichtfrequenz anfaumlnglich im UV-Bereich so verschiebt sie sich beispielsweise fuumlr das Carotin mit 11 Doppelbindungen schon in den sichtbaren blauen Bereich Weil daher Carotin blaues Licht absorbiert erscheint es im Durchlicht betrachtet in der Komplementaumlrfarbe orange-gelb Nach diesem Prinzip lassen sich viele organische Farbstoffe interpretieren Aumlndert sich die Laumlnge bzw die Elektronenzahl (und damit nsup2LUO und nsup2HOO) durch die Protonierung des Molekuumlls so hat man es mit einem Farbstoff zu tun der mit dem pH-Wert seine Farbe aumlndert ndash dies ist die Grundlage vieler pH-Indikatoren

23 Elektronenspektroskopie am Wasserstoffatom

Die wissenschaftliche Spektralanalyse wurde in der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts gemeinsam durch GR Kirchhoff und RW Bunsen entwickelt Sie entdeckten dass alle Elemente beim Erhitzen Licht aussenden Nach Zerlegung des Lichts mit einem Glasprisma erhaumllt man ein fuumlr jedes Element charakteristisches Linienmuster das so genannte Spektrum (s auch UTube-Video bdquospectral lines demoldquo httpwwwyoutubecomwatchv=2ZlhRChr_Bw) Dieses Spektrum reflektiert die Gesamtheit der dem gegebenen Element eigenen elektronischen Uumlbergaumlnge und ist damit ein unverwechselbarer Fingerabdruck Elemente koumlnnen damit sowohl in der Emissionsspektroskopie als auch in der Absorptionsspektroskopie eindeutig und mit hoher Empfindlichkeit identifiziert werden

Die Elektronenspektroskopie kann jedoch noch deutlich mehr sie erlaubt die exakte Uumlber-pruumlfung der durch die Loumlsung der Schroumldingergleichung gefundenen elektronischen Wellen-funktionen Dies wurde zunaumlchst am Wasserstoffatom mit hoher Praumlzision betrieben Histo-risch gesehen ist die erste wichtige Lichtquelle fuumlr spektroskopische Analysen unsere Sonne Dies gilt insbesondere fuumlr das Spektrum des Wasserstoffs Da die Energie der elektronischen Zustaumlnde dort einzig und allein von der Hauptquantenzahl n abhaumlngt (s Kapitel 15) werden lediglich solche Spektrallinien beobachtet die sich genau einem gegebenen ΔE = E(n) - E(nlsquo) zuordnen lassen Zuerst wurde mit der Balmer-Serie der sichtbare Anteil des Spektrums ent-deckt der mit allen Uumlbergaumlngen von oder zu dem Niveau n = 2 verbunden ist (Abb 13) Es folgten spaumlter im UV-Bereich die Lyman-Serie mit n = 1 und im IR-Bereich die Paschen-Serie mit n = 3 die Brackett-Serie mit n = 4 sowie die Pfundt- und die Humphreys-Serie mit n = 5 und n = 6 (letztere sind in Abb 13 nicht mehr eingezeichnet) Weitere Serien mit houmlheren Quantenzahlen existieren tragen aber keine eigenen Namen mehr

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Wel

lenz

ahl

[100

0 cm

-1]

0

10

20

30

40

50

60

70

80

90

100

110Grundzustand

Lyman-serie

Balmer-serie

Paschen-serie

Brackett-serie

n = 5n = 4

n = 3

n = 2

n = 1

Gustav Robert Kirchhoff

Robert Wilhelm Bunsen

Abb 13 Wichtige elektronische Uumlbergaumlnge im Wasserstoffatom

Abbildung 14 zeigt das gesamte Wasserstoffspektrum die Kuumlrzel benennen die entsprechen-den Serien (Ly = Lyman Ba = Balmer etc)

Abb 14 Spektrum des Wasserstoffatoms Die Achse fuumlr die Wellenlaumlnge ist logarithmisch aufgetragen

Eine genaue Analyse ergibt dass sich das Schema der Energiedifferenzen nach Abb 13 fast genau mit den in Kapitel 15 besprochenen Loumlsungen der Schroumldingergleichung deckt Die aumluszligerst kleinen Abweichungen die man dennoch detektieren konnte lieszligen sich auf den Bei-trag des Kerns (trotz seiner hohen Masse kann er sich minimal mit dem Elektron mitbewegen) und des Isotopeneffekts zuruumlckfuumlhren der schwerere Deuteriumkern der aus einem Proton und einem Neutron besteht bewegt sich weniger leicht mit dem Elektron mit als das einsame Proton des bdquonormalenldquo Wasserstoffs Daneben zeigen sich bei sehr hoher Aufloumlsung des Spektrums auch relativistische Effekte die zu weiteren Aufspaltungen fuumlhren

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24 Elektronenspektroskopie an Atomen mit mehreren Elektronen

Aufgrund der Wechselwirkungen zwischen den Elektronen ist bei schwereren Elementen die beim Wasserstoff gegebene Entartung bezuumlglich der Quantenzahlen l und m aufgehoben Damit wird das Energiediagramm bereits fuumlr ein einfaches houmlheres Atom wie zum Beispiel Lithium schon deutlich komplizierter (Abb 15) Neben den Uumlbergaumlngen zwischen verschiede-nen Werten fuumlr n treten nun auch Uumlbergaumlnge zwischen s und p p und d d und f auf Manche Uumlbergaumlnge (zum Beispiel solche zwischen s- und d-Niveaus) werden allerdings gewoumlhnlich nicht beobachtet man nennt sie bdquoverbotenldquo bdquoErlaubtldquo sind nur solche Uumlbergaumlnge bei denen die Nebenquantenzahl sich um den Wert plusmn1 aumlndert (also eben von s nach p von p nach d usw) Die so genannte Auswahlregel welche die erlaubten Uumlbergaumlnge festlegt heiszligt folglich Δl = plusmn1

Als weitere Folge der Wechselwirkungen zwischen den Elektronen besitzt jedes houmlhere Atom ein eigenes und von Wasserstoff verschiedenes Energiediagramm Damit besitzt aber auch jedes Atom ein unverwechselbares Muster von Energieuumlbergaumlngen die es eindeutig kenn-zeichnet Dies laumlsst sich bereits in einfachen Versuchen anhand von Flammenfaumlrbungen zeigen Diejenigen Uumlbergaumlnge deren ΔE den Wellenlaumlngen im sichtbaren Spektrum entspricht (in Abb 15 sind dies die kuumlrzeren unter den eingezeichneten blauen Pfeilen) sorgen bei vielen Elementen fuumlr ein charakteristisches farbiges Leuchten (Abb 15 rechts)

Ener

gie

Wasserstoff Lithium

n = 1

2

3

45

1s

2s

2p

3s

4s

5s

3p

4p5p

3d

4d5d

Abb 15 Termschema von Lithium mit wichtigen elektronischen Uumlbergaumlngen (links) Durch Lithium verursachte Flammenfaumlrbung (rechts Quelle httpwwwitpuni-hannoverde~zawischaITPatomshtml)

Letztlich ist auch bei allen houmlheren Atomen die Elektronenspektroskopie eine ideale Methode um das Energieniveauschema experimentell zugaumlnglich zu machen Sie eignet sich daruumlber hinaus perfekt zur schnellen und empfindlichen Identifikation von Elementen Diese Tatsache

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macht man sich sowohl in der Atomabsorptionsspektroskopie (AAS) als auch in der Atom-emissionsspektroskopie (AES) zunutze Elektronenspektren sind unverwechselbare Finger-abdruumlcke mit denen alle Elemente in hoher Empfindlichkeit und selbst uumlber groszlige Distanzen hinweg sicher identifiziert werden koumlnnen

25 Elektronenspektroskopie an Molekuumllen

Genau wie die Atomorbitale sind auch Molekuumllorbitale der Elektronenspektroskopie zugaumlng-lich Durch die systematische Analyse aller elektronischen Uumlbergaumlnge lassen sich die Energie-niveaus in einem MO-Schema schrittweise ausmessen Besonders interessant wird dieser Ansatz bei der Untersuchung der Bindungsverhaumlltnisse Im Allgemeinen beobachtet man Uumlbergaumlnge zwischen bindenden und nicht bindenden Orbitalen einerseits und den uumlblicherweise unbesetzten antibindenden Orbitalen andererseits In Abb 16 ist dies am Beispiel einer C-O-Bindung in Formaldehyd gezeigt Im Mittelpunkt stehen dabei das binden-de und das antibindende σ-Orbital C-O das bindende und das antibindende π-Orbital C-O sowie das nicht bindende freie Elektronenpaar des Sauerstoffs (ein weiteres freies Elektronen-paar bleibt unbeteiligt)

Ener

gie

σ CO

σ CO

π CO

π CO

n O

C

H

H

O

σ-σ

Uumlbe

rgan

g

π-π

Uumlbe

rgan

gn-π Uumlber-gang

σ

Abb 16 Termschema der CO-Gruppe in Formaldehyd (links) Die beteiligten Bindungen und das im betrachteten Energiefenster liegende freie Elektronenpaar des Sauerstoffs sind rechts skizziert

Die drei wichtigsten Uumlbergaumlnge die an der C-O-Gruppe detektiert werden sind der σ-σ-Uumlbergang der π-π-Uumlbergang und der n-π-Uumlbergang Letzterer ist in einer C-O-Gruppe stets am energieaumlrmsten und kann bereits mit UV-Licht einer Wellenlaumlnge um 280 nm angeregt werden (schwarzer Pfeil in Abb 16) Energiereicher und intensiver ist bei der CO-Gruppe der π-π-Uumlbergang der bei Wellenlaumlngen um 170 nm angeregt wird (roter Pfeil in Abb 16) Daruumlber hinaus zeigt das Spektrum dass die beiden freien Elektronenpaare des Sauerstoffs stark unterschiedlichen Charakter besitzen (nur eines ist an dem n-π-Uumlbergang beteiligt das andere tritt im gegebenen Spektralbereich nicht in Erscheinung)

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24

Auf aumlhnliche Weise lassen sich alle MO-Schemata komplizierter Molekuumlle analysieren Lie-gen die Anregungsfrequenzen der Uumlbergaumlnge im sichtbaren Bereich so haben die Molekuumlle die Funktion von Farbstoffen Haumlufig besitzen sie dann laumlngere lineare Delokalisationsgebiete deren Elektronenspektren man dann auch in grober Naumlherung mit dem eindimensionalen Potentialtopfmodell beschreiben kann (s Kapitel 22) Werden Bindungselektronen angeregt und aumlndern sich im Verlauf der elektronischen Anre-gung die Bindungsverhaumlltnisse (beispielsweise bei Besetzung eines antibindenden Zustands) so ist mit der elektronischen Anregung zwangslaumlufig auch eine Aumlnderung des energetisch guumlnstigsten Bindungsabstands verbunden Damit einhergehend werden mechanische Schwin-gungen des Molekuumlls angeregt Mit den Molekuumllschwingungen verhaumllt es sich analog zu den elektronischen Zustaumlnden auch Molekuumllschwingungen existieren nur in bestimmten definierten Zustaumlnden die sich dann den elektronischen Zustaumlnden uumlberlagern (Abb 17) Die Folge davon ist dass die Elektronenspektren von Molekuumllen haumlufig keine scharfen Linien sondern breite Absorptionsbereiche (bdquoBandenldquo) aufweisen Alle Linien fuumlr die elektronischen Uumlbergaumlnge zerlegen sich demnach in eine Vielzahl von Einzellinien die verschiedene Schwingungszustaumlnde der benachbarten elektronischen Zustaumlnde miteinander verbinden (in Abb 17 sind exemplarisch neun verschiedene moumlgliche Uumlbergaumlnge eingezeichnet) Normaler-weise liegen alle diese Linien dicht beieinander so dass insgesamt eine verbreiterte Absorp-tionsbande entsteht

Ener

gie

elektronische Niveaus

Schwingungsniveaus

Abb 17 Zum Zustandekommen von breiten Absorptionsbanden in Elektronen-Schwingungsspektren Uumlberlagerung von elektronischen Uumlbergaumlngen mit Schwingungsuumlbergaumlngen Exemplarisch sind jeweils drei Schwingungsniveaus eingezeichnet

Das Elektronenspektrum eines Molekuumlls wird wegen der dazu verwendeten Frequenzbereiche im UV- und im sichtbaren (bdquovisibleldquo) Spektrum auch UV-vis-Spektroskopie genannt Die UV-vis-Spektroskopie dient neben der Aufklaumlrung der MO-Struktur auch der schnellen und bequemen Identifikation von chemischen Verbindungen Aufgrund ihrer im Absorptionsver-fahren sehr einfachen und preisguumlnstigen Messtechnik wird sie auch haumlufig in Kombination mit anderen analytischen Verfahren (zB der Chromatographie) verwendet Uumlber eine Bestim-mung der Intensitaumlt der Anregung kann auch eine quantitative Analyse einzelner Verbindun-gen erfolgen

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3 Das Zusammenwirken von Atomen und Molekuumllen 31 Der makroskopische Zustand von Materie Bisher sind nur einzelne Bausteine der Materie also Atome und Molekuumlle betrachtet worden Nun soll das makroskopische Erscheinungsbild von Materie ins Auge gefasst werden die aus einer Vielzahl von Atomen oder Molekuumllen besteht Um den Zustand dieser aus vielen Teilchen zusammengesetzten Materie uumlberhaupt als Gesamtheit zu beschreiben benoumltigt man zunaumlchst so genannte Zustandsparameter oder Zustandsgroumlszligen Die wichtigsten Vertreter dieser Kenngroumlszligen fuumlr makroskopische Materie sind die Stoffmenge n das Volumen V der Druck P und die Temperatur T

n Stoffmenge Die Stoffmenge wird uumlber die Teilchenzahl definiert

Einheit der Teilchenzahl 1 Mol

Definition Ein Mol eines Stoffes enthaumllt dieselbe Anzahl an Teilchen wie 0012 kg reiner Kohlenstoff des Isotops 12C (1 Mol 60221023

Teilchen) Dabei muss eindeutig festgelegt sein was unter einem Teilchen des Stoffes jeweils zu verstehen ist Ist die Stoffmenge konstant so spricht man von einem geschlossenen System

V Volumen Die Definition des Volumens erfolgt uumlber die festgelegte Laumlngeneinheit und den geometrischen Volumenbegriff

Einheit des Volumens 1 msup3

Definition Ein msup3 ist das Volumen eines wuumlrfelfoumlrmigen Raums mit einer Kantenlaumlnge von einem Meter Ist das Volumen konstant so spricht man von einem isochoren Vorgang

P Druck Die Definition erfolgt uumlber die Kraft die ein Stoff auf jede Flaumlcheneinheit eines ihn einschlieszligenden Behaumllters ausuumlbt

Einheit des Drucks 1 Pascal = 1 Pa = 1 Nmsup2 = 10-5 bar

Definition Ein Pascal ist der Druck bei dem auf jeden Quadratmeter der Behaumllterwaumlnde eine Kraft von 1 Newton ausgeuumlbt wird Ist der Druck konstant so spricht man von einem isobaren Vorgang

T Temperatur

Der sicherlich am schwierigsten fassbare Zustandsparameter makroskopischer Materie ist die Temperatur Zwar ist sie direkt mit der menschlichen Wahrnehmung verknuumlpft (kalt warm heiszlighellip) physikalisch jedoch zunaumlchst sehr undefiniert da sie nicht ohne weiteres auf andere physikalische Groumlszligen zuruumlckfuumlhrbar ist Am ehesten laumlsst sie sich im ersten Ansatz als diejenige Eigenschaft von Materie beschreiben die von einem Thermometer gemessen wird

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Zur Verwendung als Thermometer eignet sich prinzipiell jeder physikalische oder chemische Vorgang der reproduzierbar mit einer Temperaturaumlnderung verknuumlpft ist Klassisch sind dies insbesondere die Ausdehnungsvorgaumlnge von Gasen Fluumlssigkeiten und Festkoumlrpern (Abb 18)

Hg

Festkoumlrperthermometer werden gewoumlhnlich nach demPrinzip des Bimetall-Thermometers ausgelegt (ganzlinks) Dabei werden zwei verschiedene Festkoumlrper(zB zwei Bleche aus verschiedenen Metallen) flaumlchigmiteinander in Kontakt gebracht Bedingt durch dieunterschiedliche thermische Ausdehnung derMaterialien kruumlmmt sich das Bimetall-Blech abhaumlngigvon der Temperatur mehr oder weniger stark zu einerSpirale

Fluumlssigkeitsthermometer (Mitte) und Gasthermometer(rechts) nutzen die Volumenaumlnderung eines fluidenMediums mit der Temperatur Die Genauigkeit kannerhoumlht werden indem einem groszligvolumigen Vorrats-behaumllter ein relativ kleinvolumiger Ausdehnungs- undAblesebereich gegenuumlbergestellt wird

Abb 18 Thermometer die auf der Grundlage der temperaturbedingten Ausdehnung von Materie beruhen

In der Praxis kommen mehr und mehr die elektronischen Varianten der Temperaturmessung zum Zug die zumeist auf der Messung der Thermospannung basieren Neben der Messmetho-de ist die Festlegung einer Temperaturskala wichtig Dazu dienten zunaumlchst einige Fixpunkte die heute teilweise noch historische Bedeutung haben

1) Die tiefste Temperatur des Winters 17081709 in Danzig - 178 degC

2) Die Temperatur von schmelzendem Eis bei 760 Torr (760 Torr = 1 atm = 101 325 Pa) 0 degC

3) Koexistenztemperatur von Eis Wasser und Wasserdampf 001 degC (exakt)

4) Die durchschnittliche Koumlrpertemperatur eines gesunden Menschen 378 degC

5) Die Siedetemperatur des Wassers bei 760 Torr (1 atm = 101 325 Pa) 100 degC

Die Punkte 1 und 4 bildeten die Grundlage des Fahrenheit-Systems die Punkte 2 und 5 die der Celsius-Skala Bei beiden Systemen wurde der definierte Bereich zunaumlchst in 100 gleiche Teile (Grade) aufgeteilt dann extrapoliert Beide Definitionen wurden spaumlter verfeinert (Celsius 9999 Grade C zwischen den Fixpunkten 3 und 5 Fahrenheit 180 Grade F zwischen den Fixpunkten 1 und 5) Trotzdem mangelt es auszliger Punkt 3 allen genannten Fixpunkten an Genauigkeit und Reproduzierbarkeit

Das zweite Problem nach der Unvollkommenheit der Fixpunkte besteht in der Festlegung einer systemunabhaumlngigen linearen Teilung Gewoumlhnlich ist der Verlauf der Skala vom gewaumlhlten Medium abhaumlngig Eine lineare Teilung auf der Skala eines Quecksilber-thermometers entspricht daher nicht einer linearen Teilung auf der Skala eines Alkoholthermometers da die Ausdehnung bei jedem Medium in unterschiedlicher Weise von der Temperatur abhaumlngt

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Beide Probleme sowohl die Wahl der passenden Fixpunkte als auch die Definition einer sinnvollen linearen Teilung werden heute durch die Festlegung der so genannten absoluten Temperaturskala geloumlst Grundlage hierfuumlr sind uumlbereinstimmende Beobachtungen an Gasthermometern

-300 -200 -100 0 100 200

V

T

-27315degCBei wiederholten Messungen mit verschiedenenGasthermometern verschiedenen Gasen undGasvolumina und bei verschiedenen Drucken stelltman fest dass sich die Verlaumlngerungen aller in denjeweiligen Diagrammen erhaltenen Linien in einemPunkt schneiden Dieser Punkt entspricht auf derVolumenachse dem Wert V = 0 und auf derTemperaturachse dem Wert T = -27315 degC

Abb 19 Ausdehnungskurven verschiedener Gase Die Temperaturskala ist zunaumlchst noch in Celsius aufgetragen

Aus dieser Beobachtung wurde geschlossen dass der Temperatur am gemeinsamen Schnitt-punkt aller Ausdehnungskurven eine besondere physikalische Bedeutung zukommt und sie sich daher als Fixpunkt einer neuen Temperaturskala eignet Weiterhin wurde festgestellt dass zwar alle Gase in ihrem Ausdehnungsverhalten von dem linearen Verlauf abweichen dass aber unter bestimmten Umstaumlnden (zB niedriger Druck) ein gemeinsamer Verlauf angestrebt wird den man auch als idealen Verlauf bezeichnen koumlnnte Am besten funktioniert das bei Helium unter schrittweise absinkenden Drucken dessen Verhalten sich fuumlr P rarr 0 zum idealen Verhalten extrapolieren laumlsst Diese Erkenntnis diente zur Definition einer absoluten Temperaturskala in Kelvin

1) Unterer Fixpunkt Schnittpunkt der Volumenexpansionskurven bdquoidealerldquo Gase (zB Helium fuumlr den Grenzfall Prarr0) 0 Kelvin

2) Oberer Fixpunkt Koexistenztemperatur von Eis Wasser und Wasserdampf 27316 Kelvin

3) Das Volumen eines bdquoidealenldquo Gases (zB Helium fuumlr den Grenzfall Prarr0) ist bei konstantem Druck proportional zur Temperatur und definiert die lineare Teilung der Temperaturskala

Gemaumlszlig dieser Definition ist jede beliebige Temperatur unter Nutzung eines bdquoidealenldquo Gasther-mometers auf der absoluten Kelvin-Skala eindeutig festgelegt Die Verwendung der Kelvin-Skala ist gegenuumlber der Nutzung klassischer Temperatursysteme bei der Beschreibung physi-kalischer Vorgaumlnge eindeutig von Vorteil Vorgaumlnge bei denen die Temperatur konstant ist nennt man isotherm Mit der Definition der wichtigsten Zustandsparameter Teilchenzahl n Volumen V Druck P und Temperatur T besteht nun die Moumlglichkeit das Verhalten makroskopischer Materie zu beschreiben Am einfachsten gelingt das im Fall von Gasen

32 Zustandsgleichung fuumlr Gase die ideale Gasgleichung

Gleichungen welche die Zustandsparameter wie n V T und P miteinander verknuumlpfen nennt man Zustandsgleichungen Sie beschreiben das Verhalten einer aus vielen einzelnen Teilchen bestehenden Materie hinsichtlich ihrer makroskopisch messbaren Groumlszligen Am

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einfachsten sind solche Zustandsgleichungen fuumlr Gase aufzustellen Untersucht man bei Gasen systematisch den Zusammenhang zwischen n V P und T so stellt man fest dass fuumlr alle Gase in mehr oder weniger guter Naumlherung folgende einfache Gleichung erfuumlllt isthellip

P ∙ V = n ∙ R ∙ T

hellipwobei R fuumlr die so genannte ideale Gaskonstante steht (R asymp 8314 J K-1 Mol-1) Diese Glei-chung auch bdquoideale Gasgleichungldquo genannt ist ein so genanntes Grenzgesetz kein real exis-tierendes Gas erfuumlllt es genau aber alle Gase kommen ihm recht nahe insbesondere bei hohen Temperaturen und niedrigen Druumlcken Eine Gleichung dieser Form nennt man auch Zustands-gleichung da sie Zustandsparameter miteinander verbindet Grafisch laumlsst sich diese Verknuumlp-fung in einem einfachen Diagramm darstellen bei dem jede Kombination von T und V genau einem Wert fuumlr P zugeordnet ist (Abb 20)

P

V

T

Abb 20 Auftragung von P gegen T und V nach der idealen Gasgleichung

Wir wissen nun dass die Gase aus einer Vielzahl von Teilchen (Atomen oder Molekuumllen) bestehen Wie laumlsst sich das durch die ideale Gasgleichung beschriebene Verhalten nun mit dieser Tatsache in Einklang bringen Was bedeuten eigentlich die Parameter Druck und Tem-peratur fuumlr ein Gas das sich aus vielen einzelnen Atomen und Molekuumllen zusammensetzt Um makroskopische Zustandsparameter uumlberhaupt mit der Teilchenwelt verknuumlpfen zu koumlnnen benoumltigen wir eine Modellvorstellung fuumlr das mechanische Zusammenwirken der Teilchen im Fall von Gasen das so genannte kinetische Gasmodell

33 Das kinetische Gasmodell

Bei den im vorhergehenden Kapitel aufgefuumlhrten Gasgesetzen handelt es sich um mathemati-sche Beschreibungen von makroskopisch beobachtbaren Vorgaumlngen Zur Interpretation der Gasgesetze auf molekularer Ebene wurden verschiedene Modelle vorgeschlagen Das erfolg-reichste unter ihnen war das sogenannte kinetische Gasmodell Es beruht auf der Vorstellung dass ein Gas aus einer Vielzahl von Teilchen besteht die folgende Bedingungen erfuumlllen

1) Sie besitzen eine Atom- oder Molmasse M einen endlichen Durchmesser d und befinden sich in staumlndiger und ungeregelter Bewegung

2) Die Groumlszlige der Teilchen ist im Verhaumlltnis zum freien Volumen vernachlaumlssig-bar

3) Zwischen den Teilchen finden elastische Stoumlszlige statt Ansonsten existieren keine weiteren Wechselwirkungen unter den Teilchen

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Nach der kinetischen Gastheorie besteht der Druck eines Gases aus der Summe aller Kraumlfte (pro Flaumlcheneinheit) die durch auf eine Flaumlche aufprallende Gasteilchen (bzw durch deren Impulsaumlnderung) ausgeuumlbt werden (Abb 21)

Vx t

Abb 21 Links schematische Darstellung der Impulsaumlnderung bei dem Auftreffen eines Gasteilchens auf der Gefaumlszligwand Viele solche Stoumlszlige fuumlhren in der Summe zum Entstehen einer messbaren dem Gasdruck zugeordneten Kraft Rechts Die Geschwindigkeitskomponente vx der Teilchen bestimmt nicht nur die Groumlszlige der Impulsaumlnderung sondern auch die Zahl der Teilchen die pro Zeiteinheit auf die Wand stoszligen Daher geht die Geschwindigkeit der Teilchen bei der Berechnung des Drucks insgesamt quadratisch ein

Dabei wird zunaumlchst davon ausgegangen dass alle Teilchen die gleiche Geschwindigkeits-komponente vx aufweisen Diese Geschwindigkeitskomponente bestimmt zum einen die Heftigkeit der Stoumlszlige zum anderen wie viele Gasteilchen pro Zeiteinheit auf die Wand prallen Insgesamt haumlngt der Druck damit vom Quadrat der Geschwindigkeitskomponente vxab Fuumlhrt man nun ein mittleres Geschwindigkeitsquadrat csup2 ein (mit vxsup2 = 13 csup2) so erhaumllt man fuumlr den an dem beweglichen Kolben spuumlrbaren Druck die Gleichung

P = 13 M csup2 (nV) oder in der Schreibweise der idealen Gasgleichung P V = 13 n M csup2 Der Druck ist nach dem kinetischen Gasmodell also die Folge einer Vielzahl von Stoumlszligen welche die Teilchen gegen die Behaumllterwaumlnde ausfuumlhren Er ist folglich proportional zur Mas-se der Teilchen (je schwerer die Teilchen desto heftiger die Stoumlszlige) zum mittleren Geschwin-digkeitsquadrat (die Geschwindigkeit der Teilchen bestimmt zum einen die Haumlufigkeit zum anderen die Heftigkeit der Stoumlszlige) und zur Zahl der Teilchen pro Volumeneinheit (womit wie nach der idealen Gasgleichung zu erwarten P umgekehrt proportional zu V ist) Die Bedeutung der Temperatur im kinetischen Gasmodell ist dagegen zunaumlchst unklar Mit der idealen Gasgleichung P V = n R T ergibt sich aber durch Koeffizientenvergleich n R T = 13 n M csup2 oder R T = 13 M csup2 Man kann unter Nutzung beider Gasmodelle so zu einem neuen teilchenbezogenen Verstaumlnd-nis des Phaumlnomens Temperatur kommen Die Temperatur eines Gases ist demnach direkt proportional zum mittleren Geschwindigkeitsquadrat der Gasteilchen oder in anderen Worten zu deren kinetischer Energie 12 M csup2 Dies ist fuumlr das Verstaumlndnis des Phaumlnomens Temperatur von groszliger Bedeutung Man kann die Temperatur eines Gases also messen indem man (bei bekannter Masse der Teilchen) die Geschwindigkeit der Gasteilchen bestimmt Die Wurzel aus dem mittleren Geschwindigkeits-quadrat also die Groumlszlige c liegt uumlblicherweise in der Groumlszligenordnung der Schallgeschwindig-keit (zum Beispiel fuumlr Stickstoff bei Raumtemperatur c = 516 ms) und steht zu ihr in einer

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festen Beziehung Tatsaumlchlich laumlsst sich die Temperatur auch uumlber eine Messung der Schall-geschwindigkeit ermitteln Nachdem das mittlere Geschwindigkeitsquadrat der Teilchen bekannt ist stellt sich die Frage nach der Geschwindigkeitsverteilung der Teilchen Die Bewegungsenergie der Teilchen ist wie alle anderen Energieformen (zB elektronische Energie Schwingungsenergie) gequantelt Das bedeutet dass sich die Teilchen auf (hier dicht gestaffelte) Energieniveaus verteilen muumlssen Sie tun das nach einem statistischen Grundprinzip das Boltzmann-Verteilung genannt wird Demnach ist die Besetzung pi eines Energieniveaus i (egal welcher Art die Energie Ei ist) stets proportional zum so genannten Boltzmannfaktor des Zustand i Es gilt

pi ~ exp[-Ei(kBT)]

Die darin enthaltene Boltzmannkonstante kB ist nichts anderes als die allgemeine Gas-konstante R (siehe unter 32) dividiert durch die Zahl NL der Teilchen in einem Mol Substanz (kB = RNL) Das bedeutet die Besetzung eines Zustands ist umso wahrscheinlicher je niedriger dessen Energie ist Steigende Temperatur T hingegen erhoumlht die Wahrscheinlichkeit energiereicher Zustaumlnde Diese Gesetzmaumlszligigkeit gilt fuumlr die Besetzung aller auf atomarer oder molekularer Ebene gegebener Zustaumlnde in einem makroskopischen System Angewandt auf die Bewegungsenergie von Gasteilchen in einer einzelnen Raumrichtung x bedeutet das dass Teilchen mit hoher Geschwindigkeit vx weniger wahrscheinlich sind als solche mit niedriger Geschwindigkeit vx Allerdings steigt die Wahrscheinlichkeit des Auftretens groszliger Werte fuumlr vx mit steigender Temperatur Teilt man den Bereich der auftretenden Geschwindigkeiten in Intervalle auf und zaumlhlt man die Teilchen die gemaumlszlig ihrer Geschwindigkeit zu den einzelnen Intervallen zugeordnet werden koumlnnen so ergibt sich fuumlr die Geschwindigkeitsverteilung in vx und v das Bild das in Abb 22 oben dargestellt ist Die Verteilungsfunktionen fuumlr die Geschwindigkeiten in y- und z-Richtung sind identisch

n(vx)

vx-Intervall

n(vx)

vx-Intervall

Temperatur-erhoumlhung

- 0 +- 0 +n(v)

v-Intervall

Temperatur-erhoumlhung

0 +

n(v)

v-Intervall0 +

Abb 22 Verteilungsfunktionen einer eindimensionalen Geschwindigkeitskomponente (oben) und der Gesamtgeschwindigkeit (unten)

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Betrachtet man die Verteilung n(v) der Gesamtgeschwindigkeit v im dreidimensionalen Raum so wird das Bild komplizierter Bezuumlglich der drei Raumrichtungen x y und z sind weiterhin die kleinen Geschwindigkeiten wahrscheinlicher als die groszligen Da nun aber fuumlr eine groszlige Gesamtgeschwindigkeit v mehr Kombinationsmoumlglichkeiten vx vy vz existieren als fuumlr kleine Gesamtgeschwindigkeiten so wird die Wahrscheinlichkeit fuumlr sehr geringe Gesamtgeschwindigkeiten entsprechend kleiner fuumlr groszlige Gesamtgeschwindigkeiten entsprechend groumlszliger Der daraus resultierende Gewichtungsfaktor fuumlr jedes v ist die relative Flaumlche der Kugelschale mit dem Radius v Insgesamt ergeben sich dann die in Abb 22 unten dargestellten Verteilungsfunktionen fuumlr niedrige und hohe Temperaturen Die Verteilungsfunktionen in vx und v lauten (ohne Herleitung)

f(vx) = [M(2RT)]12 exp [-Mvxsup2(2RT)]

f(v) = 4 [M(2RT)]32 vsup2 exp [-Mvsup2(2RT)] Der Mittelwert von vx (oder jeder anderen eindimensionalen Geschwindigkeitskomponente) ist grundsaumltzlich Null Dagegen besitzt der Mittelwert von v stets eine endliche von Null verschiedene Groumlszlige Bei einer Erhoumlhung der Temperatur werden alle Verteilungsfunktionen breiter der Mittelwert von v vergroumlszligert sich Die Temperatur eines Gases aumluszligert sich also nicht nur im mittleren Geschwindigkeitsquadrat sondern auch in der Form der Geschwindigkeitsverteilungsfunktion Bei der Mischung von Gasen unterschiedlicher Temperatur muss um die oben genannte Forderung zu erfuumlllen aus der einfachen Summe von zwei Verteilungsfunktionen eine neue der Mischtemperatur ent-sprechende Verteilungsfunktion entstehen Dies ist nur unter der Annahme moumlglich dass ein Austausch kinetischer Energie unter den Teilchen erfolgen kann Diese Tatsache bedingt die eingangs gestellte Forderung nach Teilchenstoumlszligen also Wechselwirkungen zwischen den Teilchen Damit muumlssen die Gasteilchen aber auch ein gewisses Volumen besitzen den Teil-chen ohne Eigenvolumen koumlnnen prinzipiell nicht zusammenstoszligen Darin besteht der we-sentliche Unterschied zwischen einem Gas nach dem kinetischen Gasmodell und dem idealen Gas Das ideale Gas koumlnnte man theoretisch auf ein beliebig kleines Volumen komprimieren bei einem kinetischen Gas ist dies aufgrund des Eigenvolumens nicht moumlglich Ansonsten erlaubt das kinetische Gasmodell die vollstaumlndige Interpretation der idealen Gasgleichung

34 Die korrigierte Gasgleichung nach van der Waals JD van der Waals

Mithilfe des kinetischen Gasmodells laumlsst sich die Zustandsgleichung fuumlr Gase weiter verfeinern Zunaumlchst soll beruumlcksichtigt werden dass die Teilchen ein eigenes Volumen besitzen In erster Naumlherung geschieht dies indem man ein vom Eigenvolumen der Gas-teilchen abgeleitetes minimales Volumen des Gases (das so genannte Covolumen) definiert Das Covolumen beschreibt dasjenige Volumen des Gases das bei staumlndigem mechanischem Kontakt zwischen jeweils zwei Teilchen eingenommen wird wenn man den Teilchenpaaren jeweils den sie umschreibenden kugelfoumlrmigen Raum zuordnet (wegen der geringen Wahr-scheinlichkeit von Dreierstoumlszligen kann die Bildung von Dreiergruppen ausgeschlossen werden) Das molare Covolumen b entspricht wenn man eine einfache geometrische Uumlberlegung an-setzt dem vierfachen Eigenvolumen eines Mols der Gasteilchen Um das tatsaumlchliche freie

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Volumen zu erhalten muss das n-fache Covolumen vom gegebenen Volumen abgezogen werden Damit wird aus der idealen Gasgleichung P V = n R T die erste korrigierte Version P (V - n b) = n R T Im zweiten Schritt soll nun uumlber das kinetische Gasmodell hinausgehend auch die anziehen-de Wechselwirkung zwischen den Teilchen beruumlcksichtigt werden Die Anziehung zwischen den Teilchen sorgt nach van der Waals fuumlr einen zusaumltzlichen nach auszligen nicht messbaren bdquoBinnendruckldquo Dieser Binnendruck ist proportional zum Quadrat der Teilchendichte (nV)sup2 Der zwischen den Teilchen tatsaumlchlich wirkende nach auszligen ebenfalls unmessbare Gesamt-druck ist dann gegeben als

Pgesamt (unmessbar) = P (messbar) + a (nV)sup2

mit einer fuumlr die anziehende Wechselwirkung charakteristischen Konstante a Die danach korrigierte Version der Gasgleichung die van-der-Waals-Gleichung fuumlr reale Gase lautet

[P + a (nV)sup2] (V - nb) = n R T

Die Konstanten b und a besitzen fuumlr jedes reale Gas charakteristische Werte die dessen Eigenvolumen (die Groumlszlige der Elektronenhuumllle) und die Staumlrke der intermolekularen Wechsel-wirkungen reflektieren Beispiele

Gas a b

Argon 01345 Pa m6Molsup2 32210-5 msup3Mol Kohlendioxid 03592 Pa m6Molsup2 426710-5 msup3Mol Helium 00034 Pa m6Molsup2 23710-5 msup3Mol Stickstoff 01390 Pa m6Molsup2 391310-5 msup3Mol Wasser 05573 Pa m6Molsup2 31010-5 msup3Mol

Der Parameter b spiegelt mit der Einheit msup3Mol weitgehend die Groumlszlige der einzelnen Teilchen (Atome oder Molekuumlle) wider So besitzt erwartungsgemaumlszlig Kohlendioxid oder Argon einen groumlszligeren Wert fuumlr b als beispielsweise Helium Allerdings sind die Unterschiede erstaunlich klein was auf die Tatsache zuruumlckzufuumlhren ist dass sich das Covolumen auf Teilchenpaare bezieht und ein Paar aus Kohlendioxidmolekuumllen gegenuumlber einem Paar aus Heliumatomen nur etwa das doppelte Volumen benoumltigt

Der Parameter a mit der Einheit Pascal mal Molvolumen zum Quadrat reflektiert die Staumlrke der Wechselwirkungen zwischen den Teilchen Diese Wechselwirkungen beruhen zum groszligen Teil auf den elektrischen Eigenschaften der Teilchen Diese wiederum sind mit der elektronischen Struktur der Atome beziehungsweise der chemischen Bindungen verknuumlpft Am wichtigsten ist dabei das in Kapitel 19 erwaumlhnte Dipolmoment Polare Bindungen koumlnnen zu Teilchen mit permanenten Dipolen fuumlhren (zB HF Wasser Ammoniak CO) Andere Molekuumlle oder Atome sind zwar unpolar koumlnnen aber spontan oder durch aumluszligere

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elektrische Felder polarisiert werden (zB He Ar molekularer Wasserstoff molekulares Chlor) Man spricht dann von polarisierbaren Teilchen mit einem spontanen Dipolmoment oder mit einem durch ein aumluszligeres Feld bewirkten induzierten Dipolmoment In all diesen Faumlllen sind anziehende Wechselwirkungen zwischen den Teilchen moumlglich die in dem Parameter a zusammengefasst werden Daruumlber hinaus koumlnnen sich auch voruumlbergehende chemische Bindungen ausbilden Das prominenteste Beispiel fuumlr diesen Fall ist die bekannte Wasserstoffbruumlckenbindung die bei polaren X-H-Bindungen auftreten kann Im Einzelnen werden demnach folgende Arten von Wechselwirkungen mit absteigender Intensitaumlt unter-schieden

a) Wasserstoffbruumlckenbindung X-H hellip Y Hierbei bildet sich voruumlbergehend eine chemische Bindung zwischen dem polar gebundenen Wasserstoff und einem elektronegativen und mit einem freien Elektronenpaar ausgestatteten Element Y

b) Wechselwirkungen zwischen permanenten Dipolen hier besitzen alle Teilchen ein permanentes Dipolmoment Zwischen den entgegengesetzt geladenen Enden der Teilchen bauen sich dann konstant anziehende elektrostatische Wechselwir-kungen auf

c) Wechselwirkungen zwischen permanenten und induzierten Dipolen die Teil-chen mit permanentem Dipolmoment induzieren ein voruumlbergehendes Dipol-moment bei den benachbarten (zunaumlchst unpolaren) Teilchen In der Folge ergibt sich eine anziehende elektrostatische Wechselwirkung

d) Wechselwirkungen zwischen induzierten Dipolen durch spontane Polarisierung eines Teilchens entsteht ein voruumlbergehendes Dipolmoment welches bei einem benachbarten Teilchen eine Polarisierung hervorruft In der Folge ergibt sich eine kurzfristige und sehr schwache elektrostatische Anziehung zwischen den Teilchen Man spricht dabei auch von der Dispersionswechselwirkung oder der Londonschen Wechselwirkung

Alle diese Effekte sind anziehender Natur und gehen damit in den Parameter a ein Fasst man die beiden Parameter a und b zusammen so entsteht mit der van-der-Waals-Gleichung eine recht zuverlaumlssige Zustandsgleichung fuumlr reale Systeme die sowohl die abstoszligenden als auch die anziehenden Wechselwirkungen beruumlcksichtigt

Ein guter Test fuumlr diese reale Zustandsgleichung ist die Berechnung eines Diagramms von P gegen V fuumlr verschiedene Temperaturen das so genannte P-V-Diagramm und die Gegen-uumlberstellung mit dem entsprechenden experimentellen P-V-Diagramm eines realen Gases Gemaumlszlig der van-der-Waalsrsquoschen Gleichung existieren abhaumlngig von der betrachteten Tempe-ratur drei Typen von Isothermen (Abb 23 links) solche die einer Hyperbel aumlhneln (1) eine einzelne Isotherme die einen Wendepunkt mit waagrechter Tangente besitzt (2) und solche die ein Minimum ein Maximum und einen Wendepunkt aufweisen (3) Das experimentell beobachtete Verhalten stimmt in den ersten beiden Faumlllen recht gut uumlberein weicht aber bei Isothermen des dritten Typs deutlich vom berechneten Verlauf ab (Abb 23 rechts)

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P

V

PV-Diagramm nachvan-der-Waals-Gleichung

1 2

3

P

V

3

experimentell bestimmtesPV-Diagramm f reales Gas

Abb 23 PV-Diagramme fuumlr reale Gase berechnet nach van der Waals (links) und experimentell bestimmt (rechts) Die drei typischen Formen der Isothermen (1 2 und 3) sind im Text beschrieben

Offensichtlich beschreibt die van-der-Waals-Gleichung das Verhalten eines realen Gases in der Umgebung des Wendepunkts weniger gut Experimentell stellt man allerdings fest dass in diesem Bereich tatsaumlchlich auch kein reines Gas sondern vielmehr eine Mischung aus einem Gas und einer kondensierten Fluumlssigkeit also ein Zweiphasenzustand vorliegt Dieser Zwei-phasenbereich beginnt am Wendepunkt der Isothermen des Typs 2 und schlieszligt alle Minima Maxima und Wendepunkte der Isothermen des Typs 3 ein (Abb 24 links)

P

V

Zweiphasen-gebiet

P

V

Zweiphasen-gebiet

Maxwell-Maxwell-KorrekturKorrektur

Zweiphasen-Gebiet

Zweiphasen-Gebiet

A1

A2

Abb 24 PV-Diagramme fuumlr reale Gase mit eingezeichnetem Zweiphasengebiet Der in diesem Bereich bei der Beschreibung nach van der Waals gegebene Fehler kann in guter Naumlherung durch die Maxwell-Korrektur kompensiert werden

Eine einfache Korrektur der van-der-Waals-Gleichung ermoumlglicht eine realistische Beschrei-bung des Zweiphasengebiets Eine horizontale Gerade wird so in der Naumlhe des Wendepunktes gelegt dass die oberhalb und unterhalb der Geraden im Zweiphasenbereich gebildeten Teilflaumlchen A1 und A2 die gleiche Groumlszlige besitzen (sog Maxwell-Korrektur s Abbildung 24 rechts) Dies sieht zwar nach einer etwas willkuumlrlichen Hilfskonstruktion aus trotzdem laumlsst sich damit das Verhalten eines realen Gases im Zweiphasengebiet sehr gut nachvollziehen und vorhersagen Eine besonders ausgewiesene Position im PV-Diagramm eines realen Gases ist der Scheitel-punkt des Zweiphasengebiets der durch den Wendepunkt der Isotherme des Typs 2 gebildet wird (Abb 25)

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P

V

Zweiphasen-gebiet Tc

Pc

Vc

kritischer Punkt

Jedes reale Gas besitzt einen sogenannten kritischenPunkt der durch die kritischen Zustandsgroumlszligen Tc Pc undVc beschrieben wird Die kritische Temperatur Tc istdiejenige Temperatur bei der sich ein Gas unter Druckgerade noch verfluumlssigen laumlszligt Oberhalb der kritischenTemperatur existiert kein fluumlssiger Zustand Derentsprechende Druck Pc wird als kritischer Druckbezeichnet

Die Isotherme die der kritischen Temperatur zugeordnetist besitzt als einzige einen Wendepunkt mit horizontalerTangente der gleichzeitig den kritischen Punkt markiert

Abb 25 PV-Diagramm fuumlr ein reales Gas mit kritischem Punkt

Dieser sogenannte kritische Punkt wird durch die kritische Temperatur Tc den kritischen Druck Pc und das kritische Molvolumen Vc festgelegt Zustaumlnde oberhalb des kritischen Punkts nennt man uumlberkritisch Uumlberkritisches Kohlendioxid besitzt in der Technik groszlige Bedeutung fuumlr das Loumlsen und Ausfaumlllen von pharmazeutischen Wirkstoffen (zB Aspirin fuumlr Brausetabletten) fuumlr die Extraktion (zB bei der Entkoffeinierung von Kaffee) oder zur chemischen Reinigung von Textilien

35 Andere Zustandsgleichungen fuumlr reale Gase

Neben der van-der-Waals-Gleichung existieren weitere Ansaumltze zur Beschreibung realer Gase die zwar eine genauere Anpassung an die gemessenen Werte ermoumlglichen aber auch kompli-zierter sind oder mehr Arbeit bei der Bestimmung der charakteristischen Parameter erfordern Im Folgenden seien als Beispiele die Berthelot-Gleichung und die Virialgleichung erwaumlhnt

a Berthelot-Gleichung (P + (Ansup2)(TVsup2) ) (V - nB) = n R T Berthelot fuumlhrte damit als Besonderheit einen temperaturabhaumlngigen Binnendruck ein Dies ist insoweit physikalisch gerechtfertigt als die vermehrte thermische Bewegung der Ausbildung von Wechselwirkungen zwischen den Molekuumllen entgegenwirken kann

b Virialgleichung P Vm = A + B P + C Psup2 + D Psup3 + Mit Vm = Vn Die Virialgleichung nutzt die Tatsache dass sich fast alle physikalischen Zusammenhaumlnge uumlber einen Potenzreihenansatz a + bx + cxsup2 + dxsup3 + hellip beliebig genau annaumlhern lassen Je nach Anzahl der anpassbaren Parameter ist zwar eine beliebig genaue Beschreibung des realen Gases moumlglich allerdings steigt auch der Aufwand fuumlr die Bestim-mung aller Koeffizienten

36 Beschreibung von Fluumlssigkeiten

Im PV-Diagramm der realen Gase schlieszligt sich links vom Zweiphasengebiet der Bereich der fluumlssigen Phase an Sie zeichnet sich dadurch aus dass mit sinkendem Volumen der Druck ex-trem steil ansteigt Das bedeutet dass bereits eine geringfuumlgige Volumenabnahme mit einem aumluszligerst groszligen Druckanstieg verbunden ist In der Praxis hat das zur Folge dass Fluumlssigkeiten im Gegensatz zu Gasen kaum komprimierbar sind ihre Kompressibilitaumlt geht gegen Null Auch ist die Ausdehnung der Fluumlssigkeiten bei steigender Temperatur und bei konstantem

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Druck (der thermische Ausdehnungskoeffizient) sehr viel kleiner als bei Gasen Eine einfache allgemeine Zustandsgleichung fuumlr die fluumlssige Phase in Analogie zur idealen oder zur van-der-Waals-Gleichung existiert nicht Stattdessen findet man bei der experimentellen Bestimmung des Zusammenhangs zwischen P V und T fuumlr jede Fluumlssigkeit ein sehr charakteristisches Verhalten Vergleicht man die Messergebnisse verschiedener Fluumlssigkeiten untereinander so sind kaum Aumlhnlichkeiten auszumachen Daruumlber hinaus sind bestimmte Messungen (zB die Messung der Abhaumlngigkeit des Drucks vom Volumen bei konstanter Teilchenzahl und Temperatur) technisch sehr schwer zu realisieren Das Fehlen einer einheitlichen Zustandsgleichung V(TPn) fuumlr Fluumlssigkeiten liegt auch in deren komplexer Struktur begruumlndet Betrachtet man ein einzelnes Teilchen in der Fluumlssigkeit so liegt es bezuumlglich der Abstaumlnde zu seinen naumlchsten Nachbarn stets in der Naumlhe des Mini-mums einer Potentialkurve Epot(r) die einen sehr steilen Verlauf besitzt Die Abstaumlnde zu den benachbarten Teilchen sind damit nahezu fixiert folglich ist eine unabhaumlngige Translations-bewegung einzelner Teilchen praktisch unmoumlglich Stattdessen verlaufen alle Bewegungs-prozesse mehr oder weniger kollektiv also unter gleichzeitiger Verschiebung mehrerer Teilchen Daruumlber hinaus gibt es keine nennenswerten freien Volumina so dass der mittlere Abstand der Teilchen nur unwesentlich verringert werden kann ein Umstand der sich in der bereits erwaumlhnten geringen Kompressibilitaumlt aumluszligert Ein Modell fuumlr eine allgemeine Fluumlssigkeit laumlsst sich im Rahmen einer Computersimulation einfuumlhren Man betrachtet dabei einen wuumlrfelfoumlrmigen Raum der einen Ausschnitt aus dem Fluumlssigkeitsvolumen darstellen soll und eine endliche Anzahl n von Fluumlssigkeitsteilchen (zB n = 1000) enthaumllt Um die Zahl der Teilchen konstant zu halten und dabei trotzdem deren Beweglichkeit zu wahren wird eine Kontinuitaumltsbedingung eingefuumlhrt Jedes Teilchen das im Rahmen der Bewegungsprozesse den Wuumlrfel an einer gegebenen Stelle verlaumlsst tritt automatisch an der genau gegenuumlberliegenden Position des Wuumlrfels wieder ein Auf diese Weise ist gewaumlhrleistet dass die Zahl der Teilchen im Wuumlrfel konstant bleibt (Abb 26)

Abb 26 Simulation von Bewegungs-vorgaumlngen in einem Fluumlssigkeitsvolumen unter Wahrung einer konstanten Partikel-anzahl Jedes Teilchen das im Rahmen der Bewegungsprozesse den Wuumlrfel an einer gegebenen Stelle verlaumlsst tritt automatisch an der genau gegenuumlberliegenden Position des Wuumlrfels wieder ein

An diesem System fuumlhrt man nun eine so genannte Monte-Carlo-Simulation durch Dabei setzt ein Zufallsgenerator eine geringfuumlgige Verschiebung eines beliebigen einzelnen Teil-chens in Gang Anschlieszligend wird unter Verwendung des bekannten Potentialverlaufs Epot(r) berechnet wie sich nach der Verschiebung die potentielle Energie des Systems veraumlndert hat Danach entscheidet das Simulationsprogramm zwischen zwei Moumlglichkeiten

- Hat sich die gesamte potentielle Energie des Systems durch die Verschiebung verringert oder blieb sie konstant so wird die Verschiebung akzeptiert und der naumlchste Schritt berechnet - Hat sich die gesamte potentielle Energie durch die Verschiebung um den positiven Wert E erhoumlht so wird die Verschiebung mit einer Wahrscheinlichkeit die von E abhaumlngt akzeptiert und ansonsten verworfen Danach wird der naumlchste Schritt berechnet

Auf diese Weise kann man fuumlr beliebige Fluumlssigkeiten sowohl die typischen Bewegungs-prozesse als auch die einflussbedingten Veraumlnderung von Zustandsgroumlszligen (zB P in Ab-

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haumlngigkeit von V) berechnen Allerdings sind die Rechnungen bei den fuumlr eine realistische Beschreibung eines Fluumlssigkeitsvolumens notwendigen groszligen Teilchenzahlen sehr aufwaumlndig und zeitintensiv

37 Beschreibung von Festkoumlrpern

Begibt man sich im P-V-Diagramm vom fluumlssigen Zustand ausgehend noch weiter nach links (zu kleineren Volumina houmlheren Drucken und niedrigeren Temperaturen) so erreicht man den festen Zustand Die Problematik der Zustandsgleichung V(TPn) von Festkoumlrpern aumlhnelt jener der Fluumlssigkeiten Auch hier sind die Kompressibilitaumlten und die thermischen Aus-dehnungskoeffizienten uumlblicherweise sehr viel geringer als bei Gasen Ebenso wie bei Fluumls-sigkeiten sind dabei die Unterschiede zwischen einzelnen Vertretern der Festkoumlrper recht groszlig so dass keine gemeinsame Zustandsgleichung wie bei Gasen formuliert werden kann Im Vergleich mit den Werten der Fluumlssigkeiten sind die Kompressibilitaumlten und die thermischen Ausdehnungskoeffizienten der Festkoumlrper durchschnittlich nochmals um etwa zwei Groumlszligen-ordnungen geringer

Abb 27 Torsionsexperiment zur Unterscheidung zwischen Fluumlssigkeiten und Festkoumlrpern (s Text)

Der wesentliche Unterschied zwischen Festkoumlrpern und Fluumlssigkeiten besteht allerdings in ihrem gegensaumltzlichen Verhalten bezuumlglich Verformung waumlhrend Fluumlssigkeiten einer gege-benen Verformung durch ihre Zaumlhigkeit (Viskositaumlt) Widerstand leisten reagiert ein Fest-koumlrper auf eine Verformung durch eine elastische Deformation Dieses Verhalten wird in einem Torsionsrheometer deutlich wobei eine feste oder fluumlssige Probe periodisch mit einer torsionsartigen Verformung beaufschlagt wird (Abb 27) Waumlhrend der Drehmomentverlauf des Festkoumlrpers exakt gleichphasig zur periodischen Aus-lenkung erfolgt (elastische Verformung) ist der Drehmomentverlauf der Fluumlssigkeit dazu um ein Viertel einer Wellenlaumlnge phasenverschoben (viskose Reaktion) Bei Fluumlssigkeiten ist der Widerstand dann maximal wenn die Deformationsgeschwindigkeit maximal ist (blaue Linie

t

Dre

hmom

entv

erla

uf

tAusl

enku

ng

Festkoumlrper

t

Dre

hmom

entv

erla

uf

Fluumlssigkeiten

Pruumlfkoumlrper

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in Abb 26) Bei Festkoumlrpern ist die Kraft dann maximal wenn der Deformationszustandmaximal ist (rote Linie in Abb 27) Viele Festkoumlrper stellen Uumlbergaumlnge zwischen diesen beiden Extremfaumlllen dar und werden dann als viskoelastisch bezeichnet Aus der Betrachtung von Messergebnissen an einer Viel-zahl von Materialien geht hervor dass eine eindeutige Abgrenzung zwischen dem fluumlssigen und dem festen Zustand selten moumlglich ist Entsprechend gibt es auch unterschiedliche Strukturmodelle die teilweise das elastische Verhalten teilweise das plastische Verhalten von Festkoumlrpern erklaumlren Dem elastischen Festkoumlrper mit nahezu verschwindender Phasen-verschiebung wird am ehesten das Modell eines idealen Kristalls gerecht Man geht dabei davon aus dass jedes Atom bzw Molekuumll aus dem der Festkoumlrper zusammengesetzt ist sich an einem geometrisch festgelegten Gitterpunkt befindet von dem es sich nicht entfernen kann Als Bewegungsprozess ist dabei lediglich eine Schwingung mit begrenzter Amplitude moumlglich Die denkbaren Geometrien der Gitterstrukturen reichen von primitiv-kubischen Gittern (zB Natriumchlorid) uumlber kubisch-dichteste (zB Silber Kupfer) und hexagonal-dichteste Kugelpackungen (zB Magnesium Zink) bis zur kubisch-raumzentrierten Struktur (zB Eisen Molybdaumln) Haumlufig findet man leichte Abweichungen von der idealen Gitter-struktur die durch lokale Stoumlrungen hervorgerufen werden Akzeptiert man gewisse Anteile an viskosem Verhalten (dh eine leichte Phasenverschiebung) so begibt man sich in den Grenzbereich zwischen Festkoumlrpern und Fluumlssigkeiten In einem Material wie Glas ist die regelmaumlszligige Anordnung eines Gitters nicht gegeben die Atome sind unregelmaumlszligig positioniert und koumlnnen unter Belastung auch flieszligen Solche nicht-kristallinen Festkoumlrper bezeichnet man als amorph Typische Vertreter amorpher Feststoffe sind Fenster-glas viele transparente Kunststoffe (zB Plexiglas Polyester in Getraumlnkeflaschen) Wachs und Aumlhnliches Amorphe Festkoumlrper besitzen keinen Schmelzpunkt sondern erweichen bei steigender Temperatur allmaumlhlich Amorphe Festkoumlrper koumlnnen nachtraumlglich kristallisieren wobei sich haumlufig das aumluszligere Erscheinungsbild und die physikalischen Eigenschaften drastisch aumlndern (zB Plastikfolie unter Zug)

38 Das Phasendiagramm

Die drei wichtigsten Phasenzustaumlnde zu denen sich eine makroskopische Gesamtheit von Atomen oder Molekuumllen zusammenfinden koumlnnen sind also Gase Fluumlssigkeiten und Festkoumlrper Die Frage ist nun unter welchen Bedingungen sich ein System fuumlr den ersten den zweiten oder den dritten Zustand entscheidet Erfahrungsgemaumlszlig haumlngt der gegebene Phasenzustand von den in Kapitel 31 eingefuumlhrten Zustandsparametern n V P und T ab Legt man die Stoffmenge n auf einen Wert fest (zB auf ein Mol Teilchen) und beruumlcksichtigt man dass nach den gegebenen Zustandsgleichungen die Groumlszligen n V P und T miteinander verknuumlpft sind so genuumlgen zwei Parameter um den jeweils guumlnstigsten Phasenzustand eindeutig festzulegen Ein Diagramm bei dem einer der Parameter V P und T gegen einen anderen aufgetragen wird eignet sich also prinzipiell um bei einer gegebenen Teilchenart den unter diesen Bedingungen jeweils angestrebten Phasenzustand zu markieren So kann man gemaumlszlig den Abbildungen 23 bis 25 in einem Diagramm bei dem P gegen V aufgetragen wird schon den jeweils gegebenen Phasenzustand eintragen und ablesen In der Praxis eignen sich solche PV-Diagramme allerdings wenig um Phasenzustaumlnde zu markieren der gasfoumlrmige Zustand nimmt einen sehr breiten Raum ein waumlhrend der fluumlssige und der feste Zustand in dem sehr engen Bereich links neben dem Zweiphasengebiet bdquoeingequetschtldquo waumlre Vor allem in diesem Umfeld waumlre das Diagramm schwer ablesbar

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Wesentlich guumlnstiger ist dagegen die Auftragung vom Druck P gegen die Temperatur T In diesem PT-Diagramm das auch als Phasendiagramm bezeichnet wird lassen sich alle Phasenzustaumlnde uumlbersichtlich zuordnen Dabei bezeichnen Flaumlchenanteile im PT-Diagramm die unter den gegebenen Druck- und Temperaturbedingungen angestrebte Phase (zB fest fluumlssig gasfoumlrmig) waumlhrend Linien die dazwischen vorliegenden Gleichgewichte markieren und Phasengrenzlinien genannt werden (Abb 28)

T

Pfe

st

fluumlss

ig

gasfouml

rmig

kritischerPunkt

Tripel-punkt

Phasengrenzlinie

Abb 28 Phasendiagramm mit Auftragung des Drucks (P) gegen die Temperatur (T)

Auszligerdem enthaumllt ein Phasendiagramm gewoumlhnlich mindestens zwei besonders ausgezeich-nete Punkte den Tripelpunkt an dem die drei im Allgemeinen wichtigsten Phasenzustaumlnde fest fluumlssig und gasfoumlrmig miteinander im Gleichgewicht stehen und den bereits aus dem PV-Diagramm bekannten kritischen Punkt der das Ende eines definierten Uumlbergangs zwischen fluumlssiger und gasfoumlrmiger Phase markiert Beispiele fuumlr Phasendiagramme Kohlen-dioxid und Wasser sind in Abbildung 29 und 30 wiedergegeben

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T

P

fest

fluumlss

iggasfoumlrmig

kritischerPunkt

Tripel-punkt

2168 K

511 bar

CO2

3042 K

728 bar

Abb 29 Phasendiagramm fuumlr Kohlendioxid

T

P

fluumlss

ig

gasfoumlrmig

kritischerPunkt

H2O

Eis 1

Eis 1

Eis 2 Eis 3

Eis 5

Eis 6

Tripelpunkt6473 K

218 bar

6 mbar 27316 K

Abb 30 Phasendiagramm fuumlr Wasser Der Bereich oberhalb von 200 bar ist aus Gruumlnden der

Uumlbersichtlichkeit entlang der P-Achse komprimiert dargestellt

Eine wichtige Besonderheit des Phasenverhaltens von Wasser ist die Tatsache dass die Phasengrenzlinie zwischen fluumlssigem Wasser und Eis 1 eine negative Steigung aufweist Dies hat zur Folge dass gewoumlhnliches Eis durch Erhoumlhung des Drucks zum Schmelzen gebracht werden kann Dieser Umstand ist eine der Ursachen dafuumlr dass eine Kufe auf Eis gleitet da der durch das Schmelzen entstehende Wasserfilm die Reibung vermindert (allerdings spielt hier auch die Reibungswaumlrme eine Rolle) Der Grund fuumlr dieses Verhalten steht in direkter Verbindung mit der strukturbedingten Volumenabnahme beim Schmelzen von Eis (s Videos unter httpwwwyoutubecomwatchv=6s0b_keOiOU und httpswwwyoutubecomwatchv=CDTZoFGmZoc )

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Waumlhlt man in einem Phasendiagramm eine Kombination von Druck und Temperatur so kann man direkt denjenigen Phasenzustand ablesen den die gegebene Teilchenart unter diesen Bedingungen anstrebt Das heiszligt jedoch nicht dass dieser Zustand dann auch in jedem Fall und zu jeder Zeit vorliegt Haumlufig beobachtet man eine so genannte kinetische Hemmung einer Phasenumwandlung So gibt es unterkuumlhlte Fluumlssigkeiten (zB Regentropfen bei -3degC) genauso wie unterkuumlhlte Dampfphasen (zB uumlbersaumlttigten Wasserdampf in Gewitterwolken) oder uumlberhitzte Fluumlssigkeiten (zB uumlberhitztes Wasser bei einem Siedeverzug) Kristalli-sationskeime wie Staubkoumlrner koumlnnen Phasenumwandlungen beschleunigen (zB durch Staub verursachter bdquoIndustrieschneeldquo) Bisher wurden lediglich Phasendiagramme von reinen Stoffen betrachtet die nur aus einer einzelnen Sorte Atomen oder Molekuumllen bestehen Mischt man einem gegebenen Stoff eine weitere Komponente hinzu so aumlndert sich das Phasendiagramm erheblich Als Beispiel betrachten wir ein System in dessen fluumlssiger Phase ein Fremdstoff A geloumlst wird der weder im Festkoumlrper noch im der Gasphase loumlslich ist (zB Kochsalz in Wasser) In diesem Fall dehnt sich der fluumlssige Bereich des Phasendiagramms mit steigender Konzentration von A in alle Richtungen aus so dass gleichzeitig der Schmelzpunkt erniedrigt der Siedepunkt erhoumlht und der Dampfdruck verringert wird (Abb 31) In erster Naumlherung sind alle genannten Aumlnderungen proportional zu cA

T

P

fest

fluumlss

ig

gasfouml

rmig

Abb 31 Phasendiagramm fuumlr ein System in dessen fluumlssiger Phase ein Fremdstoff mit steigender

Konzentration cA geloumlst wird Der Bereich der fluumlssigen Phase dehnt sich daraufhin in alle

Richtungen aus

Bei weiter steigender Konzentration von A kann ein Punkt erreicht werden an dem die Mischung in zwei getrennte Bereiche zerfaumlllt die ebenfalls als Phasen bezeichnet werden (zB Olivenoumll und Wasser) Eine dieser Phasen besitzt dann einen hohen Loumlsemittelanteil bei geringer Konzentration von A die andere besteht aus einem hohen Anteil an A mit einem geringen Gehalt an Loumlsemittel Dieser Vorgang der Phasenseparation binaumlrer (aus zwei Komponenten bestehender) Systeme wird durch eine andere Art von Phasendiagramm beschrieben dem so genannten Mischphasendiagramm (Abb 32) Hierbei wird die Tempe-

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ratur dem relativen Anteil einer Komponente gegenuumlbergestellt der Druck wird als konstant angenommen

Abb 32 Allgemeine Darstellung eines Mischphasendiagramms

Grundsaumltzlich gibt die linke Flanke der Phasentrennlinie (links des kritischen Punkts) die Zusammensetzung der bdquoA-armenldquo Phase an waumlhrend die rechte Flanke (rechts des kritischen Punkts) die Zusammensetzung der A-reichen Phase beschreibt Die Mengen der dabei gebildeten Phasen koumlnnen nach dem so genannten Hebelgesetz berechnet werden Demnach gilt zwischen dem Anteil n1 der A-armen Phase 1 dem Anteil n2 der A-reichen Phase 2 und den Laumlngen der Pfeile s1 und s2 in der vorhergehenden Abbildung folgender Zusammenhang

n1 s1 = n2 s2

Fuumlr das gezeigte Beispiel wuumlrde das bedeuten dass der Anteil der Phase 1 etwa doppelt so groszlig waumlre wie der Anteil der Phase 2 In der Naumlhe der beiden Raumlnder des Diagramms also fuumlr xA 0 (sehr wenig A im Loumlsemittel) oder xA 1 (sehr wenig Loumlsemittel in A) liegen in den meisten Faumlllen einphasige homogene Mischungen vor Das besagt dass auch bei niedrigen Temperaturen ein wenig von dem Stoff A im Loumlsemittel bzw ein wenig Loumlsemittel im Stoff A loumlslich ist Der im Diagramm eingezeichnete kritische Punkt bedeutet dass oberhalb der dazugehoumlrigen kritischen Temperatur keine Entmischung mehr erfolgt dh hier sind die beiden Komponenten vollstaumlndig und in jedem Verhaumlltnis miteinander mischbar Neben solchen oberen kritischen Punkten gibt es auch untere kritische Punkte Im zweiten Fall gilt dass die beiden Komponenten unterhalb einer bestimmten Temperatur in jedem Verhaumlltnis miteinander mischbar sind Im Allgemeinen koumlnnen die drei verschiedenen Faumllle auftreten die in Abbildung 33 dargestellt sind

0 Molenbruch xA der Komponente A 1

Tem

pera

tur

obere kritischeTemperatur

Einphasen-gebiet

Zweiphasen-gebiet

Beispiel xA = 04

T1

Zum gezeigten Beispiel

Eine Mischung mit dem Molenbruch xA = 04 wird von T2 nach T1 abgekuumlhltDabei zerfaumlllt die Mischung bei Tklsquo in zwei Phasen derenZusammensetzung bei T1auf der x-Achse an den Punkten 1 und 2 ablesbar ist

T2

Tklsquo

1 2

kritischer Punkt

s1 s2

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0 xA 1

Tem

pera

tur

System mit oberem kritischen Punkt

kritischer Punkt

0 xA 1Te

mpe

ratu

r

System mit unterem kritischen Punkt

kritischer Punkt

0 xA 1

Tem

pera

tur

System mit oberem und unterem

kritischen Punkt

kritischer Punkt

kritische Punkte

Abb 33 Moumlgliche Varianten von kritischen Punkten bei Systemen aus zwei Komponenten

Obere kritische Punkte findet man dann wenn sich die molekulare thermische Bewegung gegen die Tendenz der Molekuumlle sich mit gleichartigen Molekuumllen zusammenzulagern durchsetzt Dieses Phaumlnomen ist sehr verbreitet so dass ein oberer kritischer Punkt bei sehr vielen Mischphasen beobachtet wird Untere kritische Punkte sind sehr viel seltener Sie treten beispielsweise dann auf wenn die beiden Komponenten miteinander bei tiefen Temperaturen einen Komplex bilden der bei houmlheren Temperaturen wieder zerfaumlllt und dann zu einer Phasenseparation fuumlhrt Ein Beispiel dafuumlr ist die Mischung aus Wasser und Triethylamin

Fuumlr Mischphasen aus drei Komponenten so genannte ternaumlre Mischungen sind die bisher gezeigten Darstellungen ungeeignet Hierfuumlr haben sich Dreiecksdiagramme (Gibbssches Phasendreieck) durchgesetzt die das Phasenverhalten unter Variation der Mengenbeitraumlge aller drei Komponenten aufzeigen (Abb 34) Das Diagramm ist so geartet dass die Summe aller drei Mengenanteile xA xB und xC in jedem Fall den Wert 1 ergibt Damit besitzt die Zusammensetzung des ternaumlren Gemisches zwei Freiheitsgrade Jede Linie die durch eine Ecke des Diagramms fuumlhrt verbindet diejenigen Punkte bei denen das Verhaumlltnis zweier Komponenten gleich ist Jede Linie die parallel zu einer der drei Seiten verlaumluft entspricht Gemischen bei denen der relative Anteil einer Komponente gleich bleibt

00 02 04 06 08 10Komponente A

00

02

04

06

08

10

Kom

pone

nte

B

0002

04

06

08

10

Komponente C

C

A

B

00 02 04 06 08 10Komponente A

00

02

04

06

08

10

Kom

pone

nte

B

00

02

04

06

08

10

Komponente C

x1

x2x

Abb 34 Prinzip eines ternaumlren Phasendiagramms nach Gibbs (Dreiecksdiagramm)

In solche ternaumlren Mischphasendiagramme lassen sich nun entsprechend den binaumlren Mischphasendiagrammen die Ein- und Zweiphasengebiete einzeichnen Das Diagramm in

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Abb 34 rechts gilt zB fuumlr eine ternaumlre Mischung aus A B und C bei der die Komponenten A und B sowie B und C jeweils paarweise in jedem Verhaumlltnis miteinander mischbar sind Die Komponenten A und C sollen dagegen nur begrenzt mischbar sein Als Konsequenz daraus ergibt sich ein Dreiecksdiagramm das an der unteren Achse die dem Anteil 0 der Komponente B entspricht ein Zweiphasengebiet aufweist

Die Hilfslinien im Zweiphasengebiet markieren die Zusammensetzung der entstehenden Einzelphasen So wuumlrde beispielsweise eine Mischung deren Zusammensetzung im Diagramm durch den Punkt x markiert ist in die beiden Phasen x1 und x2 zerfallen Die Mengenanteile der beiden Phasen koumlnnten dabei wieder uumlber das Hebelgesetz berechnet werden Um zusaumltzlich den Einfluss der Temperatur wiederzugeben muss eine weitere Koordinate eingefuumlhrt werden Man erhaumllt dabei ein dreidimensionales Dreiecksdiagramm das haumlufig unter Verwendung von Houmlhenlinien nach der Art einer topographischen Landkarte dargestellt wird Jede Houmlhenlinie des Zweiphasengebiets umschreibt dann seine Ausdehnung bei einer gegebenen Temperatur

Fragt man bei einem System mit bestehenden Randbedingungen nach der Zahl der frei variierbaren Zustandsgroumlszligen also nach der Zahl der Freiheitsgrade so haumlngt die Antwort zunaumlchst davon ab in welchem Phasenzustand sich das System befindet So kann man beispielsweise in der Gasphase (bei festgelegter Stoffmenge) Temperatur und Druck frei waumlhlen wodurch dann automatisch das Volumen festgelegt wird Gleiches gilt fuumlr die feste und die fluumlssige Phase Das System hat innerhalb eines Phasenzustands also zwei Freiheits-grade Setzt man allerdings voraus dass sich das System in einem Gleichgewicht zwischen zwei Phasen befindet (zB auf der Verdampfungslinie) so besitzt es nur einen Freiheitsgrad Am Tripelpunkt schlieszliglich bei einem Gleichgewicht zwischen drei Phasen sind keine Freiheitsgrade mehr vorhanden Zwischen der Zahl der Phasen P und der Zahl der Freiheitsgrade F gibt es also folgende einfache Beziehung

F = 3 - P

Beruumlcksichtigt man weiter dass auch mehr als eine Komponente auftreten kann (Zahl der Komponenten C gt 1) so erhoumlht sich die Zahl der Freiheitsgrade um jede zusaumltzliche Komponente deren Konzentration ja frei waumlhlbar ist um den Wert eins Man erhaumllt damit

F = 3 - P + (C - 1) oder F = C - P + 2

Nach dieser allgemeinguumlltigen Formel der so genannten Gibbsrsquoschen Phasenregel laumlsst sich die Zahl der Freiheitsgrade in jedem beliebigen System bestimmen Sie erlaubt insbesondere bei sehr komplizierten Mischungen mit einer unbekannten Anzahl an Phasenzustaumlnden uumlber eine einfache Betrachtung Ruumlckschluumlsse auf deren Phasenverhalten

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ist erneut eine Vereinfachung noumltig die als Born-Oppenheimer-Naumlherung gilt Dabei nimmt man an dass der Ort der beiden Atomkerne festgelegt ist obwohl die dazwischen befind-lichen Elektronen durch Wellenfunktionen beschrieben werden Dadurch erspart man sich die Komplikation eines moumlglicherweise zeitlich variablen Kernabstands Gerechtfertigt wird diese Naumlherung dadurch dass die Atomkerne um ein Vielfaches schwerer sind als die Elektronen ihre Bewegungen daher um ein Vielfaches langsamer Mit dieser Naumlherung fuumlhren wir nun folgendes Gedankenexperiment durch wir betrachten zwei Wasserstoffatome mit unendlichem Abstand zueinander Ihre Elektronen befinden sich beide im energetischen Grundzustand besitzen aber unterschiedlichen Spin so dass ihnen die beiden Quantenzahlsaumltze (100+12) und (100-12) zukommen Damit wird dem Pauli-Prinzip Genuumlge getan so dass die beiden Atome nun zusammengeruumlckt werden duumlrfen Je naumlher die beiden Atome einander kommen umso mehr bdquofuumlhltldquo das Elektron des einen Atoms den Kern des anderen so dass die Wellenfunktionen des ungestoumlrten Wasserstoffatoms nun keine guumlltigen Loumlsungen mehr darstellen Es muumlssen also neue molekulare Wellenfunktionen gefunden werden Diese Molekuumllorbitale bildet man am einfachsten indem man Kombina-tionen aus den zuvor guumlltigen Atomorbitalen bildet Wichtig ist es handelt sich dabei nicht um eine einfache Uumlberlappung zwischen den bestehenden Atomorbitalen sondern um die rechnerische Bildung eines neuen Orbitals Im Fall des Wasserstoffatoms im Grundzustand sind zwei solcher Kombinationen moumlglich Vereinfachend kann man das eine entstehende Molekuumllorbital als normierte additive Kombination aus den beiden einzelnen s-Atomorbitalen betrachten (Abb 9 oben links) Es wird als bindendes σ-Molekuumllorbital bezeichnet besitzt eine niedrigere Energie als das s-Atomorbital und weist zwischen den beiden Atomkernen eine hohe Elektronendichte (ein hohes Ψsup2) auf Sein Gegenstuumlck wird entsprechend aus einer Art normierter subtraktiver Kombination der beiden urspruumlnglichen s-Orbitale gebildet (Abb 9 oben rechts) Es wird als antibindendes σ-Molekuumllorbital bezeichnet besitzt eine houmlhere Energie als das s-Atomorbital und weist zwischen den beiden Atomkernen eine niedrige Elektronendichte (ein kleines Ψsup2) auf An einer Stelle besitzt letztere sogar den Wert Null Die bisher vorhandenen Atomorbitale existieren nun nicht mehr

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Abb 9 Darstellung von bindenden (links oben) und antibindenden Molekuumllorbitalen (rechts oben) im Wasserstoffmolekuumll H2 Das Energiediagramm links unten veranschaulicht die Bildung eines bindenden σ-Molekuumllorbitals im Fall von Wasserstoff H2 Das Diagramm rechts unten verdeutlicht die Situation in einem fiktiven Helium-Molekuumll He2 bei dem neben dem bindenden σ-Molekuumllorbital auch das antibindende σ-Molekuumllorbital besetzt wuumlrde Zweiatomiges Helium ist demzufolge nicht stabil

Die hohe Elektronendichte des bindenden σ-Orbitals im Bereich zwischen den Kernen bewirkt dass sich anziehende elektrostatische Wechselwirkungen Kern-Elektron-Kern aus-bilden koumlnnen es haumllt also das Molekuumll zusammen (deswegen bdquobindendldquo) Da das bindende σ-Orbital die niedrigere Energie besitzt wandern die zwei Elektronen des Wasserstoffmole-kuumlls beide (mit unterschiedlichen Spins) in diese Position Damit verbunden ist ein Energie-gewinn der den gebundenen Zustand beguumlnstigt Zur Trennung des Molekuumlls muss Energie aufgebracht werden Das antibindende σ-Orbital weist am Ort zwischen den Kernen die Elektronendichte Null auf Damit dominiert hier die abstoszligende elektrostatische Wechselwirkung Kern-Kern dazu-hin ist es energetisch unguumlnstiger Bei einem fiktiven Helium-Molekuumll (Abb 9 unten rechts) muss wegen der Zahl von vier Elektronen auch dieses σ-Orbital doppelt besetzt sein Dadurch wird sowohl der Energiegewinn als auch die anziehende Wechselwirkung des bindenden σ-Orbitals kompensiert so dass dieses Molekuumll insgesamt nicht stabil ist Grundsaumltzlich sind alle urspruumlnglichen Atomorbitale nach der Bildung des Molekuumlls ver-schwunden alle insgesamt vorhandenen Elektronen werden auf die neu gebildeten Molekuumll-orbitale verteilt Ist das Niveau der Atomorbitale vor der Bildung eines gemeinsamen Mole-kuumllorbitals sehr unterschiedlich so erhaumllt man eine polare kovalente Bindung bei der der Schwerpunkt der Elektronendichte auf der Seite des urspruumlnglich energieaumlrmeren Orbitals

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liegt Im Grenzfall extremer Polaritaumlt erhaumllt man eine Ionenbindung (s oben) Sind sehr viele gleichartige Orbitale an der Bildung des Molekuumllorbitals beteiligt so koumlnnen sich groszlige Delokalisationsgebiete ausbilden Im Extremfall eines Delokalisationsgebiets das sich uumlber ein ganzes Kristallgitter erstreckt spricht man von einer metallischen Bindung (s oben) Die Molekuumllorbitaltheorie (kurz MO-Theorie) ist also in der Lage saumlmtliche Bindungsarten zu beschreiben Energiediagramme wie in Abb 9 unten werden als MO-Schemata bezeichnet Fuumlr zwei-atomige Molekuumlle moumlgen sie noch recht uumlbersichtlich aussehen bei vielatomigen Molekuumllen sind sie dagegen meistens unuumlberschaubar Mit Hilfe leistungsfaumlhiger Computer lassen sich solche Molekuumllorbitale noch rechnerisch erfassen allerdings steigt der Rechenaufwand (und damit die Rechenzeit und die Kosten) mit steigender Molekuumllgroumlszlige sehr rasch an In diesem Fall kann man auf eine vereinfachende Betrachtung ausweichen die so genannte Valence-Bond-Theorie (VB-Theorie Valenzbindungstheorie) Sie wurde in Konkurrenz zur MO-Theorie entwickelt und beinhaltet eine wesentliche zusaumltzliche Naumlherung Sie ist dadurch deutlich weniger genau allerdings auch wesentlich einfacher anwendbar und in der Praxis die beste Methode um rasch und anschaulich Molekuumllgeometrien und Reaktionsmechanismen erklaumlren zu koumlnnen Im Gegensatz zur MO-Theorie geht man bei der VB-Theorie im Grundsatz davon aus dass auch im Molekuumll noch die urspruumlnglichen Atomorbitale existieren Der VB-Theorie nach entsteht die chemische Bindung dadurch dass zwei halb besetzte Atomorbitale der beiden benachbarten Atome A und B uumlberlappen Das bdquoUumlberlappungsorbitalldquo wird dann in der Regel durch die beiden resultierenden Elektronen (eines von A und eines von B) besetzt wobei das wiederum voraussetzt dass sie einen unterschiedlichen Spin aufweisen Jedes durch solche bdquoUumlberlappungldquo gebildete Orbital entspricht einer Bindung Der Einfachheit halber nimmt man an dass die anderen Atomorbitale nicht an der Bindung teilnehmen und somit unveraumlndert bleiben Aufgrund dieser doch recht groben Naumlherung kommt es bei der VB-Betrachtung von einfa-chen Molekuumllen wie Wasser Methan oder Ammoniak sehr schnell zu Problemen Zunaumlchst einmal sind die erhaltenen Bindungswinkel unrealistisch aufgrund der Tatsache dass in allen genannten Faumlllen p-Orbitale beteiligt sind resultiert aus dem VB-Modell immer wieder ein Bindungswinkel von 90deg wohingegen die tatsaumlchlichen Bindungswinkel deutlich groumlszliger sind (Wasser 1045deg Methan 109deg) Ein noch groumlszligeres Problem stellen zB die Bindungs-verhaumlltnisse des Kohlenstoffs dar eigentlich sollte man nach der VB-Theorie fuumlr eine Ver-bindung zwischen Kohlenstoff und Wasserstoff ein bdquoCH2ldquo mit einem Bindungswinkel von 90deg erwarten wobei die zwei jeweils halbbesetzten p-Orbitale des Kohlenstoffs Bindungs-anzahl und ndashwinkel vorgeben Dieser Mangel der VB-Theorie kann weitgehend repariert werden indem man die Schritte der Promotion und der Hybridisierung einfuumlhrt Beide Vorgaumlnge sind dabei nicht als natuumlrliche Prozesse sonder eher als hypothetische Hilfskonstruktionen zu verstehen die lediglich dazu dienen die Maumlngel der VB-Theorie auszuheilen Letztlich ermoumlglichen sie es mit Hilfe von Linearkombinationen aus Atomorbitalen und deren Uumlberlappungszonen den tatsaumlchlich vor-liegenden Molekuumllorbitalen naumlherzukommen

Der erste dazu notwendige Schritt die Promotion dient dazu die fuumlr die gegebene Zahl an Bindungen notwendige Zahl an ungepaarten Elektronen zu schaffen Dazu werden dann einfach Orbitale houmlherer Energie besetzt Im Fall des vierbindigen Kohlenstoffs bedeutet das beispielsweise dass ein s-Elektron an den bereits halbbesetzten px- und py-Orbitalen vorbei auf das energiereichere pz-Orbital gehoben wird Aus der Elektronenkonfiguration

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wird somit 1s 2s 2p

Dieser hypothetische Vorgang kommt einer gewissen Energieerhoumlhung gleich die allerdings dadurch abgemildert wird dass ein nach der ersten Hundschen Regel (bdquobus seat ruleldquo) guumlnsti-gerer Zustand mit ungepaarten Spins entsteht Die vier nunmehr halbbesetzten Orbitale sind in Abbildung 10 dargestellt

Abb 10 Darstellung der vier an der sp3-Hybridisierung des Kohlenstoffs beteiligten Orbitale 2s 2px 2py und 2pz(Quelle Chemgapedia)

Anschlieszligend erfolgt nun die Hybridisierung eine Art Vermischung (oder mathematisch korrekter die Bildung von Linearkombinationen) des s- mit den drei p-Orbitalen Dadurch entstehen Orbitale in gleicher Anzahl aber mit voumlllig neuer Form Symmetrie und Orien-tierung im Raum

Abb 11 Darstellung der vier aus der sp3-Hybridisierung des Kohlenstoffs resultierenden Hybridorbitale Die Ausrichtung der sp3-Hybridorbitale folgt den vier Raumdiagonalen eines Wuumlrfels oder ndash wenn man nur die groumlszligeren Segmente der Orbitale betrachtet ndash den Ecken eines Tetraeders (Quelle Chemgapedia)

Die vier neuen wiederum jeweils halbbesetzten Orbitale zeigen vom Kern aus zu den Ecken eines Tetraeders Mit ihrer Hilfe laumlsst sich nun zwanglos die Bildung des bekannten Methan-Molekuumlls CH4 erklaumlren jedes einzelne sp3-Hybridorbital uumlberlappt mit jeweils einem s-Orbi-tal eines Wasserstoffatoms wodurch eine tetraedrische Molekuumllgeometrie mit vier voumlllig gleichberechtigten Bindungen entsteht Das Ergebnis kommt den tatsaumlchlich vorhandenen Molekuumllorbitalen die sich gemaumlszlig dem MO-Modell formulieren lassen sehr nahe Festzu-halten ist dabei dass es sich sowohl bei der Promotion als auch bei der Hybridisierung um rein fiktive Prozesse handelt die lediglich postuliert werden um den VB-Ansatz zu bdquorettenldquo Der grundsaumltzliche Mangel der darin besteht dass das VB-Modell uumlberwiegend auf Atom-orbitalen beharrt die eigentlich nicht mehr existieren bleibt bestehen Viele Molekuumllgeome-trien lassen sich in der VB-Theorie nur mit Hilfe einer passenden Hybridisierung erklaumlren Dennoch das VB-Modell ist fuumlr die meisten Anwendungen in der Chemie nach wie vor der am haumlufigsten gewaumlhlte Ansatz er ist einfach intuitiv und vielseitig einsetzbar solange man die richtige Form der Hybridisierung waumlhlt Letzteres geschieht auf der Grundlage einer bekannten Molekuumllgeometrie oder unter Beruumlcksichtigung von vorhandenen Mehrfachbindun-gen Im Idealfall aumlhneln die gebildeten Hybridorbitale dann den wirklichen Molekuumllorbitalen

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In der folgenden Tabelle sind die haumlufigsten Hybridisierungsvarianten zusammengefasst und verschiedenen Molekuumllgeometrien zugeordnet Bei gegebener Geometrie des Molekuumlls (z B die trigonal-planare Anordnung um jedes Kohlenstoffatom im Ethylen) kann man so auf die passende Hybridisierung schlieszligen (im gegebenen Fall das sp2-Hybrid)

Tabelle 1 Wichtige Hybridisierungszustaumlnde nach dem VB-Modell

Hybridisierung Promotion Koordinationszahl Geometrie Beispiele

sp uarruarr suarr puarr 2 linear Acetylen Propadien

sp2 uarruarruarr suarr puarruarr 3 trigonal-planar Ethylen Benzol

sp3 uarruarruarruarr suarr puarruarruarr 4 tetraedrisch Methan Ammoniak

sp3d uarruarruarruarruarr suarr puarruarruarr duarr 5 trigonal-bipyramidal

Phosphor-pentachlorid

sp3d2 uarruarruarruarruarruarr suarr puarruarruarr duarruarr 6 oktaedrisch Schwefel-hexafluorid

Die so entstehenden Hybridorbitale kommen in ihrer raumlumlichen Darstellung den tatsaumlchli-chen Molekuumllorbitalen teilweise recht nahe sie korrigieren somit die VB-Theorie in gewissem Sinne in Richtung der MO-Theorie Allerdings bleibt festzuhalten dass die VB-Theorie keine antibindenden Orbitale kennt diese bleiben einfach unberuumlcksichtigt Dies ist eine gravie-rende Schwaumlche der VB-Theorie die sich an vielen Stellen bemerkbar macht (zB bei der Erklaumlrung des Sauerstoff-Biradikals in der Spektroskopie und bei bestimmten Reaktions-typen)

19 Elektronegativitaumlt und Polaritaumlt

In einer chemischen Bindung zwischen verschiedenen Elementen besitzen die beteiligten Atome fuumlr gewoumlhnlich unterschiedliche Tendenzen die Bindungselektronen an sich zu ziehen Bei der Betrachtung der Energieschemata im MO-Modell aumluszligert sich dies darin dass ein bindendes Molekuumllorbital aus einer Linearkombination zweier Atomorbitale mit sehr unterschiedlicher Energie hervorgeht In diesem Fall besitzt das bindende Molekuumllorbital die Tendenz hohe Elektronendichten in der Naumlhe des Elements aufzuweisen dessen Atomorbital energetisch guumlnstiger liegt Man spricht dann von einer hohen Elektronegativitaumlt dieses Elements da es in dem gebundenen Zustand durch die erhoumlhte Elektronendichte eine partiell negative Ladung aufweist Ein klassisches Beispiel ist die Verbindung Fluorwasserstoff (HF) Hier wird ein bindendes Molekuumllorbital aus der Linearkombination zwischen dem 1s-Orbital des Wasserstoffs mit einem 2p-Orbital des Fluors gebildet Letzteres liegt aufgrund der relativ hohen Kernladung und des geringen Atomradius des Fluors energetisch wesentlich tiefer wodurch sich eine stark asymmetrische Elektronenverteilung ergibt Die Elektronegativitaumlt wird in erster Linie durch die Kernladung vor allem aber auch durch den Abstand zwischen den Valenzelektronen und dem Atomkern bestimmt Daher sind auch kleine Atome wie zum Beispiel der Stickstoff der Sauerstoff oder das Fluor auch besonders elektronegativ (s Tabelle Seite 12) Im Periodensystem der Elemente nimmt die Elektro-negativitaumlt tendenziell nach oben und nach rechts zu (Edelgase ausgenommen) Linus Pauling

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schlug vor die Elektronegativitaumlt ausgehend von der VB-Theorie als dimensionslose Kenn-groumlszlige fuumlr jedes einzelne Element einzufuumlhren Sie errechnet sich aus einem Vergleich der Dissoziationsenergien der beteiligten Elemente Demnach besitzt Francium als das am wenigsten elektronegative Element den Wert 070 und Fluor als das am staumlrksten elektro-negative Element den Wert 398 Eine Zwischenstellung nimmt zB Wasserstoff mit 220 ein Bei Bindungen zwischen Elementen mit unterschiedlicher Elektronegativitaumlt spricht man von polaren Bindungen Entlang einer polaren Bindung baut sich durch die ungleiche Elektronen-verteilung ein entsprechendes Dipolmoment auf das haumlufig Anlass fuumlr starke zwischen-molekulare Kraumlfte liefert (s Kapitel 3) Im Extremfall einer sehr polaren kovalenten Bindung kann das Bindungselektron (bzw die Bindungselektronen) praktisch allein dem elektronega-tiveren Element zugesprochen werden Das entsprechende Bindungsorbital besteht dann als Linearkombination von Atomorbitalen fast ausschlieszliglich aus einem Atomorbital welches das elektronegativere Element beisteuert In diesem Fall spricht man nach klassischer Definition von einer Ionenbindung

2 Die Elektronenspektroskopie an Atomen und Molekuumllen 21 Grundlagen der Spektroskopie

Elektronen in Atomen und Molekuumllen koumlnnen ndash soweit die Erkenntnis aus Kapitel 1 ndash durch Wellenfunktionen beschrieben werden Aus diesen kann man nicht nur die Aufenthaltswahr-scheinlichkeit an verschiedenen Positionen im Raum sondern auch die Energie des Elektrons ableiten Eine Folge der Beschraumlnkung der Elektronen auf bestimmte Wellenfunktionen mit jeweils bestimmter Energie ist dass sie auch nur in bestimmten Schritten Energie aufnehmen und abgeben koumlnnen Jede Aufnahme bzw Abgabe von Energie entlang dieses Schrittes ist generell mit der Aufnahme bzw Abgabe von elektromagnetischer Strahlung verbunden Diese Tatsache bildet die Grundlage der Spektroskopie im gegebenen Fall der Elektronenspektros-kopie

Allgemein gesprochen befasst sich die Spektroskopie mit der Wechselwirkung zwischen Strahlung und Materie Etwas genauer laumlsst sich aussagen dass die Spektroskopie unter-sucht mit welcher elektromagnetischen Strahlung sich welcher energetische Uumlbergang anre-gen laumlsst Zwischen der elektromagnetischen Strahlung und dem dabei bewirkten energeti-schen Uumlbergang gilt dann grundsaumltzlich folgende Beziehung Δ E = h ∙ ν mit ΔE als der Energiedifferenz zwischen den beiden Zustaumlnden (in Joule) ν (gesprochen bdquonuumlldquo) als Frequenz der verwendeten elektromagnetischen Strahlung (in 1s oder Hertz Hz) und h als dem so genannten Planckschen Wirkungsquantum (mit h = 6626∙10-34 Js) Somit ist jeder Frequenz ν im elektromagnetischen Spektrum (Abb 12) genau ein Energiewert Δ E zugeordnet Die dazugehoumlrige Wellenlaumlnge im Vakuum (in m) errechnet sich nach λ = c ν mit c als Lichtgeschwindigkeit (im Vakuum c = 299 792 458 ms)

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Abb 12 Elektromagnetisches Spektrum (Quelle Chemgapedia)

Fuumlr die genaue Messung welche Frequenz der elektromagnetischen Strahlung einem gegebe-nen Uumlbergang anzuregen vermag gibt es experimentell zwei verschiedene Ansaumltze Entweder man strahlt Energie auf das System ein und beobachtet den Verlust an Strahlungsintensitaumlt der dann beobachtet wird wenn die Strahlung einen Uumlbergang zu einem houmlheren Energieni-veau bewirkt (Absorption) oder man fuumlhrt dem System Energie zu (zum Beispiel thermisch) und beobachtet dann die Freisetzung von Energie als Strahlung (Emission) Im einen Fall erfuumlllt die Frequenz der absorbierten Strahlung im anderen Fall die der emittierten Strahlung die Frequenzbedingung ΔE = h ∙ ν Mit beiden Methoden kann man so exakt den Energie-unterschied zwischen zwei Energieniveaus ausmessen Die Bestimmung der Werte fuumlr die charakteristischen Energieschritte ΔE eines Systems ist die Hauptaufgabe der Spektroskopie Sie eignet sich insbesondere um elektronische Wellenfunktionen eines Systems zu erkunden

22 Elektronenspektroskopie am eindimensionalen Potentialtopf

Das denkbar einfachste elektronische System ist der eindimensionale Potentialtopf Dennoch kann auch dieses Modell schon in grober Naumlherung auf Molekuumlle angewandt werden speziell auf solche mit annaumlhernd linearen Delokalisationssystemen (s Kapitel 14) Ein Beispiel ist die Reihe Butadien Hexatrien Oktatetraen usw Bildet man mit Hilfe der Loumlsungen der Schroumldingergleichung fuumlr das eindimensionale Potentialtopfmodell einen Ausdruck fuumlr den elektronischen Uumlbergang zwischen dem houmlchsten besetzten Orbital (HOO) und dem niedrig-sten unbesetzten Orbital (LUO) so erhaumllt man fuumlr die damit verbundene Energiedifferenz gemaumlszlig der in Abbildung 5 gezeigten Formel

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ΔE = h ∙ ν = (nsup2LUO-nsup2HOO) ∙ hsup2 (8 me asup2)

Mit wachsender Laumlnge a und wachsender Elektronenzahl (jedes Kohlenstoffatom im Delokali-sationsgebiet traumlgt ein Elektron bei) steigen einerseits die Werte der Quantenzahlen n fuumlr das houmlchste besetzte Orbital (HOO) und das niedrigste unbesetzte Orbital (LUO) an andererseits steigt aber auch die Laumlnge L die quadratisch im Nenner der Gleichung steht Da letzteres insgesamt uumlberwiegt sinkt der Wert fuumlr ΔE und damit fuumlr die Frequenz ν schrittweise mit Anstieg der Kettenlaumlnge Liegt die absorbierte Lichtfrequenz anfaumlnglich im UV-Bereich so verschiebt sie sich beispielsweise fuumlr das Carotin mit 11 Doppelbindungen schon in den sichtbaren blauen Bereich Weil daher Carotin blaues Licht absorbiert erscheint es im Durchlicht betrachtet in der Komplementaumlrfarbe orange-gelb Nach diesem Prinzip lassen sich viele organische Farbstoffe interpretieren Aumlndert sich die Laumlnge bzw die Elektronenzahl (und damit nsup2LUO und nsup2HOO) durch die Protonierung des Molekuumlls so hat man es mit einem Farbstoff zu tun der mit dem pH-Wert seine Farbe aumlndert ndash dies ist die Grundlage vieler pH-Indikatoren

23 Elektronenspektroskopie am Wasserstoffatom

Die wissenschaftliche Spektralanalyse wurde in der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts gemeinsam durch GR Kirchhoff und RW Bunsen entwickelt Sie entdeckten dass alle Elemente beim Erhitzen Licht aussenden Nach Zerlegung des Lichts mit einem Glasprisma erhaumllt man ein fuumlr jedes Element charakteristisches Linienmuster das so genannte Spektrum (s auch UTube-Video bdquospectral lines demoldquo httpwwwyoutubecomwatchv=2ZlhRChr_Bw) Dieses Spektrum reflektiert die Gesamtheit der dem gegebenen Element eigenen elektronischen Uumlbergaumlnge und ist damit ein unverwechselbarer Fingerabdruck Elemente koumlnnen damit sowohl in der Emissionsspektroskopie als auch in der Absorptionsspektroskopie eindeutig und mit hoher Empfindlichkeit identifiziert werden

Die Elektronenspektroskopie kann jedoch noch deutlich mehr sie erlaubt die exakte Uumlber-pruumlfung der durch die Loumlsung der Schroumldingergleichung gefundenen elektronischen Wellen-funktionen Dies wurde zunaumlchst am Wasserstoffatom mit hoher Praumlzision betrieben Histo-risch gesehen ist die erste wichtige Lichtquelle fuumlr spektroskopische Analysen unsere Sonne Dies gilt insbesondere fuumlr das Spektrum des Wasserstoffs Da die Energie der elektronischen Zustaumlnde dort einzig und allein von der Hauptquantenzahl n abhaumlngt (s Kapitel 15) werden lediglich solche Spektrallinien beobachtet die sich genau einem gegebenen ΔE = E(n) - E(nlsquo) zuordnen lassen Zuerst wurde mit der Balmer-Serie der sichtbare Anteil des Spektrums ent-deckt der mit allen Uumlbergaumlngen von oder zu dem Niveau n = 2 verbunden ist (Abb 13) Es folgten spaumlter im UV-Bereich die Lyman-Serie mit n = 1 und im IR-Bereich die Paschen-Serie mit n = 3 die Brackett-Serie mit n = 4 sowie die Pfundt- und die Humphreys-Serie mit n = 5 und n = 6 (letztere sind in Abb 13 nicht mehr eingezeichnet) Weitere Serien mit houmlheren Quantenzahlen existieren tragen aber keine eigenen Namen mehr

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Wel

lenz

ahl

[100

0 cm

-1]

0

10

20

30

40

50

60

70

80

90

100

110Grundzustand

Lyman-serie

Balmer-serie

Paschen-serie

Brackett-serie

n = 5n = 4

n = 3

n = 2

n = 1

Gustav Robert Kirchhoff

Robert Wilhelm Bunsen

Abb 13 Wichtige elektronische Uumlbergaumlnge im Wasserstoffatom

Abbildung 14 zeigt das gesamte Wasserstoffspektrum die Kuumlrzel benennen die entsprechen-den Serien (Ly = Lyman Ba = Balmer etc)

Abb 14 Spektrum des Wasserstoffatoms Die Achse fuumlr die Wellenlaumlnge ist logarithmisch aufgetragen

Eine genaue Analyse ergibt dass sich das Schema der Energiedifferenzen nach Abb 13 fast genau mit den in Kapitel 15 besprochenen Loumlsungen der Schroumldingergleichung deckt Die aumluszligerst kleinen Abweichungen die man dennoch detektieren konnte lieszligen sich auf den Bei-trag des Kerns (trotz seiner hohen Masse kann er sich minimal mit dem Elektron mitbewegen) und des Isotopeneffekts zuruumlckfuumlhren der schwerere Deuteriumkern der aus einem Proton und einem Neutron besteht bewegt sich weniger leicht mit dem Elektron mit als das einsame Proton des bdquonormalenldquo Wasserstoffs Daneben zeigen sich bei sehr hoher Aufloumlsung des Spektrums auch relativistische Effekte die zu weiteren Aufspaltungen fuumlhren

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24 Elektronenspektroskopie an Atomen mit mehreren Elektronen

Aufgrund der Wechselwirkungen zwischen den Elektronen ist bei schwereren Elementen die beim Wasserstoff gegebene Entartung bezuumlglich der Quantenzahlen l und m aufgehoben Damit wird das Energiediagramm bereits fuumlr ein einfaches houmlheres Atom wie zum Beispiel Lithium schon deutlich komplizierter (Abb 15) Neben den Uumlbergaumlngen zwischen verschiede-nen Werten fuumlr n treten nun auch Uumlbergaumlnge zwischen s und p p und d d und f auf Manche Uumlbergaumlnge (zum Beispiel solche zwischen s- und d-Niveaus) werden allerdings gewoumlhnlich nicht beobachtet man nennt sie bdquoverbotenldquo bdquoErlaubtldquo sind nur solche Uumlbergaumlnge bei denen die Nebenquantenzahl sich um den Wert plusmn1 aumlndert (also eben von s nach p von p nach d usw) Die so genannte Auswahlregel welche die erlaubten Uumlbergaumlnge festlegt heiszligt folglich Δl = plusmn1

Als weitere Folge der Wechselwirkungen zwischen den Elektronen besitzt jedes houmlhere Atom ein eigenes und von Wasserstoff verschiedenes Energiediagramm Damit besitzt aber auch jedes Atom ein unverwechselbares Muster von Energieuumlbergaumlngen die es eindeutig kenn-zeichnet Dies laumlsst sich bereits in einfachen Versuchen anhand von Flammenfaumlrbungen zeigen Diejenigen Uumlbergaumlnge deren ΔE den Wellenlaumlngen im sichtbaren Spektrum entspricht (in Abb 15 sind dies die kuumlrzeren unter den eingezeichneten blauen Pfeilen) sorgen bei vielen Elementen fuumlr ein charakteristisches farbiges Leuchten (Abb 15 rechts)

Ener

gie

Wasserstoff Lithium

n = 1

2

3

45

1s

2s

2p

3s

4s

5s

3p

4p5p

3d

4d5d

Abb 15 Termschema von Lithium mit wichtigen elektronischen Uumlbergaumlngen (links) Durch Lithium verursachte Flammenfaumlrbung (rechts Quelle httpwwwitpuni-hannoverde~zawischaITPatomshtml)

Letztlich ist auch bei allen houmlheren Atomen die Elektronenspektroskopie eine ideale Methode um das Energieniveauschema experimentell zugaumlnglich zu machen Sie eignet sich daruumlber hinaus perfekt zur schnellen und empfindlichen Identifikation von Elementen Diese Tatsache

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macht man sich sowohl in der Atomabsorptionsspektroskopie (AAS) als auch in der Atom-emissionsspektroskopie (AES) zunutze Elektronenspektren sind unverwechselbare Finger-abdruumlcke mit denen alle Elemente in hoher Empfindlichkeit und selbst uumlber groszlige Distanzen hinweg sicher identifiziert werden koumlnnen

25 Elektronenspektroskopie an Molekuumllen

Genau wie die Atomorbitale sind auch Molekuumllorbitale der Elektronenspektroskopie zugaumlng-lich Durch die systematische Analyse aller elektronischen Uumlbergaumlnge lassen sich die Energie-niveaus in einem MO-Schema schrittweise ausmessen Besonders interessant wird dieser Ansatz bei der Untersuchung der Bindungsverhaumlltnisse Im Allgemeinen beobachtet man Uumlbergaumlnge zwischen bindenden und nicht bindenden Orbitalen einerseits und den uumlblicherweise unbesetzten antibindenden Orbitalen andererseits In Abb 16 ist dies am Beispiel einer C-O-Bindung in Formaldehyd gezeigt Im Mittelpunkt stehen dabei das binden-de und das antibindende σ-Orbital C-O das bindende und das antibindende π-Orbital C-O sowie das nicht bindende freie Elektronenpaar des Sauerstoffs (ein weiteres freies Elektronen-paar bleibt unbeteiligt)

Ener

gie

σ CO

σ CO

π CO

π CO

n O

C

H

H

O

σ-σ

Uumlbe

rgan

g

π-π

Uumlbe

rgan

gn-π Uumlber-gang

σ

Abb 16 Termschema der CO-Gruppe in Formaldehyd (links) Die beteiligten Bindungen und das im betrachteten Energiefenster liegende freie Elektronenpaar des Sauerstoffs sind rechts skizziert

Die drei wichtigsten Uumlbergaumlnge die an der C-O-Gruppe detektiert werden sind der σ-σ-Uumlbergang der π-π-Uumlbergang und der n-π-Uumlbergang Letzterer ist in einer C-O-Gruppe stets am energieaumlrmsten und kann bereits mit UV-Licht einer Wellenlaumlnge um 280 nm angeregt werden (schwarzer Pfeil in Abb 16) Energiereicher und intensiver ist bei der CO-Gruppe der π-π-Uumlbergang der bei Wellenlaumlngen um 170 nm angeregt wird (roter Pfeil in Abb 16) Daruumlber hinaus zeigt das Spektrum dass die beiden freien Elektronenpaare des Sauerstoffs stark unterschiedlichen Charakter besitzen (nur eines ist an dem n-π-Uumlbergang beteiligt das andere tritt im gegebenen Spektralbereich nicht in Erscheinung)

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Auf aumlhnliche Weise lassen sich alle MO-Schemata komplizierter Molekuumlle analysieren Lie-gen die Anregungsfrequenzen der Uumlbergaumlnge im sichtbaren Bereich so haben die Molekuumlle die Funktion von Farbstoffen Haumlufig besitzen sie dann laumlngere lineare Delokalisationsgebiete deren Elektronenspektren man dann auch in grober Naumlherung mit dem eindimensionalen Potentialtopfmodell beschreiben kann (s Kapitel 22) Werden Bindungselektronen angeregt und aumlndern sich im Verlauf der elektronischen Anre-gung die Bindungsverhaumlltnisse (beispielsweise bei Besetzung eines antibindenden Zustands) so ist mit der elektronischen Anregung zwangslaumlufig auch eine Aumlnderung des energetisch guumlnstigsten Bindungsabstands verbunden Damit einhergehend werden mechanische Schwin-gungen des Molekuumlls angeregt Mit den Molekuumllschwingungen verhaumllt es sich analog zu den elektronischen Zustaumlnden auch Molekuumllschwingungen existieren nur in bestimmten definierten Zustaumlnden die sich dann den elektronischen Zustaumlnden uumlberlagern (Abb 17) Die Folge davon ist dass die Elektronenspektren von Molekuumllen haumlufig keine scharfen Linien sondern breite Absorptionsbereiche (bdquoBandenldquo) aufweisen Alle Linien fuumlr die elektronischen Uumlbergaumlnge zerlegen sich demnach in eine Vielzahl von Einzellinien die verschiedene Schwingungszustaumlnde der benachbarten elektronischen Zustaumlnde miteinander verbinden (in Abb 17 sind exemplarisch neun verschiedene moumlgliche Uumlbergaumlnge eingezeichnet) Normaler-weise liegen alle diese Linien dicht beieinander so dass insgesamt eine verbreiterte Absorp-tionsbande entsteht

Ener

gie

elektronische Niveaus

Schwingungsniveaus

Abb 17 Zum Zustandekommen von breiten Absorptionsbanden in Elektronen-Schwingungsspektren Uumlberlagerung von elektronischen Uumlbergaumlngen mit Schwingungsuumlbergaumlngen Exemplarisch sind jeweils drei Schwingungsniveaus eingezeichnet

Das Elektronenspektrum eines Molekuumlls wird wegen der dazu verwendeten Frequenzbereiche im UV- und im sichtbaren (bdquovisibleldquo) Spektrum auch UV-vis-Spektroskopie genannt Die UV-vis-Spektroskopie dient neben der Aufklaumlrung der MO-Struktur auch der schnellen und bequemen Identifikation von chemischen Verbindungen Aufgrund ihrer im Absorptionsver-fahren sehr einfachen und preisguumlnstigen Messtechnik wird sie auch haumlufig in Kombination mit anderen analytischen Verfahren (zB der Chromatographie) verwendet Uumlber eine Bestim-mung der Intensitaumlt der Anregung kann auch eine quantitative Analyse einzelner Verbindun-gen erfolgen

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3 Das Zusammenwirken von Atomen und Molekuumllen 31 Der makroskopische Zustand von Materie Bisher sind nur einzelne Bausteine der Materie also Atome und Molekuumlle betrachtet worden Nun soll das makroskopische Erscheinungsbild von Materie ins Auge gefasst werden die aus einer Vielzahl von Atomen oder Molekuumllen besteht Um den Zustand dieser aus vielen Teilchen zusammengesetzten Materie uumlberhaupt als Gesamtheit zu beschreiben benoumltigt man zunaumlchst so genannte Zustandsparameter oder Zustandsgroumlszligen Die wichtigsten Vertreter dieser Kenngroumlszligen fuumlr makroskopische Materie sind die Stoffmenge n das Volumen V der Druck P und die Temperatur T

n Stoffmenge Die Stoffmenge wird uumlber die Teilchenzahl definiert

Einheit der Teilchenzahl 1 Mol

Definition Ein Mol eines Stoffes enthaumllt dieselbe Anzahl an Teilchen wie 0012 kg reiner Kohlenstoff des Isotops 12C (1 Mol 60221023

Teilchen) Dabei muss eindeutig festgelegt sein was unter einem Teilchen des Stoffes jeweils zu verstehen ist Ist die Stoffmenge konstant so spricht man von einem geschlossenen System

V Volumen Die Definition des Volumens erfolgt uumlber die festgelegte Laumlngeneinheit und den geometrischen Volumenbegriff

Einheit des Volumens 1 msup3

Definition Ein msup3 ist das Volumen eines wuumlrfelfoumlrmigen Raums mit einer Kantenlaumlnge von einem Meter Ist das Volumen konstant so spricht man von einem isochoren Vorgang

P Druck Die Definition erfolgt uumlber die Kraft die ein Stoff auf jede Flaumlcheneinheit eines ihn einschlieszligenden Behaumllters ausuumlbt

Einheit des Drucks 1 Pascal = 1 Pa = 1 Nmsup2 = 10-5 bar

Definition Ein Pascal ist der Druck bei dem auf jeden Quadratmeter der Behaumllterwaumlnde eine Kraft von 1 Newton ausgeuumlbt wird Ist der Druck konstant so spricht man von einem isobaren Vorgang

T Temperatur

Der sicherlich am schwierigsten fassbare Zustandsparameter makroskopischer Materie ist die Temperatur Zwar ist sie direkt mit der menschlichen Wahrnehmung verknuumlpft (kalt warm heiszlighellip) physikalisch jedoch zunaumlchst sehr undefiniert da sie nicht ohne weiteres auf andere physikalische Groumlszligen zuruumlckfuumlhrbar ist Am ehesten laumlsst sie sich im ersten Ansatz als diejenige Eigenschaft von Materie beschreiben die von einem Thermometer gemessen wird

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Zur Verwendung als Thermometer eignet sich prinzipiell jeder physikalische oder chemische Vorgang der reproduzierbar mit einer Temperaturaumlnderung verknuumlpft ist Klassisch sind dies insbesondere die Ausdehnungsvorgaumlnge von Gasen Fluumlssigkeiten und Festkoumlrpern (Abb 18)

Hg

Festkoumlrperthermometer werden gewoumlhnlich nach demPrinzip des Bimetall-Thermometers ausgelegt (ganzlinks) Dabei werden zwei verschiedene Festkoumlrper(zB zwei Bleche aus verschiedenen Metallen) flaumlchigmiteinander in Kontakt gebracht Bedingt durch dieunterschiedliche thermische Ausdehnung derMaterialien kruumlmmt sich das Bimetall-Blech abhaumlngigvon der Temperatur mehr oder weniger stark zu einerSpirale

Fluumlssigkeitsthermometer (Mitte) und Gasthermometer(rechts) nutzen die Volumenaumlnderung eines fluidenMediums mit der Temperatur Die Genauigkeit kannerhoumlht werden indem einem groszligvolumigen Vorrats-behaumllter ein relativ kleinvolumiger Ausdehnungs- undAblesebereich gegenuumlbergestellt wird

Abb 18 Thermometer die auf der Grundlage der temperaturbedingten Ausdehnung von Materie beruhen

In der Praxis kommen mehr und mehr die elektronischen Varianten der Temperaturmessung zum Zug die zumeist auf der Messung der Thermospannung basieren Neben der Messmetho-de ist die Festlegung einer Temperaturskala wichtig Dazu dienten zunaumlchst einige Fixpunkte die heute teilweise noch historische Bedeutung haben

1) Die tiefste Temperatur des Winters 17081709 in Danzig - 178 degC

2) Die Temperatur von schmelzendem Eis bei 760 Torr (760 Torr = 1 atm = 101 325 Pa) 0 degC

3) Koexistenztemperatur von Eis Wasser und Wasserdampf 001 degC (exakt)

4) Die durchschnittliche Koumlrpertemperatur eines gesunden Menschen 378 degC

5) Die Siedetemperatur des Wassers bei 760 Torr (1 atm = 101 325 Pa) 100 degC

Die Punkte 1 und 4 bildeten die Grundlage des Fahrenheit-Systems die Punkte 2 und 5 die der Celsius-Skala Bei beiden Systemen wurde der definierte Bereich zunaumlchst in 100 gleiche Teile (Grade) aufgeteilt dann extrapoliert Beide Definitionen wurden spaumlter verfeinert (Celsius 9999 Grade C zwischen den Fixpunkten 3 und 5 Fahrenheit 180 Grade F zwischen den Fixpunkten 1 und 5) Trotzdem mangelt es auszliger Punkt 3 allen genannten Fixpunkten an Genauigkeit und Reproduzierbarkeit

Das zweite Problem nach der Unvollkommenheit der Fixpunkte besteht in der Festlegung einer systemunabhaumlngigen linearen Teilung Gewoumlhnlich ist der Verlauf der Skala vom gewaumlhlten Medium abhaumlngig Eine lineare Teilung auf der Skala eines Quecksilber-thermometers entspricht daher nicht einer linearen Teilung auf der Skala eines Alkoholthermometers da die Ausdehnung bei jedem Medium in unterschiedlicher Weise von der Temperatur abhaumlngt

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Beide Probleme sowohl die Wahl der passenden Fixpunkte als auch die Definition einer sinnvollen linearen Teilung werden heute durch die Festlegung der so genannten absoluten Temperaturskala geloumlst Grundlage hierfuumlr sind uumlbereinstimmende Beobachtungen an Gasthermometern

-300 -200 -100 0 100 200

V

T

-27315degCBei wiederholten Messungen mit verschiedenenGasthermometern verschiedenen Gasen undGasvolumina und bei verschiedenen Drucken stelltman fest dass sich die Verlaumlngerungen aller in denjeweiligen Diagrammen erhaltenen Linien in einemPunkt schneiden Dieser Punkt entspricht auf derVolumenachse dem Wert V = 0 und auf derTemperaturachse dem Wert T = -27315 degC

Abb 19 Ausdehnungskurven verschiedener Gase Die Temperaturskala ist zunaumlchst noch in Celsius aufgetragen

Aus dieser Beobachtung wurde geschlossen dass der Temperatur am gemeinsamen Schnitt-punkt aller Ausdehnungskurven eine besondere physikalische Bedeutung zukommt und sie sich daher als Fixpunkt einer neuen Temperaturskala eignet Weiterhin wurde festgestellt dass zwar alle Gase in ihrem Ausdehnungsverhalten von dem linearen Verlauf abweichen dass aber unter bestimmten Umstaumlnden (zB niedriger Druck) ein gemeinsamer Verlauf angestrebt wird den man auch als idealen Verlauf bezeichnen koumlnnte Am besten funktioniert das bei Helium unter schrittweise absinkenden Drucken dessen Verhalten sich fuumlr P rarr 0 zum idealen Verhalten extrapolieren laumlsst Diese Erkenntnis diente zur Definition einer absoluten Temperaturskala in Kelvin

1) Unterer Fixpunkt Schnittpunkt der Volumenexpansionskurven bdquoidealerldquo Gase (zB Helium fuumlr den Grenzfall Prarr0) 0 Kelvin

2) Oberer Fixpunkt Koexistenztemperatur von Eis Wasser und Wasserdampf 27316 Kelvin

3) Das Volumen eines bdquoidealenldquo Gases (zB Helium fuumlr den Grenzfall Prarr0) ist bei konstantem Druck proportional zur Temperatur und definiert die lineare Teilung der Temperaturskala

Gemaumlszlig dieser Definition ist jede beliebige Temperatur unter Nutzung eines bdquoidealenldquo Gasther-mometers auf der absoluten Kelvin-Skala eindeutig festgelegt Die Verwendung der Kelvin-Skala ist gegenuumlber der Nutzung klassischer Temperatursysteme bei der Beschreibung physi-kalischer Vorgaumlnge eindeutig von Vorteil Vorgaumlnge bei denen die Temperatur konstant ist nennt man isotherm Mit der Definition der wichtigsten Zustandsparameter Teilchenzahl n Volumen V Druck P und Temperatur T besteht nun die Moumlglichkeit das Verhalten makroskopischer Materie zu beschreiben Am einfachsten gelingt das im Fall von Gasen

32 Zustandsgleichung fuumlr Gase die ideale Gasgleichung

Gleichungen welche die Zustandsparameter wie n V T und P miteinander verknuumlpfen nennt man Zustandsgleichungen Sie beschreiben das Verhalten einer aus vielen einzelnen Teilchen bestehenden Materie hinsichtlich ihrer makroskopisch messbaren Groumlszligen Am

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einfachsten sind solche Zustandsgleichungen fuumlr Gase aufzustellen Untersucht man bei Gasen systematisch den Zusammenhang zwischen n V P und T so stellt man fest dass fuumlr alle Gase in mehr oder weniger guter Naumlherung folgende einfache Gleichung erfuumlllt isthellip

P ∙ V = n ∙ R ∙ T

hellipwobei R fuumlr die so genannte ideale Gaskonstante steht (R asymp 8314 J K-1 Mol-1) Diese Glei-chung auch bdquoideale Gasgleichungldquo genannt ist ein so genanntes Grenzgesetz kein real exis-tierendes Gas erfuumlllt es genau aber alle Gase kommen ihm recht nahe insbesondere bei hohen Temperaturen und niedrigen Druumlcken Eine Gleichung dieser Form nennt man auch Zustands-gleichung da sie Zustandsparameter miteinander verbindet Grafisch laumlsst sich diese Verknuumlp-fung in einem einfachen Diagramm darstellen bei dem jede Kombination von T und V genau einem Wert fuumlr P zugeordnet ist (Abb 20)

P

V

T

Abb 20 Auftragung von P gegen T und V nach der idealen Gasgleichung

Wir wissen nun dass die Gase aus einer Vielzahl von Teilchen (Atomen oder Molekuumllen) bestehen Wie laumlsst sich das durch die ideale Gasgleichung beschriebene Verhalten nun mit dieser Tatsache in Einklang bringen Was bedeuten eigentlich die Parameter Druck und Tem-peratur fuumlr ein Gas das sich aus vielen einzelnen Atomen und Molekuumllen zusammensetzt Um makroskopische Zustandsparameter uumlberhaupt mit der Teilchenwelt verknuumlpfen zu koumlnnen benoumltigen wir eine Modellvorstellung fuumlr das mechanische Zusammenwirken der Teilchen im Fall von Gasen das so genannte kinetische Gasmodell

33 Das kinetische Gasmodell

Bei den im vorhergehenden Kapitel aufgefuumlhrten Gasgesetzen handelt es sich um mathemati-sche Beschreibungen von makroskopisch beobachtbaren Vorgaumlngen Zur Interpretation der Gasgesetze auf molekularer Ebene wurden verschiedene Modelle vorgeschlagen Das erfolg-reichste unter ihnen war das sogenannte kinetische Gasmodell Es beruht auf der Vorstellung dass ein Gas aus einer Vielzahl von Teilchen besteht die folgende Bedingungen erfuumlllen

1) Sie besitzen eine Atom- oder Molmasse M einen endlichen Durchmesser d und befinden sich in staumlndiger und ungeregelter Bewegung

2) Die Groumlszlige der Teilchen ist im Verhaumlltnis zum freien Volumen vernachlaumlssig-bar

3) Zwischen den Teilchen finden elastische Stoumlszlige statt Ansonsten existieren keine weiteren Wechselwirkungen unter den Teilchen

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Nach der kinetischen Gastheorie besteht der Druck eines Gases aus der Summe aller Kraumlfte (pro Flaumlcheneinheit) die durch auf eine Flaumlche aufprallende Gasteilchen (bzw durch deren Impulsaumlnderung) ausgeuumlbt werden (Abb 21)

Vx t

Abb 21 Links schematische Darstellung der Impulsaumlnderung bei dem Auftreffen eines Gasteilchens auf der Gefaumlszligwand Viele solche Stoumlszlige fuumlhren in der Summe zum Entstehen einer messbaren dem Gasdruck zugeordneten Kraft Rechts Die Geschwindigkeitskomponente vx der Teilchen bestimmt nicht nur die Groumlszlige der Impulsaumlnderung sondern auch die Zahl der Teilchen die pro Zeiteinheit auf die Wand stoszligen Daher geht die Geschwindigkeit der Teilchen bei der Berechnung des Drucks insgesamt quadratisch ein

Dabei wird zunaumlchst davon ausgegangen dass alle Teilchen die gleiche Geschwindigkeits-komponente vx aufweisen Diese Geschwindigkeitskomponente bestimmt zum einen die Heftigkeit der Stoumlszlige zum anderen wie viele Gasteilchen pro Zeiteinheit auf die Wand prallen Insgesamt haumlngt der Druck damit vom Quadrat der Geschwindigkeitskomponente vxab Fuumlhrt man nun ein mittleres Geschwindigkeitsquadrat csup2 ein (mit vxsup2 = 13 csup2) so erhaumllt man fuumlr den an dem beweglichen Kolben spuumlrbaren Druck die Gleichung

P = 13 M csup2 (nV) oder in der Schreibweise der idealen Gasgleichung P V = 13 n M csup2 Der Druck ist nach dem kinetischen Gasmodell also die Folge einer Vielzahl von Stoumlszligen welche die Teilchen gegen die Behaumllterwaumlnde ausfuumlhren Er ist folglich proportional zur Mas-se der Teilchen (je schwerer die Teilchen desto heftiger die Stoumlszlige) zum mittleren Geschwin-digkeitsquadrat (die Geschwindigkeit der Teilchen bestimmt zum einen die Haumlufigkeit zum anderen die Heftigkeit der Stoumlszlige) und zur Zahl der Teilchen pro Volumeneinheit (womit wie nach der idealen Gasgleichung zu erwarten P umgekehrt proportional zu V ist) Die Bedeutung der Temperatur im kinetischen Gasmodell ist dagegen zunaumlchst unklar Mit der idealen Gasgleichung P V = n R T ergibt sich aber durch Koeffizientenvergleich n R T = 13 n M csup2 oder R T = 13 M csup2 Man kann unter Nutzung beider Gasmodelle so zu einem neuen teilchenbezogenen Verstaumlnd-nis des Phaumlnomens Temperatur kommen Die Temperatur eines Gases ist demnach direkt proportional zum mittleren Geschwindigkeitsquadrat der Gasteilchen oder in anderen Worten zu deren kinetischer Energie 12 M csup2 Dies ist fuumlr das Verstaumlndnis des Phaumlnomens Temperatur von groszliger Bedeutung Man kann die Temperatur eines Gases also messen indem man (bei bekannter Masse der Teilchen) die Geschwindigkeit der Gasteilchen bestimmt Die Wurzel aus dem mittleren Geschwindigkeits-quadrat also die Groumlszlige c liegt uumlblicherweise in der Groumlszligenordnung der Schallgeschwindig-keit (zum Beispiel fuumlr Stickstoff bei Raumtemperatur c = 516 ms) und steht zu ihr in einer

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festen Beziehung Tatsaumlchlich laumlsst sich die Temperatur auch uumlber eine Messung der Schall-geschwindigkeit ermitteln Nachdem das mittlere Geschwindigkeitsquadrat der Teilchen bekannt ist stellt sich die Frage nach der Geschwindigkeitsverteilung der Teilchen Die Bewegungsenergie der Teilchen ist wie alle anderen Energieformen (zB elektronische Energie Schwingungsenergie) gequantelt Das bedeutet dass sich die Teilchen auf (hier dicht gestaffelte) Energieniveaus verteilen muumlssen Sie tun das nach einem statistischen Grundprinzip das Boltzmann-Verteilung genannt wird Demnach ist die Besetzung pi eines Energieniveaus i (egal welcher Art die Energie Ei ist) stets proportional zum so genannten Boltzmannfaktor des Zustand i Es gilt

pi ~ exp[-Ei(kBT)]

Die darin enthaltene Boltzmannkonstante kB ist nichts anderes als die allgemeine Gas-konstante R (siehe unter 32) dividiert durch die Zahl NL der Teilchen in einem Mol Substanz (kB = RNL) Das bedeutet die Besetzung eines Zustands ist umso wahrscheinlicher je niedriger dessen Energie ist Steigende Temperatur T hingegen erhoumlht die Wahrscheinlichkeit energiereicher Zustaumlnde Diese Gesetzmaumlszligigkeit gilt fuumlr die Besetzung aller auf atomarer oder molekularer Ebene gegebener Zustaumlnde in einem makroskopischen System Angewandt auf die Bewegungsenergie von Gasteilchen in einer einzelnen Raumrichtung x bedeutet das dass Teilchen mit hoher Geschwindigkeit vx weniger wahrscheinlich sind als solche mit niedriger Geschwindigkeit vx Allerdings steigt die Wahrscheinlichkeit des Auftretens groszliger Werte fuumlr vx mit steigender Temperatur Teilt man den Bereich der auftretenden Geschwindigkeiten in Intervalle auf und zaumlhlt man die Teilchen die gemaumlszlig ihrer Geschwindigkeit zu den einzelnen Intervallen zugeordnet werden koumlnnen so ergibt sich fuumlr die Geschwindigkeitsverteilung in vx und v das Bild das in Abb 22 oben dargestellt ist Die Verteilungsfunktionen fuumlr die Geschwindigkeiten in y- und z-Richtung sind identisch

n(vx)

vx-Intervall

n(vx)

vx-Intervall

Temperatur-erhoumlhung

- 0 +- 0 +n(v)

v-Intervall

Temperatur-erhoumlhung

0 +

n(v)

v-Intervall0 +

Abb 22 Verteilungsfunktionen einer eindimensionalen Geschwindigkeitskomponente (oben) und der Gesamtgeschwindigkeit (unten)

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Betrachtet man die Verteilung n(v) der Gesamtgeschwindigkeit v im dreidimensionalen Raum so wird das Bild komplizierter Bezuumlglich der drei Raumrichtungen x y und z sind weiterhin die kleinen Geschwindigkeiten wahrscheinlicher als die groszligen Da nun aber fuumlr eine groszlige Gesamtgeschwindigkeit v mehr Kombinationsmoumlglichkeiten vx vy vz existieren als fuumlr kleine Gesamtgeschwindigkeiten so wird die Wahrscheinlichkeit fuumlr sehr geringe Gesamtgeschwindigkeiten entsprechend kleiner fuumlr groszlige Gesamtgeschwindigkeiten entsprechend groumlszliger Der daraus resultierende Gewichtungsfaktor fuumlr jedes v ist die relative Flaumlche der Kugelschale mit dem Radius v Insgesamt ergeben sich dann die in Abb 22 unten dargestellten Verteilungsfunktionen fuumlr niedrige und hohe Temperaturen Die Verteilungsfunktionen in vx und v lauten (ohne Herleitung)

f(vx) = [M(2RT)]12 exp [-Mvxsup2(2RT)]

f(v) = 4 [M(2RT)]32 vsup2 exp [-Mvsup2(2RT)] Der Mittelwert von vx (oder jeder anderen eindimensionalen Geschwindigkeitskomponente) ist grundsaumltzlich Null Dagegen besitzt der Mittelwert von v stets eine endliche von Null verschiedene Groumlszlige Bei einer Erhoumlhung der Temperatur werden alle Verteilungsfunktionen breiter der Mittelwert von v vergroumlszligert sich Die Temperatur eines Gases aumluszligert sich also nicht nur im mittleren Geschwindigkeitsquadrat sondern auch in der Form der Geschwindigkeitsverteilungsfunktion Bei der Mischung von Gasen unterschiedlicher Temperatur muss um die oben genannte Forderung zu erfuumlllen aus der einfachen Summe von zwei Verteilungsfunktionen eine neue der Mischtemperatur ent-sprechende Verteilungsfunktion entstehen Dies ist nur unter der Annahme moumlglich dass ein Austausch kinetischer Energie unter den Teilchen erfolgen kann Diese Tatsache bedingt die eingangs gestellte Forderung nach Teilchenstoumlszligen also Wechselwirkungen zwischen den Teilchen Damit muumlssen die Gasteilchen aber auch ein gewisses Volumen besitzen den Teil-chen ohne Eigenvolumen koumlnnen prinzipiell nicht zusammenstoszligen Darin besteht der we-sentliche Unterschied zwischen einem Gas nach dem kinetischen Gasmodell und dem idealen Gas Das ideale Gas koumlnnte man theoretisch auf ein beliebig kleines Volumen komprimieren bei einem kinetischen Gas ist dies aufgrund des Eigenvolumens nicht moumlglich Ansonsten erlaubt das kinetische Gasmodell die vollstaumlndige Interpretation der idealen Gasgleichung

34 Die korrigierte Gasgleichung nach van der Waals JD van der Waals

Mithilfe des kinetischen Gasmodells laumlsst sich die Zustandsgleichung fuumlr Gase weiter verfeinern Zunaumlchst soll beruumlcksichtigt werden dass die Teilchen ein eigenes Volumen besitzen In erster Naumlherung geschieht dies indem man ein vom Eigenvolumen der Gas-teilchen abgeleitetes minimales Volumen des Gases (das so genannte Covolumen) definiert Das Covolumen beschreibt dasjenige Volumen des Gases das bei staumlndigem mechanischem Kontakt zwischen jeweils zwei Teilchen eingenommen wird wenn man den Teilchenpaaren jeweils den sie umschreibenden kugelfoumlrmigen Raum zuordnet (wegen der geringen Wahr-scheinlichkeit von Dreierstoumlszligen kann die Bildung von Dreiergruppen ausgeschlossen werden) Das molare Covolumen b entspricht wenn man eine einfache geometrische Uumlberlegung an-setzt dem vierfachen Eigenvolumen eines Mols der Gasteilchen Um das tatsaumlchliche freie

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Volumen zu erhalten muss das n-fache Covolumen vom gegebenen Volumen abgezogen werden Damit wird aus der idealen Gasgleichung P V = n R T die erste korrigierte Version P (V - n b) = n R T Im zweiten Schritt soll nun uumlber das kinetische Gasmodell hinausgehend auch die anziehen-de Wechselwirkung zwischen den Teilchen beruumlcksichtigt werden Die Anziehung zwischen den Teilchen sorgt nach van der Waals fuumlr einen zusaumltzlichen nach auszligen nicht messbaren bdquoBinnendruckldquo Dieser Binnendruck ist proportional zum Quadrat der Teilchendichte (nV)sup2 Der zwischen den Teilchen tatsaumlchlich wirkende nach auszligen ebenfalls unmessbare Gesamt-druck ist dann gegeben als

Pgesamt (unmessbar) = P (messbar) + a (nV)sup2

mit einer fuumlr die anziehende Wechselwirkung charakteristischen Konstante a Die danach korrigierte Version der Gasgleichung die van-der-Waals-Gleichung fuumlr reale Gase lautet

[P + a (nV)sup2] (V - nb) = n R T

Die Konstanten b und a besitzen fuumlr jedes reale Gas charakteristische Werte die dessen Eigenvolumen (die Groumlszlige der Elektronenhuumllle) und die Staumlrke der intermolekularen Wechsel-wirkungen reflektieren Beispiele

Gas a b

Argon 01345 Pa m6Molsup2 32210-5 msup3Mol Kohlendioxid 03592 Pa m6Molsup2 426710-5 msup3Mol Helium 00034 Pa m6Molsup2 23710-5 msup3Mol Stickstoff 01390 Pa m6Molsup2 391310-5 msup3Mol Wasser 05573 Pa m6Molsup2 31010-5 msup3Mol

Der Parameter b spiegelt mit der Einheit msup3Mol weitgehend die Groumlszlige der einzelnen Teilchen (Atome oder Molekuumlle) wider So besitzt erwartungsgemaumlszlig Kohlendioxid oder Argon einen groumlszligeren Wert fuumlr b als beispielsweise Helium Allerdings sind die Unterschiede erstaunlich klein was auf die Tatsache zuruumlckzufuumlhren ist dass sich das Covolumen auf Teilchenpaare bezieht und ein Paar aus Kohlendioxidmolekuumllen gegenuumlber einem Paar aus Heliumatomen nur etwa das doppelte Volumen benoumltigt

Der Parameter a mit der Einheit Pascal mal Molvolumen zum Quadrat reflektiert die Staumlrke der Wechselwirkungen zwischen den Teilchen Diese Wechselwirkungen beruhen zum groszligen Teil auf den elektrischen Eigenschaften der Teilchen Diese wiederum sind mit der elektronischen Struktur der Atome beziehungsweise der chemischen Bindungen verknuumlpft Am wichtigsten ist dabei das in Kapitel 19 erwaumlhnte Dipolmoment Polare Bindungen koumlnnen zu Teilchen mit permanenten Dipolen fuumlhren (zB HF Wasser Ammoniak CO) Andere Molekuumlle oder Atome sind zwar unpolar koumlnnen aber spontan oder durch aumluszligere

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elektrische Felder polarisiert werden (zB He Ar molekularer Wasserstoff molekulares Chlor) Man spricht dann von polarisierbaren Teilchen mit einem spontanen Dipolmoment oder mit einem durch ein aumluszligeres Feld bewirkten induzierten Dipolmoment In all diesen Faumlllen sind anziehende Wechselwirkungen zwischen den Teilchen moumlglich die in dem Parameter a zusammengefasst werden Daruumlber hinaus koumlnnen sich auch voruumlbergehende chemische Bindungen ausbilden Das prominenteste Beispiel fuumlr diesen Fall ist die bekannte Wasserstoffbruumlckenbindung die bei polaren X-H-Bindungen auftreten kann Im Einzelnen werden demnach folgende Arten von Wechselwirkungen mit absteigender Intensitaumlt unter-schieden

a) Wasserstoffbruumlckenbindung X-H hellip Y Hierbei bildet sich voruumlbergehend eine chemische Bindung zwischen dem polar gebundenen Wasserstoff und einem elektronegativen und mit einem freien Elektronenpaar ausgestatteten Element Y

b) Wechselwirkungen zwischen permanenten Dipolen hier besitzen alle Teilchen ein permanentes Dipolmoment Zwischen den entgegengesetzt geladenen Enden der Teilchen bauen sich dann konstant anziehende elektrostatische Wechselwir-kungen auf

c) Wechselwirkungen zwischen permanenten und induzierten Dipolen die Teil-chen mit permanentem Dipolmoment induzieren ein voruumlbergehendes Dipol-moment bei den benachbarten (zunaumlchst unpolaren) Teilchen In der Folge ergibt sich eine anziehende elektrostatische Wechselwirkung

d) Wechselwirkungen zwischen induzierten Dipolen durch spontane Polarisierung eines Teilchens entsteht ein voruumlbergehendes Dipolmoment welches bei einem benachbarten Teilchen eine Polarisierung hervorruft In der Folge ergibt sich eine kurzfristige und sehr schwache elektrostatische Anziehung zwischen den Teilchen Man spricht dabei auch von der Dispersionswechselwirkung oder der Londonschen Wechselwirkung

Alle diese Effekte sind anziehender Natur und gehen damit in den Parameter a ein Fasst man die beiden Parameter a und b zusammen so entsteht mit der van-der-Waals-Gleichung eine recht zuverlaumlssige Zustandsgleichung fuumlr reale Systeme die sowohl die abstoszligenden als auch die anziehenden Wechselwirkungen beruumlcksichtigt

Ein guter Test fuumlr diese reale Zustandsgleichung ist die Berechnung eines Diagramms von P gegen V fuumlr verschiedene Temperaturen das so genannte P-V-Diagramm und die Gegen-uumlberstellung mit dem entsprechenden experimentellen P-V-Diagramm eines realen Gases Gemaumlszlig der van-der-Waalsrsquoschen Gleichung existieren abhaumlngig von der betrachteten Tempe-ratur drei Typen von Isothermen (Abb 23 links) solche die einer Hyperbel aumlhneln (1) eine einzelne Isotherme die einen Wendepunkt mit waagrechter Tangente besitzt (2) und solche die ein Minimum ein Maximum und einen Wendepunkt aufweisen (3) Das experimentell beobachtete Verhalten stimmt in den ersten beiden Faumlllen recht gut uumlberein weicht aber bei Isothermen des dritten Typs deutlich vom berechneten Verlauf ab (Abb 23 rechts)

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P

V

PV-Diagramm nachvan-der-Waals-Gleichung

1 2

3

P

V

3

experimentell bestimmtesPV-Diagramm f reales Gas

Abb 23 PV-Diagramme fuumlr reale Gase berechnet nach van der Waals (links) und experimentell bestimmt (rechts) Die drei typischen Formen der Isothermen (1 2 und 3) sind im Text beschrieben

Offensichtlich beschreibt die van-der-Waals-Gleichung das Verhalten eines realen Gases in der Umgebung des Wendepunkts weniger gut Experimentell stellt man allerdings fest dass in diesem Bereich tatsaumlchlich auch kein reines Gas sondern vielmehr eine Mischung aus einem Gas und einer kondensierten Fluumlssigkeit also ein Zweiphasenzustand vorliegt Dieser Zwei-phasenbereich beginnt am Wendepunkt der Isothermen des Typs 2 und schlieszligt alle Minima Maxima und Wendepunkte der Isothermen des Typs 3 ein (Abb 24 links)

P

V

Zweiphasen-gebiet

P

V

Zweiphasen-gebiet

Maxwell-Maxwell-KorrekturKorrektur

Zweiphasen-Gebiet

Zweiphasen-Gebiet

A1

A2

Abb 24 PV-Diagramme fuumlr reale Gase mit eingezeichnetem Zweiphasengebiet Der in diesem Bereich bei der Beschreibung nach van der Waals gegebene Fehler kann in guter Naumlherung durch die Maxwell-Korrektur kompensiert werden

Eine einfache Korrektur der van-der-Waals-Gleichung ermoumlglicht eine realistische Beschrei-bung des Zweiphasengebiets Eine horizontale Gerade wird so in der Naumlhe des Wendepunktes gelegt dass die oberhalb und unterhalb der Geraden im Zweiphasenbereich gebildeten Teilflaumlchen A1 und A2 die gleiche Groumlszlige besitzen (sog Maxwell-Korrektur s Abbildung 24 rechts) Dies sieht zwar nach einer etwas willkuumlrlichen Hilfskonstruktion aus trotzdem laumlsst sich damit das Verhalten eines realen Gases im Zweiphasengebiet sehr gut nachvollziehen und vorhersagen Eine besonders ausgewiesene Position im PV-Diagramm eines realen Gases ist der Scheitel-punkt des Zweiphasengebiets der durch den Wendepunkt der Isotherme des Typs 2 gebildet wird (Abb 25)

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P

V

Zweiphasen-gebiet Tc

Pc

Vc

kritischer Punkt

Jedes reale Gas besitzt einen sogenannten kritischenPunkt der durch die kritischen Zustandsgroumlszligen Tc Pc undVc beschrieben wird Die kritische Temperatur Tc istdiejenige Temperatur bei der sich ein Gas unter Druckgerade noch verfluumlssigen laumlszligt Oberhalb der kritischenTemperatur existiert kein fluumlssiger Zustand Derentsprechende Druck Pc wird als kritischer Druckbezeichnet

Die Isotherme die der kritischen Temperatur zugeordnetist besitzt als einzige einen Wendepunkt mit horizontalerTangente der gleichzeitig den kritischen Punkt markiert

Abb 25 PV-Diagramm fuumlr ein reales Gas mit kritischem Punkt

Dieser sogenannte kritische Punkt wird durch die kritische Temperatur Tc den kritischen Druck Pc und das kritische Molvolumen Vc festgelegt Zustaumlnde oberhalb des kritischen Punkts nennt man uumlberkritisch Uumlberkritisches Kohlendioxid besitzt in der Technik groszlige Bedeutung fuumlr das Loumlsen und Ausfaumlllen von pharmazeutischen Wirkstoffen (zB Aspirin fuumlr Brausetabletten) fuumlr die Extraktion (zB bei der Entkoffeinierung von Kaffee) oder zur chemischen Reinigung von Textilien

35 Andere Zustandsgleichungen fuumlr reale Gase

Neben der van-der-Waals-Gleichung existieren weitere Ansaumltze zur Beschreibung realer Gase die zwar eine genauere Anpassung an die gemessenen Werte ermoumlglichen aber auch kompli-zierter sind oder mehr Arbeit bei der Bestimmung der charakteristischen Parameter erfordern Im Folgenden seien als Beispiele die Berthelot-Gleichung und die Virialgleichung erwaumlhnt

a Berthelot-Gleichung (P + (Ansup2)(TVsup2) ) (V - nB) = n R T Berthelot fuumlhrte damit als Besonderheit einen temperaturabhaumlngigen Binnendruck ein Dies ist insoweit physikalisch gerechtfertigt als die vermehrte thermische Bewegung der Ausbildung von Wechselwirkungen zwischen den Molekuumllen entgegenwirken kann

b Virialgleichung P Vm = A + B P + C Psup2 + D Psup3 + Mit Vm = Vn Die Virialgleichung nutzt die Tatsache dass sich fast alle physikalischen Zusammenhaumlnge uumlber einen Potenzreihenansatz a + bx + cxsup2 + dxsup3 + hellip beliebig genau annaumlhern lassen Je nach Anzahl der anpassbaren Parameter ist zwar eine beliebig genaue Beschreibung des realen Gases moumlglich allerdings steigt auch der Aufwand fuumlr die Bestim-mung aller Koeffizienten

36 Beschreibung von Fluumlssigkeiten

Im PV-Diagramm der realen Gase schlieszligt sich links vom Zweiphasengebiet der Bereich der fluumlssigen Phase an Sie zeichnet sich dadurch aus dass mit sinkendem Volumen der Druck ex-trem steil ansteigt Das bedeutet dass bereits eine geringfuumlgige Volumenabnahme mit einem aumluszligerst groszligen Druckanstieg verbunden ist In der Praxis hat das zur Folge dass Fluumlssigkeiten im Gegensatz zu Gasen kaum komprimierbar sind ihre Kompressibilitaumlt geht gegen Null Auch ist die Ausdehnung der Fluumlssigkeiten bei steigender Temperatur und bei konstantem

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Druck (der thermische Ausdehnungskoeffizient) sehr viel kleiner als bei Gasen Eine einfache allgemeine Zustandsgleichung fuumlr die fluumlssige Phase in Analogie zur idealen oder zur van-der-Waals-Gleichung existiert nicht Stattdessen findet man bei der experimentellen Bestimmung des Zusammenhangs zwischen P V und T fuumlr jede Fluumlssigkeit ein sehr charakteristisches Verhalten Vergleicht man die Messergebnisse verschiedener Fluumlssigkeiten untereinander so sind kaum Aumlhnlichkeiten auszumachen Daruumlber hinaus sind bestimmte Messungen (zB die Messung der Abhaumlngigkeit des Drucks vom Volumen bei konstanter Teilchenzahl und Temperatur) technisch sehr schwer zu realisieren Das Fehlen einer einheitlichen Zustandsgleichung V(TPn) fuumlr Fluumlssigkeiten liegt auch in deren komplexer Struktur begruumlndet Betrachtet man ein einzelnes Teilchen in der Fluumlssigkeit so liegt es bezuumlglich der Abstaumlnde zu seinen naumlchsten Nachbarn stets in der Naumlhe des Mini-mums einer Potentialkurve Epot(r) die einen sehr steilen Verlauf besitzt Die Abstaumlnde zu den benachbarten Teilchen sind damit nahezu fixiert folglich ist eine unabhaumlngige Translations-bewegung einzelner Teilchen praktisch unmoumlglich Stattdessen verlaufen alle Bewegungs-prozesse mehr oder weniger kollektiv also unter gleichzeitiger Verschiebung mehrerer Teilchen Daruumlber hinaus gibt es keine nennenswerten freien Volumina so dass der mittlere Abstand der Teilchen nur unwesentlich verringert werden kann ein Umstand der sich in der bereits erwaumlhnten geringen Kompressibilitaumlt aumluszligert Ein Modell fuumlr eine allgemeine Fluumlssigkeit laumlsst sich im Rahmen einer Computersimulation einfuumlhren Man betrachtet dabei einen wuumlrfelfoumlrmigen Raum der einen Ausschnitt aus dem Fluumlssigkeitsvolumen darstellen soll und eine endliche Anzahl n von Fluumlssigkeitsteilchen (zB n = 1000) enthaumllt Um die Zahl der Teilchen konstant zu halten und dabei trotzdem deren Beweglichkeit zu wahren wird eine Kontinuitaumltsbedingung eingefuumlhrt Jedes Teilchen das im Rahmen der Bewegungsprozesse den Wuumlrfel an einer gegebenen Stelle verlaumlsst tritt automatisch an der genau gegenuumlberliegenden Position des Wuumlrfels wieder ein Auf diese Weise ist gewaumlhrleistet dass die Zahl der Teilchen im Wuumlrfel konstant bleibt (Abb 26)

Abb 26 Simulation von Bewegungs-vorgaumlngen in einem Fluumlssigkeitsvolumen unter Wahrung einer konstanten Partikel-anzahl Jedes Teilchen das im Rahmen der Bewegungsprozesse den Wuumlrfel an einer gegebenen Stelle verlaumlsst tritt automatisch an der genau gegenuumlberliegenden Position des Wuumlrfels wieder ein

An diesem System fuumlhrt man nun eine so genannte Monte-Carlo-Simulation durch Dabei setzt ein Zufallsgenerator eine geringfuumlgige Verschiebung eines beliebigen einzelnen Teil-chens in Gang Anschlieszligend wird unter Verwendung des bekannten Potentialverlaufs Epot(r) berechnet wie sich nach der Verschiebung die potentielle Energie des Systems veraumlndert hat Danach entscheidet das Simulationsprogramm zwischen zwei Moumlglichkeiten

- Hat sich die gesamte potentielle Energie des Systems durch die Verschiebung verringert oder blieb sie konstant so wird die Verschiebung akzeptiert und der naumlchste Schritt berechnet - Hat sich die gesamte potentielle Energie durch die Verschiebung um den positiven Wert E erhoumlht so wird die Verschiebung mit einer Wahrscheinlichkeit die von E abhaumlngt akzeptiert und ansonsten verworfen Danach wird der naumlchste Schritt berechnet

Auf diese Weise kann man fuumlr beliebige Fluumlssigkeiten sowohl die typischen Bewegungs-prozesse als auch die einflussbedingten Veraumlnderung von Zustandsgroumlszligen (zB P in Ab-

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haumlngigkeit von V) berechnen Allerdings sind die Rechnungen bei den fuumlr eine realistische Beschreibung eines Fluumlssigkeitsvolumens notwendigen groszligen Teilchenzahlen sehr aufwaumlndig und zeitintensiv

37 Beschreibung von Festkoumlrpern

Begibt man sich im P-V-Diagramm vom fluumlssigen Zustand ausgehend noch weiter nach links (zu kleineren Volumina houmlheren Drucken und niedrigeren Temperaturen) so erreicht man den festen Zustand Die Problematik der Zustandsgleichung V(TPn) von Festkoumlrpern aumlhnelt jener der Fluumlssigkeiten Auch hier sind die Kompressibilitaumlten und die thermischen Aus-dehnungskoeffizienten uumlblicherweise sehr viel geringer als bei Gasen Ebenso wie bei Fluumls-sigkeiten sind dabei die Unterschiede zwischen einzelnen Vertretern der Festkoumlrper recht groszlig so dass keine gemeinsame Zustandsgleichung wie bei Gasen formuliert werden kann Im Vergleich mit den Werten der Fluumlssigkeiten sind die Kompressibilitaumlten und die thermischen Ausdehnungskoeffizienten der Festkoumlrper durchschnittlich nochmals um etwa zwei Groumlszligen-ordnungen geringer

Abb 27 Torsionsexperiment zur Unterscheidung zwischen Fluumlssigkeiten und Festkoumlrpern (s Text)

Der wesentliche Unterschied zwischen Festkoumlrpern und Fluumlssigkeiten besteht allerdings in ihrem gegensaumltzlichen Verhalten bezuumlglich Verformung waumlhrend Fluumlssigkeiten einer gege-benen Verformung durch ihre Zaumlhigkeit (Viskositaumlt) Widerstand leisten reagiert ein Fest-koumlrper auf eine Verformung durch eine elastische Deformation Dieses Verhalten wird in einem Torsionsrheometer deutlich wobei eine feste oder fluumlssige Probe periodisch mit einer torsionsartigen Verformung beaufschlagt wird (Abb 27) Waumlhrend der Drehmomentverlauf des Festkoumlrpers exakt gleichphasig zur periodischen Aus-lenkung erfolgt (elastische Verformung) ist der Drehmomentverlauf der Fluumlssigkeit dazu um ein Viertel einer Wellenlaumlnge phasenverschoben (viskose Reaktion) Bei Fluumlssigkeiten ist der Widerstand dann maximal wenn die Deformationsgeschwindigkeit maximal ist (blaue Linie

t

Dre

hmom

entv

erla

uf

tAusl

enku

ng

Festkoumlrper

t

Dre

hmom

entv

erla

uf

Fluumlssigkeiten

Pruumlfkoumlrper

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in Abb 26) Bei Festkoumlrpern ist die Kraft dann maximal wenn der Deformationszustandmaximal ist (rote Linie in Abb 27) Viele Festkoumlrper stellen Uumlbergaumlnge zwischen diesen beiden Extremfaumlllen dar und werden dann als viskoelastisch bezeichnet Aus der Betrachtung von Messergebnissen an einer Viel-zahl von Materialien geht hervor dass eine eindeutige Abgrenzung zwischen dem fluumlssigen und dem festen Zustand selten moumlglich ist Entsprechend gibt es auch unterschiedliche Strukturmodelle die teilweise das elastische Verhalten teilweise das plastische Verhalten von Festkoumlrpern erklaumlren Dem elastischen Festkoumlrper mit nahezu verschwindender Phasen-verschiebung wird am ehesten das Modell eines idealen Kristalls gerecht Man geht dabei davon aus dass jedes Atom bzw Molekuumll aus dem der Festkoumlrper zusammengesetzt ist sich an einem geometrisch festgelegten Gitterpunkt befindet von dem es sich nicht entfernen kann Als Bewegungsprozess ist dabei lediglich eine Schwingung mit begrenzter Amplitude moumlglich Die denkbaren Geometrien der Gitterstrukturen reichen von primitiv-kubischen Gittern (zB Natriumchlorid) uumlber kubisch-dichteste (zB Silber Kupfer) und hexagonal-dichteste Kugelpackungen (zB Magnesium Zink) bis zur kubisch-raumzentrierten Struktur (zB Eisen Molybdaumln) Haumlufig findet man leichte Abweichungen von der idealen Gitter-struktur die durch lokale Stoumlrungen hervorgerufen werden Akzeptiert man gewisse Anteile an viskosem Verhalten (dh eine leichte Phasenverschiebung) so begibt man sich in den Grenzbereich zwischen Festkoumlrpern und Fluumlssigkeiten In einem Material wie Glas ist die regelmaumlszligige Anordnung eines Gitters nicht gegeben die Atome sind unregelmaumlszligig positioniert und koumlnnen unter Belastung auch flieszligen Solche nicht-kristallinen Festkoumlrper bezeichnet man als amorph Typische Vertreter amorpher Feststoffe sind Fenster-glas viele transparente Kunststoffe (zB Plexiglas Polyester in Getraumlnkeflaschen) Wachs und Aumlhnliches Amorphe Festkoumlrper besitzen keinen Schmelzpunkt sondern erweichen bei steigender Temperatur allmaumlhlich Amorphe Festkoumlrper koumlnnen nachtraumlglich kristallisieren wobei sich haumlufig das aumluszligere Erscheinungsbild und die physikalischen Eigenschaften drastisch aumlndern (zB Plastikfolie unter Zug)

38 Das Phasendiagramm

Die drei wichtigsten Phasenzustaumlnde zu denen sich eine makroskopische Gesamtheit von Atomen oder Molekuumllen zusammenfinden koumlnnen sind also Gase Fluumlssigkeiten und Festkoumlrper Die Frage ist nun unter welchen Bedingungen sich ein System fuumlr den ersten den zweiten oder den dritten Zustand entscheidet Erfahrungsgemaumlszlig haumlngt der gegebene Phasenzustand von den in Kapitel 31 eingefuumlhrten Zustandsparametern n V P und T ab Legt man die Stoffmenge n auf einen Wert fest (zB auf ein Mol Teilchen) und beruumlcksichtigt man dass nach den gegebenen Zustandsgleichungen die Groumlszligen n V P und T miteinander verknuumlpft sind so genuumlgen zwei Parameter um den jeweils guumlnstigsten Phasenzustand eindeutig festzulegen Ein Diagramm bei dem einer der Parameter V P und T gegen einen anderen aufgetragen wird eignet sich also prinzipiell um bei einer gegebenen Teilchenart den unter diesen Bedingungen jeweils angestrebten Phasenzustand zu markieren So kann man gemaumlszlig den Abbildungen 23 bis 25 in einem Diagramm bei dem P gegen V aufgetragen wird schon den jeweils gegebenen Phasenzustand eintragen und ablesen In der Praxis eignen sich solche PV-Diagramme allerdings wenig um Phasenzustaumlnde zu markieren der gasfoumlrmige Zustand nimmt einen sehr breiten Raum ein waumlhrend der fluumlssige und der feste Zustand in dem sehr engen Bereich links neben dem Zweiphasengebiet bdquoeingequetschtldquo waumlre Vor allem in diesem Umfeld waumlre das Diagramm schwer ablesbar

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39

Wesentlich guumlnstiger ist dagegen die Auftragung vom Druck P gegen die Temperatur T In diesem PT-Diagramm das auch als Phasendiagramm bezeichnet wird lassen sich alle Phasenzustaumlnde uumlbersichtlich zuordnen Dabei bezeichnen Flaumlchenanteile im PT-Diagramm die unter den gegebenen Druck- und Temperaturbedingungen angestrebte Phase (zB fest fluumlssig gasfoumlrmig) waumlhrend Linien die dazwischen vorliegenden Gleichgewichte markieren und Phasengrenzlinien genannt werden (Abb 28)

T

Pfe

st

fluumlss

ig

gasfouml

rmig

kritischerPunkt

Tripel-punkt

Phasengrenzlinie

Abb 28 Phasendiagramm mit Auftragung des Drucks (P) gegen die Temperatur (T)

Auszligerdem enthaumllt ein Phasendiagramm gewoumlhnlich mindestens zwei besonders ausgezeich-nete Punkte den Tripelpunkt an dem die drei im Allgemeinen wichtigsten Phasenzustaumlnde fest fluumlssig und gasfoumlrmig miteinander im Gleichgewicht stehen und den bereits aus dem PV-Diagramm bekannten kritischen Punkt der das Ende eines definierten Uumlbergangs zwischen fluumlssiger und gasfoumlrmiger Phase markiert Beispiele fuumlr Phasendiagramme Kohlen-dioxid und Wasser sind in Abbildung 29 und 30 wiedergegeben

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T

P

fest

fluumlss

iggasfoumlrmig

kritischerPunkt

Tripel-punkt

2168 K

511 bar

CO2

3042 K

728 bar

Abb 29 Phasendiagramm fuumlr Kohlendioxid

T

P

fluumlss

ig

gasfoumlrmig

kritischerPunkt

H2O

Eis 1

Eis 1

Eis 2 Eis 3

Eis 5

Eis 6

Tripelpunkt6473 K

218 bar

6 mbar 27316 K

Abb 30 Phasendiagramm fuumlr Wasser Der Bereich oberhalb von 200 bar ist aus Gruumlnden der

Uumlbersichtlichkeit entlang der P-Achse komprimiert dargestellt

Eine wichtige Besonderheit des Phasenverhaltens von Wasser ist die Tatsache dass die Phasengrenzlinie zwischen fluumlssigem Wasser und Eis 1 eine negative Steigung aufweist Dies hat zur Folge dass gewoumlhnliches Eis durch Erhoumlhung des Drucks zum Schmelzen gebracht werden kann Dieser Umstand ist eine der Ursachen dafuumlr dass eine Kufe auf Eis gleitet da der durch das Schmelzen entstehende Wasserfilm die Reibung vermindert (allerdings spielt hier auch die Reibungswaumlrme eine Rolle) Der Grund fuumlr dieses Verhalten steht in direkter Verbindung mit der strukturbedingten Volumenabnahme beim Schmelzen von Eis (s Videos unter httpwwwyoutubecomwatchv=6s0b_keOiOU und httpswwwyoutubecomwatchv=CDTZoFGmZoc )

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41

Waumlhlt man in einem Phasendiagramm eine Kombination von Druck und Temperatur so kann man direkt denjenigen Phasenzustand ablesen den die gegebene Teilchenart unter diesen Bedingungen anstrebt Das heiszligt jedoch nicht dass dieser Zustand dann auch in jedem Fall und zu jeder Zeit vorliegt Haumlufig beobachtet man eine so genannte kinetische Hemmung einer Phasenumwandlung So gibt es unterkuumlhlte Fluumlssigkeiten (zB Regentropfen bei -3degC) genauso wie unterkuumlhlte Dampfphasen (zB uumlbersaumlttigten Wasserdampf in Gewitterwolken) oder uumlberhitzte Fluumlssigkeiten (zB uumlberhitztes Wasser bei einem Siedeverzug) Kristalli-sationskeime wie Staubkoumlrner koumlnnen Phasenumwandlungen beschleunigen (zB durch Staub verursachter bdquoIndustrieschneeldquo) Bisher wurden lediglich Phasendiagramme von reinen Stoffen betrachtet die nur aus einer einzelnen Sorte Atomen oder Molekuumllen bestehen Mischt man einem gegebenen Stoff eine weitere Komponente hinzu so aumlndert sich das Phasendiagramm erheblich Als Beispiel betrachten wir ein System in dessen fluumlssiger Phase ein Fremdstoff A geloumlst wird der weder im Festkoumlrper noch im der Gasphase loumlslich ist (zB Kochsalz in Wasser) In diesem Fall dehnt sich der fluumlssige Bereich des Phasendiagramms mit steigender Konzentration von A in alle Richtungen aus so dass gleichzeitig der Schmelzpunkt erniedrigt der Siedepunkt erhoumlht und der Dampfdruck verringert wird (Abb 31) In erster Naumlherung sind alle genannten Aumlnderungen proportional zu cA

T

P

fest

fluumlss

ig

gasfouml

rmig

Abb 31 Phasendiagramm fuumlr ein System in dessen fluumlssiger Phase ein Fremdstoff mit steigender

Konzentration cA geloumlst wird Der Bereich der fluumlssigen Phase dehnt sich daraufhin in alle

Richtungen aus

Bei weiter steigender Konzentration von A kann ein Punkt erreicht werden an dem die Mischung in zwei getrennte Bereiche zerfaumlllt die ebenfalls als Phasen bezeichnet werden (zB Olivenoumll und Wasser) Eine dieser Phasen besitzt dann einen hohen Loumlsemittelanteil bei geringer Konzentration von A die andere besteht aus einem hohen Anteil an A mit einem geringen Gehalt an Loumlsemittel Dieser Vorgang der Phasenseparation binaumlrer (aus zwei Komponenten bestehender) Systeme wird durch eine andere Art von Phasendiagramm beschrieben dem so genannten Mischphasendiagramm (Abb 32) Hierbei wird die Tempe-

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ratur dem relativen Anteil einer Komponente gegenuumlbergestellt der Druck wird als konstant angenommen

Abb 32 Allgemeine Darstellung eines Mischphasendiagramms

Grundsaumltzlich gibt die linke Flanke der Phasentrennlinie (links des kritischen Punkts) die Zusammensetzung der bdquoA-armenldquo Phase an waumlhrend die rechte Flanke (rechts des kritischen Punkts) die Zusammensetzung der A-reichen Phase beschreibt Die Mengen der dabei gebildeten Phasen koumlnnen nach dem so genannten Hebelgesetz berechnet werden Demnach gilt zwischen dem Anteil n1 der A-armen Phase 1 dem Anteil n2 der A-reichen Phase 2 und den Laumlngen der Pfeile s1 und s2 in der vorhergehenden Abbildung folgender Zusammenhang

n1 s1 = n2 s2

Fuumlr das gezeigte Beispiel wuumlrde das bedeuten dass der Anteil der Phase 1 etwa doppelt so groszlig waumlre wie der Anteil der Phase 2 In der Naumlhe der beiden Raumlnder des Diagramms also fuumlr xA 0 (sehr wenig A im Loumlsemittel) oder xA 1 (sehr wenig Loumlsemittel in A) liegen in den meisten Faumlllen einphasige homogene Mischungen vor Das besagt dass auch bei niedrigen Temperaturen ein wenig von dem Stoff A im Loumlsemittel bzw ein wenig Loumlsemittel im Stoff A loumlslich ist Der im Diagramm eingezeichnete kritische Punkt bedeutet dass oberhalb der dazugehoumlrigen kritischen Temperatur keine Entmischung mehr erfolgt dh hier sind die beiden Komponenten vollstaumlndig und in jedem Verhaumlltnis miteinander mischbar Neben solchen oberen kritischen Punkten gibt es auch untere kritische Punkte Im zweiten Fall gilt dass die beiden Komponenten unterhalb einer bestimmten Temperatur in jedem Verhaumlltnis miteinander mischbar sind Im Allgemeinen koumlnnen die drei verschiedenen Faumllle auftreten die in Abbildung 33 dargestellt sind

0 Molenbruch xA der Komponente A 1

Tem

pera

tur

obere kritischeTemperatur

Einphasen-gebiet

Zweiphasen-gebiet

Beispiel xA = 04

T1

Zum gezeigten Beispiel

Eine Mischung mit dem Molenbruch xA = 04 wird von T2 nach T1 abgekuumlhltDabei zerfaumlllt die Mischung bei Tklsquo in zwei Phasen derenZusammensetzung bei T1auf der x-Achse an den Punkten 1 und 2 ablesbar ist

T2

Tklsquo

1 2

kritischer Punkt

s1 s2

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0 xA 1

Tem

pera

tur

System mit oberem kritischen Punkt

kritischer Punkt

0 xA 1Te

mpe

ratu

r

System mit unterem kritischen Punkt

kritischer Punkt

0 xA 1

Tem

pera

tur

System mit oberem und unterem

kritischen Punkt

kritischer Punkt

kritische Punkte

Abb 33 Moumlgliche Varianten von kritischen Punkten bei Systemen aus zwei Komponenten

Obere kritische Punkte findet man dann wenn sich die molekulare thermische Bewegung gegen die Tendenz der Molekuumlle sich mit gleichartigen Molekuumllen zusammenzulagern durchsetzt Dieses Phaumlnomen ist sehr verbreitet so dass ein oberer kritischer Punkt bei sehr vielen Mischphasen beobachtet wird Untere kritische Punkte sind sehr viel seltener Sie treten beispielsweise dann auf wenn die beiden Komponenten miteinander bei tiefen Temperaturen einen Komplex bilden der bei houmlheren Temperaturen wieder zerfaumlllt und dann zu einer Phasenseparation fuumlhrt Ein Beispiel dafuumlr ist die Mischung aus Wasser und Triethylamin

Fuumlr Mischphasen aus drei Komponenten so genannte ternaumlre Mischungen sind die bisher gezeigten Darstellungen ungeeignet Hierfuumlr haben sich Dreiecksdiagramme (Gibbssches Phasendreieck) durchgesetzt die das Phasenverhalten unter Variation der Mengenbeitraumlge aller drei Komponenten aufzeigen (Abb 34) Das Diagramm ist so geartet dass die Summe aller drei Mengenanteile xA xB und xC in jedem Fall den Wert 1 ergibt Damit besitzt die Zusammensetzung des ternaumlren Gemisches zwei Freiheitsgrade Jede Linie die durch eine Ecke des Diagramms fuumlhrt verbindet diejenigen Punkte bei denen das Verhaumlltnis zweier Komponenten gleich ist Jede Linie die parallel zu einer der drei Seiten verlaumluft entspricht Gemischen bei denen der relative Anteil einer Komponente gleich bleibt

00 02 04 06 08 10Komponente A

00

02

04

06

08

10

Kom

pone

nte

B

0002

04

06

08

10

Komponente C

C

A

B

00 02 04 06 08 10Komponente A

00

02

04

06

08

10

Kom

pone

nte

B

00

02

04

06

08

10

Komponente C

x1

x2x

Abb 34 Prinzip eines ternaumlren Phasendiagramms nach Gibbs (Dreiecksdiagramm)

In solche ternaumlren Mischphasendiagramme lassen sich nun entsprechend den binaumlren Mischphasendiagrammen die Ein- und Zweiphasengebiete einzeichnen Das Diagramm in

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Abb 34 rechts gilt zB fuumlr eine ternaumlre Mischung aus A B und C bei der die Komponenten A und B sowie B und C jeweils paarweise in jedem Verhaumlltnis miteinander mischbar sind Die Komponenten A und C sollen dagegen nur begrenzt mischbar sein Als Konsequenz daraus ergibt sich ein Dreiecksdiagramm das an der unteren Achse die dem Anteil 0 der Komponente B entspricht ein Zweiphasengebiet aufweist

Die Hilfslinien im Zweiphasengebiet markieren die Zusammensetzung der entstehenden Einzelphasen So wuumlrde beispielsweise eine Mischung deren Zusammensetzung im Diagramm durch den Punkt x markiert ist in die beiden Phasen x1 und x2 zerfallen Die Mengenanteile der beiden Phasen koumlnnten dabei wieder uumlber das Hebelgesetz berechnet werden Um zusaumltzlich den Einfluss der Temperatur wiederzugeben muss eine weitere Koordinate eingefuumlhrt werden Man erhaumllt dabei ein dreidimensionales Dreiecksdiagramm das haumlufig unter Verwendung von Houmlhenlinien nach der Art einer topographischen Landkarte dargestellt wird Jede Houmlhenlinie des Zweiphasengebiets umschreibt dann seine Ausdehnung bei einer gegebenen Temperatur

Fragt man bei einem System mit bestehenden Randbedingungen nach der Zahl der frei variierbaren Zustandsgroumlszligen also nach der Zahl der Freiheitsgrade so haumlngt die Antwort zunaumlchst davon ab in welchem Phasenzustand sich das System befindet So kann man beispielsweise in der Gasphase (bei festgelegter Stoffmenge) Temperatur und Druck frei waumlhlen wodurch dann automatisch das Volumen festgelegt wird Gleiches gilt fuumlr die feste und die fluumlssige Phase Das System hat innerhalb eines Phasenzustands also zwei Freiheits-grade Setzt man allerdings voraus dass sich das System in einem Gleichgewicht zwischen zwei Phasen befindet (zB auf der Verdampfungslinie) so besitzt es nur einen Freiheitsgrad Am Tripelpunkt schlieszliglich bei einem Gleichgewicht zwischen drei Phasen sind keine Freiheitsgrade mehr vorhanden Zwischen der Zahl der Phasen P und der Zahl der Freiheitsgrade F gibt es also folgende einfache Beziehung

F = 3 - P

Beruumlcksichtigt man weiter dass auch mehr als eine Komponente auftreten kann (Zahl der Komponenten C gt 1) so erhoumlht sich die Zahl der Freiheitsgrade um jede zusaumltzliche Komponente deren Konzentration ja frei waumlhlbar ist um den Wert eins Man erhaumllt damit

F = 3 - P + (C - 1) oder F = C - P + 2

Nach dieser allgemeinguumlltigen Formel der so genannten Gibbsrsquoschen Phasenregel laumlsst sich die Zahl der Freiheitsgrade in jedem beliebigen System bestimmen Sie erlaubt insbesondere bei sehr komplizierten Mischungen mit einer unbekannten Anzahl an Phasenzustaumlnden uumlber eine einfache Betrachtung Ruumlckschluumlsse auf deren Phasenverhalten

Page 14: Vorlesung PC I Einführung in die Physikalische Chemierelaxation.chemie.uni-duisburg-essen.de/lehre/Skript_PC_2016_2017.pdf · Schwingungen möglich, deren Geometrie (d.h. die Zahl

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Abb 9 Darstellung von bindenden (links oben) und antibindenden Molekuumllorbitalen (rechts oben) im Wasserstoffmolekuumll H2 Das Energiediagramm links unten veranschaulicht die Bildung eines bindenden σ-Molekuumllorbitals im Fall von Wasserstoff H2 Das Diagramm rechts unten verdeutlicht die Situation in einem fiktiven Helium-Molekuumll He2 bei dem neben dem bindenden σ-Molekuumllorbital auch das antibindende σ-Molekuumllorbital besetzt wuumlrde Zweiatomiges Helium ist demzufolge nicht stabil

Die hohe Elektronendichte des bindenden σ-Orbitals im Bereich zwischen den Kernen bewirkt dass sich anziehende elektrostatische Wechselwirkungen Kern-Elektron-Kern aus-bilden koumlnnen es haumllt also das Molekuumll zusammen (deswegen bdquobindendldquo) Da das bindende σ-Orbital die niedrigere Energie besitzt wandern die zwei Elektronen des Wasserstoffmole-kuumlls beide (mit unterschiedlichen Spins) in diese Position Damit verbunden ist ein Energie-gewinn der den gebundenen Zustand beguumlnstigt Zur Trennung des Molekuumlls muss Energie aufgebracht werden Das antibindende σ-Orbital weist am Ort zwischen den Kernen die Elektronendichte Null auf Damit dominiert hier die abstoszligende elektrostatische Wechselwirkung Kern-Kern dazu-hin ist es energetisch unguumlnstiger Bei einem fiktiven Helium-Molekuumll (Abb 9 unten rechts) muss wegen der Zahl von vier Elektronen auch dieses σ-Orbital doppelt besetzt sein Dadurch wird sowohl der Energiegewinn als auch die anziehende Wechselwirkung des bindenden σ-Orbitals kompensiert so dass dieses Molekuumll insgesamt nicht stabil ist Grundsaumltzlich sind alle urspruumlnglichen Atomorbitale nach der Bildung des Molekuumlls ver-schwunden alle insgesamt vorhandenen Elektronen werden auf die neu gebildeten Molekuumll-orbitale verteilt Ist das Niveau der Atomorbitale vor der Bildung eines gemeinsamen Mole-kuumllorbitals sehr unterschiedlich so erhaumllt man eine polare kovalente Bindung bei der der Schwerpunkt der Elektronendichte auf der Seite des urspruumlnglich energieaumlrmeren Orbitals

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liegt Im Grenzfall extremer Polaritaumlt erhaumllt man eine Ionenbindung (s oben) Sind sehr viele gleichartige Orbitale an der Bildung des Molekuumllorbitals beteiligt so koumlnnen sich groszlige Delokalisationsgebiete ausbilden Im Extremfall eines Delokalisationsgebiets das sich uumlber ein ganzes Kristallgitter erstreckt spricht man von einer metallischen Bindung (s oben) Die Molekuumllorbitaltheorie (kurz MO-Theorie) ist also in der Lage saumlmtliche Bindungsarten zu beschreiben Energiediagramme wie in Abb 9 unten werden als MO-Schemata bezeichnet Fuumlr zwei-atomige Molekuumlle moumlgen sie noch recht uumlbersichtlich aussehen bei vielatomigen Molekuumllen sind sie dagegen meistens unuumlberschaubar Mit Hilfe leistungsfaumlhiger Computer lassen sich solche Molekuumllorbitale noch rechnerisch erfassen allerdings steigt der Rechenaufwand (und damit die Rechenzeit und die Kosten) mit steigender Molekuumllgroumlszlige sehr rasch an In diesem Fall kann man auf eine vereinfachende Betrachtung ausweichen die so genannte Valence-Bond-Theorie (VB-Theorie Valenzbindungstheorie) Sie wurde in Konkurrenz zur MO-Theorie entwickelt und beinhaltet eine wesentliche zusaumltzliche Naumlherung Sie ist dadurch deutlich weniger genau allerdings auch wesentlich einfacher anwendbar und in der Praxis die beste Methode um rasch und anschaulich Molekuumllgeometrien und Reaktionsmechanismen erklaumlren zu koumlnnen Im Gegensatz zur MO-Theorie geht man bei der VB-Theorie im Grundsatz davon aus dass auch im Molekuumll noch die urspruumlnglichen Atomorbitale existieren Der VB-Theorie nach entsteht die chemische Bindung dadurch dass zwei halb besetzte Atomorbitale der beiden benachbarten Atome A und B uumlberlappen Das bdquoUumlberlappungsorbitalldquo wird dann in der Regel durch die beiden resultierenden Elektronen (eines von A und eines von B) besetzt wobei das wiederum voraussetzt dass sie einen unterschiedlichen Spin aufweisen Jedes durch solche bdquoUumlberlappungldquo gebildete Orbital entspricht einer Bindung Der Einfachheit halber nimmt man an dass die anderen Atomorbitale nicht an der Bindung teilnehmen und somit unveraumlndert bleiben Aufgrund dieser doch recht groben Naumlherung kommt es bei der VB-Betrachtung von einfa-chen Molekuumllen wie Wasser Methan oder Ammoniak sehr schnell zu Problemen Zunaumlchst einmal sind die erhaltenen Bindungswinkel unrealistisch aufgrund der Tatsache dass in allen genannten Faumlllen p-Orbitale beteiligt sind resultiert aus dem VB-Modell immer wieder ein Bindungswinkel von 90deg wohingegen die tatsaumlchlichen Bindungswinkel deutlich groumlszliger sind (Wasser 1045deg Methan 109deg) Ein noch groumlszligeres Problem stellen zB die Bindungs-verhaumlltnisse des Kohlenstoffs dar eigentlich sollte man nach der VB-Theorie fuumlr eine Ver-bindung zwischen Kohlenstoff und Wasserstoff ein bdquoCH2ldquo mit einem Bindungswinkel von 90deg erwarten wobei die zwei jeweils halbbesetzten p-Orbitale des Kohlenstoffs Bindungs-anzahl und ndashwinkel vorgeben Dieser Mangel der VB-Theorie kann weitgehend repariert werden indem man die Schritte der Promotion und der Hybridisierung einfuumlhrt Beide Vorgaumlnge sind dabei nicht als natuumlrliche Prozesse sonder eher als hypothetische Hilfskonstruktionen zu verstehen die lediglich dazu dienen die Maumlngel der VB-Theorie auszuheilen Letztlich ermoumlglichen sie es mit Hilfe von Linearkombinationen aus Atomorbitalen und deren Uumlberlappungszonen den tatsaumlchlich vor-liegenden Molekuumllorbitalen naumlherzukommen

Der erste dazu notwendige Schritt die Promotion dient dazu die fuumlr die gegebene Zahl an Bindungen notwendige Zahl an ungepaarten Elektronen zu schaffen Dazu werden dann einfach Orbitale houmlherer Energie besetzt Im Fall des vierbindigen Kohlenstoffs bedeutet das beispielsweise dass ein s-Elektron an den bereits halbbesetzten px- und py-Orbitalen vorbei auf das energiereichere pz-Orbital gehoben wird Aus der Elektronenkonfiguration

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wird somit 1s 2s 2p

Dieser hypothetische Vorgang kommt einer gewissen Energieerhoumlhung gleich die allerdings dadurch abgemildert wird dass ein nach der ersten Hundschen Regel (bdquobus seat ruleldquo) guumlnsti-gerer Zustand mit ungepaarten Spins entsteht Die vier nunmehr halbbesetzten Orbitale sind in Abbildung 10 dargestellt

Abb 10 Darstellung der vier an der sp3-Hybridisierung des Kohlenstoffs beteiligten Orbitale 2s 2px 2py und 2pz(Quelle Chemgapedia)

Anschlieszligend erfolgt nun die Hybridisierung eine Art Vermischung (oder mathematisch korrekter die Bildung von Linearkombinationen) des s- mit den drei p-Orbitalen Dadurch entstehen Orbitale in gleicher Anzahl aber mit voumlllig neuer Form Symmetrie und Orien-tierung im Raum

Abb 11 Darstellung der vier aus der sp3-Hybridisierung des Kohlenstoffs resultierenden Hybridorbitale Die Ausrichtung der sp3-Hybridorbitale folgt den vier Raumdiagonalen eines Wuumlrfels oder ndash wenn man nur die groumlszligeren Segmente der Orbitale betrachtet ndash den Ecken eines Tetraeders (Quelle Chemgapedia)

Die vier neuen wiederum jeweils halbbesetzten Orbitale zeigen vom Kern aus zu den Ecken eines Tetraeders Mit ihrer Hilfe laumlsst sich nun zwanglos die Bildung des bekannten Methan-Molekuumlls CH4 erklaumlren jedes einzelne sp3-Hybridorbital uumlberlappt mit jeweils einem s-Orbi-tal eines Wasserstoffatoms wodurch eine tetraedrische Molekuumllgeometrie mit vier voumlllig gleichberechtigten Bindungen entsteht Das Ergebnis kommt den tatsaumlchlich vorhandenen Molekuumllorbitalen die sich gemaumlszlig dem MO-Modell formulieren lassen sehr nahe Festzu-halten ist dabei dass es sich sowohl bei der Promotion als auch bei der Hybridisierung um rein fiktive Prozesse handelt die lediglich postuliert werden um den VB-Ansatz zu bdquorettenldquo Der grundsaumltzliche Mangel der darin besteht dass das VB-Modell uumlberwiegend auf Atom-orbitalen beharrt die eigentlich nicht mehr existieren bleibt bestehen Viele Molekuumllgeome-trien lassen sich in der VB-Theorie nur mit Hilfe einer passenden Hybridisierung erklaumlren Dennoch das VB-Modell ist fuumlr die meisten Anwendungen in der Chemie nach wie vor der am haumlufigsten gewaumlhlte Ansatz er ist einfach intuitiv und vielseitig einsetzbar solange man die richtige Form der Hybridisierung waumlhlt Letzteres geschieht auf der Grundlage einer bekannten Molekuumllgeometrie oder unter Beruumlcksichtigung von vorhandenen Mehrfachbindun-gen Im Idealfall aumlhneln die gebildeten Hybridorbitale dann den wirklichen Molekuumllorbitalen

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In der folgenden Tabelle sind die haumlufigsten Hybridisierungsvarianten zusammengefasst und verschiedenen Molekuumllgeometrien zugeordnet Bei gegebener Geometrie des Molekuumlls (z B die trigonal-planare Anordnung um jedes Kohlenstoffatom im Ethylen) kann man so auf die passende Hybridisierung schlieszligen (im gegebenen Fall das sp2-Hybrid)

Tabelle 1 Wichtige Hybridisierungszustaumlnde nach dem VB-Modell

Hybridisierung Promotion Koordinationszahl Geometrie Beispiele

sp uarruarr suarr puarr 2 linear Acetylen Propadien

sp2 uarruarruarr suarr puarruarr 3 trigonal-planar Ethylen Benzol

sp3 uarruarruarruarr suarr puarruarruarr 4 tetraedrisch Methan Ammoniak

sp3d uarruarruarruarruarr suarr puarruarruarr duarr 5 trigonal-bipyramidal

Phosphor-pentachlorid

sp3d2 uarruarruarruarruarruarr suarr puarruarruarr duarruarr 6 oktaedrisch Schwefel-hexafluorid

Die so entstehenden Hybridorbitale kommen in ihrer raumlumlichen Darstellung den tatsaumlchli-chen Molekuumllorbitalen teilweise recht nahe sie korrigieren somit die VB-Theorie in gewissem Sinne in Richtung der MO-Theorie Allerdings bleibt festzuhalten dass die VB-Theorie keine antibindenden Orbitale kennt diese bleiben einfach unberuumlcksichtigt Dies ist eine gravie-rende Schwaumlche der VB-Theorie die sich an vielen Stellen bemerkbar macht (zB bei der Erklaumlrung des Sauerstoff-Biradikals in der Spektroskopie und bei bestimmten Reaktions-typen)

19 Elektronegativitaumlt und Polaritaumlt

In einer chemischen Bindung zwischen verschiedenen Elementen besitzen die beteiligten Atome fuumlr gewoumlhnlich unterschiedliche Tendenzen die Bindungselektronen an sich zu ziehen Bei der Betrachtung der Energieschemata im MO-Modell aumluszligert sich dies darin dass ein bindendes Molekuumllorbital aus einer Linearkombination zweier Atomorbitale mit sehr unterschiedlicher Energie hervorgeht In diesem Fall besitzt das bindende Molekuumllorbital die Tendenz hohe Elektronendichten in der Naumlhe des Elements aufzuweisen dessen Atomorbital energetisch guumlnstiger liegt Man spricht dann von einer hohen Elektronegativitaumlt dieses Elements da es in dem gebundenen Zustand durch die erhoumlhte Elektronendichte eine partiell negative Ladung aufweist Ein klassisches Beispiel ist die Verbindung Fluorwasserstoff (HF) Hier wird ein bindendes Molekuumllorbital aus der Linearkombination zwischen dem 1s-Orbital des Wasserstoffs mit einem 2p-Orbital des Fluors gebildet Letzteres liegt aufgrund der relativ hohen Kernladung und des geringen Atomradius des Fluors energetisch wesentlich tiefer wodurch sich eine stark asymmetrische Elektronenverteilung ergibt Die Elektronegativitaumlt wird in erster Linie durch die Kernladung vor allem aber auch durch den Abstand zwischen den Valenzelektronen und dem Atomkern bestimmt Daher sind auch kleine Atome wie zum Beispiel der Stickstoff der Sauerstoff oder das Fluor auch besonders elektronegativ (s Tabelle Seite 12) Im Periodensystem der Elemente nimmt die Elektro-negativitaumlt tendenziell nach oben und nach rechts zu (Edelgase ausgenommen) Linus Pauling

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schlug vor die Elektronegativitaumlt ausgehend von der VB-Theorie als dimensionslose Kenn-groumlszlige fuumlr jedes einzelne Element einzufuumlhren Sie errechnet sich aus einem Vergleich der Dissoziationsenergien der beteiligten Elemente Demnach besitzt Francium als das am wenigsten elektronegative Element den Wert 070 und Fluor als das am staumlrksten elektro-negative Element den Wert 398 Eine Zwischenstellung nimmt zB Wasserstoff mit 220 ein Bei Bindungen zwischen Elementen mit unterschiedlicher Elektronegativitaumlt spricht man von polaren Bindungen Entlang einer polaren Bindung baut sich durch die ungleiche Elektronen-verteilung ein entsprechendes Dipolmoment auf das haumlufig Anlass fuumlr starke zwischen-molekulare Kraumlfte liefert (s Kapitel 3) Im Extremfall einer sehr polaren kovalenten Bindung kann das Bindungselektron (bzw die Bindungselektronen) praktisch allein dem elektronega-tiveren Element zugesprochen werden Das entsprechende Bindungsorbital besteht dann als Linearkombination von Atomorbitalen fast ausschlieszliglich aus einem Atomorbital welches das elektronegativere Element beisteuert In diesem Fall spricht man nach klassischer Definition von einer Ionenbindung

2 Die Elektronenspektroskopie an Atomen und Molekuumllen 21 Grundlagen der Spektroskopie

Elektronen in Atomen und Molekuumllen koumlnnen ndash soweit die Erkenntnis aus Kapitel 1 ndash durch Wellenfunktionen beschrieben werden Aus diesen kann man nicht nur die Aufenthaltswahr-scheinlichkeit an verschiedenen Positionen im Raum sondern auch die Energie des Elektrons ableiten Eine Folge der Beschraumlnkung der Elektronen auf bestimmte Wellenfunktionen mit jeweils bestimmter Energie ist dass sie auch nur in bestimmten Schritten Energie aufnehmen und abgeben koumlnnen Jede Aufnahme bzw Abgabe von Energie entlang dieses Schrittes ist generell mit der Aufnahme bzw Abgabe von elektromagnetischer Strahlung verbunden Diese Tatsache bildet die Grundlage der Spektroskopie im gegebenen Fall der Elektronenspektros-kopie

Allgemein gesprochen befasst sich die Spektroskopie mit der Wechselwirkung zwischen Strahlung und Materie Etwas genauer laumlsst sich aussagen dass die Spektroskopie unter-sucht mit welcher elektromagnetischen Strahlung sich welcher energetische Uumlbergang anre-gen laumlsst Zwischen der elektromagnetischen Strahlung und dem dabei bewirkten energeti-schen Uumlbergang gilt dann grundsaumltzlich folgende Beziehung Δ E = h ∙ ν mit ΔE als der Energiedifferenz zwischen den beiden Zustaumlnden (in Joule) ν (gesprochen bdquonuumlldquo) als Frequenz der verwendeten elektromagnetischen Strahlung (in 1s oder Hertz Hz) und h als dem so genannten Planckschen Wirkungsquantum (mit h = 6626∙10-34 Js) Somit ist jeder Frequenz ν im elektromagnetischen Spektrum (Abb 12) genau ein Energiewert Δ E zugeordnet Die dazugehoumlrige Wellenlaumlnge im Vakuum (in m) errechnet sich nach λ = c ν mit c als Lichtgeschwindigkeit (im Vakuum c = 299 792 458 ms)

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Abb 12 Elektromagnetisches Spektrum (Quelle Chemgapedia)

Fuumlr die genaue Messung welche Frequenz der elektromagnetischen Strahlung einem gegebe-nen Uumlbergang anzuregen vermag gibt es experimentell zwei verschiedene Ansaumltze Entweder man strahlt Energie auf das System ein und beobachtet den Verlust an Strahlungsintensitaumlt der dann beobachtet wird wenn die Strahlung einen Uumlbergang zu einem houmlheren Energieni-veau bewirkt (Absorption) oder man fuumlhrt dem System Energie zu (zum Beispiel thermisch) und beobachtet dann die Freisetzung von Energie als Strahlung (Emission) Im einen Fall erfuumlllt die Frequenz der absorbierten Strahlung im anderen Fall die der emittierten Strahlung die Frequenzbedingung ΔE = h ∙ ν Mit beiden Methoden kann man so exakt den Energie-unterschied zwischen zwei Energieniveaus ausmessen Die Bestimmung der Werte fuumlr die charakteristischen Energieschritte ΔE eines Systems ist die Hauptaufgabe der Spektroskopie Sie eignet sich insbesondere um elektronische Wellenfunktionen eines Systems zu erkunden

22 Elektronenspektroskopie am eindimensionalen Potentialtopf

Das denkbar einfachste elektronische System ist der eindimensionale Potentialtopf Dennoch kann auch dieses Modell schon in grober Naumlherung auf Molekuumlle angewandt werden speziell auf solche mit annaumlhernd linearen Delokalisationssystemen (s Kapitel 14) Ein Beispiel ist die Reihe Butadien Hexatrien Oktatetraen usw Bildet man mit Hilfe der Loumlsungen der Schroumldingergleichung fuumlr das eindimensionale Potentialtopfmodell einen Ausdruck fuumlr den elektronischen Uumlbergang zwischen dem houmlchsten besetzten Orbital (HOO) und dem niedrig-sten unbesetzten Orbital (LUO) so erhaumllt man fuumlr die damit verbundene Energiedifferenz gemaumlszlig der in Abbildung 5 gezeigten Formel

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ΔE = h ∙ ν = (nsup2LUO-nsup2HOO) ∙ hsup2 (8 me asup2)

Mit wachsender Laumlnge a und wachsender Elektronenzahl (jedes Kohlenstoffatom im Delokali-sationsgebiet traumlgt ein Elektron bei) steigen einerseits die Werte der Quantenzahlen n fuumlr das houmlchste besetzte Orbital (HOO) und das niedrigste unbesetzte Orbital (LUO) an andererseits steigt aber auch die Laumlnge L die quadratisch im Nenner der Gleichung steht Da letzteres insgesamt uumlberwiegt sinkt der Wert fuumlr ΔE und damit fuumlr die Frequenz ν schrittweise mit Anstieg der Kettenlaumlnge Liegt die absorbierte Lichtfrequenz anfaumlnglich im UV-Bereich so verschiebt sie sich beispielsweise fuumlr das Carotin mit 11 Doppelbindungen schon in den sichtbaren blauen Bereich Weil daher Carotin blaues Licht absorbiert erscheint es im Durchlicht betrachtet in der Komplementaumlrfarbe orange-gelb Nach diesem Prinzip lassen sich viele organische Farbstoffe interpretieren Aumlndert sich die Laumlnge bzw die Elektronenzahl (und damit nsup2LUO und nsup2HOO) durch die Protonierung des Molekuumlls so hat man es mit einem Farbstoff zu tun der mit dem pH-Wert seine Farbe aumlndert ndash dies ist die Grundlage vieler pH-Indikatoren

23 Elektronenspektroskopie am Wasserstoffatom

Die wissenschaftliche Spektralanalyse wurde in der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts gemeinsam durch GR Kirchhoff und RW Bunsen entwickelt Sie entdeckten dass alle Elemente beim Erhitzen Licht aussenden Nach Zerlegung des Lichts mit einem Glasprisma erhaumllt man ein fuumlr jedes Element charakteristisches Linienmuster das so genannte Spektrum (s auch UTube-Video bdquospectral lines demoldquo httpwwwyoutubecomwatchv=2ZlhRChr_Bw) Dieses Spektrum reflektiert die Gesamtheit der dem gegebenen Element eigenen elektronischen Uumlbergaumlnge und ist damit ein unverwechselbarer Fingerabdruck Elemente koumlnnen damit sowohl in der Emissionsspektroskopie als auch in der Absorptionsspektroskopie eindeutig und mit hoher Empfindlichkeit identifiziert werden

Die Elektronenspektroskopie kann jedoch noch deutlich mehr sie erlaubt die exakte Uumlber-pruumlfung der durch die Loumlsung der Schroumldingergleichung gefundenen elektronischen Wellen-funktionen Dies wurde zunaumlchst am Wasserstoffatom mit hoher Praumlzision betrieben Histo-risch gesehen ist die erste wichtige Lichtquelle fuumlr spektroskopische Analysen unsere Sonne Dies gilt insbesondere fuumlr das Spektrum des Wasserstoffs Da die Energie der elektronischen Zustaumlnde dort einzig und allein von der Hauptquantenzahl n abhaumlngt (s Kapitel 15) werden lediglich solche Spektrallinien beobachtet die sich genau einem gegebenen ΔE = E(n) - E(nlsquo) zuordnen lassen Zuerst wurde mit der Balmer-Serie der sichtbare Anteil des Spektrums ent-deckt der mit allen Uumlbergaumlngen von oder zu dem Niveau n = 2 verbunden ist (Abb 13) Es folgten spaumlter im UV-Bereich die Lyman-Serie mit n = 1 und im IR-Bereich die Paschen-Serie mit n = 3 die Brackett-Serie mit n = 4 sowie die Pfundt- und die Humphreys-Serie mit n = 5 und n = 6 (letztere sind in Abb 13 nicht mehr eingezeichnet) Weitere Serien mit houmlheren Quantenzahlen existieren tragen aber keine eigenen Namen mehr

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Wel

lenz

ahl

[100

0 cm

-1]

0

10

20

30

40

50

60

70

80

90

100

110Grundzustand

Lyman-serie

Balmer-serie

Paschen-serie

Brackett-serie

n = 5n = 4

n = 3

n = 2

n = 1

Gustav Robert Kirchhoff

Robert Wilhelm Bunsen

Abb 13 Wichtige elektronische Uumlbergaumlnge im Wasserstoffatom

Abbildung 14 zeigt das gesamte Wasserstoffspektrum die Kuumlrzel benennen die entsprechen-den Serien (Ly = Lyman Ba = Balmer etc)

Abb 14 Spektrum des Wasserstoffatoms Die Achse fuumlr die Wellenlaumlnge ist logarithmisch aufgetragen

Eine genaue Analyse ergibt dass sich das Schema der Energiedifferenzen nach Abb 13 fast genau mit den in Kapitel 15 besprochenen Loumlsungen der Schroumldingergleichung deckt Die aumluszligerst kleinen Abweichungen die man dennoch detektieren konnte lieszligen sich auf den Bei-trag des Kerns (trotz seiner hohen Masse kann er sich minimal mit dem Elektron mitbewegen) und des Isotopeneffekts zuruumlckfuumlhren der schwerere Deuteriumkern der aus einem Proton und einem Neutron besteht bewegt sich weniger leicht mit dem Elektron mit als das einsame Proton des bdquonormalenldquo Wasserstoffs Daneben zeigen sich bei sehr hoher Aufloumlsung des Spektrums auch relativistische Effekte die zu weiteren Aufspaltungen fuumlhren

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24 Elektronenspektroskopie an Atomen mit mehreren Elektronen

Aufgrund der Wechselwirkungen zwischen den Elektronen ist bei schwereren Elementen die beim Wasserstoff gegebene Entartung bezuumlglich der Quantenzahlen l und m aufgehoben Damit wird das Energiediagramm bereits fuumlr ein einfaches houmlheres Atom wie zum Beispiel Lithium schon deutlich komplizierter (Abb 15) Neben den Uumlbergaumlngen zwischen verschiede-nen Werten fuumlr n treten nun auch Uumlbergaumlnge zwischen s und p p und d d und f auf Manche Uumlbergaumlnge (zum Beispiel solche zwischen s- und d-Niveaus) werden allerdings gewoumlhnlich nicht beobachtet man nennt sie bdquoverbotenldquo bdquoErlaubtldquo sind nur solche Uumlbergaumlnge bei denen die Nebenquantenzahl sich um den Wert plusmn1 aumlndert (also eben von s nach p von p nach d usw) Die so genannte Auswahlregel welche die erlaubten Uumlbergaumlnge festlegt heiszligt folglich Δl = plusmn1

Als weitere Folge der Wechselwirkungen zwischen den Elektronen besitzt jedes houmlhere Atom ein eigenes und von Wasserstoff verschiedenes Energiediagramm Damit besitzt aber auch jedes Atom ein unverwechselbares Muster von Energieuumlbergaumlngen die es eindeutig kenn-zeichnet Dies laumlsst sich bereits in einfachen Versuchen anhand von Flammenfaumlrbungen zeigen Diejenigen Uumlbergaumlnge deren ΔE den Wellenlaumlngen im sichtbaren Spektrum entspricht (in Abb 15 sind dies die kuumlrzeren unter den eingezeichneten blauen Pfeilen) sorgen bei vielen Elementen fuumlr ein charakteristisches farbiges Leuchten (Abb 15 rechts)

Ener

gie

Wasserstoff Lithium

n = 1

2

3

45

1s

2s

2p

3s

4s

5s

3p

4p5p

3d

4d5d

Abb 15 Termschema von Lithium mit wichtigen elektronischen Uumlbergaumlngen (links) Durch Lithium verursachte Flammenfaumlrbung (rechts Quelle httpwwwitpuni-hannoverde~zawischaITPatomshtml)

Letztlich ist auch bei allen houmlheren Atomen die Elektronenspektroskopie eine ideale Methode um das Energieniveauschema experimentell zugaumlnglich zu machen Sie eignet sich daruumlber hinaus perfekt zur schnellen und empfindlichen Identifikation von Elementen Diese Tatsache

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macht man sich sowohl in der Atomabsorptionsspektroskopie (AAS) als auch in der Atom-emissionsspektroskopie (AES) zunutze Elektronenspektren sind unverwechselbare Finger-abdruumlcke mit denen alle Elemente in hoher Empfindlichkeit und selbst uumlber groszlige Distanzen hinweg sicher identifiziert werden koumlnnen

25 Elektronenspektroskopie an Molekuumllen

Genau wie die Atomorbitale sind auch Molekuumllorbitale der Elektronenspektroskopie zugaumlng-lich Durch die systematische Analyse aller elektronischen Uumlbergaumlnge lassen sich die Energie-niveaus in einem MO-Schema schrittweise ausmessen Besonders interessant wird dieser Ansatz bei der Untersuchung der Bindungsverhaumlltnisse Im Allgemeinen beobachtet man Uumlbergaumlnge zwischen bindenden und nicht bindenden Orbitalen einerseits und den uumlblicherweise unbesetzten antibindenden Orbitalen andererseits In Abb 16 ist dies am Beispiel einer C-O-Bindung in Formaldehyd gezeigt Im Mittelpunkt stehen dabei das binden-de und das antibindende σ-Orbital C-O das bindende und das antibindende π-Orbital C-O sowie das nicht bindende freie Elektronenpaar des Sauerstoffs (ein weiteres freies Elektronen-paar bleibt unbeteiligt)

Ener

gie

σ CO

σ CO

π CO

π CO

n O

C

H

H

O

σ-σ

Uumlbe

rgan

g

π-π

Uumlbe

rgan

gn-π Uumlber-gang

σ

Abb 16 Termschema der CO-Gruppe in Formaldehyd (links) Die beteiligten Bindungen und das im betrachteten Energiefenster liegende freie Elektronenpaar des Sauerstoffs sind rechts skizziert

Die drei wichtigsten Uumlbergaumlnge die an der C-O-Gruppe detektiert werden sind der σ-σ-Uumlbergang der π-π-Uumlbergang und der n-π-Uumlbergang Letzterer ist in einer C-O-Gruppe stets am energieaumlrmsten und kann bereits mit UV-Licht einer Wellenlaumlnge um 280 nm angeregt werden (schwarzer Pfeil in Abb 16) Energiereicher und intensiver ist bei der CO-Gruppe der π-π-Uumlbergang der bei Wellenlaumlngen um 170 nm angeregt wird (roter Pfeil in Abb 16) Daruumlber hinaus zeigt das Spektrum dass die beiden freien Elektronenpaare des Sauerstoffs stark unterschiedlichen Charakter besitzen (nur eines ist an dem n-π-Uumlbergang beteiligt das andere tritt im gegebenen Spektralbereich nicht in Erscheinung)

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Auf aumlhnliche Weise lassen sich alle MO-Schemata komplizierter Molekuumlle analysieren Lie-gen die Anregungsfrequenzen der Uumlbergaumlnge im sichtbaren Bereich so haben die Molekuumlle die Funktion von Farbstoffen Haumlufig besitzen sie dann laumlngere lineare Delokalisationsgebiete deren Elektronenspektren man dann auch in grober Naumlherung mit dem eindimensionalen Potentialtopfmodell beschreiben kann (s Kapitel 22) Werden Bindungselektronen angeregt und aumlndern sich im Verlauf der elektronischen Anre-gung die Bindungsverhaumlltnisse (beispielsweise bei Besetzung eines antibindenden Zustands) so ist mit der elektronischen Anregung zwangslaumlufig auch eine Aumlnderung des energetisch guumlnstigsten Bindungsabstands verbunden Damit einhergehend werden mechanische Schwin-gungen des Molekuumlls angeregt Mit den Molekuumllschwingungen verhaumllt es sich analog zu den elektronischen Zustaumlnden auch Molekuumllschwingungen existieren nur in bestimmten definierten Zustaumlnden die sich dann den elektronischen Zustaumlnden uumlberlagern (Abb 17) Die Folge davon ist dass die Elektronenspektren von Molekuumllen haumlufig keine scharfen Linien sondern breite Absorptionsbereiche (bdquoBandenldquo) aufweisen Alle Linien fuumlr die elektronischen Uumlbergaumlnge zerlegen sich demnach in eine Vielzahl von Einzellinien die verschiedene Schwingungszustaumlnde der benachbarten elektronischen Zustaumlnde miteinander verbinden (in Abb 17 sind exemplarisch neun verschiedene moumlgliche Uumlbergaumlnge eingezeichnet) Normaler-weise liegen alle diese Linien dicht beieinander so dass insgesamt eine verbreiterte Absorp-tionsbande entsteht

Ener

gie

elektronische Niveaus

Schwingungsniveaus

Abb 17 Zum Zustandekommen von breiten Absorptionsbanden in Elektronen-Schwingungsspektren Uumlberlagerung von elektronischen Uumlbergaumlngen mit Schwingungsuumlbergaumlngen Exemplarisch sind jeweils drei Schwingungsniveaus eingezeichnet

Das Elektronenspektrum eines Molekuumlls wird wegen der dazu verwendeten Frequenzbereiche im UV- und im sichtbaren (bdquovisibleldquo) Spektrum auch UV-vis-Spektroskopie genannt Die UV-vis-Spektroskopie dient neben der Aufklaumlrung der MO-Struktur auch der schnellen und bequemen Identifikation von chemischen Verbindungen Aufgrund ihrer im Absorptionsver-fahren sehr einfachen und preisguumlnstigen Messtechnik wird sie auch haumlufig in Kombination mit anderen analytischen Verfahren (zB der Chromatographie) verwendet Uumlber eine Bestim-mung der Intensitaumlt der Anregung kann auch eine quantitative Analyse einzelner Verbindun-gen erfolgen

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3 Das Zusammenwirken von Atomen und Molekuumllen 31 Der makroskopische Zustand von Materie Bisher sind nur einzelne Bausteine der Materie also Atome und Molekuumlle betrachtet worden Nun soll das makroskopische Erscheinungsbild von Materie ins Auge gefasst werden die aus einer Vielzahl von Atomen oder Molekuumllen besteht Um den Zustand dieser aus vielen Teilchen zusammengesetzten Materie uumlberhaupt als Gesamtheit zu beschreiben benoumltigt man zunaumlchst so genannte Zustandsparameter oder Zustandsgroumlszligen Die wichtigsten Vertreter dieser Kenngroumlszligen fuumlr makroskopische Materie sind die Stoffmenge n das Volumen V der Druck P und die Temperatur T

n Stoffmenge Die Stoffmenge wird uumlber die Teilchenzahl definiert

Einheit der Teilchenzahl 1 Mol

Definition Ein Mol eines Stoffes enthaumllt dieselbe Anzahl an Teilchen wie 0012 kg reiner Kohlenstoff des Isotops 12C (1 Mol 60221023

Teilchen) Dabei muss eindeutig festgelegt sein was unter einem Teilchen des Stoffes jeweils zu verstehen ist Ist die Stoffmenge konstant so spricht man von einem geschlossenen System

V Volumen Die Definition des Volumens erfolgt uumlber die festgelegte Laumlngeneinheit und den geometrischen Volumenbegriff

Einheit des Volumens 1 msup3

Definition Ein msup3 ist das Volumen eines wuumlrfelfoumlrmigen Raums mit einer Kantenlaumlnge von einem Meter Ist das Volumen konstant so spricht man von einem isochoren Vorgang

P Druck Die Definition erfolgt uumlber die Kraft die ein Stoff auf jede Flaumlcheneinheit eines ihn einschlieszligenden Behaumllters ausuumlbt

Einheit des Drucks 1 Pascal = 1 Pa = 1 Nmsup2 = 10-5 bar

Definition Ein Pascal ist der Druck bei dem auf jeden Quadratmeter der Behaumllterwaumlnde eine Kraft von 1 Newton ausgeuumlbt wird Ist der Druck konstant so spricht man von einem isobaren Vorgang

T Temperatur

Der sicherlich am schwierigsten fassbare Zustandsparameter makroskopischer Materie ist die Temperatur Zwar ist sie direkt mit der menschlichen Wahrnehmung verknuumlpft (kalt warm heiszlighellip) physikalisch jedoch zunaumlchst sehr undefiniert da sie nicht ohne weiteres auf andere physikalische Groumlszligen zuruumlckfuumlhrbar ist Am ehesten laumlsst sie sich im ersten Ansatz als diejenige Eigenschaft von Materie beschreiben die von einem Thermometer gemessen wird

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Zur Verwendung als Thermometer eignet sich prinzipiell jeder physikalische oder chemische Vorgang der reproduzierbar mit einer Temperaturaumlnderung verknuumlpft ist Klassisch sind dies insbesondere die Ausdehnungsvorgaumlnge von Gasen Fluumlssigkeiten und Festkoumlrpern (Abb 18)

Hg

Festkoumlrperthermometer werden gewoumlhnlich nach demPrinzip des Bimetall-Thermometers ausgelegt (ganzlinks) Dabei werden zwei verschiedene Festkoumlrper(zB zwei Bleche aus verschiedenen Metallen) flaumlchigmiteinander in Kontakt gebracht Bedingt durch dieunterschiedliche thermische Ausdehnung derMaterialien kruumlmmt sich das Bimetall-Blech abhaumlngigvon der Temperatur mehr oder weniger stark zu einerSpirale

Fluumlssigkeitsthermometer (Mitte) und Gasthermometer(rechts) nutzen die Volumenaumlnderung eines fluidenMediums mit der Temperatur Die Genauigkeit kannerhoumlht werden indem einem groszligvolumigen Vorrats-behaumllter ein relativ kleinvolumiger Ausdehnungs- undAblesebereich gegenuumlbergestellt wird

Abb 18 Thermometer die auf der Grundlage der temperaturbedingten Ausdehnung von Materie beruhen

In der Praxis kommen mehr und mehr die elektronischen Varianten der Temperaturmessung zum Zug die zumeist auf der Messung der Thermospannung basieren Neben der Messmetho-de ist die Festlegung einer Temperaturskala wichtig Dazu dienten zunaumlchst einige Fixpunkte die heute teilweise noch historische Bedeutung haben

1) Die tiefste Temperatur des Winters 17081709 in Danzig - 178 degC

2) Die Temperatur von schmelzendem Eis bei 760 Torr (760 Torr = 1 atm = 101 325 Pa) 0 degC

3) Koexistenztemperatur von Eis Wasser und Wasserdampf 001 degC (exakt)

4) Die durchschnittliche Koumlrpertemperatur eines gesunden Menschen 378 degC

5) Die Siedetemperatur des Wassers bei 760 Torr (1 atm = 101 325 Pa) 100 degC

Die Punkte 1 und 4 bildeten die Grundlage des Fahrenheit-Systems die Punkte 2 und 5 die der Celsius-Skala Bei beiden Systemen wurde der definierte Bereich zunaumlchst in 100 gleiche Teile (Grade) aufgeteilt dann extrapoliert Beide Definitionen wurden spaumlter verfeinert (Celsius 9999 Grade C zwischen den Fixpunkten 3 und 5 Fahrenheit 180 Grade F zwischen den Fixpunkten 1 und 5) Trotzdem mangelt es auszliger Punkt 3 allen genannten Fixpunkten an Genauigkeit und Reproduzierbarkeit

Das zweite Problem nach der Unvollkommenheit der Fixpunkte besteht in der Festlegung einer systemunabhaumlngigen linearen Teilung Gewoumlhnlich ist der Verlauf der Skala vom gewaumlhlten Medium abhaumlngig Eine lineare Teilung auf der Skala eines Quecksilber-thermometers entspricht daher nicht einer linearen Teilung auf der Skala eines Alkoholthermometers da die Ausdehnung bei jedem Medium in unterschiedlicher Weise von der Temperatur abhaumlngt

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Beide Probleme sowohl die Wahl der passenden Fixpunkte als auch die Definition einer sinnvollen linearen Teilung werden heute durch die Festlegung der so genannten absoluten Temperaturskala geloumlst Grundlage hierfuumlr sind uumlbereinstimmende Beobachtungen an Gasthermometern

-300 -200 -100 0 100 200

V

T

-27315degCBei wiederholten Messungen mit verschiedenenGasthermometern verschiedenen Gasen undGasvolumina und bei verschiedenen Drucken stelltman fest dass sich die Verlaumlngerungen aller in denjeweiligen Diagrammen erhaltenen Linien in einemPunkt schneiden Dieser Punkt entspricht auf derVolumenachse dem Wert V = 0 und auf derTemperaturachse dem Wert T = -27315 degC

Abb 19 Ausdehnungskurven verschiedener Gase Die Temperaturskala ist zunaumlchst noch in Celsius aufgetragen

Aus dieser Beobachtung wurde geschlossen dass der Temperatur am gemeinsamen Schnitt-punkt aller Ausdehnungskurven eine besondere physikalische Bedeutung zukommt und sie sich daher als Fixpunkt einer neuen Temperaturskala eignet Weiterhin wurde festgestellt dass zwar alle Gase in ihrem Ausdehnungsverhalten von dem linearen Verlauf abweichen dass aber unter bestimmten Umstaumlnden (zB niedriger Druck) ein gemeinsamer Verlauf angestrebt wird den man auch als idealen Verlauf bezeichnen koumlnnte Am besten funktioniert das bei Helium unter schrittweise absinkenden Drucken dessen Verhalten sich fuumlr P rarr 0 zum idealen Verhalten extrapolieren laumlsst Diese Erkenntnis diente zur Definition einer absoluten Temperaturskala in Kelvin

1) Unterer Fixpunkt Schnittpunkt der Volumenexpansionskurven bdquoidealerldquo Gase (zB Helium fuumlr den Grenzfall Prarr0) 0 Kelvin

2) Oberer Fixpunkt Koexistenztemperatur von Eis Wasser und Wasserdampf 27316 Kelvin

3) Das Volumen eines bdquoidealenldquo Gases (zB Helium fuumlr den Grenzfall Prarr0) ist bei konstantem Druck proportional zur Temperatur und definiert die lineare Teilung der Temperaturskala

Gemaumlszlig dieser Definition ist jede beliebige Temperatur unter Nutzung eines bdquoidealenldquo Gasther-mometers auf der absoluten Kelvin-Skala eindeutig festgelegt Die Verwendung der Kelvin-Skala ist gegenuumlber der Nutzung klassischer Temperatursysteme bei der Beschreibung physi-kalischer Vorgaumlnge eindeutig von Vorteil Vorgaumlnge bei denen die Temperatur konstant ist nennt man isotherm Mit der Definition der wichtigsten Zustandsparameter Teilchenzahl n Volumen V Druck P und Temperatur T besteht nun die Moumlglichkeit das Verhalten makroskopischer Materie zu beschreiben Am einfachsten gelingt das im Fall von Gasen

32 Zustandsgleichung fuumlr Gase die ideale Gasgleichung

Gleichungen welche die Zustandsparameter wie n V T und P miteinander verknuumlpfen nennt man Zustandsgleichungen Sie beschreiben das Verhalten einer aus vielen einzelnen Teilchen bestehenden Materie hinsichtlich ihrer makroskopisch messbaren Groumlszligen Am

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einfachsten sind solche Zustandsgleichungen fuumlr Gase aufzustellen Untersucht man bei Gasen systematisch den Zusammenhang zwischen n V P und T so stellt man fest dass fuumlr alle Gase in mehr oder weniger guter Naumlherung folgende einfache Gleichung erfuumlllt isthellip

P ∙ V = n ∙ R ∙ T

hellipwobei R fuumlr die so genannte ideale Gaskonstante steht (R asymp 8314 J K-1 Mol-1) Diese Glei-chung auch bdquoideale Gasgleichungldquo genannt ist ein so genanntes Grenzgesetz kein real exis-tierendes Gas erfuumlllt es genau aber alle Gase kommen ihm recht nahe insbesondere bei hohen Temperaturen und niedrigen Druumlcken Eine Gleichung dieser Form nennt man auch Zustands-gleichung da sie Zustandsparameter miteinander verbindet Grafisch laumlsst sich diese Verknuumlp-fung in einem einfachen Diagramm darstellen bei dem jede Kombination von T und V genau einem Wert fuumlr P zugeordnet ist (Abb 20)

P

V

T

Abb 20 Auftragung von P gegen T und V nach der idealen Gasgleichung

Wir wissen nun dass die Gase aus einer Vielzahl von Teilchen (Atomen oder Molekuumllen) bestehen Wie laumlsst sich das durch die ideale Gasgleichung beschriebene Verhalten nun mit dieser Tatsache in Einklang bringen Was bedeuten eigentlich die Parameter Druck und Tem-peratur fuumlr ein Gas das sich aus vielen einzelnen Atomen und Molekuumllen zusammensetzt Um makroskopische Zustandsparameter uumlberhaupt mit der Teilchenwelt verknuumlpfen zu koumlnnen benoumltigen wir eine Modellvorstellung fuumlr das mechanische Zusammenwirken der Teilchen im Fall von Gasen das so genannte kinetische Gasmodell

33 Das kinetische Gasmodell

Bei den im vorhergehenden Kapitel aufgefuumlhrten Gasgesetzen handelt es sich um mathemati-sche Beschreibungen von makroskopisch beobachtbaren Vorgaumlngen Zur Interpretation der Gasgesetze auf molekularer Ebene wurden verschiedene Modelle vorgeschlagen Das erfolg-reichste unter ihnen war das sogenannte kinetische Gasmodell Es beruht auf der Vorstellung dass ein Gas aus einer Vielzahl von Teilchen besteht die folgende Bedingungen erfuumlllen

1) Sie besitzen eine Atom- oder Molmasse M einen endlichen Durchmesser d und befinden sich in staumlndiger und ungeregelter Bewegung

2) Die Groumlszlige der Teilchen ist im Verhaumlltnis zum freien Volumen vernachlaumlssig-bar

3) Zwischen den Teilchen finden elastische Stoumlszlige statt Ansonsten existieren keine weiteren Wechselwirkungen unter den Teilchen

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Nach der kinetischen Gastheorie besteht der Druck eines Gases aus der Summe aller Kraumlfte (pro Flaumlcheneinheit) die durch auf eine Flaumlche aufprallende Gasteilchen (bzw durch deren Impulsaumlnderung) ausgeuumlbt werden (Abb 21)

Vx t

Abb 21 Links schematische Darstellung der Impulsaumlnderung bei dem Auftreffen eines Gasteilchens auf der Gefaumlszligwand Viele solche Stoumlszlige fuumlhren in der Summe zum Entstehen einer messbaren dem Gasdruck zugeordneten Kraft Rechts Die Geschwindigkeitskomponente vx der Teilchen bestimmt nicht nur die Groumlszlige der Impulsaumlnderung sondern auch die Zahl der Teilchen die pro Zeiteinheit auf die Wand stoszligen Daher geht die Geschwindigkeit der Teilchen bei der Berechnung des Drucks insgesamt quadratisch ein

Dabei wird zunaumlchst davon ausgegangen dass alle Teilchen die gleiche Geschwindigkeits-komponente vx aufweisen Diese Geschwindigkeitskomponente bestimmt zum einen die Heftigkeit der Stoumlszlige zum anderen wie viele Gasteilchen pro Zeiteinheit auf die Wand prallen Insgesamt haumlngt der Druck damit vom Quadrat der Geschwindigkeitskomponente vxab Fuumlhrt man nun ein mittleres Geschwindigkeitsquadrat csup2 ein (mit vxsup2 = 13 csup2) so erhaumllt man fuumlr den an dem beweglichen Kolben spuumlrbaren Druck die Gleichung

P = 13 M csup2 (nV) oder in der Schreibweise der idealen Gasgleichung P V = 13 n M csup2 Der Druck ist nach dem kinetischen Gasmodell also die Folge einer Vielzahl von Stoumlszligen welche die Teilchen gegen die Behaumllterwaumlnde ausfuumlhren Er ist folglich proportional zur Mas-se der Teilchen (je schwerer die Teilchen desto heftiger die Stoumlszlige) zum mittleren Geschwin-digkeitsquadrat (die Geschwindigkeit der Teilchen bestimmt zum einen die Haumlufigkeit zum anderen die Heftigkeit der Stoumlszlige) und zur Zahl der Teilchen pro Volumeneinheit (womit wie nach der idealen Gasgleichung zu erwarten P umgekehrt proportional zu V ist) Die Bedeutung der Temperatur im kinetischen Gasmodell ist dagegen zunaumlchst unklar Mit der idealen Gasgleichung P V = n R T ergibt sich aber durch Koeffizientenvergleich n R T = 13 n M csup2 oder R T = 13 M csup2 Man kann unter Nutzung beider Gasmodelle so zu einem neuen teilchenbezogenen Verstaumlnd-nis des Phaumlnomens Temperatur kommen Die Temperatur eines Gases ist demnach direkt proportional zum mittleren Geschwindigkeitsquadrat der Gasteilchen oder in anderen Worten zu deren kinetischer Energie 12 M csup2 Dies ist fuumlr das Verstaumlndnis des Phaumlnomens Temperatur von groszliger Bedeutung Man kann die Temperatur eines Gases also messen indem man (bei bekannter Masse der Teilchen) die Geschwindigkeit der Gasteilchen bestimmt Die Wurzel aus dem mittleren Geschwindigkeits-quadrat also die Groumlszlige c liegt uumlblicherweise in der Groumlszligenordnung der Schallgeschwindig-keit (zum Beispiel fuumlr Stickstoff bei Raumtemperatur c = 516 ms) und steht zu ihr in einer

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festen Beziehung Tatsaumlchlich laumlsst sich die Temperatur auch uumlber eine Messung der Schall-geschwindigkeit ermitteln Nachdem das mittlere Geschwindigkeitsquadrat der Teilchen bekannt ist stellt sich die Frage nach der Geschwindigkeitsverteilung der Teilchen Die Bewegungsenergie der Teilchen ist wie alle anderen Energieformen (zB elektronische Energie Schwingungsenergie) gequantelt Das bedeutet dass sich die Teilchen auf (hier dicht gestaffelte) Energieniveaus verteilen muumlssen Sie tun das nach einem statistischen Grundprinzip das Boltzmann-Verteilung genannt wird Demnach ist die Besetzung pi eines Energieniveaus i (egal welcher Art die Energie Ei ist) stets proportional zum so genannten Boltzmannfaktor des Zustand i Es gilt

pi ~ exp[-Ei(kBT)]

Die darin enthaltene Boltzmannkonstante kB ist nichts anderes als die allgemeine Gas-konstante R (siehe unter 32) dividiert durch die Zahl NL der Teilchen in einem Mol Substanz (kB = RNL) Das bedeutet die Besetzung eines Zustands ist umso wahrscheinlicher je niedriger dessen Energie ist Steigende Temperatur T hingegen erhoumlht die Wahrscheinlichkeit energiereicher Zustaumlnde Diese Gesetzmaumlszligigkeit gilt fuumlr die Besetzung aller auf atomarer oder molekularer Ebene gegebener Zustaumlnde in einem makroskopischen System Angewandt auf die Bewegungsenergie von Gasteilchen in einer einzelnen Raumrichtung x bedeutet das dass Teilchen mit hoher Geschwindigkeit vx weniger wahrscheinlich sind als solche mit niedriger Geschwindigkeit vx Allerdings steigt die Wahrscheinlichkeit des Auftretens groszliger Werte fuumlr vx mit steigender Temperatur Teilt man den Bereich der auftretenden Geschwindigkeiten in Intervalle auf und zaumlhlt man die Teilchen die gemaumlszlig ihrer Geschwindigkeit zu den einzelnen Intervallen zugeordnet werden koumlnnen so ergibt sich fuumlr die Geschwindigkeitsverteilung in vx und v das Bild das in Abb 22 oben dargestellt ist Die Verteilungsfunktionen fuumlr die Geschwindigkeiten in y- und z-Richtung sind identisch

n(vx)

vx-Intervall

n(vx)

vx-Intervall

Temperatur-erhoumlhung

- 0 +- 0 +n(v)

v-Intervall

Temperatur-erhoumlhung

0 +

n(v)

v-Intervall0 +

Abb 22 Verteilungsfunktionen einer eindimensionalen Geschwindigkeitskomponente (oben) und der Gesamtgeschwindigkeit (unten)

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Betrachtet man die Verteilung n(v) der Gesamtgeschwindigkeit v im dreidimensionalen Raum so wird das Bild komplizierter Bezuumlglich der drei Raumrichtungen x y und z sind weiterhin die kleinen Geschwindigkeiten wahrscheinlicher als die groszligen Da nun aber fuumlr eine groszlige Gesamtgeschwindigkeit v mehr Kombinationsmoumlglichkeiten vx vy vz existieren als fuumlr kleine Gesamtgeschwindigkeiten so wird die Wahrscheinlichkeit fuumlr sehr geringe Gesamtgeschwindigkeiten entsprechend kleiner fuumlr groszlige Gesamtgeschwindigkeiten entsprechend groumlszliger Der daraus resultierende Gewichtungsfaktor fuumlr jedes v ist die relative Flaumlche der Kugelschale mit dem Radius v Insgesamt ergeben sich dann die in Abb 22 unten dargestellten Verteilungsfunktionen fuumlr niedrige und hohe Temperaturen Die Verteilungsfunktionen in vx und v lauten (ohne Herleitung)

f(vx) = [M(2RT)]12 exp [-Mvxsup2(2RT)]

f(v) = 4 [M(2RT)]32 vsup2 exp [-Mvsup2(2RT)] Der Mittelwert von vx (oder jeder anderen eindimensionalen Geschwindigkeitskomponente) ist grundsaumltzlich Null Dagegen besitzt der Mittelwert von v stets eine endliche von Null verschiedene Groumlszlige Bei einer Erhoumlhung der Temperatur werden alle Verteilungsfunktionen breiter der Mittelwert von v vergroumlszligert sich Die Temperatur eines Gases aumluszligert sich also nicht nur im mittleren Geschwindigkeitsquadrat sondern auch in der Form der Geschwindigkeitsverteilungsfunktion Bei der Mischung von Gasen unterschiedlicher Temperatur muss um die oben genannte Forderung zu erfuumlllen aus der einfachen Summe von zwei Verteilungsfunktionen eine neue der Mischtemperatur ent-sprechende Verteilungsfunktion entstehen Dies ist nur unter der Annahme moumlglich dass ein Austausch kinetischer Energie unter den Teilchen erfolgen kann Diese Tatsache bedingt die eingangs gestellte Forderung nach Teilchenstoumlszligen also Wechselwirkungen zwischen den Teilchen Damit muumlssen die Gasteilchen aber auch ein gewisses Volumen besitzen den Teil-chen ohne Eigenvolumen koumlnnen prinzipiell nicht zusammenstoszligen Darin besteht der we-sentliche Unterschied zwischen einem Gas nach dem kinetischen Gasmodell und dem idealen Gas Das ideale Gas koumlnnte man theoretisch auf ein beliebig kleines Volumen komprimieren bei einem kinetischen Gas ist dies aufgrund des Eigenvolumens nicht moumlglich Ansonsten erlaubt das kinetische Gasmodell die vollstaumlndige Interpretation der idealen Gasgleichung

34 Die korrigierte Gasgleichung nach van der Waals JD van der Waals

Mithilfe des kinetischen Gasmodells laumlsst sich die Zustandsgleichung fuumlr Gase weiter verfeinern Zunaumlchst soll beruumlcksichtigt werden dass die Teilchen ein eigenes Volumen besitzen In erster Naumlherung geschieht dies indem man ein vom Eigenvolumen der Gas-teilchen abgeleitetes minimales Volumen des Gases (das so genannte Covolumen) definiert Das Covolumen beschreibt dasjenige Volumen des Gases das bei staumlndigem mechanischem Kontakt zwischen jeweils zwei Teilchen eingenommen wird wenn man den Teilchenpaaren jeweils den sie umschreibenden kugelfoumlrmigen Raum zuordnet (wegen der geringen Wahr-scheinlichkeit von Dreierstoumlszligen kann die Bildung von Dreiergruppen ausgeschlossen werden) Das molare Covolumen b entspricht wenn man eine einfache geometrische Uumlberlegung an-setzt dem vierfachen Eigenvolumen eines Mols der Gasteilchen Um das tatsaumlchliche freie

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32

Volumen zu erhalten muss das n-fache Covolumen vom gegebenen Volumen abgezogen werden Damit wird aus der idealen Gasgleichung P V = n R T die erste korrigierte Version P (V - n b) = n R T Im zweiten Schritt soll nun uumlber das kinetische Gasmodell hinausgehend auch die anziehen-de Wechselwirkung zwischen den Teilchen beruumlcksichtigt werden Die Anziehung zwischen den Teilchen sorgt nach van der Waals fuumlr einen zusaumltzlichen nach auszligen nicht messbaren bdquoBinnendruckldquo Dieser Binnendruck ist proportional zum Quadrat der Teilchendichte (nV)sup2 Der zwischen den Teilchen tatsaumlchlich wirkende nach auszligen ebenfalls unmessbare Gesamt-druck ist dann gegeben als

Pgesamt (unmessbar) = P (messbar) + a (nV)sup2

mit einer fuumlr die anziehende Wechselwirkung charakteristischen Konstante a Die danach korrigierte Version der Gasgleichung die van-der-Waals-Gleichung fuumlr reale Gase lautet

[P + a (nV)sup2] (V - nb) = n R T

Die Konstanten b und a besitzen fuumlr jedes reale Gas charakteristische Werte die dessen Eigenvolumen (die Groumlszlige der Elektronenhuumllle) und die Staumlrke der intermolekularen Wechsel-wirkungen reflektieren Beispiele

Gas a b

Argon 01345 Pa m6Molsup2 32210-5 msup3Mol Kohlendioxid 03592 Pa m6Molsup2 426710-5 msup3Mol Helium 00034 Pa m6Molsup2 23710-5 msup3Mol Stickstoff 01390 Pa m6Molsup2 391310-5 msup3Mol Wasser 05573 Pa m6Molsup2 31010-5 msup3Mol

Der Parameter b spiegelt mit der Einheit msup3Mol weitgehend die Groumlszlige der einzelnen Teilchen (Atome oder Molekuumlle) wider So besitzt erwartungsgemaumlszlig Kohlendioxid oder Argon einen groumlszligeren Wert fuumlr b als beispielsweise Helium Allerdings sind die Unterschiede erstaunlich klein was auf die Tatsache zuruumlckzufuumlhren ist dass sich das Covolumen auf Teilchenpaare bezieht und ein Paar aus Kohlendioxidmolekuumllen gegenuumlber einem Paar aus Heliumatomen nur etwa das doppelte Volumen benoumltigt

Der Parameter a mit der Einheit Pascal mal Molvolumen zum Quadrat reflektiert die Staumlrke der Wechselwirkungen zwischen den Teilchen Diese Wechselwirkungen beruhen zum groszligen Teil auf den elektrischen Eigenschaften der Teilchen Diese wiederum sind mit der elektronischen Struktur der Atome beziehungsweise der chemischen Bindungen verknuumlpft Am wichtigsten ist dabei das in Kapitel 19 erwaumlhnte Dipolmoment Polare Bindungen koumlnnen zu Teilchen mit permanenten Dipolen fuumlhren (zB HF Wasser Ammoniak CO) Andere Molekuumlle oder Atome sind zwar unpolar koumlnnen aber spontan oder durch aumluszligere

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33

elektrische Felder polarisiert werden (zB He Ar molekularer Wasserstoff molekulares Chlor) Man spricht dann von polarisierbaren Teilchen mit einem spontanen Dipolmoment oder mit einem durch ein aumluszligeres Feld bewirkten induzierten Dipolmoment In all diesen Faumlllen sind anziehende Wechselwirkungen zwischen den Teilchen moumlglich die in dem Parameter a zusammengefasst werden Daruumlber hinaus koumlnnen sich auch voruumlbergehende chemische Bindungen ausbilden Das prominenteste Beispiel fuumlr diesen Fall ist die bekannte Wasserstoffbruumlckenbindung die bei polaren X-H-Bindungen auftreten kann Im Einzelnen werden demnach folgende Arten von Wechselwirkungen mit absteigender Intensitaumlt unter-schieden

a) Wasserstoffbruumlckenbindung X-H hellip Y Hierbei bildet sich voruumlbergehend eine chemische Bindung zwischen dem polar gebundenen Wasserstoff und einem elektronegativen und mit einem freien Elektronenpaar ausgestatteten Element Y

b) Wechselwirkungen zwischen permanenten Dipolen hier besitzen alle Teilchen ein permanentes Dipolmoment Zwischen den entgegengesetzt geladenen Enden der Teilchen bauen sich dann konstant anziehende elektrostatische Wechselwir-kungen auf

c) Wechselwirkungen zwischen permanenten und induzierten Dipolen die Teil-chen mit permanentem Dipolmoment induzieren ein voruumlbergehendes Dipol-moment bei den benachbarten (zunaumlchst unpolaren) Teilchen In der Folge ergibt sich eine anziehende elektrostatische Wechselwirkung

d) Wechselwirkungen zwischen induzierten Dipolen durch spontane Polarisierung eines Teilchens entsteht ein voruumlbergehendes Dipolmoment welches bei einem benachbarten Teilchen eine Polarisierung hervorruft In der Folge ergibt sich eine kurzfristige und sehr schwache elektrostatische Anziehung zwischen den Teilchen Man spricht dabei auch von der Dispersionswechselwirkung oder der Londonschen Wechselwirkung

Alle diese Effekte sind anziehender Natur und gehen damit in den Parameter a ein Fasst man die beiden Parameter a und b zusammen so entsteht mit der van-der-Waals-Gleichung eine recht zuverlaumlssige Zustandsgleichung fuumlr reale Systeme die sowohl die abstoszligenden als auch die anziehenden Wechselwirkungen beruumlcksichtigt

Ein guter Test fuumlr diese reale Zustandsgleichung ist die Berechnung eines Diagramms von P gegen V fuumlr verschiedene Temperaturen das so genannte P-V-Diagramm und die Gegen-uumlberstellung mit dem entsprechenden experimentellen P-V-Diagramm eines realen Gases Gemaumlszlig der van-der-Waalsrsquoschen Gleichung existieren abhaumlngig von der betrachteten Tempe-ratur drei Typen von Isothermen (Abb 23 links) solche die einer Hyperbel aumlhneln (1) eine einzelne Isotherme die einen Wendepunkt mit waagrechter Tangente besitzt (2) und solche die ein Minimum ein Maximum und einen Wendepunkt aufweisen (3) Das experimentell beobachtete Verhalten stimmt in den ersten beiden Faumlllen recht gut uumlberein weicht aber bei Isothermen des dritten Typs deutlich vom berechneten Verlauf ab (Abb 23 rechts)

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34

P

V

PV-Diagramm nachvan-der-Waals-Gleichung

1 2

3

P

V

3

experimentell bestimmtesPV-Diagramm f reales Gas

Abb 23 PV-Diagramme fuumlr reale Gase berechnet nach van der Waals (links) und experimentell bestimmt (rechts) Die drei typischen Formen der Isothermen (1 2 und 3) sind im Text beschrieben

Offensichtlich beschreibt die van-der-Waals-Gleichung das Verhalten eines realen Gases in der Umgebung des Wendepunkts weniger gut Experimentell stellt man allerdings fest dass in diesem Bereich tatsaumlchlich auch kein reines Gas sondern vielmehr eine Mischung aus einem Gas und einer kondensierten Fluumlssigkeit also ein Zweiphasenzustand vorliegt Dieser Zwei-phasenbereich beginnt am Wendepunkt der Isothermen des Typs 2 und schlieszligt alle Minima Maxima und Wendepunkte der Isothermen des Typs 3 ein (Abb 24 links)

P

V

Zweiphasen-gebiet

P

V

Zweiphasen-gebiet

Maxwell-Maxwell-KorrekturKorrektur

Zweiphasen-Gebiet

Zweiphasen-Gebiet

A1

A2

Abb 24 PV-Diagramme fuumlr reale Gase mit eingezeichnetem Zweiphasengebiet Der in diesem Bereich bei der Beschreibung nach van der Waals gegebene Fehler kann in guter Naumlherung durch die Maxwell-Korrektur kompensiert werden

Eine einfache Korrektur der van-der-Waals-Gleichung ermoumlglicht eine realistische Beschrei-bung des Zweiphasengebiets Eine horizontale Gerade wird so in der Naumlhe des Wendepunktes gelegt dass die oberhalb und unterhalb der Geraden im Zweiphasenbereich gebildeten Teilflaumlchen A1 und A2 die gleiche Groumlszlige besitzen (sog Maxwell-Korrektur s Abbildung 24 rechts) Dies sieht zwar nach einer etwas willkuumlrlichen Hilfskonstruktion aus trotzdem laumlsst sich damit das Verhalten eines realen Gases im Zweiphasengebiet sehr gut nachvollziehen und vorhersagen Eine besonders ausgewiesene Position im PV-Diagramm eines realen Gases ist der Scheitel-punkt des Zweiphasengebiets der durch den Wendepunkt der Isotherme des Typs 2 gebildet wird (Abb 25)

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P

V

Zweiphasen-gebiet Tc

Pc

Vc

kritischer Punkt

Jedes reale Gas besitzt einen sogenannten kritischenPunkt der durch die kritischen Zustandsgroumlszligen Tc Pc undVc beschrieben wird Die kritische Temperatur Tc istdiejenige Temperatur bei der sich ein Gas unter Druckgerade noch verfluumlssigen laumlszligt Oberhalb der kritischenTemperatur existiert kein fluumlssiger Zustand Derentsprechende Druck Pc wird als kritischer Druckbezeichnet

Die Isotherme die der kritischen Temperatur zugeordnetist besitzt als einzige einen Wendepunkt mit horizontalerTangente der gleichzeitig den kritischen Punkt markiert

Abb 25 PV-Diagramm fuumlr ein reales Gas mit kritischem Punkt

Dieser sogenannte kritische Punkt wird durch die kritische Temperatur Tc den kritischen Druck Pc und das kritische Molvolumen Vc festgelegt Zustaumlnde oberhalb des kritischen Punkts nennt man uumlberkritisch Uumlberkritisches Kohlendioxid besitzt in der Technik groszlige Bedeutung fuumlr das Loumlsen und Ausfaumlllen von pharmazeutischen Wirkstoffen (zB Aspirin fuumlr Brausetabletten) fuumlr die Extraktion (zB bei der Entkoffeinierung von Kaffee) oder zur chemischen Reinigung von Textilien

35 Andere Zustandsgleichungen fuumlr reale Gase

Neben der van-der-Waals-Gleichung existieren weitere Ansaumltze zur Beschreibung realer Gase die zwar eine genauere Anpassung an die gemessenen Werte ermoumlglichen aber auch kompli-zierter sind oder mehr Arbeit bei der Bestimmung der charakteristischen Parameter erfordern Im Folgenden seien als Beispiele die Berthelot-Gleichung und die Virialgleichung erwaumlhnt

a Berthelot-Gleichung (P + (Ansup2)(TVsup2) ) (V - nB) = n R T Berthelot fuumlhrte damit als Besonderheit einen temperaturabhaumlngigen Binnendruck ein Dies ist insoweit physikalisch gerechtfertigt als die vermehrte thermische Bewegung der Ausbildung von Wechselwirkungen zwischen den Molekuumllen entgegenwirken kann

b Virialgleichung P Vm = A + B P + C Psup2 + D Psup3 + Mit Vm = Vn Die Virialgleichung nutzt die Tatsache dass sich fast alle physikalischen Zusammenhaumlnge uumlber einen Potenzreihenansatz a + bx + cxsup2 + dxsup3 + hellip beliebig genau annaumlhern lassen Je nach Anzahl der anpassbaren Parameter ist zwar eine beliebig genaue Beschreibung des realen Gases moumlglich allerdings steigt auch der Aufwand fuumlr die Bestim-mung aller Koeffizienten

36 Beschreibung von Fluumlssigkeiten

Im PV-Diagramm der realen Gase schlieszligt sich links vom Zweiphasengebiet der Bereich der fluumlssigen Phase an Sie zeichnet sich dadurch aus dass mit sinkendem Volumen der Druck ex-trem steil ansteigt Das bedeutet dass bereits eine geringfuumlgige Volumenabnahme mit einem aumluszligerst groszligen Druckanstieg verbunden ist In der Praxis hat das zur Folge dass Fluumlssigkeiten im Gegensatz zu Gasen kaum komprimierbar sind ihre Kompressibilitaumlt geht gegen Null Auch ist die Ausdehnung der Fluumlssigkeiten bei steigender Temperatur und bei konstantem

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36

Druck (der thermische Ausdehnungskoeffizient) sehr viel kleiner als bei Gasen Eine einfache allgemeine Zustandsgleichung fuumlr die fluumlssige Phase in Analogie zur idealen oder zur van-der-Waals-Gleichung existiert nicht Stattdessen findet man bei der experimentellen Bestimmung des Zusammenhangs zwischen P V und T fuumlr jede Fluumlssigkeit ein sehr charakteristisches Verhalten Vergleicht man die Messergebnisse verschiedener Fluumlssigkeiten untereinander so sind kaum Aumlhnlichkeiten auszumachen Daruumlber hinaus sind bestimmte Messungen (zB die Messung der Abhaumlngigkeit des Drucks vom Volumen bei konstanter Teilchenzahl und Temperatur) technisch sehr schwer zu realisieren Das Fehlen einer einheitlichen Zustandsgleichung V(TPn) fuumlr Fluumlssigkeiten liegt auch in deren komplexer Struktur begruumlndet Betrachtet man ein einzelnes Teilchen in der Fluumlssigkeit so liegt es bezuumlglich der Abstaumlnde zu seinen naumlchsten Nachbarn stets in der Naumlhe des Mini-mums einer Potentialkurve Epot(r) die einen sehr steilen Verlauf besitzt Die Abstaumlnde zu den benachbarten Teilchen sind damit nahezu fixiert folglich ist eine unabhaumlngige Translations-bewegung einzelner Teilchen praktisch unmoumlglich Stattdessen verlaufen alle Bewegungs-prozesse mehr oder weniger kollektiv also unter gleichzeitiger Verschiebung mehrerer Teilchen Daruumlber hinaus gibt es keine nennenswerten freien Volumina so dass der mittlere Abstand der Teilchen nur unwesentlich verringert werden kann ein Umstand der sich in der bereits erwaumlhnten geringen Kompressibilitaumlt aumluszligert Ein Modell fuumlr eine allgemeine Fluumlssigkeit laumlsst sich im Rahmen einer Computersimulation einfuumlhren Man betrachtet dabei einen wuumlrfelfoumlrmigen Raum der einen Ausschnitt aus dem Fluumlssigkeitsvolumen darstellen soll und eine endliche Anzahl n von Fluumlssigkeitsteilchen (zB n = 1000) enthaumllt Um die Zahl der Teilchen konstant zu halten und dabei trotzdem deren Beweglichkeit zu wahren wird eine Kontinuitaumltsbedingung eingefuumlhrt Jedes Teilchen das im Rahmen der Bewegungsprozesse den Wuumlrfel an einer gegebenen Stelle verlaumlsst tritt automatisch an der genau gegenuumlberliegenden Position des Wuumlrfels wieder ein Auf diese Weise ist gewaumlhrleistet dass die Zahl der Teilchen im Wuumlrfel konstant bleibt (Abb 26)

Abb 26 Simulation von Bewegungs-vorgaumlngen in einem Fluumlssigkeitsvolumen unter Wahrung einer konstanten Partikel-anzahl Jedes Teilchen das im Rahmen der Bewegungsprozesse den Wuumlrfel an einer gegebenen Stelle verlaumlsst tritt automatisch an der genau gegenuumlberliegenden Position des Wuumlrfels wieder ein

An diesem System fuumlhrt man nun eine so genannte Monte-Carlo-Simulation durch Dabei setzt ein Zufallsgenerator eine geringfuumlgige Verschiebung eines beliebigen einzelnen Teil-chens in Gang Anschlieszligend wird unter Verwendung des bekannten Potentialverlaufs Epot(r) berechnet wie sich nach der Verschiebung die potentielle Energie des Systems veraumlndert hat Danach entscheidet das Simulationsprogramm zwischen zwei Moumlglichkeiten

- Hat sich die gesamte potentielle Energie des Systems durch die Verschiebung verringert oder blieb sie konstant so wird die Verschiebung akzeptiert und der naumlchste Schritt berechnet - Hat sich die gesamte potentielle Energie durch die Verschiebung um den positiven Wert E erhoumlht so wird die Verschiebung mit einer Wahrscheinlichkeit die von E abhaumlngt akzeptiert und ansonsten verworfen Danach wird der naumlchste Schritt berechnet

Auf diese Weise kann man fuumlr beliebige Fluumlssigkeiten sowohl die typischen Bewegungs-prozesse als auch die einflussbedingten Veraumlnderung von Zustandsgroumlszligen (zB P in Ab-

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37

haumlngigkeit von V) berechnen Allerdings sind die Rechnungen bei den fuumlr eine realistische Beschreibung eines Fluumlssigkeitsvolumens notwendigen groszligen Teilchenzahlen sehr aufwaumlndig und zeitintensiv

37 Beschreibung von Festkoumlrpern

Begibt man sich im P-V-Diagramm vom fluumlssigen Zustand ausgehend noch weiter nach links (zu kleineren Volumina houmlheren Drucken und niedrigeren Temperaturen) so erreicht man den festen Zustand Die Problematik der Zustandsgleichung V(TPn) von Festkoumlrpern aumlhnelt jener der Fluumlssigkeiten Auch hier sind die Kompressibilitaumlten und die thermischen Aus-dehnungskoeffizienten uumlblicherweise sehr viel geringer als bei Gasen Ebenso wie bei Fluumls-sigkeiten sind dabei die Unterschiede zwischen einzelnen Vertretern der Festkoumlrper recht groszlig so dass keine gemeinsame Zustandsgleichung wie bei Gasen formuliert werden kann Im Vergleich mit den Werten der Fluumlssigkeiten sind die Kompressibilitaumlten und die thermischen Ausdehnungskoeffizienten der Festkoumlrper durchschnittlich nochmals um etwa zwei Groumlszligen-ordnungen geringer

Abb 27 Torsionsexperiment zur Unterscheidung zwischen Fluumlssigkeiten und Festkoumlrpern (s Text)

Der wesentliche Unterschied zwischen Festkoumlrpern und Fluumlssigkeiten besteht allerdings in ihrem gegensaumltzlichen Verhalten bezuumlglich Verformung waumlhrend Fluumlssigkeiten einer gege-benen Verformung durch ihre Zaumlhigkeit (Viskositaumlt) Widerstand leisten reagiert ein Fest-koumlrper auf eine Verformung durch eine elastische Deformation Dieses Verhalten wird in einem Torsionsrheometer deutlich wobei eine feste oder fluumlssige Probe periodisch mit einer torsionsartigen Verformung beaufschlagt wird (Abb 27) Waumlhrend der Drehmomentverlauf des Festkoumlrpers exakt gleichphasig zur periodischen Aus-lenkung erfolgt (elastische Verformung) ist der Drehmomentverlauf der Fluumlssigkeit dazu um ein Viertel einer Wellenlaumlnge phasenverschoben (viskose Reaktion) Bei Fluumlssigkeiten ist der Widerstand dann maximal wenn die Deformationsgeschwindigkeit maximal ist (blaue Linie

t

Dre

hmom

entv

erla

uf

tAusl

enku

ng

Festkoumlrper

t

Dre

hmom

entv

erla

uf

Fluumlssigkeiten

Pruumlfkoumlrper

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in Abb 26) Bei Festkoumlrpern ist die Kraft dann maximal wenn der Deformationszustandmaximal ist (rote Linie in Abb 27) Viele Festkoumlrper stellen Uumlbergaumlnge zwischen diesen beiden Extremfaumlllen dar und werden dann als viskoelastisch bezeichnet Aus der Betrachtung von Messergebnissen an einer Viel-zahl von Materialien geht hervor dass eine eindeutige Abgrenzung zwischen dem fluumlssigen und dem festen Zustand selten moumlglich ist Entsprechend gibt es auch unterschiedliche Strukturmodelle die teilweise das elastische Verhalten teilweise das plastische Verhalten von Festkoumlrpern erklaumlren Dem elastischen Festkoumlrper mit nahezu verschwindender Phasen-verschiebung wird am ehesten das Modell eines idealen Kristalls gerecht Man geht dabei davon aus dass jedes Atom bzw Molekuumll aus dem der Festkoumlrper zusammengesetzt ist sich an einem geometrisch festgelegten Gitterpunkt befindet von dem es sich nicht entfernen kann Als Bewegungsprozess ist dabei lediglich eine Schwingung mit begrenzter Amplitude moumlglich Die denkbaren Geometrien der Gitterstrukturen reichen von primitiv-kubischen Gittern (zB Natriumchlorid) uumlber kubisch-dichteste (zB Silber Kupfer) und hexagonal-dichteste Kugelpackungen (zB Magnesium Zink) bis zur kubisch-raumzentrierten Struktur (zB Eisen Molybdaumln) Haumlufig findet man leichte Abweichungen von der idealen Gitter-struktur die durch lokale Stoumlrungen hervorgerufen werden Akzeptiert man gewisse Anteile an viskosem Verhalten (dh eine leichte Phasenverschiebung) so begibt man sich in den Grenzbereich zwischen Festkoumlrpern und Fluumlssigkeiten In einem Material wie Glas ist die regelmaumlszligige Anordnung eines Gitters nicht gegeben die Atome sind unregelmaumlszligig positioniert und koumlnnen unter Belastung auch flieszligen Solche nicht-kristallinen Festkoumlrper bezeichnet man als amorph Typische Vertreter amorpher Feststoffe sind Fenster-glas viele transparente Kunststoffe (zB Plexiglas Polyester in Getraumlnkeflaschen) Wachs und Aumlhnliches Amorphe Festkoumlrper besitzen keinen Schmelzpunkt sondern erweichen bei steigender Temperatur allmaumlhlich Amorphe Festkoumlrper koumlnnen nachtraumlglich kristallisieren wobei sich haumlufig das aumluszligere Erscheinungsbild und die physikalischen Eigenschaften drastisch aumlndern (zB Plastikfolie unter Zug)

38 Das Phasendiagramm

Die drei wichtigsten Phasenzustaumlnde zu denen sich eine makroskopische Gesamtheit von Atomen oder Molekuumllen zusammenfinden koumlnnen sind also Gase Fluumlssigkeiten und Festkoumlrper Die Frage ist nun unter welchen Bedingungen sich ein System fuumlr den ersten den zweiten oder den dritten Zustand entscheidet Erfahrungsgemaumlszlig haumlngt der gegebene Phasenzustand von den in Kapitel 31 eingefuumlhrten Zustandsparametern n V P und T ab Legt man die Stoffmenge n auf einen Wert fest (zB auf ein Mol Teilchen) und beruumlcksichtigt man dass nach den gegebenen Zustandsgleichungen die Groumlszligen n V P und T miteinander verknuumlpft sind so genuumlgen zwei Parameter um den jeweils guumlnstigsten Phasenzustand eindeutig festzulegen Ein Diagramm bei dem einer der Parameter V P und T gegen einen anderen aufgetragen wird eignet sich also prinzipiell um bei einer gegebenen Teilchenart den unter diesen Bedingungen jeweils angestrebten Phasenzustand zu markieren So kann man gemaumlszlig den Abbildungen 23 bis 25 in einem Diagramm bei dem P gegen V aufgetragen wird schon den jeweils gegebenen Phasenzustand eintragen und ablesen In der Praxis eignen sich solche PV-Diagramme allerdings wenig um Phasenzustaumlnde zu markieren der gasfoumlrmige Zustand nimmt einen sehr breiten Raum ein waumlhrend der fluumlssige und der feste Zustand in dem sehr engen Bereich links neben dem Zweiphasengebiet bdquoeingequetschtldquo waumlre Vor allem in diesem Umfeld waumlre das Diagramm schwer ablesbar

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Wesentlich guumlnstiger ist dagegen die Auftragung vom Druck P gegen die Temperatur T In diesem PT-Diagramm das auch als Phasendiagramm bezeichnet wird lassen sich alle Phasenzustaumlnde uumlbersichtlich zuordnen Dabei bezeichnen Flaumlchenanteile im PT-Diagramm die unter den gegebenen Druck- und Temperaturbedingungen angestrebte Phase (zB fest fluumlssig gasfoumlrmig) waumlhrend Linien die dazwischen vorliegenden Gleichgewichte markieren und Phasengrenzlinien genannt werden (Abb 28)

T

Pfe

st

fluumlss

ig

gasfouml

rmig

kritischerPunkt

Tripel-punkt

Phasengrenzlinie

Abb 28 Phasendiagramm mit Auftragung des Drucks (P) gegen die Temperatur (T)

Auszligerdem enthaumllt ein Phasendiagramm gewoumlhnlich mindestens zwei besonders ausgezeich-nete Punkte den Tripelpunkt an dem die drei im Allgemeinen wichtigsten Phasenzustaumlnde fest fluumlssig und gasfoumlrmig miteinander im Gleichgewicht stehen und den bereits aus dem PV-Diagramm bekannten kritischen Punkt der das Ende eines definierten Uumlbergangs zwischen fluumlssiger und gasfoumlrmiger Phase markiert Beispiele fuumlr Phasendiagramme Kohlen-dioxid und Wasser sind in Abbildung 29 und 30 wiedergegeben

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T

P

fest

fluumlss

iggasfoumlrmig

kritischerPunkt

Tripel-punkt

2168 K

511 bar

CO2

3042 K

728 bar

Abb 29 Phasendiagramm fuumlr Kohlendioxid

T

P

fluumlss

ig

gasfoumlrmig

kritischerPunkt

H2O

Eis 1

Eis 1

Eis 2 Eis 3

Eis 5

Eis 6

Tripelpunkt6473 K

218 bar

6 mbar 27316 K

Abb 30 Phasendiagramm fuumlr Wasser Der Bereich oberhalb von 200 bar ist aus Gruumlnden der

Uumlbersichtlichkeit entlang der P-Achse komprimiert dargestellt

Eine wichtige Besonderheit des Phasenverhaltens von Wasser ist die Tatsache dass die Phasengrenzlinie zwischen fluumlssigem Wasser und Eis 1 eine negative Steigung aufweist Dies hat zur Folge dass gewoumlhnliches Eis durch Erhoumlhung des Drucks zum Schmelzen gebracht werden kann Dieser Umstand ist eine der Ursachen dafuumlr dass eine Kufe auf Eis gleitet da der durch das Schmelzen entstehende Wasserfilm die Reibung vermindert (allerdings spielt hier auch die Reibungswaumlrme eine Rolle) Der Grund fuumlr dieses Verhalten steht in direkter Verbindung mit der strukturbedingten Volumenabnahme beim Schmelzen von Eis (s Videos unter httpwwwyoutubecomwatchv=6s0b_keOiOU und httpswwwyoutubecomwatchv=CDTZoFGmZoc )

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Waumlhlt man in einem Phasendiagramm eine Kombination von Druck und Temperatur so kann man direkt denjenigen Phasenzustand ablesen den die gegebene Teilchenart unter diesen Bedingungen anstrebt Das heiszligt jedoch nicht dass dieser Zustand dann auch in jedem Fall und zu jeder Zeit vorliegt Haumlufig beobachtet man eine so genannte kinetische Hemmung einer Phasenumwandlung So gibt es unterkuumlhlte Fluumlssigkeiten (zB Regentropfen bei -3degC) genauso wie unterkuumlhlte Dampfphasen (zB uumlbersaumlttigten Wasserdampf in Gewitterwolken) oder uumlberhitzte Fluumlssigkeiten (zB uumlberhitztes Wasser bei einem Siedeverzug) Kristalli-sationskeime wie Staubkoumlrner koumlnnen Phasenumwandlungen beschleunigen (zB durch Staub verursachter bdquoIndustrieschneeldquo) Bisher wurden lediglich Phasendiagramme von reinen Stoffen betrachtet die nur aus einer einzelnen Sorte Atomen oder Molekuumllen bestehen Mischt man einem gegebenen Stoff eine weitere Komponente hinzu so aumlndert sich das Phasendiagramm erheblich Als Beispiel betrachten wir ein System in dessen fluumlssiger Phase ein Fremdstoff A geloumlst wird der weder im Festkoumlrper noch im der Gasphase loumlslich ist (zB Kochsalz in Wasser) In diesem Fall dehnt sich der fluumlssige Bereich des Phasendiagramms mit steigender Konzentration von A in alle Richtungen aus so dass gleichzeitig der Schmelzpunkt erniedrigt der Siedepunkt erhoumlht und der Dampfdruck verringert wird (Abb 31) In erster Naumlherung sind alle genannten Aumlnderungen proportional zu cA

T

P

fest

fluumlss

ig

gasfouml

rmig

Abb 31 Phasendiagramm fuumlr ein System in dessen fluumlssiger Phase ein Fremdstoff mit steigender

Konzentration cA geloumlst wird Der Bereich der fluumlssigen Phase dehnt sich daraufhin in alle

Richtungen aus

Bei weiter steigender Konzentration von A kann ein Punkt erreicht werden an dem die Mischung in zwei getrennte Bereiche zerfaumlllt die ebenfalls als Phasen bezeichnet werden (zB Olivenoumll und Wasser) Eine dieser Phasen besitzt dann einen hohen Loumlsemittelanteil bei geringer Konzentration von A die andere besteht aus einem hohen Anteil an A mit einem geringen Gehalt an Loumlsemittel Dieser Vorgang der Phasenseparation binaumlrer (aus zwei Komponenten bestehender) Systeme wird durch eine andere Art von Phasendiagramm beschrieben dem so genannten Mischphasendiagramm (Abb 32) Hierbei wird die Tempe-

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ratur dem relativen Anteil einer Komponente gegenuumlbergestellt der Druck wird als konstant angenommen

Abb 32 Allgemeine Darstellung eines Mischphasendiagramms

Grundsaumltzlich gibt die linke Flanke der Phasentrennlinie (links des kritischen Punkts) die Zusammensetzung der bdquoA-armenldquo Phase an waumlhrend die rechte Flanke (rechts des kritischen Punkts) die Zusammensetzung der A-reichen Phase beschreibt Die Mengen der dabei gebildeten Phasen koumlnnen nach dem so genannten Hebelgesetz berechnet werden Demnach gilt zwischen dem Anteil n1 der A-armen Phase 1 dem Anteil n2 der A-reichen Phase 2 und den Laumlngen der Pfeile s1 und s2 in der vorhergehenden Abbildung folgender Zusammenhang

n1 s1 = n2 s2

Fuumlr das gezeigte Beispiel wuumlrde das bedeuten dass der Anteil der Phase 1 etwa doppelt so groszlig waumlre wie der Anteil der Phase 2 In der Naumlhe der beiden Raumlnder des Diagramms also fuumlr xA 0 (sehr wenig A im Loumlsemittel) oder xA 1 (sehr wenig Loumlsemittel in A) liegen in den meisten Faumlllen einphasige homogene Mischungen vor Das besagt dass auch bei niedrigen Temperaturen ein wenig von dem Stoff A im Loumlsemittel bzw ein wenig Loumlsemittel im Stoff A loumlslich ist Der im Diagramm eingezeichnete kritische Punkt bedeutet dass oberhalb der dazugehoumlrigen kritischen Temperatur keine Entmischung mehr erfolgt dh hier sind die beiden Komponenten vollstaumlndig und in jedem Verhaumlltnis miteinander mischbar Neben solchen oberen kritischen Punkten gibt es auch untere kritische Punkte Im zweiten Fall gilt dass die beiden Komponenten unterhalb einer bestimmten Temperatur in jedem Verhaumlltnis miteinander mischbar sind Im Allgemeinen koumlnnen die drei verschiedenen Faumllle auftreten die in Abbildung 33 dargestellt sind

0 Molenbruch xA der Komponente A 1

Tem

pera

tur

obere kritischeTemperatur

Einphasen-gebiet

Zweiphasen-gebiet

Beispiel xA = 04

T1

Zum gezeigten Beispiel

Eine Mischung mit dem Molenbruch xA = 04 wird von T2 nach T1 abgekuumlhltDabei zerfaumlllt die Mischung bei Tklsquo in zwei Phasen derenZusammensetzung bei T1auf der x-Achse an den Punkten 1 und 2 ablesbar ist

T2

Tklsquo

1 2

kritischer Punkt

s1 s2

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43

0 xA 1

Tem

pera

tur

System mit oberem kritischen Punkt

kritischer Punkt

0 xA 1Te

mpe

ratu

r

System mit unterem kritischen Punkt

kritischer Punkt

0 xA 1

Tem

pera

tur

System mit oberem und unterem

kritischen Punkt

kritischer Punkt

kritische Punkte

Abb 33 Moumlgliche Varianten von kritischen Punkten bei Systemen aus zwei Komponenten

Obere kritische Punkte findet man dann wenn sich die molekulare thermische Bewegung gegen die Tendenz der Molekuumlle sich mit gleichartigen Molekuumllen zusammenzulagern durchsetzt Dieses Phaumlnomen ist sehr verbreitet so dass ein oberer kritischer Punkt bei sehr vielen Mischphasen beobachtet wird Untere kritische Punkte sind sehr viel seltener Sie treten beispielsweise dann auf wenn die beiden Komponenten miteinander bei tiefen Temperaturen einen Komplex bilden der bei houmlheren Temperaturen wieder zerfaumlllt und dann zu einer Phasenseparation fuumlhrt Ein Beispiel dafuumlr ist die Mischung aus Wasser und Triethylamin

Fuumlr Mischphasen aus drei Komponenten so genannte ternaumlre Mischungen sind die bisher gezeigten Darstellungen ungeeignet Hierfuumlr haben sich Dreiecksdiagramme (Gibbssches Phasendreieck) durchgesetzt die das Phasenverhalten unter Variation der Mengenbeitraumlge aller drei Komponenten aufzeigen (Abb 34) Das Diagramm ist so geartet dass die Summe aller drei Mengenanteile xA xB und xC in jedem Fall den Wert 1 ergibt Damit besitzt die Zusammensetzung des ternaumlren Gemisches zwei Freiheitsgrade Jede Linie die durch eine Ecke des Diagramms fuumlhrt verbindet diejenigen Punkte bei denen das Verhaumlltnis zweier Komponenten gleich ist Jede Linie die parallel zu einer der drei Seiten verlaumluft entspricht Gemischen bei denen der relative Anteil einer Komponente gleich bleibt

00 02 04 06 08 10Komponente A

00

02

04

06

08

10

Kom

pone

nte

B

0002

04

06

08

10

Komponente C

C

A

B

00 02 04 06 08 10Komponente A

00

02

04

06

08

10

Kom

pone

nte

B

00

02

04

06

08

10

Komponente C

x1

x2x

Abb 34 Prinzip eines ternaumlren Phasendiagramms nach Gibbs (Dreiecksdiagramm)

In solche ternaumlren Mischphasendiagramme lassen sich nun entsprechend den binaumlren Mischphasendiagrammen die Ein- und Zweiphasengebiete einzeichnen Das Diagramm in

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Abb 34 rechts gilt zB fuumlr eine ternaumlre Mischung aus A B und C bei der die Komponenten A und B sowie B und C jeweils paarweise in jedem Verhaumlltnis miteinander mischbar sind Die Komponenten A und C sollen dagegen nur begrenzt mischbar sein Als Konsequenz daraus ergibt sich ein Dreiecksdiagramm das an der unteren Achse die dem Anteil 0 der Komponente B entspricht ein Zweiphasengebiet aufweist

Die Hilfslinien im Zweiphasengebiet markieren die Zusammensetzung der entstehenden Einzelphasen So wuumlrde beispielsweise eine Mischung deren Zusammensetzung im Diagramm durch den Punkt x markiert ist in die beiden Phasen x1 und x2 zerfallen Die Mengenanteile der beiden Phasen koumlnnten dabei wieder uumlber das Hebelgesetz berechnet werden Um zusaumltzlich den Einfluss der Temperatur wiederzugeben muss eine weitere Koordinate eingefuumlhrt werden Man erhaumllt dabei ein dreidimensionales Dreiecksdiagramm das haumlufig unter Verwendung von Houmlhenlinien nach der Art einer topographischen Landkarte dargestellt wird Jede Houmlhenlinie des Zweiphasengebiets umschreibt dann seine Ausdehnung bei einer gegebenen Temperatur

Fragt man bei einem System mit bestehenden Randbedingungen nach der Zahl der frei variierbaren Zustandsgroumlszligen also nach der Zahl der Freiheitsgrade so haumlngt die Antwort zunaumlchst davon ab in welchem Phasenzustand sich das System befindet So kann man beispielsweise in der Gasphase (bei festgelegter Stoffmenge) Temperatur und Druck frei waumlhlen wodurch dann automatisch das Volumen festgelegt wird Gleiches gilt fuumlr die feste und die fluumlssige Phase Das System hat innerhalb eines Phasenzustands also zwei Freiheits-grade Setzt man allerdings voraus dass sich das System in einem Gleichgewicht zwischen zwei Phasen befindet (zB auf der Verdampfungslinie) so besitzt es nur einen Freiheitsgrad Am Tripelpunkt schlieszliglich bei einem Gleichgewicht zwischen drei Phasen sind keine Freiheitsgrade mehr vorhanden Zwischen der Zahl der Phasen P und der Zahl der Freiheitsgrade F gibt es also folgende einfache Beziehung

F = 3 - P

Beruumlcksichtigt man weiter dass auch mehr als eine Komponente auftreten kann (Zahl der Komponenten C gt 1) so erhoumlht sich die Zahl der Freiheitsgrade um jede zusaumltzliche Komponente deren Konzentration ja frei waumlhlbar ist um den Wert eins Man erhaumllt damit

F = 3 - P + (C - 1) oder F = C - P + 2

Nach dieser allgemeinguumlltigen Formel der so genannten Gibbsrsquoschen Phasenregel laumlsst sich die Zahl der Freiheitsgrade in jedem beliebigen System bestimmen Sie erlaubt insbesondere bei sehr komplizierten Mischungen mit einer unbekannten Anzahl an Phasenzustaumlnden uumlber eine einfache Betrachtung Ruumlckschluumlsse auf deren Phasenverhalten

Page 15: Vorlesung PC I Einführung in die Physikalische Chemierelaxation.chemie.uni-duisburg-essen.de/lehre/Skript_PC_2016_2017.pdf · Schwingungen möglich, deren Geometrie (d.h. die Zahl

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liegt Im Grenzfall extremer Polaritaumlt erhaumllt man eine Ionenbindung (s oben) Sind sehr viele gleichartige Orbitale an der Bildung des Molekuumllorbitals beteiligt so koumlnnen sich groszlige Delokalisationsgebiete ausbilden Im Extremfall eines Delokalisationsgebiets das sich uumlber ein ganzes Kristallgitter erstreckt spricht man von einer metallischen Bindung (s oben) Die Molekuumllorbitaltheorie (kurz MO-Theorie) ist also in der Lage saumlmtliche Bindungsarten zu beschreiben Energiediagramme wie in Abb 9 unten werden als MO-Schemata bezeichnet Fuumlr zwei-atomige Molekuumlle moumlgen sie noch recht uumlbersichtlich aussehen bei vielatomigen Molekuumllen sind sie dagegen meistens unuumlberschaubar Mit Hilfe leistungsfaumlhiger Computer lassen sich solche Molekuumllorbitale noch rechnerisch erfassen allerdings steigt der Rechenaufwand (und damit die Rechenzeit und die Kosten) mit steigender Molekuumllgroumlszlige sehr rasch an In diesem Fall kann man auf eine vereinfachende Betrachtung ausweichen die so genannte Valence-Bond-Theorie (VB-Theorie Valenzbindungstheorie) Sie wurde in Konkurrenz zur MO-Theorie entwickelt und beinhaltet eine wesentliche zusaumltzliche Naumlherung Sie ist dadurch deutlich weniger genau allerdings auch wesentlich einfacher anwendbar und in der Praxis die beste Methode um rasch und anschaulich Molekuumllgeometrien und Reaktionsmechanismen erklaumlren zu koumlnnen Im Gegensatz zur MO-Theorie geht man bei der VB-Theorie im Grundsatz davon aus dass auch im Molekuumll noch die urspruumlnglichen Atomorbitale existieren Der VB-Theorie nach entsteht die chemische Bindung dadurch dass zwei halb besetzte Atomorbitale der beiden benachbarten Atome A und B uumlberlappen Das bdquoUumlberlappungsorbitalldquo wird dann in der Regel durch die beiden resultierenden Elektronen (eines von A und eines von B) besetzt wobei das wiederum voraussetzt dass sie einen unterschiedlichen Spin aufweisen Jedes durch solche bdquoUumlberlappungldquo gebildete Orbital entspricht einer Bindung Der Einfachheit halber nimmt man an dass die anderen Atomorbitale nicht an der Bindung teilnehmen und somit unveraumlndert bleiben Aufgrund dieser doch recht groben Naumlherung kommt es bei der VB-Betrachtung von einfa-chen Molekuumllen wie Wasser Methan oder Ammoniak sehr schnell zu Problemen Zunaumlchst einmal sind die erhaltenen Bindungswinkel unrealistisch aufgrund der Tatsache dass in allen genannten Faumlllen p-Orbitale beteiligt sind resultiert aus dem VB-Modell immer wieder ein Bindungswinkel von 90deg wohingegen die tatsaumlchlichen Bindungswinkel deutlich groumlszliger sind (Wasser 1045deg Methan 109deg) Ein noch groumlszligeres Problem stellen zB die Bindungs-verhaumlltnisse des Kohlenstoffs dar eigentlich sollte man nach der VB-Theorie fuumlr eine Ver-bindung zwischen Kohlenstoff und Wasserstoff ein bdquoCH2ldquo mit einem Bindungswinkel von 90deg erwarten wobei die zwei jeweils halbbesetzten p-Orbitale des Kohlenstoffs Bindungs-anzahl und ndashwinkel vorgeben Dieser Mangel der VB-Theorie kann weitgehend repariert werden indem man die Schritte der Promotion und der Hybridisierung einfuumlhrt Beide Vorgaumlnge sind dabei nicht als natuumlrliche Prozesse sonder eher als hypothetische Hilfskonstruktionen zu verstehen die lediglich dazu dienen die Maumlngel der VB-Theorie auszuheilen Letztlich ermoumlglichen sie es mit Hilfe von Linearkombinationen aus Atomorbitalen und deren Uumlberlappungszonen den tatsaumlchlich vor-liegenden Molekuumllorbitalen naumlherzukommen

Der erste dazu notwendige Schritt die Promotion dient dazu die fuumlr die gegebene Zahl an Bindungen notwendige Zahl an ungepaarten Elektronen zu schaffen Dazu werden dann einfach Orbitale houmlherer Energie besetzt Im Fall des vierbindigen Kohlenstoffs bedeutet das beispielsweise dass ein s-Elektron an den bereits halbbesetzten px- und py-Orbitalen vorbei auf das energiereichere pz-Orbital gehoben wird Aus der Elektronenkonfiguration

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wird somit 1s 2s 2p

Dieser hypothetische Vorgang kommt einer gewissen Energieerhoumlhung gleich die allerdings dadurch abgemildert wird dass ein nach der ersten Hundschen Regel (bdquobus seat ruleldquo) guumlnsti-gerer Zustand mit ungepaarten Spins entsteht Die vier nunmehr halbbesetzten Orbitale sind in Abbildung 10 dargestellt

Abb 10 Darstellung der vier an der sp3-Hybridisierung des Kohlenstoffs beteiligten Orbitale 2s 2px 2py und 2pz(Quelle Chemgapedia)

Anschlieszligend erfolgt nun die Hybridisierung eine Art Vermischung (oder mathematisch korrekter die Bildung von Linearkombinationen) des s- mit den drei p-Orbitalen Dadurch entstehen Orbitale in gleicher Anzahl aber mit voumlllig neuer Form Symmetrie und Orien-tierung im Raum

Abb 11 Darstellung der vier aus der sp3-Hybridisierung des Kohlenstoffs resultierenden Hybridorbitale Die Ausrichtung der sp3-Hybridorbitale folgt den vier Raumdiagonalen eines Wuumlrfels oder ndash wenn man nur die groumlszligeren Segmente der Orbitale betrachtet ndash den Ecken eines Tetraeders (Quelle Chemgapedia)

Die vier neuen wiederum jeweils halbbesetzten Orbitale zeigen vom Kern aus zu den Ecken eines Tetraeders Mit ihrer Hilfe laumlsst sich nun zwanglos die Bildung des bekannten Methan-Molekuumlls CH4 erklaumlren jedes einzelne sp3-Hybridorbital uumlberlappt mit jeweils einem s-Orbi-tal eines Wasserstoffatoms wodurch eine tetraedrische Molekuumllgeometrie mit vier voumlllig gleichberechtigten Bindungen entsteht Das Ergebnis kommt den tatsaumlchlich vorhandenen Molekuumllorbitalen die sich gemaumlszlig dem MO-Modell formulieren lassen sehr nahe Festzu-halten ist dabei dass es sich sowohl bei der Promotion als auch bei der Hybridisierung um rein fiktive Prozesse handelt die lediglich postuliert werden um den VB-Ansatz zu bdquorettenldquo Der grundsaumltzliche Mangel der darin besteht dass das VB-Modell uumlberwiegend auf Atom-orbitalen beharrt die eigentlich nicht mehr existieren bleibt bestehen Viele Molekuumllgeome-trien lassen sich in der VB-Theorie nur mit Hilfe einer passenden Hybridisierung erklaumlren Dennoch das VB-Modell ist fuumlr die meisten Anwendungen in der Chemie nach wie vor der am haumlufigsten gewaumlhlte Ansatz er ist einfach intuitiv und vielseitig einsetzbar solange man die richtige Form der Hybridisierung waumlhlt Letzteres geschieht auf der Grundlage einer bekannten Molekuumllgeometrie oder unter Beruumlcksichtigung von vorhandenen Mehrfachbindun-gen Im Idealfall aumlhneln die gebildeten Hybridorbitale dann den wirklichen Molekuumllorbitalen

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In der folgenden Tabelle sind die haumlufigsten Hybridisierungsvarianten zusammengefasst und verschiedenen Molekuumllgeometrien zugeordnet Bei gegebener Geometrie des Molekuumlls (z B die trigonal-planare Anordnung um jedes Kohlenstoffatom im Ethylen) kann man so auf die passende Hybridisierung schlieszligen (im gegebenen Fall das sp2-Hybrid)

Tabelle 1 Wichtige Hybridisierungszustaumlnde nach dem VB-Modell

Hybridisierung Promotion Koordinationszahl Geometrie Beispiele

sp uarruarr suarr puarr 2 linear Acetylen Propadien

sp2 uarruarruarr suarr puarruarr 3 trigonal-planar Ethylen Benzol

sp3 uarruarruarruarr suarr puarruarruarr 4 tetraedrisch Methan Ammoniak

sp3d uarruarruarruarruarr suarr puarruarruarr duarr 5 trigonal-bipyramidal

Phosphor-pentachlorid

sp3d2 uarruarruarruarruarruarr suarr puarruarruarr duarruarr 6 oktaedrisch Schwefel-hexafluorid

Die so entstehenden Hybridorbitale kommen in ihrer raumlumlichen Darstellung den tatsaumlchli-chen Molekuumllorbitalen teilweise recht nahe sie korrigieren somit die VB-Theorie in gewissem Sinne in Richtung der MO-Theorie Allerdings bleibt festzuhalten dass die VB-Theorie keine antibindenden Orbitale kennt diese bleiben einfach unberuumlcksichtigt Dies ist eine gravie-rende Schwaumlche der VB-Theorie die sich an vielen Stellen bemerkbar macht (zB bei der Erklaumlrung des Sauerstoff-Biradikals in der Spektroskopie und bei bestimmten Reaktions-typen)

19 Elektronegativitaumlt und Polaritaumlt

In einer chemischen Bindung zwischen verschiedenen Elementen besitzen die beteiligten Atome fuumlr gewoumlhnlich unterschiedliche Tendenzen die Bindungselektronen an sich zu ziehen Bei der Betrachtung der Energieschemata im MO-Modell aumluszligert sich dies darin dass ein bindendes Molekuumllorbital aus einer Linearkombination zweier Atomorbitale mit sehr unterschiedlicher Energie hervorgeht In diesem Fall besitzt das bindende Molekuumllorbital die Tendenz hohe Elektronendichten in der Naumlhe des Elements aufzuweisen dessen Atomorbital energetisch guumlnstiger liegt Man spricht dann von einer hohen Elektronegativitaumlt dieses Elements da es in dem gebundenen Zustand durch die erhoumlhte Elektronendichte eine partiell negative Ladung aufweist Ein klassisches Beispiel ist die Verbindung Fluorwasserstoff (HF) Hier wird ein bindendes Molekuumllorbital aus der Linearkombination zwischen dem 1s-Orbital des Wasserstoffs mit einem 2p-Orbital des Fluors gebildet Letzteres liegt aufgrund der relativ hohen Kernladung und des geringen Atomradius des Fluors energetisch wesentlich tiefer wodurch sich eine stark asymmetrische Elektronenverteilung ergibt Die Elektronegativitaumlt wird in erster Linie durch die Kernladung vor allem aber auch durch den Abstand zwischen den Valenzelektronen und dem Atomkern bestimmt Daher sind auch kleine Atome wie zum Beispiel der Stickstoff der Sauerstoff oder das Fluor auch besonders elektronegativ (s Tabelle Seite 12) Im Periodensystem der Elemente nimmt die Elektro-negativitaumlt tendenziell nach oben und nach rechts zu (Edelgase ausgenommen) Linus Pauling

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schlug vor die Elektronegativitaumlt ausgehend von der VB-Theorie als dimensionslose Kenn-groumlszlige fuumlr jedes einzelne Element einzufuumlhren Sie errechnet sich aus einem Vergleich der Dissoziationsenergien der beteiligten Elemente Demnach besitzt Francium als das am wenigsten elektronegative Element den Wert 070 und Fluor als das am staumlrksten elektro-negative Element den Wert 398 Eine Zwischenstellung nimmt zB Wasserstoff mit 220 ein Bei Bindungen zwischen Elementen mit unterschiedlicher Elektronegativitaumlt spricht man von polaren Bindungen Entlang einer polaren Bindung baut sich durch die ungleiche Elektronen-verteilung ein entsprechendes Dipolmoment auf das haumlufig Anlass fuumlr starke zwischen-molekulare Kraumlfte liefert (s Kapitel 3) Im Extremfall einer sehr polaren kovalenten Bindung kann das Bindungselektron (bzw die Bindungselektronen) praktisch allein dem elektronega-tiveren Element zugesprochen werden Das entsprechende Bindungsorbital besteht dann als Linearkombination von Atomorbitalen fast ausschlieszliglich aus einem Atomorbital welches das elektronegativere Element beisteuert In diesem Fall spricht man nach klassischer Definition von einer Ionenbindung

2 Die Elektronenspektroskopie an Atomen und Molekuumllen 21 Grundlagen der Spektroskopie

Elektronen in Atomen und Molekuumllen koumlnnen ndash soweit die Erkenntnis aus Kapitel 1 ndash durch Wellenfunktionen beschrieben werden Aus diesen kann man nicht nur die Aufenthaltswahr-scheinlichkeit an verschiedenen Positionen im Raum sondern auch die Energie des Elektrons ableiten Eine Folge der Beschraumlnkung der Elektronen auf bestimmte Wellenfunktionen mit jeweils bestimmter Energie ist dass sie auch nur in bestimmten Schritten Energie aufnehmen und abgeben koumlnnen Jede Aufnahme bzw Abgabe von Energie entlang dieses Schrittes ist generell mit der Aufnahme bzw Abgabe von elektromagnetischer Strahlung verbunden Diese Tatsache bildet die Grundlage der Spektroskopie im gegebenen Fall der Elektronenspektros-kopie

Allgemein gesprochen befasst sich die Spektroskopie mit der Wechselwirkung zwischen Strahlung und Materie Etwas genauer laumlsst sich aussagen dass die Spektroskopie unter-sucht mit welcher elektromagnetischen Strahlung sich welcher energetische Uumlbergang anre-gen laumlsst Zwischen der elektromagnetischen Strahlung und dem dabei bewirkten energeti-schen Uumlbergang gilt dann grundsaumltzlich folgende Beziehung Δ E = h ∙ ν mit ΔE als der Energiedifferenz zwischen den beiden Zustaumlnden (in Joule) ν (gesprochen bdquonuumlldquo) als Frequenz der verwendeten elektromagnetischen Strahlung (in 1s oder Hertz Hz) und h als dem so genannten Planckschen Wirkungsquantum (mit h = 6626∙10-34 Js) Somit ist jeder Frequenz ν im elektromagnetischen Spektrum (Abb 12) genau ein Energiewert Δ E zugeordnet Die dazugehoumlrige Wellenlaumlnge im Vakuum (in m) errechnet sich nach λ = c ν mit c als Lichtgeschwindigkeit (im Vakuum c = 299 792 458 ms)

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Abb 12 Elektromagnetisches Spektrum (Quelle Chemgapedia)

Fuumlr die genaue Messung welche Frequenz der elektromagnetischen Strahlung einem gegebe-nen Uumlbergang anzuregen vermag gibt es experimentell zwei verschiedene Ansaumltze Entweder man strahlt Energie auf das System ein und beobachtet den Verlust an Strahlungsintensitaumlt der dann beobachtet wird wenn die Strahlung einen Uumlbergang zu einem houmlheren Energieni-veau bewirkt (Absorption) oder man fuumlhrt dem System Energie zu (zum Beispiel thermisch) und beobachtet dann die Freisetzung von Energie als Strahlung (Emission) Im einen Fall erfuumlllt die Frequenz der absorbierten Strahlung im anderen Fall die der emittierten Strahlung die Frequenzbedingung ΔE = h ∙ ν Mit beiden Methoden kann man so exakt den Energie-unterschied zwischen zwei Energieniveaus ausmessen Die Bestimmung der Werte fuumlr die charakteristischen Energieschritte ΔE eines Systems ist die Hauptaufgabe der Spektroskopie Sie eignet sich insbesondere um elektronische Wellenfunktionen eines Systems zu erkunden

22 Elektronenspektroskopie am eindimensionalen Potentialtopf

Das denkbar einfachste elektronische System ist der eindimensionale Potentialtopf Dennoch kann auch dieses Modell schon in grober Naumlherung auf Molekuumlle angewandt werden speziell auf solche mit annaumlhernd linearen Delokalisationssystemen (s Kapitel 14) Ein Beispiel ist die Reihe Butadien Hexatrien Oktatetraen usw Bildet man mit Hilfe der Loumlsungen der Schroumldingergleichung fuumlr das eindimensionale Potentialtopfmodell einen Ausdruck fuumlr den elektronischen Uumlbergang zwischen dem houmlchsten besetzten Orbital (HOO) und dem niedrig-sten unbesetzten Orbital (LUO) so erhaumllt man fuumlr die damit verbundene Energiedifferenz gemaumlszlig der in Abbildung 5 gezeigten Formel

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ΔE = h ∙ ν = (nsup2LUO-nsup2HOO) ∙ hsup2 (8 me asup2)

Mit wachsender Laumlnge a und wachsender Elektronenzahl (jedes Kohlenstoffatom im Delokali-sationsgebiet traumlgt ein Elektron bei) steigen einerseits die Werte der Quantenzahlen n fuumlr das houmlchste besetzte Orbital (HOO) und das niedrigste unbesetzte Orbital (LUO) an andererseits steigt aber auch die Laumlnge L die quadratisch im Nenner der Gleichung steht Da letzteres insgesamt uumlberwiegt sinkt der Wert fuumlr ΔE und damit fuumlr die Frequenz ν schrittweise mit Anstieg der Kettenlaumlnge Liegt die absorbierte Lichtfrequenz anfaumlnglich im UV-Bereich so verschiebt sie sich beispielsweise fuumlr das Carotin mit 11 Doppelbindungen schon in den sichtbaren blauen Bereich Weil daher Carotin blaues Licht absorbiert erscheint es im Durchlicht betrachtet in der Komplementaumlrfarbe orange-gelb Nach diesem Prinzip lassen sich viele organische Farbstoffe interpretieren Aumlndert sich die Laumlnge bzw die Elektronenzahl (und damit nsup2LUO und nsup2HOO) durch die Protonierung des Molekuumlls so hat man es mit einem Farbstoff zu tun der mit dem pH-Wert seine Farbe aumlndert ndash dies ist die Grundlage vieler pH-Indikatoren

23 Elektronenspektroskopie am Wasserstoffatom

Die wissenschaftliche Spektralanalyse wurde in der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts gemeinsam durch GR Kirchhoff und RW Bunsen entwickelt Sie entdeckten dass alle Elemente beim Erhitzen Licht aussenden Nach Zerlegung des Lichts mit einem Glasprisma erhaumllt man ein fuumlr jedes Element charakteristisches Linienmuster das so genannte Spektrum (s auch UTube-Video bdquospectral lines demoldquo httpwwwyoutubecomwatchv=2ZlhRChr_Bw) Dieses Spektrum reflektiert die Gesamtheit der dem gegebenen Element eigenen elektronischen Uumlbergaumlnge und ist damit ein unverwechselbarer Fingerabdruck Elemente koumlnnen damit sowohl in der Emissionsspektroskopie als auch in der Absorptionsspektroskopie eindeutig und mit hoher Empfindlichkeit identifiziert werden

Die Elektronenspektroskopie kann jedoch noch deutlich mehr sie erlaubt die exakte Uumlber-pruumlfung der durch die Loumlsung der Schroumldingergleichung gefundenen elektronischen Wellen-funktionen Dies wurde zunaumlchst am Wasserstoffatom mit hoher Praumlzision betrieben Histo-risch gesehen ist die erste wichtige Lichtquelle fuumlr spektroskopische Analysen unsere Sonne Dies gilt insbesondere fuumlr das Spektrum des Wasserstoffs Da die Energie der elektronischen Zustaumlnde dort einzig und allein von der Hauptquantenzahl n abhaumlngt (s Kapitel 15) werden lediglich solche Spektrallinien beobachtet die sich genau einem gegebenen ΔE = E(n) - E(nlsquo) zuordnen lassen Zuerst wurde mit der Balmer-Serie der sichtbare Anteil des Spektrums ent-deckt der mit allen Uumlbergaumlngen von oder zu dem Niveau n = 2 verbunden ist (Abb 13) Es folgten spaumlter im UV-Bereich die Lyman-Serie mit n = 1 und im IR-Bereich die Paschen-Serie mit n = 3 die Brackett-Serie mit n = 4 sowie die Pfundt- und die Humphreys-Serie mit n = 5 und n = 6 (letztere sind in Abb 13 nicht mehr eingezeichnet) Weitere Serien mit houmlheren Quantenzahlen existieren tragen aber keine eigenen Namen mehr

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Wel

lenz

ahl

[100

0 cm

-1]

0

10

20

30

40

50

60

70

80

90

100

110Grundzustand

Lyman-serie

Balmer-serie

Paschen-serie

Brackett-serie

n = 5n = 4

n = 3

n = 2

n = 1

Gustav Robert Kirchhoff

Robert Wilhelm Bunsen

Abb 13 Wichtige elektronische Uumlbergaumlnge im Wasserstoffatom

Abbildung 14 zeigt das gesamte Wasserstoffspektrum die Kuumlrzel benennen die entsprechen-den Serien (Ly = Lyman Ba = Balmer etc)

Abb 14 Spektrum des Wasserstoffatoms Die Achse fuumlr die Wellenlaumlnge ist logarithmisch aufgetragen

Eine genaue Analyse ergibt dass sich das Schema der Energiedifferenzen nach Abb 13 fast genau mit den in Kapitel 15 besprochenen Loumlsungen der Schroumldingergleichung deckt Die aumluszligerst kleinen Abweichungen die man dennoch detektieren konnte lieszligen sich auf den Bei-trag des Kerns (trotz seiner hohen Masse kann er sich minimal mit dem Elektron mitbewegen) und des Isotopeneffekts zuruumlckfuumlhren der schwerere Deuteriumkern der aus einem Proton und einem Neutron besteht bewegt sich weniger leicht mit dem Elektron mit als das einsame Proton des bdquonormalenldquo Wasserstoffs Daneben zeigen sich bei sehr hoher Aufloumlsung des Spektrums auch relativistische Effekte die zu weiteren Aufspaltungen fuumlhren

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24 Elektronenspektroskopie an Atomen mit mehreren Elektronen

Aufgrund der Wechselwirkungen zwischen den Elektronen ist bei schwereren Elementen die beim Wasserstoff gegebene Entartung bezuumlglich der Quantenzahlen l und m aufgehoben Damit wird das Energiediagramm bereits fuumlr ein einfaches houmlheres Atom wie zum Beispiel Lithium schon deutlich komplizierter (Abb 15) Neben den Uumlbergaumlngen zwischen verschiede-nen Werten fuumlr n treten nun auch Uumlbergaumlnge zwischen s und p p und d d und f auf Manche Uumlbergaumlnge (zum Beispiel solche zwischen s- und d-Niveaus) werden allerdings gewoumlhnlich nicht beobachtet man nennt sie bdquoverbotenldquo bdquoErlaubtldquo sind nur solche Uumlbergaumlnge bei denen die Nebenquantenzahl sich um den Wert plusmn1 aumlndert (also eben von s nach p von p nach d usw) Die so genannte Auswahlregel welche die erlaubten Uumlbergaumlnge festlegt heiszligt folglich Δl = plusmn1

Als weitere Folge der Wechselwirkungen zwischen den Elektronen besitzt jedes houmlhere Atom ein eigenes und von Wasserstoff verschiedenes Energiediagramm Damit besitzt aber auch jedes Atom ein unverwechselbares Muster von Energieuumlbergaumlngen die es eindeutig kenn-zeichnet Dies laumlsst sich bereits in einfachen Versuchen anhand von Flammenfaumlrbungen zeigen Diejenigen Uumlbergaumlnge deren ΔE den Wellenlaumlngen im sichtbaren Spektrum entspricht (in Abb 15 sind dies die kuumlrzeren unter den eingezeichneten blauen Pfeilen) sorgen bei vielen Elementen fuumlr ein charakteristisches farbiges Leuchten (Abb 15 rechts)

Ener

gie

Wasserstoff Lithium

n = 1

2

3

45

1s

2s

2p

3s

4s

5s

3p

4p5p

3d

4d5d

Abb 15 Termschema von Lithium mit wichtigen elektronischen Uumlbergaumlngen (links) Durch Lithium verursachte Flammenfaumlrbung (rechts Quelle httpwwwitpuni-hannoverde~zawischaITPatomshtml)

Letztlich ist auch bei allen houmlheren Atomen die Elektronenspektroskopie eine ideale Methode um das Energieniveauschema experimentell zugaumlnglich zu machen Sie eignet sich daruumlber hinaus perfekt zur schnellen und empfindlichen Identifikation von Elementen Diese Tatsache

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macht man sich sowohl in der Atomabsorptionsspektroskopie (AAS) als auch in der Atom-emissionsspektroskopie (AES) zunutze Elektronenspektren sind unverwechselbare Finger-abdruumlcke mit denen alle Elemente in hoher Empfindlichkeit und selbst uumlber groszlige Distanzen hinweg sicher identifiziert werden koumlnnen

25 Elektronenspektroskopie an Molekuumllen

Genau wie die Atomorbitale sind auch Molekuumllorbitale der Elektronenspektroskopie zugaumlng-lich Durch die systematische Analyse aller elektronischen Uumlbergaumlnge lassen sich die Energie-niveaus in einem MO-Schema schrittweise ausmessen Besonders interessant wird dieser Ansatz bei der Untersuchung der Bindungsverhaumlltnisse Im Allgemeinen beobachtet man Uumlbergaumlnge zwischen bindenden und nicht bindenden Orbitalen einerseits und den uumlblicherweise unbesetzten antibindenden Orbitalen andererseits In Abb 16 ist dies am Beispiel einer C-O-Bindung in Formaldehyd gezeigt Im Mittelpunkt stehen dabei das binden-de und das antibindende σ-Orbital C-O das bindende und das antibindende π-Orbital C-O sowie das nicht bindende freie Elektronenpaar des Sauerstoffs (ein weiteres freies Elektronen-paar bleibt unbeteiligt)

Ener

gie

σ CO

σ CO

π CO

π CO

n O

C

H

H

O

σ-σ

Uumlbe

rgan

g

π-π

Uumlbe

rgan

gn-π Uumlber-gang

σ

Abb 16 Termschema der CO-Gruppe in Formaldehyd (links) Die beteiligten Bindungen und das im betrachteten Energiefenster liegende freie Elektronenpaar des Sauerstoffs sind rechts skizziert

Die drei wichtigsten Uumlbergaumlnge die an der C-O-Gruppe detektiert werden sind der σ-σ-Uumlbergang der π-π-Uumlbergang und der n-π-Uumlbergang Letzterer ist in einer C-O-Gruppe stets am energieaumlrmsten und kann bereits mit UV-Licht einer Wellenlaumlnge um 280 nm angeregt werden (schwarzer Pfeil in Abb 16) Energiereicher und intensiver ist bei der CO-Gruppe der π-π-Uumlbergang der bei Wellenlaumlngen um 170 nm angeregt wird (roter Pfeil in Abb 16) Daruumlber hinaus zeigt das Spektrum dass die beiden freien Elektronenpaare des Sauerstoffs stark unterschiedlichen Charakter besitzen (nur eines ist an dem n-π-Uumlbergang beteiligt das andere tritt im gegebenen Spektralbereich nicht in Erscheinung)

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Auf aumlhnliche Weise lassen sich alle MO-Schemata komplizierter Molekuumlle analysieren Lie-gen die Anregungsfrequenzen der Uumlbergaumlnge im sichtbaren Bereich so haben die Molekuumlle die Funktion von Farbstoffen Haumlufig besitzen sie dann laumlngere lineare Delokalisationsgebiete deren Elektronenspektren man dann auch in grober Naumlherung mit dem eindimensionalen Potentialtopfmodell beschreiben kann (s Kapitel 22) Werden Bindungselektronen angeregt und aumlndern sich im Verlauf der elektronischen Anre-gung die Bindungsverhaumlltnisse (beispielsweise bei Besetzung eines antibindenden Zustands) so ist mit der elektronischen Anregung zwangslaumlufig auch eine Aumlnderung des energetisch guumlnstigsten Bindungsabstands verbunden Damit einhergehend werden mechanische Schwin-gungen des Molekuumlls angeregt Mit den Molekuumllschwingungen verhaumllt es sich analog zu den elektronischen Zustaumlnden auch Molekuumllschwingungen existieren nur in bestimmten definierten Zustaumlnden die sich dann den elektronischen Zustaumlnden uumlberlagern (Abb 17) Die Folge davon ist dass die Elektronenspektren von Molekuumllen haumlufig keine scharfen Linien sondern breite Absorptionsbereiche (bdquoBandenldquo) aufweisen Alle Linien fuumlr die elektronischen Uumlbergaumlnge zerlegen sich demnach in eine Vielzahl von Einzellinien die verschiedene Schwingungszustaumlnde der benachbarten elektronischen Zustaumlnde miteinander verbinden (in Abb 17 sind exemplarisch neun verschiedene moumlgliche Uumlbergaumlnge eingezeichnet) Normaler-weise liegen alle diese Linien dicht beieinander so dass insgesamt eine verbreiterte Absorp-tionsbande entsteht

Ener

gie

elektronische Niveaus

Schwingungsniveaus

Abb 17 Zum Zustandekommen von breiten Absorptionsbanden in Elektronen-Schwingungsspektren Uumlberlagerung von elektronischen Uumlbergaumlngen mit Schwingungsuumlbergaumlngen Exemplarisch sind jeweils drei Schwingungsniveaus eingezeichnet

Das Elektronenspektrum eines Molekuumlls wird wegen der dazu verwendeten Frequenzbereiche im UV- und im sichtbaren (bdquovisibleldquo) Spektrum auch UV-vis-Spektroskopie genannt Die UV-vis-Spektroskopie dient neben der Aufklaumlrung der MO-Struktur auch der schnellen und bequemen Identifikation von chemischen Verbindungen Aufgrund ihrer im Absorptionsver-fahren sehr einfachen und preisguumlnstigen Messtechnik wird sie auch haumlufig in Kombination mit anderen analytischen Verfahren (zB der Chromatographie) verwendet Uumlber eine Bestim-mung der Intensitaumlt der Anregung kann auch eine quantitative Analyse einzelner Verbindun-gen erfolgen

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3 Das Zusammenwirken von Atomen und Molekuumllen 31 Der makroskopische Zustand von Materie Bisher sind nur einzelne Bausteine der Materie also Atome und Molekuumlle betrachtet worden Nun soll das makroskopische Erscheinungsbild von Materie ins Auge gefasst werden die aus einer Vielzahl von Atomen oder Molekuumllen besteht Um den Zustand dieser aus vielen Teilchen zusammengesetzten Materie uumlberhaupt als Gesamtheit zu beschreiben benoumltigt man zunaumlchst so genannte Zustandsparameter oder Zustandsgroumlszligen Die wichtigsten Vertreter dieser Kenngroumlszligen fuumlr makroskopische Materie sind die Stoffmenge n das Volumen V der Druck P und die Temperatur T

n Stoffmenge Die Stoffmenge wird uumlber die Teilchenzahl definiert

Einheit der Teilchenzahl 1 Mol

Definition Ein Mol eines Stoffes enthaumllt dieselbe Anzahl an Teilchen wie 0012 kg reiner Kohlenstoff des Isotops 12C (1 Mol 60221023

Teilchen) Dabei muss eindeutig festgelegt sein was unter einem Teilchen des Stoffes jeweils zu verstehen ist Ist die Stoffmenge konstant so spricht man von einem geschlossenen System

V Volumen Die Definition des Volumens erfolgt uumlber die festgelegte Laumlngeneinheit und den geometrischen Volumenbegriff

Einheit des Volumens 1 msup3

Definition Ein msup3 ist das Volumen eines wuumlrfelfoumlrmigen Raums mit einer Kantenlaumlnge von einem Meter Ist das Volumen konstant so spricht man von einem isochoren Vorgang

P Druck Die Definition erfolgt uumlber die Kraft die ein Stoff auf jede Flaumlcheneinheit eines ihn einschlieszligenden Behaumllters ausuumlbt

Einheit des Drucks 1 Pascal = 1 Pa = 1 Nmsup2 = 10-5 bar

Definition Ein Pascal ist der Druck bei dem auf jeden Quadratmeter der Behaumllterwaumlnde eine Kraft von 1 Newton ausgeuumlbt wird Ist der Druck konstant so spricht man von einem isobaren Vorgang

T Temperatur

Der sicherlich am schwierigsten fassbare Zustandsparameter makroskopischer Materie ist die Temperatur Zwar ist sie direkt mit der menschlichen Wahrnehmung verknuumlpft (kalt warm heiszlighellip) physikalisch jedoch zunaumlchst sehr undefiniert da sie nicht ohne weiteres auf andere physikalische Groumlszligen zuruumlckfuumlhrbar ist Am ehesten laumlsst sie sich im ersten Ansatz als diejenige Eigenschaft von Materie beschreiben die von einem Thermometer gemessen wird

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Zur Verwendung als Thermometer eignet sich prinzipiell jeder physikalische oder chemische Vorgang der reproduzierbar mit einer Temperaturaumlnderung verknuumlpft ist Klassisch sind dies insbesondere die Ausdehnungsvorgaumlnge von Gasen Fluumlssigkeiten und Festkoumlrpern (Abb 18)

Hg

Festkoumlrperthermometer werden gewoumlhnlich nach demPrinzip des Bimetall-Thermometers ausgelegt (ganzlinks) Dabei werden zwei verschiedene Festkoumlrper(zB zwei Bleche aus verschiedenen Metallen) flaumlchigmiteinander in Kontakt gebracht Bedingt durch dieunterschiedliche thermische Ausdehnung derMaterialien kruumlmmt sich das Bimetall-Blech abhaumlngigvon der Temperatur mehr oder weniger stark zu einerSpirale

Fluumlssigkeitsthermometer (Mitte) und Gasthermometer(rechts) nutzen die Volumenaumlnderung eines fluidenMediums mit der Temperatur Die Genauigkeit kannerhoumlht werden indem einem groszligvolumigen Vorrats-behaumllter ein relativ kleinvolumiger Ausdehnungs- undAblesebereich gegenuumlbergestellt wird

Abb 18 Thermometer die auf der Grundlage der temperaturbedingten Ausdehnung von Materie beruhen

In der Praxis kommen mehr und mehr die elektronischen Varianten der Temperaturmessung zum Zug die zumeist auf der Messung der Thermospannung basieren Neben der Messmetho-de ist die Festlegung einer Temperaturskala wichtig Dazu dienten zunaumlchst einige Fixpunkte die heute teilweise noch historische Bedeutung haben

1) Die tiefste Temperatur des Winters 17081709 in Danzig - 178 degC

2) Die Temperatur von schmelzendem Eis bei 760 Torr (760 Torr = 1 atm = 101 325 Pa) 0 degC

3) Koexistenztemperatur von Eis Wasser und Wasserdampf 001 degC (exakt)

4) Die durchschnittliche Koumlrpertemperatur eines gesunden Menschen 378 degC

5) Die Siedetemperatur des Wassers bei 760 Torr (1 atm = 101 325 Pa) 100 degC

Die Punkte 1 und 4 bildeten die Grundlage des Fahrenheit-Systems die Punkte 2 und 5 die der Celsius-Skala Bei beiden Systemen wurde der definierte Bereich zunaumlchst in 100 gleiche Teile (Grade) aufgeteilt dann extrapoliert Beide Definitionen wurden spaumlter verfeinert (Celsius 9999 Grade C zwischen den Fixpunkten 3 und 5 Fahrenheit 180 Grade F zwischen den Fixpunkten 1 und 5) Trotzdem mangelt es auszliger Punkt 3 allen genannten Fixpunkten an Genauigkeit und Reproduzierbarkeit

Das zweite Problem nach der Unvollkommenheit der Fixpunkte besteht in der Festlegung einer systemunabhaumlngigen linearen Teilung Gewoumlhnlich ist der Verlauf der Skala vom gewaumlhlten Medium abhaumlngig Eine lineare Teilung auf der Skala eines Quecksilber-thermometers entspricht daher nicht einer linearen Teilung auf der Skala eines Alkoholthermometers da die Ausdehnung bei jedem Medium in unterschiedlicher Weise von der Temperatur abhaumlngt

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Beide Probleme sowohl die Wahl der passenden Fixpunkte als auch die Definition einer sinnvollen linearen Teilung werden heute durch die Festlegung der so genannten absoluten Temperaturskala geloumlst Grundlage hierfuumlr sind uumlbereinstimmende Beobachtungen an Gasthermometern

-300 -200 -100 0 100 200

V

T

-27315degCBei wiederholten Messungen mit verschiedenenGasthermometern verschiedenen Gasen undGasvolumina und bei verschiedenen Drucken stelltman fest dass sich die Verlaumlngerungen aller in denjeweiligen Diagrammen erhaltenen Linien in einemPunkt schneiden Dieser Punkt entspricht auf derVolumenachse dem Wert V = 0 und auf derTemperaturachse dem Wert T = -27315 degC

Abb 19 Ausdehnungskurven verschiedener Gase Die Temperaturskala ist zunaumlchst noch in Celsius aufgetragen

Aus dieser Beobachtung wurde geschlossen dass der Temperatur am gemeinsamen Schnitt-punkt aller Ausdehnungskurven eine besondere physikalische Bedeutung zukommt und sie sich daher als Fixpunkt einer neuen Temperaturskala eignet Weiterhin wurde festgestellt dass zwar alle Gase in ihrem Ausdehnungsverhalten von dem linearen Verlauf abweichen dass aber unter bestimmten Umstaumlnden (zB niedriger Druck) ein gemeinsamer Verlauf angestrebt wird den man auch als idealen Verlauf bezeichnen koumlnnte Am besten funktioniert das bei Helium unter schrittweise absinkenden Drucken dessen Verhalten sich fuumlr P rarr 0 zum idealen Verhalten extrapolieren laumlsst Diese Erkenntnis diente zur Definition einer absoluten Temperaturskala in Kelvin

1) Unterer Fixpunkt Schnittpunkt der Volumenexpansionskurven bdquoidealerldquo Gase (zB Helium fuumlr den Grenzfall Prarr0) 0 Kelvin

2) Oberer Fixpunkt Koexistenztemperatur von Eis Wasser und Wasserdampf 27316 Kelvin

3) Das Volumen eines bdquoidealenldquo Gases (zB Helium fuumlr den Grenzfall Prarr0) ist bei konstantem Druck proportional zur Temperatur und definiert die lineare Teilung der Temperaturskala

Gemaumlszlig dieser Definition ist jede beliebige Temperatur unter Nutzung eines bdquoidealenldquo Gasther-mometers auf der absoluten Kelvin-Skala eindeutig festgelegt Die Verwendung der Kelvin-Skala ist gegenuumlber der Nutzung klassischer Temperatursysteme bei der Beschreibung physi-kalischer Vorgaumlnge eindeutig von Vorteil Vorgaumlnge bei denen die Temperatur konstant ist nennt man isotherm Mit der Definition der wichtigsten Zustandsparameter Teilchenzahl n Volumen V Druck P und Temperatur T besteht nun die Moumlglichkeit das Verhalten makroskopischer Materie zu beschreiben Am einfachsten gelingt das im Fall von Gasen

32 Zustandsgleichung fuumlr Gase die ideale Gasgleichung

Gleichungen welche die Zustandsparameter wie n V T und P miteinander verknuumlpfen nennt man Zustandsgleichungen Sie beschreiben das Verhalten einer aus vielen einzelnen Teilchen bestehenden Materie hinsichtlich ihrer makroskopisch messbaren Groumlszligen Am

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einfachsten sind solche Zustandsgleichungen fuumlr Gase aufzustellen Untersucht man bei Gasen systematisch den Zusammenhang zwischen n V P und T so stellt man fest dass fuumlr alle Gase in mehr oder weniger guter Naumlherung folgende einfache Gleichung erfuumlllt isthellip

P ∙ V = n ∙ R ∙ T

hellipwobei R fuumlr die so genannte ideale Gaskonstante steht (R asymp 8314 J K-1 Mol-1) Diese Glei-chung auch bdquoideale Gasgleichungldquo genannt ist ein so genanntes Grenzgesetz kein real exis-tierendes Gas erfuumlllt es genau aber alle Gase kommen ihm recht nahe insbesondere bei hohen Temperaturen und niedrigen Druumlcken Eine Gleichung dieser Form nennt man auch Zustands-gleichung da sie Zustandsparameter miteinander verbindet Grafisch laumlsst sich diese Verknuumlp-fung in einem einfachen Diagramm darstellen bei dem jede Kombination von T und V genau einem Wert fuumlr P zugeordnet ist (Abb 20)

P

V

T

Abb 20 Auftragung von P gegen T und V nach der idealen Gasgleichung

Wir wissen nun dass die Gase aus einer Vielzahl von Teilchen (Atomen oder Molekuumllen) bestehen Wie laumlsst sich das durch die ideale Gasgleichung beschriebene Verhalten nun mit dieser Tatsache in Einklang bringen Was bedeuten eigentlich die Parameter Druck und Tem-peratur fuumlr ein Gas das sich aus vielen einzelnen Atomen und Molekuumllen zusammensetzt Um makroskopische Zustandsparameter uumlberhaupt mit der Teilchenwelt verknuumlpfen zu koumlnnen benoumltigen wir eine Modellvorstellung fuumlr das mechanische Zusammenwirken der Teilchen im Fall von Gasen das so genannte kinetische Gasmodell

33 Das kinetische Gasmodell

Bei den im vorhergehenden Kapitel aufgefuumlhrten Gasgesetzen handelt es sich um mathemati-sche Beschreibungen von makroskopisch beobachtbaren Vorgaumlngen Zur Interpretation der Gasgesetze auf molekularer Ebene wurden verschiedene Modelle vorgeschlagen Das erfolg-reichste unter ihnen war das sogenannte kinetische Gasmodell Es beruht auf der Vorstellung dass ein Gas aus einer Vielzahl von Teilchen besteht die folgende Bedingungen erfuumlllen

1) Sie besitzen eine Atom- oder Molmasse M einen endlichen Durchmesser d und befinden sich in staumlndiger und ungeregelter Bewegung

2) Die Groumlszlige der Teilchen ist im Verhaumlltnis zum freien Volumen vernachlaumlssig-bar

3) Zwischen den Teilchen finden elastische Stoumlszlige statt Ansonsten existieren keine weiteren Wechselwirkungen unter den Teilchen

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Nach der kinetischen Gastheorie besteht der Druck eines Gases aus der Summe aller Kraumlfte (pro Flaumlcheneinheit) die durch auf eine Flaumlche aufprallende Gasteilchen (bzw durch deren Impulsaumlnderung) ausgeuumlbt werden (Abb 21)

Vx t

Abb 21 Links schematische Darstellung der Impulsaumlnderung bei dem Auftreffen eines Gasteilchens auf der Gefaumlszligwand Viele solche Stoumlszlige fuumlhren in der Summe zum Entstehen einer messbaren dem Gasdruck zugeordneten Kraft Rechts Die Geschwindigkeitskomponente vx der Teilchen bestimmt nicht nur die Groumlszlige der Impulsaumlnderung sondern auch die Zahl der Teilchen die pro Zeiteinheit auf die Wand stoszligen Daher geht die Geschwindigkeit der Teilchen bei der Berechnung des Drucks insgesamt quadratisch ein

Dabei wird zunaumlchst davon ausgegangen dass alle Teilchen die gleiche Geschwindigkeits-komponente vx aufweisen Diese Geschwindigkeitskomponente bestimmt zum einen die Heftigkeit der Stoumlszlige zum anderen wie viele Gasteilchen pro Zeiteinheit auf die Wand prallen Insgesamt haumlngt der Druck damit vom Quadrat der Geschwindigkeitskomponente vxab Fuumlhrt man nun ein mittleres Geschwindigkeitsquadrat csup2 ein (mit vxsup2 = 13 csup2) so erhaumllt man fuumlr den an dem beweglichen Kolben spuumlrbaren Druck die Gleichung

P = 13 M csup2 (nV) oder in der Schreibweise der idealen Gasgleichung P V = 13 n M csup2 Der Druck ist nach dem kinetischen Gasmodell also die Folge einer Vielzahl von Stoumlszligen welche die Teilchen gegen die Behaumllterwaumlnde ausfuumlhren Er ist folglich proportional zur Mas-se der Teilchen (je schwerer die Teilchen desto heftiger die Stoumlszlige) zum mittleren Geschwin-digkeitsquadrat (die Geschwindigkeit der Teilchen bestimmt zum einen die Haumlufigkeit zum anderen die Heftigkeit der Stoumlszlige) und zur Zahl der Teilchen pro Volumeneinheit (womit wie nach der idealen Gasgleichung zu erwarten P umgekehrt proportional zu V ist) Die Bedeutung der Temperatur im kinetischen Gasmodell ist dagegen zunaumlchst unklar Mit der idealen Gasgleichung P V = n R T ergibt sich aber durch Koeffizientenvergleich n R T = 13 n M csup2 oder R T = 13 M csup2 Man kann unter Nutzung beider Gasmodelle so zu einem neuen teilchenbezogenen Verstaumlnd-nis des Phaumlnomens Temperatur kommen Die Temperatur eines Gases ist demnach direkt proportional zum mittleren Geschwindigkeitsquadrat der Gasteilchen oder in anderen Worten zu deren kinetischer Energie 12 M csup2 Dies ist fuumlr das Verstaumlndnis des Phaumlnomens Temperatur von groszliger Bedeutung Man kann die Temperatur eines Gases also messen indem man (bei bekannter Masse der Teilchen) die Geschwindigkeit der Gasteilchen bestimmt Die Wurzel aus dem mittleren Geschwindigkeits-quadrat also die Groumlszlige c liegt uumlblicherweise in der Groumlszligenordnung der Schallgeschwindig-keit (zum Beispiel fuumlr Stickstoff bei Raumtemperatur c = 516 ms) und steht zu ihr in einer

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festen Beziehung Tatsaumlchlich laumlsst sich die Temperatur auch uumlber eine Messung der Schall-geschwindigkeit ermitteln Nachdem das mittlere Geschwindigkeitsquadrat der Teilchen bekannt ist stellt sich die Frage nach der Geschwindigkeitsverteilung der Teilchen Die Bewegungsenergie der Teilchen ist wie alle anderen Energieformen (zB elektronische Energie Schwingungsenergie) gequantelt Das bedeutet dass sich die Teilchen auf (hier dicht gestaffelte) Energieniveaus verteilen muumlssen Sie tun das nach einem statistischen Grundprinzip das Boltzmann-Verteilung genannt wird Demnach ist die Besetzung pi eines Energieniveaus i (egal welcher Art die Energie Ei ist) stets proportional zum so genannten Boltzmannfaktor des Zustand i Es gilt

pi ~ exp[-Ei(kBT)]

Die darin enthaltene Boltzmannkonstante kB ist nichts anderes als die allgemeine Gas-konstante R (siehe unter 32) dividiert durch die Zahl NL der Teilchen in einem Mol Substanz (kB = RNL) Das bedeutet die Besetzung eines Zustands ist umso wahrscheinlicher je niedriger dessen Energie ist Steigende Temperatur T hingegen erhoumlht die Wahrscheinlichkeit energiereicher Zustaumlnde Diese Gesetzmaumlszligigkeit gilt fuumlr die Besetzung aller auf atomarer oder molekularer Ebene gegebener Zustaumlnde in einem makroskopischen System Angewandt auf die Bewegungsenergie von Gasteilchen in einer einzelnen Raumrichtung x bedeutet das dass Teilchen mit hoher Geschwindigkeit vx weniger wahrscheinlich sind als solche mit niedriger Geschwindigkeit vx Allerdings steigt die Wahrscheinlichkeit des Auftretens groszliger Werte fuumlr vx mit steigender Temperatur Teilt man den Bereich der auftretenden Geschwindigkeiten in Intervalle auf und zaumlhlt man die Teilchen die gemaumlszlig ihrer Geschwindigkeit zu den einzelnen Intervallen zugeordnet werden koumlnnen so ergibt sich fuumlr die Geschwindigkeitsverteilung in vx und v das Bild das in Abb 22 oben dargestellt ist Die Verteilungsfunktionen fuumlr die Geschwindigkeiten in y- und z-Richtung sind identisch

n(vx)

vx-Intervall

n(vx)

vx-Intervall

Temperatur-erhoumlhung

- 0 +- 0 +n(v)

v-Intervall

Temperatur-erhoumlhung

0 +

n(v)

v-Intervall0 +

Abb 22 Verteilungsfunktionen einer eindimensionalen Geschwindigkeitskomponente (oben) und der Gesamtgeschwindigkeit (unten)

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Betrachtet man die Verteilung n(v) der Gesamtgeschwindigkeit v im dreidimensionalen Raum so wird das Bild komplizierter Bezuumlglich der drei Raumrichtungen x y und z sind weiterhin die kleinen Geschwindigkeiten wahrscheinlicher als die groszligen Da nun aber fuumlr eine groszlige Gesamtgeschwindigkeit v mehr Kombinationsmoumlglichkeiten vx vy vz existieren als fuumlr kleine Gesamtgeschwindigkeiten so wird die Wahrscheinlichkeit fuumlr sehr geringe Gesamtgeschwindigkeiten entsprechend kleiner fuumlr groszlige Gesamtgeschwindigkeiten entsprechend groumlszliger Der daraus resultierende Gewichtungsfaktor fuumlr jedes v ist die relative Flaumlche der Kugelschale mit dem Radius v Insgesamt ergeben sich dann die in Abb 22 unten dargestellten Verteilungsfunktionen fuumlr niedrige und hohe Temperaturen Die Verteilungsfunktionen in vx und v lauten (ohne Herleitung)

f(vx) = [M(2RT)]12 exp [-Mvxsup2(2RT)]

f(v) = 4 [M(2RT)]32 vsup2 exp [-Mvsup2(2RT)] Der Mittelwert von vx (oder jeder anderen eindimensionalen Geschwindigkeitskomponente) ist grundsaumltzlich Null Dagegen besitzt der Mittelwert von v stets eine endliche von Null verschiedene Groumlszlige Bei einer Erhoumlhung der Temperatur werden alle Verteilungsfunktionen breiter der Mittelwert von v vergroumlszligert sich Die Temperatur eines Gases aumluszligert sich also nicht nur im mittleren Geschwindigkeitsquadrat sondern auch in der Form der Geschwindigkeitsverteilungsfunktion Bei der Mischung von Gasen unterschiedlicher Temperatur muss um die oben genannte Forderung zu erfuumlllen aus der einfachen Summe von zwei Verteilungsfunktionen eine neue der Mischtemperatur ent-sprechende Verteilungsfunktion entstehen Dies ist nur unter der Annahme moumlglich dass ein Austausch kinetischer Energie unter den Teilchen erfolgen kann Diese Tatsache bedingt die eingangs gestellte Forderung nach Teilchenstoumlszligen also Wechselwirkungen zwischen den Teilchen Damit muumlssen die Gasteilchen aber auch ein gewisses Volumen besitzen den Teil-chen ohne Eigenvolumen koumlnnen prinzipiell nicht zusammenstoszligen Darin besteht der we-sentliche Unterschied zwischen einem Gas nach dem kinetischen Gasmodell und dem idealen Gas Das ideale Gas koumlnnte man theoretisch auf ein beliebig kleines Volumen komprimieren bei einem kinetischen Gas ist dies aufgrund des Eigenvolumens nicht moumlglich Ansonsten erlaubt das kinetische Gasmodell die vollstaumlndige Interpretation der idealen Gasgleichung

34 Die korrigierte Gasgleichung nach van der Waals JD van der Waals

Mithilfe des kinetischen Gasmodells laumlsst sich die Zustandsgleichung fuumlr Gase weiter verfeinern Zunaumlchst soll beruumlcksichtigt werden dass die Teilchen ein eigenes Volumen besitzen In erster Naumlherung geschieht dies indem man ein vom Eigenvolumen der Gas-teilchen abgeleitetes minimales Volumen des Gases (das so genannte Covolumen) definiert Das Covolumen beschreibt dasjenige Volumen des Gases das bei staumlndigem mechanischem Kontakt zwischen jeweils zwei Teilchen eingenommen wird wenn man den Teilchenpaaren jeweils den sie umschreibenden kugelfoumlrmigen Raum zuordnet (wegen der geringen Wahr-scheinlichkeit von Dreierstoumlszligen kann die Bildung von Dreiergruppen ausgeschlossen werden) Das molare Covolumen b entspricht wenn man eine einfache geometrische Uumlberlegung an-setzt dem vierfachen Eigenvolumen eines Mols der Gasteilchen Um das tatsaumlchliche freie

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Volumen zu erhalten muss das n-fache Covolumen vom gegebenen Volumen abgezogen werden Damit wird aus der idealen Gasgleichung P V = n R T die erste korrigierte Version P (V - n b) = n R T Im zweiten Schritt soll nun uumlber das kinetische Gasmodell hinausgehend auch die anziehen-de Wechselwirkung zwischen den Teilchen beruumlcksichtigt werden Die Anziehung zwischen den Teilchen sorgt nach van der Waals fuumlr einen zusaumltzlichen nach auszligen nicht messbaren bdquoBinnendruckldquo Dieser Binnendruck ist proportional zum Quadrat der Teilchendichte (nV)sup2 Der zwischen den Teilchen tatsaumlchlich wirkende nach auszligen ebenfalls unmessbare Gesamt-druck ist dann gegeben als

Pgesamt (unmessbar) = P (messbar) + a (nV)sup2

mit einer fuumlr die anziehende Wechselwirkung charakteristischen Konstante a Die danach korrigierte Version der Gasgleichung die van-der-Waals-Gleichung fuumlr reale Gase lautet

[P + a (nV)sup2] (V - nb) = n R T

Die Konstanten b und a besitzen fuumlr jedes reale Gas charakteristische Werte die dessen Eigenvolumen (die Groumlszlige der Elektronenhuumllle) und die Staumlrke der intermolekularen Wechsel-wirkungen reflektieren Beispiele

Gas a b

Argon 01345 Pa m6Molsup2 32210-5 msup3Mol Kohlendioxid 03592 Pa m6Molsup2 426710-5 msup3Mol Helium 00034 Pa m6Molsup2 23710-5 msup3Mol Stickstoff 01390 Pa m6Molsup2 391310-5 msup3Mol Wasser 05573 Pa m6Molsup2 31010-5 msup3Mol

Der Parameter b spiegelt mit der Einheit msup3Mol weitgehend die Groumlszlige der einzelnen Teilchen (Atome oder Molekuumlle) wider So besitzt erwartungsgemaumlszlig Kohlendioxid oder Argon einen groumlszligeren Wert fuumlr b als beispielsweise Helium Allerdings sind die Unterschiede erstaunlich klein was auf die Tatsache zuruumlckzufuumlhren ist dass sich das Covolumen auf Teilchenpaare bezieht und ein Paar aus Kohlendioxidmolekuumllen gegenuumlber einem Paar aus Heliumatomen nur etwa das doppelte Volumen benoumltigt

Der Parameter a mit der Einheit Pascal mal Molvolumen zum Quadrat reflektiert die Staumlrke der Wechselwirkungen zwischen den Teilchen Diese Wechselwirkungen beruhen zum groszligen Teil auf den elektrischen Eigenschaften der Teilchen Diese wiederum sind mit der elektronischen Struktur der Atome beziehungsweise der chemischen Bindungen verknuumlpft Am wichtigsten ist dabei das in Kapitel 19 erwaumlhnte Dipolmoment Polare Bindungen koumlnnen zu Teilchen mit permanenten Dipolen fuumlhren (zB HF Wasser Ammoniak CO) Andere Molekuumlle oder Atome sind zwar unpolar koumlnnen aber spontan oder durch aumluszligere

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elektrische Felder polarisiert werden (zB He Ar molekularer Wasserstoff molekulares Chlor) Man spricht dann von polarisierbaren Teilchen mit einem spontanen Dipolmoment oder mit einem durch ein aumluszligeres Feld bewirkten induzierten Dipolmoment In all diesen Faumlllen sind anziehende Wechselwirkungen zwischen den Teilchen moumlglich die in dem Parameter a zusammengefasst werden Daruumlber hinaus koumlnnen sich auch voruumlbergehende chemische Bindungen ausbilden Das prominenteste Beispiel fuumlr diesen Fall ist die bekannte Wasserstoffbruumlckenbindung die bei polaren X-H-Bindungen auftreten kann Im Einzelnen werden demnach folgende Arten von Wechselwirkungen mit absteigender Intensitaumlt unter-schieden

a) Wasserstoffbruumlckenbindung X-H hellip Y Hierbei bildet sich voruumlbergehend eine chemische Bindung zwischen dem polar gebundenen Wasserstoff und einem elektronegativen und mit einem freien Elektronenpaar ausgestatteten Element Y

b) Wechselwirkungen zwischen permanenten Dipolen hier besitzen alle Teilchen ein permanentes Dipolmoment Zwischen den entgegengesetzt geladenen Enden der Teilchen bauen sich dann konstant anziehende elektrostatische Wechselwir-kungen auf

c) Wechselwirkungen zwischen permanenten und induzierten Dipolen die Teil-chen mit permanentem Dipolmoment induzieren ein voruumlbergehendes Dipol-moment bei den benachbarten (zunaumlchst unpolaren) Teilchen In der Folge ergibt sich eine anziehende elektrostatische Wechselwirkung

d) Wechselwirkungen zwischen induzierten Dipolen durch spontane Polarisierung eines Teilchens entsteht ein voruumlbergehendes Dipolmoment welches bei einem benachbarten Teilchen eine Polarisierung hervorruft In der Folge ergibt sich eine kurzfristige und sehr schwache elektrostatische Anziehung zwischen den Teilchen Man spricht dabei auch von der Dispersionswechselwirkung oder der Londonschen Wechselwirkung

Alle diese Effekte sind anziehender Natur und gehen damit in den Parameter a ein Fasst man die beiden Parameter a und b zusammen so entsteht mit der van-der-Waals-Gleichung eine recht zuverlaumlssige Zustandsgleichung fuumlr reale Systeme die sowohl die abstoszligenden als auch die anziehenden Wechselwirkungen beruumlcksichtigt

Ein guter Test fuumlr diese reale Zustandsgleichung ist die Berechnung eines Diagramms von P gegen V fuumlr verschiedene Temperaturen das so genannte P-V-Diagramm und die Gegen-uumlberstellung mit dem entsprechenden experimentellen P-V-Diagramm eines realen Gases Gemaumlszlig der van-der-Waalsrsquoschen Gleichung existieren abhaumlngig von der betrachteten Tempe-ratur drei Typen von Isothermen (Abb 23 links) solche die einer Hyperbel aumlhneln (1) eine einzelne Isotherme die einen Wendepunkt mit waagrechter Tangente besitzt (2) und solche die ein Minimum ein Maximum und einen Wendepunkt aufweisen (3) Das experimentell beobachtete Verhalten stimmt in den ersten beiden Faumlllen recht gut uumlberein weicht aber bei Isothermen des dritten Typs deutlich vom berechneten Verlauf ab (Abb 23 rechts)

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P

V

PV-Diagramm nachvan-der-Waals-Gleichung

1 2

3

P

V

3

experimentell bestimmtesPV-Diagramm f reales Gas

Abb 23 PV-Diagramme fuumlr reale Gase berechnet nach van der Waals (links) und experimentell bestimmt (rechts) Die drei typischen Formen der Isothermen (1 2 und 3) sind im Text beschrieben

Offensichtlich beschreibt die van-der-Waals-Gleichung das Verhalten eines realen Gases in der Umgebung des Wendepunkts weniger gut Experimentell stellt man allerdings fest dass in diesem Bereich tatsaumlchlich auch kein reines Gas sondern vielmehr eine Mischung aus einem Gas und einer kondensierten Fluumlssigkeit also ein Zweiphasenzustand vorliegt Dieser Zwei-phasenbereich beginnt am Wendepunkt der Isothermen des Typs 2 und schlieszligt alle Minima Maxima und Wendepunkte der Isothermen des Typs 3 ein (Abb 24 links)

P

V

Zweiphasen-gebiet

P

V

Zweiphasen-gebiet

Maxwell-Maxwell-KorrekturKorrektur

Zweiphasen-Gebiet

Zweiphasen-Gebiet

A1

A2

Abb 24 PV-Diagramme fuumlr reale Gase mit eingezeichnetem Zweiphasengebiet Der in diesem Bereich bei der Beschreibung nach van der Waals gegebene Fehler kann in guter Naumlherung durch die Maxwell-Korrektur kompensiert werden

Eine einfache Korrektur der van-der-Waals-Gleichung ermoumlglicht eine realistische Beschrei-bung des Zweiphasengebiets Eine horizontale Gerade wird so in der Naumlhe des Wendepunktes gelegt dass die oberhalb und unterhalb der Geraden im Zweiphasenbereich gebildeten Teilflaumlchen A1 und A2 die gleiche Groumlszlige besitzen (sog Maxwell-Korrektur s Abbildung 24 rechts) Dies sieht zwar nach einer etwas willkuumlrlichen Hilfskonstruktion aus trotzdem laumlsst sich damit das Verhalten eines realen Gases im Zweiphasengebiet sehr gut nachvollziehen und vorhersagen Eine besonders ausgewiesene Position im PV-Diagramm eines realen Gases ist der Scheitel-punkt des Zweiphasengebiets der durch den Wendepunkt der Isotherme des Typs 2 gebildet wird (Abb 25)

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P

V

Zweiphasen-gebiet Tc

Pc

Vc

kritischer Punkt

Jedes reale Gas besitzt einen sogenannten kritischenPunkt der durch die kritischen Zustandsgroumlszligen Tc Pc undVc beschrieben wird Die kritische Temperatur Tc istdiejenige Temperatur bei der sich ein Gas unter Druckgerade noch verfluumlssigen laumlszligt Oberhalb der kritischenTemperatur existiert kein fluumlssiger Zustand Derentsprechende Druck Pc wird als kritischer Druckbezeichnet

Die Isotherme die der kritischen Temperatur zugeordnetist besitzt als einzige einen Wendepunkt mit horizontalerTangente der gleichzeitig den kritischen Punkt markiert

Abb 25 PV-Diagramm fuumlr ein reales Gas mit kritischem Punkt

Dieser sogenannte kritische Punkt wird durch die kritische Temperatur Tc den kritischen Druck Pc und das kritische Molvolumen Vc festgelegt Zustaumlnde oberhalb des kritischen Punkts nennt man uumlberkritisch Uumlberkritisches Kohlendioxid besitzt in der Technik groszlige Bedeutung fuumlr das Loumlsen und Ausfaumlllen von pharmazeutischen Wirkstoffen (zB Aspirin fuumlr Brausetabletten) fuumlr die Extraktion (zB bei der Entkoffeinierung von Kaffee) oder zur chemischen Reinigung von Textilien

35 Andere Zustandsgleichungen fuumlr reale Gase

Neben der van-der-Waals-Gleichung existieren weitere Ansaumltze zur Beschreibung realer Gase die zwar eine genauere Anpassung an die gemessenen Werte ermoumlglichen aber auch kompli-zierter sind oder mehr Arbeit bei der Bestimmung der charakteristischen Parameter erfordern Im Folgenden seien als Beispiele die Berthelot-Gleichung und die Virialgleichung erwaumlhnt

a Berthelot-Gleichung (P + (Ansup2)(TVsup2) ) (V - nB) = n R T Berthelot fuumlhrte damit als Besonderheit einen temperaturabhaumlngigen Binnendruck ein Dies ist insoweit physikalisch gerechtfertigt als die vermehrte thermische Bewegung der Ausbildung von Wechselwirkungen zwischen den Molekuumllen entgegenwirken kann

b Virialgleichung P Vm = A + B P + C Psup2 + D Psup3 + Mit Vm = Vn Die Virialgleichung nutzt die Tatsache dass sich fast alle physikalischen Zusammenhaumlnge uumlber einen Potenzreihenansatz a + bx + cxsup2 + dxsup3 + hellip beliebig genau annaumlhern lassen Je nach Anzahl der anpassbaren Parameter ist zwar eine beliebig genaue Beschreibung des realen Gases moumlglich allerdings steigt auch der Aufwand fuumlr die Bestim-mung aller Koeffizienten

36 Beschreibung von Fluumlssigkeiten

Im PV-Diagramm der realen Gase schlieszligt sich links vom Zweiphasengebiet der Bereich der fluumlssigen Phase an Sie zeichnet sich dadurch aus dass mit sinkendem Volumen der Druck ex-trem steil ansteigt Das bedeutet dass bereits eine geringfuumlgige Volumenabnahme mit einem aumluszligerst groszligen Druckanstieg verbunden ist In der Praxis hat das zur Folge dass Fluumlssigkeiten im Gegensatz zu Gasen kaum komprimierbar sind ihre Kompressibilitaumlt geht gegen Null Auch ist die Ausdehnung der Fluumlssigkeiten bei steigender Temperatur und bei konstantem

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Druck (der thermische Ausdehnungskoeffizient) sehr viel kleiner als bei Gasen Eine einfache allgemeine Zustandsgleichung fuumlr die fluumlssige Phase in Analogie zur idealen oder zur van-der-Waals-Gleichung existiert nicht Stattdessen findet man bei der experimentellen Bestimmung des Zusammenhangs zwischen P V und T fuumlr jede Fluumlssigkeit ein sehr charakteristisches Verhalten Vergleicht man die Messergebnisse verschiedener Fluumlssigkeiten untereinander so sind kaum Aumlhnlichkeiten auszumachen Daruumlber hinaus sind bestimmte Messungen (zB die Messung der Abhaumlngigkeit des Drucks vom Volumen bei konstanter Teilchenzahl und Temperatur) technisch sehr schwer zu realisieren Das Fehlen einer einheitlichen Zustandsgleichung V(TPn) fuumlr Fluumlssigkeiten liegt auch in deren komplexer Struktur begruumlndet Betrachtet man ein einzelnes Teilchen in der Fluumlssigkeit so liegt es bezuumlglich der Abstaumlnde zu seinen naumlchsten Nachbarn stets in der Naumlhe des Mini-mums einer Potentialkurve Epot(r) die einen sehr steilen Verlauf besitzt Die Abstaumlnde zu den benachbarten Teilchen sind damit nahezu fixiert folglich ist eine unabhaumlngige Translations-bewegung einzelner Teilchen praktisch unmoumlglich Stattdessen verlaufen alle Bewegungs-prozesse mehr oder weniger kollektiv also unter gleichzeitiger Verschiebung mehrerer Teilchen Daruumlber hinaus gibt es keine nennenswerten freien Volumina so dass der mittlere Abstand der Teilchen nur unwesentlich verringert werden kann ein Umstand der sich in der bereits erwaumlhnten geringen Kompressibilitaumlt aumluszligert Ein Modell fuumlr eine allgemeine Fluumlssigkeit laumlsst sich im Rahmen einer Computersimulation einfuumlhren Man betrachtet dabei einen wuumlrfelfoumlrmigen Raum der einen Ausschnitt aus dem Fluumlssigkeitsvolumen darstellen soll und eine endliche Anzahl n von Fluumlssigkeitsteilchen (zB n = 1000) enthaumllt Um die Zahl der Teilchen konstant zu halten und dabei trotzdem deren Beweglichkeit zu wahren wird eine Kontinuitaumltsbedingung eingefuumlhrt Jedes Teilchen das im Rahmen der Bewegungsprozesse den Wuumlrfel an einer gegebenen Stelle verlaumlsst tritt automatisch an der genau gegenuumlberliegenden Position des Wuumlrfels wieder ein Auf diese Weise ist gewaumlhrleistet dass die Zahl der Teilchen im Wuumlrfel konstant bleibt (Abb 26)

Abb 26 Simulation von Bewegungs-vorgaumlngen in einem Fluumlssigkeitsvolumen unter Wahrung einer konstanten Partikel-anzahl Jedes Teilchen das im Rahmen der Bewegungsprozesse den Wuumlrfel an einer gegebenen Stelle verlaumlsst tritt automatisch an der genau gegenuumlberliegenden Position des Wuumlrfels wieder ein

An diesem System fuumlhrt man nun eine so genannte Monte-Carlo-Simulation durch Dabei setzt ein Zufallsgenerator eine geringfuumlgige Verschiebung eines beliebigen einzelnen Teil-chens in Gang Anschlieszligend wird unter Verwendung des bekannten Potentialverlaufs Epot(r) berechnet wie sich nach der Verschiebung die potentielle Energie des Systems veraumlndert hat Danach entscheidet das Simulationsprogramm zwischen zwei Moumlglichkeiten

- Hat sich die gesamte potentielle Energie des Systems durch die Verschiebung verringert oder blieb sie konstant so wird die Verschiebung akzeptiert und der naumlchste Schritt berechnet - Hat sich die gesamte potentielle Energie durch die Verschiebung um den positiven Wert E erhoumlht so wird die Verschiebung mit einer Wahrscheinlichkeit die von E abhaumlngt akzeptiert und ansonsten verworfen Danach wird der naumlchste Schritt berechnet

Auf diese Weise kann man fuumlr beliebige Fluumlssigkeiten sowohl die typischen Bewegungs-prozesse als auch die einflussbedingten Veraumlnderung von Zustandsgroumlszligen (zB P in Ab-

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haumlngigkeit von V) berechnen Allerdings sind die Rechnungen bei den fuumlr eine realistische Beschreibung eines Fluumlssigkeitsvolumens notwendigen groszligen Teilchenzahlen sehr aufwaumlndig und zeitintensiv

37 Beschreibung von Festkoumlrpern

Begibt man sich im P-V-Diagramm vom fluumlssigen Zustand ausgehend noch weiter nach links (zu kleineren Volumina houmlheren Drucken und niedrigeren Temperaturen) so erreicht man den festen Zustand Die Problematik der Zustandsgleichung V(TPn) von Festkoumlrpern aumlhnelt jener der Fluumlssigkeiten Auch hier sind die Kompressibilitaumlten und die thermischen Aus-dehnungskoeffizienten uumlblicherweise sehr viel geringer als bei Gasen Ebenso wie bei Fluumls-sigkeiten sind dabei die Unterschiede zwischen einzelnen Vertretern der Festkoumlrper recht groszlig so dass keine gemeinsame Zustandsgleichung wie bei Gasen formuliert werden kann Im Vergleich mit den Werten der Fluumlssigkeiten sind die Kompressibilitaumlten und die thermischen Ausdehnungskoeffizienten der Festkoumlrper durchschnittlich nochmals um etwa zwei Groumlszligen-ordnungen geringer

Abb 27 Torsionsexperiment zur Unterscheidung zwischen Fluumlssigkeiten und Festkoumlrpern (s Text)

Der wesentliche Unterschied zwischen Festkoumlrpern und Fluumlssigkeiten besteht allerdings in ihrem gegensaumltzlichen Verhalten bezuumlglich Verformung waumlhrend Fluumlssigkeiten einer gege-benen Verformung durch ihre Zaumlhigkeit (Viskositaumlt) Widerstand leisten reagiert ein Fest-koumlrper auf eine Verformung durch eine elastische Deformation Dieses Verhalten wird in einem Torsionsrheometer deutlich wobei eine feste oder fluumlssige Probe periodisch mit einer torsionsartigen Verformung beaufschlagt wird (Abb 27) Waumlhrend der Drehmomentverlauf des Festkoumlrpers exakt gleichphasig zur periodischen Aus-lenkung erfolgt (elastische Verformung) ist der Drehmomentverlauf der Fluumlssigkeit dazu um ein Viertel einer Wellenlaumlnge phasenverschoben (viskose Reaktion) Bei Fluumlssigkeiten ist der Widerstand dann maximal wenn die Deformationsgeschwindigkeit maximal ist (blaue Linie

t

Dre

hmom

entv

erla

uf

tAusl

enku

ng

Festkoumlrper

t

Dre

hmom

entv

erla

uf

Fluumlssigkeiten

Pruumlfkoumlrper

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in Abb 26) Bei Festkoumlrpern ist die Kraft dann maximal wenn der Deformationszustandmaximal ist (rote Linie in Abb 27) Viele Festkoumlrper stellen Uumlbergaumlnge zwischen diesen beiden Extremfaumlllen dar und werden dann als viskoelastisch bezeichnet Aus der Betrachtung von Messergebnissen an einer Viel-zahl von Materialien geht hervor dass eine eindeutige Abgrenzung zwischen dem fluumlssigen und dem festen Zustand selten moumlglich ist Entsprechend gibt es auch unterschiedliche Strukturmodelle die teilweise das elastische Verhalten teilweise das plastische Verhalten von Festkoumlrpern erklaumlren Dem elastischen Festkoumlrper mit nahezu verschwindender Phasen-verschiebung wird am ehesten das Modell eines idealen Kristalls gerecht Man geht dabei davon aus dass jedes Atom bzw Molekuumll aus dem der Festkoumlrper zusammengesetzt ist sich an einem geometrisch festgelegten Gitterpunkt befindet von dem es sich nicht entfernen kann Als Bewegungsprozess ist dabei lediglich eine Schwingung mit begrenzter Amplitude moumlglich Die denkbaren Geometrien der Gitterstrukturen reichen von primitiv-kubischen Gittern (zB Natriumchlorid) uumlber kubisch-dichteste (zB Silber Kupfer) und hexagonal-dichteste Kugelpackungen (zB Magnesium Zink) bis zur kubisch-raumzentrierten Struktur (zB Eisen Molybdaumln) Haumlufig findet man leichte Abweichungen von der idealen Gitter-struktur die durch lokale Stoumlrungen hervorgerufen werden Akzeptiert man gewisse Anteile an viskosem Verhalten (dh eine leichte Phasenverschiebung) so begibt man sich in den Grenzbereich zwischen Festkoumlrpern und Fluumlssigkeiten In einem Material wie Glas ist die regelmaumlszligige Anordnung eines Gitters nicht gegeben die Atome sind unregelmaumlszligig positioniert und koumlnnen unter Belastung auch flieszligen Solche nicht-kristallinen Festkoumlrper bezeichnet man als amorph Typische Vertreter amorpher Feststoffe sind Fenster-glas viele transparente Kunststoffe (zB Plexiglas Polyester in Getraumlnkeflaschen) Wachs und Aumlhnliches Amorphe Festkoumlrper besitzen keinen Schmelzpunkt sondern erweichen bei steigender Temperatur allmaumlhlich Amorphe Festkoumlrper koumlnnen nachtraumlglich kristallisieren wobei sich haumlufig das aumluszligere Erscheinungsbild und die physikalischen Eigenschaften drastisch aumlndern (zB Plastikfolie unter Zug)

38 Das Phasendiagramm

Die drei wichtigsten Phasenzustaumlnde zu denen sich eine makroskopische Gesamtheit von Atomen oder Molekuumllen zusammenfinden koumlnnen sind also Gase Fluumlssigkeiten und Festkoumlrper Die Frage ist nun unter welchen Bedingungen sich ein System fuumlr den ersten den zweiten oder den dritten Zustand entscheidet Erfahrungsgemaumlszlig haumlngt der gegebene Phasenzustand von den in Kapitel 31 eingefuumlhrten Zustandsparametern n V P und T ab Legt man die Stoffmenge n auf einen Wert fest (zB auf ein Mol Teilchen) und beruumlcksichtigt man dass nach den gegebenen Zustandsgleichungen die Groumlszligen n V P und T miteinander verknuumlpft sind so genuumlgen zwei Parameter um den jeweils guumlnstigsten Phasenzustand eindeutig festzulegen Ein Diagramm bei dem einer der Parameter V P und T gegen einen anderen aufgetragen wird eignet sich also prinzipiell um bei einer gegebenen Teilchenart den unter diesen Bedingungen jeweils angestrebten Phasenzustand zu markieren So kann man gemaumlszlig den Abbildungen 23 bis 25 in einem Diagramm bei dem P gegen V aufgetragen wird schon den jeweils gegebenen Phasenzustand eintragen und ablesen In der Praxis eignen sich solche PV-Diagramme allerdings wenig um Phasenzustaumlnde zu markieren der gasfoumlrmige Zustand nimmt einen sehr breiten Raum ein waumlhrend der fluumlssige und der feste Zustand in dem sehr engen Bereich links neben dem Zweiphasengebiet bdquoeingequetschtldquo waumlre Vor allem in diesem Umfeld waumlre das Diagramm schwer ablesbar

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39

Wesentlich guumlnstiger ist dagegen die Auftragung vom Druck P gegen die Temperatur T In diesem PT-Diagramm das auch als Phasendiagramm bezeichnet wird lassen sich alle Phasenzustaumlnde uumlbersichtlich zuordnen Dabei bezeichnen Flaumlchenanteile im PT-Diagramm die unter den gegebenen Druck- und Temperaturbedingungen angestrebte Phase (zB fest fluumlssig gasfoumlrmig) waumlhrend Linien die dazwischen vorliegenden Gleichgewichte markieren und Phasengrenzlinien genannt werden (Abb 28)

T

Pfe

st

fluumlss

ig

gasfouml

rmig

kritischerPunkt

Tripel-punkt

Phasengrenzlinie

Abb 28 Phasendiagramm mit Auftragung des Drucks (P) gegen die Temperatur (T)

Auszligerdem enthaumllt ein Phasendiagramm gewoumlhnlich mindestens zwei besonders ausgezeich-nete Punkte den Tripelpunkt an dem die drei im Allgemeinen wichtigsten Phasenzustaumlnde fest fluumlssig und gasfoumlrmig miteinander im Gleichgewicht stehen und den bereits aus dem PV-Diagramm bekannten kritischen Punkt der das Ende eines definierten Uumlbergangs zwischen fluumlssiger und gasfoumlrmiger Phase markiert Beispiele fuumlr Phasendiagramme Kohlen-dioxid und Wasser sind in Abbildung 29 und 30 wiedergegeben

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T

P

fest

fluumlss

iggasfoumlrmig

kritischerPunkt

Tripel-punkt

2168 K

511 bar

CO2

3042 K

728 bar

Abb 29 Phasendiagramm fuumlr Kohlendioxid

T

P

fluumlss

ig

gasfoumlrmig

kritischerPunkt

H2O

Eis 1

Eis 1

Eis 2 Eis 3

Eis 5

Eis 6

Tripelpunkt6473 K

218 bar

6 mbar 27316 K

Abb 30 Phasendiagramm fuumlr Wasser Der Bereich oberhalb von 200 bar ist aus Gruumlnden der

Uumlbersichtlichkeit entlang der P-Achse komprimiert dargestellt

Eine wichtige Besonderheit des Phasenverhaltens von Wasser ist die Tatsache dass die Phasengrenzlinie zwischen fluumlssigem Wasser und Eis 1 eine negative Steigung aufweist Dies hat zur Folge dass gewoumlhnliches Eis durch Erhoumlhung des Drucks zum Schmelzen gebracht werden kann Dieser Umstand ist eine der Ursachen dafuumlr dass eine Kufe auf Eis gleitet da der durch das Schmelzen entstehende Wasserfilm die Reibung vermindert (allerdings spielt hier auch die Reibungswaumlrme eine Rolle) Der Grund fuumlr dieses Verhalten steht in direkter Verbindung mit der strukturbedingten Volumenabnahme beim Schmelzen von Eis (s Videos unter httpwwwyoutubecomwatchv=6s0b_keOiOU und httpswwwyoutubecomwatchv=CDTZoFGmZoc )

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Waumlhlt man in einem Phasendiagramm eine Kombination von Druck und Temperatur so kann man direkt denjenigen Phasenzustand ablesen den die gegebene Teilchenart unter diesen Bedingungen anstrebt Das heiszligt jedoch nicht dass dieser Zustand dann auch in jedem Fall und zu jeder Zeit vorliegt Haumlufig beobachtet man eine so genannte kinetische Hemmung einer Phasenumwandlung So gibt es unterkuumlhlte Fluumlssigkeiten (zB Regentropfen bei -3degC) genauso wie unterkuumlhlte Dampfphasen (zB uumlbersaumlttigten Wasserdampf in Gewitterwolken) oder uumlberhitzte Fluumlssigkeiten (zB uumlberhitztes Wasser bei einem Siedeverzug) Kristalli-sationskeime wie Staubkoumlrner koumlnnen Phasenumwandlungen beschleunigen (zB durch Staub verursachter bdquoIndustrieschneeldquo) Bisher wurden lediglich Phasendiagramme von reinen Stoffen betrachtet die nur aus einer einzelnen Sorte Atomen oder Molekuumllen bestehen Mischt man einem gegebenen Stoff eine weitere Komponente hinzu so aumlndert sich das Phasendiagramm erheblich Als Beispiel betrachten wir ein System in dessen fluumlssiger Phase ein Fremdstoff A geloumlst wird der weder im Festkoumlrper noch im der Gasphase loumlslich ist (zB Kochsalz in Wasser) In diesem Fall dehnt sich der fluumlssige Bereich des Phasendiagramms mit steigender Konzentration von A in alle Richtungen aus so dass gleichzeitig der Schmelzpunkt erniedrigt der Siedepunkt erhoumlht und der Dampfdruck verringert wird (Abb 31) In erster Naumlherung sind alle genannten Aumlnderungen proportional zu cA

T

P

fest

fluumlss

ig

gasfouml

rmig

Abb 31 Phasendiagramm fuumlr ein System in dessen fluumlssiger Phase ein Fremdstoff mit steigender

Konzentration cA geloumlst wird Der Bereich der fluumlssigen Phase dehnt sich daraufhin in alle

Richtungen aus

Bei weiter steigender Konzentration von A kann ein Punkt erreicht werden an dem die Mischung in zwei getrennte Bereiche zerfaumlllt die ebenfalls als Phasen bezeichnet werden (zB Olivenoumll und Wasser) Eine dieser Phasen besitzt dann einen hohen Loumlsemittelanteil bei geringer Konzentration von A die andere besteht aus einem hohen Anteil an A mit einem geringen Gehalt an Loumlsemittel Dieser Vorgang der Phasenseparation binaumlrer (aus zwei Komponenten bestehender) Systeme wird durch eine andere Art von Phasendiagramm beschrieben dem so genannten Mischphasendiagramm (Abb 32) Hierbei wird die Tempe-

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ratur dem relativen Anteil einer Komponente gegenuumlbergestellt der Druck wird als konstant angenommen

Abb 32 Allgemeine Darstellung eines Mischphasendiagramms

Grundsaumltzlich gibt die linke Flanke der Phasentrennlinie (links des kritischen Punkts) die Zusammensetzung der bdquoA-armenldquo Phase an waumlhrend die rechte Flanke (rechts des kritischen Punkts) die Zusammensetzung der A-reichen Phase beschreibt Die Mengen der dabei gebildeten Phasen koumlnnen nach dem so genannten Hebelgesetz berechnet werden Demnach gilt zwischen dem Anteil n1 der A-armen Phase 1 dem Anteil n2 der A-reichen Phase 2 und den Laumlngen der Pfeile s1 und s2 in der vorhergehenden Abbildung folgender Zusammenhang

n1 s1 = n2 s2

Fuumlr das gezeigte Beispiel wuumlrde das bedeuten dass der Anteil der Phase 1 etwa doppelt so groszlig waumlre wie der Anteil der Phase 2 In der Naumlhe der beiden Raumlnder des Diagramms also fuumlr xA 0 (sehr wenig A im Loumlsemittel) oder xA 1 (sehr wenig Loumlsemittel in A) liegen in den meisten Faumlllen einphasige homogene Mischungen vor Das besagt dass auch bei niedrigen Temperaturen ein wenig von dem Stoff A im Loumlsemittel bzw ein wenig Loumlsemittel im Stoff A loumlslich ist Der im Diagramm eingezeichnete kritische Punkt bedeutet dass oberhalb der dazugehoumlrigen kritischen Temperatur keine Entmischung mehr erfolgt dh hier sind die beiden Komponenten vollstaumlndig und in jedem Verhaumlltnis miteinander mischbar Neben solchen oberen kritischen Punkten gibt es auch untere kritische Punkte Im zweiten Fall gilt dass die beiden Komponenten unterhalb einer bestimmten Temperatur in jedem Verhaumlltnis miteinander mischbar sind Im Allgemeinen koumlnnen die drei verschiedenen Faumllle auftreten die in Abbildung 33 dargestellt sind

0 Molenbruch xA der Komponente A 1

Tem

pera

tur

obere kritischeTemperatur

Einphasen-gebiet

Zweiphasen-gebiet

Beispiel xA = 04

T1

Zum gezeigten Beispiel

Eine Mischung mit dem Molenbruch xA = 04 wird von T2 nach T1 abgekuumlhltDabei zerfaumlllt die Mischung bei Tklsquo in zwei Phasen derenZusammensetzung bei T1auf der x-Achse an den Punkten 1 und 2 ablesbar ist

T2

Tklsquo

1 2

kritischer Punkt

s1 s2

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0 xA 1

Tem

pera

tur

System mit oberem kritischen Punkt

kritischer Punkt

0 xA 1Te

mpe

ratu

r

System mit unterem kritischen Punkt

kritischer Punkt

0 xA 1

Tem

pera

tur

System mit oberem und unterem

kritischen Punkt

kritischer Punkt

kritische Punkte

Abb 33 Moumlgliche Varianten von kritischen Punkten bei Systemen aus zwei Komponenten

Obere kritische Punkte findet man dann wenn sich die molekulare thermische Bewegung gegen die Tendenz der Molekuumlle sich mit gleichartigen Molekuumllen zusammenzulagern durchsetzt Dieses Phaumlnomen ist sehr verbreitet so dass ein oberer kritischer Punkt bei sehr vielen Mischphasen beobachtet wird Untere kritische Punkte sind sehr viel seltener Sie treten beispielsweise dann auf wenn die beiden Komponenten miteinander bei tiefen Temperaturen einen Komplex bilden der bei houmlheren Temperaturen wieder zerfaumlllt und dann zu einer Phasenseparation fuumlhrt Ein Beispiel dafuumlr ist die Mischung aus Wasser und Triethylamin

Fuumlr Mischphasen aus drei Komponenten so genannte ternaumlre Mischungen sind die bisher gezeigten Darstellungen ungeeignet Hierfuumlr haben sich Dreiecksdiagramme (Gibbssches Phasendreieck) durchgesetzt die das Phasenverhalten unter Variation der Mengenbeitraumlge aller drei Komponenten aufzeigen (Abb 34) Das Diagramm ist so geartet dass die Summe aller drei Mengenanteile xA xB und xC in jedem Fall den Wert 1 ergibt Damit besitzt die Zusammensetzung des ternaumlren Gemisches zwei Freiheitsgrade Jede Linie die durch eine Ecke des Diagramms fuumlhrt verbindet diejenigen Punkte bei denen das Verhaumlltnis zweier Komponenten gleich ist Jede Linie die parallel zu einer der drei Seiten verlaumluft entspricht Gemischen bei denen der relative Anteil einer Komponente gleich bleibt

00 02 04 06 08 10Komponente A

00

02

04

06

08

10

Kom

pone

nte

B

0002

04

06

08

10

Komponente C

C

A

B

00 02 04 06 08 10Komponente A

00

02

04

06

08

10

Kom

pone

nte

B

00

02

04

06

08

10

Komponente C

x1

x2x

Abb 34 Prinzip eines ternaumlren Phasendiagramms nach Gibbs (Dreiecksdiagramm)

In solche ternaumlren Mischphasendiagramme lassen sich nun entsprechend den binaumlren Mischphasendiagrammen die Ein- und Zweiphasengebiete einzeichnen Das Diagramm in

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Abb 34 rechts gilt zB fuumlr eine ternaumlre Mischung aus A B und C bei der die Komponenten A und B sowie B und C jeweils paarweise in jedem Verhaumlltnis miteinander mischbar sind Die Komponenten A und C sollen dagegen nur begrenzt mischbar sein Als Konsequenz daraus ergibt sich ein Dreiecksdiagramm das an der unteren Achse die dem Anteil 0 der Komponente B entspricht ein Zweiphasengebiet aufweist

Die Hilfslinien im Zweiphasengebiet markieren die Zusammensetzung der entstehenden Einzelphasen So wuumlrde beispielsweise eine Mischung deren Zusammensetzung im Diagramm durch den Punkt x markiert ist in die beiden Phasen x1 und x2 zerfallen Die Mengenanteile der beiden Phasen koumlnnten dabei wieder uumlber das Hebelgesetz berechnet werden Um zusaumltzlich den Einfluss der Temperatur wiederzugeben muss eine weitere Koordinate eingefuumlhrt werden Man erhaumllt dabei ein dreidimensionales Dreiecksdiagramm das haumlufig unter Verwendung von Houmlhenlinien nach der Art einer topographischen Landkarte dargestellt wird Jede Houmlhenlinie des Zweiphasengebiets umschreibt dann seine Ausdehnung bei einer gegebenen Temperatur

Fragt man bei einem System mit bestehenden Randbedingungen nach der Zahl der frei variierbaren Zustandsgroumlszligen also nach der Zahl der Freiheitsgrade so haumlngt die Antwort zunaumlchst davon ab in welchem Phasenzustand sich das System befindet So kann man beispielsweise in der Gasphase (bei festgelegter Stoffmenge) Temperatur und Druck frei waumlhlen wodurch dann automatisch das Volumen festgelegt wird Gleiches gilt fuumlr die feste und die fluumlssige Phase Das System hat innerhalb eines Phasenzustands also zwei Freiheits-grade Setzt man allerdings voraus dass sich das System in einem Gleichgewicht zwischen zwei Phasen befindet (zB auf der Verdampfungslinie) so besitzt es nur einen Freiheitsgrad Am Tripelpunkt schlieszliglich bei einem Gleichgewicht zwischen drei Phasen sind keine Freiheitsgrade mehr vorhanden Zwischen der Zahl der Phasen P und der Zahl der Freiheitsgrade F gibt es also folgende einfache Beziehung

F = 3 - P

Beruumlcksichtigt man weiter dass auch mehr als eine Komponente auftreten kann (Zahl der Komponenten C gt 1) so erhoumlht sich die Zahl der Freiheitsgrade um jede zusaumltzliche Komponente deren Konzentration ja frei waumlhlbar ist um den Wert eins Man erhaumllt damit

F = 3 - P + (C - 1) oder F = C - P + 2

Nach dieser allgemeinguumlltigen Formel der so genannten Gibbsrsquoschen Phasenregel laumlsst sich die Zahl der Freiheitsgrade in jedem beliebigen System bestimmen Sie erlaubt insbesondere bei sehr komplizierten Mischungen mit einer unbekannten Anzahl an Phasenzustaumlnden uumlber eine einfache Betrachtung Ruumlckschluumlsse auf deren Phasenverhalten

Page 16: Vorlesung PC I Einführung in die Physikalische Chemierelaxation.chemie.uni-duisburg-essen.de/lehre/Skript_PC_2016_2017.pdf · Schwingungen möglich, deren Geometrie (d.h. die Zahl

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wird somit 1s 2s 2p

Dieser hypothetische Vorgang kommt einer gewissen Energieerhoumlhung gleich die allerdings dadurch abgemildert wird dass ein nach der ersten Hundschen Regel (bdquobus seat ruleldquo) guumlnsti-gerer Zustand mit ungepaarten Spins entsteht Die vier nunmehr halbbesetzten Orbitale sind in Abbildung 10 dargestellt

Abb 10 Darstellung der vier an der sp3-Hybridisierung des Kohlenstoffs beteiligten Orbitale 2s 2px 2py und 2pz(Quelle Chemgapedia)

Anschlieszligend erfolgt nun die Hybridisierung eine Art Vermischung (oder mathematisch korrekter die Bildung von Linearkombinationen) des s- mit den drei p-Orbitalen Dadurch entstehen Orbitale in gleicher Anzahl aber mit voumlllig neuer Form Symmetrie und Orien-tierung im Raum

Abb 11 Darstellung der vier aus der sp3-Hybridisierung des Kohlenstoffs resultierenden Hybridorbitale Die Ausrichtung der sp3-Hybridorbitale folgt den vier Raumdiagonalen eines Wuumlrfels oder ndash wenn man nur die groumlszligeren Segmente der Orbitale betrachtet ndash den Ecken eines Tetraeders (Quelle Chemgapedia)

Die vier neuen wiederum jeweils halbbesetzten Orbitale zeigen vom Kern aus zu den Ecken eines Tetraeders Mit ihrer Hilfe laumlsst sich nun zwanglos die Bildung des bekannten Methan-Molekuumlls CH4 erklaumlren jedes einzelne sp3-Hybridorbital uumlberlappt mit jeweils einem s-Orbi-tal eines Wasserstoffatoms wodurch eine tetraedrische Molekuumllgeometrie mit vier voumlllig gleichberechtigten Bindungen entsteht Das Ergebnis kommt den tatsaumlchlich vorhandenen Molekuumllorbitalen die sich gemaumlszlig dem MO-Modell formulieren lassen sehr nahe Festzu-halten ist dabei dass es sich sowohl bei der Promotion als auch bei der Hybridisierung um rein fiktive Prozesse handelt die lediglich postuliert werden um den VB-Ansatz zu bdquorettenldquo Der grundsaumltzliche Mangel der darin besteht dass das VB-Modell uumlberwiegend auf Atom-orbitalen beharrt die eigentlich nicht mehr existieren bleibt bestehen Viele Molekuumllgeome-trien lassen sich in der VB-Theorie nur mit Hilfe einer passenden Hybridisierung erklaumlren Dennoch das VB-Modell ist fuumlr die meisten Anwendungen in der Chemie nach wie vor der am haumlufigsten gewaumlhlte Ansatz er ist einfach intuitiv und vielseitig einsetzbar solange man die richtige Form der Hybridisierung waumlhlt Letzteres geschieht auf der Grundlage einer bekannten Molekuumllgeometrie oder unter Beruumlcksichtigung von vorhandenen Mehrfachbindun-gen Im Idealfall aumlhneln die gebildeten Hybridorbitale dann den wirklichen Molekuumllorbitalen

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In der folgenden Tabelle sind die haumlufigsten Hybridisierungsvarianten zusammengefasst und verschiedenen Molekuumllgeometrien zugeordnet Bei gegebener Geometrie des Molekuumlls (z B die trigonal-planare Anordnung um jedes Kohlenstoffatom im Ethylen) kann man so auf die passende Hybridisierung schlieszligen (im gegebenen Fall das sp2-Hybrid)

Tabelle 1 Wichtige Hybridisierungszustaumlnde nach dem VB-Modell

Hybridisierung Promotion Koordinationszahl Geometrie Beispiele

sp uarruarr suarr puarr 2 linear Acetylen Propadien

sp2 uarruarruarr suarr puarruarr 3 trigonal-planar Ethylen Benzol

sp3 uarruarruarruarr suarr puarruarruarr 4 tetraedrisch Methan Ammoniak

sp3d uarruarruarruarruarr suarr puarruarruarr duarr 5 trigonal-bipyramidal

Phosphor-pentachlorid

sp3d2 uarruarruarruarruarruarr suarr puarruarruarr duarruarr 6 oktaedrisch Schwefel-hexafluorid

Die so entstehenden Hybridorbitale kommen in ihrer raumlumlichen Darstellung den tatsaumlchli-chen Molekuumllorbitalen teilweise recht nahe sie korrigieren somit die VB-Theorie in gewissem Sinne in Richtung der MO-Theorie Allerdings bleibt festzuhalten dass die VB-Theorie keine antibindenden Orbitale kennt diese bleiben einfach unberuumlcksichtigt Dies ist eine gravie-rende Schwaumlche der VB-Theorie die sich an vielen Stellen bemerkbar macht (zB bei der Erklaumlrung des Sauerstoff-Biradikals in der Spektroskopie und bei bestimmten Reaktions-typen)

19 Elektronegativitaumlt und Polaritaumlt

In einer chemischen Bindung zwischen verschiedenen Elementen besitzen die beteiligten Atome fuumlr gewoumlhnlich unterschiedliche Tendenzen die Bindungselektronen an sich zu ziehen Bei der Betrachtung der Energieschemata im MO-Modell aumluszligert sich dies darin dass ein bindendes Molekuumllorbital aus einer Linearkombination zweier Atomorbitale mit sehr unterschiedlicher Energie hervorgeht In diesem Fall besitzt das bindende Molekuumllorbital die Tendenz hohe Elektronendichten in der Naumlhe des Elements aufzuweisen dessen Atomorbital energetisch guumlnstiger liegt Man spricht dann von einer hohen Elektronegativitaumlt dieses Elements da es in dem gebundenen Zustand durch die erhoumlhte Elektronendichte eine partiell negative Ladung aufweist Ein klassisches Beispiel ist die Verbindung Fluorwasserstoff (HF) Hier wird ein bindendes Molekuumllorbital aus der Linearkombination zwischen dem 1s-Orbital des Wasserstoffs mit einem 2p-Orbital des Fluors gebildet Letzteres liegt aufgrund der relativ hohen Kernladung und des geringen Atomradius des Fluors energetisch wesentlich tiefer wodurch sich eine stark asymmetrische Elektronenverteilung ergibt Die Elektronegativitaumlt wird in erster Linie durch die Kernladung vor allem aber auch durch den Abstand zwischen den Valenzelektronen und dem Atomkern bestimmt Daher sind auch kleine Atome wie zum Beispiel der Stickstoff der Sauerstoff oder das Fluor auch besonders elektronegativ (s Tabelle Seite 12) Im Periodensystem der Elemente nimmt die Elektro-negativitaumlt tendenziell nach oben und nach rechts zu (Edelgase ausgenommen) Linus Pauling

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schlug vor die Elektronegativitaumlt ausgehend von der VB-Theorie als dimensionslose Kenn-groumlszlige fuumlr jedes einzelne Element einzufuumlhren Sie errechnet sich aus einem Vergleich der Dissoziationsenergien der beteiligten Elemente Demnach besitzt Francium als das am wenigsten elektronegative Element den Wert 070 und Fluor als das am staumlrksten elektro-negative Element den Wert 398 Eine Zwischenstellung nimmt zB Wasserstoff mit 220 ein Bei Bindungen zwischen Elementen mit unterschiedlicher Elektronegativitaumlt spricht man von polaren Bindungen Entlang einer polaren Bindung baut sich durch die ungleiche Elektronen-verteilung ein entsprechendes Dipolmoment auf das haumlufig Anlass fuumlr starke zwischen-molekulare Kraumlfte liefert (s Kapitel 3) Im Extremfall einer sehr polaren kovalenten Bindung kann das Bindungselektron (bzw die Bindungselektronen) praktisch allein dem elektronega-tiveren Element zugesprochen werden Das entsprechende Bindungsorbital besteht dann als Linearkombination von Atomorbitalen fast ausschlieszliglich aus einem Atomorbital welches das elektronegativere Element beisteuert In diesem Fall spricht man nach klassischer Definition von einer Ionenbindung

2 Die Elektronenspektroskopie an Atomen und Molekuumllen 21 Grundlagen der Spektroskopie

Elektronen in Atomen und Molekuumllen koumlnnen ndash soweit die Erkenntnis aus Kapitel 1 ndash durch Wellenfunktionen beschrieben werden Aus diesen kann man nicht nur die Aufenthaltswahr-scheinlichkeit an verschiedenen Positionen im Raum sondern auch die Energie des Elektrons ableiten Eine Folge der Beschraumlnkung der Elektronen auf bestimmte Wellenfunktionen mit jeweils bestimmter Energie ist dass sie auch nur in bestimmten Schritten Energie aufnehmen und abgeben koumlnnen Jede Aufnahme bzw Abgabe von Energie entlang dieses Schrittes ist generell mit der Aufnahme bzw Abgabe von elektromagnetischer Strahlung verbunden Diese Tatsache bildet die Grundlage der Spektroskopie im gegebenen Fall der Elektronenspektros-kopie

Allgemein gesprochen befasst sich die Spektroskopie mit der Wechselwirkung zwischen Strahlung und Materie Etwas genauer laumlsst sich aussagen dass die Spektroskopie unter-sucht mit welcher elektromagnetischen Strahlung sich welcher energetische Uumlbergang anre-gen laumlsst Zwischen der elektromagnetischen Strahlung und dem dabei bewirkten energeti-schen Uumlbergang gilt dann grundsaumltzlich folgende Beziehung Δ E = h ∙ ν mit ΔE als der Energiedifferenz zwischen den beiden Zustaumlnden (in Joule) ν (gesprochen bdquonuumlldquo) als Frequenz der verwendeten elektromagnetischen Strahlung (in 1s oder Hertz Hz) und h als dem so genannten Planckschen Wirkungsquantum (mit h = 6626∙10-34 Js) Somit ist jeder Frequenz ν im elektromagnetischen Spektrum (Abb 12) genau ein Energiewert Δ E zugeordnet Die dazugehoumlrige Wellenlaumlnge im Vakuum (in m) errechnet sich nach λ = c ν mit c als Lichtgeschwindigkeit (im Vakuum c = 299 792 458 ms)

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Abb 12 Elektromagnetisches Spektrum (Quelle Chemgapedia)

Fuumlr die genaue Messung welche Frequenz der elektromagnetischen Strahlung einem gegebe-nen Uumlbergang anzuregen vermag gibt es experimentell zwei verschiedene Ansaumltze Entweder man strahlt Energie auf das System ein und beobachtet den Verlust an Strahlungsintensitaumlt der dann beobachtet wird wenn die Strahlung einen Uumlbergang zu einem houmlheren Energieni-veau bewirkt (Absorption) oder man fuumlhrt dem System Energie zu (zum Beispiel thermisch) und beobachtet dann die Freisetzung von Energie als Strahlung (Emission) Im einen Fall erfuumlllt die Frequenz der absorbierten Strahlung im anderen Fall die der emittierten Strahlung die Frequenzbedingung ΔE = h ∙ ν Mit beiden Methoden kann man so exakt den Energie-unterschied zwischen zwei Energieniveaus ausmessen Die Bestimmung der Werte fuumlr die charakteristischen Energieschritte ΔE eines Systems ist die Hauptaufgabe der Spektroskopie Sie eignet sich insbesondere um elektronische Wellenfunktionen eines Systems zu erkunden

22 Elektronenspektroskopie am eindimensionalen Potentialtopf

Das denkbar einfachste elektronische System ist der eindimensionale Potentialtopf Dennoch kann auch dieses Modell schon in grober Naumlherung auf Molekuumlle angewandt werden speziell auf solche mit annaumlhernd linearen Delokalisationssystemen (s Kapitel 14) Ein Beispiel ist die Reihe Butadien Hexatrien Oktatetraen usw Bildet man mit Hilfe der Loumlsungen der Schroumldingergleichung fuumlr das eindimensionale Potentialtopfmodell einen Ausdruck fuumlr den elektronischen Uumlbergang zwischen dem houmlchsten besetzten Orbital (HOO) und dem niedrig-sten unbesetzten Orbital (LUO) so erhaumllt man fuumlr die damit verbundene Energiedifferenz gemaumlszlig der in Abbildung 5 gezeigten Formel

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ΔE = h ∙ ν = (nsup2LUO-nsup2HOO) ∙ hsup2 (8 me asup2)

Mit wachsender Laumlnge a und wachsender Elektronenzahl (jedes Kohlenstoffatom im Delokali-sationsgebiet traumlgt ein Elektron bei) steigen einerseits die Werte der Quantenzahlen n fuumlr das houmlchste besetzte Orbital (HOO) und das niedrigste unbesetzte Orbital (LUO) an andererseits steigt aber auch die Laumlnge L die quadratisch im Nenner der Gleichung steht Da letzteres insgesamt uumlberwiegt sinkt der Wert fuumlr ΔE und damit fuumlr die Frequenz ν schrittweise mit Anstieg der Kettenlaumlnge Liegt die absorbierte Lichtfrequenz anfaumlnglich im UV-Bereich so verschiebt sie sich beispielsweise fuumlr das Carotin mit 11 Doppelbindungen schon in den sichtbaren blauen Bereich Weil daher Carotin blaues Licht absorbiert erscheint es im Durchlicht betrachtet in der Komplementaumlrfarbe orange-gelb Nach diesem Prinzip lassen sich viele organische Farbstoffe interpretieren Aumlndert sich die Laumlnge bzw die Elektronenzahl (und damit nsup2LUO und nsup2HOO) durch die Protonierung des Molekuumlls so hat man es mit einem Farbstoff zu tun der mit dem pH-Wert seine Farbe aumlndert ndash dies ist die Grundlage vieler pH-Indikatoren

23 Elektronenspektroskopie am Wasserstoffatom

Die wissenschaftliche Spektralanalyse wurde in der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts gemeinsam durch GR Kirchhoff und RW Bunsen entwickelt Sie entdeckten dass alle Elemente beim Erhitzen Licht aussenden Nach Zerlegung des Lichts mit einem Glasprisma erhaumllt man ein fuumlr jedes Element charakteristisches Linienmuster das so genannte Spektrum (s auch UTube-Video bdquospectral lines demoldquo httpwwwyoutubecomwatchv=2ZlhRChr_Bw) Dieses Spektrum reflektiert die Gesamtheit der dem gegebenen Element eigenen elektronischen Uumlbergaumlnge und ist damit ein unverwechselbarer Fingerabdruck Elemente koumlnnen damit sowohl in der Emissionsspektroskopie als auch in der Absorptionsspektroskopie eindeutig und mit hoher Empfindlichkeit identifiziert werden

Die Elektronenspektroskopie kann jedoch noch deutlich mehr sie erlaubt die exakte Uumlber-pruumlfung der durch die Loumlsung der Schroumldingergleichung gefundenen elektronischen Wellen-funktionen Dies wurde zunaumlchst am Wasserstoffatom mit hoher Praumlzision betrieben Histo-risch gesehen ist die erste wichtige Lichtquelle fuumlr spektroskopische Analysen unsere Sonne Dies gilt insbesondere fuumlr das Spektrum des Wasserstoffs Da die Energie der elektronischen Zustaumlnde dort einzig und allein von der Hauptquantenzahl n abhaumlngt (s Kapitel 15) werden lediglich solche Spektrallinien beobachtet die sich genau einem gegebenen ΔE = E(n) - E(nlsquo) zuordnen lassen Zuerst wurde mit der Balmer-Serie der sichtbare Anteil des Spektrums ent-deckt der mit allen Uumlbergaumlngen von oder zu dem Niveau n = 2 verbunden ist (Abb 13) Es folgten spaumlter im UV-Bereich die Lyman-Serie mit n = 1 und im IR-Bereich die Paschen-Serie mit n = 3 die Brackett-Serie mit n = 4 sowie die Pfundt- und die Humphreys-Serie mit n = 5 und n = 6 (letztere sind in Abb 13 nicht mehr eingezeichnet) Weitere Serien mit houmlheren Quantenzahlen existieren tragen aber keine eigenen Namen mehr

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Wel

lenz

ahl

[100

0 cm

-1]

0

10

20

30

40

50

60

70

80

90

100

110Grundzustand

Lyman-serie

Balmer-serie

Paschen-serie

Brackett-serie

n = 5n = 4

n = 3

n = 2

n = 1

Gustav Robert Kirchhoff

Robert Wilhelm Bunsen

Abb 13 Wichtige elektronische Uumlbergaumlnge im Wasserstoffatom

Abbildung 14 zeigt das gesamte Wasserstoffspektrum die Kuumlrzel benennen die entsprechen-den Serien (Ly = Lyman Ba = Balmer etc)

Abb 14 Spektrum des Wasserstoffatoms Die Achse fuumlr die Wellenlaumlnge ist logarithmisch aufgetragen

Eine genaue Analyse ergibt dass sich das Schema der Energiedifferenzen nach Abb 13 fast genau mit den in Kapitel 15 besprochenen Loumlsungen der Schroumldingergleichung deckt Die aumluszligerst kleinen Abweichungen die man dennoch detektieren konnte lieszligen sich auf den Bei-trag des Kerns (trotz seiner hohen Masse kann er sich minimal mit dem Elektron mitbewegen) und des Isotopeneffekts zuruumlckfuumlhren der schwerere Deuteriumkern der aus einem Proton und einem Neutron besteht bewegt sich weniger leicht mit dem Elektron mit als das einsame Proton des bdquonormalenldquo Wasserstoffs Daneben zeigen sich bei sehr hoher Aufloumlsung des Spektrums auch relativistische Effekte die zu weiteren Aufspaltungen fuumlhren

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24 Elektronenspektroskopie an Atomen mit mehreren Elektronen

Aufgrund der Wechselwirkungen zwischen den Elektronen ist bei schwereren Elementen die beim Wasserstoff gegebene Entartung bezuumlglich der Quantenzahlen l und m aufgehoben Damit wird das Energiediagramm bereits fuumlr ein einfaches houmlheres Atom wie zum Beispiel Lithium schon deutlich komplizierter (Abb 15) Neben den Uumlbergaumlngen zwischen verschiede-nen Werten fuumlr n treten nun auch Uumlbergaumlnge zwischen s und p p und d d und f auf Manche Uumlbergaumlnge (zum Beispiel solche zwischen s- und d-Niveaus) werden allerdings gewoumlhnlich nicht beobachtet man nennt sie bdquoverbotenldquo bdquoErlaubtldquo sind nur solche Uumlbergaumlnge bei denen die Nebenquantenzahl sich um den Wert plusmn1 aumlndert (also eben von s nach p von p nach d usw) Die so genannte Auswahlregel welche die erlaubten Uumlbergaumlnge festlegt heiszligt folglich Δl = plusmn1

Als weitere Folge der Wechselwirkungen zwischen den Elektronen besitzt jedes houmlhere Atom ein eigenes und von Wasserstoff verschiedenes Energiediagramm Damit besitzt aber auch jedes Atom ein unverwechselbares Muster von Energieuumlbergaumlngen die es eindeutig kenn-zeichnet Dies laumlsst sich bereits in einfachen Versuchen anhand von Flammenfaumlrbungen zeigen Diejenigen Uumlbergaumlnge deren ΔE den Wellenlaumlngen im sichtbaren Spektrum entspricht (in Abb 15 sind dies die kuumlrzeren unter den eingezeichneten blauen Pfeilen) sorgen bei vielen Elementen fuumlr ein charakteristisches farbiges Leuchten (Abb 15 rechts)

Ener

gie

Wasserstoff Lithium

n = 1

2

3

45

1s

2s

2p

3s

4s

5s

3p

4p5p

3d

4d5d

Abb 15 Termschema von Lithium mit wichtigen elektronischen Uumlbergaumlngen (links) Durch Lithium verursachte Flammenfaumlrbung (rechts Quelle httpwwwitpuni-hannoverde~zawischaITPatomshtml)

Letztlich ist auch bei allen houmlheren Atomen die Elektronenspektroskopie eine ideale Methode um das Energieniveauschema experimentell zugaumlnglich zu machen Sie eignet sich daruumlber hinaus perfekt zur schnellen und empfindlichen Identifikation von Elementen Diese Tatsache

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macht man sich sowohl in der Atomabsorptionsspektroskopie (AAS) als auch in der Atom-emissionsspektroskopie (AES) zunutze Elektronenspektren sind unverwechselbare Finger-abdruumlcke mit denen alle Elemente in hoher Empfindlichkeit und selbst uumlber groszlige Distanzen hinweg sicher identifiziert werden koumlnnen

25 Elektronenspektroskopie an Molekuumllen

Genau wie die Atomorbitale sind auch Molekuumllorbitale der Elektronenspektroskopie zugaumlng-lich Durch die systematische Analyse aller elektronischen Uumlbergaumlnge lassen sich die Energie-niveaus in einem MO-Schema schrittweise ausmessen Besonders interessant wird dieser Ansatz bei der Untersuchung der Bindungsverhaumlltnisse Im Allgemeinen beobachtet man Uumlbergaumlnge zwischen bindenden und nicht bindenden Orbitalen einerseits und den uumlblicherweise unbesetzten antibindenden Orbitalen andererseits In Abb 16 ist dies am Beispiel einer C-O-Bindung in Formaldehyd gezeigt Im Mittelpunkt stehen dabei das binden-de und das antibindende σ-Orbital C-O das bindende und das antibindende π-Orbital C-O sowie das nicht bindende freie Elektronenpaar des Sauerstoffs (ein weiteres freies Elektronen-paar bleibt unbeteiligt)

Ener

gie

σ CO

σ CO

π CO

π CO

n O

C

H

H

O

σ-σ

Uumlbe

rgan

g

π-π

Uumlbe

rgan

gn-π Uumlber-gang

σ

Abb 16 Termschema der CO-Gruppe in Formaldehyd (links) Die beteiligten Bindungen und das im betrachteten Energiefenster liegende freie Elektronenpaar des Sauerstoffs sind rechts skizziert

Die drei wichtigsten Uumlbergaumlnge die an der C-O-Gruppe detektiert werden sind der σ-σ-Uumlbergang der π-π-Uumlbergang und der n-π-Uumlbergang Letzterer ist in einer C-O-Gruppe stets am energieaumlrmsten und kann bereits mit UV-Licht einer Wellenlaumlnge um 280 nm angeregt werden (schwarzer Pfeil in Abb 16) Energiereicher und intensiver ist bei der CO-Gruppe der π-π-Uumlbergang der bei Wellenlaumlngen um 170 nm angeregt wird (roter Pfeil in Abb 16) Daruumlber hinaus zeigt das Spektrum dass die beiden freien Elektronenpaare des Sauerstoffs stark unterschiedlichen Charakter besitzen (nur eines ist an dem n-π-Uumlbergang beteiligt das andere tritt im gegebenen Spektralbereich nicht in Erscheinung)

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Auf aumlhnliche Weise lassen sich alle MO-Schemata komplizierter Molekuumlle analysieren Lie-gen die Anregungsfrequenzen der Uumlbergaumlnge im sichtbaren Bereich so haben die Molekuumlle die Funktion von Farbstoffen Haumlufig besitzen sie dann laumlngere lineare Delokalisationsgebiete deren Elektronenspektren man dann auch in grober Naumlherung mit dem eindimensionalen Potentialtopfmodell beschreiben kann (s Kapitel 22) Werden Bindungselektronen angeregt und aumlndern sich im Verlauf der elektronischen Anre-gung die Bindungsverhaumlltnisse (beispielsweise bei Besetzung eines antibindenden Zustands) so ist mit der elektronischen Anregung zwangslaumlufig auch eine Aumlnderung des energetisch guumlnstigsten Bindungsabstands verbunden Damit einhergehend werden mechanische Schwin-gungen des Molekuumlls angeregt Mit den Molekuumllschwingungen verhaumllt es sich analog zu den elektronischen Zustaumlnden auch Molekuumllschwingungen existieren nur in bestimmten definierten Zustaumlnden die sich dann den elektronischen Zustaumlnden uumlberlagern (Abb 17) Die Folge davon ist dass die Elektronenspektren von Molekuumllen haumlufig keine scharfen Linien sondern breite Absorptionsbereiche (bdquoBandenldquo) aufweisen Alle Linien fuumlr die elektronischen Uumlbergaumlnge zerlegen sich demnach in eine Vielzahl von Einzellinien die verschiedene Schwingungszustaumlnde der benachbarten elektronischen Zustaumlnde miteinander verbinden (in Abb 17 sind exemplarisch neun verschiedene moumlgliche Uumlbergaumlnge eingezeichnet) Normaler-weise liegen alle diese Linien dicht beieinander so dass insgesamt eine verbreiterte Absorp-tionsbande entsteht

Ener

gie

elektronische Niveaus

Schwingungsniveaus

Abb 17 Zum Zustandekommen von breiten Absorptionsbanden in Elektronen-Schwingungsspektren Uumlberlagerung von elektronischen Uumlbergaumlngen mit Schwingungsuumlbergaumlngen Exemplarisch sind jeweils drei Schwingungsniveaus eingezeichnet

Das Elektronenspektrum eines Molekuumlls wird wegen der dazu verwendeten Frequenzbereiche im UV- und im sichtbaren (bdquovisibleldquo) Spektrum auch UV-vis-Spektroskopie genannt Die UV-vis-Spektroskopie dient neben der Aufklaumlrung der MO-Struktur auch der schnellen und bequemen Identifikation von chemischen Verbindungen Aufgrund ihrer im Absorptionsver-fahren sehr einfachen und preisguumlnstigen Messtechnik wird sie auch haumlufig in Kombination mit anderen analytischen Verfahren (zB der Chromatographie) verwendet Uumlber eine Bestim-mung der Intensitaumlt der Anregung kann auch eine quantitative Analyse einzelner Verbindun-gen erfolgen

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3 Das Zusammenwirken von Atomen und Molekuumllen 31 Der makroskopische Zustand von Materie Bisher sind nur einzelne Bausteine der Materie also Atome und Molekuumlle betrachtet worden Nun soll das makroskopische Erscheinungsbild von Materie ins Auge gefasst werden die aus einer Vielzahl von Atomen oder Molekuumllen besteht Um den Zustand dieser aus vielen Teilchen zusammengesetzten Materie uumlberhaupt als Gesamtheit zu beschreiben benoumltigt man zunaumlchst so genannte Zustandsparameter oder Zustandsgroumlszligen Die wichtigsten Vertreter dieser Kenngroumlszligen fuumlr makroskopische Materie sind die Stoffmenge n das Volumen V der Druck P und die Temperatur T

n Stoffmenge Die Stoffmenge wird uumlber die Teilchenzahl definiert

Einheit der Teilchenzahl 1 Mol

Definition Ein Mol eines Stoffes enthaumllt dieselbe Anzahl an Teilchen wie 0012 kg reiner Kohlenstoff des Isotops 12C (1 Mol 60221023

Teilchen) Dabei muss eindeutig festgelegt sein was unter einem Teilchen des Stoffes jeweils zu verstehen ist Ist die Stoffmenge konstant so spricht man von einem geschlossenen System

V Volumen Die Definition des Volumens erfolgt uumlber die festgelegte Laumlngeneinheit und den geometrischen Volumenbegriff

Einheit des Volumens 1 msup3

Definition Ein msup3 ist das Volumen eines wuumlrfelfoumlrmigen Raums mit einer Kantenlaumlnge von einem Meter Ist das Volumen konstant so spricht man von einem isochoren Vorgang

P Druck Die Definition erfolgt uumlber die Kraft die ein Stoff auf jede Flaumlcheneinheit eines ihn einschlieszligenden Behaumllters ausuumlbt

Einheit des Drucks 1 Pascal = 1 Pa = 1 Nmsup2 = 10-5 bar

Definition Ein Pascal ist der Druck bei dem auf jeden Quadratmeter der Behaumllterwaumlnde eine Kraft von 1 Newton ausgeuumlbt wird Ist der Druck konstant so spricht man von einem isobaren Vorgang

T Temperatur

Der sicherlich am schwierigsten fassbare Zustandsparameter makroskopischer Materie ist die Temperatur Zwar ist sie direkt mit der menschlichen Wahrnehmung verknuumlpft (kalt warm heiszlighellip) physikalisch jedoch zunaumlchst sehr undefiniert da sie nicht ohne weiteres auf andere physikalische Groumlszligen zuruumlckfuumlhrbar ist Am ehesten laumlsst sie sich im ersten Ansatz als diejenige Eigenschaft von Materie beschreiben die von einem Thermometer gemessen wird

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Zur Verwendung als Thermometer eignet sich prinzipiell jeder physikalische oder chemische Vorgang der reproduzierbar mit einer Temperaturaumlnderung verknuumlpft ist Klassisch sind dies insbesondere die Ausdehnungsvorgaumlnge von Gasen Fluumlssigkeiten und Festkoumlrpern (Abb 18)

Hg

Festkoumlrperthermometer werden gewoumlhnlich nach demPrinzip des Bimetall-Thermometers ausgelegt (ganzlinks) Dabei werden zwei verschiedene Festkoumlrper(zB zwei Bleche aus verschiedenen Metallen) flaumlchigmiteinander in Kontakt gebracht Bedingt durch dieunterschiedliche thermische Ausdehnung derMaterialien kruumlmmt sich das Bimetall-Blech abhaumlngigvon der Temperatur mehr oder weniger stark zu einerSpirale

Fluumlssigkeitsthermometer (Mitte) und Gasthermometer(rechts) nutzen die Volumenaumlnderung eines fluidenMediums mit der Temperatur Die Genauigkeit kannerhoumlht werden indem einem groszligvolumigen Vorrats-behaumllter ein relativ kleinvolumiger Ausdehnungs- undAblesebereich gegenuumlbergestellt wird

Abb 18 Thermometer die auf der Grundlage der temperaturbedingten Ausdehnung von Materie beruhen

In der Praxis kommen mehr und mehr die elektronischen Varianten der Temperaturmessung zum Zug die zumeist auf der Messung der Thermospannung basieren Neben der Messmetho-de ist die Festlegung einer Temperaturskala wichtig Dazu dienten zunaumlchst einige Fixpunkte die heute teilweise noch historische Bedeutung haben

1) Die tiefste Temperatur des Winters 17081709 in Danzig - 178 degC

2) Die Temperatur von schmelzendem Eis bei 760 Torr (760 Torr = 1 atm = 101 325 Pa) 0 degC

3) Koexistenztemperatur von Eis Wasser und Wasserdampf 001 degC (exakt)

4) Die durchschnittliche Koumlrpertemperatur eines gesunden Menschen 378 degC

5) Die Siedetemperatur des Wassers bei 760 Torr (1 atm = 101 325 Pa) 100 degC

Die Punkte 1 und 4 bildeten die Grundlage des Fahrenheit-Systems die Punkte 2 und 5 die der Celsius-Skala Bei beiden Systemen wurde der definierte Bereich zunaumlchst in 100 gleiche Teile (Grade) aufgeteilt dann extrapoliert Beide Definitionen wurden spaumlter verfeinert (Celsius 9999 Grade C zwischen den Fixpunkten 3 und 5 Fahrenheit 180 Grade F zwischen den Fixpunkten 1 und 5) Trotzdem mangelt es auszliger Punkt 3 allen genannten Fixpunkten an Genauigkeit und Reproduzierbarkeit

Das zweite Problem nach der Unvollkommenheit der Fixpunkte besteht in der Festlegung einer systemunabhaumlngigen linearen Teilung Gewoumlhnlich ist der Verlauf der Skala vom gewaumlhlten Medium abhaumlngig Eine lineare Teilung auf der Skala eines Quecksilber-thermometers entspricht daher nicht einer linearen Teilung auf der Skala eines Alkoholthermometers da die Ausdehnung bei jedem Medium in unterschiedlicher Weise von der Temperatur abhaumlngt

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Beide Probleme sowohl die Wahl der passenden Fixpunkte als auch die Definition einer sinnvollen linearen Teilung werden heute durch die Festlegung der so genannten absoluten Temperaturskala geloumlst Grundlage hierfuumlr sind uumlbereinstimmende Beobachtungen an Gasthermometern

-300 -200 -100 0 100 200

V

T

-27315degCBei wiederholten Messungen mit verschiedenenGasthermometern verschiedenen Gasen undGasvolumina und bei verschiedenen Drucken stelltman fest dass sich die Verlaumlngerungen aller in denjeweiligen Diagrammen erhaltenen Linien in einemPunkt schneiden Dieser Punkt entspricht auf derVolumenachse dem Wert V = 0 und auf derTemperaturachse dem Wert T = -27315 degC

Abb 19 Ausdehnungskurven verschiedener Gase Die Temperaturskala ist zunaumlchst noch in Celsius aufgetragen

Aus dieser Beobachtung wurde geschlossen dass der Temperatur am gemeinsamen Schnitt-punkt aller Ausdehnungskurven eine besondere physikalische Bedeutung zukommt und sie sich daher als Fixpunkt einer neuen Temperaturskala eignet Weiterhin wurde festgestellt dass zwar alle Gase in ihrem Ausdehnungsverhalten von dem linearen Verlauf abweichen dass aber unter bestimmten Umstaumlnden (zB niedriger Druck) ein gemeinsamer Verlauf angestrebt wird den man auch als idealen Verlauf bezeichnen koumlnnte Am besten funktioniert das bei Helium unter schrittweise absinkenden Drucken dessen Verhalten sich fuumlr P rarr 0 zum idealen Verhalten extrapolieren laumlsst Diese Erkenntnis diente zur Definition einer absoluten Temperaturskala in Kelvin

1) Unterer Fixpunkt Schnittpunkt der Volumenexpansionskurven bdquoidealerldquo Gase (zB Helium fuumlr den Grenzfall Prarr0) 0 Kelvin

2) Oberer Fixpunkt Koexistenztemperatur von Eis Wasser und Wasserdampf 27316 Kelvin

3) Das Volumen eines bdquoidealenldquo Gases (zB Helium fuumlr den Grenzfall Prarr0) ist bei konstantem Druck proportional zur Temperatur und definiert die lineare Teilung der Temperaturskala

Gemaumlszlig dieser Definition ist jede beliebige Temperatur unter Nutzung eines bdquoidealenldquo Gasther-mometers auf der absoluten Kelvin-Skala eindeutig festgelegt Die Verwendung der Kelvin-Skala ist gegenuumlber der Nutzung klassischer Temperatursysteme bei der Beschreibung physi-kalischer Vorgaumlnge eindeutig von Vorteil Vorgaumlnge bei denen die Temperatur konstant ist nennt man isotherm Mit der Definition der wichtigsten Zustandsparameter Teilchenzahl n Volumen V Druck P und Temperatur T besteht nun die Moumlglichkeit das Verhalten makroskopischer Materie zu beschreiben Am einfachsten gelingt das im Fall von Gasen

32 Zustandsgleichung fuumlr Gase die ideale Gasgleichung

Gleichungen welche die Zustandsparameter wie n V T und P miteinander verknuumlpfen nennt man Zustandsgleichungen Sie beschreiben das Verhalten einer aus vielen einzelnen Teilchen bestehenden Materie hinsichtlich ihrer makroskopisch messbaren Groumlszligen Am

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einfachsten sind solche Zustandsgleichungen fuumlr Gase aufzustellen Untersucht man bei Gasen systematisch den Zusammenhang zwischen n V P und T so stellt man fest dass fuumlr alle Gase in mehr oder weniger guter Naumlherung folgende einfache Gleichung erfuumlllt isthellip

P ∙ V = n ∙ R ∙ T

hellipwobei R fuumlr die so genannte ideale Gaskonstante steht (R asymp 8314 J K-1 Mol-1) Diese Glei-chung auch bdquoideale Gasgleichungldquo genannt ist ein so genanntes Grenzgesetz kein real exis-tierendes Gas erfuumlllt es genau aber alle Gase kommen ihm recht nahe insbesondere bei hohen Temperaturen und niedrigen Druumlcken Eine Gleichung dieser Form nennt man auch Zustands-gleichung da sie Zustandsparameter miteinander verbindet Grafisch laumlsst sich diese Verknuumlp-fung in einem einfachen Diagramm darstellen bei dem jede Kombination von T und V genau einem Wert fuumlr P zugeordnet ist (Abb 20)

P

V

T

Abb 20 Auftragung von P gegen T und V nach der idealen Gasgleichung

Wir wissen nun dass die Gase aus einer Vielzahl von Teilchen (Atomen oder Molekuumllen) bestehen Wie laumlsst sich das durch die ideale Gasgleichung beschriebene Verhalten nun mit dieser Tatsache in Einklang bringen Was bedeuten eigentlich die Parameter Druck und Tem-peratur fuumlr ein Gas das sich aus vielen einzelnen Atomen und Molekuumllen zusammensetzt Um makroskopische Zustandsparameter uumlberhaupt mit der Teilchenwelt verknuumlpfen zu koumlnnen benoumltigen wir eine Modellvorstellung fuumlr das mechanische Zusammenwirken der Teilchen im Fall von Gasen das so genannte kinetische Gasmodell

33 Das kinetische Gasmodell

Bei den im vorhergehenden Kapitel aufgefuumlhrten Gasgesetzen handelt es sich um mathemati-sche Beschreibungen von makroskopisch beobachtbaren Vorgaumlngen Zur Interpretation der Gasgesetze auf molekularer Ebene wurden verschiedene Modelle vorgeschlagen Das erfolg-reichste unter ihnen war das sogenannte kinetische Gasmodell Es beruht auf der Vorstellung dass ein Gas aus einer Vielzahl von Teilchen besteht die folgende Bedingungen erfuumlllen

1) Sie besitzen eine Atom- oder Molmasse M einen endlichen Durchmesser d und befinden sich in staumlndiger und ungeregelter Bewegung

2) Die Groumlszlige der Teilchen ist im Verhaumlltnis zum freien Volumen vernachlaumlssig-bar

3) Zwischen den Teilchen finden elastische Stoumlszlige statt Ansonsten existieren keine weiteren Wechselwirkungen unter den Teilchen

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Nach der kinetischen Gastheorie besteht der Druck eines Gases aus der Summe aller Kraumlfte (pro Flaumlcheneinheit) die durch auf eine Flaumlche aufprallende Gasteilchen (bzw durch deren Impulsaumlnderung) ausgeuumlbt werden (Abb 21)

Vx t

Abb 21 Links schematische Darstellung der Impulsaumlnderung bei dem Auftreffen eines Gasteilchens auf der Gefaumlszligwand Viele solche Stoumlszlige fuumlhren in der Summe zum Entstehen einer messbaren dem Gasdruck zugeordneten Kraft Rechts Die Geschwindigkeitskomponente vx der Teilchen bestimmt nicht nur die Groumlszlige der Impulsaumlnderung sondern auch die Zahl der Teilchen die pro Zeiteinheit auf die Wand stoszligen Daher geht die Geschwindigkeit der Teilchen bei der Berechnung des Drucks insgesamt quadratisch ein

Dabei wird zunaumlchst davon ausgegangen dass alle Teilchen die gleiche Geschwindigkeits-komponente vx aufweisen Diese Geschwindigkeitskomponente bestimmt zum einen die Heftigkeit der Stoumlszlige zum anderen wie viele Gasteilchen pro Zeiteinheit auf die Wand prallen Insgesamt haumlngt der Druck damit vom Quadrat der Geschwindigkeitskomponente vxab Fuumlhrt man nun ein mittleres Geschwindigkeitsquadrat csup2 ein (mit vxsup2 = 13 csup2) so erhaumllt man fuumlr den an dem beweglichen Kolben spuumlrbaren Druck die Gleichung

P = 13 M csup2 (nV) oder in der Schreibweise der idealen Gasgleichung P V = 13 n M csup2 Der Druck ist nach dem kinetischen Gasmodell also die Folge einer Vielzahl von Stoumlszligen welche die Teilchen gegen die Behaumllterwaumlnde ausfuumlhren Er ist folglich proportional zur Mas-se der Teilchen (je schwerer die Teilchen desto heftiger die Stoumlszlige) zum mittleren Geschwin-digkeitsquadrat (die Geschwindigkeit der Teilchen bestimmt zum einen die Haumlufigkeit zum anderen die Heftigkeit der Stoumlszlige) und zur Zahl der Teilchen pro Volumeneinheit (womit wie nach der idealen Gasgleichung zu erwarten P umgekehrt proportional zu V ist) Die Bedeutung der Temperatur im kinetischen Gasmodell ist dagegen zunaumlchst unklar Mit der idealen Gasgleichung P V = n R T ergibt sich aber durch Koeffizientenvergleich n R T = 13 n M csup2 oder R T = 13 M csup2 Man kann unter Nutzung beider Gasmodelle so zu einem neuen teilchenbezogenen Verstaumlnd-nis des Phaumlnomens Temperatur kommen Die Temperatur eines Gases ist demnach direkt proportional zum mittleren Geschwindigkeitsquadrat der Gasteilchen oder in anderen Worten zu deren kinetischer Energie 12 M csup2 Dies ist fuumlr das Verstaumlndnis des Phaumlnomens Temperatur von groszliger Bedeutung Man kann die Temperatur eines Gases also messen indem man (bei bekannter Masse der Teilchen) die Geschwindigkeit der Gasteilchen bestimmt Die Wurzel aus dem mittleren Geschwindigkeits-quadrat also die Groumlszlige c liegt uumlblicherweise in der Groumlszligenordnung der Schallgeschwindig-keit (zum Beispiel fuumlr Stickstoff bei Raumtemperatur c = 516 ms) und steht zu ihr in einer

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festen Beziehung Tatsaumlchlich laumlsst sich die Temperatur auch uumlber eine Messung der Schall-geschwindigkeit ermitteln Nachdem das mittlere Geschwindigkeitsquadrat der Teilchen bekannt ist stellt sich die Frage nach der Geschwindigkeitsverteilung der Teilchen Die Bewegungsenergie der Teilchen ist wie alle anderen Energieformen (zB elektronische Energie Schwingungsenergie) gequantelt Das bedeutet dass sich die Teilchen auf (hier dicht gestaffelte) Energieniveaus verteilen muumlssen Sie tun das nach einem statistischen Grundprinzip das Boltzmann-Verteilung genannt wird Demnach ist die Besetzung pi eines Energieniveaus i (egal welcher Art die Energie Ei ist) stets proportional zum so genannten Boltzmannfaktor des Zustand i Es gilt

pi ~ exp[-Ei(kBT)]

Die darin enthaltene Boltzmannkonstante kB ist nichts anderes als die allgemeine Gas-konstante R (siehe unter 32) dividiert durch die Zahl NL der Teilchen in einem Mol Substanz (kB = RNL) Das bedeutet die Besetzung eines Zustands ist umso wahrscheinlicher je niedriger dessen Energie ist Steigende Temperatur T hingegen erhoumlht die Wahrscheinlichkeit energiereicher Zustaumlnde Diese Gesetzmaumlszligigkeit gilt fuumlr die Besetzung aller auf atomarer oder molekularer Ebene gegebener Zustaumlnde in einem makroskopischen System Angewandt auf die Bewegungsenergie von Gasteilchen in einer einzelnen Raumrichtung x bedeutet das dass Teilchen mit hoher Geschwindigkeit vx weniger wahrscheinlich sind als solche mit niedriger Geschwindigkeit vx Allerdings steigt die Wahrscheinlichkeit des Auftretens groszliger Werte fuumlr vx mit steigender Temperatur Teilt man den Bereich der auftretenden Geschwindigkeiten in Intervalle auf und zaumlhlt man die Teilchen die gemaumlszlig ihrer Geschwindigkeit zu den einzelnen Intervallen zugeordnet werden koumlnnen so ergibt sich fuumlr die Geschwindigkeitsverteilung in vx und v das Bild das in Abb 22 oben dargestellt ist Die Verteilungsfunktionen fuumlr die Geschwindigkeiten in y- und z-Richtung sind identisch

n(vx)

vx-Intervall

n(vx)

vx-Intervall

Temperatur-erhoumlhung

- 0 +- 0 +n(v)

v-Intervall

Temperatur-erhoumlhung

0 +

n(v)

v-Intervall0 +

Abb 22 Verteilungsfunktionen einer eindimensionalen Geschwindigkeitskomponente (oben) und der Gesamtgeschwindigkeit (unten)

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Betrachtet man die Verteilung n(v) der Gesamtgeschwindigkeit v im dreidimensionalen Raum so wird das Bild komplizierter Bezuumlglich der drei Raumrichtungen x y und z sind weiterhin die kleinen Geschwindigkeiten wahrscheinlicher als die groszligen Da nun aber fuumlr eine groszlige Gesamtgeschwindigkeit v mehr Kombinationsmoumlglichkeiten vx vy vz existieren als fuumlr kleine Gesamtgeschwindigkeiten so wird die Wahrscheinlichkeit fuumlr sehr geringe Gesamtgeschwindigkeiten entsprechend kleiner fuumlr groszlige Gesamtgeschwindigkeiten entsprechend groumlszliger Der daraus resultierende Gewichtungsfaktor fuumlr jedes v ist die relative Flaumlche der Kugelschale mit dem Radius v Insgesamt ergeben sich dann die in Abb 22 unten dargestellten Verteilungsfunktionen fuumlr niedrige und hohe Temperaturen Die Verteilungsfunktionen in vx und v lauten (ohne Herleitung)

f(vx) = [M(2RT)]12 exp [-Mvxsup2(2RT)]

f(v) = 4 [M(2RT)]32 vsup2 exp [-Mvsup2(2RT)] Der Mittelwert von vx (oder jeder anderen eindimensionalen Geschwindigkeitskomponente) ist grundsaumltzlich Null Dagegen besitzt der Mittelwert von v stets eine endliche von Null verschiedene Groumlszlige Bei einer Erhoumlhung der Temperatur werden alle Verteilungsfunktionen breiter der Mittelwert von v vergroumlszligert sich Die Temperatur eines Gases aumluszligert sich also nicht nur im mittleren Geschwindigkeitsquadrat sondern auch in der Form der Geschwindigkeitsverteilungsfunktion Bei der Mischung von Gasen unterschiedlicher Temperatur muss um die oben genannte Forderung zu erfuumlllen aus der einfachen Summe von zwei Verteilungsfunktionen eine neue der Mischtemperatur ent-sprechende Verteilungsfunktion entstehen Dies ist nur unter der Annahme moumlglich dass ein Austausch kinetischer Energie unter den Teilchen erfolgen kann Diese Tatsache bedingt die eingangs gestellte Forderung nach Teilchenstoumlszligen also Wechselwirkungen zwischen den Teilchen Damit muumlssen die Gasteilchen aber auch ein gewisses Volumen besitzen den Teil-chen ohne Eigenvolumen koumlnnen prinzipiell nicht zusammenstoszligen Darin besteht der we-sentliche Unterschied zwischen einem Gas nach dem kinetischen Gasmodell und dem idealen Gas Das ideale Gas koumlnnte man theoretisch auf ein beliebig kleines Volumen komprimieren bei einem kinetischen Gas ist dies aufgrund des Eigenvolumens nicht moumlglich Ansonsten erlaubt das kinetische Gasmodell die vollstaumlndige Interpretation der idealen Gasgleichung

34 Die korrigierte Gasgleichung nach van der Waals JD van der Waals

Mithilfe des kinetischen Gasmodells laumlsst sich die Zustandsgleichung fuumlr Gase weiter verfeinern Zunaumlchst soll beruumlcksichtigt werden dass die Teilchen ein eigenes Volumen besitzen In erster Naumlherung geschieht dies indem man ein vom Eigenvolumen der Gas-teilchen abgeleitetes minimales Volumen des Gases (das so genannte Covolumen) definiert Das Covolumen beschreibt dasjenige Volumen des Gases das bei staumlndigem mechanischem Kontakt zwischen jeweils zwei Teilchen eingenommen wird wenn man den Teilchenpaaren jeweils den sie umschreibenden kugelfoumlrmigen Raum zuordnet (wegen der geringen Wahr-scheinlichkeit von Dreierstoumlszligen kann die Bildung von Dreiergruppen ausgeschlossen werden) Das molare Covolumen b entspricht wenn man eine einfache geometrische Uumlberlegung an-setzt dem vierfachen Eigenvolumen eines Mols der Gasteilchen Um das tatsaumlchliche freie

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Volumen zu erhalten muss das n-fache Covolumen vom gegebenen Volumen abgezogen werden Damit wird aus der idealen Gasgleichung P V = n R T die erste korrigierte Version P (V - n b) = n R T Im zweiten Schritt soll nun uumlber das kinetische Gasmodell hinausgehend auch die anziehen-de Wechselwirkung zwischen den Teilchen beruumlcksichtigt werden Die Anziehung zwischen den Teilchen sorgt nach van der Waals fuumlr einen zusaumltzlichen nach auszligen nicht messbaren bdquoBinnendruckldquo Dieser Binnendruck ist proportional zum Quadrat der Teilchendichte (nV)sup2 Der zwischen den Teilchen tatsaumlchlich wirkende nach auszligen ebenfalls unmessbare Gesamt-druck ist dann gegeben als

Pgesamt (unmessbar) = P (messbar) + a (nV)sup2

mit einer fuumlr die anziehende Wechselwirkung charakteristischen Konstante a Die danach korrigierte Version der Gasgleichung die van-der-Waals-Gleichung fuumlr reale Gase lautet

[P + a (nV)sup2] (V - nb) = n R T

Die Konstanten b und a besitzen fuumlr jedes reale Gas charakteristische Werte die dessen Eigenvolumen (die Groumlszlige der Elektronenhuumllle) und die Staumlrke der intermolekularen Wechsel-wirkungen reflektieren Beispiele

Gas a b

Argon 01345 Pa m6Molsup2 32210-5 msup3Mol Kohlendioxid 03592 Pa m6Molsup2 426710-5 msup3Mol Helium 00034 Pa m6Molsup2 23710-5 msup3Mol Stickstoff 01390 Pa m6Molsup2 391310-5 msup3Mol Wasser 05573 Pa m6Molsup2 31010-5 msup3Mol

Der Parameter b spiegelt mit der Einheit msup3Mol weitgehend die Groumlszlige der einzelnen Teilchen (Atome oder Molekuumlle) wider So besitzt erwartungsgemaumlszlig Kohlendioxid oder Argon einen groumlszligeren Wert fuumlr b als beispielsweise Helium Allerdings sind die Unterschiede erstaunlich klein was auf die Tatsache zuruumlckzufuumlhren ist dass sich das Covolumen auf Teilchenpaare bezieht und ein Paar aus Kohlendioxidmolekuumllen gegenuumlber einem Paar aus Heliumatomen nur etwa das doppelte Volumen benoumltigt

Der Parameter a mit der Einheit Pascal mal Molvolumen zum Quadrat reflektiert die Staumlrke der Wechselwirkungen zwischen den Teilchen Diese Wechselwirkungen beruhen zum groszligen Teil auf den elektrischen Eigenschaften der Teilchen Diese wiederum sind mit der elektronischen Struktur der Atome beziehungsweise der chemischen Bindungen verknuumlpft Am wichtigsten ist dabei das in Kapitel 19 erwaumlhnte Dipolmoment Polare Bindungen koumlnnen zu Teilchen mit permanenten Dipolen fuumlhren (zB HF Wasser Ammoniak CO) Andere Molekuumlle oder Atome sind zwar unpolar koumlnnen aber spontan oder durch aumluszligere

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elektrische Felder polarisiert werden (zB He Ar molekularer Wasserstoff molekulares Chlor) Man spricht dann von polarisierbaren Teilchen mit einem spontanen Dipolmoment oder mit einem durch ein aumluszligeres Feld bewirkten induzierten Dipolmoment In all diesen Faumlllen sind anziehende Wechselwirkungen zwischen den Teilchen moumlglich die in dem Parameter a zusammengefasst werden Daruumlber hinaus koumlnnen sich auch voruumlbergehende chemische Bindungen ausbilden Das prominenteste Beispiel fuumlr diesen Fall ist die bekannte Wasserstoffbruumlckenbindung die bei polaren X-H-Bindungen auftreten kann Im Einzelnen werden demnach folgende Arten von Wechselwirkungen mit absteigender Intensitaumlt unter-schieden

a) Wasserstoffbruumlckenbindung X-H hellip Y Hierbei bildet sich voruumlbergehend eine chemische Bindung zwischen dem polar gebundenen Wasserstoff und einem elektronegativen und mit einem freien Elektronenpaar ausgestatteten Element Y

b) Wechselwirkungen zwischen permanenten Dipolen hier besitzen alle Teilchen ein permanentes Dipolmoment Zwischen den entgegengesetzt geladenen Enden der Teilchen bauen sich dann konstant anziehende elektrostatische Wechselwir-kungen auf

c) Wechselwirkungen zwischen permanenten und induzierten Dipolen die Teil-chen mit permanentem Dipolmoment induzieren ein voruumlbergehendes Dipol-moment bei den benachbarten (zunaumlchst unpolaren) Teilchen In der Folge ergibt sich eine anziehende elektrostatische Wechselwirkung

d) Wechselwirkungen zwischen induzierten Dipolen durch spontane Polarisierung eines Teilchens entsteht ein voruumlbergehendes Dipolmoment welches bei einem benachbarten Teilchen eine Polarisierung hervorruft In der Folge ergibt sich eine kurzfristige und sehr schwache elektrostatische Anziehung zwischen den Teilchen Man spricht dabei auch von der Dispersionswechselwirkung oder der Londonschen Wechselwirkung

Alle diese Effekte sind anziehender Natur und gehen damit in den Parameter a ein Fasst man die beiden Parameter a und b zusammen so entsteht mit der van-der-Waals-Gleichung eine recht zuverlaumlssige Zustandsgleichung fuumlr reale Systeme die sowohl die abstoszligenden als auch die anziehenden Wechselwirkungen beruumlcksichtigt

Ein guter Test fuumlr diese reale Zustandsgleichung ist die Berechnung eines Diagramms von P gegen V fuumlr verschiedene Temperaturen das so genannte P-V-Diagramm und die Gegen-uumlberstellung mit dem entsprechenden experimentellen P-V-Diagramm eines realen Gases Gemaumlszlig der van-der-Waalsrsquoschen Gleichung existieren abhaumlngig von der betrachteten Tempe-ratur drei Typen von Isothermen (Abb 23 links) solche die einer Hyperbel aumlhneln (1) eine einzelne Isotherme die einen Wendepunkt mit waagrechter Tangente besitzt (2) und solche die ein Minimum ein Maximum und einen Wendepunkt aufweisen (3) Das experimentell beobachtete Verhalten stimmt in den ersten beiden Faumlllen recht gut uumlberein weicht aber bei Isothermen des dritten Typs deutlich vom berechneten Verlauf ab (Abb 23 rechts)

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P

V

PV-Diagramm nachvan-der-Waals-Gleichung

1 2

3

P

V

3

experimentell bestimmtesPV-Diagramm f reales Gas

Abb 23 PV-Diagramme fuumlr reale Gase berechnet nach van der Waals (links) und experimentell bestimmt (rechts) Die drei typischen Formen der Isothermen (1 2 und 3) sind im Text beschrieben

Offensichtlich beschreibt die van-der-Waals-Gleichung das Verhalten eines realen Gases in der Umgebung des Wendepunkts weniger gut Experimentell stellt man allerdings fest dass in diesem Bereich tatsaumlchlich auch kein reines Gas sondern vielmehr eine Mischung aus einem Gas und einer kondensierten Fluumlssigkeit also ein Zweiphasenzustand vorliegt Dieser Zwei-phasenbereich beginnt am Wendepunkt der Isothermen des Typs 2 und schlieszligt alle Minima Maxima und Wendepunkte der Isothermen des Typs 3 ein (Abb 24 links)

P

V

Zweiphasen-gebiet

P

V

Zweiphasen-gebiet

Maxwell-Maxwell-KorrekturKorrektur

Zweiphasen-Gebiet

Zweiphasen-Gebiet

A1

A2

Abb 24 PV-Diagramme fuumlr reale Gase mit eingezeichnetem Zweiphasengebiet Der in diesem Bereich bei der Beschreibung nach van der Waals gegebene Fehler kann in guter Naumlherung durch die Maxwell-Korrektur kompensiert werden

Eine einfache Korrektur der van-der-Waals-Gleichung ermoumlglicht eine realistische Beschrei-bung des Zweiphasengebiets Eine horizontale Gerade wird so in der Naumlhe des Wendepunktes gelegt dass die oberhalb und unterhalb der Geraden im Zweiphasenbereich gebildeten Teilflaumlchen A1 und A2 die gleiche Groumlszlige besitzen (sog Maxwell-Korrektur s Abbildung 24 rechts) Dies sieht zwar nach einer etwas willkuumlrlichen Hilfskonstruktion aus trotzdem laumlsst sich damit das Verhalten eines realen Gases im Zweiphasengebiet sehr gut nachvollziehen und vorhersagen Eine besonders ausgewiesene Position im PV-Diagramm eines realen Gases ist der Scheitel-punkt des Zweiphasengebiets der durch den Wendepunkt der Isotherme des Typs 2 gebildet wird (Abb 25)

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P

V

Zweiphasen-gebiet Tc

Pc

Vc

kritischer Punkt

Jedes reale Gas besitzt einen sogenannten kritischenPunkt der durch die kritischen Zustandsgroumlszligen Tc Pc undVc beschrieben wird Die kritische Temperatur Tc istdiejenige Temperatur bei der sich ein Gas unter Druckgerade noch verfluumlssigen laumlszligt Oberhalb der kritischenTemperatur existiert kein fluumlssiger Zustand Derentsprechende Druck Pc wird als kritischer Druckbezeichnet

Die Isotherme die der kritischen Temperatur zugeordnetist besitzt als einzige einen Wendepunkt mit horizontalerTangente der gleichzeitig den kritischen Punkt markiert

Abb 25 PV-Diagramm fuumlr ein reales Gas mit kritischem Punkt

Dieser sogenannte kritische Punkt wird durch die kritische Temperatur Tc den kritischen Druck Pc und das kritische Molvolumen Vc festgelegt Zustaumlnde oberhalb des kritischen Punkts nennt man uumlberkritisch Uumlberkritisches Kohlendioxid besitzt in der Technik groszlige Bedeutung fuumlr das Loumlsen und Ausfaumlllen von pharmazeutischen Wirkstoffen (zB Aspirin fuumlr Brausetabletten) fuumlr die Extraktion (zB bei der Entkoffeinierung von Kaffee) oder zur chemischen Reinigung von Textilien

35 Andere Zustandsgleichungen fuumlr reale Gase

Neben der van-der-Waals-Gleichung existieren weitere Ansaumltze zur Beschreibung realer Gase die zwar eine genauere Anpassung an die gemessenen Werte ermoumlglichen aber auch kompli-zierter sind oder mehr Arbeit bei der Bestimmung der charakteristischen Parameter erfordern Im Folgenden seien als Beispiele die Berthelot-Gleichung und die Virialgleichung erwaumlhnt

a Berthelot-Gleichung (P + (Ansup2)(TVsup2) ) (V - nB) = n R T Berthelot fuumlhrte damit als Besonderheit einen temperaturabhaumlngigen Binnendruck ein Dies ist insoweit physikalisch gerechtfertigt als die vermehrte thermische Bewegung der Ausbildung von Wechselwirkungen zwischen den Molekuumllen entgegenwirken kann

b Virialgleichung P Vm = A + B P + C Psup2 + D Psup3 + Mit Vm = Vn Die Virialgleichung nutzt die Tatsache dass sich fast alle physikalischen Zusammenhaumlnge uumlber einen Potenzreihenansatz a + bx + cxsup2 + dxsup3 + hellip beliebig genau annaumlhern lassen Je nach Anzahl der anpassbaren Parameter ist zwar eine beliebig genaue Beschreibung des realen Gases moumlglich allerdings steigt auch der Aufwand fuumlr die Bestim-mung aller Koeffizienten

36 Beschreibung von Fluumlssigkeiten

Im PV-Diagramm der realen Gase schlieszligt sich links vom Zweiphasengebiet der Bereich der fluumlssigen Phase an Sie zeichnet sich dadurch aus dass mit sinkendem Volumen der Druck ex-trem steil ansteigt Das bedeutet dass bereits eine geringfuumlgige Volumenabnahme mit einem aumluszligerst groszligen Druckanstieg verbunden ist In der Praxis hat das zur Folge dass Fluumlssigkeiten im Gegensatz zu Gasen kaum komprimierbar sind ihre Kompressibilitaumlt geht gegen Null Auch ist die Ausdehnung der Fluumlssigkeiten bei steigender Temperatur und bei konstantem

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Druck (der thermische Ausdehnungskoeffizient) sehr viel kleiner als bei Gasen Eine einfache allgemeine Zustandsgleichung fuumlr die fluumlssige Phase in Analogie zur idealen oder zur van-der-Waals-Gleichung existiert nicht Stattdessen findet man bei der experimentellen Bestimmung des Zusammenhangs zwischen P V und T fuumlr jede Fluumlssigkeit ein sehr charakteristisches Verhalten Vergleicht man die Messergebnisse verschiedener Fluumlssigkeiten untereinander so sind kaum Aumlhnlichkeiten auszumachen Daruumlber hinaus sind bestimmte Messungen (zB die Messung der Abhaumlngigkeit des Drucks vom Volumen bei konstanter Teilchenzahl und Temperatur) technisch sehr schwer zu realisieren Das Fehlen einer einheitlichen Zustandsgleichung V(TPn) fuumlr Fluumlssigkeiten liegt auch in deren komplexer Struktur begruumlndet Betrachtet man ein einzelnes Teilchen in der Fluumlssigkeit so liegt es bezuumlglich der Abstaumlnde zu seinen naumlchsten Nachbarn stets in der Naumlhe des Mini-mums einer Potentialkurve Epot(r) die einen sehr steilen Verlauf besitzt Die Abstaumlnde zu den benachbarten Teilchen sind damit nahezu fixiert folglich ist eine unabhaumlngige Translations-bewegung einzelner Teilchen praktisch unmoumlglich Stattdessen verlaufen alle Bewegungs-prozesse mehr oder weniger kollektiv also unter gleichzeitiger Verschiebung mehrerer Teilchen Daruumlber hinaus gibt es keine nennenswerten freien Volumina so dass der mittlere Abstand der Teilchen nur unwesentlich verringert werden kann ein Umstand der sich in der bereits erwaumlhnten geringen Kompressibilitaumlt aumluszligert Ein Modell fuumlr eine allgemeine Fluumlssigkeit laumlsst sich im Rahmen einer Computersimulation einfuumlhren Man betrachtet dabei einen wuumlrfelfoumlrmigen Raum der einen Ausschnitt aus dem Fluumlssigkeitsvolumen darstellen soll und eine endliche Anzahl n von Fluumlssigkeitsteilchen (zB n = 1000) enthaumllt Um die Zahl der Teilchen konstant zu halten und dabei trotzdem deren Beweglichkeit zu wahren wird eine Kontinuitaumltsbedingung eingefuumlhrt Jedes Teilchen das im Rahmen der Bewegungsprozesse den Wuumlrfel an einer gegebenen Stelle verlaumlsst tritt automatisch an der genau gegenuumlberliegenden Position des Wuumlrfels wieder ein Auf diese Weise ist gewaumlhrleistet dass die Zahl der Teilchen im Wuumlrfel konstant bleibt (Abb 26)

Abb 26 Simulation von Bewegungs-vorgaumlngen in einem Fluumlssigkeitsvolumen unter Wahrung einer konstanten Partikel-anzahl Jedes Teilchen das im Rahmen der Bewegungsprozesse den Wuumlrfel an einer gegebenen Stelle verlaumlsst tritt automatisch an der genau gegenuumlberliegenden Position des Wuumlrfels wieder ein

An diesem System fuumlhrt man nun eine so genannte Monte-Carlo-Simulation durch Dabei setzt ein Zufallsgenerator eine geringfuumlgige Verschiebung eines beliebigen einzelnen Teil-chens in Gang Anschlieszligend wird unter Verwendung des bekannten Potentialverlaufs Epot(r) berechnet wie sich nach der Verschiebung die potentielle Energie des Systems veraumlndert hat Danach entscheidet das Simulationsprogramm zwischen zwei Moumlglichkeiten

- Hat sich die gesamte potentielle Energie des Systems durch die Verschiebung verringert oder blieb sie konstant so wird die Verschiebung akzeptiert und der naumlchste Schritt berechnet - Hat sich die gesamte potentielle Energie durch die Verschiebung um den positiven Wert E erhoumlht so wird die Verschiebung mit einer Wahrscheinlichkeit die von E abhaumlngt akzeptiert und ansonsten verworfen Danach wird der naumlchste Schritt berechnet

Auf diese Weise kann man fuumlr beliebige Fluumlssigkeiten sowohl die typischen Bewegungs-prozesse als auch die einflussbedingten Veraumlnderung von Zustandsgroumlszligen (zB P in Ab-

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haumlngigkeit von V) berechnen Allerdings sind die Rechnungen bei den fuumlr eine realistische Beschreibung eines Fluumlssigkeitsvolumens notwendigen groszligen Teilchenzahlen sehr aufwaumlndig und zeitintensiv

37 Beschreibung von Festkoumlrpern

Begibt man sich im P-V-Diagramm vom fluumlssigen Zustand ausgehend noch weiter nach links (zu kleineren Volumina houmlheren Drucken und niedrigeren Temperaturen) so erreicht man den festen Zustand Die Problematik der Zustandsgleichung V(TPn) von Festkoumlrpern aumlhnelt jener der Fluumlssigkeiten Auch hier sind die Kompressibilitaumlten und die thermischen Aus-dehnungskoeffizienten uumlblicherweise sehr viel geringer als bei Gasen Ebenso wie bei Fluumls-sigkeiten sind dabei die Unterschiede zwischen einzelnen Vertretern der Festkoumlrper recht groszlig so dass keine gemeinsame Zustandsgleichung wie bei Gasen formuliert werden kann Im Vergleich mit den Werten der Fluumlssigkeiten sind die Kompressibilitaumlten und die thermischen Ausdehnungskoeffizienten der Festkoumlrper durchschnittlich nochmals um etwa zwei Groumlszligen-ordnungen geringer

Abb 27 Torsionsexperiment zur Unterscheidung zwischen Fluumlssigkeiten und Festkoumlrpern (s Text)

Der wesentliche Unterschied zwischen Festkoumlrpern und Fluumlssigkeiten besteht allerdings in ihrem gegensaumltzlichen Verhalten bezuumlglich Verformung waumlhrend Fluumlssigkeiten einer gege-benen Verformung durch ihre Zaumlhigkeit (Viskositaumlt) Widerstand leisten reagiert ein Fest-koumlrper auf eine Verformung durch eine elastische Deformation Dieses Verhalten wird in einem Torsionsrheometer deutlich wobei eine feste oder fluumlssige Probe periodisch mit einer torsionsartigen Verformung beaufschlagt wird (Abb 27) Waumlhrend der Drehmomentverlauf des Festkoumlrpers exakt gleichphasig zur periodischen Aus-lenkung erfolgt (elastische Verformung) ist der Drehmomentverlauf der Fluumlssigkeit dazu um ein Viertel einer Wellenlaumlnge phasenverschoben (viskose Reaktion) Bei Fluumlssigkeiten ist der Widerstand dann maximal wenn die Deformationsgeschwindigkeit maximal ist (blaue Linie

t

Dre

hmom

entv

erla

uf

tAusl

enku

ng

Festkoumlrper

t

Dre

hmom

entv

erla

uf

Fluumlssigkeiten

Pruumlfkoumlrper

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in Abb 26) Bei Festkoumlrpern ist die Kraft dann maximal wenn der Deformationszustandmaximal ist (rote Linie in Abb 27) Viele Festkoumlrper stellen Uumlbergaumlnge zwischen diesen beiden Extremfaumlllen dar und werden dann als viskoelastisch bezeichnet Aus der Betrachtung von Messergebnissen an einer Viel-zahl von Materialien geht hervor dass eine eindeutige Abgrenzung zwischen dem fluumlssigen und dem festen Zustand selten moumlglich ist Entsprechend gibt es auch unterschiedliche Strukturmodelle die teilweise das elastische Verhalten teilweise das plastische Verhalten von Festkoumlrpern erklaumlren Dem elastischen Festkoumlrper mit nahezu verschwindender Phasen-verschiebung wird am ehesten das Modell eines idealen Kristalls gerecht Man geht dabei davon aus dass jedes Atom bzw Molekuumll aus dem der Festkoumlrper zusammengesetzt ist sich an einem geometrisch festgelegten Gitterpunkt befindet von dem es sich nicht entfernen kann Als Bewegungsprozess ist dabei lediglich eine Schwingung mit begrenzter Amplitude moumlglich Die denkbaren Geometrien der Gitterstrukturen reichen von primitiv-kubischen Gittern (zB Natriumchlorid) uumlber kubisch-dichteste (zB Silber Kupfer) und hexagonal-dichteste Kugelpackungen (zB Magnesium Zink) bis zur kubisch-raumzentrierten Struktur (zB Eisen Molybdaumln) Haumlufig findet man leichte Abweichungen von der idealen Gitter-struktur die durch lokale Stoumlrungen hervorgerufen werden Akzeptiert man gewisse Anteile an viskosem Verhalten (dh eine leichte Phasenverschiebung) so begibt man sich in den Grenzbereich zwischen Festkoumlrpern und Fluumlssigkeiten In einem Material wie Glas ist die regelmaumlszligige Anordnung eines Gitters nicht gegeben die Atome sind unregelmaumlszligig positioniert und koumlnnen unter Belastung auch flieszligen Solche nicht-kristallinen Festkoumlrper bezeichnet man als amorph Typische Vertreter amorpher Feststoffe sind Fenster-glas viele transparente Kunststoffe (zB Plexiglas Polyester in Getraumlnkeflaschen) Wachs und Aumlhnliches Amorphe Festkoumlrper besitzen keinen Schmelzpunkt sondern erweichen bei steigender Temperatur allmaumlhlich Amorphe Festkoumlrper koumlnnen nachtraumlglich kristallisieren wobei sich haumlufig das aumluszligere Erscheinungsbild und die physikalischen Eigenschaften drastisch aumlndern (zB Plastikfolie unter Zug)

38 Das Phasendiagramm

Die drei wichtigsten Phasenzustaumlnde zu denen sich eine makroskopische Gesamtheit von Atomen oder Molekuumllen zusammenfinden koumlnnen sind also Gase Fluumlssigkeiten und Festkoumlrper Die Frage ist nun unter welchen Bedingungen sich ein System fuumlr den ersten den zweiten oder den dritten Zustand entscheidet Erfahrungsgemaumlszlig haumlngt der gegebene Phasenzustand von den in Kapitel 31 eingefuumlhrten Zustandsparametern n V P und T ab Legt man die Stoffmenge n auf einen Wert fest (zB auf ein Mol Teilchen) und beruumlcksichtigt man dass nach den gegebenen Zustandsgleichungen die Groumlszligen n V P und T miteinander verknuumlpft sind so genuumlgen zwei Parameter um den jeweils guumlnstigsten Phasenzustand eindeutig festzulegen Ein Diagramm bei dem einer der Parameter V P und T gegen einen anderen aufgetragen wird eignet sich also prinzipiell um bei einer gegebenen Teilchenart den unter diesen Bedingungen jeweils angestrebten Phasenzustand zu markieren So kann man gemaumlszlig den Abbildungen 23 bis 25 in einem Diagramm bei dem P gegen V aufgetragen wird schon den jeweils gegebenen Phasenzustand eintragen und ablesen In der Praxis eignen sich solche PV-Diagramme allerdings wenig um Phasenzustaumlnde zu markieren der gasfoumlrmige Zustand nimmt einen sehr breiten Raum ein waumlhrend der fluumlssige und der feste Zustand in dem sehr engen Bereich links neben dem Zweiphasengebiet bdquoeingequetschtldquo waumlre Vor allem in diesem Umfeld waumlre das Diagramm schwer ablesbar

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Wesentlich guumlnstiger ist dagegen die Auftragung vom Druck P gegen die Temperatur T In diesem PT-Diagramm das auch als Phasendiagramm bezeichnet wird lassen sich alle Phasenzustaumlnde uumlbersichtlich zuordnen Dabei bezeichnen Flaumlchenanteile im PT-Diagramm die unter den gegebenen Druck- und Temperaturbedingungen angestrebte Phase (zB fest fluumlssig gasfoumlrmig) waumlhrend Linien die dazwischen vorliegenden Gleichgewichte markieren und Phasengrenzlinien genannt werden (Abb 28)

T

Pfe

st

fluumlss

ig

gasfouml

rmig

kritischerPunkt

Tripel-punkt

Phasengrenzlinie

Abb 28 Phasendiagramm mit Auftragung des Drucks (P) gegen die Temperatur (T)

Auszligerdem enthaumllt ein Phasendiagramm gewoumlhnlich mindestens zwei besonders ausgezeich-nete Punkte den Tripelpunkt an dem die drei im Allgemeinen wichtigsten Phasenzustaumlnde fest fluumlssig und gasfoumlrmig miteinander im Gleichgewicht stehen und den bereits aus dem PV-Diagramm bekannten kritischen Punkt der das Ende eines definierten Uumlbergangs zwischen fluumlssiger und gasfoumlrmiger Phase markiert Beispiele fuumlr Phasendiagramme Kohlen-dioxid und Wasser sind in Abbildung 29 und 30 wiedergegeben

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T

P

fest

fluumlss

iggasfoumlrmig

kritischerPunkt

Tripel-punkt

2168 K

511 bar

CO2

3042 K

728 bar

Abb 29 Phasendiagramm fuumlr Kohlendioxid

T

P

fluumlss

ig

gasfoumlrmig

kritischerPunkt

H2O

Eis 1

Eis 1

Eis 2 Eis 3

Eis 5

Eis 6

Tripelpunkt6473 K

218 bar

6 mbar 27316 K

Abb 30 Phasendiagramm fuumlr Wasser Der Bereich oberhalb von 200 bar ist aus Gruumlnden der

Uumlbersichtlichkeit entlang der P-Achse komprimiert dargestellt

Eine wichtige Besonderheit des Phasenverhaltens von Wasser ist die Tatsache dass die Phasengrenzlinie zwischen fluumlssigem Wasser und Eis 1 eine negative Steigung aufweist Dies hat zur Folge dass gewoumlhnliches Eis durch Erhoumlhung des Drucks zum Schmelzen gebracht werden kann Dieser Umstand ist eine der Ursachen dafuumlr dass eine Kufe auf Eis gleitet da der durch das Schmelzen entstehende Wasserfilm die Reibung vermindert (allerdings spielt hier auch die Reibungswaumlrme eine Rolle) Der Grund fuumlr dieses Verhalten steht in direkter Verbindung mit der strukturbedingten Volumenabnahme beim Schmelzen von Eis (s Videos unter httpwwwyoutubecomwatchv=6s0b_keOiOU und httpswwwyoutubecomwatchv=CDTZoFGmZoc )

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Waumlhlt man in einem Phasendiagramm eine Kombination von Druck und Temperatur so kann man direkt denjenigen Phasenzustand ablesen den die gegebene Teilchenart unter diesen Bedingungen anstrebt Das heiszligt jedoch nicht dass dieser Zustand dann auch in jedem Fall und zu jeder Zeit vorliegt Haumlufig beobachtet man eine so genannte kinetische Hemmung einer Phasenumwandlung So gibt es unterkuumlhlte Fluumlssigkeiten (zB Regentropfen bei -3degC) genauso wie unterkuumlhlte Dampfphasen (zB uumlbersaumlttigten Wasserdampf in Gewitterwolken) oder uumlberhitzte Fluumlssigkeiten (zB uumlberhitztes Wasser bei einem Siedeverzug) Kristalli-sationskeime wie Staubkoumlrner koumlnnen Phasenumwandlungen beschleunigen (zB durch Staub verursachter bdquoIndustrieschneeldquo) Bisher wurden lediglich Phasendiagramme von reinen Stoffen betrachtet die nur aus einer einzelnen Sorte Atomen oder Molekuumllen bestehen Mischt man einem gegebenen Stoff eine weitere Komponente hinzu so aumlndert sich das Phasendiagramm erheblich Als Beispiel betrachten wir ein System in dessen fluumlssiger Phase ein Fremdstoff A geloumlst wird der weder im Festkoumlrper noch im der Gasphase loumlslich ist (zB Kochsalz in Wasser) In diesem Fall dehnt sich der fluumlssige Bereich des Phasendiagramms mit steigender Konzentration von A in alle Richtungen aus so dass gleichzeitig der Schmelzpunkt erniedrigt der Siedepunkt erhoumlht und der Dampfdruck verringert wird (Abb 31) In erster Naumlherung sind alle genannten Aumlnderungen proportional zu cA

T

P

fest

fluumlss

ig

gasfouml

rmig

Abb 31 Phasendiagramm fuumlr ein System in dessen fluumlssiger Phase ein Fremdstoff mit steigender

Konzentration cA geloumlst wird Der Bereich der fluumlssigen Phase dehnt sich daraufhin in alle

Richtungen aus

Bei weiter steigender Konzentration von A kann ein Punkt erreicht werden an dem die Mischung in zwei getrennte Bereiche zerfaumlllt die ebenfalls als Phasen bezeichnet werden (zB Olivenoumll und Wasser) Eine dieser Phasen besitzt dann einen hohen Loumlsemittelanteil bei geringer Konzentration von A die andere besteht aus einem hohen Anteil an A mit einem geringen Gehalt an Loumlsemittel Dieser Vorgang der Phasenseparation binaumlrer (aus zwei Komponenten bestehender) Systeme wird durch eine andere Art von Phasendiagramm beschrieben dem so genannten Mischphasendiagramm (Abb 32) Hierbei wird die Tempe-

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ratur dem relativen Anteil einer Komponente gegenuumlbergestellt der Druck wird als konstant angenommen

Abb 32 Allgemeine Darstellung eines Mischphasendiagramms

Grundsaumltzlich gibt die linke Flanke der Phasentrennlinie (links des kritischen Punkts) die Zusammensetzung der bdquoA-armenldquo Phase an waumlhrend die rechte Flanke (rechts des kritischen Punkts) die Zusammensetzung der A-reichen Phase beschreibt Die Mengen der dabei gebildeten Phasen koumlnnen nach dem so genannten Hebelgesetz berechnet werden Demnach gilt zwischen dem Anteil n1 der A-armen Phase 1 dem Anteil n2 der A-reichen Phase 2 und den Laumlngen der Pfeile s1 und s2 in der vorhergehenden Abbildung folgender Zusammenhang

n1 s1 = n2 s2

Fuumlr das gezeigte Beispiel wuumlrde das bedeuten dass der Anteil der Phase 1 etwa doppelt so groszlig waumlre wie der Anteil der Phase 2 In der Naumlhe der beiden Raumlnder des Diagramms also fuumlr xA 0 (sehr wenig A im Loumlsemittel) oder xA 1 (sehr wenig Loumlsemittel in A) liegen in den meisten Faumlllen einphasige homogene Mischungen vor Das besagt dass auch bei niedrigen Temperaturen ein wenig von dem Stoff A im Loumlsemittel bzw ein wenig Loumlsemittel im Stoff A loumlslich ist Der im Diagramm eingezeichnete kritische Punkt bedeutet dass oberhalb der dazugehoumlrigen kritischen Temperatur keine Entmischung mehr erfolgt dh hier sind die beiden Komponenten vollstaumlndig und in jedem Verhaumlltnis miteinander mischbar Neben solchen oberen kritischen Punkten gibt es auch untere kritische Punkte Im zweiten Fall gilt dass die beiden Komponenten unterhalb einer bestimmten Temperatur in jedem Verhaumlltnis miteinander mischbar sind Im Allgemeinen koumlnnen die drei verschiedenen Faumllle auftreten die in Abbildung 33 dargestellt sind

0 Molenbruch xA der Komponente A 1

Tem

pera

tur

obere kritischeTemperatur

Einphasen-gebiet

Zweiphasen-gebiet

Beispiel xA = 04

T1

Zum gezeigten Beispiel

Eine Mischung mit dem Molenbruch xA = 04 wird von T2 nach T1 abgekuumlhltDabei zerfaumlllt die Mischung bei Tklsquo in zwei Phasen derenZusammensetzung bei T1auf der x-Achse an den Punkten 1 und 2 ablesbar ist

T2

Tklsquo

1 2

kritischer Punkt

s1 s2

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0 xA 1

Tem

pera

tur

System mit oberem kritischen Punkt

kritischer Punkt

0 xA 1Te

mpe

ratu

r

System mit unterem kritischen Punkt

kritischer Punkt

0 xA 1

Tem

pera

tur

System mit oberem und unterem

kritischen Punkt

kritischer Punkt

kritische Punkte

Abb 33 Moumlgliche Varianten von kritischen Punkten bei Systemen aus zwei Komponenten

Obere kritische Punkte findet man dann wenn sich die molekulare thermische Bewegung gegen die Tendenz der Molekuumlle sich mit gleichartigen Molekuumllen zusammenzulagern durchsetzt Dieses Phaumlnomen ist sehr verbreitet so dass ein oberer kritischer Punkt bei sehr vielen Mischphasen beobachtet wird Untere kritische Punkte sind sehr viel seltener Sie treten beispielsweise dann auf wenn die beiden Komponenten miteinander bei tiefen Temperaturen einen Komplex bilden der bei houmlheren Temperaturen wieder zerfaumlllt und dann zu einer Phasenseparation fuumlhrt Ein Beispiel dafuumlr ist die Mischung aus Wasser und Triethylamin

Fuumlr Mischphasen aus drei Komponenten so genannte ternaumlre Mischungen sind die bisher gezeigten Darstellungen ungeeignet Hierfuumlr haben sich Dreiecksdiagramme (Gibbssches Phasendreieck) durchgesetzt die das Phasenverhalten unter Variation der Mengenbeitraumlge aller drei Komponenten aufzeigen (Abb 34) Das Diagramm ist so geartet dass die Summe aller drei Mengenanteile xA xB und xC in jedem Fall den Wert 1 ergibt Damit besitzt die Zusammensetzung des ternaumlren Gemisches zwei Freiheitsgrade Jede Linie die durch eine Ecke des Diagramms fuumlhrt verbindet diejenigen Punkte bei denen das Verhaumlltnis zweier Komponenten gleich ist Jede Linie die parallel zu einer der drei Seiten verlaumluft entspricht Gemischen bei denen der relative Anteil einer Komponente gleich bleibt

00 02 04 06 08 10Komponente A

00

02

04

06

08

10

Kom

pone

nte

B

0002

04

06

08

10

Komponente C

C

A

B

00 02 04 06 08 10Komponente A

00

02

04

06

08

10

Kom

pone

nte

B

00

02

04

06

08

10

Komponente C

x1

x2x

Abb 34 Prinzip eines ternaumlren Phasendiagramms nach Gibbs (Dreiecksdiagramm)

In solche ternaumlren Mischphasendiagramme lassen sich nun entsprechend den binaumlren Mischphasendiagrammen die Ein- und Zweiphasengebiete einzeichnen Das Diagramm in

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Abb 34 rechts gilt zB fuumlr eine ternaumlre Mischung aus A B und C bei der die Komponenten A und B sowie B und C jeweils paarweise in jedem Verhaumlltnis miteinander mischbar sind Die Komponenten A und C sollen dagegen nur begrenzt mischbar sein Als Konsequenz daraus ergibt sich ein Dreiecksdiagramm das an der unteren Achse die dem Anteil 0 der Komponente B entspricht ein Zweiphasengebiet aufweist

Die Hilfslinien im Zweiphasengebiet markieren die Zusammensetzung der entstehenden Einzelphasen So wuumlrde beispielsweise eine Mischung deren Zusammensetzung im Diagramm durch den Punkt x markiert ist in die beiden Phasen x1 und x2 zerfallen Die Mengenanteile der beiden Phasen koumlnnten dabei wieder uumlber das Hebelgesetz berechnet werden Um zusaumltzlich den Einfluss der Temperatur wiederzugeben muss eine weitere Koordinate eingefuumlhrt werden Man erhaumllt dabei ein dreidimensionales Dreiecksdiagramm das haumlufig unter Verwendung von Houmlhenlinien nach der Art einer topographischen Landkarte dargestellt wird Jede Houmlhenlinie des Zweiphasengebiets umschreibt dann seine Ausdehnung bei einer gegebenen Temperatur

Fragt man bei einem System mit bestehenden Randbedingungen nach der Zahl der frei variierbaren Zustandsgroumlszligen also nach der Zahl der Freiheitsgrade so haumlngt die Antwort zunaumlchst davon ab in welchem Phasenzustand sich das System befindet So kann man beispielsweise in der Gasphase (bei festgelegter Stoffmenge) Temperatur und Druck frei waumlhlen wodurch dann automatisch das Volumen festgelegt wird Gleiches gilt fuumlr die feste und die fluumlssige Phase Das System hat innerhalb eines Phasenzustands also zwei Freiheits-grade Setzt man allerdings voraus dass sich das System in einem Gleichgewicht zwischen zwei Phasen befindet (zB auf der Verdampfungslinie) so besitzt es nur einen Freiheitsgrad Am Tripelpunkt schlieszliglich bei einem Gleichgewicht zwischen drei Phasen sind keine Freiheitsgrade mehr vorhanden Zwischen der Zahl der Phasen P und der Zahl der Freiheitsgrade F gibt es also folgende einfache Beziehung

F = 3 - P

Beruumlcksichtigt man weiter dass auch mehr als eine Komponente auftreten kann (Zahl der Komponenten C gt 1) so erhoumlht sich die Zahl der Freiheitsgrade um jede zusaumltzliche Komponente deren Konzentration ja frei waumlhlbar ist um den Wert eins Man erhaumllt damit

F = 3 - P + (C - 1) oder F = C - P + 2

Nach dieser allgemeinguumlltigen Formel der so genannten Gibbsrsquoschen Phasenregel laumlsst sich die Zahl der Freiheitsgrade in jedem beliebigen System bestimmen Sie erlaubt insbesondere bei sehr komplizierten Mischungen mit einer unbekannten Anzahl an Phasenzustaumlnden uumlber eine einfache Betrachtung Ruumlckschluumlsse auf deren Phasenverhalten

Page 17: Vorlesung PC I Einführung in die Physikalische Chemierelaxation.chemie.uni-duisburg-essen.de/lehre/Skript_PC_2016_2017.pdf · Schwingungen möglich, deren Geometrie (d.h. die Zahl

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In der folgenden Tabelle sind die haumlufigsten Hybridisierungsvarianten zusammengefasst und verschiedenen Molekuumllgeometrien zugeordnet Bei gegebener Geometrie des Molekuumlls (z B die trigonal-planare Anordnung um jedes Kohlenstoffatom im Ethylen) kann man so auf die passende Hybridisierung schlieszligen (im gegebenen Fall das sp2-Hybrid)

Tabelle 1 Wichtige Hybridisierungszustaumlnde nach dem VB-Modell

Hybridisierung Promotion Koordinationszahl Geometrie Beispiele

sp uarruarr suarr puarr 2 linear Acetylen Propadien

sp2 uarruarruarr suarr puarruarr 3 trigonal-planar Ethylen Benzol

sp3 uarruarruarruarr suarr puarruarruarr 4 tetraedrisch Methan Ammoniak

sp3d uarruarruarruarruarr suarr puarruarruarr duarr 5 trigonal-bipyramidal

Phosphor-pentachlorid

sp3d2 uarruarruarruarruarruarr suarr puarruarruarr duarruarr 6 oktaedrisch Schwefel-hexafluorid

Die so entstehenden Hybridorbitale kommen in ihrer raumlumlichen Darstellung den tatsaumlchli-chen Molekuumllorbitalen teilweise recht nahe sie korrigieren somit die VB-Theorie in gewissem Sinne in Richtung der MO-Theorie Allerdings bleibt festzuhalten dass die VB-Theorie keine antibindenden Orbitale kennt diese bleiben einfach unberuumlcksichtigt Dies ist eine gravie-rende Schwaumlche der VB-Theorie die sich an vielen Stellen bemerkbar macht (zB bei der Erklaumlrung des Sauerstoff-Biradikals in der Spektroskopie und bei bestimmten Reaktions-typen)

19 Elektronegativitaumlt und Polaritaumlt

In einer chemischen Bindung zwischen verschiedenen Elementen besitzen die beteiligten Atome fuumlr gewoumlhnlich unterschiedliche Tendenzen die Bindungselektronen an sich zu ziehen Bei der Betrachtung der Energieschemata im MO-Modell aumluszligert sich dies darin dass ein bindendes Molekuumllorbital aus einer Linearkombination zweier Atomorbitale mit sehr unterschiedlicher Energie hervorgeht In diesem Fall besitzt das bindende Molekuumllorbital die Tendenz hohe Elektronendichten in der Naumlhe des Elements aufzuweisen dessen Atomorbital energetisch guumlnstiger liegt Man spricht dann von einer hohen Elektronegativitaumlt dieses Elements da es in dem gebundenen Zustand durch die erhoumlhte Elektronendichte eine partiell negative Ladung aufweist Ein klassisches Beispiel ist die Verbindung Fluorwasserstoff (HF) Hier wird ein bindendes Molekuumllorbital aus der Linearkombination zwischen dem 1s-Orbital des Wasserstoffs mit einem 2p-Orbital des Fluors gebildet Letzteres liegt aufgrund der relativ hohen Kernladung und des geringen Atomradius des Fluors energetisch wesentlich tiefer wodurch sich eine stark asymmetrische Elektronenverteilung ergibt Die Elektronegativitaumlt wird in erster Linie durch die Kernladung vor allem aber auch durch den Abstand zwischen den Valenzelektronen und dem Atomkern bestimmt Daher sind auch kleine Atome wie zum Beispiel der Stickstoff der Sauerstoff oder das Fluor auch besonders elektronegativ (s Tabelle Seite 12) Im Periodensystem der Elemente nimmt die Elektro-negativitaumlt tendenziell nach oben und nach rechts zu (Edelgase ausgenommen) Linus Pauling

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schlug vor die Elektronegativitaumlt ausgehend von der VB-Theorie als dimensionslose Kenn-groumlszlige fuumlr jedes einzelne Element einzufuumlhren Sie errechnet sich aus einem Vergleich der Dissoziationsenergien der beteiligten Elemente Demnach besitzt Francium als das am wenigsten elektronegative Element den Wert 070 und Fluor als das am staumlrksten elektro-negative Element den Wert 398 Eine Zwischenstellung nimmt zB Wasserstoff mit 220 ein Bei Bindungen zwischen Elementen mit unterschiedlicher Elektronegativitaumlt spricht man von polaren Bindungen Entlang einer polaren Bindung baut sich durch die ungleiche Elektronen-verteilung ein entsprechendes Dipolmoment auf das haumlufig Anlass fuumlr starke zwischen-molekulare Kraumlfte liefert (s Kapitel 3) Im Extremfall einer sehr polaren kovalenten Bindung kann das Bindungselektron (bzw die Bindungselektronen) praktisch allein dem elektronega-tiveren Element zugesprochen werden Das entsprechende Bindungsorbital besteht dann als Linearkombination von Atomorbitalen fast ausschlieszliglich aus einem Atomorbital welches das elektronegativere Element beisteuert In diesem Fall spricht man nach klassischer Definition von einer Ionenbindung

2 Die Elektronenspektroskopie an Atomen und Molekuumllen 21 Grundlagen der Spektroskopie

Elektronen in Atomen und Molekuumllen koumlnnen ndash soweit die Erkenntnis aus Kapitel 1 ndash durch Wellenfunktionen beschrieben werden Aus diesen kann man nicht nur die Aufenthaltswahr-scheinlichkeit an verschiedenen Positionen im Raum sondern auch die Energie des Elektrons ableiten Eine Folge der Beschraumlnkung der Elektronen auf bestimmte Wellenfunktionen mit jeweils bestimmter Energie ist dass sie auch nur in bestimmten Schritten Energie aufnehmen und abgeben koumlnnen Jede Aufnahme bzw Abgabe von Energie entlang dieses Schrittes ist generell mit der Aufnahme bzw Abgabe von elektromagnetischer Strahlung verbunden Diese Tatsache bildet die Grundlage der Spektroskopie im gegebenen Fall der Elektronenspektros-kopie

Allgemein gesprochen befasst sich die Spektroskopie mit der Wechselwirkung zwischen Strahlung und Materie Etwas genauer laumlsst sich aussagen dass die Spektroskopie unter-sucht mit welcher elektromagnetischen Strahlung sich welcher energetische Uumlbergang anre-gen laumlsst Zwischen der elektromagnetischen Strahlung und dem dabei bewirkten energeti-schen Uumlbergang gilt dann grundsaumltzlich folgende Beziehung Δ E = h ∙ ν mit ΔE als der Energiedifferenz zwischen den beiden Zustaumlnden (in Joule) ν (gesprochen bdquonuumlldquo) als Frequenz der verwendeten elektromagnetischen Strahlung (in 1s oder Hertz Hz) und h als dem so genannten Planckschen Wirkungsquantum (mit h = 6626∙10-34 Js) Somit ist jeder Frequenz ν im elektromagnetischen Spektrum (Abb 12) genau ein Energiewert Δ E zugeordnet Die dazugehoumlrige Wellenlaumlnge im Vakuum (in m) errechnet sich nach λ = c ν mit c als Lichtgeschwindigkeit (im Vakuum c = 299 792 458 ms)

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Abb 12 Elektromagnetisches Spektrum (Quelle Chemgapedia)

Fuumlr die genaue Messung welche Frequenz der elektromagnetischen Strahlung einem gegebe-nen Uumlbergang anzuregen vermag gibt es experimentell zwei verschiedene Ansaumltze Entweder man strahlt Energie auf das System ein und beobachtet den Verlust an Strahlungsintensitaumlt der dann beobachtet wird wenn die Strahlung einen Uumlbergang zu einem houmlheren Energieni-veau bewirkt (Absorption) oder man fuumlhrt dem System Energie zu (zum Beispiel thermisch) und beobachtet dann die Freisetzung von Energie als Strahlung (Emission) Im einen Fall erfuumlllt die Frequenz der absorbierten Strahlung im anderen Fall die der emittierten Strahlung die Frequenzbedingung ΔE = h ∙ ν Mit beiden Methoden kann man so exakt den Energie-unterschied zwischen zwei Energieniveaus ausmessen Die Bestimmung der Werte fuumlr die charakteristischen Energieschritte ΔE eines Systems ist die Hauptaufgabe der Spektroskopie Sie eignet sich insbesondere um elektronische Wellenfunktionen eines Systems zu erkunden

22 Elektronenspektroskopie am eindimensionalen Potentialtopf

Das denkbar einfachste elektronische System ist der eindimensionale Potentialtopf Dennoch kann auch dieses Modell schon in grober Naumlherung auf Molekuumlle angewandt werden speziell auf solche mit annaumlhernd linearen Delokalisationssystemen (s Kapitel 14) Ein Beispiel ist die Reihe Butadien Hexatrien Oktatetraen usw Bildet man mit Hilfe der Loumlsungen der Schroumldingergleichung fuumlr das eindimensionale Potentialtopfmodell einen Ausdruck fuumlr den elektronischen Uumlbergang zwischen dem houmlchsten besetzten Orbital (HOO) und dem niedrig-sten unbesetzten Orbital (LUO) so erhaumllt man fuumlr die damit verbundene Energiedifferenz gemaumlszlig der in Abbildung 5 gezeigten Formel

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ΔE = h ∙ ν = (nsup2LUO-nsup2HOO) ∙ hsup2 (8 me asup2)

Mit wachsender Laumlnge a und wachsender Elektronenzahl (jedes Kohlenstoffatom im Delokali-sationsgebiet traumlgt ein Elektron bei) steigen einerseits die Werte der Quantenzahlen n fuumlr das houmlchste besetzte Orbital (HOO) und das niedrigste unbesetzte Orbital (LUO) an andererseits steigt aber auch die Laumlnge L die quadratisch im Nenner der Gleichung steht Da letzteres insgesamt uumlberwiegt sinkt der Wert fuumlr ΔE und damit fuumlr die Frequenz ν schrittweise mit Anstieg der Kettenlaumlnge Liegt die absorbierte Lichtfrequenz anfaumlnglich im UV-Bereich so verschiebt sie sich beispielsweise fuumlr das Carotin mit 11 Doppelbindungen schon in den sichtbaren blauen Bereich Weil daher Carotin blaues Licht absorbiert erscheint es im Durchlicht betrachtet in der Komplementaumlrfarbe orange-gelb Nach diesem Prinzip lassen sich viele organische Farbstoffe interpretieren Aumlndert sich die Laumlnge bzw die Elektronenzahl (und damit nsup2LUO und nsup2HOO) durch die Protonierung des Molekuumlls so hat man es mit einem Farbstoff zu tun der mit dem pH-Wert seine Farbe aumlndert ndash dies ist die Grundlage vieler pH-Indikatoren

23 Elektronenspektroskopie am Wasserstoffatom

Die wissenschaftliche Spektralanalyse wurde in der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts gemeinsam durch GR Kirchhoff und RW Bunsen entwickelt Sie entdeckten dass alle Elemente beim Erhitzen Licht aussenden Nach Zerlegung des Lichts mit einem Glasprisma erhaumllt man ein fuumlr jedes Element charakteristisches Linienmuster das so genannte Spektrum (s auch UTube-Video bdquospectral lines demoldquo httpwwwyoutubecomwatchv=2ZlhRChr_Bw) Dieses Spektrum reflektiert die Gesamtheit der dem gegebenen Element eigenen elektronischen Uumlbergaumlnge und ist damit ein unverwechselbarer Fingerabdruck Elemente koumlnnen damit sowohl in der Emissionsspektroskopie als auch in der Absorptionsspektroskopie eindeutig und mit hoher Empfindlichkeit identifiziert werden

Die Elektronenspektroskopie kann jedoch noch deutlich mehr sie erlaubt die exakte Uumlber-pruumlfung der durch die Loumlsung der Schroumldingergleichung gefundenen elektronischen Wellen-funktionen Dies wurde zunaumlchst am Wasserstoffatom mit hoher Praumlzision betrieben Histo-risch gesehen ist die erste wichtige Lichtquelle fuumlr spektroskopische Analysen unsere Sonne Dies gilt insbesondere fuumlr das Spektrum des Wasserstoffs Da die Energie der elektronischen Zustaumlnde dort einzig und allein von der Hauptquantenzahl n abhaumlngt (s Kapitel 15) werden lediglich solche Spektrallinien beobachtet die sich genau einem gegebenen ΔE = E(n) - E(nlsquo) zuordnen lassen Zuerst wurde mit der Balmer-Serie der sichtbare Anteil des Spektrums ent-deckt der mit allen Uumlbergaumlngen von oder zu dem Niveau n = 2 verbunden ist (Abb 13) Es folgten spaumlter im UV-Bereich die Lyman-Serie mit n = 1 und im IR-Bereich die Paschen-Serie mit n = 3 die Brackett-Serie mit n = 4 sowie die Pfundt- und die Humphreys-Serie mit n = 5 und n = 6 (letztere sind in Abb 13 nicht mehr eingezeichnet) Weitere Serien mit houmlheren Quantenzahlen existieren tragen aber keine eigenen Namen mehr

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Wel

lenz

ahl

[100

0 cm

-1]

0

10

20

30

40

50

60

70

80

90

100

110Grundzustand

Lyman-serie

Balmer-serie

Paschen-serie

Brackett-serie

n = 5n = 4

n = 3

n = 2

n = 1

Gustav Robert Kirchhoff

Robert Wilhelm Bunsen

Abb 13 Wichtige elektronische Uumlbergaumlnge im Wasserstoffatom

Abbildung 14 zeigt das gesamte Wasserstoffspektrum die Kuumlrzel benennen die entsprechen-den Serien (Ly = Lyman Ba = Balmer etc)

Abb 14 Spektrum des Wasserstoffatoms Die Achse fuumlr die Wellenlaumlnge ist logarithmisch aufgetragen

Eine genaue Analyse ergibt dass sich das Schema der Energiedifferenzen nach Abb 13 fast genau mit den in Kapitel 15 besprochenen Loumlsungen der Schroumldingergleichung deckt Die aumluszligerst kleinen Abweichungen die man dennoch detektieren konnte lieszligen sich auf den Bei-trag des Kerns (trotz seiner hohen Masse kann er sich minimal mit dem Elektron mitbewegen) und des Isotopeneffekts zuruumlckfuumlhren der schwerere Deuteriumkern der aus einem Proton und einem Neutron besteht bewegt sich weniger leicht mit dem Elektron mit als das einsame Proton des bdquonormalenldquo Wasserstoffs Daneben zeigen sich bei sehr hoher Aufloumlsung des Spektrums auch relativistische Effekte die zu weiteren Aufspaltungen fuumlhren

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24 Elektronenspektroskopie an Atomen mit mehreren Elektronen

Aufgrund der Wechselwirkungen zwischen den Elektronen ist bei schwereren Elementen die beim Wasserstoff gegebene Entartung bezuumlglich der Quantenzahlen l und m aufgehoben Damit wird das Energiediagramm bereits fuumlr ein einfaches houmlheres Atom wie zum Beispiel Lithium schon deutlich komplizierter (Abb 15) Neben den Uumlbergaumlngen zwischen verschiede-nen Werten fuumlr n treten nun auch Uumlbergaumlnge zwischen s und p p und d d und f auf Manche Uumlbergaumlnge (zum Beispiel solche zwischen s- und d-Niveaus) werden allerdings gewoumlhnlich nicht beobachtet man nennt sie bdquoverbotenldquo bdquoErlaubtldquo sind nur solche Uumlbergaumlnge bei denen die Nebenquantenzahl sich um den Wert plusmn1 aumlndert (also eben von s nach p von p nach d usw) Die so genannte Auswahlregel welche die erlaubten Uumlbergaumlnge festlegt heiszligt folglich Δl = plusmn1

Als weitere Folge der Wechselwirkungen zwischen den Elektronen besitzt jedes houmlhere Atom ein eigenes und von Wasserstoff verschiedenes Energiediagramm Damit besitzt aber auch jedes Atom ein unverwechselbares Muster von Energieuumlbergaumlngen die es eindeutig kenn-zeichnet Dies laumlsst sich bereits in einfachen Versuchen anhand von Flammenfaumlrbungen zeigen Diejenigen Uumlbergaumlnge deren ΔE den Wellenlaumlngen im sichtbaren Spektrum entspricht (in Abb 15 sind dies die kuumlrzeren unter den eingezeichneten blauen Pfeilen) sorgen bei vielen Elementen fuumlr ein charakteristisches farbiges Leuchten (Abb 15 rechts)

Ener

gie

Wasserstoff Lithium

n = 1

2

3

45

1s

2s

2p

3s

4s

5s

3p

4p5p

3d

4d5d

Abb 15 Termschema von Lithium mit wichtigen elektronischen Uumlbergaumlngen (links) Durch Lithium verursachte Flammenfaumlrbung (rechts Quelle httpwwwitpuni-hannoverde~zawischaITPatomshtml)

Letztlich ist auch bei allen houmlheren Atomen die Elektronenspektroskopie eine ideale Methode um das Energieniveauschema experimentell zugaumlnglich zu machen Sie eignet sich daruumlber hinaus perfekt zur schnellen und empfindlichen Identifikation von Elementen Diese Tatsache

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macht man sich sowohl in der Atomabsorptionsspektroskopie (AAS) als auch in der Atom-emissionsspektroskopie (AES) zunutze Elektronenspektren sind unverwechselbare Finger-abdruumlcke mit denen alle Elemente in hoher Empfindlichkeit und selbst uumlber groszlige Distanzen hinweg sicher identifiziert werden koumlnnen

25 Elektronenspektroskopie an Molekuumllen

Genau wie die Atomorbitale sind auch Molekuumllorbitale der Elektronenspektroskopie zugaumlng-lich Durch die systematische Analyse aller elektronischen Uumlbergaumlnge lassen sich die Energie-niveaus in einem MO-Schema schrittweise ausmessen Besonders interessant wird dieser Ansatz bei der Untersuchung der Bindungsverhaumlltnisse Im Allgemeinen beobachtet man Uumlbergaumlnge zwischen bindenden und nicht bindenden Orbitalen einerseits und den uumlblicherweise unbesetzten antibindenden Orbitalen andererseits In Abb 16 ist dies am Beispiel einer C-O-Bindung in Formaldehyd gezeigt Im Mittelpunkt stehen dabei das binden-de und das antibindende σ-Orbital C-O das bindende und das antibindende π-Orbital C-O sowie das nicht bindende freie Elektronenpaar des Sauerstoffs (ein weiteres freies Elektronen-paar bleibt unbeteiligt)

Ener

gie

σ CO

σ CO

π CO

π CO

n O

C

H

H

O

σ-σ

Uumlbe

rgan

g

π-π

Uumlbe

rgan

gn-π Uumlber-gang

σ

Abb 16 Termschema der CO-Gruppe in Formaldehyd (links) Die beteiligten Bindungen und das im betrachteten Energiefenster liegende freie Elektronenpaar des Sauerstoffs sind rechts skizziert

Die drei wichtigsten Uumlbergaumlnge die an der C-O-Gruppe detektiert werden sind der σ-σ-Uumlbergang der π-π-Uumlbergang und der n-π-Uumlbergang Letzterer ist in einer C-O-Gruppe stets am energieaumlrmsten und kann bereits mit UV-Licht einer Wellenlaumlnge um 280 nm angeregt werden (schwarzer Pfeil in Abb 16) Energiereicher und intensiver ist bei der CO-Gruppe der π-π-Uumlbergang der bei Wellenlaumlngen um 170 nm angeregt wird (roter Pfeil in Abb 16) Daruumlber hinaus zeigt das Spektrum dass die beiden freien Elektronenpaare des Sauerstoffs stark unterschiedlichen Charakter besitzen (nur eines ist an dem n-π-Uumlbergang beteiligt das andere tritt im gegebenen Spektralbereich nicht in Erscheinung)

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Auf aumlhnliche Weise lassen sich alle MO-Schemata komplizierter Molekuumlle analysieren Lie-gen die Anregungsfrequenzen der Uumlbergaumlnge im sichtbaren Bereich so haben die Molekuumlle die Funktion von Farbstoffen Haumlufig besitzen sie dann laumlngere lineare Delokalisationsgebiete deren Elektronenspektren man dann auch in grober Naumlherung mit dem eindimensionalen Potentialtopfmodell beschreiben kann (s Kapitel 22) Werden Bindungselektronen angeregt und aumlndern sich im Verlauf der elektronischen Anre-gung die Bindungsverhaumlltnisse (beispielsweise bei Besetzung eines antibindenden Zustands) so ist mit der elektronischen Anregung zwangslaumlufig auch eine Aumlnderung des energetisch guumlnstigsten Bindungsabstands verbunden Damit einhergehend werden mechanische Schwin-gungen des Molekuumlls angeregt Mit den Molekuumllschwingungen verhaumllt es sich analog zu den elektronischen Zustaumlnden auch Molekuumllschwingungen existieren nur in bestimmten definierten Zustaumlnden die sich dann den elektronischen Zustaumlnden uumlberlagern (Abb 17) Die Folge davon ist dass die Elektronenspektren von Molekuumllen haumlufig keine scharfen Linien sondern breite Absorptionsbereiche (bdquoBandenldquo) aufweisen Alle Linien fuumlr die elektronischen Uumlbergaumlnge zerlegen sich demnach in eine Vielzahl von Einzellinien die verschiedene Schwingungszustaumlnde der benachbarten elektronischen Zustaumlnde miteinander verbinden (in Abb 17 sind exemplarisch neun verschiedene moumlgliche Uumlbergaumlnge eingezeichnet) Normaler-weise liegen alle diese Linien dicht beieinander so dass insgesamt eine verbreiterte Absorp-tionsbande entsteht

Ener

gie

elektronische Niveaus

Schwingungsniveaus

Abb 17 Zum Zustandekommen von breiten Absorptionsbanden in Elektronen-Schwingungsspektren Uumlberlagerung von elektronischen Uumlbergaumlngen mit Schwingungsuumlbergaumlngen Exemplarisch sind jeweils drei Schwingungsniveaus eingezeichnet

Das Elektronenspektrum eines Molekuumlls wird wegen der dazu verwendeten Frequenzbereiche im UV- und im sichtbaren (bdquovisibleldquo) Spektrum auch UV-vis-Spektroskopie genannt Die UV-vis-Spektroskopie dient neben der Aufklaumlrung der MO-Struktur auch der schnellen und bequemen Identifikation von chemischen Verbindungen Aufgrund ihrer im Absorptionsver-fahren sehr einfachen und preisguumlnstigen Messtechnik wird sie auch haumlufig in Kombination mit anderen analytischen Verfahren (zB der Chromatographie) verwendet Uumlber eine Bestim-mung der Intensitaumlt der Anregung kann auch eine quantitative Analyse einzelner Verbindun-gen erfolgen

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3 Das Zusammenwirken von Atomen und Molekuumllen 31 Der makroskopische Zustand von Materie Bisher sind nur einzelne Bausteine der Materie also Atome und Molekuumlle betrachtet worden Nun soll das makroskopische Erscheinungsbild von Materie ins Auge gefasst werden die aus einer Vielzahl von Atomen oder Molekuumllen besteht Um den Zustand dieser aus vielen Teilchen zusammengesetzten Materie uumlberhaupt als Gesamtheit zu beschreiben benoumltigt man zunaumlchst so genannte Zustandsparameter oder Zustandsgroumlszligen Die wichtigsten Vertreter dieser Kenngroumlszligen fuumlr makroskopische Materie sind die Stoffmenge n das Volumen V der Druck P und die Temperatur T

n Stoffmenge Die Stoffmenge wird uumlber die Teilchenzahl definiert

Einheit der Teilchenzahl 1 Mol

Definition Ein Mol eines Stoffes enthaumllt dieselbe Anzahl an Teilchen wie 0012 kg reiner Kohlenstoff des Isotops 12C (1 Mol 60221023

Teilchen) Dabei muss eindeutig festgelegt sein was unter einem Teilchen des Stoffes jeweils zu verstehen ist Ist die Stoffmenge konstant so spricht man von einem geschlossenen System

V Volumen Die Definition des Volumens erfolgt uumlber die festgelegte Laumlngeneinheit und den geometrischen Volumenbegriff

Einheit des Volumens 1 msup3

Definition Ein msup3 ist das Volumen eines wuumlrfelfoumlrmigen Raums mit einer Kantenlaumlnge von einem Meter Ist das Volumen konstant so spricht man von einem isochoren Vorgang

P Druck Die Definition erfolgt uumlber die Kraft die ein Stoff auf jede Flaumlcheneinheit eines ihn einschlieszligenden Behaumllters ausuumlbt

Einheit des Drucks 1 Pascal = 1 Pa = 1 Nmsup2 = 10-5 bar

Definition Ein Pascal ist der Druck bei dem auf jeden Quadratmeter der Behaumllterwaumlnde eine Kraft von 1 Newton ausgeuumlbt wird Ist der Druck konstant so spricht man von einem isobaren Vorgang

T Temperatur

Der sicherlich am schwierigsten fassbare Zustandsparameter makroskopischer Materie ist die Temperatur Zwar ist sie direkt mit der menschlichen Wahrnehmung verknuumlpft (kalt warm heiszlighellip) physikalisch jedoch zunaumlchst sehr undefiniert da sie nicht ohne weiteres auf andere physikalische Groumlszligen zuruumlckfuumlhrbar ist Am ehesten laumlsst sie sich im ersten Ansatz als diejenige Eigenschaft von Materie beschreiben die von einem Thermometer gemessen wird

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Zur Verwendung als Thermometer eignet sich prinzipiell jeder physikalische oder chemische Vorgang der reproduzierbar mit einer Temperaturaumlnderung verknuumlpft ist Klassisch sind dies insbesondere die Ausdehnungsvorgaumlnge von Gasen Fluumlssigkeiten und Festkoumlrpern (Abb 18)

Hg

Festkoumlrperthermometer werden gewoumlhnlich nach demPrinzip des Bimetall-Thermometers ausgelegt (ganzlinks) Dabei werden zwei verschiedene Festkoumlrper(zB zwei Bleche aus verschiedenen Metallen) flaumlchigmiteinander in Kontakt gebracht Bedingt durch dieunterschiedliche thermische Ausdehnung derMaterialien kruumlmmt sich das Bimetall-Blech abhaumlngigvon der Temperatur mehr oder weniger stark zu einerSpirale

Fluumlssigkeitsthermometer (Mitte) und Gasthermometer(rechts) nutzen die Volumenaumlnderung eines fluidenMediums mit der Temperatur Die Genauigkeit kannerhoumlht werden indem einem groszligvolumigen Vorrats-behaumllter ein relativ kleinvolumiger Ausdehnungs- undAblesebereich gegenuumlbergestellt wird

Abb 18 Thermometer die auf der Grundlage der temperaturbedingten Ausdehnung von Materie beruhen

In der Praxis kommen mehr und mehr die elektronischen Varianten der Temperaturmessung zum Zug die zumeist auf der Messung der Thermospannung basieren Neben der Messmetho-de ist die Festlegung einer Temperaturskala wichtig Dazu dienten zunaumlchst einige Fixpunkte die heute teilweise noch historische Bedeutung haben

1) Die tiefste Temperatur des Winters 17081709 in Danzig - 178 degC

2) Die Temperatur von schmelzendem Eis bei 760 Torr (760 Torr = 1 atm = 101 325 Pa) 0 degC

3) Koexistenztemperatur von Eis Wasser und Wasserdampf 001 degC (exakt)

4) Die durchschnittliche Koumlrpertemperatur eines gesunden Menschen 378 degC

5) Die Siedetemperatur des Wassers bei 760 Torr (1 atm = 101 325 Pa) 100 degC

Die Punkte 1 und 4 bildeten die Grundlage des Fahrenheit-Systems die Punkte 2 und 5 die der Celsius-Skala Bei beiden Systemen wurde der definierte Bereich zunaumlchst in 100 gleiche Teile (Grade) aufgeteilt dann extrapoliert Beide Definitionen wurden spaumlter verfeinert (Celsius 9999 Grade C zwischen den Fixpunkten 3 und 5 Fahrenheit 180 Grade F zwischen den Fixpunkten 1 und 5) Trotzdem mangelt es auszliger Punkt 3 allen genannten Fixpunkten an Genauigkeit und Reproduzierbarkeit

Das zweite Problem nach der Unvollkommenheit der Fixpunkte besteht in der Festlegung einer systemunabhaumlngigen linearen Teilung Gewoumlhnlich ist der Verlauf der Skala vom gewaumlhlten Medium abhaumlngig Eine lineare Teilung auf der Skala eines Quecksilber-thermometers entspricht daher nicht einer linearen Teilung auf der Skala eines Alkoholthermometers da die Ausdehnung bei jedem Medium in unterschiedlicher Weise von der Temperatur abhaumlngt

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Beide Probleme sowohl die Wahl der passenden Fixpunkte als auch die Definition einer sinnvollen linearen Teilung werden heute durch die Festlegung der so genannten absoluten Temperaturskala geloumlst Grundlage hierfuumlr sind uumlbereinstimmende Beobachtungen an Gasthermometern

-300 -200 -100 0 100 200

V

T

-27315degCBei wiederholten Messungen mit verschiedenenGasthermometern verschiedenen Gasen undGasvolumina und bei verschiedenen Drucken stelltman fest dass sich die Verlaumlngerungen aller in denjeweiligen Diagrammen erhaltenen Linien in einemPunkt schneiden Dieser Punkt entspricht auf derVolumenachse dem Wert V = 0 und auf derTemperaturachse dem Wert T = -27315 degC

Abb 19 Ausdehnungskurven verschiedener Gase Die Temperaturskala ist zunaumlchst noch in Celsius aufgetragen

Aus dieser Beobachtung wurde geschlossen dass der Temperatur am gemeinsamen Schnitt-punkt aller Ausdehnungskurven eine besondere physikalische Bedeutung zukommt und sie sich daher als Fixpunkt einer neuen Temperaturskala eignet Weiterhin wurde festgestellt dass zwar alle Gase in ihrem Ausdehnungsverhalten von dem linearen Verlauf abweichen dass aber unter bestimmten Umstaumlnden (zB niedriger Druck) ein gemeinsamer Verlauf angestrebt wird den man auch als idealen Verlauf bezeichnen koumlnnte Am besten funktioniert das bei Helium unter schrittweise absinkenden Drucken dessen Verhalten sich fuumlr P rarr 0 zum idealen Verhalten extrapolieren laumlsst Diese Erkenntnis diente zur Definition einer absoluten Temperaturskala in Kelvin

1) Unterer Fixpunkt Schnittpunkt der Volumenexpansionskurven bdquoidealerldquo Gase (zB Helium fuumlr den Grenzfall Prarr0) 0 Kelvin

2) Oberer Fixpunkt Koexistenztemperatur von Eis Wasser und Wasserdampf 27316 Kelvin

3) Das Volumen eines bdquoidealenldquo Gases (zB Helium fuumlr den Grenzfall Prarr0) ist bei konstantem Druck proportional zur Temperatur und definiert die lineare Teilung der Temperaturskala

Gemaumlszlig dieser Definition ist jede beliebige Temperatur unter Nutzung eines bdquoidealenldquo Gasther-mometers auf der absoluten Kelvin-Skala eindeutig festgelegt Die Verwendung der Kelvin-Skala ist gegenuumlber der Nutzung klassischer Temperatursysteme bei der Beschreibung physi-kalischer Vorgaumlnge eindeutig von Vorteil Vorgaumlnge bei denen die Temperatur konstant ist nennt man isotherm Mit der Definition der wichtigsten Zustandsparameter Teilchenzahl n Volumen V Druck P und Temperatur T besteht nun die Moumlglichkeit das Verhalten makroskopischer Materie zu beschreiben Am einfachsten gelingt das im Fall von Gasen

32 Zustandsgleichung fuumlr Gase die ideale Gasgleichung

Gleichungen welche die Zustandsparameter wie n V T und P miteinander verknuumlpfen nennt man Zustandsgleichungen Sie beschreiben das Verhalten einer aus vielen einzelnen Teilchen bestehenden Materie hinsichtlich ihrer makroskopisch messbaren Groumlszligen Am

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einfachsten sind solche Zustandsgleichungen fuumlr Gase aufzustellen Untersucht man bei Gasen systematisch den Zusammenhang zwischen n V P und T so stellt man fest dass fuumlr alle Gase in mehr oder weniger guter Naumlherung folgende einfache Gleichung erfuumlllt isthellip

P ∙ V = n ∙ R ∙ T

hellipwobei R fuumlr die so genannte ideale Gaskonstante steht (R asymp 8314 J K-1 Mol-1) Diese Glei-chung auch bdquoideale Gasgleichungldquo genannt ist ein so genanntes Grenzgesetz kein real exis-tierendes Gas erfuumlllt es genau aber alle Gase kommen ihm recht nahe insbesondere bei hohen Temperaturen und niedrigen Druumlcken Eine Gleichung dieser Form nennt man auch Zustands-gleichung da sie Zustandsparameter miteinander verbindet Grafisch laumlsst sich diese Verknuumlp-fung in einem einfachen Diagramm darstellen bei dem jede Kombination von T und V genau einem Wert fuumlr P zugeordnet ist (Abb 20)

P

V

T

Abb 20 Auftragung von P gegen T und V nach der idealen Gasgleichung

Wir wissen nun dass die Gase aus einer Vielzahl von Teilchen (Atomen oder Molekuumllen) bestehen Wie laumlsst sich das durch die ideale Gasgleichung beschriebene Verhalten nun mit dieser Tatsache in Einklang bringen Was bedeuten eigentlich die Parameter Druck und Tem-peratur fuumlr ein Gas das sich aus vielen einzelnen Atomen und Molekuumllen zusammensetzt Um makroskopische Zustandsparameter uumlberhaupt mit der Teilchenwelt verknuumlpfen zu koumlnnen benoumltigen wir eine Modellvorstellung fuumlr das mechanische Zusammenwirken der Teilchen im Fall von Gasen das so genannte kinetische Gasmodell

33 Das kinetische Gasmodell

Bei den im vorhergehenden Kapitel aufgefuumlhrten Gasgesetzen handelt es sich um mathemati-sche Beschreibungen von makroskopisch beobachtbaren Vorgaumlngen Zur Interpretation der Gasgesetze auf molekularer Ebene wurden verschiedene Modelle vorgeschlagen Das erfolg-reichste unter ihnen war das sogenannte kinetische Gasmodell Es beruht auf der Vorstellung dass ein Gas aus einer Vielzahl von Teilchen besteht die folgende Bedingungen erfuumlllen

1) Sie besitzen eine Atom- oder Molmasse M einen endlichen Durchmesser d und befinden sich in staumlndiger und ungeregelter Bewegung

2) Die Groumlszlige der Teilchen ist im Verhaumlltnis zum freien Volumen vernachlaumlssig-bar

3) Zwischen den Teilchen finden elastische Stoumlszlige statt Ansonsten existieren keine weiteren Wechselwirkungen unter den Teilchen

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Nach der kinetischen Gastheorie besteht der Druck eines Gases aus der Summe aller Kraumlfte (pro Flaumlcheneinheit) die durch auf eine Flaumlche aufprallende Gasteilchen (bzw durch deren Impulsaumlnderung) ausgeuumlbt werden (Abb 21)

Vx t

Abb 21 Links schematische Darstellung der Impulsaumlnderung bei dem Auftreffen eines Gasteilchens auf der Gefaumlszligwand Viele solche Stoumlszlige fuumlhren in der Summe zum Entstehen einer messbaren dem Gasdruck zugeordneten Kraft Rechts Die Geschwindigkeitskomponente vx der Teilchen bestimmt nicht nur die Groumlszlige der Impulsaumlnderung sondern auch die Zahl der Teilchen die pro Zeiteinheit auf die Wand stoszligen Daher geht die Geschwindigkeit der Teilchen bei der Berechnung des Drucks insgesamt quadratisch ein

Dabei wird zunaumlchst davon ausgegangen dass alle Teilchen die gleiche Geschwindigkeits-komponente vx aufweisen Diese Geschwindigkeitskomponente bestimmt zum einen die Heftigkeit der Stoumlszlige zum anderen wie viele Gasteilchen pro Zeiteinheit auf die Wand prallen Insgesamt haumlngt der Druck damit vom Quadrat der Geschwindigkeitskomponente vxab Fuumlhrt man nun ein mittleres Geschwindigkeitsquadrat csup2 ein (mit vxsup2 = 13 csup2) so erhaumllt man fuumlr den an dem beweglichen Kolben spuumlrbaren Druck die Gleichung

P = 13 M csup2 (nV) oder in der Schreibweise der idealen Gasgleichung P V = 13 n M csup2 Der Druck ist nach dem kinetischen Gasmodell also die Folge einer Vielzahl von Stoumlszligen welche die Teilchen gegen die Behaumllterwaumlnde ausfuumlhren Er ist folglich proportional zur Mas-se der Teilchen (je schwerer die Teilchen desto heftiger die Stoumlszlige) zum mittleren Geschwin-digkeitsquadrat (die Geschwindigkeit der Teilchen bestimmt zum einen die Haumlufigkeit zum anderen die Heftigkeit der Stoumlszlige) und zur Zahl der Teilchen pro Volumeneinheit (womit wie nach der idealen Gasgleichung zu erwarten P umgekehrt proportional zu V ist) Die Bedeutung der Temperatur im kinetischen Gasmodell ist dagegen zunaumlchst unklar Mit der idealen Gasgleichung P V = n R T ergibt sich aber durch Koeffizientenvergleich n R T = 13 n M csup2 oder R T = 13 M csup2 Man kann unter Nutzung beider Gasmodelle so zu einem neuen teilchenbezogenen Verstaumlnd-nis des Phaumlnomens Temperatur kommen Die Temperatur eines Gases ist demnach direkt proportional zum mittleren Geschwindigkeitsquadrat der Gasteilchen oder in anderen Worten zu deren kinetischer Energie 12 M csup2 Dies ist fuumlr das Verstaumlndnis des Phaumlnomens Temperatur von groszliger Bedeutung Man kann die Temperatur eines Gases also messen indem man (bei bekannter Masse der Teilchen) die Geschwindigkeit der Gasteilchen bestimmt Die Wurzel aus dem mittleren Geschwindigkeits-quadrat also die Groumlszlige c liegt uumlblicherweise in der Groumlszligenordnung der Schallgeschwindig-keit (zum Beispiel fuumlr Stickstoff bei Raumtemperatur c = 516 ms) und steht zu ihr in einer

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festen Beziehung Tatsaumlchlich laumlsst sich die Temperatur auch uumlber eine Messung der Schall-geschwindigkeit ermitteln Nachdem das mittlere Geschwindigkeitsquadrat der Teilchen bekannt ist stellt sich die Frage nach der Geschwindigkeitsverteilung der Teilchen Die Bewegungsenergie der Teilchen ist wie alle anderen Energieformen (zB elektronische Energie Schwingungsenergie) gequantelt Das bedeutet dass sich die Teilchen auf (hier dicht gestaffelte) Energieniveaus verteilen muumlssen Sie tun das nach einem statistischen Grundprinzip das Boltzmann-Verteilung genannt wird Demnach ist die Besetzung pi eines Energieniveaus i (egal welcher Art die Energie Ei ist) stets proportional zum so genannten Boltzmannfaktor des Zustand i Es gilt

pi ~ exp[-Ei(kBT)]

Die darin enthaltene Boltzmannkonstante kB ist nichts anderes als die allgemeine Gas-konstante R (siehe unter 32) dividiert durch die Zahl NL der Teilchen in einem Mol Substanz (kB = RNL) Das bedeutet die Besetzung eines Zustands ist umso wahrscheinlicher je niedriger dessen Energie ist Steigende Temperatur T hingegen erhoumlht die Wahrscheinlichkeit energiereicher Zustaumlnde Diese Gesetzmaumlszligigkeit gilt fuumlr die Besetzung aller auf atomarer oder molekularer Ebene gegebener Zustaumlnde in einem makroskopischen System Angewandt auf die Bewegungsenergie von Gasteilchen in einer einzelnen Raumrichtung x bedeutet das dass Teilchen mit hoher Geschwindigkeit vx weniger wahrscheinlich sind als solche mit niedriger Geschwindigkeit vx Allerdings steigt die Wahrscheinlichkeit des Auftretens groszliger Werte fuumlr vx mit steigender Temperatur Teilt man den Bereich der auftretenden Geschwindigkeiten in Intervalle auf und zaumlhlt man die Teilchen die gemaumlszlig ihrer Geschwindigkeit zu den einzelnen Intervallen zugeordnet werden koumlnnen so ergibt sich fuumlr die Geschwindigkeitsverteilung in vx und v das Bild das in Abb 22 oben dargestellt ist Die Verteilungsfunktionen fuumlr die Geschwindigkeiten in y- und z-Richtung sind identisch

n(vx)

vx-Intervall

n(vx)

vx-Intervall

Temperatur-erhoumlhung

- 0 +- 0 +n(v)

v-Intervall

Temperatur-erhoumlhung

0 +

n(v)

v-Intervall0 +

Abb 22 Verteilungsfunktionen einer eindimensionalen Geschwindigkeitskomponente (oben) und der Gesamtgeschwindigkeit (unten)

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Betrachtet man die Verteilung n(v) der Gesamtgeschwindigkeit v im dreidimensionalen Raum so wird das Bild komplizierter Bezuumlglich der drei Raumrichtungen x y und z sind weiterhin die kleinen Geschwindigkeiten wahrscheinlicher als die groszligen Da nun aber fuumlr eine groszlige Gesamtgeschwindigkeit v mehr Kombinationsmoumlglichkeiten vx vy vz existieren als fuumlr kleine Gesamtgeschwindigkeiten so wird die Wahrscheinlichkeit fuumlr sehr geringe Gesamtgeschwindigkeiten entsprechend kleiner fuumlr groszlige Gesamtgeschwindigkeiten entsprechend groumlszliger Der daraus resultierende Gewichtungsfaktor fuumlr jedes v ist die relative Flaumlche der Kugelschale mit dem Radius v Insgesamt ergeben sich dann die in Abb 22 unten dargestellten Verteilungsfunktionen fuumlr niedrige und hohe Temperaturen Die Verteilungsfunktionen in vx und v lauten (ohne Herleitung)

f(vx) = [M(2RT)]12 exp [-Mvxsup2(2RT)]

f(v) = 4 [M(2RT)]32 vsup2 exp [-Mvsup2(2RT)] Der Mittelwert von vx (oder jeder anderen eindimensionalen Geschwindigkeitskomponente) ist grundsaumltzlich Null Dagegen besitzt der Mittelwert von v stets eine endliche von Null verschiedene Groumlszlige Bei einer Erhoumlhung der Temperatur werden alle Verteilungsfunktionen breiter der Mittelwert von v vergroumlszligert sich Die Temperatur eines Gases aumluszligert sich also nicht nur im mittleren Geschwindigkeitsquadrat sondern auch in der Form der Geschwindigkeitsverteilungsfunktion Bei der Mischung von Gasen unterschiedlicher Temperatur muss um die oben genannte Forderung zu erfuumlllen aus der einfachen Summe von zwei Verteilungsfunktionen eine neue der Mischtemperatur ent-sprechende Verteilungsfunktion entstehen Dies ist nur unter der Annahme moumlglich dass ein Austausch kinetischer Energie unter den Teilchen erfolgen kann Diese Tatsache bedingt die eingangs gestellte Forderung nach Teilchenstoumlszligen also Wechselwirkungen zwischen den Teilchen Damit muumlssen die Gasteilchen aber auch ein gewisses Volumen besitzen den Teil-chen ohne Eigenvolumen koumlnnen prinzipiell nicht zusammenstoszligen Darin besteht der we-sentliche Unterschied zwischen einem Gas nach dem kinetischen Gasmodell und dem idealen Gas Das ideale Gas koumlnnte man theoretisch auf ein beliebig kleines Volumen komprimieren bei einem kinetischen Gas ist dies aufgrund des Eigenvolumens nicht moumlglich Ansonsten erlaubt das kinetische Gasmodell die vollstaumlndige Interpretation der idealen Gasgleichung

34 Die korrigierte Gasgleichung nach van der Waals JD van der Waals

Mithilfe des kinetischen Gasmodells laumlsst sich die Zustandsgleichung fuumlr Gase weiter verfeinern Zunaumlchst soll beruumlcksichtigt werden dass die Teilchen ein eigenes Volumen besitzen In erster Naumlherung geschieht dies indem man ein vom Eigenvolumen der Gas-teilchen abgeleitetes minimales Volumen des Gases (das so genannte Covolumen) definiert Das Covolumen beschreibt dasjenige Volumen des Gases das bei staumlndigem mechanischem Kontakt zwischen jeweils zwei Teilchen eingenommen wird wenn man den Teilchenpaaren jeweils den sie umschreibenden kugelfoumlrmigen Raum zuordnet (wegen der geringen Wahr-scheinlichkeit von Dreierstoumlszligen kann die Bildung von Dreiergruppen ausgeschlossen werden) Das molare Covolumen b entspricht wenn man eine einfache geometrische Uumlberlegung an-setzt dem vierfachen Eigenvolumen eines Mols der Gasteilchen Um das tatsaumlchliche freie

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Volumen zu erhalten muss das n-fache Covolumen vom gegebenen Volumen abgezogen werden Damit wird aus der idealen Gasgleichung P V = n R T die erste korrigierte Version P (V - n b) = n R T Im zweiten Schritt soll nun uumlber das kinetische Gasmodell hinausgehend auch die anziehen-de Wechselwirkung zwischen den Teilchen beruumlcksichtigt werden Die Anziehung zwischen den Teilchen sorgt nach van der Waals fuumlr einen zusaumltzlichen nach auszligen nicht messbaren bdquoBinnendruckldquo Dieser Binnendruck ist proportional zum Quadrat der Teilchendichte (nV)sup2 Der zwischen den Teilchen tatsaumlchlich wirkende nach auszligen ebenfalls unmessbare Gesamt-druck ist dann gegeben als

Pgesamt (unmessbar) = P (messbar) + a (nV)sup2

mit einer fuumlr die anziehende Wechselwirkung charakteristischen Konstante a Die danach korrigierte Version der Gasgleichung die van-der-Waals-Gleichung fuumlr reale Gase lautet

[P + a (nV)sup2] (V - nb) = n R T

Die Konstanten b und a besitzen fuumlr jedes reale Gas charakteristische Werte die dessen Eigenvolumen (die Groumlszlige der Elektronenhuumllle) und die Staumlrke der intermolekularen Wechsel-wirkungen reflektieren Beispiele

Gas a b

Argon 01345 Pa m6Molsup2 32210-5 msup3Mol Kohlendioxid 03592 Pa m6Molsup2 426710-5 msup3Mol Helium 00034 Pa m6Molsup2 23710-5 msup3Mol Stickstoff 01390 Pa m6Molsup2 391310-5 msup3Mol Wasser 05573 Pa m6Molsup2 31010-5 msup3Mol

Der Parameter b spiegelt mit der Einheit msup3Mol weitgehend die Groumlszlige der einzelnen Teilchen (Atome oder Molekuumlle) wider So besitzt erwartungsgemaumlszlig Kohlendioxid oder Argon einen groumlszligeren Wert fuumlr b als beispielsweise Helium Allerdings sind die Unterschiede erstaunlich klein was auf die Tatsache zuruumlckzufuumlhren ist dass sich das Covolumen auf Teilchenpaare bezieht und ein Paar aus Kohlendioxidmolekuumllen gegenuumlber einem Paar aus Heliumatomen nur etwa das doppelte Volumen benoumltigt

Der Parameter a mit der Einheit Pascal mal Molvolumen zum Quadrat reflektiert die Staumlrke der Wechselwirkungen zwischen den Teilchen Diese Wechselwirkungen beruhen zum groszligen Teil auf den elektrischen Eigenschaften der Teilchen Diese wiederum sind mit der elektronischen Struktur der Atome beziehungsweise der chemischen Bindungen verknuumlpft Am wichtigsten ist dabei das in Kapitel 19 erwaumlhnte Dipolmoment Polare Bindungen koumlnnen zu Teilchen mit permanenten Dipolen fuumlhren (zB HF Wasser Ammoniak CO) Andere Molekuumlle oder Atome sind zwar unpolar koumlnnen aber spontan oder durch aumluszligere

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elektrische Felder polarisiert werden (zB He Ar molekularer Wasserstoff molekulares Chlor) Man spricht dann von polarisierbaren Teilchen mit einem spontanen Dipolmoment oder mit einem durch ein aumluszligeres Feld bewirkten induzierten Dipolmoment In all diesen Faumlllen sind anziehende Wechselwirkungen zwischen den Teilchen moumlglich die in dem Parameter a zusammengefasst werden Daruumlber hinaus koumlnnen sich auch voruumlbergehende chemische Bindungen ausbilden Das prominenteste Beispiel fuumlr diesen Fall ist die bekannte Wasserstoffbruumlckenbindung die bei polaren X-H-Bindungen auftreten kann Im Einzelnen werden demnach folgende Arten von Wechselwirkungen mit absteigender Intensitaumlt unter-schieden

a) Wasserstoffbruumlckenbindung X-H hellip Y Hierbei bildet sich voruumlbergehend eine chemische Bindung zwischen dem polar gebundenen Wasserstoff und einem elektronegativen und mit einem freien Elektronenpaar ausgestatteten Element Y

b) Wechselwirkungen zwischen permanenten Dipolen hier besitzen alle Teilchen ein permanentes Dipolmoment Zwischen den entgegengesetzt geladenen Enden der Teilchen bauen sich dann konstant anziehende elektrostatische Wechselwir-kungen auf

c) Wechselwirkungen zwischen permanenten und induzierten Dipolen die Teil-chen mit permanentem Dipolmoment induzieren ein voruumlbergehendes Dipol-moment bei den benachbarten (zunaumlchst unpolaren) Teilchen In der Folge ergibt sich eine anziehende elektrostatische Wechselwirkung

d) Wechselwirkungen zwischen induzierten Dipolen durch spontane Polarisierung eines Teilchens entsteht ein voruumlbergehendes Dipolmoment welches bei einem benachbarten Teilchen eine Polarisierung hervorruft In der Folge ergibt sich eine kurzfristige und sehr schwache elektrostatische Anziehung zwischen den Teilchen Man spricht dabei auch von der Dispersionswechselwirkung oder der Londonschen Wechselwirkung

Alle diese Effekte sind anziehender Natur und gehen damit in den Parameter a ein Fasst man die beiden Parameter a und b zusammen so entsteht mit der van-der-Waals-Gleichung eine recht zuverlaumlssige Zustandsgleichung fuumlr reale Systeme die sowohl die abstoszligenden als auch die anziehenden Wechselwirkungen beruumlcksichtigt

Ein guter Test fuumlr diese reale Zustandsgleichung ist die Berechnung eines Diagramms von P gegen V fuumlr verschiedene Temperaturen das so genannte P-V-Diagramm und die Gegen-uumlberstellung mit dem entsprechenden experimentellen P-V-Diagramm eines realen Gases Gemaumlszlig der van-der-Waalsrsquoschen Gleichung existieren abhaumlngig von der betrachteten Tempe-ratur drei Typen von Isothermen (Abb 23 links) solche die einer Hyperbel aumlhneln (1) eine einzelne Isotherme die einen Wendepunkt mit waagrechter Tangente besitzt (2) und solche die ein Minimum ein Maximum und einen Wendepunkt aufweisen (3) Das experimentell beobachtete Verhalten stimmt in den ersten beiden Faumlllen recht gut uumlberein weicht aber bei Isothermen des dritten Typs deutlich vom berechneten Verlauf ab (Abb 23 rechts)

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P

V

PV-Diagramm nachvan-der-Waals-Gleichung

1 2

3

P

V

3

experimentell bestimmtesPV-Diagramm f reales Gas

Abb 23 PV-Diagramme fuumlr reale Gase berechnet nach van der Waals (links) und experimentell bestimmt (rechts) Die drei typischen Formen der Isothermen (1 2 und 3) sind im Text beschrieben

Offensichtlich beschreibt die van-der-Waals-Gleichung das Verhalten eines realen Gases in der Umgebung des Wendepunkts weniger gut Experimentell stellt man allerdings fest dass in diesem Bereich tatsaumlchlich auch kein reines Gas sondern vielmehr eine Mischung aus einem Gas und einer kondensierten Fluumlssigkeit also ein Zweiphasenzustand vorliegt Dieser Zwei-phasenbereich beginnt am Wendepunkt der Isothermen des Typs 2 und schlieszligt alle Minima Maxima und Wendepunkte der Isothermen des Typs 3 ein (Abb 24 links)

P

V

Zweiphasen-gebiet

P

V

Zweiphasen-gebiet

Maxwell-Maxwell-KorrekturKorrektur

Zweiphasen-Gebiet

Zweiphasen-Gebiet

A1

A2

Abb 24 PV-Diagramme fuumlr reale Gase mit eingezeichnetem Zweiphasengebiet Der in diesem Bereich bei der Beschreibung nach van der Waals gegebene Fehler kann in guter Naumlherung durch die Maxwell-Korrektur kompensiert werden

Eine einfache Korrektur der van-der-Waals-Gleichung ermoumlglicht eine realistische Beschrei-bung des Zweiphasengebiets Eine horizontale Gerade wird so in der Naumlhe des Wendepunktes gelegt dass die oberhalb und unterhalb der Geraden im Zweiphasenbereich gebildeten Teilflaumlchen A1 und A2 die gleiche Groumlszlige besitzen (sog Maxwell-Korrektur s Abbildung 24 rechts) Dies sieht zwar nach einer etwas willkuumlrlichen Hilfskonstruktion aus trotzdem laumlsst sich damit das Verhalten eines realen Gases im Zweiphasengebiet sehr gut nachvollziehen und vorhersagen Eine besonders ausgewiesene Position im PV-Diagramm eines realen Gases ist der Scheitel-punkt des Zweiphasengebiets der durch den Wendepunkt der Isotherme des Typs 2 gebildet wird (Abb 25)

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P

V

Zweiphasen-gebiet Tc

Pc

Vc

kritischer Punkt

Jedes reale Gas besitzt einen sogenannten kritischenPunkt der durch die kritischen Zustandsgroumlszligen Tc Pc undVc beschrieben wird Die kritische Temperatur Tc istdiejenige Temperatur bei der sich ein Gas unter Druckgerade noch verfluumlssigen laumlszligt Oberhalb der kritischenTemperatur existiert kein fluumlssiger Zustand Derentsprechende Druck Pc wird als kritischer Druckbezeichnet

Die Isotherme die der kritischen Temperatur zugeordnetist besitzt als einzige einen Wendepunkt mit horizontalerTangente der gleichzeitig den kritischen Punkt markiert

Abb 25 PV-Diagramm fuumlr ein reales Gas mit kritischem Punkt

Dieser sogenannte kritische Punkt wird durch die kritische Temperatur Tc den kritischen Druck Pc und das kritische Molvolumen Vc festgelegt Zustaumlnde oberhalb des kritischen Punkts nennt man uumlberkritisch Uumlberkritisches Kohlendioxid besitzt in der Technik groszlige Bedeutung fuumlr das Loumlsen und Ausfaumlllen von pharmazeutischen Wirkstoffen (zB Aspirin fuumlr Brausetabletten) fuumlr die Extraktion (zB bei der Entkoffeinierung von Kaffee) oder zur chemischen Reinigung von Textilien

35 Andere Zustandsgleichungen fuumlr reale Gase

Neben der van-der-Waals-Gleichung existieren weitere Ansaumltze zur Beschreibung realer Gase die zwar eine genauere Anpassung an die gemessenen Werte ermoumlglichen aber auch kompli-zierter sind oder mehr Arbeit bei der Bestimmung der charakteristischen Parameter erfordern Im Folgenden seien als Beispiele die Berthelot-Gleichung und die Virialgleichung erwaumlhnt

a Berthelot-Gleichung (P + (Ansup2)(TVsup2) ) (V - nB) = n R T Berthelot fuumlhrte damit als Besonderheit einen temperaturabhaumlngigen Binnendruck ein Dies ist insoweit physikalisch gerechtfertigt als die vermehrte thermische Bewegung der Ausbildung von Wechselwirkungen zwischen den Molekuumllen entgegenwirken kann

b Virialgleichung P Vm = A + B P + C Psup2 + D Psup3 + Mit Vm = Vn Die Virialgleichung nutzt die Tatsache dass sich fast alle physikalischen Zusammenhaumlnge uumlber einen Potenzreihenansatz a + bx + cxsup2 + dxsup3 + hellip beliebig genau annaumlhern lassen Je nach Anzahl der anpassbaren Parameter ist zwar eine beliebig genaue Beschreibung des realen Gases moumlglich allerdings steigt auch der Aufwand fuumlr die Bestim-mung aller Koeffizienten

36 Beschreibung von Fluumlssigkeiten

Im PV-Diagramm der realen Gase schlieszligt sich links vom Zweiphasengebiet der Bereich der fluumlssigen Phase an Sie zeichnet sich dadurch aus dass mit sinkendem Volumen der Druck ex-trem steil ansteigt Das bedeutet dass bereits eine geringfuumlgige Volumenabnahme mit einem aumluszligerst groszligen Druckanstieg verbunden ist In der Praxis hat das zur Folge dass Fluumlssigkeiten im Gegensatz zu Gasen kaum komprimierbar sind ihre Kompressibilitaumlt geht gegen Null Auch ist die Ausdehnung der Fluumlssigkeiten bei steigender Temperatur und bei konstantem

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Druck (der thermische Ausdehnungskoeffizient) sehr viel kleiner als bei Gasen Eine einfache allgemeine Zustandsgleichung fuumlr die fluumlssige Phase in Analogie zur idealen oder zur van-der-Waals-Gleichung existiert nicht Stattdessen findet man bei der experimentellen Bestimmung des Zusammenhangs zwischen P V und T fuumlr jede Fluumlssigkeit ein sehr charakteristisches Verhalten Vergleicht man die Messergebnisse verschiedener Fluumlssigkeiten untereinander so sind kaum Aumlhnlichkeiten auszumachen Daruumlber hinaus sind bestimmte Messungen (zB die Messung der Abhaumlngigkeit des Drucks vom Volumen bei konstanter Teilchenzahl und Temperatur) technisch sehr schwer zu realisieren Das Fehlen einer einheitlichen Zustandsgleichung V(TPn) fuumlr Fluumlssigkeiten liegt auch in deren komplexer Struktur begruumlndet Betrachtet man ein einzelnes Teilchen in der Fluumlssigkeit so liegt es bezuumlglich der Abstaumlnde zu seinen naumlchsten Nachbarn stets in der Naumlhe des Mini-mums einer Potentialkurve Epot(r) die einen sehr steilen Verlauf besitzt Die Abstaumlnde zu den benachbarten Teilchen sind damit nahezu fixiert folglich ist eine unabhaumlngige Translations-bewegung einzelner Teilchen praktisch unmoumlglich Stattdessen verlaufen alle Bewegungs-prozesse mehr oder weniger kollektiv also unter gleichzeitiger Verschiebung mehrerer Teilchen Daruumlber hinaus gibt es keine nennenswerten freien Volumina so dass der mittlere Abstand der Teilchen nur unwesentlich verringert werden kann ein Umstand der sich in der bereits erwaumlhnten geringen Kompressibilitaumlt aumluszligert Ein Modell fuumlr eine allgemeine Fluumlssigkeit laumlsst sich im Rahmen einer Computersimulation einfuumlhren Man betrachtet dabei einen wuumlrfelfoumlrmigen Raum der einen Ausschnitt aus dem Fluumlssigkeitsvolumen darstellen soll und eine endliche Anzahl n von Fluumlssigkeitsteilchen (zB n = 1000) enthaumllt Um die Zahl der Teilchen konstant zu halten und dabei trotzdem deren Beweglichkeit zu wahren wird eine Kontinuitaumltsbedingung eingefuumlhrt Jedes Teilchen das im Rahmen der Bewegungsprozesse den Wuumlrfel an einer gegebenen Stelle verlaumlsst tritt automatisch an der genau gegenuumlberliegenden Position des Wuumlrfels wieder ein Auf diese Weise ist gewaumlhrleistet dass die Zahl der Teilchen im Wuumlrfel konstant bleibt (Abb 26)

Abb 26 Simulation von Bewegungs-vorgaumlngen in einem Fluumlssigkeitsvolumen unter Wahrung einer konstanten Partikel-anzahl Jedes Teilchen das im Rahmen der Bewegungsprozesse den Wuumlrfel an einer gegebenen Stelle verlaumlsst tritt automatisch an der genau gegenuumlberliegenden Position des Wuumlrfels wieder ein

An diesem System fuumlhrt man nun eine so genannte Monte-Carlo-Simulation durch Dabei setzt ein Zufallsgenerator eine geringfuumlgige Verschiebung eines beliebigen einzelnen Teil-chens in Gang Anschlieszligend wird unter Verwendung des bekannten Potentialverlaufs Epot(r) berechnet wie sich nach der Verschiebung die potentielle Energie des Systems veraumlndert hat Danach entscheidet das Simulationsprogramm zwischen zwei Moumlglichkeiten

- Hat sich die gesamte potentielle Energie des Systems durch die Verschiebung verringert oder blieb sie konstant so wird die Verschiebung akzeptiert und der naumlchste Schritt berechnet - Hat sich die gesamte potentielle Energie durch die Verschiebung um den positiven Wert E erhoumlht so wird die Verschiebung mit einer Wahrscheinlichkeit die von E abhaumlngt akzeptiert und ansonsten verworfen Danach wird der naumlchste Schritt berechnet

Auf diese Weise kann man fuumlr beliebige Fluumlssigkeiten sowohl die typischen Bewegungs-prozesse als auch die einflussbedingten Veraumlnderung von Zustandsgroumlszligen (zB P in Ab-

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haumlngigkeit von V) berechnen Allerdings sind die Rechnungen bei den fuumlr eine realistische Beschreibung eines Fluumlssigkeitsvolumens notwendigen groszligen Teilchenzahlen sehr aufwaumlndig und zeitintensiv

37 Beschreibung von Festkoumlrpern

Begibt man sich im P-V-Diagramm vom fluumlssigen Zustand ausgehend noch weiter nach links (zu kleineren Volumina houmlheren Drucken und niedrigeren Temperaturen) so erreicht man den festen Zustand Die Problematik der Zustandsgleichung V(TPn) von Festkoumlrpern aumlhnelt jener der Fluumlssigkeiten Auch hier sind die Kompressibilitaumlten und die thermischen Aus-dehnungskoeffizienten uumlblicherweise sehr viel geringer als bei Gasen Ebenso wie bei Fluumls-sigkeiten sind dabei die Unterschiede zwischen einzelnen Vertretern der Festkoumlrper recht groszlig so dass keine gemeinsame Zustandsgleichung wie bei Gasen formuliert werden kann Im Vergleich mit den Werten der Fluumlssigkeiten sind die Kompressibilitaumlten und die thermischen Ausdehnungskoeffizienten der Festkoumlrper durchschnittlich nochmals um etwa zwei Groumlszligen-ordnungen geringer

Abb 27 Torsionsexperiment zur Unterscheidung zwischen Fluumlssigkeiten und Festkoumlrpern (s Text)

Der wesentliche Unterschied zwischen Festkoumlrpern und Fluumlssigkeiten besteht allerdings in ihrem gegensaumltzlichen Verhalten bezuumlglich Verformung waumlhrend Fluumlssigkeiten einer gege-benen Verformung durch ihre Zaumlhigkeit (Viskositaumlt) Widerstand leisten reagiert ein Fest-koumlrper auf eine Verformung durch eine elastische Deformation Dieses Verhalten wird in einem Torsionsrheometer deutlich wobei eine feste oder fluumlssige Probe periodisch mit einer torsionsartigen Verformung beaufschlagt wird (Abb 27) Waumlhrend der Drehmomentverlauf des Festkoumlrpers exakt gleichphasig zur periodischen Aus-lenkung erfolgt (elastische Verformung) ist der Drehmomentverlauf der Fluumlssigkeit dazu um ein Viertel einer Wellenlaumlnge phasenverschoben (viskose Reaktion) Bei Fluumlssigkeiten ist der Widerstand dann maximal wenn die Deformationsgeschwindigkeit maximal ist (blaue Linie

t

Dre

hmom

entv

erla

uf

tAusl

enku

ng

Festkoumlrper

t

Dre

hmom

entv

erla

uf

Fluumlssigkeiten

Pruumlfkoumlrper

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in Abb 26) Bei Festkoumlrpern ist die Kraft dann maximal wenn der Deformationszustandmaximal ist (rote Linie in Abb 27) Viele Festkoumlrper stellen Uumlbergaumlnge zwischen diesen beiden Extremfaumlllen dar und werden dann als viskoelastisch bezeichnet Aus der Betrachtung von Messergebnissen an einer Viel-zahl von Materialien geht hervor dass eine eindeutige Abgrenzung zwischen dem fluumlssigen und dem festen Zustand selten moumlglich ist Entsprechend gibt es auch unterschiedliche Strukturmodelle die teilweise das elastische Verhalten teilweise das plastische Verhalten von Festkoumlrpern erklaumlren Dem elastischen Festkoumlrper mit nahezu verschwindender Phasen-verschiebung wird am ehesten das Modell eines idealen Kristalls gerecht Man geht dabei davon aus dass jedes Atom bzw Molekuumll aus dem der Festkoumlrper zusammengesetzt ist sich an einem geometrisch festgelegten Gitterpunkt befindet von dem es sich nicht entfernen kann Als Bewegungsprozess ist dabei lediglich eine Schwingung mit begrenzter Amplitude moumlglich Die denkbaren Geometrien der Gitterstrukturen reichen von primitiv-kubischen Gittern (zB Natriumchlorid) uumlber kubisch-dichteste (zB Silber Kupfer) und hexagonal-dichteste Kugelpackungen (zB Magnesium Zink) bis zur kubisch-raumzentrierten Struktur (zB Eisen Molybdaumln) Haumlufig findet man leichte Abweichungen von der idealen Gitter-struktur die durch lokale Stoumlrungen hervorgerufen werden Akzeptiert man gewisse Anteile an viskosem Verhalten (dh eine leichte Phasenverschiebung) so begibt man sich in den Grenzbereich zwischen Festkoumlrpern und Fluumlssigkeiten In einem Material wie Glas ist die regelmaumlszligige Anordnung eines Gitters nicht gegeben die Atome sind unregelmaumlszligig positioniert und koumlnnen unter Belastung auch flieszligen Solche nicht-kristallinen Festkoumlrper bezeichnet man als amorph Typische Vertreter amorpher Feststoffe sind Fenster-glas viele transparente Kunststoffe (zB Plexiglas Polyester in Getraumlnkeflaschen) Wachs und Aumlhnliches Amorphe Festkoumlrper besitzen keinen Schmelzpunkt sondern erweichen bei steigender Temperatur allmaumlhlich Amorphe Festkoumlrper koumlnnen nachtraumlglich kristallisieren wobei sich haumlufig das aumluszligere Erscheinungsbild und die physikalischen Eigenschaften drastisch aumlndern (zB Plastikfolie unter Zug)

38 Das Phasendiagramm

Die drei wichtigsten Phasenzustaumlnde zu denen sich eine makroskopische Gesamtheit von Atomen oder Molekuumllen zusammenfinden koumlnnen sind also Gase Fluumlssigkeiten und Festkoumlrper Die Frage ist nun unter welchen Bedingungen sich ein System fuumlr den ersten den zweiten oder den dritten Zustand entscheidet Erfahrungsgemaumlszlig haumlngt der gegebene Phasenzustand von den in Kapitel 31 eingefuumlhrten Zustandsparametern n V P und T ab Legt man die Stoffmenge n auf einen Wert fest (zB auf ein Mol Teilchen) und beruumlcksichtigt man dass nach den gegebenen Zustandsgleichungen die Groumlszligen n V P und T miteinander verknuumlpft sind so genuumlgen zwei Parameter um den jeweils guumlnstigsten Phasenzustand eindeutig festzulegen Ein Diagramm bei dem einer der Parameter V P und T gegen einen anderen aufgetragen wird eignet sich also prinzipiell um bei einer gegebenen Teilchenart den unter diesen Bedingungen jeweils angestrebten Phasenzustand zu markieren So kann man gemaumlszlig den Abbildungen 23 bis 25 in einem Diagramm bei dem P gegen V aufgetragen wird schon den jeweils gegebenen Phasenzustand eintragen und ablesen In der Praxis eignen sich solche PV-Diagramme allerdings wenig um Phasenzustaumlnde zu markieren der gasfoumlrmige Zustand nimmt einen sehr breiten Raum ein waumlhrend der fluumlssige und der feste Zustand in dem sehr engen Bereich links neben dem Zweiphasengebiet bdquoeingequetschtldquo waumlre Vor allem in diesem Umfeld waumlre das Diagramm schwer ablesbar

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Wesentlich guumlnstiger ist dagegen die Auftragung vom Druck P gegen die Temperatur T In diesem PT-Diagramm das auch als Phasendiagramm bezeichnet wird lassen sich alle Phasenzustaumlnde uumlbersichtlich zuordnen Dabei bezeichnen Flaumlchenanteile im PT-Diagramm die unter den gegebenen Druck- und Temperaturbedingungen angestrebte Phase (zB fest fluumlssig gasfoumlrmig) waumlhrend Linien die dazwischen vorliegenden Gleichgewichte markieren und Phasengrenzlinien genannt werden (Abb 28)

T

Pfe

st

fluumlss

ig

gasfouml

rmig

kritischerPunkt

Tripel-punkt

Phasengrenzlinie

Abb 28 Phasendiagramm mit Auftragung des Drucks (P) gegen die Temperatur (T)

Auszligerdem enthaumllt ein Phasendiagramm gewoumlhnlich mindestens zwei besonders ausgezeich-nete Punkte den Tripelpunkt an dem die drei im Allgemeinen wichtigsten Phasenzustaumlnde fest fluumlssig und gasfoumlrmig miteinander im Gleichgewicht stehen und den bereits aus dem PV-Diagramm bekannten kritischen Punkt der das Ende eines definierten Uumlbergangs zwischen fluumlssiger und gasfoumlrmiger Phase markiert Beispiele fuumlr Phasendiagramme Kohlen-dioxid und Wasser sind in Abbildung 29 und 30 wiedergegeben

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T

P

fest

fluumlss

iggasfoumlrmig

kritischerPunkt

Tripel-punkt

2168 K

511 bar

CO2

3042 K

728 bar

Abb 29 Phasendiagramm fuumlr Kohlendioxid

T

P

fluumlss

ig

gasfoumlrmig

kritischerPunkt

H2O

Eis 1

Eis 1

Eis 2 Eis 3

Eis 5

Eis 6

Tripelpunkt6473 K

218 bar

6 mbar 27316 K

Abb 30 Phasendiagramm fuumlr Wasser Der Bereich oberhalb von 200 bar ist aus Gruumlnden der

Uumlbersichtlichkeit entlang der P-Achse komprimiert dargestellt

Eine wichtige Besonderheit des Phasenverhaltens von Wasser ist die Tatsache dass die Phasengrenzlinie zwischen fluumlssigem Wasser und Eis 1 eine negative Steigung aufweist Dies hat zur Folge dass gewoumlhnliches Eis durch Erhoumlhung des Drucks zum Schmelzen gebracht werden kann Dieser Umstand ist eine der Ursachen dafuumlr dass eine Kufe auf Eis gleitet da der durch das Schmelzen entstehende Wasserfilm die Reibung vermindert (allerdings spielt hier auch die Reibungswaumlrme eine Rolle) Der Grund fuumlr dieses Verhalten steht in direkter Verbindung mit der strukturbedingten Volumenabnahme beim Schmelzen von Eis (s Videos unter httpwwwyoutubecomwatchv=6s0b_keOiOU und httpswwwyoutubecomwatchv=CDTZoFGmZoc )

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Waumlhlt man in einem Phasendiagramm eine Kombination von Druck und Temperatur so kann man direkt denjenigen Phasenzustand ablesen den die gegebene Teilchenart unter diesen Bedingungen anstrebt Das heiszligt jedoch nicht dass dieser Zustand dann auch in jedem Fall und zu jeder Zeit vorliegt Haumlufig beobachtet man eine so genannte kinetische Hemmung einer Phasenumwandlung So gibt es unterkuumlhlte Fluumlssigkeiten (zB Regentropfen bei -3degC) genauso wie unterkuumlhlte Dampfphasen (zB uumlbersaumlttigten Wasserdampf in Gewitterwolken) oder uumlberhitzte Fluumlssigkeiten (zB uumlberhitztes Wasser bei einem Siedeverzug) Kristalli-sationskeime wie Staubkoumlrner koumlnnen Phasenumwandlungen beschleunigen (zB durch Staub verursachter bdquoIndustrieschneeldquo) Bisher wurden lediglich Phasendiagramme von reinen Stoffen betrachtet die nur aus einer einzelnen Sorte Atomen oder Molekuumllen bestehen Mischt man einem gegebenen Stoff eine weitere Komponente hinzu so aumlndert sich das Phasendiagramm erheblich Als Beispiel betrachten wir ein System in dessen fluumlssiger Phase ein Fremdstoff A geloumlst wird der weder im Festkoumlrper noch im der Gasphase loumlslich ist (zB Kochsalz in Wasser) In diesem Fall dehnt sich der fluumlssige Bereich des Phasendiagramms mit steigender Konzentration von A in alle Richtungen aus so dass gleichzeitig der Schmelzpunkt erniedrigt der Siedepunkt erhoumlht und der Dampfdruck verringert wird (Abb 31) In erster Naumlherung sind alle genannten Aumlnderungen proportional zu cA

T

P

fest

fluumlss

ig

gasfouml

rmig

Abb 31 Phasendiagramm fuumlr ein System in dessen fluumlssiger Phase ein Fremdstoff mit steigender

Konzentration cA geloumlst wird Der Bereich der fluumlssigen Phase dehnt sich daraufhin in alle

Richtungen aus

Bei weiter steigender Konzentration von A kann ein Punkt erreicht werden an dem die Mischung in zwei getrennte Bereiche zerfaumlllt die ebenfalls als Phasen bezeichnet werden (zB Olivenoumll und Wasser) Eine dieser Phasen besitzt dann einen hohen Loumlsemittelanteil bei geringer Konzentration von A die andere besteht aus einem hohen Anteil an A mit einem geringen Gehalt an Loumlsemittel Dieser Vorgang der Phasenseparation binaumlrer (aus zwei Komponenten bestehender) Systeme wird durch eine andere Art von Phasendiagramm beschrieben dem so genannten Mischphasendiagramm (Abb 32) Hierbei wird die Tempe-

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ratur dem relativen Anteil einer Komponente gegenuumlbergestellt der Druck wird als konstant angenommen

Abb 32 Allgemeine Darstellung eines Mischphasendiagramms

Grundsaumltzlich gibt die linke Flanke der Phasentrennlinie (links des kritischen Punkts) die Zusammensetzung der bdquoA-armenldquo Phase an waumlhrend die rechte Flanke (rechts des kritischen Punkts) die Zusammensetzung der A-reichen Phase beschreibt Die Mengen der dabei gebildeten Phasen koumlnnen nach dem so genannten Hebelgesetz berechnet werden Demnach gilt zwischen dem Anteil n1 der A-armen Phase 1 dem Anteil n2 der A-reichen Phase 2 und den Laumlngen der Pfeile s1 und s2 in der vorhergehenden Abbildung folgender Zusammenhang

n1 s1 = n2 s2

Fuumlr das gezeigte Beispiel wuumlrde das bedeuten dass der Anteil der Phase 1 etwa doppelt so groszlig waumlre wie der Anteil der Phase 2 In der Naumlhe der beiden Raumlnder des Diagramms also fuumlr xA 0 (sehr wenig A im Loumlsemittel) oder xA 1 (sehr wenig Loumlsemittel in A) liegen in den meisten Faumlllen einphasige homogene Mischungen vor Das besagt dass auch bei niedrigen Temperaturen ein wenig von dem Stoff A im Loumlsemittel bzw ein wenig Loumlsemittel im Stoff A loumlslich ist Der im Diagramm eingezeichnete kritische Punkt bedeutet dass oberhalb der dazugehoumlrigen kritischen Temperatur keine Entmischung mehr erfolgt dh hier sind die beiden Komponenten vollstaumlndig und in jedem Verhaumlltnis miteinander mischbar Neben solchen oberen kritischen Punkten gibt es auch untere kritische Punkte Im zweiten Fall gilt dass die beiden Komponenten unterhalb einer bestimmten Temperatur in jedem Verhaumlltnis miteinander mischbar sind Im Allgemeinen koumlnnen die drei verschiedenen Faumllle auftreten die in Abbildung 33 dargestellt sind

0 Molenbruch xA der Komponente A 1

Tem

pera

tur

obere kritischeTemperatur

Einphasen-gebiet

Zweiphasen-gebiet

Beispiel xA = 04

T1

Zum gezeigten Beispiel

Eine Mischung mit dem Molenbruch xA = 04 wird von T2 nach T1 abgekuumlhltDabei zerfaumlllt die Mischung bei Tklsquo in zwei Phasen derenZusammensetzung bei T1auf der x-Achse an den Punkten 1 und 2 ablesbar ist

T2

Tklsquo

1 2

kritischer Punkt

s1 s2

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0 xA 1

Tem

pera

tur

System mit oberem kritischen Punkt

kritischer Punkt

0 xA 1Te

mpe

ratu

r

System mit unterem kritischen Punkt

kritischer Punkt

0 xA 1

Tem

pera

tur

System mit oberem und unterem

kritischen Punkt

kritischer Punkt

kritische Punkte

Abb 33 Moumlgliche Varianten von kritischen Punkten bei Systemen aus zwei Komponenten

Obere kritische Punkte findet man dann wenn sich die molekulare thermische Bewegung gegen die Tendenz der Molekuumlle sich mit gleichartigen Molekuumllen zusammenzulagern durchsetzt Dieses Phaumlnomen ist sehr verbreitet so dass ein oberer kritischer Punkt bei sehr vielen Mischphasen beobachtet wird Untere kritische Punkte sind sehr viel seltener Sie treten beispielsweise dann auf wenn die beiden Komponenten miteinander bei tiefen Temperaturen einen Komplex bilden der bei houmlheren Temperaturen wieder zerfaumlllt und dann zu einer Phasenseparation fuumlhrt Ein Beispiel dafuumlr ist die Mischung aus Wasser und Triethylamin

Fuumlr Mischphasen aus drei Komponenten so genannte ternaumlre Mischungen sind die bisher gezeigten Darstellungen ungeeignet Hierfuumlr haben sich Dreiecksdiagramme (Gibbssches Phasendreieck) durchgesetzt die das Phasenverhalten unter Variation der Mengenbeitraumlge aller drei Komponenten aufzeigen (Abb 34) Das Diagramm ist so geartet dass die Summe aller drei Mengenanteile xA xB und xC in jedem Fall den Wert 1 ergibt Damit besitzt die Zusammensetzung des ternaumlren Gemisches zwei Freiheitsgrade Jede Linie die durch eine Ecke des Diagramms fuumlhrt verbindet diejenigen Punkte bei denen das Verhaumlltnis zweier Komponenten gleich ist Jede Linie die parallel zu einer der drei Seiten verlaumluft entspricht Gemischen bei denen der relative Anteil einer Komponente gleich bleibt

00 02 04 06 08 10Komponente A

00

02

04

06

08

10

Kom

pone

nte

B

0002

04

06

08

10

Komponente C

C

A

B

00 02 04 06 08 10Komponente A

00

02

04

06

08

10

Kom

pone

nte

B

00

02

04

06

08

10

Komponente C

x1

x2x

Abb 34 Prinzip eines ternaumlren Phasendiagramms nach Gibbs (Dreiecksdiagramm)

In solche ternaumlren Mischphasendiagramme lassen sich nun entsprechend den binaumlren Mischphasendiagrammen die Ein- und Zweiphasengebiete einzeichnen Das Diagramm in

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Abb 34 rechts gilt zB fuumlr eine ternaumlre Mischung aus A B und C bei der die Komponenten A und B sowie B und C jeweils paarweise in jedem Verhaumlltnis miteinander mischbar sind Die Komponenten A und C sollen dagegen nur begrenzt mischbar sein Als Konsequenz daraus ergibt sich ein Dreiecksdiagramm das an der unteren Achse die dem Anteil 0 der Komponente B entspricht ein Zweiphasengebiet aufweist

Die Hilfslinien im Zweiphasengebiet markieren die Zusammensetzung der entstehenden Einzelphasen So wuumlrde beispielsweise eine Mischung deren Zusammensetzung im Diagramm durch den Punkt x markiert ist in die beiden Phasen x1 und x2 zerfallen Die Mengenanteile der beiden Phasen koumlnnten dabei wieder uumlber das Hebelgesetz berechnet werden Um zusaumltzlich den Einfluss der Temperatur wiederzugeben muss eine weitere Koordinate eingefuumlhrt werden Man erhaumllt dabei ein dreidimensionales Dreiecksdiagramm das haumlufig unter Verwendung von Houmlhenlinien nach der Art einer topographischen Landkarte dargestellt wird Jede Houmlhenlinie des Zweiphasengebiets umschreibt dann seine Ausdehnung bei einer gegebenen Temperatur

Fragt man bei einem System mit bestehenden Randbedingungen nach der Zahl der frei variierbaren Zustandsgroumlszligen also nach der Zahl der Freiheitsgrade so haumlngt die Antwort zunaumlchst davon ab in welchem Phasenzustand sich das System befindet So kann man beispielsweise in der Gasphase (bei festgelegter Stoffmenge) Temperatur und Druck frei waumlhlen wodurch dann automatisch das Volumen festgelegt wird Gleiches gilt fuumlr die feste und die fluumlssige Phase Das System hat innerhalb eines Phasenzustands also zwei Freiheits-grade Setzt man allerdings voraus dass sich das System in einem Gleichgewicht zwischen zwei Phasen befindet (zB auf der Verdampfungslinie) so besitzt es nur einen Freiheitsgrad Am Tripelpunkt schlieszliglich bei einem Gleichgewicht zwischen drei Phasen sind keine Freiheitsgrade mehr vorhanden Zwischen der Zahl der Phasen P und der Zahl der Freiheitsgrade F gibt es also folgende einfache Beziehung

F = 3 - P

Beruumlcksichtigt man weiter dass auch mehr als eine Komponente auftreten kann (Zahl der Komponenten C gt 1) so erhoumlht sich die Zahl der Freiheitsgrade um jede zusaumltzliche Komponente deren Konzentration ja frei waumlhlbar ist um den Wert eins Man erhaumllt damit

F = 3 - P + (C - 1) oder F = C - P + 2

Nach dieser allgemeinguumlltigen Formel der so genannten Gibbsrsquoschen Phasenregel laumlsst sich die Zahl der Freiheitsgrade in jedem beliebigen System bestimmen Sie erlaubt insbesondere bei sehr komplizierten Mischungen mit einer unbekannten Anzahl an Phasenzustaumlnden uumlber eine einfache Betrachtung Ruumlckschluumlsse auf deren Phasenverhalten

Page 18: Vorlesung PC I Einführung in die Physikalische Chemierelaxation.chemie.uni-duisburg-essen.de/lehre/Skript_PC_2016_2017.pdf · Schwingungen möglich, deren Geometrie (d.h. die Zahl

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schlug vor die Elektronegativitaumlt ausgehend von der VB-Theorie als dimensionslose Kenn-groumlszlige fuumlr jedes einzelne Element einzufuumlhren Sie errechnet sich aus einem Vergleich der Dissoziationsenergien der beteiligten Elemente Demnach besitzt Francium als das am wenigsten elektronegative Element den Wert 070 und Fluor als das am staumlrksten elektro-negative Element den Wert 398 Eine Zwischenstellung nimmt zB Wasserstoff mit 220 ein Bei Bindungen zwischen Elementen mit unterschiedlicher Elektronegativitaumlt spricht man von polaren Bindungen Entlang einer polaren Bindung baut sich durch die ungleiche Elektronen-verteilung ein entsprechendes Dipolmoment auf das haumlufig Anlass fuumlr starke zwischen-molekulare Kraumlfte liefert (s Kapitel 3) Im Extremfall einer sehr polaren kovalenten Bindung kann das Bindungselektron (bzw die Bindungselektronen) praktisch allein dem elektronega-tiveren Element zugesprochen werden Das entsprechende Bindungsorbital besteht dann als Linearkombination von Atomorbitalen fast ausschlieszliglich aus einem Atomorbital welches das elektronegativere Element beisteuert In diesem Fall spricht man nach klassischer Definition von einer Ionenbindung

2 Die Elektronenspektroskopie an Atomen und Molekuumllen 21 Grundlagen der Spektroskopie

Elektronen in Atomen und Molekuumllen koumlnnen ndash soweit die Erkenntnis aus Kapitel 1 ndash durch Wellenfunktionen beschrieben werden Aus diesen kann man nicht nur die Aufenthaltswahr-scheinlichkeit an verschiedenen Positionen im Raum sondern auch die Energie des Elektrons ableiten Eine Folge der Beschraumlnkung der Elektronen auf bestimmte Wellenfunktionen mit jeweils bestimmter Energie ist dass sie auch nur in bestimmten Schritten Energie aufnehmen und abgeben koumlnnen Jede Aufnahme bzw Abgabe von Energie entlang dieses Schrittes ist generell mit der Aufnahme bzw Abgabe von elektromagnetischer Strahlung verbunden Diese Tatsache bildet die Grundlage der Spektroskopie im gegebenen Fall der Elektronenspektros-kopie

Allgemein gesprochen befasst sich die Spektroskopie mit der Wechselwirkung zwischen Strahlung und Materie Etwas genauer laumlsst sich aussagen dass die Spektroskopie unter-sucht mit welcher elektromagnetischen Strahlung sich welcher energetische Uumlbergang anre-gen laumlsst Zwischen der elektromagnetischen Strahlung und dem dabei bewirkten energeti-schen Uumlbergang gilt dann grundsaumltzlich folgende Beziehung Δ E = h ∙ ν mit ΔE als der Energiedifferenz zwischen den beiden Zustaumlnden (in Joule) ν (gesprochen bdquonuumlldquo) als Frequenz der verwendeten elektromagnetischen Strahlung (in 1s oder Hertz Hz) und h als dem so genannten Planckschen Wirkungsquantum (mit h = 6626∙10-34 Js) Somit ist jeder Frequenz ν im elektromagnetischen Spektrum (Abb 12) genau ein Energiewert Δ E zugeordnet Die dazugehoumlrige Wellenlaumlnge im Vakuum (in m) errechnet sich nach λ = c ν mit c als Lichtgeschwindigkeit (im Vakuum c = 299 792 458 ms)

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Abb 12 Elektromagnetisches Spektrum (Quelle Chemgapedia)

Fuumlr die genaue Messung welche Frequenz der elektromagnetischen Strahlung einem gegebe-nen Uumlbergang anzuregen vermag gibt es experimentell zwei verschiedene Ansaumltze Entweder man strahlt Energie auf das System ein und beobachtet den Verlust an Strahlungsintensitaumlt der dann beobachtet wird wenn die Strahlung einen Uumlbergang zu einem houmlheren Energieni-veau bewirkt (Absorption) oder man fuumlhrt dem System Energie zu (zum Beispiel thermisch) und beobachtet dann die Freisetzung von Energie als Strahlung (Emission) Im einen Fall erfuumlllt die Frequenz der absorbierten Strahlung im anderen Fall die der emittierten Strahlung die Frequenzbedingung ΔE = h ∙ ν Mit beiden Methoden kann man so exakt den Energie-unterschied zwischen zwei Energieniveaus ausmessen Die Bestimmung der Werte fuumlr die charakteristischen Energieschritte ΔE eines Systems ist die Hauptaufgabe der Spektroskopie Sie eignet sich insbesondere um elektronische Wellenfunktionen eines Systems zu erkunden

22 Elektronenspektroskopie am eindimensionalen Potentialtopf

Das denkbar einfachste elektronische System ist der eindimensionale Potentialtopf Dennoch kann auch dieses Modell schon in grober Naumlherung auf Molekuumlle angewandt werden speziell auf solche mit annaumlhernd linearen Delokalisationssystemen (s Kapitel 14) Ein Beispiel ist die Reihe Butadien Hexatrien Oktatetraen usw Bildet man mit Hilfe der Loumlsungen der Schroumldingergleichung fuumlr das eindimensionale Potentialtopfmodell einen Ausdruck fuumlr den elektronischen Uumlbergang zwischen dem houmlchsten besetzten Orbital (HOO) und dem niedrig-sten unbesetzten Orbital (LUO) so erhaumllt man fuumlr die damit verbundene Energiedifferenz gemaumlszlig der in Abbildung 5 gezeigten Formel

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ΔE = h ∙ ν = (nsup2LUO-nsup2HOO) ∙ hsup2 (8 me asup2)

Mit wachsender Laumlnge a und wachsender Elektronenzahl (jedes Kohlenstoffatom im Delokali-sationsgebiet traumlgt ein Elektron bei) steigen einerseits die Werte der Quantenzahlen n fuumlr das houmlchste besetzte Orbital (HOO) und das niedrigste unbesetzte Orbital (LUO) an andererseits steigt aber auch die Laumlnge L die quadratisch im Nenner der Gleichung steht Da letzteres insgesamt uumlberwiegt sinkt der Wert fuumlr ΔE und damit fuumlr die Frequenz ν schrittweise mit Anstieg der Kettenlaumlnge Liegt die absorbierte Lichtfrequenz anfaumlnglich im UV-Bereich so verschiebt sie sich beispielsweise fuumlr das Carotin mit 11 Doppelbindungen schon in den sichtbaren blauen Bereich Weil daher Carotin blaues Licht absorbiert erscheint es im Durchlicht betrachtet in der Komplementaumlrfarbe orange-gelb Nach diesem Prinzip lassen sich viele organische Farbstoffe interpretieren Aumlndert sich die Laumlnge bzw die Elektronenzahl (und damit nsup2LUO und nsup2HOO) durch die Protonierung des Molekuumlls so hat man es mit einem Farbstoff zu tun der mit dem pH-Wert seine Farbe aumlndert ndash dies ist die Grundlage vieler pH-Indikatoren

23 Elektronenspektroskopie am Wasserstoffatom

Die wissenschaftliche Spektralanalyse wurde in der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts gemeinsam durch GR Kirchhoff und RW Bunsen entwickelt Sie entdeckten dass alle Elemente beim Erhitzen Licht aussenden Nach Zerlegung des Lichts mit einem Glasprisma erhaumllt man ein fuumlr jedes Element charakteristisches Linienmuster das so genannte Spektrum (s auch UTube-Video bdquospectral lines demoldquo httpwwwyoutubecomwatchv=2ZlhRChr_Bw) Dieses Spektrum reflektiert die Gesamtheit der dem gegebenen Element eigenen elektronischen Uumlbergaumlnge und ist damit ein unverwechselbarer Fingerabdruck Elemente koumlnnen damit sowohl in der Emissionsspektroskopie als auch in der Absorptionsspektroskopie eindeutig und mit hoher Empfindlichkeit identifiziert werden

Die Elektronenspektroskopie kann jedoch noch deutlich mehr sie erlaubt die exakte Uumlber-pruumlfung der durch die Loumlsung der Schroumldingergleichung gefundenen elektronischen Wellen-funktionen Dies wurde zunaumlchst am Wasserstoffatom mit hoher Praumlzision betrieben Histo-risch gesehen ist die erste wichtige Lichtquelle fuumlr spektroskopische Analysen unsere Sonne Dies gilt insbesondere fuumlr das Spektrum des Wasserstoffs Da die Energie der elektronischen Zustaumlnde dort einzig und allein von der Hauptquantenzahl n abhaumlngt (s Kapitel 15) werden lediglich solche Spektrallinien beobachtet die sich genau einem gegebenen ΔE = E(n) - E(nlsquo) zuordnen lassen Zuerst wurde mit der Balmer-Serie der sichtbare Anteil des Spektrums ent-deckt der mit allen Uumlbergaumlngen von oder zu dem Niveau n = 2 verbunden ist (Abb 13) Es folgten spaumlter im UV-Bereich die Lyman-Serie mit n = 1 und im IR-Bereich die Paschen-Serie mit n = 3 die Brackett-Serie mit n = 4 sowie die Pfundt- und die Humphreys-Serie mit n = 5 und n = 6 (letztere sind in Abb 13 nicht mehr eingezeichnet) Weitere Serien mit houmlheren Quantenzahlen existieren tragen aber keine eigenen Namen mehr

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Wel

lenz

ahl

[100

0 cm

-1]

0

10

20

30

40

50

60

70

80

90

100

110Grundzustand

Lyman-serie

Balmer-serie

Paschen-serie

Brackett-serie

n = 5n = 4

n = 3

n = 2

n = 1

Gustav Robert Kirchhoff

Robert Wilhelm Bunsen

Abb 13 Wichtige elektronische Uumlbergaumlnge im Wasserstoffatom

Abbildung 14 zeigt das gesamte Wasserstoffspektrum die Kuumlrzel benennen die entsprechen-den Serien (Ly = Lyman Ba = Balmer etc)

Abb 14 Spektrum des Wasserstoffatoms Die Achse fuumlr die Wellenlaumlnge ist logarithmisch aufgetragen

Eine genaue Analyse ergibt dass sich das Schema der Energiedifferenzen nach Abb 13 fast genau mit den in Kapitel 15 besprochenen Loumlsungen der Schroumldingergleichung deckt Die aumluszligerst kleinen Abweichungen die man dennoch detektieren konnte lieszligen sich auf den Bei-trag des Kerns (trotz seiner hohen Masse kann er sich minimal mit dem Elektron mitbewegen) und des Isotopeneffekts zuruumlckfuumlhren der schwerere Deuteriumkern der aus einem Proton und einem Neutron besteht bewegt sich weniger leicht mit dem Elektron mit als das einsame Proton des bdquonormalenldquo Wasserstoffs Daneben zeigen sich bei sehr hoher Aufloumlsung des Spektrums auch relativistische Effekte die zu weiteren Aufspaltungen fuumlhren

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24 Elektronenspektroskopie an Atomen mit mehreren Elektronen

Aufgrund der Wechselwirkungen zwischen den Elektronen ist bei schwereren Elementen die beim Wasserstoff gegebene Entartung bezuumlglich der Quantenzahlen l und m aufgehoben Damit wird das Energiediagramm bereits fuumlr ein einfaches houmlheres Atom wie zum Beispiel Lithium schon deutlich komplizierter (Abb 15) Neben den Uumlbergaumlngen zwischen verschiede-nen Werten fuumlr n treten nun auch Uumlbergaumlnge zwischen s und p p und d d und f auf Manche Uumlbergaumlnge (zum Beispiel solche zwischen s- und d-Niveaus) werden allerdings gewoumlhnlich nicht beobachtet man nennt sie bdquoverbotenldquo bdquoErlaubtldquo sind nur solche Uumlbergaumlnge bei denen die Nebenquantenzahl sich um den Wert plusmn1 aumlndert (also eben von s nach p von p nach d usw) Die so genannte Auswahlregel welche die erlaubten Uumlbergaumlnge festlegt heiszligt folglich Δl = plusmn1

Als weitere Folge der Wechselwirkungen zwischen den Elektronen besitzt jedes houmlhere Atom ein eigenes und von Wasserstoff verschiedenes Energiediagramm Damit besitzt aber auch jedes Atom ein unverwechselbares Muster von Energieuumlbergaumlngen die es eindeutig kenn-zeichnet Dies laumlsst sich bereits in einfachen Versuchen anhand von Flammenfaumlrbungen zeigen Diejenigen Uumlbergaumlnge deren ΔE den Wellenlaumlngen im sichtbaren Spektrum entspricht (in Abb 15 sind dies die kuumlrzeren unter den eingezeichneten blauen Pfeilen) sorgen bei vielen Elementen fuumlr ein charakteristisches farbiges Leuchten (Abb 15 rechts)

Ener

gie

Wasserstoff Lithium

n = 1

2

3

45

1s

2s

2p

3s

4s

5s

3p

4p5p

3d

4d5d

Abb 15 Termschema von Lithium mit wichtigen elektronischen Uumlbergaumlngen (links) Durch Lithium verursachte Flammenfaumlrbung (rechts Quelle httpwwwitpuni-hannoverde~zawischaITPatomshtml)

Letztlich ist auch bei allen houmlheren Atomen die Elektronenspektroskopie eine ideale Methode um das Energieniveauschema experimentell zugaumlnglich zu machen Sie eignet sich daruumlber hinaus perfekt zur schnellen und empfindlichen Identifikation von Elementen Diese Tatsache

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macht man sich sowohl in der Atomabsorptionsspektroskopie (AAS) als auch in der Atom-emissionsspektroskopie (AES) zunutze Elektronenspektren sind unverwechselbare Finger-abdruumlcke mit denen alle Elemente in hoher Empfindlichkeit und selbst uumlber groszlige Distanzen hinweg sicher identifiziert werden koumlnnen

25 Elektronenspektroskopie an Molekuumllen

Genau wie die Atomorbitale sind auch Molekuumllorbitale der Elektronenspektroskopie zugaumlng-lich Durch die systematische Analyse aller elektronischen Uumlbergaumlnge lassen sich die Energie-niveaus in einem MO-Schema schrittweise ausmessen Besonders interessant wird dieser Ansatz bei der Untersuchung der Bindungsverhaumlltnisse Im Allgemeinen beobachtet man Uumlbergaumlnge zwischen bindenden und nicht bindenden Orbitalen einerseits und den uumlblicherweise unbesetzten antibindenden Orbitalen andererseits In Abb 16 ist dies am Beispiel einer C-O-Bindung in Formaldehyd gezeigt Im Mittelpunkt stehen dabei das binden-de und das antibindende σ-Orbital C-O das bindende und das antibindende π-Orbital C-O sowie das nicht bindende freie Elektronenpaar des Sauerstoffs (ein weiteres freies Elektronen-paar bleibt unbeteiligt)

Ener

gie

σ CO

σ CO

π CO

π CO

n O

C

H

H

O

σ-σ

Uumlbe

rgan

g

π-π

Uumlbe

rgan

gn-π Uumlber-gang

σ

Abb 16 Termschema der CO-Gruppe in Formaldehyd (links) Die beteiligten Bindungen und das im betrachteten Energiefenster liegende freie Elektronenpaar des Sauerstoffs sind rechts skizziert

Die drei wichtigsten Uumlbergaumlnge die an der C-O-Gruppe detektiert werden sind der σ-σ-Uumlbergang der π-π-Uumlbergang und der n-π-Uumlbergang Letzterer ist in einer C-O-Gruppe stets am energieaumlrmsten und kann bereits mit UV-Licht einer Wellenlaumlnge um 280 nm angeregt werden (schwarzer Pfeil in Abb 16) Energiereicher und intensiver ist bei der CO-Gruppe der π-π-Uumlbergang der bei Wellenlaumlngen um 170 nm angeregt wird (roter Pfeil in Abb 16) Daruumlber hinaus zeigt das Spektrum dass die beiden freien Elektronenpaare des Sauerstoffs stark unterschiedlichen Charakter besitzen (nur eines ist an dem n-π-Uumlbergang beteiligt das andere tritt im gegebenen Spektralbereich nicht in Erscheinung)

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Auf aumlhnliche Weise lassen sich alle MO-Schemata komplizierter Molekuumlle analysieren Lie-gen die Anregungsfrequenzen der Uumlbergaumlnge im sichtbaren Bereich so haben die Molekuumlle die Funktion von Farbstoffen Haumlufig besitzen sie dann laumlngere lineare Delokalisationsgebiete deren Elektronenspektren man dann auch in grober Naumlherung mit dem eindimensionalen Potentialtopfmodell beschreiben kann (s Kapitel 22) Werden Bindungselektronen angeregt und aumlndern sich im Verlauf der elektronischen Anre-gung die Bindungsverhaumlltnisse (beispielsweise bei Besetzung eines antibindenden Zustands) so ist mit der elektronischen Anregung zwangslaumlufig auch eine Aumlnderung des energetisch guumlnstigsten Bindungsabstands verbunden Damit einhergehend werden mechanische Schwin-gungen des Molekuumlls angeregt Mit den Molekuumllschwingungen verhaumllt es sich analog zu den elektronischen Zustaumlnden auch Molekuumllschwingungen existieren nur in bestimmten definierten Zustaumlnden die sich dann den elektronischen Zustaumlnden uumlberlagern (Abb 17) Die Folge davon ist dass die Elektronenspektren von Molekuumllen haumlufig keine scharfen Linien sondern breite Absorptionsbereiche (bdquoBandenldquo) aufweisen Alle Linien fuumlr die elektronischen Uumlbergaumlnge zerlegen sich demnach in eine Vielzahl von Einzellinien die verschiedene Schwingungszustaumlnde der benachbarten elektronischen Zustaumlnde miteinander verbinden (in Abb 17 sind exemplarisch neun verschiedene moumlgliche Uumlbergaumlnge eingezeichnet) Normaler-weise liegen alle diese Linien dicht beieinander so dass insgesamt eine verbreiterte Absorp-tionsbande entsteht

Ener

gie

elektronische Niveaus

Schwingungsniveaus

Abb 17 Zum Zustandekommen von breiten Absorptionsbanden in Elektronen-Schwingungsspektren Uumlberlagerung von elektronischen Uumlbergaumlngen mit Schwingungsuumlbergaumlngen Exemplarisch sind jeweils drei Schwingungsniveaus eingezeichnet

Das Elektronenspektrum eines Molekuumlls wird wegen der dazu verwendeten Frequenzbereiche im UV- und im sichtbaren (bdquovisibleldquo) Spektrum auch UV-vis-Spektroskopie genannt Die UV-vis-Spektroskopie dient neben der Aufklaumlrung der MO-Struktur auch der schnellen und bequemen Identifikation von chemischen Verbindungen Aufgrund ihrer im Absorptionsver-fahren sehr einfachen und preisguumlnstigen Messtechnik wird sie auch haumlufig in Kombination mit anderen analytischen Verfahren (zB der Chromatographie) verwendet Uumlber eine Bestim-mung der Intensitaumlt der Anregung kann auch eine quantitative Analyse einzelner Verbindun-gen erfolgen

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3 Das Zusammenwirken von Atomen und Molekuumllen 31 Der makroskopische Zustand von Materie Bisher sind nur einzelne Bausteine der Materie also Atome und Molekuumlle betrachtet worden Nun soll das makroskopische Erscheinungsbild von Materie ins Auge gefasst werden die aus einer Vielzahl von Atomen oder Molekuumllen besteht Um den Zustand dieser aus vielen Teilchen zusammengesetzten Materie uumlberhaupt als Gesamtheit zu beschreiben benoumltigt man zunaumlchst so genannte Zustandsparameter oder Zustandsgroumlszligen Die wichtigsten Vertreter dieser Kenngroumlszligen fuumlr makroskopische Materie sind die Stoffmenge n das Volumen V der Druck P und die Temperatur T

n Stoffmenge Die Stoffmenge wird uumlber die Teilchenzahl definiert

Einheit der Teilchenzahl 1 Mol

Definition Ein Mol eines Stoffes enthaumllt dieselbe Anzahl an Teilchen wie 0012 kg reiner Kohlenstoff des Isotops 12C (1 Mol 60221023

Teilchen) Dabei muss eindeutig festgelegt sein was unter einem Teilchen des Stoffes jeweils zu verstehen ist Ist die Stoffmenge konstant so spricht man von einem geschlossenen System

V Volumen Die Definition des Volumens erfolgt uumlber die festgelegte Laumlngeneinheit und den geometrischen Volumenbegriff

Einheit des Volumens 1 msup3

Definition Ein msup3 ist das Volumen eines wuumlrfelfoumlrmigen Raums mit einer Kantenlaumlnge von einem Meter Ist das Volumen konstant so spricht man von einem isochoren Vorgang

P Druck Die Definition erfolgt uumlber die Kraft die ein Stoff auf jede Flaumlcheneinheit eines ihn einschlieszligenden Behaumllters ausuumlbt

Einheit des Drucks 1 Pascal = 1 Pa = 1 Nmsup2 = 10-5 bar

Definition Ein Pascal ist der Druck bei dem auf jeden Quadratmeter der Behaumllterwaumlnde eine Kraft von 1 Newton ausgeuumlbt wird Ist der Druck konstant so spricht man von einem isobaren Vorgang

T Temperatur

Der sicherlich am schwierigsten fassbare Zustandsparameter makroskopischer Materie ist die Temperatur Zwar ist sie direkt mit der menschlichen Wahrnehmung verknuumlpft (kalt warm heiszlighellip) physikalisch jedoch zunaumlchst sehr undefiniert da sie nicht ohne weiteres auf andere physikalische Groumlszligen zuruumlckfuumlhrbar ist Am ehesten laumlsst sie sich im ersten Ansatz als diejenige Eigenschaft von Materie beschreiben die von einem Thermometer gemessen wird

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Zur Verwendung als Thermometer eignet sich prinzipiell jeder physikalische oder chemische Vorgang der reproduzierbar mit einer Temperaturaumlnderung verknuumlpft ist Klassisch sind dies insbesondere die Ausdehnungsvorgaumlnge von Gasen Fluumlssigkeiten und Festkoumlrpern (Abb 18)

Hg

Festkoumlrperthermometer werden gewoumlhnlich nach demPrinzip des Bimetall-Thermometers ausgelegt (ganzlinks) Dabei werden zwei verschiedene Festkoumlrper(zB zwei Bleche aus verschiedenen Metallen) flaumlchigmiteinander in Kontakt gebracht Bedingt durch dieunterschiedliche thermische Ausdehnung derMaterialien kruumlmmt sich das Bimetall-Blech abhaumlngigvon der Temperatur mehr oder weniger stark zu einerSpirale

Fluumlssigkeitsthermometer (Mitte) und Gasthermometer(rechts) nutzen die Volumenaumlnderung eines fluidenMediums mit der Temperatur Die Genauigkeit kannerhoumlht werden indem einem groszligvolumigen Vorrats-behaumllter ein relativ kleinvolumiger Ausdehnungs- undAblesebereich gegenuumlbergestellt wird

Abb 18 Thermometer die auf der Grundlage der temperaturbedingten Ausdehnung von Materie beruhen

In der Praxis kommen mehr und mehr die elektronischen Varianten der Temperaturmessung zum Zug die zumeist auf der Messung der Thermospannung basieren Neben der Messmetho-de ist die Festlegung einer Temperaturskala wichtig Dazu dienten zunaumlchst einige Fixpunkte die heute teilweise noch historische Bedeutung haben

1) Die tiefste Temperatur des Winters 17081709 in Danzig - 178 degC

2) Die Temperatur von schmelzendem Eis bei 760 Torr (760 Torr = 1 atm = 101 325 Pa) 0 degC

3) Koexistenztemperatur von Eis Wasser und Wasserdampf 001 degC (exakt)

4) Die durchschnittliche Koumlrpertemperatur eines gesunden Menschen 378 degC

5) Die Siedetemperatur des Wassers bei 760 Torr (1 atm = 101 325 Pa) 100 degC

Die Punkte 1 und 4 bildeten die Grundlage des Fahrenheit-Systems die Punkte 2 und 5 die der Celsius-Skala Bei beiden Systemen wurde der definierte Bereich zunaumlchst in 100 gleiche Teile (Grade) aufgeteilt dann extrapoliert Beide Definitionen wurden spaumlter verfeinert (Celsius 9999 Grade C zwischen den Fixpunkten 3 und 5 Fahrenheit 180 Grade F zwischen den Fixpunkten 1 und 5) Trotzdem mangelt es auszliger Punkt 3 allen genannten Fixpunkten an Genauigkeit und Reproduzierbarkeit

Das zweite Problem nach der Unvollkommenheit der Fixpunkte besteht in der Festlegung einer systemunabhaumlngigen linearen Teilung Gewoumlhnlich ist der Verlauf der Skala vom gewaumlhlten Medium abhaumlngig Eine lineare Teilung auf der Skala eines Quecksilber-thermometers entspricht daher nicht einer linearen Teilung auf der Skala eines Alkoholthermometers da die Ausdehnung bei jedem Medium in unterschiedlicher Weise von der Temperatur abhaumlngt

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Beide Probleme sowohl die Wahl der passenden Fixpunkte als auch die Definition einer sinnvollen linearen Teilung werden heute durch die Festlegung der so genannten absoluten Temperaturskala geloumlst Grundlage hierfuumlr sind uumlbereinstimmende Beobachtungen an Gasthermometern

-300 -200 -100 0 100 200

V

T

-27315degCBei wiederholten Messungen mit verschiedenenGasthermometern verschiedenen Gasen undGasvolumina und bei verschiedenen Drucken stelltman fest dass sich die Verlaumlngerungen aller in denjeweiligen Diagrammen erhaltenen Linien in einemPunkt schneiden Dieser Punkt entspricht auf derVolumenachse dem Wert V = 0 und auf derTemperaturachse dem Wert T = -27315 degC

Abb 19 Ausdehnungskurven verschiedener Gase Die Temperaturskala ist zunaumlchst noch in Celsius aufgetragen

Aus dieser Beobachtung wurde geschlossen dass der Temperatur am gemeinsamen Schnitt-punkt aller Ausdehnungskurven eine besondere physikalische Bedeutung zukommt und sie sich daher als Fixpunkt einer neuen Temperaturskala eignet Weiterhin wurde festgestellt dass zwar alle Gase in ihrem Ausdehnungsverhalten von dem linearen Verlauf abweichen dass aber unter bestimmten Umstaumlnden (zB niedriger Druck) ein gemeinsamer Verlauf angestrebt wird den man auch als idealen Verlauf bezeichnen koumlnnte Am besten funktioniert das bei Helium unter schrittweise absinkenden Drucken dessen Verhalten sich fuumlr P rarr 0 zum idealen Verhalten extrapolieren laumlsst Diese Erkenntnis diente zur Definition einer absoluten Temperaturskala in Kelvin

1) Unterer Fixpunkt Schnittpunkt der Volumenexpansionskurven bdquoidealerldquo Gase (zB Helium fuumlr den Grenzfall Prarr0) 0 Kelvin

2) Oberer Fixpunkt Koexistenztemperatur von Eis Wasser und Wasserdampf 27316 Kelvin

3) Das Volumen eines bdquoidealenldquo Gases (zB Helium fuumlr den Grenzfall Prarr0) ist bei konstantem Druck proportional zur Temperatur und definiert die lineare Teilung der Temperaturskala

Gemaumlszlig dieser Definition ist jede beliebige Temperatur unter Nutzung eines bdquoidealenldquo Gasther-mometers auf der absoluten Kelvin-Skala eindeutig festgelegt Die Verwendung der Kelvin-Skala ist gegenuumlber der Nutzung klassischer Temperatursysteme bei der Beschreibung physi-kalischer Vorgaumlnge eindeutig von Vorteil Vorgaumlnge bei denen die Temperatur konstant ist nennt man isotherm Mit der Definition der wichtigsten Zustandsparameter Teilchenzahl n Volumen V Druck P und Temperatur T besteht nun die Moumlglichkeit das Verhalten makroskopischer Materie zu beschreiben Am einfachsten gelingt das im Fall von Gasen

32 Zustandsgleichung fuumlr Gase die ideale Gasgleichung

Gleichungen welche die Zustandsparameter wie n V T und P miteinander verknuumlpfen nennt man Zustandsgleichungen Sie beschreiben das Verhalten einer aus vielen einzelnen Teilchen bestehenden Materie hinsichtlich ihrer makroskopisch messbaren Groumlszligen Am

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einfachsten sind solche Zustandsgleichungen fuumlr Gase aufzustellen Untersucht man bei Gasen systematisch den Zusammenhang zwischen n V P und T so stellt man fest dass fuumlr alle Gase in mehr oder weniger guter Naumlherung folgende einfache Gleichung erfuumlllt isthellip

P ∙ V = n ∙ R ∙ T

hellipwobei R fuumlr die so genannte ideale Gaskonstante steht (R asymp 8314 J K-1 Mol-1) Diese Glei-chung auch bdquoideale Gasgleichungldquo genannt ist ein so genanntes Grenzgesetz kein real exis-tierendes Gas erfuumlllt es genau aber alle Gase kommen ihm recht nahe insbesondere bei hohen Temperaturen und niedrigen Druumlcken Eine Gleichung dieser Form nennt man auch Zustands-gleichung da sie Zustandsparameter miteinander verbindet Grafisch laumlsst sich diese Verknuumlp-fung in einem einfachen Diagramm darstellen bei dem jede Kombination von T und V genau einem Wert fuumlr P zugeordnet ist (Abb 20)

P

V

T

Abb 20 Auftragung von P gegen T und V nach der idealen Gasgleichung

Wir wissen nun dass die Gase aus einer Vielzahl von Teilchen (Atomen oder Molekuumllen) bestehen Wie laumlsst sich das durch die ideale Gasgleichung beschriebene Verhalten nun mit dieser Tatsache in Einklang bringen Was bedeuten eigentlich die Parameter Druck und Tem-peratur fuumlr ein Gas das sich aus vielen einzelnen Atomen und Molekuumllen zusammensetzt Um makroskopische Zustandsparameter uumlberhaupt mit der Teilchenwelt verknuumlpfen zu koumlnnen benoumltigen wir eine Modellvorstellung fuumlr das mechanische Zusammenwirken der Teilchen im Fall von Gasen das so genannte kinetische Gasmodell

33 Das kinetische Gasmodell

Bei den im vorhergehenden Kapitel aufgefuumlhrten Gasgesetzen handelt es sich um mathemati-sche Beschreibungen von makroskopisch beobachtbaren Vorgaumlngen Zur Interpretation der Gasgesetze auf molekularer Ebene wurden verschiedene Modelle vorgeschlagen Das erfolg-reichste unter ihnen war das sogenannte kinetische Gasmodell Es beruht auf der Vorstellung dass ein Gas aus einer Vielzahl von Teilchen besteht die folgende Bedingungen erfuumlllen

1) Sie besitzen eine Atom- oder Molmasse M einen endlichen Durchmesser d und befinden sich in staumlndiger und ungeregelter Bewegung

2) Die Groumlszlige der Teilchen ist im Verhaumlltnis zum freien Volumen vernachlaumlssig-bar

3) Zwischen den Teilchen finden elastische Stoumlszlige statt Ansonsten existieren keine weiteren Wechselwirkungen unter den Teilchen

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Nach der kinetischen Gastheorie besteht der Druck eines Gases aus der Summe aller Kraumlfte (pro Flaumlcheneinheit) die durch auf eine Flaumlche aufprallende Gasteilchen (bzw durch deren Impulsaumlnderung) ausgeuumlbt werden (Abb 21)

Vx t

Abb 21 Links schematische Darstellung der Impulsaumlnderung bei dem Auftreffen eines Gasteilchens auf der Gefaumlszligwand Viele solche Stoumlszlige fuumlhren in der Summe zum Entstehen einer messbaren dem Gasdruck zugeordneten Kraft Rechts Die Geschwindigkeitskomponente vx der Teilchen bestimmt nicht nur die Groumlszlige der Impulsaumlnderung sondern auch die Zahl der Teilchen die pro Zeiteinheit auf die Wand stoszligen Daher geht die Geschwindigkeit der Teilchen bei der Berechnung des Drucks insgesamt quadratisch ein

Dabei wird zunaumlchst davon ausgegangen dass alle Teilchen die gleiche Geschwindigkeits-komponente vx aufweisen Diese Geschwindigkeitskomponente bestimmt zum einen die Heftigkeit der Stoumlszlige zum anderen wie viele Gasteilchen pro Zeiteinheit auf die Wand prallen Insgesamt haumlngt der Druck damit vom Quadrat der Geschwindigkeitskomponente vxab Fuumlhrt man nun ein mittleres Geschwindigkeitsquadrat csup2 ein (mit vxsup2 = 13 csup2) so erhaumllt man fuumlr den an dem beweglichen Kolben spuumlrbaren Druck die Gleichung

P = 13 M csup2 (nV) oder in der Schreibweise der idealen Gasgleichung P V = 13 n M csup2 Der Druck ist nach dem kinetischen Gasmodell also die Folge einer Vielzahl von Stoumlszligen welche die Teilchen gegen die Behaumllterwaumlnde ausfuumlhren Er ist folglich proportional zur Mas-se der Teilchen (je schwerer die Teilchen desto heftiger die Stoumlszlige) zum mittleren Geschwin-digkeitsquadrat (die Geschwindigkeit der Teilchen bestimmt zum einen die Haumlufigkeit zum anderen die Heftigkeit der Stoumlszlige) und zur Zahl der Teilchen pro Volumeneinheit (womit wie nach der idealen Gasgleichung zu erwarten P umgekehrt proportional zu V ist) Die Bedeutung der Temperatur im kinetischen Gasmodell ist dagegen zunaumlchst unklar Mit der idealen Gasgleichung P V = n R T ergibt sich aber durch Koeffizientenvergleich n R T = 13 n M csup2 oder R T = 13 M csup2 Man kann unter Nutzung beider Gasmodelle so zu einem neuen teilchenbezogenen Verstaumlnd-nis des Phaumlnomens Temperatur kommen Die Temperatur eines Gases ist demnach direkt proportional zum mittleren Geschwindigkeitsquadrat der Gasteilchen oder in anderen Worten zu deren kinetischer Energie 12 M csup2 Dies ist fuumlr das Verstaumlndnis des Phaumlnomens Temperatur von groszliger Bedeutung Man kann die Temperatur eines Gases also messen indem man (bei bekannter Masse der Teilchen) die Geschwindigkeit der Gasteilchen bestimmt Die Wurzel aus dem mittleren Geschwindigkeits-quadrat also die Groumlszlige c liegt uumlblicherweise in der Groumlszligenordnung der Schallgeschwindig-keit (zum Beispiel fuumlr Stickstoff bei Raumtemperatur c = 516 ms) und steht zu ihr in einer

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festen Beziehung Tatsaumlchlich laumlsst sich die Temperatur auch uumlber eine Messung der Schall-geschwindigkeit ermitteln Nachdem das mittlere Geschwindigkeitsquadrat der Teilchen bekannt ist stellt sich die Frage nach der Geschwindigkeitsverteilung der Teilchen Die Bewegungsenergie der Teilchen ist wie alle anderen Energieformen (zB elektronische Energie Schwingungsenergie) gequantelt Das bedeutet dass sich die Teilchen auf (hier dicht gestaffelte) Energieniveaus verteilen muumlssen Sie tun das nach einem statistischen Grundprinzip das Boltzmann-Verteilung genannt wird Demnach ist die Besetzung pi eines Energieniveaus i (egal welcher Art die Energie Ei ist) stets proportional zum so genannten Boltzmannfaktor des Zustand i Es gilt

pi ~ exp[-Ei(kBT)]

Die darin enthaltene Boltzmannkonstante kB ist nichts anderes als die allgemeine Gas-konstante R (siehe unter 32) dividiert durch die Zahl NL der Teilchen in einem Mol Substanz (kB = RNL) Das bedeutet die Besetzung eines Zustands ist umso wahrscheinlicher je niedriger dessen Energie ist Steigende Temperatur T hingegen erhoumlht die Wahrscheinlichkeit energiereicher Zustaumlnde Diese Gesetzmaumlszligigkeit gilt fuumlr die Besetzung aller auf atomarer oder molekularer Ebene gegebener Zustaumlnde in einem makroskopischen System Angewandt auf die Bewegungsenergie von Gasteilchen in einer einzelnen Raumrichtung x bedeutet das dass Teilchen mit hoher Geschwindigkeit vx weniger wahrscheinlich sind als solche mit niedriger Geschwindigkeit vx Allerdings steigt die Wahrscheinlichkeit des Auftretens groszliger Werte fuumlr vx mit steigender Temperatur Teilt man den Bereich der auftretenden Geschwindigkeiten in Intervalle auf und zaumlhlt man die Teilchen die gemaumlszlig ihrer Geschwindigkeit zu den einzelnen Intervallen zugeordnet werden koumlnnen so ergibt sich fuumlr die Geschwindigkeitsverteilung in vx und v das Bild das in Abb 22 oben dargestellt ist Die Verteilungsfunktionen fuumlr die Geschwindigkeiten in y- und z-Richtung sind identisch

n(vx)

vx-Intervall

n(vx)

vx-Intervall

Temperatur-erhoumlhung

- 0 +- 0 +n(v)

v-Intervall

Temperatur-erhoumlhung

0 +

n(v)

v-Intervall0 +

Abb 22 Verteilungsfunktionen einer eindimensionalen Geschwindigkeitskomponente (oben) und der Gesamtgeschwindigkeit (unten)

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Betrachtet man die Verteilung n(v) der Gesamtgeschwindigkeit v im dreidimensionalen Raum so wird das Bild komplizierter Bezuumlglich der drei Raumrichtungen x y und z sind weiterhin die kleinen Geschwindigkeiten wahrscheinlicher als die groszligen Da nun aber fuumlr eine groszlige Gesamtgeschwindigkeit v mehr Kombinationsmoumlglichkeiten vx vy vz existieren als fuumlr kleine Gesamtgeschwindigkeiten so wird die Wahrscheinlichkeit fuumlr sehr geringe Gesamtgeschwindigkeiten entsprechend kleiner fuumlr groszlige Gesamtgeschwindigkeiten entsprechend groumlszliger Der daraus resultierende Gewichtungsfaktor fuumlr jedes v ist die relative Flaumlche der Kugelschale mit dem Radius v Insgesamt ergeben sich dann die in Abb 22 unten dargestellten Verteilungsfunktionen fuumlr niedrige und hohe Temperaturen Die Verteilungsfunktionen in vx und v lauten (ohne Herleitung)

f(vx) = [M(2RT)]12 exp [-Mvxsup2(2RT)]

f(v) = 4 [M(2RT)]32 vsup2 exp [-Mvsup2(2RT)] Der Mittelwert von vx (oder jeder anderen eindimensionalen Geschwindigkeitskomponente) ist grundsaumltzlich Null Dagegen besitzt der Mittelwert von v stets eine endliche von Null verschiedene Groumlszlige Bei einer Erhoumlhung der Temperatur werden alle Verteilungsfunktionen breiter der Mittelwert von v vergroumlszligert sich Die Temperatur eines Gases aumluszligert sich also nicht nur im mittleren Geschwindigkeitsquadrat sondern auch in der Form der Geschwindigkeitsverteilungsfunktion Bei der Mischung von Gasen unterschiedlicher Temperatur muss um die oben genannte Forderung zu erfuumlllen aus der einfachen Summe von zwei Verteilungsfunktionen eine neue der Mischtemperatur ent-sprechende Verteilungsfunktion entstehen Dies ist nur unter der Annahme moumlglich dass ein Austausch kinetischer Energie unter den Teilchen erfolgen kann Diese Tatsache bedingt die eingangs gestellte Forderung nach Teilchenstoumlszligen also Wechselwirkungen zwischen den Teilchen Damit muumlssen die Gasteilchen aber auch ein gewisses Volumen besitzen den Teil-chen ohne Eigenvolumen koumlnnen prinzipiell nicht zusammenstoszligen Darin besteht der we-sentliche Unterschied zwischen einem Gas nach dem kinetischen Gasmodell und dem idealen Gas Das ideale Gas koumlnnte man theoretisch auf ein beliebig kleines Volumen komprimieren bei einem kinetischen Gas ist dies aufgrund des Eigenvolumens nicht moumlglich Ansonsten erlaubt das kinetische Gasmodell die vollstaumlndige Interpretation der idealen Gasgleichung

34 Die korrigierte Gasgleichung nach van der Waals JD van der Waals

Mithilfe des kinetischen Gasmodells laumlsst sich die Zustandsgleichung fuumlr Gase weiter verfeinern Zunaumlchst soll beruumlcksichtigt werden dass die Teilchen ein eigenes Volumen besitzen In erster Naumlherung geschieht dies indem man ein vom Eigenvolumen der Gas-teilchen abgeleitetes minimales Volumen des Gases (das so genannte Covolumen) definiert Das Covolumen beschreibt dasjenige Volumen des Gases das bei staumlndigem mechanischem Kontakt zwischen jeweils zwei Teilchen eingenommen wird wenn man den Teilchenpaaren jeweils den sie umschreibenden kugelfoumlrmigen Raum zuordnet (wegen der geringen Wahr-scheinlichkeit von Dreierstoumlszligen kann die Bildung von Dreiergruppen ausgeschlossen werden) Das molare Covolumen b entspricht wenn man eine einfache geometrische Uumlberlegung an-setzt dem vierfachen Eigenvolumen eines Mols der Gasteilchen Um das tatsaumlchliche freie

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Volumen zu erhalten muss das n-fache Covolumen vom gegebenen Volumen abgezogen werden Damit wird aus der idealen Gasgleichung P V = n R T die erste korrigierte Version P (V - n b) = n R T Im zweiten Schritt soll nun uumlber das kinetische Gasmodell hinausgehend auch die anziehen-de Wechselwirkung zwischen den Teilchen beruumlcksichtigt werden Die Anziehung zwischen den Teilchen sorgt nach van der Waals fuumlr einen zusaumltzlichen nach auszligen nicht messbaren bdquoBinnendruckldquo Dieser Binnendruck ist proportional zum Quadrat der Teilchendichte (nV)sup2 Der zwischen den Teilchen tatsaumlchlich wirkende nach auszligen ebenfalls unmessbare Gesamt-druck ist dann gegeben als

Pgesamt (unmessbar) = P (messbar) + a (nV)sup2

mit einer fuumlr die anziehende Wechselwirkung charakteristischen Konstante a Die danach korrigierte Version der Gasgleichung die van-der-Waals-Gleichung fuumlr reale Gase lautet

[P + a (nV)sup2] (V - nb) = n R T

Die Konstanten b und a besitzen fuumlr jedes reale Gas charakteristische Werte die dessen Eigenvolumen (die Groumlszlige der Elektronenhuumllle) und die Staumlrke der intermolekularen Wechsel-wirkungen reflektieren Beispiele

Gas a b

Argon 01345 Pa m6Molsup2 32210-5 msup3Mol Kohlendioxid 03592 Pa m6Molsup2 426710-5 msup3Mol Helium 00034 Pa m6Molsup2 23710-5 msup3Mol Stickstoff 01390 Pa m6Molsup2 391310-5 msup3Mol Wasser 05573 Pa m6Molsup2 31010-5 msup3Mol

Der Parameter b spiegelt mit der Einheit msup3Mol weitgehend die Groumlszlige der einzelnen Teilchen (Atome oder Molekuumlle) wider So besitzt erwartungsgemaumlszlig Kohlendioxid oder Argon einen groumlszligeren Wert fuumlr b als beispielsweise Helium Allerdings sind die Unterschiede erstaunlich klein was auf die Tatsache zuruumlckzufuumlhren ist dass sich das Covolumen auf Teilchenpaare bezieht und ein Paar aus Kohlendioxidmolekuumllen gegenuumlber einem Paar aus Heliumatomen nur etwa das doppelte Volumen benoumltigt

Der Parameter a mit der Einheit Pascal mal Molvolumen zum Quadrat reflektiert die Staumlrke der Wechselwirkungen zwischen den Teilchen Diese Wechselwirkungen beruhen zum groszligen Teil auf den elektrischen Eigenschaften der Teilchen Diese wiederum sind mit der elektronischen Struktur der Atome beziehungsweise der chemischen Bindungen verknuumlpft Am wichtigsten ist dabei das in Kapitel 19 erwaumlhnte Dipolmoment Polare Bindungen koumlnnen zu Teilchen mit permanenten Dipolen fuumlhren (zB HF Wasser Ammoniak CO) Andere Molekuumlle oder Atome sind zwar unpolar koumlnnen aber spontan oder durch aumluszligere

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elektrische Felder polarisiert werden (zB He Ar molekularer Wasserstoff molekulares Chlor) Man spricht dann von polarisierbaren Teilchen mit einem spontanen Dipolmoment oder mit einem durch ein aumluszligeres Feld bewirkten induzierten Dipolmoment In all diesen Faumlllen sind anziehende Wechselwirkungen zwischen den Teilchen moumlglich die in dem Parameter a zusammengefasst werden Daruumlber hinaus koumlnnen sich auch voruumlbergehende chemische Bindungen ausbilden Das prominenteste Beispiel fuumlr diesen Fall ist die bekannte Wasserstoffbruumlckenbindung die bei polaren X-H-Bindungen auftreten kann Im Einzelnen werden demnach folgende Arten von Wechselwirkungen mit absteigender Intensitaumlt unter-schieden

a) Wasserstoffbruumlckenbindung X-H hellip Y Hierbei bildet sich voruumlbergehend eine chemische Bindung zwischen dem polar gebundenen Wasserstoff und einem elektronegativen und mit einem freien Elektronenpaar ausgestatteten Element Y

b) Wechselwirkungen zwischen permanenten Dipolen hier besitzen alle Teilchen ein permanentes Dipolmoment Zwischen den entgegengesetzt geladenen Enden der Teilchen bauen sich dann konstant anziehende elektrostatische Wechselwir-kungen auf

c) Wechselwirkungen zwischen permanenten und induzierten Dipolen die Teil-chen mit permanentem Dipolmoment induzieren ein voruumlbergehendes Dipol-moment bei den benachbarten (zunaumlchst unpolaren) Teilchen In der Folge ergibt sich eine anziehende elektrostatische Wechselwirkung

d) Wechselwirkungen zwischen induzierten Dipolen durch spontane Polarisierung eines Teilchens entsteht ein voruumlbergehendes Dipolmoment welches bei einem benachbarten Teilchen eine Polarisierung hervorruft In der Folge ergibt sich eine kurzfristige und sehr schwache elektrostatische Anziehung zwischen den Teilchen Man spricht dabei auch von der Dispersionswechselwirkung oder der Londonschen Wechselwirkung

Alle diese Effekte sind anziehender Natur und gehen damit in den Parameter a ein Fasst man die beiden Parameter a und b zusammen so entsteht mit der van-der-Waals-Gleichung eine recht zuverlaumlssige Zustandsgleichung fuumlr reale Systeme die sowohl die abstoszligenden als auch die anziehenden Wechselwirkungen beruumlcksichtigt

Ein guter Test fuumlr diese reale Zustandsgleichung ist die Berechnung eines Diagramms von P gegen V fuumlr verschiedene Temperaturen das so genannte P-V-Diagramm und die Gegen-uumlberstellung mit dem entsprechenden experimentellen P-V-Diagramm eines realen Gases Gemaumlszlig der van-der-Waalsrsquoschen Gleichung existieren abhaumlngig von der betrachteten Tempe-ratur drei Typen von Isothermen (Abb 23 links) solche die einer Hyperbel aumlhneln (1) eine einzelne Isotherme die einen Wendepunkt mit waagrechter Tangente besitzt (2) und solche die ein Minimum ein Maximum und einen Wendepunkt aufweisen (3) Das experimentell beobachtete Verhalten stimmt in den ersten beiden Faumlllen recht gut uumlberein weicht aber bei Isothermen des dritten Typs deutlich vom berechneten Verlauf ab (Abb 23 rechts)

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P

V

PV-Diagramm nachvan-der-Waals-Gleichung

1 2

3

P

V

3

experimentell bestimmtesPV-Diagramm f reales Gas

Abb 23 PV-Diagramme fuumlr reale Gase berechnet nach van der Waals (links) und experimentell bestimmt (rechts) Die drei typischen Formen der Isothermen (1 2 und 3) sind im Text beschrieben

Offensichtlich beschreibt die van-der-Waals-Gleichung das Verhalten eines realen Gases in der Umgebung des Wendepunkts weniger gut Experimentell stellt man allerdings fest dass in diesem Bereich tatsaumlchlich auch kein reines Gas sondern vielmehr eine Mischung aus einem Gas und einer kondensierten Fluumlssigkeit also ein Zweiphasenzustand vorliegt Dieser Zwei-phasenbereich beginnt am Wendepunkt der Isothermen des Typs 2 und schlieszligt alle Minima Maxima und Wendepunkte der Isothermen des Typs 3 ein (Abb 24 links)

P

V

Zweiphasen-gebiet

P

V

Zweiphasen-gebiet

Maxwell-Maxwell-KorrekturKorrektur

Zweiphasen-Gebiet

Zweiphasen-Gebiet

A1

A2

Abb 24 PV-Diagramme fuumlr reale Gase mit eingezeichnetem Zweiphasengebiet Der in diesem Bereich bei der Beschreibung nach van der Waals gegebene Fehler kann in guter Naumlherung durch die Maxwell-Korrektur kompensiert werden

Eine einfache Korrektur der van-der-Waals-Gleichung ermoumlglicht eine realistische Beschrei-bung des Zweiphasengebiets Eine horizontale Gerade wird so in der Naumlhe des Wendepunktes gelegt dass die oberhalb und unterhalb der Geraden im Zweiphasenbereich gebildeten Teilflaumlchen A1 und A2 die gleiche Groumlszlige besitzen (sog Maxwell-Korrektur s Abbildung 24 rechts) Dies sieht zwar nach einer etwas willkuumlrlichen Hilfskonstruktion aus trotzdem laumlsst sich damit das Verhalten eines realen Gases im Zweiphasengebiet sehr gut nachvollziehen und vorhersagen Eine besonders ausgewiesene Position im PV-Diagramm eines realen Gases ist der Scheitel-punkt des Zweiphasengebiets der durch den Wendepunkt der Isotherme des Typs 2 gebildet wird (Abb 25)

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P

V

Zweiphasen-gebiet Tc

Pc

Vc

kritischer Punkt

Jedes reale Gas besitzt einen sogenannten kritischenPunkt der durch die kritischen Zustandsgroumlszligen Tc Pc undVc beschrieben wird Die kritische Temperatur Tc istdiejenige Temperatur bei der sich ein Gas unter Druckgerade noch verfluumlssigen laumlszligt Oberhalb der kritischenTemperatur existiert kein fluumlssiger Zustand Derentsprechende Druck Pc wird als kritischer Druckbezeichnet

Die Isotherme die der kritischen Temperatur zugeordnetist besitzt als einzige einen Wendepunkt mit horizontalerTangente der gleichzeitig den kritischen Punkt markiert

Abb 25 PV-Diagramm fuumlr ein reales Gas mit kritischem Punkt

Dieser sogenannte kritische Punkt wird durch die kritische Temperatur Tc den kritischen Druck Pc und das kritische Molvolumen Vc festgelegt Zustaumlnde oberhalb des kritischen Punkts nennt man uumlberkritisch Uumlberkritisches Kohlendioxid besitzt in der Technik groszlige Bedeutung fuumlr das Loumlsen und Ausfaumlllen von pharmazeutischen Wirkstoffen (zB Aspirin fuumlr Brausetabletten) fuumlr die Extraktion (zB bei der Entkoffeinierung von Kaffee) oder zur chemischen Reinigung von Textilien

35 Andere Zustandsgleichungen fuumlr reale Gase

Neben der van-der-Waals-Gleichung existieren weitere Ansaumltze zur Beschreibung realer Gase die zwar eine genauere Anpassung an die gemessenen Werte ermoumlglichen aber auch kompli-zierter sind oder mehr Arbeit bei der Bestimmung der charakteristischen Parameter erfordern Im Folgenden seien als Beispiele die Berthelot-Gleichung und die Virialgleichung erwaumlhnt

a Berthelot-Gleichung (P + (Ansup2)(TVsup2) ) (V - nB) = n R T Berthelot fuumlhrte damit als Besonderheit einen temperaturabhaumlngigen Binnendruck ein Dies ist insoweit physikalisch gerechtfertigt als die vermehrte thermische Bewegung der Ausbildung von Wechselwirkungen zwischen den Molekuumllen entgegenwirken kann

b Virialgleichung P Vm = A + B P + C Psup2 + D Psup3 + Mit Vm = Vn Die Virialgleichung nutzt die Tatsache dass sich fast alle physikalischen Zusammenhaumlnge uumlber einen Potenzreihenansatz a + bx + cxsup2 + dxsup3 + hellip beliebig genau annaumlhern lassen Je nach Anzahl der anpassbaren Parameter ist zwar eine beliebig genaue Beschreibung des realen Gases moumlglich allerdings steigt auch der Aufwand fuumlr die Bestim-mung aller Koeffizienten

36 Beschreibung von Fluumlssigkeiten

Im PV-Diagramm der realen Gase schlieszligt sich links vom Zweiphasengebiet der Bereich der fluumlssigen Phase an Sie zeichnet sich dadurch aus dass mit sinkendem Volumen der Druck ex-trem steil ansteigt Das bedeutet dass bereits eine geringfuumlgige Volumenabnahme mit einem aumluszligerst groszligen Druckanstieg verbunden ist In der Praxis hat das zur Folge dass Fluumlssigkeiten im Gegensatz zu Gasen kaum komprimierbar sind ihre Kompressibilitaumlt geht gegen Null Auch ist die Ausdehnung der Fluumlssigkeiten bei steigender Temperatur und bei konstantem

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Druck (der thermische Ausdehnungskoeffizient) sehr viel kleiner als bei Gasen Eine einfache allgemeine Zustandsgleichung fuumlr die fluumlssige Phase in Analogie zur idealen oder zur van-der-Waals-Gleichung existiert nicht Stattdessen findet man bei der experimentellen Bestimmung des Zusammenhangs zwischen P V und T fuumlr jede Fluumlssigkeit ein sehr charakteristisches Verhalten Vergleicht man die Messergebnisse verschiedener Fluumlssigkeiten untereinander so sind kaum Aumlhnlichkeiten auszumachen Daruumlber hinaus sind bestimmte Messungen (zB die Messung der Abhaumlngigkeit des Drucks vom Volumen bei konstanter Teilchenzahl und Temperatur) technisch sehr schwer zu realisieren Das Fehlen einer einheitlichen Zustandsgleichung V(TPn) fuumlr Fluumlssigkeiten liegt auch in deren komplexer Struktur begruumlndet Betrachtet man ein einzelnes Teilchen in der Fluumlssigkeit so liegt es bezuumlglich der Abstaumlnde zu seinen naumlchsten Nachbarn stets in der Naumlhe des Mini-mums einer Potentialkurve Epot(r) die einen sehr steilen Verlauf besitzt Die Abstaumlnde zu den benachbarten Teilchen sind damit nahezu fixiert folglich ist eine unabhaumlngige Translations-bewegung einzelner Teilchen praktisch unmoumlglich Stattdessen verlaufen alle Bewegungs-prozesse mehr oder weniger kollektiv also unter gleichzeitiger Verschiebung mehrerer Teilchen Daruumlber hinaus gibt es keine nennenswerten freien Volumina so dass der mittlere Abstand der Teilchen nur unwesentlich verringert werden kann ein Umstand der sich in der bereits erwaumlhnten geringen Kompressibilitaumlt aumluszligert Ein Modell fuumlr eine allgemeine Fluumlssigkeit laumlsst sich im Rahmen einer Computersimulation einfuumlhren Man betrachtet dabei einen wuumlrfelfoumlrmigen Raum der einen Ausschnitt aus dem Fluumlssigkeitsvolumen darstellen soll und eine endliche Anzahl n von Fluumlssigkeitsteilchen (zB n = 1000) enthaumllt Um die Zahl der Teilchen konstant zu halten und dabei trotzdem deren Beweglichkeit zu wahren wird eine Kontinuitaumltsbedingung eingefuumlhrt Jedes Teilchen das im Rahmen der Bewegungsprozesse den Wuumlrfel an einer gegebenen Stelle verlaumlsst tritt automatisch an der genau gegenuumlberliegenden Position des Wuumlrfels wieder ein Auf diese Weise ist gewaumlhrleistet dass die Zahl der Teilchen im Wuumlrfel konstant bleibt (Abb 26)

Abb 26 Simulation von Bewegungs-vorgaumlngen in einem Fluumlssigkeitsvolumen unter Wahrung einer konstanten Partikel-anzahl Jedes Teilchen das im Rahmen der Bewegungsprozesse den Wuumlrfel an einer gegebenen Stelle verlaumlsst tritt automatisch an der genau gegenuumlberliegenden Position des Wuumlrfels wieder ein

An diesem System fuumlhrt man nun eine so genannte Monte-Carlo-Simulation durch Dabei setzt ein Zufallsgenerator eine geringfuumlgige Verschiebung eines beliebigen einzelnen Teil-chens in Gang Anschlieszligend wird unter Verwendung des bekannten Potentialverlaufs Epot(r) berechnet wie sich nach der Verschiebung die potentielle Energie des Systems veraumlndert hat Danach entscheidet das Simulationsprogramm zwischen zwei Moumlglichkeiten

- Hat sich die gesamte potentielle Energie des Systems durch die Verschiebung verringert oder blieb sie konstant so wird die Verschiebung akzeptiert und der naumlchste Schritt berechnet - Hat sich die gesamte potentielle Energie durch die Verschiebung um den positiven Wert E erhoumlht so wird die Verschiebung mit einer Wahrscheinlichkeit die von E abhaumlngt akzeptiert und ansonsten verworfen Danach wird der naumlchste Schritt berechnet

Auf diese Weise kann man fuumlr beliebige Fluumlssigkeiten sowohl die typischen Bewegungs-prozesse als auch die einflussbedingten Veraumlnderung von Zustandsgroumlszligen (zB P in Ab-

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haumlngigkeit von V) berechnen Allerdings sind die Rechnungen bei den fuumlr eine realistische Beschreibung eines Fluumlssigkeitsvolumens notwendigen groszligen Teilchenzahlen sehr aufwaumlndig und zeitintensiv

37 Beschreibung von Festkoumlrpern

Begibt man sich im P-V-Diagramm vom fluumlssigen Zustand ausgehend noch weiter nach links (zu kleineren Volumina houmlheren Drucken und niedrigeren Temperaturen) so erreicht man den festen Zustand Die Problematik der Zustandsgleichung V(TPn) von Festkoumlrpern aumlhnelt jener der Fluumlssigkeiten Auch hier sind die Kompressibilitaumlten und die thermischen Aus-dehnungskoeffizienten uumlblicherweise sehr viel geringer als bei Gasen Ebenso wie bei Fluumls-sigkeiten sind dabei die Unterschiede zwischen einzelnen Vertretern der Festkoumlrper recht groszlig so dass keine gemeinsame Zustandsgleichung wie bei Gasen formuliert werden kann Im Vergleich mit den Werten der Fluumlssigkeiten sind die Kompressibilitaumlten und die thermischen Ausdehnungskoeffizienten der Festkoumlrper durchschnittlich nochmals um etwa zwei Groumlszligen-ordnungen geringer

Abb 27 Torsionsexperiment zur Unterscheidung zwischen Fluumlssigkeiten und Festkoumlrpern (s Text)

Der wesentliche Unterschied zwischen Festkoumlrpern und Fluumlssigkeiten besteht allerdings in ihrem gegensaumltzlichen Verhalten bezuumlglich Verformung waumlhrend Fluumlssigkeiten einer gege-benen Verformung durch ihre Zaumlhigkeit (Viskositaumlt) Widerstand leisten reagiert ein Fest-koumlrper auf eine Verformung durch eine elastische Deformation Dieses Verhalten wird in einem Torsionsrheometer deutlich wobei eine feste oder fluumlssige Probe periodisch mit einer torsionsartigen Verformung beaufschlagt wird (Abb 27) Waumlhrend der Drehmomentverlauf des Festkoumlrpers exakt gleichphasig zur periodischen Aus-lenkung erfolgt (elastische Verformung) ist der Drehmomentverlauf der Fluumlssigkeit dazu um ein Viertel einer Wellenlaumlnge phasenverschoben (viskose Reaktion) Bei Fluumlssigkeiten ist der Widerstand dann maximal wenn die Deformationsgeschwindigkeit maximal ist (blaue Linie

t

Dre

hmom

entv

erla

uf

tAusl

enku

ng

Festkoumlrper

t

Dre

hmom

entv

erla

uf

Fluumlssigkeiten

Pruumlfkoumlrper

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in Abb 26) Bei Festkoumlrpern ist die Kraft dann maximal wenn der Deformationszustandmaximal ist (rote Linie in Abb 27) Viele Festkoumlrper stellen Uumlbergaumlnge zwischen diesen beiden Extremfaumlllen dar und werden dann als viskoelastisch bezeichnet Aus der Betrachtung von Messergebnissen an einer Viel-zahl von Materialien geht hervor dass eine eindeutige Abgrenzung zwischen dem fluumlssigen und dem festen Zustand selten moumlglich ist Entsprechend gibt es auch unterschiedliche Strukturmodelle die teilweise das elastische Verhalten teilweise das plastische Verhalten von Festkoumlrpern erklaumlren Dem elastischen Festkoumlrper mit nahezu verschwindender Phasen-verschiebung wird am ehesten das Modell eines idealen Kristalls gerecht Man geht dabei davon aus dass jedes Atom bzw Molekuumll aus dem der Festkoumlrper zusammengesetzt ist sich an einem geometrisch festgelegten Gitterpunkt befindet von dem es sich nicht entfernen kann Als Bewegungsprozess ist dabei lediglich eine Schwingung mit begrenzter Amplitude moumlglich Die denkbaren Geometrien der Gitterstrukturen reichen von primitiv-kubischen Gittern (zB Natriumchlorid) uumlber kubisch-dichteste (zB Silber Kupfer) und hexagonal-dichteste Kugelpackungen (zB Magnesium Zink) bis zur kubisch-raumzentrierten Struktur (zB Eisen Molybdaumln) Haumlufig findet man leichte Abweichungen von der idealen Gitter-struktur die durch lokale Stoumlrungen hervorgerufen werden Akzeptiert man gewisse Anteile an viskosem Verhalten (dh eine leichte Phasenverschiebung) so begibt man sich in den Grenzbereich zwischen Festkoumlrpern und Fluumlssigkeiten In einem Material wie Glas ist die regelmaumlszligige Anordnung eines Gitters nicht gegeben die Atome sind unregelmaumlszligig positioniert und koumlnnen unter Belastung auch flieszligen Solche nicht-kristallinen Festkoumlrper bezeichnet man als amorph Typische Vertreter amorpher Feststoffe sind Fenster-glas viele transparente Kunststoffe (zB Plexiglas Polyester in Getraumlnkeflaschen) Wachs und Aumlhnliches Amorphe Festkoumlrper besitzen keinen Schmelzpunkt sondern erweichen bei steigender Temperatur allmaumlhlich Amorphe Festkoumlrper koumlnnen nachtraumlglich kristallisieren wobei sich haumlufig das aumluszligere Erscheinungsbild und die physikalischen Eigenschaften drastisch aumlndern (zB Plastikfolie unter Zug)

38 Das Phasendiagramm

Die drei wichtigsten Phasenzustaumlnde zu denen sich eine makroskopische Gesamtheit von Atomen oder Molekuumllen zusammenfinden koumlnnen sind also Gase Fluumlssigkeiten und Festkoumlrper Die Frage ist nun unter welchen Bedingungen sich ein System fuumlr den ersten den zweiten oder den dritten Zustand entscheidet Erfahrungsgemaumlszlig haumlngt der gegebene Phasenzustand von den in Kapitel 31 eingefuumlhrten Zustandsparametern n V P und T ab Legt man die Stoffmenge n auf einen Wert fest (zB auf ein Mol Teilchen) und beruumlcksichtigt man dass nach den gegebenen Zustandsgleichungen die Groumlszligen n V P und T miteinander verknuumlpft sind so genuumlgen zwei Parameter um den jeweils guumlnstigsten Phasenzustand eindeutig festzulegen Ein Diagramm bei dem einer der Parameter V P und T gegen einen anderen aufgetragen wird eignet sich also prinzipiell um bei einer gegebenen Teilchenart den unter diesen Bedingungen jeweils angestrebten Phasenzustand zu markieren So kann man gemaumlszlig den Abbildungen 23 bis 25 in einem Diagramm bei dem P gegen V aufgetragen wird schon den jeweils gegebenen Phasenzustand eintragen und ablesen In der Praxis eignen sich solche PV-Diagramme allerdings wenig um Phasenzustaumlnde zu markieren der gasfoumlrmige Zustand nimmt einen sehr breiten Raum ein waumlhrend der fluumlssige und der feste Zustand in dem sehr engen Bereich links neben dem Zweiphasengebiet bdquoeingequetschtldquo waumlre Vor allem in diesem Umfeld waumlre das Diagramm schwer ablesbar

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Wesentlich guumlnstiger ist dagegen die Auftragung vom Druck P gegen die Temperatur T In diesem PT-Diagramm das auch als Phasendiagramm bezeichnet wird lassen sich alle Phasenzustaumlnde uumlbersichtlich zuordnen Dabei bezeichnen Flaumlchenanteile im PT-Diagramm die unter den gegebenen Druck- und Temperaturbedingungen angestrebte Phase (zB fest fluumlssig gasfoumlrmig) waumlhrend Linien die dazwischen vorliegenden Gleichgewichte markieren und Phasengrenzlinien genannt werden (Abb 28)

T

Pfe

st

fluumlss

ig

gasfouml

rmig

kritischerPunkt

Tripel-punkt

Phasengrenzlinie

Abb 28 Phasendiagramm mit Auftragung des Drucks (P) gegen die Temperatur (T)

Auszligerdem enthaumllt ein Phasendiagramm gewoumlhnlich mindestens zwei besonders ausgezeich-nete Punkte den Tripelpunkt an dem die drei im Allgemeinen wichtigsten Phasenzustaumlnde fest fluumlssig und gasfoumlrmig miteinander im Gleichgewicht stehen und den bereits aus dem PV-Diagramm bekannten kritischen Punkt der das Ende eines definierten Uumlbergangs zwischen fluumlssiger und gasfoumlrmiger Phase markiert Beispiele fuumlr Phasendiagramme Kohlen-dioxid und Wasser sind in Abbildung 29 und 30 wiedergegeben

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T

P

fest

fluumlss

iggasfoumlrmig

kritischerPunkt

Tripel-punkt

2168 K

511 bar

CO2

3042 K

728 bar

Abb 29 Phasendiagramm fuumlr Kohlendioxid

T

P

fluumlss

ig

gasfoumlrmig

kritischerPunkt

H2O

Eis 1

Eis 1

Eis 2 Eis 3

Eis 5

Eis 6

Tripelpunkt6473 K

218 bar

6 mbar 27316 K

Abb 30 Phasendiagramm fuumlr Wasser Der Bereich oberhalb von 200 bar ist aus Gruumlnden der

Uumlbersichtlichkeit entlang der P-Achse komprimiert dargestellt

Eine wichtige Besonderheit des Phasenverhaltens von Wasser ist die Tatsache dass die Phasengrenzlinie zwischen fluumlssigem Wasser und Eis 1 eine negative Steigung aufweist Dies hat zur Folge dass gewoumlhnliches Eis durch Erhoumlhung des Drucks zum Schmelzen gebracht werden kann Dieser Umstand ist eine der Ursachen dafuumlr dass eine Kufe auf Eis gleitet da der durch das Schmelzen entstehende Wasserfilm die Reibung vermindert (allerdings spielt hier auch die Reibungswaumlrme eine Rolle) Der Grund fuumlr dieses Verhalten steht in direkter Verbindung mit der strukturbedingten Volumenabnahme beim Schmelzen von Eis (s Videos unter httpwwwyoutubecomwatchv=6s0b_keOiOU und httpswwwyoutubecomwatchv=CDTZoFGmZoc )

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Waumlhlt man in einem Phasendiagramm eine Kombination von Druck und Temperatur so kann man direkt denjenigen Phasenzustand ablesen den die gegebene Teilchenart unter diesen Bedingungen anstrebt Das heiszligt jedoch nicht dass dieser Zustand dann auch in jedem Fall und zu jeder Zeit vorliegt Haumlufig beobachtet man eine so genannte kinetische Hemmung einer Phasenumwandlung So gibt es unterkuumlhlte Fluumlssigkeiten (zB Regentropfen bei -3degC) genauso wie unterkuumlhlte Dampfphasen (zB uumlbersaumlttigten Wasserdampf in Gewitterwolken) oder uumlberhitzte Fluumlssigkeiten (zB uumlberhitztes Wasser bei einem Siedeverzug) Kristalli-sationskeime wie Staubkoumlrner koumlnnen Phasenumwandlungen beschleunigen (zB durch Staub verursachter bdquoIndustrieschneeldquo) Bisher wurden lediglich Phasendiagramme von reinen Stoffen betrachtet die nur aus einer einzelnen Sorte Atomen oder Molekuumllen bestehen Mischt man einem gegebenen Stoff eine weitere Komponente hinzu so aumlndert sich das Phasendiagramm erheblich Als Beispiel betrachten wir ein System in dessen fluumlssiger Phase ein Fremdstoff A geloumlst wird der weder im Festkoumlrper noch im der Gasphase loumlslich ist (zB Kochsalz in Wasser) In diesem Fall dehnt sich der fluumlssige Bereich des Phasendiagramms mit steigender Konzentration von A in alle Richtungen aus so dass gleichzeitig der Schmelzpunkt erniedrigt der Siedepunkt erhoumlht und der Dampfdruck verringert wird (Abb 31) In erster Naumlherung sind alle genannten Aumlnderungen proportional zu cA

T

P

fest

fluumlss

ig

gasfouml

rmig

Abb 31 Phasendiagramm fuumlr ein System in dessen fluumlssiger Phase ein Fremdstoff mit steigender

Konzentration cA geloumlst wird Der Bereich der fluumlssigen Phase dehnt sich daraufhin in alle

Richtungen aus

Bei weiter steigender Konzentration von A kann ein Punkt erreicht werden an dem die Mischung in zwei getrennte Bereiche zerfaumlllt die ebenfalls als Phasen bezeichnet werden (zB Olivenoumll und Wasser) Eine dieser Phasen besitzt dann einen hohen Loumlsemittelanteil bei geringer Konzentration von A die andere besteht aus einem hohen Anteil an A mit einem geringen Gehalt an Loumlsemittel Dieser Vorgang der Phasenseparation binaumlrer (aus zwei Komponenten bestehender) Systeme wird durch eine andere Art von Phasendiagramm beschrieben dem so genannten Mischphasendiagramm (Abb 32) Hierbei wird die Tempe-

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ratur dem relativen Anteil einer Komponente gegenuumlbergestellt der Druck wird als konstant angenommen

Abb 32 Allgemeine Darstellung eines Mischphasendiagramms

Grundsaumltzlich gibt die linke Flanke der Phasentrennlinie (links des kritischen Punkts) die Zusammensetzung der bdquoA-armenldquo Phase an waumlhrend die rechte Flanke (rechts des kritischen Punkts) die Zusammensetzung der A-reichen Phase beschreibt Die Mengen der dabei gebildeten Phasen koumlnnen nach dem so genannten Hebelgesetz berechnet werden Demnach gilt zwischen dem Anteil n1 der A-armen Phase 1 dem Anteil n2 der A-reichen Phase 2 und den Laumlngen der Pfeile s1 und s2 in der vorhergehenden Abbildung folgender Zusammenhang

n1 s1 = n2 s2

Fuumlr das gezeigte Beispiel wuumlrde das bedeuten dass der Anteil der Phase 1 etwa doppelt so groszlig waumlre wie der Anteil der Phase 2 In der Naumlhe der beiden Raumlnder des Diagramms also fuumlr xA 0 (sehr wenig A im Loumlsemittel) oder xA 1 (sehr wenig Loumlsemittel in A) liegen in den meisten Faumlllen einphasige homogene Mischungen vor Das besagt dass auch bei niedrigen Temperaturen ein wenig von dem Stoff A im Loumlsemittel bzw ein wenig Loumlsemittel im Stoff A loumlslich ist Der im Diagramm eingezeichnete kritische Punkt bedeutet dass oberhalb der dazugehoumlrigen kritischen Temperatur keine Entmischung mehr erfolgt dh hier sind die beiden Komponenten vollstaumlndig und in jedem Verhaumlltnis miteinander mischbar Neben solchen oberen kritischen Punkten gibt es auch untere kritische Punkte Im zweiten Fall gilt dass die beiden Komponenten unterhalb einer bestimmten Temperatur in jedem Verhaumlltnis miteinander mischbar sind Im Allgemeinen koumlnnen die drei verschiedenen Faumllle auftreten die in Abbildung 33 dargestellt sind

0 Molenbruch xA der Komponente A 1

Tem

pera

tur

obere kritischeTemperatur

Einphasen-gebiet

Zweiphasen-gebiet

Beispiel xA = 04

T1

Zum gezeigten Beispiel

Eine Mischung mit dem Molenbruch xA = 04 wird von T2 nach T1 abgekuumlhltDabei zerfaumlllt die Mischung bei Tklsquo in zwei Phasen derenZusammensetzung bei T1auf der x-Achse an den Punkten 1 und 2 ablesbar ist

T2

Tklsquo

1 2

kritischer Punkt

s1 s2

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0 xA 1

Tem

pera

tur

System mit oberem kritischen Punkt

kritischer Punkt

0 xA 1Te

mpe

ratu

r

System mit unterem kritischen Punkt

kritischer Punkt

0 xA 1

Tem

pera

tur

System mit oberem und unterem

kritischen Punkt

kritischer Punkt

kritische Punkte

Abb 33 Moumlgliche Varianten von kritischen Punkten bei Systemen aus zwei Komponenten

Obere kritische Punkte findet man dann wenn sich die molekulare thermische Bewegung gegen die Tendenz der Molekuumlle sich mit gleichartigen Molekuumllen zusammenzulagern durchsetzt Dieses Phaumlnomen ist sehr verbreitet so dass ein oberer kritischer Punkt bei sehr vielen Mischphasen beobachtet wird Untere kritische Punkte sind sehr viel seltener Sie treten beispielsweise dann auf wenn die beiden Komponenten miteinander bei tiefen Temperaturen einen Komplex bilden der bei houmlheren Temperaturen wieder zerfaumlllt und dann zu einer Phasenseparation fuumlhrt Ein Beispiel dafuumlr ist die Mischung aus Wasser und Triethylamin

Fuumlr Mischphasen aus drei Komponenten so genannte ternaumlre Mischungen sind die bisher gezeigten Darstellungen ungeeignet Hierfuumlr haben sich Dreiecksdiagramme (Gibbssches Phasendreieck) durchgesetzt die das Phasenverhalten unter Variation der Mengenbeitraumlge aller drei Komponenten aufzeigen (Abb 34) Das Diagramm ist so geartet dass die Summe aller drei Mengenanteile xA xB und xC in jedem Fall den Wert 1 ergibt Damit besitzt die Zusammensetzung des ternaumlren Gemisches zwei Freiheitsgrade Jede Linie die durch eine Ecke des Diagramms fuumlhrt verbindet diejenigen Punkte bei denen das Verhaumlltnis zweier Komponenten gleich ist Jede Linie die parallel zu einer der drei Seiten verlaumluft entspricht Gemischen bei denen der relative Anteil einer Komponente gleich bleibt

00 02 04 06 08 10Komponente A

00

02

04

06

08

10

Kom

pone

nte

B

0002

04

06

08

10

Komponente C

C

A

B

00 02 04 06 08 10Komponente A

00

02

04

06

08

10

Kom

pone

nte

B

00

02

04

06

08

10

Komponente C

x1

x2x

Abb 34 Prinzip eines ternaumlren Phasendiagramms nach Gibbs (Dreiecksdiagramm)

In solche ternaumlren Mischphasendiagramme lassen sich nun entsprechend den binaumlren Mischphasendiagrammen die Ein- und Zweiphasengebiete einzeichnen Das Diagramm in

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Abb 34 rechts gilt zB fuumlr eine ternaumlre Mischung aus A B und C bei der die Komponenten A und B sowie B und C jeweils paarweise in jedem Verhaumlltnis miteinander mischbar sind Die Komponenten A und C sollen dagegen nur begrenzt mischbar sein Als Konsequenz daraus ergibt sich ein Dreiecksdiagramm das an der unteren Achse die dem Anteil 0 der Komponente B entspricht ein Zweiphasengebiet aufweist

Die Hilfslinien im Zweiphasengebiet markieren die Zusammensetzung der entstehenden Einzelphasen So wuumlrde beispielsweise eine Mischung deren Zusammensetzung im Diagramm durch den Punkt x markiert ist in die beiden Phasen x1 und x2 zerfallen Die Mengenanteile der beiden Phasen koumlnnten dabei wieder uumlber das Hebelgesetz berechnet werden Um zusaumltzlich den Einfluss der Temperatur wiederzugeben muss eine weitere Koordinate eingefuumlhrt werden Man erhaumllt dabei ein dreidimensionales Dreiecksdiagramm das haumlufig unter Verwendung von Houmlhenlinien nach der Art einer topographischen Landkarte dargestellt wird Jede Houmlhenlinie des Zweiphasengebiets umschreibt dann seine Ausdehnung bei einer gegebenen Temperatur

Fragt man bei einem System mit bestehenden Randbedingungen nach der Zahl der frei variierbaren Zustandsgroumlszligen also nach der Zahl der Freiheitsgrade so haumlngt die Antwort zunaumlchst davon ab in welchem Phasenzustand sich das System befindet So kann man beispielsweise in der Gasphase (bei festgelegter Stoffmenge) Temperatur und Druck frei waumlhlen wodurch dann automatisch das Volumen festgelegt wird Gleiches gilt fuumlr die feste und die fluumlssige Phase Das System hat innerhalb eines Phasenzustands also zwei Freiheits-grade Setzt man allerdings voraus dass sich das System in einem Gleichgewicht zwischen zwei Phasen befindet (zB auf der Verdampfungslinie) so besitzt es nur einen Freiheitsgrad Am Tripelpunkt schlieszliglich bei einem Gleichgewicht zwischen drei Phasen sind keine Freiheitsgrade mehr vorhanden Zwischen der Zahl der Phasen P und der Zahl der Freiheitsgrade F gibt es also folgende einfache Beziehung

F = 3 - P

Beruumlcksichtigt man weiter dass auch mehr als eine Komponente auftreten kann (Zahl der Komponenten C gt 1) so erhoumlht sich die Zahl der Freiheitsgrade um jede zusaumltzliche Komponente deren Konzentration ja frei waumlhlbar ist um den Wert eins Man erhaumllt damit

F = 3 - P + (C - 1) oder F = C - P + 2

Nach dieser allgemeinguumlltigen Formel der so genannten Gibbsrsquoschen Phasenregel laumlsst sich die Zahl der Freiheitsgrade in jedem beliebigen System bestimmen Sie erlaubt insbesondere bei sehr komplizierten Mischungen mit einer unbekannten Anzahl an Phasenzustaumlnden uumlber eine einfache Betrachtung Ruumlckschluumlsse auf deren Phasenverhalten

Page 19: Vorlesung PC I Einführung in die Physikalische Chemierelaxation.chemie.uni-duisburg-essen.de/lehre/Skript_PC_2016_2017.pdf · Schwingungen möglich, deren Geometrie (d.h. die Zahl

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Abb 12 Elektromagnetisches Spektrum (Quelle Chemgapedia)

Fuumlr die genaue Messung welche Frequenz der elektromagnetischen Strahlung einem gegebe-nen Uumlbergang anzuregen vermag gibt es experimentell zwei verschiedene Ansaumltze Entweder man strahlt Energie auf das System ein und beobachtet den Verlust an Strahlungsintensitaumlt der dann beobachtet wird wenn die Strahlung einen Uumlbergang zu einem houmlheren Energieni-veau bewirkt (Absorption) oder man fuumlhrt dem System Energie zu (zum Beispiel thermisch) und beobachtet dann die Freisetzung von Energie als Strahlung (Emission) Im einen Fall erfuumlllt die Frequenz der absorbierten Strahlung im anderen Fall die der emittierten Strahlung die Frequenzbedingung ΔE = h ∙ ν Mit beiden Methoden kann man so exakt den Energie-unterschied zwischen zwei Energieniveaus ausmessen Die Bestimmung der Werte fuumlr die charakteristischen Energieschritte ΔE eines Systems ist die Hauptaufgabe der Spektroskopie Sie eignet sich insbesondere um elektronische Wellenfunktionen eines Systems zu erkunden

22 Elektronenspektroskopie am eindimensionalen Potentialtopf

Das denkbar einfachste elektronische System ist der eindimensionale Potentialtopf Dennoch kann auch dieses Modell schon in grober Naumlherung auf Molekuumlle angewandt werden speziell auf solche mit annaumlhernd linearen Delokalisationssystemen (s Kapitel 14) Ein Beispiel ist die Reihe Butadien Hexatrien Oktatetraen usw Bildet man mit Hilfe der Loumlsungen der Schroumldingergleichung fuumlr das eindimensionale Potentialtopfmodell einen Ausdruck fuumlr den elektronischen Uumlbergang zwischen dem houmlchsten besetzten Orbital (HOO) und dem niedrig-sten unbesetzten Orbital (LUO) so erhaumllt man fuumlr die damit verbundene Energiedifferenz gemaumlszlig der in Abbildung 5 gezeigten Formel

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ΔE = h ∙ ν = (nsup2LUO-nsup2HOO) ∙ hsup2 (8 me asup2)

Mit wachsender Laumlnge a und wachsender Elektronenzahl (jedes Kohlenstoffatom im Delokali-sationsgebiet traumlgt ein Elektron bei) steigen einerseits die Werte der Quantenzahlen n fuumlr das houmlchste besetzte Orbital (HOO) und das niedrigste unbesetzte Orbital (LUO) an andererseits steigt aber auch die Laumlnge L die quadratisch im Nenner der Gleichung steht Da letzteres insgesamt uumlberwiegt sinkt der Wert fuumlr ΔE und damit fuumlr die Frequenz ν schrittweise mit Anstieg der Kettenlaumlnge Liegt die absorbierte Lichtfrequenz anfaumlnglich im UV-Bereich so verschiebt sie sich beispielsweise fuumlr das Carotin mit 11 Doppelbindungen schon in den sichtbaren blauen Bereich Weil daher Carotin blaues Licht absorbiert erscheint es im Durchlicht betrachtet in der Komplementaumlrfarbe orange-gelb Nach diesem Prinzip lassen sich viele organische Farbstoffe interpretieren Aumlndert sich die Laumlnge bzw die Elektronenzahl (und damit nsup2LUO und nsup2HOO) durch die Protonierung des Molekuumlls so hat man es mit einem Farbstoff zu tun der mit dem pH-Wert seine Farbe aumlndert ndash dies ist die Grundlage vieler pH-Indikatoren

23 Elektronenspektroskopie am Wasserstoffatom

Die wissenschaftliche Spektralanalyse wurde in der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts gemeinsam durch GR Kirchhoff und RW Bunsen entwickelt Sie entdeckten dass alle Elemente beim Erhitzen Licht aussenden Nach Zerlegung des Lichts mit einem Glasprisma erhaumllt man ein fuumlr jedes Element charakteristisches Linienmuster das so genannte Spektrum (s auch UTube-Video bdquospectral lines demoldquo httpwwwyoutubecomwatchv=2ZlhRChr_Bw) Dieses Spektrum reflektiert die Gesamtheit der dem gegebenen Element eigenen elektronischen Uumlbergaumlnge und ist damit ein unverwechselbarer Fingerabdruck Elemente koumlnnen damit sowohl in der Emissionsspektroskopie als auch in der Absorptionsspektroskopie eindeutig und mit hoher Empfindlichkeit identifiziert werden

Die Elektronenspektroskopie kann jedoch noch deutlich mehr sie erlaubt die exakte Uumlber-pruumlfung der durch die Loumlsung der Schroumldingergleichung gefundenen elektronischen Wellen-funktionen Dies wurde zunaumlchst am Wasserstoffatom mit hoher Praumlzision betrieben Histo-risch gesehen ist die erste wichtige Lichtquelle fuumlr spektroskopische Analysen unsere Sonne Dies gilt insbesondere fuumlr das Spektrum des Wasserstoffs Da die Energie der elektronischen Zustaumlnde dort einzig und allein von der Hauptquantenzahl n abhaumlngt (s Kapitel 15) werden lediglich solche Spektrallinien beobachtet die sich genau einem gegebenen ΔE = E(n) - E(nlsquo) zuordnen lassen Zuerst wurde mit der Balmer-Serie der sichtbare Anteil des Spektrums ent-deckt der mit allen Uumlbergaumlngen von oder zu dem Niveau n = 2 verbunden ist (Abb 13) Es folgten spaumlter im UV-Bereich die Lyman-Serie mit n = 1 und im IR-Bereich die Paschen-Serie mit n = 3 die Brackett-Serie mit n = 4 sowie die Pfundt- und die Humphreys-Serie mit n = 5 und n = 6 (letztere sind in Abb 13 nicht mehr eingezeichnet) Weitere Serien mit houmlheren Quantenzahlen existieren tragen aber keine eigenen Namen mehr

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Wel

lenz

ahl

[100

0 cm

-1]

0

10

20

30

40

50

60

70

80

90

100

110Grundzustand

Lyman-serie

Balmer-serie

Paschen-serie

Brackett-serie

n = 5n = 4

n = 3

n = 2

n = 1

Gustav Robert Kirchhoff

Robert Wilhelm Bunsen

Abb 13 Wichtige elektronische Uumlbergaumlnge im Wasserstoffatom

Abbildung 14 zeigt das gesamte Wasserstoffspektrum die Kuumlrzel benennen die entsprechen-den Serien (Ly = Lyman Ba = Balmer etc)

Abb 14 Spektrum des Wasserstoffatoms Die Achse fuumlr die Wellenlaumlnge ist logarithmisch aufgetragen

Eine genaue Analyse ergibt dass sich das Schema der Energiedifferenzen nach Abb 13 fast genau mit den in Kapitel 15 besprochenen Loumlsungen der Schroumldingergleichung deckt Die aumluszligerst kleinen Abweichungen die man dennoch detektieren konnte lieszligen sich auf den Bei-trag des Kerns (trotz seiner hohen Masse kann er sich minimal mit dem Elektron mitbewegen) und des Isotopeneffekts zuruumlckfuumlhren der schwerere Deuteriumkern der aus einem Proton und einem Neutron besteht bewegt sich weniger leicht mit dem Elektron mit als das einsame Proton des bdquonormalenldquo Wasserstoffs Daneben zeigen sich bei sehr hoher Aufloumlsung des Spektrums auch relativistische Effekte die zu weiteren Aufspaltungen fuumlhren

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24 Elektronenspektroskopie an Atomen mit mehreren Elektronen

Aufgrund der Wechselwirkungen zwischen den Elektronen ist bei schwereren Elementen die beim Wasserstoff gegebene Entartung bezuumlglich der Quantenzahlen l und m aufgehoben Damit wird das Energiediagramm bereits fuumlr ein einfaches houmlheres Atom wie zum Beispiel Lithium schon deutlich komplizierter (Abb 15) Neben den Uumlbergaumlngen zwischen verschiede-nen Werten fuumlr n treten nun auch Uumlbergaumlnge zwischen s und p p und d d und f auf Manche Uumlbergaumlnge (zum Beispiel solche zwischen s- und d-Niveaus) werden allerdings gewoumlhnlich nicht beobachtet man nennt sie bdquoverbotenldquo bdquoErlaubtldquo sind nur solche Uumlbergaumlnge bei denen die Nebenquantenzahl sich um den Wert plusmn1 aumlndert (also eben von s nach p von p nach d usw) Die so genannte Auswahlregel welche die erlaubten Uumlbergaumlnge festlegt heiszligt folglich Δl = plusmn1

Als weitere Folge der Wechselwirkungen zwischen den Elektronen besitzt jedes houmlhere Atom ein eigenes und von Wasserstoff verschiedenes Energiediagramm Damit besitzt aber auch jedes Atom ein unverwechselbares Muster von Energieuumlbergaumlngen die es eindeutig kenn-zeichnet Dies laumlsst sich bereits in einfachen Versuchen anhand von Flammenfaumlrbungen zeigen Diejenigen Uumlbergaumlnge deren ΔE den Wellenlaumlngen im sichtbaren Spektrum entspricht (in Abb 15 sind dies die kuumlrzeren unter den eingezeichneten blauen Pfeilen) sorgen bei vielen Elementen fuumlr ein charakteristisches farbiges Leuchten (Abb 15 rechts)

Ener

gie

Wasserstoff Lithium

n = 1

2

3

45

1s

2s

2p

3s

4s

5s

3p

4p5p

3d

4d5d

Abb 15 Termschema von Lithium mit wichtigen elektronischen Uumlbergaumlngen (links) Durch Lithium verursachte Flammenfaumlrbung (rechts Quelle httpwwwitpuni-hannoverde~zawischaITPatomshtml)

Letztlich ist auch bei allen houmlheren Atomen die Elektronenspektroskopie eine ideale Methode um das Energieniveauschema experimentell zugaumlnglich zu machen Sie eignet sich daruumlber hinaus perfekt zur schnellen und empfindlichen Identifikation von Elementen Diese Tatsache

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macht man sich sowohl in der Atomabsorptionsspektroskopie (AAS) als auch in der Atom-emissionsspektroskopie (AES) zunutze Elektronenspektren sind unverwechselbare Finger-abdruumlcke mit denen alle Elemente in hoher Empfindlichkeit und selbst uumlber groszlige Distanzen hinweg sicher identifiziert werden koumlnnen

25 Elektronenspektroskopie an Molekuumllen

Genau wie die Atomorbitale sind auch Molekuumllorbitale der Elektronenspektroskopie zugaumlng-lich Durch die systematische Analyse aller elektronischen Uumlbergaumlnge lassen sich die Energie-niveaus in einem MO-Schema schrittweise ausmessen Besonders interessant wird dieser Ansatz bei der Untersuchung der Bindungsverhaumlltnisse Im Allgemeinen beobachtet man Uumlbergaumlnge zwischen bindenden und nicht bindenden Orbitalen einerseits und den uumlblicherweise unbesetzten antibindenden Orbitalen andererseits In Abb 16 ist dies am Beispiel einer C-O-Bindung in Formaldehyd gezeigt Im Mittelpunkt stehen dabei das binden-de und das antibindende σ-Orbital C-O das bindende und das antibindende π-Orbital C-O sowie das nicht bindende freie Elektronenpaar des Sauerstoffs (ein weiteres freies Elektronen-paar bleibt unbeteiligt)

Ener

gie

σ CO

σ CO

π CO

π CO

n O

C

H

H

O

σ-σ

Uumlbe

rgan

g

π-π

Uumlbe

rgan

gn-π Uumlber-gang

σ

Abb 16 Termschema der CO-Gruppe in Formaldehyd (links) Die beteiligten Bindungen und das im betrachteten Energiefenster liegende freie Elektronenpaar des Sauerstoffs sind rechts skizziert

Die drei wichtigsten Uumlbergaumlnge die an der C-O-Gruppe detektiert werden sind der σ-σ-Uumlbergang der π-π-Uumlbergang und der n-π-Uumlbergang Letzterer ist in einer C-O-Gruppe stets am energieaumlrmsten und kann bereits mit UV-Licht einer Wellenlaumlnge um 280 nm angeregt werden (schwarzer Pfeil in Abb 16) Energiereicher und intensiver ist bei der CO-Gruppe der π-π-Uumlbergang der bei Wellenlaumlngen um 170 nm angeregt wird (roter Pfeil in Abb 16) Daruumlber hinaus zeigt das Spektrum dass die beiden freien Elektronenpaare des Sauerstoffs stark unterschiedlichen Charakter besitzen (nur eines ist an dem n-π-Uumlbergang beteiligt das andere tritt im gegebenen Spektralbereich nicht in Erscheinung)

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Auf aumlhnliche Weise lassen sich alle MO-Schemata komplizierter Molekuumlle analysieren Lie-gen die Anregungsfrequenzen der Uumlbergaumlnge im sichtbaren Bereich so haben die Molekuumlle die Funktion von Farbstoffen Haumlufig besitzen sie dann laumlngere lineare Delokalisationsgebiete deren Elektronenspektren man dann auch in grober Naumlherung mit dem eindimensionalen Potentialtopfmodell beschreiben kann (s Kapitel 22) Werden Bindungselektronen angeregt und aumlndern sich im Verlauf der elektronischen Anre-gung die Bindungsverhaumlltnisse (beispielsweise bei Besetzung eines antibindenden Zustands) so ist mit der elektronischen Anregung zwangslaumlufig auch eine Aumlnderung des energetisch guumlnstigsten Bindungsabstands verbunden Damit einhergehend werden mechanische Schwin-gungen des Molekuumlls angeregt Mit den Molekuumllschwingungen verhaumllt es sich analog zu den elektronischen Zustaumlnden auch Molekuumllschwingungen existieren nur in bestimmten definierten Zustaumlnden die sich dann den elektronischen Zustaumlnden uumlberlagern (Abb 17) Die Folge davon ist dass die Elektronenspektren von Molekuumllen haumlufig keine scharfen Linien sondern breite Absorptionsbereiche (bdquoBandenldquo) aufweisen Alle Linien fuumlr die elektronischen Uumlbergaumlnge zerlegen sich demnach in eine Vielzahl von Einzellinien die verschiedene Schwingungszustaumlnde der benachbarten elektronischen Zustaumlnde miteinander verbinden (in Abb 17 sind exemplarisch neun verschiedene moumlgliche Uumlbergaumlnge eingezeichnet) Normaler-weise liegen alle diese Linien dicht beieinander so dass insgesamt eine verbreiterte Absorp-tionsbande entsteht

Ener

gie

elektronische Niveaus

Schwingungsniveaus

Abb 17 Zum Zustandekommen von breiten Absorptionsbanden in Elektronen-Schwingungsspektren Uumlberlagerung von elektronischen Uumlbergaumlngen mit Schwingungsuumlbergaumlngen Exemplarisch sind jeweils drei Schwingungsniveaus eingezeichnet

Das Elektronenspektrum eines Molekuumlls wird wegen der dazu verwendeten Frequenzbereiche im UV- und im sichtbaren (bdquovisibleldquo) Spektrum auch UV-vis-Spektroskopie genannt Die UV-vis-Spektroskopie dient neben der Aufklaumlrung der MO-Struktur auch der schnellen und bequemen Identifikation von chemischen Verbindungen Aufgrund ihrer im Absorptionsver-fahren sehr einfachen und preisguumlnstigen Messtechnik wird sie auch haumlufig in Kombination mit anderen analytischen Verfahren (zB der Chromatographie) verwendet Uumlber eine Bestim-mung der Intensitaumlt der Anregung kann auch eine quantitative Analyse einzelner Verbindun-gen erfolgen

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3 Das Zusammenwirken von Atomen und Molekuumllen 31 Der makroskopische Zustand von Materie Bisher sind nur einzelne Bausteine der Materie also Atome und Molekuumlle betrachtet worden Nun soll das makroskopische Erscheinungsbild von Materie ins Auge gefasst werden die aus einer Vielzahl von Atomen oder Molekuumllen besteht Um den Zustand dieser aus vielen Teilchen zusammengesetzten Materie uumlberhaupt als Gesamtheit zu beschreiben benoumltigt man zunaumlchst so genannte Zustandsparameter oder Zustandsgroumlszligen Die wichtigsten Vertreter dieser Kenngroumlszligen fuumlr makroskopische Materie sind die Stoffmenge n das Volumen V der Druck P und die Temperatur T

n Stoffmenge Die Stoffmenge wird uumlber die Teilchenzahl definiert

Einheit der Teilchenzahl 1 Mol

Definition Ein Mol eines Stoffes enthaumllt dieselbe Anzahl an Teilchen wie 0012 kg reiner Kohlenstoff des Isotops 12C (1 Mol 60221023

Teilchen) Dabei muss eindeutig festgelegt sein was unter einem Teilchen des Stoffes jeweils zu verstehen ist Ist die Stoffmenge konstant so spricht man von einem geschlossenen System

V Volumen Die Definition des Volumens erfolgt uumlber die festgelegte Laumlngeneinheit und den geometrischen Volumenbegriff

Einheit des Volumens 1 msup3

Definition Ein msup3 ist das Volumen eines wuumlrfelfoumlrmigen Raums mit einer Kantenlaumlnge von einem Meter Ist das Volumen konstant so spricht man von einem isochoren Vorgang

P Druck Die Definition erfolgt uumlber die Kraft die ein Stoff auf jede Flaumlcheneinheit eines ihn einschlieszligenden Behaumllters ausuumlbt

Einheit des Drucks 1 Pascal = 1 Pa = 1 Nmsup2 = 10-5 bar

Definition Ein Pascal ist der Druck bei dem auf jeden Quadratmeter der Behaumllterwaumlnde eine Kraft von 1 Newton ausgeuumlbt wird Ist der Druck konstant so spricht man von einem isobaren Vorgang

T Temperatur

Der sicherlich am schwierigsten fassbare Zustandsparameter makroskopischer Materie ist die Temperatur Zwar ist sie direkt mit der menschlichen Wahrnehmung verknuumlpft (kalt warm heiszlighellip) physikalisch jedoch zunaumlchst sehr undefiniert da sie nicht ohne weiteres auf andere physikalische Groumlszligen zuruumlckfuumlhrbar ist Am ehesten laumlsst sie sich im ersten Ansatz als diejenige Eigenschaft von Materie beschreiben die von einem Thermometer gemessen wird

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Zur Verwendung als Thermometer eignet sich prinzipiell jeder physikalische oder chemische Vorgang der reproduzierbar mit einer Temperaturaumlnderung verknuumlpft ist Klassisch sind dies insbesondere die Ausdehnungsvorgaumlnge von Gasen Fluumlssigkeiten und Festkoumlrpern (Abb 18)

Hg

Festkoumlrperthermometer werden gewoumlhnlich nach demPrinzip des Bimetall-Thermometers ausgelegt (ganzlinks) Dabei werden zwei verschiedene Festkoumlrper(zB zwei Bleche aus verschiedenen Metallen) flaumlchigmiteinander in Kontakt gebracht Bedingt durch dieunterschiedliche thermische Ausdehnung derMaterialien kruumlmmt sich das Bimetall-Blech abhaumlngigvon der Temperatur mehr oder weniger stark zu einerSpirale

Fluumlssigkeitsthermometer (Mitte) und Gasthermometer(rechts) nutzen die Volumenaumlnderung eines fluidenMediums mit der Temperatur Die Genauigkeit kannerhoumlht werden indem einem groszligvolumigen Vorrats-behaumllter ein relativ kleinvolumiger Ausdehnungs- undAblesebereich gegenuumlbergestellt wird

Abb 18 Thermometer die auf der Grundlage der temperaturbedingten Ausdehnung von Materie beruhen

In der Praxis kommen mehr und mehr die elektronischen Varianten der Temperaturmessung zum Zug die zumeist auf der Messung der Thermospannung basieren Neben der Messmetho-de ist die Festlegung einer Temperaturskala wichtig Dazu dienten zunaumlchst einige Fixpunkte die heute teilweise noch historische Bedeutung haben

1) Die tiefste Temperatur des Winters 17081709 in Danzig - 178 degC

2) Die Temperatur von schmelzendem Eis bei 760 Torr (760 Torr = 1 atm = 101 325 Pa) 0 degC

3) Koexistenztemperatur von Eis Wasser und Wasserdampf 001 degC (exakt)

4) Die durchschnittliche Koumlrpertemperatur eines gesunden Menschen 378 degC

5) Die Siedetemperatur des Wassers bei 760 Torr (1 atm = 101 325 Pa) 100 degC

Die Punkte 1 und 4 bildeten die Grundlage des Fahrenheit-Systems die Punkte 2 und 5 die der Celsius-Skala Bei beiden Systemen wurde der definierte Bereich zunaumlchst in 100 gleiche Teile (Grade) aufgeteilt dann extrapoliert Beide Definitionen wurden spaumlter verfeinert (Celsius 9999 Grade C zwischen den Fixpunkten 3 und 5 Fahrenheit 180 Grade F zwischen den Fixpunkten 1 und 5) Trotzdem mangelt es auszliger Punkt 3 allen genannten Fixpunkten an Genauigkeit und Reproduzierbarkeit

Das zweite Problem nach der Unvollkommenheit der Fixpunkte besteht in der Festlegung einer systemunabhaumlngigen linearen Teilung Gewoumlhnlich ist der Verlauf der Skala vom gewaumlhlten Medium abhaumlngig Eine lineare Teilung auf der Skala eines Quecksilber-thermometers entspricht daher nicht einer linearen Teilung auf der Skala eines Alkoholthermometers da die Ausdehnung bei jedem Medium in unterschiedlicher Weise von der Temperatur abhaumlngt

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Beide Probleme sowohl die Wahl der passenden Fixpunkte als auch die Definition einer sinnvollen linearen Teilung werden heute durch die Festlegung der so genannten absoluten Temperaturskala geloumlst Grundlage hierfuumlr sind uumlbereinstimmende Beobachtungen an Gasthermometern

-300 -200 -100 0 100 200

V

T

-27315degCBei wiederholten Messungen mit verschiedenenGasthermometern verschiedenen Gasen undGasvolumina und bei verschiedenen Drucken stelltman fest dass sich die Verlaumlngerungen aller in denjeweiligen Diagrammen erhaltenen Linien in einemPunkt schneiden Dieser Punkt entspricht auf derVolumenachse dem Wert V = 0 und auf derTemperaturachse dem Wert T = -27315 degC

Abb 19 Ausdehnungskurven verschiedener Gase Die Temperaturskala ist zunaumlchst noch in Celsius aufgetragen

Aus dieser Beobachtung wurde geschlossen dass der Temperatur am gemeinsamen Schnitt-punkt aller Ausdehnungskurven eine besondere physikalische Bedeutung zukommt und sie sich daher als Fixpunkt einer neuen Temperaturskala eignet Weiterhin wurde festgestellt dass zwar alle Gase in ihrem Ausdehnungsverhalten von dem linearen Verlauf abweichen dass aber unter bestimmten Umstaumlnden (zB niedriger Druck) ein gemeinsamer Verlauf angestrebt wird den man auch als idealen Verlauf bezeichnen koumlnnte Am besten funktioniert das bei Helium unter schrittweise absinkenden Drucken dessen Verhalten sich fuumlr P rarr 0 zum idealen Verhalten extrapolieren laumlsst Diese Erkenntnis diente zur Definition einer absoluten Temperaturskala in Kelvin

1) Unterer Fixpunkt Schnittpunkt der Volumenexpansionskurven bdquoidealerldquo Gase (zB Helium fuumlr den Grenzfall Prarr0) 0 Kelvin

2) Oberer Fixpunkt Koexistenztemperatur von Eis Wasser und Wasserdampf 27316 Kelvin

3) Das Volumen eines bdquoidealenldquo Gases (zB Helium fuumlr den Grenzfall Prarr0) ist bei konstantem Druck proportional zur Temperatur und definiert die lineare Teilung der Temperaturskala

Gemaumlszlig dieser Definition ist jede beliebige Temperatur unter Nutzung eines bdquoidealenldquo Gasther-mometers auf der absoluten Kelvin-Skala eindeutig festgelegt Die Verwendung der Kelvin-Skala ist gegenuumlber der Nutzung klassischer Temperatursysteme bei der Beschreibung physi-kalischer Vorgaumlnge eindeutig von Vorteil Vorgaumlnge bei denen die Temperatur konstant ist nennt man isotherm Mit der Definition der wichtigsten Zustandsparameter Teilchenzahl n Volumen V Druck P und Temperatur T besteht nun die Moumlglichkeit das Verhalten makroskopischer Materie zu beschreiben Am einfachsten gelingt das im Fall von Gasen

32 Zustandsgleichung fuumlr Gase die ideale Gasgleichung

Gleichungen welche die Zustandsparameter wie n V T und P miteinander verknuumlpfen nennt man Zustandsgleichungen Sie beschreiben das Verhalten einer aus vielen einzelnen Teilchen bestehenden Materie hinsichtlich ihrer makroskopisch messbaren Groumlszligen Am

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einfachsten sind solche Zustandsgleichungen fuumlr Gase aufzustellen Untersucht man bei Gasen systematisch den Zusammenhang zwischen n V P und T so stellt man fest dass fuumlr alle Gase in mehr oder weniger guter Naumlherung folgende einfache Gleichung erfuumlllt isthellip

P ∙ V = n ∙ R ∙ T

hellipwobei R fuumlr die so genannte ideale Gaskonstante steht (R asymp 8314 J K-1 Mol-1) Diese Glei-chung auch bdquoideale Gasgleichungldquo genannt ist ein so genanntes Grenzgesetz kein real exis-tierendes Gas erfuumlllt es genau aber alle Gase kommen ihm recht nahe insbesondere bei hohen Temperaturen und niedrigen Druumlcken Eine Gleichung dieser Form nennt man auch Zustands-gleichung da sie Zustandsparameter miteinander verbindet Grafisch laumlsst sich diese Verknuumlp-fung in einem einfachen Diagramm darstellen bei dem jede Kombination von T und V genau einem Wert fuumlr P zugeordnet ist (Abb 20)

P

V

T

Abb 20 Auftragung von P gegen T und V nach der idealen Gasgleichung

Wir wissen nun dass die Gase aus einer Vielzahl von Teilchen (Atomen oder Molekuumllen) bestehen Wie laumlsst sich das durch die ideale Gasgleichung beschriebene Verhalten nun mit dieser Tatsache in Einklang bringen Was bedeuten eigentlich die Parameter Druck und Tem-peratur fuumlr ein Gas das sich aus vielen einzelnen Atomen und Molekuumllen zusammensetzt Um makroskopische Zustandsparameter uumlberhaupt mit der Teilchenwelt verknuumlpfen zu koumlnnen benoumltigen wir eine Modellvorstellung fuumlr das mechanische Zusammenwirken der Teilchen im Fall von Gasen das so genannte kinetische Gasmodell

33 Das kinetische Gasmodell

Bei den im vorhergehenden Kapitel aufgefuumlhrten Gasgesetzen handelt es sich um mathemati-sche Beschreibungen von makroskopisch beobachtbaren Vorgaumlngen Zur Interpretation der Gasgesetze auf molekularer Ebene wurden verschiedene Modelle vorgeschlagen Das erfolg-reichste unter ihnen war das sogenannte kinetische Gasmodell Es beruht auf der Vorstellung dass ein Gas aus einer Vielzahl von Teilchen besteht die folgende Bedingungen erfuumlllen

1) Sie besitzen eine Atom- oder Molmasse M einen endlichen Durchmesser d und befinden sich in staumlndiger und ungeregelter Bewegung

2) Die Groumlszlige der Teilchen ist im Verhaumlltnis zum freien Volumen vernachlaumlssig-bar

3) Zwischen den Teilchen finden elastische Stoumlszlige statt Ansonsten existieren keine weiteren Wechselwirkungen unter den Teilchen

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Nach der kinetischen Gastheorie besteht der Druck eines Gases aus der Summe aller Kraumlfte (pro Flaumlcheneinheit) die durch auf eine Flaumlche aufprallende Gasteilchen (bzw durch deren Impulsaumlnderung) ausgeuumlbt werden (Abb 21)

Vx t

Abb 21 Links schematische Darstellung der Impulsaumlnderung bei dem Auftreffen eines Gasteilchens auf der Gefaumlszligwand Viele solche Stoumlszlige fuumlhren in der Summe zum Entstehen einer messbaren dem Gasdruck zugeordneten Kraft Rechts Die Geschwindigkeitskomponente vx der Teilchen bestimmt nicht nur die Groumlszlige der Impulsaumlnderung sondern auch die Zahl der Teilchen die pro Zeiteinheit auf die Wand stoszligen Daher geht die Geschwindigkeit der Teilchen bei der Berechnung des Drucks insgesamt quadratisch ein

Dabei wird zunaumlchst davon ausgegangen dass alle Teilchen die gleiche Geschwindigkeits-komponente vx aufweisen Diese Geschwindigkeitskomponente bestimmt zum einen die Heftigkeit der Stoumlszlige zum anderen wie viele Gasteilchen pro Zeiteinheit auf die Wand prallen Insgesamt haumlngt der Druck damit vom Quadrat der Geschwindigkeitskomponente vxab Fuumlhrt man nun ein mittleres Geschwindigkeitsquadrat csup2 ein (mit vxsup2 = 13 csup2) so erhaumllt man fuumlr den an dem beweglichen Kolben spuumlrbaren Druck die Gleichung

P = 13 M csup2 (nV) oder in der Schreibweise der idealen Gasgleichung P V = 13 n M csup2 Der Druck ist nach dem kinetischen Gasmodell also die Folge einer Vielzahl von Stoumlszligen welche die Teilchen gegen die Behaumllterwaumlnde ausfuumlhren Er ist folglich proportional zur Mas-se der Teilchen (je schwerer die Teilchen desto heftiger die Stoumlszlige) zum mittleren Geschwin-digkeitsquadrat (die Geschwindigkeit der Teilchen bestimmt zum einen die Haumlufigkeit zum anderen die Heftigkeit der Stoumlszlige) und zur Zahl der Teilchen pro Volumeneinheit (womit wie nach der idealen Gasgleichung zu erwarten P umgekehrt proportional zu V ist) Die Bedeutung der Temperatur im kinetischen Gasmodell ist dagegen zunaumlchst unklar Mit der idealen Gasgleichung P V = n R T ergibt sich aber durch Koeffizientenvergleich n R T = 13 n M csup2 oder R T = 13 M csup2 Man kann unter Nutzung beider Gasmodelle so zu einem neuen teilchenbezogenen Verstaumlnd-nis des Phaumlnomens Temperatur kommen Die Temperatur eines Gases ist demnach direkt proportional zum mittleren Geschwindigkeitsquadrat der Gasteilchen oder in anderen Worten zu deren kinetischer Energie 12 M csup2 Dies ist fuumlr das Verstaumlndnis des Phaumlnomens Temperatur von groszliger Bedeutung Man kann die Temperatur eines Gases also messen indem man (bei bekannter Masse der Teilchen) die Geschwindigkeit der Gasteilchen bestimmt Die Wurzel aus dem mittleren Geschwindigkeits-quadrat also die Groumlszlige c liegt uumlblicherweise in der Groumlszligenordnung der Schallgeschwindig-keit (zum Beispiel fuumlr Stickstoff bei Raumtemperatur c = 516 ms) und steht zu ihr in einer

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festen Beziehung Tatsaumlchlich laumlsst sich die Temperatur auch uumlber eine Messung der Schall-geschwindigkeit ermitteln Nachdem das mittlere Geschwindigkeitsquadrat der Teilchen bekannt ist stellt sich die Frage nach der Geschwindigkeitsverteilung der Teilchen Die Bewegungsenergie der Teilchen ist wie alle anderen Energieformen (zB elektronische Energie Schwingungsenergie) gequantelt Das bedeutet dass sich die Teilchen auf (hier dicht gestaffelte) Energieniveaus verteilen muumlssen Sie tun das nach einem statistischen Grundprinzip das Boltzmann-Verteilung genannt wird Demnach ist die Besetzung pi eines Energieniveaus i (egal welcher Art die Energie Ei ist) stets proportional zum so genannten Boltzmannfaktor des Zustand i Es gilt

pi ~ exp[-Ei(kBT)]

Die darin enthaltene Boltzmannkonstante kB ist nichts anderes als die allgemeine Gas-konstante R (siehe unter 32) dividiert durch die Zahl NL der Teilchen in einem Mol Substanz (kB = RNL) Das bedeutet die Besetzung eines Zustands ist umso wahrscheinlicher je niedriger dessen Energie ist Steigende Temperatur T hingegen erhoumlht die Wahrscheinlichkeit energiereicher Zustaumlnde Diese Gesetzmaumlszligigkeit gilt fuumlr die Besetzung aller auf atomarer oder molekularer Ebene gegebener Zustaumlnde in einem makroskopischen System Angewandt auf die Bewegungsenergie von Gasteilchen in einer einzelnen Raumrichtung x bedeutet das dass Teilchen mit hoher Geschwindigkeit vx weniger wahrscheinlich sind als solche mit niedriger Geschwindigkeit vx Allerdings steigt die Wahrscheinlichkeit des Auftretens groszliger Werte fuumlr vx mit steigender Temperatur Teilt man den Bereich der auftretenden Geschwindigkeiten in Intervalle auf und zaumlhlt man die Teilchen die gemaumlszlig ihrer Geschwindigkeit zu den einzelnen Intervallen zugeordnet werden koumlnnen so ergibt sich fuumlr die Geschwindigkeitsverteilung in vx und v das Bild das in Abb 22 oben dargestellt ist Die Verteilungsfunktionen fuumlr die Geschwindigkeiten in y- und z-Richtung sind identisch

n(vx)

vx-Intervall

n(vx)

vx-Intervall

Temperatur-erhoumlhung

- 0 +- 0 +n(v)

v-Intervall

Temperatur-erhoumlhung

0 +

n(v)

v-Intervall0 +

Abb 22 Verteilungsfunktionen einer eindimensionalen Geschwindigkeitskomponente (oben) und der Gesamtgeschwindigkeit (unten)

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Betrachtet man die Verteilung n(v) der Gesamtgeschwindigkeit v im dreidimensionalen Raum so wird das Bild komplizierter Bezuumlglich der drei Raumrichtungen x y und z sind weiterhin die kleinen Geschwindigkeiten wahrscheinlicher als die groszligen Da nun aber fuumlr eine groszlige Gesamtgeschwindigkeit v mehr Kombinationsmoumlglichkeiten vx vy vz existieren als fuumlr kleine Gesamtgeschwindigkeiten so wird die Wahrscheinlichkeit fuumlr sehr geringe Gesamtgeschwindigkeiten entsprechend kleiner fuumlr groszlige Gesamtgeschwindigkeiten entsprechend groumlszliger Der daraus resultierende Gewichtungsfaktor fuumlr jedes v ist die relative Flaumlche der Kugelschale mit dem Radius v Insgesamt ergeben sich dann die in Abb 22 unten dargestellten Verteilungsfunktionen fuumlr niedrige und hohe Temperaturen Die Verteilungsfunktionen in vx und v lauten (ohne Herleitung)

f(vx) = [M(2RT)]12 exp [-Mvxsup2(2RT)]

f(v) = 4 [M(2RT)]32 vsup2 exp [-Mvsup2(2RT)] Der Mittelwert von vx (oder jeder anderen eindimensionalen Geschwindigkeitskomponente) ist grundsaumltzlich Null Dagegen besitzt der Mittelwert von v stets eine endliche von Null verschiedene Groumlszlige Bei einer Erhoumlhung der Temperatur werden alle Verteilungsfunktionen breiter der Mittelwert von v vergroumlszligert sich Die Temperatur eines Gases aumluszligert sich also nicht nur im mittleren Geschwindigkeitsquadrat sondern auch in der Form der Geschwindigkeitsverteilungsfunktion Bei der Mischung von Gasen unterschiedlicher Temperatur muss um die oben genannte Forderung zu erfuumlllen aus der einfachen Summe von zwei Verteilungsfunktionen eine neue der Mischtemperatur ent-sprechende Verteilungsfunktion entstehen Dies ist nur unter der Annahme moumlglich dass ein Austausch kinetischer Energie unter den Teilchen erfolgen kann Diese Tatsache bedingt die eingangs gestellte Forderung nach Teilchenstoumlszligen also Wechselwirkungen zwischen den Teilchen Damit muumlssen die Gasteilchen aber auch ein gewisses Volumen besitzen den Teil-chen ohne Eigenvolumen koumlnnen prinzipiell nicht zusammenstoszligen Darin besteht der we-sentliche Unterschied zwischen einem Gas nach dem kinetischen Gasmodell und dem idealen Gas Das ideale Gas koumlnnte man theoretisch auf ein beliebig kleines Volumen komprimieren bei einem kinetischen Gas ist dies aufgrund des Eigenvolumens nicht moumlglich Ansonsten erlaubt das kinetische Gasmodell die vollstaumlndige Interpretation der idealen Gasgleichung

34 Die korrigierte Gasgleichung nach van der Waals JD van der Waals

Mithilfe des kinetischen Gasmodells laumlsst sich die Zustandsgleichung fuumlr Gase weiter verfeinern Zunaumlchst soll beruumlcksichtigt werden dass die Teilchen ein eigenes Volumen besitzen In erster Naumlherung geschieht dies indem man ein vom Eigenvolumen der Gas-teilchen abgeleitetes minimales Volumen des Gases (das so genannte Covolumen) definiert Das Covolumen beschreibt dasjenige Volumen des Gases das bei staumlndigem mechanischem Kontakt zwischen jeweils zwei Teilchen eingenommen wird wenn man den Teilchenpaaren jeweils den sie umschreibenden kugelfoumlrmigen Raum zuordnet (wegen der geringen Wahr-scheinlichkeit von Dreierstoumlszligen kann die Bildung von Dreiergruppen ausgeschlossen werden) Das molare Covolumen b entspricht wenn man eine einfache geometrische Uumlberlegung an-setzt dem vierfachen Eigenvolumen eines Mols der Gasteilchen Um das tatsaumlchliche freie

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Volumen zu erhalten muss das n-fache Covolumen vom gegebenen Volumen abgezogen werden Damit wird aus der idealen Gasgleichung P V = n R T die erste korrigierte Version P (V - n b) = n R T Im zweiten Schritt soll nun uumlber das kinetische Gasmodell hinausgehend auch die anziehen-de Wechselwirkung zwischen den Teilchen beruumlcksichtigt werden Die Anziehung zwischen den Teilchen sorgt nach van der Waals fuumlr einen zusaumltzlichen nach auszligen nicht messbaren bdquoBinnendruckldquo Dieser Binnendruck ist proportional zum Quadrat der Teilchendichte (nV)sup2 Der zwischen den Teilchen tatsaumlchlich wirkende nach auszligen ebenfalls unmessbare Gesamt-druck ist dann gegeben als

Pgesamt (unmessbar) = P (messbar) + a (nV)sup2

mit einer fuumlr die anziehende Wechselwirkung charakteristischen Konstante a Die danach korrigierte Version der Gasgleichung die van-der-Waals-Gleichung fuumlr reale Gase lautet

[P + a (nV)sup2] (V - nb) = n R T

Die Konstanten b und a besitzen fuumlr jedes reale Gas charakteristische Werte die dessen Eigenvolumen (die Groumlszlige der Elektronenhuumllle) und die Staumlrke der intermolekularen Wechsel-wirkungen reflektieren Beispiele

Gas a b

Argon 01345 Pa m6Molsup2 32210-5 msup3Mol Kohlendioxid 03592 Pa m6Molsup2 426710-5 msup3Mol Helium 00034 Pa m6Molsup2 23710-5 msup3Mol Stickstoff 01390 Pa m6Molsup2 391310-5 msup3Mol Wasser 05573 Pa m6Molsup2 31010-5 msup3Mol

Der Parameter b spiegelt mit der Einheit msup3Mol weitgehend die Groumlszlige der einzelnen Teilchen (Atome oder Molekuumlle) wider So besitzt erwartungsgemaumlszlig Kohlendioxid oder Argon einen groumlszligeren Wert fuumlr b als beispielsweise Helium Allerdings sind die Unterschiede erstaunlich klein was auf die Tatsache zuruumlckzufuumlhren ist dass sich das Covolumen auf Teilchenpaare bezieht und ein Paar aus Kohlendioxidmolekuumllen gegenuumlber einem Paar aus Heliumatomen nur etwa das doppelte Volumen benoumltigt

Der Parameter a mit der Einheit Pascal mal Molvolumen zum Quadrat reflektiert die Staumlrke der Wechselwirkungen zwischen den Teilchen Diese Wechselwirkungen beruhen zum groszligen Teil auf den elektrischen Eigenschaften der Teilchen Diese wiederum sind mit der elektronischen Struktur der Atome beziehungsweise der chemischen Bindungen verknuumlpft Am wichtigsten ist dabei das in Kapitel 19 erwaumlhnte Dipolmoment Polare Bindungen koumlnnen zu Teilchen mit permanenten Dipolen fuumlhren (zB HF Wasser Ammoniak CO) Andere Molekuumlle oder Atome sind zwar unpolar koumlnnen aber spontan oder durch aumluszligere

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elektrische Felder polarisiert werden (zB He Ar molekularer Wasserstoff molekulares Chlor) Man spricht dann von polarisierbaren Teilchen mit einem spontanen Dipolmoment oder mit einem durch ein aumluszligeres Feld bewirkten induzierten Dipolmoment In all diesen Faumlllen sind anziehende Wechselwirkungen zwischen den Teilchen moumlglich die in dem Parameter a zusammengefasst werden Daruumlber hinaus koumlnnen sich auch voruumlbergehende chemische Bindungen ausbilden Das prominenteste Beispiel fuumlr diesen Fall ist die bekannte Wasserstoffbruumlckenbindung die bei polaren X-H-Bindungen auftreten kann Im Einzelnen werden demnach folgende Arten von Wechselwirkungen mit absteigender Intensitaumlt unter-schieden

a) Wasserstoffbruumlckenbindung X-H hellip Y Hierbei bildet sich voruumlbergehend eine chemische Bindung zwischen dem polar gebundenen Wasserstoff und einem elektronegativen und mit einem freien Elektronenpaar ausgestatteten Element Y

b) Wechselwirkungen zwischen permanenten Dipolen hier besitzen alle Teilchen ein permanentes Dipolmoment Zwischen den entgegengesetzt geladenen Enden der Teilchen bauen sich dann konstant anziehende elektrostatische Wechselwir-kungen auf

c) Wechselwirkungen zwischen permanenten und induzierten Dipolen die Teil-chen mit permanentem Dipolmoment induzieren ein voruumlbergehendes Dipol-moment bei den benachbarten (zunaumlchst unpolaren) Teilchen In der Folge ergibt sich eine anziehende elektrostatische Wechselwirkung

d) Wechselwirkungen zwischen induzierten Dipolen durch spontane Polarisierung eines Teilchens entsteht ein voruumlbergehendes Dipolmoment welches bei einem benachbarten Teilchen eine Polarisierung hervorruft In der Folge ergibt sich eine kurzfristige und sehr schwache elektrostatische Anziehung zwischen den Teilchen Man spricht dabei auch von der Dispersionswechselwirkung oder der Londonschen Wechselwirkung

Alle diese Effekte sind anziehender Natur und gehen damit in den Parameter a ein Fasst man die beiden Parameter a und b zusammen so entsteht mit der van-der-Waals-Gleichung eine recht zuverlaumlssige Zustandsgleichung fuumlr reale Systeme die sowohl die abstoszligenden als auch die anziehenden Wechselwirkungen beruumlcksichtigt

Ein guter Test fuumlr diese reale Zustandsgleichung ist die Berechnung eines Diagramms von P gegen V fuumlr verschiedene Temperaturen das so genannte P-V-Diagramm und die Gegen-uumlberstellung mit dem entsprechenden experimentellen P-V-Diagramm eines realen Gases Gemaumlszlig der van-der-Waalsrsquoschen Gleichung existieren abhaumlngig von der betrachteten Tempe-ratur drei Typen von Isothermen (Abb 23 links) solche die einer Hyperbel aumlhneln (1) eine einzelne Isotherme die einen Wendepunkt mit waagrechter Tangente besitzt (2) und solche die ein Minimum ein Maximum und einen Wendepunkt aufweisen (3) Das experimentell beobachtete Verhalten stimmt in den ersten beiden Faumlllen recht gut uumlberein weicht aber bei Isothermen des dritten Typs deutlich vom berechneten Verlauf ab (Abb 23 rechts)

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P

V

PV-Diagramm nachvan-der-Waals-Gleichung

1 2

3

P

V

3

experimentell bestimmtesPV-Diagramm f reales Gas

Abb 23 PV-Diagramme fuumlr reale Gase berechnet nach van der Waals (links) und experimentell bestimmt (rechts) Die drei typischen Formen der Isothermen (1 2 und 3) sind im Text beschrieben

Offensichtlich beschreibt die van-der-Waals-Gleichung das Verhalten eines realen Gases in der Umgebung des Wendepunkts weniger gut Experimentell stellt man allerdings fest dass in diesem Bereich tatsaumlchlich auch kein reines Gas sondern vielmehr eine Mischung aus einem Gas und einer kondensierten Fluumlssigkeit also ein Zweiphasenzustand vorliegt Dieser Zwei-phasenbereich beginnt am Wendepunkt der Isothermen des Typs 2 und schlieszligt alle Minima Maxima und Wendepunkte der Isothermen des Typs 3 ein (Abb 24 links)

P

V

Zweiphasen-gebiet

P

V

Zweiphasen-gebiet

Maxwell-Maxwell-KorrekturKorrektur

Zweiphasen-Gebiet

Zweiphasen-Gebiet

A1

A2

Abb 24 PV-Diagramme fuumlr reale Gase mit eingezeichnetem Zweiphasengebiet Der in diesem Bereich bei der Beschreibung nach van der Waals gegebene Fehler kann in guter Naumlherung durch die Maxwell-Korrektur kompensiert werden

Eine einfache Korrektur der van-der-Waals-Gleichung ermoumlglicht eine realistische Beschrei-bung des Zweiphasengebiets Eine horizontale Gerade wird so in der Naumlhe des Wendepunktes gelegt dass die oberhalb und unterhalb der Geraden im Zweiphasenbereich gebildeten Teilflaumlchen A1 und A2 die gleiche Groumlszlige besitzen (sog Maxwell-Korrektur s Abbildung 24 rechts) Dies sieht zwar nach einer etwas willkuumlrlichen Hilfskonstruktion aus trotzdem laumlsst sich damit das Verhalten eines realen Gases im Zweiphasengebiet sehr gut nachvollziehen und vorhersagen Eine besonders ausgewiesene Position im PV-Diagramm eines realen Gases ist der Scheitel-punkt des Zweiphasengebiets der durch den Wendepunkt der Isotherme des Typs 2 gebildet wird (Abb 25)

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P

V

Zweiphasen-gebiet Tc

Pc

Vc

kritischer Punkt

Jedes reale Gas besitzt einen sogenannten kritischenPunkt der durch die kritischen Zustandsgroumlszligen Tc Pc undVc beschrieben wird Die kritische Temperatur Tc istdiejenige Temperatur bei der sich ein Gas unter Druckgerade noch verfluumlssigen laumlszligt Oberhalb der kritischenTemperatur existiert kein fluumlssiger Zustand Derentsprechende Druck Pc wird als kritischer Druckbezeichnet

Die Isotherme die der kritischen Temperatur zugeordnetist besitzt als einzige einen Wendepunkt mit horizontalerTangente der gleichzeitig den kritischen Punkt markiert

Abb 25 PV-Diagramm fuumlr ein reales Gas mit kritischem Punkt

Dieser sogenannte kritische Punkt wird durch die kritische Temperatur Tc den kritischen Druck Pc und das kritische Molvolumen Vc festgelegt Zustaumlnde oberhalb des kritischen Punkts nennt man uumlberkritisch Uumlberkritisches Kohlendioxid besitzt in der Technik groszlige Bedeutung fuumlr das Loumlsen und Ausfaumlllen von pharmazeutischen Wirkstoffen (zB Aspirin fuumlr Brausetabletten) fuumlr die Extraktion (zB bei der Entkoffeinierung von Kaffee) oder zur chemischen Reinigung von Textilien

35 Andere Zustandsgleichungen fuumlr reale Gase

Neben der van-der-Waals-Gleichung existieren weitere Ansaumltze zur Beschreibung realer Gase die zwar eine genauere Anpassung an die gemessenen Werte ermoumlglichen aber auch kompli-zierter sind oder mehr Arbeit bei der Bestimmung der charakteristischen Parameter erfordern Im Folgenden seien als Beispiele die Berthelot-Gleichung und die Virialgleichung erwaumlhnt

a Berthelot-Gleichung (P + (Ansup2)(TVsup2) ) (V - nB) = n R T Berthelot fuumlhrte damit als Besonderheit einen temperaturabhaumlngigen Binnendruck ein Dies ist insoweit physikalisch gerechtfertigt als die vermehrte thermische Bewegung der Ausbildung von Wechselwirkungen zwischen den Molekuumllen entgegenwirken kann

b Virialgleichung P Vm = A + B P + C Psup2 + D Psup3 + Mit Vm = Vn Die Virialgleichung nutzt die Tatsache dass sich fast alle physikalischen Zusammenhaumlnge uumlber einen Potenzreihenansatz a + bx + cxsup2 + dxsup3 + hellip beliebig genau annaumlhern lassen Je nach Anzahl der anpassbaren Parameter ist zwar eine beliebig genaue Beschreibung des realen Gases moumlglich allerdings steigt auch der Aufwand fuumlr die Bestim-mung aller Koeffizienten

36 Beschreibung von Fluumlssigkeiten

Im PV-Diagramm der realen Gase schlieszligt sich links vom Zweiphasengebiet der Bereich der fluumlssigen Phase an Sie zeichnet sich dadurch aus dass mit sinkendem Volumen der Druck ex-trem steil ansteigt Das bedeutet dass bereits eine geringfuumlgige Volumenabnahme mit einem aumluszligerst groszligen Druckanstieg verbunden ist In der Praxis hat das zur Folge dass Fluumlssigkeiten im Gegensatz zu Gasen kaum komprimierbar sind ihre Kompressibilitaumlt geht gegen Null Auch ist die Ausdehnung der Fluumlssigkeiten bei steigender Temperatur und bei konstantem

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Druck (der thermische Ausdehnungskoeffizient) sehr viel kleiner als bei Gasen Eine einfache allgemeine Zustandsgleichung fuumlr die fluumlssige Phase in Analogie zur idealen oder zur van-der-Waals-Gleichung existiert nicht Stattdessen findet man bei der experimentellen Bestimmung des Zusammenhangs zwischen P V und T fuumlr jede Fluumlssigkeit ein sehr charakteristisches Verhalten Vergleicht man die Messergebnisse verschiedener Fluumlssigkeiten untereinander so sind kaum Aumlhnlichkeiten auszumachen Daruumlber hinaus sind bestimmte Messungen (zB die Messung der Abhaumlngigkeit des Drucks vom Volumen bei konstanter Teilchenzahl und Temperatur) technisch sehr schwer zu realisieren Das Fehlen einer einheitlichen Zustandsgleichung V(TPn) fuumlr Fluumlssigkeiten liegt auch in deren komplexer Struktur begruumlndet Betrachtet man ein einzelnes Teilchen in der Fluumlssigkeit so liegt es bezuumlglich der Abstaumlnde zu seinen naumlchsten Nachbarn stets in der Naumlhe des Mini-mums einer Potentialkurve Epot(r) die einen sehr steilen Verlauf besitzt Die Abstaumlnde zu den benachbarten Teilchen sind damit nahezu fixiert folglich ist eine unabhaumlngige Translations-bewegung einzelner Teilchen praktisch unmoumlglich Stattdessen verlaufen alle Bewegungs-prozesse mehr oder weniger kollektiv also unter gleichzeitiger Verschiebung mehrerer Teilchen Daruumlber hinaus gibt es keine nennenswerten freien Volumina so dass der mittlere Abstand der Teilchen nur unwesentlich verringert werden kann ein Umstand der sich in der bereits erwaumlhnten geringen Kompressibilitaumlt aumluszligert Ein Modell fuumlr eine allgemeine Fluumlssigkeit laumlsst sich im Rahmen einer Computersimulation einfuumlhren Man betrachtet dabei einen wuumlrfelfoumlrmigen Raum der einen Ausschnitt aus dem Fluumlssigkeitsvolumen darstellen soll und eine endliche Anzahl n von Fluumlssigkeitsteilchen (zB n = 1000) enthaumllt Um die Zahl der Teilchen konstant zu halten und dabei trotzdem deren Beweglichkeit zu wahren wird eine Kontinuitaumltsbedingung eingefuumlhrt Jedes Teilchen das im Rahmen der Bewegungsprozesse den Wuumlrfel an einer gegebenen Stelle verlaumlsst tritt automatisch an der genau gegenuumlberliegenden Position des Wuumlrfels wieder ein Auf diese Weise ist gewaumlhrleistet dass die Zahl der Teilchen im Wuumlrfel konstant bleibt (Abb 26)

Abb 26 Simulation von Bewegungs-vorgaumlngen in einem Fluumlssigkeitsvolumen unter Wahrung einer konstanten Partikel-anzahl Jedes Teilchen das im Rahmen der Bewegungsprozesse den Wuumlrfel an einer gegebenen Stelle verlaumlsst tritt automatisch an der genau gegenuumlberliegenden Position des Wuumlrfels wieder ein

An diesem System fuumlhrt man nun eine so genannte Monte-Carlo-Simulation durch Dabei setzt ein Zufallsgenerator eine geringfuumlgige Verschiebung eines beliebigen einzelnen Teil-chens in Gang Anschlieszligend wird unter Verwendung des bekannten Potentialverlaufs Epot(r) berechnet wie sich nach der Verschiebung die potentielle Energie des Systems veraumlndert hat Danach entscheidet das Simulationsprogramm zwischen zwei Moumlglichkeiten

- Hat sich die gesamte potentielle Energie des Systems durch die Verschiebung verringert oder blieb sie konstant so wird die Verschiebung akzeptiert und der naumlchste Schritt berechnet - Hat sich die gesamte potentielle Energie durch die Verschiebung um den positiven Wert E erhoumlht so wird die Verschiebung mit einer Wahrscheinlichkeit die von E abhaumlngt akzeptiert und ansonsten verworfen Danach wird der naumlchste Schritt berechnet

Auf diese Weise kann man fuumlr beliebige Fluumlssigkeiten sowohl die typischen Bewegungs-prozesse als auch die einflussbedingten Veraumlnderung von Zustandsgroumlszligen (zB P in Ab-

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haumlngigkeit von V) berechnen Allerdings sind die Rechnungen bei den fuumlr eine realistische Beschreibung eines Fluumlssigkeitsvolumens notwendigen groszligen Teilchenzahlen sehr aufwaumlndig und zeitintensiv

37 Beschreibung von Festkoumlrpern

Begibt man sich im P-V-Diagramm vom fluumlssigen Zustand ausgehend noch weiter nach links (zu kleineren Volumina houmlheren Drucken und niedrigeren Temperaturen) so erreicht man den festen Zustand Die Problematik der Zustandsgleichung V(TPn) von Festkoumlrpern aumlhnelt jener der Fluumlssigkeiten Auch hier sind die Kompressibilitaumlten und die thermischen Aus-dehnungskoeffizienten uumlblicherweise sehr viel geringer als bei Gasen Ebenso wie bei Fluumls-sigkeiten sind dabei die Unterschiede zwischen einzelnen Vertretern der Festkoumlrper recht groszlig so dass keine gemeinsame Zustandsgleichung wie bei Gasen formuliert werden kann Im Vergleich mit den Werten der Fluumlssigkeiten sind die Kompressibilitaumlten und die thermischen Ausdehnungskoeffizienten der Festkoumlrper durchschnittlich nochmals um etwa zwei Groumlszligen-ordnungen geringer

Abb 27 Torsionsexperiment zur Unterscheidung zwischen Fluumlssigkeiten und Festkoumlrpern (s Text)

Der wesentliche Unterschied zwischen Festkoumlrpern und Fluumlssigkeiten besteht allerdings in ihrem gegensaumltzlichen Verhalten bezuumlglich Verformung waumlhrend Fluumlssigkeiten einer gege-benen Verformung durch ihre Zaumlhigkeit (Viskositaumlt) Widerstand leisten reagiert ein Fest-koumlrper auf eine Verformung durch eine elastische Deformation Dieses Verhalten wird in einem Torsionsrheometer deutlich wobei eine feste oder fluumlssige Probe periodisch mit einer torsionsartigen Verformung beaufschlagt wird (Abb 27) Waumlhrend der Drehmomentverlauf des Festkoumlrpers exakt gleichphasig zur periodischen Aus-lenkung erfolgt (elastische Verformung) ist der Drehmomentverlauf der Fluumlssigkeit dazu um ein Viertel einer Wellenlaumlnge phasenverschoben (viskose Reaktion) Bei Fluumlssigkeiten ist der Widerstand dann maximal wenn die Deformationsgeschwindigkeit maximal ist (blaue Linie

t

Dre

hmom

entv

erla

uf

tAusl

enku

ng

Festkoumlrper

t

Dre

hmom

entv

erla

uf

Fluumlssigkeiten

Pruumlfkoumlrper

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38

in Abb 26) Bei Festkoumlrpern ist die Kraft dann maximal wenn der Deformationszustandmaximal ist (rote Linie in Abb 27) Viele Festkoumlrper stellen Uumlbergaumlnge zwischen diesen beiden Extremfaumlllen dar und werden dann als viskoelastisch bezeichnet Aus der Betrachtung von Messergebnissen an einer Viel-zahl von Materialien geht hervor dass eine eindeutige Abgrenzung zwischen dem fluumlssigen und dem festen Zustand selten moumlglich ist Entsprechend gibt es auch unterschiedliche Strukturmodelle die teilweise das elastische Verhalten teilweise das plastische Verhalten von Festkoumlrpern erklaumlren Dem elastischen Festkoumlrper mit nahezu verschwindender Phasen-verschiebung wird am ehesten das Modell eines idealen Kristalls gerecht Man geht dabei davon aus dass jedes Atom bzw Molekuumll aus dem der Festkoumlrper zusammengesetzt ist sich an einem geometrisch festgelegten Gitterpunkt befindet von dem es sich nicht entfernen kann Als Bewegungsprozess ist dabei lediglich eine Schwingung mit begrenzter Amplitude moumlglich Die denkbaren Geometrien der Gitterstrukturen reichen von primitiv-kubischen Gittern (zB Natriumchlorid) uumlber kubisch-dichteste (zB Silber Kupfer) und hexagonal-dichteste Kugelpackungen (zB Magnesium Zink) bis zur kubisch-raumzentrierten Struktur (zB Eisen Molybdaumln) Haumlufig findet man leichte Abweichungen von der idealen Gitter-struktur die durch lokale Stoumlrungen hervorgerufen werden Akzeptiert man gewisse Anteile an viskosem Verhalten (dh eine leichte Phasenverschiebung) so begibt man sich in den Grenzbereich zwischen Festkoumlrpern und Fluumlssigkeiten In einem Material wie Glas ist die regelmaumlszligige Anordnung eines Gitters nicht gegeben die Atome sind unregelmaumlszligig positioniert und koumlnnen unter Belastung auch flieszligen Solche nicht-kristallinen Festkoumlrper bezeichnet man als amorph Typische Vertreter amorpher Feststoffe sind Fenster-glas viele transparente Kunststoffe (zB Plexiglas Polyester in Getraumlnkeflaschen) Wachs und Aumlhnliches Amorphe Festkoumlrper besitzen keinen Schmelzpunkt sondern erweichen bei steigender Temperatur allmaumlhlich Amorphe Festkoumlrper koumlnnen nachtraumlglich kristallisieren wobei sich haumlufig das aumluszligere Erscheinungsbild und die physikalischen Eigenschaften drastisch aumlndern (zB Plastikfolie unter Zug)

38 Das Phasendiagramm

Die drei wichtigsten Phasenzustaumlnde zu denen sich eine makroskopische Gesamtheit von Atomen oder Molekuumllen zusammenfinden koumlnnen sind also Gase Fluumlssigkeiten und Festkoumlrper Die Frage ist nun unter welchen Bedingungen sich ein System fuumlr den ersten den zweiten oder den dritten Zustand entscheidet Erfahrungsgemaumlszlig haumlngt der gegebene Phasenzustand von den in Kapitel 31 eingefuumlhrten Zustandsparametern n V P und T ab Legt man die Stoffmenge n auf einen Wert fest (zB auf ein Mol Teilchen) und beruumlcksichtigt man dass nach den gegebenen Zustandsgleichungen die Groumlszligen n V P und T miteinander verknuumlpft sind so genuumlgen zwei Parameter um den jeweils guumlnstigsten Phasenzustand eindeutig festzulegen Ein Diagramm bei dem einer der Parameter V P und T gegen einen anderen aufgetragen wird eignet sich also prinzipiell um bei einer gegebenen Teilchenart den unter diesen Bedingungen jeweils angestrebten Phasenzustand zu markieren So kann man gemaumlszlig den Abbildungen 23 bis 25 in einem Diagramm bei dem P gegen V aufgetragen wird schon den jeweils gegebenen Phasenzustand eintragen und ablesen In der Praxis eignen sich solche PV-Diagramme allerdings wenig um Phasenzustaumlnde zu markieren der gasfoumlrmige Zustand nimmt einen sehr breiten Raum ein waumlhrend der fluumlssige und der feste Zustand in dem sehr engen Bereich links neben dem Zweiphasengebiet bdquoeingequetschtldquo waumlre Vor allem in diesem Umfeld waumlre das Diagramm schwer ablesbar

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39

Wesentlich guumlnstiger ist dagegen die Auftragung vom Druck P gegen die Temperatur T In diesem PT-Diagramm das auch als Phasendiagramm bezeichnet wird lassen sich alle Phasenzustaumlnde uumlbersichtlich zuordnen Dabei bezeichnen Flaumlchenanteile im PT-Diagramm die unter den gegebenen Druck- und Temperaturbedingungen angestrebte Phase (zB fest fluumlssig gasfoumlrmig) waumlhrend Linien die dazwischen vorliegenden Gleichgewichte markieren und Phasengrenzlinien genannt werden (Abb 28)

T

Pfe

st

fluumlss

ig

gasfouml

rmig

kritischerPunkt

Tripel-punkt

Phasengrenzlinie

Abb 28 Phasendiagramm mit Auftragung des Drucks (P) gegen die Temperatur (T)

Auszligerdem enthaumllt ein Phasendiagramm gewoumlhnlich mindestens zwei besonders ausgezeich-nete Punkte den Tripelpunkt an dem die drei im Allgemeinen wichtigsten Phasenzustaumlnde fest fluumlssig und gasfoumlrmig miteinander im Gleichgewicht stehen und den bereits aus dem PV-Diagramm bekannten kritischen Punkt der das Ende eines definierten Uumlbergangs zwischen fluumlssiger und gasfoumlrmiger Phase markiert Beispiele fuumlr Phasendiagramme Kohlen-dioxid und Wasser sind in Abbildung 29 und 30 wiedergegeben

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40

T

P

fest

fluumlss

iggasfoumlrmig

kritischerPunkt

Tripel-punkt

2168 K

511 bar

CO2

3042 K

728 bar

Abb 29 Phasendiagramm fuumlr Kohlendioxid

T

P

fluumlss

ig

gasfoumlrmig

kritischerPunkt

H2O

Eis 1

Eis 1

Eis 2 Eis 3

Eis 5

Eis 6

Tripelpunkt6473 K

218 bar

6 mbar 27316 K

Abb 30 Phasendiagramm fuumlr Wasser Der Bereich oberhalb von 200 bar ist aus Gruumlnden der

Uumlbersichtlichkeit entlang der P-Achse komprimiert dargestellt

Eine wichtige Besonderheit des Phasenverhaltens von Wasser ist die Tatsache dass die Phasengrenzlinie zwischen fluumlssigem Wasser und Eis 1 eine negative Steigung aufweist Dies hat zur Folge dass gewoumlhnliches Eis durch Erhoumlhung des Drucks zum Schmelzen gebracht werden kann Dieser Umstand ist eine der Ursachen dafuumlr dass eine Kufe auf Eis gleitet da der durch das Schmelzen entstehende Wasserfilm die Reibung vermindert (allerdings spielt hier auch die Reibungswaumlrme eine Rolle) Der Grund fuumlr dieses Verhalten steht in direkter Verbindung mit der strukturbedingten Volumenabnahme beim Schmelzen von Eis (s Videos unter httpwwwyoutubecomwatchv=6s0b_keOiOU und httpswwwyoutubecomwatchv=CDTZoFGmZoc )

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41

Waumlhlt man in einem Phasendiagramm eine Kombination von Druck und Temperatur so kann man direkt denjenigen Phasenzustand ablesen den die gegebene Teilchenart unter diesen Bedingungen anstrebt Das heiszligt jedoch nicht dass dieser Zustand dann auch in jedem Fall und zu jeder Zeit vorliegt Haumlufig beobachtet man eine so genannte kinetische Hemmung einer Phasenumwandlung So gibt es unterkuumlhlte Fluumlssigkeiten (zB Regentropfen bei -3degC) genauso wie unterkuumlhlte Dampfphasen (zB uumlbersaumlttigten Wasserdampf in Gewitterwolken) oder uumlberhitzte Fluumlssigkeiten (zB uumlberhitztes Wasser bei einem Siedeverzug) Kristalli-sationskeime wie Staubkoumlrner koumlnnen Phasenumwandlungen beschleunigen (zB durch Staub verursachter bdquoIndustrieschneeldquo) Bisher wurden lediglich Phasendiagramme von reinen Stoffen betrachtet die nur aus einer einzelnen Sorte Atomen oder Molekuumllen bestehen Mischt man einem gegebenen Stoff eine weitere Komponente hinzu so aumlndert sich das Phasendiagramm erheblich Als Beispiel betrachten wir ein System in dessen fluumlssiger Phase ein Fremdstoff A geloumlst wird der weder im Festkoumlrper noch im der Gasphase loumlslich ist (zB Kochsalz in Wasser) In diesem Fall dehnt sich der fluumlssige Bereich des Phasendiagramms mit steigender Konzentration von A in alle Richtungen aus so dass gleichzeitig der Schmelzpunkt erniedrigt der Siedepunkt erhoumlht und der Dampfdruck verringert wird (Abb 31) In erster Naumlherung sind alle genannten Aumlnderungen proportional zu cA

T

P

fest

fluumlss

ig

gasfouml

rmig

Abb 31 Phasendiagramm fuumlr ein System in dessen fluumlssiger Phase ein Fremdstoff mit steigender

Konzentration cA geloumlst wird Der Bereich der fluumlssigen Phase dehnt sich daraufhin in alle

Richtungen aus

Bei weiter steigender Konzentration von A kann ein Punkt erreicht werden an dem die Mischung in zwei getrennte Bereiche zerfaumlllt die ebenfalls als Phasen bezeichnet werden (zB Olivenoumll und Wasser) Eine dieser Phasen besitzt dann einen hohen Loumlsemittelanteil bei geringer Konzentration von A die andere besteht aus einem hohen Anteil an A mit einem geringen Gehalt an Loumlsemittel Dieser Vorgang der Phasenseparation binaumlrer (aus zwei Komponenten bestehender) Systeme wird durch eine andere Art von Phasendiagramm beschrieben dem so genannten Mischphasendiagramm (Abb 32) Hierbei wird die Tempe-

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ratur dem relativen Anteil einer Komponente gegenuumlbergestellt der Druck wird als konstant angenommen

Abb 32 Allgemeine Darstellung eines Mischphasendiagramms

Grundsaumltzlich gibt die linke Flanke der Phasentrennlinie (links des kritischen Punkts) die Zusammensetzung der bdquoA-armenldquo Phase an waumlhrend die rechte Flanke (rechts des kritischen Punkts) die Zusammensetzung der A-reichen Phase beschreibt Die Mengen der dabei gebildeten Phasen koumlnnen nach dem so genannten Hebelgesetz berechnet werden Demnach gilt zwischen dem Anteil n1 der A-armen Phase 1 dem Anteil n2 der A-reichen Phase 2 und den Laumlngen der Pfeile s1 und s2 in der vorhergehenden Abbildung folgender Zusammenhang

n1 s1 = n2 s2

Fuumlr das gezeigte Beispiel wuumlrde das bedeuten dass der Anteil der Phase 1 etwa doppelt so groszlig waumlre wie der Anteil der Phase 2 In der Naumlhe der beiden Raumlnder des Diagramms also fuumlr xA 0 (sehr wenig A im Loumlsemittel) oder xA 1 (sehr wenig Loumlsemittel in A) liegen in den meisten Faumlllen einphasige homogene Mischungen vor Das besagt dass auch bei niedrigen Temperaturen ein wenig von dem Stoff A im Loumlsemittel bzw ein wenig Loumlsemittel im Stoff A loumlslich ist Der im Diagramm eingezeichnete kritische Punkt bedeutet dass oberhalb der dazugehoumlrigen kritischen Temperatur keine Entmischung mehr erfolgt dh hier sind die beiden Komponenten vollstaumlndig und in jedem Verhaumlltnis miteinander mischbar Neben solchen oberen kritischen Punkten gibt es auch untere kritische Punkte Im zweiten Fall gilt dass die beiden Komponenten unterhalb einer bestimmten Temperatur in jedem Verhaumlltnis miteinander mischbar sind Im Allgemeinen koumlnnen die drei verschiedenen Faumllle auftreten die in Abbildung 33 dargestellt sind

0 Molenbruch xA der Komponente A 1

Tem

pera

tur

obere kritischeTemperatur

Einphasen-gebiet

Zweiphasen-gebiet

Beispiel xA = 04

T1

Zum gezeigten Beispiel

Eine Mischung mit dem Molenbruch xA = 04 wird von T2 nach T1 abgekuumlhltDabei zerfaumlllt die Mischung bei Tklsquo in zwei Phasen derenZusammensetzung bei T1auf der x-Achse an den Punkten 1 und 2 ablesbar ist

T2

Tklsquo

1 2

kritischer Punkt

s1 s2

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0 xA 1

Tem

pera

tur

System mit oberem kritischen Punkt

kritischer Punkt

0 xA 1Te

mpe

ratu

r

System mit unterem kritischen Punkt

kritischer Punkt

0 xA 1

Tem

pera

tur

System mit oberem und unterem

kritischen Punkt

kritischer Punkt

kritische Punkte

Abb 33 Moumlgliche Varianten von kritischen Punkten bei Systemen aus zwei Komponenten

Obere kritische Punkte findet man dann wenn sich die molekulare thermische Bewegung gegen die Tendenz der Molekuumlle sich mit gleichartigen Molekuumllen zusammenzulagern durchsetzt Dieses Phaumlnomen ist sehr verbreitet so dass ein oberer kritischer Punkt bei sehr vielen Mischphasen beobachtet wird Untere kritische Punkte sind sehr viel seltener Sie treten beispielsweise dann auf wenn die beiden Komponenten miteinander bei tiefen Temperaturen einen Komplex bilden der bei houmlheren Temperaturen wieder zerfaumlllt und dann zu einer Phasenseparation fuumlhrt Ein Beispiel dafuumlr ist die Mischung aus Wasser und Triethylamin

Fuumlr Mischphasen aus drei Komponenten so genannte ternaumlre Mischungen sind die bisher gezeigten Darstellungen ungeeignet Hierfuumlr haben sich Dreiecksdiagramme (Gibbssches Phasendreieck) durchgesetzt die das Phasenverhalten unter Variation der Mengenbeitraumlge aller drei Komponenten aufzeigen (Abb 34) Das Diagramm ist so geartet dass die Summe aller drei Mengenanteile xA xB und xC in jedem Fall den Wert 1 ergibt Damit besitzt die Zusammensetzung des ternaumlren Gemisches zwei Freiheitsgrade Jede Linie die durch eine Ecke des Diagramms fuumlhrt verbindet diejenigen Punkte bei denen das Verhaumlltnis zweier Komponenten gleich ist Jede Linie die parallel zu einer der drei Seiten verlaumluft entspricht Gemischen bei denen der relative Anteil einer Komponente gleich bleibt

00 02 04 06 08 10Komponente A

00

02

04

06

08

10

Kom

pone

nte

B

0002

04

06

08

10

Komponente C

C

A

B

00 02 04 06 08 10Komponente A

00

02

04

06

08

10

Kom

pone

nte

B

00

02

04

06

08

10

Komponente C

x1

x2x

Abb 34 Prinzip eines ternaumlren Phasendiagramms nach Gibbs (Dreiecksdiagramm)

In solche ternaumlren Mischphasendiagramme lassen sich nun entsprechend den binaumlren Mischphasendiagrammen die Ein- und Zweiphasengebiete einzeichnen Das Diagramm in

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Abb 34 rechts gilt zB fuumlr eine ternaumlre Mischung aus A B und C bei der die Komponenten A und B sowie B und C jeweils paarweise in jedem Verhaumlltnis miteinander mischbar sind Die Komponenten A und C sollen dagegen nur begrenzt mischbar sein Als Konsequenz daraus ergibt sich ein Dreiecksdiagramm das an der unteren Achse die dem Anteil 0 der Komponente B entspricht ein Zweiphasengebiet aufweist

Die Hilfslinien im Zweiphasengebiet markieren die Zusammensetzung der entstehenden Einzelphasen So wuumlrde beispielsweise eine Mischung deren Zusammensetzung im Diagramm durch den Punkt x markiert ist in die beiden Phasen x1 und x2 zerfallen Die Mengenanteile der beiden Phasen koumlnnten dabei wieder uumlber das Hebelgesetz berechnet werden Um zusaumltzlich den Einfluss der Temperatur wiederzugeben muss eine weitere Koordinate eingefuumlhrt werden Man erhaumllt dabei ein dreidimensionales Dreiecksdiagramm das haumlufig unter Verwendung von Houmlhenlinien nach der Art einer topographischen Landkarte dargestellt wird Jede Houmlhenlinie des Zweiphasengebiets umschreibt dann seine Ausdehnung bei einer gegebenen Temperatur

Fragt man bei einem System mit bestehenden Randbedingungen nach der Zahl der frei variierbaren Zustandsgroumlszligen also nach der Zahl der Freiheitsgrade so haumlngt die Antwort zunaumlchst davon ab in welchem Phasenzustand sich das System befindet So kann man beispielsweise in der Gasphase (bei festgelegter Stoffmenge) Temperatur und Druck frei waumlhlen wodurch dann automatisch das Volumen festgelegt wird Gleiches gilt fuumlr die feste und die fluumlssige Phase Das System hat innerhalb eines Phasenzustands also zwei Freiheits-grade Setzt man allerdings voraus dass sich das System in einem Gleichgewicht zwischen zwei Phasen befindet (zB auf der Verdampfungslinie) so besitzt es nur einen Freiheitsgrad Am Tripelpunkt schlieszliglich bei einem Gleichgewicht zwischen drei Phasen sind keine Freiheitsgrade mehr vorhanden Zwischen der Zahl der Phasen P und der Zahl der Freiheitsgrade F gibt es also folgende einfache Beziehung

F = 3 - P

Beruumlcksichtigt man weiter dass auch mehr als eine Komponente auftreten kann (Zahl der Komponenten C gt 1) so erhoumlht sich die Zahl der Freiheitsgrade um jede zusaumltzliche Komponente deren Konzentration ja frei waumlhlbar ist um den Wert eins Man erhaumllt damit

F = 3 - P + (C - 1) oder F = C - P + 2

Nach dieser allgemeinguumlltigen Formel der so genannten Gibbsrsquoschen Phasenregel laumlsst sich die Zahl der Freiheitsgrade in jedem beliebigen System bestimmen Sie erlaubt insbesondere bei sehr komplizierten Mischungen mit einer unbekannten Anzahl an Phasenzustaumlnden uumlber eine einfache Betrachtung Ruumlckschluumlsse auf deren Phasenverhalten

Page 20: Vorlesung PC I Einführung in die Physikalische Chemierelaxation.chemie.uni-duisburg-essen.de/lehre/Skript_PC_2016_2017.pdf · Schwingungen möglich, deren Geometrie (d.h. die Zahl

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ΔE = h ∙ ν = (nsup2LUO-nsup2HOO) ∙ hsup2 (8 me asup2)

Mit wachsender Laumlnge a und wachsender Elektronenzahl (jedes Kohlenstoffatom im Delokali-sationsgebiet traumlgt ein Elektron bei) steigen einerseits die Werte der Quantenzahlen n fuumlr das houmlchste besetzte Orbital (HOO) und das niedrigste unbesetzte Orbital (LUO) an andererseits steigt aber auch die Laumlnge L die quadratisch im Nenner der Gleichung steht Da letzteres insgesamt uumlberwiegt sinkt der Wert fuumlr ΔE und damit fuumlr die Frequenz ν schrittweise mit Anstieg der Kettenlaumlnge Liegt die absorbierte Lichtfrequenz anfaumlnglich im UV-Bereich so verschiebt sie sich beispielsweise fuumlr das Carotin mit 11 Doppelbindungen schon in den sichtbaren blauen Bereich Weil daher Carotin blaues Licht absorbiert erscheint es im Durchlicht betrachtet in der Komplementaumlrfarbe orange-gelb Nach diesem Prinzip lassen sich viele organische Farbstoffe interpretieren Aumlndert sich die Laumlnge bzw die Elektronenzahl (und damit nsup2LUO und nsup2HOO) durch die Protonierung des Molekuumlls so hat man es mit einem Farbstoff zu tun der mit dem pH-Wert seine Farbe aumlndert ndash dies ist die Grundlage vieler pH-Indikatoren

23 Elektronenspektroskopie am Wasserstoffatom

Die wissenschaftliche Spektralanalyse wurde in der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts gemeinsam durch GR Kirchhoff und RW Bunsen entwickelt Sie entdeckten dass alle Elemente beim Erhitzen Licht aussenden Nach Zerlegung des Lichts mit einem Glasprisma erhaumllt man ein fuumlr jedes Element charakteristisches Linienmuster das so genannte Spektrum (s auch UTube-Video bdquospectral lines demoldquo httpwwwyoutubecomwatchv=2ZlhRChr_Bw) Dieses Spektrum reflektiert die Gesamtheit der dem gegebenen Element eigenen elektronischen Uumlbergaumlnge und ist damit ein unverwechselbarer Fingerabdruck Elemente koumlnnen damit sowohl in der Emissionsspektroskopie als auch in der Absorptionsspektroskopie eindeutig und mit hoher Empfindlichkeit identifiziert werden

Die Elektronenspektroskopie kann jedoch noch deutlich mehr sie erlaubt die exakte Uumlber-pruumlfung der durch die Loumlsung der Schroumldingergleichung gefundenen elektronischen Wellen-funktionen Dies wurde zunaumlchst am Wasserstoffatom mit hoher Praumlzision betrieben Histo-risch gesehen ist die erste wichtige Lichtquelle fuumlr spektroskopische Analysen unsere Sonne Dies gilt insbesondere fuumlr das Spektrum des Wasserstoffs Da die Energie der elektronischen Zustaumlnde dort einzig und allein von der Hauptquantenzahl n abhaumlngt (s Kapitel 15) werden lediglich solche Spektrallinien beobachtet die sich genau einem gegebenen ΔE = E(n) - E(nlsquo) zuordnen lassen Zuerst wurde mit der Balmer-Serie der sichtbare Anteil des Spektrums ent-deckt der mit allen Uumlbergaumlngen von oder zu dem Niveau n = 2 verbunden ist (Abb 13) Es folgten spaumlter im UV-Bereich die Lyman-Serie mit n = 1 und im IR-Bereich die Paschen-Serie mit n = 3 die Brackett-Serie mit n = 4 sowie die Pfundt- und die Humphreys-Serie mit n = 5 und n = 6 (letztere sind in Abb 13 nicht mehr eingezeichnet) Weitere Serien mit houmlheren Quantenzahlen existieren tragen aber keine eigenen Namen mehr

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Wel

lenz

ahl

[100

0 cm

-1]

0

10

20

30

40

50

60

70

80

90

100

110Grundzustand

Lyman-serie

Balmer-serie

Paschen-serie

Brackett-serie

n = 5n = 4

n = 3

n = 2

n = 1

Gustav Robert Kirchhoff

Robert Wilhelm Bunsen

Abb 13 Wichtige elektronische Uumlbergaumlnge im Wasserstoffatom

Abbildung 14 zeigt das gesamte Wasserstoffspektrum die Kuumlrzel benennen die entsprechen-den Serien (Ly = Lyman Ba = Balmer etc)

Abb 14 Spektrum des Wasserstoffatoms Die Achse fuumlr die Wellenlaumlnge ist logarithmisch aufgetragen

Eine genaue Analyse ergibt dass sich das Schema der Energiedifferenzen nach Abb 13 fast genau mit den in Kapitel 15 besprochenen Loumlsungen der Schroumldingergleichung deckt Die aumluszligerst kleinen Abweichungen die man dennoch detektieren konnte lieszligen sich auf den Bei-trag des Kerns (trotz seiner hohen Masse kann er sich minimal mit dem Elektron mitbewegen) und des Isotopeneffekts zuruumlckfuumlhren der schwerere Deuteriumkern der aus einem Proton und einem Neutron besteht bewegt sich weniger leicht mit dem Elektron mit als das einsame Proton des bdquonormalenldquo Wasserstoffs Daneben zeigen sich bei sehr hoher Aufloumlsung des Spektrums auch relativistische Effekte die zu weiteren Aufspaltungen fuumlhren

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24 Elektronenspektroskopie an Atomen mit mehreren Elektronen

Aufgrund der Wechselwirkungen zwischen den Elektronen ist bei schwereren Elementen die beim Wasserstoff gegebene Entartung bezuumlglich der Quantenzahlen l und m aufgehoben Damit wird das Energiediagramm bereits fuumlr ein einfaches houmlheres Atom wie zum Beispiel Lithium schon deutlich komplizierter (Abb 15) Neben den Uumlbergaumlngen zwischen verschiede-nen Werten fuumlr n treten nun auch Uumlbergaumlnge zwischen s und p p und d d und f auf Manche Uumlbergaumlnge (zum Beispiel solche zwischen s- und d-Niveaus) werden allerdings gewoumlhnlich nicht beobachtet man nennt sie bdquoverbotenldquo bdquoErlaubtldquo sind nur solche Uumlbergaumlnge bei denen die Nebenquantenzahl sich um den Wert plusmn1 aumlndert (also eben von s nach p von p nach d usw) Die so genannte Auswahlregel welche die erlaubten Uumlbergaumlnge festlegt heiszligt folglich Δl = plusmn1

Als weitere Folge der Wechselwirkungen zwischen den Elektronen besitzt jedes houmlhere Atom ein eigenes und von Wasserstoff verschiedenes Energiediagramm Damit besitzt aber auch jedes Atom ein unverwechselbares Muster von Energieuumlbergaumlngen die es eindeutig kenn-zeichnet Dies laumlsst sich bereits in einfachen Versuchen anhand von Flammenfaumlrbungen zeigen Diejenigen Uumlbergaumlnge deren ΔE den Wellenlaumlngen im sichtbaren Spektrum entspricht (in Abb 15 sind dies die kuumlrzeren unter den eingezeichneten blauen Pfeilen) sorgen bei vielen Elementen fuumlr ein charakteristisches farbiges Leuchten (Abb 15 rechts)

Ener

gie

Wasserstoff Lithium

n = 1

2

3

45

1s

2s

2p

3s

4s

5s

3p

4p5p

3d

4d5d

Abb 15 Termschema von Lithium mit wichtigen elektronischen Uumlbergaumlngen (links) Durch Lithium verursachte Flammenfaumlrbung (rechts Quelle httpwwwitpuni-hannoverde~zawischaITPatomshtml)

Letztlich ist auch bei allen houmlheren Atomen die Elektronenspektroskopie eine ideale Methode um das Energieniveauschema experimentell zugaumlnglich zu machen Sie eignet sich daruumlber hinaus perfekt zur schnellen und empfindlichen Identifikation von Elementen Diese Tatsache

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macht man sich sowohl in der Atomabsorptionsspektroskopie (AAS) als auch in der Atom-emissionsspektroskopie (AES) zunutze Elektronenspektren sind unverwechselbare Finger-abdruumlcke mit denen alle Elemente in hoher Empfindlichkeit und selbst uumlber groszlige Distanzen hinweg sicher identifiziert werden koumlnnen

25 Elektronenspektroskopie an Molekuumllen

Genau wie die Atomorbitale sind auch Molekuumllorbitale der Elektronenspektroskopie zugaumlng-lich Durch die systematische Analyse aller elektronischen Uumlbergaumlnge lassen sich die Energie-niveaus in einem MO-Schema schrittweise ausmessen Besonders interessant wird dieser Ansatz bei der Untersuchung der Bindungsverhaumlltnisse Im Allgemeinen beobachtet man Uumlbergaumlnge zwischen bindenden und nicht bindenden Orbitalen einerseits und den uumlblicherweise unbesetzten antibindenden Orbitalen andererseits In Abb 16 ist dies am Beispiel einer C-O-Bindung in Formaldehyd gezeigt Im Mittelpunkt stehen dabei das binden-de und das antibindende σ-Orbital C-O das bindende und das antibindende π-Orbital C-O sowie das nicht bindende freie Elektronenpaar des Sauerstoffs (ein weiteres freies Elektronen-paar bleibt unbeteiligt)

Ener

gie

σ CO

σ CO

π CO

π CO

n O

C

H

H

O

σ-σ

Uumlbe

rgan

g

π-π

Uumlbe

rgan

gn-π Uumlber-gang

σ

Abb 16 Termschema der CO-Gruppe in Formaldehyd (links) Die beteiligten Bindungen und das im betrachteten Energiefenster liegende freie Elektronenpaar des Sauerstoffs sind rechts skizziert

Die drei wichtigsten Uumlbergaumlnge die an der C-O-Gruppe detektiert werden sind der σ-σ-Uumlbergang der π-π-Uumlbergang und der n-π-Uumlbergang Letzterer ist in einer C-O-Gruppe stets am energieaumlrmsten und kann bereits mit UV-Licht einer Wellenlaumlnge um 280 nm angeregt werden (schwarzer Pfeil in Abb 16) Energiereicher und intensiver ist bei der CO-Gruppe der π-π-Uumlbergang der bei Wellenlaumlngen um 170 nm angeregt wird (roter Pfeil in Abb 16) Daruumlber hinaus zeigt das Spektrum dass die beiden freien Elektronenpaare des Sauerstoffs stark unterschiedlichen Charakter besitzen (nur eines ist an dem n-π-Uumlbergang beteiligt das andere tritt im gegebenen Spektralbereich nicht in Erscheinung)

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Auf aumlhnliche Weise lassen sich alle MO-Schemata komplizierter Molekuumlle analysieren Lie-gen die Anregungsfrequenzen der Uumlbergaumlnge im sichtbaren Bereich so haben die Molekuumlle die Funktion von Farbstoffen Haumlufig besitzen sie dann laumlngere lineare Delokalisationsgebiete deren Elektronenspektren man dann auch in grober Naumlherung mit dem eindimensionalen Potentialtopfmodell beschreiben kann (s Kapitel 22) Werden Bindungselektronen angeregt und aumlndern sich im Verlauf der elektronischen Anre-gung die Bindungsverhaumlltnisse (beispielsweise bei Besetzung eines antibindenden Zustands) so ist mit der elektronischen Anregung zwangslaumlufig auch eine Aumlnderung des energetisch guumlnstigsten Bindungsabstands verbunden Damit einhergehend werden mechanische Schwin-gungen des Molekuumlls angeregt Mit den Molekuumllschwingungen verhaumllt es sich analog zu den elektronischen Zustaumlnden auch Molekuumllschwingungen existieren nur in bestimmten definierten Zustaumlnden die sich dann den elektronischen Zustaumlnden uumlberlagern (Abb 17) Die Folge davon ist dass die Elektronenspektren von Molekuumllen haumlufig keine scharfen Linien sondern breite Absorptionsbereiche (bdquoBandenldquo) aufweisen Alle Linien fuumlr die elektronischen Uumlbergaumlnge zerlegen sich demnach in eine Vielzahl von Einzellinien die verschiedene Schwingungszustaumlnde der benachbarten elektronischen Zustaumlnde miteinander verbinden (in Abb 17 sind exemplarisch neun verschiedene moumlgliche Uumlbergaumlnge eingezeichnet) Normaler-weise liegen alle diese Linien dicht beieinander so dass insgesamt eine verbreiterte Absorp-tionsbande entsteht

Ener

gie

elektronische Niveaus

Schwingungsniveaus

Abb 17 Zum Zustandekommen von breiten Absorptionsbanden in Elektronen-Schwingungsspektren Uumlberlagerung von elektronischen Uumlbergaumlngen mit Schwingungsuumlbergaumlngen Exemplarisch sind jeweils drei Schwingungsniveaus eingezeichnet

Das Elektronenspektrum eines Molekuumlls wird wegen der dazu verwendeten Frequenzbereiche im UV- und im sichtbaren (bdquovisibleldquo) Spektrum auch UV-vis-Spektroskopie genannt Die UV-vis-Spektroskopie dient neben der Aufklaumlrung der MO-Struktur auch der schnellen und bequemen Identifikation von chemischen Verbindungen Aufgrund ihrer im Absorptionsver-fahren sehr einfachen und preisguumlnstigen Messtechnik wird sie auch haumlufig in Kombination mit anderen analytischen Verfahren (zB der Chromatographie) verwendet Uumlber eine Bestim-mung der Intensitaumlt der Anregung kann auch eine quantitative Analyse einzelner Verbindun-gen erfolgen

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3 Das Zusammenwirken von Atomen und Molekuumllen 31 Der makroskopische Zustand von Materie Bisher sind nur einzelne Bausteine der Materie also Atome und Molekuumlle betrachtet worden Nun soll das makroskopische Erscheinungsbild von Materie ins Auge gefasst werden die aus einer Vielzahl von Atomen oder Molekuumllen besteht Um den Zustand dieser aus vielen Teilchen zusammengesetzten Materie uumlberhaupt als Gesamtheit zu beschreiben benoumltigt man zunaumlchst so genannte Zustandsparameter oder Zustandsgroumlszligen Die wichtigsten Vertreter dieser Kenngroumlszligen fuumlr makroskopische Materie sind die Stoffmenge n das Volumen V der Druck P und die Temperatur T

n Stoffmenge Die Stoffmenge wird uumlber die Teilchenzahl definiert

Einheit der Teilchenzahl 1 Mol

Definition Ein Mol eines Stoffes enthaumllt dieselbe Anzahl an Teilchen wie 0012 kg reiner Kohlenstoff des Isotops 12C (1 Mol 60221023

Teilchen) Dabei muss eindeutig festgelegt sein was unter einem Teilchen des Stoffes jeweils zu verstehen ist Ist die Stoffmenge konstant so spricht man von einem geschlossenen System

V Volumen Die Definition des Volumens erfolgt uumlber die festgelegte Laumlngeneinheit und den geometrischen Volumenbegriff

Einheit des Volumens 1 msup3

Definition Ein msup3 ist das Volumen eines wuumlrfelfoumlrmigen Raums mit einer Kantenlaumlnge von einem Meter Ist das Volumen konstant so spricht man von einem isochoren Vorgang

P Druck Die Definition erfolgt uumlber die Kraft die ein Stoff auf jede Flaumlcheneinheit eines ihn einschlieszligenden Behaumllters ausuumlbt

Einheit des Drucks 1 Pascal = 1 Pa = 1 Nmsup2 = 10-5 bar

Definition Ein Pascal ist der Druck bei dem auf jeden Quadratmeter der Behaumllterwaumlnde eine Kraft von 1 Newton ausgeuumlbt wird Ist der Druck konstant so spricht man von einem isobaren Vorgang

T Temperatur

Der sicherlich am schwierigsten fassbare Zustandsparameter makroskopischer Materie ist die Temperatur Zwar ist sie direkt mit der menschlichen Wahrnehmung verknuumlpft (kalt warm heiszlighellip) physikalisch jedoch zunaumlchst sehr undefiniert da sie nicht ohne weiteres auf andere physikalische Groumlszligen zuruumlckfuumlhrbar ist Am ehesten laumlsst sie sich im ersten Ansatz als diejenige Eigenschaft von Materie beschreiben die von einem Thermometer gemessen wird

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Zur Verwendung als Thermometer eignet sich prinzipiell jeder physikalische oder chemische Vorgang der reproduzierbar mit einer Temperaturaumlnderung verknuumlpft ist Klassisch sind dies insbesondere die Ausdehnungsvorgaumlnge von Gasen Fluumlssigkeiten und Festkoumlrpern (Abb 18)

Hg

Festkoumlrperthermometer werden gewoumlhnlich nach demPrinzip des Bimetall-Thermometers ausgelegt (ganzlinks) Dabei werden zwei verschiedene Festkoumlrper(zB zwei Bleche aus verschiedenen Metallen) flaumlchigmiteinander in Kontakt gebracht Bedingt durch dieunterschiedliche thermische Ausdehnung derMaterialien kruumlmmt sich das Bimetall-Blech abhaumlngigvon der Temperatur mehr oder weniger stark zu einerSpirale

Fluumlssigkeitsthermometer (Mitte) und Gasthermometer(rechts) nutzen die Volumenaumlnderung eines fluidenMediums mit der Temperatur Die Genauigkeit kannerhoumlht werden indem einem groszligvolumigen Vorrats-behaumllter ein relativ kleinvolumiger Ausdehnungs- undAblesebereich gegenuumlbergestellt wird

Abb 18 Thermometer die auf der Grundlage der temperaturbedingten Ausdehnung von Materie beruhen

In der Praxis kommen mehr und mehr die elektronischen Varianten der Temperaturmessung zum Zug die zumeist auf der Messung der Thermospannung basieren Neben der Messmetho-de ist die Festlegung einer Temperaturskala wichtig Dazu dienten zunaumlchst einige Fixpunkte die heute teilweise noch historische Bedeutung haben

1) Die tiefste Temperatur des Winters 17081709 in Danzig - 178 degC

2) Die Temperatur von schmelzendem Eis bei 760 Torr (760 Torr = 1 atm = 101 325 Pa) 0 degC

3) Koexistenztemperatur von Eis Wasser und Wasserdampf 001 degC (exakt)

4) Die durchschnittliche Koumlrpertemperatur eines gesunden Menschen 378 degC

5) Die Siedetemperatur des Wassers bei 760 Torr (1 atm = 101 325 Pa) 100 degC

Die Punkte 1 und 4 bildeten die Grundlage des Fahrenheit-Systems die Punkte 2 und 5 die der Celsius-Skala Bei beiden Systemen wurde der definierte Bereich zunaumlchst in 100 gleiche Teile (Grade) aufgeteilt dann extrapoliert Beide Definitionen wurden spaumlter verfeinert (Celsius 9999 Grade C zwischen den Fixpunkten 3 und 5 Fahrenheit 180 Grade F zwischen den Fixpunkten 1 und 5) Trotzdem mangelt es auszliger Punkt 3 allen genannten Fixpunkten an Genauigkeit und Reproduzierbarkeit

Das zweite Problem nach der Unvollkommenheit der Fixpunkte besteht in der Festlegung einer systemunabhaumlngigen linearen Teilung Gewoumlhnlich ist der Verlauf der Skala vom gewaumlhlten Medium abhaumlngig Eine lineare Teilung auf der Skala eines Quecksilber-thermometers entspricht daher nicht einer linearen Teilung auf der Skala eines Alkoholthermometers da die Ausdehnung bei jedem Medium in unterschiedlicher Weise von der Temperatur abhaumlngt

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Beide Probleme sowohl die Wahl der passenden Fixpunkte als auch die Definition einer sinnvollen linearen Teilung werden heute durch die Festlegung der so genannten absoluten Temperaturskala geloumlst Grundlage hierfuumlr sind uumlbereinstimmende Beobachtungen an Gasthermometern

-300 -200 -100 0 100 200

V

T

-27315degCBei wiederholten Messungen mit verschiedenenGasthermometern verschiedenen Gasen undGasvolumina und bei verschiedenen Drucken stelltman fest dass sich die Verlaumlngerungen aller in denjeweiligen Diagrammen erhaltenen Linien in einemPunkt schneiden Dieser Punkt entspricht auf derVolumenachse dem Wert V = 0 und auf derTemperaturachse dem Wert T = -27315 degC

Abb 19 Ausdehnungskurven verschiedener Gase Die Temperaturskala ist zunaumlchst noch in Celsius aufgetragen

Aus dieser Beobachtung wurde geschlossen dass der Temperatur am gemeinsamen Schnitt-punkt aller Ausdehnungskurven eine besondere physikalische Bedeutung zukommt und sie sich daher als Fixpunkt einer neuen Temperaturskala eignet Weiterhin wurde festgestellt dass zwar alle Gase in ihrem Ausdehnungsverhalten von dem linearen Verlauf abweichen dass aber unter bestimmten Umstaumlnden (zB niedriger Druck) ein gemeinsamer Verlauf angestrebt wird den man auch als idealen Verlauf bezeichnen koumlnnte Am besten funktioniert das bei Helium unter schrittweise absinkenden Drucken dessen Verhalten sich fuumlr P rarr 0 zum idealen Verhalten extrapolieren laumlsst Diese Erkenntnis diente zur Definition einer absoluten Temperaturskala in Kelvin

1) Unterer Fixpunkt Schnittpunkt der Volumenexpansionskurven bdquoidealerldquo Gase (zB Helium fuumlr den Grenzfall Prarr0) 0 Kelvin

2) Oberer Fixpunkt Koexistenztemperatur von Eis Wasser und Wasserdampf 27316 Kelvin

3) Das Volumen eines bdquoidealenldquo Gases (zB Helium fuumlr den Grenzfall Prarr0) ist bei konstantem Druck proportional zur Temperatur und definiert die lineare Teilung der Temperaturskala

Gemaumlszlig dieser Definition ist jede beliebige Temperatur unter Nutzung eines bdquoidealenldquo Gasther-mometers auf der absoluten Kelvin-Skala eindeutig festgelegt Die Verwendung der Kelvin-Skala ist gegenuumlber der Nutzung klassischer Temperatursysteme bei der Beschreibung physi-kalischer Vorgaumlnge eindeutig von Vorteil Vorgaumlnge bei denen die Temperatur konstant ist nennt man isotherm Mit der Definition der wichtigsten Zustandsparameter Teilchenzahl n Volumen V Druck P und Temperatur T besteht nun die Moumlglichkeit das Verhalten makroskopischer Materie zu beschreiben Am einfachsten gelingt das im Fall von Gasen

32 Zustandsgleichung fuumlr Gase die ideale Gasgleichung

Gleichungen welche die Zustandsparameter wie n V T und P miteinander verknuumlpfen nennt man Zustandsgleichungen Sie beschreiben das Verhalten einer aus vielen einzelnen Teilchen bestehenden Materie hinsichtlich ihrer makroskopisch messbaren Groumlszligen Am

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einfachsten sind solche Zustandsgleichungen fuumlr Gase aufzustellen Untersucht man bei Gasen systematisch den Zusammenhang zwischen n V P und T so stellt man fest dass fuumlr alle Gase in mehr oder weniger guter Naumlherung folgende einfache Gleichung erfuumlllt isthellip

P ∙ V = n ∙ R ∙ T

hellipwobei R fuumlr die so genannte ideale Gaskonstante steht (R asymp 8314 J K-1 Mol-1) Diese Glei-chung auch bdquoideale Gasgleichungldquo genannt ist ein so genanntes Grenzgesetz kein real exis-tierendes Gas erfuumlllt es genau aber alle Gase kommen ihm recht nahe insbesondere bei hohen Temperaturen und niedrigen Druumlcken Eine Gleichung dieser Form nennt man auch Zustands-gleichung da sie Zustandsparameter miteinander verbindet Grafisch laumlsst sich diese Verknuumlp-fung in einem einfachen Diagramm darstellen bei dem jede Kombination von T und V genau einem Wert fuumlr P zugeordnet ist (Abb 20)

P

V

T

Abb 20 Auftragung von P gegen T und V nach der idealen Gasgleichung

Wir wissen nun dass die Gase aus einer Vielzahl von Teilchen (Atomen oder Molekuumllen) bestehen Wie laumlsst sich das durch die ideale Gasgleichung beschriebene Verhalten nun mit dieser Tatsache in Einklang bringen Was bedeuten eigentlich die Parameter Druck und Tem-peratur fuumlr ein Gas das sich aus vielen einzelnen Atomen und Molekuumllen zusammensetzt Um makroskopische Zustandsparameter uumlberhaupt mit der Teilchenwelt verknuumlpfen zu koumlnnen benoumltigen wir eine Modellvorstellung fuumlr das mechanische Zusammenwirken der Teilchen im Fall von Gasen das so genannte kinetische Gasmodell

33 Das kinetische Gasmodell

Bei den im vorhergehenden Kapitel aufgefuumlhrten Gasgesetzen handelt es sich um mathemati-sche Beschreibungen von makroskopisch beobachtbaren Vorgaumlngen Zur Interpretation der Gasgesetze auf molekularer Ebene wurden verschiedene Modelle vorgeschlagen Das erfolg-reichste unter ihnen war das sogenannte kinetische Gasmodell Es beruht auf der Vorstellung dass ein Gas aus einer Vielzahl von Teilchen besteht die folgende Bedingungen erfuumlllen

1) Sie besitzen eine Atom- oder Molmasse M einen endlichen Durchmesser d und befinden sich in staumlndiger und ungeregelter Bewegung

2) Die Groumlszlige der Teilchen ist im Verhaumlltnis zum freien Volumen vernachlaumlssig-bar

3) Zwischen den Teilchen finden elastische Stoumlszlige statt Ansonsten existieren keine weiteren Wechselwirkungen unter den Teilchen

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Nach der kinetischen Gastheorie besteht der Druck eines Gases aus der Summe aller Kraumlfte (pro Flaumlcheneinheit) die durch auf eine Flaumlche aufprallende Gasteilchen (bzw durch deren Impulsaumlnderung) ausgeuumlbt werden (Abb 21)

Vx t

Abb 21 Links schematische Darstellung der Impulsaumlnderung bei dem Auftreffen eines Gasteilchens auf der Gefaumlszligwand Viele solche Stoumlszlige fuumlhren in der Summe zum Entstehen einer messbaren dem Gasdruck zugeordneten Kraft Rechts Die Geschwindigkeitskomponente vx der Teilchen bestimmt nicht nur die Groumlszlige der Impulsaumlnderung sondern auch die Zahl der Teilchen die pro Zeiteinheit auf die Wand stoszligen Daher geht die Geschwindigkeit der Teilchen bei der Berechnung des Drucks insgesamt quadratisch ein

Dabei wird zunaumlchst davon ausgegangen dass alle Teilchen die gleiche Geschwindigkeits-komponente vx aufweisen Diese Geschwindigkeitskomponente bestimmt zum einen die Heftigkeit der Stoumlszlige zum anderen wie viele Gasteilchen pro Zeiteinheit auf die Wand prallen Insgesamt haumlngt der Druck damit vom Quadrat der Geschwindigkeitskomponente vxab Fuumlhrt man nun ein mittleres Geschwindigkeitsquadrat csup2 ein (mit vxsup2 = 13 csup2) so erhaumllt man fuumlr den an dem beweglichen Kolben spuumlrbaren Druck die Gleichung

P = 13 M csup2 (nV) oder in der Schreibweise der idealen Gasgleichung P V = 13 n M csup2 Der Druck ist nach dem kinetischen Gasmodell also die Folge einer Vielzahl von Stoumlszligen welche die Teilchen gegen die Behaumllterwaumlnde ausfuumlhren Er ist folglich proportional zur Mas-se der Teilchen (je schwerer die Teilchen desto heftiger die Stoumlszlige) zum mittleren Geschwin-digkeitsquadrat (die Geschwindigkeit der Teilchen bestimmt zum einen die Haumlufigkeit zum anderen die Heftigkeit der Stoumlszlige) und zur Zahl der Teilchen pro Volumeneinheit (womit wie nach der idealen Gasgleichung zu erwarten P umgekehrt proportional zu V ist) Die Bedeutung der Temperatur im kinetischen Gasmodell ist dagegen zunaumlchst unklar Mit der idealen Gasgleichung P V = n R T ergibt sich aber durch Koeffizientenvergleich n R T = 13 n M csup2 oder R T = 13 M csup2 Man kann unter Nutzung beider Gasmodelle so zu einem neuen teilchenbezogenen Verstaumlnd-nis des Phaumlnomens Temperatur kommen Die Temperatur eines Gases ist demnach direkt proportional zum mittleren Geschwindigkeitsquadrat der Gasteilchen oder in anderen Worten zu deren kinetischer Energie 12 M csup2 Dies ist fuumlr das Verstaumlndnis des Phaumlnomens Temperatur von groszliger Bedeutung Man kann die Temperatur eines Gases also messen indem man (bei bekannter Masse der Teilchen) die Geschwindigkeit der Gasteilchen bestimmt Die Wurzel aus dem mittleren Geschwindigkeits-quadrat also die Groumlszlige c liegt uumlblicherweise in der Groumlszligenordnung der Schallgeschwindig-keit (zum Beispiel fuumlr Stickstoff bei Raumtemperatur c = 516 ms) und steht zu ihr in einer

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festen Beziehung Tatsaumlchlich laumlsst sich die Temperatur auch uumlber eine Messung der Schall-geschwindigkeit ermitteln Nachdem das mittlere Geschwindigkeitsquadrat der Teilchen bekannt ist stellt sich die Frage nach der Geschwindigkeitsverteilung der Teilchen Die Bewegungsenergie der Teilchen ist wie alle anderen Energieformen (zB elektronische Energie Schwingungsenergie) gequantelt Das bedeutet dass sich die Teilchen auf (hier dicht gestaffelte) Energieniveaus verteilen muumlssen Sie tun das nach einem statistischen Grundprinzip das Boltzmann-Verteilung genannt wird Demnach ist die Besetzung pi eines Energieniveaus i (egal welcher Art die Energie Ei ist) stets proportional zum so genannten Boltzmannfaktor des Zustand i Es gilt

pi ~ exp[-Ei(kBT)]

Die darin enthaltene Boltzmannkonstante kB ist nichts anderes als die allgemeine Gas-konstante R (siehe unter 32) dividiert durch die Zahl NL der Teilchen in einem Mol Substanz (kB = RNL) Das bedeutet die Besetzung eines Zustands ist umso wahrscheinlicher je niedriger dessen Energie ist Steigende Temperatur T hingegen erhoumlht die Wahrscheinlichkeit energiereicher Zustaumlnde Diese Gesetzmaumlszligigkeit gilt fuumlr die Besetzung aller auf atomarer oder molekularer Ebene gegebener Zustaumlnde in einem makroskopischen System Angewandt auf die Bewegungsenergie von Gasteilchen in einer einzelnen Raumrichtung x bedeutet das dass Teilchen mit hoher Geschwindigkeit vx weniger wahrscheinlich sind als solche mit niedriger Geschwindigkeit vx Allerdings steigt die Wahrscheinlichkeit des Auftretens groszliger Werte fuumlr vx mit steigender Temperatur Teilt man den Bereich der auftretenden Geschwindigkeiten in Intervalle auf und zaumlhlt man die Teilchen die gemaumlszlig ihrer Geschwindigkeit zu den einzelnen Intervallen zugeordnet werden koumlnnen so ergibt sich fuumlr die Geschwindigkeitsverteilung in vx und v das Bild das in Abb 22 oben dargestellt ist Die Verteilungsfunktionen fuumlr die Geschwindigkeiten in y- und z-Richtung sind identisch

n(vx)

vx-Intervall

n(vx)

vx-Intervall

Temperatur-erhoumlhung

- 0 +- 0 +n(v)

v-Intervall

Temperatur-erhoumlhung

0 +

n(v)

v-Intervall0 +

Abb 22 Verteilungsfunktionen einer eindimensionalen Geschwindigkeitskomponente (oben) und der Gesamtgeschwindigkeit (unten)

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Betrachtet man die Verteilung n(v) der Gesamtgeschwindigkeit v im dreidimensionalen Raum so wird das Bild komplizierter Bezuumlglich der drei Raumrichtungen x y und z sind weiterhin die kleinen Geschwindigkeiten wahrscheinlicher als die groszligen Da nun aber fuumlr eine groszlige Gesamtgeschwindigkeit v mehr Kombinationsmoumlglichkeiten vx vy vz existieren als fuumlr kleine Gesamtgeschwindigkeiten so wird die Wahrscheinlichkeit fuumlr sehr geringe Gesamtgeschwindigkeiten entsprechend kleiner fuumlr groszlige Gesamtgeschwindigkeiten entsprechend groumlszliger Der daraus resultierende Gewichtungsfaktor fuumlr jedes v ist die relative Flaumlche der Kugelschale mit dem Radius v Insgesamt ergeben sich dann die in Abb 22 unten dargestellten Verteilungsfunktionen fuumlr niedrige und hohe Temperaturen Die Verteilungsfunktionen in vx und v lauten (ohne Herleitung)

f(vx) = [M(2RT)]12 exp [-Mvxsup2(2RT)]

f(v) = 4 [M(2RT)]32 vsup2 exp [-Mvsup2(2RT)] Der Mittelwert von vx (oder jeder anderen eindimensionalen Geschwindigkeitskomponente) ist grundsaumltzlich Null Dagegen besitzt der Mittelwert von v stets eine endliche von Null verschiedene Groumlszlige Bei einer Erhoumlhung der Temperatur werden alle Verteilungsfunktionen breiter der Mittelwert von v vergroumlszligert sich Die Temperatur eines Gases aumluszligert sich also nicht nur im mittleren Geschwindigkeitsquadrat sondern auch in der Form der Geschwindigkeitsverteilungsfunktion Bei der Mischung von Gasen unterschiedlicher Temperatur muss um die oben genannte Forderung zu erfuumlllen aus der einfachen Summe von zwei Verteilungsfunktionen eine neue der Mischtemperatur ent-sprechende Verteilungsfunktion entstehen Dies ist nur unter der Annahme moumlglich dass ein Austausch kinetischer Energie unter den Teilchen erfolgen kann Diese Tatsache bedingt die eingangs gestellte Forderung nach Teilchenstoumlszligen also Wechselwirkungen zwischen den Teilchen Damit muumlssen die Gasteilchen aber auch ein gewisses Volumen besitzen den Teil-chen ohne Eigenvolumen koumlnnen prinzipiell nicht zusammenstoszligen Darin besteht der we-sentliche Unterschied zwischen einem Gas nach dem kinetischen Gasmodell und dem idealen Gas Das ideale Gas koumlnnte man theoretisch auf ein beliebig kleines Volumen komprimieren bei einem kinetischen Gas ist dies aufgrund des Eigenvolumens nicht moumlglich Ansonsten erlaubt das kinetische Gasmodell die vollstaumlndige Interpretation der idealen Gasgleichung

34 Die korrigierte Gasgleichung nach van der Waals JD van der Waals

Mithilfe des kinetischen Gasmodells laumlsst sich die Zustandsgleichung fuumlr Gase weiter verfeinern Zunaumlchst soll beruumlcksichtigt werden dass die Teilchen ein eigenes Volumen besitzen In erster Naumlherung geschieht dies indem man ein vom Eigenvolumen der Gas-teilchen abgeleitetes minimales Volumen des Gases (das so genannte Covolumen) definiert Das Covolumen beschreibt dasjenige Volumen des Gases das bei staumlndigem mechanischem Kontakt zwischen jeweils zwei Teilchen eingenommen wird wenn man den Teilchenpaaren jeweils den sie umschreibenden kugelfoumlrmigen Raum zuordnet (wegen der geringen Wahr-scheinlichkeit von Dreierstoumlszligen kann die Bildung von Dreiergruppen ausgeschlossen werden) Das molare Covolumen b entspricht wenn man eine einfache geometrische Uumlberlegung an-setzt dem vierfachen Eigenvolumen eines Mols der Gasteilchen Um das tatsaumlchliche freie

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Volumen zu erhalten muss das n-fache Covolumen vom gegebenen Volumen abgezogen werden Damit wird aus der idealen Gasgleichung P V = n R T die erste korrigierte Version P (V - n b) = n R T Im zweiten Schritt soll nun uumlber das kinetische Gasmodell hinausgehend auch die anziehen-de Wechselwirkung zwischen den Teilchen beruumlcksichtigt werden Die Anziehung zwischen den Teilchen sorgt nach van der Waals fuumlr einen zusaumltzlichen nach auszligen nicht messbaren bdquoBinnendruckldquo Dieser Binnendruck ist proportional zum Quadrat der Teilchendichte (nV)sup2 Der zwischen den Teilchen tatsaumlchlich wirkende nach auszligen ebenfalls unmessbare Gesamt-druck ist dann gegeben als

Pgesamt (unmessbar) = P (messbar) + a (nV)sup2

mit einer fuumlr die anziehende Wechselwirkung charakteristischen Konstante a Die danach korrigierte Version der Gasgleichung die van-der-Waals-Gleichung fuumlr reale Gase lautet

[P + a (nV)sup2] (V - nb) = n R T

Die Konstanten b und a besitzen fuumlr jedes reale Gas charakteristische Werte die dessen Eigenvolumen (die Groumlszlige der Elektronenhuumllle) und die Staumlrke der intermolekularen Wechsel-wirkungen reflektieren Beispiele

Gas a b

Argon 01345 Pa m6Molsup2 32210-5 msup3Mol Kohlendioxid 03592 Pa m6Molsup2 426710-5 msup3Mol Helium 00034 Pa m6Molsup2 23710-5 msup3Mol Stickstoff 01390 Pa m6Molsup2 391310-5 msup3Mol Wasser 05573 Pa m6Molsup2 31010-5 msup3Mol

Der Parameter b spiegelt mit der Einheit msup3Mol weitgehend die Groumlszlige der einzelnen Teilchen (Atome oder Molekuumlle) wider So besitzt erwartungsgemaumlszlig Kohlendioxid oder Argon einen groumlszligeren Wert fuumlr b als beispielsweise Helium Allerdings sind die Unterschiede erstaunlich klein was auf die Tatsache zuruumlckzufuumlhren ist dass sich das Covolumen auf Teilchenpaare bezieht und ein Paar aus Kohlendioxidmolekuumllen gegenuumlber einem Paar aus Heliumatomen nur etwa das doppelte Volumen benoumltigt

Der Parameter a mit der Einheit Pascal mal Molvolumen zum Quadrat reflektiert die Staumlrke der Wechselwirkungen zwischen den Teilchen Diese Wechselwirkungen beruhen zum groszligen Teil auf den elektrischen Eigenschaften der Teilchen Diese wiederum sind mit der elektronischen Struktur der Atome beziehungsweise der chemischen Bindungen verknuumlpft Am wichtigsten ist dabei das in Kapitel 19 erwaumlhnte Dipolmoment Polare Bindungen koumlnnen zu Teilchen mit permanenten Dipolen fuumlhren (zB HF Wasser Ammoniak CO) Andere Molekuumlle oder Atome sind zwar unpolar koumlnnen aber spontan oder durch aumluszligere

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elektrische Felder polarisiert werden (zB He Ar molekularer Wasserstoff molekulares Chlor) Man spricht dann von polarisierbaren Teilchen mit einem spontanen Dipolmoment oder mit einem durch ein aumluszligeres Feld bewirkten induzierten Dipolmoment In all diesen Faumlllen sind anziehende Wechselwirkungen zwischen den Teilchen moumlglich die in dem Parameter a zusammengefasst werden Daruumlber hinaus koumlnnen sich auch voruumlbergehende chemische Bindungen ausbilden Das prominenteste Beispiel fuumlr diesen Fall ist die bekannte Wasserstoffbruumlckenbindung die bei polaren X-H-Bindungen auftreten kann Im Einzelnen werden demnach folgende Arten von Wechselwirkungen mit absteigender Intensitaumlt unter-schieden

a) Wasserstoffbruumlckenbindung X-H hellip Y Hierbei bildet sich voruumlbergehend eine chemische Bindung zwischen dem polar gebundenen Wasserstoff und einem elektronegativen und mit einem freien Elektronenpaar ausgestatteten Element Y

b) Wechselwirkungen zwischen permanenten Dipolen hier besitzen alle Teilchen ein permanentes Dipolmoment Zwischen den entgegengesetzt geladenen Enden der Teilchen bauen sich dann konstant anziehende elektrostatische Wechselwir-kungen auf

c) Wechselwirkungen zwischen permanenten und induzierten Dipolen die Teil-chen mit permanentem Dipolmoment induzieren ein voruumlbergehendes Dipol-moment bei den benachbarten (zunaumlchst unpolaren) Teilchen In der Folge ergibt sich eine anziehende elektrostatische Wechselwirkung

d) Wechselwirkungen zwischen induzierten Dipolen durch spontane Polarisierung eines Teilchens entsteht ein voruumlbergehendes Dipolmoment welches bei einem benachbarten Teilchen eine Polarisierung hervorruft In der Folge ergibt sich eine kurzfristige und sehr schwache elektrostatische Anziehung zwischen den Teilchen Man spricht dabei auch von der Dispersionswechselwirkung oder der Londonschen Wechselwirkung

Alle diese Effekte sind anziehender Natur und gehen damit in den Parameter a ein Fasst man die beiden Parameter a und b zusammen so entsteht mit der van-der-Waals-Gleichung eine recht zuverlaumlssige Zustandsgleichung fuumlr reale Systeme die sowohl die abstoszligenden als auch die anziehenden Wechselwirkungen beruumlcksichtigt

Ein guter Test fuumlr diese reale Zustandsgleichung ist die Berechnung eines Diagramms von P gegen V fuumlr verschiedene Temperaturen das so genannte P-V-Diagramm und die Gegen-uumlberstellung mit dem entsprechenden experimentellen P-V-Diagramm eines realen Gases Gemaumlszlig der van-der-Waalsrsquoschen Gleichung existieren abhaumlngig von der betrachteten Tempe-ratur drei Typen von Isothermen (Abb 23 links) solche die einer Hyperbel aumlhneln (1) eine einzelne Isotherme die einen Wendepunkt mit waagrechter Tangente besitzt (2) und solche die ein Minimum ein Maximum und einen Wendepunkt aufweisen (3) Das experimentell beobachtete Verhalten stimmt in den ersten beiden Faumlllen recht gut uumlberein weicht aber bei Isothermen des dritten Typs deutlich vom berechneten Verlauf ab (Abb 23 rechts)

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P

V

PV-Diagramm nachvan-der-Waals-Gleichung

1 2

3

P

V

3

experimentell bestimmtesPV-Diagramm f reales Gas

Abb 23 PV-Diagramme fuumlr reale Gase berechnet nach van der Waals (links) und experimentell bestimmt (rechts) Die drei typischen Formen der Isothermen (1 2 und 3) sind im Text beschrieben

Offensichtlich beschreibt die van-der-Waals-Gleichung das Verhalten eines realen Gases in der Umgebung des Wendepunkts weniger gut Experimentell stellt man allerdings fest dass in diesem Bereich tatsaumlchlich auch kein reines Gas sondern vielmehr eine Mischung aus einem Gas und einer kondensierten Fluumlssigkeit also ein Zweiphasenzustand vorliegt Dieser Zwei-phasenbereich beginnt am Wendepunkt der Isothermen des Typs 2 und schlieszligt alle Minima Maxima und Wendepunkte der Isothermen des Typs 3 ein (Abb 24 links)

P

V

Zweiphasen-gebiet

P

V

Zweiphasen-gebiet

Maxwell-Maxwell-KorrekturKorrektur

Zweiphasen-Gebiet

Zweiphasen-Gebiet

A1

A2

Abb 24 PV-Diagramme fuumlr reale Gase mit eingezeichnetem Zweiphasengebiet Der in diesem Bereich bei der Beschreibung nach van der Waals gegebene Fehler kann in guter Naumlherung durch die Maxwell-Korrektur kompensiert werden

Eine einfache Korrektur der van-der-Waals-Gleichung ermoumlglicht eine realistische Beschrei-bung des Zweiphasengebiets Eine horizontale Gerade wird so in der Naumlhe des Wendepunktes gelegt dass die oberhalb und unterhalb der Geraden im Zweiphasenbereich gebildeten Teilflaumlchen A1 und A2 die gleiche Groumlszlige besitzen (sog Maxwell-Korrektur s Abbildung 24 rechts) Dies sieht zwar nach einer etwas willkuumlrlichen Hilfskonstruktion aus trotzdem laumlsst sich damit das Verhalten eines realen Gases im Zweiphasengebiet sehr gut nachvollziehen und vorhersagen Eine besonders ausgewiesene Position im PV-Diagramm eines realen Gases ist der Scheitel-punkt des Zweiphasengebiets der durch den Wendepunkt der Isotherme des Typs 2 gebildet wird (Abb 25)

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P

V

Zweiphasen-gebiet Tc

Pc

Vc

kritischer Punkt

Jedes reale Gas besitzt einen sogenannten kritischenPunkt der durch die kritischen Zustandsgroumlszligen Tc Pc undVc beschrieben wird Die kritische Temperatur Tc istdiejenige Temperatur bei der sich ein Gas unter Druckgerade noch verfluumlssigen laumlszligt Oberhalb der kritischenTemperatur existiert kein fluumlssiger Zustand Derentsprechende Druck Pc wird als kritischer Druckbezeichnet

Die Isotherme die der kritischen Temperatur zugeordnetist besitzt als einzige einen Wendepunkt mit horizontalerTangente der gleichzeitig den kritischen Punkt markiert

Abb 25 PV-Diagramm fuumlr ein reales Gas mit kritischem Punkt

Dieser sogenannte kritische Punkt wird durch die kritische Temperatur Tc den kritischen Druck Pc und das kritische Molvolumen Vc festgelegt Zustaumlnde oberhalb des kritischen Punkts nennt man uumlberkritisch Uumlberkritisches Kohlendioxid besitzt in der Technik groszlige Bedeutung fuumlr das Loumlsen und Ausfaumlllen von pharmazeutischen Wirkstoffen (zB Aspirin fuumlr Brausetabletten) fuumlr die Extraktion (zB bei der Entkoffeinierung von Kaffee) oder zur chemischen Reinigung von Textilien

35 Andere Zustandsgleichungen fuumlr reale Gase

Neben der van-der-Waals-Gleichung existieren weitere Ansaumltze zur Beschreibung realer Gase die zwar eine genauere Anpassung an die gemessenen Werte ermoumlglichen aber auch kompli-zierter sind oder mehr Arbeit bei der Bestimmung der charakteristischen Parameter erfordern Im Folgenden seien als Beispiele die Berthelot-Gleichung und die Virialgleichung erwaumlhnt

a Berthelot-Gleichung (P + (Ansup2)(TVsup2) ) (V - nB) = n R T Berthelot fuumlhrte damit als Besonderheit einen temperaturabhaumlngigen Binnendruck ein Dies ist insoweit physikalisch gerechtfertigt als die vermehrte thermische Bewegung der Ausbildung von Wechselwirkungen zwischen den Molekuumllen entgegenwirken kann

b Virialgleichung P Vm = A + B P + C Psup2 + D Psup3 + Mit Vm = Vn Die Virialgleichung nutzt die Tatsache dass sich fast alle physikalischen Zusammenhaumlnge uumlber einen Potenzreihenansatz a + bx + cxsup2 + dxsup3 + hellip beliebig genau annaumlhern lassen Je nach Anzahl der anpassbaren Parameter ist zwar eine beliebig genaue Beschreibung des realen Gases moumlglich allerdings steigt auch der Aufwand fuumlr die Bestim-mung aller Koeffizienten

36 Beschreibung von Fluumlssigkeiten

Im PV-Diagramm der realen Gase schlieszligt sich links vom Zweiphasengebiet der Bereich der fluumlssigen Phase an Sie zeichnet sich dadurch aus dass mit sinkendem Volumen der Druck ex-trem steil ansteigt Das bedeutet dass bereits eine geringfuumlgige Volumenabnahme mit einem aumluszligerst groszligen Druckanstieg verbunden ist In der Praxis hat das zur Folge dass Fluumlssigkeiten im Gegensatz zu Gasen kaum komprimierbar sind ihre Kompressibilitaumlt geht gegen Null Auch ist die Ausdehnung der Fluumlssigkeiten bei steigender Temperatur und bei konstantem

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Druck (der thermische Ausdehnungskoeffizient) sehr viel kleiner als bei Gasen Eine einfache allgemeine Zustandsgleichung fuumlr die fluumlssige Phase in Analogie zur idealen oder zur van-der-Waals-Gleichung existiert nicht Stattdessen findet man bei der experimentellen Bestimmung des Zusammenhangs zwischen P V und T fuumlr jede Fluumlssigkeit ein sehr charakteristisches Verhalten Vergleicht man die Messergebnisse verschiedener Fluumlssigkeiten untereinander so sind kaum Aumlhnlichkeiten auszumachen Daruumlber hinaus sind bestimmte Messungen (zB die Messung der Abhaumlngigkeit des Drucks vom Volumen bei konstanter Teilchenzahl und Temperatur) technisch sehr schwer zu realisieren Das Fehlen einer einheitlichen Zustandsgleichung V(TPn) fuumlr Fluumlssigkeiten liegt auch in deren komplexer Struktur begruumlndet Betrachtet man ein einzelnes Teilchen in der Fluumlssigkeit so liegt es bezuumlglich der Abstaumlnde zu seinen naumlchsten Nachbarn stets in der Naumlhe des Mini-mums einer Potentialkurve Epot(r) die einen sehr steilen Verlauf besitzt Die Abstaumlnde zu den benachbarten Teilchen sind damit nahezu fixiert folglich ist eine unabhaumlngige Translations-bewegung einzelner Teilchen praktisch unmoumlglich Stattdessen verlaufen alle Bewegungs-prozesse mehr oder weniger kollektiv also unter gleichzeitiger Verschiebung mehrerer Teilchen Daruumlber hinaus gibt es keine nennenswerten freien Volumina so dass der mittlere Abstand der Teilchen nur unwesentlich verringert werden kann ein Umstand der sich in der bereits erwaumlhnten geringen Kompressibilitaumlt aumluszligert Ein Modell fuumlr eine allgemeine Fluumlssigkeit laumlsst sich im Rahmen einer Computersimulation einfuumlhren Man betrachtet dabei einen wuumlrfelfoumlrmigen Raum der einen Ausschnitt aus dem Fluumlssigkeitsvolumen darstellen soll und eine endliche Anzahl n von Fluumlssigkeitsteilchen (zB n = 1000) enthaumllt Um die Zahl der Teilchen konstant zu halten und dabei trotzdem deren Beweglichkeit zu wahren wird eine Kontinuitaumltsbedingung eingefuumlhrt Jedes Teilchen das im Rahmen der Bewegungsprozesse den Wuumlrfel an einer gegebenen Stelle verlaumlsst tritt automatisch an der genau gegenuumlberliegenden Position des Wuumlrfels wieder ein Auf diese Weise ist gewaumlhrleistet dass die Zahl der Teilchen im Wuumlrfel konstant bleibt (Abb 26)

Abb 26 Simulation von Bewegungs-vorgaumlngen in einem Fluumlssigkeitsvolumen unter Wahrung einer konstanten Partikel-anzahl Jedes Teilchen das im Rahmen der Bewegungsprozesse den Wuumlrfel an einer gegebenen Stelle verlaumlsst tritt automatisch an der genau gegenuumlberliegenden Position des Wuumlrfels wieder ein

An diesem System fuumlhrt man nun eine so genannte Monte-Carlo-Simulation durch Dabei setzt ein Zufallsgenerator eine geringfuumlgige Verschiebung eines beliebigen einzelnen Teil-chens in Gang Anschlieszligend wird unter Verwendung des bekannten Potentialverlaufs Epot(r) berechnet wie sich nach der Verschiebung die potentielle Energie des Systems veraumlndert hat Danach entscheidet das Simulationsprogramm zwischen zwei Moumlglichkeiten

- Hat sich die gesamte potentielle Energie des Systems durch die Verschiebung verringert oder blieb sie konstant so wird die Verschiebung akzeptiert und der naumlchste Schritt berechnet - Hat sich die gesamte potentielle Energie durch die Verschiebung um den positiven Wert E erhoumlht so wird die Verschiebung mit einer Wahrscheinlichkeit die von E abhaumlngt akzeptiert und ansonsten verworfen Danach wird der naumlchste Schritt berechnet

Auf diese Weise kann man fuumlr beliebige Fluumlssigkeiten sowohl die typischen Bewegungs-prozesse als auch die einflussbedingten Veraumlnderung von Zustandsgroumlszligen (zB P in Ab-

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37

haumlngigkeit von V) berechnen Allerdings sind die Rechnungen bei den fuumlr eine realistische Beschreibung eines Fluumlssigkeitsvolumens notwendigen groszligen Teilchenzahlen sehr aufwaumlndig und zeitintensiv

37 Beschreibung von Festkoumlrpern

Begibt man sich im P-V-Diagramm vom fluumlssigen Zustand ausgehend noch weiter nach links (zu kleineren Volumina houmlheren Drucken und niedrigeren Temperaturen) so erreicht man den festen Zustand Die Problematik der Zustandsgleichung V(TPn) von Festkoumlrpern aumlhnelt jener der Fluumlssigkeiten Auch hier sind die Kompressibilitaumlten und die thermischen Aus-dehnungskoeffizienten uumlblicherweise sehr viel geringer als bei Gasen Ebenso wie bei Fluumls-sigkeiten sind dabei die Unterschiede zwischen einzelnen Vertretern der Festkoumlrper recht groszlig so dass keine gemeinsame Zustandsgleichung wie bei Gasen formuliert werden kann Im Vergleich mit den Werten der Fluumlssigkeiten sind die Kompressibilitaumlten und die thermischen Ausdehnungskoeffizienten der Festkoumlrper durchschnittlich nochmals um etwa zwei Groumlszligen-ordnungen geringer

Abb 27 Torsionsexperiment zur Unterscheidung zwischen Fluumlssigkeiten und Festkoumlrpern (s Text)

Der wesentliche Unterschied zwischen Festkoumlrpern und Fluumlssigkeiten besteht allerdings in ihrem gegensaumltzlichen Verhalten bezuumlglich Verformung waumlhrend Fluumlssigkeiten einer gege-benen Verformung durch ihre Zaumlhigkeit (Viskositaumlt) Widerstand leisten reagiert ein Fest-koumlrper auf eine Verformung durch eine elastische Deformation Dieses Verhalten wird in einem Torsionsrheometer deutlich wobei eine feste oder fluumlssige Probe periodisch mit einer torsionsartigen Verformung beaufschlagt wird (Abb 27) Waumlhrend der Drehmomentverlauf des Festkoumlrpers exakt gleichphasig zur periodischen Aus-lenkung erfolgt (elastische Verformung) ist der Drehmomentverlauf der Fluumlssigkeit dazu um ein Viertel einer Wellenlaumlnge phasenverschoben (viskose Reaktion) Bei Fluumlssigkeiten ist der Widerstand dann maximal wenn die Deformationsgeschwindigkeit maximal ist (blaue Linie

t

Dre

hmom

entv

erla

uf

tAusl

enku

ng

Festkoumlrper

t

Dre

hmom

entv

erla

uf

Fluumlssigkeiten

Pruumlfkoumlrper

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38

in Abb 26) Bei Festkoumlrpern ist die Kraft dann maximal wenn der Deformationszustandmaximal ist (rote Linie in Abb 27) Viele Festkoumlrper stellen Uumlbergaumlnge zwischen diesen beiden Extremfaumlllen dar und werden dann als viskoelastisch bezeichnet Aus der Betrachtung von Messergebnissen an einer Viel-zahl von Materialien geht hervor dass eine eindeutige Abgrenzung zwischen dem fluumlssigen und dem festen Zustand selten moumlglich ist Entsprechend gibt es auch unterschiedliche Strukturmodelle die teilweise das elastische Verhalten teilweise das plastische Verhalten von Festkoumlrpern erklaumlren Dem elastischen Festkoumlrper mit nahezu verschwindender Phasen-verschiebung wird am ehesten das Modell eines idealen Kristalls gerecht Man geht dabei davon aus dass jedes Atom bzw Molekuumll aus dem der Festkoumlrper zusammengesetzt ist sich an einem geometrisch festgelegten Gitterpunkt befindet von dem es sich nicht entfernen kann Als Bewegungsprozess ist dabei lediglich eine Schwingung mit begrenzter Amplitude moumlglich Die denkbaren Geometrien der Gitterstrukturen reichen von primitiv-kubischen Gittern (zB Natriumchlorid) uumlber kubisch-dichteste (zB Silber Kupfer) und hexagonal-dichteste Kugelpackungen (zB Magnesium Zink) bis zur kubisch-raumzentrierten Struktur (zB Eisen Molybdaumln) Haumlufig findet man leichte Abweichungen von der idealen Gitter-struktur die durch lokale Stoumlrungen hervorgerufen werden Akzeptiert man gewisse Anteile an viskosem Verhalten (dh eine leichte Phasenverschiebung) so begibt man sich in den Grenzbereich zwischen Festkoumlrpern und Fluumlssigkeiten In einem Material wie Glas ist die regelmaumlszligige Anordnung eines Gitters nicht gegeben die Atome sind unregelmaumlszligig positioniert und koumlnnen unter Belastung auch flieszligen Solche nicht-kristallinen Festkoumlrper bezeichnet man als amorph Typische Vertreter amorpher Feststoffe sind Fenster-glas viele transparente Kunststoffe (zB Plexiglas Polyester in Getraumlnkeflaschen) Wachs und Aumlhnliches Amorphe Festkoumlrper besitzen keinen Schmelzpunkt sondern erweichen bei steigender Temperatur allmaumlhlich Amorphe Festkoumlrper koumlnnen nachtraumlglich kristallisieren wobei sich haumlufig das aumluszligere Erscheinungsbild und die physikalischen Eigenschaften drastisch aumlndern (zB Plastikfolie unter Zug)

38 Das Phasendiagramm

Die drei wichtigsten Phasenzustaumlnde zu denen sich eine makroskopische Gesamtheit von Atomen oder Molekuumllen zusammenfinden koumlnnen sind also Gase Fluumlssigkeiten und Festkoumlrper Die Frage ist nun unter welchen Bedingungen sich ein System fuumlr den ersten den zweiten oder den dritten Zustand entscheidet Erfahrungsgemaumlszlig haumlngt der gegebene Phasenzustand von den in Kapitel 31 eingefuumlhrten Zustandsparametern n V P und T ab Legt man die Stoffmenge n auf einen Wert fest (zB auf ein Mol Teilchen) und beruumlcksichtigt man dass nach den gegebenen Zustandsgleichungen die Groumlszligen n V P und T miteinander verknuumlpft sind so genuumlgen zwei Parameter um den jeweils guumlnstigsten Phasenzustand eindeutig festzulegen Ein Diagramm bei dem einer der Parameter V P und T gegen einen anderen aufgetragen wird eignet sich also prinzipiell um bei einer gegebenen Teilchenart den unter diesen Bedingungen jeweils angestrebten Phasenzustand zu markieren So kann man gemaumlszlig den Abbildungen 23 bis 25 in einem Diagramm bei dem P gegen V aufgetragen wird schon den jeweils gegebenen Phasenzustand eintragen und ablesen In der Praxis eignen sich solche PV-Diagramme allerdings wenig um Phasenzustaumlnde zu markieren der gasfoumlrmige Zustand nimmt einen sehr breiten Raum ein waumlhrend der fluumlssige und der feste Zustand in dem sehr engen Bereich links neben dem Zweiphasengebiet bdquoeingequetschtldquo waumlre Vor allem in diesem Umfeld waumlre das Diagramm schwer ablesbar

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Wesentlich guumlnstiger ist dagegen die Auftragung vom Druck P gegen die Temperatur T In diesem PT-Diagramm das auch als Phasendiagramm bezeichnet wird lassen sich alle Phasenzustaumlnde uumlbersichtlich zuordnen Dabei bezeichnen Flaumlchenanteile im PT-Diagramm die unter den gegebenen Druck- und Temperaturbedingungen angestrebte Phase (zB fest fluumlssig gasfoumlrmig) waumlhrend Linien die dazwischen vorliegenden Gleichgewichte markieren und Phasengrenzlinien genannt werden (Abb 28)

T

Pfe

st

fluumlss

ig

gasfouml

rmig

kritischerPunkt

Tripel-punkt

Phasengrenzlinie

Abb 28 Phasendiagramm mit Auftragung des Drucks (P) gegen die Temperatur (T)

Auszligerdem enthaumllt ein Phasendiagramm gewoumlhnlich mindestens zwei besonders ausgezeich-nete Punkte den Tripelpunkt an dem die drei im Allgemeinen wichtigsten Phasenzustaumlnde fest fluumlssig und gasfoumlrmig miteinander im Gleichgewicht stehen und den bereits aus dem PV-Diagramm bekannten kritischen Punkt der das Ende eines definierten Uumlbergangs zwischen fluumlssiger und gasfoumlrmiger Phase markiert Beispiele fuumlr Phasendiagramme Kohlen-dioxid und Wasser sind in Abbildung 29 und 30 wiedergegeben

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40

T

P

fest

fluumlss

iggasfoumlrmig

kritischerPunkt

Tripel-punkt

2168 K

511 bar

CO2

3042 K

728 bar

Abb 29 Phasendiagramm fuumlr Kohlendioxid

T

P

fluumlss

ig

gasfoumlrmig

kritischerPunkt

H2O

Eis 1

Eis 1

Eis 2 Eis 3

Eis 5

Eis 6

Tripelpunkt6473 K

218 bar

6 mbar 27316 K

Abb 30 Phasendiagramm fuumlr Wasser Der Bereich oberhalb von 200 bar ist aus Gruumlnden der

Uumlbersichtlichkeit entlang der P-Achse komprimiert dargestellt

Eine wichtige Besonderheit des Phasenverhaltens von Wasser ist die Tatsache dass die Phasengrenzlinie zwischen fluumlssigem Wasser und Eis 1 eine negative Steigung aufweist Dies hat zur Folge dass gewoumlhnliches Eis durch Erhoumlhung des Drucks zum Schmelzen gebracht werden kann Dieser Umstand ist eine der Ursachen dafuumlr dass eine Kufe auf Eis gleitet da der durch das Schmelzen entstehende Wasserfilm die Reibung vermindert (allerdings spielt hier auch die Reibungswaumlrme eine Rolle) Der Grund fuumlr dieses Verhalten steht in direkter Verbindung mit der strukturbedingten Volumenabnahme beim Schmelzen von Eis (s Videos unter httpwwwyoutubecomwatchv=6s0b_keOiOU und httpswwwyoutubecomwatchv=CDTZoFGmZoc )

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41

Waumlhlt man in einem Phasendiagramm eine Kombination von Druck und Temperatur so kann man direkt denjenigen Phasenzustand ablesen den die gegebene Teilchenart unter diesen Bedingungen anstrebt Das heiszligt jedoch nicht dass dieser Zustand dann auch in jedem Fall und zu jeder Zeit vorliegt Haumlufig beobachtet man eine so genannte kinetische Hemmung einer Phasenumwandlung So gibt es unterkuumlhlte Fluumlssigkeiten (zB Regentropfen bei -3degC) genauso wie unterkuumlhlte Dampfphasen (zB uumlbersaumlttigten Wasserdampf in Gewitterwolken) oder uumlberhitzte Fluumlssigkeiten (zB uumlberhitztes Wasser bei einem Siedeverzug) Kristalli-sationskeime wie Staubkoumlrner koumlnnen Phasenumwandlungen beschleunigen (zB durch Staub verursachter bdquoIndustrieschneeldquo) Bisher wurden lediglich Phasendiagramme von reinen Stoffen betrachtet die nur aus einer einzelnen Sorte Atomen oder Molekuumllen bestehen Mischt man einem gegebenen Stoff eine weitere Komponente hinzu so aumlndert sich das Phasendiagramm erheblich Als Beispiel betrachten wir ein System in dessen fluumlssiger Phase ein Fremdstoff A geloumlst wird der weder im Festkoumlrper noch im der Gasphase loumlslich ist (zB Kochsalz in Wasser) In diesem Fall dehnt sich der fluumlssige Bereich des Phasendiagramms mit steigender Konzentration von A in alle Richtungen aus so dass gleichzeitig der Schmelzpunkt erniedrigt der Siedepunkt erhoumlht und der Dampfdruck verringert wird (Abb 31) In erster Naumlherung sind alle genannten Aumlnderungen proportional zu cA

T

P

fest

fluumlss

ig

gasfouml

rmig

Abb 31 Phasendiagramm fuumlr ein System in dessen fluumlssiger Phase ein Fremdstoff mit steigender

Konzentration cA geloumlst wird Der Bereich der fluumlssigen Phase dehnt sich daraufhin in alle

Richtungen aus

Bei weiter steigender Konzentration von A kann ein Punkt erreicht werden an dem die Mischung in zwei getrennte Bereiche zerfaumlllt die ebenfalls als Phasen bezeichnet werden (zB Olivenoumll und Wasser) Eine dieser Phasen besitzt dann einen hohen Loumlsemittelanteil bei geringer Konzentration von A die andere besteht aus einem hohen Anteil an A mit einem geringen Gehalt an Loumlsemittel Dieser Vorgang der Phasenseparation binaumlrer (aus zwei Komponenten bestehender) Systeme wird durch eine andere Art von Phasendiagramm beschrieben dem so genannten Mischphasendiagramm (Abb 32) Hierbei wird die Tempe-

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ratur dem relativen Anteil einer Komponente gegenuumlbergestellt der Druck wird als konstant angenommen

Abb 32 Allgemeine Darstellung eines Mischphasendiagramms

Grundsaumltzlich gibt die linke Flanke der Phasentrennlinie (links des kritischen Punkts) die Zusammensetzung der bdquoA-armenldquo Phase an waumlhrend die rechte Flanke (rechts des kritischen Punkts) die Zusammensetzung der A-reichen Phase beschreibt Die Mengen der dabei gebildeten Phasen koumlnnen nach dem so genannten Hebelgesetz berechnet werden Demnach gilt zwischen dem Anteil n1 der A-armen Phase 1 dem Anteil n2 der A-reichen Phase 2 und den Laumlngen der Pfeile s1 und s2 in der vorhergehenden Abbildung folgender Zusammenhang

n1 s1 = n2 s2

Fuumlr das gezeigte Beispiel wuumlrde das bedeuten dass der Anteil der Phase 1 etwa doppelt so groszlig waumlre wie der Anteil der Phase 2 In der Naumlhe der beiden Raumlnder des Diagramms also fuumlr xA 0 (sehr wenig A im Loumlsemittel) oder xA 1 (sehr wenig Loumlsemittel in A) liegen in den meisten Faumlllen einphasige homogene Mischungen vor Das besagt dass auch bei niedrigen Temperaturen ein wenig von dem Stoff A im Loumlsemittel bzw ein wenig Loumlsemittel im Stoff A loumlslich ist Der im Diagramm eingezeichnete kritische Punkt bedeutet dass oberhalb der dazugehoumlrigen kritischen Temperatur keine Entmischung mehr erfolgt dh hier sind die beiden Komponenten vollstaumlndig und in jedem Verhaumlltnis miteinander mischbar Neben solchen oberen kritischen Punkten gibt es auch untere kritische Punkte Im zweiten Fall gilt dass die beiden Komponenten unterhalb einer bestimmten Temperatur in jedem Verhaumlltnis miteinander mischbar sind Im Allgemeinen koumlnnen die drei verschiedenen Faumllle auftreten die in Abbildung 33 dargestellt sind

0 Molenbruch xA der Komponente A 1

Tem

pera

tur

obere kritischeTemperatur

Einphasen-gebiet

Zweiphasen-gebiet

Beispiel xA = 04

T1

Zum gezeigten Beispiel

Eine Mischung mit dem Molenbruch xA = 04 wird von T2 nach T1 abgekuumlhltDabei zerfaumlllt die Mischung bei Tklsquo in zwei Phasen derenZusammensetzung bei T1auf der x-Achse an den Punkten 1 und 2 ablesbar ist

T2

Tklsquo

1 2

kritischer Punkt

s1 s2

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0 xA 1

Tem

pera

tur

System mit oberem kritischen Punkt

kritischer Punkt

0 xA 1Te

mpe

ratu

r

System mit unterem kritischen Punkt

kritischer Punkt

0 xA 1

Tem

pera

tur

System mit oberem und unterem

kritischen Punkt

kritischer Punkt

kritische Punkte

Abb 33 Moumlgliche Varianten von kritischen Punkten bei Systemen aus zwei Komponenten

Obere kritische Punkte findet man dann wenn sich die molekulare thermische Bewegung gegen die Tendenz der Molekuumlle sich mit gleichartigen Molekuumllen zusammenzulagern durchsetzt Dieses Phaumlnomen ist sehr verbreitet so dass ein oberer kritischer Punkt bei sehr vielen Mischphasen beobachtet wird Untere kritische Punkte sind sehr viel seltener Sie treten beispielsweise dann auf wenn die beiden Komponenten miteinander bei tiefen Temperaturen einen Komplex bilden der bei houmlheren Temperaturen wieder zerfaumlllt und dann zu einer Phasenseparation fuumlhrt Ein Beispiel dafuumlr ist die Mischung aus Wasser und Triethylamin

Fuumlr Mischphasen aus drei Komponenten so genannte ternaumlre Mischungen sind die bisher gezeigten Darstellungen ungeeignet Hierfuumlr haben sich Dreiecksdiagramme (Gibbssches Phasendreieck) durchgesetzt die das Phasenverhalten unter Variation der Mengenbeitraumlge aller drei Komponenten aufzeigen (Abb 34) Das Diagramm ist so geartet dass die Summe aller drei Mengenanteile xA xB und xC in jedem Fall den Wert 1 ergibt Damit besitzt die Zusammensetzung des ternaumlren Gemisches zwei Freiheitsgrade Jede Linie die durch eine Ecke des Diagramms fuumlhrt verbindet diejenigen Punkte bei denen das Verhaumlltnis zweier Komponenten gleich ist Jede Linie die parallel zu einer der drei Seiten verlaumluft entspricht Gemischen bei denen der relative Anteil einer Komponente gleich bleibt

00 02 04 06 08 10Komponente A

00

02

04

06

08

10

Kom

pone

nte

B

0002

04

06

08

10

Komponente C

C

A

B

00 02 04 06 08 10Komponente A

00

02

04

06

08

10

Kom

pone

nte

B

00

02

04

06

08

10

Komponente C

x1

x2x

Abb 34 Prinzip eines ternaumlren Phasendiagramms nach Gibbs (Dreiecksdiagramm)

In solche ternaumlren Mischphasendiagramme lassen sich nun entsprechend den binaumlren Mischphasendiagrammen die Ein- und Zweiphasengebiete einzeichnen Das Diagramm in

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Abb 34 rechts gilt zB fuumlr eine ternaumlre Mischung aus A B und C bei der die Komponenten A und B sowie B und C jeweils paarweise in jedem Verhaumlltnis miteinander mischbar sind Die Komponenten A und C sollen dagegen nur begrenzt mischbar sein Als Konsequenz daraus ergibt sich ein Dreiecksdiagramm das an der unteren Achse die dem Anteil 0 der Komponente B entspricht ein Zweiphasengebiet aufweist

Die Hilfslinien im Zweiphasengebiet markieren die Zusammensetzung der entstehenden Einzelphasen So wuumlrde beispielsweise eine Mischung deren Zusammensetzung im Diagramm durch den Punkt x markiert ist in die beiden Phasen x1 und x2 zerfallen Die Mengenanteile der beiden Phasen koumlnnten dabei wieder uumlber das Hebelgesetz berechnet werden Um zusaumltzlich den Einfluss der Temperatur wiederzugeben muss eine weitere Koordinate eingefuumlhrt werden Man erhaumllt dabei ein dreidimensionales Dreiecksdiagramm das haumlufig unter Verwendung von Houmlhenlinien nach der Art einer topographischen Landkarte dargestellt wird Jede Houmlhenlinie des Zweiphasengebiets umschreibt dann seine Ausdehnung bei einer gegebenen Temperatur

Fragt man bei einem System mit bestehenden Randbedingungen nach der Zahl der frei variierbaren Zustandsgroumlszligen also nach der Zahl der Freiheitsgrade so haumlngt die Antwort zunaumlchst davon ab in welchem Phasenzustand sich das System befindet So kann man beispielsweise in der Gasphase (bei festgelegter Stoffmenge) Temperatur und Druck frei waumlhlen wodurch dann automatisch das Volumen festgelegt wird Gleiches gilt fuumlr die feste und die fluumlssige Phase Das System hat innerhalb eines Phasenzustands also zwei Freiheits-grade Setzt man allerdings voraus dass sich das System in einem Gleichgewicht zwischen zwei Phasen befindet (zB auf der Verdampfungslinie) so besitzt es nur einen Freiheitsgrad Am Tripelpunkt schlieszliglich bei einem Gleichgewicht zwischen drei Phasen sind keine Freiheitsgrade mehr vorhanden Zwischen der Zahl der Phasen P und der Zahl der Freiheitsgrade F gibt es also folgende einfache Beziehung

F = 3 - P

Beruumlcksichtigt man weiter dass auch mehr als eine Komponente auftreten kann (Zahl der Komponenten C gt 1) so erhoumlht sich die Zahl der Freiheitsgrade um jede zusaumltzliche Komponente deren Konzentration ja frei waumlhlbar ist um den Wert eins Man erhaumllt damit

F = 3 - P + (C - 1) oder F = C - P + 2

Nach dieser allgemeinguumlltigen Formel der so genannten Gibbsrsquoschen Phasenregel laumlsst sich die Zahl der Freiheitsgrade in jedem beliebigen System bestimmen Sie erlaubt insbesondere bei sehr komplizierten Mischungen mit einer unbekannten Anzahl an Phasenzustaumlnden uumlber eine einfache Betrachtung Ruumlckschluumlsse auf deren Phasenverhalten

Page 21: Vorlesung PC I Einführung in die Physikalische Chemierelaxation.chemie.uni-duisburg-essen.de/lehre/Skript_PC_2016_2017.pdf · Schwingungen möglich, deren Geometrie (d.h. die Zahl

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Wel

lenz

ahl

[100

0 cm

-1]

0

10

20

30

40

50

60

70

80

90

100

110Grundzustand

Lyman-serie

Balmer-serie

Paschen-serie

Brackett-serie

n = 5n = 4

n = 3

n = 2

n = 1

Gustav Robert Kirchhoff

Robert Wilhelm Bunsen

Abb 13 Wichtige elektronische Uumlbergaumlnge im Wasserstoffatom

Abbildung 14 zeigt das gesamte Wasserstoffspektrum die Kuumlrzel benennen die entsprechen-den Serien (Ly = Lyman Ba = Balmer etc)

Abb 14 Spektrum des Wasserstoffatoms Die Achse fuumlr die Wellenlaumlnge ist logarithmisch aufgetragen

Eine genaue Analyse ergibt dass sich das Schema der Energiedifferenzen nach Abb 13 fast genau mit den in Kapitel 15 besprochenen Loumlsungen der Schroumldingergleichung deckt Die aumluszligerst kleinen Abweichungen die man dennoch detektieren konnte lieszligen sich auf den Bei-trag des Kerns (trotz seiner hohen Masse kann er sich minimal mit dem Elektron mitbewegen) und des Isotopeneffekts zuruumlckfuumlhren der schwerere Deuteriumkern der aus einem Proton und einem Neutron besteht bewegt sich weniger leicht mit dem Elektron mit als das einsame Proton des bdquonormalenldquo Wasserstoffs Daneben zeigen sich bei sehr hoher Aufloumlsung des Spektrums auch relativistische Effekte die zu weiteren Aufspaltungen fuumlhren

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24 Elektronenspektroskopie an Atomen mit mehreren Elektronen

Aufgrund der Wechselwirkungen zwischen den Elektronen ist bei schwereren Elementen die beim Wasserstoff gegebene Entartung bezuumlglich der Quantenzahlen l und m aufgehoben Damit wird das Energiediagramm bereits fuumlr ein einfaches houmlheres Atom wie zum Beispiel Lithium schon deutlich komplizierter (Abb 15) Neben den Uumlbergaumlngen zwischen verschiede-nen Werten fuumlr n treten nun auch Uumlbergaumlnge zwischen s und p p und d d und f auf Manche Uumlbergaumlnge (zum Beispiel solche zwischen s- und d-Niveaus) werden allerdings gewoumlhnlich nicht beobachtet man nennt sie bdquoverbotenldquo bdquoErlaubtldquo sind nur solche Uumlbergaumlnge bei denen die Nebenquantenzahl sich um den Wert plusmn1 aumlndert (also eben von s nach p von p nach d usw) Die so genannte Auswahlregel welche die erlaubten Uumlbergaumlnge festlegt heiszligt folglich Δl = plusmn1

Als weitere Folge der Wechselwirkungen zwischen den Elektronen besitzt jedes houmlhere Atom ein eigenes und von Wasserstoff verschiedenes Energiediagramm Damit besitzt aber auch jedes Atom ein unverwechselbares Muster von Energieuumlbergaumlngen die es eindeutig kenn-zeichnet Dies laumlsst sich bereits in einfachen Versuchen anhand von Flammenfaumlrbungen zeigen Diejenigen Uumlbergaumlnge deren ΔE den Wellenlaumlngen im sichtbaren Spektrum entspricht (in Abb 15 sind dies die kuumlrzeren unter den eingezeichneten blauen Pfeilen) sorgen bei vielen Elementen fuumlr ein charakteristisches farbiges Leuchten (Abb 15 rechts)

Ener

gie

Wasserstoff Lithium

n = 1

2

3

45

1s

2s

2p

3s

4s

5s

3p

4p5p

3d

4d5d

Abb 15 Termschema von Lithium mit wichtigen elektronischen Uumlbergaumlngen (links) Durch Lithium verursachte Flammenfaumlrbung (rechts Quelle httpwwwitpuni-hannoverde~zawischaITPatomshtml)

Letztlich ist auch bei allen houmlheren Atomen die Elektronenspektroskopie eine ideale Methode um das Energieniveauschema experimentell zugaumlnglich zu machen Sie eignet sich daruumlber hinaus perfekt zur schnellen und empfindlichen Identifikation von Elementen Diese Tatsache

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macht man sich sowohl in der Atomabsorptionsspektroskopie (AAS) als auch in der Atom-emissionsspektroskopie (AES) zunutze Elektronenspektren sind unverwechselbare Finger-abdruumlcke mit denen alle Elemente in hoher Empfindlichkeit und selbst uumlber groszlige Distanzen hinweg sicher identifiziert werden koumlnnen

25 Elektronenspektroskopie an Molekuumllen

Genau wie die Atomorbitale sind auch Molekuumllorbitale der Elektronenspektroskopie zugaumlng-lich Durch die systematische Analyse aller elektronischen Uumlbergaumlnge lassen sich die Energie-niveaus in einem MO-Schema schrittweise ausmessen Besonders interessant wird dieser Ansatz bei der Untersuchung der Bindungsverhaumlltnisse Im Allgemeinen beobachtet man Uumlbergaumlnge zwischen bindenden und nicht bindenden Orbitalen einerseits und den uumlblicherweise unbesetzten antibindenden Orbitalen andererseits In Abb 16 ist dies am Beispiel einer C-O-Bindung in Formaldehyd gezeigt Im Mittelpunkt stehen dabei das binden-de und das antibindende σ-Orbital C-O das bindende und das antibindende π-Orbital C-O sowie das nicht bindende freie Elektronenpaar des Sauerstoffs (ein weiteres freies Elektronen-paar bleibt unbeteiligt)

Ener

gie

σ CO

σ CO

π CO

π CO

n O

C

H

H

O

σ-σ

Uumlbe

rgan

g

π-π

Uumlbe

rgan

gn-π Uumlber-gang

σ

Abb 16 Termschema der CO-Gruppe in Formaldehyd (links) Die beteiligten Bindungen und das im betrachteten Energiefenster liegende freie Elektronenpaar des Sauerstoffs sind rechts skizziert

Die drei wichtigsten Uumlbergaumlnge die an der C-O-Gruppe detektiert werden sind der σ-σ-Uumlbergang der π-π-Uumlbergang und der n-π-Uumlbergang Letzterer ist in einer C-O-Gruppe stets am energieaumlrmsten und kann bereits mit UV-Licht einer Wellenlaumlnge um 280 nm angeregt werden (schwarzer Pfeil in Abb 16) Energiereicher und intensiver ist bei der CO-Gruppe der π-π-Uumlbergang der bei Wellenlaumlngen um 170 nm angeregt wird (roter Pfeil in Abb 16) Daruumlber hinaus zeigt das Spektrum dass die beiden freien Elektronenpaare des Sauerstoffs stark unterschiedlichen Charakter besitzen (nur eines ist an dem n-π-Uumlbergang beteiligt das andere tritt im gegebenen Spektralbereich nicht in Erscheinung)

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Auf aumlhnliche Weise lassen sich alle MO-Schemata komplizierter Molekuumlle analysieren Lie-gen die Anregungsfrequenzen der Uumlbergaumlnge im sichtbaren Bereich so haben die Molekuumlle die Funktion von Farbstoffen Haumlufig besitzen sie dann laumlngere lineare Delokalisationsgebiete deren Elektronenspektren man dann auch in grober Naumlherung mit dem eindimensionalen Potentialtopfmodell beschreiben kann (s Kapitel 22) Werden Bindungselektronen angeregt und aumlndern sich im Verlauf der elektronischen Anre-gung die Bindungsverhaumlltnisse (beispielsweise bei Besetzung eines antibindenden Zustands) so ist mit der elektronischen Anregung zwangslaumlufig auch eine Aumlnderung des energetisch guumlnstigsten Bindungsabstands verbunden Damit einhergehend werden mechanische Schwin-gungen des Molekuumlls angeregt Mit den Molekuumllschwingungen verhaumllt es sich analog zu den elektronischen Zustaumlnden auch Molekuumllschwingungen existieren nur in bestimmten definierten Zustaumlnden die sich dann den elektronischen Zustaumlnden uumlberlagern (Abb 17) Die Folge davon ist dass die Elektronenspektren von Molekuumllen haumlufig keine scharfen Linien sondern breite Absorptionsbereiche (bdquoBandenldquo) aufweisen Alle Linien fuumlr die elektronischen Uumlbergaumlnge zerlegen sich demnach in eine Vielzahl von Einzellinien die verschiedene Schwingungszustaumlnde der benachbarten elektronischen Zustaumlnde miteinander verbinden (in Abb 17 sind exemplarisch neun verschiedene moumlgliche Uumlbergaumlnge eingezeichnet) Normaler-weise liegen alle diese Linien dicht beieinander so dass insgesamt eine verbreiterte Absorp-tionsbande entsteht

Ener

gie

elektronische Niveaus

Schwingungsniveaus

Abb 17 Zum Zustandekommen von breiten Absorptionsbanden in Elektronen-Schwingungsspektren Uumlberlagerung von elektronischen Uumlbergaumlngen mit Schwingungsuumlbergaumlngen Exemplarisch sind jeweils drei Schwingungsniveaus eingezeichnet

Das Elektronenspektrum eines Molekuumlls wird wegen der dazu verwendeten Frequenzbereiche im UV- und im sichtbaren (bdquovisibleldquo) Spektrum auch UV-vis-Spektroskopie genannt Die UV-vis-Spektroskopie dient neben der Aufklaumlrung der MO-Struktur auch der schnellen und bequemen Identifikation von chemischen Verbindungen Aufgrund ihrer im Absorptionsver-fahren sehr einfachen und preisguumlnstigen Messtechnik wird sie auch haumlufig in Kombination mit anderen analytischen Verfahren (zB der Chromatographie) verwendet Uumlber eine Bestim-mung der Intensitaumlt der Anregung kann auch eine quantitative Analyse einzelner Verbindun-gen erfolgen

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3 Das Zusammenwirken von Atomen und Molekuumllen 31 Der makroskopische Zustand von Materie Bisher sind nur einzelne Bausteine der Materie also Atome und Molekuumlle betrachtet worden Nun soll das makroskopische Erscheinungsbild von Materie ins Auge gefasst werden die aus einer Vielzahl von Atomen oder Molekuumllen besteht Um den Zustand dieser aus vielen Teilchen zusammengesetzten Materie uumlberhaupt als Gesamtheit zu beschreiben benoumltigt man zunaumlchst so genannte Zustandsparameter oder Zustandsgroumlszligen Die wichtigsten Vertreter dieser Kenngroumlszligen fuumlr makroskopische Materie sind die Stoffmenge n das Volumen V der Druck P und die Temperatur T

n Stoffmenge Die Stoffmenge wird uumlber die Teilchenzahl definiert

Einheit der Teilchenzahl 1 Mol

Definition Ein Mol eines Stoffes enthaumllt dieselbe Anzahl an Teilchen wie 0012 kg reiner Kohlenstoff des Isotops 12C (1 Mol 60221023

Teilchen) Dabei muss eindeutig festgelegt sein was unter einem Teilchen des Stoffes jeweils zu verstehen ist Ist die Stoffmenge konstant so spricht man von einem geschlossenen System

V Volumen Die Definition des Volumens erfolgt uumlber die festgelegte Laumlngeneinheit und den geometrischen Volumenbegriff

Einheit des Volumens 1 msup3

Definition Ein msup3 ist das Volumen eines wuumlrfelfoumlrmigen Raums mit einer Kantenlaumlnge von einem Meter Ist das Volumen konstant so spricht man von einem isochoren Vorgang

P Druck Die Definition erfolgt uumlber die Kraft die ein Stoff auf jede Flaumlcheneinheit eines ihn einschlieszligenden Behaumllters ausuumlbt

Einheit des Drucks 1 Pascal = 1 Pa = 1 Nmsup2 = 10-5 bar

Definition Ein Pascal ist der Druck bei dem auf jeden Quadratmeter der Behaumllterwaumlnde eine Kraft von 1 Newton ausgeuumlbt wird Ist der Druck konstant so spricht man von einem isobaren Vorgang

T Temperatur

Der sicherlich am schwierigsten fassbare Zustandsparameter makroskopischer Materie ist die Temperatur Zwar ist sie direkt mit der menschlichen Wahrnehmung verknuumlpft (kalt warm heiszlighellip) physikalisch jedoch zunaumlchst sehr undefiniert da sie nicht ohne weiteres auf andere physikalische Groumlszligen zuruumlckfuumlhrbar ist Am ehesten laumlsst sie sich im ersten Ansatz als diejenige Eigenschaft von Materie beschreiben die von einem Thermometer gemessen wird

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Zur Verwendung als Thermometer eignet sich prinzipiell jeder physikalische oder chemische Vorgang der reproduzierbar mit einer Temperaturaumlnderung verknuumlpft ist Klassisch sind dies insbesondere die Ausdehnungsvorgaumlnge von Gasen Fluumlssigkeiten und Festkoumlrpern (Abb 18)

Hg

Festkoumlrperthermometer werden gewoumlhnlich nach demPrinzip des Bimetall-Thermometers ausgelegt (ganzlinks) Dabei werden zwei verschiedene Festkoumlrper(zB zwei Bleche aus verschiedenen Metallen) flaumlchigmiteinander in Kontakt gebracht Bedingt durch dieunterschiedliche thermische Ausdehnung derMaterialien kruumlmmt sich das Bimetall-Blech abhaumlngigvon der Temperatur mehr oder weniger stark zu einerSpirale

Fluumlssigkeitsthermometer (Mitte) und Gasthermometer(rechts) nutzen die Volumenaumlnderung eines fluidenMediums mit der Temperatur Die Genauigkeit kannerhoumlht werden indem einem groszligvolumigen Vorrats-behaumllter ein relativ kleinvolumiger Ausdehnungs- undAblesebereich gegenuumlbergestellt wird

Abb 18 Thermometer die auf der Grundlage der temperaturbedingten Ausdehnung von Materie beruhen

In der Praxis kommen mehr und mehr die elektronischen Varianten der Temperaturmessung zum Zug die zumeist auf der Messung der Thermospannung basieren Neben der Messmetho-de ist die Festlegung einer Temperaturskala wichtig Dazu dienten zunaumlchst einige Fixpunkte die heute teilweise noch historische Bedeutung haben

1) Die tiefste Temperatur des Winters 17081709 in Danzig - 178 degC

2) Die Temperatur von schmelzendem Eis bei 760 Torr (760 Torr = 1 atm = 101 325 Pa) 0 degC

3) Koexistenztemperatur von Eis Wasser und Wasserdampf 001 degC (exakt)

4) Die durchschnittliche Koumlrpertemperatur eines gesunden Menschen 378 degC

5) Die Siedetemperatur des Wassers bei 760 Torr (1 atm = 101 325 Pa) 100 degC

Die Punkte 1 und 4 bildeten die Grundlage des Fahrenheit-Systems die Punkte 2 und 5 die der Celsius-Skala Bei beiden Systemen wurde der definierte Bereich zunaumlchst in 100 gleiche Teile (Grade) aufgeteilt dann extrapoliert Beide Definitionen wurden spaumlter verfeinert (Celsius 9999 Grade C zwischen den Fixpunkten 3 und 5 Fahrenheit 180 Grade F zwischen den Fixpunkten 1 und 5) Trotzdem mangelt es auszliger Punkt 3 allen genannten Fixpunkten an Genauigkeit und Reproduzierbarkeit

Das zweite Problem nach der Unvollkommenheit der Fixpunkte besteht in der Festlegung einer systemunabhaumlngigen linearen Teilung Gewoumlhnlich ist der Verlauf der Skala vom gewaumlhlten Medium abhaumlngig Eine lineare Teilung auf der Skala eines Quecksilber-thermometers entspricht daher nicht einer linearen Teilung auf der Skala eines Alkoholthermometers da die Ausdehnung bei jedem Medium in unterschiedlicher Weise von der Temperatur abhaumlngt

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Beide Probleme sowohl die Wahl der passenden Fixpunkte als auch die Definition einer sinnvollen linearen Teilung werden heute durch die Festlegung der so genannten absoluten Temperaturskala geloumlst Grundlage hierfuumlr sind uumlbereinstimmende Beobachtungen an Gasthermometern

-300 -200 -100 0 100 200

V

T

-27315degCBei wiederholten Messungen mit verschiedenenGasthermometern verschiedenen Gasen undGasvolumina und bei verschiedenen Drucken stelltman fest dass sich die Verlaumlngerungen aller in denjeweiligen Diagrammen erhaltenen Linien in einemPunkt schneiden Dieser Punkt entspricht auf derVolumenachse dem Wert V = 0 und auf derTemperaturachse dem Wert T = -27315 degC

Abb 19 Ausdehnungskurven verschiedener Gase Die Temperaturskala ist zunaumlchst noch in Celsius aufgetragen

Aus dieser Beobachtung wurde geschlossen dass der Temperatur am gemeinsamen Schnitt-punkt aller Ausdehnungskurven eine besondere physikalische Bedeutung zukommt und sie sich daher als Fixpunkt einer neuen Temperaturskala eignet Weiterhin wurde festgestellt dass zwar alle Gase in ihrem Ausdehnungsverhalten von dem linearen Verlauf abweichen dass aber unter bestimmten Umstaumlnden (zB niedriger Druck) ein gemeinsamer Verlauf angestrebt wird den man auch als idealen Verlauf bezeichnen koumlnnte Am besten funktioniert das bei Helium unter schrittweise absinkenden Drucken dessen Verhalten sich fuumlr P rarr 0 zum idealen Verhalten extrapolieren laumlsst Diese Erkenntnis diente zur Definition einer absoluten Temperaturskala in Kelvin

1) Unterer Fixpunkt Schnittpunkt der Volumenexpansionskurven bdquoidealerldquo Gase (zB Helium fuumlr den Grenzfall Prarr0) 0 Kelvin

2) Oberer Fixpunkt Koexistenztemperatur von Eis Wasser und Wasserdampf 27316 Kelvin

3) Das Volumen eines bdquoidealenldquo Gases (zB Helium fuumlr den Grenzfall Prarr0) ist bei konstantem Druck proportional zur Temperatur und definiert die lineare Teilung der Temperaturskala

Gemaumlszlig dieser Definition ist jede beliebige Temperatur unter Nutzung eines bdquoidealenldquo Gasther-mometers auf der absoluten Kelvin-Skala eindeutig festgelegt Die Verwendung der Kelvin-Skala ist gegenuumlber der Nutzung klassischer Temperatursysteme bei der Beschreibung physi-kalischer Vorgaumlnge eindeutig von Vorteil Vorgaumlnge bei denen die Temperatur konstant ist nennt man isotherm Mit der Definition der wichtigsten Zustandsparameter Teilchenzahl n Volumen V Druck P und Temperatur T besteht nun die Moumlglichkeit das Verhalten makroskopischer Materie zu beschreiben Am einfachsten gelingt das im Fall von Gasen

32 Zustandsgleichung fuumlr Gase die ideale Gasgleichung

Gleichungen welche die Zustandsparameter wie n V T und P miteinander verknuumlpfen nennt man Zustandsgleichungen Sie beschreiben das Verhalten einer aus vielen einzelnen Teilchen bestehenden Materie hinsichtlich ihrer makroskopisch messbaren Groumlszligen Am

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einfachsten sind solche Zustandsgleichungen fuumlr Gase aufzustellen Untersucht man bei Gasen systematisch den Zusammenhang zwischen n V P und T so stellt man fest dass fuumlr alle Gase in mehr oder weniger guter Naumlherung folgende einfache Gleichung erfuumlllt isthellip

P ∙ V = n ∙ R ∙ T

hellipwobei R fuumlr die so genannte ideale Gaskonstante steht (R asymp 8314 J K-1 Mol-1) Diese Glei-chung auch bdquoideale Gasgleichungldquo genannt ist ein so genanntes Grenzgesetz kein real exis-tierendes Gas erfuumlllt es genau aber alle Gase kommen ihm recht nahe insbesondere bei hohen Temperaturen und niedrigen Druumlcken Eine Gleichung dieser Form nennt man auch Zustands-gleichung da sie Zustandsparameter miteinander verbindet Grafisch laumlsst sich diese Verknuumlp-fung in einem einfachen Diagramm darstellen bei dem jede Kombination von T und V genau einem Wert fuumlr P zugeordnet ist (Abb 20)

P

V

T

Abb 20 Auftragung von P gegen T und V nach der idealen Gasgleichung

Wir wissen nun dass die Gase aus einer Vielzahl von Teilchen (Atomen oder Molekuumllen) bestehen Wie laumlsst sich das durch die ideale Gasgleichung beschriebene Verhalten nun mit dieser Tatsache in Einklang bringen Was bedeuten eigentlich die Parameter Druck und Tem-peratur fuumlr ein Gas das sich aus vielen einzelnen Atomen und Molekuumllen zusammensetzt Um makroskopische Zustandsparameter uumlberhaupt mit der Teilchenwelt verknuumlpfen zu koumlnnen benoumltigen wir eine Modellvorstellung fuumlr das mechanische Zusammenwirken der Teilchen im Fall von Gasen das so genannte kinetische Gasmodell

33 Das kinetische Gasmodell

Bei den im vorhergehenden Kapitel aufgefuumlhrten Gasgesetzen handelt es sich um mathemati-sche Beschreibungen von makroskopisch beobachtbaren Vorgaumlngen Zur Interpretation der Gasgesetze auf molekularer Ebene wurden verschiedene Modelle vorgeschlagen Das erfolg-reichste unter ihnen war das sogenannte kinetische Gasmodell Es beruht auf der Vorstellung dass ein Gas aus einer Vielzahl von Teilchen besteht die folgende Bedingungen erfuumlllen

1) Sie besitzen eine Atom- oder Molmasse M einen endlichen Durchmesser d und befinden sich in staumlndiger und ungeregelter Bewegung

2) Die Groumlszlige der Teilchen ist im Verhaumlltnis zum freien Volumen vernachlaumlssig-bar

3) Zwischen den Teilchen finden elastische Stoumlszlige statt Ansonsten existieren keine weiteren Wechselwirkungen unter den Teilchen

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Nach der kinetischen Gastheorie besteht der Druck eines Gases aus der Summe aller Kraumlfte (pro Flaumlcheneinheit) die durch auf eine Flaumlche aufprallende Gasteilchen (bzw durch deren Impulsaumlnderung) ausgeuumlbt werden (Abb 21)

Vx t

Abb 21 Links schematische Darstellung der Impulsaumlnderung bei dem Auftreffen eines Gasteilchens auf der Gefaumlszligwand Viele solche Stoumlszlige fuumlhren in der Summe zum Entstehen einer messbaren dem Gasdruck zugeordneten Kraft Rechts Die Geschwindigkeitskomponente vx der Teilchen bestimmt nicht nur die Groumlszlige der Impulsaumlnderung sondern auch die Zahl der Teilchen die pro Zeiteinheit auf die Wand stoszligen Daher geht die Geschwindigkeit der Teilchen bei der Berechnung des Drucks insgesamt quadratisch ein

Dabei wird zunaumlchst davon ausgegangen dass alle Teilchen die gleiche Geschwindigkeits-komponente vx aufweisen Diese Geschwindigkeitskomponente bestimmt zum einen die Heftigkeit der Stoumlszlige zum anderen wie viele Gasteilchen pro Zeiteinheit auf die Wand prallen Insgesamt haumlngt der Druck damit vom Quadrat der Geschwindigkeitskomponente vxab Fuumlhrt man nun ein mittleres Geschwindigkeitsquadrat csup2 ein (mit vxsup2 = 13 csup2) so erhaumllt man fuumlr den an dem beweglichen Kolben spuumlrbaren Druck die Gleichung

P = 13 M csup2 (nV) oder in der Schreibweise der idealen Gasgleichung P V = 13 n M csup2 Der Druck ist nach dem kinetischen Gasmodell also die Folge einer Vielzahl von Stoumlszligen welche die Teilchen gegen die Behaumllterwaumlnde ausfuumlhren Er ist folglich proportional zur Mas-se der Teilchen (je schwerer die Teilchen desto heftiger die Stoumlszlige) zum mittleren Geschwin-digkeitsquadrat (die Geschwindigkeit der Teilchen bestimmt zum einen die Haumlufigkeit zum anderen die Heftigkeit der Stoumlszlige) und zur Zahl der Teilchen pro Volumeneinheit (womit wie nach der idealen Gasgleichung zu erwarten P umgekehrt proportional zu V ist) Die Bedeutung der Temperatur im kinetischen Gasmodell ist dagegen zunaumlchst unklar Mit der idealen Gasgleichung P V = n R T ergibt sich aber durch Koeffizientenvergleich n R T = 13 n M csup2 oder R T = 13 M csup2 Man kann unter Nutzung beider Gasmodelle so zu einem neuen teilchenbezogenen Verstaumlnd-nis des Phaumlnomens Temperatur kommen Die Temperatur eines Gases ist demnach direkt proportional zum mittleren Geschwindigkeitsquadrat der Gasteilchen oder in anderen Worten zu deren kinetischer Energie 12 M csup2 Dies ist fuumlr das Verstaumlndnis des Phaumlnomens Temperatur von groszliger Bedeutung Man kann die Temperatur eines Gases also messen indem man (bei bekannter Masse der Teilchen) die Geschwindigkeit der Gasteilchen bestimmt Die Wurzel aus dem mittleren Geschwindigkeits-quadrat also die Groumlszlige c liegt uumlblicherweise in der Groumlszligenordnung der Schallgeschwindig-keit (zum Beispiel fuumlr Stickstoff bei Raumtemperatur c = 516 ms) und steht zu ihr in einer

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festen Beziehung Tatsaumlchlich laumlsst sich die Temperatur auch uumlber eine Messung der Schall-geschwindigkeit ermitteln Nachdem das mittlere Geschwindigkeitsquadrat der Teilchen bekannt ist stellt sich die Frage nach der Geschwindigkeitsverteilung der Teilchen Die Bewegungsenergie der Teilchen ist wie alle anderen Energieformen (zB elektronische Energie Schwingungsenergie) gequantelt Das bedeutet dass sich die Teilchen auf (hier dicht gestaffelte) Energieniveaus verteilen muumlssen Sie tun das nach einem statistischen Grundprinzip das Boltzmann-Verteilung genannt wird Demnach ist die Besetzung pi eines Energieniveaus i (egal welcher Art die Energie Ei ist) stets proportional zum so genannten Boltzmannfaktor des Zustand i Es gilt

pi ~ exp[-Ei(kBT)]

Die darin enthaltene Boltzmannkonstante kB ist nichts anderes als die allgemeine Gas-konstante R (siehe unter 32) dividiert durch die Zahl NL der Teilchen in einem Mol Substanz (kB = RNL) Das bedeutet die Besetzung eines Zustands ist umso wahrscheinlicher je niedriger dessen Energie ist Steigende Temperatur T hingegen erhoumlht die Wahrscheinlichkeit energiereicher Zustaumlnde Diese Gesetzmaumlszligigkeit gilt fuumlr die Besetzung aller auf atomarer oder molekularer Ebene gegebener Zustaumlnde in einem makroskopischen System Angewandt auf die Bewegungsenergie von Gasteilchen in einer einzelnen Raumrichtung x bedeutet das dass Teilchen mit hoher Geschwindigkeit vx weniger wahrscheinlich sind als solche mit niedriger Geschwindigkeit vx Allerdings steigt die Wahrscheinlichkeit des Auftretens groszliger Werte fuumlr vx mit steigender Temperatur Teilt man den Bereich der auftretenden Geschwindigkeiten in Intervalle auf und zaumlhlt man die Teilchen die gemaumlszlig ihrer Geschwindigkeit zu den einzelnen Intervallen zugeordnet werden koumlnnen so ergibt sich fuumlr die Geschwindigkeitsverteilung in vx und v das Bild das in Abb 22 oben dargestellt ist Die Verteilungsfunktionen fuumlr die Geschwindigkeiten in y- und z-Richtung sind identisch

n(vx)

vx-Intervall

n(vx)

vx-Intervall

Temperatur-erhoumlhung

- 0 +- 0 +n(v)

v-Intervall

Temperatur-erhoumlhung

0 +

n(v)

v-Intervall0 +

Abb 22 Verteilungsfunktionen einer eindimensionalen Geschwindigkeitskomponente (oben) und der Gesamtgeschwindigkeit (unten)

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Betrachtet man die Verteilung n(v) der Gesamtgeschwindigkeit v im dreidimensionalen Raum so wird das Bild komplizierter Bezuumlglich der drei Raumrichtungen x y und z sind weiterhin die kleinen Geschwindigkeiten wahrscheinlicher als die groszligen Da nun aber fuumlr eine groszlige Gesamtgeschwindigkeit v mehr Kombinationsmoumlglichkeiten vx vy vz existieren als fuumlr kleine Gesamtgeschwindigkeiten so wird die Wahrscheinlichkeit fuumlr sehr geringe Gesamtgeschwindigkeiten entsprechend kleiner fuumlr groszlige Gesamtgeschwindigkeiten entsprechend groumlszliger Der daraus resultierende Gewichtungsfaktor fuumlr jedes v ist die relative Flaumlche der Kugelschale mit dem Radius v Insgesamt ergeben sich dann die in Abb 22 unten dargestellten Verteilungsfunktionen fuumlr niedrige und hohe Temperaturen Die Verteilungsfunktionen in vx und v lauten (ohne Herleitung)

f(vx) = [M(2RT)]12 exp [-Mvxsup2(2RT)]

f(v) = 4 [M(2RT)]32 vsup2 exp [-Mvsup2(2RT)] Der Mittelwert von vx (oder jeder anderen eindimensionalen Geschwindigkeitskomponente) ist grundsaumltzlich Null Dagegen besitzt der Mittelwert von v stets eine endliche von Null verschiedene Groumlszlige Bei einer Erhoumlhung der Temperatur werden alle Verteilungsfunktionen breiter der Mittelwert von v vergroumlszligert sich Die Temperatur eines Gases aumluszligert sich also nicht nur im mittleren Geschwindigkeitsquadrat sondern auch in der Form der Geschwindigkeitsverteilungsfunktion Bei der Mischung von Gasen unterschiedlicher Temperatur muss um die oben genannte Forderung zu erfuumlllen aus der einfachen Summe von zwei Verteilungsfunktionen eine neue der Mischtemperatur ent-sprechende Verteilungsfunktion entstehen Dies ist nur unter der Annahme moumlglich dass ein Austausch kinetischer Energie unter den Teilchen erfolgen kann Diese Tatsache bedingt die eingangs gestellte Forderung nach Teilchenstoumlszligen also Wechselwirkungen zwischen den Teilchen Damit muumlssen die Gasteilchen aber auch ein gewisses Volumen besitzen den Teil-chen ohne Eigenvolumen koumlnnen prinzipiell nicht zusammenstoszligen Darin besteht der we-sentliche Unterschied zwischen einem Gas nach dem kinetischen Gasmodell und dem idealen Gas Das ideale Gas koumlnnte man theoretisch auf ein beliebig kleines Volumen komprimieren bei einem kinetischen Gas ist dies aufgrund des Eigenvolumens nicht moumlglich Ansonsten erlaubt das kinetische Gasmodell die vollstaumlndige Interpretation der idealen Gasgleichung

34 Die korrigierte Gasgleichung nach van der Waals JD van der Waals

Mithilfe des kinetischen Gasmodells laumlsst sich die Zustandsgleichung fuumlr Gase weiter verfeinern Zunaumlchst soll beruumlcksichtigt werden dass die Teilchen ein eigenes Volumen besitzen In erster Naumlherung geschieht dies indem man ein vom Eigenvolumen der Gas-teilchen abgeleitetes minimales Volumen des Gases (das so genannte Covolumen) definiert Das Covolumen beschreibt dasjenige Volumen des Gases das bei staumlndigem mechanischem Kontakt zwischen jeweils zwei Teilchen eingenommen wird wenn man den Teilchenpaaren jeweils den sie umschreibenden kugelfoumlrmigen Raum zuordnet (wegen der geringen Wahr-scheinlichkeit von Dreierstoumlszligen kann die Bildung von Dreiergruppen ausgeschlossen werden) Das molare Covolumen b entspricht wenn man eine einfache geometrische Uumlberlegung an-setzt dem vierfachen Eigenvolumen eines Mols der Gasteilchen Um das tatsaumlchliche freie

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Volumen zu erhalten muss das n-fache Covolumen vom gegebenen Volumen abgezogen werden Damit wird aus der idealen Gasgleichung P V = n R T die erste korrigierte Version P (V - n b) = n R T Im zweiten Schritt soll nun uumlber das kinetische Gasmodell hinausgehend auch die anziehen-de Wechselwirkung zwischen den Teilchen beruumlcksichtigt werden Die Anziehung zwischen den Teilchen sorgt nach van der Waals fuumlr einen zusaumltzlichen nach auszligen nicht messbaren bdquoBinnendruckldquo Dieser Binnendruck ist proportional zum Quadrat der Teilchendichte (nV)sup2 Der zwischen den Teilchen tatsaumlchlich wirkende nach auszligen ebenfalls unmessbare Gesamt-druck ist dann gegeben als

Pgesamt (unmessbar) = P (messbar) + a (nV)sup2

mit einer fuumlr die anziehende Wechselwirkung charakteristischen Konstante a Die danach korrigierte Version der Gasgleichung die van-der-Waals-Gleichung fuumlr reale Gase lautet

[P + a (nV)sup2] (V - nb) = n R T

Die Konstanten b und a besitzen fuumlr jedes reale Gas charakteristische Werte die dessen Eigenvolumen (die Groumlszlige der Elektronenhuumllle) und die Staumlrke der intermolekularen Wechsel-wirkungen reflektieren Beispiele

Gas a b

Argon 01345 Pa m6Molsup2 32210-5 msup3Mol Kohlendioxid 03592 Pa m6Molsup2 426710-5 msup3Mol Helium 00034 Pa m6Molsup2 23710-5 msup3Mol Stickstoff 01390 Pa m6Molsup2 391310-5 msup3Mol Wasser 05573 Pa m6Molsup2 31010-5 msup3Mol

Der Parameter b spiegelt mit der Einheit msup3Mol weitgehend die Groumlszlige der einzelnen Teilchen (Atome oder Molekuumlle) wider So besitzt erwartungsgemaumlszlig Kohlendioxid oder Argon einen groumlszligeren Wert fuumlr b als beispielsweise Helium Allerdings sind die Unterschiede erstaunlich klein was auf die Tatsache zuruumlckzufuumlhren ist dass sich das Covolumen auf Teilchenpaare bezieht und ein Paar aus Kohlendioxidmolekuumllen gegenuumlber einem Paar aus Heliumatomen nur etwa das doppelte Volumen benoumltigt

Der Parameter a mit der Einheit Pascal mal Molvolumen zum Quadrat reflektiert die Staumlrke der Wechselwirkungen zwischen den Teilchen Diese Wechselwirkungen beruhen zum groszligen Teil auf den elektrischen Eigenschaften der Teilchen Diese wiederum sind mit der elektronischen Struktur der Atome beziehungsweise der chemischen Bindungen verknuumlpft Am wichtigsten ist dabei das in Kapitel 19 erwaumlhnte Dipolmoment Polare Bindungen koumlnnen zu Teilchen mit permanenten Dipolen fuumlhren (zB HF Wasser Ammoniak CO) Andere Molekuumlle oder Atome sind zwar unpolar koumlnnen aber spontan oder durch aumluszligere

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elektrische Felder polarisiert werden (zB He Ar molekularer Wasserstoff molekulares Chlor) Man spricht dann von polarisierbaren Teilchen mit einem spontanen Dipolmoment oder mit einem durch ein aumluszligeres Feld bewirkten induzierten Dipolmoment In all diesen Faumlllen sind anziehende Wechselwirkungen zwischen den Teilchen moumlglich die in dem Parameter a zusammengefasst werden Daruumlber hinaus koumlnnen sich auch voruumlbergehende chemische Bindungen ausbilden Das prominenteste Beispiel fuumlr diesen Fall ist die bekannte Wasserstoffbruumlckenbindung die bei polaren X-H-Bindungen auftreten kann Im Einzelnen werden demnach folgende Arten von Wechselwirkungen mit absteigender Intensitaumlt unter-schieden

a) Wasserstoffbruumlckenbindung X-H hellip Y Hierbei bildet sich voruumlbergehend eine chemische Bindung zwischen dem polar gebundenen Wasserstoff und einem elektronegativen und mit einem freien Elektronenpaar ausgestatteten Element Y

b) Wechselwirkungen zwischen permanenten Dipolen hier besitzen alle Teilchen ein permanentes Dipolmoment Zwischen den entgegengesetzt geladenen Enden der Teilchen bauen sich dann konstant anziehende elektrostatische Wechselwir-kungen auf

c) Wechselwirkungen zwischen permanenten und induzierten Dipolen die Teil-chen mit permanentem Dipolmoment induzieren ein voruumlbergehendes Dipol-moment bei den benachbarten (zunaumlchst unpolaren) Teilchen In der Folge ergibt sich eine anziehende elektrostatische Wechselwirkung

d) Wechselwirkungen zwischen induzierten Dipolen durch spontane Polarisierung eines Teilchens entsteht ein voruumlbergehendes Dipolmoment welches bei einem benachbarten Teilchen eine Polarisierung hervorruft In der Folge ergibt sich eine kurzfristige und sehr schwache elektrostatische Anziehung zwischen den Teilchen Man spricht dabei auch von der Dispersionswechselwirkung oder der Londonschen Wechselwirkung

Alle diese Effekte sind anziehender Natur und gehen damit in den Parameter a ein Fasst man die beiden Parameter a und b zusammen so entsteht mit der van-der-Waals-Gleichung eine recht zuverlaumlssige Zustandsgleichung fuumlr reale Systeme die sowohl die abstoszligenden als auch die anziehenden Wechselwirkungen beruumlcksichtigt

Ein guter Test fuumlr diese reale Zustandsgleichung ist die Berechnung eines Diagramms von P gegen V fuumlr verschiedene Temperaturen das so genannte P-V-Diagramm und die Gegen-uumlberstellung mit dem entsprechenden experimentellen P-V-Diagramm eines realen Gases Gemaumlszlig der van-der-Waalsrsquoschen Gleichung existieren abhaumlngig von der betrachteten Tempe-ratur drei Typen von Isothermen (Abb 23 links) solche die einer Hyperbel aumlhneln (1) eine einzelne Isotherme die einen Wendepunkt mit waagrechter Tangente besitzt (2) und solche die ein Minimum ein Maximum und einen Wendepunkt aufweisen (3) Das experimentell beobachtete Verhalten stimmt in den ersten beiden Faumlllen recht gut uumlberein weicht aber bei Isothermen des dritten Typs deutlich vom berechneten Verlauf ab (Abb 23 rechts)

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P

V

PV-Diagramm nachvan-der-Waals-Gleichung

1 2

3

P

V

3

experimentell bestimmtesPV-Diagramm f reales Gas

Abb 23 PV-Diagramme fuumlr reale Gase berechnet nach van der Waals (links) und experimentell bestimmt (rechts) Die drei typischen Formen der Isothermen (1 2 und 3) sind im Text beschrieben

Offensichtlich beschreibt die van-der-Waals-Gleichung das Verhalten eines realen Gases in der Umgebung des Wendepunkts weniger gut Experimentell stellt man allerdings fest dass in diesem Bereich tatsaumlchlich auch kein reines Gas sondern vielmehr eine Mischung aus einem Gas und einer kondensierten Fluumlssigkeit also ein Zweiphasenzustand vorliegt Dieser Zwei-phasenbereich beginnt am Wendepunkt der Isothermen des Typs 2 und schlieszligt alle Minima Maxima und Wendepunkte der Isothermen des Typs 3 ein (Abb 24 links)

P

V

Zweiphasen-gebiet

P

V

Zweiphasen-gebiet

Maxwell-Maxwell-KorrekturKorrektur

Zweiphasen-Gebiet

Zweiphasen-Gebiet

A1

A2

Abb 24 PV-Diagramme fuumlr reale Gase mit eingezeichnetem Zweiphasengebiet Der in diesem Bereich bei der Beschreibung nach van der Waals gegebene Fehler kann in guter Naumlherung durch die Maxwell-Korrektur kompensiert werden

Eine einfache Korrektur der van-der-Waals-Gleichung ermoumlglicht eine realistische Beschrei-bung des Zweiphasengebiets Eine horizontale Gerade wird so in der Naumlhe des Wendepunktes gelegt dass die oberhalb und unterhalb der Geraden im Zweiphasenbereich gebildeten Teilflaumlchen A1 und A2 die gleiche Groumlszlige besitzen (sog Maxwell-Korrektur s Abbildung 24 rechts) Dies sieht zwar nach einer etwas willkuumlrlichen Hilfskonstruktion aus trotzdem laumlsst sich damit das Verhalten eines realen Gases im Zweiphasengebiet sehr gut nachvollziehen und vorhersagen Eine besonders ausgewiesene Position im PV-Diagramm eines realen Gases ist der Scheitel-punkt des Zweiphasengebiets der durch den Wendepunkt der Isotherme des Typs 2 gebildet wird (Abb 25)

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P

V

Zweiphasen-gebiet Tc

Pc

Vc

kritischer Punkt

Jedes reale Gas besitzt einen sogenannten kritischenPunkt der durch die kritischen Zustandsgroumlszligen Tc Pc undVc beschrieben wird Die kritische Temperatur Tc istdiejenige Temperatur bei der sich ein Gas unter Druckgerade noch verfluumlssigen laumlszligt Oberhalb der kritischenTemperatur existiert kein fluumlssiger Zustand Derentsprechende Druck Pc wird als kritischer Druckbezeichnet

Die Isotherme die der kritischen Temperatur zugeordnetist besitzt als einzige einen Wendepunkt mit horizontalerTangente der gleichzeitig den kritischen Punkt markiert

Abb 25 PV-Diagramm fuumlr ein reales Gas mit kritischem Punkt

Dieser sogenannte kritische Punkt wird durch die kritische Temperatur Tc den kritischen Druck Pc und das kritische Molvolumen Vc festgelegt Zustaumlnde oberhalb des kritischen Punkts nennt man uumlberkritisch Uumlberkritisches Kohlendioxid besitzt in der Technik groszlige Bedeutung fuumlr das Loumlsen und Ausfaumlllen von pharmazeutischen Wirkstoffen (zB Aspirin fuumlr Brausetabletten) fuumlr die Extraktion (zB bei der Entkoffeinierung von Kaffee) oder zur chemischen Reinigung von Textilien

35 Andere Zustandsgleichungen fuumlr reale Gase

Neben der van-der-Waals-Gleichung existieren weitere Ansaumltze zur Beschreibung realer Gase die zwar eine genauere Anpassung an die gemessenen Werte ermoumlglichen aber auch kompli-zierter sind oder mehr Arbeit bei der Bestimmung der charakteristischen Parameter erfordern Im Folgenden seien als Beispiele die Berthelot-Gleichung und die Virialgleichung erwaumlhnt

a Berthelot-Gleichung (P + (Ansup2)(TVsup2) ) (V - nB) = n R T Berthelot fuumlhrte damit als Besonderheit einen temperaturabhaumlngigen Binnendruck ein Dies ist insoweit physikalisch gerechtfertigt als die vermehrte thermische Bewegung der Ausbildung von Wechselwirkungen zwischen den Molekuumllen entgegenwirken kann

b Virialgleichung P Vm = A + B P + C Psup2 + D Psup3 + Mit Vm = Vn Die Virialgleichung nutzt die Tatsache dass sich fast alle physikalischen Zusammenhaumlnge uumlber einen Potenzreihenansatz a + bx + cxsup2 + dxsup3 + hellip beliebig genau annaumlhern lassen Je nach Anzahl der anpassbaren Parameter ist zwar eine beliebig genaue Beschreibung des realen Gases moumlglich allerdings steigt auch der Aufwand fuumlr die Bestim-mung aller Koeffizienten

36 Beschreibung von Fluumlssigkeiten

Im PV-Diagramm der realen Gase schlieszligt sich links vom Zweiphasengebiet der Bereich der fluumlssigen Phase an Sie zeichnet sich dadurch aus dass mit sinkendem Volumen der Druck ex-trem steil ansteigt Das bedeutet dass bereits eine geringfuumlgige Volumenabnahme mit einem aumluszligerst groszligen Druckanstieg verbunden ist In der Praxis hat das zur Folge dass Fluumlssigkeiten im Gegensatz zu Gasen kaum komprimierbar sind ihre Kompressibilitaumlt geht gegen Null Auch ist die Ausdehnung der Fluumlssigkeiten bei steigender Temperatur und bei konstantem

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Druck (der thermische Ausdehnungskoeffizient) sehr viel kleiner als bei Gasen Eine einfache allgemeine Zustandsgleichung fuumlr die fluumlssige Phase in Analogie zur idealen oder zur van-der-Waals-Gleichung existiert nicht Stattdessen findet man bei der experimentellen Bestimmung des Zusammenhangs zwischen P V und T fuumlr jede Fluumlssigkeit ein sehr charakteristisches Verhalten Vergleicht man die Messergebnisse verschiedener Fluumlssigkeiten untereinander so sind kaum Aumlhnlichkeiten auszumachen Daruumlber hinaus sind bestimmte Messungen (zB die Messung der Abhaumlngigkeit des Drucks vom Volumen bei konstanter Teilchenzahl und Temperatur) technisch sehr schwer zu realisieren Das Fehlen einer einheitlichen Zustandsgleichung V(TPn) fuumlr Fluumlssigkeiten liegt auch in deren komplexer Struktur begruumlndet Betrachtet man ein einzelnes Teilchen in der Fluumlssigkeit so liegt es bezuumlglich der Abstaumlnde zu seinen naumlchsten Nachbarn stets in der Naumlhe des Mini-mums einer Potentialkurve Epot(r) die einen sehr steilen Verlauf besitzt Die Abstaumlnde zu den benachbarten Teilchen sind damit nahezu fixiert folglich ist eine unabhaumlngige Translations-bewegung einzelner Teilchen praktisch unmoumlglich Stattdessen verlaufen alle Bewegungs-prozesse mehr oder weniger kollektiv also unter gleichzeitiger Verschiebung mehrerer Teilchen Daruumlber hinaus gibt es keine nennenswerten freien Volumina so dass der mittlere Abstand der Teilchen nur unwesentlich verringert werden kann ein Umstand der sich in der bereits erwaumlhnten geringen Kompressibilitaumlt aumluszligert Ein Modell fuumlr eine allgemeine Fluumlssigkeit laumlsst sich im Rahmen einer Computersimulation einfuumlhren Man betrachtet dabei einen wuumlrfelfoumlrmigen Raum der einen Ausschnitt aus dem Fluumlssigkeitsvolumen darstellen soll und eine endliche Anzahl n von Fluumlssigkeitsteilchen (zB n = 1000) enthaumllt Um die Zahl der Teilchen konstant zu halten und dabei trotzdem deren Beweglichkeit zu wahren wird eine Kontinuitaumltsbedingung eingefuumlhrt Jedes Teilchen das im Rahmen der Bewegungsprozesse den Wuumlrfel an einer gegebenen Stelle verlaumlsst tritt automatisch an der genau gegenuumlberliegenden Position des Wuumlrfels wieder ein Auf diese Weise ist gewaumlhrleistet dass die Zahl der Teilchen im Wuumlrfel konstant bleibt (Abb 26)

Abb 26 Simulation von Bewegungs-vorgaumlngen in einem Fluumlssigkeitsvolumen unter Wahrung einer konstanten Partikel-anzahl Jedes Teilchen das im Rahmen der Bewegungsprozesse den Wuumlrfel an einer gegebenen Stelle verlaumlsst tritt automatisch an der genau gegenuumlberliegenden Position des Wuumlrfels wieder ein

An diesem System fuumlhrt man nun eine so genannte Monte-Carlo-Simulation durch Dabei setzt ein Zufallsgenerator eine geringfuumlgige Verschiebung eines beliebigen einzelnen Teil-chens in Gang Anschlieszligend wird unter Verwendung des bekannten Potentialverlaufs Epot(r) berechnet wie sich nach der Verschiebung die potentielle Energie des Systems veraumlndert hat Danach entscheidet das Simulationsprogramm zwischen zwei Moumlglichkeiten

- Hat sich die gesamte potentielle Energie des Systems durch die Verschiebung verringert oder blieb sie konstant so wird die Verschiebung akzeptiert und der naumlchste Schritt berechnet - Hat sich die gesamte potentielle Energie durch die Verschiebung um den positiven Wert E erhoumlht so wird die Verschiebung mit einer Wahrscheinlichkeit die von E abhaumlngt akzeptiert und ansonsten verworfen Danach wird der naumlchste Schritt berechnet

Auf diese Weise kann man fuumlr beliebige Fluumlssigkeiten sowohl die typischen Bewegungs-prozesse als auch die einflussbedingten Veraumlnderung von Zustandsgroumlszligen (zB P in Ab-

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haumlngigkeit von V) berechnen Allerdings sind die Rechnungen bei den fuumlr eine realistische Beschreibung eines Fluumlssigkeitsvolumens notwendigen groszligen Teilchenzahlen sehr aufwaumlndig und zeitintensiv

37 Beschreibung von Festkoumlrpern

Begibt man sich im P-V-Diagramm vom fluumlssigen Zustand ausgehend noch weiter nach links (zu kleineren Volumina houmlheren Drucken und niedrigeren Temperaturen) so erreicht man den festen Zustand Die Problematik der Zustandsgleichung V(TPn) von Festkoumlrpern aumlhnelt jener der Fluumlssigkeiten Auch hier sind die Kompressibilitaumlten und die thermischen Aus-dehnungskoeffizienten uumlblicherweise sehr viel geringer als bei Gasen Ebenso wie bei Fluumls-sigkeiten sind dabei die Unterschiede zwischen einzelnen Vertretern der Festkoumlrper recht groszlig so dass keine gemeinsame Zustandsgleichung wie bei Gasen formuliert werden kann Im Vergleich mit den Werten der Fluumlssigkeiten sind die Kompressibilitaumlten und die thermischen Ausdehnungskoeffizienten der Festkoumlrper durchschnittlich nochmals um etwa zwei Groumlszligen-ordnungen geringer

Abb 27 Torsionsexperiment zur Unterscheidung zwischen Fluumlssigkeiten und Festkoumlrpern (s Text)

Der wesentliche Unterschied zwischen Festkoumlrpern und Fluumlssigkeiten besteht allerdings in ihrem gegensaumltzlichen Verhalten bezuumlglich Verformung waumlhrend Fluumlssigkeiten einer gege-benen Verformung durch ihre Zaumlhigkeit (Viskositaumlt) Widerstand leisten reagiert ein Fest-koumlrper auf eine Verformung durch eine elastische Deformation Dieses Verhalten wird in einem Torsionsrheometer deutlich wobei eine feste oder fluumlssige Probe periodisch mit einer torsionsartigen Verformung beaufschlagt wird (Abb 27) Waumlhrend der Drehmomentverlauf des Festkoumlrpers exakt gleichphasig zur periodischen Aus-lenkung erfolgt (elastische Verformung) ist der Drehmomentverlauf der Fluumlssigkeit dazu um ein Viertel einer Wellenlaumlnge phasenverschoben (viskose Reaktion) Bei Fluumlssigkeiten ist der Widerstand dann maximal wenn die Deformationsgeschwindigkeit maximal ist (blaue Linie

t

Dre

hmom

entv

erla

uf

tAusl

enku

ng

Festkoumlrper

t

Dre

hmom

entv

erla

uf

Fluumlssigkeiten

Pruumlfkoumlrper

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38

in Abb 26) Bei Festkoumlrpern ist die Kraft dann maximal wenn der Deformationszustandmaximal ist (rote Linie in Abb 27) Viele Festkoumlrper stellen Uumlbergaumlnge zwischen diesen beiden Extremfaumlllen dar und werden dann als viskoelastisch bezeichnet Aus der Betrachtung von Messergebnissen an einer Viel-zahl von Materialien geht hervor dass eine eindeutige Abgrenzung zwischen dem fluumlssigen und dem festen Zustand selten moumlglich ist Entsprechend gibt es auch unterschiedliche Strukturmodelle die teilweise das elastische Verhalten teilweise das plastische Verhalten von Festkoumlrpern erklaumlren Dem elastischen Festkoumlrper mit nahezu verschwindender Phasen-verschiebung wird am ehesten das Modell eines idealen Kristalls gerecht Man geht dabei davon aus dass jedes Atom bzw Molekuumll aus dem der Festkoumlrper zusammengesetzt ist sich an einem geometrisch festgelegten Gitterpunkt befindet von dem es sich nicht entfernen kann Als Bewegungsprozess ist dabei lediglich eine Schwingung mit begrenzter Amplitude moumlglich Die denkbaren Geometrien der Gitterstrukturen reichen von primitiv-kubischen Gittern (zB Natriumchlorid) uumlber kubisch-dichteste (zB Silber Kupfer) und hexagonal-dichteste Kugelpackungen (zB Magnesium Zink) bis zur kubisch-raumzentrierten Struktur (zB Eisen Molybdaumln) Haumlufig findet man leichte Abweichungen von der idealen Gitter-struktur die durch lokale Stoumlrungen hervorgerufen werden Akzeptiert man gewisse Anteile an viskosem Verhalten (dh eine leichte Phasenverschiebung) so begibt man sich in den Grenzbereich zwischen Festkoumlrpern und Fluumlssigkeiten In einem Material wie Glas ist die regelmaumlszligige Anordnung eines Gitters nicht gegeben die Atome sind unregelmaumlszligig positioniert und koumlnnen unter Belastung auch flieszligen Solche nicht-kristallinen Festkoumlrper bezeichnet man als amorph Typische Vertreter amorpher Feststoffe sind Fenster-glas viele transparente Kunststoffe (zB Plexiglas Polyester in Getraumlnkeflaschen) Wachs und Aumlhnliches Amorphe Festkoumlrper besitzen keinen Schmelzpunkt sondern erweichen bei steigender Temperatur allmaumlhlich Amorphe Festkoumlrper koumlnnen nachtraumlglich kristallisieren wobei sich haumlufig das aumluszligere Erscheinungsbild und die physikalischen Eigenschaften drastisch aumlndern (zB Plastikfolie unter Zug)

38 Das Phasendiagramm

Die drei wichtigsten Phasenzustaumlnde zu denen sich eine makroskopische Gesamtheit von Atomen oder Molekuumllen zusammenfinden koumlnnen sind also Gase Fluumlssigkeiten und Festkoumlrper Die Frage ist nun unter welchen Bedingungen sich ein System fuumlr den ersten den zweiten oder den dritten Zustand entscheidet Erfahrungsgemaumlszlig haumlngt der gegebene Phasenzustand von den in Kapitel 31 eingefuumlhrten Zustandsparametern n V P und T ab Legt man die Stoffmenge n auf einen Wert fest (zB auf ein Mol Teilchen) und beruumlcksichtigt man dass nach den gegebenen Zustandsgleichungen die Groumlszligen n V P und T miteinander verknuumlpft sind so genuumlgen zwei Parameter um den jeweils guumlnstigsten Phasenzustand eindeutig festzulegen Ein Diagramm bei dem einer der Parameter V P und T gegen einen anderen aufgetragen wird eignet sich also prinzipiell um bei einer gegebenen Teilchenart den unter diesen Bedingungen jeweils angestrebten Phasenzustand zu markieren So kann man gemaumlszlig den Abbildungen 23 bis 25 in einem Diagramm bei dem P gegen V aufgetragen wird schon den jeweils gegebenen Phasenzustand eintragen und ablesen In der Praxis eignen sich solche PV-Diagramme allerdings wenig um Phasenzustaumlnde zu markieren der gasfoumlrmige Zustand nimmt einen sehr breiten Raum ein waumlhrend der fluumlssige und der feste Zustand in dem sehr engen Bereich links neben dem Zweiphasengebiet bdquoeingequetschtldquo waumlre Vor allem in diesem Umfeld waumlre das Diagramm schwer ablesbar

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39

Wesentlich guumlnstiger ist dagegen die Auftragung vom Druck P gegen die Temperatur T In diesem PT-Diagramm das auch als Phasendiagramm bezeichnet wird lassen sich alle Phasenzustaumlnde uumlbersichtlich zuordnen Dabei bezeichnen Flaumlchenanteile im PT-Diagramm die unter den gegebenen Druck- und Temperaturbedingungen angestrebte Phase (zB fest fluumlssig gasfoumlrmig) waumlhrend Linien die dazwischen vorliegenden Gleichgewichte markieren und Phasengrenzlinien genannt werden (Abb 28)

T

Pfe

st

fluumlss

ig

gasfouml

rmig

kritischerPunkt

Tripel-punkt

Phasengrenzlinie

Abb 28 Phasendiagramm mit Auftragung des Drucks (P) gegen die Temperatur (T)

Auszligerdem enthaumllt ein Phasendiagramm gewoumlhnlich mindestens zwei besonders ausgezeich-nete Punkte den Tripelpunkt an dem die drei im Allgemeinen wichtigsten Phasenzustaumlnde fest fluumlssig und gasfoumlrmig miteinander im Gleichgewicht stehen und den bereits aus dem PV-Diagramm bekannten kritischen Punkt der das Ende eines definierten Uumlbergangs zwischen fluumlssiger und gasfoumlrmiger Phase markiert Beispiele fuumlr Phasendiagramme Kohlen-dioxid und Wasser sind in Abbildung 29 und 30 wiedergegeben

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40

T

P

fest

fluumlss

iggasfoumlrmig

kritischerPunkt

Tripel-punkt

2168 K

511 bar

CO2

3042 K

728 bar

Abb 29 Phasendiagramm fuumlr Kohlendioxid

T

P

fluumlss

ig

gasfoumlrmig

kritischerPunkt

H2O

Eis 1

Eis 1

Eis 2 Eis 3

Eis 5

Eis 6

Tripelpunkt6473 K

218 bar

6 mbar 27316 K

Abb 30 Phasendiagramm fuumlr Wasser Der Bereich oberhalb von 200 bar ist aus Gruumlnden der

Uumlbersichtlichkeit entlang der P-Achse komprimiert dargestellt

Eine wichtige Besonderheit des Phasenverhaltens von Wasser ist die Tatsache dass die Phasengrenzlinie zwischen fluumlssigem Wasser und Eis 1 eine negative Steigung aufweist Dies hat zur Folge dass gewoumlhnliches Eis durch Erhoumlhung des Drucks zum Schmelzen gebracht werden kann Dieser Umstand ist eine der Ursachen dafuumlr dass eine Kufe auf Eis gleitet da der durch das Schmelzen entstehende Wasserfilm die Reibung vermindert (allerdings spielt hier auch die Reibungswaumlrme eine Rolle) Der Grund fuumlr dieses Verhalten steht in direkter Verbindung mit der strukturbedingten Volumenabnahme beim Schmelzen von Eis (s Videos unter httpwwwyoutubecomwatchv=6s0b_keOiOU und httpswwwyoutubecomwatchv=CDTZoFGmZoc )

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41

Waumlhlt man in einem Phasendiagramm eine Kombination von Druck und Temperatur so kann man direkt denjenigen Phasenzustand ablesen den die gegebene Teilchenart unter diesen Bedingungen anstrebt Das heiszligt jedoch nicht dass dieser Zustand dann auch in jedem Fall und zu jeder Zeit vorliegt Haumlufig beobachtet man eine so genannte kinetische Hemmung einer Phasenumwandlung So gibt es unterkuumlhlte Fluumlssigkeiten (zB Regentropfen bei -3degC) genauso wie unterkuumlhlte Dampfphasen (zB uumlbersaumlttigten Wasserdampf in Gewitterwolken) oder uumlberhitzte Fluumlssigkeiten (zB uumlberhitztes Wasser bei einem Siedeverzug) Kristalli-sationskeime wie Staubkoumlrner koumlnnen Phasenumwandlungen beschleunigen (zB durch Staub verursachter bdquoIndustrieschneeldquo) Bisher wurden lediglich Phasendiagramme von reinen Stoffen betrachtet die nur aus einer einzelnen Sorte Atomen oder Molekuumllen bestehen Mischt man einem gegebenen Stoff eine weitere Komponente hinzu so aumlndert sich das Phasendiagramm erheblich Als Beispiel betrachten wir ein System in dessen fluumlssiger Phase ein Fremdstoff A geloumlst wird der weder im Festkoumlrper noch im der Gasphase loumlslich ist (zB Kochsalz in Wasser) In diesem Fall dehnt sich der fluumlssige Bereich des Phasendiagramms mit steigender Konzentration von A in alle Richtungen aus so dass gleichzeitig der Schmelzpunkt erniedrigt der Siedepunkt erhoumlht und der Dampfdruck verringert wird (Abb 31) In erster Naumlherung sind alle genannten Aumlnderungen proportional zu cA

T

P

fest

fluumlss

ig

gasfouml

rmig

Abb 31 Phasendiagramm fuumlr ein System in dessen fluumlssiger Phase ein Fremdstoff mit steigender

Konzentration cA geloumlst wird Der Bereich der fluumlssigen Phase dehnt sich daraufhin in alle

Richtungen aus

Bei weiter steigender Konzentration von A kann ein Punkt erreicht werden an dem die Mischung in zwei getrennte Bereiche zerfaumlllt die ebenfalls als Phasen bezeichnet werden (zB Olivenoumll und Wasser) Eine dieser Phasen besitzt dann einen hohen Loumlsemittelanteil bei geringer Konzentration von A die andere besteht aus einem hohen Anteil an A mit einem geringen Gehalt an Loumlsemittel Dieser Vorgang der Phasenseparation binaumlrer (aus zwei Komponenten bestehender) Systeme wird durch eine andere Art von Phasendiagramm beschrieben dem so genannten Mischphasendiagramm (Abb 32) Hierbei wird die Tempe-

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ratur dem relativen Anteil einer Komponente gegenuumlbergestellt der Druck wird als konstant angenommen

Abb 32 Allgemeine Darstellung eines Mischphasendiagramms

Grundsaumltzlich gibt die linke Flanke der Phasentrennlinie (links des kritischen Punkts) die Zusammensetzung der bdquoA-armenldquo Phase an waumlhrend die rechte Flanke (rechts des kritischen Punkts) die Zusammensetzung der A-reichen Phase beschreibt Die Mengen der dabei gebildeten Phasen koumlnnen nach dem so genannten Hebelgesetz berechnet werden Demnach gilt zwischen dem Anteil n1 der A-armen Phase 1 dem Anteil n2 der A-reichen Phase 2 und den Laumlngen der Pfeile s1 und s2 in der vorhergehenden Abbildung folgender Zusammenhang

n1 s1 = n2 s2

Fuumlr das gezeigte Beispiel wuumlrde das bedeuten dass der Anteil der Phase 1 etwa doppelt so groszlig waumlre wie der Anteil der Phase 2 In der Naumlhe der beiden Raumlnder des Diagramms also fuumlr xA 0 (sehr wenig A im Loumlsemittel) oder xA 1 (sehr wenig Loumlsemittel in A) liegen in den meisten Faumlllen einphasige homogene Mischungen vor Das besagt dass auch bei niedrigen Temperaturen ein wenig von dem Stoff A im Loumlsemittel bzw ein wenig Loumlsemittel im Stoff A loumlslich ist Der im Diagramm eingezeichnete kritische Punkt bedeutet dass oberhalb der dazugehoumlrigen kritischen Temperatur keine Entmischung mehr erfolgt dh hier sind die beiden Komponenten vollstaumlndig und in jedem Verhaumlltnis miteinander mischbar Neben solchen oberen kritischen Punkten gibt es auch untere kritische Punkte Im zweiten Fall gilt dass die beiden Komponenten unterhalb einer bestimmten Temperatur in jedem Verhaumlltnis miteinander mischbar sind Im Allgemeinen koumlnnen die drei verschiedenen Faumllle auftreten die in Abbildung 33 dargestellt sind

0 Molenbruch xA der Komponente A 1

Tem

pera

tur

obere kritischeTemperatur

Einphasen-gebiet

Zweiphasen-gebiet

Beispiel xA = 04

T1

Zum gezeigten Beispiel

Eine Mischung mit dem Molenbruch xA = 04 wird von T2 nach T1 abgekuumlhltDabei zerfaumlllt die Mischung bei Tklsquo in zwei Phasen derenZusammensetzung bei T1auf der x-Achse an den Punkten 1 und 2 ablesbar ist

T2

Tklsquo

1 2

kritischer Punkt

s1 s2

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43

0 xA 1

Tem

pera

tur

System mit oberem kritischen Punkt

kritischer Punkt

0 xA 1Te

mpe

ratu

r

System mit unterem kritischen Punkt

kritischer Punkt

0 xA 1

Tem

pera

tur

System mit oberem und unterem

kritischen Punkt

kritischer Punkt

kritische Punkte

Abb 33 Moumlgliche Varianten von kritischen Punkten bei Systemen aus zwei Komponenten

Obere kritische Punkte findet man dann wenn sich die molekulare thermische Bewegung gegen die Tendenz der Molekuumlle sich mit gleichartigen Molekuumllen zusammenzulagern durchsetzt Dieses Phaumlnomen ist sehr verbreitet so dass ein oberer kritischer Punkt bei sehr vielen Mischphasen beobachtet wird Untere kritische Punkte sind sehr viel seltener Sie treten beispielsweise dann auf wenn die beiden Komponenten miteinander bei tiefen Temperaturen einen Komplex bilden der bei houmlheren Temperaturen wieder zerfaumlllt und dann zu einer Phasenseparation fuumlhrt Ein Beispiel dafuumlr ist die Mischung aus Wasser und Triethylamin

Fuumlr Mischphasen aus drei Komponenten so genannte ternaumlre Mischungen sind die bisher gezeigten Darstellungen ungeeignet Hierfuumlr haben sich Dreiecksdiagramme (Gibbssches Phasendreieck) durchgesetzt die das Phasenverhalten unter Variation der Mengenbeitraumlge aller drei Komponenten aufzeigen (Abb 34) Das Diagramm ist so geartet dass die Summe aller drei Mengenanteile xA xB und xC in jedem Fall den Wert 1 ergibt Damit besitzt die Zusammensetzung des ternaumlren Gemisches zwei Freiheitsgrade Jede Linie die durch eine Ecke des Diagramms fuumlhrt verbindet diejenigen Punkte bei denen das Verhaumlltnis zweier Komponenten gleich ist Jede Linie die parallel zu einer der drei Seiten verlaumluft entspricht Gemischen bei denen der relative Anteil einer Komponente gleich bleibt

00 02 04 06 08 10Komponente A

00

02

04

06

08

10

Kom

pone

nte

B

0002

04

06

08

10

Komponente C

C

A

B

00 02 04 06 08 10Komponente A

00

02

04

06

08

10

Kom

pone

nte

B

00

02

04

06

08

10

Komponente C

x1

x2x

Abb 34 Prinzip eines ternaumlren Phasendiagramms nach Gibbs (Dreiecksdiagramm)

In solche ternaumlren Mischphasendiagramme lassen sich nun entsprechend den binaumlren Mischphasendiagrammen die Ein- und Zweiphasengebiete einzeichnen Das Diagramm in

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Abb 34 rechts gilt zB fuumlr eine ternaumlre Mischung aus A B und C bei der die Komponenten A und B sowie B und C jeweils paarweise in jedem Verhaumlltnis miteinander mischbar sind Die Komponenten A und C sollen dagegen nur begrenzt mischbar sein Als Konsequenz daraus ergibt sich ein Dreiecksdiagramm das an der unteren Achse die dem Anteil 0 der Komponente B entspricht ein Zweiphasengebiet aufweist

Die Hilfslinien im Zweiphasengebiet markieren die Zusammensetzung der entstehenden Einzelphasen So wuumlrde beispielsweise eine Mischung deren Zusammensetzung im Diagramm durch den Punkt x markiert ist in die beiden Phasen x1 und x2 zerfallen Die Mengenanteile der beiden Phasen koumlnnten dabei wieder uumlber das Hebelgesetz berechnet werden Um zusaumltzlich den Einfluss der Temperatur wiederzugeben muss eine weitere Koordinate eingefuumlhrt werden Man erhaumllt dabei ein dreidimensionales Dreiecksdiagramm das haumlufig unter Verwendung von Houmlhenlinien nach der Art einer topographischen Landkarte dargestellt wird Jede Houmlhenlinie des Zweiphasengebiets umschreibt dann seine Ausdehnung bei einer gegebenen Temperatur

Fragt man bei einem System mit bestehenden Randbedingungen nach der Zahl der frei variierbaren Zustandsgroumlszligen also nach der Zahl der Freiheitsgrade so haumlngt die Antwort zunaumlchst davon ab in welchem Phasenzustand sich das System befindet So kann man beispielsweise in der Gasphase (bei festgelegter Stoffmenge) Temperatur und Druck frei waumlhlen wodurch dann automatisch das Volumen festgelegt wird Gleiches gilt fuumlr die feste und die fluumlssige Phase Das System hat innerhalb eines Phasenzustands also zwei Freiheits-grade Setzt man allerdings voraus dass sich das System in einem Gleichgewicht zwischen zwei Phasen befindet (zB auf der Verdampfungslinie) so besitzt es nur einen Freiheitsgrad Am Tripelpunkt schlieszliglich bei einem Gleichgewicht zwischen drei Phasen sind keine Freiheitsgrade mehr vorhanden Zwischen der Zahl der Phasen P und der Zahl der Freiheitsgrade F gibt es also folgende einfache Beziehung

F = 3 - P

Beruumlcksichtigt man weiter dass auch mehr als eine Komponente auftreten kann (Zahl der Komponenten C gt 1) so erhoumlht sich die Zahl der Freiheitsgrade um jede zusaumltzliche Komponente deren Konzentration ja frei waumlhlbar ist um den Wert eins Man erhaumllt damit

F = 3 - P + (C - 1) oder F = C - P + 2

Nach dieser allgemeinguumlltigen Formel der so genannten Gibbsrsquoschen Phasenregel laumlsst sich die Zahl der Freiheitsgrade in jedem beliebigen System bestimmen Sie erlaubt insbesondere bei sehr komplizierten Mischungen mit einer unbekannten Anzahl an Phasenzustaumlnden uumlber eine einfache Betrachtung Ruumlckschluumlsse auf deren Phasenverhalten

Page 22: Vorlesung PC I Einführung in die Physikalische Chemierelaxation.chemie.uni-duisburg-essen.de/lehre/Skript_PC_2016_2017.pdf · Schwingungen möglich, deren Geometrie (d.h. die Zahl

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24 Elektronenspektroskopie an Atomen mit mehreren Elektronen

Aufgrund der Wechselwirkungen zwischen den Elektronen ist bei schwereren Elementen die beim Wasserstoff gegebene Entartung bezuumlglich der Quantenzahlen l und m aufgehoben Damit wird das Energiediagramm bereits fuumlr ein einfaches houmlheres Atom wie zum Beispiel Lithium schon deutlich komplizierter (Abb 15) Neben den Uumlbergaumlngen zwischen verschiede-nen Werten fuumlr n treten nun auch Uumlbergaumlnge zwischen s und p p und d d und f auf Manche Uumlbergaumlnge (zum Beispiel solche zwischen s- und d-Niveaus) werden allerdings gewoumlhnlich nicht beobachtet man nennt sie bdquoverbotenldquo bdquoErlaubtldquo sind nur solche Uumlbergaumlnge bei denen die Nebenquantenzahl sich um den Wert plusmn1 aumlndert (also eben von s nach p von p nach d usw) Die so genannte Auswahlregel welche die erlaubten Uumlbergaumlnge festlegt heiszligt folglich Δl = plusmn1

Als weitere Folge der Wechselwirkungen zwischen den Elektronen besitzt jedes houmlhere Atom ein eigenes und von Wasserstoff verschiedenes Energiediagramm Damit besitzt aber auch jedes Atom ein unverwechselbares Muster von Energieuumlbergaumlngen die es eindeutig kenn-zeichnet Dies laumlsst sich bereits in einfachen Versuchen anhand von Flammenfaumlrbungen zeigen Diejenigen Uumlbergaumlnge deren ΔE den Wellenlaumlngen im sichtbaren Spektrum entspricht (in Abb 15 sind dies die kuumlrzeren unter den eingezeichneten blauen Pfeilen) sorgen bei vielen Elementen fuumlr ein charakteristisches farbiges Leuchten (Abb 15 rechts)

Ener

gie

Wasserstoff Lithium

n = 1

2

3

45

1s

2s

2p

3s

4s

5s

3p

4p5p

3d

4d5d

Abb 15 Termschema von Lithium mit wichtigen elektronischen Uumlbergaumlngen (links) Durch Lithium verursachte Flammenfaumlrbung (rechts Quelle httpwwwitpuni-hannoverde~zawischaITPatomshtml)

Letztlich ist auch bei allen houmlheren Atomen die Elektronenspektroskopie eine ideale Methode um das Energieniveauschema experimentell zugaumlnglich zu machen Sie eignet sich daruumlber hinaus perfekt zur schnellen und empfindlichen Identifikation von Elementen Diese Tatsache

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23

macht man sich sowohl in der Atomabsorptionsspektroskopie (AAS) als auch in der Atom-emissionsspektroskopie (AES) zunutze Elektronenspektren sind unverwechselbare Finger-abdruumlcke mit denen alle Elemente in hoher Empfindlichkeit und selbst uumlber groszlige Distanzen hinweg sicher identifiziert werden koumlnnen

25 Elektronenspektroskopie an Molekuumllen

Genau wie die Atomorbitale sind auch Molekuumllorbitale der Elektronenspektroskopie zugaumlng-lich Durch die systematische Analyse aller elektronischen Uumlbergaumlnge lassen sich die Energie-niveaus in einem MO-Schema schrittweise ausmessen Besonders interessant wird dieser Ansatz bei der Untersuchung der Bindungsverhaumlltnisse Im Allgemeinen beobachtet man Uumlbergaumlnge zwischen bindenden und nicht bindenden Orbitalen einerseits und den uumlblicherweise unbesetzten antibindenden Orbitalen andererseits In Abb 16 ist dies am Beispiel einer C-O-Bindung in Formaldehyd gezeigt Im Mittelpunkt stehen dabei das binden-de und das antibindende σ-Orbital C-O das bindende und das antibindende π-Orbital C-O sowie das nicht bindende freie Elektronenpaar des Sauerstoffs (ein weiteres freies Elektronen-paar bleibt unbeteiligt)

Ener

gie

σ CO

σ CO

π CO

π CO

n O

C

H

H

O

σ-σ

Uumlbe

rgan

g

π-π

Uumlbe

rgan

gn-π Uumlber-gang

σ

Abb 16 Termschema der CO-Gruppe in Formaldehyd (links) Die beteiligten Bindungen und das im betrachteten Energiefenster liegende freie Elektronenpaar des Sauerstoffs sind rechts skizziert

Die drei wichtigsten Uumlbergaumlnge die an der C-O-Gruppe detektiert werden sind der σ-σ-Uumlbergang der π-π-Uumlbergang und der n-π-Uumlbergang Letzterer ist in einer C-O-Gruppe stets am energieaumlrmsten und kann bereits mit UV-Licht einer Wellenlaumlnge um 280 nm angeregt werden (schwarzer Pfeil in Abb 16) Energiereicher und intensiver ist bei der CO-Gruppe der π-π-Uumlbergang der bei Wellenlaumlngen um 170 nm angeregt wird (roter Pfeil in Abb 16) Daruumlber hinaus zeigt das Spektrum dass die beiden freien Elektronenpaare des Sauerstoffs stark unterschiedlichen Charakter besitzen (nur eines ist an dem n-π-Uumlbergang beteiligt das andere tritt im gegebenen Spektralbereich nicht in Erscheinung)

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Auf aumlhnliche Weise lassen sich alle MO-Schemata komplizierter Molekuumlle analysieren Lie-gen die Anregungsfrequenzen der Uumlbergaumlnge im sichtbaren Bereich so haben die Molekuumlle die Funktion von Farbstoffen Haumlufig besitzen sie dann laumlngere lineare Delokalisationsgebiete deren Elektronenspektren man dann auch in grober Naumlherung mit dem eindimensionalen Potentialtopfmodell beschreiben kann (s Kapitel 22) Werden Bindungselektronen angeregt und aumlndern sich im Verlauf der elektronischen Anre-gung die Bindungsverhaumlltnisse (beispielsweise bei Besetzung eines antibindenden Zustands) so ist mit der elektronischen Anregung zwangslaumlufig auch eine Aumlnderung des energetisch guumlnstigsten Bindungsabstands verbunden Damit einhergehend werden mechanische Schwin-gungen des Molekuumlls angeregt Mit den Molekuumllschwingungen verhaumllt es sich analog zu den elektronischen Zustaumlnden auch Molekuumllschwingungen existieren nur in bestimmten definierten Zustaumlnden die sich dann den elektronischen Zustaumlnden uumlberlagern (Abb 17) Die Folge davon ist dass die Elektronenspektren von Molekuumllen haumlufig keine scharfen Linien sondern breite Absorptionsbereiche (bdquoBandenldquo) aufweisen Alle Linien fuumlr die elektronischen Uumlbergaumlnge zerlegen sich demnach in eine Vielzahl von Einzellinien die verschiedene Schwingungszustaumlnde der benachbarten elektronischen Zustaumlnde miteinander verbinden (in Abb 17 sind exemplarisch neun verschiedene moumlgliche Uumlbergaumlnge eingezeichnet) Normaler-weise liegen alle diese Linien dicht beieinander so dass insgesamt eine verbreiterte Absorp-tionsbande entsteht

Ener

gie

elektronische Niveaus

Schwingungsniveaus

Abb 17 Zum Zustandekommen von breiten Absorptionsbanden in Elektronen-Schwingungsspektren Uumlberlagerung von elektronischen Uumlbergaumlngen mit Schwingungsuumlbergaumlngen Exemplarisch sind jeweils drei Schwingungsniveaus eingezeichnet

Das Elektronenspektrum eines Molekuumlls wird wegen der dazu verwendeten Frequenzbereiche im UV- und im sichtbaren (bdquovisibleldquo) Spektrum auch UV-vis-Spektroskopie genannt Die UV-vis-Spektroskopie dient neben der Aufklaumlrung der MO-Struktur auch der schnellen und bequemen Identifikation von chemischen Verbindungen Aufgrund ihrer im Absorptionsver-fahren sehr einfachen und preisguumlnstigen Messtechnik wird sie auch haumlufig in Kombination mit anderen analytischen Verfahren (zB der Chromatographie) verwendet Uumlber eine Bestim-mung der Intensitaumlt der Anregung kann auch eine quantitative Analyse einzelner Verbindun-gen erfolgen

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3 Das Zusammenwirken von Atomen und Molekuumllen 31 Der makroskopische Zustand von Materie Bisher sind nur einzelne Bausteine der Materie also Atome und Molekuumlle betrachtet worden Nun soll das makroskopische Erscheinungsbild von Materie ins Auge gefasst werden die aus einer Vielzahl von Atomen oder Molekuumllen besteht Um den Zustand dieser aus vielen Teilchen zusammengesetzten Materie uumlberhaupt als Gesamtheit zu beschreiben benoumltigt man zunaumlchst so genannte Zustandsparameter oder Zustandsgroumlszligen Die wichtigsten Vertreter dieser Kenngroumlszligen fuumlr makroskopische Materie sind die Stoffmenge n das Volumen V der Druck P und die Temperatur T

n Stoffmenge Die Stoffmenge wird uumlber die Teilchenzahl definiert

Einheit der Teilchenzahl 1 Mol

Definition Ein Mol eines Stoffes enthaumllt dieselbe Anzahl an Teilchen wie 0012 kg reiner Kohlenstoff des Isotops 12C (1 Mol 60221023

Teilchen) Dabei muss eindeutig festgelegt sein was unter einem Teilchen des Stoffes jeweils zu verstehen ist Ist die Stoffmenge konstant so spricht man von einem geschlossenen System

V Volumen Die Definition des Volumens erfolgt uumlber die festgelegte Laumlngeneinheit und den geometrischen Volumenbegriff

Einheit des Volumens 1 msup3

Definition Ein msup3 ist das Volumen eines wuumlrfelfoumlrmigen Raums mit einer Kantenlaumlnge von einem Meter Ist das Volumen konstant so spricht man von einem isochoren Vorgang

P Druck Die Definition erfolgt uumlber die Kraft die ein Stoff auf jede Flaumlcheneinheit eines ihn einschlieszligenden Behaumllters ausuumlbt

Einheit des Drucks 1 Pascal = 1 Pa = 1 Nmsup2 = 10-5 bar

Definition Ein Pascal ist der Druck bei dem auf jeden Quadratmeter der Behaumllterwaumlnde eine Kraft von 1 Newton ausgeuumlbt wird Ist der Druck konstant so spricht man von einem isobaren Vorgang

T Temperatur

Der sicherlich am schwierigsten fassbare Zustandsparameter makroskopischer Materie ist die Temperatur Zwar ist sie direkt mit der menschlichen Wahrnehmung verknuumlpft (kalt warm heiszlighellip) physikalisch jedoch zunaumlchst sehr undefiniert da sie nicht ohne weiteres auf andere physikalische Groumlszligen zuruumlckfuumlhrbar ist Am ehesten laumlsst sie sich im ersten Ansatz als diejenige Eigenschaft von Materie beschreiben die von einem Thermometer gemessen wird

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Zur Verwendung als Thermometer eignet sich prinzipiell jeder physikalische oder chemische Vorgang der reproduzierbar mit einer Temperaturaumlnderung verknuumlpft ist Klassisch sind dies insbesondere die Ausdehnungsvorgaumlnge von Gasen Fluumlssigkeiten und Festkoumlrpern (Abb 18)

Hg

Festkoumlrperthermometer werden gewoumlhnlich nach demPrinzip des Bimetall-Thermometers ausgelegt (ganzlinks) Dabei werden zwei verschiedene Festkoumlrper(zB zwei Bleche aus verschiedenen Metallen) flaumlchigmiteinander in Kontakt gebracht Bedingt durch dieunterschiedliche thermische Ausdehnung derMaterialien kruumlmmt sich das Bimetall-Blech abhaumlngigvon der Temperatur mehr oder weniger stark zu einerSpirale

Fluumlssigkeitsthermometer (Mitte) und Gasthermometer(rechts) nutzen die Volumenaumlnderung eines fluidenMediums mit der Temperatur Die Genauigkeit kannerhoumlht werden indem einem groszligvolumigen Vorrats-behaumllter ein relativ kleinvolumiger Ausdehnungs- undAblesebereich gegenuumlbergestellt wird

Abb 18 Thermometer die auf der Grundlage der temperaturbedingten Ausdehnung von Materie beruhen

In der Praxis kommen mehr und mehr die elektronischen Varianten der Temperaturmessung zum Zug die zumeist auf der Messung der Thermospannung basieren Neben der Messmetho-de ist die Festlegung einer Temperaturskala wichtig Dazu dienten zunaumlchst einige Fixpunkte die heute teilweise noch historische Bedeutung haben

1) Die tiefste Temperatur des Winters 17081709 in Danzig - 178 degC

2) Die Temperatur von schmelzendem Eis bei 760 Torr (760 Torr = 1 atm = 101 325 Pa) 0 degC

3) Koexistenztemperatur von Eis Wasser und Wasserdampf 001 degC (exakt)

4) Die durchschnittliche Koumlrpertemperatur eines gesunden Menschen 378 degC

5) Die Siedetemperatur des Wassers bei 760 Torr (1 atm = 101 325 Pa) 100 degC

Die Punkte 1 und 4 bildeten die Grundlage des Fahrenheit-Systems die Punkte 2 und 5 die der Celsius-Skala Bei beiden Systemen wurde der definierte Bereich zunaumlchst in 100 gleiche Teile (Grade) aufgeteilt dann extrapoliert Beide Definitionen wurden spaumlter verfeinert (Celsius 9999 Grade C zwischen den Fixpunkten 3 und 5 Fahrenheit 180 Grade F zwischen den Fixpunkten 1 und 5) Trotzdem mangelt es auszliger Punkt 3 allen genannten Fixpunkten an Genauigkeit und Reproduzierbarkeit

Das zweite Problem nach der Unvollkommenheit der Fixpunkte besteht in der Festlegung einer systemunabhaumlngigen linearen Teilung Gewoumlhnlich ist der Verlauf der Skala vom gewaumlhlten Medium abhaumlngig Eine lineare Teilung auf der Skala eines Quecksilber-thermometers entspricht daher nicht einer linearen Teilung auf der Skala eines Alkoholthermometers da die Ausdehnung bei jedem Medium in unterschiedlicher Weise von der Temperatur abhaumlngt

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27

Beide Probleme sowohl die Wahl der passenden Fixpunkte als auch die Definition einer sinnvollen linearen Teilung werden heute durch die Festlegung der so genannten absoluten Temperaturskala geloumlst Grundlage hierfuumlr sind uumlbereinstimmende Beobachtungen an Gasthermometern

-300 -200 -100 0 100 200

V

T

-27315degCBei wiederholten Messungen mit verschiedenenGasthermometern verschiedenen Gasen undGasvolumina und bei verschiedenen Drucken stelltman fest dass sich die Verlaumlngerungen aller in denjeweiligen Diagrammen erhaltenen Linien in einemPunkt schneiden Dieser Punkt entspricht auf derVolumenachse dem Wert V = 0 und auf derTemperaturachse dem Wert T = -27315 degC

Abb 19 Ausdehnungskurven verschiedener Gase Die Temperaturskala ist zunaumlchst noch in Celsius aufgetragen

Aus dieser Beobachtung wurde geschlossen dass der Temperatur am gemeinsamen Schnitt-punkt aller Ausdehnungskurven eine besondere physikalische Bedeutung zukommt und sie sich daher als Fixpunkt einer neuen Temperaturskala eignet Weiterhin wurde festgestellt dass zwar alle Gase in ihrem Ausdehnungsverhalten von dem linearen Verlauf abweichen dass aber unter bestimmten Umstaumlnden (zB niedriger Druck) ein gemeinsamer Verlauf angestrebt wird den man auch als idealen Verlauf bezeichnen koumlnnte Am besten funktioniert das bei Helium unter schrittweise absinkenden Drucken dessen Verhalten sich fuumlr P rarr 0 zum idealen Verhalten extrapolieren laumlsst Diese Erkenntnis diente zur Definition einer absoluten Temperaturskala in Kelvin

1) Unterer Fixpunkt Schnittpunkt der Volumenexpansionskurven bdquoidealerldquo Gase (zB Helium fuumlr den Grenzfall Prarr0) 0 Kelvin

2) Oberer Fixpunkt Koexistenztemperatur von Eis Wasser und Wasserdampf 27316 Kelvin

3) Das Volumen eines bdquoidealenldquo Gases (zB Helium fuumlr den Grenzfall Prarr0) ist bei konstantem Druck proportional zur Temperatur und definiert die lineare Teilung der Temperaturskala

Gemaumlszlig dieser Definition ist jede beliebige Temperatur unter Nutzung eines bdquoidealenldquo Gasther-mometers auf der absoluten Kelvin-Skala eindeutig festgelegt Die Verwendung der Kelvin-Skala ist gegenuumlber der Nutzung klassischer Temperatursysteme bei der Beschreibung physi-kalischer Vorgaumlnge eindeutig von Vorteil Vorgaumlnge bei denen die Temperatur konstant ist nennt man isotherm Mit der Definition der wichtigsten Zustandsparameter Teilchenzahl n Volumen V Druck P und Temperatur T besteht nun die Moumlglichkeit das Verhalten makroskopischer Materie zu beschreiben Am einfachsten gelingt das im Fall von Gasen

32 Zustandsgleichung fuumlr Gase die ideale Gasgleichung

Gleichungen welche die Zustandsparameter wie n V T und P miteinander verknuumlpfen nennt man Zustandsgleichungen Sie beschreiben das Verhalten einer aus vielen einzelnen Teilchen bestehenden Materie hinsichtlich ihrer makroskopisch messbaren Groumlszligen Am

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einfachsten sind solche Zustandsgleichungen fuumlr Gase aufzustellen Untersucht man bei Gasen systematisch den Zusammenhang zwischen n V P und T so stellt man fest dass fuumlr alle Gase in mehr oder weniger guter Naumlherung folgende einfache Gleichung erfuumlllt isthellip

P ∙ V = n ∙ R ∙ T

hellipwobei R fuumlr die so genannte ideale Gaskonstante steht (R asymp 8314 J K-1 Mol-1) Diese Glei-chung auch bdquoideale Gasgleichungldquo genannt ist ein so genanntes Grenzgesetz kein real exis-tierendes Gas erfuumlllt es genau aber alle Gase kommen ihm recht nahe insbesondere bei hohen Temperaturen und niedrigen Druumlcken Eine Gleichung dieser Form nennt man auch Zustands-gleichung da sie Zustandsparameter miteinander verbindet Grafisch laumlsst sich diese Verknuumlp-fung in einem einfachen Diagramm darstellen bei dem jede Kombination von T und V genau einem Wert fuumlr P zugeordnet ist (Abb 20)

P

V

T

Abb 20 Auftragung von P gegen T und V nach der idealen Gasgleichung

Wir wissen nun dass die Gase aus einer Vielzahl von Teilchen (Atomen oder Molekuumllen) bestehen Wie laumlsst sich das durch die ideale Gasgleichung beschriebene Verhalten nun mit dieser Tatsache in Einklang bringen Was bedeuten eigentlich die Parameter Druck und Tem-peratur fuumlr ein Gas das sich aus vielen einzelnen Atomen und Molekuumllen zusammensetzt Um makroskopische Zustandsparameter uumlberhaupt mit der Teilchenwelt verknuumlpfen zu koumlnnen benoumltigen wir eine Modellvorstellung fuumlr das mechanische Zusammenwirken der Teilchen im Fall von Gasen das so genannte kinetische Gasmodell

33 Das kinetische Gasmodell

Bei den im vorhergehenden Kapitel aufgefuumlhrten Gasgesetzen handelt es sich um mathemati-sche Beschreibungen von makroskopisch beobachtbaren Vorgaumlngen Zur Interpretation der Gasgesetze auf molekularer Ebene wurden verschiedene Modelle vorgeschlagen Das erfolg-reichste unter ihnen war das sogenannte kinetische Gasmodell Es beruht auf der Vorstellung dass ein Gas aus einer Vielzahl von Teilchen besteht die folgende Bedingungen erfuumlllen

1) Sie besitzen eine Atom- oder Molmasse M einen endlichen Durchmesser d und befinden sich in staumlndiger und ungeregelter Bewegung

2) Die Groumlszlige der Teilchen ist im Verhaumlltnis zum freien Volumen vernachlaumlssig-bar

3) Zwischen den Teilchen finden elastische Stoumlszlige statt Ansonsten existieren keine weiteren Wechselwirkungen unter den Teilchen

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Nach der kinetischen Gastheorie besteht der Druck eines Gases aus der Summe aller Kraumlfte (pro Flaumlcheneinheit) die durch auf eine Flaumlche aufprallende Gasteilchen (bzw durch deren Impulsaumlnderung) ausgeuumlbt werden (Abb 21)

Vx t

Abb 21 Links schematische Darstellung der Impulsaumlnderung bei dem Auftreffen eines Gasteilchens auf der Gefaumlszligwand Viele solche Stoumlszlige fuumlhren in der Summe zum Entstehen einer messbaren dem Gasdruck zugeordneten Kraft Rechts Die Geschwindigkeitskomponente vx der Teilchen bestimmt nicht nur die Groumlszlige der Impulsaumlnderung sondern auch die Zahl der Teilchen die pro Zeiteinheit auf die Wand stoszligen Daher geht die Geschwindigkeit der Teilchen bei der Berechnung des Drucks insgesamt quadratisch ein

Dabei wird zunaumlchst davon ausgegangen dass alle Teilchen die gleiche Geschwindigkeits-komponente vx aufweisen Diese Geschwindigkeitskomponente bestimmt zum einen die Heftigkeit der Stoumlszlige zum anderen wie viele Gasteilchen pro Zeiteinheit auf die Wand prallen Insgesamt haumlngt der Druck damit vom Quadrat der Geschwindigkeitskomponente vxab Fuumlhrt man nun ein mittleres Geschwindigkeitsquadrat csup2 ein (mit vxsup2 = 13 csup2) so erhaumllt man fuumlr den an dem beweglichen Kolben spuumlrbaren Druck die Gleichung

P = 13 M csup2 (nV) oder in der Schreibweise der idealen Gasgleichung P V = 13 n M csup2 Der Druck ist nach dem kinetischen Gasmodell also die Folge einer Vielzahl von Stoumlszligen welche die Teilchen gegen die Behaumllterwaumlnde ausfuumlhren Er ist folglich proportional zur Mas-se der Teilchen (je schwerer die Teilchen desto heftiger die Stoumlszlige) zum mittleren Geschwin-digkeitsquadrat (die Geschwindigkeit der Teilchen bestimmt zum einen die Haumlufigkeit zum anderen die Heftigkeit der Stoumlszlige) und zur Zahl der Teilchen pro Volumeneinheit (womit wie nach der idealen Gasgleichung zu erwarten P umgekehrt proportional zu V ist) Die Bedeutung der Temperatur im kinetischen Gasmodell ist dagegen zunaumlchst unklar Mit der idealen Gasgleichung P V = n R T ergibt sich aber durch Koeffizientenvergleich n R T = 13 n M csup2 oder R T = 13 M csup2 Man kann unter Nutzung beider Gasmodelle so zu einem neuen teilchenbezogenen Verstaumlnd-nis des Phaumlnomens Temperatur kommen Die Temperatur eines Gases ist demnach direkt proportional zum mittleren Geschwindigkeitsquadrat der Gasteilchen oder in anderen Worten zu deren kinetischer Energie 12 M csup2 Dies ist fuumlr das Verstaumlndnis des Phaumlnomens Temperatur von groszliger Bedeutung Man kann die Temperatur eines Gases also messen indem man (bei bekannter Masse der Teilchen) die Geschwindigkeit der Gasteilchen bestimmt Die Wurzel aus dem mittleren Geschwindigkeits-quadrat also die Groumlszlige c liegt uumlblicherweise in der Groumlszligenordnung der Schallgeschwindig-keit (zum Beispiel fuumlr Stickstoff bei Raumtemperatur c = 516 ms) und steht zu ihr in einer

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festen Beziehung Tatsaumlchlich laumlsst sich die Temperatur auch uumlber eine Messung der Schall-geschwindigkeit ermitteln Nachdem das mittlere Geschwindigkeitsquadrat der Teilchen bekannt ist stellt sich die Frage nach der Geschwindigkeitsverteilung der Teilchen Die Bewegungsenergie der Teilchen ist wie alle anderen Energieformen (zB elektronische Energie Schwingungsenergie) gequantelt Das bedeutet dass sich die Teilchen auf (hier dicht gestaffelte) Energieniveaus verteilen muumlssen Sie tun das nach einem statistischen Grundprinzip das Boltzmann-Verteilung genannt wird Demnach ist die Besetzung pi eines Energieniveaus i (egal welcher Art die Energie Ei ist) stets proportional zum so genannten Boltzmannfaktor des Zustand i Es gilt

pi ~ exp[-Ei(kBT)]

Die darin enthaltene Boltzmannkonstante kB ist nichts anderes als die allgemeine Gas-konstante R (siehe unter 32) dividiert durch die Zahl NL der Teilchen in einem Mol Substanz (kB = RNL) Das bedeutet die Besetzung eines Zustands ist umso wahrscheinlicher je niedriger dessen Energie ist Steigende Temperatur T hingegen erhoumlht die Wahrscheinlichkeit energiereicher Zustaumlnde Diese Gesetzmaumlszligigkeit gilt fuumlr die Besetzung aller auf atomarer oder molekularer Ebene gegebener Zustaumlnde in einem makroskopischen System Angewandt auf die Bewegungsenergie von Gasteilchen in einer einzelnen Raumrichtung x bedeutet das dass Teilchen mit hoher Geschwindigkeit vx weniger wahrscheinlich sind als solche mit niedriger Geschwindigkeit vx Allerdings steigt die Wahrscheinlichkeit des Auftretens groszliger Werte fuumlr vx mit steigender Temperatur Teilt man den Bereich der auftretenden Geschwindigkeiten in Intervalle auf und zaumlhlt man die Teilchen die gemaumlszlig ihrer Geschwindigkeit zu den einzelnen Intervallen zugeordnet werden koumlnnen so ergibt sich fuumlr die Geschwindigkeitsverteilung in vx und v das Bild das in Abb 22 oben dargestellt ist Die Verteilungsfunktionen fuumlr die Geschwindigkeiten in y- und z-Richtung sind identisch

n(vx)

vx-Intervall

n(vx)

vx-Intervall

Temperatur-erhoumlhung

- 0 +- 0 +n(v)

v-Intervall

Temperatur-erhoumlhung

0 +

n(v)

v-Intervall0 +

Abb 22 Verteilungsfunktionen einer eindimensionalen Geschwindigkeitskomponente (oben) und der Gesamtgeschwindigkeit (unten)

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Betrachtet man die Verteilung n(v) der Gesamtgeschwindigkeit v im dreidimensionalen Raum so wird das Bild komplizierter Bezuumlglich der drei Raumrichtungen x y und z sind weiterhin die kleinen Geschwindigkeiten wahrscheinlicher als die groszligen Da nun aber fuumlr eine groszlige Gesamtgeschwindigkeit v mehr Kombinationsmoumlglichkeiten vx vy vz existieren als fuumlr kleine Gesamtgeschwindigkeiten so wird die Wahrscheinlichkeit fuumlr sehr geringe Gesamtgeschwindigkeiten entsprechend kleiner fuumlr groszlige Gesamtgeschwindigkeiten entsprechend groumlszliger Der daraus resultierende Gewichtungsfaktor fuumlr jedes v ist die relative Flaumlche der Kugelschale mit dem Radius v Insgesamt ergeben sich dann die in Abb 22 unten dargestellten Verteilungsfunktionen fuumlr niedrige und hohe Temperaturen Die Verteilungsfunktionen in vx und v lauten (ohne Herleitung)

f(vx) = [M(2RT)]12 exp [-Mvxsup2(2RT)]

f(v) = 4 [M(2RT)]32 vsup2 exp [-Mvsup2(2RT)] Der Mittelwert von vx (oder jeder anderen eindimensionalen Geschwindigkeitskomponente) ist grundsaumltzlich Null Dagegen besitzt der Mittelwert von v stets eine endliche von Null verschiedene Groumlszlige Bei einer Erhoumlhung der Temperatur werden alle Verteilungsfunktionen breiter der Mittelwert von v vergroumlszligert sich Die Temperatur eines Gases aumluszligert sich also nicht nur im mittleren Geschwindigkeitsquadrat sondern auch in der Form der Geschwindigkeitsverteilungsfunktion Bei der Mischung von Gasen unterschiedlicher Temperatur muss um die oben genannte Forderung zu erfuumlllen aus der einfachen Summe von zwei Verteilungsfunktionen eine neue der Mischtemperatur ent-sprechende Verteilungsfunktion entstehen Dies ist nur unter der Annahme moumlglich dass ein Austausch kinetischer Energie unter den Teilchen erfolgen kann Diese Tatsache bedingt die eingangs gestellte Forderung nach Teilchenstoumlszligen also Wechselwirkungen zwischen den Teilchen Damit muumlssen die Gasteilchen aber auch ein gewisses Volumen besitzen den Teil-chen ohne Eigenvolumen koumlnnen prinzipiell nicht zusammenstoszligen Darin besteht der we-sentliche Unterschied zwischen einem Gas nach dem kinetischen Gasmodell und dem idealen Gas Das ideale Gas koumlnnte man theoretisch auf ein beliebig kleines Volumen komprimieren bei einem kinetischen Gas ist dies aufgrund des Eigenvolumens nicht moumlglich Ansonsten erlaubt das kinetische Gasmodell die vollstaumlndige Interpretation der idealen Gasgleichung

34 Die korrigierte Gasgleichung nach van der Waals JD van der Waals

Mithilfe des kinetischen Gasmodells laumlsst sich die Zustandsgleichung fuumlr Gase weiter verfeinern Zunaumlchst soll beruumlcksichtigt werden dass die Teilchen ein eigenes Volumen besitzen In erster Naumlherung geschieht dies indem man ein vom Eigenvolumen der Gas-teilchen abgeleitetes minimales Volumen des Gases (das so genannte Covolumen) definiert Das Covolumen beschreibt dasjenige Volumen des Gases das bei staumlndigem mechanischem Kontakt zwischen jeweils zwei Teilchen eingenommen wird wenn man den Teilchenpaaren jeweils den sie umschreibenden kugelfoumlrmigen Raum zuordnet (wegen der geringen Wahr-scheinlichkeit von Dreierstoumlszligen kann die Bildung von Dreiergruppen ausgeschlossen werden) Das molare Covolumen b entspricht wenn man eine einfache geometrische Uumlberlegung an-setzt dem vierfachen Eigenvolumen eines Mols der Gasteilchen Um das tatsaumlchliche freie

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Volumen zu erhalten muss das n-fache Covolumen vom gegebenen Volumen abgezogen werden Damit wird aus der idealen Gasgleichung P V = n R T die erste korrigierte Version P (V - n b) = n R T Im zweiten Schritt soll nun uumlber das kinetische Gasmodell hinausgehend auch die anziehen-de Wechselwirkung zwischen den Teilchen beruumlcksichtigt werden Die Anziehung zwischen den Teilchen sorgt nach van der Waals fuumlr einen zusaumltzlichen nach auszligen nicht messbaren bdquoBinnendruckldquo Dieser Binnendruck ist proportional zum Quadrat der Teilchendichte (nV)sup2 Der zwischen den Teilchen tatsaumlchlich wirkende nach auszligen ebenfalls unmessbare Gesamt-druck ist dann gegeben als

Pgesamt (unmessbar) = P (messbar) + a (nV)sup2

mit einer fuumlr die anziehende Wechselwirkung charakteristischen Konstante a Die danach korrigierte Version der Gasgleichung die van-der-Waals-Gleichung fuumlr reale Gase lautet

[P + a (nV)sup2] (V - nb) = n R T

Die Konstanten b und a besitzen fuumlr jedes reale Gas charakteristische Werte die dessen Eigenvolumen (die Groumlszlige der Elektronenhuumllle) und die Staumlrke der intermolekularen Wechsel-wirkungen reflektieren Beispiele

Gas a b

Argon 01345 Pa m6Molsup2 32210-5 msup3Mol Kohlendioxid 03592 Pa m6Molsup2 426710-5 msup3Mol Helium 00034 Pa m6Molsup2 23710-5 msup3Mol Stickstoff 01390 Pa m6Molsup2 391310-5 msup3Mol Wasser 05573 Pa m6Molsup2 31010-5 msup3Mol

Der Parameter b spiegelt mit der Einheit msup3Mol weitgehend die Groumlszlige der einzelnen Teilchen (Atome oder Molekuumlle) wider So besitzt erwartungsgemaumlszlig Kohlendioxid oder Argon einen groumlszligeren Wert fuumlr b als beispielsweise Helium Allerdings sind die Unterschiede erstaunlich klein was auf die Tatsache zuruumlckzufuumlhren ist dass sich das Covolumen auf Teilchenpaare bezieht und ein Paar aus Kohlendioxidmolekuumllen gegenuumlber einem Paar aus Heliumatomen nur etwa das doppelte Volumen benoumltigt

Der Parameter a mit der Einheit Pascal mal Molvolumen zum Quadrat reflektiert die Staumlrke der Wechselwirkungen zwischen den Teilchen Diese Wechselwirkungen beruhen zum groszligen Teil auf den elektrischen Eigenschaften der Teilchen Diese wiederum sind mit der elektronischen Struktur der Atome beziehungsweise der chemischen Bindungen verknuumlpft Am wichtigsten ist dabei das in Kapitel 19 erwaumlhnte Dipolmoment Polare Bindungen koumlnnen zu Teilchen mit permanenten Dipolen fuumlhren (zB HF Wasser Ammoniak CO) Andere Molekuumlle oder Atome sind zwar unpolar koumlnnen aber spontan oder durch aumluszligere

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elektrische Felder polarisiert werden (zB He Ar molekularer Wasserstoff molekulares Chlor) Man spricht dann von polarisierbaren Teilchen mit einem spontanen Dipolmoment oder mit einem durch ein aumluszligeres Feld bewirkten induzierten Dipolmoment In all diesen Faumlllen sind anziehende Wechselwirkungen zwischen den Teilchen moumlglich die in dem Parameter a zusammengefasst werden Daruumlber hinaus koumlnnen sich auch voruumlbergehende chemische Bindungen ausbilden Das prominenteste Beispiel fuumlr diesen Fall ist die bekannte Wasserstoffbruumlckenbindung die bei polaren X-H-Bindungen auftreten kann Im Einzelnen werden demnach folgende Arten von Wechselwirkungen mit absteigender Intensitaumlt unter-schieden

a) Wasserstoffbruumlckenbindung X-H hellip Y Hierbei bildet sich voruumlbergehend eine chemische Bindung zwischen dem polar gebundenen Wasserstoff und einem elektronegativen und mit einem freien Elektronenpaar ausgestatteten Element Y

b) Wechselwirkungen zwischen permanenten Dipolen hier besitzen alle Teilchen ein permanentes Dipolmoment Zwischen den entgegengesetzt geladenen Enden der Teilchen bauen sich dann konstant anziehende elektrostatische Wechselwir-kungen auf

c) Wechselwirkungen zwischen permanenten und induzierten Dipolen die Teil-chen mit permanentem Dipolmoment induzieren ein voruumlbergehendes Dipol-moment bei den benachbarten (zunaumlchst unpolaren) Teilchen In der Folge ergibt sich eine anziehende elektrostatische Wechselwirkung

d) Wechselwirkungen zwischen induzierten Dipolen durch spontane Polarisierung eines Teilchens entsteht ein voruumlbergehendes Dipolmoment welches bei einem benachbarten Teilchen eine Polarisierung hervorruft In der Folge ergibt sich eine kurzfristige und sehr schwache elektrostatische Anziehung zwischen den Teilchen Man spricht dabei auch von der Dispersionswechselwirkung oder der Londonschen Wechselwirkung

Alle diese Effekte sind anziehender Natur und gehen damit in den Parameter a ein Fasst man die beiden Parameter a und b zusammen so entsteht mit der van-der-Waals-Gleichung eine recht zuverlaumlssige Zustandsgleichung fuumlr reale Systeme die sowohl die abstoszligenden als auch die anziehenden Wechselwirkungen beruumlcksichtigt

Ein guter Test fuumlr diese reale Zustandsgleichung ist die Berechnung eines Diagramms von P gegen V fuumlr verschiedene Temperaturen das so genannte P-V-Diagramm und die Gegen-uumlberstellung mit dem entsprechenden experimentellen P-V-Diagramm eines realen Gases Gemaumlszlig der van-der-Waalsrsquoschen Gleichung existieren abhaumlngig von der betrachteten Tempe-ratur drei Typen von Isothermen (Abb 23 links) solche die einer Hyperbel aumlhneln (1) eine einzelne Isotherme die einen Wendepunkt mit waagrechter Tangente besitzt (2) und solche die ein Minimum ein Maximum und einen Wendepunkt aufweisen (3) Das experimentell beobachtete Verhalten stimmt in den ersten beiden Faumlllen recht gut uumlberein weicht aber bei Isothermen des dritten Typs deutlich vom berechneten Verlauf ab (Abb 23 rechts)

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P

V

PV-Diagramm nachvan-der-Waals-Gleichung

1 2

3

P

V

3

experimentell bestimmtesPV-Diagramm f reales Gas

Abb 23 PV-Diagramme fuumlr reale Gase berechnet nach van der Waals (links) und experimentell bestimmt (rechts) Die drei typischen Formen der Isothermen (1 2 und 3) sind im Text beschrieben

Offensichtlich beschreibt die van-der-Waals-Gleichung das Verhalten eines realen Gases in der Umgebung des Wendepunkts weniger gut Experimentell stellt man allerdings fest dass in diesem Bereich tatsaumlchlich auch kein reines Gas sondern vielmehr eine Mischung aus einem Gas und einer kondensierten Fluumlssigkeit also ein Zweiphasenzustand vorliegt Dieser Zwei-phasenbereich beginnt am Wendepunkt der Isothermen des Typs 2 und schlieszligt alle Minima Maxima und Wendepunkte der Isothermen des Typs 3 ein (Abb 24 links)

P

V

Zweiphasen-gebiet

P

V

Zweiphasen-gebiet

Maxwell-Maxwell-KorrekturKorrektur

Zweiphasen-Gebiet

Zweiphasen-Gebiet

A1

A2

Abb 24 PV-Diagramme fuumlr reale Gase mit eingezeichnetem Zweiphasengebiet Der in diesem Bereich bei der Beschreibung nach van der Waals gegebene Fehler kann in guter Naumlherung durch die Maxwell-Korrektur kompensiert werden

Eine einfache Korrektur der van-der-Waals-Gleichung ermoumlglicht eine realistische Beschrei-bung des Zweiphasengebiets Eine horizontale Gerade wird so in der Naumlhe des Wendepunktes gelegt dass die oberhalb und unterhalb der Geraden im Zweiphasenbereich gebildeten Teilflaumlchen A1 und A2 die gleiche Groumlszlige besitzen (sog Maxwell-Korrektur s Abbildung 24 rechts) Dies sieht zwar nach einer etwas willkuumlrlichen Hilfskonstruktion aus trotzdem laumlsst sich damit das Verhalten eines realen Gases im Zweiphasengebiet sehr gut nachvollziehen und vorhersagen Eine besonders ausgewiesene Position im PV-Diagramm eines realen Gases ist der Scheitel-punkt des Zweiphasengebiets der durch den Wendepunkt der Isotherme des Typs 2 gebildet wird (Abb 25)

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P

V

Zweiphasen-gebiet Tc

Pc

Vc

kritischer Punkt

Jedes reale Gas besitzt einen sogenannten kritischenPunkt der durch die kritischen Zustandsgroumlszligen Tc Pc undVc beschrieben wird Die kritische Temperatur Tc istdiejenige Temperatur bei der sich ein Gas unter Druckgerade noch verfluumlssigen laumlszligt Oberhalb der kritischenTemperatur existiert kein fluumlssiger Zustand Derentsprechende Druck Pc wird als kritischer Druckbezeichnet

Die Isotherme die der kritischen Temperatur zugeordnetist besitzt als einzige einen Wendepunkt mit horizontalerTangente der gleichzeitig den kritischen Punkt markiert

Abb 25 PV-Diagramm fuumlr ein reales Gas mit kritischem Punkt

Dieser sogenannte kritische Punkt wird durch die kritische Temperatur Tc den kritischen Druck Pc und das kritische Molvolumen Vc festgelegt Zustaumlnde oberhalb des kritischen Punkts nennt man uumlberkritisch Uumlberkritisches Kohlendioxid besitzt in der Technik groszlige Bedeutung fuumlr das Loumlsen und Ausfaumlllen von pharmazeutischen Wirkstoffen (zB Aspirin fuumlr Brausetabletten) fuumlr die Extraktion (zB bei der Entkoffeinierung von Kaffee) oder zur chemischen Reinigung von Textilien

35 Andere Zustandsgleichungen fuumlr reale Gase

Neben der van-der-Waals-Gleichung existieren weitere Ansaumltze zur Beschreibung realer Gase die zwar eine genauere Anpassung an die gemessenen Werte ermoumlglichen aber auch kompli-zierter sind oder mehr Arbeit bei der Bestimmung der charakteristischen Parameter erfordern Im Folgenden seien als Beispiele die Berthelot-Gleichung und die Virialgleichung erwaumlhnt

a Berthelot-Gleichung (P + (Ansup2)(TVsup2) ) (V - nB) = n R T Berthelot fuumlhrte damit als Besonderheit einen temperaturabhaumlngigen Binnendruck ein Dies ist insoweit physikalisch gerechtfertigt als die vermehrte thermische Bewegung der Ausbildung von Wechselwirkungen zwischen den Molekuumllen entgegenwirken kann

b Virialgleichung P Vm = A + B P + C Psup2 + D Psup3 + Mit Vm = Vn Die Virialgleichung nutzt die Tatsache dass sich fast alle physikalischen Zusammenhaumlnge uumlber einen Potenzreihenansatz a + bx + cxsup2 + dxsup3 + hellip beliebig genau annaumlhern lassen Je nach Anzahl der anpassbaren Parameter ist zwar eine beliebig genaue Beschreibung des realen Gases moumlglich allerdings steigt auch der Aufwand fuumlr die Bestim-mung aller Koeffizienten

36 Beschreibung von Fluumlssigkeiten

Im PV-Diagramm der realen Gase schlieszligt sich links vom Zweiphasengebiet der Bereich der fluumlssigen Phase an Sie zeichnet sich dadurch aus dass mit sinkendem Volumen der Druck ex-trem steil ansteigt Das bedeutet dass bereits eine geringfuumlgige Volumenabnahme mit einem aumluszligerst groszligen Druckanstieg verbunden ist In der Praxis hat das zur Folge dass Fluumlssigkeiten im Gegensatz zu Gasen kaum komprimierbar sind ihre Kompressibilitaumlt geht gegen Null Auch ist die Ausdehnung der Fluumlssigkeiten bei steigender Temperatur und bei konstantem

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Druck (der thermische Ausdehnungskoeffizient) sehr viel kleiner als bei Gasen Eine einfache allgemeine Zustandsgleichung fuumlr die fluumlssige Phase in Analogie zur idealen oder zur van-der-Waals-Gleichung existiert nicht Stattdessen findet man bei der experimentellen Bestimmung des Zusammenhangs zwischen P V und T fuumlr jede Fluumlssigkeit ein sehr charakteristisches Verhalten Vergleicht man die Messergebnisse verschiedener Fluumlssigkeiten untereinander so sind kaum Aumlhnlichkeiten auszumachen Daruumlber hinaus sind bestimmte Messungen (zB die Messung der Abhaumlngigkeit des Drucks vom Volumen bei konstanter Teilchenzahl und Temperatur) technisch sehr schwer zu realisieren Das Fehlen einer einheitlichen Zustandsgleichung V(TPn) fuumlr Fluumlssigkeiten liegt auch in deren komplexer Struktur begruumlndet Betrachtet man ein einzelnes Teilchen in der Fluumlssigkeit so liegt es bezuumlglich der Abstaumlnde zu seinen naumlchsten Nachbarn stets in der Naumlhe des Mini-mums einer Potentialkurve Epot(r) die einen sehr steilen Verlauf besitzt Die Abstaumlnde zu den benachbarten Teilchen sind damit nahezu fixiert folglich ist eine unabhaumlngige Translations-bewegung einzelner Teilchen praktisch unmoumlglich Stattdessen verlaufen alle Bewegungs-prozesse mehr oder weniger kollektiv also unter gleichzeitiger Verschiebung mehrerer Teilchen Daruumlber hinaus gibt es keine nennenswerten freien Volumina so dass der mittlere Abstand der Teilchen nur unwesentlich verringert werden kann ein Umstand der sich in der bereits erwaumlhnten geringen Kompressibilitaumlt aumluszligert Ein Modell fuumlr eine allgemeine Fluumlssigkeit laumlsst sich im Rahmen einer Computersimulation einfuumlhren Man betrachtet dabei einen wuumlrfelfoumlrmigen Raum der einen Ausschnitt aus dem Fluumlssigkeitsvolumen darstellen soll und eine endliche Anzahl n von Fluumlssigkeitsteilchen (zB n = 1000) enthaumllt Um die Zahl der Teilchen konstant zu halten und dabei trotzdem deren Beweglichkeit zu wahren wird eine Kontinuitaumltsbedingung eingefuumlhrt Jedes Teilchen das im Rahmen der Bewegungsprozesse den Wuumlrfel an einer gegebenen Stelle verlaumlsst tritt automatisch an der genau gegenuumlberliegenden Position des Wuumlrfels wieder ein Auf diese Weise ist gewaumlhrleistet dass die Zahl der Teilchen im Wuumlrfel konstant bleibt (Abb 26)

Abb 26 Simulation von Bewegungs-vorgaumlngen in einem Fluumlssigkeitsvolumen unter Wahrung einer konstanten Partikel-anzahl Jedes Teilchen das im Rahmen der Bewegungsprozesse den Wuumlrfel an einer gegebenen Stelle verlaumlsst tritt automatisch an der genau gegenuumlberliegenden Position des Wuumlrfels wieder ein

An diesem System fuumlhrt man nun eine so genannte Monte-Carlo-Simulation durch Dabei setzt ein Zufallsgenerator eine geringfuumlgige Verschiebung eines beliebigen einzelnen Teil-chens in Gang Anschlieszligend wird unter Verwendung des bekannten Potentialverlaufs Epot(r) berechnet wie sich nach der Verschiebung die potentielle Energie des Systems veraumlndert hat Danach entscheidet das Simulationsprogramm zwischen zwei Moumlglichkeiten

- Hat sich die gesamte potentielle Energie des Systems durch die Verschiebung verringert oder blieb sie konstant so wird die Verschiebung akzeptiert und der naumlchste Schritt berechnet - Hat sich die gesamte potentielle Energie durch die Verschiebung um den positiven Wert E erhoumlht so wird die Verschiebung mit einer Wahrscheinlichkeit die von E abhaumlngt akzeptiert und ansonsten verworfen Danach wird der naumlchste Schritt berechnet

Auf diese Weise kann man fuumlr beliebige Fluumlssigkeiten sowohl die typischen Bewegungs-prozesse als auch die einflussbedingten Veraumlnderung von Zustandsgroumlszligen (zB P in Ab-

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haumlngigkeit von V) berechnen Allerdings sind die Rechnungen bei den fuumlr eine realistische Beschreibung eines Fluumlssigkeitsvolumens notwendigen groszligen Teilchenzahlen sehr aufwaumlndig und zeitintensiv

37 Beschreibung von Festkoumlrpern

Begibt man sich im P-V-Diagramm vom fluumlssigen Zustand ausgehend noch weiter nach links (zu kleineren Volumina houmlheren Drucken und niedrigeren Temperaturen) so erreicht man den festen Zustand Die Problematik der Zustandsgleichung V(TPn) von Festkoumlrpern aumlhnelt jener der Fluumlssigkeiten Auch hier sind die Kompressibilitaumlten und die thermischen Aus-dehnungskoeffizienten uumlblicherweise sehr viel geringer als bei Gasen Ebenso wie bei Fluumls-sigkeiten sind dabei die Unterschiede zwischen einzelnen Vertretern der Festkoumlrper recht groszlig so dass keine gemeinsame Zustandsgleichung wie bei Gasen formuliert werden kann Im Vergleich mit den Werten der Fluumlssigkeiten sind die Kompressibilitaumlten und die thermischen Ausdehnungskoeffizienten der Festkoumlrper durchschnittlich nochmals um etwa zwei Groumlszligen-ordnungen geringer

Abb 27 Torsionsexperiment zur Unterscheidung zwischen Fluumlssigkeiten und Festkoumlrpern (s Text)

Der wesentliche Unterschied zwischen Festkoumlrpern und Fluumlssigkeiten besteht allerdings in ihrem gegensaumltzlichen Verhalten bezuumlglich Verformung waumlhrend Fluumlssigkeiten einer gege-benen Verformung durch ihre Zaumlhigkeit (Viskositaumlt) Widerstand leisten reagiert ein Fest-koumlrper auf eine Verformung durch eine elastische Deformation Dieses Verhalten wird in einem Torsionsrheometer deutlich wobei eine feste oder fluumlssige Probe periodisch mit einer torsionsartigen Verformung beaufschlagt wird (Abb 27) Waumlhrend der Drehmomentverlauf des Festkoumlrpers exakt gleichphasig zur periodischen Aus-lenkung erfolgt (elastische Verformung) ist der Drehmomentverlauf der Fluumlssigkeit dazu um ein Viertel einer Wellenlaumlnge phasenverschoben (viskose Reaktion) Bei Fluumlssigkeiten ist der Widerstand dann maximal wenn die Deformationsgeschwindigkeit maximal ist (blaue Linie

t

Dre

hmom

entv

erla

uf

tAusl

enku

ng

Festkoumlrper

t

Dre

hmom

entv

erla

uf

Fluumlssigkeiten

Pruumlfkoumlrper

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in Abb 26) Bei Festkoumlrpern ist die Kraft dann maximal wenn der Deformationszustandmaximal ist (rote Linie in Abb 27) Viele Festkoumlrper stellen Uumlbergaumlnge zwischen diesen beiden Extremfaumlllen dar und werden dann als viskoelastisch bezeichnet Aus der Betrachtung von Messergebnissen an einer Viel-zahl von Materialien geht hervor dass eine eindeutige Abgrenzung zwischen dem fluumlssigen und dem festen Zustand selten moumlglich ist Entsprechend gibt es auch unterschiedliche Strukturmodelle die teilweise das elastische Verhalten teilweise das plastische Verhalten von Festkoumlrpern erklaumlren Dem elastischen Festkoumlrper mit nahezu verschwindender Phasen-verschiebung wird am ehesten das Modell eines idealen Kristalls gerecht Man geht dabei davon aus dass jedes Atom bzw Molekuumll aus dem der Festkoumlrper zusammengesetzt ist sich an einem geometrisch festgelegten Gitterpunkt befindet von dem es sich nicht entfernen kann Als Bewegungsprozess ist dabei lediglich eine Schwingung mit begrenzter Amplitude moumlglich Die denkbaren Geometrien der Gitterstrukturen reichen von primitiv-kubischen Gittern (zB Natriumchlorid) uumlber kubisch-dichteste (zB Silber Kupfer) und hexagonal-dichteste Kugelpackungen (zB Magnesium Zink) bis zur kubisch-raumzentrierten Struktur (zB Eisen Molybdaumln) Haumlufig findet man leichte Abweichungen von der idealen Gitter-struktur die durch lokale Stoumlrungen hervorgerufen werden Akzeptiert man gewisse Anteile an viskosem Verhalten (dh eine leichte Phasenverschiebung) so begibt man sich in den Grenzbereich zwischen Festkoumlrpern und Fluumlssigkeiten In einem Material wie Glas ist die regelmaumlszligige Anordnung eines Gitters nicht gegeben die Atome sind unregelmaumlszligig positioniert und koumlnnen unter Belastung auch flieszligen Solche nicht-kristallinen Festkoumlrper bezeichnet man als amorph Typische Vertreter amorpher Feststoffe sind Fenster-glas viele transparente Kunststoffe (zB Plexiglas Polyester in Getraumlnkeflaschen) Wachs und Aumlhnliches Amorphe Festkoumlrper besitzen keinen Schmelzpunkt sondern erweichen bei steigender Temperatur allmaumlhlich Amorphe Festkoumlrper koumlnnen nachtraumlglich kristallisieren wobei sich haumlufig das aumluszligere Erscheinungsbild und die physikalischen Eigenschaften drastisch aumlndern (zB Plastikfolie unter Zug)

38 Das Phasendiagramm

Die drei wichtigsten Phasenzustaumlnde zu denen sich eine makroskopische Gesamtheit von Atomen oder Molekuumllen zusammenfinden koumlnnen sind also Gase Fluumlssigkeiten und Festkoumlrper Die Frage ist nun unter welchen Bedingungen sich ein System fuumlr den ersten den zweiten oder den dritten Zustand entscheidet Erfahrungsgemaumlszlig haumlngt der gegebene Phasenzustand von den in Kapitel 31 eingefuumlhrten Zustandsparametern n V P und T ab Legt man die Stoffmenge n auf einen Wert fest (zB auf ein Mol Teilchen) und beruumlcksichtigt man dass nach den gegebenen Zustandsgleichungen die Groumlszligen n V P und T miteinander verknuumlpft sind so genuumlgen zwei Parameter um den jeweils guumlnstigsten Phasenzustand eindeutig festzulegen Ein Diagramm bei dem einer der Parameter V P und T gegen einen anderen aufgetragen wird eignet sich also prinzipiell um bei einer gegebenen Teilchenart den unter diesen Bedingungen jeweils angestrebten Phasenzustand zu markieren So kann man gemaumlszlig den Abbildungen 23 bis 25 in einem Diagramm bei dem P gegen V aufgetragen wird schon den jeweils gegebenen Phasenzustand eintragen und ablesen In der Praxis eignen sich solche PV-Diagramme allerdings wenig um Phasenzustaumlnde zu markieren der gasfoumlrmige Zustand nimmt einen sehr breiten Raum ein waumlhrend der fluumlssige und der feste Zustand in dem sehr engen Bereich links neben dem Zweiphasengebiet bdquoeingequetschtldquo waumlre Vor allem in diesem Umfeld waumlre das Diagramm schwer ablesbar

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39

Wesentlich guumlnstiger ist dagegen die Auftragung vom Druck P gegen die Temperatur T In diesem PT-Diagramm das auch als Phasendiagramm bezeichnet wird lassen sich alle Phasenzustaumlnde uumlbersichtlich zuordnen Dabei bezeichnen Flaumlchenanteile im PT-Diagramm die unter den gegebenen Druck- und Temperaturbedingungen angestrebte Phase (zB fest fluumlssig gasfoumlrmig) waumlhrend Linien die dazwischen vorliegenden Gleichgewichte markieren und Phasengrenzlinien genannt werden (Abb 28)

T

Pfe

st

fluumlss

ig

gasfouml

rmig

kritischerPunkt

Tripel-punkt

Phasengrenzlinie

Abb 28 Phasendiagramm mit Auftragung des Drucks (P) gegen die Temperatur (T)

Auszligerdem enthaumllt ein Phasendiagramm gewoumlhnlich mindestens zwei besonders ausgezeich-nete Punkte den Tripelpunkt an dem die drei im Allgemeinen wichtigsten Phasenzustaumlnde fest fluumlssig und gasfoumlrmig miteinander im Gleichgewicht stehen und den bereits aus dem PV-Diagramm bekannten kritischen Punkt der das Ende eines definierten Uumlbergangs zwischen fluumlssiger und gasfoumlrmiger Phase markiert Beispiele fuumlr Phasendiagramme Kohlen-dioxid und Wasser sind in Abbildung 29 und 30 wiedergegeben

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40

T

P

fest

fluumlss

iggasfoumlrmig

kritischerPunkt

Tripel-punkt

2168 K

511 bar

CO2

3042 K

728 bar

Abb 29 Phasendiagramm fuumlr Kohlendioxid

T

P

fluumlss

ig

gasfoumlrmig

kritischerPunkt

H2O

Eis 1

Eis 1

Eis 2 Eis 3

Eis 5

Eis 6

Tripelpunkt6473 K

218 bar

6 mbar 27316 K

Abb 30 Phasendiagramm fuumlr Wasser Der Bereich oberhalb von 200 bar ist aus Gruumlnden der

Uumlbersichtlichkeit entlang der P-Achse komprimiert dargestellt

Eine wichtige Besonderheit des Phasenverhaltens von Wasser ist die Tatsache dass die Phasengrenzlinie zwischen fluumlssigem Wasser und Eis 1 eine negative Steigung aufweist Dies hat zur Folge dass gewoumlhnliches Eis durch Erhoumlhung des Drucks zum Schmelzen gebracht werden kann Dieser Umstand ist eine der Ursachen dafuumlr dass eine Kufe auf Eis gleitet da der durch das Schmelzen entstehende Wasserfilm die Reibung vermindert (allerdings spielt hier auch die Reibungswaumlrme eine Rolle) Der Grund fuumlr dieses Verhalten steht in direkter Verbindung mit der strukturbedingten Volumenabnahme beim Schmelzen von Eis (s Videos unter httpwwwyoutubecomwatchv=6s0b_keOiOU und httpswwwyoutubecomwatchv=CDTZoFGmZoc )

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41

Waumlhlt man in einem Phasendiagramm eine Kombination von Druck und Temperatur so kann man direkt denjenigen Phasenzustand ablesen den die gegebene Teilchenart unter diesen Bedingungen anstrebt Das heiszligt jedoch nicht dass dieser Zustand dann auch in jedem Fall und zu jeder Zeit vorliegt Haumlufig beobachtet man eine so genannte kinetische Hemmung einer Phasenumwandlung So gibt es unterkuumlhlte Fluumlssigkeiten (zB Regentropfen bei -3degC) genauso wie unterkuumlhlte Dampfphasen (zB uumlbersaumlttigten Wasserdampf in Gewitterwolken) oder uumlberhitzte Fluumlssigkeiten (zB uumlberhitztes Wasser bei einem Siedeverzug) Kristalli-sationskeime wie Staubkoumlrner koumlnnen Phasenumwandlungen beschleunigen (zB durch Staub verursachter bdquoIndustrieschneeldquo) Bisher wurden lediglich Phasendiagramme von reinen Stoffen betrachtet die nur aus einer einzelnen Sorte Atomen oder Molekuumllen bestehen Mischt man einem gegebenen Stoff eine weitere Komponente hinzu so aumlndert sich das Phasendiagramm erheblich Als Beispiel betrachten wir ein System in dessen fluumlssiger Phase ein Fremdstoff A geloumlst wird der weder im Festkoumlrper noch im der Gasphase loumlslich ist (zB Kochsalz in Wasser) In diesem Fall dehnt sich der fluumlssige Bereich des Phasendiagramms mit steigender Konzentration von A in alle Richtungen aus so dass gleichzeitig der Schmelzpunkt erniedrigt der Siedepunkt erhoumlht und der Dampfdruck verringert wird (Abb 31) In erster Naumlherung sind alle genannten Aumlnderungen proportional zu cA

T

P

fest

fluumlss

ig

gasfouml

rmig

Abb 31 Phasendiagramm fuumlr ein System in dessen fluumlssiger Phase ein Fremdstoff mit steigender

Konzentration cA geloumlst wird Der Bereich der fluumlssigen Phase dehnt sich daraufhin in alle

Richtungen aus

Bei weiter steigender Konzentration von A kann ein Punkt erreicht werden an dem die Mischung in zwei getrennte Bereiche zerfaumlllt die ebenfalls als Phasen bezeichnet werden (zB Olivenoumll und Wasser) Eine dieser Phasen besitzt dann einen hohen Loumlsemittelanteil bei geringer Konzentration von A die andere besteht aus einem hohen Anteil an A mit einem geringen Gehalt an Loumlsemittel Dieser Vorgang der Phasenseparation binaumlrer (aus zwei Komponenten bestehender) Systeme wird durch eine andere Art von Phasendiagramm beschrieben dem so genannten Mischphasendiagramm (Abb 32) Hierbei wird die Tempe-

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ratur dem relativen Anteil einer Komponente gegenuumlbergestellt der Druck wird als konstant angenommen

Abb 32 Allgemeine Darstellung eines Mischphasendiagramms

Grundsaumltzlich gibt die linke Flanke der Phasentrennlinie (links des kritischen Punkts) die Zusammensetzung der bdquoA-armenldquo Phase an waumlhrend die rechte Flanke (rechts des kritischen Punkts) die Zusammensetzung der A-reichen Phase beschreibt Die Mengen der dabei gebildeten Phasen koumlnnen nach dem so genannten Hebelgesetz berechnet werden Demnach gilt zwischen dem Anteil n1 der A-armen Phase 1 dem Anteil n2 der A-reichen Phase 2 und den Laumlngen der Pfeile s1 und s2 in der vorhergehenden Abbildung folgender Zusammenhang

n1 s1 = n2 s2

Fuumlr das gezeigte Beispiel wuumlrde das bedeuten dass der Anteil der Phase 1 etwa doppelt so groszlig waumlre wie der Anteil der Phase 2 In der Naumlhe der beiden Raumlnder des Diagramms also fuumlr xA 0 (sehr wenig A im Loumlsemittel) oder xA 1 (sehr wenig Loumlsemittel in A) liegen in den meisten Faumlllen einphasige homogene Mischungen vor Das besagt dass auch bei niedrigen Temperaturen ein wenig von dem Stoff A im Loumlsemittel bzw ein wenig Loumlsemittel im Stoff A loumlslich ist Der im Diagramm eingezeichnete kritische Punkt bedeutet dass oberhalb der dazugehoumlrigen kritischen Temperatur keine Entmischung mehr erfolgt dh hier sind die beiden Komponenten vollstaumlndig und in jedem Verhaumlltnis miteinander mischbar Neben solchen oberen kritischen Punkten gibt es auch untere kritische Punkte Im zweiten Fall gilt dass die beiden Komponenten unterhalb einer bestimmten Temperatur in jedem Verhaumlltnis miteinander mischbar sind Im Allgemeinen koumlnnen die drei verschiedenen Faumllle auftreten die in Abbildung 33 dargestellt sind

0 Molenbruch xA der Komponente A 1

Tem

pera

tur

obere kritischeTemperatur

Einphasen-gebiet

Zweiphasen-gebiet

Beispiel xA = 04

T1

Zum gezeigten Beispiel

Eine Mischung mit dem Molenbruch xA = 04 wird von T2 nach T1 abgekuumlhltDabei zerfaumlllt die Mischung bei Tklsquo in zwei Phasen derenZusammensetzung bei T1auf der x-Achse an den Punkten 1 und 2 ablesbar ist

T2

Tklsquo

1 2

kritischer Punkt

s1 s2

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0 xA 1

Tem

pera

tur

System mit oberem kritischen Punkt

kritischer Punkt

0 xA 1Te

mpe

ratu

r

System mit unterem kritischen Punkt

kritischer Punkt

0 xA 1

Tem

pera

tur

System mit oberem und unterem

kritischen Punkt

kritischer Punkt

kritische Punkte

Abb 33 Moumlgliche Varianten von kritischen Punkten bei Systemen aus zwei Komponenten

Obere kritische Punkte findet man dann wenn sich die molekulare thermische Bewegung gegen die Tendenz der Molekuumlle sich mit gleichartigen Molekuumllen zusammenzulagern durchsetzt Dieses Phaumlnomen ist sehr verbreitet so dass ein oberer kritischer Punkt bei sehr vielen Mischphasen beobachtet wird Untere kritische Punkte sind sehr viel seltener Sie treten beispielsweise dann auf wenn die beiden Komponenten miteinander bei tiefen Temperaturen einen Komplex bilden der bei houmlheren Temperaturen wieder zerfaumlllt und dann zu einer Phasenseparation fuumlhrt Ein Beispiel dafuumlr ist die Mischung aus Wasser und Triethylamin

Fuumlr Mischphasen aus drei Komponenten so genannte ternaumlre Mischungen sind die bisher gezeigten Darstellungen ungeeignet Hierfuumlr haben sich Dreiecksdiagramme (Gibbssches Phasendreieck) durchgesetzt die das Phasenverhalten unter Variation der Mengenbeitraumlge aller drei Komponenten aufzeigen (Abb 34) Das Diagramm ist so geartet dass die Summe aller drei Mengenanteile xA xB und xC in jedem Fall den Wert 1 ergibt Damit besitzt die Zusammensetzung des ternaumlren Gemisches zwei Freiheitsgrade Jede Linie die durch eine Ecke des Diagramms fuumlhrt verbindet diejenigen Punkte bei denen das Verhaumlltnis zweier Komponenten gleich ist Jede Linie die parallel zu einer der drei Seiten verlaumluft entspricht Gemischen bei denen der relative Anteil einer Komponente gleich bleibt

00 02 04 06 08 10Komponente A

00

02

04

06

08

10

Kom

pone

nte

B

0002

04

06

08

10

Komponente C

C

A

B

00 02 04 06 08 10Komponente A

00

02

04

06

08

10

Kom

pone

nte

B

00

02

04

06

08

10

Komponente C

x1

x2x

Abb 34 Prinzip eines ternaumlren Phasendiagramms nach Gibbs (Dreiecksdiagramm)

In solche ternaumlren Mischphasendiagramme lassen sich nun entsprechend den binaumlren Mischphasendiagrammen die Ein- und Zweiphasengebiete einzeichnen Das Diagramm in

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Abb 34 rechts gilt zB fuumlr eine ternaumlre Mischung aus A B und C bei der die Komponenten A und B sowie B und C jeweils paarweise in jedem Verhaumlltnis miteinander mischbar sind Die Komponenten A und C sollen dagegen nur begrenzt mischbar sein Als Konsequenz daraus ergibt sich ein Dreiecksdiagramm das an der unteren Achse die dem Anteil 0 der Komponente B entspricht ein Zweiphasengebiet aufweist

Die Hilfslinien im Zweiphasengebiet markieren die Zusammensetzung der entstehenden Einzelphasen So wuumlrde beispielsweise eine Mischung deren Zusammensetzung im Diagramm durch den Punkt x markiert ist in die beiden Phasen x1 und x2 zerfallen Die Mengenanteile der beiden Phasen koumlnnten dabei wieder uumlber das Hebelgesetz berechnet werden Um zusaumltzlich den Einfluss der Temperatur wiederzugeben muss eine weitere Koordinate eingefuumlhrt werden Man erhaumllt dabei ein dreidimensionales Dreiecksdiagramm das haumlufig unter Verwendung von Houmlhenlinien nach der Art einer topographischen Landkarte dargestellt wird Jede Houmlhenlinie des Zweiphasengebiets umschreibt dann seine Ausdehnung bei einer gegebenen Temperatur

Fragt man bei einem System mit bestehenden Randbedingungen nach der Zahl der frei variierbaren Zustandsgroumlszligen also nach der Zahl der Freiheitsgrade so haumlngt die Antwort zunaumlchst davon ab in welchem Phasenzustand sich das System befindet So kann man beispielsweise in der Gasphase (bei festgelegter Stoffmenge) Temperatur und Druck frei waumlhlen wodurch dann automatisch das Volumen festgelegt wird Gleiches gilt fuumlr die feste und die fluumlssige Phase Das System hat innerhalb eines Phasenzustands also zwei Freiheits-grade Setzt man allerdings voraus dass sich das System in einem Gleichgewicht zwischen zwei Phasen befindet (zB auf der Verdampfungslinie) so besitzt es nur einen Freiheitsgrad Am Tripelpunkt schlieszliglich bei einem Gleichgewicht zwischen drei Phasen sind keine Freiheitsgrade mehr vorhanden Zwischen der Zahl der Phasen P und der Zahl der Freiheitsgrade F gibt es also folgende einfache Beziehung

F = 3 - P

Beruumlcksichtigt man weiter dass auch mehr als eine Komponente auftreten kann (Zahl der Komponenten C gt 1) so erhoumlht sich die Zahl der Freiheitsgrade um jede zusaumltzliche Komponente deren Konzentration ja frei waumlhlbar ist um den Wert eins Man erhaumllt damit

F = 3 - P + (C - 1) oder F = C - P + 2

Nach dieser allgemeinguumlltigen Formel der so genannten Gibbsrsquoschen Phasenregel laumlsst sich die Zahl der Freiheitsgrade in jedem beliebigen System bestimmen Sie erlaubt insbesondere bei sehr komplizierten Mischungen mit einer unbekannten Anzahl an Phasenzustaumlnden uumlber eine einfache Betrachtung Ruumlckschluumlsse auf deren Phasenverhalten

Page 23: Vorlesung PC I Einführung in die Physikalische Chemierelaxation.chemie.uni-duisburg-essen.de/lehre/Skript_PC_2016_2017.pdf · Schwingungen möglich, deren Geometrie (d.h. die Zahl

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macht man sich sowohl in der Atomabsorptionsspektroskopie (AAS) als auch in der Atom-emissionsspektroskopie (AES) zunutze Elektronenspektren sind unverwechselbare Finger-abdruumlcke mit denen alle Elemente in hoher Empfindlichkeit und selbst uumlber groszlige Distanzen hinweg sicher identifiziert werden koumlnnen

25 Elektronenspektroskopie an Molekuumllen

Genau wie die Atomorbitale sind auch Molekuumllorbitale der Elektronenspektroskopie zugaumlng-lich Durch die systematische Analyse aller elektronischen Uumlbergaumlnge lassen sich die Energie-niveaus in einem MO-Schema schrittweise ausmessen Besonders interessant wird dieser Ansatz bei der Untersuchung der Bindungsverhaumlltnisse Im Allgemeinen beobachtet man Uumlbergaumlnge zwischen bindenden und nicht bindenden Orbitalen einerseits und den uumlblicherweise unbesetzten antibindenden Orbitalen andererseits In Abb 16 ist dies am Beispiel einer C-O-Bindung in Formaldehyd gezeigt Im Mittelpunkt stehen dabei das binden-de und das antibindende σ-Orbital C-O das bindende und das antibindende π-Orbital C-O sowie das nicht bindende freie Elektronenpaar des Sauerstoffs (ein weiteres freies Elektronen-paar bleibt unbeteiligt)

Ener

gie

σ CO

σ CO

π CO

π CO

n O

C

H

H

O

σ-σ

Uumlbe

rgan

g

π-π

Uumlbe

rgan

gn-π Uumlber-gang

σ

Abb 16 Termschema der CO-Gruppe in Formaldehyd (links) Die beteiligten Bindungen und das im betrachteten Energiefenster liegende freie Elektronenpaar des Sauerstoffs sind rechts skizziert

Die drei wichtigsten Uumlbergaumlnge die an der C-O-Gruppe detektiert werden sind der σ-σ-Uumlbergang der π-π-Uumlbergang und der n-π-Uumlbergang Letzterer ist in einer C-O-Gruppe stets am energieaumlrmsten und kann bereits mit UV-Licht einer Wellenlaumlnge um 280 nm angeregt werden (schwarzer Pfeil in Abb 16) Energiereicher und intensiver ist bei der CO-Gruppe der π-π-Uumlbergang der bei Wellenlaumlngen um 170 nm angeregt wird (roter Pfeil in Abb 16) Daruumlber hinaus zeigt das Spektrum dass die beiden freien Elektronenpaare des Sauerstoffs stark unterschiedlichen Charakter besitzen (nur eines ist an dem n-π-Uumlbergang beteiligt das andere tritt im gegebenen Spektralbereich nicht in Erscheinung)

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Auf aumlhnliche Weise lassen sich alle MO-Schemata komplizierter Molekuumlle analysieren Lie-gen die Anregungsfrequenzen der Uumlbergaumlnge im sichtbaren Bereich so haben die Molekuumlle die Funktion von Farbstoffen Haumlufig besitzen sie dann laumlngere lineare Delokalisationsgebiete deren Elektronenspektren man dann auch in grober Naumlherung mit dem eindimensionalen Potentialtopfmodell beschreiben kann (s Kapitel 22) Werden Bindungselektronen angeregt und aumlndern sich im Verlauf der elektronischen Anre-gung die Bindungsverhaumlltnisse (beispielsweise bei Besetzung eines antibindenden Zustands) so ist mit der elektronischen Anregung zwangslaumlufig auch eine Aumlnderung des energetisch guumlnstigsten Bindungsabstands verbunden Damit einhergehend werden mechanische Schwin-gungen des Molekuumlls angeregt Mit den Molekuumllschwingungen verhaumllt es sich analog zu den elektronischen Zustaumlnden auch Molekuumllschwingungen existieren nur in bestimmten definierten Zustaumlnden die sich dann den elektronischen Zustaumlnden uumlberlagern (Abb 17) Die Folge davon ist dass die Elektronenspektren von Molekuumllen haumlufig keine scharfen Linien sondern breite Absorptionsbereiche (bdquoBandenldquo) aufweisen Alle Linien fuumlr die elektronischen Uumlbergaumlnge zerlegen sich demnach in eine Vielzahl von Einzellinien die verschiedene Schwingungszustaumlnde der benachbarten elektronischen Zustaumlnde miteinander verbinden (in Abb 17 sind exemplarisch neun verschiedene moumlgliche Uumlbergaumlnge eingezeichnet) Normaler-weise liegen alle diese Linien dicht beieinander so dass insgesamt eine verbreiterte Absorp-tionsbande entsteht

Ener

gie

elektronische Niveaus

Schwingungsniveaus

Abb 17 Zum Zustandekommen von breiten Absorptionsbanden in Elektronen-Schwingungsspektren Uumlberlagerung von elektronischen Uumlbergaumlngen mit Schwingungsuumlbergaumlngen Exemplarisch sind jeweils drei Schwingungsniveaus eingezeichnet

Das Elektronenspektrum eines Molekuumlls wird wegen der dazu verwendeten Frequenzbereiche im UV- und im sichtbaren (bdquovisibleldquo) Spektrum auch UV-vis-Spektroskopie genannt Die UV-vis-Spektroskopie dient neben der Aufklaumlrung der MO-Struktur auch der schnellen und bequemen Identifikation von chemischen Verbindungen Aufgrund ihrer im Absorptionsver-fahren sehr einfachen und preisguumlnstigen Messtechnik wird sie auch haumlufig in Kombination mit anderen analytischen Verfahren (zB der Chromatographie) verwendet Uumlber eine Bestim-mung der Intensitaumlt der Anregung kann auch eine quantitative Analyse einzelner Verbindun-gen erfolgen

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3 Das Zusammenwirken von Atomen und Molekuumllen 31 Der makroskopische Zustand von Materie Bisher sind nur einzelne Bausteine der Materie also Atome und Molekuumlle betrachtet worden Nun soll das makroskopische Erscheinungsbild von Materie ins Auge gefasst werden die aus einer Vielzahl von Atomen oder Molekuumllen besteht Um den Zustand dieser aus vielen Teilchen zusammengesetzten Materie uumlberhaupt als Gesamtheit zu beschreiben benoumltigt man zunaumlchst so genannte Zustandsparameter oder Zustandsgroumlszligen Die wichtigsten Vertreter dieser Kenngroumlszligen fuumlr makroskopische Materie sind die Stoffmenge n das Volumen V der Druck P und die Temperatur T

n Stoffmenge Die Stoffmenge wird uumlber die Teilchenzahl definiert

Einheit der Teilchenzahl 1 Mol

Definition Ein Mol eines Stoffes enthaumllt dieselbe Anzahl an Teilchen wie 0012 kg reiner Kohlenstoff des Isotops 12C (1 Mol 60221023

Teilchen) Dabei muss eindeutig festgelegt sein was unter einem Teilchen des Stoffes jeweils zu verstehen ist Ist die Stoffmenge konstant so spricht man von einem geschlossenen System

V Volumen Die Definition des Volumens erfolgt uumlber die festgelegte Laumlngeneinheit und den geometrischen Volumenbegriff

Einheit des Volumens 1 msup3

Definition Ein msup3 ist das Volumen eines wuumlrfelfoumlrmigen Raums mit einer Kantenlaumlnge von einem Meter Ist das Volumen konstant so spricht man von einem isochoren Vorgang

P Druck Die Definition erfolgt uumlber die Kraft die ein Stoff auf jede Flaumlcheneinheit eines ihn einschlieszligenden Behaumllters ausuumlbt

Einheit des Drucks 1 Pascal = 1 Pa = 1 Nmsup2 = 10-5 bar

Definition Ein Pascal ist der Druck bei dem auf jeden Quadratmeter der Behaumllterwaumlnde eine Kraft von 1 Newton ausgeuumlbt wird Ist der Druck konstant so spricht man von einem isobaren Vorgang

T Temperatur

Der sicherlich am schwierigsten fassbare Zustandsparameter makroskopischer Materie ist die Temperatur Zwar ist sie direkt mit der menschlichen Wahrnehmung verknuumlpft (kalt warm heiszlighellip) physikalisch jedoch zunaumlchst sehr undefiniert da sie nicht ohne weiteres auf andere physikalische Groumlszligen zuruumlckfuumlhrbar ist Am ehesten laumlsst sie sich im ersten Ansatz als diejenige Eigenschaft von Materie beschreiben die von einem Thermometer gemessen wird

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Zur Verwendung als Thermometer eignet sich prinzipiell jeder physikalische oder chemische Vorgang der reproduzierbar mit einer Temperaturaumlnderung verknuumlpft ist Klassisch sind dies insbesondere die Ausdehnungsvorgaumlnge von Gasen Fluumlssigkeiten und Festkoumlrpern (Abb 18)

Hg

Festkoumlrperthermometer werden gewoumlhnlich nach demPrinzip des Bimetall-Thermometers ausgelegt (ganzlinks) Dabei werden zwei verschiedene Festkoumlrper(zB zwei Bleche aus verschiedenen Metallen) flaumlchigmiteinander in Kontakt gebracht Bedingt durch dieunterschiedliche thermische Ausdehnung derMaterialien kruumlmmt sich das Bimetall-Blech abhaumlngigvon der Temperatur mehr oder weniger stark zu einerSpirale

Fluumlssigkeitsthermometer (Mitte) und Gasthermometer(rechts) nutzen die Volumenaumlnderung eines fluidenMediums mit der Temperatur Die Genauigkeit kannerhoumlht werden indem einem groszligvolumigen Vorrats-behaumllter ein relativ kleinvolumiger Ausdehnungs- undAblesebereich gegenuumlbergestellt wird

Abb 18 Thermometer die auf der Grundlage der temperaturbedingten Ausdehnung von Materie beruhen

In der Praxis kommen mehr und mehr die elektronischen Varianten der Temperaturmessung zum Zug die zumeist auf der Messung der Thermospannung basieren Neben der Messmetho-de ist die Festlegung einer Temperaturskala wichtig Dazu dienten zunaumlchst einige Fixpunkte die heute teilweise noch historische Bedeutung haben

1) Die tiefste Temperatur des Winters 17081709 in Danzig - 178 degC

2) Die Temperatur von schmelzendem Eis bei 760 Torr (760 Torr = 1 atm = 101 325 Pa) 0 degC

3) Koexistenztemperatur von Eis Wasser und Wasserdampf 001 degC (exakt)

4) Die durchschnittliche Koumlrpertemperatur eines gesunden Menschen 378 degC

5) Die Siedetemperatur des Wassers bei 760 Torr (1 atm = 101 325 Pa) 100 degC

Die Punkte 1 und 4 bildeten die Grundlage des Fahrenheit-Systems die Punkte 2 und 5 die der Celsius-Skala Bei beiden Systemen wurde der definierte Bereich zunaumlchst in 100 gleiche Teile (Grade) aufgeteilt dann extrapoliert Beide Definitionen wurden spaumlter verfeinert (Celsius 9999 Grade C zwischen den Fixpunkten 3 und 5 Fahrenheit 180 Grade F zwischen den Fixpunkten 1 und 5) Trotzdem mangelt es auszliger Punkt 3 allen genannten Fixpunkten an Genauigkeit und Reproduzierbarkeit

Das zweite Problem nach der Unvollkommenheit der Fixpunkte besteht in der Festlegung einer systemunabhaumlngigen linearen Teilung Gewoumlhnlich ist der Verlauf der Skala vom gewaumlhlten Medium abhaumlngig Eine lineare Teilung auf der Skala eines Quecksilber-thermometers entspricht daher nicht einer linearen Teilung auf der Skala eines Alkoholthermometers da die Ausdehnung bei jedem Medium in unterschiedlicher Weise von der Temperatur abhaumlngt

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Beide Probleme sowohl die Wahl der passenden Fixpunkte als auch die Definition einer sinnvollen linearen Teilung werden heute durch die Festlegung der so genannten absoluten Temperaturskala geloumlst Grundlage hierfuumlr sind uumlbereinstimmende Beobachtungen an Gasthermometern

-300 -200 -100 0 100 200

V

T

-27315degCBei wiederholten Messungen mit verschiedenenGasthermometern verschiedenen Gasen undGasvolumina und bei verschiedenen Drucken stelltman fest dass sich die Verlaumlngerungen aller in denjeweiligen Diagrammen erhaltenen Linien in einemPunkt schneiden Dieser Punkt entspricht auf derVolumenachse dem Wert V = 0 und auf derTemperaturachse dem Wert T = -27315 degC

Abb 19 Ausdehnungskurven verschiedener Gase Die Temperaturskala ist zunaumlchst noch in Celsius aufgetragen

Aus dieser Beobachtung wurde geschlossen dass der Temperatur am gemeinsamen Schnitt-punkt aller Ausdehnungskurven eine besondere physikalische Bedeutung zukommt und sie sich daher als Fixpunkt einer neuen Temperaturskala eignet Weiterhin wurde festgestellt dass zwar alle Gase in ihrem Ausdehnungsverhalten von dem linearen Verlauf abweichen dass aber unter bestimmten Umstaumlnden (zB niedriger Druck) ein gemeinsamer Verlauf angestrebt wird den man auch als idealen Verlauf bezeichnen koumlnnte Am besten funktioniert das bei Helium unter schrittweise absinkenden Drucken dessen Verhalten sich fuumlr P rarr 0 zum idealen Verhalten extrapolieren laumlsst Diese Erkenntnis diente zur Definition einer absoluten Temperaturskala in Kelvin

1) Unterer Fixpunkt Schnittpunkt der Volumenexpansionskurven bdquoidealerldquo Gase (zB Helium fuumlr den Grenzfall Prarr0) 0 Kelvin

2) Oberer Fixpunkt Koexistenztemperatur von Eis Wasser und Wasserdampf 27316 Kelvin

3) Das Volumen eines bdquoidealenldquo Gases (zB Helium fuumlr den Grenzfall Prarr0) ist bei konstantem Druck proportional zur Temperatur und definiert die lineare Teilung der Temperaturskala

Gemaumlszlig dieser Definition ist jede beliebige Temperatur unter Nutzung eines bdquoidealenldquo Gasther-mometers auf der absoluten Kelvin-Skala eindeutig festgelegt Die Verwendung der Kelvin-Skala ist gegenuumlber der Nutzung klassischer Temperatursysteme bei der Beschreibung physi-kalischer Vorgaumlnge eindeutig von Vorteil Vorgaumlnge bei denen die Temperatur konstant ist nennt man isotherm Mit der Definition der wichtigsten Zustandsparameter Teilchenzahl n Volumen V Druck P und Temperatur T besteht nun die Moumlglichkeit das Verhalten makroskopischer Materie zu beschreiben Am einfachsten gelingt das im Fall von Gasen

32 Zustandsgleichung fuumlr Gase die ideale Gasgleichung

Gleichungen welche die Zustandsparameter wie n V T und P miteinander verknuumlpfen nennt man Zustandsgleichungen Sie beschreiben das Verhalten einer aus vielen einzelnen Teilchen bestehenden Materie hinsichtlich ihrer makroskopisch messbaren Groumlszligen Am

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einfachsten sind solche Zustandsgleichungen fuumlr Gase aufzustellen Untersucht man bei Gasen systematisch den Zusammenhang zwischen n V P und T so stellt man fest dass fuumlr alle Gase in mehr oder weniger guter Naumlherung folgende einfache Gleichung erfuumlllt isthellip

P ∙ V = n ∙ R ∙ T

hellipwobei R fuumlr die so genannte ideale Gaskonstante steht (R asymp 8314 J K-1 Mol-1) Diese Glei-chung auch bdquoideale Gasgleichungldquo genannt ist ein so genanntes Grenzgesetz kein real exis-tierendes Gas erfuumlllt es genau aber alle Gase kommen ihm recht nahe insbesondere bei hohen Temperaturen und niedrigen Druumlcken Eine Gleichung dieser Form nennt man auch Zustands-gleichung da sie Zustandsparameter miteinander verbindet Grafisch laumlsst sich diese Verknuumlp-fung in einem einfachen Diagramm darstellen bei dem jede Kombination von T und V genau einem Wert fuumlr P zugeordnet ist (Abb 20)

P

V

T

Abb 20 Auftragung von P gegen T und V nach der idealen Gasgleichung

Wir wissen nun dass die Gase aus einer Vielzahl von Teilchen (Atomen oder Molekuumllen) bestehen Wie laumlsst sich das durch die ideale Gasgleichung beschriebene Verhalten nun mit dieser Tatsache in Einklang bringen Was bedeuten eigentlich die Parameter Druck und Tem-peratur fuumlr ein Gas das sich aus vielen einzelnen Atomen und Molekuumllen zusammensetzt Um makroskopische Zustandsparameter uumlberhaupt mit der Teilchenwelt verknuumlpfen zu koumlnnen benoumltigen wir eine Modellvorstellung fuumlr das mechanische Zusammenwirken der Teilchen im Fall von Gasen das so genannte kinetische Gasmodell

33 Das kinetische Gasmodell

Bei den im vorhergehenden Kapitel aufgefuumlhrten Gasgesetzen handelt es sich um mathemati-sche Beschreibungen von makroskopisch beobachtbaren Vorgaumlngen Zur Interpretation der Gasgesetze auf molekularer Ebene wurden verschiedene Modelle vorgeschlagen Das erfolg-reichste unter ihnen war das sogenannte kinetische Gasmodell Es beruht auf der Vorstellung dass ein Gas aus einer Vielzahl von Teilchen besteht die folgende Bedingungen erfuumlllen

1) Sie besitzen eine Atom- oder Molmasse M einen endlichen Durchmesser d und befinden sich in staumlndiger und ungeregelter Bewegung

2) Die Groumlszlige der Teilchen ist im Verhaumlltnis zum freien Volumen vernachlaumlssig-bar

3) Zwischen den Teilchen finden elastische Stoumlszlige statt Ansonsten existieren keine weiteren Wechselwirkungen unter den Teilchen

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Nach der kinetischen Gastheorie besteht der Druck eines Gases aus der Summe aller Kraumlfte (pro Flaumlcheneinheit) die durch auf eine Flaumlche aufprallende Gasteilchen (bzw durch deren Impulsaumlnderung) ausgeuumlbt werden (Abb 21)

Vx t

Abb 21 Links schematische Darstellung der Impulsaumlnderung bei dem Auftreffen eines Gasteilchens auf der Gefaumlszligwand Viele solche Stoumlszlige fuumlhren in der Summe zum Entstehen einer messbaren dem Gasdruck zugeordneten Kraft Rechts Die Geschwindigkeitskomponente vx der Teilchen bestimmt nicht nur die Groumlszlige der Impulsaumlnderung sondern auch die Zahl der Teilchen die pro Zeiteinheit auf die Wand stoszligen Daher geht die Geschwindigkeit der Teilchen bei der Berechnung des Drucks insgesamt quadratisch ein

Dabei wird zunaumlchst davon ausgegangen dass alle Teilchen die gleiche Geschwindigkeits-komponente vx aufweisen Diese Geschwindigkeitskomponente bestimmt zum einen die Heftigkeit der Stoumlszlige zum anderen wie viele Gasteilchen pro Zeiteinheit auf die Wand prallen Insgesamt haumlngt der Druck damit vom Quadrat der Geschwindigkeitskomponente vxab Fuumlhrt man nun ein mittleres Geschwindigkeitsquadrat csup2 ein (mit vxsup2 = 13 csup2) so erhaumllt man fuumlr den an dem beweglichen Kolben spuumlrbaren Druck die Gleichung

P = 13 M csup2 (nV) oder in der Schreibweise der idealen Gasgleichung P V = 13 n M csup2 Der Druck ist nach dem kinetischen Gasmodell also die Folge einer Vielzahl von Stoumlszligen welche die Teilchen gegen die Behaumllterwaumlnde ausfuumlhren Er ist folglich proportional zur Mas-se der Teilchen (je schwerer die Teilchen desto heftiger die Stoumlszlige) zum mittleren Geschwin-digkeitsquadrat (die Geschwindigkeit der Teilchen bestimmt zum einen die Haumlufigkeit zum anderen die Heftigkeit der Stoumlszlige) und zur Zahl der Teilchen pro Volumeneinheit (womit wie nach der idealen Gasgleichung zu erwarten P umgekehrt proportional zu V ist) Die Bedeutung der Temperatur im kinetischen Gasmodell ist dagegen zunaumlchst unklar Mit der idealen Gasgleichung P V = n R T ergibt sich aber durch Koeffizientenvergleich n R T = 13 n M csup2 oder R T = 13 M csup2 Man kann unter Nutzung beider Gasmodelle so zu einem neuen teilchenbezogenen Verstaumlnd-nis des Phaumlnomens Temperatur kommen Die Temperatur eines Gases ist demnach direkt proportional zum mittleren Geschwindigkeitsquadrat der Gasteilchen oder in anderen Worten zu deren kinetischer Energie 12 M csup2 Dies ist fuumlr das Verstaumlndnis des Phaumlnomens Temperatur von groszliger Bedeutung Man kann die Temperatur eines Gases also messen indem man (bei bekannter Masse der Teilchen) die Geschwindigkeit der Gasteilchen bestimmt Die Wurzel aus dem mittleren Geschwindigkeits-quadrat also die Groumlszlige c liegt uumlblicherweise in der Groumlszligenordnung der Schallgeschwindig-keit (zum Beispiel fuumlr Stickstoff bei Raumtemperatur c = 516 ms) und steht zu ihr in einer

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festen Beziehung Tatsaumlchlich laumlsst sich die Temperatur auch uumlber eine Messung der Schall-geschwindigkeit ermitteln Nachdem das mittlere Geschwindigkeitsquadrat der Teilchen bekannt ist stellt sich die Frage nach der Geschwindigkeitsverteilung der Teilchen Die Bewegungsenergie der Teilchen ist wie alle anderen Energieformen (zB elektronische Energie Schwingungsenergie) gequantelt Das bedeutet dass sich die Teilchen auf (hier dicht gestaffelte) Energieniveaus verteilen muumlssen Sie tun das nach einem statistischen Grundprinzip das Boltzmann-Verteilung genannt wird Demnach ist die Besetzung pi eines Energieniveaus i (egal welcher Art die Energie Ei ist) stets proportional zum so genannten Boltzmannfaktor des Zustand i Es gilt

pi ~ exp[-Ei(kBT)]

Die darin enthaltene Boltzmannkonstante kB ist nichts anderes als die allgemeine Gas-konstante R (siehe unter 32) dividiert durch die Zahl NL der Teilchen in einem Mol Substanz (kB = RNL) Das bedeutet die Besetzung eines Zustands ist umso wahrscheinlicher je niedriger dessen Energie ist Steigende Temperatur T hingegen erhoumlht die Wahrscheinlichkeit energiereicher Zustaumlnde Diese Gesetzmaumlszligigkeit gilt fuumlr die Besetzung aller auf atomarer oder molekularer Ebene gegebener Zustaumlnde in einem makroskopischen System Angewandt auf die Bewegungsenergie von Gasteilchen in einer einzelnen Raumrichtung x bedeutet das dass Teilchen mit hoher Geschwindigkeit vx weniger wahrscheinlich sind als solche mit niedriger Geschwindigkeit vx Allerdings steigt die Wahrscheinlichkeit des Auftretens groszliger Werte fuumlr vx mit steigender Temperatur Teilt man den Bereich der auftretenden Geschwindigkeiten in Intervalle auf und zaumlhlt man die Teilchen die gemaumlszlig ihrer Geschwindigkeit zu den einzelnen Intervallen zugeordnet werden koumlnnen so ergibt sich fuumlr die Geschwindigkeitsverteilung in vx und v das Bild das in Abb 22 oben dargestellt ist Die Verteilungsfunktionen fuumlr die Geschwindigkeiten in y- und z-Richtung sind identisch

n(vx)

vx-Intervall

n(vx)

vx-Intervall

Temperatur-erhoumlhung

- 0 +- 0 +n(v)

v-Intervall

Temperatur-erhoumlhung

0 +

n(v)

v-Intervall0 +

Abb 22 Verteilungsfunktionen einer eindimensionalen Geschwindigkeitskomponente (oben) und der Gesamtgeschwindigkeit (unten)

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Betrachtet man die Verteilung n(v) der Gesamtgeschwindigkeit v im dreidimensionalen Raum so wird das Bild komplizierter Bezuumlglich der drei Raumrichtungen x y und z sind weiterhin die kleinen Geschwindigkeiten wahrscheinlicher als die groszligen Da nun aber fuumlr eine groszlige Gesamtgeschwindigkeit v mehr Kombinationsmoumlglichkeiten vx vy vz existieren als fuumlr kleine Gesamtgeschwindigkeiten so wird die Wahrscheinlichkeit fuumlr sehr geringe Gesamtgeschwindigkeiten entsprechend kleiner fuumlr groszlige Gesamtgeschwindigkeiten entsprechend groumlszliger Der daraus resultierende Gewichtungsfaktor fuumlr jedes v ist die relative Flaumlche der Kugelschale mit dem Radius v Insgesamt ergeben sich dann die in Abb 22 unten dargestellten Verteilungsfunktionen fuumlr niedrige und hohe Temperaturen Die Verteilungsfunktionen in vx und v lauten (ohne Herleitung)

f(vx) = [M(2RT)]12 exp [-Mvxsup2(2RT)]

f(v) = 4 [M(2RT)]32 vsup2 exp [-Mvsup2(2RT)] Der Mittelwert von vx (oder jeder anderen eindimensionalen Geschwindigkeitskomponente) ist grundsaumltzlich Null Dagegen besitzt der Mittelwert von v stets eine endliche von Null verschiedene Groumlszlige Bei einer Erhoumlhung der Temperatur werden alle Verteilungsfunktionen breiter der Mittelwert von v vergroumlszligert sich Die Temperatur eines Gases aumluszligert sich also nicht nur im mittleren Geschwindigkeitsquadrat sondern auch in der Form der Geschwindigkeitsverteilungsfunktion Bei der Mischung von Gasen unterschiedlicher Temperatur muss um die oben genannte Forderung zu erfuumlllen aus der einfachen Summe von zwei Verteilungsfunktionen eine neue der Mischtemperatur ent-sprechende Verteilungsfunktion entstehen Dies ist nur unter der Annahme moumlglich dass ein Austausch kinetischer Energie unter den Teilchen erfolgen kann Diese Tatsache bedingt die eingangs gestellte Forderung nach Teilchenstoumlszligen also Wechselwirkungen zwischen den Teilchen Damit muumlssen die Gasteilchen aber auch ein gewisses Volumen besitzen den Teil-chen ohne Eigenvolumen koumlnnen prinzipiell nicht zusammenstoszligen Darin besteht der we-sentliche Unterschied zwischen einem Gas nach dem kinetischen Gasmodell und dem idealen Gas Das ideale Gas koumlnnte man theoretisch auf ein beliebig kleines Volumen komprimieren bei einem kinetischen Gas ist dies aufgrund des Eigenvolumens nicht moumlglich Ansonsten erlaubt das kinetische Gasmodell die vollstaumlndige Interpretation der idealen Gasgleichung

34 Die korrigierte Gasgleichung nach van der Waals JD van der Waals

Mithilfe des kinetischen Gasmodells laumlsst sich die Zustandsgleichung fuumlr Gase weiter verfeinern Zunaumlchst soll beruumlcksichtigt werden dass die Teilchen ein eigenes Volumen besitzen In erster Naumlherung geschieht dies indem man ein vom Eigenvolumen der Gas-teilchen abgeleitetes minimales Volumen des Gases (das so genannte Covolumen) definiert Das Covolumen beschreibt dasjenige Volumen des Gases das bei staumlndigem mechanischem Kontakt zwischen jeweils zwei Teilchen eingenommen wird wenn man den Teilchenpaaren jeweils den sie umschreibenden kugelfoumlrmigen Raum zuordnet (wegen der geringen Wahr-scheinlichkeit von Dreierstoumlszligen kann die Bildung von Dreiergruppen ausgeschlossen werden) Das molare Covolumen b entspricht wenn man eine einfache geometrische Uumlberlegung an-setzt dem vierfachen Eigenvolumen eines Mols der Gasteilchen Um das tatsaumlchliche freie

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Volumen zu erhalten muss das n-fache Covolumen vom gegebenen Volumen abgezogen werden Damit wird aus der idealen Gasgleichung P V = n R T die erste korrigierte Version P (V - n b) = n R T Im zweiten Schritt soll nun uumlber das kinetische Gasmodell hinausgehend auch die anziehen-de Wechselwirkung zwischen den Teilchen beruumlcksichtigt werden Die Anziehung zwischen den Teilchen sorgt nach van der Waals fuumlr einen zusaumltzlichen nach auszligen nicht messbaren bdquoBinnendruckldquo Dieser Binnendruck ist proportional zum Quadrat der Teilchendichte (nV)sup2 Der zwischen den Teilchen tatsaumlchlich wirkende nach auszligen ebenfalls unmessbare Gesamt-druck ist dann gegeben als

Pgesamt (unmessbar) = P (messbar) + a (nV)sup2

mit einer fuumlr die anziehende Wechselwirkung charakteristischen Konstante a Die danach korrigierte Version der Gasgleichung die van-der-Waals-Gleichung fuumlr reale Gase lautet

[P + a (nV)sup2] (V - nb) = n R T

Die Konstanten b und a besitzen fuumlr jedes reale Gas charakteristische Werte die dessen Eigenvolumen (die Groumlszlige der Elektronenhuumllle) und die Staumlrke der intermolekularen Wechsel-wirkungen reflektieren Beispiele

Gas a b

Argon 01345 Pa m6Molsup2 32210-5 msup3Mol Kohlendioxid 03592 Pa m6Molsup2 426710-5 msup3Mol Helium 00034 Pa m6Molsup2 23710-5 msup3Mol Stickstoff 01390 Pa m6Molsup2 391310-5 msup3Mol Wasser 05573 Pa m6Molsup2 31010-5 msup3Mol

Der Parameter b spiegelt mit der Einheit msup3Mol weitgehend die Groumlszlige der einzelnen Teilchen (Atome oder Molekuumlle) wider So besitzt erwartungsgemaumlszlig Kohlendioxid oder Argon einen groumlszligeren Wert fuumlr b als beispielsweise Helium Allerdings sind die Unterschiede erstaunlich klein was auf die Tatsache zuruumlckzufuumlhren ist dass sich das Covolumen auf Teilchenpaare bezieht und ein Paar aus Kohlendioxidmolekuumllen gegenuumlber einem Paar aus Heliumatomen nur etwa das doppelte Volumen benoumltigt

Der Parameter a mit der Einheit Pascal mal Molvolumen zum Quadrat reflektiert die Staumlrke der Wechselwirkungen zwischen den Teilchen Diese Wechselwirkungen beruhen zum groszligen Teil auf den elektrischen Eigenschaften der Teilchen Diese wiederum sind mit der elektronischen Struktur der Atome beziehungsweise der chemischen Bindungen verknuumlpft Am wichtigsten ist dabei das in Kapitel 19 erwaumlhnte Dipolmoment Polare Bindungen koumlnnen zu Teilchen mit permanenten Dipolen fuumlhren (zB HF Wasser Ammoniak CO) Andere Molekuumlle oder Atome sind zwar unpolar koumlnnen aber spontan oder durch aumluszligere

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elektrische Felder polarisiert werden (zB He Ar molekularer Wasserstoff molekulares Chlor) Man spricht dann von polarisierbaren Teilchen mit einem spontanen Dipolmoment oder mit einem durch ein aumluszligeres Feld bewirkten induzierten Dipolmoment In all diesen Faumlllen sind anziehende Wechselwirkungen zwischen den Teilchen moumlglich die in dem Parameter a zusammengefasst werden Daruumlber hinaus koumlnnen sich auch voruumlbergehende chemische Bindungen ausbilden Das prominenteste Beispiel fuumlr diesen Fall ist die bekannte Wasserstoffbruumlckenbindung die bei polaren X-H-Bindungen auftreten kann Im Einzelnen werden demnach folgende Arten von Wechselwirkungen mit absteigender Intensitaumlt unter-schieden

a) Wasserstoffbruumlckenbindung X-H hellip Y Hierbei bildet sich voruumlbergehend eine chemische Bindung zwischen dem polar gebundenen Wasserstoff und einem elektronegativen und mit einem freien Elektronenpaar ausgestatteten Element Y

b) Wechselwirkungen zwischen permanenten Dipolen hier besitzen alle Teilchen ein permanentes Dipolmoment Zwischen den entgegengesetzt geladenen Enden der Teilchen bauen sich dann konstant anziehende elektrostatische Wechselwir-kungen auf

c) Wechselwirkungen zwischen permanenten und induzierten Dipolen die Teil-chen mit permanentem Dipolmoment induzieren ein voruumlbergehendes Dipol-moment bei den benachbarten (zunaumlchst unpolaren) Teilchen In der Folge ergibt sich eine anziehende elektrostatische Wechselwirkung

d) Wechselwirkungen zwischen induzierten Dipolen durch spontane Polarisierung eines Teilchens entsteht ein voruumlbergehendes Dipolmoment welches bei einem benachbarten Teilchen eine Polarisierung hervorruft In der Folge ergibt sich eine kurzfristige und sehr schwache elektrostatische Anziehung zwischen den Teilchen Man spricht dabei auch von der Dispersionswechselwirkung oder der Londonschen Wechselwirkung

Alle diese Effekte sind anziehender Natur und gehen damit in den Parameter a ein Fasst man die beiden Parameter a und b zusammen so entsteht mit der van-der-Waals-Gleichung eine recht zuverlaumlssige Zustandsgleichung fuumlr reale Systeme die sowohl die abstoszligenden als auch die anziehenden Wechselwirkungen beruumlcksichtigt

Ein guter Test fuumlr diese reale Zustandsgleichung ist die Berechnung eines Diagramms von P gegen V fuumlr verschiedene Temperaturen das so genannte P-V-Diagramm und die Gegen-uumlberstellung mit dem entsprechenden experimentellen P-V-Diagramm eines realen Gases Gemaumlszlig der van-der-Waalsrsquoschen Gleichung existieren abhaumlngig von der betrachteten Tempe-ratur drei Typen von Isothermen (Abb 23 links) solche die einer Hyperbel aumlhneln (1) eine einzelne Isotherme die einen Wendepunkt mit waagrechter Tangente besitzt (2) und solche die ein Minimum ein Maximum und einen Wendepunkt aufweisen (3) Das experimentell beobachtete Verhalten stimmt in den ersten beiden Faumlllen recht gut uumlberein weicht aber bei Isothermen des dritten Typs deutlich vom berechneten Verlauf ab (Abb 23 rechts)

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P

V

PV-Diagramm nachvan-der-Waals-Gleichung

1 2

3

P

V

3

experimentell bestimmtesPV-Diagramm f reales Gas

Abb 23 PV-Diagramme fuumlr reale Gase berechnet nach van der Waals (links) und experimentell bestimmt (rechts) Die drei typischen Formen der Isothermen (1 2 und 3) sind im Text beschrieben

Offensichtlich beschreibt die van-der-Waals-Gleichung das Verhalten eines realen Gases in der Umgebung des Wendepunkts weniger gut Experimentell stellt man allerdings fest dass in diesem Bereich tatsaumlchlich auch kein reines Gas sondern vielmehr eine Mischung aus einem Gas und einer kondensierten Fluumlssigkeit also ein Zweiphasenzustand vorliegt Dieser Zwei-phasenbereich beginnt am Wendepunkt der Isothermen des Typs 2 und schlieszligt alle Minima Maxima und Wendepunkte der Isothermen des Typs 3 ein (Abb 24 links)

P

V

Zweiphasen-gebiet

P

V

Zweiphasen-gebiet

Maxwell-Maxwell-KorrekturKorrektur

Zweiphasen-Gebiet

Zweiphasen-Gebiet

A1

A2

Abb 24 PV-Diagramme fuumlr reale Gase mit eingezeichnetem Zweiphasengebiet Der in diesem Bereich bei der Beschreibung nach van der Waals gegebene Fehler kann in guter Naumlherung durch die Maxwell-Korrektur kompensiert werden

Eine einfache Korrektur der van-der-Waals-Gleichung ermoumlglicht eine realistische Beschrei-bung des Zweiphasengebiets Eine horizontale Gerade wird so in der Naumlhe des Wendepunktes gelegt dass die oberhalb und unterhalb der Geraden im Zweiphasenbereich gebildeten Teilflaumlchen A1 und A2 die gleiche Groumlszlige besitzen (sog Maxwell-Korrektur s Abbildung 24 rechts) Dies sieht zwar nach einer etwas willkuumlrlichen Hilfskonstruktion aus trotzdem laumlsst sich damit das Verhalten eines realen Gases im Zweiphasengebiet sehr gut nachvollziehen und vorhersagen Eine besonders ausgewiesene Position im PV-Diagramm eines realen Gases ist der Scheitel-punkt des Zweiphasengebiets der durch den Wendepunkt der Isotherme des Typs 2 gebildet wird (Abb 25)

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P

V

Zweiphasen-gebiet Tc

Pc

Vc

kritischer Punkt

Jedes reale Gas besitzt einen sogenannten kritischenPunkt der durch die kritischen Zustandsgroumlszligen Tc Pc undVc beschrieben wird Die kritische Temperatur Tc istdiejenige Temperatur bei der sich ein Gas unter Druckgerade noch verfluumlssigen laumlszligt Oberhalb der kritischenTemperatur existiert kein fluumlssiger Zustand Derentsprechende Druck Pc wird als kritischer Druckbezeichnet

Die Isotherme die der kritischen Temperatur zugeordnetist besitzt als einzige einen Wendepunkt mit horizontalerTangente der gleichzeitig den kritischen Punkt markiert

Abb 25 PV-Diagramm fuumlr ein reales Gas mit kritischem Punkt

Dieser sogenannte kritische Punkt wird durch die kritische Temperatur Tc den kritischen Druck Pc und das kritische Molvolumen Vc festgelegt Zustaumlnde oberhalb des kritischen Punkts nennt man uumlberkritisch Uumlberkritisches Kohlendioxid besitzt in der Technik groszlige Bedeutung fuumlr das Loumlsen und Ausfaumlllen von pharmazeutischen Wirkstoffen (zB Aspirin fuumlr Brausetabletten) fuumlr die Extraktion (zB bei der Entkoffeinierung von Kaffee) oder zur chemischen Reinigung von Textilien

35 Andere Zustandsgleichungen fuumlr reale Gase

Neben der van-der-Waals-Gleichung existieren weitere Ansaumltze zur Beschreibung realer Gase die zwar eine genauere Anpassung an die gemessenen Werte ermoumlglichen aber auch kompli-zierter sind oder mehr Arbeit bei der Bestimmung der charakteristischen Parameter erfordern Im Folgenden seien als Beispiele die Berthelot-Gleichung und die Virialgleichung erwaumlhnt

a Berthelot-Gleichung (P + (Ansup2)(TVsup2) ) (V - nB) = n R T Berthelot fuumlhrte damit als Besonderheit einen temperaturabhaumlngigen Binnendruck ein Dies ist insoweit physikalisch gerechtfertigt als die vermehrte thermische Bewegung der Ausbildung von Wechselwirkungen zwischen den Molekuumllen entgegenwirken kann

b Virialgleichung P Vm = A + B P + C Psup2 + D Psup3 + Mit Vm = Vn Die Virialgleichung nutzt die Tatsache dass sich fast alle physikalischen Zusammenhaumlnge uumlber einen Potenzreihenansatz a + bx + cxsup2 + dxsup3 + hellip beliebig genau annaumlhern lassen Je nach Anzahl der anpassbaren Parameter ist zwar eine beliebig genaue Beschreibung des realen Gases moumlglich allerdings steigt auch der Aufwand fuumlr die Bestim-mung aller Koeffizienten

36 Beschreibung von Fluumlssigkeiten

Im PV-Diagramm der realen Gase schlieszligt sich links vom Zweiphasengebiet der Bereich der fluumlssigen Phase an Sie zeichnet sich dadurch aus dass mit sinkendem Volumen der Druck ex-trem steil ansteigt Das bedeutet dass bereits eine geringfuumlgige Volumenabnahme mit einem aumluszligerst groszligen Druckanstieg verbunden ist In der Praxis hat das zur Folge dass Fluumlssigkeiten im Gegensatz zu Gasen kaum komprimierbar sind ihre Kompressibilitaumlt geht gegen Null Auch ist die Ausdehnung der Fluumlssigkeiten bei steigender Temperatur und bei konstantem

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Druck (der thermische Ausdehnungskoeffizient) sehr viel kleiner als bei Gasen Eine einfache allgemeine Zustandsgleichung fuumlr die fluumlssige Phase in Analogie zur idealen oder zur van-der-Waals-Gleichung existiert nicht Stattdessen findet man bei der experimentellen Bestimmung des Zusammenhangs zwischen P V und T fuumlr jede Fluumlssigkeit ein sehr charakteristisches Verhalten Vergleicht man die Messergebnisse verschiedener Fluumlssigkeiten untereinander so sind kaum Aumlhnlichkeiten auszumachen Daruumlber hinaus sind bestimmte Messungen (zB die Messung der Abhaumlngigkeit des Drucks vom Volumen bei konstanter Teilchenzahl und Temperatur) technisch sehr schwer zu realisieren Das Fehlen einer einheitlichen Zustandsgleichung V(TPn) fuumlr Fluumlssigkeiten liegt auch in deren komplexer Struktur begruumlndet Betrachtet man ein einzelnes Teilchen in der Fluumlssigkeit so liegt es bezuumlglich der Abstaumlnde zu seinen naumlchsten Nachbarn stets in der Naumlhe des Mini-mums einer Potentialkurve Epot(r) die einen sehr steilen Verlauf besitzt Die Abstaumlnde zu den benachbarten Teilchen sind damit nahezu fixiert folglich ist eine unabhaumlngige Translations-bewegung einzelner Teilchen praktisch unmoumlglich Stattdessen verlaufen alle Bewegungs-prozesse mehr oder weniger kollektiv also unter gleichzeitiger Verschiebung mehrerer Teilchen Daruumlber hinaus gibt es keine nennenswerten freien Volumina so dass der mittlere Abstand der Teilchen nur unwesentlich verringert werden kann ein Umstand der sich in der bereits erwaumlhnten geringen Kompressibilitaumlt aumluszligert Ein Modell fuumlr eine allgemeine Fluumlssigkeit laumlsst sich im Rahmen einer Computersimulation einfuumlhren Man betrachtet dabei einen wuumlrfelfoumlrmigen Raum der einen Ausschnitt aus dem Fluumlssigkeitsvolumen darstellen soll und eine endliche Anzahl n von Fluumlssigkeitsteilchen (zB n = 1000) enthaumllt Um die Zahl der Teilchen konstant zu halten und dabei trotzdem deren Beweglichkeit zu wahren wird eine Kontinuitaumltsbedingung eingefuumlhrt Jedes Teilchen das im Rahmen der Bewegungsprozesse den Wuumlrfel an einer gegebenen Stelle verlaumlsst tritt automatisch an der genau gegenuumlberliegenden Position des Wuumlrfels wieder ein Auf diese Weise ist gewaumlhrleistet dass die Zahl der Teilchen im Wuumlrfel konstant bleibt (Abb 26)

Abb 26 Simulation von Bewegungs-vorgaumlngen in einem Fluumlssigkeitsvolumen unter Wahrung einer konstanten Partikel-anzahl Jedes Teilchen das im Rahmen der Bewegungsprozesse den Wuumlrfel an einer gegebenen Stelle verlaumlsst tritt automatisch an der genau gegenuumlberliegenden Position des Wuumlrfels wieder ein

An diesem System fuumlhrt man nun eine so genannte Monte-Carlo-Simulation durch Dabei setzt ein Zufallsgenerator eine geringfuumlgige Verschiebung eines beliebigen einzelnen Teil-chens in Gang Anschlieszligend wird unter Verwendung des bekannten Potentialverlaufs Epot(r) berechnet wie sich nach der Verschiebung die potentielle Energie des Systems veraumlndert hat Danach entscheidet das Simulationsprogramm zwischen zwei Moumlglichkeiten

- Hat sich die gesamte potentielle Energie des Systems durch die Verschiebung verringert oder blieb sie konstant so wird die Verschiebung akzeptiert und der naumlchste Schritt berechnet - Hat sich die gesamte potentielle Energie durch die Verschiebung um den positiven Wert E erhoumlht so wird die Verschiebung mit einer Wahrscheinlichkeit die von E abhaumlngt akzeptiert und ansonsten verworfen Danach wird der naumlchste Schritt berechnet

Auf diese Weise kann man fuumlr beliebige Fluumlssigkeiten sowohl die typischen Bewegungs-prozesse als auch die einflussbedingten Veraumlnderung von Zustandsgroumlszligen (zB P in Ab-

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haumlngigkeit von V) berechnen Allerdings sind die Rechnungen bei den fuumlr eine realistische Beschreibung eines Fluumlssigkeitsvolumens notwendigen groszligen Teilchenzahlen sehr aufwaumlndig und zeitintensiv

37 Beschreibung von Festkoumlrpern

Begibt man sich im P-V-Diagramm vom fluumlssigen Zustand ausgehend noch weiter nach links (zu kleineren Volumina houmlheren Drucken und niedrigeren Temperaturen) so erreicht man den festen Zustand Die Problematik der Zustandsgleichung V(TPn) von Festkoumlrpern aumlhnelt jener der Fluumlssigkeiten Auch hier sind die Kompressibilitaumlten und die thermischen Aus-dehnungskoeffizienten uumlblicherweise sehr viel geringer als bei Gasen Ebenso wie bei Fluumls-sigkeiten sind dabei die Unterschiede zwischen einzelnen Vertretern der Festkoumlrper recht groszlig so dass keine gemeinsame Zustandsgleichung wie bei Gasen formuliert werden kann Im Vergleich mit den Werten der Fluumlssigkeiten sind die Kompressibilitaumlten und die thermischen Ausdehnungskoeffizienten der Festkoumlrper durchschnittlich nochmals um etwa zwei Groumlszligen-ordnungen geringer

Abb 27 Torsionsexperiment zur Unterscheidung zwischen Fluumlssigkeiten und Festkoumlrpern (s Text)

Der wesentliche Unterschied zwischen Festkoumlrpern und Fluumlssigkeiten besteht allerdings in ihrem gegensaumltzlichen Verhalten bezuumlglich Verformung waumlhrend Fluumlssigkeiten einer gege-benen Verformung durch ihre Zaumlhigkeit (Viskositaumlt) Widerstand leisten reagiert ein Fest-koumlrper auf eine Verformung durch eine elastische Deformation Dieses Verhalten wird in einem Torsionsrheometer deutlich wobei eine feste oder fluumlssige Probe periodisch mit einer torsionsartigen Verformung beaufschlagt wird (Abb 27) Waumlhrend der Drehmomentverlauf des Festkoumlrpers exakt gleichphasig zur periodischen Aus-lenkung erfolgt (elastische Verformung) ist der Drehmomentverlauf der Fluumlssigkeit dazu um ein Viertel einer Wellenlaumlnge phasenverschoben (viskose Reaktion) Bei Fluumlssigkeiten ist der Widerstand dann maximal wenn die Deformationsgeschwindigkeit maximal ist (blaue Linie

t

Dre

hmom

entv

erla

uf

tAusl

enku

ng

Festkoumlrper

t

Dre

hmom

entv

erla

uf

Fluumlssigkeiten

Pruumlfkoumlrper

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in Abb 26) Bei Festkoumlrpern ist die Kraft dann maximal wenn der Deformationszustandmaximal ist (rote Linie in Abb 27) Viele Festkoumlrper stellen Uumlbergaumlnge zwischen diesen beiden Extremfaumlllen dar und werden dann als viskoelastisch bezeichnet Aus der Betrachtung von Messergebnissen an einer Viel-zahl von Materialien geht hervor dass eine eindeutige Abgrenzung zwischen dem fluumlssigen und dem festen Zustand selten moumlglich ist Entsprechend gibt es auch unterschiedliche Strukturmodelle die teilweise das elastische Verhalten teilweise das plastische Verhalten von Festkoumlrpern erklaumlren Dem elastischen Festkoumlrper mit nahezu verschwindender Phasen-verschiebung wird am ehesten das Modell eines idealen Kristalls gerecht Man geht dabei davon aus dass jedes Atom bzw Molekuumll aus dem der Festkoumlrper zusammengesetzt ist sich an einem geometrisch festgelegten Gitterpunkt befindet von dem es sich nicht entfernen kann Als Bewegungsprozess ist dabei lediglich eine Schwingung mit begrenzter Amplitude moumlglich Die denkbaren Geometrien der Gitterstrukturen reichen von primitiv-kubischen Gittern (zB Natriumchlorid) uumlber kubisch-dichteste (zB Silber Kupfer) und hexagonal-dichteste Kugelpackungen (zB Magnesium Zink) bis zur kubisch-raumzentrierten Struktur (zB Eisen Molybdaumln) Haumlufig findet man leichte Abweichungen von der idealen Gitter-struktur die durch lokale Stoumlrungen hervorgerufen werden Akzeptiert man gewisse Anteile an viskosem Verhalten (dh eine leichte Phasenverschiebung) so begibt man sich in den Grenzbereich zwischen Festkoumlrpern und Fluumlssigkeiten In einem Material wie Glas ist die regelmaumlszligige Anordnung eines Gitters nicht gegeben die Atome sind unregelmaumlszligig positioniert und koumlnnen unter Belastung auch flieszligen Solche nicht-kristallinen Festkoumlrper bezeichnet man als amorph Typische Vertreter amorpher Feststoffe sind Fenster-glas viele transparente Kunststoffe (zB Plexiglas Polyester in Getraumlnkeflaschen) Wachs und Aumlhnliches Amorphe Festkoumlrper besitzen keinen Schmelzpunkt sondern erweichen bei steigender Temperatur allmaumlhlich Amorphe Festkoumlrper koumlnnen nachtraumlglich kristallisieren wobei sich haumlufig das aumluszligere Erscheinungsbild und die physikalischen Eigenschaften drastisch aumlndern (zB Plastikfolie unter Zug)

38 Das Phasendiagramm

Die drei wichtigsten Phasenzustaumlnde zu denen sich eine makroskopische Gesamtheit von Atomen oder Molekuumllen zusammenfinden koumlnnen sind also Gase Fluumlssigkeiten und Festkoumlrper Die Frage ist nun unter welchen Bedingungen sich ein System fuumlr den ersten den zweiten oder den dritten Zustand entscheidet Erfahrungsgemaumlszlig haumlngt der gegebene Phasenzustand von den in Kapitel 31 eingefuumlhrten Zustandsparametern n V P und T ab Legt man die Stoffmenge n auf einen Wert fest (zB auf ein Mol Teilchen) und beruumlcksichtigt man dass nach den gegebenen Zustandsgleichungen die Groumlszligen n V P und T miteinander verknuumlpft sind so genuumlgen zwei Parameter um den jeweils guumlnstigsten Phasenzustand eindeutig festzulegen Ein Diagramm bei dem einer der Parameter V P und T gegen einen anderen aufgetragen wird eignet sich also prinzipiell um bei einer gegebenen Teilchenart den unter diesen Bedingungen jeweils angestrebten Phasenzustand zu markieren So kann man gemaumlszlig den Abbildungen 23 bis 25 in einem Diagramm bei dem P gegen V aufgetragen wird schon den jeweils gegebenen Phasenzustand eintragen und ablesen In der Praxis eignen sich solche PV-Diagramme allerdings wenig um Phasenzustaumlnde zu markieren der gasfoumlrmige Zustand nimmt einen sehr breiten Raum ein waumlhrend der fluumlssige und der feste Zustand in dem sehr engen Bereich links neben dem Zweiphasengebiet bdquoeingequetschtldquo waumlre Vor allem in diesem Umfeld waumlre das Diagramm schwer ablesbar

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Wesentlich guumlnstiger ist dagegen die Auftragung vom Druck P gegen die Temperatur T In diesem PT-Diagramm das auch als Phasendiagramm bezeichnet wird lassen sich alle Phasenzustaumlnde uumlbersichtlich zuordnen Dabei bezeichnen Flaumlchenanteile im PT-Diagramm die unter den gegebenen Druck- und Temperaturbedingungen angestrebte Phase (zB fest fluumlssig gasfoumlrmig) waumlhrend Linien die dazwischen vorliegenden Gleichgewichte markieren und Phasengrenzlinien genannt werden (Abb 28)

T

Pfe

st

fluumlss

ig

gasfouml

rmig

kritischerPunkt

Tripel-punkt

Phasengrenzlinie

Abb 28 Phasendiagramm mit Auftragung des Drucks (P) gegen die Temperatur (T)

Auszligerdem enthaumllt ein Phasendiagramm gewoumlhnlich mindestens zwei besonders ausgezeich-nete Punkte den Tripelpunkt an dem die drei im Allgemeinen wichtigsten Phasenzustaumlnde fest fluumlssig und gasfoumlrmig miteinander im Gleichgewicht stehen und den bereits aus dem PV-Diagramm bekannten kritischen Punkt der das Ende eines definierten Uumlbergangs zwischen fluumlssiger und gasfoumlrmiger Phase markiert Beispiele fuumlr Phasendiagramme Kohlen-dioxid und Wasser sind in Abbildung 29 und 30 wiedergegeben

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T

P

fest

fluumlss

iggasfoumlrmig

kritischerPunkt

Tripel-punkt

2168 K

511 bar

CO2

3042 K

728 bar

Abb 29 Phasendiagramm fuumlr Kohlendioxid

T

P

fluumlss

ig

gasfoumlrmig

kritischerPunkt

H2O

Eis 1

Eis 1

Eis 2 Eis 3

Eis 5

Eis 6

Tripelpunkt6473 K

218 bar

6 mbar 27316 K

Abb 30 Phasendiagramm fuumlr Wasser Der Bereich oberhalb von 200 bar ist aus Gruumlnden der

Uumlbersichtlichkeit entlang der P-Achse komprimiert dargestellt

Eine wichtige Besonderheit des Phasenverhaltens von Wasser ist die Tatsache dass die Phasengrenzlinie zwischen fluumlssigem Wasser und Eis 1 eine negative Steigung aufweist Dies hat zur Folge dass gewoumlhnliches Eis durch Erhoumlhung des Drucks zum Schmelzen gebracht werden kann Dieser Umstand ist eine der Ursachen dafuumlr dass eine Kufe auf Eis gleitet da der durch das Schmelzen entstehende Wasserfilm die Reibung vermindert (allerdings spielt hier auch die Reibungswaumlrme eine Rolle) Der Grund fuumlr dieses Verhalten steht in direkter Verbindung mit der strukturbedingten Volumenabnahme beim Schmelzen von Eis (s Videos unter httpwwwyoutubecomwatchv=6s0b_keOiOU und httpswwwyoutubecomwatchv=CDTZoFGmZoc )

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Waumlhlt man in einem Phasendiagramm eine Kombination von Druck und Temperatur so kann man direkt denjenigen Phasenzustand ablesen den die gegebene Teilchenart unter diesen Bedingungen anstrebt Das heiszligt jedoch nicht dass dieser Zustand dann auch in jedem Fall und zu jeder Zeit vorliegt Haumlufig beobachtet man eine so genannte kinetische Hemmung einer Phasenumwandlung So gibt es unterkuumlhlte Fluumlssigkeiten (zB Regentropfen bei -3degC) genauso wie unterkuumlhlte Dampfphasen (zB uumlbersaumlttigten Wasserdampf in Gewitterwolken) oder uumlberhitzte Fluumlssigkeiten (zB uumlberhitztes Wasser bei einem Siedeverzug) Kristalli-sationskeime wie Staubkoumlrner koumlnnen Phasenumwandlungen beschleunigen (zB durch Staub verursachter bdquoIndustrieschneeldquo) Bisher wurden lediglich Phasendiagramme von reinen Stoffen betrachtet die nur aus einer einzelnen Sorte Atomen oder Molekuumllen bestehen Mischt man einem gegebenen Stoff eine weitere Komponente hinzu so aumlndert sich das Phasendiagramm erheblich Als Beispiel betrachten wir ein System in dessen fluumlssiger Phase ein Fremdstoff A geloumlst wird der weder im Festkoumlrper noch im der Gasphase loumlslich ist (zB Kochsalz in Wasser) In diesem Fall dehnt sich der fluumlssige Bereich des Phasendiagramms mit steigender Konzentration von A in alle Richtungen aus so dass gleichzeitig der Schmelzpunkt erniedrigt der Siedepunkt erhoumlht und der Dampfdruck verringert wird (Abb 31) In erster Naumlherung sind alle genannten Aumlnderungen proportional zu cA

T

P

fest

fluumlss

ig

gasfouml

rmig

Abb 31 Phasendiagramm fuumlr ein System in dessen fluumlssiger Phase ein Fremdstoff mit steigender

Konzentration cA geloumlst wird Der Bereich der fluumlssigen Phase dehnt sich daraufhin in alle

Richtungen aus

Bei weiter steigender Konzentration von A kann ein Punkt erreicht werden an dem die Mischung in zwei getrennte Bereiche zerfaumlllt die ebenfalls als Phasen bezeichnet werden (zB Olivenoumll und Wasser) Eine dieser Phasen besitzt dann einen hohen Loumlsemittelanteil bei geringer Konzentration von A die andere besteht aus einem hohen Anteil an A mit einem geringen Gehalt an Loumlsemittel Dieser Vorgang der Phasenseparation binaumlrer (aus zwei Komponenten bestehender) Systeme wird durch eine andere Art von Phasendiagramm beschrieben dem so genannten Mischphasendiagramm (Abb 32) Hierbei wird die Tempe-

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ratur dem relativen Anteil einer Komponente gegenuumlbergestellt der Druck wird als konstant angenommen

Abb 32 Allgemeine Darstellung eines Mischphasendiagramms

Grundsaumltzlich gibt die linke Flanke der Phasentrennlinie (links des kritischen Punkts) die Zusammensetzung der bdquoA-armenldquo Phase an waumlhrend die rechte Flanke (rechts des kritischen Punkts) die Zusammensetzung der A-reichen Phase beschreibt Die Mengen der dabei gebildeten Phasen koumlnnen nach dem so genannten Hebelgesetz berechnet werden Demnach gilt zwischen dem Anteil n1 der A-armen Phase 1 dem Anteil n2 der A-reichen Phase 2 und den Laumlngen der Pfeile s1 und s2 in der vorhergehenden Abbildung folgender Zusammenhang

n1 s1 = n2 s2

Fuumlr das gezeigte Beispiel wuumlrde das bedeuten dass der Anteil der Phase 1 etwa doppelt so groszlig waumlre wie der Anteil der Phase 2 In der Naumlhe der beiden Raumlnder des Diagramms also fuumlr xA 0 (sehr wenig A im Loumlsemittel) oder xA 1 (sehr wenig Loumlsemittel in A) liegen in den meisten Faumlllen einphasige homogene Mischungen vor Das besagt dass auch bei niedrigen Temperaturen ein wenig von dem Stoff A im Loumlsemittel bzw ein wenig Loumlsemittel im Stoff A loumlslich ist Der im Diagramm eingezeichnete kritische Punkt bedeutet dass oberhalb der dazugehoumlrigen kritischen Temperatur keine Entmischung mehr erfolgt dh hier sind die beiden Komponenten vollstaumlndig und in jedem Verhaumlltnis miteinander mischbar Neben solchen oberen kritischen Punkten gibt es auch untere kritische Punkte Im zweiten Fall gilt dass die beiden Komponenten unterhalb einer bestimmten Temperatur in jedem Verhaumlltnis miteinander mischbar sind Im Allgemeinen koumlnnen die drei verschiedenen Faumllle auftreten die in Abbildung 33 dargestellt sind

0 Molenbruch xA der Komponente A 1

Tem

pera

tur

obere kritischeTemperatur

Einphasen-gebiet

Zweiphasen-gebiet

Beispiel xA = 04

T1

Zum gezeigten Beispiel

Eine Mischung mit dem Molenbruch xA = 04 wird von T2 nach T1 abgekuumlhltDabei zerfaumlllt die Mischung bei Tklsquo in zwei Phasen derenZusammensetzung bei T1auf der x-Achse an den Punkten 1 und 2 ablesbar ist

T2

Tklsquo

1 2

kritischer Punkt

s1 s2

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0 xA 1

Tem

pera

tur

System mit oberem kritischen Punkt

kritischer Punkt

0 xA 1Te

mpe

ratu

r

System mit unterem kritischen Punkt

kritischer Punkt

0 xA 1

Tem

pera

tur

System mit oberem und unterem

kritischen Punkt

kritischer Punkt

kritische Punkte

Abb 33 Moumlgliche Varianten von kritischen Punkten bei Systemen aus zwei Komponenten

Obere kritische Punkte findet man dann wenn sich die molekulare thermische Bewegung gegen die Tendenz der Molekuumlle sich mit gleichartigen Molekuumllen zusammenzulagern durchsetzt Dieses Phaumlnomen ist sehr verbreitet so dass ein oberer kritischer Punkt bei sehr vielen Mischphasen beobachtet wird Untere kritische Punkte sind sehr viel seltener Sie treten beispielsweise dann auf wenn die beiden Komponenten miteinander bei tiefen Temperaturen einen Komplex bilden der bei houmlheren Temperaturen wieder zerfaumlllt und dann zu einer Phasenseparation fuumlhrt Ein Beispiel dafuumlr ist die Mischung aus Wasser und Triethylamin

Fuumlr Mischphasen aus drei Komponenten so genannte ternaumlre Mischungen sind die bisher gezeigten Darstellungen ungeeignet Hierfuumlr haben sich Dreiecksdiagramme (Gibbssches Phasendreieck) durchgesetzt die das Phasenverhalten unter Variation der Mengenbeitraumlge aller drei Komponenten aufzeigen (Abb 34) Das Diagramm ist so geartet dass die Summe aller drei Mengenanteile xA xB und xC in jedem Fall den Wert 1 ergibt Damit besitzt die Zusammensetzung des ternaumlren Gemisches zwei Freiheitsgrade Jede Linie die durch eine Ecke des Diagramms fuumlhrt verbindet diejenigen Punkte bei denen das Verhaumlltnis zweier Komponenten gleich ist Jede Linie die parallel zu einer der drei Seiten verlaumluft entspricht Gemischen bei denen der relative Anteil einer Komponente gleich bleibt

00 02 04 06 08 10Komponente A

00

02

04

06

08

10

Kom

pone

nte

B

0002

04

06

08

10

Komponente C

C

A

B

00 02 04 06 08 10Komponente A

00

02

04

06

08

10

Kom

pone

nte

B

00

02

04

06

08

10

Komponente C

x1

x2x

Abb 34 Prinzip eines ternaumlren Phasendiagramms nach Gibbs (Dreiecksdiagramm)

In solche ternaumlren Mischphasendiagramme lassen sich nun entsprechend den binaumlren Mischphasendiagrammen die Ein- und Zweiphasengebiete einzeichnen Das Diagramm in

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Abb 34 rechts gilt zB fuumlr eine ternaumlre Mischung aus A B und C bei der die Komponenten A und B sowie B und C jeweils paarweise in jedem Verhaumlltnis miteinander mischbar sind Die Komponenten A und C sollen dagegen nur begrenzt mischbar sein Als Konsequenz daraus ergibt sich ein Dreiecksdiagramm das an der unteren Achse die dem Anteil 0 der Komponente B entspricht ein Zweiphasengebiet aufweist

Die Hilfslinien im Zweiphasengebiet markieren die Zusammensetzung der entstehenden Einzelphasen So wuumlrde beispielsweise eine Mischung deren Zusammensetzung im Diagramm durch den Punkt x markiert ist in die beiden Phasen x1 und x2 zerfallen Die Mengenanteile der beiden Phasen koumlnnten dabei wieder uumlber das Hebelgesetz berechnet werden Um zusaumltzlich den Einfluss der Temperatur wiederzugeben muss eine weitere Koordinate eingefuumlhrt werden Man erhaumllt dabei ein dreidimensionales Dreiecksdiagramm das haumlufig unter Verwendung von Houmlhenlinien nach der Art einer topographischen Landkarte dargestellt wird Jede Houmlhenlinie des Zweiphasengebiets umschreibt dann seine Ausdehnung bei einer gegebenen Temperatur

Fragt man bei einem System mit bestehenden Randbedingungen nach der Zahl der frei variierbaren Zustandsgroumlszligen also nach der Zahl der Freiheitsgrade so haumlngt die Antwort zunaumlchst davon ab in welchem Phasenzustand sich das System befindet So kann man beispielsweise in der Gasphase (bei festgelegter Stoffmenge) Temperatur und Druck frei waumlhlen wodurch dann automatisch das Volumen festgelegt wird Gleiches gilt fuumlr die feste und die fluumlssige Phase Das System hat innerhalb eines Phasenzustands also zwei Freiheits-grade Setzt man allerdings voraus dass sich das System in einem Gleichgewicht zwischen zwei Phasen befindet (zB auf der Verdampfungslinie) so besitzt es nur einen Freiheitsgrad Am Tripelpunkt schlieszliglich bei einem Gleichgewicht zwischen drei Phasen sind keine Freiheitsgrade mehr vorhanden Zwischen der Zahl der Phasen P und der Zahl der Freiheitsgrade F gibt es also folgende einfache Beziehung

F = 3 - P

Beruumlcksichtigt man weiter dass auch mehr als eine Komponente auftreten kann (Zahl der Komponenten C gt 1) so erhoumlht sich die Zahl der Freiheitsgrade um jede zusaumltzliche Komponente deren Konzentration ja frei waumlhlbar ist um den Wert eins Man erhaumllt damit

F = 3 - P + (C - 1) oder F = C - P + 2

Nach dieser allgemeinguumlltigen Formel der so genannten Gibbsrsquoschen Phasenregel laumlsst sich die Zahl der Freiheitsgrade in jedem beliebigen System bestimmen Sie erlaubt insbesondere bei sehr komplizierten Mischungen mit einer unbekannten Anzahl an Phasenzustaumlnden uumlber eine einfache Betrachtung Ruumlckschluumlsse auf deren Phasenverhalten

Page 24: Vorlesung PC I Einführung in die Physikalische Chemierelaxation.chemie.uni-duisburg-essen.de/lehre/Skript_PC_2016_2017.pdf · Schwingungen möglich, deren Geometrie (d.h. die Zahl

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Auf aumlhnliche Weise lassen sich alle MO-Schemata komplizierter Molekuumlle analysieren Lie-gen die Anregungsfrequenzen der Uumlbergaumlnge im sichtbaren Bereich so haben die Molekuumlle die Funktion von Farbstoffen Haumlufig besitzen sie dann laumlngere lineare Delokalisationsgebiete deren Elektronenspektren man dann auch in grober Naumlherung mit dem eindimensionalen Potentialtopfmodell beschreiben kann (s Kapitel 22) Werden Bindungselektronen angeregt und aumlndern sich im Verlauf der elektronischen Anre-gung die Bindungsverhaumlltnisse (beispielsweise bei Besetzung eines antibindenden Zustands) so ist mit der elektronischen Anregung zwangslaumlufig auch eine Aumlnderung des energetisch guumlnstigsten Bindungsabstands verbunden Damit einhergehend werden mechanische Schwin-gungen des Molekuumlls angeregt Mit den Molekuumllschwingungen verhaumllt es sich analog zu den elektronischen Zustaumlnden auch Molekuumllschwingungen existieren nur in bestimmten definierten Zustaumlnden die sich dann den elektronischen Zustaumlnden uumlberlagern (Abb 17) Die Folge davon ist dass die Elektronenspektren von Molekuumllen haumlufig keine scharfen Linien sondern breite Absorptionsbereiche (bdquoBandenldquo) aufweisen Alle Linien fuumlr die elektronischen Uumlbergaumlnge zerlegen sich demnach in eine Vielzahl von Einzellinien die verschiedene Schwingungszustaumlnde der benachbarten elektronischen Zustaumlnde miteinander verbinden (in Abb 17 sind exemplarisch neun verschiedene moumlgliche Uumlbergaumlnge eingezeichnet) Normaler-weise liegen alle diese Linien dicht beieinander so dass insgesamt eine verbreiterte Absorp-tionsbande entsteht

Ener

gie

elektronische Niveaus

Schwingungsniveaus

Abb 17 Zum Zustandekommen von breiten Absorptionsbanden in Elektronen-Schwingungsspektren Uumlberlagerung von elektronischen Uumlbergaumlngen mit Schwingungsuumlbergaumlngen Exemplarisch sind jeweils drei Schwingungsniveaus eingezeichnet

Das Elektronenspektrum eines Molekuumlls wird wegen der dazu verwendeten Frequenzbereiche im UV- und im sichtbaren (bdquovisibleldquo) Spektrum auch UV-vis-Spektroskopie genannt Die UV-vis-Spektroskopie dient neben der Aufklaumlrung der MO-Struktur auch der schnellen und bequemen Identifikation von chemischen Verbindungen Aufgrund ihrer im Absorptionsver-fahren sehr einfachen und preisguumlnstigen Messtechnik wird sie auch haumlufig in Kombination mit anderen analytischen Verfahren (zB der Chromatographie) verwendet Uumlber eine Bestim-mung der Intensitaumlt der Anregung kann auch eine quantitative Analyse einzelner Verbindun-gen erfolgen

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3 Das Zusammenwirken von Atomen und Molekuumllen 31 Der makroskopische Zustand von Materie Bisher sind nur einzelne Bausteine der Materie also Atome und Molekuumlle betrachtet worden Nun soll das makroskopische Erscheinungsbild von Materie ins Auge gefasst werden die aus einer Vielzahl von Atomen oder Molekuumllen besteht Um den Zustand dieser aus vielen Teilchen zusammengesetzten Materie uumlberhaupt als Gesamtheit zu beschreiben benoumltigt man zunaumlchst so genannte Zustandsparameter oder Zustandsgroumlszligen Die wichtigsten Vertreter dieser Kenngroumlszligen fuumlr makroskopische Materie sind die Stoffmenge n das Volumen V der Druck P und die Temperatur T

n Stoffmenge Die Stoffmenge wird uumlber die Teilchenzahl definiert

Einheit der Teilchenzahl 1 Mol

Definition Ein Mol eines Stoffes enthaumllt dieselbe Anzahl an Teilchen wie 0012 kg reiner Kohlenstoff des Isotops 12C (1 Mol 60221023

Teilchen) Dabei muss eindeutig festgelegt sein was unter einem Teilchen des Stoffes jeweils zu verstehen ist Ist die Stoffmenge konstant so spricht man von einem geschlossenen System

V Volumen Die Definition des Volumens erfolgt uumlber die festgelegte Laumlngeneinheit und den geometrischen Volumenbegriff

Einheit des Volumens 1 msup3

Definition Ein msup3 ist das Volumen eines wuumlrfelfoumlrmigen Raums mit einer Kantenlaumlnge von einem Meter Ist das Volumen konstant so spricht man von einem isochoren Vorgang

P Druck Die Definition erfolgt uumlber die Kraft die ein Stoff auf jede Flaumlcheneinheit eines ihn einschlieszligenden Behaumllters ausuumlbt

Einheit des Drucks 1 Pascal = 1 Pa = 1 Nmsup2 = 10-5 bar

Definition Ein Pascal ist der Druck bei dem auf jeden Quadratmeter der Behaumllterwaumlnde eine Kraft von 1 Newton ausgeuumlbt wird Ist der Druck konstant so spricht man von einem isobaren Vorgang

T Temperatur

Der sicherlich am schwierigsten fassbare Zustandsparameter makroskopischer Materie ist die Temperatur Zwar ist sie direkt mit der menschlichen Wahrnehmung verknuumlpft (kalt warm heiszlighellip) physikalisch jedoch zunaumlchst sehr undefiniert da sie nicht ohne weiteres auf andere physikalische Groumlszligen zuruumlckfuumlhrbar ist Am ehesten laumlsst sie sich im ersten Ansatz als diejenige Eigenschaft von Materie beschreiben die von einem Thermometer gemessen wird

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Zur Verwendung als Thermometer eignet sich prinzipiell jeder physikalische oder chemische Vorgang der reproduzierbar mit einer Temperaturaumlnderung verknuumlpft ist Klassisch sind dies insbesondere die Ausdehnungsvorgaumlnge von Gasen Fluumlssigkeiten und Festkoumlrpern (Abb 18)

Hg

Festkoumlrperthermometer werden gewoumlhnlich nach demPrinzip des Bimetall-Thermometers ausgelegt (ganzlinks) Dabei werden zwei verschiedene Festkoumlrper(zB zwei Bleche aus verschiedenen Metallen) flaumlchigmiteinander in Kontakt gebracht Bedingt durch dieunterschiedliche thermische Ausdehnung derMaterialien kruumlmmt sich das Bimetall-Blech abhaumlngigvon der Temperatur mehr oder weniger stark zu einerSpirale

Fluumlssigkeitsthermometer (Mitte) und Gasthermometer(rechts) nutzen die Volumenaumlnderung eines fluidenMediums mit der Temperatur Die Genauigkeit kannerhoumlht werden indem einem groszligvolumigen Vorrats-behaumllter ein relativ kleinvolumiger Ausdehnungs- undAblesebereich gegenuumlbergestellt wird

Abb 18 Thermometer die auf der Grundlage der temperaturbedingten Ausdehnung von Materie beruhen

In der Praxis kommen mehr und mehr die elektronischen Varianten der Temperaturmessung zum Zug die zumeist auf der Messung der Thermospannung basieren Neben der Messmetho-de ist die Festlegung einer Temperaturskala wichtig Dazu dienten zunaumlchst einige Fixpunkte die heute teilweise noch historische Bedeutung haben

1) Die tiefste Temperatur des Winters 17081709 in Danzig - 178 degC

2) Die Temperatur von schmelzendem Eis bei 760 Torr (760 Torr = 1 atm = 101 325 Pa) 0 degC

3) Koexistenztemperatur von Eis Wasser und Wasserdampf 001 degC (exakt)

4) Die durchschnittliche Koumlrpertemperatur eines gesunden Menschen 378 degC

5) Die Siedetemperatur des Wassers bei 760 Torr (1 atm = 101 325 Pa) 100 degC

Die Punkte 1 und 4 bildeten die Grundlage des Fahrenheit-Systems die Punkte 2 und 5 die der Celsius-Skala Bei beiden Systemen wurde der definierte Bereich zunaumlchst in 100 gleiche Teile (Grade) aufgeteilt dann extrapoliert Beide Definitionen wurden spaumlter verfeinert (Celsius 9999 Grade C zwischen den Fixpunkten 3 und 5 Fahrenheit 180 Grade F zwischen den Fixpunkten 1 und 5) Trotzdem mangelt es auszliger Punkt 3 allen genannten Fixpunkten an Genauigkeit und Reproduzierbarkeit

Das zweite Problem nach der Unvollkommenheit der Fixpunkte besteht in der Festlegung einer systemunabhaumlngigen linearen Teilung Gewoumlhnlich ist der Verlauf der Skala vom gewaumlhlten Medium abhaumlngig Eine lineare Teilung auf der Skala eines Quecksilber-thermometers entspricht daher nicht einer linearen Teilung auf der Skala eines Alkoholthermometers da die Ausdehnung bei jedem Medium in unterschiedlicher Weise von der Temperatur abhaumlngt

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Beide Probleme sowohl die Wahl der passenden Fixpunkte als auch die Definition einer sinnvollen linearen Teilung werden heute durch die Festlegung der so genannten absoluten Temperaturskala geloumlst Grundlage hierfuumlr sind uumlbereinstimmende Beobachtungen an Gasthermometern

-300 -200 -100 0 100 200

V

T

-27315degCBei wiederholten Messungen mit verschiedenenGasthermometern verschiedenen Gasen undGasvolumina und bei verschiedenen Drucken stelltman fest dass sich die Verlaumlngerungen aller in denjeweiligen Diagrammen erhaltenen Linien in einemPunkt schneiden Dieser Punkt entspricht auf derVolumenachse dem Wert V = 0 und auf derTemperaturachse dem Wert T = -27315 degC

Abb 19 Ausdehnungskurven verschiedener Gase Die Temperaturskala ist zunaumlchst noch in Celsius aufgetragen

Aus dieser Beobachtung wurde geschlossen dass der Temperatur am gemeinsamen Schnitt-punkt aller Ausdehnungskurven eine besondere physikalische Bedeutung zukommt und sie sich daher als Fixpunkt einer neuen Temperaturskala eignet Weiterhin wurde festgestellt dass zwar alle Gase in ihrem Ausdehnungsverhalten von dem linearen Verlauf abweichen dass aber unter bestimmten Umstaumlnden (zB niedriger Druck) ein gemeinsamer Verlauf angestrebt wird den man auch als idealen Verlauf bezeichnen koumlnnte Am besten funktioniert das bei Helium unter schrittweise absinkenden Drucken dessen Verhalten sich fuumlr P rarr 0 zum idealen Verhalten extrapolieren laumlsst Diese Erkenntnis diente zur Definition einer absoluten Temperaturskala in Kelvin

1) Unterer Fixpunkt Schnittpunkt der Volumenexpansionskurven bdquoidealerldquo Gase (zB Helium fuumlr den Grenzfall Prarr0) 0 Kelvin

2) Oberer Fixpunkt Koexistenztemperatur von Eis Wasser und Wasserdampf 27316 Kelvin

3) Das Volumen eines bdquoidealenldquo Gases (zB Helium fuumlr den Grenzfall Prarr0) ist bei konstantem Druck proportional zur Temperatur und definiert die lineare Teilung der Temperaturskala

Gemaumlszlig dieser Definition ist jede beliebige Temperatur unter Nutzung eines bdquoidealenldquo Gasther-mometers auf der absoluten Kelvin-Skala eindeutig festgelegt Die Verwendung der Kelvin-Skala ist gegenuumlber der Nutzung klassischer Temperatursysteme bei der Beschreibung physi-kalischer Vorgaumlnge eindeutig von Vorteil Vorgaumlnge bei denen die Temperatur konstant ist nennt man isotherm Mit der Definition der wichtigsten Zustandsparameter Teilchenzahl n Volumen V Druck P und Temperatur T besteht nun die Moumlglichkeit das Verhalten makroskopischer Materie zu beschreiben Am einfachsten gelingt das im Fall von Gasen

32 Zustandsgleichung fuumlr Gase die ideale Gasgleichung

Gleichungen welche die Zustandsparameter wie n V T und P miteinander verknuumlpfen nennt man Zustandsgleichungen Sie beschreiben das Verhalten einer aus vielen einzelnen Teilchen bestehenden Materie hinsichtlich ihrer makroskopisch messbaren Groumlszligen Am

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einfachsten sind solche Zustandsgleichungen fuumlr Gase aufzustellen Untersucht man bei Gasen systematisch den Zusammenhang zwischen n V P und T so stellt man fest dass fuumlr alle Gase in mehr oder weniger guter Naumlherung folgende einfache Gleichung erfuumlllt isthellip

P ∙ V = n ∙ R ∙ T

hellipwobei R fuumlr die so genannte ideale Gaskonstante steht (R asymp 8314 J K-1 Mol-1) Diese Glei-chung auch bdquoideale Gasgleichungldquo genannt ist ein so genanntes Grenzgesetz kein real exis-tierendes Gas erfuumlllt es genau aber alle Gase kommen ihm recht nahe insbesondere bei hohen Temperaturen und niedrigen Druumlcken Eine Gleichung dieser Form nennt man auch Zustands-gleichung da sie Zustandsparameter miteinander verbindet Grafisch laumlsst sich diese Verknuumlp-fung in einem einfachen Diagramm darstellen bei dem jede Kombination von T und V genau einem Wert fuumlr P zugeordnet ist (Abb 20)

P

V

T

Abb 20 Auftragung von P gegen T und V nach der idealen Gasgleichung

Wir wissen nun dass die Gase aus einer Vielzahl von Teilchen (Atomen oder Molekuumllen) bestehen Wie laumlsst sich das durch die ideale Gasgleichung beschriebene Verhalten nun mit dieser Tatsache in Einklang bringen Was bedeuten eigentlich die Parameter Druck und Tem-peratur fuumlr ein Gas das sich aus vielen einzelnen Atomen und Molekuumllen zusammensetzt Um makroskopische Zustandsparameter uumlberhaupt mit der Teilchenwelt verknuumlpfen zu koumlnnen benoumltigen wir eine Modellvorstellung fuumlr das mechanische Zusammenwirken der Teilchen im Fall von Gasen das so genannte kinetische Gasmodell

33 Das kinetische Gasmodell

Bei den im vorhergehenden Kapitel aufgefuumlhrten Gasgesetzen handelt es sich um mathemati-sche Beschreibungen von makroskopisch beobachtbaren Vorgaumlngen Zur Interpretation der Gasgesetze auf molekularer Ebene wurden verschiedene Modelle vorgeschlagen Das erfolg-reichste unter ihnen war das sogenannte kinetische Gasmodell Es beruht auf der Vorstellung dass ein Gas aus einer Vielzahl von Teilchen besteht die folgende Bedingungen erfuumlllen

1) Sie besitzen eine Atom- oder Molmasse M einen endlichen Durchmesser d und befinden sich in staumlndiger und ungeregelter Bewegung

2) Die Groumlszlige der Teilchen ist im Verhaumlltnis zum freien Volumen vernachlaumlssig-bar

3) Zwischen den Teilchen finden elastische Stoumlszlige statt Ansonsten existieren keine weiteren Wechselwirkungen unter den Teilchen

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Nach der kinetischen Gastheorie besteht der Druck eines Gases aus der Summe aller Kraumlfte (pro Flaumlcheneinheit) die durch auf eine Flaumlche aufprallende Gasteilchen (bzw durch deren Impulsaumlnderung) ausgeuumlbt werden (Abb 21)

Vx t

Abb 21 Links schematische Darstellung der Impulsaumlnderung bei dem Auftreffen eines Gasteilchens auf der Gefaumlszligwand Viele solche Stoumlszlige fuumlhren in der Summe zum Entstehen einer messbaren dem Gasdruck zugeordneten Kraft Rechts Die Geschwindigkeitskomponente vx der Teilchen bestimmt nicht nur die Groumlszlige der Impulsaumlnderung sondern auch die Zahl der Teilchen die pro Zeiteinheit auf die Wand stoszligen Daher geht die Geschwindigkeit der Teilchen bei der Berechnung des Drucks insgesamt quadratisch ein

Dabei wird zunaumlchst davon ausgegangen dass alle Teilchen die gleiche Geschwindigkeits-komponente vx aufweisen Diese Geschwindigkeitskomponente bestimmt zum einen die Heftigkeit der Stoumlszlige zum anderen wie viele Gasteilchen pro Zeiteinheit auf die Wand prallen Insgesamt haumlngt der Druck damit vom Quadrat der Geschwindigkeitskomponente vxab Fuumlhrt man nun ein mittleres Geschwindigkeitsquadrat csup2 ein (mit vxsup2 = 13 csup2) so erhaumllt man fuumlr den an dem beweglichen Kolben spuumlrbaren Druck die Gleichung

P = 13 M csup2 (nV) oder in der Schreibweise der idealen Gasgleichung P V = 13 n M csup2 Der Druck ist nach dem kinetischen Gasmodell also die Folge einer Vielzahl von Stoumlszligen welche die Teilchen gegen die Behaumllterwaumlnde ausfuumlhren Er ist folglich proportional zur Mas-se der Teilchen (je schwerer die Teilchen desto heftiger die Stoumlszlige) zum mittleren Geschwin-digkeitsquadrat (die Geschwindigkeit der Teilchen bestimmt zum einen die Haumlufigkeit zum anderen die Heftigkeit der Stoumlszlige) und zur Zahl der Teilchen pro Volumeneinheit (womit wie nach der idealen Gasgleichung zu erwarten P umgekehrt proportional zu V ist) Die Bedeutung der Temperatur im kinetischen Gasmodell ist dagegen zunaumlchst unklar Mit der idealen Gasgleichung P V = n R T ergibt sich aber durch Koeffizientenvergleich n R T = 13 n M csup2 oder R T = 13 M csup2 Man kann unter Nutzung beider Gasmodelle so zu einem neuen teilchenbezogenen Verstaumlnd-nis des Phaumlnomens Temperatur kommen Die Temperatur eines Gases ist demnach direkt proportional zum mittleren Geschwindigkeitsquadrat der Gasteilchen oder in anderen Worten zu deren kinetischer Energie 12 M csup2 Dies ist fuumlr das Verstaumlndnis des Phaumlnomens Temperatur von groszliger Bedeutung Man kann die Temperatur eines Gases also messen indem man (bei bekannter Masse der Teilchen) die Geschwindigkeit der Gasteilchen bestimmt Die Wurzel aus dem mittleren Geschwindigkeits-quadrat also die Groumlszlige c liegt uumlblicherweise in der Groumlszligenordnung der Schallgeschwindig-keit (zum Beispiel fuumlr Stickstoff bei Raumtemperatur c = 516 ms) und steht zu ihr in einer

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festen Beziehung Tatsaumlchlich laumlsst sich die Temperatur auch uumlber eine Messung der Schall-geschwindigkeit ermitteln Nachdem das mittlere Geschwindigkeitsquadrat der Teilchen bekannt ist stellt sich die Frage nach der Geschwindigkeitsverteilung der Teilchen Die Bewegungsenergie der Teilchen ist wie alle anderen Energieformen (zB elektronische Energie Schwingungsenergie) gequantelt Das bedeutet dass sich die Teilchen auf (hier dicht gestaffelte) Energieniveaus verteilen muumlssen Sie tun das nach einem statistischen Grundprinzip das Boltzmann-Verteilung genannt wird Demnach ist die Besetzung pi eines Energieniveaus i (egal welcher Art die Energie Ei ist) stets proportional zum so genannten Boltzmannfaktor des Zustand i Es gilt

pi ~ exp[-Ei(kBT)]

Die darin enthaltene Boltzmannkonstante kB ist nichts anderes als die allgemeine Gas-konstante R (siehe unter 32) dividiert durch die Zahl NL der Teilchen in einem Mol Substanz (kB = RNL) Das bedeutet die Besetzung eines Zustands ist umso wahrscheinlicher je niedriger dessen Energie ist Steigende Temperatur T hingegen erhoumlht die Wahrscheinlichkeit energiereicher Zustaumlnde Diese Gesetzmaumlszligigkeit gilt fuumlr die Besetzung aller auf atomarer oder molekularer Ebene gegebener Zustaumlnde in einem makroskopischen System Angewandt auf die Bewegungsenergie von Gasteilchen in einer einzelnen Raumrichtung x bedeutet das dass Teilchen mit hoher Geschwindigkeit vx weniger wahrscheinlich sind als solche mit niedriger Geschwindigkeit vx Allerdings steigt die Wahrscheinlichkeit des Auftretens groszliger Werte fuumlr vx mit steigender Temperatur Teilt man den Bereich der auftretenden Geschwindigkeiten in Intervalle auf und zaumlhlt man die Teilchen die gemaumlszlig ihrer Geschwindigkeit zu den einzelnen Intervallen zugeordnet werden koumlnnen so ergibt sich fuumlr die Geschwindigkeitsverteilung in vx und v das Bild das in Abb 22 oben dargestellt ist Die Verteilungsfunktionen fuumlr die Geschwindigkeiten in y- und z-Richtung sind identisch

n(vx)

vx-Intervall

n(vx)

vx-Intervall

Temperatur-erhoumlhung

- 0 +- 0 +n(v)

v-Intervall

Temperatur-erhoumlhung

0 +

n(v)

v-Intervall0 +

Abb 22 Verteilungsfunktionen einer eindimensionalen Geschwindigkeitskomponente (oben) und der Gesamtgeschwindigkeit (unten)

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Betrachtet man die Verteilung n(v) der Gesamtgeschwindigkeit v im dreidimensionalen Raum so wird das Bild komplizierter Bezuumlglich der drei Raumrichtungen x y und z sind weiterhin die kleinen Geschwindigkeiten wahrscheinlicher als die groszligen Da nun aber fuumlr eine groszlige Gesamtgeschwindigkeit v mehr Kombinationsmoumlglichkeiten vx vy vz existieren als fuumlr kleine Gesamtgeschwindigkeiten so wird die Wahrscheinlichkeit fuumlr sehr geringe Gesamtgeschwindigkeiten entsprechend kleiner fuumlr groszlige Gesamtgeschwindigkeiten entsprechend groumlszliger Der daraus resultierende Gewichtungsfaktor fuumlr jedes v ist die relative Flaumlche der Kugelschale mit dem Radius v Insgesamt ergeben sich dann die in Abb 22 unten dargestellten Verteilungsfunktionen fuumlr niedrige und hohe Temperaturen Die Verteilungsfunktionen in vx und v lauten (ohne Herleitung)

f(vx) = [M(2RT)]12 exp [-Mvxsup2(2RT)]

f(v) = 4 [M(2RT)]32 vsup2 exp [-Mvsup2(2RT)] Der Mittelwert von vx (oder jeder anderen eindimensionalen Geschwindigkeitskomponente) ist grundsaumltzlich Null Dagegen besitzt der Mittelwert von v stets eine endliche von Null verschiedene Groumlszlige Bei einer Erhoumlhung der Temperatur werden alle Verteilungsfunktionen breiter der Mittelwert von v vergroumlszligert sich Die Temperatur eines Gases aumluszligert sich also nicht nur im mittleren Geschwindigkeitsquadrat sondern auch in der Form der Geschwindigkeitsverteilungsfunktion Bei der Mischung von Gasen unterschiedlicher Temperatur muss um die oben genannte Forderung zu erfuumlllen aus der einfachen Summe von zwei Verteilungsfunktionen eine neue der Mischtemperatur ent-sprechende Verteilungsfunktion entstehen Dies ist nur unter der Annahme moumlglich dass ein Austausch kinetischer Energie unter den Teilchen erfolgen kann Diese Tatsache bedingt die eingangs gestellte Forderung nach Teilchenstoumlszligen also Wechselwirkungen zwischen den Teilchen Damit muumlssen die Gasteilchen aber auch ein gewisses Volumen besitzen den Teil-chen ohne Eigenvolumen koumlnnen prinzipiell nicht zusammenstoszligen Darin besteht der we-sentliche Unterschied zwischen einem Gas nach dem kinetischen Gasmodell und dem idealen Gas Das ideale Gas koumlnnte man theoretisch auf ein beliebig kleines Volumen komprimieren bei einem kinetischen Gas ist dies aufgrund des Eigenvolumens nicht moumlglich Ansonsten erlaubt das kinetische Gasmodell die vollstaumlndige Interpretation der idealen Gasgleichung

34 Die korrigierte Gasgleichung nach van der Waals JD van der Waals

Mithilfe des kinetischen Gasmodells laumlsst sich die Zustandsgleichung fuumlr Gase weiter verfeinern Zunaumlchst soll beruumlcksichtigt werden dass die Teilchen ein eigenes Volumen besitzen In erster Naumlherung geschieht dies indem man ein vom Eigenvolumen der Gas-teilchen abgeleitetes minimales Volumen des Gases (das so genannte Covolumen) definiert Das Covolumen beschreibt dasjenige Volumen des Gases das bei staumlndigem mechanischem Kontakt zwischen jeweils zwei Teilchen eingenommen wird wenn man den Teilchenpaaren jeweils den sie umschreibenden kugelfoumlrmigen Raum zuordnet (wegen der geringen Wahr-scheinlichkeit von Dreierstoumlszligen kann die Bildung von Dreiergruppen ausgeschlossen werden) Das molare Covolumen b entspricht wenn man eine einfache geometrische Uumlberlegung an-setzt dem vierfachen Eigenvolumen eines Mols der Gasteilchen Um das tatsaumlchliche freie

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Volumen zu erhalten muss das n-fache Covolumen vom gegebenen Volumen abgezogen werden Damit wird aus der idealen Gasgleichung P V = n R T die erste korrigierte Version P (V - n b) = n R T Im zweiten Schritt soll nun uumlber das kinetische Gasmodell hinausgehend auch die anziehen-de Wechselwirkung zwischen den Teilchen beruumlcksichtigt werden Die Anziehung zwischen den Teilchen sorgt nach van der Waals fuumlr einen zusaumltzlichen nach auszligen nicht messbaren bdquoBinnendruckldquo Dieser Binnendruck ist proportional zum Quadrat der Teilchendichte (nV)sup2 Der zwischen den Teilchen tatsaumlchlich wirkende nach auszligen ebenfalls unmessbare Gesamt-druck ist dann gegeben als

Pgesamt (unmessbar) = P (messbar) + a (nV)sup2

mit einer fuumlr die anziehende Wechselwirkung charakteristischen Konstante a Die danach korrigierte Version der Gasgleichung die van-der-Waals-Gleichung fuumlr reale Gase lautet

[P + a (nV)sup2] (V - nb) = n R T

Die Konstanten b und a besitzen fuumlr jedes reale Gas charakteristische Werte die dessen Eigenvolumen (die Groumlszlige der Elektronenhuumllle) und die Staumlrke der intermolekularen Wechsel-wirkungen reflektieren Beispiele

Gas a b

Argon 01345 Pa m6Molsup2 32210-5 msup3Mol Kohlendioxid 03592 Pa m6Molsup2 426710-5 msup3Mol Helium 00034 Pa m6Molsup2 23710-5 msup3Mol Stickstoff 01390 Pa m6Molsup2 391310-5 msup3Mol Wasser 05573 Pa m6Molsup2 31010-5 msup3Mol

Der Parameter b spiegelt mit der Einheit msup3Mol weitgehend die Groumlszlige der einzelnen Teilchen (Atome oder Molekuumlle) wider So besitzt erwartungsgemaumlszlig Kohlendioxid oder Argon einen groumlszligeren Wert fuumlr b als beispielsweise Helium Allerdings sind die Unterschiede erstaunlich klein was auf die Tatsache zuruumlckzufuumlhren ist dass sich das Covolumen auf Teilchenpaare bezieht und ein Paar aus Kohlendioxidmolekuumllen gegenuumlber einem Paar aus Heliumatomen nur etwa das doppelte Volumen benoumltigt

Der Parameter a mit der Einheit Pascal mal Molvolumen zum Quadrat reflektiert die Staumlrke der Wechselwirkungen zwischen den Teilchen Diese Wechselwirkungen beruhen zum groszligen Teil auf den elektrischen Eigenschaften der Teilchen Diese wiederum sind mit der elektronischen Struktur der Atome beziehungsweise der chemischen Bindungen verknuumlpft Am wichtigsten ist dabei das in Kapitel 19 erwaumlhnte Dipolmoment Polare Bindungen koumlnnen zu Teilchen mit permanenten Dipolen fuumlhren (zB HF Wasser Ammoniak CO) Andere Molekuumlle oder Atome sind zwar unpolar koumlnnen aber spontan oder durch aumluszligere

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elektrische Felder polarisiert werden (zB He Ar molekularer Wasserstoff molekulares Chlor) Man spricht dann von polarisierbaren Teilchen mit einem spontanen Dipolmoment oder mit einem durch ein aumluszligeres Feld bewirkten induzierten Dipolmoment In all diesen Faumlllen sind anziehende Wechselwirkungen zwischen den Teilchen moumlglich die in dem Parameter a zusammengefasst werden Daruumlber hinaus koumlnnen sich auch voruumlbergehende chemische Bindungen ausbilden Das prominenteste Beispiel fuumlr diesen Fall ist die bekannte Wasserstoffbruumlckenbindung die bei polaren X-H-Bindungen auftreten kann Im Einzelnen werden demnach folgende Arten von Wechselwirkungen mit absteigender Intensitaumlt unter-schieden

a) Wasserstoffbruumlckenbindung X-H hellip Y Hierbei bildet sich voruumlbergehend eine chemische Bindung zwischen dem polar gebundenen Wasserstoff und einem elektronegativen und mit einem freien Elektronenpaar ausgestatteten Element Y

b) Wechselwirkungen zwischen permanenten Dipolen hier besitzen alle Teilchen ein permanentes Dipolmoment Zwischen den entgegengesetzt geladenen Enden der Teilchen bauen sich dann konstant anziehende elektrostatische Wechselwir-kungen auf

c) Wechselwirkungen zwischen permanenten und induzierten Dipolen die Teil-chen mit permanentem Dipolmoment induzieren ein voruumlbergehendes Dipol-moment bei den benachbarten (zunaumlchst unpolaren) Teilchen In der Folge ergibt sich eine anziehende elektrostatische Wechselwirkung

d) Wechselwirkungen zwischen induzierten Dipolen durch spontane Polarisierung eines Teilchens entsteht ein voruumlbergehendes Dipolmoment welches bei einem benachbarten Teilchen eine Polarisierung hervorruft In der Folge ergibt sich eine kurzfristige und sehr schwache elektrostatische Anziehung zwischen den Teilchen Man spricht dabei auch von der Dispersionswechselwirkung oder der Londonschen Wechselwirkung

Alle diese Effekte sind anziehender Natur und gehen damit in den Parameter a ein Fasst man die beiden Parameter a und b zusammen so entsteht mit der van-der-Waals-Gleichung eine recht zuverlaumlssige Zustandsgleichung fuumlr reale Systeme die sowohl die abstoszligenden als auch die anziehenden Wechselwirkungen beruumlcksichtigt

Ein guter Test fuumlr diese reale Zustandsgleichung ist die Berechnung eines Diagramms von P gegen V fuumlr verschiedene Temperaturen das so genannte P-V-Diagramm und die Gegen-uumlberstellung mit dem entsprechenden experimentellen P-V-Diagramm eines realen Gases Gemaumlszlig der van-der-Waalsrsquoschen Gleichung existieren abhaumlngig von der betrachteten Tempe-ratur drei Typen von Isothermen (Abb 23 links) solche die einer Hyperbel aumlhneln (1) eine einzelne Isotherme die einen Wendepunkt mit waagrechter Tangente besitzt (2) und solche die ein Minimum ein Maximum und einen Wendepunkt aufweisen (3) Das experimentell beobachtete Verhalten stimmt in den ersten beiden Faumlllen recht gut uumlberein weicht aber bei Isothermen des dritten Typs deutlich vom berechneten Verlauf ab (Abb 23 rechts)

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P

V

PV-Diagramm nachvan-der-Waals-Gleichung

1 2

3

P

V

3

experimentell bestimmtesPV-Diagramm f reales Gas

Abb 23 PV-Diagramme fuumlr reale Gase berechnet nach van der Waals (links) und experimentell bestimmt (rechts) Die drei typischen Formen der Isothermen (1 2 und 3) sind im Text beschrieben

Offensichtlich beschreibt die van-der-Waals-Gleichung das Verhalten eines realen Gases in der Umgebung des Wendepunkts weniger gut Experimentell stellt man allerdings fest dass in diesem Bereich tatsaumlchlich auch kein reines Gas sondern vielmehr eine Mischung aus einem Gas und einer kondensierten Fluumlssigkeit also ein Zweiphasenzustand vorliegt Dieser Zwei-phasenbereich beginnt am Wendepunkt der Isothermen des Typs 2 und schlieszligt alle Minima Maxima und Wendepunkte der Isothermen des Typs 3 ein (Abb 24 links)

P

V

Zweiphasen-gebiet

P

V

Zweiphasen-gebiet

Maxwell-Maxwell-KorrekturKorrektur

Zweiphasen-Gebiet

Zweiphasen-Gebiet

A1

A2

Abb 24 PV-Diagramme fuumlr reale Gase mit eingezeichnetem Zweiphasengebiet Der in diesem Bereich bei der Beschreibung nach van der Waals gegebene Fehler kann in guter Naumlherung durch die Maxwell-Korrektur kompensiert werden

Eine einfache Korrektur der van-der-Waals-Gleichung ermoumlglicht eine realistische Beschrei-bung des Zweiphasengebiets Eine horizontale Gerade wird so in der Naumlhe des Wendepunktes gelegt dass die oberhalb und unterhalb der Geraden im Zweiphasenbereich gebildeten Teilflaumlchen A1 und A2 die gleiche Groumlszlige besitzen (sog Maxwell-Korrektur s Abbildung 24 rechts) Dies sieht zwar nach einer etwas willkuumlrlichen Hilfskonstruktion aus trotzdem laumlsst sich damit das Verhalten eines realen Gases im Zweiphasengebiet sehr gut nachvollziehen und vorhersagen Eine besonders ausgewiesene Position im PV-Diagramm eines realen Gases ist der Scheitel-punkt des Zweiphasengebiets der durch den Wendepunkt der Isotherme des Typs 2 gebildet wird (Abb 25)

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P

V

Zweiphasen-gebiet Tc

Pc

Vc

kritischer Punkt

Jedes reale Gas besitzt einen sogenannten kritischenPunkt der durch die kritischen Zustandsgroumlszligen Tc Pc undVc beschrieben wird Die kritische Temperatur Tc istdiejenige Temperatur bei der sich ein Gas unter Druckgerade noch verfluumlssigen laumlszligt Oberhalb der kritischenTemperatur existiert kein fluumlssiger Zustand Derentsprechende Druck Pc wird als kritischer Druckbezeichnet

Die Isotherme die der kritischen Temperatur zugeordnetist besitzt als einzige einen Wendepunkt mit horizontalerTangente der gleichzeitig den kritischen Punkt markiert

Abb 25 PV-Diagramm fuumlr ein reales Gas mit kritischem Punkt

Dieser sogenannte kritische Punkt wird durch die kritische Temperatur Tc den kritischen Druck Pc und das kritische Molvolumen Vc festgelegt Zustaumlnde oberhalb des kritischen Punkts nennt man uumlberkritisch Uumlberkritisches Kohlendioxid besitzt in der Technik groszlige Bedeutung fuumlr das Loumlsen und Ausfaumlllen von pharmazeutischen Wirkstoffen (zB Aspirin fuumlr Brausetabletten) fuumlr die Extraktion (zB bei der Entkoffeinierung von Kaffee) oder zur chemischen Reinigung von Textilien

35 Andere Zustandsgleichungen fuumlr reale Gase

Neben der van-der-Waals-Gleichung existieren weitere Ansaumltze zur Beschreibung realer Gase die zwar eine genauere Anpassung an die gemessenen Werte ermoumlglichen aber auch kompli-zierter sind oder mehr Arbeit bei der Bestimmung der charakteristischen Parameter erfordern Im Folgenden seien als Beispiele die Berthelot-Gleichung und die Virialgleichung erwaumlhnt

a Berthelot-Gleichung (P + (Ansup2)(TVsup2) ) (V - nB) = n R T Berthelot fuumlhrte damit als Besonderheit einen temperaturabhaumlngigen Binnendruck ein Dies ist insoweit physikalisch gerechtfertigt als die vermehrte thermische Bewegung der Ausbildung von Wechselwirkungen zwischen den Molekuumllen entgegenwirken kann

b Virialgleichung P Vm = A + B P + C Psup2 + D Psup3 + Mit Vm = Vn Die Virialgleichung nutzt die Tatsache dass sich fast alle physikalischen Zusammenhaumlnge uumlber einen Potenzreihenansatz a + bx + cxsup2 + dxsup3 + hellip beliebig genau annaumlhern lassen Je nach Anzahl der anpassbaren Parameter ist zwar eine beliebig genaue Beschreibung des realen Gases moumlglich allerdings steigt auch der Aufwand fuumlr die Bestim-mung aller Koeffizienten

36 Beschreibung von Fluumlssigkeiten

Im PV-Diagramm der realen Gase schlieszligt sich links vom Zweiphasengebiet der Bereich der fluumlssigen Phase an Sie zeichnet sich dadurch aus dass mit sinkendem Volumen der Druck ex-trem steil ansteigt Das bedeutet dass bereits eine geringfuumlgige Volumenabnahme mit einem aumluszligerst groszligen Druckanstieg verbunden ist In der Praxis hat das zur Folge dass Fluumlssigkeiten im Gegensatz zu Gasen kaum komprimierbar sind ihre Kompressibilitaumlt geht gegen Null Auch ist die Ausdehnung der Fluumlssigkeiten bei steigender Temperatur und bei konstantem

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Druck (der thermische Ausdehnungskoeffizient) sehr viel kleiner als bei Gasen Eine einfache allgemeine Zustandsgleichung fuumlr die fluumlssige Phase in Analogie zur idealen oder zur van-der-Waals-Gleichung existiert nicht Stattdessen findet man bei der experimentellen Bestimmung des Zusammenhangs zwischen P V und T fuumlr jede Fluumlssigkeit ein sehr charakteristisches Verhalten Vergleicht man die Messergebnisse verschiedener Fluumlssigkeiten untereinander so sind kaum Aumlhnlichkeiten auszumachen Daruumlber hinaus sind bestimmte Messungen (zB die Messung der Abhaumlngigkeit des Drucks vom Volumen bei konstanter Teilchenzahl und Temperatur) technisch sehr schwer zu realisieren Das Fehlen einer einheitlichen Zustandsgleichung V(TPn) fuumlr Fluumlssigkeiten liegt auch in deren komplexer Struktur begruumlndet Betrachtet man ein einzelnes Teilchen in der Fluumlssigkeit so liegt es bezuumlglich der Abstaumlnde zu seinen naumlchsten Nachbarn stets in der Naumlhe des Mini-mums einer Potentialkurve Epot(r) die einen sehr steilen Verlauf besitzt Die Abstaumlnde zu den benachbarten Teilchen sind damit nahezu fixiert folglich ist eine unabhaumlngige Translations-bewegung einzelner Teilchen praktisch unmoumlglich Stattdessen verlaufen alle Bewegungs-prozesse mehr oder weniger kollektiv also unter gleichzeitiger Verschiebung mehrerer Teilchen Daruumlber hinaus gibt es keine nennenswerten freien Volumina so dass der mittlere Abstand der Teilchen nur unwesentlich verringert werden kann ein Umstand der sich in der bereits erwaumlhnten geringen Kompressibilitaumlt aumluszligert Ein Modell fuumlr eine allgemeine Fluumlssigkeit laumlsst sich im Rahmen einer Computersimulation einfuumlhren Man betrachtet dabei einen wuumlrfelfoumlrmigen Raum der einen Ausschnitt aus dem Fluumlssigkeitsvolumen darstellen soll und eine endliche Anzahl n von Fluumlssigkeitsteilchen (zB n = 1000) enthaumllt Um die Zahl der Teilchen konstant zu halten und dabei trotzdem deren Beweglichkeit zu wahren wird eine Kontinuitaumltsbedingung eingefuumlhrt Jedes Teilchen das im Rahmen der Bewegungsprozesse den Wuumlrfel an einer gegebenen Stelle verlaumlsst tritt automatisch an der genau gegenuumlberliegenden Position des Wuumlrfels wieder ein Auf diese Weise ist gewaumlhrleistet dass die Zahl der Teilchen im Wuumlrfel konstant bleibt (Abb 26)

Abb 26 Simulation von Bewegungs-vorgaumlngen in einem Fluumlssigkeitsvolumen unter Wahrung einer konstanten Partikel-anzahl Jedes Teilchen das im Rahmen der Bewegungsprozesse den Wuumlrfel an einer gegebenen Stelle verlaumlsst tritt automatisch an der genau gegenuumlberliegenden Position des Wuumlrfels wieder ein

An diesem System fuumlhrt man nun eine so genannte Monte-Carlo-Simulation durch Dabei setzt ein Zufallsgenerator eine geringfuumlgige Verschiebung eines beliebigen einzelnen Teil-chens in Gang Anschlieszligend wird unter Verwendung des bekannten Potentialverlaufs Epot(r) berechnet wie sich nach der Verschiebung die potentielle Energie des Systems veraumlndert hat Danach entscheidet das Simulationsprogramm zwischen zwei Moumlglichkeiten

- Hat sich die gesamte potentielle Energie des Systems durch die Verschiebung verringert oder blieb sie konstant so wird die Verschiebung akzeptiert und der naumlchste Schritt berechnet - Hat sich die gesamte potentielle Energie durch die Verschiebung um den positiven Wert E erhoumlht so wird die Verschiebung mit einer Wahrscheinlichkeit die von E abhaumlngt akzeptiert und ansonsten verworfen Danach wird der naumlchste Schritt berechnet

Auf diese Weise kann man fuumlr beliebige Fluumlssigkeiten sowohl die typischen Bewegungs-prozesse als auch die einflussbedingten Veraumlnderung von Zustandsgroumlszligen (zB P in Ab-

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haumlngigkeit von V) berechnen Allerdings sind die Rechnungen bei den fuumlr eine realistische Beschreibung eines Fluumlssigkeitsvolumens notwendigen groszligen Teilchenzahlen sehr aufwaumlndig und zeitintensiv

37 Beschreibung von Festkoumlrpern

Begibt man sich im P-V-Diagramm vom fluumlssigen Zustand ausgehend noch weiter nach links (zu kleineren Volumina houmlheren Drucken und niedrigeren Temperaturen) so erreicht man den festen Zustand Die Problematik der Zustandsgleichung V(TPn) von Festkoumlrpern aumlhnelt jener der Fluumlssigkeiten Auch hier sind die Kompressibilitaumlten und die thermischen Aus-dehnungskoeffizienten uumlblicherweise sehr viel geringer als bei Gasen Ebenso wie bei Fluumls-sigkeiten sind dabei die Unterschiede zwischen einzelnen Vertretern der Festkoumlrper recht groszlig so dass keine gemeinsame Zustandsgleichung wie bei Gasen formuliert werden kann Im Vergleich mit den Werten der Fluumlssigkeiten sind die Kompressibilitaumlten und die thermischen Ausdehnungskoeffizienten der Festkoumlrper durchschnittlich nochmals um etwa zwei Groumlszligen-ordnungen geringer

Abb 27 Torsionsexperiment zur Unterscheidung zwischen Fluumlssigkeiten und Festkoumlrpern (s Text)

Der wesentliche Unterschied zwischen Festkoumlrpern und Fluumlssigkeiten besteht allerdings in ihrem gegensaumltzlichen Verhalten bezuumlglich Verformung waumlhrend Fluumlssigkeiten einer gege-benen Verformung durch ihre Zaumlhigkeit (Viskositaumlt) Widerstand leisten reagiert ein Fest-koumlrper auf eine Verformung durch eine elastische Deformation Dieses Verhalten wird in einem Torsionsrheometer deutlich wobei eine feste oder fluumlssige Probe periodisch mit einer torsionsartigen Verformung beaufschlagt wird (Abb 27) Waumlhrend der Drehmomentverlauf des Festkoumlrpers exakt gleichphasig zur periodischen Aus-lenkung erfolgt (elastische Verformung) ist der Drehmomentverlauf der Fluumlssigkeit dazu um ein Viertel einer Wellenlaumlnge phasenverschoben (viskose Reaktion) Bei Fluumlssigkeiten ist der Widerstand dann maximal wenn die Deformationsgeschwindigkeit maximal ist (blaue Linie

t

Dre

hmom

entv

erla

uf

tAusl

enku

ng

Festkoumlrper

t

Dre

hmom

entv

erla

uf

Fluumlssigkeiten

Pruumlfkoumlrper

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in Abb 26) Bei Festkoumlrpern ist die Kraft dann maximal wenn der Deformationszustandmaximal ist (rote Linie in Abb 27) Viele Festkoumlrper stellen Uumlbergaumlnge zwischen diesen beiden Extremfaumlllen dar und werden dann als viskoelastisch bezeichnet Aus der Betrachtung von Messergebnissen an einer Viel-zahl von Materialien geht hervor dass eine eindeutige Abgrenzung zwischen dem fluumlssigen und dem festen Zustand selten moumlglich ist Entsprechend gibt es auch unterschiedliche Strukturmodelle die teilweise das elastische Verhalten teilweise das plastische Verhalten von Festkoumlrpern erklaumlren Dem elastischen Festkoumlrper mit nahezu verschwindender Phasen-verschiebung wird am ehesten das Modell eines idealen Kristalls gerecht Man geht dabei davon aus dass jedes Atom bzw Molekuumll aus dem der Festkoumlrper zusammengesetzt ist sich an einem geometrisch festgelegten Gitterpunkt befindet von dem es sich nicht entfernen kann Als Bewegungsprozess ist dabei lediglich eine Schwingung mit begrenzter Amplitude moumlglich Die denkbaren Geometrien der Gitterstrukturen reichen von primitiv-kubischen Gittern (zB Natriumchlorid) uumlber kubisch-dichteste (zB Silber Kupfer) und hexagonal-dichteste Kugelpackungen (zB Magnesium Zink) bis zur kubisch-raumzentrierten Struktur (zB Eisen Molybdaumln) Haumlufig findet man leichte Abweichungen von der idealen Gitter-struktur die durch lokale Stoumlrungen hervorgerufen werden Akzeptiert man gewisse Anteile an viskosem Verhalten (dh eine leichte Phasenverschiebung) so begibt man sich in den Grenzbereich zwischen Festkoumlrpern und Fluumlssigkeiten In einem Material wie Glas ist die regelmaumlszligige Anordnung eines Gitters nicht gegeben die Atome sind unregelmaumlszligig positioniert und koumlnnen unter Belastung auch flieszligen Solche nicht-kristallinen Festkoumlrper bezeichnet man als amorph Typische Vertreter amorpher Feststoffe sind Fenster-glas viele transparente Kunststoffe (zB Plexiglas Polyester in Getraumlnkeflaschen) Wachs und Aumlhnliches Amorphe Festkoumlrper besitzen keinen Schmelzpunkt sondern erweichen bei steigender Temperatur allmaumlhlich Amorphe Festkoumlrper koumlnnen nachtraumlglich kristallisieren wobei sich haumlufig das aumluszligere Erscheinungsbild und die physikalischen Eigenschaften drastisch aumlndern (zB Plastikfolie unter Zug)

38 Das Phasendiagramm

Die drei wichtigsten Phasenzustaumlnde zu denen sich eine makroskopische Gesamtheit von Atomen oder Molekuumllen zusammenfinden koumlnnen sind also Gase Fluumlssigkeiten und Festkoumlrper Die Frage ist nun unter welchen Bedingungen sich ein System fuumlr den ersten den zweiten oder den dritten Zustand entscheidet Erfahrungsgemaumlszlig haumlngt der gegebene Phasenzustand von den in Kapitel 31 eingefuumlhrten Zustandsparametern n V P und T ab Legt man die Stoffmenge n auf einen Wert fest (zB auf ein Mol Teilchen) und beruumlcksichtigt man dass nach den gegebenen Zustandsgleichungen die Groumlszligen n V P und T miteinander verknuumlpft sind so genuumlgen zwei Parameter um den jeweils guumlnstigsten Phasenzustand eindeutig festzulegen Ein Diagramm bei dem einer der Parameter V P und T gegen einen anderen aufgetragen wird eignet sich also prinzipiell um bei einer gegebenen Teilchenart den unter diesen Bedingungen jeweils angestrebten Phasenzustand zu markieren So kann man gemaumlszlig den Abbildungen 23 bis 25 in einem Diagramm bei dem P gegen V aufgetragen wird schon den jeweils gegebenen Phasenzustand eintragen und ablesen In der Praxis eignen sich solche PV-Diagramme allerdings wenig um Phasenzustaumlnde zu markieren der gasfoumlrmige Zustand nimmt einen sehr breiten Raum ein waumlhrend der fluumlssige und der feste Zustand in dem sehr engen Bereich links neben dem Zweiphasengebiet bdquoeingequetschtldquo waumlre Vor allem in diesem Umfeld waumlre das Diagramm schwer ablesbar

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Wesentlich guumlnstiger ist dagegen die Auftragung vom Druck P gegen die Temperatur T In diesem PT-Diagramm das auch als Phasendiagramm bezeichnet wird lassen sich alle Phasenzustaumlnde uumlbersichtlich zuordnen Dabei bezeichnen Flaumlchenanteile im PT-Diagramm die unter den gegebenen Druck- und Temperaturbedingungen angestrebte Phase (zB fest fluumlssig gasfoumlrmig) waumlhrend Linien die dazwischen vorliegenden Gleichgewichte markieren und Phasengrenzlinien genannt werden (Abb 28)

T

Pfe

st

fluumlss

ig

gasfouml

rmig

kritischerPunkt

Tripel-punkt

Phasengrenzlinie

Abb 28 Phasendiagramm mit Auftragung des Drucks (P) gegen die Temperatur (T)

Auszligerdem enthaumllt ein Phasendiagramm gewoumlhnlich mindestens zwei besonders ausgezeich-nete Punkte den Tripelpunkt an dem die drei im Allgemeinen wichtigsten Phasenzustaumlnde fest fluumlssig und gasfoumlrmig miteinander im Gleichgewicht stehen und den bereits aus dem PV-Diagramm bekannten kritischen Punkt der das Ende eines definierten Uumlbergangs zwischen fluumlssiger und gasfoumlrmiger Phase markiert Beispiele fuumlr Phasendiagramme Kohlen-dioxid und Wasser sind in Abbildung 29 und 30 wiedergegeben

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T

P

fest

fluumlss

iggasfoumlrmig

kritischerPunkt

Tripel-punkt

2168 K

511 bar

CO2

3042 K

728 bar

Abb 29 Phasendiagramm fuumlr Kohlendioxid

T

P

fluumlss

ig

gasfoumlrmig

kritischerPunkt

H2O

Eis 1

Eis 1

Eis 2 Eis 3

Eis 5

Eis 6

Tripelpunkt6473 K

218 bar

6 mbar 27316 K

Abb 30 Phasendiagramm fuumlr Wasser Der Bereich oberhalb von 200 bar ist aus Gruumlnden der

Uumlbersichtlichkeit entlang der P-Achse komprimiert dargestellt

Eine wichtige Besonderheit des Phasenverhaltens von Wasser ist die Tatsache dass die Phasengrenzlinie zwischen fluumlssigem Wasser und Eis 1 eine negative Steigung aufweist Dies hat zur Folge dass gewoumlhnliches Eis durch Erhoumlhung des Drucks zum Schmelzen gebracht werden kann Dieser Umstand ist eine der Ursachen dafuumlr dass eine Kufe auf Eis gleitet da der durch das Schmelzen entstehende Wasserfilm die Reibung vermindert (allerdings spielt hier auch die Reibungswaumlrme eine Rolle) Der Grund fuumlr dieses Verhalten steht in direkter Verbindung mit der strukturbedingten Volumenabnahme beim Schmelzen von Eis (s Videos unter httpwwwyoutubecomwatchv=6s0b_keOiOU und httpswwwyoutubecomwatchv=CDTZoFGmZoc )

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Waumlhlt man in einem Phasendiagramm eine Kombination von Druck und Temperatur so kann man direkt denjenigen Phasenzustand ablesen den die gegebene Teilchenart unter diesen Bedingungen anstrebt Das heiszligt jedoch nicht dass dieser Zustand dann auch in jedem Fall und zu jeder Zeit vorliegt Haumlufig beobachtet man eine so genannte kinetische Hemmung einer Phasenumwandlung So gibt es unterkuumlhlte Fluumlssigkeiten (zB Regentropfen bei -3degC) genauso wie unterkuumlhlte Dampfphasen (zB uumlbersaumlttigten Wasserdampf in Gewitterwolken) oder uumlberhitzte Fluumlssigkeiten (zB uumlberhitztes Wasser bei einem Siedeverzug) Kristalli-sationskeime wie Staubkoumlrner koumlnnen Phasenumwandlungen beschleunigen (zB durch Staub verursachter bdquoIndustrieschneeldquo) Bisher wurden lediglich Phasendiagramme von reinen Stoffen betrachtet die nur aus einer einzelnen Sorte Atomen oder Molekuumllen bestehen Mischt man einem gegebenen Stoff eine weitere Komponente hinzu so aumlndert sich das Phasendiagramm erheblich Als Beispiel betrachten wir ein System in dessen fluumlssiger Phase ein Fremdstoff A geloumlst wird der weder im Festkoumlrper noch im der Gasphase loumlslich ist (zB Kochsalz in Wasser) In diesem Fall dehnt sich der fluumlssige Bereich des Phasendiagramms mit steigender Konzentration von A in alle Richtungen aus so dass gleichzeitig der Schmelzpunkt erniedrigt der Siedepunkt erhoumlht und der Dampfdruck verringert wird (Abb 31) In erster Naumlherung sind alle genannten Aumlnderungen proportional zu cA

T

P

fest

fluumlss

ig

gasfouml

rmig

Abb 31 Phasendiagramm fuumlr ein System in dessen fluumlssiger Phase ein Fremdstoff mit steigender

Konzentration cA geloumlst wird Der Bereich der fluumlssigen Phase dehnt sich daraufhin in alle

Richtungen aus

Bei weiter steigender Konzentration von A kann ein Punkt erreicht werden an dem die Mischung in zwei getrennte Bereiche zerfaumlllt die ebenfalls als Phasen bezeichnet werden (zB Olivenoumll und Wasser) Eine dieser Phasen besitzt dann einen hohen Loumlsemittelanteil bei geringer Konzentration von A die andere besteht aus einem hohen Anteil an A mit einem geringen Gehalt an Loumlsemittel Dieser Vorgang der Phasenseparation binaumlrer (aus zwei Komponenten bestehender) Systeme wird durch eine andere Art von Phasendiagramm beschrieben dem so genannten Mischphasendiagramm (Abb 32) Hierbei wird die Tempe-

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ratur dem relativen Anteil einer Komponente gegenuumlbergestellt der Druck wird als konstant angenommen

Abb 32 Allgemeine Darstellung eines Mischphasendiagramms

Grundsaumltzlich gibt die linke Flanke der Phasentrennlinie (links des kritischen Punkts) die Zusammensetzung der bdquoA-armenldquo Phase an waumlhrend die rechte Flanke (rechts des kritischen Punkts) die Zusammensetzung der A-reichen Phase beschreibt Die Mengen der dabei gebildeten Phasen koumlnnen nach dem so genannten Hebelgesetz berechnet werden Demnach gilt zwischen dem Anteil n1 der A-armen Phase 1 dem Anteil n2 der A-reichen Phase 2 und den Laumlngen der Pfeile s1 und s2 in der vorhergehenden Abbildung folgender Zusammenhang

n1 s1 = n2 s2

Fuumlr das gezeigte Beispiel wuumlrde das bedeuten dass der Anteil der Phase 1 etwa doppelt so groszlig waumlre wie der Anteil der Phase 2 In der Naumlhe der beiden Raumlnder des Diagramms also fuumlr xA 0 (sehr wenig A im Loumlsemittel) oder xA 1 (sehr wenig Loumlsemittel in A) liegen in den meisten Faumlllen einphasige homogene Mischungen vor Das besagt dass auch bei niedrigen Temperaturen ein wenig von dem Stoff A im Loumlsemittel bzw ein wenig Loumlsemittel im Stoff A loumlslich ist Der im Diagramm eingezeichnete kritische Punkt bedeutet dass oberhalb der dazugehoumlrigen kritischen Temperatur keine Entmischung mehr erfolgt dh hier sind die beiden Komponenten vollstaumlndig und in jedem Verhaumlltnis miteinander mischbar Neben solchen oberen kritischen Punkten gibt es auch untere kritische Punkte Im zweiten Fall gilt dass die beiden Komponenten unterhalb einer bestimmten Temperatur in jedem Verhaumlltnis miteinander mischbar sind Im Allgemeinen koumlnnen die drei verschiedenen Faumllle auftreten die in Abbildung 33 dargestellt sind

0 Molenbruch xA der Komponente A 1

Tem

pera

tur

obere kritischeTemperatur

Einphasen-gebiet

Zweiphasen-gebiet

Beispiel xA = 04

T1

Zum gezeigten Beispiel

Eine Mischung mit dem Molenbruch xA = 04 wird von T2 nach T1 abgekuumlhltDabei zerfaumlllt die Mischung bei Tklsquo in zwei Phasen derenZusammensetzung bei T1auf der x-Achse an den Punkten 1 und 2 ablesbar ist

T2

Tklsquo

1 2

kritischer Punkt

s1 s2

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0 xA 1

Tem

pera

tur

System mit oberem kritischen Punkt

kritischer Punkt

0 xA 1Te

mpe

ratu

r

System mit unterem kritischen Punkt

kritischer Punkt

0 xA 1

Tem

pera

tur

System mit oberem und unterem

kritischen Punkt

kritischer Punkt

kritische Punkte

Abb 33 Moumlgliche Varianten von kritischen Punkten bei Systemen aus zwei Komponenten

Obere kritische Punkte findet man dann wenn sich die molekulare thermische Bewegung gegen die Tendenz der Molekuumlle sich mit gleichartigen Molekuumllen zusammenzulagern durchsetzt Dieses Phaumlnomen ist sehr verbreitet so dass ein oberer kritischer Punkt bei sehr vielen Mischphasen beobachtet wird Untere kritische Punkte sind sehr viel seltener Sie treten beispielsweise dann auf wenn die beiden Komponenten miteinander bei tiefen Temperaturen einen Komplex bilden der bei houmlheren Temperaturen wieder zerfaumlllt und dann zu einer Phasenseparation fuumlhrt Ein Beispiel dafuumlr ist die Mischung aus Wasser und Triethylamin

Fuumlr Mischphasen aus drei Komponenten so genannte ternaumlre Mischungen sind die bisher gezeigten Darstellungen ungeeignet Hierfuumlr haben sich Dreiecksdiagramme (Gibbssches Phasendreieck) durchgesetzt die das Phasenverhalten unter Variation der Mengenbeitraumlge aller drei Komponenten aufzeigen (Abb 34) Das Diagramm ist so geartet dass die Summe aller drei Mengenanteile xA xB und xC in jedem Fall den Wert 1 ergibt Damit besitzt die Zusammensetzung des ternaumlren Gemisches zwei Freiheitsgrade Jede Linie die durch eine Ecke des Diagramms fuumlhrt verbindet diejenigen Punkte bei denen das Verhaumlltnis zweier Komponenten gleich ist Jede Linie die parallel zu einer der drei Seiten verlaumluft entspricht Gemischen bei denen der relative Anteil einer Komponente gleich bleibt

00 02 04 06 08 10Komponente A

00

02

04

06

08

10

Kom

pone

nte

B

0002

04

06

08

10

Komponente C

C

A

B

00 02 04 06 08 10Komponente A

00

02

04

06

08

10

Kom

pone

nte

B

00

02

04

06

08

10

Komponente C

x1

x2x

Abb 34 Prinzip eines ternaumlren Phasendiagramms nach Gibbs (Dreiecksdiagramm)

In solche ternaumlren Mischphasendiagramme lassen sich nun entsprechend den binaumlren Mischphasendiagrammen die Ein- und Zweiphasengebiete einzeichnen Das Diagramm in

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Abb 34 rechts gilt zB fuumlr eine ternaumlre Mischung aus A B und C bei der die Komponenten A und B sowie B und C jeweils paarweise in jedem Verhaumlltnis miteinander mischbar sind Die Komponenten A und C sollen dagegen nur begrenzt mischbar sein Als Konsequenz daraus ergibt sich ein Dreiecksdiagramm das an der unteren Achse die dem Anteil 0 der Komponente B entspricht ein Zweiphasengebiet aufweist

Die Hilfslinien im Zweiphasengebiet markieren die Zusammensetzung der entstehenden Einzelphasen So wuumlrde beispielsweise eine Mischung deren Zusammensetzung im Diagramm durch den Punkt x markiert ist in die beiden Phasen x1 und x2 zerfallen Die Mengenanteile der beiden Phasen koumlnnten dabei wieder uumlber das Hebelgesetz berechnet werden Um zusaumltzlich den Einfluss der Temperatur wiederzugeben muss eine weitere Koordinate eingefuumlhrt werden Man erhaumllt dabei ein dreidimensionales Dreiecksdiagramm das haumlufig unter Verwendung von Houmlhenlinien nach der Art einer topographischen Landkarte dargestellt wird Jede Houmlhenlinie des Zweiphasengebiets umschreibt dann seine Ausdehnung bei einer gegebenen Temperatur

Fragt man bei einem System mit bestehenden Randbedingungen nach der Zahl der frei variierbaren Zustandsgroumlszligen also nach der Zahl der Freiheitsgrade so haumlngt die Antwort zunaumlchst davon ab in welchem Phasenzustand sich das System befindet So kann man beispielsweise in der Gasphase (bei festgelegter Stoffmenge) Temperatur und Druck frei waumlhlen wodurch dann automatisch das Volumen festgelegt wird Gleiches gilt fuumlr die feste und die fluumlssige Phase Das System hat innerhalb eines Phasenzustands also zwei Freiheits-grade Setzt man allerdings voraus dass sich das System in einem Gleichgewicht zwischen zwei Phasen befindet (zB auf der Verdampfungslinie) so besitzt es nur einen Freiheitsgrad Am Tripelpunkt schlieszliglich bei einem Gleichgewicht zwischen drei Phasen sind keine Freiheitsgrade mehr vorhanden Zwischen der Zahl der Phasen P und der Zahl der Freiheitsgrade F gibt es also folgende einfache Beziehung

F = 3 - P

Beruumlcksichtigt man weiter dass auch mehr als eine Komponente auftreten kann (Zahl der Komponenten C gt 1) so erhoumlht sich die Zahl der Freiheitsgrade um jede zusaumltzliche Komponente deren Konzentration ja frei waumlhlbar ist um den Wert eins Man erhaumllt damit

F = 3 - P + (C - 1) oder F = C - P + 2

Nach dieser allgemeinguumlltigen Formel der so genannten Gibbsrsquoschen Phasenregel laumlsst sich die Zahl der Freiheitsgrade in jedem beliebigen System bestimmen Sie erlaubt insbesondere bei sehr komplizierten Mischungen mit einer unbekannten Anzahl an Phasenzustaumlnden uumlber eine einfache Betrachtung Ruumlckschluumlsse auf deren Phasenverhalten

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3 Das Zusammenwirken von Atomen und Molekuumllen 31 Der makroskopische Zustand von Materie Bisher sind nur einzelne Bausteine der Materie also Atome und Molekuumlle betrachtet worden Nun soll das makroskopische Erscheinungsbild von Materie ins Auge gefasst werden die aus einer Vielzahl von Atomen oder Molekuumllen besteht Um den Zustand dieser aus vielen Teilchen zusammengesetzten Materie uumlberhaupt als Gesamtheit zu beschreiben benoumltigt man zunaumlchst so genannte Zustandsparameter oder Zustandsgroumlszligen Die wichtigsten Vertreter dieser Kenngroumlszligen fuumlr makroskopische Materie sind die Stoffmenge n das Volumen V der Druck P und die Temperatur T

n Stoffmenge Die Stoffmenge wird uumlber die Teilchenzahl definiert

Einheit der Teilchenzahl 1 Mol

Definition Ein Mol eines Stoffes enthaumllt dieselbe Anzahl an Teilchen wie 0012 kg reiner Kohlenstoff des Isotops 12C (1 Mol 60221023

Teilchen) Dabei muss eindeutig festgelegt sein was unter einem Teilchen des Stoffes jeweils zu verstehen ist Ist die Stoffmenge konstant so spricht man von einem geschlossenen System

V Volumen Die Definition des Volumens erfolgt uumlber die festgelegte Laumlngeneinheit und den geometrischen Volumenbegriff

Einheit des Volumens 1 msup3

Definition Ein msup3 ist das Volumen eines wuumlrfelfoumlrmigen Raums mit einer Kantenlaumlnge von einem Meter Ist das Volumen konstant so spricht man von einem isochoren Vorgang

P Druck Die Definition erfolgt uumlber die Kraft die ein Stoff auf jede Flaumlcheneinheit eines ihn einschlieszligenden Behaumllters ausuumlbt

Einheit des Drucks 1 Pascal = 1 Pa = 1 Nmsup2 = 10-5 bar

Definition Ein Pascal ist der Druck bei dem auf jeden Quadratmeter der Behaumllterwaumlnde eine Kraft von 1 Newton ausgeuumlbt wird Ist der Druck konstant so spricht man von einem isobaren Vorgang

T Temperatur

Der sicherlich am schwierigsten fassbare Zustandsparameter makroskopischer Materie ist die Temperatur Zwar ist sie direkt mit der menschlichen Wahrnehmung verknuumlpft (kalt warm heiszlighellip) physikalisch jedoch zunaumlchst sehr undefiniert da sie nicht ohne weiteres auf andere physikalische Groumlszligen zuruumlckfuumlhrbar ist Am ehesten laumlsst sie sich im ersten Ansatz als diejenige Eigenschaft von Materie beschreiben die von einem Thermometer gemessen wird

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Zur Verwendung als Thermometer eignet sich prinzipiell jeder physikalische oder chemische Vorgang der reproduzierbar mit einer Temperaturaumlnderung verknuumlpft ist Klassisch sind dies insbesondere die Ausdehnungsvorgaumlnge von Gasen Fluumlssigkeiten und Festkoumlrpern (Abb 18)

Hg

Festkoumlrperthermometer werden gewoumlhnlich nach demPrinzip des Bimetall-Thermometers ausgelegt (ganzlinks) Dabei werden zwei verschiedene Festkoumlrper(zB zwei Bleche aus verschiedenen Metallen) flaumlchigmiteinander in Kontakt gebracht Bedingt durch dieunterschiedliche thermische Ausdehnung derMaterialien kruumlmmt sich das Bimetall-Blech abhaumlngigvon der Temperatur mehr oder weniger stark zu einerSpirale

Fluumlssigkeitsthermometer (Mitte) und Gasthermometer(rechts) nutzen die Volumenaumlnderung eines fluidenMediums mit der Temperatur Die Genauigkeit kannerhoumlht werden indem einem groszligvolumigen Vorrats-behaumllter ein relativ kleinvolumiger Ausdehnungs- undAblesebereich gegenuumlbergestellt wird

Abb 18 Thermometer die auf der Grundlage der temperaturbedingten Ausdehnung von Materie beruhen

In der Praxis kommen mehr und mehr die elektronischen Varianten der Temperaturmessung zum Zug die zumeist auf der Messung der Thermospannung basieren Neben der Messmetho-de ist die Festlegung einer Temperaturskala wichtig Dazu dienten zunaumlchst einige Fixpunkte die heute teilweise noch historische Bedeutung haben

1) Die tiefste Temperatur des Winters 17081709 in Danzig - 178 degC

2) Die Temperatur von schmelzendem Eis bei 760 Torr (760 Torr = 1 atm = 101 325 Pa) 0 degC

3) Koexistenztemperatur von Eis Wasser und Wasserdampf 001 degC (exakt)

4) Die durchschnittliche Koumlrpertemperatur eines gesunden Menschen 378 degC

5) Die Siedetemperatur des Wassers bei 760 Torr (1 atm = 101 325 Pa) 100 degC

Die Punkte 1 und 4 bildeten die Grundlage des Fahrenheit-Systems die Punkte 2 und 5 die der Celsius-Skala Bei beiden Systemen wurde der definierte Bereich zunaumlchst in 100 gleiche Teile (Grade) aufgeteilt dann extrapoliert Beide Definitionen wurden spaumlter verfeinert (Celsius 9999 Grade C zwischen den Fixpunkten 3 und 5 Fahrenheit 180 Grade F zwischen den Fixpunkten 1 und 5) Trotzdem mangelt es auszliger Punkt 3 allen genannten Fixpunkten an Genauigkeit und Reproduzierbarkeit

Das zweite Problem nach der Unvollkommenheit der Fixpunkte besteht in der Festlegung einer systemunabhaumlngigen linearen Teilung Gewoumlhnlich ist der Verlauf der Skala vom gewaumlhlten Medium abhaumlngig Eine lineare Teilung auf der Skala eines Quecksilber-thermometers entspricht daher nicht einer linearen Teilung auf der Skala eines Alkoholthermometers da die Ausdehnung bei jedem Medium in unterschiedlicher Weise von der Temperatur abhaumlngt

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Beide Probleme sowohl die Wahl der passenden Fixpunkte als auch die Definition einer sinnvollen linearen Teilung werden heute durch die Festlegung der so genannten absoluten Temperaturskala geloumlst Grundlage hierfuumlr sind uumlbereinstimmende Beobachtungen an Gasthermometern

-300 -200 -100 0 100 200

V

T

-27315degCBei wiederholten Messungen mit verschiedenenGasthermometern verschiedenen Gasen undGasvolumina und bei verschiedenen Drucken stelltman fest dass sich die Verlaumlngerungen aller in denjeweiligen Diagrammen erhaltenen Linien in einemPunkt schneiden Dieser Punkt entspricht auf derVolumenachse dem Wert V = 0 und auf derTemperaturachse dem Wert T = -27315 degC

Abb 19 Ausdehnungskurven verschiedener Gase Die Temperaturskala ist zunaumlchst noch in Celsius aufgetragen

Aus dieser Beobachtung wurde geschlossen dass der Temperatur am gemeinsamen Schnitt-punkt aller Ausdehnungskurven eine besondere physikalische Bedeutung zukommt und sie sich daher als Fixpunkt einer neuen Temperaturskala eignet Weiterhin wurde festgestellt dass zwar alle Gase in ihrem Ausdehnungsverhalten von dem linearen Verlauf abweichen dass aber unter bestimmten Umstaumlnden (zB niedriger Druck) ein gemeinsamer Verlauf angestrebt wird den man auch als idealen Verlauf bezeichnen koumlnnte Am besten funktioniert das bei Helium unter schrittweise absinkenden Drucken dessen Verhalten sich fuumlr P rarr 0 zum idealen Verhalten extrapolieren laumlsst Diese Erkenntnis diente zur Definition einer absoluten Temperaturskala in Kelvin

1) Unterer Fixpunkt Schnittpunkt der Volumenexpansionskurven bdquoidealerldquo Gase (zB Helium fuumlr den Grenzfall Prarr0) 0 Kelvin

2) Oberer Fixpunkt Koexistenztemperatur von Eis Wasser und Wasserdampf 27316 Kelvin

3) Das Volumen eines bdquoidealenldquo Gases (zB Helium fuumlr den Grenzfall Prarr0) ist bei konstantem Druck proportional zur Temperatur und definiert die lineare Teilung der Temperaturskala

Gemaumlszlig dieser Definition ist jede beliebige Temperatur unter Nutzung eines bdquoidealenldquo Gasther-mometers auf der absoluten Kelvin-Skala eindeutig festgelegt Die Verwendung der Kelvin-Skala ist gegenuumlber der Nutzung klassischer Temperatursysteme bei der Beschreibung physi-kalischer Vorgaumlnge eindeutig von Vorteil Vorgaumlnge bei denen die Temperatur konstant ist nennt man isotherm Mit der Definition der wichtigsten Zustandsparameter Teilchenzahl n Volumen V Druck P und Temperatur T besteht nun die Moumlglichkeit das Verhalten makroskopischer Materie zu beschreiben Am einfachsten gelingt das im Fall von Gasen

32 Zustandsgleichung fuumlr Gase die ideale Gasgleichung

Gleichungen welche die Zustandsparameter wie n V T und P miteinander verknuumlpfen nennt man Zustandsgleichungen Sie beschreiben das Verhalten einer aus vielen einzelnen Teilchen bestehenden Materie hinsichtlich ihrer makroskopisch messbaren Groumlszligen Am

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einfachsten sind solche Zustandsgleichungen fuumlr Gase aufzustellen Untersucht man bei Gasen systematisch den Zusammenhang zwischen n V P und T so stellt man fest dass fuumlr alle Gase in mehr oder weniger guter Naumlherung folgende einfache Gleichung erfuumlllt isthellip

P ∙ V = n ∙ R ∙ T

hellipwobei R fuumlr die so genannte ideale Gaskonstante steht (R asymp 8314 J K-1 Mol-1) Diese Glei-chung auch bdquoideale Gasgleichungldquo genannt ist ein so genanntes Grenzgesetz kein real exis-tierendes Gas erfuumlllt es genau aber alle Gase kommen ihm recht nahe insbesondere bei hohen Temperaturen und niedrigen Druumlcken Eine Gleichung dieser Form nennt man auch Zustands-gleichung da sie Zustandsparameter miteinander verbindet Grafisch laumlsst sich diese Verknuumlp-fung in einem einfachen Diagramm darstellen bei dem jede Kombination von T und V genau einem Wert fuumlr P zugeordnet ist (Abb 20)

P

V

T

Abb 20 Auftragung von P gegen T und V nach der idealen Gasgleichung

Wir wissen nun dass die Gase aus einer Vielzahl von Teilchen (Atomen oder Molekuumllen) bestehen Wie laumlsst sich das durch die ideale Gasgleichung beschriebene Verhalten nun mit dieser Tatsache in Einklang bringen Was bedeuten eigentlich die Parameter Druck und Tem-peratur fuumlr ein Gas das sich aus vielen einzelnen Atomen und Molekuumllen zusammensetzt Um makroskopische Zustandsparameter uumlberhaupt mit der Teilchenwelt verknuumlpfen zu koumlnnen benoumltigen wir eine Modellvorstellung fuumlr das mechanische Zusammenwirken der Teilchen im Fall von Gasen das so genannte kinetische Gasmodell

33 Das kinetische Gasmodell

Bei den im vorhergehenden Kapitel aufgefuumlhrten Gasgesetzen handelt es sich um mathemati-sche Beschreibungen von makroskopisch beobachtbaren Vorgaumlngen Zur Interpretation der Gasgesetze auf molekularer Ebene wurden verschiedene Modelle vorgeschlagen Das erfolg-reichste unter ihnen war das sogenannte kinetische Gasmodell Es beruht auf der Vorstellung dass ein Gas aus einer Vielzahl von Teilchen besteht die folgende Bedingungen erfuumlllen

1) Sie besitzen eine Atom- oder Molmasse M einen endlichen Durchmesser d und befinden sich in staumlndiger und ungeregelter Bewegung

2) Die Groumlszlige der Teilchen ist im Verhaumlltnis zum freien Volumen vernachlaumlssig-bar

3) Zwischen den Teilchen finden elastische Stoumlszlige statt Ansonsten existieren keine weiteren Wechselwirkungen unter den Teilchen

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Nach der kinetischen Gastheorie besteht der Druck eines Gases aus der Summe aller Kraumlfte (pro Flaumlcheneinheit) die durch auf eine Flaumlche aufprallende Gasteilchen (bzw durch deren Impulsaumlnderung) ausgeuumlbt werden (Abb 21)

Vx t

Abb 21 Links schematische Darstellung der Impulsaumlnderung bei dem Auftreffen eines Gasteilchens auf der Gefaumlszligwand Viele solche Stoumlszlige fuumlhren in der Summe zum Entstehen einer messbaren dem Gasdruck zugeordneten Kraft Rechts Die Geschwindigkeitskomponente vx der Teilchen bestimmt nicht nur die Groumlszlige der Impulsaumlnderung sondern auch die Zahl der Teilchen die pro Zeiteinheit auf die Wand stoszligen Daher geht die Geschwindigkeit der Teilchen bei der Berechnung des Drucks insgesamt quadratisch ein

Dabei wird zunaumlchst davon ausgegangen dass alle Teilchen die gleiche Geschwindigkeits-komponente vx aufweisen Diese Geschwindigkeitskomponente bestimmt zum einen die Heftigkeit der Stoumlszlige zum anderen wie viele Gasteilchen pro Zeiteinheit auf die Wand prallen Insgesamt haumlngt der Druck damit vom Quadrat der Geschwindigkeitskomponente vxab Fuumlhrt man nun ein mittleres Geschwindigkeitsquadrat csup2 ein (mit vxsup2 = 13 csup2) so erhaumllt man fuumlr den an dem beweglichen Kolben spuumlrbaren Druck die Gleichung

P = 13 M csup2 (nV) oder in der Schreibweise der idealen Gasgleichung P V = 13 n M csup2 Der Druck ist nach dem kinetischen Gasmodell also die Folge einer Vielzahl von Stoumlszligen welche die Teilchen gegen die Behaumllterwaumlnde ausfuumlhren Er ist folglich proportional zur Mas-se der Teilchen (je schwerer die Teilchen desto heftiger die Stoumlszlige) zum mittleren Geschwin-digkeitsquadrat (die Geschwindigkeit der Teilchen bestimmt zum einen die Haumlufigkeit zum anderen die Heftigkeit der Stoumlszlige) und zur Zahl der Teilchen pro Volumeneinheit (womit wie nach der idealen Gasgleichung zu erwarten P umgekehrt proportional zu V ist) Die Bedeutung der Temperatur im kinetischen Gasmodell ist dagegen zunaumlchst unklar Mit der idealen Gasgleichung P V = n R T ergibt sich aber durch Koeffizientenvergleich n R T = 13 n M csup2 oder R T = 13 M csup2 Man kann unter Nutzung beider Gasmodelle so zu einem neuen teilchenbezogenen Verstaumlnd-nis des Phaumlnomens Temperatur kommen Die Temperatur eines Gases ist demnach direkt proportional zum mittleren Geschwindigkeitsquadrat der Gasteilchen oder in anderen Worten zu deren kinetischer Energie 12 M csup2 Dies ist fuumlr das Verstaumlndnis des Phaumlnomens Temperatur von groszliger Bedeutung Man kann die Temperatur eines Gases also messen indem man (bei bekannter Masse der Teilchen) die Geschwindigkeit der Gasteilchen bestimmt Die Wurzel aus dem mittleren Geschwindigkeits-quadrat also die Groumlszlige c liegt uumlblicherweise in der Groumlszligenordnung der Schallgeschwindig-keit (zum Beispiel fuumlr Stickstoff bei Raumtemperatur c = 516 ms) und steht zu ihr in einer

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festen Beziehung Tatsaumlchlich laumlsst sich die Temperatur auch uumlber eine Messung der Schall-geschwindigkeit ermitteln Nachdem das mittlere Geschwindigkeitsquadrat der Teilchen bekannt ist stellt sich die Frage nach der Geschwindigkeitsverteilung der Teilchen Die Bewegungsenergie der Teilchen ist wie alle anderen Energieformen (zB elektronische Energie Schwingungsenergie) gequantelt Das bedeutet dass sich die Teilchen auf (hier dicht gestaffelte) Energieniveaus verteilen muumlssen Sie tun das nach einem statistischen Grundprinzip das Boltzmann-Verteilung genannt wird Demnach ist die Besetzung pi eines Energieniveaus i (egal welcher Art die Energie Ei ist) stets proportional zum so genannten Boltzmannfaktor des Zustand i Es gilt

pi ~ exp[-Ei(kBT)]

Die darin enthaltene Boltzmannkonstante kB ist nichts anderes als die allgemeine Gas-konstante R (siehe unter 32) dividiert durch die Zahl NL der Teilchen in einem Mol Substanz (kB = RNL) Das bedeutet die Besetzung eines Zustands ist umso wahrscheinlicher je niedriger dessen Energie ist Steigende Temperatur T hingegen erhoumlht die Wahrscheinlichkeit energiereicher Zustaumlnde Diese Gesetzmaumlszligigkeit gilt fuumlr die Besetzung aller auf atomarer oder molekularer Ebene gegebener Zustaumlnde in einem makroskopischen System Angewandt auf die Bewegungsenergie von Gasteilchen in einer einzelnen Raumrichtung x bedeutet das dass Teilchen mit hoher Geschwindigkeit vx weniger wahrscheinlich sind als solche mit niedriger Geschwindigkeit vx Allerdings steigt die Wahrscheinlichkeit des Auftretens groszliger Werte fuumlr vx mit steigender Temperatur Teilt man den Bereich der auftretenden Geschwindigkeiten in Intervalle auf und zaumlhlt man die Teilchen die gemaumlszlig ihrer Geschwindigkeit zu den einzelnen Intervallen zugeordnet werden koumlnnen so ergibt sich fuumlr die Geschwindigkeitsverteilung in vx und v das Bild das in Abb 22 oben dargestellt ist Die Verteilungsfunktionen fuumlr die Geschwindigkeiten in y- und z-Richtung sind identisch

n(vx)

vx-Intervall

n(vx)

vx-Intervall

Temperatur-erhoumlhung

- 0 +- 0 +n(v)

v-Intervall

Temperatur-erhoumlhung

0 +

n(v)

v-Intervall0 +

Abb 22 Verteilungsfunktionen einer eindimensionalen Geschwindigkeitskomponente (oben) und der Gesamtgeschwindigkeit (unten)

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Betrachtet man die Verteilung n(v) der Gesamtgeschwindigkeit v im dreidimensionalen Raum so wird das Bild komplizierter Bezuumlglich der drei Raumrichtungen x y und z sind weiterhin die kleinen Geschwindigkeiten wahrscheinlicher als die groszligen Da nun aber fuumlr eine groszlige Gesamtgeschwindigkeit v mehr Kombinationsmoumlglichkeiten vx vy vz existieren als fuumlr kleine Gesamtgeschwindigkeiten so wird die Wahrscheinlichkeit fuumlr sehr geringe Gesamtgeschwindigkeiten entsprechend kleiner fuumlr groszlige Gesamtgeschwindigkeiten entsprechend groumlszliger Der daraus resultierende Gewichtungsfaktor fuumlr jedes v ist die relative Flaumlche der Kugelschale mit dem Radius v Insgesamt ergeben sich dann die in Abb 22 unten dargestellten Verteilungsfunktionen fuumlr niedrige und hohe Temperaturen Die Verteilungsfunktionen in vx und v lauten (ohne Herleitung)

f(vx) = [M(2RT)]12 exp [-Mvxsup2(2RT)]

f(v) = 4 [M(2RT)]32 vsup2 exp [-Mvsup2(2RT)] Der Mittelwert von vx (oder jeder anderen eindimensionalen Geschwindigkeitskomponente) ist grundsaumltzlich Null Dagegen besitzt der Mittelwert von v stets eine endliche von Null verschiedene Groumlszlige Bei einer Erhoumlhung der Temperatur werden alle Verteilungsfunktionen breiter der Mittelwert von v vergroumlszligert sich Die Temperatur eines Gases aumluszligert sich also nicht nur im mittleren Geschwindigkeitsquadrat sondern auch in der Form der Geschwindigkeitsverteilungsfunktion Bei der Mischung von Gasen unterschiedlicher Temperatur muss um die oben genannte Forderung zu erfuumlllen aus der einfachen Summe von zwei Verteilungsfunktionen eine neue der Mischtemperatur ent-sprechende Verteilungsfunktion entstehen Dies ist nur unter der Annahme moumlglich dass ein Austausch kinetischer Energie unter den Teilchen erfolgen kann Diese Tatsache bedingt die eingangs gestellte Forderung nach Teilchenstoumlszligen also Wechselwirkungen zwischen den Teilchen Damit muumlssen die Gasteilchen aber auch ein gewisses Volumen besitzen den Teil-chen ohne Eigenvolumen koumlnnen prinzipiell nicht zusammenstoszligen Darin besteht der we-sentliche Unterschied zwischen einem Gas nach dem kinetischen Gasmodell und dem idealen Gas Das ideale Gas koumlnnte man theoretisch auf ein beliebig kleines Volumen komprimieren bei einem kinetischen Gas ist dies aufgrund des Eigenvolumens nicht moumlglich Ansonsten erlaubt das kinetische Gasmodell die vollstaumlndige Interpretation der idealen Gasgleichung

34 Die korrigierte Gasgleichung nach van der Waals JD van der Waals

Mithilfe des kinetischen Gasmodells laumlsst sich die Zustandsgleichung fuumlr Gase weiter verfeinern Zunaumlchst soll beruumlcksichtigt werden dass die Teilchen ein eigenes Volumen besitzen In erster Naumlherung geschieht dies indem man ein vom Eigenvolumen der Gas-teilchen abgeleitetes minimales Volumen des Gases (das so genannte Covolumen) definiert Das Covolumen beschreibt dasjenige Volumen des Gases das bei staumlndigem mechanischem Kontakt zwischen jeweils zwei Teilchen eingenommen wird wenn man den Teilchenpaaren jeweils den sie umschreibenden kugelfoumlrmigen Raum zuordnet (wegen der geringen Wahr-scheinlichkeit von Dreierstoumlszligen kann die Bildung von Dreiergruppen ausgeschlossen werden) Das molare Covolumen b entspricht wenn man eine einfache geometrische Uumlberlegung an-setzt dem vierfachen Eigenvolumen eines Mols der Gasteilchen Um das tatsaumlchliche freie

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Volumen zu erhalten muss das n-fache Covolumen vom gegebenen Volumen abgezogen werden Damit wird aus der idealen Gasgleichung P V = n R T die erste korrigierte Version P (V - n b) = n R T Im zweiten Schritt soll nun uumlber das kinetische Gasmodell hinausgehend auch die anziehen-de Wechselwirkung zwischen den Teilchen beruumlcksichtigt werden Die Anziehung zwischen den Teilchen sorgt nach van der Waals fuumlr einen zusaumltzlichen nach auszligen nicht messbaren bdquoBinnendruckldquo Dieser Binnendruck ist proportional zum Quadrat der Teilchendichte (nV)sup2 Der zwischen den Teilchen tatsaumlchlich wirkende nach auszligen ebenfalls unmessbare Gesamt-druck ist dann gegeben als

Pgesamt (unmessbar) = P (messbar) + a (nV)sup2

mit einer fuumlr die anziehende Wechselwirkung charakteristischen Konstante a Die danach korrigierte Version der Gasgleichung die van-der-Waals-Gleichung fuumlr reale Gase lautet

[P + a (nV)sup2] (V - nb) = n R T

Die Konstanten b und a besitzen fuumlr jedes reale Gas charakteristische Werte die dessen Eigenvolumen (die Groumlszlige der Elektronenhuumllle) und die Staumlrke der intermolekularen Wechsel-wirkungen reflektieren Beispiele

Gas a b

Argon 01345 Pa m6Molsup2 32210-5 msup3Mol Kohlendioxid 03592 Pa m6Molsup2 426710-5 msup3Mol Helium 00034 Pa m6Molsup2 23710-5 msup3Mol Stickstoff 01390 Pa m6Molsup2 391310-5 msup3Mol Wasser 05573 Pa m6Molsup2 31010-5 msup3Mol

Der Parameter b spiegelt mit der Einheit msup3Mol weitgehend die Groumlszlige der einzelnen Teilchen (Atome oder Molekuumlle) wider So besitzt erwartungsgemaumlszlig Kohlendioxid oder Argon einen groumlszligeren Wert fuumlr b als beispielsweise Helium Allerdings sind die Unterschiede erstaunlich klein was auf die Tatsache zuruumlckzufuumlhren ist dass sich das Covolumen auf Teilchenpaare bezieht und ein Paar aus Kohlendioxidmolekuumllen gegenuumlber einem Paar aus Heliumatomen nur etwa das doppelte Volumen benoumltigt

Der Parameter a mit der Einheit Pascal mal Molvolumen zum Quadrat reflektiert die Staumlrke der Wechselwirkungen zwischen den Teilchen Diese Wechselwirkungen beruhen zum groszligen Teil auf den elektrischen Eigenschaften der Teilchen Diese wiederum sind mit der elektronischen Struktur der Atome beziehungsweise der chemischen Bindungen verknuumlpft Am wichtigsten ist dabei das in Kapitel 19 erwaumlhnte Dipolmoment Polare Bindungen koumlnnen zu Teilchen mit permanenten Dipolen fuumlhren (zB HF Wasser Ammoniak CO) Andere Molekuumlle oder Atome sind zwar unpolar koumlnnen aber spontan oder durch aumluszligere

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elektrische Felder polarisiert werden (zB He Ar molekularer Wasserstoff molekulares Chlor) Man spricht dann von polarisierbaren Teilchen mit einem spontanen Dipolmoment oder mit einem durch ein aumluszligeres Feld bewirkten induzierten Dipolmoment In all diesen Faumlllen sind anziehende Wechselwirkungen zwischen den Teilchen moumlglich die in dem Parameter a zusammengefasst werden Daruumlber hinaus koumlnnen sich auch voruumlbergehende chemische Bindungen ausbilden Das prominenteste Beispiel fuumlr diesen Fall ist die bekannte Wasserstoffbruumlckenbindung die bei polaren X-H-Bindungen auftreten kann Im Einzelnen werden demnach folgende Arten von Wechselwirkungen mit absteigender Intensitaumlt unter-schieden

a) Wasserstoffbruumlckenbindung X-H hellip Y Hierbei bildet sich voruumlbergehend eine chemische Bindung zwischen dem polar gebundenen Wasserstoff und einem elektronegativen und mit einem freien Elektronenpaar ausgestatteten Element Y

b) Wechselwirkungen zwischen permanenten Dipolen hier besitzen alle Teilchen ein permanentes Dipolmoment Zwischen den entgegengesetzt geladenen Enden der Teilchen bauen sich dann konstant anziehende elektrostatische Wechselwir-kungen auf

c) Wechselwirkungen zwischen permanenten und induzierten Dipolen die Teil-chen mit permanentem Dipolmoment induzieren ein voruumlbergehendes Dipol-moment bei den benachbarten (zunaumlchst unpolaren) Teilchen In der Folge ergibt sich eine anziehende elektrostatische Wechselwirkung

d) Wechselwirkungen zwischen induzierten Dipolen durch spontane Polarisierung eines Teilchens entsteht ein voruumlbergehendes Dipolmoment welches bei einem benachbarten Teilchen eine Polarisierung hervorruft In der Folge ergibt sich eine kurzfristige und sehr schwache elektrostatische Anziehung zwischen den Teilchen Man spricht dabei auch von der Dispersionswechselwirkung oder der Londonschen Wechselwirkung

Alle diese Effekte sind anziehender Natur und gehen damit in den Parameter a ein Fasst man die beiden Parameter a und b zusammen so entsteht mit der van-der-Waals-Gleichung eine recht zuverlaumlssige Zustandsgleichung fuumlr reale Systeme die sowohl die abstoszligenden als auch die anziehenden Wechselwirkungen beruumlcksichtigt

Ein guter Test fuumlr diese reale Zustandsgleichung ist die Berechnung eines Diagramms von P gegen V fuumlr verschiedene Temperaturen das so genannte P-V-Diagramm und die Gegen-uumlberstellung mit dem entsprechenden experimentellen P-V-Diagramm eines realen Gases Gemaumlszlig der van-der-Waalsrsquoschen Gleichung existieren abhaumlngig von der betrachteten Tempe-ratur drei Typen von Isothermen (Abb 23 links) solche die einer Hyperbel aumlhneln (1) eine einzelne Isotherme die einen Wendepunkt mit waagrechter Tangente besitzt (2) und solche die ein Minimum ein Maximum und einen Wendepunkt aufweisen (3) Das experimentell beobachtete Verhalten stimmt in den ersten beiden Faumlllen recht gut uumlberein weicht aber bei Isothermen des dritten Typs deutlich vom berechneten Verlauf ab (Abb 23 rechts)

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P

V

PV-Diagramm nachvan-der-Waals-Gleichung

1 2

3

P

V

3

experimentell bestimmtesPV-Diagramm f reales Gas

Abb 23 PV-Diagramme fuumlr reale Gase berechnet nach van der Waals (links) und experimentell bestimmt (rechts) Die drei typischen Formen der Isothermen (1 2 und 3) sind im Text beschrieben

Offensichtlich beschreibt die van-der-Waals-Gleichung das Verhalten eines realen Gases in der Umgebung des Wendepunkts weniger gut Experimentell stellt man allerdings fest dass in diesem Bereich tatsaumlchlich auch kein reines Gas sondern vielmehr eine Mischung aus einem Gas und einer kondensierten Fluumlssigkeit also ein Zweiphasenzustand vorliegt Dieser Zwei-phasenbereich beginnt am Wendepunkt der Isothermen des Typs 2 und schlieszligt alle Minima Maxima und Wendepunkte der Isothermen des Typs 3 ein (Abb 24 links)

P

V

Zweiphasen-gebiet

P

V

Zweiphasen-gebiet

Maxwell-Maxwell-KorrekturKorrektur

Zweiphasen-Gebiet

Zweiphasen-Gebiet

A1

A2

Abb 24 PV-Diagramme fuumlr reale Gase mit eingezeichnetem Zweiphasengebiet Der in diesem Bereich bei der Beschreibung nach van der Waals gegebene Fehler kann in guter Naumlherung durch die Maxwell-Korrektur kompensiert werden

Eine einfache Korrektur der van-der-Waals-Gleichung ermoumlglicht eine realistische Beschrei-bung des Zweiphasengebiets Eine horizontale Gerade wird so in der Naumlhe des Wendepunktes gelegt dass die oberhalb und unterhalb der Geraden im Zweiphasenbereich gebildeten Teilflaumlchen A1 und A2 die gleiche Groumlszlige besitzen (sog Maxwell-Korrektur s Abbildung 24 rechts) Dies sieht zwar nach einer etwas willkuumlrlichen Hilfskonstruktion aus trotzdem laumlsst sich damit das Verhalten eines realen Gases im Zweiphasengebiet sehr gut nachvollziehen und vorhersagen Eine besonders ausgewiesene Position im PV-Diagramm eines realen Gases ist der Scheitel-punkt des Zweiphasengebiets der durch den Wendepunkt der Isotherme des Typs 2 gebildet wird (Abb 25)

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P

V

Zweiphasen-gebiet Tc

Pc

Vc

kritischer Punkt

Jedes reale Gas besitzt einen sogenannten kritischenPunkt der durch die kritischen Zustandsgroumlszligen Tc Pc undVc beschrieben wird Die kritische Temperatur Tc istdiejenige Temperatur bei der sich ein Gas unter Druckgerade noch verfluumlssigen laumlszligt Oberhalb der kritischenTemperatur existiert kein fluumlssiger Zustand Derentsprechende Druck Pc wird als kritischer Druckbezeichnet

Die Isotherme die der kritischen Temperatur zugeordnetist besitzt als einzige einen Wendepunkt mit horizontalerTangente der gleichzeitig den kritischen Punkt markiert

Abb 25 PV-Diagramm fuumlr ein reales Gas mit kritischem Punkt

Dieser sogenannte kritische Punkt wird durch die kritische Temperatur Tc den kritischen Druck Pc und das kritische Molvolumen Vc festgelegt Zustaumlnde oberhalb des kritischen Punkts nennt man uumlberkritisch Uumlberkritisches Kohlendioxid besitzt in der Technik groszlige Bedeutung fuumlr das Loumlsen und Ausfaumlllen von pharmazeutischen Wirkstoffen (zB Aspirin fuumlr Brausetabletten) fuumlr die Extraktion (zB bei der Entkoffeinierung von Kaffee) oder zur chemischen Reinigung von Textilien

35 Andere Zustandsgleichungen fuumlr reale Gase

Neben der van-der-Waals-Gleichung existieren weitere Ansaumltze zur Beschreibung realer Gase die zwar eine genauere Anpassung an die gemessenen Werte ermoumlglichen aber auch kompli-zierter sind oder mehr Arbeit bei der Bestimmung der charakteristischen Parameter erfordern Im Folgenden seien als Beispiele die Berthelot-Gleichung und die Virialgleichung erwaumlhnt

a Berthelot-Gleichung (P + (Ansup2)(TVsup2) ) (V - nB) = n R T Berthelot fuumlhrte damit als Besonderheit einen temperaturabhaumlngigen Binnendruck ein Dies ist insoweit physikalisch gerechtfertigt als die vermehrte thermische Bewegung der Ausbildung von Wechselwirkungen zwischen den Molekuumllen entgegenwirken kann

b Virialgleichung P Vm = A + B P + C Psup2 + D Psup3 + Mit Vm = Vn Die Virialgleichung nutzt die Tatsache dass sich fast alle physikalischen Zusammenhaumlnge uumlber einen Potenzreihenansatz a + bx + cxsup2 + dxsup3 + hellip beliebig genau annaumlhern lassen Je nach Anzahl der anpassbaren Parameter ist zwar eine beliebig genaue Beschreibung des realen Gases moumlglich allerdings steigt auch der Aufwand fuumlr die Bestim-mung aller Koeffizienten

36 Beschreibung von Fluumlssigkeiten

Im PV-Diagramm der realen Gase schlieszligt sich links vom Zweiphasengebiet der Bereich der fluumlssigen Phase an Sie zeichnet sich dadurch aus dass mit sinkendem Volumen der Druck ex-trem steil ansteigt Das bedeutet dass bereits eine geringfuumlgige Volumenabnahme mit einem aumluszligerst groszligen Druckanstieg verbunden ist In der Praxis hat das zur Folge dass Fluumlssigkeiten im Gegensatz zu Gasen kaum komprimierbar sind ihre Kompressibilitaumlt geht gegen Null Auch ist die Ausdehnung der Fluumlssigkeiten bei steigender Temperatur und bei konstantem

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Druck (der thermische Ausdehnungskoeffizient) sehr viel kleiner als bei Gasen Eine einfache allgemeine Zustandsgleichung fuumlr die fluumlssige Phase in Analogie zur idealen oder zur van-der-Waals-Gleichung existiert nicht Stattdessen findet man bei der experimentellen Bestimmung des Zusammenhangs zwischen P V und T fuumlr jede Fluumlssigkeit ein sehr charakteristisches Verhalten Vergleicht man die Messergebnisse verschiedener Fluumlssigkeiten untereinander so sind kaum Aumlhnlichkeiten auszumachen Daruumlber hinaus sind bestimmte Messungen (zB die Messung der Abhaumlngigkeit des Drucks vom Volumen bei konstanter Teilchenzahl und Temperatur) technisch sehr schwer zu realisieren Das Fehlen einer einheitlichen Zustandsgleichung V(TPn) fuumlr Fluumlssigkeiten liegt auch in deren komplexer Struktur begruumlndet Betrachtet man ein einzelnes Teilchen in der Fluumlssigkeit so liegt es bezuumlglich der Abstaumlnde zu seinen naumlchsten Nachbarn stets in der Naumlhe des Mini-mums einer Potentialkurve Epot(r) die einen sehr steilen Verlauf besitzt Die Abstaumlnde zu den benachbarten Teilchen sind damit nahezu fixiert folglich ist eine unabhaumlngige Translations-bewegung einzelner Teilchen praktisch unmoumlglich Stattdessen verlaufen alle Bewegungs-prozesse mehr oder weniger kollektiv also unter gleichzeitiger Verschiebung mehrerer Teilchen Daruumlber hinaus gibt es keine nennenswerten freien Volumina so dass der mittlere Abstand der Teilchen nur unwesentlich verringert werden kann ein Umstand der sich in der bereits erwaumlhnten geringen Kompressibilitaumlt aumluszligert Ein Modell fuumlr eine allgemeine Fluumlssigkeit laumlsst sich im Rahmen einer Computersimulation einfuumlhren Man betrachtet dabei einen wuumlrfelfoumlrmigen Raum der einen Ausschnitt aus dem Fluumlssigkeitsvolumen darstellen soll und eine endliche Anzahl n von Fluumlssigkeitsteilchen (zB n = 1000) enthaumllt Um die Zahl der Teilchen konstant zu halten und dabei trotzdem deren Beweglichkeit zu wahren wird eine Kontinuitaumltsbedingung eingefuumlhrt Jedes Teilchen das im Rahmen der Bewegungsprozesse den Wuumlrfel an einer gegebenen Stelle verlaumlsst tritt automatisch an der genau gegenuumlberliegenden Position des Wuumlrfels wieder ein Auf diese Weise ist gewaumlhrleistet dass die Zahl der Teilchen im Wuumlrfel konstant bleibt (Abb 26)

Abb 26 Simulation von Bewegungs-vorgaumlngen in einem Fluumlssigkeitsvolumen unter Wahrung einer konstanten Partikel-anzahl Jedes Teilchen das im Rahmen der Bewegungsprozesse den Wuumlrfel an einer gegebenen Stelle verlaumlsst tritt automatisch an der genau gegenuumlberliegenden Position des Wuumlrfels wieder ein

An diesem System fuumlhrt man nun eine so genannte Monte-Carlo-Simulation durch Dabei setzt ein Zufallsgenerator eine geringfuumlgige Verschiebung eines beliebigen einzelnen Teil-chens in Gang Anschlieszligend wird unter Verwendung des bekannten Potentialverlaufs Epot(r) berechnet wie sich nach der Verschiebung die potentielle Energie des Systems veraumlndert hat Danach entscheidet das Simulationsprogramm zwischen zwei Moumlglichkeiten

- Hat sich die gesamte potentielle Energie des Systems durch die Verschiebung verringert oder blieb sie konstant so wird die Verschiebung akzeptiert und der naumlchste Schritt berechnet - Hat sich die gesamte potentielle Energie durch die Verschiebung um den positiven Wert E erhoumlht so wird die Verschiebung mit einer Wahrscheinlichkeit die von E abhaumlngt akzeptiert und ansonsten verworfen Danach wird der naumlchste Schritt berechnet

Auf diese Weise kann man fuumlr beliebige Fluumlssigkeiten sowohl die typischen Bewegungs-prozesse als auch die einflussbedingten Veraumlnderung von Zustandsgroumlszligen (zB P in Ab-

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haumlngigkeit von V) berechnen Allerdings sind die Rechnungen bei den fuumlr eine realistische Beschreibung eines Fluumlssigkeitsvolumens notwendigen groszligen Teilchenzahlen sehr aufwaumlndig und zeitintensiv

37 Beschreibung von Festkoumlrpern

Begibt man sich im P-V-Diagramm vom fluumlssigen Zustand ausgehend noch weiter nach links (zu kleineren Volumina houmlheren Drucken und niedrigeren Temperaturen) so erreicht man den festen Zustand Die Problematik der Zustandsgleichung V(TPn) von Festkoumlrpern aumlhnelt jener der Fluumlssigkeiten Auch hier sind die Kompressibilitaumlten und die thermischen Aus-dehnungskoeffizienten uumlblicherweise sehr viel geringer als bei Gasen Ebenso wie bei Fluumls-sigkeiten sind dabei die Unterschiede zwischen einzelnen Vertretern der Festkoumlrper recht groszlig so dass keine gemeinsame Zustandsgleichung wie bei Gasen formuliert werden kann Im Vergleich mit den Werten der Fluumlssigkeiten sind die Kompressibilitaumlten und die thermischen Ausdehnungskoeffizienten der Festkoumlrper durchschnittlich nochmals um etwa zwei Groumlszligen-ordnungen geringer

Abb 27 Torsionsexperiment zur Unterscheidung zwischen Fluumlssigkeiten und Festkoumlrpern (s Text)

Der wesentliche Unterschied zwischen Festkoumlrpern und Fluumlssigkeiten besteht allerdings in ihrem gegensaumltzlichen Verhalten bezuumlglich Verformung waumlhrend Fluumlssigkeiten einer gege-benen Verformung durch ihre Zaumlhigkeit (Viskositaumlt) Widerstand leisten reagiert ein Fest-koumlrper auf eine Verformung durch eine elastische Deformation Dieses Verhalten wird in einem Torsionsrheometer deutlich wobei eine feste oder fluumlssige Probe periodisch mit einer torsionsartigen Verformung beaufschlagt wird (Abb 27) Waumlhrend der Drehmomentverlauf des Festkoumlrpers exakt gleichphasig zur periodischen Aus-lenkung erfolgt (elastische Verformung) ist der Drehmomentverlauf der Fluumlssigkeit dazu um ein Viertel einer Wellenlaumlnge phasenverschoben (viskose Reaktion) Bei Fluumlssigkeiten ist der Widerstand dann maximal wenn die Deformationsgeschwindigkeit maximal ist (blaue Linie

t

Dre

hmom

entv

erla

uf

tAusl

enku

ng

Festkoumlrper

t

Dre

hmom

entv

erla

uf

Fluumlssigkeiten

Pruumlfkoumlrper

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in Abb 26) Bei Festkoumlrpern ist die Kraft dann maximal wenn der Deformationszustandmaximal ist (rote Linie in Abb 27) Viele Festkoumlrper stellen Uumlbergaumlnge zwischen diesen beiden Extremfaumlllen dar und werden dann als viskoelastisch bezeichnet Aus der Betrachtung von Messergebnissen an einer Viel-zahl von Materialien geht hervor dass eine eindeutige Abgrenzung zwischen dem fluumlssigen und dem festen Zustand selten moumlglich ist Entsprechend gibt es auch unterschiedliche Strukturmodelle die teilweise das elastische Verhalten teilweise das plastische Verhalten von Festkoumlrpern erklaumlren Dem elastischen Festkoumlrper mit nahezu verschwindender Phasen-verschiebung wird am ehesten das Modell eines idealen Kristalls gerecht Man geht dabei davon aus dass jedes Atom bzw Molekuumll aus dem der Festkoumlrper zusammengesetzt ist sich an einem geometrisch festgelegten Gitterpunkt befindet von dem es sich nicht entfernen kann Als Bewegungsprozess ist dabei lediglich eine Schwingung mit begrenzter Amplitude moumlglich Die denkbaren Geometrien der Gitterstrukturen reichen von primitiv-kubischen Gittern (zB Natriumchlorid) uumlber kubisch-dichteste (zB Silber Kupfer) und hexagonal-dichteste Kugelpackungen (zB Magnesium Zink) bis zur kubisch-raumzentrierten Struktur (zB Eisen Molybdaumln) Haumlufig findet man leichte Abweichungen von der idealen Gitter-struktur die durch lokale Stoumlrungen hervorgerufen werden Akzeptiert man gewisse Anteile an viskosem Verhalten (dh eine leichte Phasenverschiebung) so begibt man sich in den Grenzbereich zwischen Festkoumlrpern und Fluumlssigkeiten In einem Material wie Glas ist die regelmaumlszligige Anordnung eines Gitters nicht gegeben die Atome sind unregelmaumlszligig positioniert und koumlnnen unter Belastung auch flieszligen Solche nicht-kristallinen Festkoumlrper bezeichnet man als amorph Typische Vertreter amorpher Feststoffe sind Fenster-glas viele transparente Kunststoffe (zB Plexiglas Polyester in Getraumlnkeflaschen) Wachs und Aumlhnliches Amorphe Festkoumlrper besitzen keinen Schmelzpunkt sondern erweichen bei steigender Temperatur allmaumlhlich Amorphe Festkoumlrper koumlnnen nachtraumlglich kristallisieren wobei sich haumlufig das aumluszligere Erscheinungsbild und die physikalischen Eigenschaften drastisch aumlndern (zB Plastikfolie unter Zug)

38 Das Phasendiagramm

Die drei wichtigsten Phasenzustaumlnde zu denen sich eine makroskopische Gesamtheit von Atomen oder Molekuumllen zusammenfinden koumlnnen sind also Gase Fluumlssigkeiten und Festkoumlrper Die Frage ist nun unter welchen Bedingungen sich ein System fuumlr den ersten den zweiten oder den dritten Zustand entscheidet Erfahrungsgemaumlszlig haumlngt der gegebene Phasenzustand von den in Kapitel 31 eingefuumlhrten Zustandsparametern n V P und T ab Legt man die Stoffmenge n auf einen Wert fest (zB auf ein Mol Teilchen) und beruumlcksichtigt man dass nach den gegebenen Zustandsgleichungen die Groumlszligen n V P und T miteinander verknuumlpft sind so genuumlgen zwei Parameter um den jeweils guumlnstigsten Phasenzustand eindeutig festzulegen Ein Diagramm bei dem einer der Parameter V P und T gegen einen anderen aufgetragen wird eignet sich also prinzipiell um bei einer gegebenen Teilchenart den unter diesen Bedingungen jeweils angestrebten Phasenzustand zu markieren So kann man gemaumlszlig den Abbildungen 23 bis 25 in einem Diagramm bei dem P gegen V aufgetragen wird schon den jeweils gegebenen Phasenzustand eintragen und ablesen In der Praxis eignen sich solche PV-Diagramme allerdings wenig um Phasenzustaumlnde zu markieren der gasfoumlrmige Zustand nimmt einen sehr breiten Raum ein waumlhrend der fluumlssige und der feste Zustand in dem sehr engen Bereich links neben dem Zweiphasengebiet bdquoeingequetschtldquo waumlre Vor allem in diesem Umfeld waumlre das Diagramm schwer ablesbar

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Wesentlich guumlnstiger ist dagegen die Auftragung vom Druck P gegen die Temperatur T In diesem PT-Diagramm das auch als Phasendiagramm bezeichnet wird lassen sich alle Phasenzustaumlnde uumlbersichtlich zuordnen Dabei bezeichnen Flaumlchenanteile im PT-Diagramm die unter den gegebenen Druck- und Temperaturbedingungen angestrebte Phase (zB fest fluumlssig gasfoumlrmig) waumlhrend Linien die dazwischen vorliegenden Gleichgewichte markieren und Phasengrenzlinien genannt werden (Abb 28)

T

Pfe

st

fluumlss

ig

gasfouml

rmig

kritischerPunkt

Tripel-punkt

Phasengrenzlinie

Abb 28 Phasendiagramm mit Auftragung des Drucks (P) gegen die Temperatur (T)

Auszligerdem enthaumllt ein Phasendiagramm gewoumlhnlich mindestens zwei besonders ausgezeich-nete Punkte den Tripelpunkt an dem die drei im Allgemeinen wichtigsten Phasenzustaumlnde fest fluumlssig und gasfoumlrmig miteinander im Gleichgewicht stehen und den bereits aus dem PV-Diagramm bekannten kritischen Punkt der das Ende eines definierten Uumlbergangs zwischen fluumlssiger und gasfoumlrmiger Phase markiert Beispiele fuumlr Phasendiagramme Kohlen-dioxid und Wasser sind in Abbildung 29 und 30 wiedergegeben

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T

P

fest

fluumlss

iggasfoumlrmig

kritischerPunkt

Tripel-punkt

2168 K

511 bar

CO2

3042 K

728 bar

Abb 29 Phasendiagramm fuumlr Kohlendioxid

T

P

fluumlss

ig

gasfoumlrmig

kritischerPunkt

H2O

Eis 1

Eis 1

Eis 2 Eis 3

Eis 5

Eis 6

Tripelpunkt6473 K

218 bar

6 mbar 27316 K

Abb 30 Phasendiagramm fuumlr Wasser Der Bereich oberhalb von 200 bar ist aus Gruumlnden der

Uumlbersichtlichkeit entlang der P-Achse komprimiert dargestellt

Eine wichtige Besonderheit des Phasenverhaltens von Wasser ist die Tatsache dass die Phasengrenzlinie zwischen fluumlssigem Wasser und Eis 1 eine negative Steigung aufweist Dies hat zur Folge dass gewoumlhnliches Eis durch Erhoumlhung des Drucks zum Schmelzen gebracht werden kann Dieser Umstand ist eine der Ursachen dafuumlr dass eine Kufe auf Eis gleitet da der durch das Schmelzen entstehende Wasserfilm die Reibung vermindert (allerdings spielt hier auch die Reibungswaumlrme eine Rolle) Der Grund fuumlr dieses Verhalten steht in direkter Verbindung mit der strukturbedingten Volumenabnahme beim Schmelzen von Eis (s Videos unter httpwwwyoutubecomwatchv=6s0b_keOiOU und httpswwwyoutubecomwatchv=CDTZoFGmZoc )

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Waumlhlt man in einem Phasendiagramm eine Kombination von Druck und Temperatur so kann man direkt denjenigen Phasenzustand ablesen den die gegebene Teilchenart unter diesen Bedingungen anstrebt Das heiszligt jedoch nicht dass dieser Zustand dann auch in jedem Fall und zu jeder Zeit vorliegt Haumlufig beobachtet man eine so genannte kinetische Hemmung einer Phasenumwandlung So gibt es unterkuumlhlte Fluumlssigkeiten (zB Regentropfen bei -3degC) genauso wie unterkuumlhlte Dampfphasen (zB uumlbersaumlttigten Wasserdampf in Gewitterwolken) oder uumlberhitzte Fluumlssigkeiten (zB uumlberhitztes Wasser bei einem Siedeverzug) Kristalli-sationskeime wie Staubkoumlrner koumlnnen Phasenumwandlungen beschleunigen (zB durch Staub verursachter bdquoIndustrieschneeldquo) Bisher wurden lediglich Phasendiagramme von reinen Stoffen betrachtet die nur aus einer einzelnen Sorte Atomen oder Molekuumllen bestehen Mischt man einem gegebenen Stoff eine weitere Komponente hinzu so aumlndert sich das Phasendiagramm erheblich Als Beispiel betrachten wir ein System in dessen fluumlssiger Phase ein Fremdstoff A geloumlst wird der weder im Festkoumlrper noch im der Gasphase loumlslich ist (zB Kochsalz in Wasser) In diesem Fall dehnt sich der fluumlssige Bereich des Phasendiagramms mit steigender Konzentration von A in alle Richtungen aus so dass gleichzeitig der Schmelzpunkt erniedrigt der Siedepunkt erhoumlht und der Dampfdruck verringert wird (Abb 31) In erster Naumlherung sind alle genannten Aumlnderungen proportional zu cA

T

P

fest

fluumlss

ig

gasfouml

rmig

Abb 31 Phasendiagramm fuumlr ein System in dessen fluumlssiger Phase ein Fremdstoff mit steigender

Konzentration cA geloumlst wird Der Bereich der fluumlssigen Phase dehnt sich daraufhin in alle

Richtungen aus

Bei weiter steigender Konzentration von A kann ein Punkt erreicht werden an dem die Mischung in zwei getrennte Bereiche zerfaumlllt die ebenfalls als Phasen bezeichnet werden (zB Olivenoumll und Wasser) Eine dieser Phasen besitzt dann einen hohen Loumlsemittelanteil bei geringer Konzentration von A die andere besteht aus einem hohen Anteil an A mit einem geringen Gehalt an Loumlsemittel Dieser Vorgang der Phasenseparation binaumlrer (aus zwei Komponenten bestehender) Systeme wird durch eine andere Art von Phasendiagramm beschrieben dem so genannten Mischphasendiagramm (Abb 32) Hierbei wird die Tempe-

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ratur dem relativen Anteil einer Komponente gegenuumlbergestellt der Druck wird als konstant angenommen

Abb 32 Allgemeine Darstellung eines Mischphasendiagramms

Grundsaumltzlich gibt die linke Flanke der Phasentrennlinie (links des kritischen Punkts) die Zusammensetzung der bdquoA-armenldquo Phase an waumlhrend die rechte Flanke (rechts des kritischen Punkts) die Zusammensetzung der A-reichen Phase beschreibt Die Mengen der dabei gebildeten Phasen koumlnnen nach dem so genannten Hebelgesetz berechnet werden Demnach gilt zwischen dem Anteil n1 der A-armen Phase 1 dem Anteil n2 der A-reichen Phase 2 und den Laumlngen der Pfeile s1 und s2 in der vorhergehenden Abbildung folgender Zusammenhang

n1 s1 = n2 s2

Fuumlr das gezeigte Beispiel wuumlrde das bedeuten dass der Anteil der Phase 1 etwa doppelt so groszlig waumlre wie der Anteil der Phase 2 In der Naumlhe der beiden Raumlnder des Diagramms also fuumlr xA 0 (sehr wenig A im Loumlsemittel) oder xA 1 (sehr wenig Loumlsemittel in A) liegen in den meisten Faumlllen einphasige homogene Mischungen vor Das besagt dass auch bei niedrigen Temperaturen ein wenig von dem Stoff A im Loumlsemittel bzw ein wenig Loumlsemittel im Stoff A loumlslich ist Der im Diagramm eingezeichnete kritische Punkt bedeutet dass oberhalb der dazugehoumlrigen kritischen Temperatur keine Entmischung mehr erfolgt dh hier sind die beiden Komponenten vollstaumlndig und in jedem Verhaumlltnis miteinander mischbar Neben solchen oberen kritischen Punkten gibt es auch untere kritische Punkte Im zweiten Fall gilt dass die beiden Komponenten unterhalb einer bestimmten Temperatur in jedem Verhaumlltnis miteinander mischbar sind Im Allgemeinen koumlnnen die drei verschiedenen Faumllle auftreten die in Abbildung 33 dargestellt sind

0 Molenbruch xA der Komponente A 1

Tem

pera

tur

obere kritischeTemperatur

Einphasen-gebiet

Zweiphasen-gebiet

Beispiel xA = 04

T1

Zum gezeigten Beispiel

Eine Mischung mit dem Molenbruch xA = 04 wird von T2 nach T1 abgekuumlhltDabei zerfaumlllt die Mischung bei Tklsquo in zwei Phasen derenZusammensetzung bei T1auf der x-Achse an den Punkten 1 und 2 ablesbar ist

T2

Tklsquo

1 2

kritischer Punkt

s1 s2

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0 xA 1

Tem

pera

tur

System mit oberem kritischen Punkt

kritischer Punkt

0 xA 1Te

mpe

ratu

r

System mit unterem kritischen Punkt

kritischer Punkt

0 xA 1

Tem

pera

tur

System mit oberem und unterem

kritischen Punkt

kritischer Punkt

kritische Punkte

Abb 33 Moumlgliche Varianten von kritischen Punkten bei Systemen aus zwei Komponenten

Obere kritische Punkte findet man dann wenn sich die molekulare thermische Bewegung gegen die Tendenz der Molekuumlle sich mit gleichartigen Molekuumllen zusammenzulagern durchsetzt Dieses Phaumlnomen ist sehr verbreitet so dass ein oberer kritischer Punkt bei sehr vielen Mischphasen beobachtet wird Untere kritische Punkte sind sehr viel seltener Sie treten beispielsweise dann auf wenn die beiden Komponenten miteinander bei tiefen Temperaturen einen Komplex bilden der bei houmlheren Temperaturen wieder zerfaumlllt und dann zu einer Phasenseparation fuumlhrt Ein Beispiel dafuumlr ist die Mischung aus Wasser und Triethylamin

Fuumlr Mischphasen aus drei Komponenten so genannte ternaumlre Mischungen sind die bisher gezeigten Darstellungen ungeeignet Hierfuumlr haben sich Dreiecksdiagramme (Gibbssches Phasendreieck) durchgesetzt die das Phasenverhalten unter Variation der Mengenbeitraumlge aller drei Komponenten aufzeigen (Abb 34) Das Diagramm ist so geartet dass die Summe aller drei Mengenanteile xA xB und xC in jedem Fall den Wert 1 ergibt Damit besitzt die Zusammensetzung des ternaumlren Gemisches zwei Freiheitsgrade Jede Linie die durch eine Ecke des Diagramms fuumlhrt verbindet diejenigen Punkte bei denen das Verhaumlltnis zweier Komponenten gleich ist Jede Linie die parallel zu einer der drei Seiten verlaumluft entspricht Gemischen bei denen der relative Anteil einer Komponente gleich bleibt

00 02 04 06 08 10Komponente A

00

02

04

06

08

10

Kom

pone

nte

B

0002

04

06

08

10

Komponente C

C

A

B

00 02 04 06 08 10Komponente A

00

02

04

06

08

10

Kom

pone

nte

B

00

02

04

06

08

10

Komponente C

x1

x2x

Abb 34 Prinzip eines ternaumlren Phasendiagramms nach Gibbs (Dreiecksdiagramm)

In solche ternaumlren Mischphasendiagramme lassen sich nun entsprechend den binaumlren Mischphasendiagrammen die Ein- und Zweiphasengebiete einzeichnen Das Diagramm in

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Abb 34 rechts gilt zB fuumlr eine ternaumlre Mischung aus A B und C bei der die Komponenten A und B sowie B und C jeweils paarweise in jedem Verhaumlltnis miteinander mischbar sind Die Komponenten A und C sollen dagegen nur begrenzt mischbar sein Als Konsequenz daraus ergibt sich ein Dreiecksdiagramm das an der unteren Achse die dem Anteil 0 der Komponente B entspricht ein Zweiphasengebiet aufweist

Die Hilfslinien im Zweiphasengebiet markieren die Zusammensetzung der entstehenden Einzelphasen So wuumlrde beispielsweise eine Mischung deren Zusammensetzung im Diagramm durch den Punkt x markiert ist in die beiden Phasen x1 und x2 zerfallen Die Mengenanteile der beiden Phasen koumlnnten dabei wieder uumlber das Hebelgesetz berechnet werden Um zusaumltzlich den Einfluss der Temperatur wiederzugeben muss eine weitere Koordinate eingefuumlhrt werden Man erhaumllt dabei ein dreidimensionales Dreiecksdiagramm das haumlufig unter Verwendung von Houmlhenlinien nach der Art einer topographischen Landkarte dargestellt wird Jede Houmlhenlinie des Zweiphasengebiets umschreibt dann seine Ausdehnung bei einer gegebenen Temperatur

Fragt man bei einem System mit bestehenden Randbedingungen nach der Zahl der frei variierbaren Zustandsgroumlszligen also nach der Zahl der Freiheitsgrade so haumlngt die Antwort zunaumlchst davon ab in welchem Phasenzustand sich das System befindet So kann man beispielsweise in der Gasphase (bei festgelegter Stoffmenge) Temperatur und Druck frei waumlhlen wodurch dann automatisch das Volumen festgelegt wird Gleiches gilt fuumlr die feste und die fluumlssige Phase Das System hat innerhalb eines Phasenzustands also zwei Freiheits-grade Setzt man allerdings voraus dass sich das System in einem Gleichgewicht zwischen zwei Phasen befindet (zB auf der Verdampfungslinie) so besitzt es nur einen Freiheitsgrad Am Tripelpunkt schlieszliglich bei einem Gleichgewicht zwischen drei Phasen sind keine Freiheitsgrade mehr vorhanden Zwischen der Zahl der Phasen P und der Zahl der Freiheitsgrade F gibt es also folgende einfache Beziehung

F = 3 - P

Beruumlcksichtigt man weiter dass auch mehr als eine Komponente auftreten kann (Zahl der Komponenten C gt 1) so erhoumlht sich die Zahl der Freiheitsgrade um jede zusaumltzliche Komponente deren Konzentration ja frei waumlhlbar ist um den Wert eins Man erhaumllt damit

F = 3 - P + (C - 1) oder F = C - P + 2

Nach dieser allgemeinguumlltigen Formel der so genannten Gibbsrsquoschen Phasenregel laumlsst sich die Zahl der Freiheitsgrade in jedem beliebigen System bestimmen Sie erlaubt insbesondere bei sehr komplizierten Mischungen mit einer unbekannten Anzahl an Phasenzustaumlnden uumlber eine einfache Betrachtung Ruumlckschluumlsse auf deren Phasenverhalten

Page 26: Vorlesung PC I Einführung in die Physikalische Chemierelaxation.chemie.uni-duisburg-essen.de/lehre/Skript_PC_2016_2017.pdf · Schwingungen möglich, deren Geometrie (d.h. die Zahl

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Zur Verwendung als Thermometer eignet sich prinzipiell jeder physikalische oder chemische Vorgang der reproduzierbar mit einer Temperaturaumlnderung verknuumlpft ist Klassisch sind dies insbesondere die Ausdehnungsvorgaumlnge von Gasen Fluumlssigkeiten und Festkoumlrpern (Abb 18)

Hg

Festkoumlrperthermometer werden gewoumlhnlich nach demPrinzip des Bimetall-Thermometers ausgelegt (ganzlinks) Dabei werden zwei verschiedene Festkoumlrper(zB zwei Bleche aus verschiedenen Metallen) flaumlchigmiteinander in Kontakt gebracht Bedingt durch dieunterschiedliche thermische Ausdehnung derMaterialien kruumlmmt sich das Bimetall-Blech abhaumlngigvon der Temperatur mehr oder weniger stark zu einerSpirale

Fluumlssigkeitsthermometer (Mitte) und Gasthermometer(rechts) nutzen die Volumenaumlnderung eines fluidenMediums mit der Temperatur Die Genauigkeit kannerhoumlht werden indem einem groszligvolumigen Vorrats-behaumllter ein relativ kleinvolumiger Ausdehnungs- undAblesebereich gegenuumlbergestellt wird

Abb 18 Thermometer die auf der Grundlage der temperaturbedingten Ausdehnung von Materie beruhen

In der Praxis kommen mehr und mehr die elektronischen Varianten der Temperaturmessung zum Zug die zumeist auf der Messung der Thermospannung basieren Neben der Messmetho-de ist die Festlegung einer Temperaturskala wichtig Dazu dienten zunaumlchst einige Fixpunkte die heute teilweise noch historische Bedeutung haben

1) Die tiefste Temperatur des Winters 17081709 in Danzig - 178 degC

2) Die Temperatur von schmelzendem Eis bei 760 Torr (760 Torr = 1 atm = 101 325 Pa) 0 degC

3) Koexistenztemperatur von Eis Wasser und Wasserdampf 001 degC (exakt)

4) Die durchschnittliche Koumlrpertemperatur eines gesunden Menschen 378 degC

5) Die Siedetemperatur des Wassers bei 760 Torr (1 atm = 101 325 Pa) 100 degC

Die Punkte 1 und 4 bildeten die Grundlage des Fahrenheit-Systems die Punkte 2 und 5 die der Celsius-Skala Bei beiden Systemen wurde der definierte Bereich zunaumlchst in 100 gleiche Teile (Grade) aufgeteilt dann extrapoliert Beide Definitionen wurden spaumlter verfeinert (Celsius 9999 Grade C zwischen den Fixpunkten 3 und 5 Fahrenheit 180 Grade F zwischen den Fixpunkten 1 und 5) Trotzdem mangelt es auszliger Punkt 3 allen genannten Fixpunkten an Genauigkeit und Reproduzierbarkeit

Das zweite Problem nach der Unvollkommenheit der Fixpunkte besteht in der Festlegung einer systemunabhaumlngigen linearen Teilung Gewoumlhnlich ist der Verlauf der Skala vom gewaumlhlten Medium abhaumlngig Eine lineare Teilung auf der Skala eines Quecksilber-thermometers entspricht daher nicht einer linearen Teilung auf der Skala eines Alkoholthermometers da die Ausdehnung bei jedem Medium in unterschiedlicher Weise von der Temperatur abhaumlngt

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Beide Probleme sowohl die Wahl der passenden Fixpunkte als auch die Definition einer sinnvollen linearen Teilung werden heute durch die Festlegung der so genannten absoluten Temperaturskala geloumlst Grundlage hierfuumlr sind uumlbereinstimmende Beobachtungen an Gasthermometern

-300 -200 -100 0 100 200

V

T

-27315degCBei wiederholten Messungen mit verschiedenenGasthermometern verschiedenen Gasen undGasvolumina und bei verschiedenen Drucken stelltman fest dass sich die Verlaumlngerungen aller in denjeweiligen Diagrammen erhaltenen Linien in einemPunkt schneiden Dieser Punkt entspricht auf derVolumenachse dem Wert V = 0 und auf derTemperaturachse dem Wert T = -27315 degC

Abb 19 Ausdehnungskurven verschiedener Gase Die Temperaturskala ist zunaumlchst noch in Celsius aufgetragen

Aus dieser Beobachtung wurde geschlossen dass der Temperatur am gemeinsamen Schnitt-punkt aller Ausdehnungskurven eine besondere physikalische Bedeutung zukommt und sie sich daher als Fixpunkt einer neuen Temperaturskala eignet Weiterhin wurde festgestellt dass zwar alle Gase in ihrem Ausdehnungsverhalten von dem linearen Verlauf abweichen dass aber unter bestimmten Umstaumlnden (zB niedriger Druck) ein gemeinsamer Verlauf angestrebt wird den man auch als idealen Verlauf bezeichnen koumlnnte Am besten funktioniert das bei Helium unter schrittweise absinkenden Drucken dessen Verhalten sich fuumlr P rarr 0 zum idealen Verhalten extrapolieren laumlsst Diese Erkenntnis diente zur Definition einer absoluten Temperaturskala in Kelvin

1) Unterer Fixpunkt Schnittpunkt der Volumenexpansionskurven bdquoidealerldquo Gase (zB Helium fuumlr den Grenzfall Prarr0) 0 Kelvin

2) Oberer Fixpunkt Koexistenztemperatur von Eis Wasser und Wasserdampf 27316 Kelvin

3) Das Volumen eines bdquoidealenldquo Gases (zB Helium fuumlr den Grenzfall Prarr0) ist bei konstantem Druck proportional zur Temperatur und definiert die lineare Teilung der Temperaturskala

Gemaumlszlig dieser Definition ist jede beliebige Temperatur unter Nutzung eines bdquoidealenldquo Gasther-mometers auf der absoluten Kelvin-Skala eindeutig festgelegt Die Verwendung der Kelvin-Skala ist gegenuumlber der Nutzung klassischer Temperatursysteme bei der Beschreibung physi-kalischer Vorgaumlnge eindeutig von Vorteil Vorgaumlnge bei denen die Temperatur konstant ist nennt man isotherm Mit der Definition der wichtigsten Zustandsparameter Teilchenzahl n Volumen V Druck P und Temperatur T besteht nun die Moumlglichkeit das Verhalten makroskopischer Materie zu beschreiben Am einfachsten gelingt das im Fall von Gasen

32 Zustandsgleichung fuumlr Gase die ideale Gasgleichung

Gleichungen welche die Zustandsparameter wie n V T und P miteinander verknuumlpfen nennt man Zustandsgleichungen Sie beschreiben das Verhalten einer aus vielen einzelnen Teilchen bestehenden Materie hinsichtlich ihrer makroskopisch messbaren Groumlszligen Am

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einfachsten sind solche Zustandsgleichungen fuumlr Gase aufzustellen Untersucht man bei Gasen systematisch den Zusammenhang zwischen n V P und T so stellt man fest dass fuumlr alle Gase in mehr oder weniger guter Naumlherung folgende einfache Gleichung erfuumlllt isthellip

P ∙ V = n ∙ R ∙ T

hellipwobei R fuumlr die so genannte ideale Gaskonstante steht (R asymp 8314 J K-1 Mol-1) Diese Glei-chung auch bdquoideale Gasgleichungldquo genannt ist ein so genanntes Grenzgesetz kein real exis-tierendes Gas erfuumlllt es genau aber alle Gase kommen ihm recht nahe insbesondere bei hohen Temperaturen und niedrigen Druumlcken Eine Gleichung dieser Form nennt man auch Zustands-gleichung da sie Zustandsparameter miteinander verbindet Grafisch laumlsst sich diese Verknuumlp-fung in einem einfachen Diagramm darstellen bei dem jede Kombination von T und V genau einem Wert fuumlr P zugeordnet ist (Abb 20)

P

V

T

Abb 20 Auftragung von P gegen T und V nach der idealen Gasgleichung

Wir wissen nun dass die Gase aus einer Vielzahl von Teilchen (Atomen oder Molekuumllen) bestehen Wie laumlsst sich das durch die ideale Gasgleichung beschriebene Verhalten nun mit dieser Tatsache in Einklang bringen Was bedeuten eigentlich die Parameter Druck und Tem-peratur fuumlr ein Gas das sich aus vielen einzelnen Atomen und Molekuumllen zusammensetzt Um makroskopische Zustandsparameter uumlberhaupt mit der Teilchenwelt verknuumlpfen zu koumlnnen benoumltigen wir eine Modellvorstellung fuumlr das mechanische Zusammenwirken der Teilchen im Fall von Gasen das so genannte kinetische Gasmodell

33 Das kinetische Gasmodell

Bei den im vorhergehenden Kapitel aufgefuumlhrten Gasgesetzen handelt es sich um mathemati-sche Beschreibungen von makroskopisch beobachtbaren Vorgaumlngen Zur Interpretation der Gasgesetze auf molekularer Ebene wurden verschiedene Modelle vorgeschlagen Das erfolg-reichste unter ihnen war das sogenannte kinetische Gasmodell Es beruht auf der Vorstellung dass ein Gas aus einer Vielzahl von Teilchen besteht die folgende Bedingungen erfuumlllen

1) Sie besitzen eine Atom- oder Molmasse M einen endlichen Durchmesser d und befinden sich in staumlndiger und ungeregelter Bewegung

2) Die Groumlszlige der Teilchen ist im Verhaumlltnis zum freien Volumen vernachlaumlssig-bar

3) Zwischen den Teilchen finden elastische Stoumlszlige statt Ansonsten existieren keine weiteren Wechselwirkungen unter den Teilchen

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Nach der kinetischen Gastheorie besteht der Druck eines Gases aus der Summe aller Kraumlfte (pro Flaumlcheneinheit) die durch auf eine Flaumlche aufprallende Gasteilchen (bzw durch deren Impulsaumlnderung) ausgeuumlbt werden (Abb 21)

Vx t

Abb 21 Links schematische Darstellung der Impulsaumlnderung bei dem Auftreffen eines Gasteilchens auf der Gefaumlszligwand Viele solche Stoumlszlige fuumlhren in der Summe zum Entstehen einer messbaren dem Gasdruck zugeordneten Kraft Rechts Die Geschwindigkeitskomponente vx der Teilchen bestimmt nicht nur die Groumlszlige der Impulsaumlnderung sondern auch die Zahl der Teilchen die pro Zeiteinheit auf die Wand stoszligen Daher geht die Geschwindigkeit der Teilchen bei der Berechnung des Drucks insgesamt quadratisch ein

Dabei wird zunaumlchst davon ausgegangen dass alle Teilchen die gleiche Geschwindigkeits-komponente vx aufweisen Diese Geschwindigkeitskomponente bestimmt zum einen die Heftigkeit der Stoumlszlige zum anderen wie viele Gasteilchen pro Zeiteinheit auf die Wand prallen Insgesamt haumlngt der Druck damit vom Quadrat der Geschwindigkeitskomponente vxab Fuumlhrt man nun ein mittleres Geschwindigkeitsquadrat csup2 ein (mit vxsup2 = 13 csup2) so erhaumllt man fuumlr den an dem beweglichen Kolben spuumlrbaren Druck die Gleichung

P = 13 M csup2 (nV) oder in der Schreibweise der idealen Gasgleichung P V = 13 n M csup2 Der Druck ist nach dem kinetischen Gasmodell also die Folge einer Vielzahl von Stoumlszligen welche die Teilchen gegen die Behaumllterwaumlnde ausfuumlhren Er ist folglich proportional zur Mas-se der Teilchen (je schwerer die Teilchen desto heftiger die Stoumlszlige) zum mittleren Geschwin-digkeitsquadrat (die Geschwindigkeit der Teilchen bestimmt zum einen die Haumlufigkeit zum anderen die Heftigkeit der Stoumlszlige) und zur Zahl der Teilchen pro Volumeneinheit (womit wie nach der idealen Gasgleichung zu erwarten P umgekehrt proportional zu V ist) Die Bedeutung der Temperatur im kinetischen Gasmodell ist dagegen zunaumlchst unklar Mit der idealen Gasgleichung P V = n R T ergibt sich aber durch Koeffizientenvergleich n R T = 13 n M csup2 oder R T = 13 M csup2 Man kann unter Nutzung beider Gasmodelle so zu einem neuen teilchenbezogenen Verstaumlnd-nis des Phaumlnomens Temperatur kommen Die Temperatur eines Gases ist demnach direkt proportional zum mittleren Geschwindigkeitsquadrat der Gasteilchen oder in anderen Worten zu deren kinetischer Energie 12 M csup2 Dies ist fuumlr das Verstaumlndnis des Phaumlnomens Temperatur von groszliger Bedeutung Man kann die Temperatur eines Gases also messen indem man (bei bekannter Masse der Teilchen) die Geschwindigkeit der Gasteilchen bestimmt Die Wurzel aus dem mittleren Geschwindigkeits-quadrat also die Groumlszlige c liegt uumlblicherweise in der Groumlszligenordnung der Schallgeschwindig-keit (zum Beispiel fuumlr Stickstoff bei Raumtemperatur c = 516 ms) und steht zu ihr in einer

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festen Beziehung Tatsaumlchlich laumlsst sich die Temperatur auch uumlber eine Messung der Schall-geschwindigkeit ermitteln Nachdem das mittlere Geschwindigkeitsquadrat der Teilchen bekannt ist stellt sich die Frage nach der Geschwindigkeitsverteilung der Teilchen Die Bewegungsenergie der Teilchen ist wie alle anderen Energieformen (zB elektronische Energie Schwingungsenergie) gequantelt Das bedeutet dass sich die Teilchen auf (hier dicht gestaffelte) Energieniveaus verteilen muumlssen Sie tun das nach einem statistischen Grundprinzip das Boltzmann-Verteilung genannt wird Demnach ist die Besetzung pi eines Energieniveaus i (egal welcher Art die Energie Ei ist) stets proportional zum so genannten Boltzmannfaktor des Zustand i Es gilt

pi ~ exp[-Ei(kBT)]

Die darin enthaltene Boltzmannkonstante kB ist nichts anderes als die allgemeine Gas-konstante R (siehe unter 32) dividiert durch die Zahl NL der Teilchen in einem Mol Substanz (kB = RNL) Das bedeutet die Besetzung eines Zustands ist umso wahrscheinlicher je niedriger dessen Energie ist Steigende Temperatur T hingegen erhoumlht die Wahrscheinlichkeit energiereicher Zustaumlnde Diese Gesetzmaumlszligigkeit gilt fuumlr die Besetzung aller auf atomarer oder molekularer Ebene gegebener Zustaumlnde in einem makroskopischen System Angewandt auf die Bewegungsenergie von Gasteilchen in einer einzelnen Raumrichtung x bedeutet das dass Teilchen mit hoher Geschwindigkeit vx weniger wahrscheinlich sind als solche mit niedriger Geschwindigkeit vx Allerdings steigt die Wahrscheinlichkeit des Auftretens groszliger Werte fuumlr vx mit steigender Temperatur Teilt man den Bereich der auftretenden Geschwindigkeiten in Intervalle auf und zaumlhlt man die Teilchen die gemaumlszlig ihrer Geschwindigkeit zu den einzelnen Intervallen zugeordnet werden koumlnnen so ergibt sich fuumlr die Geschwindigkeitsverteilung in vx und v das Bild das in Abb 22 oben dargestellt ist Die Verteilungsfunktionen fuumlr die Geschwindigkeiten in y- und z-Richtung sind identisch

n(vx)

vx-Intervall

n(vx)

vx-Intervall

Temperatur-erhoumlhung

- 0 +- 0 +n(v)

v-Intervall

Temperatur-erhoumlhung

0 +

n(v)

v-Intervall0 +

Abb 22 Verteilungsfunktionen einer eindimensionalen Geschwindigkeitskomponente (oben) und der Gesamtgeschwindigkeit (unten)

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Betrachtet man die Verteilung n(v) der Gesamtgeschwindigkeit v im dreidimensionalen Raum so wird das Bild komplizierter Bezuumlglich der drei Raumrichtungen x y und z sind weiterhin die kleinen Geschwindigkeiten wahrscheinlicher als die groszligen Da nun aber fuumlr eine groszlige Gesamtgeschwindigkeit v mehr Kombinationsmoumlglichkeiten vx vy vz existieren als fuumlr kleine Gesamtgeschwindigkeiten so wird die Wahrscheinlichkeit fuumlr sehr geringe Gesamtgeschwindigkeiten entsprechend kleiner fuumlr groszlige Gesamtgeschwindigkeiten entsprechend groumlszliger Der daraus resultierende Gewichtungsfaktor fuumlr jedes v ist die relative Flaumlche der Kugelschale mit dem Radius v Insgesamt ergeben sich dann die in Abb 22 unten dargestellten Verteilungsfunktionen fuumlr niedrige und hohe Temperaturen Die Verteilungsfunktionen in vx und v lauten (ohne Herleitung)

f(vx) = [M(2RT)]12 exp [-Mvxsup2(2RT)]

f(v) = 4 [M(2RT)]32 vsup2 exp [-Mvsup2(2RT)] Der Mittelwert von vx (oder jeder anderen eindimensionalen Geschwindigkeitskomponente) ist grundsaumltzlich Null Dagegen besitzt der Mittelwert von v stets eine endliche von Null verschiedene Groumlszlige Bei einer Erhoumlhung der Temperatur werden alle Verteilungsfunktionen breiter der Mittelwert von v vergroumlszligert sich Die Temperatur eines Gases aumluszligert sich also nicht nur im mittleren Geschwindigkeitsquadrat sondern auch in der Form der Geschwindigkeitsverteilungsfunktion Bei der Mischung von Gasen unterschiedlicher Temperatur muss um die oben genannte Forderung zu erfuumlllen aus der einfachen Summe von zwei Verteilungsfunktionen eine neue der Mischtemperatur ent-sprechende Verteilungsfunktion entstehen Dies ist nur unter der Annahme moumlglich dass ein Austausch kinetischer Energie unter den Teilchen erfolgen kann Diese Tatsache bedingt die eingangs gestellte Forderung nach Teilchenstoumlszligen also Wechselwirkungen zwischen den Teilchen Damit muumlssen die Gasteilchen aber auch ein gewisses Volumen besitzen den Teil-chen ohne Eigenvolumen koumlnnen prinzipiell nicht zusammenstoszligen Darin besteht der we-sentliche Unterschied zwischen einem Gas nach dem kinetischen Gasmodell und dem idealen Gas Das ideale Gas koumlnnte man theoretisch auf ein beliebig kleines Volumen komprimieren bei einem kinetischen Gas ist dies aufgrund des Eigenvolumens nicht moumlglich Ansonsten erlaubt das kinetische Gasmodell die vollstaumlndige Interpretation der idealen Gasgleichung

34 Die korrigierte Gasgleichung nach van der Waals JD van der Waals

Mithilfe des kinetischen Gasmodells laumlsst sich die Zustandsgleichung fuumlr Gase weiter verfeinern Zunaumlchst soll beruumlcksichtigt werden dass die Teilchen ein eigenes Volumen besitzen In erster Naumlherung geschieht dies indem man ein vom Eigenvolumen der Gas-teilchen abgeleitetes minimales Volumen des Gases (das so genannte Covolumen) definiert Das Covolumen beschreibt dasjenige Volumen des Gases das bei staumlndigem mechanischem Kontakt zwischen jeweils zwei Teilchen eingenommen wird wenn man den Teilchenpaaren jeweils den sie umschreibenden kugelfoumlrmigen Raum zuordnet (wegen der geringen Wahr-scheinlichkeit von Dreierstoumlszligen kann die Bildung von Dreiergruppen ausgeschlossen werden) Das molare Covolumen b entspricht wenn man eine einfache geometrische Uumlberlegung an-setzt dem vierfachen Eigenvolumen eines Mols der Gasteilchen Um das tatsaumlchliche freie

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Volumen zu erhalten muss das n-fache Covolumen vom gegebenen Volumen abgezogen werden Damit wird aus der idealen Gasgleichung P V = n R T die erste korrigierte Version P (V - n b) = n R T Im zweiten Schritt soll nun uumlber das kinetische Gasmodell hinausgehend auch die anziehen-de Wechselwirkung zwischen den Teilchen beruumlcksichtigt werden Die Anziehung zwischen den Teilchen sorgt nach van der Waals fuumlr einen zusaumltzlichen nach auszligen nicht messbaren bdquoBinnendruckldquo Dieser Binnendruck ist proportional zum Quadrat der Teilchendichte (nV)sup2 Der zwischen den Teilchen tatsaumlchlich wirkende nach auszligen ebenfalls unmessbare Gesamt-druck ist dann gegeben als

Pgesamt (unmessbar) = P (messbar) + a (nV)sup2

mit einer fuumlr die anziehende Wechselwirkung charakteristischen Konstante a Die danach korrigierte Version der Gasgleichung die van-der-Waals-Gleichung fuumlr reale Gase lautet

[P + a (nV)sup2] (V - nb) = n R T

Die Konstanten b und a besitzen fuumlr jedes reale Gas charakteristische Werte die dessen Eigenvolumen (die Groumlszlige der Elektronenhuumllle) und die Staumlrke der intermolekularen Wechsel-wirkungen reflektieren Beispiele

Gas a b

Argon 01345 Pa m6Molsup2 32210-5 msup3Mol Kohlendioxid 03592 Pa m6Molsup2 426710-5 msup3Mol Helium 00034 Pa m6Molsup2 23710-5 msup3Mol Stickstoff 01390 Pa m6Molsup2 391310-5 msup3Mol Wasser 05573 Pa m6Molsup2 31010-5 msup3Mol

Der Parameter b spiegelt mit der Einheit msup3Mol weitgehend die Groumlszlige der einzelnen Teilchen (Atome oder Molekuumlle) wider So besitzt erwartungsgemaumlszlig Kohlendioxid oder Argon einen groumlszligeren Wert fuumlr b als beispielsweise Helium Allerdings sind die Unterschiede erstaunlich klein was auf die Tatsache zuruumlckzufuumlhren ist dass sich das Covolumen auf Teilchenpaare bezieht und ein Paar aus Kohlendioxidmolekuumllen gegenuumlber einem Paar aus Heliumatomen nur etwa das doppelte Volumen benoumltigt

Der Parameter a mit der Einheit Pascal mal Molvolumen zum Quadrat reflektiert die Staumlrke der Wechselwirkungen zwischen den Teilchen Diese Wechselwirkungen beruhen zum groszligen Teil auf den elektrischen Eigenschaften der Teilchen Diese wiederum sind mit der elektronischen Struktur der Atome beziehungsweise der chemischen Bindungen verknuumlpft Am wichtigsten ist dabei das in Kapitel 19 erwaumlhnte Dipolmoment Polare Bindungen koumlnnen zu Teilchen mit permanenten Dipolen fuumlhren (zB HF Wasser Ammoniak CO) Andere Molekuumlle oder Atome sind zwar unpolar koumlnnen aber spontan oder durch aumluszligere

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elektrische Felder polarisiert werden (zB He Ar molekularer Wasserstoff molekulares Chlor) Man spricht dann von polarisierbaren Teilchen mit einem spontanen Dipolmoment oder mit einem durch ein aumluszligeres Feld bewirkten induzierten Dipolmoment In all diesen Faumlllen sind anziehende Wechselwirkungen zwischen den Teilchen moumlglich die in dem Parameter a zusammengefasst werden Daruumlber hinaus koumlnnen sich auch voruumlbergehende chemische Bindungen ausbilden Das prominenteste Beispiel fuumlr diesen Fall ist die bekannte Wasserstoffbruumlckenbindung die bei polaren X-H-Bindungen auftreten kann Im Einzelnen werden demnach folgende Arten von Wechselwirkungen mit absteigender Intensitaumlt unter-schieden

a) Wasserstoffbruumlckenbindung X-H hellip Y Hierbei bildet sich voruumlbergehend eine chemische Bindung zwischen dem polar gebundenen Wasserstoff und einem elektronegativen und mit einem freien Elektronenpaar ausgestatteten Element Y

b) Wechselwirkungen zwischen permanenten Dipolen hier besitzen alle Teilchen ein permanentes Dipolmoment Zwischen den entgegengesetzt geladenen Enden der Teilchen bauen sich dann konstant anziehende elektrostatische Wechselwir-kungen auf

c) Wechselwirkungen zwischen permanenten und induzierten Dipolen die Teil-chen mit permanentem Dipolmoment induzieren ein voruumlbergehendes Dipol-moment bei den benachbarten (zunaumlchst unpolaren) Teilchen In der Folge ergibt sich eine anziehende elektrostatische Wechselwirkung

d) Wechselwirkungen zwischen induzierten Dipolen durch spontane Polarisierung eines Teilchens entsteht ein voruumlbergehendes Dipolmoment welches bei einem benachbarten Teilchen eine Polarisierung hervorruft In der Folge ergibt sich eine kurzfristige und sehr schwache elektrostatische Anziehung zwischen den Teilchen Man spricht dabei auch von der Dispersionswechselwirkung oder der Londonschen Wechselwirkung

Alle diese Effekte sind anziehender Natur und gehen damit in den Parameter a ein Fasst man die beiden Parameter a und b zusammen so entsteht mit der van-der-Waals-Gleichung eine recht zuverlaumlssige Zustandsgleichung fuumlr reale Systeme die sowohl die abstoszligenden als auch die anziehenden Wechselwirkungen beruumlcksichtigt

Ein guter Test fuumlr diese reale Zustandsgleichung ist die Berechnung eines Diagramms von P gegen V fuumlr verschiedene Temperaturen das so genannte P-V-Diagramm und die Gegen-uumlberstellung mit dem entsprechenden experimentellen P-V-Diagramm eines realen Gases Gemaumlszlig der van-der-Waalsrsquoschen Gleichung existieren abhaumlngig von der betrachteten Tempe-ratur drei Typen von Isothermen (Abb 23 links) solche die einer Hyperbel aumlhneln (1) eine einzelne Isotherme die einen Wendepunkt mit waagrechter Tangente besitzt (2) und solche die ein Minimum ein Maximum und einen Wendepunkt aufweisen (3) Das experimentell beobachtete Verhalten stimmt in den ersten beiden Faumlllen recht gut uumlberein weicht aber bei Isothermen des dritten Typs deutlich vom berechneten Verlauf ab (Abb 23 rechts)

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P

V

PV-Diagramm nachvan-der-Waals-Gleichung

1 2

3

P

V

3

experimentell bestimmtesPV-Diagramm f reales Gas

Abb 23 PV-Diagramme fuumlr reale Gase berechnet nach van der Waals (links) und experimentell bestimmt (rechts) Die drei typischen Formen der Isothermen (1 2 und 3) sind im Text beschrieben

Offensichtlich beschreibt die van-der-Waals-Gleichung das Verhalten eines realen Gases in der Umgebung des Wendepunkts weniger gut Experimentell stellt man allerdings fest dass in diesem Bereich tatsaumlchlich auch kein reines Gas sondern vielmehr eine Mischung aus einem Gas und einer kondensierten Fluumlssigkeit also ein Zweiphasenzustand vorliegt Dieser Zwei-phasenbereich beginnt am Wendepunkt der Isothermen des Typs 2 und schlieszligt alle Minima Maxima und Wendepunkte der Isothermen des Typs 3 ein (Abb 24 links)

P

V

Zweiphasen-gebiet

P

V

Zweiphasen-gebiet

Maxwell-Maxwell-KorrekturKorrektur

Zweiphasen-Gebiet

Zweiphasen-Gebiet

A1

A2

Abb 24 PV-Diagramme fuumlr reale Gase mit eingezeichnetem Zweiphasengebiet Der in diesem Bereich bei der Beschreibung nach van der Waals gegebene Fehler kann in guter Naumlherung durch die Maxwell-Korrektur kompensiert werden

Eine einfache Korrektur der van-der-Waals-Gleichung ermoumlglicht eine realistische Beschrei-bung des Zweiphasengebiets Eine horizontale Gerade wird so in der Naumlhe des Wendepunktes gelegt dass die oberhalb und unterhalb der Geraden im Zweiphasenbereich gebildeten Teilflaumlchen A1 und A2 die gleiche Groumlszlige besitzen (sog Maxwell-Korrektur s Abbildung 24 rechts) Dies sieht zwar nach einer etwas willkuumlrlichen Hilfskonstruktion aus trotzdem laumlsst sich damit das Verhalten eines realen Gases im Zweiphasengebiet sehr gut nachvollziehen und vorhersagen Eine besonders ausgewiesene Position im PV-Diagramm eines realen Gases ist der Scheitel-punkt des Zweiphasengebiets der durch den Wendepunkt der Isotherme des Typs 2 gebildet wird (Abb 25)

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P

V

Zweiphasen-gebiet Tc

Pc

Vc

kritischer Punkt

Jedes reale Gas besitzt einen sogenannten kritischenPunkt der durch die kritischen Zustandsgroumlszligen Tc Pc undVc beschrieben wird Die kritische Temperatur Tc istdiejenige Temperatur bei der sich ein Gas unter Druckgerade noch verfluumlssigen laumlszligt Oberhalb der kritischenTemperatur existiert kein fluumlssiger Zustand Derentsprechende Druck Pc wird als kritischer Druckbezeichnet

Die Isotherme die der kritischen Temperatur zugeordnetist besitzt als einzige einen Wendepunkt mit horizontalerTangente der gleichzeitig den kritischen Punkt markiert

Abb 25 PV-Diagramm fuumlr ein reales Gas mit kritischem Punkt

Dieser sogenannte kritische Punkt wird durch die kritische Temperatur Tc den kritischen Druck Pc und das kritische Molvolumen Vc festgelegt Zustaumlnde oberhalb des kritischen Punkts nennt man uumlberkritisch Uumlberkritisches Kohlendioxid besitzt in der Technik groszlige Bedeutung fuumlr das Loumlsen und Ausfaumlllen von pharmazeutischen Wirkstoffen (zB Aspirin fuumlr Brausetabletten) fuumlr die Extraktion (zB bei der Entkoffeinierung von Kaffee) oder zur chemischen Reinigung von Textilien

35 Andere Zustandsgleichungen fuumlr reale Gase

Neben der van-der-Waals-Gleichung existieren weitere Ansaumltze zur Beschreibung realer Gase die zwar eine genauere Anpassung an die gemessenen Werte ermoumlglichen aber auch kompli-zierter sind oder mehr Arbeit bei der Bestimmung der charakteristischen Parameter erfordern Im Folgenden seien als Beispiele die Berthelot-Gleichung und die Virialgleichung erwaumlhnt

a Berthelot-Gleichung (P + (Ansup2)(TVsup2) ) (V - nB) = n R T Berthelot fuumlhrte damit als Besonderheit einen temperaturabhaumlngigen Binnendruck ein Dies ist insoweit physikalisch gerechtfertigt als die vermehrte thermische Bewegung der Ausbildung von Wechselwirkungen zwischen den Molekuumllen entgegenwirken kann

b Virialgleichung P Vm = A + B P + C Psup2 + D Psup3 + Mit Vm = Vn Die Virialgleichung nutzt die Tatsache dass sich fast alle physikalischen Zusammenhaumlnge uumlber einen Potenzreihenansatz a + bx + cxsup2 + dxsup3 + hellip beliebig genau annaumlhern lassen Je nach Anzahl der anpassbaren Parameter ist zwar eine beliebig genaue Beschreibung des realen Gases moumlglich allerdings steigt auch der Aufwand fuumlr die Bestim-mung aller Koeffizienten

36 Beschreibung von Fluumlssigkeiten

Im PV-Diagramm der realen Gase schlieszligt sich links vom Zweiphasengebiet der Bereich der fluumlssigen Phase an Sie zeichnet sich dadurch aus dass mit sinkendem Volumen der Druck ex-trem steil ansteigt Das bedeutet dass bereits eine geringfuumlgige Volumenabnahme mit einem aumluszligerst groszligen Druckanstieg verbunden ist In der Praxis hat das zur Folge dass Fluumlssigkeiten im Gegensatz zu Gasen kaum komprimierbar sind ihre Kompressibilitaumlt geht gegen Null Auch ist die Ausdehnung der Fluumlssigkeiten bei steigender Temperatur und bei konstantem

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Druck (der thermische Ausdehnungskoeffizient) sehr viel kleiner als bei Gasen Eine einfache allgemeine Zustandsgleichung fuumlr die fluumlssige Phase in Analogie zur idealen oder zur van-der-Waals-Gleichung existiert nicht Stattdessen findet man bei der experimentellen Bestimmung des Zusammenhangs zwischen P V und T fuumlr jede Fluumlssigkeit ein sehr charakteristisches Verhalten Vergleicht man die Messergebnisse verschiedener Fluumlssigkeiten untereinander so sind kaum Aumlhnlichkeiten auszumachen Daruumlber hinaus sind bestimmte Messungen (zB die Messung der Abhaumlngigkeit des Drucks vom Volumen bei konstanter Teilchenzahl und Temperatur) technisch sehr schwer zu realisieren Das Fehlen einer einheitlichen Zustandsgleichung V(TPn) fuumlr Fluumlssigkeiten liegt auch in deren komplexer Struktur begruumlndet Betrachtet man ein einzelnes Teilchen in der Fluumlssigkeit so liegt es bezuumlglich der Abstaumlnde zu seinen naumlchsten Nachbarn stets in der Naumlhe des Mini-mums einer Potentialkurve Epot(r) die einen sehr steilen Verlauf besitzt Die Abstaumlnde zu den benachbarten Teilchen sind damit nahezu fixiert folglich ist eine unabhaumlngige Translations-bewegung einzelner Teilchen praktisch unmoumlglich Stattdessen verlaufen alle Bewegungs-prozesse mehr oder weniger kollektiv also unter gleichzeitiger Verschiebung mehrerer Teilchen Daruumlber hinaus gibt es keine nennenswerten freien Volumina so dass der mittlere Abstand der Teilchen nur unwesentlich verringert werden kann ein Umstand der sich in der bereits erwaumlhnten geringen Kompressibilitaumlt aumluszligert Ein Modell fuumlr eine allgemeine Fluumlssigkeit laumlsst sich im Rahmen einer Computersimulation einfuumlhren Man betrachtet dabei einen wuumlrfelfoumlrmigen Raum der einen Ausschnitt aus dem Fluumlssigkeitsvolumen darstellen soll und eine endliche Anzahl n von Fluumlssigkeitsteilchen (zB n = 1000) enthaumllt Um die Zahl der Teilchen konstant zu halten und dabei trotzdem deren Beweglichkeit zu wahren wird eine Kontinuitaumltsbedingung eingefuumlhrt Jedes Teilchen das im Rahmen der Bewegungsprozesse den Wuumlrfel an einer gegebenen Stelle verlaumlsst tritt automatisch an der genau gegenuumlberliegenden Position des Wuumlrfels wieder ein Auf diese Weise ist gewaumlhrleistet dass die Zahl der Teilchen im Wuumlrfel konstant bleibt (Abb 26)

Abb 26 Simulation von Bewegungs-vorgaumlngen in einem Fluumlssigkeitsvolumen unter Wahrung einer konstanten Partikel-anzahl Jedes Teilchen das im Rahmen der Bewegungsprozesse den Wuumlrfel an einer gegebenen Stelle verlaumlsst tritt automatisch an der genau gegenuumlberliegenden Position des Wuumlrfels wieder ein

An diesem System fuumlhrt man nun eine so genannte Monte-Carlo-Simulation durch Dabei setzt ein Zufallsgenerator eine geringfuumlgige Verschiebung eines beliebigen einzelnen Teil-chens in Gang Anschlieszligend wird unter Verwendung des bekannten Potentialverlaufs Epot(r) berechnet wie sich nach der Verschiebung die potentielle Energie des Systems veraumlndert hat Danach entscheidet das Simulationsprogramm zwischen zwei Moumlglichkeiten

- Hat sich die gesamte potentielle Energie des Systems durch die Verschiebung verringert oder blieb sie konstant so wird die Verschiebung akzeptiert und der naumlchste Schritt berechnet - Hat sich die gesamte potentielle Energie durch die Verschiebung um den positiven Wert E erhoumlht so wird die Verschiebung mit einer Wahrscheinlichkeit die von E abhaumlngt akzeptiert und ansonsten verworfen Danach wird der naumlchste Schritt berechnet

Auf diese Weise kann man fuumlr beliebige Fluumlssigkeiten sowohl die typischen Bewegungs-prozesse als auch die einflussbedingten Veraumlnderung von Zustandsgroumlszligen (zB P in Ab-

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haumlngigkeit von V) berechnen Allerdings sind die Rechnungen bei den fuumlr eine realistische Beschreibung eines Fluumlssigkeitsvolumens notwendigen groszligen Teilchenzahlen sehr aufwaumlndig und zeitintensiv

37 Beschreibung von Festkoumlrpern

Begibt man sich im P-V-Diagramm vom fluumlssigen Zustand ausgehend noch weiter nach links (zu kleineren Volumina houmlheren Drucken und niedrigeren Temperaturen) so erreicht man den festen Zustand Die Problematik der Zustandsgleichung V(TPn) von Festkoumlrpern aumlhnelt jener der Fluumlssigkeiten Auch hier sind die Kompressibilitaumlten und die thermischen Aus-dehnungskoeffizienten uumlblicherweise sehr viel geringer als bei Gasen Ebenso wie bei Fluumls-sigkeiten sind dabei die Unterschiede zwischen einzelnen Vertretern der Festkoumlrper recht groszlig so dass keine gemeinsame Zustandsgleichung wie bei Gasen formuliert werden kann Im Vergleich mit den Werten der Fluumlssigkeiten sind die Kompressibilitaumlten und die thermischen Ausdehnungskoeffizienten der Festkoumlrper durchschnittlich nochmals um etwa zwei Groumlszligen-ordnungen geringer

Abb 27 Torsionsexperiment zur Unterscheidung zwischen Fluumlssigkeiten und Festkoumlrpern (s Text)

Der wesentliche Unterschied zwischen Festkoumlrpern und Fluumlssigkeiten besteht allerdings in ihrem gegensaumltzlichen Verhalten bezuumlglich Verformung waumlhrend Fluumlssigkeiten einer gege-benen Verformung durch ihre Zaumlhigkeit (Viskositaumlt) Widerstand leisten reagiert ein Fest-koumlrper auf eine Verformung durch eine elastische Deformation Dieses Verhalten wird in einem Torsionsrheometer deutlich wobei eine feste oder fluumlssige Probe periodisch mit einer torsionsartigen Verformung beaufschlagt wird (Abb 27) Waumlhrend der Drehmomentverlauf des Festkoumlrpers exakt gleichphasig zur periodischen Aus-lenkung erfolgt (elastische Verformung) ist der Drehmomentverlauf der Fluumlssigkeit dazu um ein Viertel einer Wellenlaumlnge phasenverschoben (viskose Reaktion) Bei Fluumlssigkeiten ist der Widerstand dann maximal wenn die Deformationsgeschwindigkeit maximal ist (blaue Linie

t

Dre

hmom

entv

erla

uf

tAusl

enku

ng

Festkoumlrper

t

Dre

hmom

entv

erla

uf

Fluumlssigkeiten

Pruumlfkoumlrper

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in Abb 26) Bei Festkoumlrpern ist die Kraft dann maximal wenn der Deformationszustandmaximal ist (rote Linie in Abb 27) Viele Festkoumlrper stellen Uumlbergaumlnge zwischen diesen beiden Extremfaumlllen dar und werden dann als viskoelastisch bezeichnet Aus der Betrachtung von Messergebnissen an einer Viel-zahl von Materialien geht hervor dass eine eindeutige Abgrenzung zwischen dem fluumlssigen und dem festen Zustand selten moumlglich ist Entsprechend gibt es auch unterschiedliche Strukturmodelle die teilweise das elastische Verhalten teilweise das plastische Verhalten von Festkoumlrpern erklaumlren Dem elastischen Festkoumlrper mit nahezu verschwindender Phasen-verschiebung wird am ehesten das Modell eines idealen Kristalls gerecht Man geht dabei davon aus dass jedes Atom bzw Molekuumll aus dem der Festkoumlrper zusammengesetzt ist sich an einem geometrisch festgelegten Gitterpunkt befindet von dem es sich nicht entfernen kann Als Bewegungsprozess ist dabei lediglich eine Schwingung mit begrenzter Amplitude moumlglich Die denkbaren Geometrien der Gitterstrukturen reichen von primitiv-kubischen Gittern (zB Natriumchlorid) uumlber kubisch-dichteste (zB Silber Kupfer) und hexagonal-dichteste Kugelpackungen (zB Magnesium Zink) bis zur kubisch-raumzentrierten Struktur (zB Eisen Molybdaumln) Haumlufig findet man leichte Abweichungen von der idealen Gitter-struktur die durch lokale Stoumlrungen hervorgerufen werden Akzeptiert man gewisse Anteile an viskosem Verhalten (dh eine leichte Phasenverschiebung) so begibt man sich in den Grenzbereich zwischen Festkoumlrpern und Fluumlssigkeiten In einem Material wie Glas ist die regelmaumlszligige Anordnung eines Gitters nicht gegeben die Atome sind unregelmaumlszligig positioniert und koumlnnen unter Belastung auch flieszligen Solche nicht-kristallinen Festkoumlrper bezeichnet man als amorph Typische Vertreter amorpher Feststoffe sind Fenster-glas viele transparente Kunststoffe (zB Plexiglas Polyester in Getraumlnkeflaschen) Wachs und Aumlhnliches Amorphe Festkoumlrper besitzen keinen Schmelzpunkt sondern erweichen bei steigender Temperatur allmaumlhlich Amorphe Festkoumlrper koumlnnen nachtraumlglich kristallisieren wobei sich haumlufig das aumluszligere Erscheinungsbild und die physikalischen Eigenschaften drastisch aumlndern (zB Plastikfolie unter Zug)

38 Das Phasendiagramm

Die drei wichtigsten Phasenzustaumlnde zu denen sich eine makroskopische Gesamtheit von Atomen oder Molekuumllen zusammenfinden koumlnnen sind also Gase Fluumlssigkeiten und Festkoumlrper Die Frage ist nun unter welchen Bedingungen sich ein System fuumlr den ersten den zweiten oder den dritten Zustand entscheidet Erfahrungsgemaumlszlig haumlngt der gegebene Phasenzustand von den in Kapitel 31 eingefuumlhrten Zustandsparametern n V P und T ab Legt man die Stoffmenge n auf einen Wert fest (zB auf ein Mol Teilchen) und beruumlcksichtigt man dass nach den gegebenen Zustandsgleichungen die Groumlszligen n V P und T miteinander verknuumlpft sind so genuumlgen zwei Parameter um den jeweils guumlnstigsten Phasenzustand eindeutig festzulegen Ein Diagramm bei dem einer der Parameter V P und T gegen einen anderen aufgetragen wird eignet sich also prinzipiell um bei einer gegebenen Teilchenart den unter diesen Bedingungen jeweils angestrebten Phasenzustand zu markieren So kann man gemaumlszlig den Abbildungen 23 bis 25 in einem Diagramm bei dem P gegen V aufgetragen wird schon den jeweils gegebenen Phasenzustand eintragen und ablesen In der Praxis eignen sich solche PV-Diagramme allerdings wenig um Phasenzustaumlnde zu markieren der gasfoumlrmige Zustand nimmt einen sehr breiten Raum ein waumlhrend der fluumlssige und der feste Zustand in dem sehr engen Bereich links neben dem Zweiphasengebiet bdquoeingequetschtldquo waumlre Vor allem in diesem Umfeld waumlre das Diagramm schwer ablesbar

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Wesentlich guumlnstiger ist dagegen die Auftragung vom Druck P gegen die Temperatur T In diesem PT-Diagramm das auch als Phasendiagramm bezeichnet wird lassen sich alle Phasenzustaumlnde uumlbersichtlich zuordnen Dabei bezeichnen Flaumlchenanteile im PT-Diagramm die unter den gegebenen Druck- und Temperaturbedingungen angestrebte Phase (zB fest fluumlssig gasfoumlrmig) waumlhrend Linien die dazwischen vorliegenden Gleichgewichte markieren und Phasengrenzlinien genannt werden (Abb 28)

T

Pfe

st

fluumlss

ig

gasfouml

rmig

kritischerPunkt

Tripel-punkt

Phasengrenzlinie

Abb 28 Phasendiagramm mit Auftragung des Drucks (P) gegen die Temperatur (T)

Auszligerdem enthaumllt ein Phasendiagramm gewoumlhnlich mindestens zwei besonders ausgezeich-nete Punkte den Tripelpunkt an dem die drei im Allgemeinen wichtigsten Phasenzustaumlnde fest fluumlssig und gasfoumlrmig miteinander im Gleichgewicht stehen und den bereits aus dem PV-Diagramm bekannten kritischen Punkt der das Ende eines definierten Uumlbergangs zwischen fluumlssiger und gasfoumlrmiger Phase markiert Beispiele fuumlr Phasendiagramme Kohlen-dioxid und Wasser sind in Abbildung 29 und 30 wiedergegeben

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T

P

fest

fluumlss

iggasfoumlrmig

kritischerPunkt

Tripel-punkt

2168 K

511 bar

CO2

3042 K

728 bar

Abb 29 Phasendiagramm fuumlr Kohlendioxid

T

P

fluumlss

ig

gasfoumlrmig

kritischerPunkt

H2O

Eis 1

Eis 1

Eis 2 Eis 3

Eis 5

Eis 6

Tripelpunkt6473 K

218 bar

6 mbar 27316 K

Abb 30 Phasendiagramm fuumlr Wasser Der Bereich oberhalb von 200 bar ist aus Gruumlnden der

Uumlbersichtlichkeit entlang der P-Achse komprimiert dargestellt

Eine wichtige Besonderheit des Phasenverhaltens von Wasser ist die Tatsache dass die Phasengrenzlinie zwischen fluumlssigem Wasser und Eis 1 eine negative Steigung aufweist Dies hat zur Folge dass gewoumlhnliches Eis durch Erhoumlhung des Drucks zum Schmelzen gebracht werden kann Dieser Umstand ist eine der Ursachen dafuumlr dass eine Kufe auf Eis gleitet da der durch das Schmelzen entstehende Wasserfilm die Reibung vermindert (allerdings spielt hier auch die Reibungswaumlrme eine Rolle) Der Grund fuumlr dieses Verhalten steht in direkter Verbindung mit der strukturbedingten Volumenabnahme beim Schmelzen von Eis (s Videos unter httpwwwyoutubecomwatchv=6s0b_keOiOU und httpswwwyoutubecomwatchv=CDTZoFGmZoc )

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Waumlhlt man in einem Phasendiagramm eine Kombination von Druck und Temperatur so kann man direkt denjenigen Phasenzustand ablesen den die gegebene Teilchenart unter diesen Bedingungen anstrebt Das heiszligt jedoch nicht dass dieser Zustand dann auch in jedem Fall und zu jeder Zeit vorliegt Haumlufig beobachtet man eine so genannte kinetische Hemmung einer Phasenumwandlung So gibt es unterkuumlhlte Fluumlssigkeiten (zB Regentropfen bei -3degC) genauso wie unterkuumlhlte Dampfphasen (zB uumlbersaumlttigten Wasserdampf in Gewitterwolken) oder uumlberhitzte Fluumlssigkeiten (zB uumlberhitztes Wasser bei einem Siedeverzug) Kristalli-sationskeime wie Staubkoumlrner koumlnnen Phasenumwandlungen beschleunigen (zB durch Staub verursachter bdquoIndustrieschneeldquo) Bisher wurden lediglich Phasendiagramme von reinen Stoffen betrachtet die nur aus einer einzelnen Sorte Atomen oder Molekuumllen bestehen Mischt man einem gegebenen Stoff eine weitere Komponente hinzu so aumlndert sich das Phasendiagramm erheblich Als Beispiel betrachten wir ein System in dessen fluumlssiger Phase ein Fremdstoff A geloumlst wird der weder im Festkoumlrper noch im der Gasphase loumlslich ist (zB Kochsalz in Wasser) In diesem Fall dehnt sich der fluumlssige Bereich des Phasendiagramms mit steigender Konzentration von A in alle Richtungen aus so dass gleichzeitig der Schmelzpunkt erniedrigt der Siedepunkt erhoumlht und der Dampfdruck verringert wird (Abb 31) In erster Naumlherung sind alle genannten Aumlnderungen proportional zu cA

T

P

fest

fluumlss

ig

gasfouml

rmig

Abb 31 Phasendiagramm fuumlr ein System in dessen fluumlssiger Phase ein Fremdstoff mit steigender

Konzentration cA geloumlst wird Der Bereich der fluumlssigen Phase dehnt sich daraufhin in alle

Richtungen aus

Bei weiter steigender Konzentration von A kann ein Punkt erreicht werden an dem die Mischung in zwei getrennte Bereiche zerfaumlllt die ebenfalls als Phasen bezeichnet werden (zB Olivenoumll und Wasser) Eine dieser Phasen besitzt dann einen hohen Loumlsemittelanteil bei geringer Konzentration von A die andere besteht aus einem hohen Anteil an A mit einem geringen Gehalt an Loumlsemittel Dieser Vorgang der Phasenseparation binaumlrer (aus zwei Komponenten bestehender) Systeme wird durch eine andere Art von Phasendiagramm beschrieben dem so genannten Mischphasendiagramm (Abb 32) Hierbei wird die Tempe-

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ratur dem relativen Anteil einer Komponente gegenuumlbergestellt der Druck wird als konstant angenommen

Abb 32 Allgemeine Darstellung eines Mischphasendiagramms

Grundsaumltzlich gibt die linke Flanke der Phasentrennlinie (links des kritischen Punkts) die Zusammensetzung der bdquoA-armenldquo Phase an waumlhrend die rechte Flanke (rechts des kritischen Punkts) die Zusammensetzung der A-reichen Phase beschreibt Die Mengen der dabei gebildeten Phasen koumlnnen nach dem so genannten Hebelgesetz berechnet werden Demnach gilt zwischen dem Anteil n1 der A-armen Phase 1 dem Anteil n2 der A-reichen Phase 2 und den Laumlngen der Pfeile s1 und s2 in der vorhergehenden Abbildung folgender Zusammenhang

n1 s1 = n2 s2

Fuumlr das gezeigte Beispiel wuumlrde das bedeuten dass der Anteil der Phase 1 etwa doppelt so groszlig waumlre wie der Anteil der Phase 2 In der Naumlhe der beiden Raumlnder des Diagramms also fuumlr xA 0 (sehr wenig A im Loumlsemittel) oder xA 1 (sehr wenig Loumlsemittel in A) liegen in den meisten Faumlllen einphasige homogene Mischungen vor Das besagt dass auch bei niedrigen Temperaturen ein wenig von dem Stoff A im Loumlsemittel bzw ein wenig Loumlsemittel im Stoff A loumlslich ist Der im Diagramm eingezeichnete kritische Punkt bedeutet dass oberhalb der dazugehoumlrigen kritischen Temperatur keine Entmischung mehr erfolgt dh hier sind die beiden Komponenten vollstaumlndig und in jedem Verhaumlltnis miteinander mischbar Neben solchen oberen kritischen Punkten gibt es auch untere kritische Punkte Im zweiten Fall gilt dass die beiden Komponenten unterhalb einer bestimmten Temperatur in jedem Verhaumlltnis miteinander mischbar sind Im Allgemeinen koumlnnen die drei verschiedenen Faumllle auftreten die in Abbildung 33 dargestellt sind

0 Molenbruch xA der Komponente A 1

Tem

pera

tur

obere kritischeTemperatur

Einphasen-gebiet

Zweiphasen-gebiet

Beispiel xA = 04

T1

Zum gezeigten Beispiel

Eine Mischung mit dem Molenbruch xA = 04 wird von T2 nach T1 abgekuumlhltDabei zerfaumlllt die Mischung bei Tklsquo in zwei Phasen derenZusammensetzung bei T1auf der x-Achse an den Punkten 1 und 2 ablesbar ist

T2

Tklsquo

1 2

kritischer Punkt

s1 s2

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0 xA 1

Tem

pera

tur

System mit oberem kritischen Punkt

kritischer Punkt

0 xA 1Te

mpe

ratu

r

System mit unterem kritischen Punkt

kritischer Punkt

0 xA 1

Tem

pera

tur

System mit oberem und unterem

kritischen Punkt

kritischer Punkt

kritische Punkte

Abb 33 Moumlgliche Varianten von kritischen Punkten bei Systemen aus zwei Komponenten

Obere kritische Punkte findet man dann wenn sich die molekulare thermische Bewegung gegen die Tendenz der Molekuumlle sich mit gleichartigen Molekuumllen zusammenzulagern durchsetzt Dieses Phaumlnomen ist sehr verbreitet so dass ein oberer kritischer Punkt bei sehr vielen Mischphasen beobachtet wird Untere kritische Punkte sind sehr viel seltener Sie treten beispielsweise dann auf wenn die beiden Komponenten miteinander bei tiefen Temperaturen einen Komplex bilden der bei houmlheren Temperaturen wieder zerfaumlllt und dann zu einer Phasenseparation fuumlhrt Ein Beispiel dafuumlr ist die Mischung aus Wasser und Triethylamin

Fuumlr Mischphasen aus drei Komponenten so genannte ternaumlre Mischungen sind die bisher gezeigten Darstellungen ungeeignet Hierfuumlr haben sich Dreiecksdiagramme (Gibbssches Phasendreieck) durchgesetzt die das Phasenverhalten unter Variation der Mengenbeitraumlge aller drei Komponenten aufzeigen (Abb 34) Das Diagramm ist so geartet dass die Summe aller drei Mengenanteile xA xB und xC in jedem Fall den Wert 1 ergibt Damit besitzt die Zusammensetzung des ternaumlren Gemisches zwei Freiheitsgrade Jede Linie die durch eine Ecke des Diagramms fuumlhrt verbindet diejenigen Punkte bei denen das Verhaumlltnis zweier Komponenten gleich ist Jede Linie die parallel zu einer der drei Seiten verlaumluft entspricht Gemischen bei denen der relative Anteil einer Komponente gleich bleibt

00 02 04 06 08 10Komponente A

00

02

04

06

08

10

Kom

pone

nte

B

0002

04

06

08

10

Komponente C

C

A

B

00 02 04 06 08 10Komponente A

00

02

04

06

08

10

Kom

pone

nte

B

00

02

04

06

08

10

Komponente C

x1

x2x

Abb 34 Prinzip eines ternaumlren Phasendiagramms nach Gibbs (Dreiecksdiagramm)

In solche ternaumlren Mischphasendiagramme lassen sich nun entsprechend den binaumlren Mischphasendiagrammen die Ein- und Zweiphasengebiete einzeichnen Das Diagramm in

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Abb 34 rechts gilt zB fuumlr eine ternaumlre Mischung aus A B und C bei der die Komponenten A und B sowie B und C jeweils paarweise in jedem Verhaumlltnis miteinander mischbar sind Die Komponenten A und C sollen dagegen nur begrenzt mischbar sein Als Konsequenz daraus ergibt sich ein Dreiecksdiagramm das an der unteren Achse die dem Anteil 0 der Komponente B entspricht ein Zweiphasengebiet aufweist

Die Hilfslinien im Zweiphasengebiet markieren die Zusammensetzung der entstehenden Einzelphasen So wuumlrde beispielsweise eine Mischung deren Zusammensetzung im Diagramm durch den Punkt x markiert ist in die beiden Phasen x1 und x2 zerfallen Die Mengenanteile der beiden Phasen koumlnnten dabei wieder uumlber das Hebelgesetz berechnet werden Um zusaumltzlich den Einfluss der Temperatur wiederzugeben muss eine weitere Koordinate eingefuumlhrt werden Man erhaumllt dabei ein dreidimensionales Dreiecksdiagramm das haumlufig unter Verwendung von Houmlhenlinien nach der Art einer topographischen Landkarte dargestellt wird Jede Houmlhenlinie des Zweiphasengebiets umschreibt dann seine Ausdehnung bei einer gegebenen Temperatur

Fragt man bei einem System mit bestehenden Randbedingungen nach der Zahl der frei variierbaren Zustandsgroumlszligen also nach der Zahl der Freiheitsgrade so haumlngt die Antwort zunaumlchst davon ab in welchem Phasenzustand sich das System befindet So kann man beispielsweise in der Gasphase (bei festgelegter Stoffmenge) Temperatur und Druck frei waumlhlen wodurch dann automatisch das Volumen festgelegt wird Gleiches gilt fuumlr die feste und die fluumlssige Phase Das System hat innerhalb eines Phasenzustands also zwei Freiheits-grade Setzt man allerdings voraus dass sich das System in einem Gleichgewicht zwischen zwei Phasen befindet (zB auf der Verdampfungslinie) so besitzt es nur einen Freiheitsgrad Am Tripelpunkt schlieszliglich bei einem Gleichgewicht zwischen drei Phasen sind keine Freiheitsgrade mehr vorhanden Zwischen der Zahl der Phasen P und der Zahl der Freiheitsgrade F gibt es also folgende einfache Beziehung

F = 3 - P

Beruumlcksichtigt man weiter dass auch mehr als eine Komponente auftreten kann (Zahl der Komponenten C gt 1) so erhoumlht sich die Zahl der Freiheitsgrade um jede zusaumltzliche Komponente deren Konzentration ja frei waumlhlbar ist um den Wert eins Man erhaumllt damit

F = 3 - P + (C - 1) oder F = C - P + 2

Nach dieser allgemeinguumlltigen Formel der so genannten Gibbsrsquoschen Phasenregel laumlsst sich die Zahl der Freiheitsgrade in jedem beliebigen System bestimmen Sie erlaubt insbesondere bei sehr komplizierten Mischungen mit einer unbekannten Anzahl an Phasenzustaumlnden uumlber eine einfache Betrachtung Ruumlckschluumlsse auf deren Phasenverhalten

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Beide Probleme sowohl die Wahl der passenden Fixpunkte als auch die Definition einer sinnvollen linearen Teilung werden heute durch die Festlegung der so genannten absoluten Temperaturskala geloumlst Grundlage hierfuumlr sind uumlbereinstimmende Beobachtungen an Gasthermometern

-300 -200 -100 0 100 200

V

T

-27315degCBei wiederholten Messungen mit verschiedenenGasthermometern verschiedenen Gasen undGasvolumina und bei verschiedenen Drucken stelltman fest dass sich die Verlaumlngerungen aller in denjeweiligen Diagrammen erhaltenen Linien in einemPunkt schneiden Dieser Punkt entspricht auf derVolumenachse dem Wert V = 0 und auf derTemperaturachse dem Wert T = -27315 degC

Abb 19 Ausdehnungskurven verschiedener Gase Die Temperaturskala ist zunaumlchst noch in Celsius aufgetragen

Aus dieser Beobachtung wurde geschlossen dass der Temperatur am gemeinsamen Schnitt-punkt aller Ausdehnungskurven eine besondere physikalische Bedeutung zukommt und sie sich daher als Fixpunkt einer neuen Temperaturskala eignet Weiterhin wurde festgestellt dass zwar alle Gase in ihrem Ausdehnungsverhalten von dem linearen Verlauf abweichen dass aber unter bestimmten Umstaumlnden (zB niedriger Druck) ein gemeinsamer Verlauf angestrebt wird den man auch als idealen Verlauf bezeichnen koumlnnte Am besten funktioniert das bei Helium unter schrittweise absinkenden Drucken dessen Verhalten sich fuumlr P rarr 0 zum idealen Verhalten extrapolieren laumlsst Diese Erkenntnis diente zur Definition einer absoluten Temperaturskala in Kelvin

1) Unterer Fixpunkt Schnittpunkt der Volumenexpansionskurven bdquoidealerldquo Gase (zB Helium fuumlr den Grenzfall Prarr0) 0 Kelvin

2) Oberer Fixpunkt Koexistenztemperatur von Eis Wasser und Wasserdampf 27316 Kelvin

3) Das Volumen eines bdquoidealenldquo Gases (zB Helium fuumlr den Grenzfall Prarr0) ist bei konstantem Druck proportional zur Temperatur und definiert die lineare Teilung der Temperaturskala

Gemaumlszlig dieser Definition ist jede beliebige Temperatur unter Nutzung eines bdquoidealenldquo Gasther-mometers auf der absoluten Kelvin-Skala eindeutig festgelegt Die Verwendung der Kelvin-Skala ist gegenuumlber der Nutzung klassischer Temperatursysteme bei der Beschreibung physi-kalischer Vorgaumlnge eindeutig von Vorteil Vorgaumlnge bei denen die Temperatur konstant ist nennt man isotherm Mit der Definition der wichtigsten Zustandsparameter Teilchenzahl n Volumen V Druck P und Temperatur T besteht nun die Moumlglichkeit das Verhalten makroskopischer Materie zu beschreiben Am einfachsten gelingt das im Fall von Gasen

32 Zustandsgleichung fuumlr Gase die ideale Gasgleichung

Gleichungen welche die Zustandsparameter wie n V T und P miteinander verknuumlpfen nennt man Zustandsgleichungen Sie beschreiben das Verhalten einer aus vielen einzelnen Teilchen bestehenden Materie hinsichtlich ihrer makroskopisch messbaren Groumlszligen Am

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einfachsten sind solche Zustandsgleichungen fuumlr Gase aufzustellen Untersucht man bei Gasen systematisch den Zusammenhang zwischen n V P und T so stellt man fest dass fuumlr alle Gase in mehr oder weniger guter Naumlherung folgende einfache Gleichung erfuumlllt isthellip

P ∙ V = n ∙ R ∙ T

hellipwobei R fuumlr die so genannte ideale Gaskonstante steht (R asymp 8314 J K-1 Mol-1) Diese Glei-chung auch bdquoideale Gasgleichungldquo genannt ist ein so genanntes Grenzgesetz kein real exis-tierendes Gas erfuumlllt es genau aber alle Gase kommen ihm recht nahe insbesondere bei hohen Temperaturen und niedrigen Druumlcken Eine Gleichung dieser Form nennt man auch Zustands-gleichung da sie Zustandsparameter miteinander verbindet Grafisch laumlsst sich diese Verknuumlp-fung in einem einfachen Diagramm darstellen bei dem jede Kombination von T und V genau einem Wert fuumlr P zugeordnet ist (Abb 20)

P

V

T

Abb 20 Auftragung von P gegen T und V nach der idealen Gasgleichung

Wir wissen nun dass die Gase aus einer Vielzahl von Teilchen (Atomen oder Molekuumllen) bestehen Wie laumlsst sich das durch die ideale Gasgleichung beschriebene Verhalten nun mit dieser Tatsache in Einklang bringen Was bedeuten eigentlich die Parameter Druck und Tem-peratur fuumlr ein Gas das sich aus vielen einzelnen Atomen und Molekuumllen zusammensetzt Um makroskopische Zustandsparameter uumlberhaupt mit der Teilchenwelt verknuumlpfen zu koumlnnen benoumltigen wir eine Modellvorstellung fuumlr das mechanische Zusammenwirken der Teilchen im Fall von Gasen das so genannte kinetische Gasmodell

33 Das kinetische Gasmodell

Bei den im vorhergehenden Kapitel aufgefuumlhrten Gasgesetzen handelt es sich um mathemati-sche Beschreibungen von makroskopisch beobachtbaren Vorgaumlngen Zur Interpretation der Gasgesetze auf molekularer Ebene wurden verschiedene Modelle vorgeschlagen Das erfolg-reichste unter ihnen war das sogenannte kinetische Gasmodell Es beruht auf der Vorstellung dass ein Gas aus einer Vielzahl von Teilchen besteht die folgende Bedingungen erfuumlllen

1) Sie besitzen eine Atom- oder Molmasse M einen endlichen Durchmesser d und befinden sich in staumlndiger und ungeregelter Bewegung

2) Die Groumlszlige der Teilchen ist im Verhaumlltnis zum freien Volumen vernachlaumlssig-bar

3) Zwischen den Teilchen finden elastische Stoumlszlige statt Ansonsten existieren keine weiteren Wechselwirkungen unter den Teilchen

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Nach der kinetischen Gastheorie besteht der Druck eines Gases aus der Summe aller Kraumlfte (pro Flaumlcheneinheit) die durch auf eine Flaumlche aufprallende Gasteilchen (bzw durch deren Impulsaumlnderung) ausgeuumlbt werden (Abb 21)

Vx t

Abb 21 Links schematische Darstellung der Impulsaumlnderung bei dem Auftreffen eines Gasteilchens auf der Gefaumlszligwand Viele solche Stoumlszlige fuumlhren in der Summe zum Entstehen einer messbaren dem Gasdruck zugeordneten Kraft Rechts Die Geschwindigkeitskomponente vx der Teilchen bestimmt nicht nur die Groumlszlige der Impulsaumlnderung sondern auch die Zahl der Teilchen die pro Zeiteinheit auf die Wand stoszligen Daher geht die Geschwindigkeit der Teilchen bei der Berechnung des Drucks insgesamt quadratisch ein

Dabei wird zunaumlchst davon ausgegangen dass alle Teilchen die gleiche Geschwindigkeits-komponente vx aufweisen Diese Geschwindigkeitskomponente bestimmt zum einen die Heftigkeit der Stoumlszlige zum anderen wie viele Gasteilchen pro Zeiteinheit auf die Wand prallen Insgesamt haumlngt der Druck damit vom Quadrat der Geschwindigkeitskomponente vxab Fuumlhrt man nun ein mittleres Geschwindigkeitsquadrat csup2 ein (mit vxsup2 = 13 csup2) so erhaumllt man fuumlr den an dem beweglichen Kolben spuumlrbaren Druck die Gleichung

P = 13 M csup2 (nV) oder in der Schreibweise der idealen Gasgleichung P V = 13 n M csup2 Der Druck ist nach dem kinetischen Gasmodell also die Folge einer Vielzahl von Stoumlszligen welche die Teilchen gegen die Behaumllterwaumlnde ausfuumlhren Er ist folglich proportional zur Mas-se der Teilchen (je schwerer die Teilchen desto heftiger die Stoumlszlige) zum mittleren Geschwin-digkeitsquadrat (die Geschwindigkeit der Teilchen bestimmt zum einen die Haumlufigkeit zum anderen die Heftigkeit der Stoumlszlige) und zur Zahl der Teilchen pro Volumeneinheit (womit wie nach der idealen Gasgleichung zu erwarten P umgekehrt proportional zu V ist) Die Bedeutung der Temperatur im kinetischen Gasmodell ist dagegen zunaumlchst unklar Mit der idealen Gasgleichung P V = n R T ergibt sich aber durch Koeffizientenvergleich n R T = 13 n M csup2 oder R T = 13 M csup2 Man kann unter Nutzung beider Gasmodelle so zu einem neuen teilchenbezogenen Verstaumlnd-nis des Phaumlnomens Temperatur kommen Die Temperatur eines Gases ist demnach direkt proportional zum mittleren Geschwindigkeitsquadrat der Gasteilchen oder in anderen Worten zu deren kinetischer Energie 12 M csup2 Dies ist fuumlr das Verstaumlndnis des Phaumlnomens Temperatur von groszliger Bedeutung Man kann die Temperatur eines Gases also messen indem man (bei bekannter Masse der Teilchen) die Geschwindigkeit der Gasteilchen bestimmt Die Wurzel aus dem mittleren Geschwindigkeits-quadrat also die Groumlszlige c liegt uumlblicherweise in der Groumlszligenordnung der Schallgeschwindig-keit (zum Beispiel fuumlr Stickstoff bei Raumtemperatur c = 516 ms) und steht zu ihr in einer

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festen Beziehung Tatsaumlchlich laumlsst sich die Temperatur auch uumlber eine Messung der Schall-geschwindigkeit ermitteln Nachdem das mittlere Geschwindigkeitsquadrat der Teilchen bekannt ist stellt sich die Frage nach der Geschwindigkeitsverteilung der Teilchen Die Bewegungsenergie der Teilchen ist wie alle anderen Energieformen (zB elektronische Energie Schwingungsenergie) gequantelt Das bedeutet dass sich die Teilchen auf (hier dicht gestaffelte) Energieniveaus verteilen muumlssen Sie tun das nach einem statistischen Grundprinzip das Boltzmann-Verteilung genannt wird Demnach ist die Besetzung pi eines Energieniveaus i (egal welcher Art die Energie Ei ist) stets proportional zum so genannten Boltzmannfaktor des Zustand i Es gilt

pi ~ exp[-Ei(kBT)]

Die darin enthaltene Boltzmannkonstante kB ist nichts anderes als die allgemeine Gas-konstante R (siehe unter 32) dividiert durch die Zahl NL der Teilchen in einem Mol Substanz (kB = RNL) Das bedeutet die Besetzung eines Zustands ist umso wahrscheinlicher je niedriger dessen Energie ist Steigende Temperatur T hingegen erhoumlht die Wahrscheinlichkeit energiereicher Zustaumlnde Diese Gesetzmaumlszligigkeit gilt fuumlr die Besetzung aller auf atomarer oder molekularer Ebene gegebener Zustaumlnde in einem makroskopischen System Angewandt auf die Bewegungsenergie von Gasteilchen in einer einzelnen Raumrichtung x bedeutet das dass Teilchen mit hoher Geschwindigkeit vx weniger wahrscheinlich sind als solche mit niedriger Geschwindigkeit vx Allerdings steigt die Wahrscheinlichkeit des Auftretens groszliger Werte fuumlr vx mit steigender Temperatur Teilt man den Bereich der auftretenden Geschwindigkeiten in Intervalle auf und zaumlhlt man die Teilchen die gemaumlszlig ihrer Geschwindigkeit zu den einzelnen Intervallen zugeordnet werden koumlnnen so ergibt sich fuumlr die Geschwindigkeitsverteilung in vx und v das Bild das in Abb 22 oben dargestellt ist Die Verteilungsfunktionen fuumlr die Geschwindigkeiten in y- und z-Richtung sind identisch

n(vx)

vx-Intervall

n(vx)

vx-Intervall

Temperatur-erhoumlhung

- 0 +- 0 +n(v)

v-Intervall

Temperatur-erhoumlhung

0 +

n(v)

v-Intervall0 +

Abb 22 Verteilungsfunktionen einer eindimensionalen Geschwindigkeitskomponente (oben) und der Gesamtgeschwindigkeit (unten)

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Betrachtet man die Verteilung n(v) der Gesamtgeschwindigkeit v im dreidimensionalen Raum so wird das Bild komplizierter Bezuumlglich der drei Raumrichtungen x y und z sind weiterhin die kleinen Geschwindigkeiten wahrscheinlicher als die groszligen Da nun aber fuumlr eine groszlige Gesamtgeschwindigkeit v mehr Kombinationsmoumlglichkeiten vx vy vz existieren als fuumlr kleine Gesamtgeschwindigkeiten so wird die Wahrscheinlichkeit fuumlr sehr geringe Gesamtgeschwindigkeiten entsprechend kleiner fuumlr groszlige Gesamtgeschwindigkeiten entsprechend groumlszliger Der daraus resultierende Gewichtungsfaktor fuumlr jedes v ist die relative Flaumlche der Kugelschale mit dem Radius v Insgesamt ergeben sich dann die in Abb 22 unten dargestellten Verteilungsfunktionen fuumlr niedrige und hohe Temperaturen Die Verteilungsfunktionen in vx und v lauten (ohne Herleitung)

f(vx) = [M(2RT)]12 exp [-Mvxsup2(2RT)]

f(v) = 4 [M(2RT)]32 vsup2 exp [-Mvsup2(2RT)] Der Mittelwert von vx (oder jeder anderen eindimensionalen Geschwindigkeitskomponente) ist grundsaumltzlich Null Dagegen besitzt der Mittelwert von v stets eine endliche von Null verschiedene Groumlszlige Bei einer Erhoumlhung der Temperatur werden alle Verteilungsfunktionen breiter der Mittelwert von v vergroumlszligert sich Die Temperatur eines Gases aumluszligert sich also nicht nur im mittleren Geschwindigkeitsquadrat sondern auch in der Form der Geschwindigkeitsverteilungsfunktion Bei der Mischung von Gasen unterschiedlicher Temperatur muss um die oben genannte Forderung zu erfuumlllen aus der einfachen Summe von zwei Verteilungsfunktionen eine neue der Mischtemperatur ent-sprechende Verteilungsfunktion entstehen Dies ist nur unter der Annahme moumlglich dass ein Austausch kinetischer Energie unter den Teilchen erfolgen kann Diese Tatsache bedingt die eingangs gestellte Forderung nach Teilchenstoumlszligen also Wechselwirkungen zwischen den Teilchen Damit muumlssen die Gasteilchen aber auch ein gewisses Volumen besitzen den Teil-chen ohne Eigenvolumen koumlnnen prinzipiell nicht zusammenstoszligen Darin besteht der we-sentliche Unterschied zwischen einem Gas nach dem kinetischen Gasmodell und dem idealen Gas Das ideale Gas koumlnnte man theoretisch auf ein beliebig kleines Volumen komprimieren bei einem kinetischen Gas ist dies aufgrund des Eigenvolumens nicht moumlglich Ansonsten erlaubt das kinetische Gasmodell die vollstaumlndige Interpretation der idealen Gasgleichung

34 Die korrigierte Gasgleichung nach van der Waals JD van der Waals

Mithilfe des kinetischen Gasmodells laumlsst sich die Zustandsgleichung fuumlr Gase weiter verfeinern Zunaumlchst soll beruumlcksichtigt werden dass die Teilchen ein eigenes Volumen besitzen In erster Naumlherung geschieht dies indem man ein vom Eigenvolumen der Gas-teilchen abgeleitetes minimales Volumen des Gases (das so genannte Covolumen) definiert Das Covolumen beschreibt dasjenige Volumen des Gases das bei staumlndigem mechanischem Kontakt zwischen jeweils zwei Teilchen eingenommen wird wenn man den Teilchenpaaren jeweils den sie umschreibenden kugelfoumlrmigen Raum zuordnet (wegen der geringen Wahr-scheinlichkeit von Dreierstoumlszligen kann die Bildung von Dreiergruppen ausgeschlossen werden) Das molare Covolumen b entspricht wenn man eine einfache geometrische Uumlberlegung an-setzt dem vierfachen Eigenvolumen eines Mols der Gasteilchen Um das tatsaumlchliche freie

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Volumen zu erhalten muss das n-fache Covolumen vom gegebenen Volumen abgezogen werden Damit wird aus der idealen Gasgleichung P V = n R T die erste korrigierte Version P (V - n b) = n R T Im zweiten Schritt soll nun uumlber das kinetische Gasmodell hinausgehend auch die anziehen-de Wechselwirkung zwischen den Teilchen beruumlcksichtigt werden Die Anziehung zwischen den Teilchen sorgt nach van der Waals fuumlr einen zusaumltzlichen nach auszligen nicht messbaren bdquoBinnendruckldquo Dieser Binnendruck ist proportional zum Quadrat der Teilchendichte (nV)sup2 Der zwischen den Teilchen tatsaumlchlich wirkende nach auszligen ebenfalls unmessbare Gesamt-druck ist dann gegeben als

Pgesamt (unmessbar) = P (messbar) + a (nV)sup2

mit einer fuumlr die anziehende Wechselwirkung charakteristischen Konstante a Die danach korrigierte Version der Gasgleichung die van-der-Waals-Gleichung fuumlr reale Gase lautet

[P + a (nV)sup2] (V - nb) = n R T

Die Konstanten b und a besitzen fuumlr jedes reale Gas charakteristische Werte die dessen Eigenvolumen (die Groumlszlige der Elektronenhuumllle) und die Staumlrke der intermolekularen Wechsel-wirkungen reflektieren Beispiele

Gas a b

Argon 01345 Pa m6Molsup2 32210-5 msup3Mol Kohlendioxid 03592 Pa m6Molsup2 426710-5 msup3Mol Helium 00034 Pa m6Molsup2 23710-5 msup3Mol Stickstoff 01390 Pa m6Molsup2 391310-5 msup3Mol Wasser 05573 Pa m6Molsup2 31010-5 msup3Mol

Der Parameter b spiegelt mit der Einheit msup3Mol weitgehend die Groumlszlige der einzelnen Teilchen (Atome oder Molekuumlle) wider So besitzt erwartungsgemaumlszlig Kohlendioxid oder Argon einen groumlszligeren Wert fuumlr b als beispielsweise Helium Allerdings sind die Unterschiede erstaunlich klein was auf die Tatsache zuruumlckzufuumlhren ist dass sich das Covolumen auf Teilchenpaare bezieht und ein Paar aus Kohlendioxidmolekuumllen gegenuumlber einem Paar aus Heliumatomen nur etwa das doppelte Volumen benoumltigt

Der Parameter a mit der Einheit Pascal mal Molvolumen zum Quadrat reflektiert die Staumlrke der Wechselwirkungen zwischen den Teilchen Diese Wechselwirkungen beruhen zum groszligen Teil auf den elektrischen Eigenschaften der Teilchen Diese wiederum sind mit der elektronischen Struktur der Atome beziehungsweise der chemischen Bindungen verknuumlpft Am wichtigsten ist dabei das in Kapitel 19 erwaumlhnte Dipolmoment Polare Bindungen koumlnnen zu Teilchen mit permanenten Dipolen fuumlhren (zB HF Wasser Ammoniak CO) Andere Molekuumlle oder Atome sind zwar unpolar koumlnnen aber spontan oder durch aumluszligere

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elektrische Felder polarisiert werden (zB He Ar molekularer Wasserstoff molekulares Chlor) Man spricht dann von polarisierbaren Teilchen mit einem spontanen Dipolmoment oder mit einem durch ein aumluszligeres Feld bewirkten induzierten Dipolmoment In all diesen Faumlllen sind anziehende Wechselwirkungen zwischen den Teilchen moumlglich die in dem Parameter a zusammengefasst werden Daruumlber hinaus koumlnnen sich auch voruumlbergehende chemische Bindungen ausbilden Das prominenteste Beispiel fuumlr diesen Fall ist die bekannte Wasserstoffbruumlckenbindung die bei polaren X-H-Bindungen auftreten kann Im Einzelnen werden demnach folgende Arten von Wechselwirkungen mit absteigender Intensitaumlt unter-schieden

a) Wasserstoffbruumlckenbindung X-H hellip Y Hierbei bildet sich voruumlbergehend eine chemische Bindung zwischen dem polar gebundenen Wasserstoff und einem elektronegativen und mit einem freien Elektronenpaar ausgestatteten Element Y

b) Wechselwirkungen zwischen permanenten Dipolen hier besitzen alle Teilchen ein permanentes Dipolmoment Zwischen den entgegengesetzt geladenen Enden der Teilchen bauen sich dann konstant anziehende elektrostatische Wechselwir-kungen auf

c) Wechselwirkungen zwischen permanenten und induzierten Dipolen die Teil-chen mit permanentem Dipolmoment induzieren ein voruumlbergehendes Dipol-moment bei den benachbarten (zunaumlchst unpolaren) Teilchen In der Folge ergibt sich eine anziehende elektrostatische Wechselwirkung

d) Wechselwirkungen zwischen induzierten Dipolen durch spontane Polarisierung eines Teilchens entsteht ein voruumlbergehendes Dipolmoment welches bei einem benachbarten Teilchen eine Polarisierung hervorruft In der Folge ergibt sich eine kurzfristige und sehr schwache elektrostatische Anziehung zwischen den Teilchen Man spricht dabei auch von der Dispersionswechselwirkung oder der Londonschen Wechselwirkung

Alle diese Effekte sind anziehender Natur und gehen damit in den Parameter a ein Fasst man die beiden Parameter a und b zusammen so entsteht mit der van-der-Waals-Gleichung eine recht zuverlaumlssige Zustandsgleichung fuumlr reale Systeme die sowohl die abstoszligenden als auch die anziehenden Wechselwirkungen beruumlcksichtigt

Ein guter Test fuumlr diese reale Zustandsgleichung ist die Berechnung eines Diagramms von P gegen V fuumlr verschiedene Temperaturen das so genannte P-V-Diagramm und die Gegen-uumlberstellung mit dem entsprechenden experimentellen P-V-Diagramm eines realen Gases Gemaumlszlig der van-der-Waalsrsquoschen Gleichung existieren abhaumlngig von der betrachteten Tempe-ratur drei Typen von Isothermen (Abb 23 links) solche die einer Hyperbel aumlhneln (1) eine einzelne Isotherme die einen Wendepunkt mit waagrechter Tangente besitzt (2) und solche die ein Minimum ein Maximum und einen Wendepunkt aufweisen (3) Das experimentell beobachtete Verhalten stimmt in den ersten beiden Faumlllen recht gut uumlberein weicht aber bei Isothermen des dritten Typs deutlich vom berechneten Verlauf ab (Abb 23 rechts)

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34

P

V

PV-Diagramm nachvan-der-Waals-Gleichung

1 2

3

P

V

3

experimentell bestimmtesPV-Diagramm f reales Gas

Abb 23 PV-Diagramme fuumlr reale Gase berechnet nach van der Waals (links) und experimentell bestimmt (rechts) Die drei typischen Formen der Isothermen (1 2 und 3) sind im Text beschrieben

Offensichtlich beschreibt die van-der-Waals-Gleichung das Verhalten eines realen Gases in der Umgebung des Wendepunkts weniger gut Experimentell stellt man allerdings fest dass in diesem Bereich tatsaumlchlich auch kein reines Gas sondern vielmehr eine Mischung aus einem Gas und einer kondensierten Fluumlssigkeit also ein Zweiphasenzustand vorliegt Dieser Zwei-phasenbereich beginnt am Wendepunkt der Isothermen des Typs 2 und schlieszligt alle Minima Maxima und Wendepunkte der Isothermen des Typs 3 ein (Abb 24 links)

P

V

Zweiphasen-gebiet

P

V

Zweiphasen-gebiet

Maxwell-Maxwell-KorrekturKorrektur

Zweiphasen-Gebiet

Zweiphasen-Gebiet

A1

A2

Abb 24 PV-Diagramme fuumlr reale Gase mit eingezeichnetem Zweiphasengebiet Der in diesem Bereich bei der Beschreibung nach van der Waals gegebene Fehler kann in guter Naumlherung durch die Maxwell-Korrektur kompensiert werden

Eine einfache Korrektur der van-der-Waals-Gleichung ermoumlglicht eine realistische Beschrei-bung des Zweiphasengebiets Eine horizontale Gerade wird so in der Naumlhe des Wendepunktes gelegt dass die oberhalb und unterhalb der Geraden im Zweiphasenbereich gebildeten Teilflaumlchen A1 und A2 die gleiche Groumlszlige besitzen (sog Maxwell-Korrektur s Abbildung 24 rechts) Dies sieht zwar nach einer etwas willkuumlrlichen Hilfskonstruktion aus trotzdem laumlsst sich damit das Verhalten eines realen Gases im Zweiphasengebiet sehr gut nachvollziehen und vorhersagen Eine besonders ausgewiesene Position im PV-Diagramm eines realen Gases ist der Scheitel-punkt des Zweiphasengebiets der durch den Wendepunkt der Isotherme des Typs 2 gebildet wird (Abb 25)

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35

P

V

Zweiphasen-gebiet Tc

Pc

Vc

kritischer Punkt

Jedes reale Gas besitzt einen sogenannten kritischenPunkt der durch die kritischen Zustandsgroumlszligen Tc Pc undVc beschrieben wird Die kritische Temperatur Tc istdiejenige Temperatur bei der sich ein Gas unter Druckgerade noch verfluumlssigen laumlszligt Oberhalb der kritischenTemperatur existiert kein fluumlssiger Zustand Derentsprechende Druck Pc wird als kritischer Druckbezeichnet

Die Isotherme die der kritischen Temperatur zugeordnetist besitzt als einzige einen Wendepunkt mit horizontalerTangente der gleichzeitig den kritischen Punkt markiert

Abb 25 PV-Diagramm fuumlr ein reales Gas mit kritischem Punkt

Dieser sogenannte kritische Punkt wird durch die kritische Temperatur Tc den kritischen Druck Pc und das kritische Molvolumen Vc festgelegt Zustaumlnde oberhalb des kritischen Punkts nennt man uumlberkritisch Uumlberkritisches Kohlendioxid besitzt in der Technik groszlige Bedeutung fuumlr das Loumlsen und Ausfaumlllen von pharmazeutischen Wirkstoffen (zB Aspirin fuumlr Brausetabletten) fuumlr die Extraktion (zB bei der Entkoffeinierung von Kaffee) oder zur chemischen Reinigung von Textilien

35 Andere Zustandsgleichungen fuumlr reale Gase

Neben der van-der-Waals-Gleichung existieren weitere Ansaumltze zur Beschreibung realer Gase die zwar eine genauere Anpassung an die gemessenen Werte ermoumlglichen aber auch kompli-zierter sind oder mehr Arbeit bei der Bestimmung der charakteristischen Parameter erfordern Im Folgenden seien als Beispiele die Berthelot-Gleichung und die Virialgleichung erwaumlhnt

a Berthelot-Gleichung (P + (Ansup2)(TVsup2) ) (V - nB) = n R T Berthelot fuumlhrte damit als Besonderheit einen temperaturabhaumlngigen Binnendruck ein Dies ist insoweit physikalisch gerechtfertigt als die vermehrte thermische Bewegung der Ausbildung von Wechselwirkungen zwischen den Molekuumllen entgegenwirken kann

b Virialgleichung P Vm = A + B P + C Psup2 + D Psup3 + Mit Vm = Vn Die Virialgleichung nutzt die Tatsache dass sich fast alle physikalischen Zusammenhaumlnge uumlber einen Potenzreihenansatz a + bx + cxsup2 + dxsup3 + hellip beliebig genau annaumlhern lassen Je nach Anzahl der anpassbaren Parameter ist zwar eine beliebig genaue Beschreibung des realen Gases moumlglich allerdings steigt auch der Aufwand fuumlr die Bestim-mung aller Koeffizienten

36 Beschreibung von Fluumlssigkeiten

Im PV-Diagramm der realen Gase schlieszligt sich links vom Zweiphasengebiet der Bereich der fluumlssigen Phase an Sie zeichnet sich dadurch aus dass mit sinkendem Volumen der Druck ex-trem steil ansteigt Das bedeutet dass bereits eine geringfuumlgige Volumenabnahme mit einem aumluszligerst groszligen Druckanstieg verbunden ist In der Praxis hat das zur Folge dass Fluumlssigkeiten im Gegensatz zu Gasen kaum komprimierbar sind ihre Kompressibilitaumlt geht gegen Null Auch ist die Ausdehnung der Fluumlssigkeiten bei steigender Temperatur und bei konstantem

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36

Druck (der thermische Ausdehnungskoeffizient) sehr viel kleiner als bei Gasen Eine einfache allgemeine Zustandsgleichung fuumlr die fluumlssige Phase in Analogie zur idealen oder zur van-der-Waals-Gleichung existiert nicht Stattdessen findet man bei der experimentellen Bestimmung des Zusammenhangs zwischen P V und T fuumlr jede Fluumlssigkeit ein sehr charakteristisches Verhalten Vergleicht man die Messergebnisse verschiedener Fluumlssigkeiten untereinander so sind kaum Aumlhnlichkeiten auszumachen Daruumlber hinaus sind bestimmte Messungen (zB die Messung der Abhaumlngigkeit des Drucks vom Volumen bei konstanter Teilchenzahl und Temperatur) technisch sehr schwer zu realisieren Das Fehlen einer einheitlichen Zustandsgleichung V(TPn) fuumlr Fluumlssigkeiten liegt auch in deren komplexer Struktur begruumlndet Betrachtet man ein einzelnes Teilchen in der Fluumlssigkeit so liegt es bezuumlglich der Abstaumlnde zu seinen naumlchsten Nachbarn stets in der Naumlhe des Mini-mums einer Potentialkurve Epot(r) die einen sehr steilen Verlauf besitzt Die Abstaumlnde zu den benachbarten Teilchen sind damit nahezu fixiert folglich ist eine unabhaumlngige Translations-bewegung einzelner Teilchen praktisch unmoumlglich Stattdessen verlaufen alle Bewegungs-prozesse mehr oder weniger kollektiv also unter gleichzeitiger Verschiebung mehrerer Teilchen Daruumlber hinaus gibt es keine nennenswerten freien Volumina so dass der mittlere Abstand der Teilchen nur unwesentlich verringert werden kann ein Umstand der sich in der bereits erwaumlhnten geringen Kompressibilitaumlt aumluszligert Ein Modell fuumlr eine allgemeine Fluumlssigkeit laumlsst sich im Rahmen einer Computersimulation einfuumlhren Man betrachtet dabei einen wuumlrfelfoumlrmigen Raum der einen Ausschnitt aus dem Fluumlssigkeitsvolumen darstellen soll und eine endliche Anzahl n von Fluumlssigkeitsteilchen (zB n = 1000) enthaumllt Um die Zahl der Teilchen konstant zu halten und dabei trotzdem deren Beweglichkeit zu wahren wird eine Kontinuitaumltsbedingung eingefuumlhrt Jedes Teilchen das im Rahmen der Bewegungsprozesse den Wuumlrfel an einer gegebenen Stelle verlaumlsst tritt automatisch an der genau gegenuumlberliegenden Position des Wuumlrfels wieder ein Auf diese Weise ist gewaumlhrleistet dass die Zahl der Teilchen im Wuumlrfel konstant bleibt (Abb 26)

Abb 26 Simulation von Bewegungs-vorgaumlngen in einem Fluumlssigkeitsvolumen unter Wahrung einer konstanten Partikel-anzahl Jedes Teilchen das im Rahmen der Bewegungsprozesse den Wuumlrfel an einer gegebenen Stelle verlaumlsst tritt automatisch an der genau gegenuumlberliegenden Position des Wuumlrfels wieder ein

An diesem System fuumlhrt man nun eine so genannte Monte-Carlo-Simulation durch Dabei setzt ein Zufallsgenerator eine geringfuumlgige Verschiebung eines beliebigen einzelnen Teil-chens in Gang Anschlieszligend wird unter Verwendung des bekannten Potentialverlaufs Epot(r) berechnet wie sich nach der Verschiebung die potentielle Energie des Systems veraumlndert hat Danach entscheidet das Simulationsprogramm zwischen zwei Moumlglichkeiten

- Hat sich die gesamte potentielle Energie des Systems durch die Verschiebung verringert oder blieb sie konstant so wird die Verschiebung akzeptiert und der naumlchste Schritt berechnet - Hat sich die gesamte potentielle Energie durch die Verschiebung um den positiven Wert E erhoumlht so wird die Verschiebung mit einer Wahrscheinlichkeit die von E abhaumlngt akzeptiert und ansonsten verworfen Danach wird der naumlchste Schritt berechnet

Auf diese Weise kann man fuumlr beliebige Fluumlssigkeiten sowohl die typischen Bewegungs-prozesse als auch die einflussbedingten Veraumlnderung von Zustandsgroumlszligen (zB P in Ab-

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37

haumlngigkeit von V) berechnen Allerdings sind die Rechnungen bei den fuumlr eine realistische Beschreibung eines Fluumlssigkeitsvolumens notwendigen groszligen Teilchenzahlen sehr aufwaumlndig und zeitintensiv

37 Beschreibung von Festkoumlrpern

Begibt man sich im P-V-Diagramm vom fluumlssigen Zustand ausgehend noch weiter nach links (zu kleineren Volumina houmlheren Drucken und niedrigeren Temperaturen) so erreicht man den festen Zustand Die Problematik der Zustandsgleichung V(TPn) von Festkoumlrpern aumlhnelt jener der Fluumlssigkeiten Auch hier sind die Kompressibilitaumlten und die thermischen Aus-dehnungskoeffizienten uumlblicherweise sehr viel geringer als bei Gasen Ebenso wie bei Fluumls-sigkeiten sind dabei die Unterschiede zwischen einzelnen Vertretern der Festkoumlrper recht groszlig so dass keine gemeinsame Zustandsgleichung wie bei Gasen formuliert werden kann Im Vergleich mit den Werten der Fluumlssigkeiten sind die Kompressibilitaumlten und die thermischen Ausdehnungskoeffizienten der Festkoumlrper durchschnittlich nochmals um etwa zwei Groumlszligen-ordnungen geringer

Abb 27 Torsionsexperiment zur Unterscheidung zwischen Fluumlssigkeiten und Festkoumlrpern (s Text)

Der wesentliche Unterschied zwischen Festkoumlrpern und Fluumlssigkeiten besteht allerdings in ihrem gegensaumltzlichen Verhalten bezuumlglich Verformung waumlhrend Fluumlssigkeiten einer gege-benen Verformung durch ihre Zaumlhigkeit (Viskositaumlt) Widerstand leisten reagiert ein Fest-koumlrper auf eine Verformung durch eine elastische Deformation Dieses Verhalten wird in einem Torsionsrheometer deutlich wobei eine feste oder fluumlssige Probe periodisch mit einer torsionsartigen Verformung beaufschlagt wird (Abb 27) Waumlhrend der Drehmomentverlauf des Festkoumlrpers exakt gleichphasig zur periodischen Aus-lenkung erfolgt (elastische Verformung) ist der Drehmomentverlauf der Fluumlssigkeit dazu um ein Viertel einer Wellenlaumlnge phasenverschoben (viskose Reaktion) Bei Fluumlssigkeiten ist der Widerstand dann maximal wenn die Deformationsgeschwindigkeit maximal ist (blaue Linie

t

Dre

hmom

entv

erla

uf

tAusl

enku

ng

Festkoumlrper

t

Dre

hmom

entv

erla

uf

Fluumlssigkeiten

Pruumlfkoumlrper

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in Abb 26) Bei Festkoumlrpern ist die Kraft dann maximal wenn der Deformationszustandmaximal ist (rote Linie in Abb 27) Viele Festkoumlrper stellen Uumlbergaumlnge zwischen diesen beiden Extremfaumlllen dar und werden dann als viskoelastisch bezeichnet Aus der Betrachtung von Messergebnissen an einer Viel-zahl von Materialien geht hervor dass eine eindeutige Abgrenzung zwischen dem fluumlssigen und dem festen Zustand selten moumlglich ist Entsprechend gibt es auch unterschiedliche Strukturmodelle die teilweise das elastische Verhalten teilweise das plastische Verhalten von Festkoumlrpern erklaumlren Dem elastischen Festkoumlrper mit nahezu verschwindender Phasen-verschiebung wird am ehesten das Modell eines idealen Kristalls gerecht Man geht dabei davon aus dass jedes Atom bzw Molekuumll aus dem der Festkoumlrper zusammengesetzt ist sich an einem geometrisch festgelegten Gitterpunkt befindet von dem es sich nicht entfernen kann Als Bewegungsprozess ist dabei lediglich eine Schwingung mit begrenzter Amplitude moumlglich Die denkbaren Geometrien der Gitterstrukturen reichen von primitiv-kubischen Gittern (zB Natriumchlorid) uumlber kubisch-dichteste (zB Silber Kupfer) und hexagonal-dichteste Kugelpackungen (zB Magnesium Zink) bis zur kubisch-raumzentrierten Struktur (zB Eisen Molybdaumln) Haumlufig findet man leichte Abweichungen von der idealen Gitter-struktur die durch lokale Stoumlrungen hervorgerufen werden Akzeptiert man gewisse Anteile an viskosem Verhalten (dh eine leichte Phasenverschiebung) so begibt man sich in den Grenzbereich zwischen Festkoumlrpern und Fluumlssigkeiten In einem Material wie Glas ist die regelmaumlszligige Anordnung eines Gitters nicht gegeben die Atome sind unregelmaumlszligig positioniert und koumlnnen unter Belastung auch flieszligen Solche nicht-kristallinen Festkoumlrper bezeichnet man als amorph Typische Vertreter amorpher Feststoffe sind Fenster-glas viele transparente Kunststoffe (zB Plexiglas Polyester in Getraumlnkeflaschen) Wachs und Aumlhnliches Amorphe Festkoumlrper besitzen keinen Schmelzpunkt sondern erweichen bei steigender Temperatur allmaumlhlich Amorphe Festkoumlrper koumlnnen nachtraumlglich kristallisieren wobei sich haumlufig das aumluszligere Erscheinungsbild und die physikalischen Eigenschaften drastisch aumlndern (zB Plastikfolie unter Zug)

38 Das Phasendiagramm

Die drei wichtigsten Phasenzustaumlnde zu denen sich eine makroskopische Gesamtheit von Atomen oder Molekuumllen zusammenfinden koumlnnen sind also Gase Fluumlssigkeiten und Festkoumlrper Die Frage ist nun unter welchen Bedingungen sich ein System fuumlr den ersten den zweiten oder den dritten Zustand entscheidet Erfahrungsgemaumlszlig haumlngt der gegebene Phasenzustand von den in Kapitel 31 eingefuumlhrten Zustandsparametern n V P und T ab Legt man die Stoffmenge n auf einen Wert fest (zB auf ein Mol Teilchen) und beruumlcksichtigt man dass nach den gegebenen Zustandsgleichungen die Groumlszligen n V P und T miteinander verknuumlpft sind so genuumlgen zwei Parameter um den jeweils guumlnstigsten Phasenzustand eindeutig festzulegen Ein Diagramm bei dem einer der Parameter V P und T gegen einen anderen aufgetragen wird eignet sich also prinzipiell um bei einer gegebenen Teilchenart den unter diesen Bedingungen jeweils angestrebten Phasenzustand zu markieren So kann man gemaumlszlig den Abbildungen 23 bis 25 in einem Diagramm bei dem P gegen V aufgetragen wird schon den jeweils gegebenen Phasenzustand eintragen und ablesen In der Praxis eignen sich solche PV-Diagramme allerdings wenig um Phasenzustaumlnde zu markieren der gasfoumlrmige Zustand nimmt einen sehr breiten Raum ein waumlhrend der fluumlssige und der feste Zustand in dem sehr engen Bereich links neben dem Zweiphasengebiet bdquoeingequetschtldquo waumlre Vor allem in diesem Umfeld waumlre das Diagramm schwer ablesbar

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Wesentlich guumlnstiger ist dagegen die Auftragung vom Druck P gegen die Temperatur T In diesem PT-Diagramm das auch als Phasendiagramm bezeichnet wird lassen sich alle Phasenzustaumlnde uumlbersichtlich zuordnen Dabei bezeichnen Flaumlchenanteile im PT-Diagramm die unter den gegebenen Druck- und Temperaturbedingungen angestrebte Phase (zB fest fluumlssig gasfoumlrmig) waumlhrend Linien die dazwischen vorliegenden Gleichgewichte markieren und Phasengrenzlinien genannt werden (Abb 28)

T

Pfe

st

fluumlss

ig

gasfouml

rmig

kritischerPunkt

Tripel-punkt

Phasengrenzlinie

Abb 28 Phasendiagramm mit Auftragung des Drucks (P) gegen die Temperatur (T)

Auszligerdem enthaumllt ein Phasendiagramm gewoumlhnlich mindestens zwei besonders ausgezeich-nete Punkte den Tripelpunkt an dem die drei im Allgemeinen wichtigsten Phasenzustaumlnde fest fluumlssig und gasfoumlrmig miteinander im Gleichgewicht stehen und den bereits aus dem PV-Diagramm bekannten kritischen Punkt der das Ende eines definierten Uumlbergangs zwischen fluumlssiger und gasfoumlrmiger Phase markiert Beispiele fuumlr Phasendiagramme Kohlen-dioxid und Wasser sind in Abbildung 29 und 30 wiedergegeben

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T

P

fest

fluumlss

iggasfoumlrmig

kritischerPunkt

Tripel-punkt

2168 K

511 bar

CO2

3042 K

728 bar

Abb 29 Phasendiagramm fuumlr Kohlendioxid

T

P

fluumlss

ig

gasfoumlrmig

kritischerPunkt

H2O

Eis 1

Eis 1

Eis 2 Eis 3

Eis 5

Eis 6

Tripelpunkt6473 K

218 bar

6 mbar 27316 K

Abb 30 Phasendiagramm fuumlr Wasser Der Bereich oberhalb von 200 bar ist aus Gruumlnden der

Uumlbersichtlichkeit entlang der P-Achse komprimiert dargestellt

Eine wichtige Besonderheit des Phasenverhaltens von Wasser ist die Tatsache dass die Phasengrenzlinie zwischen fluumlssigem Wasser und Eis 1 eine negative Steigung aufweist Dies hat zur Folge dass gewoumlhnliches Eis durch Erhoumlhung des Drucks zum Schmelzen gebracht werden kann Dieser Umstand ist eine der Ursachen dafuumlr dass eine Kufe auf Eis gleitet da der durch das Schmelzen entstehende Wasserfilm die Reibung vermindert (allerdings spielt hier auch die Reibungswaumlrme eine Rolle) Der Grund fuumlr dieses Verhalten steht in direkter Verbindung mit der strukturbedingten Volumenabnahme beim Schmelzen von Eis (s Videos unter httpwwwyoutubecomwatchv=6s0b_keOiOU und httpswwwyoutubecomwatchv=CDTZoFGmZoc )

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Waumlhlt man in einem Phasendiagramm eine Kombination von Druck und Temperatur so kann man direkt denjenigen Phasenzustand ablesen den die gegebene Teilchenart unter diesen Bedingungen anstrebt Das heiszligt jedoch nicht dass dieser Zustand dann auch in jedem Fall und zu jeder Zeit vorliegt Haumlufig beobachtet man eine so genannte kinetische Hemmung einer Phasenumwandlung So gibt es unterkuumlhlte Fluumlssigkeiten (zB Regentropfen bei -3degC) genauso wie unterkuumlhlte Dampfphasen (zB uumlbersaumlttigten Wasserdampf in Gewitterwolken) oder uumlberhitzte Fluumlssigkeiten (zB uumlberhitztes Wasser bei einem Siedeverzug) Kristalli-sationskeime wie Staubkoumlrner koumlnnen Phasenumwandlungen beschleunigen (zB durch Staub verursachter bdquoIndustrieschneeldquo) Bisher wurden lediglich Phasendiagramme von reinen Stoffen betrachtet die nur aus einer einzelnen Sorte Atomen oder Molekuumllen bestehen Mischt man einem gegebenen Stoff eine weitere Komponente hinzu so aumlndert sich das Phasendiagramm erheblich Als Beispiel betrachten wir ein System in dessen fluumlssiger Phase ein Fremdstoff A geloumlst wird der weder im Festkoumlrper noch im der Gasphase loumlslich ist (zB Kochsalz in Wasser) In diesem Fall dehnt sich der fluumlssige Bereich des Phasendiagramms mit steigender Konzentration von A in alle Richtungen aus so dass gleichzeitig der Schmelzpunkt erniedrigt der Siedepunkt erhoumlht und der Dampfdruck verringert wird (Abb 31) In erster Naumlherung sind alle genannten Aumlnderungen proportional zu cA

T

P

fest

fluumlss

ig

gasfouml

rmig

Abb 31 Phasendiagramm fuumlr ein System in dessen fluumlssiger Phase ein Fremdstoff mit steigender

Konzentration cA geloumlst wird Der Bereich der fluumlssigen Phase dehnt sich daraufhin in alle

Richtungen aus

Bei weiter steigender Konzentration von A kann ein Punkt erreicht werden an dem die Mischung in zwei getrennte Bereiche zerfaumlllt die ebenfalls als Phasen bezeichnet werden (zB Olivenoumll und Wasser) Eine dieser Phasen besitzt dann einen hohen Loumlsemittelanteil bei geringer Konzentration von A die andere besteht aus einem hohen Anteil an A mit einem geringen Gehalt an Loumlsemittel Dieser Vorgang der Phasenseparation binaumlrer (aus zwei Komponenten bestehender) Systeme wird durch eine andere Art von Phasendiagramm beschrieben dem so genannten Mischphasendiagramm (Abb 32) Hierbei wird die Tempe-

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ratur dem relativen Anteil einer Komponente gegenuumlbergestellt der Druck wird als konstant angenommen

Abb 32 Allgemeine Darstellung eines Mischphasendiagramms

Grundsaumltzlich gibt die linke Flanke der Phasentrennlinie (links des kritischen Punkts) die Zusammensetzung der bdquoA-armenldquo Phase an waumlhrend die rechte Flanke (rechts des kritischen Punkts) die Zusammensetzung der A-reichen Phase beschreibt Die Mengen der dabei gebildeten Phasen koumlnnen nach dem so genannten Hebelgesetz berechnet werden Demnach gilt zwischen dem Anteil n1 der A-armen Phase 1 dem Anteil n2 der A-reichen Phase 2 und den Laumlngen der Pfeile s1 und s2 in der vorhergehenden Abbildung folgender Zusammenhang

n1 s1 = n2 s2

Fuumlr das gezeigte Beispiel wuumlrde das bedeuten dass der Anteil der Phase 1 etwa doppelt so groszlig waumlre wie der Anteil der Phase 2 In der Naumlhe der beiden Raumlnder des Diagramms also fuumlr xA 0 (sehr wenig A im Loumlsemittel) oder xA 1 (sehr wenig Loumlsemittel in A) liegen in den meisten Faumlllen einphasige homogene Mischungen vor Das besagt dass auch bei niedrigen Temperaturen ein wenig von dem Stoff A im Loumlsemittel bzw ein wenig Loumlsemittel im Stoff A loumlslich ist Der im Diagramm eingezeichnete kritische Punkt bedeutet dass oberhalb der dazugehoumlrigen kritischen Temperatur keine Entmischung mehr erfolgt dh hier sind die beiden Komponenten vollstaumlndig und in jedem Verhaumlltnis miteinander mischbar Neben solchen oberen kritischen Punkten gibt es auch untere kritische Punkte Im zweiten Fall gilt dass die beiden Komponenten unterhalb einer bestimmten Temperatur in jedem Verhaumlltnis miteinander mischbar sind Im Allgemeinen koumlnnen die drei verschiedenen Faumllle auftreten die in Abbildung 33 dargestellt sind

0 Molenbruch xA der Komponente A 1

Tem

pera

tur

obere kritischeTemperatur

Einphasen-gebiet

Zweiphasen-gebiet

Beispiel xA = 04

T1

Zum gezeigten Beispiel

Eine Mischung mit dem Molenbruch xA = 04 wird von T2 nach T1 abgekuumlhltDabei zerfaumlllt die Mischung bei Tklsquo in zwei Phasen derenZusammensetzung bei T1auf der x-Achse an den Punkten 1 und 2 ablesbar ist

T2

Tklsquo

1 2

kritischer Punkt

s1 s2

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0 xA 1

Tem

pera

tur

System mit oberem kritischen Punkt

kritischer Punkt

0 xA 1Te

mpe

ratu

r

System mit unterem kritischen Punkt

kritischer Punkt

0 xA 1

Tem

pera

tur

System mit oberem und unterem

kritischen Punkt

kritischer Punkt

kritische Punkte

Abb 33 Moumlgliche Varianten von kritischen Punkten bei Systemen aus zwei Komponenten

Obere kritische Punkte findet man dann wenn sich die molekulare thermische Bewegung gegen die Tendenz der Molekuumlle sich mit gleichartigen Molekuumllen zusammenzulagern durchsetzt Dieses Phaumlnomen ist sehr verbreitet so dass ein oberer kritischer Punkt bei sehr vielen Mischphasen beobachtet wird Untere kritische Punkte sind sehr viel seltener Sie treten beispielsweise dann auf wenn die beiden Komponenten miteinander bei tiefen Temperaturen einen Komplex bilden der bei houmlheren Temperaturen wieder zerfaumlllt und dann zu einer Phasenseparation fuumlhrt Ein Beispiel dafuumlr ist die Mischung aus Wasser und Triethylamin

Fuumlr Mischphasen aus drei Komponenten so genannte ternaumlre Mischungen sind die bisher gezeigten Darstellungen ungeeignet Hierfuumlr haben sich Dreiecksdiagramme (Gibbssches Phasendreieck) durchgesetzt die das Phasenverhalten unter Variation der Mengenbeitraumlge aller drei Komponenten aufzeigen (Abb 34) Das Diagramm ist so geartet dass die Summe aller drei Mengenanteile xA xB und xC in jedem Fall den Wert 1 ergibt Damit besitzt die Zusammensetzung des ternaumlren Gemisches zwei Freiheitsgrade Jede Linie die durch eine Ecke des Diagramms fuumlhrt verbindet diejenigen Punkte bei denen das Verhaumlltnis zweier Komponenten gleich ist Jede Linie die parallel zu einer der drei Seiten verlaumluft entspricht Gemischen bei denen der relative Anteil einer Komponente gleich bleibt

00 02 04 06 08 10Komponente A

00

02

04

06

08

10

Kom

pone

nte

B

0002

04

06

08

10

Komponente C

C

A

B

00 02 04 06 08 10Komponente A

00

02

04

06

08

10

Kom

pone

nte

B

00

02

04

06

08

10

Komponente C

x1

x2x

Abb 34 Prinzip eines ternaumlren Phasendiagramms nach Gibbs (Dreiecksdiagramm)

In solche ternaumlren Mischphasendiagramme lassen sich nun entsprechend den binaumlren Mischphasendiagrammen die Ein- und Zweiphasengebiete einzeichnen Das Diagramm in

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Abb 34 rechts gilt zB fuumlr eine ternaumlre Mischung aus A B und C bei der die Komponenten A und B sowie B und C jeweils paarweise in jedem Verhaumlltnis miteinander mischbar sind Die Komponenten A und C sollen dagegen nur begrenzt mischbar sein Als Konsequenz daraus ergibt sich ein Dreiecksdiagramm das an der unteren Achse die dem Anteil 0 der Komponente B entspricht ein Zweiphasengebiet aufweist

Die Hilfslinien im Zweiphasengebiet markieren die Zusammensetzung der entstehenden Einzelphasen So wuumlrde beispielsweise eine Mischung deren Zusammensetzung im Diagramm durch den Punkt x markiert ist in die beiden Phasen x1 und x2 zerfallen Die Mengenanteile der beiden Phasen koumlnnten dabei wieder uumlber das Hebelgesetz berechnet werden Um zusaumltzlich den Einfluss der Temperatur wiederzugeben muss eine weitere Koordinate eingefuumlhrt werden Man erhaumllt dabei ein dreidimensionales Dreiecksdiagramm das haumlufig unter Verwendung von Houmlhenlinien nach der Art einer topographischen Landkarte dargestellt wird Jede Houmlhenlinie des Zweiphasengebiets umschreibt dann seine Ausdehnung bei einer gegebenen Temperatur

Fragt man bei einem System mit bestehenden Randbedingungen nach der Zahl der frei variierbaren Zustandsgroumlszligen also nach der Zahl der Freiheitsgrade so haumlngt die Antwort zunaumlchst davon ab in welchem Phasenzustand sich das System befindet So kann man beispielsweise in der Gasphase (bei festgelegter Stoffmenge) Temperatur und Druck frei waumlhlen wodurch dann automatisch das Volumen festgelegt wird Gleiches gilt fuumlr die feste und die fluumlssige Phase Das System hat innerhalb eines Phasenzustands also zwei Freiheits-grade Setzt man allerdings voraus dass sich das System in einem Gleichgewicht zwischen zwei Phasen befindet (zB auf der Verdampfungslinie) so besitzt es nur einen Freiheitsgrad Am Tripelpunkt schlieszliglich bei einem Gleichgewicht zwischen drei Phasen sind keine Freiheitsgrade mehr vorhanden Zwischen der Zahl der Phasen P und der Zahl der Freiheitsgrade F gibt es also folgende einfache Beziehung

F = 3 - P

Beruumlcksichtigt man weiter dass auch mehr als eine Komponente auftreten kann (Zahl der Komponenten C gt 1) so erhoumlht sich die Zahl der Freiheitsgrade um jede zusaumltzliche Komponente deren Konzentration ja frei waumlhlbar ist um den Wert eins Man erhaumllt damit

F = 3 - P + (C - 1) oder F = C - P + 2

Nach dieser allgemeinguumlltigen Formel der so genannten Gibbsrsquoschen Phasenregel laumlsst sich die Zahl der Freiheitsgrade in jedem beliebigen System bestimmen Sie erlaubt insbesondere bei sehr komplizierten Mischungen mit einer unbekannten Anzahl an Phasenzustaumlnden uumlber eine einfache Betrachtung Ruumlckschluumlsse auf deren Phasenverhalten

Page 28: Vorlesung PC I Einführung in die Physikalische Chemierelaxation.chemie.uni-duisburg-essen.de/lehre/Skript_PC_2016_2017.pdf · Schwingungen möglich, deren Geometrie (d.h. die Zahl

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einfachsten sind solche Zustandsgleichungen fuumlr Gase aufzustellen Untersucht man bei Gasen systematisch den Zusammenhang zwischen n V P und T so stellt man fest dass fuumlr alle Gase in mehr oder weniger guter Naumlherung folgende einfache Gleichung erfuumlllt isthellip

P ∙ V = n ∙ R ∙ T

hellipwobei R fuumlr die so genannte ideale Gaskonstante steht (R asymp 8314 J K-1 Mol-1) Diese Glei-chung auch bdquoideale Gasgleichungldquo genannt ist ein so genanntes Grenzgesetz kein real exis-tierendes Gas erfuumlllt es genau aber alle Gase kommen ihm recht nahe insbesondere bei hohen Temperaturen und niedrigen Druumlcken Eine Gleichung dieser Form nennt man auch Zustands-gleichung da sie Zustandsparameter miteinander verbindet Grafisch laumlsst sich diese Verknuumlp-fung in einem einfachen Diagramm darstellen bei dem jede Kombination von T und V genau einem Wert fuumlr P zugeordnet ist (Abb 20)

P

V

T

Abb 20 Auftragung von P gegen T und V nach der idealen Gasgleichung

Wir wissen nun dass die Gase aus einer Vielzahl von Teilchen (Atomen oder Molekuumllen) bestehen Wie laumlsst sich das durch die ideale Gasgleichung beschriebene Verhalten nun mit dieser Tatsache in Einklang bringen Was bedeuten eigentlich die Parameter Druck und Tem-peratur fuumlr ein Gas das sich aus vielen einzelnen Atomen und Molekuumllen zusammensetzt Um makroskopische Zustandsparameter uumlberhaupt mit der Teilchenwelt verknuumlpfen zu koumlnnen benoumltigen wir eine Modellvorstellung fuumlr das mechanische Zusammenwirken der Teilchen im Fall von Gasen das so genannte kinetische Gasmodell

33 Das kinetische Gasmodell

Bei den im vorhergehenden Kapitel aufgefuumlhrten Gasgesetzen handelt es sich um mathemati-sche Beschreibungen von makroskopisch beobachtbaren Vorgaumlngen Zur Interpretation der Gasgesetze auf molekularer Ebene wurden verschiedene Modelle vorgeschlagen Das erfolg-reichste unter ihnen war das sogenannte kinetische Gasmodell Es beruht auf der Vorstellung dass ein Gas aus einer Vielzahl von Teilchen besteht die folgende Bedingungen erfuumlllen

1) Sie besitzen eine Atom- oder Molmasse M einen endlichen Durchmesser d und befinden sich in staumlndiger und ungeregelter Bewegung

2) Die Groumlszlige der Teilchen ist im Verhaumlltnis zum freien Volumen vernachlaumlssig-bar

3) Zwischen den Teilchen finden elastische Stoumlszlige statt Ansonsten existieren keine weiteren Wechselwirkungen unter den Teilchen

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Nach der kinetischen Gastheorie besteht der Druck eines Gases aus der Summe aller Kraumlfte (pro Flaumlcheneinheit) die durch auf eine Flaumlche aufprallende Gasteilchen (bzw durch deren Impulsaumlnderung) ausgeuumlbt werden (Abb 21)

Vx t

Abb 21 Links schematische Darstellung der Impulsaumlnderung bei dem Auftreffen eines Gasteilchens auf der Gefaumlszligwand Viele solche Stoumlszlige fuumlhren in der Summe zum Entstehen einer messbaren dem Gasdruck zugeordneten Kraft Rechts Die Geschwindigkeitskomponente vx der Teilchen bestimmt nicht nur die Groumlszlige der Impulsaumlnderung sondern auch die Zahl der Teilchen die pro Zeiteinheit auf die Wand stoszligen Daher geht die Geschwindigkeit der Teilchen bei der Berechnung des Drucks insgesamt quadratisch ein

Dabei wird zunaumlchst davon ausgegangen dass alle Teilchen die gleiche Geschwindigkeits-komponente vx aufweisen Diese Geschwindigkeitskomponente bestimmt zum einen die Heftigkeit der Stoumlszlige zum anderen wie viele Gasteilchen pro Zeiteinheit auf die Wand prallen Insgesamt haumlngt der Druck damit vom Quadrat der Geschwindigkeitskomponente vxab Fuumlhrt man nun ein mittleres Geschwindigkeitsquadrat csup2 ein (mit vxsup2 = 13 csup2) so erhaumllt man fuumlr den an dem beweglichen Kolben spuumlrbaren Druck die Gleichung

P = 13 M csup2 (nV) oder in der Schreibweise der idealen Gasgleichung P V = 13 n M csup2 Der Druck ist nach dem kinetischen Gasmodell also die Folge einer Vielzahl von Stoumlszligen welche die Teilchen gegen die Behaumllterwaumlnde ausfuumlhren Er ist folglich proportional zur Mas-se der Teilchen (je schwerer die Teilchen desto heftiger die Stoumlszlige) zum mittleren Geschwin-digkeitsquadrat (die Geschwindigkeit der Teilchen bestimmt zum einen die Haumlufigkeit zum anderen die Heftigkeit der Stoumlszlige) und zur Zahl der Teilchen pro Volumeneinheit (womit wie nach der idealen Gasgleichung zu erwarten P umgekehrt proportional zu V ist) Die Bedeutung der Temperatur im kinetischen Gasmodell ist dagegen zunaumlchst unklar Mit der idealen Gasgleichung P V = n R T ergibt sich aber durch Koeffizientenvergleich n R T = 13 n M csup2 oder R T = 13 M csup2 Man kann unter Nutzung beider Gasmodelle so zu einem neuen teilchenbezogenen Verstaumlnd-nis des Phaumlnomens Temperatur kommen Die Temperatur eines Gases ist demnach direkt proportional zum mittleren Geschwindigkeitsquadrat der Gasteilchen oder in anderen Worten zu deren kinetischer Energie 12 M csup2 Dies ist fuumlr das Verstaumlndnis des Phaumlnomens Temperatur von groszliger Bedeutung Man kann die Temperatur eines Gases also messen indem man (bei bekannter Masse der Teilchen) die Geschwindigkeit der Gasteilchen bestimmt Die Wurzel aus dem mittleren Geschwindigkeits-quadrat also die Groumlszlige c liegt uumlblicherweise in der Groumlszligenordnung der Schallgeschwindig-keit (zum Beispiel fuumlr Stickstoff bei Raumtemperatur c = 516 ms) und steht zu ihr in einer

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festen Beziehung Tatsaumlchlich laumlsst sich die Temperatur auch uumlber eine Messung der Schall-geschwindigkeit ermitteln Nachdem das mittlere Geschwindigkeitsquadrat der Teilchen bekannt ist stellt sich die Frage nach der Geschwindigkeitsverteilung der Teilchen Die Bewegungsenergie der Teilchen ist wie alle anderen Energieformen (zB elektronische Energie Schwingungsenergie) gequantelt Das bedeutet dass sich die Teilchen auf (hier dicht gestaffelte) Energieniveaus verteilen muumlssen Sie tun das nach einem statistischen Grundprinzip das Boltzmann-Verteilung genannt wird Demnach ist die Besetzung pi eines Energieniveaus i (egal welcher Art die Energie Ei ist) stets proportional zum so genannten Boltzmannfaktor des Zustand i Es gilt

pi ~ exp[-Ei(kBT)]

Die darin enthaltene Boltzmannkonstante kB ist nichts anderes als die allgemeine Gas-konstante R (siehe unter 32) dividiert durch die Zahl NL der Teilchen in einem Mol Substanz (kB = RNL) Das bedeutet die Besetzung eines Zustands ist umso wahrscheinlicher je niedriger dessen Energie ist Steigende Temperatur T hingegen erhoumlht die Wahrscheinlichkeit energiereicher Zustaumlnde Diese Gesetzmaumlszligigkeit gilt fuumlr die Besetzung aller auf atomarer oder molekularer Ebene gegebener Zustaumlnde in einem makroskopischen System Angewandt auf die Bewegungsenergie von Gasteilchen in einer einzelnen Raumrichtung x bedeutet das dass Teilchen mit hoher Geschwindigkeit vx weniger wahrscheinlich sind als solche mit niedriger Geschwindigkeit vx Allerdings steigt die Wahrscheinlichkeit des Auftretens groszliger Werte fuumlr vx mit steigender Temperatur Teilt man den Bereich der auftretenden Geschwindigkeiten in Intervalle auf und zaumlhlt man die Teilchen die gemaumlszlig ihrer Geschwindigkeit zu den einzelnen Intervallen zugeordnet werden koumlnnen so ergibt sich fuumlr die Geschwindigkeitsverteilung in vx und v das Bild das in Abb 22 oben dargestellt ist Die Verteilungsfunktionen fuumlr die Geschwindigkeiten in y- und z-Richtung sind identisch

n(vx)

vx-Intervall

n(vx)

vx-Intervall

Temperatur-erhoumlhung

- 0 +- 0 +n(v)

v-Intervall

Temperatur-erhoumlhung

0 +

n(v)

v-Intervall0 +

Abb 22 Verteilungsfunktionen einer eindimensionalen Geschwindigkeitskomponente (oben) und der Gesamtgeschwindigkeit (unten)

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31

Betrachtet man die Verteilung n(v) der Gesamtgeschwindigkeit v im dreidimensionalen Raum so wird das Bild komplizierter Bezuumlglich der drei Raumrichtungen x y und z sind weiterhin die kleinen Geschwindigkeiten wahrscheinlicher als die groszligen Da nun aber fuumlr eine groszlige Gesamtgeschwindigkeit v mehr Kombinationsmoumlglichkeiten vx vy vz existieren als fuumlr kleine Gesamtgeschwindigkeiten so wird die Wahrscheinlichkeit fuumlr sehr geringe Gesamtgeschwindigkeiten entsprechend kleiner fuumlr groszlige Gesamtgeschwindigkeiten entsprechend groumlszliger Der daraus resultierende Gewichtungsfaktor fuumlr jedes v ist die relative Flaumlche der Kugelschale mit dem Radius v Insgesamt ergeben sich dann die in Abb 22 unten dargestellten Verteilungsfunktionen fuumlr niedrige und hohe Temperaturen Die Verteilungsfunktionen in vx und v lauten (ohne Herleitung)

f(vx) = [M(2RT)]12 exp [-Mvxsup2(2RT)]

f(v) = 4 [M(2RT)]32 vsup2 exp [-Mvsup2(2RT)] Der Mittelwert von vx (oder jeder anderen eindimensionalen Geschwindigkeitskomponente) ist grundsaumltzlich Null Dagegen besitzt der Mittelwert von v stets eine endliche von Null verschiedene Groumlszlige Bei einer Erhoumlhung der Temperatur werden alle Verteilungsfunktionen breiter der Mittelwert von v vergroumlszligert sich Die Temperatur eines Gases aumluszligert sich also nicht nur im mittleren Geschwindigkeitsquadrat sondern auch in der Form der Geschwindigkeitsverteilungsfunktion Bei der Mischung von Gasen unterschiedlicher Temperatur muss um die oben genannte Forderung zu erfuumlllen aus der einfachen Summe von zwei Verteilungsfunktionen eine neue der Mischtemperatur ent-sprechende Verteilungsfunktion entstehen Dies ist nur unter der Annahme moumlglich dass ein Austausch kinetischer Energie unter den Teilchen erfolgen kann Diese Tatsache bedingt die eingangs gestellte Forderung nach Teilchenstoumlszligen also Wechselwirkungen zwischen den Teilchen Damit muumlssen die Gasteilchen aber auch ein gewisses Volumen besitzen den Teil-chen ohne Eigenvolumen koumlnnen prinzipiell nicht zusammenstoszligen Darin besteht der we-sentliche Unterschied zwischen einem Gas nach dem kinetischen Gasmodell und dem idealen Gas Das ideale Gas koumlnnte man theoretisch auf ein beliebig kleines Volumen komprimieren bei einem kinetischen Gas ist dies aufgrund des Eigenvolumens nicht moumlglich Ansonsten erlaubt das kinetische Gasmodell die vollstaumlndige Interpretation der idealen Gasgleichung

34 Die korrigierte Gasgleichung nach van der Waals JD van der Waals

Mithilfe des kinetischen Gasmodells laumlsst sich die Zustandsgleichung fuumlr Gase weiter verfeinern Zunaumlchst soll beruumlcksichtigt werden dass die Teilchen ein eigenes Volumen besitzen In erster Naumlherung geschieht dies indem man ein vom Eigenvolumen der Gas-teilchen abgeleitetes minimales Volumen des Gases (das so genannte Covolumen) definiert Das Covolumen beschreibt dasjenige Volumen des Gases das bei staumlndigem mechanischem Kontakt zwischen jeweils zwei Teilchen eingenommen wird wenn man den Teilchenpaaren jeweils den sie umschreibenden kugelfoumlrmigen Raum zuordnet (wegen der geringen Wahr-scheinlichkeit von Dreierstoumlszligen kann die Bildung von Dreiergruppen ausgeschlossen werden) Das molare Covolumen b entspricht wenn man eine einfache geometrische Uumlberlegung an-setzt dem vierfachen Eigenvolumen eines Mols der Gasteilchen Um das tatsaumlchliche freie

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32

Volumen zu erhalten muss das n-fache Covolumen vom gegebenen Volumen abgezogen werden Damit wird aus der idealen Gasgleichung P V = n R T die erste korrigierte Version P (V - n b) = n R T Im zweiten Schritt soll nun uumlber das kinetische Gasmodell hinausgehend auch die anziehen-de Wechselwirkung zwischen den Teilchen beruumlcksichtigt werden Die Anziehung zwischen den Teilchen sorgt nach van der Waals fuumlr einen zusaumltzlichen nach auszligen nicht messbaren bdquoBinnendruckldquo Dieser Binnendruck ist proportional zum Quadrat der Teilchendichte (nV)sup2 Der zwischen den Teilchen tatsaumlchlich wirkende nach auszligen ebenfalls unmessbare Gesamt-druck ist dann gegeben als

Pgesamt (unmessbar) = P (messbar) + a (nV)sup2

mit einer fuumlr die anziehende Wechselwirkung charakteristischen Konstante a Die danach korrigierte Version der Gasgleichung die van-der-Waals-Gleichung fuumlr reale Gase lautet

[P + a (nV)sup2] (V - nb) = n R T

Die Konstanten b und a besitzen fuumlr jedes reale Gas charakteristische Werte die dessen Eigenvolumen (die Groumlszlige der Elektronenhuumllle) und die Staumlrke der intermolekularen Wechsel-wirkungen reflektieren Beispiele

Gas a b

Argon 01345 Pa m6Molsup2 32210-5 msup3Mol Kohlendioxid 03592 Pa m6Molsup2 426710-5 msup3Mol Helium 00034 Pa m6Molsup2 23710-5 msup3Mol Stickstoff 01390 Pa m6Molsup2 391310-5 msup3Mol Wasser 05573 Pa m6Molsup2 31010-5 msup3Mol

Der Parameter b spiegelt mit der Einheit msup3Mol weitgehend die Groumlszlige der einzelnen Teilchen (Atome oder Molekuumlle) wider So besitzt erwartungsgemaumlszlig Kohlendioxid oder Argon einen groumlszligeren Wert fuumlr b als beispielsweise Helium Allerdings sind die Unterschiede erstaunlich klein was auf die Tatsache zuruumlckzufuumlhren ist dass sich das Covolumen auf Teilchenpaare bezieht und ein Paar aus Kohlendioxidmolekuumllen gegenuumlber einem Paar aus Heliumatomen nur etwa das doppelte Volumen benoumltigt

Der Parameter a mit der Einheit Pascal mal Molvolumen zum Quadrat reflektiert die Staumlrke der Wechselwirkungen zwischen den Teilchen Diese Wechselwirkungen beruhen zum groszligen Teil auf den elektrischen Eigenschaften der Teilchen Diese wiederum sind mit der elektronischen Struktur der Atome beziehungsweise der chemischen Bindungen verknuumlpft Am wichtigsten ist dabei das in Kapitel 19 erwaumlhnte Dipolmoment Polare Bindungen koumlnnen zu Teilchen mit permanenten Dipolen fuumlhren (zB HF Wasser Ammoniak CO) Andere Molekuumlle oder Atome sind zwar unpolar koumlnnen aber spontan oder durch aumluszligere

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33

elektrische Felder polarisiert werden (zB He Ar molekularer Wasserstoff molekulares Chlor) Man spricht dann von polarisierbaren Teilchen mit einem spontanen Dipolmoment oder mit einem durch ein aumluszligeres Feld bewirkten induzierten Dipolmoment In all diesen Faumlllen sind anziehende Wechselwirkungen zwischen den Teilchen moumlglich die in dem Parameter a zusammengefasst werden Daruumlber hinaus koumlnnen sich auch voruumlbergehende chemische Bindungen ausbilden Das prominenteste Beispiel fuumlr diesen Fall ist die bekannte Wasserstoffbruumlckenbindung die bei polaren X-H-Bindungen auftreten kann Im Einzelnen werden demnach folgende Arten von Wechselwirkungen mit absteigender Intensitaumlt unter-schieden

a) Wasserstoffbruumlckenbindung X-H hellip Y Hierbei bildet sich voruumlbergehend eine chemische Bindung zwischen dem polar gebundenen Wasserstoff und einem elektronegativen und mit einem freien Elektronenpaar ausgestatteten Element Y

b) Wechselwirkungen zwischen permanenten Dipolen hier besitzen alle Teilchen ein permanentes Dipolmoment Zwischen den entgegengesetzt geladenen Enden der Teilchen bauen sich dann konstant anziehende elektrostatische Wechselwir-kungen auf

c) Wechselwirkungen zwischen permanenten und induzierten Dipolen die Teil-chen mit permanentem Dipolmoment induzieren ein voruumlbergehendes Dipol-moment bei den benachbarten (zunaumlchst unpolaren) Teilchen In der Folge ergibt sich eine anziehende elektrostatische Wechselwirkung

d) Wechselwirkungen zwischen induzierten Dipolen durch spontane Polarisierung eines Teilchens entsteht ein voruumlbergehendes Dipolmoment welches bei einem benachbarten Teilchen eine Polarisierung hervorruft In der Folge ergibt sich eine kurzfristige und sehr schwache elektrostatische Anziehung zwischen den Teilchen Man spricht dabei auch von der Dispersionswechselwirkung oder der Londonschen Wechselwirkung

Alle diese Effekte sind anziehender Natur und gehen damit in den Parameter a ein Fasst man die beiden Parameter a und b zusammen so entsteht mit der van-der-Waals-Gleichung eine recht zuverlaumlssige Zustandsgleichung fuumlr reale Systeme die sowohl die abstoszligenden als auch die anziehenden Wechselwirkungen beruumlcksichtigt

Ein guter Test fuumlr diese reale Zustandsgleichung ist die Berechnung eines Diagramms von P gegen V fuumlr verschiedene Temperaturen das so genannte P-V-Diagramm und die Gegen-uumlberstellung mit dem entsprechenden experimentellen P-V-Diagramm eines realen Gases Gemaumlszlig der van-der-Waalsrsquoschen Gleichung existieren abhaumlngig von der betrachteten Tempe-ratur drei Typen von Isothermen (Abb 23 links) solche die einer Hyperbel aumlhneln (1) eine einzelne Isotherme die einen Wendepunkt mit waagrechter Tangente besitzt (2) und solche die ein Minimum ein Maximum und einen Wendepunkt aufweisen (3) Das experimentell beobachtete Verhalten stimmt in den ersten beiden Faumlllen recht gut uumlberein weicht aber bei Isothermen des dritten Typs deutlich vom berechneten Verlauf ab (Abb 23 rechts)

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P

V

PV-Diagramm nachvan-der-Waals-Gleichung

1 2

3

P

V

3

experimentell bestimmtesPV-Diagramm f reales Gas

Abb 23 PV-Diagramme fuumlr reale Gase berechnet nach van der Waals (links) und experimentell bestimmt (rechts) Die drei typischen Formen der Isothermen (1 2 und 3) sind im Text beschrieben

Offensichtlich beschreibt die van-der-Waals-Gleichung das Verhalten eines realen Gases in der Umgebung des Wendepunkts weniger gut Experimentell stellt man allerdings fest dass in diesem Bereich tatsaumlchlich auch kein reines Gas sondern vielmehr eine Mischung aus einem Gas und einer kondensierten Fluumlssigkeit also ein Zweiphasenzustand vorliegt Dieser Zwei-phasenbereich beginnt am Wendepunkt der Isothermen des Typs 2 und schlieszligt alle Minima Maxima und Wendepunkte der Isothermen des Typs 3 ein (Abb 24 links)

P

V

Zweiphasen-gebiet

P

V

Zweiphasen-gebiet

Maxwell-Maxwell-KorrekturKorrektur

Zweiphasen-Gebiet

Zweiphasen-Gebiet

A1

A2

Abb 24 PV-Diagramme fuumlr reale Gase mit eingezeichnetem Zweiphasengebiet Der in diesem Bereich bei der Beschreibung nach van der Waals gegebene Fehler kann in guter Naumlherung durch die Maxwell-Korrektur kompensiert werden

Eine einfache Korrektur der van-der-Waals-Gleichung ermoumlglicht eine realistische Beschrei-bung des Zweiphasengebiets Eine horizontale Gerade wird so in der Naumlhe des Wendepunktes gelegt dass die oberhalb und unterhalb der Geraden im Zweiphasenbereich gebildeten Teilflaumlchen A1 und A2 die gleiche Groumlszlige besitzen (sog Maxwell-Korrektur s Abbildung 24 rechts) Dies sieht zwar nach einer etwas willkuumlrlichen Hilfskonstruktion aus trotzdem laumlsst sich damit das Verhalten eines realen Gases im Zweiphasengebiet sehr gut nachvollziehen und vorhersagen Eine besonders ausgewiesene Position im PV-Diagramm eines realen Gases ist der Scheitel-punkt des Zweiphasengebiets der durch den Wendepunkt der Isotherme des Typs 2 gebildet wird (Abb 25)

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P

V

Zweiphasen-gebiet Tc

Pc

Vc

kritischer Punkt

Jedes reale Gas besitzt einen sogenannten kritischenPunkt der durch die kritischen Zustandsgroumlszligen Tc Pc undVc beschrieben wird Die kritische Temperatur Tc istdiejenige Temperatur bei der sich ein Gas unter Druckgerade noch verfluumlssigen laumlszligt Oberhalb der kritischenTemperatur existiert kein fluumlssiger Zustand Derentsprechende Druck Pc wird als kritischer Druckbezeichnet

Die Isotherme die der kritischen Temperatur zugeordnetist besitzt als einzige einen Wendepunkt mit horizontalerTangente der gleichzeitig den kritischen Punkt markiert

Abb 25 PV-Diagramm fuumlr ein reales Gas mit kritischem Punkt

Dieser sogenannte kritische Punkt wird durch die kritische Temperatur Tc den kritischen Druck Pc und das kritische Molvolumen Vc festgelegt Zustaumlnde oberhalb des kritischen Punkts nennt man uumlberkritisch Uumlberkritisches Kohlendioxid besitzt in der Technik groszlige Bedeutung fuumlr das Loumlsen und Ausfaumlllen von pharmazeutischen Wirkstoffen (zB Aspirin fuumlr Brausetabletten) fuumlr die Extraktion (zB bei der Entkoffeinierung von Kaffee) oder zur chemischen Reinigung von Textilien

35 Andere Zustandsgleichungen fuumlr reale Gase

Neben der van-der-Waals-Gleichung existieren weitere Ansaumltze zur Beschreibung realer Gase die zwar eine genauere Anpassung an die gemessenen Werte ermoumlglichen aber auch kompli-zierter sind oder mehr Arbeit bei der Bestimmung der charakteristischen Parameter erfordern Im Folgenden seien als Beispiele die Berthelot-Gleichung und die Virialgleichung erwaumlhnt

a Berthelot-Gleichung (P + (Ansup2)(TVsup2) ) (V - nB) = n R T Berthelot fuumlhrte damit als Besonderheit einen temperaturabhaumlngigen Binnendruck ein Dies ist insoweit physikalisch gerechtfertigt als die vermehrte thermische Bewegung der Ausbildung von Wechselwirkungen zwischen den Molekuumllen entgegenwirken kann

b Virialgleichung P Vm = A + B P + C Psup2 + D Psup3 + Mit Vm = Vn Die Virialgleichung nutzt die Tatsache dass sich fast alle physikalischen Zusammenhaumlnge uumlber einen Potenzreihenansatz a + bx + cxsup2 + dxsup3 + hellip beliebig genau annaumlhern lassen Je nach Anzahl der anpassbaren Parameter ist zwar eine beliebig genaue Beschreibung des realen Gases moumlglich allerdings steigt auch der Aufwand fuumlr die Bestim-mung aller Koeffizienten

36 Beschreibung von Fluumlssigkeiten

Im PV-Diagramm der realen Gase schlieszligt sich links vom Zweiphasengebiet der Bereich der fluumlssigen Phase an Sie zeichnet sich dadurch aus dass mit sinkendem Volumen der Druck ex-trem steil ansteigt Das bedeutet dass bereits eine geringfuumlgige Volumenabnahme mit einem aumluszligerst groszligen Druckanstieg verbunden ist In der Praxis hat das zur Folge dass Fluumlssigkeiten im Gegensatz zu Gasen kaum komprimierbar sind ihre Kompressibilitaumlt geht gegen Null Auch ist die Ausdehnung der Fluumlssigkeiten bei steigender Temperatur und bei konstantem

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36

Druck (der thermische Ausdehnungskoeffizient) sehr viel kleiner als bei Gasen Eine einfache allgemeine Zustandsgleichung fuumlr die fluumlssige Phase in Analogie zur idealen oder zur van-der-Waals-Gleichung existiert nicht Stattdessen findet man bei der experimentellen Bestimmung des Zusammenhangs zwischen P V und T fuumlr jede Fluumlssigkeit ein sehr charakteristisches Verhalten Vergleicht man die Messergebnisse verschiedener Fluumlssigkeiten untereinander so sind kaum Aumlhnlichkeiten auszumachen Daruumlber hinaus sind bestimmte Messungen (zB die Messung der Abhaumlngigkeit des Drucks vom Volumen bei konstanter Teilchenzahl und Temperatur) technisch sehr schwer zu realisieren Das Fehlen einer einheitlichen Zustandsgleichung V(TPn) fuumlr Fluumlssigkeiten liegt auch in deren komplexer Struktur begruumlndet Betrachtet man ein einzelnes Teilchen in der Fluumlssigkeit so liegt es bezuumlglich der Abstaumlnde zu seinen naumlchsten Nachbarn stets in der Naumlhe des Mini-mums einer Potentialkurve Epot(r) die einen sehr steilen Verlauf besitzt Die Abstaumlnde zu den benachbarten Teilchen sind damit nahezu fixiert folglich ist eine unabhaumlngige Translations-bewegung einzelner Teilchen praktisch unmoumlglich Stattdessen verlaufen alle Bewegungs-prozesse mehr oder weniger kollektiv also unter gleichzeitiger Verschiebung mehrerer Teilchen Daruumlber hinaus gibt es keine nennenswerten freien Volumina so dass der mittlere Abstand der Teilchen nur unwesentlich verringert werden kann ein Umstand der sich in der bereits erwaumlhnten geringen Kompressibilitaumlt aumluszligert Ein Modell fuumlr eine allgemeine Fluumlssigkeit laumlsst sich im Rahmen einer Computersimulation einfuumlhren Man betrachtet dabei einen wuumlrfelfoumlrmigen Raum der einen Ausschnitt aus dem Fluumlssigkeitsvolumen darstellen soll und eine endliche Anzahl n von Fluumlssigkeitsteilchen (zB n = 1000) enthaumllt Um die Zahl der Teilchen konstant zu halten und dabei trotzdem deren Beweglichkeit zu wahren wird eine Kontinuitaumltsbedingung eingefuumlhrt Jedes Teilchen das im Rahmen der Bewegungsprozesse den Wuumlrfel an einer gegebenen Stelle verlaumlsst tritt automatisch an der genau gegenuumlberliegenden Position des Wuumlrfels wieder ein Auf diese Weise ist gewaumlhrleistet dass die Zahl der Teilchen im Wuumlrfel konstant bleibt (Abb 26)

Abb 26 Simulation von Bewegungs-vorgaumlngen in einem Fluumlssigkeitsvolumen unter Wahrung einer konstanten Partikel-anzahl Jedes Teilchen das im Rahmen der Bewegungsprozesse den Wuumlrfel an einer gegebenen Stelle verlaumlsst tritt automatisch an der genau gegenuumlberliegenden Position des Wuumlrfels wieder ein

An diesem System fuumlhrt man nun eine so genannte Monte-Carlo-Simulation durch Dabei setzt ein Zufallsgenerator eine geringfuumlgige Verschiebung eines beliebigen einzelnen Teil-chens in Gang Anschlieszligend wird unter Verwendung des bekannten Potentialverlaufs Epot(r) berechnet wie sich nach der Verschiebung die potentielle Energie des Systems veraumlndert hat Danach entscheidet das Simulationsprogramm zwischen zwei Moumlglichkeiten

- Hat sich die gesamte potentielle Energie des Systems durch die Verschiebung verringert oder blieb sie konstant so wird die Verschiebung akzeptiert und der naumlchste Schritt berechnet - Hat sich die gesamte potentielle Energie durch die Verschiebung um den positiven Wert E erhoumlht so wird die Verschiebung mit einer Wahrscheinlichkeit die von E abhaumlngt akzeptiert und ansonsten verworfen Danach wird der naumlchste Schritt berechnet

Auf diese Weise kann man fuumlr beliebige Fluumlssigkeiten sowohl die typischen Bewegungs-prozesse als auch die einflussbedingten Veraumlnderung von Zustandsgroumlszligen (zB P in Ab-

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haumlngigkeit von V) berechnen Allerdings sind die Rechnungen bei den fuumlr eine realistische Beschreibung eines Fluumlssigkeitsvolumens notwendigen groszligen Teilchenzahlen sehr aufwaumlndig und zeitintensiv

37 Beschreibung von Festkoumlrpern

Begibt man sich im P-V-Diagramm vom fluumlssigen Zustand ausgehend noch weiter nach links (zu kleineren Volumina houmlheren Drucken und niedrigeren Temperaturen) so erreicht man den festen Zustand Die Problematik der Zustandsgleichung V(TPn) von Festkoumlrpern aumlhnelt jener der Fluumlssigkeiten Auch hier sind die Kompressibilitaumlten und die thermischen Aus-dehnungskoeffizienten uumlblicherweise sehr viel geringer als bei Gasen Ebenso wie bei Fluumls-sigkeiten sind dabei die Unterschiede zwischen einzelnen Vertretern der Festkoumlrper recht groszlig so dass keine gemeinsame Zustandsgleichung wie bei Gasen formuliert werden kann Im Vergleich mit den Werten der Fluumlssigkeiten sind die Kompressibilitaumlten und die thermischen Ausdehnungskoeffizienten der Festkoumlrper durchschnittlich nochmals um etwa zwei Groumlszligen-ordnungen geringer

Abb 27 Torsionsexperiment zur Unterscheidung zwischen Fluumlssigkeiten und Festkoumlrpern (s Text)

Der wesentliche Unterschied zwischen Festkoumlrpern und Fluumlssigkeiten besteht allerdings in ihrem gegensaumltzlichen Verhalten bezuumlglich Verformung waumlhrend Fluumlssigkeiten einer gege-benen Verformung durch ihre Zaumlhigkeit (Viskositaumlt) Widerstand leisten reagiert ein Fest-koumlrper auf eine Verformung durch eine elastische Deformation Dieses Verhalten wird in einem Torsionsrheometer deutlich wobei eine feste oder fluumlssige Probe periodisch mit einer torsionsartigen Verformung beaufschlagt wird (Abb 27) Waumlhrend der Drehmomentverlauf des Festkoumlrpers exakt gleichphasig zur periodischen Aus-lenkung erfolgt (elastische Verformung) ist der Drehmomentverlauf der Fluumlssigkeit dazu um ein Viertel einer Wellenlaumlnge phasenverschoben (viskose Reaktion) Bei Fluumlssigkeiten ist der Widerstand dann maximal wenn die Deformationsgeschwindigkeit maximal ist (blaue Linie

t

Dre

hmom

entv

erla

uf

tAusl

enku

ng

Festkoumlrper

t

Dre

hmom

entv

erla

uf

Fluumlssigkeiten

Pruumlfkoumlrper

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in Abb 26) Bei Festkoumlrpern ist die Kraft dann maximal wenn der Deformationszustandmaximal ist (rote Linie in Abb 27) Viele Festkoumlrper stellen Uumlbergaumlnge zwischen diesen beiden Extremfaumlllen dar und werden dann als viskoelastisch bezeichnet Aus der Betrachtung von Messergebnissen an einer Viel-zahl von Materialien geht hervor dass eine eindeutige Abgrenzung zwischen dem fluumlssigen und dem festen Zustand selten moumlglich ist Entsprechend gibt es auch unterschiedliche Strukturmodelle die teilweise das elastische Verhalten teilweise das plastische Verhalten von Festkoumlrpern erklaumlren Dem elastischen Festkoumlrper mit nahezu verschwindender Phasen-verschiebung wird am ehesten das Modell eines idealen Kristalls gerecht Man geht dabei davon aus dass jedes Atom bzw Molekuumll aus dem der Festkoumlrper zusammengesetzt ist sich an einem geometrisch festgelegten Gitterpunkt befindet von dem es sich nicht entfernen kann Als Bewegungsprozess ist dabei lediglich eine Schwingung mit begrenzter Amplitude moumlglich Die denkbaren Geometrien der Gitterstrukturen reichen von primitiv-kubischen Gittern (zB Natriumchlorid) uumlber kubisch-dichteste (zB Silber Kupfer) und hexagonal-dichteste Kugelpackungen (zB Magnesium Zink) bis zur kubisch-raumzentrierten Struktur (zB Eisen Molybdaumln) Haumlufig findet man leichte Abweichungen von der idealen Gitter-struktur die durch lokale Stoumlrungen hervorgerufen werden Akzeptiert man gewisse Anteile an viskosem Verhalten (dh eine leichte Phasenverschiebung) so begibt man sich in den Grenzbereich zwischen Festkoumlrpern und Fluumlssigkeiten In einem Material wie Glas ist die regelmaumlszligige Anordnung eines Gitters nicht gegeben die Atome sind unregelmaumlszligig positioniert und koumlnnen unter Belastung auch flieszligen Solche nicht-kristallinen Festkoumlrper bezeichnet man als amorph Typische Vertreter amorpher Feststoffe sind Fenster-glas viele transparente Kunststoffe (zB Plexiglas Polyester in Getraumlnkeflaschen) Wachs und Aumlhnliches Amorphe Festkoumlrper besitzen keinen Schmelzpunkt sondern erweichen bei steigender Temperatur allmaumlhlich Amorphe Festkoumlrper koumlnnen nachtraumlglich kristallisieren wobei sich haumlufig das aumluszligere Erscheinungsbild und die physikalischen Eigenschaften drastisch aumlndern (zB Plastikfolie unter Zug)

38 Das Phasendiagramm

Die drei wichtigsten Phasenzustaumlnde zu denen sich eine makroskopische Gesamtheit von Atomen oder Molekuumllen zusammenfinden koumlnnen sind also Gase Fluumlssigkeiten und Festkoumlrper Die Frage ist nun unter welchen Bedingungen sich ein System fuumlr den ersten den zweiten oder den dritten Zustand entscheidet Erfahrungsgemaumlszlig haumlngt der gegebene Phasenzustand von den in Kapitel 31 eingefuumlhrten Zustandsparametern n V P und T ab Legt man die Stoffmenge n auf einen Wert fest (zB auf ein Mol Teilchen) und beruumlcksichtigt man dass nach den gegebenen Zustandsgleichungen die Groumlszligen n V P und T miteinander verknuumlpft sind so genuumlgen zwei Parameter um den jeweils guumlnstigsten Phasenzustand eindeutig festzulegen Ein Diagramm bei dem einer der Parameter V P und T gegen einen anderen aufgetragen wird eignet sich also prinzipiell um bei einer gegebenen Teilchenart den unter diesen Bedingungen jeweils angestrebten Phasenzustand zu markieren So kann man gemaumlszlig den Abbildungen 23 bis 25 in einem Diagramm bei dem P gegen V aufgetragen wird schon den jeweils gegebenen Phasenzustand eintragen und ablesen In der Praxis eignen sich solche PV-Diagramme allerdings wenig um Phasenzustaumlnde zu markieren der gasfoumlrmige Zustand nimmt einen sehr breiten Raum ein waumlhrend der fluumlssige und der feste Zustand in dem sehr engen Bereich links neben dem Zweiphasengebiet bdquoeingequetschtldquo waumlre Vor allem in diesem Umfeld waumlre das Diagramm schwer ablesbar

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Wesentlich guumlnstiger ist dagegen die Auftragung vom Druck P gegen die Temperatur T In diesem PT-Diagramm das auch als Phasendiagramm bezeichnet wird lassen sich alle Phasenzustaumlnde uumlbersichtlich zuordnen Dabei bezeichnen Flaumlchenanteile im PT-Diagramm die unter den gegebenen Druck- und Temperaturbedingungen angestrebte Phase (zB fest fluumlssig gasfoumlrmig) waumlhrend Linien die dazwischen vorliegenden Gleichgewichte markieren und Phasengrenzlinien genannt werden (Abb 28)

T

Pfe

st

fluumlss

ig

gasfouml

rmig

kritischerPunkt

Tripel-punkt

Phasengrenzlinie

Abb 28 Phasendiagramm mit Auftragung des Drucks (P) gegen die Temperatur (T)

Auszligerdem enthaumllt ein Phasendiagramm gewoumlhnlich mindestens zwei besonders ausgezeich-nete Punkte den Tripelpunkt an dem die drei im Allgemeinen wichtigsten Phasenzustaumlnde fest fluumlssig und gasfoumlrmig miteinander im Gleichgewicht stehen und den bereits aus dem PV-Diagramm bekannten kritischen Punkt der das Ende eines definierten Uumlbergangs zwischen fluumlssiger und gasfoumlrmiger Phase markiert Beispiele fuumlr Phasendiagramme Kohlen-dioxid und Wasser sind in Abbildung 29 und 30 wiedergegeben

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T

P

fest

fluumlss

iggasfoumlrmig

kritischerPunkt

Tripel-punkt

2168 K

511 bar

CO2

3042 K

728 bar

Abb 29 Phasendiagramm fuumlr Kohlendioxid

T

P

fluumlss

ig

gasfoumlrmig

kritischerPunkt

H2O

Eis 1

Eis 1

Eis 2 Eis 3

Eis 5

Eis 6

Tripelpunkt6473 K

218 bar

6 mbar 27316 K

Abb 30 Phasendiagramm fuumlr Wasser Der Bereich oberhalb von 200 bar ist aus Gruumlnden der

Uumlbersichtlichkeit entlang der P-Achse komprimiert dargestellt

Eine wichtige Besonderheit des Phasenverhaltens von Wasser ist die Tatsache dass die Phasengrenzlinie zwischen fluumlssigem Wasser und Eis 1 eine negative Steigung aufweist Dies hat zur Folge dass gewoumlhnliches Eis durch Erhoumlhung des Drucks zum Schmelzen gebracht werden kann Dieser Umstand ist eine der Ursachen dafuumlr dass eine Kufe auf Eis gleitet da der durch das Schmelzen entstehende Wasserfilm die Reibung vermindert (allerdings spielt hier auch die Reibungswaumlrme eine Rolle) Der Grund fuumlr dieses Verhalten steht in direkter Verbindung mit der strukturbedingten Volumenabnahme beim Schmelzen von Eis (s Videos unter httpwwwyoutubecomwatchv=6s0b_keOiOU und httpswwwyoutubecomwatchv=CDTZoFGmZoc )

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Waumlhlt man in einem Phasendiagramm eine Kombination von Druck und Temperatur so kann man direkt denjenigen Phasenzustand ablesen den die gegebene Teilchenart unter diesen Bedingungen anstrebt Das heiszligt jedoch nicht dass dieser Zustand dann auch in jedem Fall und zu jeder Zeit vorliegt Haumlufig beobachtet man eine so genannte kinetische Hemmung einer Phasenumwandlung So gibt es unterkuumlhlte Fluumlssigkeiten (zB Regentropfen bei -3degC) genauso wie unterkuumlhlte Dampfphasen (zB uumlbersaumlttigten Wasserdampf in Gewitterwolken) oder uumlberhitzte Fluumlssigkeiten (zB uumlberhitztes Wasser bei einem Siedeverzug) Kristalli-sationskeime wie Staubkoumlrner koumlnnen Phasenumwandlungen beschleunigen (zB durch Staub verursachter bdquoIndustrieschneeldquo) Bisher wurden lediglich Phasendiagramme von reinen Stoffen betrachtet die nur aus einer einzelnen Sorte Atomen oder Molekuumllen bestehen Mischt man einem gegebenen Stoff eine weitere Komponente hinzu so aumlndert sich das Phasendiagramm erheblich Als Beispiel betrachten wir ein System in dessen fluumlssiger Phase ein Fremdstoff A geloumlst wird der weder im Festkoumlrper noch im der Gasphase loumlslich ist (zB Kochsalz in Wasser) In diesem Fall dehnt sich der fluumlssige Bereich des Phasendiagramms mit steigender Konzentration von A in alle Richtungen aus so dass gleichzeitig der Schmelzpunkt erniedrigt der Siedepunkt erhoumlht und der Dampfdruck verringert wird (Abb 31) In erster Naumlherung sind alle genannten Aumlnderungen proportional zu cA

T

P

fest

fluumlss

ig

gasfouml

rmig

Abb 31 Phasendiagramm fuumlr ein System in dessen fluumlssiger Phase ein Fremdstoff mit steigender

Konzentration cA geloumlst wird Der Bereich der fluumlssigen Phase dehnt sich daraufhin in alle

Richtungen aus

Bei weiter steigender Konzentration von A kann ein Punkt erreicht werden an dem die Mischung in zwei getrennte Bereiche zerfaumlllt die ebenfalls als Phasen bezeichnet werden (zB Olivenoumll und Wasser) Eine dieser Phasen besitzt dann einen hohen Loumlsemittelanteil bei geringer Konzentration von A die andere besteht aus einem hohen Anteil an A mit einem geringen Gehalt an Loumlsemittel Dieser Vorgang der Phasenseparation binaumlrer (aus zwei Komponenten bestehender) Systeme wird durch eine andere Art von Phasendiagramm beschrieben dem so genannten Mischphasendiagramm (Abb 32) Hierbei wird die Tempe-

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ratur dem relativen Anteil einer Komponente gegenuumlbergestellt der Druck wird als konstant angenommen

Abb 32 Allgemeine Darstellung eines Mischphasendiagramms

Grundsaumltzlich gibt die linke Flanke der Phasentrennlinie (links des kritischen Punkts) die Zusammensetzung der bdquoA-armenldquo Phase an waumlhrend die rechte Flanke (rechts des kritischen Punkts) die Zusammensetzung der A-reichen Phase beschreibt Die Mengen der dabei gebildeten Phasen koumlnnen nach dem so genannten Hebelgesetz berechnet werden Demnach gilt zwischen dem Anteil n1 der A-armen Phase 1 dem Anteil n2 der A-reichen Phase 2 und den Laumlngen der Pfeile s1 und s2 in der vorhergehenden Abbildung folgender Zusammenhang

n1 s1 = n2 s2

Fuumlr das gezeigte Beispiel wuumlrde das bedeuten dass der Anteil der Phase 1 etwa doppelt so groszlig waumlre wie der Anteil der Phase 2 In der Naumlhe der beiden Raumlnder des Diagramms also fuumlr xA 0 (sehr wenig A im Loumlsemittel) oder xA 1 (sehr wenig Loumlsemittel in A) liegen in den meisten Faumlllen einphasige homogene Mischungen vor Das besagt dass auch bei niedrigen Temperaturen ein wenig von dem Stoff A im Loumlsemittel bzw ein wenig Loumlsemittel im Stoff A loumlslich ist Der im Diagramm eingezeichnete kritische Punkt bedeutet dass oberhalb der dazugehoumlrigen kritischen Temperatur keine Entmischung mehr erfolgt dh hier sind die beiden Komponenten vollstaumlndig und in jedem Verhaumlltnis miteinander mischbar Neben solchen oberen kritischen Punkten gibt es auch untere kritische Punkte Im zweiten Fall gilt dass die beiden Komponenten unterhalb einer bestimmten Temperatur in jedem Verhaumlltnis miteinander mischbar sind Im Allgemeinen koumlnnen die drei verschiedenen Faumllle auftreten die in Abbildung 33 dargestellt sind

0 Molenbruch xA der Komponente A 1

Tem

pera

tur

obere kritischeTemperatur

Einphasen-gebiet

Zweiphasen-gebiet

Beispiel xA = 04

T1

Zum gezeigten Beispiel

Eine Mischung mit dem Molenbruch xA = 04 wird von T2 nach T1 abgekuumlhltDabei zerfaumlllt die Mischung bei Tklsquo in zwei Phasen derenZusammensetzung bei T1auf der x-Achse an den Punkten 1 und 2 ablesbar ist

T2

Tklsquo

1 2

kritischer Punkt

s1 s2

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0 xA 1

Tem

pera

tur

System mit oberem kritischen Punkt

kritischer Punkt

0 xA 1Te

mpe

ratu

r

System mit unterem kritischen Punkt

kritischer Punkt

0 xA 1

Tem

pera

tur

System mit oberem und unterem

kritischen Punkt

kritischer Punkt

kritische Punkte

Abb 33 Moumlgliche Varianten von kritischen Punkten bei Systemen aus zwei Komponenten

Obere kritische Punkte findet man dann wenn sich die molekulare thermische Bewegung gegen die Tendenz der Molekuumlle sich mit gleichartigen Molekuumllen zusammenzulagern durchsetzt Dieses Phaumlnomen ist sehr verbreitet so dass ein oberer kritischer Punkt bei sehr vielen Mischphasen beobachtet wird Untere kritische Punkte sind sehr viel seltener Sie treten beispielsweise dann auf wenn die beiden Komponenten miteinander bei tiefen Temperaturen einen Komplex bilden der bei houmlheren Temperaturen wieder zerfaumlllt und dann zu einer Phasenseparation fuumlhrt Ein Beispiel dafuumlr ist die Mischung aus Wasser und Triethylamin

Fuumlr Mischphasen aus drei Komponenten so genannte ternaumlre Mischungen sind die bisher gezeigten Darstellungen ungeeignet Hierfuumlr haben sich Dreiecksdiagramme (Gibbssches Phasendreieck) durchgesetzt die das Phasenverhalten unter Variation der Mengenbeitraumlge aller drei Komponenten aufzeigen (Abb 34) Das Diagramm ist so geartet dass die Summe aller drei Mengenanteile xA xB und xC in jedem Fall den Wert 1 ergibt Damit besitzt die Zusammensetzung des ternaumlren Gemisches zwei Freiheitsgrade Jede Linie die durch eine Ecke des Diagramms fuumlhrt verbindet diejenigen Punkte bei denen das Verhaumlltnis zweier Komponenten gleich ist Jede Linie die parallel zu einer der drei Seiten verlaumluft entspricht Gemischen bei denen der relative Anteil einer Komponente gleich bleibt

00 02 04 06 08 10Komponente A

00

02

04

06

08

10

Kom

pone

nte

B

0002

04

06

08

10

Komponente C

C

A

B

00 02 04 06 08 10Komponente A

00

02

04

06

08

10

Kom

pone

nte

B

00

02

04

06

08

10

Komponente C

x1

x2x

Abb 34 Prinzip eines ternaumlren Phasendiagramms nach Gibbs (Dreiecksdiagramm)

In solche ternaumlren Mischphasendiagramme lassen sich nun entsprechend den binaumlren Mischphasendiagrammen die Ein- und Zweiphasengebiete einzeichnen Das Diagramm in

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44

Abb 34 rechts gilt zB fuumlr eine ternaumlre Mischung aus A B und C bei der die Komponenten A und B sowie B und C jeweils paarweise in jedem Verhaumlltnis miteinander mischbar sind Die Komponenten A und C sollen dagegen nur begrenzt mischbar sein Als Konsequenz daraus ergibt sich ein Dreiecksdiagramm das an der unteren Achse die dem Anteil 0 der Komponente B entspricht ein Zweiphasengebiet aufweist

Die Hilfslinien im Zweiphasengebiet markieren die Zusammensetzung der entstehenden Einzelphasen So wuumlrde beispielsweise eine Mischung deren Zusammensetzung im Diagramm durch den Punkt x markiert ist in die beiden Phasen x1 und x2 zerfallen Die Mengenanteile der beiden Phasen koumlnnten dabei wieder uumlber das Hebelgesetz berechnet werden Um zusaumltzlich den Einfluss der Temperatur wiederzugeben muss eine weitere Koordinate eingefuumlhrt werden Man erhaumllt dabei ein dreidimensionales Dreiecksdiagramm das haumlufig unter Verwendung von Houmlhenlinien nach der Art einer topographischen Landkarte dargestellt wird Jede Houmlhenlinie des Zweiphasengebiets umschreibt dann seine Ausdehnung bei einer gegebenen Temperatur

Fragt man bei einem System mit bestehenden Randbedingungen nach der Zahl der frei variierbaren Zustandsgroumlszligen also nach der Zahl der Freiheitsgrade so haumlngt die Antwort zunaumlchst davon ab in welchem Phasenzustand sich das System befindet So kann man beispielsweise in der Gasphase (bei festgelegter Stoffmenge) Temperatur und Druck frei waumlhlen wodurch dann automatisch das Volumen festgelegt wird Gleiches gilt fuumlr die feste und die fluumlssige Phase Das System hat innerhalb eines Phasenzustands also zwei Freiheits-grade Setzt man allerdings voraus dass sich das System in einem Gleichgewicht zwischen zwei Phasen befindet (zB auf der Verdampfungslinie) so besitzt es nur einen Freiheitsgrad Am Tripelpunkt schlieszliglich bei einem Gleichgewicht zwischen drei Phasen sind keine Freiheitsgrade mehr vorhanden Zwischen der Zahl der Phasen P und der Zahl der Freiheitsgrade F gibt es also folgende einfache Beziehung

F = 3 - P

Beruumlcksichtigt man weiter dass auch mehr als eine Komponente auftreten kann (Zahl der Komponenten C gt 1) so erhoumlht sich die Zahl der Freiheitsgrade um jede zusaumltzliche Komponente deren Konzentration ja frei waumlhlbar ist um den Wert eins Man erhaumllt damit

F = 3 - P + (C - 1) oder F = C - P + 2

Nach dieser allgemeinguumlltigen Formel der so genannten Gibbsrsquoschen Phasenregel laumlsst sich die Zahl der Freiheitsgrade in jedem beliebigen System bestimmen Sie erlaubt insbesondere bei sehr komplizierten Mischungen mit einer unbekannten Anzahl an Phasenzustaumlnden uumlber eine einfache Betrachtung Ruumlckschluumlsse auf deren Phasenverhalten

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Nach der kinetischen Gastheorie besteht der Druck eines Gases aus der Summe aller Kraumlfte (pro Flaumlcheneinheit) die durch auf eine Flaumlche aufprallende Gasteilchen (bzw durch deren Impulsaumlnderung) ausgeuumlbt werden (Abb 21)

Vx t

Abb 21 Links schematische Darstellung der Impulsaumlnderung bei dem Auftreffen eines Gasteilchens auf der Gefaumlszligwand Viele solche Stoumlszlige fuumlhren in der Summe zum Entstehen einer messbaren dem Gasdruck zugeordneten Kraft Rechts Die Geschwindigkeitskomponente vx der Teilchen bestimmt nicht nur die Groumlszlige der Impulsaumlnderung sondern auch die Zahl der Teilchen die pro Zeiteinheit auf die Wand stoszligen Daher geht die Geschwindigkeit der Teilchen bei der Berechnung des Drucks insgesamt quadratisch ein

Dabei wird zunaumlchst davon ausgegangen dass alle Teilchen die gleiche Geschwindigkeits-komponente vx aufweisen Diese Geschwindigkeitskomponente bestimmt zum einen die Heftigkeit der Stoumlszlige zum anderen wie viele Gasteilchen pro Zeiteinheit auf die Wand prallen Insgesamt haumlngt der Druck damit vom Quadrat der Geschwindigkeitskomponente vxab Fuumlhrt man nun ein mittleres Geschwindigkeitsquadrat csup2 ein (mit vxsup2 = 13 csup2) so erhaumllt man fuumlr den an dem beweglichen Kolben spuumlrbaren Druck die Gleichung

P = 13 M csup2 (nV) oder in der Schreibweise der idealen Gasgleichung P V = 13 n M csup2 Der Druck ist nach dem kinetischen Gasmodell also die Folge einer Vielzahl von Stoumlszligen welche die Teilchen gegen die Behaumllterwaumlnde ausfuumlhren Er ist folglich proportional zur Mas-se der Teilchen (je schwerer die Teilchen desto heftiger die Stoumlszlige) zum mittleren Geschwin-digkeitsquadrat (die Geschwindigkeit der Teilchen bestimmt zum einen die Haumlufigkeit zum anderen die Heftigkeit der Stoumlszlige) und zur Zahl der Teilchen pro Volumeneinheit (womit wie nach der idealen Gasgleichung zu erwarten P umgekehrt proportional zu V ist) Die Bedeutung der Temperatur im kinetischen Gasmodell ist dagegen zunaumlchst unklar Mit der idealen Gasgleichung P V = n R T ergibt sich aber durch Koeffizientenvergleich n R T = 13 n M csup2 oder R T = 13 M csup2 Man kann unter Nutzung beider Gasmodelle so zu einem neuen teilchenbezogenen Verstaumlnd-nis des Phaumlnomens Temperatur kommen Die Temperatur eines Gases ist demnach direkt proportional zum mittleren Geschwindigkeitsquadrat der Gasteilchen oder in anderen Worten zu deren kinetischer Energie 12 M csup2 Dies ist fuumlr das Verstaumlndnis des Phaumlnomens Temperatur von groszliger Bedeutung Man kann die Temperatur eines Gases also messen indem man (bei bekannter Masse der Teilchen) die Geschwindigkeit der Gasteilchen bestimmt Die Wurzel aus dem mittleren Geschwindigkeits-quadrat also die Groumlszlige c liegt uumlblicherweise in der Groumlszligenordnung der Schallgeschwindig-keit (zum Beispiel fuumlr Stickstoff bei Raumtemperatur c = 516 ms) und steht zu ihr in einer

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festen Beziehung Tatsaumlchlich laumlsst sich die Temperatur auch uumlber eine Messung der Schall-geschwindigkeit ermitteln Nachdem das mittlere Geschwindigkeitsquadrat der Teilchen bekannt ist stellt sich die Frage nach der Geschwindigkeitsverteilung der Teilchen Die Bewegungsenergie der Teilchen ist wie alle anderen Energieformen (zB elektronische Energie Schwingungsenergie) gequantelt Das bedeutet dass sich die Teilchen auf (hier dicht gestaffelte) Energieniveaus verteilen muumlssen Sie tun das nach einem statistischen Grundprinzip das Boltzmann-Verteilung genannt wird Demnach ist die Besetzung pi eines Energieniveaus i (egal welcher Art die Energie Ei ist) stets proportional zum so genannten Boltzmannfaktor des Zustand i Es gilt

pi ~ exp[-Ei(kBT)]

Die darin enthaltene Boltzmannkonstante kB ist nichts anderes als die allgemeine Gas-konstante R (siehe unter 32) dividiert durch die Zahl NL der Teilchen in einem Mol Substanz (kB = RNL) Das bedeutet die Besetzung eines Zustands ist umso wahrscheinlicher je niedriger dessen Energie ist Steigende Temperatur T hingegen erhoumlht die Wahrscheinlichkeit energiereicher Zustaumlnde Diese Gesetzmaumlszligigkeit gilt fuumlr die Besetzung aller auf atomarer oder molekularer Ebene gegebener Zustaumlnde in einem makroskopischen System Angewandt auf die Bewegungsenergie von Gasteilchen in einer einzelnen Raumrichtung x bedeutet das dass Teilchen mit hoher Geschwindigkeit vx weniger wahrscheinlich sind als solche mit niedriger Geschwindigkeit vx Allerdings steigt die Wahrscheinlichkeit des Auftretens groszliger Werte fuumlr vx mit steigender Temperatur Teilt man den Bereich der auftretenden Geschwindigkeiten in Intervalle auf und zaumlhlt man die Teilchen die gemaumlszlig ihrer Geschwindigkeit zu den einzelnen Intervallen zugeordnet werden koumlnnen so ergibt sich fuumlr die Geschwindigkeitsverteilung in vx und v das Bild das in Abb 22 oben dargestellt ist Die Verteilungsfunktionen fuumlr die Geschwindigkeiten in y- und z-Richtung sind identisch

n(vx)

vx-Intervall

n(vx)

vx-Intervall

Temperatur-erhoumlhung

- 0 +- 0 +n(v)

v-Intervall

Temperatur-erhoumlhung

0 +

n(v)

v-Intervall0 +

Abb 22 Verteilungsfunktionen einer eindimensionalen Geschwindigkeitskomponente (oben) und der Gesamtgeschwindigkeit (unten)

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Betrachtet man die Verteilung n(v) der Gesamtgeschwindigkeit v im dreidimensionalen Raum so wird das Bild komplizierter Bezuumlglich der drei Raumrichtungen x y und z sind weiterhin die kleinen Geschwindigkeiten wahrscheinlicher als die groszligen Da nun aber fuumlr eine groszlige Gesamtgeschwindigkeit v mehr Kombinationsmoumlglichkeiten vx vy vz existieren als fuumlr kleine Gesamtgeschwindigkeiten so wird die Wahrscheinlichkeit fuumlr sehr geringe Gesamtgeschwindigkeiten entsprechend kleiner fuumlr groszlige Gesamtgeschwindigkeiten entsprechend groumlszliger Der daraus resultierende Gewichtungsfaktor fuumlr jedes v ist die relative Flaumlche der Kugelschale mit dem Radius v Insgesamt ergeben sich dann die in Abb 22 unten dargestellten Verteilungsfunktionen fuumlr niedrige und hohe Temperaturen Die Verteilungsfunktionen in vx und v lauten (ohne Herleitung)

f(vx) = [M(2RT)]12 exp [-Mvxsup2(2RT)]

f(v) = 4 [M(2RT)]32 vsup2 exp [-Mvsup2(2RT)] Der Mittelwert von vx (oder jeder anderen eindimensionalen Geschwindigkeitskomponente) ist grundsaumltzlich Null Dagegen besitzt der Mittelwert von v stets eine endliche von Null verschiedene Groumlszlige Bei einer Erhoumlhung der Temperatur werden alle Verteilungsfunktionen breiter der Mittelwert von v vergroumlszligert sich Die Temperatur eines Gases aumluszligert sich also nicht nur im mittleren Geschwindigkeitsquadrat sondern auch in der Form der Geschwindigkeitsverteilungsfunktion Bei der Mischung von Gasen unterschiedlicher Temperatur muss um die oben genannte Forderung zu erfuumlllen aus der einfachen Summe von zwei Verteilungsfunktionen eine neue der Mischtemperatur ent-sprechende Verteilungsfunktion entstehen Dies ist nur unter der Annahme moumlglich dass ein Austausch kinetischer Energie unter den Teilchen erfolgen kann Diese Tatsache bedingt die eingangs gestellte Forderung nach Teilchenstoumlszligen also Wechselwirkungen zwischen den Teilchen Damit muumlssen die Gasteilchen aber auch ein gewisses Volumen besitzen den Teil-chen ohne Eigenvolumen koumlnnen prinzipiell nicht zusammenstoszligen Darin besteht der we-sentliche Unterschied zwischen einem Gas nach dem kinetischen Gasmodell und dem idealen Gas Das ideale Gas koumlnnte man theoretisch auf ein beliebig kleines Volumen komprimieren bei einem kinetischen Gas ist dies aufgrund des Eigenvolumens nicht moumlglich Ansonsten erlaubt das kinetische Gasmodell die vollstaumlndige Interpretation der idealen Gasgleichung

34 Die korrigierte Gasgleichung nach van der Waals JD van der Waals

Mithilfe des kinetischen Gasmodells laumlsst sich die Zustandsgleichung fuumlr Gase weiter verfeinern Zunaumlchst soll beruumlcksichtigt werden dass die Teilchen ein eigenes Volumen besitzen In erster Naumlherung geschieht dies indem man ein vom Eigenvolumen der Gas-teilchen abgeleitetes minimales Volumen des Gases (das so genannte Covolumen) definiert Das Covolumen beschreibt dasjenige Volumen des Gases das bei staumlndigem mechanischem Kontakt zwischen jeweils zwei Teilchen eingenommen wird wenn man den Teilchenpaaren jeweils den sie umschreibenden kugelfoumlrmigen Raum zuordnet (wegen der geringen Wahr-scheinlichkeit von Dreierstoumlszligen kann die Bildung von Dreiergruppen ausgeschlossen werden) Das molare Covolumen b entspricht wenn man eine einfache geometrische Uumlberlegung an-setzt dem vierfachen Eigenvolumen eines Mols der Gasteilchen Um das tatsaumlchliche freie

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Volumen zu erhalten muss das n-fache Covolumen vom gegebenen Volumen abgezogen werden Damit wird aus der idealen Gasgleichung P V = n R T die erste korrigierte Version P (V - n b) = n R T Im zweiten Schritt soll nun uumlber das kinetische Gasmodell hinausgehend auch die anziehen-de Wechselwirkung zwischen den Teilchen beruumlcksichtigt werden Die Anziehung zwischen den Teilchen sorgt nach van der Waals fuumlr einen zusaumltzlichen nach auszligen nicht messbaren bdquoBinnendruckldquo Dieser Binnendruck ist proportional zum Quadrat der Teilchendichte (nV)sup2 Der zwischen den Teilchen tatsaumlchlich wirkende nach auszligen ebenfalls unmessbare Gesamt-druck ist dann gegeben als

Pgesamt (unmessbar) = P (messbar) + a (nV)sup2

mit einer fuumlr die anziehende Wechselwirkung charakteristischen Konstante a Die danach korrigierte Version der Gasgleichung die van-der-Waals-Gleichung fuumlr reale Gase lautet

[P + a (nV)sup2] (V - nb) = n R T

Die Konstanten b und a besitzen fuumlr jedes reale Gas charakteristische Werte die dessen Eigenvolumen (die Groumlszlige der Elektronenhuumllle) und die Staumlrke der intermolekularen Wechsel-wirkungen reflektieren Beispiele

Gas a b

Argon 01345 Pa m6Molsup2 32210-5 msup3Mol Kohlendioxid 03592 Pa m6Molsup2 426710-5 msup3Mol Helium 00034 Pa m6Molsup2 23710-5 msup3Mol Stickstoff 01390 Pa m6Molsup2 391310-5 msup3Mol Wasser 05573 Pa m6Molsup2 31010-5 msup3Mol

Der Parameter b spiegelt mit der Einheit msup3Mol weitgehend die Groumlszlige der einzelnen Teilchen (Atome oder Molekuumlle) wider So besitzt erwartungsgemaumlszlig Kohlendioxid oder Argon einen groumlszligeren Wert fuumlr b als beispielsweise Helium Allerdings sind die Unterschiede erstaunlich klein was auf die Tatsache zuruumlckzufuumlhren ist dass sich das Covolumen auf Teilchenpaare bezieht und ein Paar aus Kohlendioxidmolekuumllen gegenuumlber einem Paar aus Heliumatomen nur etwa das doppelte Volumen benoumltigt

Der Parameter a mit der Einheit Pascal mal Molvolumen zum Quadrat reflektiert die Staumlrke der Wechselwirkungen zwischen den Teilchen Diese Wechselwirkungen beruhen zum groszligen Teil auf den elektrischen Eigenschaften der Teilchen Diese wiederum sind mit der elektronischen Struktur der Atome beziehungsweise der chemischen Bindungen verknuumlpft Am wichtigsten ist dabei das in Kapitel 19 erwaumlhnte Dipolmoment Polare Bindungen koumlnnen zu Teilchen mit permanenten Dipolen fuumlhren (zB HF Wasser Ammoniak CO) Andere Molekuumlle oder Atome sind zwar unpolar koumlnnen aber spontan oder durch aumluszligere

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elektrische Felder polarisiert werden (zB He Ar molekularer Wasserstoff molekulares Chlor) Man spricht dann von polarisierbaren Teilchen mit einem spontanen Dipolmoment oder mit einem durch ein aumluszligeres Feld bewirkten induzierten Dipolmoment In all diesen Faumlllen sind anziehende Wechselwirkungen zwischen den Teilchen moumlglich die in dem Parameter a zusammengefasst werden Daruumlber hinaus koumlnnen sich auch voruumlbergehende chemische Bindungen ausbilden Das prominenteste Beispiel fuumlr diesen Fall ist die bekannte Wasserstoffbruumlckenbindung die bei polaren X-H-Bindungen auftreten kann Im Einzelnen werden demnach folgende Arten von Wechselwirkungen mit absteigender Intensitaumlt unter-schieden

a) Wasserstoffbruumlckenbindung X-H hellip Y Hierbei bildet sich voruumlbergehend eine chemische Bindung zwischen dem polar gebundenen Wasserstoff und einem elektronegativen und mit einem freien Elektronenpaar ausgestatteten Element Y

b) Wechselwirkungen zwischen permanenten Dipolen hier besitzen alle Teilchen ein permanentes Dipolmoment Zwischen den entgegengesetzt geladenen Enden der Teilchen bauen sich dann konstant anziehende elektrostatische Wechselwir-kungen auf

c) Wechselwirkungen zwischen permanenten und induzierten Dipolen die Teil-chen mit permanentem Dipolmoment induzieren ein voruumlbergehendes Dipol-moment bei den benachbarten (zunaumlchst unpolaren) Teilchen In der Folge ergibt sich eine anziehende elektrostatische Wechselwirkung

d) Wechselwirkungen zwischen induzierten Dipolen durch spontane Polarisierung eines Teilchens entsteht ein voruumlbergehendes Dipolmoment welches bei einem benachbarten Teilchen eine Polarisierung hervorruft In der Folge ergibt sich eine kurzfristige und sehr schwache elektrostatische Anziehung zwischen den Teilchen Man spricht dabei auch von der Dispersionswechselwirkung oder der Londonschen Wechselwirkung

Alle diese Effekte sind anziehender Natur und gehen damit in den Parameter a ein Fasst man die beiden Parameter a und b zusammen so entsteht mit der van-der-Waals-Gleichung eine recht zuverlaumlssige Zustandsgleichung fuumlr reale Systeme die sowohl die abstoszligenden als auch die anziehenden Wechselwirkungen beruumlcksichtigt

Ein guter Test fuumlr diese reale Zustandsgleichung ist die Berechnung eines Diagramms von P gegen V fuumlr verschiedene Temperaturen das so genannte P-V-Diagramm und die Gegen-uumlberstellung mit dem entsprechenden experimentellen P-V-Diagramm eines realen Gases Gemaumlszlig der van-der-Waalsrsquoschen Gleichung existieren abhaumlngig von der betrachteten Tempe-ratur drei Typen von Isothermen (Abb 23 links) solche die einer Hyperbel aumlhneln (1) eine einzelne Isotherme die einen Wendepunkt mit waagrechter Tangente besitzt (2) und solche die ein Minimum ein Maximum und einen Wendepunkt aufweisen (3) Das experimentell beobachtete Verhalten stimmt in den ersten beiden Faumlllen recht gut uumlberein weicht aber bei Isothermen des dritten Typs deutlich vom berechneten Verlauf ab (Abb 23 rechts)

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P

V

PV-Diagramm nachvan-der-Waals-Gleichung

1 2

3

P

V

3

experimentell bestimmtesPV-Diagramm f reales Gas

Abb 23 PV-Diagramme fuumlr reale Gase berechnet nach van der Waals (links) und experimentell bestimmt (rechts) Die drei typischen Formen der Isothermen (1 2 und 3) sind im Text beschrieben

Offensichtlich beschreibt die van-der-Waals-Gleichung das Verhalten eines realen Gases in der Umgebung des Wendepunkts weniger gut Experimentell stellt man allerdings fest dass in diesem Bereich tatsaumlchlich auch kein reines Gas sondern vielmehr eine Mischung aus einem Gas und einer kondensierten Fluumlssigkeit also ein Zweiphasenzustand vorliegt Dieser Zwei-phasenbereich beginnt am Wendepunkt der Isothermen des Typs 2 und schlieszligt alle Minima Maxima und Wendepunkte der Isothermen des Typs 3 ein (Abb 24 links)

P

V

Zweiphasen-gebiet

P

V

Zweiphasen-gebiet

Maxwell-Maxwell-KorrekturKorrektur

Zweiphasen-Gebiet

Zweiphasen-Gebiet

A1

A2

Abb 24 PV-Diagramme fuumlr reale Gase mit eingezeichnetem Zweiphasengebiet Der in diesem Bereich bei der Beschreibung nach van der Waals gegebene Fehler kann in guter Naumlherung durch die Maxwell-Korrektur kompensiert werden

Eine einfache Korrektur der van-der-Waals-Gleichung ermoumlglicht eine realistische Beschrei-bung des Zweiphasengebiets Eine horizontale Gerade wird so in der Naumlhe des Wendepunktes gelegt dass die oberhalb und unterhalb der Geraden im Zweiphasenbereich gebildeten Teilflaumlchen A1 und A2 die gleiche Groumlszlige besitzen (sog Maxwell-Korrektur s Abbildung 24 rechts) Dies sieht zwar nach einer etwas willkuumlrlichen Hilfskonstruktion aus trotzdem laumlsst sich damit das Verhalten eines realen Gases im Zweiphasengebiet sehr gut nachvollziehen und vorhersagen Eine besonders ausgewiesene Position im PV-Diagramm eines realen Gases ist der Scheitel-punkt des Zweiphasengebiets der durch den Wendepunkt der Isotherme des Typs 2 gebildet wird (Abb 25)

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P

V

Zweiphasen-gebiet Tc

Pc

Vc

kritischer Punkt

Jedes reale Gas besitzt einen sogenannten kritischenPunkt der durch die kritischen Zustandsgroumlszligen Tc Pc undVc beschrieben wird Die kritische Temperatur Tc istdiejenige Temperatur bei der sich ein Gas unter Druckgerade noch verfluumlssigen laumlszligt Oberhalb der kritischenTemperatur existiert kein fluumlssiger Zustand Derentsprechende Druck Pc wird als kritischer Druckbezeichnet

Die Isotherme die der kritischen Temperatur zugeordnetist besitzt als einzige einen Wendepunkt mit horizontalerTangente der gleichzeitig den kritischen Punkt markiert

Abb 25 PV-Diagramm fuumlr ein reales Gas mit kritischem Punkt

Dieser sogenannte kritische Punkt wird durch die kritische Temperatur Tc den kritischen Druck Pc und das kritische Molvolumen Vc festgelegt Zustaumlnde oberhalb des kritischen Punkts nennt man uumlberkritisch Uumlberkritisches Kohlendioxid besitzt in der Technik groszlige Bedeutung fuumlr das Loumlsen und Ausfaumlllen von pharmazeutischen Wirkstoffen (zB Aspirin fuumlr Brausetabletten) fuumlr die Extraktion (zB bei der Entkoffeinierung von Kaffee) oder zur chemischen Reinigung von Textilien

35 Andere Zustandsgleichungen fuumlr reale Gase

Neben der van-der-Waals-Gleichung existieren weitere Ansaumltze zur Beschreibung realer Gase die zwar eine genauere Anpassung an die gemessenen Werte ermoumlglichen aber auch kompli-zierter sind oder mehr Arbeit bei der Bestimmung der charakteristischen Parameter erfordern Im Folgenden seien als Beispiele die Berthelot-Gleichung und die Virialgleichung erwaumlhnt

a Berthelot-Gleichung (P + (Ansup2)(TVsup2) ) (V - nB) = n R T Berthelot fuumlhrte damit als Besonderheit einen temperaturabhaumlngigen Binnendruck ein Dies ist insoweit physikalisch gerechtfertigt als die vermehrte thermische Bewegung der Ausbildung von Wechselwirkungen zwischen den Molekuumllen entgegenwirken kann

b Virialgleichung P Vm = A + B P + C Psup2 + D Psup3 + Mit Vm = Vn Die Virialgleichung nutzt die Tatsache dass sich fast alle physikalischen Zusammenhaumlnge uumlber einen Potenzreihenansatz a + bx + cxsup2 + dxsup3 + hellip beliebig genau annaumlhern lassen Je nach Anzahl der anpassbaren Parameter ist zwar eine beliebig genaue Beschreibung des realen Gases moumlglich allerdings steigt auch der Aufwand fuumlr die Bestim-mung aller Koeffizienten

36 Beschreibung von Fluumlssigkeiten

Im PV-Diagramm der realen Gase schlieszligt sich links vom Zweiphasengebiet der Bereich der fluumlssigen Phase an Sie zeichnet sich dadurch aus dass mit sinkendem Volumen der Druck ex-trem steil ansteigt Das bedeutet dass bereits eine geringfuumlgige Volumenabnahme mit einem aumluszligerst groszligen Druckanstieg verbunden ist In der Praxis hat das zur Folge dass Fluumlssigkeiten im Gegensatz zu Gasen kaum komprimierbar sind ihre Kompressibilitaumlt geht gegen Null Auch ist die Ausdehnung der Fluumlssigkeiten bei steigender Temperatur und bei konstantem

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Druck (der thermische Ausdehnungskoeffizient) sehr viel kleiner als bei Gasen Eine einfache allgemeine Zustandsgleichung fuumlr die fluumlssige Phase in Analogie zur idealen oder zur van-der-Waals-Gleichung existiert nicht Stattdessen findet man bei der experimentellen Bestimmung des Zusammenhangs zwischen P V und T fuumlr jede Fluumlssigkeit ein sehr charakteristisches Verhalten Vergleicht man die Messergebnisse verschiedener Fluumlssigkeiten untereinander so sind kaum Aumlhnlichkeiten auszumachen Daruumlber hinaus sind bestimmte Messungen (zB die Messung der Abhaumlngigkeit des Drucks vom Volumen bei konstanter Teilchenzahl und Temperatur) technisch sehr schwer zu realisieren Das Fehlen einer einheitlichen Zustandsgleichung V(TPn) fuumlr Fluumlssigkeiten liegt auch in deren komplexer Struktur begruumlndet Betrachtet man ein einzelnes Teilchen in der Fluumlssigkeit so liegt es bezuumlglich der Abstaumlnde zu seinen naumlchsten Nachbarn stets in der Naumlhe des Mini-mums einer Potentialkurve Epot(r) die einen sehr steilen Verlauf besitzt Die Abstaumlnde zu den benachbarten Teilchen sind damit nahezu fixiert folglich ist eine unabhaumlngige Translations-bewegung einzelner Teilchen praktisch unmoumlglich Stattdessen verlaufen alle Bewegungs-prozesse mehr oder weniger kollektiv also unter gleichzeitiger Verschiebung mehrerer Teilchen Daruumlber hinaus gibt es keine nennenswerten freien Volumina so dass der mittlere Abstand der Teilchen nur unwesentlich verringert werden kann ein Umstand der sich in der bereits erwaumlhnten geringen Kompressibilitaumlt aumluszligert Ein Modell fuumlr eine allgemeine Fluumlssigkeit laumlsst sich im Rahmen einer Computersimulation einfuumlhren Man betrachtet dabei einen wuumlrfelfoumlrmigen Raum der einen Ausschnitt aus dem Fluumlssigkeitsvolumen darstellen soll und eine endliche Anzahl n von Fluumlssigkeitsteilchen (zB n = 1000) enthaumllt Um die Zahl der Teilchen konstant zu halten und dabei trotzdem deren Beweglichkeit zu wahren wird eine Kontinuitaumltsbedingung eingefuumlhrt Jedes Teilchen das im Rahmen der Bewegungsprozesse den Wuumlrfel an einer gegebenen Stelle verlaumlsst tritt automatisch an der genau gegenuumlberliegenden Position des Wuumlrfels wieder ein Auf diese Weise ist gewaumlhrleistet dass die Zahl der Teilchen im Wuumlrfel konstant bleibt (Abb 26)

Abb 26 Simulation von Bewegungs-vorgaumlngen in einem Fluumlssigkeitsvolumen unter Wahrung einer konstanten Partikel-anzahl Jedes Teilchen das im Rahmen der Bewegungsprozesse den Wuumlrfel an einer gegebenen Stelle verlaumlsst tritt automatisch an der genau gegenuumlberliegenden Position des Wuumlrfels wieder ein

An diesem System fuumlhrt man nun eine so genannte Monte-Carlo-Simulation durch Dabei setzt ein Zufallsgenerator eine geringfuumlgige Verschiebung eines beliebigen einzelnen Teil-chens in Gang Anschlieszligend wird unter Verwendung des bekannten Potentialverlaufs Epot(r) berechnet wie sich nach der Verschiebung die potentielle Energie des Systems veraumlndert hat Danach entscheidet das Simulationsprogramm zwischen zwei Moumlglichkeiten

- Hat sich die gesamte potentielle Energie des Systems durch die Verschiebung verringert oder blieb sie konstant so wird die Verschiebung akzeptiert und der naumlchste Schritt berechnet - Hat sich die gesamte potentielle Energie durch die Verschiebung um den positiven Wert E erhoumlht so wird die Verschiebung mit einer Wahrscheinlichkeit die von E abhaumlngt akzeptiert und ansonsten verworfen Danach wird der naumlchste Schritt berechnet

Auf diese Weise kann man fuumlr beliebige Fluumlssigkeiten sowohl die typischen Bewegungs-prozesse als auch die einflussbedingten Veraumlnderung von Zustandsgroumlszligen (zB P in Ab-

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37

haumlngigkeit von V) berechnen Allerdings sind die Rechnungen bei den fuumlr eine realistische Beschreibung eines Fluumlssigkeitsvolumens notwendigen groszligen Teilchenzahlen sehr aufwaumlndig und zeitintensiv

37 Beschreibung von Festkoumlrpern

Begibt man sich im P-V-Diagramm vom fluumlssigen Zustand ausgehend noch weiter nach links (zu kleineren Volumina houmlheren Drucken und niedrigeren Temperaturen) so erreicht man den festen Zustand Die Problematik der Zustandsgleichung V(TPn) von Festkoumlrpern aumlhnelt jener der Fluumlssigkeiten Auch hier sind die Kompressibilitaumlten und die thermischen Aus-dehnungskoeffizienten uumlblicherweise sehr viel geringer als bei Gasen Ebenso wie bei Fluumls-sigkeiten sind dabei die Unterschiede zwischen einzelnen Vertretern der Festkoumlrper recht groszlig so dass keine gemeinsame Zustandsgleichung wie bei Gasen formuliert werden kann Im Vergleich mit den Werten der Fluumlssigkeiten sind die Kompressibilitaumlten und die thermischen Ausdehnungskoeffizienten der Festkoumlrper durchschnittlich nochmals um etwa zwei Groumlszligen-ordnungen geringer

Abb 27 Torsionsexperiment zur Unterscheidung zwischen Fluumlssigkeiten und Festkoumlrpern (s Text)

Der wesentliche Unterschied zwischen Festkoumlrpern und Fluumlssigkeiten besteht allerdings in ihrem gegensaumltzlichen Verhalten bezuumlglich Verformung waumlhrend Fluumlssigkeiten einer gege-benen Verformung durch ihre Zaumlhigkeit (Viskositaumlt) Widerstand leisten reagiert ein Fest-koumlrper auf eine Verformung durch eine elastische Deformation Dieses Verhalten wird in einem Torsionsrheometer deutlich wobei eine feste oder fluumlssige Probe periodisch mit einer torsionsartigen Verformung beaufschlagt wird (Abb 27) Waumlhrend der Drehmomentverlauf des Festkoumlrpers exakt gleichphasig zur periodischen Aus-lenkung erfolgt (elastische Verformung) ist der Drehmomentverlauf der Fluumlssigkeit dazu um ein Viertel einer Wellenlaumlnge phasenverschoben (viskose Reaktion) Bei Fluumlssigkeiten ist der Widerstand dann maximal wenn die Deformationsgeschwindigkeit maximal ist (blaue Linie

t

Dre

hmom

entv

erla

uf

tAusl

enku

ng

Festkoumlrper

t

Dre

hmom

entv

erla

uf

Fluumlssigkeiten

Pruumlfkoumlrper

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38

in Abb 26) Bei Festkoumlrpern ist die Kraft dann maximal wenn der Deformationszustandmaximal ist (rote Linie in Abb 27) Viele Festkoumlrper stellen Uumlbergaumlnge zwischen diesen beiden Extremfaumlllen dar und werden dann als viskoelastisch bezeichnet Aus der Betrachtung von Messergebnissen an einer Viel-zahl von Materialien geht hervor dass eine eindeutige Abgrenzung zwischen dem fluumlssigen und dem festen Zustand selten moumlglich ist Entsprechend gibt es auch unterschiedliche Strukturmodelle die teilweise das elastische Verhalten teilweise das plastische Verhalten von Festkoumlrpern erklaumlren Dem elastischen Festkoumlrper mit nahezu verschwindender Phasen-verschiebung wird am ehesten das Modell eines idealen Kristalls gerecht Man geht dabei davon aus dass jedes Atom bzw Molekuumll aus dem der Festkoumlrper zusammengesetzt ist sich an einem geometrisch festgelegten Gitterpunkt befindet von dem es sich nicht entfernen kann Als Bewegungsprozess ist dabei lediglich eine Schwingung mit begrenzter Amplitude moumlglich Die denkbaren Geometrien der Gitterstrukturen reichen von primitiv-kubischen Gittern (zB Natriumchlorid) uumlber kubisch-dichteste (zB Silber Kupfer) und hexagonal-dichteste Kugelpackungen (zB Magnesium Zink) bis zur kubisch-raumzentrierten Struktur (zB Eisen Molybdaumln) Haumlufig findet man leichte Abweichungen von der idealen Gitter-struktur die durch lokale Stoumlrungen hervorgerufen werden Akzeptiert man gewisse Anteile an viskosem Verhalten (dh eine leichte Phasenverschiebung) so begibt man sich in den Grenzbereich zwischen Festkoumlrpern und Fluumlssigkeiten In einem Material wie Glas ist die regelmaumlszligige Anordnung eines Gitters nicht gegeben die Atome sind unregelmaumlszligig positioniert und koumlnnen unter Belastung auch flieszligen Solche nicht-kristallinen Festkoumlrper bezeichnet man als amorph Typische Vertreter amorpher Feststoffe sind Fenster-glas viele transparente Kunststoffe (zB Plexiglas Polyester in Getraumlnkeflaschen) Wachs und Aumlhnliches Amorphe Festkoumlrper besitzen keinen Schmelzpunkt sondern erweichen bei steigender Temperatur allmaumlhlich Amorphe Festkoumlrper koumlnnen nachtraumlglich kristallisieren wobei sich haumlufig das aumluszligere Erscheinungsbild und die physikalischen Eigenschaften drastisch aumlndern (zB Plastikfolie unter Zug)

38 Das Phasendiagramm

Die drei wichtigsten Phasenzustaumlnde zu denen sich eine makroskopische Gesamtheit von Atomen oder Molekuumllen zusammenfinden koumlnnen sind also Gase Fluumlssigkeiten und Festkoumlrper Die Frage ist nun unter welchen Bedingungen sich ein System fuumlr den ersten den zweiten oder den dritten Zustand entscheidet Erfahrungsgemaumlszlig haumlngt der gegebene Phasenzustand von den in Kapitel 31 eingefuumlhrten Zustandsparametern n V P und T ab Legt man die Stoffmenge n auf einen Wert fest (zB auf ein Mol Teilchen) und beruumlcksichtigt man dass nach den gegebenen Zustandsgleichungen die Groumlszligen n V P und T miteinander verknuumlpft sind so genuumlgen zwei Parameter um den jeweils guumlnstigsten Phasenzustand eindeutig festzulegen Ein Diagramm bei dem einer der Parameter V P und T gegen einen anderen aufgetragen wird eignet sich also prinzipiell um bei einer gegebenen Teilchenart den unter diesen Bedingungen jeweils angestrebten Phasenzustand zu markieren So kann man gemaumlszlig den Abbildungen 23 bis 25 in einem Diagramm bei dem P gegen V aufgetragen wird schon den jeweils gegebenen Phasenzustand eintragen und ablesen In der Praxis eignen sich solche PV-Diagramme allerdings wenig um Phasenzustaumlnde zu markieren der gasfoumlrmige Zustand nimmt einen sehr breiten Raum ein waumlhrend der fluumlssige und der feste Zustand in dem sehr engen Bereich links neben dem Zweiphasengebiet bdquoeingequetschtldquo waumlre Vor allem in diesem Umfeld waumlre das Diagramm schwer ablesbar

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39

Wesentlich guumlnstiger ist dagegen die Auftragung vom Druck P gegen die Temperatur T In diesem PT-Diagramm das auch als Phasendiagramm bezeichnet wird lassen sich alle Phasenzustaumlnde uumlbersichtlich zuordnen Dabei bezeichnen Flaumlchenanteile im PT-Diagramm die unter den gegebenen Druck- und Temperaturbedingungen angestrebte Phase (zB fest fluumlssig gasfoumlrmig) waumlhrend Linien die dazwischen vorliegenden Gleichgewichte markieren und Phasengrenzlinien genannt werden (Abb 28)

T

Pfe

st

fluumlss

ig

gasfouml

rmig

kritischerPunkt

Tripel-punkt

Phasengrenzlinie

Abb 28 Phasendiagramm mit Auftragung des Drucks (P) gegen die Temperatur (T)

Auszligerdem enthaumllt ein Phasendiagramm gewoumlhnlich mindestens zwei besonders ausgezeich-nete Punkte den Tripelpunkt an dem die drei im Allgemeinen wichtigsten Phasenzustaumlnde fest fluumlssig und gasfoumlrmig miteinander im Gleichgewicht stehen und den bereits aus dem PV-Diagramm bekannten kritischen Punkt der das Ende eines definierten Uumlbergangs zwischen fluumlssiger und gasfoumlrmiger Phase markiert Beispiele fuumlr Phasendiagramme Kohlen-dioxid und Wasser sind in Abbildung 29 und 30 wiedergegeben

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40

T

P

fest

fluumlss

iggasfoumlrmig

kritischerPunkt

Tripel-punkt

2168 K

511 bar

CO2

3042 K

728 bar

Abb 29 Phasendiagramm fuumlr Kohlendioxid

T

P

fluumlss

ig

gasfoumlrmig

kritischerPunkt

H2O

Eis 1

Eis 1

Eis 2 Eis 3

Eis 5

Eis 6

Tripelpunkt6473 K

218 bar

6 mbar 27316 K

Abb 30 Phasendiagramm fuumlr Wasser Der Bereich oberhalb von 200 bar ist aus Gruumlnden der

Uumlbersichtlichkeit entlang der P-Achse komprimiert dargestellt

Eine wichtige Besonderheit des Phasenverhaltens von Wasser ist die Tatsache dass die Phasengrenzlinie zwischen fluumlssigem Wasser und Eis 1 eine negative Steigung aufweist Dies hat zur Folge dass gewoumlhnliches Eis durch Erhoumlhung des Drucks zum Schmelzen gebracht werden kann Dieser Umstand ist eine der Ursachen dafuumlr dass eine Kufe auf Eis gleitet da der durch das Schmelzen entstehende Wasserfilm die Reibung vermindert (allerdings spielt hier auch die Reibungswaumlrme eine Rolle) Der Grund fuumlr dieses Verhalten steht in direkter Verbindung mit der strukturbedingten Volumenabnahme beim Schmelzen von Eis (s Videos unter httpwwwyoutubecomwatchv=6s0b_keOiOU und httpswwwyoutubecomwatchv=CDTZoFGmZoc )

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41

Waumlhlt man in einem Phasendiagramm eine Kombination von Druck und Temperatur so kann man direkt denjenigen Phasenzustand ablesen den die gegebene Teilchenart unter diesen Bedingungen anstrebt Das heiszligt jedoch nicht dass dieser Zustand dann auch in jedem Fall und zu jeder Zeit vorliegt Haumlufig beobachtet man eine so genannte kinetische Hemmung einer Phasenumwandlung So gibt es unterkuumlhlte Fluumlssigkeiten (zB Regentropfen bei -3degC) genauso wie unterkuumlhlte Dampfphasen (zB uumlbersaumlttigten Wasserdampf in Gewitterwolken) oder uumlberhitzte Fluumlssigkeiten (zB uumlberhitztes Wasser bei einem Siedeverzug) Kristalli-sationskeime wie Staubkoumlrner koumlnnen Phasenumwandlungen beschleunigen (zB durch Staub verursachter bdquoIndustrieschneeldquo) Bisher wurden lediglich Phasendiagramme von reinen Stoffen betrachtet die nur aus einer einzelnen Sorte Atomen oder Molekuumllen bestehen Mischt man einem gegebenen Stoff eine weitere Komponente hinzu so aumlndert sich das Phasendiagramm erheblich Als Beispiel betrachten wir ein System in dessen fluumlssiger Phase ein Fremdstoff A geloumlst wird der weder im Festkoumlrper noch im der Gasphase loumlslich ist (zB Kochsalz in Wasser) In diesem Fall dehnt sich der fluumlssige Bereich des Phasendiagramms mit steigender Konzentration von A in alle Richtungen aus so dass gleichzeitig der Schmelzpunkt erniedrigt der Siedepunkt erhoumlht und der Dampfdruck verringert wird (Abb 31) In erster Naumlherung sind alle genannten Aumlnderungen proportional zu cA

T

P

fest

fluumlss

ig

gasfouml

rmig

Abb 31 Phasendiagramm fuumlr ein System in dessen fluumlssiger Phase ein Fremdstoff mit steigender

Konzentration cA geloumlst wird Der Bereich der fluumlssigen Phase dehnt sich daraufhin in alle

Richtungen aus

Bei weiter steigender Konzentration von A kann ein Punkt erreicht werden an dem die Mischung in zwei getrennte Bereiche zerfaumlllt die ebenfalls als Phasen bezeichnet werden (zB Olivenoumll und Wasser) Eine dieser Phasen besitzt dann einen hohen Loumlsemittelanteil bei geringer Konzentration von A die andere besteht aus einem hohen Anteil an A mit einem geringen Gehalt an Loumlsemittel Dieser Vorgang der Phasenseparation binaumlrer (aus zwei Komponenten bestehender) Systeme wird durch eine andere Art von Phasendiagramm beschrieben dem so genannten Mischphasendiagramm (Abb 32) Hierbei wird die Tempe-

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ratur dem relativen Anteil einer Komponente gegenuumlbergestellt der Druck wird als konstant angenommen

Abb 32 Allgemeine Darstellung eines Mischphasendiagramms

Grundsaumltzlich gibt die linke Flanke der Phasentrennlinie (links des kritischen Punkts) die Zusammensetzung der bdquoA-armenldquo Phase an waumlhrend die rechte Flanke (rechts des kritischen Punkts) die Zusammensetzung der A-reichen Phase beschreibt Die Mengen der dabei gebildeten Phasen koumlnnen nach dem so genannten Hebelgesetz berechnet werden Demnach gilt zwischen dem Anteil n1 der A-armen Phase 1 dem Anteil n2 der A-reichen Phase 2 und den Laumlngen der Pfeile s1 und s2 in der vorhergehenden Abbildung folgender Zusammenhang

n1 s1 = n2 s2

Fuumlr das gezeigte Beispiel wuumlrde das bedeuten dass der Anteil der Phase 1 etwa doppelt so groszlig waumlre wie der Anteil der Phase 2 In der Naumlhe der beiden Raumlnder des Diagramms also fuumlr xA 0 (sehr wenig A im Loumlsemittel) oder xA 1 (sehr wenig Loumlsemittel in A) liegen in den meisten Faumlllen einphasige homogene Mischungen vor Das besagt dass auch bei niedrigen Temperaturen ein wenig von dem Stoff A im Loumlsemittel bzw ein wenig Loumlsemittel im Stoff A loumlslich ist Der im Diagramm eingezeichnete kritische Punkt bedeutet dass oberhalb der dazugehoumlrigen kritischen Temperatur keine Entmischung mehr erfolgt dh hier sind die beiden Komponenten vollstaumlndig und in jedem Verhaumlltnis miteinander mischbar Neben solchen oberen kritischen Punkten gibt es auch untere kritische Punkte Im zweiten Fall gilt dass die beiden Komponenten unterhalb einer bestimmten Temperatur in jedem Verhaumlltnis miteinander mischbar sind Im Allgemeinen koumlnnen die drei verschiedenen Faumllle auftreten die in Abbildung 33 dargestellt sind

0 Molenbruch xA der Komponente A 1

Tem

pera

tur

obere kritischeTemperatur

Einphasen-gebiet

Zweiphasen-gebiet

Beispiel xA = 04

T1

Zum gezeigten Beispiel

Eine Mischung mit dem Molenbruch xA = 04 wird von T2 nach T1 abgekuumlhltDabei zerfaumlllt die Mischung bei Tklsquo in zwei Phasen derenZusammensetzung bei T1auf der x-Achse an den Punkten 1 und 2 ablesbar ist

T2

Tklsquo

1 2

kritischer Punkt

s1 s2

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0 xA 1

Tem

pera

tur

System mit oberem kritischen Punkt

kritischer Punkt

0 xA 1Te

mpe

ratu

r

System mit unterem kritischen Punkt

kritischer Punkt

0 xA 1

Tem

pera

tur

System mit oberem und unterem

kritischen Punkt

kritischer Punkt

kritische Punkte

Abb 33 Moumlgliche Varianten von kritischen Punkten bei Systemen aus zwei Komponenten

Obere kritische Punkte findet man dann wenn sich die molekulare thermische Bewegung gegen die Tendenz der Molekuumlle sich mit gleichartigen Molekuumllen zusammenzulagern durchsetzt Dieses Phaumlnomen ist sehr verbreitet so dass ein oberer kritischer Punkt bei sehr vielen Mischphasen beobachtet wird Untere kritische Punkte sind sehr viel seltener Sie treten beispielsweise dann auf wenn die beiden Komponenten miteinander bei tiefen Temperaturen einen Komplex bilden der bei houmlheren Temperaturen wieder zerfaumlllt und dann zu einer Phasenseparation fuumlhrt Ein Beispiel dafuumlr ist die Mischung aus Wasser und Triethylamin

Fuumlr Mischphasen aus drei Komponenten so genannte ternaumlre Mischungen sind die bisher gezeigten Darstellungen ungeeignet Hierfuumlr haben sich Dreiecksdiagramme (Gibbssches Phasendreieck) durchgesetzt die das Phasenverhalten unter Variation der Mengenbeitraumlge aller drei Komponenten aufzeigen (Abb 34) Das Diagramm ist so geartet dass die Summe aller drei Mengenanteile xA xB und xC in jedem Fall den Wert 1 ergibt Damit besitzt die Zusammensetzung des ternaumlren Gemisches zwei Freiheitsgrade Jede Linie die durch eine Ecke des Diagramms fuumlhrt verbindet diejenigen Punkte bei denen das Verhaumlltnis zweier Komponenten gleich ist Jede Linie die parallel zu einer der drei Seiten verlaumluft entspricht Gemischen bei denen der relative Anteil einer Komponente gleich bleibt

00 02 04 06 08 10Komponente A

00

02

04

06

08

10

Kom

pone

nte

B

0002

04

06

08

10

Komponente C

C

A

B

00 02 04 06 08 10Komponente A

00

02

04

06

08

10

Kom

pone

nte

B

00

02

04

06

08

10

Komponente C

x1

x2x

Abb 34 Prinzip eines ternaumlren Phasendiagramms nach Gibbs (Dreiecksdiagramm)

In solche ternaumlren Mischphasendiagramme lassen sich nun entsprechend den binaumlren Mischphasendiagrammen die Ein- und Zweiphasengebiete einzeichnen Das Diagramm in

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Abb 34 rechts gilt zB fuumlr eine ternaumlre Mischung aus A B und C bei der die Komponenten A und B sowie B und C jeweils paarweise in jedem Verhaumlltnis miteinander mischbar sind Die Komponenten A und C sollen dagegen nur begrenzt mischbar sein Als Konsequenz daraus ergibt sich ein Dreiecksdiagramm das an der unteren Achse die dem Anteil 0 der Komponente B entspricht ein Zweiphasengebiet aufweist

Die Hilfslinien im Zweiphasengebiet markieren die Zusammensetzung der entstehenden Einzelphasen So wuumlrde beispielsweise eine Mischung deren Zusammensetzung im Diagramm durch den Punkt x markiert ist in die beiden Phasen x1 und x2 zerfallen Die Mengenanteile der beiden Phasen koumlnnten dabei wieder uumlber das Hebelgesetz berechnet werden Um zusaumltzlich den Einfluss der Temperatur wiederzugeben muss eine weitere Koordinate eingefuumlhrt werden Man erhaumllt dabei ein dreidimensionales Dreiecksdiagramm das haumlufig unter Verwendung von Houmlhenlinien nach der Art einer topographischen Landkarte dargestellt wird Jede Houmlhenlinie des Zweiphasengebiets umschreibt dann seine Ausdehnung bei einer gegebenen Temperatur

Fragt man bei einem System mit bestehenden Randbedingungen nach der Zahl der frei variierbaren Zustandsgroumlszligen also nach der Zahl der Freiheitsgrade so haumlngt die Antwort zunaumlchst davon ab in welchem Phasenzustand sich das System befindet So kann man beispielsweise in der Gasphase (bei festgelegter Stoffmenge) Temperatur und Druck frei waumlhlen wodurch dann automatisch das Volumen festgelegt wird Gleiches gilt fuumlr die feste und die fluumlssige Phase Das System hat innerhalb eines Phasenzustands also zwei Freiheits-grade Setzt man allerdings voraus dass sich das System in einem Gleichgewicht zwischen zwei Phasen befindet (zB auf der Verdampfungslinie) so besitzt es nur einen Freiheitsgrad Am Tripelpunkt schlieszliglich bei einem Gleichgewicht zwischen drei Phasen sind keine Freiheitsgrade mehr vorhanden Zwischen der Zahl der Phasen P und der Zahl der Freiheitsgrade F gibt es also folgende einfache Beziehung

F = 3 - P

Beruumlcksichtigt man weiter dass auch mehr als eine Komponente auftreten kann (Zahl der Komponenten C gt 1) so erhoumlht sich die Zahl der Freiheitsgrade um jede zusaumltzliche Komponente deren Konzentration ja frei waumlhlbar ist um den Wert eins Man erhaumllt damit

F = 3 - P + (C - 1) oder F = C - P + 2

Nach dieser allgemeinguumlltigen Formel der so genannten Gibbsrsquoschen Phasenregel laumlsst sich die Zahl der Freiheitsgrade in jedem beliebigen System bestimmen Sie erlaubt insbesondere bei sehr komplizierten Mischungen mit einer unbekannten Anzahl an Phasenzustaumlnden uumlber eine einfache Betrachtung Ruumlckschluumlsse auf deren Phasenverhalten

Page 30: Vorlesung PC I Einführung in die Physikalische Chemierelaxation.chemie.uni-duisburg-essen.de/lehre/Skript_PC_2016_2017.pdf · Schwingungen möglich, deren Geometrie (d.h. die Zahl

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festen Beziehung Tatsaumlchlich laumlsst sich die Temperatur auch uumlber eine Messung der Schall-geschwindigkeit ermitteln Nachdem das mittlere Geschwindigkeitsquadrat der Teilchen bekannt ist stellt sich die Frage nach der Geschwindigkeitsverteilung der Teilchen Die Bewegungsenergie der Teilchen ist wie alle anderen Energieformen (zB elektronische Energie Schwingungsenergie) gequantelt Das bedeutet dass sich die Teilchen auf (hier dicht gestaffelte) Energieniveaus verteilen muumlssen Sie tun das nach einem statistischen Grundprinzip das Boltzmann-Verteilung genannt wird Demnach ist die Besetzung pi eines Energieniveaus i (egal welcher Art die Energie Ei ist) stets proportional zum so genannten Boltzmannfaktor des Zustand i Es gilt

pi ~ exp[-Ei(kBT)]

Die darin enthaltene Boltzmannkonstante kB ist nichts anderes als die allgemeine Gas-konstante R (siehe unter 32) dividiert durch die Zahl NL der Teilchen in einem Mol Substanz (kB = RNL) Das bedeutet die Besetzung eines Zustands ist umso wahrscheinlicher je niedriger dessen Energie ist Steigende Temperatur T hingegen erhoumlht die Wahrscheinlichkeit energiereicher Zustaumlnde Diese Gesetzmaumlszligigkeit gilt fuumlr die Besetzung aller auf atomarer oder molekularer Ebene gegebener Zustaumlnde in einem makroskopischen System Angewandt auf die Bewegungsenergie von Gasteilchen in einer einzelnen Raumrichtung x bedeutet das dass Teilchen mit hoher Geschwindigkeit vx weniger wahrscheinlich sind als solche mit niedriger Geschwindigkeit vx Allerdings steigt die Wahrscheinlichkeit des Auftretens groszliger Werte fuumlr vx mit steigender Temperatur Teilt man den Bereich der auftretenden Geschwindigkeiten in Intervalle auf und zaumlhlt man die Teilchen die gemaumlszlig ihrer Geschwindigkeit zu den einzelnen Intervallen zugeordnet werden koumlnnen so ergibt sich fuumlr die Geschwindigkeitsverteilung in vx und v das Bild das in Abb 22 oben dargestellt ist Die Verteilungsfunktionen fuumlr die Geschwindigkeiten in y- und z-Richtung sind identisch

n(vx)

vx-Intervall

n(vx)

vx-Intervall

Temperatur-erhoumlhung

- 0 +- 0 +n(v)

v-Intervall

Temperatur-erhoumlhung

0 +

n(v)

v-Intervall0 +

Abb 22 Verteilungsfunktionen einer eindimensionalen Geschwindigkeitskomponente (oben) und der Gesamtgeschwindigkeit (unten)

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Betrachtet man die Verteilung n(v) der Gesamtgeschwindigkeit v im dreidimensionalen Raum so wird das Bild komplizierter Bezuumlglich der drei Raumrichtungen x y und z sind weiterhin die kleinen Geschwindigkeiten wahrscheinlicher als die groszligen Da nun aber fuumlr eine groszlige Gesamtgeschwindigkeit v mehr Kombinationsmoumlglichkeiten vx vy vz existieren als fuumlr kleine Gesamtgeschwindigkeiten so wird die Wahrscheinlichkeit fuumlr sehr geringe Gesamtgeschwindigkeiten entsprechend kleiner fuumlr groszlige Gesamtgeschwindigkeiten entsprechend groumlszliger Der daraus resultierende Gewichtungsfaktor fuumlr jedes v ist die relative Flaumlche der Kugelschale mit dem Radius v Insgesamt ergeben sich dann die in Abb 22 unten dargestellten Verteilungsfunktionen fuumlr niedrige und hohe Temperaturen Die Verteilungsfunktionen in vx und v lauten (ohne Herleitung)

f(vx) = [M(2RT)]12 exp [-Mvxsup2(2RT)]

f(v) = 4 [M(2RT)]32 vsup2 exp [-Mvsup2(2RT)] Der Mittelwert von vx (oder jeder anderen eindimensionalen Geschwindigkeitskomponente) ist grundsaumltzlich Null Dagegen besitzt der Mittelwert von v stets eine endliche von Null verschiedene Groumlszlige Bei einer Erhoumlhung der Temperatur werden alle Verteilungsfunktionen breiter der Mittelwert von v vergroumlszligert sich Die Temperatur eines Gases aumluszligert sich also nicht nur im mittleren Geschwindigkeitsquadrat sondern auch in der Form der Geschwindigkeitsverteilungsfunktion Bei der Mischung von Gasen unterschiedlicher Temperatur muss um die oben genannte Forderung zu erfuumlllen aus der einfachen Summe von zwei Verteilungsfunktionen eine neue der Mischtemperatur ent-sprechende Verteilungsfunktion entstehen Dies ist nur unter der Annahme moumlglich dass ein Austausch kinetischer Energie unter den Teilchen erfolgen kann Diese Tatsache bedingt die eingangs gestellte Forderung nach Teilchenstoumlszligen also Wechselwirkungen zwischen den Teilchen Damit muumlssen die Gasteilchen aber auch ein gewisses Volumen besitzen den Teil-chen ohne Eigenvolumen koumlnnen prinzipiell nicht zusammenstoszligen Darin besteht der we-sentliche Unterschied zwischen einem Gas nach dem kinetischen Gasmodell und dem idealen Gas Das ideale Gas koumlnnte man theoretisch auf ein beliebig kleines Volumen komprimieren bei einem kinetischen Gas ist dies aufgrund des Eigenvolumens nicht moumlglich Ansonsten erlaubt das kinetische Gasmodell die vollstaumlndige Interpretation der idealen Gasgleichung

34 Die korrigierte Gasgleichung nach van der Waals JD van der Waals

Mithilfe des kinetischen Gasmodells laumlsst sich die Zustandsgleichung fuumlr Gase weiter verfeinern Zunaumlchst soll beruumlcksichtigt werden dass die Teilchen ein eigenes Volumen besitzen In erster Naumlherung geschieht dies indem man ein vom Eigenvolumen der Gas-teilchen abgeleitetes minimales Volumen des Gases (das so genannte Covolumen) definiert Das Covolumen beschreibt dasjenige Volumen des Gases das bei staumlndigem mechanischem Kontakt zwischen jeweils zwei Teilchen eingenommen wird wenn man den Teilchenpaaren jeweils den sie umschreibenden kugelfoumlrmigen Raum zuordnet (wegen der geringen Wahr-scheinlichkeit von Dreierstoumlszligen kann die Bildung von Dreiergruppen ausgeschlossen werden) Das molare Covolumen b entspricht wenn man eine einfache geometrische Uumlberlegung an-setzt dem vierfachen Eigenvolumen eines Mols der Gasteilchen Um das tatsaumlchliche freie

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Volumen zu erhalten muss das n-fache Covolumen vom gegebenen Volumen abgezogen werden Damit wird aus der idealen Gasgleichung P V = n R T die erste korrigierte Version P (V - n b) = n R T Im zweiten Schritt soll nun uumlber das kinetische Gasmodell hinausgehend auch die anziehen-de Wechselwirkung zwischen den Teilchen beruumlcksichtigt werden Die Anziehung zwischen den Teilchen sorgt nach van der Waals fuumlr einen zusaumltzlichen nach auszligen nicht messbaren bdquoBinnendruckldquo Dieser Binnendruck ist proportional zum Quadrat der Teilchendichte (nV)sup2 Der zwischen den Teilchen tatsaumlchlich wirkende nach auszligen ebenfalls unmessbare Gesamt-druck ist dann gegeben als

Pgesamt (unmessbar) = P (messbar) + a (nV)sup2

mit einer fuumlr die anziehende Wechselwirkung charakteristischen Konstante a Die danach korrigierte Version der Gasgleichung die van-der-Waals-Gleichung fuumlr reale Gase lautet

[P + a (nV)sup2] (V - nb) = n R T

Die Konstanten b und a besitzen fuumlr jedes reale Gas charakteristische Werte die dessen Eigenvolumen (die Groumlszlige der Elektronenhuumllle) und die Staumlrke der intermolekularen Wechsel-wirkungen reflektieren Beispiele

Gas a b

Argon 01345 Pa m6Molsup2 32210-5 msup3Mol Kohlendioxid 03592 Pa m6Molsup2 426710-5 msup3Mol Helium 00034 Pa m6Molsup2 23710-5 msup3Mol Stickstoff 01390 Pa m6Molsup2 391310-5 msup3Mol Wasser 05573 Pa m6Molsup2 31010-5 msup3Mol

Der Parameter b spiegelt mit der Einheit msup3Mol weitgehend die Groumlszlige der einzelnen Teilchen (Atome oder Molekuumlle) wider So besitzt erwartungsgemaumlszlig Kohlendioxid oder Argon einen groumlszligeren Wert fuumlr b als beispielsweise Helium Allerdings sind die Unterschiede erstaunlich klein was auf die Tatsache zuruumlckzufuumlhren ist dass sich das Covolumen auf Teilchenpaare bezieht und ein Paar aus Kohlendioxidmolekuumllen gegenuumlber einem Paar aus Heliumatomen nur etwa das doppelte Volumen benoumltigt

Der Parameter a mit der Einheit Pascal mal Molvolumen zum Quadrat reflektiert die Staumlrke der Wechselwirkungen zwischen den Teilchen Diese Wechselwirkungen beruhen zum groszligen Teil auf den elektrischen Eigenschaften der Teilchen Diese wiederum sind mit der elektronischen Struktur der Atome beziehungsweise der chemischen Bindungen verknuumlpft Am wichtigsten ist dabei das in Kapitel 19 erwaumlhnte Dipolmoment Polare Bindungen koumlnnen zu Teilchen mit permanenten Dipolen fuumlhren (zB HF Wasser Ammoniak CO) Andere Molekuumlle oder Atome sind zwar unpolar koumlnnen aber spontan oder durch aumluszligere

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33

elektrische Felder polarisiert werden (zB He Ar molekularer Wasserstoff molekulares Chlor) Man spricht dann von polarisierbaren Teilchen mit einem spontanen Dipolmoment oder mit einem durch ein aumluszligeres Feld bewirkten induzierten Dipolmoment In all diesen Faumlllen sind anziehende Wechselwirkungen zwischen den Teilchen moumlglich die in dem Parameter a zusammengefasst werden Daruumlber hinaus koumlnnen sich auch voruumlbergehende chemische Bindungen ausbilden Das prominenteste Beispiel fuumlr diesen Fall ist die bekannte Wasserstoffbruumlckenbindung die bei polaren X-H-Bindungen auftreten kann Im Einzelnen werden demnach folgende Arten von Wechselwirkungen mit absteigender Intensitaumlt unter-schieden

a) Wasserstoffbruumlckenbindung X-H hellip Y Hierbei bildet sich voruumlbergehend eine chemische Bindung zwischen dem polar gebundenen Wasserstoff und einem elektronegativen und mit einem freien Elektronenpaar ausgestatteten Element Y

b) Wechselwirkungen zwischen permanenten Dipolen hier besitzen alle Teilchen ein permanentes Dipolmoment Zwischen den entgegengesetzt geladenen Enden der Teilchen bauen sich dann konstant anziehende elektrostatische Wechselwir-kungen auf

c) Wechselwirkungen zwischen permanenten und induzierten Dipolen die Teil-chen mit permanentem Dipolmoment induzieren ein voruumlbergehendes Dipol-moment bei den benachbarten (zunaumlchst unpolaren) Teilchen In der Folge ergibt sich eine anziehende elektrostatische Wechselwirkung

d) Wechselwirkungen zwischen induzierten Dipolen durch spontane Polarisierung eines Teilchens entsteht ein voruumlbergehendes Dipolmoment welches bei einem benachbarten Teilchen eine Polarisierung hervorruft In der Folge ergibt sich eine kurzfristige und sehr schwache elektrostatische Anziehung zwischen den Teilchen Man spricht dabei auch von der Dispersionswechselwirkung oder der Londonschen Wechselwirkung

Alle diese Effekte sind anziehender Natur und gehen damit in den Parameter a ein Fasst man die beiden Parameter a und b zusammen so entsteht mit der van-der-Waals-Gleichung eine recht zuverlaumlssige Zustandsgleichung fuumlr reale Systeme die sowohl die abstoszligenden als auch die anziehenden Wechselwirkungen beruumlcksichtigt

Ein guter Test fuumlr diese reale Zustandsgleichung ist die Berechnung eines Diagramms von P gegen V fuumlr verschiedene Temperaturen das so genannte P-V-Diagramm und die Gegen-uumlberstellung mit dem entsprechenden experimentellen P-V-Diagramm eines realen Gases Gemaumlszlig der van-der-Waalsrsquoschen Gleichung existieren abhaumlngig von der betrachteten Tempe-ratur drei Typen von Isothermen (Abb 23 links) solche die einer Hyperbel aumlhneln (1) eine einzelne Isotherme die einen Wendepunkt mit waagrechter Tangente besitzt (2) und solche die ein Minimum ein Maximum und einen Wendepunkt aufweisen (3) Das experimentell beobachtete Verhalten stimmt in den ersten beiden Faumlllen recht gut uumlberein weicht aber bei Isothermen des dritten Typs deutlich vom berechneten Verlauf ab (Abb 23 rechts)

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34

P

V

PV-Diagramm nachvan-der-Waals-Gleichung

1 2

3

P

V

3

experimentell bestimmtesPV-Diagramm f reales Gas

Abb 23 PV-Diagramme fuumlr reale Gase berechnet nach van der Waals (links) und experimentell bestimmt (rechts) Die drei typischen Formen der Isothermen (1 2 und 3) sind im Text beschrieben

Offensichtlich beschreibt die van-der-Waals-Gleichung das Verhalten eines realen Gases in der Umgebung des Wendepunkts weniger gut Experimentell stellt man allerdings fest dass in diesem Bereich tatsaumlchlich auch kein reines Gas sondern vielmehr eine Mischung aus einem Gas und einer kondensierten Fluumlssigkeit also ein Zweiphasenzustand vorliegt Dieser Zwei-phasenbereich beginnt am Wendepunkt der Isothermen des Typs 2 und schlieszligt alle Minima Maxima und Wendepunkte der Isothermen des Typs 3 ein (Abb 24 links)

P

V

Zweiphasen-gebiet

P

V

Zweiphasen-gebiet

Maxwell-Maxwell-KorrekturKorrektur

Zweiphasen-Gebiet

Zweiphasen-Gebiet

A1

A2

Abb 24 PV-Diagramme fuumlr reale Gase mit eingezeichnetem Zweiphasengebiet Der in diesem Bereich bei der Beschreibung nach van der Waals gegebene Fehler kann in guter Naumlherung durch die Maxwell-Korrektur kompensiert werden

Eine einfache Korrektur der van-der-Waals-Gleichung ermoumlglicht eine realistische Beschrei-bung des Zweiphasengebiets Eine horizontale Gerade wird so in der Naumlhe des Wendepunktes gelegt dass die oberhalb und unterhalb der Geraden im Zweiphasenbereich gebildeten Teilflaumlchen A1 und A2 die gleiche Groumlszlige besitzen (sog Maxwell-Korrektur s Abbildung 24 rechts) Dies sieht zwar nach einer etwas willkuumlrlichen Hilfskonstruktion aus trotzdem laumlsst sich damit das Verhalten eines realen Gases im Zweiphasengebiet sehr gut nachvollziehen und vorhersagen Eine besonders ausgewiesene Position im PV-Diagramm eines realen Gases ist der Scheitel-punkt des Zweiphasengebiets der durch den Wendepunkt der Isotherme des Typs 2 gebildet wird (Abb 25)

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P

V

Zweiphasen-gebiet Tc

Pc

Vc

kritischer Punkt

Jedes reale Gas besitzt einen sogenannten kritischenPunkt der durch die kritischen Zustandsgroumlszligen Tc Pc undVc beschrieben wird Die kritische Temperatur Tc istdiejenige Temperatur bei der sich ein Gas unter Druckgerade noch verfluumlssigen laumlszligt Oberhalb der kritischenTemperatur existiert kein fluumlssiger Zustand Derentsprechende Druck Pc wird als kritischer Druckbezeichnet

Die Isotherme die der kritischen Temperatur zugeordnetist besitzt als einzige einen Wendepunkt mit horizontalerTangente der gleichzeitig den kritischen Punkt markiert

Abb 25 PV-Diagramm fuumlr ein reales Gas mit kritischem Punkt

Dieser sogenannte kritische Punkt wird durch die kritische Temperatur Tc den kritischen Druck Pc und das kritische Molvolumen Vc festgelegt Zustaumlnde oberhalb des kritischen Punkts nennt man uumlberkritisch Uumlberkritisches Kohlendioxid besitzt in der Technik groszlige Bedeutung fuumlr das Loumlsen und Ausfaumlllen von pharmazeutischen Wirkstoffen (zB Aspirin fuumlr Brausetabletten) fuumlr die Extraktion (zB bei der Entkoffeinierung von Kaffee) oder zur chemischen Reinigung von Textilien

35 Andere Zustandsgleichungen fuumlr reale Gase

Neben der van-der-Waals-Gleichung existieren weitere Ansaumltze zur Beschreibung realer Gase die zwar eine genauere Anpassung an die gemessenen Werte ermoumlglichen aber auch kompli-zierter sind oder mehr Arbeit bei der Bestimmung der charakteristischen Parameter erfordern Im Folgenden seien als Beispiele die Berthelot-Gleichung und die Virialgleichung erwaumlhnt

a Berthelot-Gleichung (P + (Ansup2)(TVsup2) ) (V - nB) = n R T Berthelot fuumlhrte damit als Besonderheit einen temperaturabhaumlngigen Binnendruck ein Dies ist insoweit physikalisch gerechtfertigt als die vermehrte thermische Bewegung der Ausbildung von Wechselwirkungen zwischen den Molekuumllen entgegenwirken kann

b Virialgleichung P Vm = A + B P + C Psup2 + D Psup3 + Mit Vm = Vn Die Virialgleichung nutzt die Tatsache dass sich fast alle physikalischen Zusammenhaumlnge uumlber einen Potenzreihenansatz a + bx + cxsup2 + dxsup3 + hellip beliebig genau annaumlhern lassen Je nach Anzahl der anpassbaren Parameter ist zwar eine beliebig genaue Beschreibung des realen Gases moumlglich allerdings steigt auch der Aufwand fuumlr die Bestim-mung aller Koeffizienten

36 Beschreibung von Fluumlssigkeiten

Im PV-Diagramm der realen Gase schlieszligt sich links vom Zweiphasengebiet der Bereich der fluumlssigen Phase an Sie zeichnet sich dadurch aus dass mit sinkendem Volumen der Druck ex-trem steil ansteigt Das bedeutet dass bereits eine geringfuumlgige Volumenabnahme mit einem aumluszligerst groszligen Druckanstieg verbunden ist In der Praxis hat das zur Folge dass Fluumlssigkeiten im Gegensatz zu Gasen kaum komprimierbar sind ihre Kompressibilitaumlt geht gegen Null Auch ist die Ausdehnung der Fluumlssigkeiten bei steigender Temperatur und bei konstantem

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Druck (der thermische Ausdehnungskoeffizient) sehr viel kleiner als bei Gasen Eine einfache allgemeine Zustandsgleichung fuumlr die fluumlssige Phase in Analogie zur idealen oder zur van-der-Waals-Gleichung existiert nicht Stattdessen findet man bei der experimentellen Bestimmung des Zusammenhangs zwischen P V und T fuumlr jede Fluumlssigkeit ein sehr charakteristisches Verhalten Vergleicht man die Messergebnisse verschiedener Fluumlssigkeiten untereinander so sind kaum Aumlhnlichkeiten auszumachen Daruumlber hinaus sind bestimmte Messungen (zB die Messung der Abhaumlngigkeit des Drucks vom Volumen bei konstanter Teilchenzahl und Temperatur) technisch sehr schwer zu realisieren Das Fehlen einer einheitlichen Zustandsgleichung V(TPn) fuumlr Fluumlssigkeiten liegt auch in deren komplexer Struktur begruumlndet Betrachtet man ein einzelnes Teilchen in der Fluumlssigkeit so liegt es bezuumlglich der Abstaumlnde zu seinen naumlchsten Nachbarn stets in der Naumlhe des Mini-mums einer Potentialkurve Epot(r) die einen sehr steilen Verlauf besitzt Die Abstaumlnde zu den benachbarten Teilchen sind damit nahezu fixiert folglich ist eine unabhaumlngige Translations-bewegung einzelner Teilchen praktisch unmoumlglich Stattdessen verlaufen alle Bewegungs-prozesse mehr oder weniger kollektiv also unter gleichzeitiger Verschiebung mehrerer Teilchen Daruumlber hinaus gibt es keine nennenswerten freien Volumina so dass der mittlere Abstand der Teilchen nur unwesentlich verringert werden kann ein Umstand der sich in der bereits erwaumlhnten geringen Kompressibilitaumlt aumluszligert Ein Modell fuumlr eine allgemeine Fluumlssigkeit laumlsst sich im Rahmen einer Computersimulation einfuumlhren Man betrachtet dabei einen wuumlrfelfoumlrmigen Raum der einen Ausschnitt aus dem Fluumlssigkeitsvolumen darstellen soll und eine endliche Anzahl n von Fluumlssigkeitsteilchen (zB n = 1000) enthaumllt Um die Zahl der Teilchen konstant zu halten und dabei trotzdem deren Beweglichkeit zu wahren wird eine Kontinuitaumltsbedingung eingefuumlhrt Jedes Teilchen das im Rahmen der Bewegungsprozesse den Wuumlrfel an einer gegebenen Stelle verlaumlsst tritt automatisch an der genau gegenuumlberliegenden Position des Wuumlrfels wieder ein Auf diese Weise ist gewaumlhrleistet dass die Zahl der Teilchen im Wuumlrfel konstant bleibt (Abb 26)

Abb 26 Simulation von Bewegungs-vorgaumlngen in einem Fluumlssigkeitsvolumen unter Wahrung einer konstanten Partikel-anzahl Jedes Teilchen das im Rahmen der Bewegungsprozesse den Wuumlrfel an einer gegebenen Stelle verlaumlsst tritt automatisch an der genau gegenuumlberliegenden Position des Wuumlrfels wieder ein

An diesem System fuumlhrt man nun eine so genannte Monte-Carlo-Simulation durch Dabei setzt ein Zufallsgenerator eine geringfuumlgige Verschiebung eines beliebigen einzelnen Teil-chens in Gang Anschlieszligend wird unter Verwendung des bekannten Potentialverlaufs Epot(r) berechnet wie sich nach der Verschiebung die potentielle Energie des Systems veraumlndert hat Danach entscheidet das Simulationsprogramm zwischen zwei Moumlglichkeiten

- Hat sich die gesamte potentielle Energie des Systems durch die Verschiebung verringert oder blieb sie konstant so wird die Verschiebung akzeptiert und der naumlchste Schritt berechnet - Hat sich die gesamte potentielle Energie durch die Verschiebung um den positiven Wert E erhoumlht so wird die Verschiebung mit einer Wahrscheinlichkeit die von E abhaumlngt akzeptiert und ansonsten verworfen Danach wird der naumlchste Schritt berechnet

Auf diese Weise kann man fuumlr beliebige Fluumlssigkeiten sowohl die typischen Bewegungs-prozesse als auch die einflussbedingten Veraumlnderung von Zustandsgroumlszligen (zB P in Ab-

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haumlngigkeit von V) berechnen Allerdings sind die Rechnungen bei den fuumlr eine realistische Beschreibung eines Fluumlssigkeitsvolumens notwendigen groszligen Teilchenzahlen sehr aufwaumlndig und zeitintensiv

37 Beschreibung von Festkoumlrpern

Begibt man sich im P-V-Diagramm vom fluumlssigen Zustand ausgehend noch weiter nach links (zu kleineren Volumina houmlheren Drucken und niedrigeren Temperaturen) so erreicht man den festen Zustand Die Problematik der Zustandsgleichung V(TPn) von Festkoumlrpern aumlhnelt jener der Fluumlssigkeiten Auch hier sind die Kompressibilitaumlten und die thermischen Aus-dehnungskoeffizienten uumlblicherweise sehr viel geringer als bei Gasen Ebenso wie bei Fluumls-sigkeiten sind dabei die Unterschiede zwischen einzelnen Vertretern der Festkoumlrper recht groszlig so dass keine gemeinsame Zustandsgleichung wie bei Gasen formuliert werden kann Im Vergleich mit den Werten der Fluumlssigkeiten sind die Kompressibilitaumlten und die thermischen Ausdehnungskoeffizienten der Festkoumlrper durchschnittlich nochmals um etwa zwei Groumlszligen-ordnungen geringer

Abb 27 Torsionsexperiment zur Unterscheidung zwischen Fluumlssigkeiten und Festkoumlrpern (s Text)

Der wesentliche Unterschied zwischen Festkoumlrpern und Fluumlssigkeiten besteht allerdings in ihrem gegensaumltzlichen Verhalten bezuumlglich Verformung waumlhrend Fluumlssigkeiten einer gege-benen Verformung durch ihre Zaumlhigkeit (Viskositaumlt) Widerstand leisten reagiert ein Fest-koumlrper auf eine Verformung durch eine elastische Deformation Dieses Verhalten wird in einem Torsionsrheometer deutlich wobei eine feste oder fluumlssige Probe periodisch mit einer torsionsartigen Verformung beaufschlagt wird (Abb 27) Waumlhrend der Drehmomentverlauf des Festkoumlrpers exakt gleichphasig zur periodischen Aus-lenkung erfolgt (elastische Verformung) ist der Drehmomentverlauf der Fluumlssigkeit dazu um ein Viertel einer Wellenlaumlnge phasenverschoben (viskose Reaktion) Bei Fluumlssigkeiten ist der Widerstand dann maximal wenn die Deformationsgeschwindigkeit maximal ist (blaue Linie

t

Dre

hmom

entv

erla

uf

tAusl

enku

ng

Festkoumlrper

t

Dre

hmom

entv

erla

uf

Fluumlssigkeiten

Pruumlfkoumlrper

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in Abb 26) Bei Festkoumlrpern ist die Kraft dann maximal wenn der Deformationszustandmaximal ist (rote Linie in Abb 27) Viele Festkoumlrper stellen Uumlbergaumlnge zwischen diesen beiden Extremfaumlllen dar und werden dann als viskoelastisch bezeichnet Aus der Betrachtung von Messergebnissen an einer Viel-zahl von Materialien geht hervor dass eine eindeutige Abgrenzung zwischen dem fluumlssigen und dem festen Zustand selten moumlglich ist Entsprechend gibt es auch unterschiedliche Strukturmodelle die teilweise das elastische Verhalten teilweise das plastische Verhalten von Festkoumlrpern erklaumlren Dem elastischen Festkoumlrper mit nahezu verschwindender Phasen-verschiebung wird am ehesten das Modell eines idealen Kristalls gerecht Man geht dabei davon aus dass jedes Atom bzw Molekuumll aus dem der Festkoumlrper zusammengesetzt ist sich an einem geometrisch festgelegten Gitterpunkt befindet von dem es sich nicht entfernen kann Als Bewegungsprozess ist dabei lediglich eine Schwingung mit begrenzter Amplitude moumlglich Die denkbaren Geometrien der Gitterstrukturen reichen von primitiv-kubischen Gittern (zB Natriumchlorid) uumlber kubisch-dichteste (zB Silber Kupfer) und hexagonal-dichteste Kugelpackungen (zB Magnesium Zink) bis zur kubisch-raumzentrierten Struktur (zB Eisen Molybdaumln) Haumlufig findet man leichte Abweichungen von der idealen Gitter-struktur die durch lokale Stoumlrungen hervorgerufen werden Akzeptiert man gewisse Anteile an viskosem Verhalten (dh eine leichte Phasenverschiebung) so begibt man sich in den Grenzbereich zwischen Festkoumlrpern und Fluumlssigkeiten In einem Material wie Glas ist die regelmaumlszligige Anordnung eines Gitters nicht gegeben die Atome sind unregelmaumlszligig positioniert und koumlnnen unter Belastung auch flieszligen Solche nicht-kristallinen Festkoumlrper bezeichnet man als amorph Typische Vertreter amorpher Feststoffe sind Fenster-glas viele transparente Kunststoffe (zB Plexiglas Polyester in Getraumlnkeflaschen) Wachs und Aumlhnliches Amorphe Festkoumlrper besitzen keinen Schmelzpunkt sondern erweichen bei steigender Temperatur allmaumlhlich Amorphe Festkoumlrper koumlnnen nachtraumlglich kristallisieren wobei sich haumlufig das aumluszligere Erscheinungsbild und die physikalischen Eigenschaften drastisch aumlndern (zB Plastikfolie unter Zug)

38 Das Phasendiagramm

Die drei wichtigsten Phasenzustaumlnde zu denen sich eine makroskopische Gesamtheit von Atomen oder Molekuumllen zusammenfinden koumlnnen sind also Gase Fluumlssigkeiten und Festkoumlrper Die Frage ist nun unter welchen Bedingungen sich ein System fuumlr den ersten den zweiten oder den dritten Zustand entscheidet Erfahrungsgemaumlszlig haumlngt der gegebene Phasenzustand von den in Kapitel 31 eingefuumlhrten Zustandsparametern n V P und T ab Legt man die Stoffmenge n auf einen Wert fest (zB auf ein Mol Teilchen) und beruumlcksichtigt man dass nach den gegebenen Zustandsgleichungen die Groumlszligen n V P und T miteinander verknuumlpft sind so genuumlgen zwei Parameter um den jeweils guumlnstigsten Phasenzustand eindeutig festzulegen Ein Diagramm bei dem einer der Parameter V P und T gegen einen anderen aufgetragen wird eignet sich also prinzipiell um bei einer gegebenen Teilchenart den unter diesen Bedingungen jeweils angestrebten Phasenzustand zu markieren So kann man gemaumlszlig den Abbildungen 23 bis 25 in einem Diagramm bei dem P gegen V aufgetragen wird schon den jeweils gegebenen Phasenzustand eintragen und ablesen In der Praxis eignen sich solche PV-Diagramme allerdings wenig um Phasenzustaumlnde zu markieren der gasfoumlrmige Zustand nimmt einen sehr breiten Raum ein waumlhrend der fluumlssige und der feste Zustand in dem sehr engen Bereich links neben dem Zweiphasengebiet bdquoeingequetschtldquo waumlre Vor allem in diesem Umfeld waumlre das Diagramm schwer ablesbar

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Wesentlich guumlnstiger ist dagegen die Auftragung vom Druck P gegen die Temperatur T In diesem PT-Diagramm das auch als Phasendiagramm bezeichnet wird lassen sich alle Phasenzustaumlnde uumlbersichtlich zuordnen Dabei bezeichnen Flaumlchenanteile im PT-Diagramm die unter den gegebenen Druck- und Temperaturbedingungen angestrebte Phase (zB fest fluumlssig gasfoumlrmig) waumlhrend Linien die dazwischen vorliegenden Gleichgewichte markieren und Phasengrenzlinien genannt werden (Abb 28)

T

Pfe

st

fluumlss

ig

gasfouml

rmig

kritischerPunkt

Tripel-punkt

Phasengrenzlinie

Abb 28 Phasendiagramm mit Auftragung des Drucks (P) gegen die Temperatur (T)

Auszligerdem enthaumllt ein Phasendiagramm gewoumlhnlich mindestens zwei besonders ausgezeich-nete Punkte den Tripelpunkt an dem die drei im Allgemeinen wichtigsten Phasenzustaumlnde fest fluumlssig und gasfoumlrmig miteinander im Gleichgewicht stehen und den bereits aus dem PV-Diagramm bekannten kritischen Punkt der das Ende eines definierten Uumlbergangs zwischen fluumlssiger und gasfoumlrmiger Phase markiert Beispiele fuumlr Phasendiagramme Kohlen-dioxid und Wasser sind in Abbildung 29 und 30 wiedergegeben

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T

P

fest

fluumlss

iggasfoumlrmig

kritischerPunkt

Tripel-punkt

2168 K

511 bar

CO2

3042 K

728 bar

Abb 29 Phasendiagramm fuumlr Kohlendioxid

T

P

fluumlss

ig

gasfoumlrmig

kritischerPunkt

H2O

Eis 1

Eis 1

Eis 2 Eis 3

Eis 5

Eis 6

Tripelpunkt6473 K

218 bar

6 mbar 27316 K

Abb 30 Phasendiagramm fuumlr Wasser Der Bereich oberhalb von 200 bar ist aus Gruumlnden der

Uumlbersichtlichkeit entlang der P-Achse komprimiert dargestellt

Eine wichtige Besonderheit des Phasenverhaltens von Wasser ist die Tatsache dass die Phasengrenzlinie zwischen fluumlssigem Wasser und Eis 1 eine negative Steigung aufweist Dies hat zur Folge dass gewoumlhnliches Eis durch Erhoumlhung des Drucks zum Schmelzen gebracht werden kann Dieser Umstand ist eine der Ursachen dafuumlr dass eine Kufe auf Eis gleitet da der durch das Schmelzen entstehende Wasserfilm die Reibung vermindert (allerdings spielt hier auch die Reibungswaumlrme eine Rolle) Der Grund fuumlr dieses Verhalten steht in direkter Verbindung mit der strukturbedingten Volumenabnahme beim Schmelzen von Eis (s Videos unter httpwwwyoutubecomwatchv=6s0b_keOiOU und httpswwwyoutubecomwatchv=CDTZoFGmZoc )

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Waumlhlt man in einem Phasendiagramm eine Kombination von Druck und Temperatur so kann man direkt denjenigen Phasenzustand ablesen den die gegebene Teilchenart unter diesen Bedingungen anstrebt Das heiszligt jedoch nicht dass dieser Zustand dann auch in jedem Fall und zu jeder Zeit vorliegt Haumlufig beobachtet man eine so genannte kinetische Hemmung einer Phasenumwandlung So gibt es unterkuumlhlte Fluumlssigkeiten (zB Regentropfen bei -3degC) genauso wie unterkuumlhlte Dampfphasen (zB uumlbersaumlttigten Wasserdampf in Gewitterwolken) oder uumlberhitzte Fluumlssigkeiten (zB uumlberhitztes Wasser bei einem Siedeverzug) Kristalli-sationskeime wie Staubkoumlrner koumlnnen Phasenumwandlungen beschleunigen (zB durch Staub verursachter bdquoIndustrieschneeldquo) Bisher wurden lediglich Phasendiagramme von reinen Stoffen betrachtet die nur aus einer einzelnen Sorte Atomen oder Molekuumllen bestehen Mischt man einem gegebenen Stoff eine weitere Komponente hinzu so aumlndert sich das Phasendiagramm erheblich Als Beispiel betrachten wir ein System in dessen fluumlssiger Phase ein Fremdstoff A geloumlst wird der weder im Festkoumlrper noch im der Gasphase loumlslich ist (zB Kochsalz in Wasser) In diesem Fall dehnt sich der fluumlssige Bereich des Phasendiagramms mit steigender Konzentration von A in alle Richtungen aus so dass gleichzeitig der Schmelzpunkt erniedrigt der Siedepunkt erhoumlht und der Dampfdruck verringert wird (Abb 31) In erster Naumlherung sind alle genannten Aumlnderungen proportional zu cA

T

P

fest

fluumlss

ig

gasfouml

rmig

Abb 31 Phasendiagramm fuumlr ein System in dessen fluumlssiger Phase ein Fremdstoff mit steigender

Konzentration cA geloumlst wird Der Bereich der fluumlssigen Phase dehnt sich daraufhin in alle

Richtungen aus

Bei weiter steigender Konzentration von A kann ein Punkt erreicht werden an dem die Mischung in zwei getrennte Bereiche zerfaumlllt die ebenfalls als Phasen bezeichnet werden (zB Olivenoumll und Wasser) Eine dieser Phasen besitzt dann einen hohen Loumlsemittelanteil bei geringer Konzentration von A die andere besteht aus einem hohen Anteil an A mit einem geringen Gehalt an Loumlsemittel Dieser Vorgang der Phasenseparation binaumlrer (aus zwei Komponenten bestehender) Systeme wird durch eine andere Art von Phasendiagramm beschrieben dem so genannten Mischphasendiagramm (Abb 32) Hierbei wird die Tempe-

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ratur dem relativen Anteil einer Komponente gegenuumlbergestellt der Druck wird als konstant angenommen

Abb 32 Allgemeine Darstellung eines Mischphasendiagramms

Grundsaumltzlich gibt die linke Flanke der Phasentrennlinie (links des kritischen Punkts) die Zusammensetzung der bdquoA-armenldquo Phase an waumlhrend die rechte Flanke (rechts des kritischen Punkts) die Zusammensetzung der A-reichen Phase beschreibt Die Mengen der dabei gebildeten Phasen koumlnnen nach dem so genannten Hebelgesetz berechnet werden Demnach gilt zwischen dem Anteil n1 der A-armen Phase 1 dem Anteil n2 der A-reichen Phase 2 und den Laumlngen der Pfeile s1 und s2 in der vorhergehenden Abbildung folgender Zusammenhang

n1 s1 = n2 s2

Fuumlr das gezeigte Beispiel wuumlrde das bedeuten dass der Anteil der Phase 1 etwa doppelt so groszlig waumlre wie der Anteil der Phase 2 In der Naumlhe der beiden Raumlnder des Diagramms also fuumlr xA 0 (sehr wenig A im Loumlsemittel) oder xA 1 (sehr wenig Loumlsemittel in A) liegen in den meisten Faumlllen einphasige homogene Mischungen vor Das besagt dass auch bei niedrigen Temperaturen ein wenig von dem Stoff A im Loumlsemittel bzw ein wenig Loumlsemittel im Stoff A loumlslich ist Der im Diagramm eingezeichnete kritische Punkt bedeutet dass oberhalb der dazugehoumlrigen kritischen Temperatur keine Entmischung mehr erfolgt dh hier sind die beiden Komponenten vollstaumlndig und in jedem Verhaumlltnis miteinander mischbar Neben solchen oberen kritischen Punkten gibt es auch untere kritische Punkte Im zweiten Fall gilt dass die beiden Komponenten unterhalb einer bestimmten Temperatur in jedem Verhaumlltnis miteinander mischbar sind Im Allgemeinen koumlnnen die drei verschiedenen Faumllle auftreten die in Abbildung 33 dargestellt sind

0 Molenbruch xA der Komponente A 1

Tem

pera

tur

obere kritischeTemperatur

Einphasen-gebiet

Zweiphasen-gebiet

Beispiel xA = 04

T1

Zum gezeigten Beispiel

Eine Mischung mit dem Molenbruch xA = 04 wird von T2 nach T1 abgekuumlhltDabei zerfaumlllt die Mischung bei Tklsquo in zwei Phasen derenZusammensetzung bei T1auf der x-Achse an den Punkten 1 und 2 ablesbar ist

T2

Tklsquo

1 2

kritischer Punkt

s1 s2

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0 xA 1

Tem

pera

tur

System mit oberem kritischen Punkt

kritischer Punkt

0 xA 1Te

mpe

ratu

r

System mit unterem kritischen Punkt

kritischer Punkt

0 xA 1

Tem

pera

tur

System mit oberem und unterem

kritischen Punkt

kritischer Punkt

kritische Punkte

Abb 33 Moumlgliche Varianten von kritischen Punkten bei Systemen aus zwei Komponenten

Obere kritische Punkte findet man dann wenn sich die molekulare thermische Bewegung gegen die Tendenz der Molekuumlle sich mit gleichartigen Molekuumllen zusammenzulagern durchsetzt Dieses Phaumlnomen ist sehr verbreitet so dass ein oberer kritischer Punkt bei sehr vielen Mischphasen beobachtet wird Untere kritische Punkte sind sehr viel seltener Sie treten beispielsweise dann auf wenn die beiden Komponenten miteinander bei tiefen Temperaturen einen Komplex bilden der bei houmlheren Temperaturen wieder zerfaumlllt und dann zu einer Phasenseparation fuumlhrt Ein Beispiel dafuumlr ist die Mischung aus Wasser und Triethylamin

Fuumlr Mischphasen aus drei Komponenten so genannte ternaumlre Mischungen sind die bisher gezeigten Darstellungen ungeeignet Hierfuumlr haben sich Dreiecksdiagramme (Gibbssches Phasendreieck) durchgesetzt die das Phasenverhalten unter Variation der Mengenbeitraumlge aller drei Komponenten aufzeigen (Abb 34) Das Diagramm ist so geartet dass die Summe aller drei Mengenanteile xA xB und xC in jedem Fall den Wert 1 ergibt Damit besitzt die Zusammensetzung des ternaumlren Gemisches zwei Freiheitsgrade Jede Linie die durch eine Ecke des Diagramms fuumlhrt verbindet diejenigen Punkte bei denen das Verhaumlltnis zweier Komponenten gleich ist Jede Linie die parallel zu einer der drei Seiten verlaumluft entspricht Gemischen bei denen der relative Anteil einer Komponente gleich bleibt

00 02 04 06 08 10Komponente A

00

02

04

06

08

10

Kom

pone

nte

B

0002

04

06

08

10

Komponente C

C

A

B

00 02 04 06 08 10Komponente A

00

02

04

06

08

10

Kom

pone

nte

B

00

02

04

06

08

10

Komponente C

x1

x2x

Abb 34 Prinzip eines ternaumlren Phasendiagramms nach Gibbs (Dreiecksdiagramm)

In solche ternaumlren Mischphasendiagramme lassen sich nun entsprechend den binaumlren Mischphasendiagrammen die Ein- und Zweiphasengebiete einzeichnen Das Diagramm in

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Abb 34 rechts gilt zB fuumlr eine ternaumlre Mischung aus A B und C bei der die Komponenten A und B sowie B und C jeweils paarweise in jedem Verhaumlltnis miteinander mischbar sind Die Komponenten A und C sollen dagegen nur begrenzt mischbar sein Als Konsequenz daraus ergibt sich ein Dreiecksdiagramm das an der unteren Achse die dem Anteil 0 der Komponente B entspricht ein Zweiphasengebiet aufweist

Die Hilfslinien im Zweiphasengebiet markieren die Zusammensetzung der entstehenden Einzelphasen So wuumlrde beispielsweise eine Mischung deren Zusammensetzung im Diagramm durch den Punkt x markiert ist in die beiden Phasen x1 und x2 zerfallen Die Mengenanteile der beiden Phasen koumlnnten dabei wieder uumlber das Hebelgesetz berechnet werden Um zusaumltzlich den Einfluss der Temperatur wiederzugeben muss eine weitere Koordinate eingefuumlhrt werden Man erhaumllt dabei ein dreidimensionales Dreiecksdiagramm das haumlufig unter Verwendung von Houmlhenlinien nach der Art einer topographischen Landkarte dargestellt wird Jede Houmlhenlinie des Zweiphasengebiets umschreibt dann seine Ausdehnung bei einer gegebenen Temperatur

Fragt man bei einem System mit bestehenden Randbedingungen nach der Zahl der frei variierbaren Zustandsgroumlszligen also nach der Zahl der Freiheitsgrade so haumlngt die Antwort zunaumlchst davon ab in welchem Phasenzustand sich das System befindet So kann man beispielsweise in der Gasphase (bei festgelegter Stoffmenge) Temperatur und Druck frei waumlhlen wodurch dann automatisch das Volumen festgelegt wird Gleiches gilt fuumlr die feste und die fluumlssige Phase Das System hat innerhalb eines Phasenzustands also zwei Freiheits-grade Setzt man allerdings voraus dass sich das System in einem Gleichgewicht zwischen zwei Phasen befindet (zB auf der Verdampfungslinie) so besitzt es nur einen Freiheitsgrad Am Tripelpunkt schlieszliglich bei einem Gleichgewicht zwischen drei Phasen sind keine Freiheitsgrade mehr vorhanden Zwischen der Zahl der Phasen P und der Zahl der Freiheitsgrade F gibt es also folgende einfache Beziehung

F = 3 - P

Beruumlcksichtigt man weiter dass auch mehr als eine Komponente auftreten kann (Zahl der Komponenten C gt 1) so erhoumlht sich die Zahl der Freiheitsgrade um jede zusaumltzliche Komponente deren Konzentration ja frei waumlhlbar ist um den Wert eins Man erhaumllt damit

F = 3 - P + (C - 1) oder F = C - P + 2

Nach dieser allgemeinguumlltigen Formel der so genannten Gibbsrsquoschen Phasenregel laumlsst sich die Zahl der Freiheitsgrade in jedem beliebigen System bestimmen Sie erlaubt insbesondere bei sehr komplizierten Mischungen mit einer unbekannten Anzahl an Phasenzustaumlnden uumlber eine einfache Betrachtung Ruumlckschluumlsse auf deren Phasenverhalten

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Betrachtet man die Verteilung n(v) der Gesamtgeschwindigkeit v im dreidimensionalen Raum so wird das Bild komplizierter Bezuumlglich der drei Raumrichtungen x y und z sind weiterhin die kleinen Geschwindigkeiten wahrscheinlicher als die groszligen Da nun aber fuumlr eine groszlige Gesamtgeschwindigkeit v mehr Kombinationsmoumlglichkeiten vx vy vz existieren als fuumlr kleine Gesamtgeschwindigkeiten so wird die Wahrscheinlichkeit fuumlr sehr geringe Gesamtgeschwindigkeiten entsprechend kleiner fuumlr groszlige Gesamtgeschwindigkeiten entsprechend groumlszliger Der daraus resultierende Gewichtungsfaktor fuumlr jedes v ist die relative Flaumlche der Kugelschale mit dem Radius v Insgesamt ergeben sich dann die in Abb 22 unten dargestellten Verteilungsfunktionen fuumlr niedrige und hohe Temperaturen Die Verteilungsfunktionen in vx und v lauten (ohne Herleitung)

f(vx) = [M(2RT)]12 exp [-Mvxsup2(2RT)]

f(v) = 4 [M(2RT)]32 vsup2 exp [-Mvsup2(2RT)] Der Mittelwert von vx (oder jeder anderen eindimensionalen Geschwindigkeitskomponente) ist grundsaumltzlich Null Dagegen besitzt der Mittelwert von v stets eine endliche von Null verschiedene Groumlszlige Bei einer Erhoumlhung der Temperatur werden alle Verteilungsfunktionen breiter der Mittelwert von v vergroumlszligert sich Die Temperatur eines Gases aumluszligert sich also nicht nur im mittleren Geschwindigkeitsquadrat sondern auch in der Form der Geschwindigkeitsverteilungsfunktion Bei der Mischung von Gasen unterschiedlicher Temperatur muss um die oben genannte Forderung zu erfuumlllen aus der einfachen Summe von zwei Verteilungsfunktionen eine neue der Mischtemperatur ent-sprechende Verteilungsfunktion entstehen Dies ist nur unter der Annahme moumlglich dass ein Austausch kinetischer Energie unter den Teilchen erfolgen kann Diese Tatsache bedingt die eingangs gestellte Forderung nach Teilchenstoumlszligen also Wechselwirkungen zwischen den Teilchen Damit muumlssen die Gasteilchen aber auch ein gewisses Volumen besitzen den Teil-chen ohne Eigenvolumen koumlnnen prinzipiell nicht zusammenstoszligen Darin besteht der we-sentliche Unterschied zwischen einem Gas nach dem kinetischen Gasmodell und dem idealen Gas Das ideale Gas koumlnnte man theoretisch auf ein beliebig kleines Volumen komprimieren bei einem kinetischen Gas ist dies aufgrund des Eigenvolumens nicht moumlglich Ansonsten erlaubt das kinetische Gasmodell die vollstaumlndige Interpretation der idealen Gasgleichung

34 Die korrigierte Gasgleichung nach van der Waals JD van der Waals

Mithilfe des kinetischen Gasmodells laumlsst sich die Zustandsgleichung fuumlr Gase weiter verfeinern Zunaumlchst soll beruumlcksichtigt werden dass die Teilchen ein eigenes Volumen besitzen In erster Naumlherung geschieht dies indem man ein vom Eigenvolumen der Gas-teilchen abgeleitetes minimales Volumen des Gases (das so genannte Covolumen) definiert Das Covolumen beschreibt dasjenige Volumen des Gases das bei staumlndigem mechanischem Kontakt zwischen jeweils zwei Teilchen eingenommen wird wenn man den Teilchenpaaren jeweils den sie umschreibenden kugelfoumlrmigen Raum zuordnet (wegen der geringen Wahr-scheinlichkeit von Dreierstoumlszligen kann die Bildung von Dreiergruppen ausgeschlossen werden) Das molare Covolumen b entspricht wenn man eine einfache geometrische Uumlberlegung an-setzt dem vierfachen Eigenvolumen eines Mols der Gasteilchen Um das tatsaumlchliche freie

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Volumen zu erhalten muss das n-fache Covolumen vom gegebenen Volumen abgezogen werden Damit wird aus der idealen Gasgleichung P V = n R T die erste korrigierte Version P (V - n b) = n R T Im zweiten Schritt soll nun uumlber das kinetische Gasmodell hinausgehend auch die anziehen-de Wechselwirkung zwischen den Teilchen beruumlcksichtigt werden Die Anziehung zwischen den Teilchen sorgt nach van der Waals fuumlr einen zusaumltzlichen nach auszligen nicht messbaren bdquoBinnendruckldquo Dieser Binnendruck ist proportional zum Quadrat der Teilchendichte (nV)sup2 Der zwischen den Teilchen tatsaumlchlich wirkende nach auszligen ebenfalls unmessbare Gesamt-druck ist dann gegeben als

Pgesamt (unmessbar) = P (messbar) + a (nV)sup2

mit einer fuumlr die anziehende Wechselwirkung charakteristischen Konstante a Die danach korrigierte Version der Gasgleichung die van-der-Waals-Gleichung fuumlr reale Gase lautet

[P + a (nV)sup2] (V - nb) = n R T

Die Konstanten b und a besitzen fuumlr jedes reale Gas charakteristische Werte die dessen Eigenvolumen (die Groumlszlige der Elektronenhuumllle) und die Staumlrke der intermolekularen Wechsel-wirkungen reflektieren Beispiele

Gas a b

Argon 01345 Pa m6Molsup2 32210-5 msup3Mol Kohlendioxid 03592 Pa m6Molsup2 426710-5 msup3Mol Helium 00034 Pa m6Molsup2 23710-5 msup3Mol Stickstoff 01390 Pa m6Molsup2 391310-5 msup3Mol Wasser 05573 Pa m6Molsup2 31010-5 msup3Mol

Der Parameter b spiegelt mit der Einheit msup3Mol weitgehend die Groumlszlige der einzelnen Teilchen (Atome oder Molekuumlle) wider So besitzt erwartungsgemaumlszlig Kohlendioxid oder Argon einen groumlszligeren Wert fuumlr b als beispielsweise Helium Allerdings sind die Unterschiede erstaunlich klein was auf die Tatsache zuruumlckzufuumlhren ist dass sich das Covolumen auf Teilchenpaare bezieht und ein Paar aus Kohlendioxidmolekuumllen gegenuumlber einem Paar aus Heliumatomen nur etwa das doppelte Volumen benoumltigt

Der Parameter a mit der Einheit Pascal mal Molvolumen zum Quadrat reflektiert die Staumlrke der Wechselwirkungen zwischen den Teilchen Diese Wechselwirkungen beruhen zum groszligen Teil auf den elektrischen Eigenschaften der Teilchen Diese wiederum sind mit der elektronischen Struktur der Atome beziehungsweise der chemischen Bindungen verknuumlpft Am wichtigsten ist dabei das in Kapitel 19 erwaumlhnte Dipolmoment Polare Bindungen koumlnnen zu Teilchen mit permanenten Dipolen fuumlhren (zB HF Wasser Ammoniak CO) Andere Molekuumlle oder Atome sind zwar unpolar koumlnnen aber spontan oder durch aumluszligere

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elektrische Felder polarisiert werden (zB He Ar molekularer Wasserstoff molekulares Chlor) Man spricht dann von polarisierbaren Teilchen mit einem spontanen Dipolmoment oder mit einem durch ein aumluszligeres Feld bewirkten induzierten Dipolmoment In all diesen Faumlllen sind anziehende Wechselwirkungen zwischen den Teilchen moumlglich die in dem Parameter a zusammengefasst werden Daruumlber hinaus koumlnnen sich auch voruumlbergehende chemische Bindungen ausbilden Das prominenteste Beispiel fuumlr diesen Fall ist die bekannte Wasserstoffbruumlckenbindung die bei polaren X-H-Bindungen auftreten kann Im Einzelnen werden demnach folgende Arten von Wechselwirkungen mit absteigender Intensitaumlt unter-schieden

a) Wasserstoffbruumlckenbindung X-H hellip Y Hierbei bildet sich voruumlbergehend eine chemische Bindung zwischen dem polar gebundenen Wasserstoff und einem elektronegativen und mit einem freien Elektronenpaar ausgestatteten Element Y

b) Wechselwirkungen zwischen permanenten Dipolen hier besitzen alle Teilchen ein permanentes Dipolmoment Zwischen den entgegengesetzt geladenen Enden der Teilchen bauen sich dann konstant anziehende elektrostatische Wechselwir-kungen auf

c) Wechselwirkungen zwischen permanenten und induzierten Dipolen die Teil-chen mit permanentem Dipolmoment induzieren ein voruumlbergehendes Dipol-moment bei den benachbarten (zunaumlchst unpolaren) Teilchen In der Folge ergibt sich eine anziehende elektrostatische Wechselwirkung

d) Wechselwirkungen zwischen induzierten Dipolen durch spontane Polarisierung eines Teilchens entsteht ein voruumlbergehendes Dipolmoment welches bei einem benachbarten Teilchen eine Polarisierung hervorruft In der Folge ergibt sich eine kurzfristige und sehr schwache elektrostatische Anziehung zwischen den Teilchen Man spricht dabei auch von der Dispersionswechselwirkung oder der Londonschen Wechselwirkung

Alle diese Effekte sind anziehender Natur und gehen damit in den Parameter a ein Fasst man die beiden Parameter a und b zusammen so entsteht mit der van-der-Waals-Gleichung eine recht zuverlaumlssige Zustandsgleichung fuumlr reale Systeme die sowohl die abstoszligenden als auch die anziehenden Wechselwirkungen beruumlcksichtigt

Ein guter Test fuumlr diese reale Zustandsgleichung ist die Berechnung eines Diagramms von P gegen V fuumlr verschiedene Temperaturen das so genannte P-V-Diagramm und die Gegen-uumlberstellung mit dem entsprechenden experimentellen P-V-Diagramm eines realen Gases Gemaumlszlig der van-der-Waalsrsquoschen Gleichung existieren abhaumlngig von der betrachteten Tempe-ratur drei Typen von Isothermen (Abb 23 links) solche die einer Hyperbel aumlhneln (1) eine einzelne Isotherme die einen Wendepunkt mit waagrechter Tangente besitzt (2) und solche die ein Minimum ein Maximum und einen Wendepunkt aufweisen (3) Das experimentell beobachtete Verhalten stimmt in den ersten beiden Faumlllen recht gut uumlberein weicht aber bei Isothermen des dritten Typs deutlich vom berechneten Verlauf ab (Abb 23 rechts)

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P

V

PV-Diagramm nachvan-der-Waals-Gleichung

1 2

3

P

V

3

experimentell bestimmtesPV-Diagramm f reales Gas

Abb 23 PV-Diagramme fuumlr reale Gase berechnet nach van der Waals (links) und experimentell bestimmt (rechts) Die drei typischen Formen der Isothermen (1 2 und 3) sind im Text beschrieben

Offensichtlich beschreibt die van-der-Waals-Gleichung das Verhalten eines realen Gases in der Umgebung des Wendepunkts weniger gut Experimentell stellt man allerdings fest dass in diesem Bereich tatsaumlchlich auch kein reines Gas sondern vielmehr eine Mischung aus einem Gas und einer kondensierten Fluumlssigkeit also ein Zweiphasenzustand vorliegt Dieser Zwei-phasenbereich beginnt am Wendepunkt der Isothermen des Typs 2 und schlieszligt alle Minima Maxima und Wendepunkte der Isothermen des Typs 3 ein (Abb 24 links)

P

V

Zweiphasen-gebiet

P

V

Zweiphasen-gebiet

Maxwell-Maxwell-KorrekturKorrektur

Zweiphasen-Gebiet

Zweiphasen-Gebiet

A1

A2

Abb 24 PV-Diagramme fuumlr reale Gase mit eingezeichnetem Zweiphasengebiet Der in diesem Bereich bei der Beschreibung nach van der Waals gegebene Fehler kann in guter Naumlherung durch die Maxwell-Korrektur kompensiert werden

Eine einfache Korrektur der van-der-Waals-Gleichung ermoumlglicht eine realistische Beschrei-bung des Zweiphasengebiets Eine horizontale Gerade wird so in der Naumlhe des Wendepunktes gelegt dass die oberhalb und unterhalb der Geraden im Zweiphasenbereich gebildeten Teilflaumlchen A1 und A2 die gleiche Groumlszlige besitzen (sog Maxwell-Korrektur s Abbildung 24 rechts) Dies sieht zwar nach einer etwas willkuumlrlichen Hilfskonstruktion aus trotzdem laumlsst sich damit das Verhalten eines realen Gases im Zweiphasengebiet sehr gut nachvollziehen und vorhersagen Eine besonders ausgewiesene Position im PV-Diagramm eines realen Gases ist der Scheitel-punkt des Zweiphasengebiets der durch den Wendepunkt der Isotherme des Typs 2 gebildet wird (Abb 25)

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P

V

Zweiphasen-gebiet Tc

Pc

Vc

kritischer Punkt

Jedes reale Gas besitzt einen sogenannten kritischenPunkt der durch die kritischen Zustandsgroumlszligen Tc Pc undVc beschrieben wird Die kritische Temperatur Tc istdiejenige Temperatur bei der sich ein Gas unter Druckgerade noch verfluumlssigen laumlszligt Oberhalb der kritischenTemperatur existiert kein fluumlssiger Zustand Derentsprechende Druck Pc wird als kritischer Druckbezeichnet

Die Isotherme die der kritischen Temperatur zugeordnetist besitzt als einzige einen Wendepunkt mit horizontalerTangente der gleichzeitig den kritischen Punkt markiert

Abb 25 PV-Diagramm fuumlr ein reales Gas mit kritischem Punkt

Dieser sogenannte kritische Punkt wird durch die kritische Temperatur Tc den kritischen Druck Pc und das kritische Molvolumen Vc festgelegt Zustaumlnde oberhalb des kritischen Punkts nennt man uumlberkritisch Uumlberkritisches Kohlendioxid besitzt in der Technik groszlige Bedeutung fuumlr das Loumlsen und Ausfaumlllen von pharmazeutischen Wirkstoffen (zB Aspirin fuumlr Brausetabletten) fuumlr die Extraktion (zB bei der Entkoffeinierung von Kaffee) oder zur chemischen Reinigung von Textilien

35 Andere Zustandsgleichungen fuumlr reale Gase

Neben der van-der-Waals-Gleichung existieren weitere Ansaumltze zur Beschreibung realer Gase die zwar eine genauere Anpassung an die gemessenen Werte ermoumlglichen aber auch kompli-zierter sind oder mehr Arbeit bei der Bestimmung der charakteristischen Parameter erfordern Im Folgenden seien als Beispiele die Berthelot-Gleichung und die Virialgleichung erwaumlhnt

a Berthelot-Gleichung (P + (Ansup2)(TVsup2) ) (V - nB) = n R T Berthelot fuumlhrte damit als Besonderheit einen temperaturabhaumlngigen Binnendruck ein Dies ist insoweit physikalisch gerechtfertigt als die vermehrte thermische Bewegung der Ausbildung von Wechselwirkungen zwischen den Molekuumllen entgegenwirken kann

b Virialgleichung P Vm = A + B P + C Psup2 + D Psup3 + Mit Vm = Vn Die Virialgleichung nutzt die Tatsache dass sich fast alle physikalischen Zusammenhaumlnge uumlber einen Potenzreihenansatz a + bx + cxsup2 + dxsup3 + hellip beliebig genau annaumlhern lassen Je nach Anzahl der anpassbaren Parameter ist zwar eine beliebig genaue Beschreibung des realen Gases moumlglich allerdings steigt auch der Aufwand fuumlr die Bestim-mung aller Koeffizienten

36 Beschreibung von Fluumlssigkeiten

Im PV-Diagramm der realen Gase schlieszligt sich links vom Zweiphasengebiet der Bereich der fluumlssigen Phase an Sie zeichnet sich dadurch aus dass mit sinkendem Volumen der Druck ex-trem steil ansteigt Das bedeutet dass bereits eine geringfuumlgige Volumenabnahme mit einem aumluszligerst groszligen Druckanstieg verbunden ist In der Praxis hat das zur Folge dass Fluumlssigkeiten im Gegensatz zu Gasen kaum komprimierbar sind ihre Kompressibilitaumlt geht gegen Null Auch ist die Ausdehnung der Fluumlssigkeiten bei steigender Temperatur und bei konstantem

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Druck (der thermische Ausdehnungskoeffizient) sehr viel kleiner als bei Gasen Eine einfache allgemeine Zustandsgleichung fuumlr die fluumlssige Phase in Analogie zur idealen oder zur van-der-Waals-Gleichung existiert nicht Stattdessen findet man bei der experimentellen Bestimmung des Zusammenhangs zwischen P V und T fuumlr jede Fluumlssigkeit ein sehr charakteristisches Verhalten Vergleicht man die Messergebnisse verschiedener Fluumlssigkeiten untereinander so sind kaum Aumlhnlichkeiten auszumachen Daruumlber hinaus sind bestimmte Messungen (zB die Messung der Abhaumlngigkeit des Drucks vom Volumen bei konstanter Teilchenzahl und Temperatur) technisch sehr schwer zu realisieren Das Fehlen einer einheitlichen Zustandsgleichung V(TPn) fuumlr Fluumlssigkeiten liegt auch in deren komplexer Struktur begruumlndet Betrachtet man ein einzelnes Teilchen in der Fluumlssigkeit so liegt es bezuumlglich der Abstaumlnde zu seinen naumlchsten Nachbarn stets in der Naumlhe des Mini-mums einer Potentialkurve Epot(r) die einen sehr steilen Verlauf besitzt Die Abstaumlnde zu den benachbarten Teilchen sind damit nahezu fixiert folglich ist eine unabhaumlngige Translations-bewegung einzelner Teilchen praktisch unmoumlglich Stattdessen verlaufen alle Bewegungs-prozesse mehr oder weniger kollektiv also unter gleichzeitiger Verschiebung mehrerer Teilchen Daruumlber hinaus gibt es keine nennenswerten freien Volumina so dass der mittlere Abstand der Teilchen nur unwesentlich verringert werden kann ein Umstand der sich in der bereits erwaumlhnten geringen Kompressibilitaumlt aumluszligert Ein Modell fuumlr eine allgemeine Fluumlssigkeit laumlsst sich im Rahmen einer Computersimulation einfuumlhren Man betrachtet dabei einen wuumlrfelfoumlrmigen Raum der einen Ausschnitt aus dem Fluumlssigkeitsvolumen darstellen soll und eine endliche Anzahl n von Fluumlssigkeitsteilchen (zB n = 1000) enthaumllt Um die Zahl der Teilchen konstant zu halten und dabei trotzdem deren Beweglichkeit zu wahren wird eine Kontinuitaumltsbedingung eingefuumlhrt Jedes Teilchen das im Rahmen der Bewegungsprozesse den Wuumlrfel an einer gegebenen Stelle verlaumlsst tritt automatisch an der genau gegenuumlberliegenden Position des Wuumlrfels wieder ein Auf diese Weise ist gewaumlhrleistet dass die Zahl der Teilchen im Wuumlrfel konstant bleibt (Abb 26)

Abb 26 Simulation von Bewegungs-vorgaumlngen in einem Fluumlssigkeitsvolumen unter Wahrung einer konstanten Partikel-anzahl Jedes Teilchen das im Rahmen der Bewegungsprozesse den Wuumlrfel an einer gegebenen Stelle verlaumlsst tritt automatisch an der genau gegenuumlberliegenden Position des Wuumlrfels wieder ein

An diesem System fuumlhrt man nun eine so genannte Monte-Carlo-Simulation durch Dabei setzt ein Zufallsgenerator eine geringfuumlgige Verschiebung eines beliebigen einzelnen Teil-chens in Gang Anschlieszligend wird unter Verwendung des bekannten Potentialverlaufs Epot(r) berechnet wie sich nach der Verschiebung die potentielle Energie des Systems veraumlndert hat Danach entscheidet das Simulationsprogramm zwischen zwei Moumlglichkeiten

- Hat sich die gesamte potentielle Energie des Systems durch die Verschiebung verringert oder blieb sie konstant so wird die Verschiebung akzeptiert und der naumlchste Schritt berechnet - Hat sich die gesamte potentielle Energie durch die Verschiebung um den positiven Wert E erhoumlht so wird die Verschiebung mit einer Wahrscheinlichkeit die von E abhaumlngt akzeptiert und ansonsten verworfen Danach wird der naumlchste Schritt berechnet

Auf diese Weise kann man fuumlr beliebige Fluumlssigkeiten sowohl die typischen Bewegungs-prozesse als auch die einflussbedingten Veraumlnderung von Zustandsgroumlszligen (zB P in Ab-

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haumlngigkeit von V) berechnen Allerdings sind die Rechnungen bei den fuumlr eine realistische Beschreibung eines Fluumlssigkeitsvolumens notwendigen groszligen Teilchenzahlen sehr aufwaumlndig und zeitintensiv

37 Beschreibung von Festkoumlrpern

Begibt man sich im P-V-Diagramm vom fluumlssigen Zustand ausgehend noch weiter nach links (zu kleineren Volumina houmlheren Drucken und niedrigeren Temperaturen) so erreicht man den festen Zustand Die Problematik der Zustandsgleichung V(TPn) von Festkoumlrpern aumlhnelt jener der Fluumlssigkeiten Auch hier sind die Kompressibilitaumlten und die thermischen Aus-dehnungskoeffizienten uumlblicherweise sehr viel geringer als bei Gasen Ebenso wie bei Fluumls-sigkeiten sind dabei die Unterschiede zwischen einzelnen Vertretern der Festkoumlrper recht groszlig so dass keine gemeinsame Zustandsgleichung wie bei Gasen formuliert werden kann Im Vergleich mit den Werten der Fluumlssigkeiten sind die Kompressibilitaumlten und die thermischen Ausdehnungskoeffizienten der Festkoumlrper durchschnittlich nochmals um etwa zwei Groumlszligen-ordnungen geringer

Abb 27 Torsionsexperiment zur Unterscheidung zwischen Fluumlssigkeiten und Festkoumlrpern (s Text)

Der wesentliche Unterschied zwischen Festkoumlrpern und Fluumlssigkeiten besteht allerdings in ihrem gegensaumltzlichen Verhalten bezuumlglich Verformung waumlhrend Fluumlssigkeiten einer gege-benen Verformung durch ihre Zaumlhigkeit (Viskositaumlt) Widerstand leisten reagiert ein Fest-koumlrper auf eine Verformung durch eine elastische Deformation Dieses Verhalten wird in einem Torsionsrheometer deutlich wobei eine feste oder fluumlssige Probe periodisch mit einer torsionsartigen Verformung beaufschlagt wird (Abb 27) Waumlhrend der Drehmomentverlauf des Festkoumlrpers exakt gleichphasig zur periodischen Aus-lenkung erfolgt (elastische Verformung) ist der Drehmomentverlauf der Fluumlssigkeit dazu um ein Viertel einer Wellenlaumlnge phasenverschoben (viskose Reaktion) Bei Fluumlssigkeiten ist der Widerstand dann maximal wenn die Deformationsgeschwindigkeit maximal ist (blaue Linie

t

Dre

hmom

entv

erla

uf

tAusl

enku

ng

Festkoumlrper

t

Dre

hmom

entv

erla

uf

Fluumlssigkeiten

Pruumlfkoumlrper

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in Abb 26) Bei Festkoumlrpern ist die Kraft dann maximal wenn der Deformationszustandmaximal ist (rote Linie in Abb 27) Viele Festkoumlrper stellen Uumlbergaumlnge zwischen diesen beiden Extremfaumlllen dar und werden dann als viskoelastisch bezeichnet Aus der Betrachtung von Messergebnissen an einer Viel-zahl von Materialien geht hervor dass eine eindeutige Abgrenzung zwischen dem fluumlssigen und dem festen Zustand selten moumlglich ist Entsprechend gibt es auch unterschiedliche Strukturmodelle die teilweise das elastische Verhalten teilweise das plastische Verhalten von Festkoumlrpern erklaumlren Dem elastischen Festkoumlrper mit nahezu verschwindender Phasen-verschiebung wird am ehesten das Modell eines idealen Kristalls gerecht Man geht dabei davon aus dass jedes Atom bzw Molekuumll aus dem der Festkoumlrper zusammengesetzt ist sich an einem geometrisch festgelegten Gitterpunkt befindet von dem es sich nicht entfernen kann Als Bewegungsprozess ist dabei lediglich eine Schwingung mit begrenzter Amplitude moumlglich Die denkbaren Geometrien der Gitterstrukturen reichen von primitiv-kubischen Gittern (zB Natriumchlorid) uumlber kubisch-dichteste (zB Silber Kupfer) und hexagonal-dichteste Kugelpackungen (zB Magnesium Zink) bis zur kubisch-raumzentrierten Struktur (zB Eisen Molybdaumln) Haumlufig findet man leichte Abweichungen von der idealen Gitter-struktur die durch lokale Stoumlrungen hervorgerufen werden Akzeptiert man gewisse Anteile an viskosem Verhalten (dh eine leichte Phasenverschiebung) so begibt man sich in den Grenzbereich zwischen Festkoumlrpern und Fluumlssigkeiten In einem Material wie Glas ist die regelmaumlszligige Anordnung eines Gitters nicht gegeben die Atome sind unregelmaumlszligig positioniert und koumlnnen unter Belastung auch flieszligen Solche nicht-kristallinen Festkoumlrper bezeichnet man als amorph Typische Vertreter amorpher Feststoffe sind Fenster-glas viele transparente Kunststoffe (zB Plexiglas Polyester in Getraumlnkeflaschen) Wachs und Aumlhnliches Amorphe Festkoumlrper besitzen keinen Schmelzpunkt sondern erweichen bei steigender Temperatur allmaumlhlich Amorphe Festkoumlrper koumlnnen nachtraumlglich kristallisieren wobei sich haumlufig das aumluszligere Erscheinungsbild und die physikalischen Eigenschaften drastisch aumlndern (zB Plastikfolie unter Zug)

38 Das Phasendiagramm

Die drei wichtigsten Phasenzustaumlnde zu denen sich eine makroskopische Gesamtheit von Atomen oder Molekuumllen zusammenfinden koumlnnen sind also Gase Fluumlssigkeiten und Festkoumlrper Die Frage ist nun unter welchen Bedingungen sich ein System fuumlr den ersten den zweiten oder den dritten Zustand entscheidet Erfahrungsgemaumlszlig haumlngt der gegebene Phasenzustand von den in Kapitel 31 eingefuumlhrten Zustandsparametern n V P und T ab Legt man die Stoffmenge n auf einen Wert fest (zB auf ein Mol Teilchen) und beruumlcksichtigt man dass nach den gegebenen Zustandsgleichungen die Groumlszligen n V P und T miteinander verknuumlpft sind so genuumlgen zwei Parameter um den jeweils guumlnstigsten Phasenzustand eindeutig festzulegen Ein Diagramm bei dem einer der Parameter V P und T gegen einen anderen aufgetragen wird eignet sich also prinzipiell um bei einer gegebenen Teilchenart den unter diesen Bedingungen jeweils angestrebten Phasenzustand zu markieren So kann man gemaumlszlig den Abbildungen 23 bis 25 in einem Diagramm bei dem P gegen V aufgetragen wird schon den jeweils gegebenen Phasenzustand eintragen und ablesen In der Praxis eignen sich solche PV-Diagramme allerdings wenig um Phasenzustaumlnde zu markieren der gasfoumlrmige Zustand nimmt einen sehr breiten Raum ein waumlhrend der fluumlssige und der feste Zustand in dem sehr engen Bereich links neben dem Zweiphasengebiet bdquoeingequetschtldquo waumlre Vor allem in diesem Umfeld waumlre das Diagramm schwer ablesbar

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Wesentlich guumlnstiger ist dagegen die Auftragung vom Druck P gegen die Temperatur T In diesem PT-Diagramm das auch als Phasendiagramm bezeichnet wird lassen sich alle Phasenzustaumlnde uumlbersichtlich zuordnen Dabei bezeichnen Flaumlchenanteile im PT-Diagramm die unter den gegebenen Druck- und Temperaturbedingungen angestrebte Phase (zB fest fluumlssig gasfoumlrmig) waumlhrend Linien die dazwischen vorliegenden Gleichgewichte markieren und Phasengrenzlinien genannt werden (Abb 28)

T

Pfe

st

fluumlss

ig

gasfouml

rmig

kritischerPunkt

Tripel-punkt

Phasengrenzlinie

Abb 28 Phasendiagramm mit Auftragung des Drucks (P) gegen die Temperatur (T)

Auszligerdem enthaumllt ein Phasendiagramm gewoumlhnlich mindestens zwei besonders ausgezeich-nete Punkte den Tripelpunkt an dem die drei im Allgemeinen wichtigsten Phasenzustaumlnde fest fluumlssig und gasfoumlrmig miteinander im Gleichgewicht stehen und den bereits aus dem PV-Diagramm bekannten kritischen Punkt der das Ende eines definierten Uumlbergangs zwischen fluumlssiger und gasfoumlrmiger Phase markiert Beispiele fuumlr Phasendiagramme Kohlen-dioxid und Wasser sind in Abbildung 29 und 30 wiedergegeben

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T

P

fest

fluumlss

iggasfoumlrmig

kritischerPunkt

Tripel-punkt

2168 K

511 bar

CO2

3042 K

728 bar

Abb 29 Phasendiagramm fuumlr Kohlendioxid

T

P

fluumlss

ig

gasfoumlrmig

kritischerPunkt

H2O

Eis 1

Eis 1

Eis 2 Eis 3

Eis 5

Eis 6

Tripelpunkt6473 K

218 bar

6 mbar 27316 K

Abb 30 Phasendiagramm fuumlr Wasser Der Bereich oberhalb von 200 bar ist aus Gruumlnden der

Uumlbersichtlichkeit entlang der P-Achse komprimiert dargestellt

Eine wichtige Besonderheit des Phasenverhaltens von Wasser ist die Tatsache dass die Phasengrenzlinie zwischen fluumlssigem Wasser und Eis 1 eine negative Steigung aufweist Dies hat zur Folge dass gewoumlhnliches Eis durch Erhoumlhung des Drucks zum Schmelzen gebracht werden kann Dieser Umstand ist eine der Ursachen dafuumlr dass eine Kufe auf Eis gleitet da der durch das Schmelzen entstehende Wasserfilm die Reibung vermindert (allerdings spielt hier auch die Reibungswaumlrme eine Rolle) Der Grund fuumlr dieses Verhalten steht in direkter Verbindung mit der strukturbedingten Volumenabnahme beim Schmelzen von Eis (s Videos unter httpwwwyoutubecomwatchv=6s0b_keOiOU und httpswwwyoutubecomwatchv=CDTZoFGmZoc )

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Waumlhlt man in einem Phasendiagramm eine Kombination von Druck und Temperatur so kann man direkt denjenigen Phasenzustand ablesen den die gegebene Teilchenart unter diesen Bedingungen anstrebt Das heiszligt jedoch nicht dass dieser Zustand dann auch in jedem Fall und zu jeder Zeit vorliegt Haumlufig beobachtet man eine so genannte kinetische Hemmung einer Phasenumwandlung So gibt es unterkuumlhlte Fluumlssigkeiten (zB Regentropfen bei -3degC) genauso wie unterkuumlhlte Dampfphasen (zB uumlbersaumlttigten Wasserdampf in Gewitterwolken) oder uumlberhitzte Fluumlssigkeiten (zB uumlberhitztes Wasser bei einem Siedeverzug) Kristalli-sationskeime wie Staubkoumlrner koumlnnen Phasenumwandlungen beschleunigen (zB durch Staub verursachter bdquoIndustrieschneeldquo) Bisher wurden lediglich Phasendiagramme von reinen Stoffen betrachtet die nur aus einer einzelnen Sorte Atomen oder Molekuumllen bestehen Mischt man einem gegebenen Stoff eine weitere Komponente hinzu so aumlndert sich das Phasendiagramm erheblich Als Beispiel betrachten wir ein System in dessen fluumlssiger Phase ein Fremdstoff A geloumlst wird der weder im Festkoumlrper noch im der Gasphase loumlslich ist (zB Kochsalz in Wasser) In diesem Fall dehnt sich der fluumlssige Bereich des Phasendiagramms mit steigender Konzentration von A in alle Richtungen aus so dass gleichzeitig der Schmelzpunkt erniedrigt der Siedepunkt erhoumlht und der Dampfdruck verringert wird (Abb 31) In erster Naumlherung sind alle genannten Aumlnderungen proportional zu cA

T

P

fest

fluumlss

ig

gasfouml

rmig

Abb 31 Phasendiagramm fuumlr ein System in dessen fluumlssiger Phase ein Fremdstoff mit steigender

Konzentration cA geloumlst wird Der Bereich der fluumlssigen Phase dehnt sich daraufhin in alle

Richtungen aus

Bei weiter steigender Konzentration von A kann ein Punkt erreicht werden an dem die Mischung in zwei getrennte Bereiche zerfaumlllt die ebenfalls als Phasen bezeichnet werden (zB Olivenoumll und Wasser) Eine dieser Phasen besitzt dann einen hohen Loumlsemittelanteil bei geringer Konzentration von A die andere besteht aus einem hohen Anteil an A mit einem geringen Gehalt an Loumlsemittel Dieser Vorgang der Phasenseparation binaumlrer (aus zwei Komponenten bestehender) Systeme wird durch eine andere Art von Phasendiagramm beschrieben dem so genannten Mischphasendiagramm (Abb 32) Hierbei wird die Tempe-

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ratur dem relativen Anteil einer Komponente gegenuumlbergestellt der Druck wird als konstant angenommen

Abb 32 Allgemeine Darstellung eines Mischphasendiagramms

Grundsaumltzlich gibt die linke Flanke der Phasentrennlinie (links des kritischen Punkts) die Zusammensetzung der bdquoA-armenldquo Phase an waumlhrend die rechte Flanke (rechts des kritischen Punkts) die Zusammensetzung der A-reichen Phase beschreibt Die Mengen der dabei gebildeten Phasen koumlnnen nach dem so genannten Hebelgesetz berechnet werden Demnach gilt zwischen dem Anteil n1 der A-armen Phase 1 dem Anteil n2 der A-reichen Phase 2 und den Laumlngen der Pfeile s1 und s2 in der vorhergehenden Abbildung folgender Zusammenhang

n1 s1 = n2 s2

Fuumlr das gezeigte Beispiel wuumlrde das bedeuten dass der Anteil der Phase 1 etwa doppelt so groszlig waumlre wie der Anteil der Phase 2 In der Naumlhe der beiden Raumlnder des Diagramms also fuumlr xA 0 (sehr wenig A im Loumlsemittel) oder xA 1 (sehr wenig Loumlsemittel in A) liegen in den meisten Faumlllen einphasige homogene Mischungen vor Das besagt dass auch bei niedrigen Temperaturen ein wenig von dem Stoff A im Loumlsemittel bzw ein wenig Loumlsemittel im Stoff A loumlslich ist Der im Diagramm eingezeichnete kritische Punkt bedeutet dass oberhalb der dazugehoumlrigen kritischen Temperatur keine Entmischung mehr erfolgt dh hier sind die beiden Komponenten vollstaumlndig und in jedem Verhaumlltnis miteinander mischbar Neben solchen oberen kritischen Punkten gibt es auch untere kritische Punkte Im zweiten Fall gilt dass die beiden Komponenten unterhalb einer bestimmten Temperatur in jedem Verhaumlltnis miteinander mischbar sind Im Allgemeinen koumlnnen die drei verschiedenen Faumllle auftreten die in Abbildung 33 dargestellt sind

0 Molenbruch xA der Komponente A 1

Tem

pera

tur

obere kritischeTemperatur

Einphasen-gebiet

Zweiphasen-gebiet

Beispiel xA = 04

T1

Zum gezeigten Beispiel

Eine Mischung mit dem Molenbruch xA = 04 wird von T2 nach T1 abgekuumlhltDabei zerfaumlllt die Mischung bei Tklsquo in zwei Phasen derenZusammensetzung bei T1auf der x-Achse an den Punkten 1 und 2 ablesbar ist

T2

Tklsquo

1 2

kritischer Punkt

s1 s2

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0 xA 1

Tem

pera

tur

System mit oberem kritischen Punkt

kritischer Punkt

0 xA 1Te

mpe

ratu

r

System mit unterem kritischen Punkt

kritischer Punkt

0 xA 1

Tem

pera

tur

System mit oberem und unterem

kritischen Punkt

kritischer Punkt

kritische Punkte

Abb 33 Moumlgliche Varianten von kritischen Punkten bei Systemen aus zwei Komponenten

Obere kritische Punkte findet man dann wenn sich die molekulare thermische Bewegung gegen die Tendenz der Molekuumlle sich mit gleichartigen Molekuumllen zusammenzulagern durchsetzt Dieses Phaumlnomen ist sehr verbreitet so dass ein oberer kritischer Punkt bei sehr vielen Mischphasen beobachtet wird Untere kritische Punkte sind sehr viel seltener Sie treten beispielsweise dann auf wenn die beiden Komponenten miteinander bei tiefen Temperaturen einen Komplex bilden der bei houmlheren Temperaturen wieder zerfaumlllt und dann zu einer Phasenseparation fuumlhrt Ein Beispiel dafuumlr ist die Mischung aus Wasser und Triethylamin

Fuumlr Mischphasen aus drei Komponenten so genannte ternaumlre Mischungen sind die bisher gezeigten Darstellungen ungeeignet Hierfuumlr haben sich Dreiecksdiagramme (Gibbssches Phasendreieck) durchgesetzt die das Phasenverhalten unter Variation der Mengenbeitraumlge aller drei Komponenten aufzeigen (Abb 34) Das Diagramm ist so geartet dass die Summe aller drei Mengenanteile xA xB und xC in jedem Fall den Wert 1 ergibt Damit besitzt die Zusammensetzung des ternaumlren Gemisches zwei Freiheitsgrade Jede Linie die durch eine Ecke des Diagramms fuumlhrt verbindet diejenigen Punkte bei denen das Verhaumlltnis zweier Komponenten gleich ist Jede Linie die parallel zu einer der drei Seiten verlaumluft entspricht Gemischen bei denen der relative Anteil einer Komponente gleich bleibt

00 02 04 06 08 10Komponente A

00

02

04

06

08

10

Kom

pone

nte

B

0002

04

06

08

10

Komponente C

C

A

B

00 02 04 06 08 10Komponente A

00

02

04

06

08

10

Kom

pone

nte

B

00

02

04

06

08

10

Komponente C

x1

x2x

Abb 34 Prinzip eines ternaumlren Phasendiagramms nach Gibbs (Dreiecksdiagramm)

In solche ternaumlren Mischphasendiagramme lassen sich nun entsprechend den binaumlren Mischphasendiagrammen die Ein- und Zweiphasengebiete einzeichnen Das Diagramm in

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Abb 34 rechts gilt zB fuumlr eine ternaumlre Mischung aus A B und C bei der die Komponenten A und B sowie B und C jeweils paarweise in jedem Verhaumlltnis miteinander mischbar sind Die Komponenten A und C sollen dagegen nur begrenzt mischbar sein Als Konsequenz daraus ergibt sich ein Dreiecksdiagramm das an der unteren Achse die dem Anteil 0 der Komponente B entspricht ein Zweiphasengebiet aufweist

Die Hilfslinien im Zweiphasengebiet markieren die Zusammensetzung der entstehenden Einzelphasen So wuumlrde beispielsweise eine Mischung deren Zusammensetzung im Diagramm durch den Punkt x markiert ist in die beiden Phasen x1 und x2 zerfallen Die Mengenanteile der beiden Phasen koumlnnten dabei wieder uumlber das Hebelgesetz berechnet werden Um zusaumltzlich den Einfluss der Temperatur wiederzugeben muss eine weitere Koordinate eingefuumlhrt werden Man erhaumllt dabei ein dreidimensionales Dreiecksdiagramm das haumlufig unter Verwendung von Houmlhenlinien nach der Art einer topographischen Landkarte dargestellt wird Jede Houmlhenlinie des Zweiphasengebiets umschreibt dann seine Ausdehnung bei einer gegebenen Temperatur

Fragt man bei einem System mit bestehenden Randbedingungen nach der Zahl der frei variierbaren Zustandsgroumlszligen also nach der Zahl der Freiheitsgrade so haumlngt die Antwort zunaumlchst davon ab in welchem Phasenzustand sich das System befindet So kann man beispielsweise in der Gasphase (bei festgelegter Stoffmenge) Temperatur und Druck frei waumlhlen wodurch dann automatisch das Volumen festgelegt wird Gleiches gilt fuumlr die feste und die fluumlssige Phase Das System hat innerhalb eines Phasenzustands also zwei Freiheits-grade Setzt man allerdings voraus dass sich das System in einem Gleichgewicht zwischen zwei Phasen befindet (zB auf der Verdampfungslinie) so besitzt es nur einen Freiheitsgrad Am Tripelpunkt schlieszliglich bei einem Gleichgewicht zwischen drei Phasen sind keine Freiheitsgrade mehr vorhanden Zwischen der Zahl der Phasen P und der Zahl der Freiheitsgrade F gibt es also folgende einfache Beziehung

F = 3 - P

Beruumlcksichtigt man weiter dass auch mehr als eine Komponente auftreten kann (Zahl der Komponenten C gt 1) so erhoumlht sich die Zahl der Freiheitsgrade um jede zusaumltzliche Komponente deren Konzentration ja frei waumlhlbar ist um den Wert eins Man erhaumllt damit

F = 3 - P + (C - 1) oder F = C - P + 2

Nach dieser allgemeinguumlltigen Formel der so genannten Gibbsrsquoschen Phasenregel laumlsst sich die Zahl der Freiheitsgrade in jedem beliebigen System bestimmen Sie erlaubt insbesondere bei sehr komplizierten Mischungen mit einer unbekannten Anzahl an Phasenzustaumlnden uumlber eine einfache Betrachtung Ruumlckschluumlsse auf deren Phasenverhalten

Page 32: Vorlesung PC I Einführung in die Physikalische Chemierelaxation.chemie.uni-duisburg-essen.de/lehre/Skript_PC_2016_2017.pdf · Schwingungen möglich, deren Geometrie (d.h. die Zahl

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Volumen zu erhalten muss das n-fache Covolumen vom gegebenen Volumen abgezogen werden Damit wird aus der idealen Gasgleichung P V = n R T die erste korrigierte Version P (V - n b) = n R T Im zweiten Schritt soll nun uumlber das kinetische Gasmodell hinausgehend auch die anziehen-de Wechselwirkung zwischen den Teilchen beruumlcksichtigt werden Die Anziehung zwischen den Teilchen sorgt nach van der Waals fuumlr einen zusaumltzlichen nach auszligen nicht messbaren bdquoBinnendruckldquo Dieser Binnendruck ist proportional zum Quadrat der Teilchendichte (nV)sup2 Der zwischen den Teilchen tatsaumlchlich wirkende nach auszligen ebenfalls unmessbare Gesamt-druck ist dann gegeben als

Pgesamt (unmessbar) = P (messbar) + a (nV)sup2

mit einer fuumlr die anziehende Wechselwirkung charakteristischen Konstante a Die danach korrigierte Version der Gasgleichung die van-der-Waals-Gleichung fuumlr reale Gase lautet

[P + a (nV)sup2] (V - nb) = n R T

Die Konstanten b und a besitzen fuumlr jedes reale Gas charakteristische Werte die dessen Eigenvolumen (die Groumlszlige der Elektronenhuumllle) und die Staumlrke der intermolekularen Wechsel-wirkungen reflektieren Beispiele

Gas a b

Argon 01345 Pa m6Molsup2 32210-5 msup3Mol Kohlendioxid 03592 Pa m6Molsup2 426710-5 msup3Mol Helium 00034 Pa m6Molsup2 23710-5 msup3Mol Stickstoff 01390 Pa m6Molsup2 391310-5 msup3Mol Wasser 05573 Pa m6Molsup2 31010-5 msup3Mol

Der Parameter b spiegelt mit der Einheit msup3Mol weitgehend die Groumlszlige der einzelnen Teilchen (Atome oder Molekuumlle) wider So besitzt erwartungsgemaumlszlig Kohlendioxid oder Argon einen groumlszligeren Wert fuumlr b als beispielsweise Helium Allerdings sind die Unterschiede erstaunlich klein was auf die Tatsache zuruumlckzufuumlhren ist dass sich das Covolumen auf Teilchenpaare bezieht und ein Paar aus Kohlendioxidmolekuumllen gegenuumlber einem Paar aus Heliumatomen nur etwa das doppelte Volumen benoumltigt

Der Parameter a mit der Einheit Pascal mal Molvolumen zum Quadrat reflektiert die Staumlrke der Wechselwirkungen zwischen den Teilchen Diese Wechselwirkungen beruhen zum groszligen Teil auf den elektrischen Eigenschaften der Teilchen Diese wiederum sind mit der elektronischen Struktur der Atome beziehungsweise der chemischen Bindungen verknuumlpft Am wichtigsten ist dabei das in Kapitel 19 erwaumlhnte Dipolmoment Polare Bindungen koumlnnen zu Teilchen mit permanenten Dipolen fuumlhren (zB HF Wasser Ammoniak CO) Andere Molekuumlle oder Atome sind zwar unpolar koumlnnen aber spontan oder durch aumluszligere

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elektrische Felder polarisiert werden (zB He Ar molekularer Wasserstoff molekulares Chlor) Man spricht dann von polarisierbaren Teilchen mit einem spontanen Dipolmoment oder mit einem durch ein aumluszligeres Feld bewirkten induzierten Dipolmoment In all diesen Faumlllen sind anziehende Wechselwirkungen zwischen den Teilchen moumlglich die in dem Parameter a zusammengefasst werden Daruumlber hinaus koumlnnen sich auch voruumlbergehende chemische Bindungen ausbilden Das prominenteste Beispiel fuumlr diesen Fall ist die bekannte Wasserstoffbruumlckenbindung die bei polaren X-H-Bindungen auftreten kann Im Einzelnen werden demnach folgende Arten von Wechselwirkungen mit absteigender Intensitaumlt unter-schieden

a) Wasserstoffbruumlckenbindung X-H hellip Y Hierbei bildet sich voruumlbergehend eine chemische Bindung zwischen dem polar gebundenen Wasserstoff und einem elektronegativen und mit einem freien Elektronenpaar ausgestatteten Element Y

b) Wechselwirkungen zwischen permanenten Dipolen hier besitzen alle Teilchen ein permanentes Dipolmoment Zwischen den entgegengesetzt geladenen Enden der Teilchen bauen sich dann konstant anziehende elektrostatische Wechselwir-kungen auf

c) Wechselwirkungen zwischen permanenten und induzierten Dipolen die Teil-chen mit permanentem Dipolmoment induzieren ein voruumlbergehendes Dipol-moment bei den benachbarten (zunaumlchst unpolaren) Teilchen In der Folge ergibt sich eine anziehende elektrostatische Wechselwirkung

d) Wechselwirkungen zwischen induzierten Dipolen durch spontane Polarisierung eines Teilchens entsteht ein voruumlbergehendes Dipolmoment welches bei einem benachbarten Teilchen eine Polarisierung hervorruft In der Folge ergibt sich eine kurzfristige und sehr schwache elektrostatische Anziehung zwischen den Teilchen Man spricht dabei auch von der Dispersionswechselwirkung oder der Londonschen Wechselwirkung

Alle diese Effekte sind anziehender Natur und gehen damit in den Parameter a ein Fasst man die beiden Parameter a und b zusammen so entsteht mit der van-der-Waals-Gleichung eine recht zuverlaumlssige Zustandsgleichung fuumlr reale Systeme die sowohl die abstoszligenden als auch die anziehenden Wechselwirkungen beruumlcksichtigt

Ein guter Test fuumlr diese reale Zustandsgleichung ist die Berechnung eines Diagramms von P gegen V fuumlr verschiedene Temperaturen das so genannte P-V-Diagramm und die Gegen-uumlberstellung mit dem entsprechenden experimentellen P-V-Diagramm eines realen Gases Gemaumlszlig der van-der-Waalsrsquoschen Gleichung existieren abhaumlngig von der betrachteten Tempe-ratur drei Typen von Isothermen (Abb 23 links) solche die einer Hyperbel aumlhneln (1) eine einzelne Isotherme die einen Wendepunkt mit waagrechter Tangente besitzt (2) und solche die ein Minimum ein Maximum und einen Wendepunkt aufweisen (3) Das experimentell beobachtete Verhalten stimmt in den ersten beiden Faumlllen recht gut uumlberein weicht aber bei Isothermen des dritten Typs deutlich vom berechneten Verlauf ab (Abb 23 rechts)

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P

V

PV-Diagramm nachvan-der-Waals-Gleichung

1 2

3

P

V

3

experimentell bestimmtesPV-Diagramm f reales Gas

Abb 23 PV-Diagramme fuumlr reale Gase berechnet nach van der Waals (links) und experimentell bestimmt (rechts) Die drei typischen Formen der Isothermen (1 2 und 3) sind im Text beschrieben

Offensichtlich beschreibt die van-der-Waals-Gleichung das Verhalten eines realen Gases in der Umgebung des Wendepunkts weniger gut Experimentell stellt man allerdings fest dass in diesem Bereich tatsaumlchlich auch kein reines Gas sondern vielmehr eine Mischung aus einem Gas und einer kondensierten Fluumlssigkeit also ein Zweiphasenzustand vorliegt Dieser Zwei-phasenbereich beginnt am Wendepunkt der Isothermen des Typs 2 und schlieszligt alle Minima Maxima und Wendepunkte der Isothermen des Typs 3 ein (Abb 24 links)

P

V

Zweiphasen-gebiet

P

V

Zweiphasen-gebiet

Maxwell-Maxwell-KorrekturKorrektur

Zweiphasen-Gebiet

Zweiphasen-Gebiet

A1

A2

Abb 24 PV-Diagramme fuumlr reale Gase mit eingezeichnetem Zweiphasengebiet Der in diesem Bereich bei der Beschreibung nach van der Waals gegebene Fehler kann in guter Naumlherung durch die Maxwell-Korrektur kompensiert werden

Eine einfache Korrektur der van-der-Waals-Gleichung ermoumlglicht eine realistische Beschrei-bung des Zweiphasengebiets Eine horizontale Gerade wird so in der Naumlhe des Wendepunktes gelegt dass die oberhalb und unterhalb der Geraden im Zweiphasenbereich gebildeten Teilflaumlchen A1 und A2 die gleiche Groumlszlige besitzen (sog Maxwell-Korrektur s Abbildung 24 rechts) Dies sieht zwar nach einer etwas willkuumlrlichen Hilfskonstruktion aus trotzdem laumlsst sich damit das Verhalten eines realen Gases im Zweiphasengebiet sehr gut nachvollziehen und vorhersagen Eine besonders ausgewiesene Position im PV-Diagramm eines realen Gases ist der Scheitel-punkt des Zweiphasengebiets der durch den Wendepunkt der Isotherme des Typs 2 gebildet wird (Abb 25)

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P

V

Zweiphasen-gebiet Tc

Pc

Vc

kritischer Punkt

Jedes reale Gas besitzt einen sogenannten kritischenPunkt der durch die kritischen Zustandsgroumlszligen Tc Pc undVc beschrieben wird Die kritische Temperatur Tc istdiejenige Temperatur bei der sich ein Gas unter Druckgerade noch verfluumlssigen laumlszligt Oberhalb der kritischenTemperatur existiert kein fluumlssiger Zustand Derentsprechende Druck Pc wird als kritischer Druckbezeichnet

Die Isotherme die der kritischen Temperatur zugeordnetist besitzt als einzige einen Wendepunkt mit horizontalerTangente der gleichzeitig den kritischen Punkt markiert

Abb 25 PV-Diagramm fuumlr ein reales Gas mit kritischem Punkt

Dieser sogenannte kritische Punkt wird durch die kritische Temperatur Tc den kritischen Druck Pc und das kritische Molvolumen Vc festgelegt Zustaumlnde oberhalb des kritischen Punkts nennt man uumlberkritisch Uumlberkritisches Kohlendioxid besitzt in der Technik groszlige Bedeutung fuumlr das Loumlsen und Ausfaumlllen von pharmazeutischen Wirkstoffen (zB Aspirin fuumlr Brausetabletten) fuumlr die Extraktion (zB bei der Entkoffeinierung von Kaffee) oder zur chemischen Reinigung von Textilien

35 Andere Zustandsgleichungen fuumlr reale Gase

Neben der van-der-Waals-Gleichung existieren weitere Ansaumltze zur Beschreibung realer Gase die zwar eine genauere Anpassung an die gemessenen Werte ermoumlglichen aber auch kompli-zierter sind oder mehr Arbeit bei der Bestimmung der charakteristischen Parameter erfordern Im Folgenden seien als Beispiele die Berthelot-Gleichung und die Virialgleichung erwaumlhnt

a Berthelot-Gleichung (P + (Ansup2)(TVsup2) ) (V - nB) = n R T Berthelot fuumlhrte damit als Besonderheit einen temperaturabhaumlngigen Binnendruck ein Dies ist insoweit physikalisch gerechtfertigt als die vermehrte thermische Bewegung der Ausbildung von Wechselwirkungen zwischen den Molekuumllen entgegenwirken kann

b Virialgleichung P Vm = A + B P + C Psup2 + D Psup3 + Mit Vm = Vn Die Virialgleichung nutzt die Tatsache dass sich fast alle physikalischen Zusammenhaumlnge uumlber einen Potenzreihenansatz a + bx + cxsup2 + dxsup3 + hellip beliebig genau annaumlhern lassen Je nach Anzahl der anpassbaren Parameter ist zwar eine beliebig genaue Beschreibung des realen Gases moumlglich allerdings steigt auch der Aufwand fuumlr die Bestim-mung aller Koeffizienten

36 Beschreibung von Fluumlssigkeiten

Im PV-Diagramm der realen Gase schlieszligt sich links vom Zweiphasengebiet der Bereich der fluumlssigen Phase an Sie zeichnet sich dadurch aus dass mit sinkendem Volumen der Druck ex-trem steil ansteigt Das bedeutet dass bereits eine geringfuumlgige Volumenabnahme mit einem aumluszligerst groszligen Druckanstieg verbunden ist In der Praxis hat das zur Folge dass Fluumlssigkeiten im Gegensatz zu Gasen kaum komprimierbar sind ihre Kompressibilitaumlt geht gegen Null Auch ist die Ausdehnung der Fluumlssigkeiten bei steigender Temperatur und bei konstantem

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36

Druck (der thermische Ausdehnungskoeffizient) sehr viel kleiner als bei Gasen Eine einfache allgemeine Zustandsgleichung fuumlr die fluumlssige Phase in Analogie zur idealen oder zur van-der-Waals-Gleichung existiert nicht Stattdessen findet man bei der experimentellen Bestimmung des Zusammenhangs zwischen P V und T fuumlr jede Fluumlssigkeit ein sehr charakteristisches Verhalten Vergleicht man die Messergebnisse verschiedener Fluumlssigkeiten untereinander so sind kaum Aumlhnlichkeiten auszumachen Daruumlber hinaus sind bestimmte Messungen (zB die Messung der Abhaumlngigkeit des Drucks vom Volumen bei konstanter Teilchenzahl und Temperatur) technisch sehr schwer zu realisieren Das Fehlen einer einheitlichen Zustandsgleichung V(TPn) fuumlr Fluumlssigkeiten liegt auch in deren komplexer Struktur begruumlndet Betrachtet man ein einzelnes Teilchen in der Fluumlssigkeit so liegt es bezuumlglich der Abstaumlnde zu seinen naumlchsten Nachbarn stets in der Naumlhe des Mini-mums einer Potentialkurve Epot(r) die einen sehr steilen Verlauf besitzt Die Abstaumlnde zu den benachbarten Teilchen sind damit nahezu fixiert folglich ist eine unabhaumlngige Translations-bewegung einzelner Teilchen praktisch unmoumlglich Stattdessen verlaufen alle Bewegungs-prozesse mehr oder weniger kollektiv also unter gleichzeitiger Verschiebung mehrerer Teilchen Daruumlber hinaus gibt es keine nennenswerten freien Volumina so dass der mittlere Abstand der Teilchen nur unwesentlich verringert werden kann ein Umstand der sich in der bereits erwaumlhnten geringen Kompressibilitaumlt aumluszligert Ein Modell fuumlr eine allgemeine Fluumlssigkeit laumlsst sich im Rahmen einer Computersimulation einfuumlhren Man betrachtet dabei einen wuumlrfelfoumlrmigen Raum der einen Ausschnitt aus dem Fluumlssigkeitsvolumen darstellen soll und eine endliche Anzahl n von Fluumlssigkeitsteilchen (zB n = 1000) enthaumllt Um die Zahl der Teilchen konstant zu halten und dabei trotzdem deren Beweglichkeit zu wahren wird eine Kontinuitaumltsbedingung eingefuumlhrt Jedes Teilchen das im Rahmen der Bewegungsprozesse den Wuumlrfel an einer gegebenen Stelle verlaumlsst tritt automatisch an der genau gegenuumlberliegenden Position des Wuumlrfels wieder ein Auf diese Weise ist gewaumlhrleistet dass die Zahl der Teilchen im Wuumlrfel konstant bleibt (Abb 26)

Abb 26 Simulation von Bewegungs-vorgaumlngen in einem Fluumlssigkeitsvolumen unter Wahrung einer konstanten Partikel-anzahl Jedes Teilchen das im Rahmen der Bewegungsprozesse den Wuumlrfel an einer gegebenen Stelle verlaumlsst tritt automatisch an der genau gegenuumlberliegenden Position des Wuumlrfels wieder ein

An diesem System fuumlhrt man nun eine so genannte Monte-Carlo-Simulation durch Dabei setzt ein Zufallsgenerator eine geringfuumlgige Verschiebung eines beliebigen einzelnen Teil-chens in Gang Anschlieszligend wird unter Verwendung des bekannten Potentialverlaufs Epot(r) berechnet wie sich nach der Verschiebung die potentielle Energie des Systems veraumlndert hat Danach entscheidet das Simulationsprogramm zwischen zwei Moumlglichkeiten

- Hat sich die gesamte potentielle Energie des Systems durch die Verschiebung verringert oder blieb sie konstant so wird die Verschiebung akzeptiert und der naumlchste Schritt berechnet - Hat sich die gesamte potentielle Energie durch die Verschiebung um den positiven Wert E erhoumlht so wird die Verschiebung mit einer Wahrscheinlichkeit die von E abhaumlngt akzeptiert und ansonsten verworfen Danach wird der naumlchste Schritt berechnet

Auf diese Weise kann man fuumlr beliebige Fluumlssigkeiten sowohl die typischen Bewegungs-prozesse als auch die einflussbedingten Veraumlnderung von Zustandsgroumlszligen (zB P in Ab-

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37

haumlngigkeit von V) berechnen Allerdings sind die Rechnungen bei den fuumlr eine realistische Beschreibung eines Fluumlssigkeitsvolumens notwendigen groszligen Teilchenzahlen sehr aufwaumlndig und zeitintensiv

37 Beschreibung von Festkoumlrpern

Begibt man sich im P-V-Diagramm vom fluumlssigen Zustand ausgehend noch weiter nach links (zu kleineren Volumina houmlheren Drucken und niedrigeren Temperaturen) so erreicht man den festen Zustand Die Problematik der Zustandsgleichung V(TPn) von Festkoumlrpern aumlhnelt jener der Fluumlssigkeiten Auch hier sind die Kompressibilitaumlten und die thermischen Aus-dehnungskoeffizienten uumlblicherweise sehr viel geringer als bei Gasen Ebenso wie bei Fluumls-sigkeiten sind dabei die Unterschiede zwischen einzelnen Vertretern der Festkoumlrper recht groszlig so dass keine gemeinsame Zustandsgleichung wie bei Gasen formuliert werden kann Im Vergleich mit den Werten der Fluumlssigkeiten sind die Kompressibilitaumlten und die thermischen Ausdehnungskoeffizienten der Festkoumlrper durchschnittlich nochmals um etwa zwei Groumlszligen-ordnungen geringer

Abb 27 Torsionsexperiment zur Unterscheidung zwischen Fluumlssigkeiten und Festkoumlrpern (s Text)

Der wesentliche Unterschied zwischen Festkoumlrpern und Fluumlssigkeiten besteht allerdings in ihrem gegensaumltzlichen Verhalten bezuumlglich Verformung waumlhrend Fluumlssigkeiten einer gege-benen Verformung durch ihre Zaumlhigkeit (Viskositaumlt) Widerstand leisten reagiert ein Fest-koumlrper auf eine Verformung durch eine elastische Deformation Dieses Verhalten wird in einem Torsionsrheometer deutlich wobei eine feste oder fluumlssige Probe periodisch mit einer torsionsartigen Verformung beaufschlagt wird (Abb 27) Waumlhrend der Drehmomentverlauf des Festkoumlrpers exakt gleichphasig zur periodischen Aus-lenkung erfolgt (elastische Verformung) ist der Drehmomentverlauf der Fluumlssigkeit dazu um ein Viertel einer Wellenlaumlnge phasenverschoben (viskose Reaktion) Bei Fluumlssigkeiten ist der Widerstand dann maximal wenn die Deformationsgeschwindigkeit maximal ist (blaue Linie

t

Dre

hmom

entv

erla

uf

tAusl

enku

ng

Festkoumlrper

t

Dre

hmom

entv

erla

uf

Fluumlssigkeiten

Pruumlfkoumlrper

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in Abb 26) Bei Festkoumlrpern ist die Kraft dann maximal wenn der Deformationszustandmaximal ist (rote Linie in Abb 27) Viele Festkoumlrper stellen Uumlbergaumlnge zwischen diesen beiden Extremfaumlllen dar und werden dann als viskoelastisch bezeichnet Aus der Betrachtung von Messergebnissen an einer Viel-zahl von Materialien geht hervor dass eine eindeutige Abgrenzung zwischen dem fluumlssigen und dem festen Zustand selten moumlglich ist Entsprechend gibt es auch unterschiedliche Strukturmodelle die teilweise das elastische Verhalten teilweise das plastische Verhalten von Festkoumlrpern erklaumlren Dem elastischen Festkoumlrper mit nahezu verschwindender Phasen-verschiebung wird am ehesten das Modell eines idealen Kristalls gerecht Man geht dabei davon aus dass jedes Atom bzw Molekuumll aus dem der Festkoumlrper zusammengesetzt ist sich an einem geometrisch festgelegten Gitterpunkt befindet von dem es sich nicht entfernen kann Als Bewegungsprozess ist dabei lediglich eine Schwingung mit begrenzter Amplitude moumlglich Die denkbaren Geometrien der Gitterstrukturen reichen von primitiv-kubischen Gittern (zB Natriumchlorid) uumlber kubisch-dichteste (zB Silber Kupfer) und hexagonal-dichteste Kugelpackungen (zB Magnesium Zink) bis zur kubisch-raumzentrierten Struktur (zB Eisen Molybdaumln) Haumlufig findet man leichte Abweichungen von der idealen Gitter-struktur die durch lokale Stoumlrungen hervorgerufen werden Akzeptiert man gewisse Anteile an viskosem Verhalten (dh eine leichte Phasenverschiebung) so begibt man sich in den Grenzbereich zwischen Festkoumlrpern und Fluumlssigkeiten In einem Material wie Glas ist die regelmaumlszligige Anordnung eines Gitters nicht gegeben die Atome sind unregelmaumlszligig positioniert und koumlnnen unter Belastung auch flieszligen Solche nicht-kristallinen Festkoumlrper bezeichnet man als amorph Typische Vertreter amorpher Feststoffe sind Fenster-glas viele transparente Kunststoffe (zB Plexiglas Polyester in Getraumlnkeflaschen) Wachs und Aumlhnliches Amorphe Festkoumlrper besitzen keinen Schmelzpunkt sondern erweichen bei steigender Temperatur allmaumlhlich Amorphe Festkoumlrper koumlnnen nachtraumlglich kristallisieren wobei sich haumlufig das aumluszligere Erscheinungsbild und die physikalischen Eigenschaften drastisch aumlndern (zB Plastikfolie unter Zug)

38 Das Phasendiagramm

Die drei wichtigsten Phasenzustaumlnde zu denen sich eine makroskopische Gesamtheit von Atomen oder Molekuumllen zusammenfinden koumlnnen sind also Gase Fluumlssigkeiten und Festkoumlrper Die Frage ist nun unter welchen Bedingungen sich ein System fuumlr den ersten den zweiten oder den dritten Zustand entscheidet Erfahrungsgemaumlszlig haumlngt der gegebene Phasenzustand von den in Kapitel 31 eingefuumlhrten Zustandsparametern n V P und T ab Legt man die Stoffmenge n auf einen Wert fest (zB auf ein Mol Teilchen) und beruumlcksichtigt man dass nach den gegebenen Zustandsgleichungen die Groumlszligen n V P und T miteinander verknuumlpft sind so genuumlgen zwei Parameter um den jeweils guumlnstigsten Phasenzustand eindeutig festzulegen Ein Diagramm bei dem einer der Parameter V P und T gegen einen anderen aufgetragen wird eignet sich also prinzipiell um bei einer gegebenen Teilchenart den unter diesen Bedingungen jeweils angestrebten Phasenzustand zu markieren So kann man gemaumlszlig den Abbildungen 23 bis 25 in einem Diagramm bei dem P gegen V aufgetragen wird schon den jeweils gegebenen Phasenzustand eintragen und ablesen In der Praxis eignen sich solche PV-Diagramme allerdings wenig um Phasenzustaumlnde zu markieren der gasfoumlrmige Zustand nimmt einen sehr breiten Raum ein waumlhrend der fluumlssige und der feste Zustand in dem sehr engen Bereich links neben dem Zweiphasengebiet bdquoeingequetschtldquo waumlre Vor allem in diesem Umfeld waumlre das Diagramm schwer ablesbar

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Wesentlich guumlnstiger ist dagegen die Auftragung vom Druck P gegen die Temperatur T In diesem PT-Diagramm das auch als Phasendiagramm bezeichnet wird lassen sich alle Phasenzustaumlnde uumlbersichtlich zuordnen Dabei bezeichnen Flaumlchenanteile im PT-Diagramm die unter den gegebenen Druck- und Temperaturbedingungen angestrebte Phase (zB fest fluumlssig gasfoumlrmig) waumlhrend Linien die dazwischen vorliegenden Gleichgewichte markieren und Phasengrenzlinien genannt werden (Abb 28)

T

Pfe

st

fluumlss

ig

gasfouml

rmig

kritischerPunkt

Tripel-punkt

Phasengrenzlinie

Abb 28 Phasendiagramm mit Auftragung des Drucks (P) gegen die Temperatur (T)

Auszligerdem enthaumllt ein Phasendiagramm gewoumlhnlich mindestens zwei besonders ausgezeich-nete Punkte den Tripelpunkt an dem die drei im Allgemeinen wichtigsten Phasenzustaumlnde fest fluumlssig und gasfoumlrmig miteinander im Gleichgewicht stehen und den bereits aus dem PV-Diagramm bekannten kritischen Punkt der das Ende eines definierten Uumlbergangs zwischen fluumlssiger und gasfoumlrmiger Phase markiert Beispiele fuumlr Phasendiagramme Kohlen-dioxid und Wasser sind in Abbildung 29 und 30 wiedergegeben

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T

P

fest

fluumlss

iggasfoumlrmig

kritischerPunkt

Tripel-punkt

2168 K

511 bar

CO2

3042 K

728 bar

Abb 29 Phasendiagramm fuumlr Kohlendioxid

T

P

fluumlss

ig

gasfoumlrmig

kritischerPunkt

H2O

Eis 1

Eis 1

Eis 2 Eis 3

Eis 5

Eis 6

Tripelpunkt6473 K

218 bar

6 mbar 27316 K

Abb 30 Phasendiagramm fuumlr Wasser Der Bereich oberhalb von 200 bar ist aus Gruumlnden der

Uumlbersichtlichkeit entlang der P-Achse komprimiert dargestellt

Eine wichtige Besonderheit des Phasenverhaltens von Wasser ist die Tatsache dass die Phasengrenzlinie zwischen fluumlssigem Wasser und Eis 1 eine negative Steigung aufweist Dies hat zur Folge dass gewoumlhnliches Eis durch Erhoumlhung des Drucks zum Schmelzen gebracht werden kann Dieser Umstand ist eine der Ursachen dafuumlr dass eine Kufe auf Eis gleitet da der durch das Schmelzen entstehende Wasserfilm die Reibung vermindert (allerdings spielt hier auch die Reibungswaumlrme eine Rolle) Der Grund fuumlr dieses Verhalten steht in direkter Verbindung mit der strukturbedingten Volumenabnahme beim Schmelzen von Eis (s Videos unter httpwwwyoutubecomwatchv=6s0b_keOiOU und httpswwwyoutubecomwatchv=CDTZoFGmZoc )

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Waumlhlt man in einem Phasendiagramm eine Kombination von Druck und Temperatur so kann man direkt denjenigen Phasenzustand ablesen den die gegebene Teilchenart unter diesen Bedingungen anstrebt Das heiszligt jedoch nicht dass dieser Zustand dann auch in jedem Fall und zu jeder Zeit vorliegt Haumlufig beobachtet man eine so genannte kinetische Hemmung einer Phasenumwandlung So gibt es unterkuumlhlte Fluumlssigkeiten (zB Regentropfen bei -3degC) genauso wie unterkuumlhlte Dampfphasen (zB uumlbersaumlttigten Wasserdampf in Gewitterwolken) oder uumlberhitzte Fluumlssigkeiten (zB uumlberhitztes Wasser bei einem Siedeverzug) Kristalli-sationskeime wie Staubkoumlrner koumlnnen Phasenumwandlungen beschleunigen (zB durch Staub verursachter bdquoIndustrieschneeldquo) Bisher wurden lediglich Phasendiagramme von reinen Stoffen betrachtet die nur aus einer einzelnen Sorte Atomen oder Molekuumllen bestehen Mischt man einem gegebenen Stoff eine weitere Komponente hinzu so aumlndert sich das Phasendiagramm erheblich Als Beispiel betrachten wir ein System in dessen fluumlssiger Phase ein Fremdstoff A geloumlst wird der weder im Festkoumlrper noch im der Gasphase loumlslich ist (zB Kochsalz in Wasser) In diesem Fall dehnt sich der fluumlssige Bereich des Phasendiagramms mit steigender Konzentration von A in alle Richtungen aus so dass gleichzeitig der Schmelzpunkt erniedrigt der Siedepunkt erhoumlht und der Dampfdruck verringert wird (Abb 31) In erster Naumlherung sind alle genannten Aumlnderungen proportional zu cA

T

P

fest

fluumlss

ig

gasfouml

rmig

Abb 31 Phasendiagramm fuumlr ein System in dessen fluumlssiger Phase ein Fremdstoff mit steigender

Konzentration cA geloumlst wird Der Bereich der fluumlssigen Phase dehnt sich daraufhin in alle

Richtungen aus

Bei weiter steigender Konzentration von A kann ein Punkt erreicht werden an dem die Mischung in zwei getrennte Bereiche zerfaumlllt die ebenfalls als Phasen bezeichnet werden (zB Olivenoumll und Wasser) Eine dieser Phasen besitzt dann einen hohen Loumlsemittelanteil bei geringer Konzentration von A die andere besteht aus einem hohen Anteil an A mit einem geringen Gehalt an Loumlsemittel Dieser Vorgang der Phasenseparation binaumlrer (aus zwei Komponenten bestehender) Systeme wird durch eine andere Art von Phasendiagramm beschrieben dem so genannten Mischphasendiagramm (Abb 32) Hierbei wird die Tempe-

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ratur dem relativen Anteil einer Komponente gegenuumlbergestellt der Druck wird als konstant angenommen

Abb 32 Allgemeine Darstellung eines Mischphasendiagramms

Grundsaumltzlich gibt die linke Flanke der Phasentrennlinie (links des kritischen Punkts) die Zusammensetzung der bdquoA-armenldquo Phase an waumlhrend die rechte Flanke (rechts des kritischen Punkts) die Zusammensetzung der A-reichen Phase beschreibt Die Mengen der dabei gebildeten Phasen koumlnnen nach dem so genannten Hebelgesetz berechnet werden Demnach gilt zwischen dem Anteil n1 der A-armen Phase 1 dem Anteil n2 der A-reichen Phase 2 und den Laumlngen der Pfeile s1 und s2 in der vorhergehenden Abbildung folgender Zusammenhang

n1 s1 = n2 s2

Fuumlr das gezeigte Beispiel wuumlrde das bedeuten dass der Anteil der Phase 1 etwa doppelt so groszlig waumlre wie der Anteil der Phase 2 In der Naumlhe der beiden Raumlnder des Diagramms also fuumlr xA 0 (sehr wenig A im Loumlsemittel) oder xA 1 (sehr wenig Loumlsemittel in A) liegen in den meisten Faumlllen einphasige homogene Mischungen vor Das besagt dass auch bei niedrigen Temperaturen ein wenig von dem Stoff A im Loumlsemittel bzw ein wenig Loumlsemittel im Stoff A loumlslich ist Der im Diagramm eingezeichnete kritische Punkt bedeutet dass oberhalb der dazugehoumlrigen kritischen Temperatur keine Entmischung mehr erfolgt dh hier sind die beiden Komponenten vollstaumlndig und in jedem Verhaumlltnis miteinander mischbar Neben solchen oberen kritischen Punkten gibt es auch untere kritische Punkte Im zweiten Fall gilt dass die beiden Komponenten unterhalb einer bestimmten Temperatur in jedem Verhaumlltnis miteinander mischbar sind Im Allgemeinen koumlnnen die drei verschiedenen Faumllle auftreten die in Abbildung 33 dargestellt sind

0 Molenbruch xA der Komponente A 1

Tem

pera

tur

obere kritischeTemperatur

Einphasen-gebiet

Zweiphasen-gebiet

Beispiel xA = 04

T1

Zum gezeigten Beispiel

Eine Mischung mit dem Molenbruch xA = 04 wird von T2 nach T1 abgekuumlhltDabei zerfaumlllt die Mischung bei Tklsquo in zwei Phasen derenZusammensetzung bei T1auf der x-Achse an den Punkten 1 und 2 ablesbar ist

T2

Tklsquo

1 2

kritischer Punkt

s1 s2

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0 xA 1

Tem

pera

tur

System mit oberem kritischen Punkt

kritischer Punkt

0 xA 1Te

mpe

ratu

r

System mit unterem kritischen Punkt

kritischer Punkt

0 xA 1

Tem

pera

tur

System mit oberem und unterem

kritischen Punkt

kritischer Punkt

kritische Punkte

Abb 33 Moumlgliche Varianten von kritischen Punkten bei Systemen aus zwei Komponenten

Obere kritische Punkte findet man dann wenn sich die molekulare thermische Bewegung gegen die Tendenz der Molekuumlle sich mit gleichartigen Molekuumllen zusammenzulagern durchsetzt Dieses Phaumlnomen ist sehr verbreitet so dass ein oberer kritischer Punkt bei sehr vielen Mischphasen beobachtet wird Untere kritische Punkte sind sehr viel seltener Sie treten beispielsweise dann auf wenn die beiden Komponenten miteinander bei tiefen Temperaturen einen Komplex bilden der bei houmlheren Temperaturen wieder zerfaumlllt und dann zu einer Phasenseparation fuumlhrt Ein Beispiel dafuumlr ist die Mischung aus Wasser und Triethylamin

Fuumlr Mischphasen aus drei Komponenten so genannte ternaumlre Mischungen sind die bisher gezeigten Darstellungen ungeeignet Hierfuumlr haben sich Dreiecksdiagramme (Gibbssches Phasendreieck) durchgesetzt die das Phasenverhalten unter Variation der Mengenbeitraumlge aller drei Komponenten aufzeigen (Abb 34) Das Diagramm ist so geartet dass die Summe aller drei Mengenanteile xA xB und xC in jedem Fall den Wert 1 ergibt Damit besitzt die Zusammensetzung des ternaumlren Gemisches zwei Freiheitsgrade Jede Linie die durch eine Ecke des Diagramms fuumlhrt verbindet diejenigen Punkte bei denen das Verhaumlltnis zweier Komponenten gleich ist Jede Linie die parallel zu einer der drei Seiten verlaumluft entspricht Gemischen bei denen der relative Anteil einer Komponente gleich bleibt

00 02 04 06 08 10Komponente A

00

02

04

06

08

10

Kom

pone

nte

B

0002

04

06

08

10

Komponente C

C

A

B

00 02 04 06 08 10Komponente A

00

02

04

06

08

10

Kom

pone

nte

B

00

02

04

06

08

10

Komponente C

x1

x2x

Abb 34 Prinzip eines ternaumlren Phasendiagramms nach Gibbs (Dreiecksdiagramm)

In solche ternaumlren Mischphasendiagramme lassen sich nun entsprechend den binaumlren Mischphasendiagrammen die Ein- und Zweiphasengebiete einzeichnen Das Diagramm in

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Abb 34 rechts gilt zB fuumlr eine ternaumlre Mischung aus A B und C bei der die Komponenten A und B sowie B und C jeweils paarweise in jedem Verhaumlltnis miteinander mischbar sind Die Komponenten A und C sollen dagegen nur begrenzt mischbar sein Als Konsequenz daraus ergibt sich ein Dreiecksdiagramm das an der unteren Achse die dem Anteil 0 der Komponente B entspricht ein Zweiphasengebiet aufweist

Die Hilfslinien im Zweiphasengebiet markieren die Zusammensetzung der entstehenden Einzelphasen So wuumlrde beispielsweise eine Mischung deren Zusammensetzung im Diagramm durch den Punkt x markiert ist in die beiden Phasen x1 und x2 zerfallen Die Mengenanteile der beiden Phasen koumlnnten dabei wieder uumlber das Hebelgesetz berechnet werden Um zusaumltzlich den Einfluss der Temperatur wiederzugeben muss eine weitere Koordinate eingefuumlhrt werden Man erhaumllt dabei ein dreidimensionales Dreiecksdiagramm das haumlufig unter Verwendung von Houmlhenlinien nach der Art einer topographischen Landkarte dargestellt wird Jede Houmlhenlinie des Zweiphasengebiets umschreibt dann seine Ausdehnung bei einer gegebenen Temperatur

Fragt man bei einem System mit bestehenden Randbedingungen nach der Zahl der frei variierbaren Zustandsgroumlszligen also nach der Zahl der Freiheitsgrade so haumlngt die Antwort zunaumlchst davon ab in welchem Phasenzustand sich das System befindet So kann man beispielsweise in der Gasphase (bei festgelegter Stoffmenge) Temperatur und Druck frei waumlhlen wodurch dann automatisch das Volumen festgelegt wird Gleiches gilt fuumlr die feste und die fluumlssige Phase Das System hat innerhalb eines Phasenzustands also zwei Freiheits-grade Setzt man allerdings voraus dass sich das System in einem Gleichgewicht zwischen zwei Phasen befindet (zB auf der Verdampfungslinie) so besitzt es nur einen Freiheitsgrad Am Tripelpunkt schlieszliglich bei einem Gleichgewicht zwischen drei Phasen sind keine Freiheitsgrade mehr vorhanden Zwischen der Zahl der Phasen P und der Zahl der Freiheitsgrade F gibt es also folgende einfache Beziehung

F = 3 - P

Beruumlcksichtigt man weiter dass auch mehr als eine Komponente auftreten kann (Zahl der Komponenten C gt 1) so erhoumlht sich die Zahl der Freiheitsgrade um jede zusaumltzliche Komponente deren Konzentration ja frei waumlhlbar ist um den Wert eins Man erhaumllt damit

F = 3 - P + (C - 1) oder F = C - P + 2

Nach dieser allgemeinguumlltigen Formel der so genannten Gibbsrsquoschen Phasenregel laumlsst sich die Zahl der Freiheitsgrade in jedem beliebigen System bestimmen Sie erlaubt insbesondere bei sehr komplizierten Mischungen mit einer unbekannten Anzahl an Phasenzustaumlnden uumlber eine einfache Betrachtung Ruumlckschluumlsse auf deren Phasenverhalten

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33

elektrische Felder polarisiert werden (zB He Ar molekularer Wasserstoff molekulares Chlor) Man spricht dann von polarisierbaren Teilchen mit einem spontanen Dipolmoment oder mit einem durch ein aumluszligeres Feld bewirkten induzierten Dipolmoment In all diesen Faumlllen sind anziehende Wechselwirkungen zwischen den Teilchen moumlglich die in dem Parameter a zusammengefasst werden Daruumlber hinaus koumlnnen sich auch voruumlbergehende chemische Bindungen ausbilden Das prominenteste Beispiel fuumlr diesen Fall ist die bekannte Wasserstoffbruumlckenbindung die bei polaren X-H-Bindungen auftreten kann Im Einzelnen werden demnach folgende Arten von Wechselwirkungen mit absteigender Intensitaumlt unter-schieden

a) Wasserstoffbruumlckenbindung X-H hellip Y Hierbei bildet sich voruumlbergehend eine chemische Bindung zwischen dem polar gebundenen Wasserstoff und einem elektronegativen und mit einem freien Elektronenpaar ausgestatteten Element Y

b) Wechselwirkungen zwischen permanenten Dipolen hier besitzen alle Teilchen ein permanentes Dipolmoment Zwischen den entgegengesetzt geladenen Enden der Teilchen bauen sich dann konstant anziehende elektrostatische Wechselwir-kungen auf

c) Wechselwirkungen zwischen permanenten und induzierten Dipolen die Teil-chen mit permanentem Dipolmoment induzieren ein voruumlbergehendes Dipol-moment bei den benachbarten (zunaumlchst unpolaren) Teilchen In der Folge ergibt sich eine anziehende elektrostatische Wechselwirkung

d) Wechselwirkungen zwischen induzierten Dipolen durch spontane Polarisierung eines Teilchens entsteht ein voruumlbergehendes Dipolmoment welches bei einem benachbarten Teilchen eine Polarisierung hervorruft In der Folge ergibt sich eine kurzfristige und sehr schwache elektrostatische Anziehung zwischen den Teilchen Man spricht dabei auch von der Dispersionswechselwirkung oder der Londonschen Wechselwirkung

Alle diese Effekte sind anziehender Natur und gehen damit in den Parameter a ein Fasst man die beiden Parameter a und b zusammen so entsteht mit der van-der-Waals-Gleichung eine recht zuverlaumlssige Zustandsgleichung fuumlr reale Systeme die sowohl die abstoszligenden als auch die anziehenden Wechselwirkungen beruumlcksichtigt

Ein guter Test fuumlr diese reale Zustandsgleichung ist die Berechnung eines Diagramms von P gegen V fuumlr verschiedene Temperaturen das so genannte P-V-Diagramm und die Gegen-uumlberstellung mit dem entsprechenden experimentellen P-V-Diagramm eines realen Gases Gemaumlszlig der van-der-Waalsrsquoschen Gleichung existieren abhaumlngig von der betrachteten Tempe-ratur drei Typen von Isothermen (Abb 23 links) solche die einer Hyperbel aumlhneln (1) eine einzelne Isotherme die einen Wendepunkt mit waagrechter Tangente besitzt (2) und solche die ein Minimum ein Maximum und einen Wendepunkt aufweisen (3) Das experimentell beobachtete Verhalten stimmt in den ersten beiden Faumlllen recht gut uumlberein weicht aber bei Isothermen des dritten Typs deutlich vom berechneten Verlauf ab (Abb 23 rechts)

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34

P

V

PV-Diagramm nachvan-der-Waals-Gleichung

1 2

3

P

V

3

experimentell bestimmtesPV-Diagramm f reales Gas

Abb 23 PV-Diagramme fuumlr reale Gase berechnet nach van der Waals (links) und experimentell bestimmt (rechts) Die drei typischen Formen der Isothermen (1 2 und 3) sind im Text beschrieben

Offensichtlich beschreibt die van-der-Waals-Gleichung das Verhalten eines realen Gases in der Umgebung des Wendepunkts weniger gut Experimentell stellt man allerdings fest dass in diesem Bereich tatsaumlchlich auch kein reines Gas sondern vielmehr eine Mischung aus einem Gas und einer kondensierten Fluumlssigkeit also ein Zweiphasenzustand vorliegt Dieser Zwei-phasenbereich beginnt am Wendepunkt der Isothermen des Typs 2 und schlieszligt alle Minima Maxima und Wendepunkte der Isothermen des Typs 3 ein (Abb 24 links)

P

V

Zweiphasen-gebiet

P

V

Zweiphasen-gebiet

Maxwell-Maxwell-KorrekturKorrektur

Zweiphasen-Gebiet

Zweiphasen-Gebiet

A1

A2

Abb 24 PV-Diagramme fuumlr reale Gase mit eingezeichnetem Zweiphasengebiet Der in diesem Bereich bei der Beschreibung nach van der Waals gegebene Fehler kann in guter Naumlherung durch die Maxwell-Korrektur kompensiert werden

Eine einfache Korrektur der van-der-Waals-Gleichung ermoumlglicht eine realistische Beschrei-bung des Zweiphasengebiets Eine horizontale Gerade wird so in der Naumlhe des Wendepunktes gelegt dass die oberhalb und unterhalb der Geraden im Zweiphasenbereich gebildeten Teilflaumlchen A1 und A2 die gleiche Groumlszlige besitzen (sog Maxwell-Korrektur s Abbildung 24 rechts) Dies sieht zwar nach einer etwas willkuumlrlichen Hilfskonstruktion aus trotzdem laumlsst sich damit das Verhalten eines realen Gases im Zweiphasengebiet sehr gut nachvollziehen und vorhersagen Eine besonders ausgewiesene Position im PV-Diagramm eines realen Gases ist der Scheitel-punkt des Zweiphasengebiets der durch den Wendepunkt der Isotherme des Typs 2 gebildet wird (Abb 25)

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P

V

Zweiphasen-gebiet Tc

Pc

Vc

kritischer Punkt

Jedes reale Gas besitzt einen sogenannten kritischenPunkt der durch die kritischen Zustandsgroumlszligen Tc Pc undVc beschrieben wird Die kritische Temperatur Tc istdiejenige Temperatur bei der sich ein Gas unter Druckgerade noch verfluumlssigen laumlszligt Oberhalb der kritischenTemperatur existiert kein fluumlssiger Zustand Derentsprechende Druck Pc wird als kritischer Druckbezeichnet

Die Isotherme die der kritischen Temperatur zugeordnetist besitzt als einzige einen Wendepunkt mit horizontalerTangente der gleichzeitig den kritischen Punkt markiert

Abb 25 PV-Diagramm fuumlr ein reales Gas mit kritischem Punkt

Dieser sogenannte kritische Punkt wird durch die kritische Temperatur Tc den kritischen Druck Pc und das kritische Molvolumen Vc festgelegt Zustaumlnde oberhalb des kritischen Punkts nennt man uumlberkritisch Uumlberkritisches Kohlendioxid besitzt in der Technik groszlige Bedeutung fuumlr das Loumlsen und Ausfaumlllen von pharmazeutischen Wirkstoffen (zB Aspirin fuumlr Brausetabletten) fuumlr die Extraktion (zB bei der Entkoffeinierung von Kaffee) oder zur chemischen Reinigung von Textilien

35 Andere Zustandsgleichungen fuumlr reale Gase

Neben der van-der-Waals-Gleichung existieren weitere Ansaumltze zur Beschreibung realer Gase die zwar eine genauere Anpassung an die gemessenen Werte ermoumlglichen aber auch kompli-zierter sind oder mehr Arbeit bei der Bestimmung der charakteristischen Parameter erfordern Im Folgenden seien als Beispiele die Berthelot-Gleichung und die Virialgleichung erwaumlhnt

a Berthelot-Gleichung (P + (Ansup2)(TVsup2) ) (V - nB) = n R T Berthelot fuumlhrte damit als Besonderheit einen temperaturabhaumlngigen Binnendruck ein Dies ist insoweit physikalisch gerechtfertigt als die vermehrte thermische Bewegung der Ausbildung von Wechselwirkungen zwischen den Molekuumllen entgegenwirken kann

b Virialgleichung P Vm = A + B P + C Psup2 + D Psup3 + Mit Vm = Vn Die Virialgleichung nutzt die Tatsache dass sich fast alle physikalischen Zusammenhaumlnge uumlber einen Potenzreihenansatz a + bx + cxsup2 + dxsup3 + hellip beliebig genau annaumlhern lassen Je nach Anzahl der anpassbaren Parameter ist zwar eine beliebig genaue Beschreibung des realen Gases moumlglich allerdings steigt auch der Aufwand fuumlr die Bestim-mung aller Koeffizienten

36 Beschreibung von Fluumlssigkeiten

Im PV-Diagramm der realen Gase schlieszligt sich links vom Zweiphasengebiet der Bereich der fluumlssigen Phase an Sie zeichnet sich dadurch aus dass mit sinkendem Volumen der Druck ex-trem steil ansteigt Das bedeutet dass bereits eine geringfuumlgige Volumenabnahme mit einem aumluszligerst groszligen Druckanstieg verbunden ist In der Praxis hat das zur Folge dass Fluumlssigkeiten im Gegensatz zu Gasen kaum komprimierbar sind ihre Kompressibilitaumlt geht gegen Null Auch ist die Ausdehnung der Fluumlssigkeiten bei steigender Temperatur und bei konstantem

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36

Druck (der thermische Ausdehnungskoeffizient) sehr viel kleiner als bei Gasen Eine einfache allgemeine Zustandsgleichung fuumlr die fluumlssige Phase in Analogie zur idealen oder zur van-der-Waals-Gleichung existiert nicht Stattdessen findet man bei der experimentellen Bestimmung des Zusammenhangs zwischen P V und T fuumlr jede Fluumlssigkeit ein sehr charakteristisches Verhalten Vergleicht man die Messergebnisse verschiedener Fluumlssigkeiten untereinander so sind kaum Aumlhnlichkeiten auszumachen Daruumlber hinaus sind bestimmte Messungen (zB die Messung der Abhaumlngigkeit des Drucks vom Volumen bei konstanter Teilchenzahl und Temperatur) technisch sehr schwer zu realisieren Das Fehlen einer einheitlichen Zustandsgleichung V(TPn) fuumlr Fluumlssigkeiten liegt auch in deren komplexer Struktur begruumlndet Betrachtet man ein einzelnes Teilchen in der Fluumlssigkeit so liegt es bezuumlglich der Abstaumlnde zu seinen naumlchsten Nachbarn stets in der Naumlhe des Mini-mums einer Potentialkurve Epot(r) die einen sehr steilen Verlauf besitzt Die Abstaumlnde zu den benachbarten Teilchen sind damit nahezu fixiert folglich ist eine unabhaumlngige Translations-bewegung einzelner Teilchen praktisch unmoumlglich Stattdessen verlaufen alle Bewegungs-prozesse mehr oder weniger kollektiv also unter gleichzeitiger Verschiebung mehrerer Teilchen Daruumlber hinaus gibt es keine nennenswerten freien Volumina so dass der mittlere Abstand der Teilchen nur unwesentlich verringert werden kann ein Umstand der sich in der bereits erwaumlhnten geringen Kompressibilitaumlt aumluszligert Ein Modell fuumlr eine allgemeine Fluumlssigkeit laumlsst sich im Rahmen einer Computersimulation einfuumlhren Man betrachtet dabei einen wuumlrfelfoumlrmigen Raum der einen Ausschnitt aus dem Fluumlssigkeitsvolumen darstellen soll und eine endliche Anzahl n von Fluumlssigkeitsteilchen (zB n = 1000) enthaumllt Um die Zahl der Teilchen konstant zu halten und dabei trotzdem deren Beweglichkeit zu wahren wird eine Kontinuitaumltsbedingung eingefuumlhrt Jedes Teilchen das im Rahmen der Bewegungsprozesse den Wuumlrfel an einer gegebenen Stelle verlaumlsst tritt automatisch an der genau gegenuumlberliegenden Position des Wuumlrfels wieder ein Auf diese Weise ist gewaumlhrleistet dass die Zahl der Teilchen im Wuumlrfel konstant bleibt (Abb 26)

Abb 26 Simulation von Bewegungs-vorgaumlngen in einem Fluumlssigkeitsvolumen unter Wahrung einer konstanten Partikel-anzahl Jedes Teilchen das im Rahmen der Bewegungsprozesse den Wuumlrfel an einer gegebenen Stelle verlaumlsst tritt automatisch an der genau gegenuumlberliegenden Position des Wuumlrfels wieder ein

An diesem System fuumlhrt man nun eine so genannte Monte-Carlo-Simulation durch Dabei setzt ein Zufallsgenerator eine geringfuumlgige Verschiebung eines beliebigen einzelnen Teil-chens in Gang Anschlieszligend wird unter Verwendung des bekannten Potentialverlaufs Epot(r) berechnet wie sich nach der Verschiebung die potentielle Energie des Systems veraumlndert hat Danach entscheidet das Simulationsprogramm zwischen zwei Moumlglichkeiten

- Hat sich die gesamte potentielle Energie des Systems durch die Verschiebung verringert oder blieb sie konstant so wird die Verschiebung akzeptiert und der naumlchste Schritt berechnet - Hat sich die gesamte potentielle Energie durch die Verschiebung um den positiven Wert E erhoumlht so wird die Verschiebung mit einer Wahrscheinlichkeit die von E abhaumlngt akzeptiert und ansonsten verworfen Danach wird der naumlchste Schritt berechnet

Auf diese Weise kann man fuumlr beliebige Fluumlssigkeiten sowohl die typischen Bewegungs-prozesse als auch die einflussbedingten Veraumlnderung von Zustandsgroumlszligen (zB P in Ab-

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37

haumlngigkeit von V) berechnen Allerdings sind die Rechnungen bei den fuumlr eine realistische Beschreibung eines Fluumlssigkeitsvolumens notwendigen groszligen Teilchenzahlen sehr aufwaumlndig und zeitintensiv

37 Beschreibung von Festkoumlrpern

Begibt man sich im P-V-Diagramm vom fluumlssigen Zustand ausgehend noch weiter nach links (zu kleineren Volumina houmlheren Drucken und niedrigeren Temperaturen) so erreicht man den festen Zustand Die Problematik der Zustandsgleichung V(TPn) von Festkoumlrpern aumlhnelt jener der Fluumlssigkeiten Auch hier sind die Kompressibilitaumlten und die thermischen Aus-dehnungskoeffizienten uumlblicherweise sehr viel geringer als bei Gasen Ebenso wie bei Fluumls-sigkeiten sind dabei die Unterschiede zwischen einzelnen Vertretern der Festkoumlrper recht groszlig so dass keine gemeinsame Zustandsgleichung wie bei Gasen formuliert werden kann Im Vergleich mit den Werten der Fluumlssigkeiten sind die Kompressibilitaumlten und die thermischen Ausdehnungskoeffizienten der Festkoumlrper durchschnittlich nochmals um etwa zwei Groumlszligen-ordnungen geringer

Abb 27 Torsionsexperiment zur Unterscheidung zwischen Fluumlssigkeiten und Festkoumlrpern (s Text)

Der wesentliche Unterschied zwischen Festkoumlrpern und Fluumlssigkeiten besteht allerdings in ihrem gegensaumltzlichen Verhalten bezuumlglich Verformung waumlhrend Fluumlssigkeiten einer gege-benen Verformung durch ihre Zaumlhigkeit (Viskositaumlt) Widerstand leisten reagiert ein Fest-koumlrper auf eine Verformung durch eine elastische Deformation Dieses Verhalten wird in einem Torsionsrheometer deutlich wobei eine feste oder fluumlssige Probe periodisch mit einer torsionsartigen Verformung beaufschlagt wird (Abb 27) Waumlhrend der Drehmomentverlauf des Festkoumlrpers exakt gleichphasig zur periodischen Aus-lenkung erfolgt (elastische Verformung) ist der Drehmomentverlauf der Fluumlssigkeit dazu um ein Viertel einer Wellenlaumlnge phasenverschoben (viskose Reaktion) Bei Fluumlssigkeiten ist der Widerstand dann maximal wenn die Deformationsgeschwindigkeit maximal ist (blaue Linie

t

Dre

hmom

entv

erla

uf

tAusl

enku

ng

Festkoumlrper

t

Dre

hmom

entv

erla

uf

Fluumlssigkeiten

Pruumlfkoumlrper

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in Abb 26) Bei Festkoumlrpern ist die Kraft dann maximal wenn der Deformationszustandmaximal ist (rote Linie in Abb 27) Viele Festkoumlrper stellen Uumlbergaumlnge zwischen diesen beiden Extremfaumlllen dar und werden dann als viskoelastisch bezeichnet Aus der Betrachtung von Messergebnissen an einer Viel-zahl von Materialien geht hervor dass eine eindeutige Abgrenzung zwischen dem fluumlssigen und dem festen Zustand selten moumlglich ist Entsprechend gibt es auch unterschiedliche Strukturmodelle die teilweise das elastische Verhalten teilweise das plastische Verhalten von Festkoumlrpern erklaumlren Dem elastischen Festkoumlrper mit nahezu verschwindender Phasen-verschiebung wird am ehesten das Modell eines idealen Kristalls gerecht Man geht dabei davon aus dass jedes Atom bzw Molekuumll aus dem der Festkoumlrper zusammengesetzt ist sich an einem geometrisch festgelegten Gitterpunkt befindet von dem es sich nicht entfernen kann Als Bewegungsprozess ist dabei lediglich eine Schwingung mit begrenzter Amplitude moumlglich Die denkbaren Geometrien der Gitterstrukturen reichen von primitiv-kubischen Gittern (zB Natriumchlorid) uumlber kubisch-dichteste (zB Silber Kupfer) und hexagonal-dichteste Kugelpackungen (zB Magnesium Zink) bis zur kubisch-raumzentrierten Struktur (zB Eisen Molybdaumln) Haumlufig findet man leichte Abweichungen von der idealen Gitter-struktur die durch lokale Stoumlrungen hervorgerufen werden Akzeptiert man gewisse Anteile an viskosem Verhalten (dh eine leichte Phasenverschiebung) so begibt man sich in den Grenzbereich zwischen Festkoumlrpern und Fluumlssigkeiten In einem Material wie Glas ist die regelmaumlszligige Anordnung eines Gitters nicht gegeben die Atome sind unregelmaumlszligig positioniert und koumlnnen unter Belastung auch flieszligen Solche nicht-kristallinen Festkoumlrper bezeichnet man als amorph Typische Vertreter amorpher Feststoffe sind Fenster-glas viele transparente Kunststoffe (zB Plexiglas Polyester in Getraumlnkeflaschen) Wachs und Aumlhnliches Amorphe Festkoumlrper besitzen keinen Schmelzpunkt sondern erweichen bei steigender Temperatur allmaumlhlich Amorphe Festkoumlrper koumlnnen nachtraumlglich kristallisieren wobei sich haumlufig das aumluszligere Erscheinungsbild und die physikalischen Eigenschaften drastisch aumlndern (zB Plastikfolie unter Zug)

38 Das Phasendiagramm

Die drei wichtigsten Phasenzustaumlnde zu denen sich eine makroskopische Gesamtheit von Atomen oder Molekuumllen zusammenfinden koumlnnen sind also Gase Fluumlssigkeiten und Festkoumlrper Die Frage ist nun unter welchen Bedingungen sich ein System fuumlr den ersten den zweiten oder den dritten Zustand entscheidet Erfahrungsgemaumlszlig haumlngt der gegebene Phasenzustand von den in Kapitel 31 eingefuumlhrten Zustandsparametern n V P und T ab Legt man die Stoffmenge n auf einen Wert fest (zB auf ein Mol Teilchen) und beruumlcksichtigt man dass nach den gegebenen Zustandsgleichungen die Groumlszligen n V P und T miteinander verknuumlpft sind so genuumlgen zwei Parameter um den jeweils guumlnstigsten Phasenzustand eindeutig festzulegen Ein Diagramm bei dem einer der Parameter V P und T gegen einen anderen aufgetragen wird eignet sich also prinzipiell um bei einer gegebenen Teilchenart den unter diesen Bedingungen jeweils angestrebten Phasenzustand zu markieren So kann man gemaumlszlig den Abbildungen 23 bis 25 in einem Diagramm bei dem P gegen V aufgetragen wird schon den jeweils gegebenen Phasenzustand eintragen und ablesen In der Praxis eignen sich solche PV-Diagramme allerdings wenig um Phasenzustaumlnde zu markieren der gasfoumlrmige Zustand nimmt einen sehr breiten Raum ein waumlhrend der fluumlssige und der feste Zustand in dem sehr engen Bereich links neben dem Zweiphasengebiet bdquoeingequetschtldquo waumlre Vor allem in diesem Umfeld waumlre das Diagramm schwer ablesbar

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Wesentlich guumlnstiger ist dagegen die Auftragung vom Druck P gegen die Temperatur T In diesem PT-Diagramm das auch als Phasendiagramm bezeichnet wird lassen sich alle Phasenzustaumlnde uumlbersichtlich zuordnen Dabei bezeichnen Flaumlchenanteile im PT-Diagramm die unter den gegebenen Druck- und Temperaturbedingungen angestrebte Phase (zB fest fluumlssig gasfoumlrmig) waumlhrend Linien die dazwischen vorliegenden Gleichgewichte markieren und Phasengrenzlinien genannt werden (Abb 28)

T

Pfe

st

fluumlss

ig

gasfouml

rmig

kritischerPunkt

Tripel-punkt

Phasengrenzlinie

Abb 28 Phasendiagramm mit Auftragung des Drucks (P) gegen die Temperatur (T)

Auszligerdem enthaumllt ein Phasendiagramm gewoumlhnlich mindestens zwei besonders ausgezeich-nete Punkte den Tripelpunkt an dem die drei im Allgemeinen wichtigsten Phasenzustaumlnde fest fluumlssig und gasfoumlrmig miteinander im Gleichgewicht stehen und den bereits aus dem PV-Diagramm bekannten kritischen Punkt der das Ende eines definierten Uumlbergangs zwischen fluumlssiger und gasfoumlrmiger Phase markiert Beispiele fuumlr Phasendiagramme Kohlen-dioxid und Wasser sind in Abbildung 29 und 30 wiedergegeben

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T

P

fest

fluumlss

iggasfoumlrmig

kritischerPunkt

Tripel-punkt

2168 K

511 bar

CO2

3042 K

728 bar

Abb 29 Phasendiagramm fuumlr Kohlendioxid

T

P

fluumlss

ig

gasfoumlrmig

kritischerPunkt

H2O

Eis 1

Eis 1

Eis 2 Eis 3

Eis 5

Eis 6

Tripelpunkt6473 K

218 bar

6 mbar 27316 K

Abb 30 Phasendiagramm fuumlr Wasser Der Bereich oberhalb von 200 bar ist aus Gruumlnden der

Uumlbersichtlichkeit entlang der P-Achse komprimiert dargestellt

Eine wichtige Besonderheit des Phasenverhaltens von Wasser ist die Tatsache dass die Phasengrenzlinie zwischen fluumlssigem Wasser und Eis 1 eine negative Steigung aufweist Dies hat zur Folge dass gewoumlhnliches Eis durch Erhoumlhung des Drucks zum Schmelzen gebracht werden kann Dieser Umstand ist eine der Ursachen dafuumlr dass eine Kufe auf Eis gleitet da der durch das Schmelzen entstehende Wasserfilm die Reibung vermindert (allerdings spielt hier auch die Reibungswaumlrme eine Rolle) Der Grund fuumlr dieses Verhalten steht in direkter Verbindung mit der strukturbedingten Volumenabnahme beim Schmelzen von Eis (s Videos unter httpwwwyoutubecomwatchv=6s0b_keOiOU und httpswwwyoutubecomwatchv=CDTZoFGmZoc )

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Waumlhlt man in einem Phasendiagramm eine Kombination von Druck und Temperatur so kann man direkt denjenigen Phasenzustand ablesen den die gegebene Teilchenart unter diesen Bedingungen anstrebt Das heiszligt jedoch nicht dass dieser Zustand dann auch in jedem Fall und zu jeder Zeit vorliegt Haumlufig beobachtet man eine so genannte kinetische Hemmung einer Phasenumwandlung So gibt es unterkuumlhlte Fluumlssigkeiten (zB Regentropfen bei -3degC) genauso wie unterkuumlhlte Dampfphasen (zB uumlbersaumlttigten Wasserdampf in Gewitterwolken) oder uumlberhitzte Fluumlssigkeiten (zB uumlberhitztes Wasser bei einem Siedeverzug) Kristalli-sationskeime wie Staubkoumlrner koumlnnen Phasenumwandlungen beschleunigen (zB durch Staub verursachter bdquoIndustrieschneeldquo) Bisher wurden lediglich Phasendiagramme von reinen Stoffen betrachtet die nur aus einer einzelnen Sorte Atomen oder Molekuumllen bestehen Mischt man einem gegebenen Stoff eine weitere Komponente hinzu so aumlndert sich das Phasendiagramm erheblich Als Beispiel betrachten wir ein System in dessen fluumlssiger Phase ein Fremdstoff A geloumlst wird der weder im Festkoumlrper noch im der Gasphase loumlslich ist (zB Kochsalz in Wasser) In diesem Fall dehnt sich der fluumlssige Bereich des Phasendiagramms mit steigender Konzentration von A in alle Richtungen aus so dass gleichzeitig der Schmelzpunkt erniedrigt der Siedepunkt erhoumlht und der Dampfdruck verringert wird (Abb 31) In erster Naumlherung sind alle genannten Aumlnderungen proportional zu cA

T

P

fest

fluumlss

ig

gasfouml

rmig

Abb 31 Phasendiagramm fuumlr ein System in dessen fluumlssiger Phase ein Fremdstoff mit steigender

Konzentration cA geloumlst wird Der Bereich der fluumlssigen Phase dehnt sich daraufhin in alle

Richtungen aus

Bei weiter steigender Konzentration von A kann ein Punkt erreicht werden an dem die Mischung in zwei getrennte Bereiche zerfaumlllt die ebenfalls als Phasen bezeichnet werden (zB Olivenoumll und Wasser) Eine dieser Phasen besitzt dann einen hohen Loumlsemittelanteil bei geringer Konzentration von A die andere besteht aus einem hohen Anteil an A mit einem geringen Gehalt an Loumlsemittel Dieser Vorgang der Phasenseparation binaumlrer (aus zwei Komponenten bestehender) Systeme wird durch eine andere Art von Phasendiagramm beschrieben dem so genannten Mischphasendiagramm (Abb 32) Hierbei wird die Tempe-

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ratur dem relativen Anteil einer Komponente gegenuumlbergestellt der Druck wird als konstant angenommen

Abb 32 Allgemeine Darstellung eines Mischphasendiagramms

Grundsaumltzlich gibt die linke Flanke der Phasentrennlinie (links des kritischen Punkts) die Zusammensetzung der bdquoA-armenldquo Phase an waumlhrend die rechte Flanke (rechts des kritischen Punkts) die Zusammensetzung der A-reichen Phase beschreibt Die Mengen der dabei gebildeten Phasen koumlnnen nach dem so genannten Hebelgesetz berechnet werden Demnach gilt zwischen dem Anteil n1 der A-armen Phase 1 dem Anteil n2 der A-reichen Phase 2 und den Laumlngen der Pfeile s1 und s2 in der vorhergehenden Abbildung folgender Zusammenhang

n1 s1 = n2 s2

Fuumlr das gezeigte Beispiel wuumlrde das bedeuten dass der Anteil der Phase 1 etwa doppelt so groszlig waumlre wie der Anteil der Phase 2 In der Naumlhe der beiden Raumlnder des Diagramms also fuumlr xA 0 (sehr wenig A im Loumlsemittel) oder xA 1 (sehr wenig Loumlsemittel in A) liegen in den meisten Faumlllen einphasige homogene Mischungen vor Das besagt dass auch bei niedrigen Temperaturen ein wenig von dem Stoff A im Loumlsemittel bzw ein wenig Loumlsemittel im Stoff A loumlslich ist Der im Diagramm eingezeichnete kritische Punkt bedeutet dass oberhalb der dazugehoumlrigen kritischen Temperatur keine Entmischung mehr erfolgt dh hier sind die beiden Komponenten vollstaumlndig und in jedem Verhaumlltnis miteinander mischbar Neben solchen oberen kritischen Punkten gibt es auch untere kritische Punkte Im zweiten Fall gilt dass die beiden Komponenten unterhalb einer bestimmten Temperatur in jedem Verhaumlltnis miteinander mischbar sind Im Allgemeinen koumlnnen die drei verschiedenen Faumllle auftreten die in Abbildung 33 dargestellt sind

0 Molenbruch xA der Komponente A 1

Tem

pera

tur

obere kritischeTemperatur

Einphasen-gebiet

Zweiphasen-gebiet

Beispiel xA = 04

T1

Zum gezeigten Beispiel

Eine Mischung mit dem Molenbruch xA = 04 wird von T2 nach T1 abgekuumlhltDabei zerfaumlllt die Mischung bei Tklsquo in zwei Phasen derenZusammensetzung bei T1auf der x-Achse an den Punkten 1 und 2 ablesbar ist

T2

Tklsquo

1 2

kritischer Punkt

s1 s2

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0 xA 1

Tem

pera

tur

System mit oberem kritischen Punkt

kritischer Punkt

0 xA 1Te

mpe

ratu

r

System mit unterem kritischen Punkt

kritischer Punkt

0 xA 1

Tem

pera

tur

System mit oberem und unterem

kritischen Punkt

kritischer Punkt

kritische Punkte

Abb 33 Moumlgliche Varianten von kritischen Punkten bei Systemen aus zwei Komponenten

Obere kritische Punkte findet man dann wenn sich die molekulare thermische Bewegung gegen die Tendenz der Molekuumlle sich mit gleichartigen Molekuumllen zusammenzulagern durchsetzt Dieses Phaumlnomen ist sehr verbreitet so dass ein oberer kritischer Punkt bei sehr vielen Mischphasen beobachtet wird Untere kritische Punkte sind sehr viel seltener Sie treten beispielsweise dann auf wenn die beiden Komponenten miteinander bei tiefen Temperaturen einen Komplex bilden der bei houmlheren Temperaturen wieder zerfaumlllt und dann zu einer Phasenseparation fuumlhrt Ein Beispiel dafuumlr ist die Mischung aus Wasser und Triethylamin

Fuumlr Mischphasen aus drei Komponenten so genannte ternaumlre Mischungen sind die bisher gezeigten Darstellungen ungeeignet Hierfuumlr haben sich Dreiecksdiagramme (Gibbssches Phasendreieck) durchgesetzt die das Phasenverhalten unter Variation der Mengenbeitraumlge aller drei Komponenten aufzeigen (Abb 34) Das Diagramm ist so geartet dass die Summe aller drei Mengenanteile xA xB und xC in jedem Fall den Wert 1 ergibt Damit besitzt die Zusammensetzung des ternaumlren Gemisches zwei Freiheitsgrade Jede Linie die durch eine Ecke des Diagramms fuumlhrt verbindet diejenigen Punkte bei denen das Verhaumlltnis zweier Komponenten gleich ist Jede Linie die parallel zu einer der drei Seiten verlaumluft entspricht Gemischen bei denen der relative Anteil einer Komponente gleich bleibt

00 02 04 06 08 10Komponente A

00

02

04

06

08

10

Kom

pone

nte

B

0002

04

06

08

10

Komponente C

C

A

B

00 02 04 06 08 10Komponente A

00

02

04

06

08

10

Kom

pone

nte

B

00

02

04

06

08

10

Komponente C

x1

x2x

Abb 34 Prinzip eines ternaumlren Phasendiagramms nach Gibbs (Dreiecksdiagramm)

In solche ternaumlren Mischphasendiagramme lassen sich nun entsprechend den binaumlren Mischphasendiagrammen die Ein- und Zweiphasengebiete einzeichnen Das Diagramm in

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Abb 34 rechts gilt zB fuumlr eine ternaumlre Mischung aus A B und C bei der die Komponenten A und B sowie B und C jeweils paarweise in jedem Verhaumlltnis miteinander mischbar sind Die Komponenten A und C sollen dagegen nur begrenzt mischbar sein Als Konsequenz daraus ergibt sich ein Dreiecksdiagramm das an der unteren Achse die dem Anteil 0 der Komponente B entspricht ein Zweiphasengebiet aufweist

Die Hilfslinien im Zweiphasengebiet markieren die Zusammensetzung der entstehenden Einzelphasen So wuumlrde beispielsweise eine Mischung deren Zusammensetzung im Diagramm durch den Punkt x markiert ist in die beiden Phasen x1 und x2 zerfallen Die Mengenanteile der beiden Phasen koumlnnten dabei wieder uumlber das Hebelgesetz berechnet werden Um zusaumltzlich den Einfluss der Temperatur wiederzugeben muss eine weitere Koordinate eingefuumlhrt werden Man erhaumllt dabei ein dreidimensionales Dreiecksdiagramm das haumlufig unter Verwendung von Houmlhenlinien nach der Art einer topographischen Landkarte dargestellt wird Jede Houmlhenlinie des Zweiphasengebiets umschreibt dann seine Ausdehnung bei einer gegebenen Temperatur

Fragt man bei einem System mit bestehenden Randbedingungen nach der Zahl der frei variierbaren Zustandsgroumlszligen also nach der Zahl der Freiheitsgrade so haumlngt die Antwort zunaumlchst davon ab in welchem Phasenzustand sich das System befindet So kann man beispielsweise in der Gasphase (bei festgelegter Stoffmenge) Temperatur und Druck frei waumlhlen wodurch dann automatisch das Volumen festgelegt wird Gleiches gilt fuumlr die feste und die fluumlssige Phase Das System hat innerhalb eines Phasenzustands also zwei Freiheits-grade Setzt man allerdings voraus dass sich das System in einem Gleichgewicht zwischen zwei Phasen befindet (zB auf der Verdampfungslinie) so besitzt es nur einen Freiheitsgrad Am Tripelpunkt schlieszliglich bei einem Gleichgewicht zwischen drei Phasen sind keine Freiheitsgrade mehr vorhanden Zwischen der Zahl der Phasen P und der Zahl der Freiheitsgrade F gibt es also folgende einfache Beziehung

F = 3 - P

Beruumlcksichtigt man weiter dass auch mehr als eine Komponente auftreten kann (Zahl der Komponenten C gt 1) so erhoumlht sich die Zahl der Freiheitsgrade um jede zusaumltzliche Komponente deren Konzentration ja frei waumlhlbar ist um den Wert eins Man erhaumllt damit

F = 3 - P + (C - 1) oder F = C - P + 2

Nach dieser allgemeinguumlltigen Formel der so genannten Gibbsrsquoschen Phasenregel laumlsst sich die Zahl der Freiheitsgrade in jedem beliebigen System bestimmen Sie erlaubt insbesondere bei sehr komplizierten Mischungen mit einer unbekannten Anzahl an Phasenzustaumlnden uumlber eine einfache Betrachtung Ruumlckschluumlsse auf deren Phasenverhalten

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34

P

V

PV-Diagramm nachvan-der-Waals-Gleichung

1 2

3

P

V

3

experimentell bestimmtesPV-Diagramm f reales Gas

Abb 23 PV-Diagramme fuumlr reale Gase berechnet nach van der Waals (links) und experimentell bestimmt (rechts) Die drei typischen Formen der Isothermen (1 2 und 3) sind im Text beschrieben

Offensichtlich beschreibt die van-der-Waals-Gleichung das Verhalten eines realen Gases in der Umgebung des Wendepunkts weniger gut Experimentell stellt man allerdings fest dass in diesem Bereich tatsaumlchlich auch kein reines Gas sondern vielmehr eine Mischung aus einem Gas und einer kondensierten Fluumlssigkeit also ein Zweiphasenzustand vorliegt Dieser Zwei-phasenbereich beginnt am Wendepunkt der Isothermen des Typs 2 und schlieszligt alle Minima Maxima und Wendepunkte der Isothermen des Typs 3 ein (Abb 24 links)

P

V

Zweiphasen-gebiet

P

V

Zweiphasen-gebiet

Maxwell-Maxwell-KorrekturKorrektur

Zweiphasen-Gebiet

Zweiphasen-Gebiet

A1

A2

Abb 24 PV-Diagramme fuumlr reale Gase mit eingezeichnetem Zweiphasengebiet Der in diesem Bereich bei der Beschreibung nach van der Waals gegebene Fehler kann in guter Naumlherung durch die Maxwell-Korrektur kompensiert werden

Eine einfache Korrektur der van-der-Waals-Gleichung ermoumlglicht eine realistische Beschrei-bung des Zweiphasengebiets Eine horizontale Gerade wird so in der Naumlhe des Wendepunktes gelegt dass die oberhalb und unterhalb der Geraden im Zweiphasenbereich gebildeten Teilflaumlchen A1 und A2 die gleiche Groumlszlige besitzen (sog Maxwell-Korrektur s Abbildung 24 rechts) Dies sieht zwar nach einer etwas willkuumlrlichen Hilfskonstruktion aus trotzdem laumlsst sich damit das Verhalten eines realen Gases im Zweiphasengebiet sehr gut nachvollziehen und vorhersagen Eine besonders ausgewiesene Position im PV-Diagramm eines realen Gases ist der Scheitel-punkt des Zweiphasengebiets der durch den Wendepunkt der Isotherme des Typs 2 gebildet wird (Abb 25)

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35

P

V

Zweiphasen-gebiet Tc

Pc

Vc

kritischer Punkt

Jedes reale Gas besitzt einen sogenannten kritischenPunkt der durch die kritischen Zustandsgroumlszligen Tc Pc undVc beschrieben wird Die kritische Temperatur Tc istdiejenige Temperatur bei der sich ein Gas unter Druckgerade noch verfluumlssigen laumlszligt Oberhalb der kritischenTemperatur existiert kein fluumlssiger Zustand Derentsprechende Druck Pc wird als kritischer Druckbezeichnet

Die Isotherme die der kritischen Temperatur zugeordnetist besitzt als einzige einen Wendepunkt mit horizontalerTangente der gleichzeitig den kritischen Punkt markiert

Abb 25 PV-Diagramm fuumlr ein reales Gas mit kritischem Punkt

Dieser sogenannte kritische Punkt wird durch die kritische Temperatur Tc den kritischen Druck Pc und das kritische Molvolumen Vc festgelegt Zustaumlnde oberhalb des kritischen Punkts nennt man uumlberkritisch Uumlberkritisches Kohlendioxid besitzt in der Technik groszlige Bedeutung fuumlr das Loumlsen und Ausfaumlllen von pharmazeutischen Wirkstoffen (zB Aspirin fuumlr Brausetabletten) fuumlr die Extraktion (zB bei der Entkoffeinierung von Kaffee) oder zur chemischen Reinigung von Textilien

35 Andere Zustandsgleichungen fuumlr reale Gase

Neben der van-der-Waals-Gleichung existieren weitere Ansaumltze zur Beschreibung realer Gase die zwar eine genauere Anpassung an die gemessenen Werte ermoumlglichen aber auch kompli-zierter sind oder mehr Arbeit bei der Bestimmung der charakteristischen Parameter erfordern Im Folgenden seien als Beispiele die Berthelot-Gleichung und die Virialgleichung erwaumlhnt

a Berthelot-Gleichung (P + (Ansup2)(TVsup2) ) (V - nB) = n R T Berthelot fuumlhrte damit als Besonderheit einen temperaturabhaumlngigen Binnendruck ein Dies ist insoweit physikalisch gerechtfertigt als die vermehrte thermische Bewegung der Ausbildung von Wechselwirkungen zwischen den Molekuumllen entgegenwirken kann

b Virialgleichung P Vm = A + B P + C Psup2 + D Psup3 + Mit Vm = Vn Die Virialgleichung nutzt die Tatsache dass sich fast alle physikalischen Zusammenhaumlnge uumlber einen Potenzreihenansatz a + bx + cxsup2 + dxsup3 + hellip beliebig genau annaumlhern lassen Je nach Anzahl der anpassbaren Parameter ist zwar eine beliebig genaue Beschreibung des realen Gases moumlglich allerdings steigt auch der Aufwand fuumlr die Bestim-mung aller Koeffizienten

36 Beschreibung von Fluumlssigkeiten

Im PV-Diagramm der realen Gase schlieszligt sich links vom Zweiphasengebiet der Bereich der fluumlssigen Phase an Sie zeichnet sich dadurch aus dass mit sinkendem Volumen der Druck ex-trem steil ansteigt Das bedeutet dass bereits eine geringfuumlgige Volumenabnahme mit einem aumluszligerst groszligen Druckanstieg verbunden ist In der Praxis hat das zur Folge dass Fluumlssigkeiten im Gegensatz zu Gasen kaum komprimierbar sind ihre Kompressibilitaumlt geht gegen Null Auch ist die Ausdehnung der Fluumlssigkeiten bei steigender Temperatur und bei konstantem

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36

Druck (der thermische Ausdehnungskoeffizient) sehr viel kleiner als bei Gasen Eine einfache allgemeine Zustandsgleichung fuumlr die fluumlssige Phase in Analogie zur idealen oder zur van-der-Waals-Gleichung existiert nicht Stattdessen findet man bei der experimentellen Bestimmung des Zusammenhangs zwischen P V und T fuumlr jede Fluumlssigkeit ein sehr charakteristisches Verhalten Vergleicht man die Messergebnisse verschiedener Fluumlssigkeiten untereinander so sind kaum Aumlhnlichkeiten auszumachen Daruumlber hinaus sind bestimmte Messungen (zB die Messung der Abhaumlngigkeit des Drucks vom Volumen bei konstanter Teilchenzahl und Temperatur) technisch sehr schwer zu realisieren Das Fehlen einer einheitlichen Zustandsgleichung V(TPn) fuumlr Fluumlssigkeiten liegt auch in deren komplexer Struktur begruumlndet Betrachtet man ein einzelnes Teilchen in der Fluumlssigkeit so liegt es bezuumlglich der Abstaumlnde zu seinen naumlchsten Nachbarn stets in der Naumlhe des Mini-mums einer Potentialkurve Epot(r) die einen sehr steilen Verlauf besitzt Die Abstaumlnde zu den benachbarten Teilchen sind damit nahezu fixiert folglich ist eine unabhaumlngige Translations-bewegung einzelner Teilchen praktisch unmoumlglich Stattdessen verlaufen alle Bewegungs-prozesse mehr oder weniger kollektiv also unter gleichzeitiger Verschiebung mehrerer Teilchen Daruumlber hinaus gibt es keine nennenswerten freien Volumina so dass der mittlere Abstand der Teilchen nur unwesentlich verringert werden kann ein Umstand der sich in der bereits erwaumlhnten geringen Kompressibilitaumlt aumluszligert Ein Modell fuumlr eine allgemeine Fluumlssigkeit laumlsst sich im Rahmen einer Computersimulation einfuumlhren Man betrachtet dabei einen wuumlrfelfoumlrmigen Raum der einen Ausschnitt aus dem Fluumlssigkeitsvolumen darstellen soll und eine endliche Anzahl n von Fluumlssigkeitsteilchen (zB n = 1000) enthaumllt Um die Zahl der Teilchen konstant zu halten und dabei trotzdem deren Beweglichkeit zu wahren wird eine Kontinuitaumltsbedingung eingefuumlhrt Jedes Teilchen das im Rahmen der Bewegungsprozesse den Wuumlrfel an einer gegebenen Stelle verlaumlsst tritt automatisch an der genau gegenuumlberliegenden Position des Wuumlrfels wieder ein Auf diese Weise ist gewaumlhrleistet dass die Zahl der Teilchen im Wuumlrfel konstant bleibt (Abb 26)

Abb 26 Simulation von Bewegungs-vorgaumlngen in einem Fluumlssigkeitsvolumen unter Wahrung einer konstanten Partikel-anzahl Jedes Teilchen das im Rahmen der Bewegungsprozesse den Wuumlrfel an einer gegebenen Stelle verlaumlsst tritt automatisch an der genau gegenuumlberliegenden Position des Wuumlrfels wieder ein

An diesem System fuumlhrt man nun eine so genannte Monte-Carlo-Simulation durch Dabei setzt ein Zufallsgenerator eine geringfuumlgige Verschiebung eines beliebigen einzelnen Teil-chens in Gang Anschlieszligend wird unter Verwendung des bekannten Potentialverlaufs Epot(r) berechnet wie sich nach der Verschiebung die potentielle Energie des Systems veraumlndert hat Danach entscheidet das Simulationsprogramm zwischen zwei Moumlglichkeiten

- Hat sich die gesamte potentielle Energie des Systems durch die Verschiebung verringert oder blieb sie konstant so wird die Verschiebung akzeptiert und der naumlchste Schritt berechnet - Hat sich die gesamte potentielle Energie durch die Verschiebung um den positiven Wert E erhoumlht so wird die Verschiebung mit einer Wahrscheinlichkeit die von E abhaumlngt akzeptiert und ansonsten verworfen Danach wird der naumlchste Schritt berechnet

Auf diese Weise kann man fuumlr beliebige Fluumlssigkeiten sowohl die typischen Bewegungs-prozesse als auch die einflussbedingten Veraumlnderung von Zustandsgroumlszligen (zB P in Ab-

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37

haumlngigkeit von V) berechnen Allerdings sind die Rechnungen bei den fuumlr eine realistische Beschreibung eines Fluumlssigkeitsvolumens notwendigen groszligen Teilchenzahlen sehr aufwaumlndig und zeitintensiv

37 Beschreibung von Festkoumlrpern

Begibt man sich im P-V-Diagramm vom fluumlssigen Zustand ausgehend noch weiter nach links (zu kleineren Volumina houmlheren Drucken und niedrigeren Temperaturen) so erreicht man den festen Zustand Die Problematik der Zustandsgleichung V(TPn) von Festkoumlrpern aumlhnelt jener der Fluumlssigkeiten Auch hier sind die Kompressibilitaumlten und die thermischen Aus-dehnungskoeffizienten uumlblicherweise sehr viel geringer als bei Gasen Ebenso wie bei Fluumls-sigkeiten sind dabei die Unterschiede zwischen einzelnen Vertretern der Festkoumlrper recht groszlig so dass keine gemeinsame Zustandsgleichung wie bei Gasen formuliert werden kann Im Vergleich mit den Werten der Fluumlssigkeiten sind die Kompressibilitaumlten und die thermischen Ausdehnungskoeffizienten der Festkoumlrper durchschnittlich nochmals um etwa zwei Groumlszligen-ordnungen geringer

Abb 27 Torsionsexperiment zur Unterscheidung zwischen Fluumlssigkeiten und Festkoumlrpern (s Text)

Der wesentliche Unterschied zwischen Festkoumlrpern und Fluumlssigkeiten besteht allerdings in ihrem gegensaumltzlichen Verhalten bezuumlglich Verformung waumlhrend Fluumlssigkeiten einer gege-benen Verformung durch ihre Zaumlhigkeit (Viskositaumlt) Widerstand leisten reagiert ein Fest-koumlrper auf eine Verformung durch eine elastische Deformation Dieses Verhalten wird in einem Torsionsrheometer deutlich wobei eine feste oder fluumlssige Probe periodisch mit einer torsionsartigen Verformung beaufschlagt wird (Abb 27) Waumlhrend der Drehmomentverlauf des Festkoumlrpers exakt gleichphasig zur periodischen Aus-lenkung erfolgt (elastische Verformung) ist der Drehmomentverlauf der Fluumlssigkeit dazu um ein Viertel einer Wellenlaumlnge phasenverschoben (viskose Reaktion) Bei Fluumlssigkeiten ist der Widerstand dann maximal wenn die Deformationsgeschwindigkeit maximal ist (blaue Linie

t

Dre

hmom

entv

erla

uf

tAusl

enku

ng

Festkoumlrper

t

Dre

hmom

entv

erla

uf

Fluumlssigkeiten

Pruumlfkoumlrper

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in Abb 26) Bei Festkoumlrpern ist die Kraft dann maximal wenn der Deformationszustandmaximal ist (rote Linie in Abb 27) Viele Festkoumlrper stellen Uumlbergaumlnge zwischen diesen beiden Extremfaumlllen dar und werden dann als viskoelastisch bezeichnet Aus der Betrachtung von Messergebnissen an einer Viel-zahl von Materialien geht hervor dass eine eindeutige Abgrenzung zwischen dem fluumlssigen und dem festen Zustand selten moumlglich ist Entsprechend gibt es auch unterschiedliche Strukturmodelle die teilweise das elastische Verhalten teilweise das plastische Verhalten von Festkoumlrpern erklaumlren Dem elastischen Festkoumlrper mit nahezu verschwindender Phasen-verschiebung wird am ehesten das Modell eines idealen Kristalls gerecht Man geht dabei davon aus dass jedes Atom bzw Molekuumll aus dem der Festkoumlrper zusammengesetzt ist sich an einem geometrisch festgelegten Gitterpunkt befindet von dem es sich nicht entfernen kann Als Bewegungsprozess ist dabei lediglich eine Schwingung mit begrenzter Amplitude moumlglich Die denkbaren Geometrien der Gitterstrukturen reichen von primitiv-kubischen Gittern (zB Natriumchlorid) uumlber kubisch-dichteste (zB Silber Kupfer) und hexagonal-dichteste Kugelpackungen (zB Magnesium Zink) bis zur kubisch-raumzentrierten Struktur (zB Eisen Molybdaumln) Haumlufig findet man leichte Abweichungen von der idealen Gitter-struktur die durch lokale Stoumlrungen hervorgerufen werden Akzeptiert man gewisse Anteile an viskosem Verhalten (dh eine leichte Phasenverschiebung) so begibt man sich in den Grenzbereich zwischen Festkoumlrpern und Fluumlssigkeiten In einem Material wie Glas ist die regelmaumlszligige Anordnung eines Gitters nicht gegeben die Atome sind unregelmaumlszligig positioniert und koumlnnen unter Belastung auch flieszligen Solche nicht-kristallinen Festkoumlrper bezeichnet man als amorph Typische Vertreter amorpher Feststoffe sind Fenster-glas viele transparente Kunststoffe (zB Plexiglas Polyester in Getraumlnkeflaschen) Wachs und Aumlhnliches Amorphe Festkoumlrper besitzen keinen Schmelzpunkt sondern erweichen bei steigender Temperatur allmaumlhlich Amorphe Festkoumlrper koumlnnen nachtraumlglich kristallisieren wobei sich haumlufig das aumluszligere Erscheinungsbild und die physikalischen Eigenschaften drastisch aumlndern (zB Plastikfolie unter Zug)

38 Das Phasendiagramm

Die drei wichtigsten Phasenzustaumlnde zu denen sich eine makroskopische Gesamtheit von Atomen oder Molekuumllen zusammenfinden koumlnnen sind also Gase Fluumlssigkeiten und Festkoumlrper Die Frage ist nun unter welchen Bedingungen sich ein System fuumlr den ersten den zweiten oder den dritten Zustand entscheidet Erfahrungsgemaumlszlig haumlngt der gegebene Phasenzustand von den in Kapitel 31 eingefuumlhrten Zustandsparametern n V P und T ab Legt man die Stoffmenge n auf einen Wert fest (zB auf ein Mol Teilchen) und beruumlcksichtigt man dass nach den gegebenen Zustandsgleichungen die Groumlszligen n V P und T miteinander verknuumlpft sind so genuumlgen zwei Parameter um den jeweils guumlnstigsten Phasenzustand eindeutig festzulegen Ein Diagramm bei dem einer der Parameter V P und T gegen einen anderen aufgetragen wird eignet sich also prinzipiell um bei einer gegebenen Teilchenart den unter diesen Bedingungen jeweils angestrebten Phasenzustand zu markieren So kann man gemaumlszlig den Abbildungen 23 bis 25 in einem Diagramm bei dem P gegen V aufgetragen wird schon den jeweils gegebenen Phasenzustand eintragen und ablesen In der Praxis eignen sich solche PV-Diagramme allerdings wenig um Phasenzustaumlnde zu markieren der gasfoumlrmige Zustand nimmt einen sehr breiten Raum ein waumlhrend der fluumlssige und der feste Zustand in dem sehr engen Bereich links neben dem Zweiphasengebiet bdquoeingequetschtldquo waumlre Vor allem in diesem Umfeld waumlre das Diagramm schwer ablesbar

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Wesentlich guumlnstiger ist dagegen die Auftragung vom Druck P gegen die Temperatur T In diesem PT-Diagramm das auch als Phasendiagramm bezeichnet wird lassen sich alle Phasenzustaumlnde uumlbersichtlich zuordnen Dabei bezeichnen Flaumlchenanteile im PT-Diagramm die unter den gegebenen Druck- und Temperaturbedingungen angestrebte Phase (zB fest fluumlssig gasfoumlrmig) waumlhrend Linien die dazwischen vorliegenden Gleichgewichte markieren und Phasengrenzlinien genannt werden (Abb 28)

T

Pfe

st

fluumlss

ig

gasfouml

rmig

kritischerPunkt

Tripel-punkt

Phasengrenzlinie

Abb 28 Phasendiagramm mit Auftragung des Drucks (P) gegen die Temperatur (T)

Auszligerdem enthaumllt ein Phasendiagramm gewoumlhnlich mindestens zwei besonders ausgezeich-nete Punkte den Tripelpunkt an dem die drei im Allgemeinen wichtigsten Phasenzustaumlnde fest fluumlssig und gasfoumlrmig miteinander im Gleichgewicht stehen und den bereits aus dem PV-Diagramm bekannten kritischen Punkt der das Ende eines definierten Uumlbergangs zwischen fluumlssiger und gasfoumlrmiger Phase markiert Beispiele fuumlr Phasendiagramme Kohlen-dioxid und Wasser sind in Abbildung 29 und 30 wiedergegeben

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40

T

P

fest

fluumlss

iggasfoumlrmig

kritischerPunkt

Tripel-punkt

2168 K

511 bar

CO2

3042 K

728 bar

Abb 29 Phasendiagramm fuumlr Kohlendioxid

T

P

fluumlss

ig

gasfoumlrmig

kritischerPunkt

H2O

Eis 1

Eis 1

Eis 2 Eis 3

Eis 5

Eis 6

Tripelpunkt6473 K

218 bar

6 mbar 27316 K

Abb 30 Phasendiagramm fuumlr Wasser Der Bereich oberhalb von 200 bar ist aus Gruumlnden der

Uumlbersichtlichkeit entlang der P-Achse komprimiert dargestellt

Eine wichtige Besonderheit des Phasenverhaltens von Wasser ist die Tatsache dass die Phasengrenzlinie zwischen fluumlssigem Wasser und Eis 1 eine negative Steigung aufweist Dies hat zur Folge dass gewoumlhnliches Eis durch Erhoumlhung des Drucks zum Schmelzen gebracht werden kann Dieser Umstand ist eine der Ursachen dafuumlr dass eine Kufe auf Eis gleitet da der durch das Schmelzen entstehende Wasserfilm die Reibung vermindert (allerdings spielt hier auch die Reibungswaumlrme eine Rolle) Der Grund fuumlr dieses Verhalten steht in direkter Verbindung mit der strukturbedingten Volumenabnahme beim Schmelzen von Eis (s Videos unter httpwwwyoutubecomwatchv=6s0b_keOiOU und httpswwwyoutubecomwatchv=CDTZoFGmZoc )

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Waumlhlt man in einem Phasendiagramm eine Kombination von Druck und Temperatur so kann man direkt denjenigen Phasenzustand ablesen den die gegebene Teilchenart unter diesen Bedingungen anstrebt Das heiszligt jedoch nicht dass dieser Zustand dann auch in jedem Fall und zu jeder Zeit vorliegt Haumlufig beobachtet man eine so genannte kinetische Hemmung einer Phasenumwandlung So gibt es unterkuumlhlte Fluumlssigkeiten (zB Regentropfen bei -3degC) genauso wie unterkuumlhlte Dampfphasen (zB uumlbersaumlttigten Wasserdampf in Gewitterwolken) oder uumlberhitzte Fluumlssigkeiten (zB uumlberhitztes Wasser bei einem Siedeverzug) Kristalli-sationskeime wie Staubkoumlrner koumlnnen Phasenumwandlungen beschleunigen (zB durch Staub verursachter bdquoIndustrieschneeldquo) Bisher wurden lediglich Phasendiagramme von reinen Stoffen betrachtet die nur aus einer einzelnen Sorte Atomen oder Molekuumllen bestehen Mischt man einem gegebenen Stoff eine weitere Komponente hinzu so aumlndert sich das Phasendiagramm erheblich Als Beispiel betrachten wir ein System in dessen fluumlssiger Phase ein Fremdstoff A geloumlst wird der weder im Festkoumlrper noch im der Gasphase loumlslich ist (zB Kochsalz in Wasser) In diesem Fall dehnt sich der fluumlssige Bereich des Phasendiagramms mit steigender Konzentration von A in alle Richtungen aus so dass gleichzeitig der Schmelzpunkt erniedrigt der Siedepunkt erhoumlht und der Dampfdruck verringert wird (Abb 31) In erster Naumlherung sind alle genannten Aumlnderungen proportional zu cA

T

P

fest

fluumlss

ig

gasfouml

rmig

Abb 31 Phasendiagramm fuumlr ein System in dessen fluumlssiger Phase ein Fremdstoff mit steigender

Konzentration cA geloumlst wird Der Bereich der fluumlssigen Phase dehnt sich daraufhin in alle

Richtungen aus

Bei weiter steigender Konzentration von A kann ein Punkt erreicht werden an dem die Mischung in zwei getrennte Bereiche zerfaumlllt die ebenfalls als Phasen bezeichnet werden (zB Olivenoumll und Wasser) Eine dieser Phasen besitzt dann einen hohen Loumlsemittelanteil bei geringer Konzentration von A die andere besteht aus einem hohen Anteil an A mit einem geringen Gehalt an Loumlsemittel Dieser Vorgang der Phasenseparation binaumlrer (aus zwei Komponenten bestehender) Systeme wird durch eine andere Art von Phasendiagramm beschrieben dem so genannten Mischphasendiagramm (Abb 32) Hierbei wird die Tempe-

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ratur dem relativen Anteil einer Komponente gegenuumlbergestellt der Druck wird als konstant angenommen

Abb 32 Allgemeine Darstellung eines Mischphasendiagramms

Grundsaumltzlich gibt die linke Flanke der Phasentrennlinie (links des kritischen Punkts) die Zusammensetzung der bdquoA-armenldquo Phase an waumlhrend die rechte Flanke (rechts des kritischen Punkts) die Zusammensetzung der A-reichen Phase beschreibt Die Mengen der dabei gebildeten Phasen koumlnnen nach dem so genannten Hebelgesetz berechnet werden Demnach gilt zwischen dem Anteil n1 der A-armen Phase 1 dem Anteil n2 der A-reichen Phase 2 und den Laumlngen der Pfeile s1 und s2 in der vorhergehenden Abbildung folgender Zusammenhang

n1 s1 = n2 s2

Fuumlr das gezeigte Beispiel wuumlrde das bedeuten dass der Anteil der Phase 1 etwa doppelt so groszlig waumlre wie der Anteil der Phase 2 In der Naumlhe der beiden Raumlnder des Diagramms also fuumlr xA 0 (sehr wenig A im Loumlsemittel) oder xA 1 (sehr wenig Loumlsemittel in A) liegen in den meisten Faumlllen einphasige homogene Mischungen vor Das besagt dass auch bei niedrigen Temperaturen ein wenig von dem Stoff A im Loumlsemittel bzw ein wenig Loumlsemittel im Stoff A loumlslich ist Der im Diagramm eingezeichnete kritische Punkt bedeutet dass oberhalb der dazugehoumlrigen kritischen Temperatur keine Entmischung mehr erfolgt dh hier sind die beiden Komponenten vollstaumlndig und in jedem Verhaumlltnis miteinander mischbar Neben solchen oberen kritischen Punkten gibt es auch untere kritische Punkte Im zweiten Fall gilt dass die beiden Komponenten unterhalb einer bestimmten Temperatur in jedem Verhaumlltnis miteinander mischbar sind Im Allgemeinen koumlnnen die drei verschiedenen Faumllle auftreten die in Abbildung 33 dargestellt sind

0 Molenbruch xA der Komponente A 1

Tem

pera

tur

obere kritischeTemperatur

Einphasen-gebiet

Zweiphasen-gebiet

Beispiel xA = 04

T1

Zum gezeigten Beispiel

Eine Mischung mit dem Molenbruch xA = 04 wird von T2 nach T1 abgekuumlhltDabei zerfaumlllt die Mischung bei Tklsquo in zwei Phasen derenZusammensetzung bei T1auf der x-Achse an den Punkten 1 und 2 ablesbar ist

T2

Tklsquo

1 2

kritischer Punkt

s1 s2

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0 xA 1

Tem

pera

tur

System mit oberem kritischen Punkt

kritischer Punkt

0 xA 1Te

mpe

ratu

r

System mit unterem kritischen Punkt

kritischer Punkt

0 xA 1

Tem

pera

tur

System mit oberem und unterem

kritischen Punkt

kritischer Punkt

kritische Punkte

Abb 33 Moumlgliche Varianten von kritischen Punkten bei Systemen aus zwei Komponenten

Obere kritische Punkte findet man dann wenn sich die molekulare thermische Bewegung gegen die Tendenz der Molekuumlle sich mit gleichartigen Molekuumllen zusammenzulagern durchsetzt Dieses Phaumlnomen ist sehr verbreitet so dass ein oberer kritischer Punkt bei sehr vielen Mischphasen beobachtet wird Untere kritische Punkte sind sehr viel seltener Sie treten beispielsweise dann auf wenn die beiden Komponenten miteinander bei tiefen Temperaturen einen Komplex bilden der bei houmlheren Temperaturen wieder zerfaumlllt und dann zu einer Phasenseparation fuumlhrt Ein Beispiel dafuumlr ist die Mischung aus Wasser und Triethylamin

Fuumlr Mischphasen aus drei Komponenten so genannte ternaumlre Mischungen sind die bisher gezeigten Darstellungen ungeeignet Hierfuumlr haben sich Dreiecksdiagramme (Gibbssches Phasendreieck) durchgesetzt die das Phasenverhalten unter Variation der Mengenbeitraumlge aller drei Komponenten aufzeigen (Abb 34) Das Diagramm ist so geartet dass die Summe aller drei Mengenanteile xA xB und xC in jedem Fall den Wert 1 ergibt Damit besitzt die Zusammensetzung des ternaumlren Gemisches zwei Freiheitsgrade Jede Linie die durch eine Ecke des Diagramms fuumlhrt verbindet diejenigen Punkte bei denen das Verhaumlltnis zweier Komponenten gleich ist Jede Linie die parallel zu einer der drei Seiten verlaumluft entspricht Gemischen bei denen der relative Anteil einer Komponente gleich bleibt

00 02 04 06 08 10Komponente A

00

02

04

06

08

10

Kom

pone

nte

B

0002

04

06

08

10

Komponente C

C

A

B

00 02 04 06 08 10Komponente A

00

02

04

06

08

10

Kom

pone

nte

B

00

02

04

06

08

10

Komponente C

x1

x2x

Abb 34 Prinzip eines ternaumlren Phasendiagramms nach Gibbs (Dreiecksdiagramm)

In solche ternaumlren Mischphasendiagramme lassen sich nun entsprechend den binaumlren Mischphasendiagrammen die Ein- und Zweiphasengebiete einzeichnen Das Diagramm in

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Abb 34 rechts gilt zB fuumlr eine ternaumlre Mischung aus A B und C bei der die Komponenten A und B sowie B und C jeweils paarweise in jedem Verhaumlltnis miteinander mischbar sind Die Komponenten A und C sollen dagegen nur begrenzt mischbar sein Als Konsequenz daraus ergibt sich ein Dreiecksdiagramm das an der unteren Achse die dem Anteil 0 der Komponente B entspricht ein Zweiphasengebiet aufweist

Die Hilfslinien im Zweiphasengebiet markieren die Zusammensetzung der entstehenden Einzelphasen So wuumlrde beispielsweise eine Mischung deren Zusammensetzung im Diagramm durch den Punkt x markiert ist in die beiden Phasen x1 und x2 zerfallen Die Mengenanteile der beiden Phasen koumlnnten dabei wieder uumlber das Hebelgesetz berechnet werden Um zusaumltzlich den Einfluss der Temperatur wiederzugeben muss eine weitere Koordinate eingefuumlhrt werden Man erhaumllt dabei ein dreidimensionales Dreiecksdiagramm das haumlufig unter Verwendung von Houmlhenlinien nach der Art einer topographischen Landkarte dargestellt wird Jede Houmlhenlinie des Zweiphasengebiets umschreibt dann seine Ausdehnung bei einer gegebenen Temperatur

Fragt man bei einem System mit bestehenden Randbedingungen nach der Zahl der frei variierbaren Zustandsgroumlszligen also nach der Zahl der Freiheitsgrade so haumlngt die Antwort zunaumlchst davon ab in welchem Phasenzustand sich das System befindet So kann man beispielsweise in der Gasphase (bei festgelegter Stoffmenge) Temperatur und Druck frei waumlhlen wodurch dann automatisch das Volumen festgelegt wird Gleiches gilt fuumlr die feste und die fluumlssige Phase Das System hat innerhalb eines Phasenzustands also zwei Freiheits-grade Setzt man allerdings voraus dass sich das System in einem Gleichgewicht zwischen zwei Phasen befindet (zB auf der Verdampfungslinie) so besitzt es nur einen Freiheitsgrad Am Tripelpunkt schlieszliglich bei einem Gleichgewicht zwischen drei Phasen sind keine Freiheitsgrade mehr vorhanden Zwischen der Zahl der Phasen P und der Zahl der Freiheitsgrade F gibt es also folgende einfache Beziehung

F = 3 - P

Beruumlcksichtigt man weiter dass auch mehr als eine Komponente auftreten kann (Zahl der Komponenten C gt 1) so erhoumlht sich die Zahl der Freiheitsgrade um jede zusaumltzliche Komponente deren Konzentration ja frei waumlhlbar ist um den Wert eins Man erhaumllt damit

F = 3 - P + (C - 1) oder F = C - P + 2

Nach dieser allgemeinguumlltigen Formel der so genannten Gibbsrsquoschen Phasenregel laumlsst sich die Zahl der Freiheitsgrade in jedem beliebigen System bestimmen Sie erlaubt insbesondere bei sehr komplizierten Mischungen mit einer unbekannten Anzahl an Phasenzustaumlnden uumlber eine einfache Betrachtung Ruumlckschluumlsse auf deren Phasenverhalten

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P

V

Zweiphasen-gebiet Tc

Pc

Vc

kritischer Punkt

Jedes reale Gas besitzt einen sogenannten kritischenPunkt der durch die kritischen Zustandsgroumlszligen Tc Pc undVc beschrieben wird Die kritische Temperatur Tc istdiejenige Temperatur bei der sich ein Gas unter Druckgerade noch verfluumlssigen laumlszligt Oberhalb der kritischenTemperatur existiert kein fluumlssiger Zustand Derentsprechende Druck Pc wird als kritischer Druckbezeichnet

Die Isotherme die der kritischen Temperatur zugeordnetist besitzt als einzige einen Wendepunkt mit horizontalerTangente der gleichzeitig den kritischen Punkt markiert

Abb 25 PV-Diagramm fuumlr ein reales Gas mit kritischem Punkt

Dieser sogenannte kritische Punkt wird durch die kritische Temperatur Tc den kritischen Druck Pc und das kritische Molvolumen Vc festgelegt Zustaumlnde oberhalb des kritischen Punkts nennt man uumlberkritisch Uumlberkritisches Kohlendioxid besitzt in der Technik groszlige Bedeutung fuumlr das Loumlsen und Ausfaumlllen von pharmazeutischen Wirkstoffen (zB Aspirin fuumlr Brausetabletten) fuumlr die Extraktion (zB bei der Entkoffeinierung von Kaffee) oder zur chemischen Reinigung von Textilien

35 Andere Zustandsgleichungen fuumlr reale Gase

Neben der van-der-Waals-Gleichung existieren weitere Ansaumltze zur Beschreibung realer Gase die zwar eine genauere Anpassung an die gemessenen Werte ermoumlglichen aber auch kompli-zierter sind oder mehr Arbeit bei der Bestimmung der charakteristischen Parameter erfordern Im Folgenden seien als Beispiele die Berthelot-Gleichung und die Virialgleichung erwaumlhnt

a Berthelot-Gleichung (P + (Ansup2)(TVsup2) ) (V - nB) = n R T Berthelot fuumlhrte damit als Besonderheit einen temperaturabhaumlngigen Binnendruck ein Dies ist insoweit physikalisch gerechtfertigt als die vermehrte thermische Bewegung der Ausbildung von Wechselwirkungen zwischen den Molekuumllen entgegenwirken kann

b Virialgleichung P Vm = A + B P + C Psup2 + D Psup3 + Mit Vm = Vn Die Virialgleichung nutzt die Tatsache dass sich fast alle physikalischen Zusammenhaumlnge uumlber einen Potenzreihenansatz a + bx + cxsup2 + dxsup3 + hellip beliebig genau annaumlhern lassen Je nach Anzahl der anpassbaren Parameter ist zwar eine beliebig genaue Beschreibung des realen Gases moumlglich allerdings steigt auch der Aufwand fuumlr die Bestim-mung aller Koeffizienten

36 Beschreibung von Fluumlssigkeiten

Im PV-Diagramm der realen Gase schlieszligt sich links vom Zweiphasengebiet der Bereich der fluumlssigen Phase an Sie zeichnet sich dadurch aus dass mit sinkendem Volumen der Druck ex-trem steil ansteigt Das bedeutet dass bereits eine geringfuumlgige Volumenabnahme mit einem aumluszligerst groszligen Druckanstieg verbunden ist In der Praxis hat das zur Folge dass Fluumlssigkeiten im Gegensatz zu Gasen kaum komprimierbar sind ihre Kompressibilitaumlt geht gegen Null Auch ist die Ausdehnung der Fluumlssigkeiten bei steigender Temperatur und bei konstantem

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Druck (der thermische Ausdehnungskoeffizient) sehr viel kleiner als bei Gasen Eine einfache allgemeine Zustandsgleichung fuumlr die fluumlssige Phase in Analogie zur idealen oder zur van-der-Waals-Gleichung existiert nicht Stattdessen findet man bei der experimentellen Bestimmung des Zusammenhangs zwischen P V und T fuumlr jede Fluumlssigkeit ein sehr charakteristisches Verhalten Vergleicht man die Messergebnisse verschiedener Fluumlssigkeiten untereinander so sind kaum Aumlhnlichkeiten auszumachen Daruumlber hinaus sind bestimmte Messungen (zB die Messung der Abhaumlngigkeit des Drucks vom Volumen bei konstanter Teilchenzahl und Temperatur) technisch sehr schwer zu realisieren Das Fehlen einer einheitlichen Zustandsgleichung V(TPn) fuumlr Fluumlssigkeiten liegt auch in deren komplexer Struktur begruumlndet Betrachtet man ein einzelnes Teilchen in der Fluumlssigkeit so liegt es bezuumlglich der Abstaumlnde zu seinen naumlchsten Nachbarn stets in der Naumlhe des Mini-mums einer Potentialkurve Epot(r) die einen sehr steilen Verlauf besitzt Die Abstaumlnde zu den benachbarten Teilchen sind damit nahezu fixiert folglich ist eine unabhaumlngige Translations-bewegung einzelner Teilchen praktisch unmoumlglich Stattdessen verlaufen alle Bewegungs-prozesse mehr oder weniger kollektiv also unter gleichzeitiger Verschiebung mehrerer Teilchen Daruumlber hinaus gibt es keine nennenswerten freien Volumina so dass der mittlere Abstand der Teilchen nur unwesentlich verringert werden kann ein Umstand der sich in der bereits erwaumlhnten geringen Kompressibilitaumlt aumluszligert Ein Modell fuumlr eine allgemeine Fluumlssigkeit laumlsst sich im Rahmen einer Computersimulation einfuumlhren Man betrachtet dabei einen wuumlrfelfoumlrmigen Raum der einen Ausschnitt aus dem Fluumlssigkeitsvolumen darstellen soll und eine endliche Anzahl n von Fluumlssigkeitsteilchen (zB n = 1000) enthaumllt Um die Zahl der Teilchen konstant zu halten und dabei trotzdem deren Beweglichkeit zu wahren wird eine Kontinuitaumltsbedingung eingefuumlhrt Jedes Teilchen das im Rahmen der Bewegungsprozesse den Wuumlrfel an einer gegebenen Stelle verlaumlsst tritt automatisch an der genau gegenuumlberliegenden Position des Wuumlrfels wieder ein Auf diese Weise ist gewaumlhrleistet dass die Zahl der Teilchen im Wuumlrfel konstant bleibt (Abb 26)

Abb 26 Simulation von Bewegungs-vorgaumlngen in einem Fluumlssigkeitsvolumen unter Wahrung einer konstanten Partikel-anzahl Jedes Teilchen das im Rahmen der Bewegungsprozesse den Wuumlrfel an einer gegebenen Stelle verlaumlsst tritt automatisch an der genau gegenuumlberliegenden Position des Wuumlrfels wieder ein

An diesem System fuumlhrt man nun eine so genannte Monte-Carlo-Simulation durch Dabei setzt ein Zufallsgenerator eine geringfuumlgige Verschiebung eines beliebigen einzelnen Teil-chens in Gang Anschlieszligend wird unter Verwendung des bekannten Potentialverlaufs Epot(r) berechnet wie sich nach der Verschiebung die potentielle Energie des Systems veraumlndert hat Danach entscheidet das Simulationsprogramm zwischen zwei Moumlglichkeiten

- Hat sich die gesamte potentielle Energie des Systems durch die Verschiebung verringert oder blieb sie konstant so wird die Verschiebung akzeptiert und der naumlchste Schritt berechnet - Hat sich die gesamte potentielle Energie durch die Verschiebung um den positiven Wert E erhoumlht so wird die Verschiebung mit einer Wahrscheinlichkeit die von E abhaumlngt akzeptiert und ansonsten verworfen Danach wird der naumlchste Schritt berechnet

Auf diese Weise kann man fuumlr beliebige Fluumlssigkeiten sowohl die typischen Bewegungs-prozesse als auch die einflussbedingten Veraumlnderung von Zustandsgroumlszligen (zB P in Ab-

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haumlngigkeit von V) berechnen Allerdings sind die Rechnungen bei den fuumlr eine realistische Beschreibung eines Fluumlssigkeitsvolumens notwendigen groszligen Teilchenzahlen sehr aufwaumlndig und zeitintensiv

37 Beschreibung von Festkoumlrpern

Begibt man sich im P-V-Diagramm vom fluumlssigen Zustand ausgehend noch weiter nach links (zu kleineren Volumina houmlheren Drucken und niedrigeren Temperaturen) so erreicht man den festen Zustand Die Problematik der Zustandsgleichung V(TPn) von Festkoumlrpern aumlhnelt jener der Fluumlssigkeiten Auch hier sind die Kompressibilitaumlten und die thermischen Aus-dehnungskoeffizienten uumlblicherweise sehr viel geringer als bei Gasen Ebenso wie bei Fluumls-sigkeiten sind dabei die Unterschiede zwischen einzelnen Vertretern der Festkoumlrper recht groszlig so dass keine gemeinsame Zustandsgleichung wie bei Gasen formuliert werden kann Im Vergleich mit den Werten der Fluumlssigkeiten sind die Kompressibilitaumlten und die thermischen Ausdehnungskoeffizienten der Festkoumlrper durchschnittlich nochmals um etwa zwei Groumlszligen-ordnungen geringer

Abb 27 Torsionsexperiment zur Unterscheidung zwischen Fluumlssigkeiten und Festkoumlrpern (s Text)

Der wesentliche Unterschied zwischen Festkoumlrpern und Fluumlssigkeiten besteht allerdings in ihrem gegensaumltzlichen Verhalten bezuumlglich Verformung waumlhrend Fluumlssigkeiten einer gege-benen Verformung durch ihre Zaumlhigkeit (Viskositaumlt) Widerstand leisten reagiert ein Fest-koumlrper auf eine Verformung durch eine elastische Deformation Dieses Verhalten wird in einem Torsionsrheometer deutlich wobei eine feste oder fluumlssige Probe periodisch mit einer torsionsartigen Verformung beaufschlagt wird (Abb 27) Waumlhrend der Drehmomentverlauf des Festkoumlrpers exakt gleichphasig zur periodischen Aus-lenkung erfolgt (elastische Verformung) ist der Drehmomentverlauf der Fluumlssigkeit dazu um ein Viertel einer Wellenlaumlnge phasenverschoben (viskose Reaktion) Bei Fluumlssigkeiten ist der Widerstand dann maximal wenn die Deformationsgeschwindigkeit maximal ist (blaue Linie

t

Dre

hmom

entv

erla

uf

tAusl

enku

ng

Festkoumlrper

t

Dre

hmom

entv

erla

uf

Fluumlssigkeiten

Pruumlfkoumlrper

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in Abb 26) Bei Festkoumlrpern ist die Kraft dann maximal wenn der Deformationszustandmaximal ist (rote Linie in Abb 27) Viele Festkoumlrper stellen Uumlbergaumlnge zwischen diesen beiden Extremfaumlllen dar und werden dann als viskoelastisch bezeichnet Aus der Betrachtung von Messergebnissen an einer Viel-zahl von Materialien geht hervor dass eine eindeutige Abgrenzung zwischen dem fluumlssigen und dem festen Zustand selten moumlglich ist Entsprechend gibt es auch unterschiedliche Strukturmodelle die teilweise das elastische Verhalten teilweise das plastische Verhalten von Festkoumlrpern erklaumlren Dem elastischen Festkoumlrper mit nahezu verschwindender Phasen-verschiebung wird am ehesten das Modell eines idealen Kristalls gerecht Man geht dabei davon aus dass jedes Atom bzw Molekuumll aus dem der Festkoumlrper zusammengesetzt ist sich an einem geometrisch festgelegten Gitterpunkt befindet von dem es sich nicht entfernen kann Als Bewegungsprozess ist dabei lediglich eine Schwingung mit begrenzter Amplitude moumlglich Die denkbaren Geometrien der Gitterstrukturen reichen von primitiv-kubischen Gittern (zB Natriumchlorid) uumlber kubisch-dichteste (zB Silber Kupfer) und hexagonal-dichteste Kugelpackungen (zB Magnesium Zink) bis zur kubisch-raumzentrierten Struktur (zB Eisen Molybdaumln) Haumlufig findet man leichte Abweichungen von der idealen Gitter-struktur die durch lokale Stoumlrungen hervorgerufen werden Akzeptiert man gewisse Anteile an viskosem Verhalten (dh eine leichte Phasenverschiebung) so begibt man sich in den Grenzbereich zwischen Festkoumlrpern und Fluumlssigkeiten In einem Material wie Glas ist die regelmaumlszligige Anordnung eines Gitters nicht gegeben die Atome sind unregelmaumlszligig positioniert und koumlnnen unter Belastung auch flieszligen Solche nicht-kristallinen Festkoumlrper bezeichnet man als amorph Typische Vertreter amorpher Feststoffe sind Fenster-glas viele transparente Kunststoffe (zB Plexiglas Polyester in Getraumlnkeflaschen) Wachs und Aumlhnliches Amorphe Festkoumlrper besitzen keinen Schmelzpunkt sondern erweichen bei steigender Temperatur allmaumlhlich Amorphe Festkoumlrper koumlnnen nachtraumlglich kristallisieren wobei sich haumlufig das aumluszligere Erscheinungsbild und die physikalischen Eigenschaften drastisch aumlndern (zB Plastikfolie unter Zug)

38 Das Phasendiagramm

Die drei wichtigsten Phasenzustaumlnde zu denen sich eine makroskopische Gesamtheit von Atomen oder Molekuumllen zusammenfinden koumlnnen sind also Gase Fluumlssigkeiten und Festkoumlrper Die Frage ist nun unter welchen Bedingungen sich ein System fuumlr den ersten den zweiten oder den dritten Zustand entscheidet Erfahrungsgemaumlszlig haumlngt der gegebene Phasenzustand von den in Kapitel 31 eingefuumlhrten Zustandsparametern n V P und T ab Legt man die Stoffmenge n auf einen Wert fest (zB auf ein Mol Teilchen) und beruumlcksichtigt man dass nach den gegebenen Zustandsgleichungen die Groumlszligen n V P und T miteinander verknuumlpft sind so genuumlgen zwei Parameter um den jeweils guumlnstigsten Phasenzustand eindeutig festzulegen Ein Diagramm bei dem einer der Parameter V P und T gegen einen anderen aufgetragen wird eignet sich also prinzipiell um bei einer gegebenen Teilchenart den unter diesen Bedingungen jeweils angestrebten Phasenzustand zu markieren So kann man gemaumlszlig den Abbildungen 23 bis 25 in einem Diagramm bei dem P gegen V aufgetragen wird schon den jeweils gegebenen Phasenzustand eintragen und ablesen In der Praxis eignen sich solche PV-Diagramme allerdings wenig um Phasenzustaumlnde zu markieren der gasfoumlrmige Zustand nimmt einen sehr breiten Raum ein waumlhrend der fluumlssige und der feste Zustand in dem sehr engen Bereich links neben dem Zweiphasengebiet bdquoeingequetschtldquo waumlre Vor allem in diesem Umfeld waumlre das Diagramm schwer ablesbar

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Wesentlich guumlnstiger ist dagegen die Auftragung vom Druck P gegen die Temperatur T In diesem PT-Diagramm das auch als Phasendiagramm bezeichnet wird lassen sich alle Phasenzustaumlnde uumlbersichtlich zuordnen Dabei bezeichnen Flaumlchenanteile im PT-Diagramm die unter den gegebenen Druck- und Temperaturbedingungen angestrebte Phase (zB fest fluumlssig gasfoumlrmig) waumlhrend Linien die dazwischen vorliegenden Gleichgewichte markieren und Phasengrenzlinien genannt werden (Abb 28)

T

Pfe

st

fluumlss

ig

gasfouml

rmig

kritischerPunkt

Tripel-punkt

Phasengrenzlinie

Abb 28 Phasendiagramm mit Auftragung des Drucks (P) gegen die Temperatur (T)

Auszligerdem enthaumllt ein Phasendiagramm gewoumlhnlich mindestens zwei besonders ausgezeich-nete Punkte den Tripelpunkt an dem die drei im Allgemeinen wichtigsten Phasenzustaumlnde fest fluumlssig und gasfoumlrmig miteinander im Gleichgewicht stehen und den bereits aus dem PV-Diagramm bekannten kritischen Punkt der das Ende eines definierten Uumlbergangs zwischen fluumlssiger und gasfoumlrmiger Phase markiert Beispiele fuumlr Phasendiagramme Kohlen-dioxid und Wasser sind in Abbildung 29 und 30 wiedergegeben

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T

P

fest

fluumlss

iggasfoumlrmig

kritischerPunkt

Tripel-punkt

2168 K

511 bar

CO2

3042 K

728 bar

Abb 29 Phasendiagramm fuumlr Kohlendioxid

T

P

fluumlss

ig

gasfoumlrmig

kritischerPunkt

H2O

Eis 1

Eis 1

Eis 2 Eis 3

Eis 5

Eis 6

Tripelpunkt6473 K

218 bar

6 mbar 27316 K

Abb 30 Phasendiagramm fuumlr Wasser Der Bereich oberhalb von 200 bar ist aus Gruumlnden der

Uumlbersichtlichkeit entlang der P-Achse komprimiert dargestellt

Eine wichtige Besonderheit des Phasenverhaltens von Wasser ist die Tatsache dass die Phasengrenzlinie zwischen fluumlssigem Wasser und Eis 1 eine negative Steigung aufweist Dies hat zur Folge dass gewoumlhnliches Eis durch Erhoumlhung des Drucks zum Schmelzen gebracht werden kann Dieser Umstand ist eine der Ursachen dafuumlr dass eine Kufe auf Eis gleitet da der durch das Schmelzen entstehende Wasserfilm die Reibung vermindert (allerdings spielt hier auch die Reibungswaumlrme eine Rolle) Der Grund fuumlr dieses Verhalten steht in direkter Verbindung mit der strukturbedingten Volumenabnahme beim Schmelzen von Eis (s Videos unter httpwwwyoutubecomwatchv=6s0b_keOiOU und httpswwwyoutubecomwatchv=CDTZoFGmZoc )

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Waumlhlt man in einem Phasendiagramm eine Kombination von Druck und Temperatur so kann man direkt denjenigen Phasenzustand ablesen den die gegebene Teilchenart unter diesen Bedingungen anstrebt Das heiszligt jedoch nicht dass dieser Zustand dann auch in jedem Fall und zu jeder Zeit vorliegt Haumlufig beobachtet man eine so genannte kinetische Hemmung einer Phasenumwandlung So gibt es unterkuumlhlte Fluumlssigkeiten (zB Regentropfen bei -3degC) genauso wie unterkuumlhlte Dampfphasen (zB uumlbersaumlttigten Wasserdampf in Gewitterwolken) oder uumlberhitzte Fluumlssigkeiten (zB uumlberhitztes Wasser bei einem Siedeverzug) Kristalli-sationskeime wie Staubkoumlrner koumlnnen Phasenumwandlungen beschleunigen (zB durch Staub verursachter bdquoIndustrieschneeldquo) Bisher wurden lediglich Phasendiagramme von reinen Stoffen betrachtet die nur aus einer einzelnen Sorte Atomen oder Molekuumllen bestehen Mischt man einem gegebenen Stoff eine weitere Komponente hinzu so aumlndert sich das Phasendiagramm erheblich Als Beispiel betrachten wir ein System in dessen fluumlssiger Phase ein Fremdstoff A geloumlst wird der weder im Festkoumlrper noch im der Gasphase loumlslich ist (zB Kochsalz in Wasser) In diesem Fall dehnt sich der fluumlssige Bereich des Phasendiagramms mit steigender Konzentration von A in alle Richtungen aus so dass gleichzeitig der Schmelzpunkt erniedrigt der Siedepunkt erhoumlht und der Dampfdruck verringert wird (Abb 31) In erster Naumlherung sind alle genannten Aumlnderungen proportional zu cA

T

P

fest

fluumlss

ig

gasfouml

rmig

Abb 31 Phasendiagramm fuumlr ein System in dessen fluumlssiger Phase ein Fremdstoff mit steigender

Konzentration cA geloumlst wird Der Bereich der fluumlssigen Phase dehnt sich daraufhin in alle

Richtungen aus

Bei weiter steigender Konzentration von A kann ein Punkt erreicht werden an dem die Mischung in zwei getrennte Bereiche zerfaumlllt die ebenfalls als Phasen bezeichnet werden (zB Olivenoumll und Wasser) Eine dieser Phasen besitzt dann einen hohen Loumlsemittelanteil bei geringer Konzentration von A die andere besteht aus einem hohen Anteil an A mit einem geringen Gehalt an Loumlsemittel Dieser Vorgang der Phasenseparation binaumlrer (aus zwei Komponenten bestehender) Systeme wird durch eine andere Art von Phasendiagramm beschrieben dem so genannten Mischphasendiagramm (Abb 32) Hierbei wird die Tempe-

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ratur dem relativen Anteil einer Komponente gegenuumlbergestellt der Druck wird als konstant angenommen

Abb 32 Allgemeine Darstellung eines Mischphasendiagramms

Grundsaumltzlich gibt die linke Flanke der Phasentrennlinie (links des kritischen Punkts) die Zusammensetzung der bdquoA-armenldquo Phase an waumlhrend die rechte Flanke (rechts des kritischen Punkts) die Zusammensetzung der A-reichen Phase beschreibt Die Mengen der dabei gebildeten Phasen koumlnnen nach dem so genannten Hebelgesetz berechnet werden Demnach gilt zwischen dem Anteil n1 der A-armen Phase 1 dem Anteil n2 der A-reichen Phase 2 und den Laumlngen der Pfeile s1 und s2 in der vorhergehenden Abbildung folgender Zusammenhang

n1 s1 = n2 s2

Fuumlr das gezeigte Beispiel wuumlrde das bedeuten dass der Anteil der Phase 1 etwa doppelt so groszlig waumlre wie der Anteil der Phase 2 In der Naumlhe der beiden Raumlnder des Diagramms also fuumlr xA 0 (sehr wenig A im Loumlsemittel) oder xA 1 (sehr wenig Loumlsemittel in A) liegen in den meisten Faumlllen einphasige homogene Mischungen vor Das besagt dass auch bei niedrigen Temperaturen ein wenig von dem Stoff A im Loumlsemittel bzw ein wenig Loumlsemittel im Stoff A loumlslich ist Der im Diagramm eingezeichnete kritische Punkt bedeutet dass oberhalb der dazugehoumlrigen kritischen Temperatur keine Entmischung mehr erfolgt dh hier sind die beiden Komponenten vollstaumlndig und in jedem Verhaumlltnis miteinander mischbar Neben solchen oberen kritischen Punkten gibt es auch untere kritische Punkte Im zweiten Fall gilt dass die beiden Komponenten unterhalb einer bestimmten Temperatur in jedem Verhaumlltnis miteinander mischbar sind Im Allgemeinen koumlnnen die drei verschiedenen Faumllle auftreten die in Abbildung 33 dargestellt sind

0 Molenbruch xA der Komponente A 1

Tem

pera

tur

obere kritischeTemperatur

Einphasen-gebiet

Zweiphasen-gebiet

Beispiel xA = 04

T1

Zum gezeigten Beispiel

Eine Mischung mit dem Molenbruch xA = 04 wird von T2 nach T1 abgekuumlhltDabei zerfaumlllt die Mischung bei Tklsquo in zwei Phasen derenZusammensetzung bei T1auf der x-Achse an den Punkten 1 und 2 ablesbar ist

T2

Tklsquo

1 2

kritischer Punkt

s1 s2

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0 xA 1

Tem

pera

tur

System mit oberem kritischen Punkt

kritischer Punkt

0 xA 1Te

mpe

ratu

r

System mit unterem kritischen Punkt

kritischer Punkt

0 xA 1

Tem

pera

tur

System mit oberem und unterem

kritischen Punkt

kritischer Punkt

kritische Punkte

Abb 33 Moumlgliche Varianten von kritischen Punkten bei Systemen aus zwei Komponenten

Obere kritische Punkte findet man dann wenn sich die molekulare thermische Bewegung gegen die Tendenz der Molekuumlle sich mit gleichartigen Molekuumllen zusammenzulagern durchsetzt Dieses Phaumlnomen ist sehr verbreitet so dass ein oberer kritischer Punkt bei sehr vielen Mischphasen beobachtet wird Untere kritische Punkte sind sehr viel seltener Sie treten beispielsweise dann auf wenn die beiden Komponenten miteinander bei tiefen Temperaturen einen Komplex bilden der bei houmlheren Temperaturen wieder zerfaumlllt und dann zu einer Phasenseparation fuumlhrt Ein Beispiel dafuumlr ist die Mischung aus Wasser und Triethylamin

Fuumlr Mischphasen aus drei Komponenten so genannte ternaumlre Mischungen sind die bisher gezeigten Darstellungen ungeeignet Hierfuumlr haben sich Dreiecksdiagramme (Gibbssches Phasendreieck) durchgesetzt die das Phasenverhalten unter Variation der Mengenbeitraumlge aller drei Komponenten aufzeigen (Abb 34) Das Diagramm ist so geartet dass die Summe aller drei Mengenanteile xA xB und xC in jedem Fall den Wert 1 ergibt Damit besitzt die Zusammensetzung des ternaumlren Gemisches zwei Freiheitsgrade Jede Linie die durch eine Ecke des Diagramms fuumlhrt verbindet diejenigen Punkte bei denen das Verhaumlltnis zweier Komponenten gleich ist Jede Linie die parallel zu einer der drei Seiten verlaumluft entspricht Gemischen bei denen der relative Anteil einer Komponente gleich bleibt

00 02 04 06 08 10Komponente A

00

02

04

06

08

10

Kom

pone

nte

B

0002

04

06

08

10

Komponente C

C

A

B

00 02 04 06 08 10Komponente A

00

02

04

06

08

10

Kom

pone

nte

B

00

02

04

06

08

10

Komponente C

x1

x2x

Abb 34 Prinzip eines ternaumlren Phasendiagramms nach Gibbs (Dreiecksdiagramm)

In solche ternaumlren Mischphasendiagramme lassen sich nun entsprechend den binaumlren Mischphasendiagrammen die Ein- und Zweiphasengebiete einzeichnen Das Diagramm in

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Abb 34 rechts gilt zB fuumlr eine ternaumlre Mischung aus A B und C bei der die Komponenten A und B sowie B und C jeweils paarweise in jedem Verhaumlltnis miteinander mischbar sind Die Komponenten A und C sollen dagegen nur begrenzt mischbar sein Als Konsequenz daraus ergibt sich ein Dreiecksdiagramm das an der unteren Achse die dem Anteil 0 der Komponente B entspricht ein Zweiphasengebiet aufweist

Die Hilfslinien im Zweiphasengebiet markieren die Zusammensetzung der entstehenden Einzelphasen So wuumlrde beispielsweise eine Mischung deren Zusammensetzung im Diagramm durch den Punkt x markiert ist in die beiden Phasen x1 und x2 zerfallen Die Mengenanteile der beiden Phasen koumlnnten dabei wieder uumlber das Hebelgesetz berechnet werden Um zusaumltzlich den Einfluss der Temperatur wiederzugeben muss eine weitere Koordinate eingefuumlhrt werden Man erhaumllt dabei ein dreidimensionales Dreiecksdiagramm das haumlufig unter Verwendung von Houmlhenlinien nach der Art einer topographischen Landkarte dargestellt wird Jede Houmlhenlinie des Zweiphasengebiets umschreibt dann seine Ausdehnung bei einer gegebenen Temperatur

Fragt man bei einem System mit bestehenden Randbedingungen nach der Zahl der frei variierbaren Zustandsgroumlszligen also nach der Zahl der Freiheitsgrade so haumlngt die Antwort zunaumlchst davon ab in welchem Phasenzustand sich das System befindet So kann man beispielsweise in der Gasphase (bei festgelegter Stoffmenge) Temperatur und Druck frei waumlhlen wodurch dann automatisch das Volumen festgelegt wird Gleiches gilt fuumlr die feste und die fluumlssige Phase Das System hat innerhalb eines Phasenzustands also zwei Freiheits-grade Setzt man allerdings voraus dass sich das System in einem Gleichgewicht zwischen zwei Phasen befindet (zB auf der Verdampfungslinie) so besitzt es nur einen Freiheitsgrad Am Tripelpunkt schlieszliglich bei einem Gleichgewicht zwischen drei Phasen sind keine Freiheitsgrade mehr vorhanden Zwischen der Zahl der Phasen P und der Zahl der Freiheitsgrade F gibt es also folgende einfache Beziehung

F = 3 - P

Beruumlcksichtigt man weiter dass auch mehr als eine Komponente auftreten kann (Zahl der Komponenten C gt 1) so erhoumlht sich die Zahl der Freiheitsgrade um jede zusaumltzliche Komponente deren Konzentration ja frei waumlhlbar ist um den Wert eins Man erhaumllt damit

F = 3 - P + (C - 1) oder F = C - P + 2

Nach dieser allgemeinguumlltigen Formel der so genannten Gibbsrsquoschen Phasenregel laumlsst sich die Zahl der Freiheitsgrade in jedem beliebigen System bestimmen Sie erlaubt insbesondere bei sehr komplizierten Mischungen mit einer unbekannten Anzahl an Phasenzustaumlnden uumlber eine einfache Betrachtung Ruumlckschluumlsse auf deren Phasenverhalten

Page 36: Vorlesung PC I Einführung in die Physikalische Chemierelaxation.chemie.uni-duisburg-essen.de/lehre/Skript_PC_2016_2017.pdf · Schwingungen möglich, deren Geometrie (d.h. die Zahl

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Druck (der thermische Ausdehnungskoeffizient) sehr viel kleiner als bei Gasen Eine einfache allgemeine Zustandsgleichung fuumlr die fluumlssige Phase in Analogie zur idealen oder zur van-der-Waals-Gleichung existiert nicht Stattdessen findet man bei der experimentellen Bestimmung des Zusammenhangs zwischen P V und T fuumlr jede Fluumlssigkeit ein sehr charakteristisches Verhalten Vergleicht man die Messergebnisse verschiedener Fluumlssigkeiten untereinander so sind kaum Aumlhnlichkeiten auszumachen Daruumlber hinaus sind bestimmte Messungen (zB die Messung der Abhaumlngigkeit des Drucks vom Volumen bei konstanter Teilchenzahl und Temperatur) technisch sehr schwer zu realisieren Das Fehlen einer einheitlichen Zustandsgleichung V(TPn) fuumlr Fluumlssigkeiten liegt auch in deren komplexer Struktur begruumlndet Betrachtet man ein einzelnes Teilchen in der Fluumlssigkeit so liegt es bezuumlglich der Abstaumlnde zu seinen naumlchsten Nachbarn stets in der Naumlhe des Mini-mums einer Potentialkurve Epot(r) die einen sehr steilen Verlauf besitzt Die Abstaumlnde zu den benachbarten Teilchen sind damit nahezu fixiert folglich ist eine unabhaumlngige Translations-bewegung einzelner Teilchen praktisch unmoumlglich Stattdessen verlaufen alle Bewegungs-prozesse mehr oder weniger kollektiv also unter gleichzeitiger Verschiebung mehrerer Teilchen Daruumlber hinaus gibt es keine nennenswerten freien Volumina so dass der mittlere Abstand der Teilchen nur unwesentlich verringert werden kann ein Umstand der sich in der bereits erwaumlhnten geringen Kompressibilitaumlt aumluszligert Ein Modell fuumlr eine allgemeine Fluumlssigkeit laumlsst sich im Rahmen einer Computersimulation einfuumlhren Man betrachtet dabei einen wuumlrfelfoumlrmigen Raum der einen Ausschnitt aus dem Fluumlssigkeitsvolumen darstellen soll und eine endliche Anzahl n von Fluumlssigkeitsteilchen (zB n = 1000) enthaumllt Um die Zahl der Teilchen konstant zu halten und dabei trotzdem deren Beweglichkeit zu wahren wird eine Kontinuitaumltsbedingung eingefuumlhrt Jedes Teilchen das im Rahmen der Bewegungsprozesse den Wuumlrfel an einer gegebenen Stelle verlaumlsst tritt automatisch an der genau gegenuumlberliegenden Position des Wuumlrfels wieder ein Auf diese Weise ist gewaumlhrleistet dass die Zahl der Teilchen im Wuumlrfel konstant bleibt (Abb 26)

Abb 26 Simulation von Bewegungs-vorgaumlngen in einem Fluumlssigkeitsvolumen unter Wahrung einer konstanten Partikel-anzahl Jedes Teilchen das im Rahmen der Bewegungsprozesse den Wuumlrfel an einer gegebenen Stelle verlaumlsst tritt automatisch an der genau gegenuumlberliegenden Position des Wuumlrfels wieder ein

An diesem System fuumlhrt man nun eine so genannte Monte-Carlo-Simulation durch Dabei setzt ein Zufallsgenerator eine geringfuumlgige Verschiebung eines beliebigen einzelnen Teil-chens in Gang Anschlieszligend wird unter Verwendung des bekannten Potentialverlaufs Epot(r) berechnet wie sich nach der Verschiebung die potentielle Energie des Systems veraumlndert hat Danach entscheidet das Simulationsprogramm zwischen zwei Moumlglichkeiten

- Hat sich die gesamte potentielle Energie des Systems durch die Verschiebung verringert oder blieb sie konstant so wird die Verschiebung akzeptiert und der naumlchste Schritt berechnet - Hat sich die gesamte potentielle Energie durch die Verschiebung um den positiven Wert E erhoumlht so wird die Verschiebung mit einer Wahrscheinlichkeit die von E abhaumlngt akzeptiert und ansonsten verworfen Danach wird der naumlchste Schritt berechnet

Auf diese Weise kann man fuumlr beliebige Fluumlssigkeiten sowohl die typischen Bewegungs-prozesse als auch die einflussbedingten Veraumlnderung von Zustandsgroumlszligen (zB P in Ab-

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haumlngigkeit von V) berechnen Allerdings sind die Rechnungen bei den fuumlr eine realistische Beschreibung eines Fluumlssigkeitsvolumens notwendigen groszligen Teilchenzahlen sehr aufwaumlndig und zeitintensiv

37 Beschreibung von Festkoumlrpern

Begibt man sich im P-V-Diagramm vom fluumlssigen Zustand ausgehend noch weiter nach links (zu kleineren Volumina houmlheren Drucken und niedrigeren Temperaturen) so erreicht man den festen Zustand Die Problematik der Zustandsgleichung V(TPn) von Festkoumlrpern aumlhnelt jener der Fluumlssigkeiten Auch hier sind die Kompressibilitaumlten und die thermischen Aus-dehnungskoeffizienten uumlblicherweise sehr viel geringer als bei Gasen Ebenso wie bei Fluumls-sigkeiten sind dabei die Unterschiede zwischen einzelnen Vertretern der Festkoumlrper recht groszlig so dass keine gemeinsame Zustandsgleichung wie bei Gasen formuliert werden kann Im Vergleich mit den Werten der Fluumlssigkeiten sind die Kompressibilitaumlten und die thermischen Ausdehnungskoeffizienten der Festkoumlrper durchschnittlich nochmals um etwa zwei Groumlszligen-ordnungen geringer

Abb 27 Torsionsexperiment zur Unterscheidung zwischen Fluumlssigkeiten und Festkoumlrpern (s Text)

Der wesentliche Unterschied zwischen Festkoumlrpern und Fluumlssigkeiten besteht allerdings in ihrem gegensaumltzlichen Verhalten bezuumlglich Verformung waumlhrend Fluumlssigkeiten einer gege-benen Verformung durch ihre Zaumlhigkeit (Viskositaumlt) Widerstand leisten reagiert ein Fest-koumlrper auf eine Verformung durch eine elastische Deformation Dieses Verhalten wird in einem Torsionsrheometer deutlich wobei eine feste oder fluumlssige Probe periodisch mit einer torsionsartigen Verformung beaufschlagt wird (Abb 27) Waumlhrend der Drehmomentverlauf des Festkoumlrpers exakt gleichphasig zur periodischen Aus-lenkung erfolgt (elastische Verformung) ist der Drehmomentverlauf der Fluumlssigkeit dazu um ein Viertel einer Wellenlaumlnge phasenverschoben (viskose Reaktion) Bei Fluumlssigkeiten ist der Widerstand dann maximal wenn die Deformationsgeschwindigkeit maximal ist (blaue Linie

t

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Festkoumlrper

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Fluumlssigkeiten

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in Abb 26) Bei Festkoumlrpern ist die Kraft dann maximal wenn der Deformationszustandmaximal ist (rote Linie in Abb 27) Viele Festkoumlrper stellen Uumlbergaumlnge zwischen diesen beiden Extremfaumlllen dar und werden dann als viskoelastisch bezeichnet Aus der Betrachtung von Messergebnissen an einer Viel-zahl von Materialien geht hervor dass eine eindeutige Abgrenzung zwischen dem fluumlssigen und dem festen Zustand selten moumlglich ist Entsprechend gibt es auch unterschiedliche Strukturmodelle die teilweise das elastische Verhalten teilweise das plastische Verhalten von Festkoumlrpern erklaumlren Dem elastischen Festkoumlrper mit nahezu verschwindender Phasen-verschiebung wird am ehesten das Modell eines idealen Kristalls gerecht Man geht dabei davon aus dass jedes Atom bzw Molekuumll aus dem der Festkoumlrper zusammengesetzt ist sich an einem geometrisch festgelegten Gitterpunkt befindet von dem es sich nicht entfernen kann Als Bewegungsprozess ist dabei lediglich eine Schwingung mit begrenzter Amplitude moumlglich Die denkbaren Geometrien der Gitterstrukturen reichen von primitiv-kubischen Gittern (zB Natriumchlorid) uumlber kubisch-dichteste (zB Silber Kupfer) und hexagonal-dichteste Kugelpackungen (zB Magnesium Zink) bis zur kubisch-raumzentrierten Struktur (zB Eisen Molybdaumln) Haumlufig findet man leichte Abweichungen von der idealen Gitter-struktur die durch lokale Stoumlrungen hervorgerufen werden Akzeptiert man gewisse Anteile an viskosem Verhalten (dh eine leichte Phasenverschiebung) so begibt man sich in den Grenzbereich zwischen Festkoumlrpern und Fluumlssigkeiten In einem Material wie Glas ist die regelmaumlszligige Anordnung eines Gitters nicht gegeben die Atome sind unregelmaumlszligig positioniert und koumlnnen unter Belastung auch flieszligen Solche nicht-kristallinen Festkoumlrper bezeichnet man als amorph Typische Vertreter amorpher Feststoffe sind Fenster-glas viele transparente Kunststoffe (zB Plexiglas Polyester in Getraumlnkeflaschen) Wachs und Aumlhnliches Amorphe Festkoumlrper besitzen keinen Schmelzpunkt sondern erweichen bei steigender Temperatur allmaumlhlich Amorphe Festkoumlrper koumlnnen nachtraumlglich kristallisieren wobei sich haumlufig das aumluszligere Erscheinungsbild und die physikalischen Eigenschaften drastisch aumlndern (zB Plastikfolie unter Zug)

38 Das Phasendiagramm

Die drei wichtigsten Phasenzustaumlnde zu denen sich eine makroskopische Gesamtheit von Atomen oder Molekuumllen zusammenfinden koumlnnen sind also Gase Fluumlssigkeiten und Festkoumlrper Die Frage ist nun unter welchen Bedingungen sich ein System fuumlr den ersten den zweiten oder den dritten Zustand entscheidet Erfahrungsgemaumlszlig haumlngt der gegebene Phasenzustand von den in Kapitel 31 eingefuumlhrten Zustandsparametern n V P und T ab Legt man die Stoffmenge n auf einen Wert fest (zB auf ein Mol Teilchen) und beruumlcksichtigt man dass nach den gegebenen Zustandsgleichungen die Groumlszligen n V P und T miteinander verknuumlpft sind so genuumlgen zwei Parameter um den jeweils guumlnstigsten Phasenzustand eindeutig festzulegen Ein Diagramm bei dem einer der Parameter V P und T gegen einen anderen aufgetragen wird eignet sich also prinzipiell um bei einer gegebenen Teilchenart den unter diesen Bedingungen jeweils angestrebten Phasenzustand zu markieren So kann man gemaumlszlig den Abbildungen 23 bis 25 in einem Diagramm bei dem P gegen V aufgetragen wird schon den jeweils gegebenen Phasenzustand eintragen und ablesen In der Praxis eignen sich solche PV-Diagramme allerdings wenig um Phasenzustaumlnde zu markieren der gasfoumlrmige Zustand nimmt einen sehr breiten Raum ein waumlhrend der fluumlssige und der feste Zustand in dem sehr engen Bereich links neben dem Zweiphasengebiet bdquoeingequetschtldquo waumlre Vor allem in diesem Umfeld waumlre das Diagramm schwer ablesbar

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Wesentlich guumlnstiger ist dagegen die Auftragung vom Druck P gegen die Temperatur T In diesem PT-Diagramm das auch als Phasendiagramm bezeichnet wird lassen sich alle Phasenzustaumlnde uumlbersichtlich zuordnen Dabei bezeichnen Flaumlchenanteile im PT-Diagramm die unter den gegebenen Druck- und Temperaturbedingungen angestrebte Phase (zB fest fluumlssig gasfoumlrmig) waumlhrend Linien die dazwischen vorliegenden Gleichgewichte markieren und Phasengrenzlinien genannt werden (Abb 28)

T

Pfe

st

fluumlss

ig

gasfouml

rmig

kritischerPunkt

Tripel-punkt

Phasengrenzlinie

Abb 28 Phasendiagramm mit Auftragung des Drucks (P) gegen die Temperatur (T)

Auszligerdem enthaumllt ein Phasendiagramm gewoumlhnlich mindestens zwei besonders ausgezeich-nete Punkte den Tripelpunkt an dem die drei im Allgemeinen wichtigsten Phasenzustaumlnde fest fluumlssig und gasfoumlrmig miteinander im Gleichgewicht stehen und den bereits aus dem PV-Diagramm bekannten kritischen Punkt der das Ende eines definierten Uumlbergangs zwischen fluumlssiger und gasfoumlrmiger Phase markiert Beispiele fuumlr Phasendiagramme Kohlen-dioxid und Wasser sind in Abbildung 29 und 30 wiedergegeben

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T

P

fest

fluumlss

iggasfoumlrmig

kritischerPunkt

Tripel-punkt

2168 K

511 bar

CO2

3042 K

728 bar

Abb 29 Phasendiagramm fuumlr Kohlendioxid

T

P

fluumlss

ig

gasfoumlrmig

kritischerPunkt

H2O

Eis 1

Eis 1

Eis 2 Eis 3

Eis 5

Eis 6

Tripelpunkt6473 K

218 bar

6 mbar 27316 K

Abb 30 Phasendiagramm fuumlr Wasser Der Bereich oberhalb von 200 bar ist aus Gruumlnden der

Uumlbersichtlichkeit entlang der P-Achse komprimiert dargestellt

Eine wichtige Besonderheit des Phasenverhaltens von Wasser ist die Tatsache dass die Phasengrenzlinie zwischen fluumlssigem Wasser und Eis 1 eine negative Steigung aufweist Dies hat zur Folge dass gewoumlhnliches Eis durch Erhoumlhung des Drucks zum Schmelzen gebracht werden kann Dieser Umstand ist eine der Ursachen dafuumlr dass eine Kufe auf Eis gleitet da der durch das Schmelzen entstehende Wasserfilm die Reibung vermindert (allerdings spielt hier auch die Reibungswaumlrme eine Rolle) Der Grund fuumlr dieses Verhalten steht in direkter Verbindung mit der strukturbedingten Volumenabnahme beim Schmelzen von Eis (s Videos unter httpwwwyoutubecomwatchv=6s0b_keOiOU und httpswwwyoutubecomwatchv=CDTZoFGmZoc )

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Waumlhlt man in einem Phasendiagramm eine Kombination von Druck und Temperatur so kann man direkt denjenigen Phasenzustand ablesen den die gegebene Teilchenart unter diesen Bedingungen anstrebt Das heiszligt jedoch nicht dass dieser Zustand dann auch in jedem Fall und zu jeder Zeit vorliegt Haumlufig beobachtet man eine so genannte kinetische Hemmung einer Phasenumwandlung So gibt es unterkuumlhlte Fluumlssigkeiten (zB Regentropfen bei -3degC) genauso wie unterkuumlhlte Dampfphasen (zB uumlbersaumlttigten Wasserdampf in Gewitterwolken) oder uumlberhitzte Fluumlssigkeiten (zB uumlberhitztes Wasser bei einem Siedeverzug) Kristalli-sationskeime wie Staubkoumlrner koumlnnen Phasenumwandlungen beschleunigen (zB durch Staub verursachter bdquoIndustrieschneeldquo) Bisher wurden lediglich Phasendiagramme von reinen Stoffen betrachtet die nur aus einer einzelnen Sorte Atomen oder Molekuumllen bestehen Mischt man einem gegebenen Stoff eine weitere Komponente hinzu so aumlndert sich das Phasendiagramm erheblich Als Beispiel betrachten wir ein System in dessen fluumlssiger Phase ein Fremdstoff A geloumlst wird der weder im Festkoumlrper noch im der Gasphase loumlslich ist (zB Kochsalz in Wasser) In diesem Fall dehnt sich der fluumlssige Bereich des Phasendiagramms mit steigender Konzentration von A in alle Richtungen aus so dass gleichzeitig der Schmelzpunkt erniedrigt der Siedepunkt erhoumlht und der Dampfdruck verringert wird (Abb 31) In erster Naumlherung sind alle genannten Aumlnderungen proportional zu cA

T

P

fest

fluumlss

ig

gasfouml

rmig

Abb 31 Phasendiagramm fuumlr ein System in dessen fluumlssiger Phase ein Fremdstoff mit steigender

Konzentration cA geloumlst wird Der Bereich der fluumlssigen Phase dehnt sich daraufhin in alle

Richtungen aus

Bei weiter steigender Konzentration von A kann ein Punkt erreicht werden an dem die Mischung in zwei getrennte Bereiche zerfaumlllt die ebenfalls als Phasen bezeichnet werden (zB Olivenoumll und Wasser) Eine dieser Phasen besitzt dann einen hohen Loumlsemittelanteil bei geringer Konzentration von A die andere besteht aus einem hohen Anteil an A mit einem geringen Gehalt an Loumlsemittel Dieser Vorgang der Phasenseparation binaumlrer (aus zwei Komponenten bestehender) Systeme wird durch eine andere Art von Phasendiagramm beschrieben dem so genannten Mischphasendiagramm (Abb 32) Hierbei wird die Tempe-

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ratur dem relativen Anteil einer Komponente gegenuumlbergestellt der Druck wird als konstant angenommen

Abb 32 Allgemeine Darstellung eines Mischphasendiagramms

Grundsaumltzlich gibt die linke Flanke der Phasentrennlinie (links des kritischen Punkts) die Zusammensetzung der bdquoA-armenldquo Phase an waumlhrend die rechte Flanke (rechts des kritischen Punkts) die Zusammensetzung der A-reichen Phase beschreibt Die Mengen der dabei gebildeten Phasen koumlnnen nach dem so genannten Hebelgesetz berechnet werden Demnach gilt zwischen dem Anteil n1 der A-armen Phase 1 dem Anteil n2 der A-reichen Phase 2 und den Laumlngen der Pfeile s1 und s2 in der vorhergehenden Abbildung folgender Zusammenhang

n1 s1 = n2 s2

Fuumlr das gezeigte Beispiel wuumlrde das bedeuten dass der Anteil der Phase 1 etwa doppelt so groszlig waumlre wie der Anteil der Phase 2 In der Naumlhe der beiden Raumlnder des Diagramms also fuumlr xA 0 (sehr wenig A im Loumlsemittel) oder xA 1 (sehr wenig Loumlsemittel in A) liegen in den meisten Faumlllen einphasige homogene Mischungen vor Das besagt dass auch bei niedrigen Temperaturen ein wenig von dem Stoff A im Loumlsemittel bzw ein wenig Loumlsemittel im Stoff A loumlslich ist Der im Diagramm eingezeichnete kritische Punkt bedeutet dass oberhalb der dazugehoumlrigen kritischen Temperatur keine Entmischung mehr erfolgt dh hier sind die beiden Komponenten vollstaumlndig und in jedem Verhaumlltnis miteinander mischbar Neben solchen oberen kritischen Punkten gibt es auch untere kritische Punkte Im zweiten Fall gilt dass die beiden Komponenten unterhalb einer bestimmten Temperatur in jedem Verhaumlltnis miteinander mischbar sind Im Allgemeinen koumlnnen die drei verschiedenen Faumllle auftreten die in Abbildung 33 dargestellt sind

0 Molenbruch xA der Komponente A 1

Tem

pera

tur

obere kritischeTemperatur

Einphasen-gebiet

Zweiphasen-gebiet

Beispiel xA = 04

T1

Zum gezeigten Beispiel

Eine Mischung mit dem Molenbruch xA = 04 wird von T2 nach T1 abgekuumlhltDabei zerfaumlllt die Mischung bei Tklsquo in zwei Phasen derenZusammensetzung bei T1auf der x-Achse an den Punkten 1 und 2 ablesbar ist

T2

Tklsquo

1 2

kritischer Punkt

s1 s2

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0 xA 1

Tem

pera

tur

System mit oberem kritischen Punkt

kritischer Punkt

0 xA 1Te

mpe

ratu

r

System mit unterem kritischen Punkt

kritischer Punkt

0 xA 1

Tem

pera

tur

System mit oberem und unterem

kritischen Punkt

kritischer Punkt

kritische Punkte

Abb 33 Moumlgliche Varianten von kritischen Punkten bei Systemen aus zwei Komponenten

Obere kritische Punkte findet man dann wenn sich die molekulare thermische Bewegung gegen die Tendenz der Molekuumlle sich mit gleichartigen Molekuumllen zusammenzulagern durchsetzt Dieses Phaumlnomen ist sehr verbreitet so dass ein oberer kritischer Punkt bei sehr vielen Mischphasen beobachtet wird Untere kritische Punkte sind sehr viel seltener Sie treten beispielsweise dann auf wenn die beiden Komponenten miteinander bei tiefen Temperaturen einen Komplex bilden der bei houmlheren Temperaturen wieder zerfaumlllt und dann zu einer Phasenseparation fuumlhrt Ein Beispiel dafuumlr ist die Mischung aus Wasser und Triethylamin

Fuumlr Mischphasen aus drei Komponenten so genannte ternaumlre Mischungen sind die bisher gezeigten Darstellungen ungeeignet Hierfuumlr haben sich Dreiecksdiagramme (Gibbssches Phasendreieck) durchgesetzt die das Phasenverhalten unter Variation der Mengenbeitraumlge aller drei Komponenten aufzeigen (Abb 34) Das Diagramm ist so geartet dass die Summe aller drei Mengenanteile xA xB und xC in jedem Fall den Wert 1 ergibt Damit besitzt die Zusammensetzung des ternaumlren Gemisches zwei Freiheitsgrade Jede Linie die durch eine Ecke des Diagramms fuumlhrt verbindet diejenigen Punkte bei denen das Verhaumlltnis zweier Komponenten gleich ist Jede Linie die parallel zu einer der drei Seiten verlaumluft entspricht Gemischen bei denen der relative Anteil einer Komponente gleich bleibt

00 02 04 06 08 10Komponente A

00

02

04

06

08

10

Kom

pone

nte

B

0002

04

06

08

10

Komponente C

C

A

B

00 02 04 06 08 10Komponente A

00

02

04

06

08

10

Kom

pone

nte

B

00

02

04

06

08

10

Komponente C

x1

x2x

Abb 34 Prinzip eines ternaumlren Phasendiagramms nach Gibbs (Dreiecksdiagramm)

In solche ternaumlren Mischphasendiagramme lassen sich nun entsprechend den binaumlren Mischphasendiagrammen die Ein- und Zweiphasengebiete einzeichnen Das Diagramm in

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Abb 34 rechts gilt zB fuumlr eine ternaumlre Mischung aus A B und C bei der die Komponenten A und B sowie B und C jeweils paarweise in jedem Verhaumlltnis miteinander mischbar sind Die Komponenten A und C sollen dagegen nur begrenzt mischbar sein Als Konsequenz daraus ergibt sich ein Dreiecksdiagramm das an der unteren Achse die dem Anteil 0 der Komponente B entspricht ein Zweiphasengebiet aufweist

Die Hilfslinien im Zweiphasengebiet markieren die Zusammensetzung der entstehenden Einzelphasen So wuumlrde beispielsweise eine Mischung deren Zusammensetzung im Diagramm durch den Punkt x markiert ist in die beiden Phasen x1 und x2 zerfallen Die Mengenanteile der beiden Phasen koumlnnten dabei wieder uumlber das Hebelgesetz berechnet werden Um zusaumltzlich den Einfluss der Temperatur wiederzugeben muss eine weitere Koordinate eingefuumlhrt werden Man erhaumllt dabei ein dreidimensionales Dreiecksdiagramm das haumlufig unter Verwendung von Houmlhenlinien nach der Art einer topographischen Landkarte dargestellt wird Jede Houmlhenlinie des Zweiphasengebiets umschreibt dann seine Ausdehnung bei einer gegebenen Temperatur

Fragt man bei einem System mit bestehenden Randbedingungen nach der Zahl der frei variierbaren Zustandsgroumlszligen also nach der Zahl der Freiheitsgrade so haumlngt die Antwort zunaumlchst davon ab in welchem Phasenzustand sich das System befindet So kann man beispielsweise in der Gasphase (bei festgelegter Stoffmenge) Temperatur und Druck frei waumlhlen wodurch dann automatisch das Volumen festgelegt wird Gleiches gilt fuumlr die feste und die fluumlssige Phase Das System hat innerhalb eines Phasenzustands also zwei Freiheits-grade Setzt man allerdings voraus dass sich das System in einem Gleichgewicht zwischen zwei Phasen befindet (zB auf der Verdampfungslinie) so besitzt es nur einen Freiheitsgrad Am Tripelpunkt schlieszliglich bei einem Gleichgewicht zwischen drei Phasen sind keine Freiheitsgrade mehr vorhanden Zwischen der Zahl der Phasen P und der Zahl der Freiheitsgrade F gibt es also folgende einfache Beziehung

F = 3 - P

Beruumlcksichtigt man weiter dass auch mehr als eine Komponente auftreten kann (Zahl der Komponenten C gt 1) so erhoumlht sich die Zahl der Freiheitsgrade um jede zusaumltzliche Komponente deren Konzentration ja frei waumlhlbar ist um den Wert eins Man erhaumllt damit

F = 3 - P + (C - 1) oder F = C - P + 2

Nach dieser allgemeinguumlltigen Formel der so genannten Gibbsrsquoschen Phasenregel laumlsst sich die Zahl der Freiheitsgrade in jedem beliebigen System bestimmen Sie erlaubt insbesondere bei sehr komplizierten Mischungen mit einer unbekannten Anzahl an Phasenzustaumlnden uumlber eine einfache Betrachtung Ruumlckschluumlsse auf deren Phasenverhalten

Page 37: Vorlesung PC I Einführung in die Physikalische Chemierelaxation.chemie.uni-duisburg-essen.de/lehre/Skript_PC_2016_2017.pdf · Schwingungen möglich, deren Geometrie (d.h. die Zahl

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haumlngigkeit von V) berechnen Allerdings sind die Rechnungen bei den fuumlr eine realistische Beschreibung eines Fluumlssigkeitsvolumens notwendigen groszligen Teilchenzahlen sehr aufwaumlndig und zeitintensiv

37 Beschreibung von Festkoumlrpern

Begibt man sich im P-V-Diagramm vom fluumlssigen Zustand ausgehend noch weiter nach links (zu kleineren Volumina houmlheren Drucken und niedrigeren Temperaturen) so erreicht man den festen Zustand Die Problematik der Zustandsgleichung V(TPn) von Festkoumlrpern aumlhnelt jener der Fluumlssigkeiten Auch hier sind die Kompressibilitaumlten und die thermischen Aus-dehnungskoeffizienten uumlblicherweise sehr viel geringer als bei Gasen Ebenso wie bei Fluumls-sigkeiten sind dabei die Unterschiede zwischen einzelnen Vertretern der Festkoumlrper recht groszlig so dass keine gemeinsame Zustandsgleichung wie bei Gasen formuliert werden kann Im Vergleich mit den Werten der Fluumlssigkeiten sind die Kompressibilitaumlten und die thermischen Ausdehnungskoeffizienten der Festkoumlrper durchschnittlich nochmals um etwa zwei Groumlszligen-ordnungen geringer

Abb 27 Torsionsexperiment zur Unterscheidung zwischen Fluumlssigkeiten und Festkoumlrpern (s Text)

Der wesentliche Unterschied zwischen Festkoumlrpern und Fluumlssigkeiten besteht allerdings in ihrem gegensaumltzlichen Verhalten bezuumlglich Verformung waumlhrend Fluumlssigkeiten einer gege-benen Verformung durch ihre Zaumlhigkeit (Viskositaumlt) Widerstand leisten reagiert ein Fest-koumlrper auf eine Verformung durch eine elastische Deformation Dieses Verhalten wird in einem Torsionsrheometer deutlich wobei eine feste oder fluumlssige Probe periodisch mit einer torsionsartigen Verformung beaufschlagt wird (Abb 27) Waumlhrend der Drehmomentverlauf des Festkoumlrpers exakt gleichphasig zur periodischen Aus-lenkung erfolgt (elastische Verformung) ist der Drehmomentverlauf der Fluumlssigkeit dazu um ein Viertel einer Wellenlaumlnge phasenverschoben (viskose Reaktion) Bei Fluumlssigkeiten ist der Widerstand dann maximal wenn die Deformationsgeschwindigkeit maximal ist (blaue Linie

t

Dre

hmom

entv

erla

uf

tAusl

enku

ng

Festkoumlrper

t

Dre

hmom

entv

erla

uf

Fluumlssigkeiten

Pruumlfkoumlrper

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in Abb 26) Bei Festkoumlrpern ist die Kraft dann maximal wenn der Deformationszustandmaximal ist (rote Linie in Abb 27) Viele Festkoumlrper stellen Uumlbergaumlnge zwischen diesen beiden Extremfaumlllen dar und werden dann als viskoelastisch bezeichnet Aus der Betrachtung von Messergebnissen an einer Viel-zahl von Materialien geht hervor dass eine eindeutige Abgrenzung zwischen dem fluumlssigen und dem festen Zustand selten moumlglich ist Entsprechend gibt es auch unterschiedliche Strukturmodelle die teilweise das elastische Verhalten teilweise das plastische Verhalten von Festkoumlrpern erklaumlren Dem elastischen Festkoumlrper mit nahezu verschwindender Phasen-verschiebung wird am ehesten das Modell eines idealen Kristalls gerecht Man geht dabei davon aus dass jedes Atom bzw Molekuumll aus dem der Festkoumlrper zusammengesetzt ist sich an einem geometrisch festgelegten Gitterpunkt befindet von dem es sich nicht entfernen kann Als Bewegungsprozess ist dabei lediglich eine Schwingung mit begrenzter Amplitude moumlglich Die denkbaren Geometrien der Gitterstrukturen reichen von primitiv-kubischen Gittern (zB Natriumchlorid) uumlber kubisch-dichteste (zB Silber Kupfer) und hexagonal-dichteste Kugelpackungen (zB Magnesium Zink) bis zur kubisch-raumzentrierten Struktur (zB Eisen Molybdaumln) Haumlufig findet man leichte Abweichungen von der idealen Gitter-struktur die durch lokale Stoumlrungen hervorgerufen werden Akzeptiert man gewisse Anteile an viskosem Verhalten (dh eine leichte Phasenverschiebung) so begibt man sich in den Grenzbereich zwischen Festkoumlrpern und Fluumlssigkeiten In einem Material wie Glas ist die regelmaumlszligige Anordnung eines Gitters nicht gegeben die Atome sind unregelmaumlszligig positioniert und koumlnnen unter Belastung auch flieszligen Solche nicht-kristallinen Festkoumlrper bezeichnet man als amorph Typische Vertreter amorpher Feststoffe sind Fenster-glas viele transparente Kunststoffe (zB Plexiglas Polyester in Getraumlnkeflaschen) Wachs und Aumlhnliches Amorphe Festkoumlrper besitzen keinen Schmelzpunkt sondern erweichen bei steigender Temperatur allmaumlhlich Amorphe Festkoumlrper koumlnnen nachtraumlglich kristallisieren wobei sich haumlufig das aumluszligere Erscheinungsbild und die physikalischen Eigenschaften drastisch aumlndern (zB Plastikfolie unter Zug)

38 Das Phasendiagramm

Die drei wichtigsten Phasenzustaumlnde zu denen sich eine makroskopische Gesamtheit von Atomen oder Molekuumllen zusammenfinden koumlnnen sind also Gase Fluumlssigkeiten und Festkoumlrper Die Frage ist nun unter welchen Bedingungen sich ein System fuumlr den ersten den zweiten oder den dritten Zustand entscheidet Erfahrungsgemaumlszlig haumlngt der gegebene Phasenzustand von den in Kapitel 31 eingefuumlhrten Zustandsparametern n V P und T ab Legt man die Stoffmenge n auf einen Wert fest (zB auf ein Mol Teilchen) und beruumlcksichtigt man dass nach den gegebenen Zustandsgleichungen die Groumlszligen n V P und T miteinander verknuumlpft sind so genuumlgen zwei Parameter um den jeweils guumlnstigsten Phasenzustand eindeutig festzulegen Ein Diagramm bei dem einer der Parameter V P und T gegen einen anderen aufgetragen wird eignet sich also prinzipiell um bei einer gegebenen Teilchenart den unter diesen Bedingungen jeweils angestrebten Phasenzustand zu markieren So kann man gemaumlszlig den Abbildungen 23 bis 25 in einem Diagramm bei dem P gegen V aufgetragen wird schon den jeweils gegebenen Phasenzustand eintragen und ablesen In der Praxis eignen sich solche PV-Diagramme allerdings wenig um Phasenzustaumlnde zu markieren der gasfoumlrmige Zustand nimmt einen sehr breiten Raum ein waumlhrend der fluumlssige und der feste Zustand in dem sehr engen Bereich links neben dem Zweiphasengebiet bdquoeingequetschtldquo waumlre Vor allem in diesem Umfeld waumlre das Diagramm schwer ablesbar

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Wesentlich guumlnstiger ist dagegen die Auftragung vom Druck P gegen die Temperatur T In diesem PT-Diagramm das auch als Phasendiagramm bezeichnet wird lassen sich alle Phasenzustaumlnde uumlbersichtlich zuordnen Dabei bezeichnen Flaumlchenanteile im PT-Diagramm die unter den gegebenen Druck- und Temperaturbedingungen angestrebte Phase (zB fest fluumlssig gasfoumlrmig) waumlhrend Linien die dazwischen vorliegenden Gleichgewichte markieren und Phasengrenzlinien genannt werden (Abb 28)

T

Pfe

st

fluumlss

ig

gasfouml

rmig

kritischerPunkt

Tripel-punkt

Phasengrenzlinie

Abb 28 Phasendiagramm mit Auftragung des Drucks (P) gegen die Temperatur (T)

Auszligerdem enthaumllt ein Phasendiagramm gewoumlhnlich mindestens zwei besonders ausgezeich-nete Punkte den Tripelpunkt an dem die drei im Allgemeinen wichtigsten Phasenzustaumlnde fest fluumlssig und gasfoumlrmig miteinander im Gleichgewicht stehen und den bereits aus dem PV-Diagramm bekannten kritischen Punkt der das Ende eines definierten Uumlbergangs zwischen fluumlssiger und gasfoumlrmiger Phase markiert Beispiele fuumlr Phasendiagramme Kohlen-dioxid und Wasser sind in Abbildung 29 und 30 wiedergegeben

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T

P

fest

fluumlss

iggasfoumlrmig

kritischerPunkt

Tripel-punkt

2168 K

511 bar

CO2

3042 K

728 bar

Abb 29 Phasendiagramm fuumlr Kohlendioxid

T

P

fluumlss

ig

gasfoumlrmig

kritischerPunkt

H2O

Eis 1

Eis 1

Eis 2 Eis 3

Eis 5

Eis 6

Tripelpunkt6473 K

218 bar

6 mbar 27316 K

Abb 30 Phasendiagramm fuumlr Wasser Der Bereich oberhalb von 200 bar ist aus Gruumlnden der

Uumlbersichtlichkeit entlang der P-Achse komprimiert dargestellt

Eine wichtige Besonderheit des Phasenverhaltens von Wasser ist die Tatsache dass die Phasengrenzlinie zwischen fluumlssigem Wasser und Eis 1 eine negative Steigung aufweist Dies hat zur Folge dass gewoumlhnliches Eis durch Erhoumlhung des Drucks zum Schmelzen gebracht werden kann Dieser Umstand ist eine der Ursachen dafuumlr dass eine Kufe auf Eis gleitet da der durch das Schmelzen entstehende Wasserfilm die Reibung vermindert (allerdings spielt hier auch die Reibungswaumlrme eine Rolle) Der Grund fuumlr dieses Verhalten steht in direkter Verbindung mit der strukturbedingten Volumenabnahme beim Schmelzen von Eis (s Videos unter httpwwwyoutubecomwatchv=6s0b_keOiOU und httpswwwyoutubecomwatchv=CDTZoFGmZoc )

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Waumlhlt man in einem Phasendiagramm eine Kombination von Druck und Temperatur so kann man direkt denjenigen Phasenzustand ablesen den die gegebene Teilchenart unter diesen Bedingungen anstrebt Das heiszligt jedoch nicht dass dieser Zustand dann auch in jedem Fall und zu jeder Zeit vorliegt Haumlufig beobachtet man eine so genannte kinetische Hemmung einer Phasenumwandlung So gibt es unterkuumlhlte Fluumlssigkeiten (zB Regentropfen bei -3degC) genauso wie unterkuumlhlte Dampfphasen (zB uumlbersaumlttigten Wasserdampf in Gewitterwolken) oder uumlberhitzte Fluumlssigkeiten (zB uumlberhitztes Wasser bei einem Siedeverzug) Kristalli-sationskeime wie Staubkoumlrner koumlnnen Phasenumwandlungen beschleunigen (zB durch Staub verursachter bdquoIndustrieschneeldquo) Bisher wurden lediglich Phasendiagramme von reinen Stoffen betrachtet die nur aus einer einzelnen Sorte Atomen oder Molekuumllen bestehen Mischt man einem gegebenen Stoff eine weitere Komponente hinzu so aumlndert sich das Phasendiagramm erheblich Als Beispiel betrachten wir ein System in dessen fluumlssiger Phase ein Fremdstoff A geloumlst wird der weder im Festkoumlrper noch im der Gasphase loumlslich ist (zB Kochsalz in Wasser) In diesem Fall dehnt sich der fluumlssige Bereich des Phasendiagramms mit steigender Konzentration von A in alle Richtungen aus so dass gleichzeitig der Schmelzpunkt erniedrigt der Siedepunkt erhoumlht und der Dampfdruck verringert wird (Abb 31) In erster Naumlherung sind alle genannten Aumlnderungen proportional zu cA

T

P

fest

fluumlss

ig

gasfouml

rmig

Abb 31 Phasendiagramm fuumlr ein System in dessen fluumlssiger Phase ein Fremdstoff mit steigender

Konzentration cA geloumlst wird Der Bereich der fluumlssigen Phase dehnt sich daraufhin in alle

Richtungen aus

Bei weiter steigender Konzentration von A kann ein Punkt erreicht werden an dem die Mischung in zwei getrennte Bereiche zerfaumlllt die ebenfalls als Phasen bezeichnet werden (zB Olivenoumll und Wasser) Eine dieser Phasen besitzt dann einen hohen Loumlsemittelanteil bei geringer Konzentration von A die andere besteht aus einem hohen Anteil an A mit einem geringen Gehalt an Loumlsemittel Dieser Vorgang der Phasenseparation binaumlrer (aus zwei Komponenten bestehender) Systeme wird durch eine andere Art von Phasendiagramm beschrieben dem so genannten Mischphasendiagramm (Abb 32) Hierbei wird die Tempe-

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ratur dem relativen Anteil einer Komponente gegenuumlbergestellt der Druck wird als konstant angenommen

Abb 32 Allgemeine Darstellung eines Mischphasendiagramms

Grundsaumltzlich gibt die linke Flanke der Phasentrennlinie (links des kritischen Punkts) die Zusammensetzung der bdquoA-armenldquo Phase an waumlhrend die rechte Flanke (rechts des kritischen Punkts) die Zusammensetzung der A-reichen Phase beschreibt Die Mengen der dabei gebildeten Phasen koumlnnen nach dem so genannten Hebelgesetz berechnet werden Demnach gilt zwischen dem Anteil n1 der A-armen Phase 1 dem Anteil n2 der A-reichen Phase 2 und den Laumlngen der Pfeile s1 und s2 in der vorhergehenden Abbildung folgender Zusammenhang

n1 s1 = n2 s2

Fuumlr das gezeigte Beispiel wuumlrde das bedeuten dass der Anteil der Phase 1 etwa doppelt so groszlig waumlre wie der Anteil der Phase 2 In der Naumlhe der beiden Raumlnder des Diagramms also fuumlr xA 0 (sehr wenig A im Loumlsemittel) oder xA 1 (sehr wenig Loumlsemittel in A) liegen in den meisten Faumlllen einphasige homogene Mischungen vor Das besagt dass auch bei niedrigen Temperaturen ein wenig von dem Stoff A im Loumlsemittel bzw ein wenig Loumlsemittel im Stoff A loumlslich ist Der im Diagramm eingezeichnete kritische Punkt bedeutet dass oberhalb der dazugehoumlrigen kritischen Temperatur keine Entmischung mehr erfolgt dh hier sind die beiden Komponenten vollstaumlndig und in jedem Verhaumlltnis miteinander mischbar Neben solchen oberen kritischen Punkten gibt es auch untere kritische Punkte Im zweiten Fall gilt dass die beiden Komponenten unterhalb einer bestimmten Temperatur in jedem Verhaumlltnis miteinander mischbar sind Im Allgemeinen koumlnnen die drei verschiedenen Faumllle auftreten die in Abbildung 33 dargestellt sind

0 Molenbruch xA der Komponente A 1

Tem

pera

tur

obere kritischeTemperatur

Einphasen-gebiet

Zweiphasen-gebiet

Beispiel xA = 04

T1

Zum gezeigten Beispiel

Eine Mischung mit dem Molenbruch xA = 04 wird von T2 nach T1 abgekuumlhltDabei zerfaumlllt die Mischung bei Tklsquo in zwei Phasen derenZusammensetzung bei T1auf der x-Achse an den Punkten 1 und 2 ablesbar ist

T2

Tklsquo

1 2

kritischer Punkt

s1 s2

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0 xA 1

Tem

pera

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System mit oberem kritischen Punkt

kritischer Punkt

0 xA 1Te

mpe

ratu

r

System mit unterem kritischen Punkt

kritischer Punkt

0 xA 1

Tem

pera

tur

System mit oberem und unterem

kritischen Punkt

kritischer Punkt

kritische Punkte

Abb 33 Moumlgliche Varianten von kritischen Punkten bei Systemen aus zwei Komponenten

Obere kritische Punkte findet man dann wenn sich die molekulare thermische Bewegung gegen die Tendenz der Molekuumlle sich mit gleichartigen Molekuumllen zusammenzulagern durchsetzt Dieses Phaumlnomen ist sehr verbreitet so dass ein oberer kritischer Punkt bei sehr vielen Mischphasen beobachtet wird Untere kritische Punkte sind sehr viel seltener Sie treten beispielsweise dann auf wenn die beiden Komponenten miteinander bei tiefen Temperaturen einen Komplex bilden der bei houmlheren Temperaturen wieder zerfaumlllt und dann zu einer Phasenseparation fuumlhrt Ein Beispiel dafuumlr ist die Mischung aus Wasser und Triethylamin

Fuumlr Mischphasen aus drei Komponenten so genannte ternaumlre Mischungen sind die bisher gezeigten Darstellungen ungeeignet Hierfuumlr haben sich Dreiecksdiagramme (Gibbssches Phasendreieck) durchgesetzt die das Phasenverhalten unter Variation der Mengenbeitraumlge aller drei Komponenten aufzeigen (Abb 34) Das Diagramm ist so geartet dass die Summe aller drei Mengenanteile xA xB und xC in jedem Fall den Wert 1 ergibt Damit besitzt die Zusammensetzung des ternaumlren Gemisches zwei Freiheitsgrade Jede Linie die durch eine Ecke des Diagramms fuumlhrt verbindet diejenigen Punkte bei denen das Verhaumlltnis zweier Komponenten gleich ist Jede Linie die parallel zu einer der drei Seiten verlaumluft entspricht Gemischen bei denen der relative Anteil einer Komponente gleich bleibt

00 02 04 06 08 10Komponente A

00

02

04

06

08

10

Kom

pone

nte

B

0002

04

06

08

10

Komponente C

C

A

B

00 02 04 06 08 10Komponente A

00

02

04

06

08

10

Kom

pone

nte

B

00

02

04

06

08

10

Komponente C

x1

x2x

Abb 34 Prinzip eines ternaumlren Phasendiagramms nach Gibbs (Dreiecksdiagramm)

In solche ternaumlren Mischphasendiagramme lassen sich nun entsprechend den binaumlren Mischphasendiagrammen die Ein- und Zweiphasengebiete einzeichnen Das Diagramm in

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44

Abb 34 rechts gilt zB fuumlr eine ternaumlre Mischung aus A B und C bei der die Komponenten A und B sowie B und C jeweils paarweise in jedem Verhaumlltnis miteinander mischbar sind Die Komponenten A und C sollen dagegen nur begrenzt mischbar sein Als Konsequenz daraus ergibt sich ein Dreiecksdiagramm das an der unteren Achse die dem Anteil 0 der Komponente B entspricht ein Zweiphasengebiet aufweist

Die Hilfslinien im Zweiphasengebiet markieren die Zusammensetzung der entstehenden Einzelphasen So wuumlrde beispielsweise eine Mischung deren Zusammensetzung im Diagramm durch den Punkt x markiert ist in die beiden Phasen x1 und x2 zerfallen Die Mengenanteile der beiden Phasen koumlnnten dabei wieder uumlber das Hebelgesetz berechnet werden Um zusaumltzlich den Einfluss der Temperatur wiederzugeben muss eine weitere Koordinate eingefuumlhrt werden Man erhaumllt dabei ein dreidimensionales Dreiecksdiagramm das haumlufig unter Verwendung von Houmlhenlinien nach der Art einer topographischen Landkarte dargestellt wird Jede Houmlhenlinie des Zweiphasengebiets umschreibt dann seine Ausdehnung bei einer gegebenen Temperatur

Fragt man bei einem System mit bestehenden Randbedingungen nach der Zahl der frei variierbaren Zustandsgroumlszligen also nach der Zahl der Freiheitsgrade so haumlngt die Antwort zunaumlchst davon ab in welchem Phasenzustand sich das System befindet So kann man beispielsweise in der Gasphase (bei festgelegter Stoffmenge) Temperatur und Druck frei waumlhlen wodurch dann automatisch das Volumen festgelegt wird Gleiches gilt fuumlr die feste und die fluumlssige Phase Das System hat innerhalb eines Phasenzustands also zwei Freiheits-grade Setzt man allerdings voraus dass sich das System in einem Gleichgewicht zwischen zwei Phasen befindet (zB auf der Verdampfungslinie) so besitzt es nur einen Freiheitsgrad Am Tripelpunkt schlieszliglich bei einem Gleichgewicht zwischen drei Phasen sind keine Freiheitsgrade mehr vorhanden Zwischen der Zahl der Phasen P und der Zahl der Freiheitsgrade F gibt es also folgende einfache Beziehung

F = 3 - P

Beruumlcksichtigt man weiter dass auch mehr als eine Komponente auftreten kann (Zahl der Komponenten C gt 1) so erhoumlht sich die Zahl der Freiheitsgrade um jede zusaumltzliche Komponente deren Konzentration ja frei waumlhlbar ist um den Wert eins Man erhaumllt damit

F = 3 - P + (C - 1) oder F = C - P + 2

Nach dieser allgemeinguumlltigen Formel der so genannten Gibbsrsquoschen Phasenregel laumlsst sich die Zahl der Freiheitsgrade in jedem beliebigen System bestimmen Sie erlaubt insbesondere bei sehr komplizierten Mischungen mit einer unbekannten Anzahl an Phasenzustaumlnden uumlber eine einfache Betrachtung Ruumlckschluumlsse auf deren Phasenverhalten

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38

in Abb 26) Bei Festkoumlrpern ist die Kraft dann maximal wenn der Deformationszustandmaximal ist (rote Linie in Abb 27) Viele Festkoumlrper stellen Uumlbergaumlnge zwischen diesen beiden Extremfaumlllen dar und werden dann als viskoelastisch bezeichnet Aus der Betrachtung von Messergebnissen an einer Viel-zahl von Materialien geht hervor dass eine eindeutige Abgrenzung zwischen dem fluumlssigen und dem festen Zustand selten moumlglich ist Entsprechend gibt es auch unterschiedliche Strukturmodelle die teilweise das elastische Verhalten teilweise das plastische Verhalten von Festkoumlrpern erklaumlren Dem elastischen Festkoumlrper mit nahezu verschwindender Phasen-verschiebung wird am ehesten das Modell eines idealen Kristalls gerecht Man geht dabei davon aus dass jedes Atom bzw Molekuumll aus dem der Festkoumlrper zusammengesetzt ist sich an einem geometrisch festgelegten Gitterpunkt befindet von dem es sich nicht entfernen kann Als Bewegungsprozess ist dabei lediglich eine Schwingung mit begrenzter Amplitude moumlglich Die denkbaren Geometrien der Gitterstrukturen reichen von primitiv-kubischen Gittern (zB Natriumchlorid) uumlber kubisch-dichteste (zB Silber Kupfer) und hexagonal-dichteste Kugelpackungen (zB Magnesium Zink) bis zur kubisch-raumzentrierten Struktur (zB Eisen Molybdaumln) Haumlufig findet man leichte Abweichungen von der idealen Gitter-struktur die durch lokale Stoumlrungen hervorgerufen werden Akzeptiert man gewisse Anteile an viskosem Verhalten (dh eine leichte Phasenverschiebung) so begibt man sich in den Grenzbereich zwischen Festkoumlrpern und Fluumlssigkeiten In einem Material wie Glas ist die regelmaumlszligige Anordnung eines Gitters nicht gegeben die Atome sind unregelmaumlszligig positioniert und koumlnnen unter Belastung auch flieszligen Solche nicht-kristallinen Festkoumlrper bezeichnet man als amorph Typische Vertreter amorpher Feststoffe sind Fenster-glas viele transparente Kunststoffe (zB Plexiglas Polyester in Getraumlnkeflaschen) Wachs und Aumlhnliches Amorphe Festkoumlrper besitzen keinen Schmelzpunkt sondern erweichen bei steigender Temperatur allmaumlhlich Amorphe Festkoumlrper koumlnnen nachtraumlglich kristallisieren wobei sich haumlufig das aumluszligere Erscheinungsbild und die physikalischen Eigenschaften drastisch aumlndern (zB Plastikfolie unter Zug)

38 Das Phasendiagramm

Die drei wichtigsten Phasenzustaumlnde zu denen sich eine makroskopische Gesamtheit von Atomen oder Molekuumllen zusammenfinden koumlnnen sind also Gase Fluumlssigkeiten und Festkoumlrper Die Frage ist nun unter welchen Bedingungen sich ein System fuumlr den ersten den zweiten oder den dritten Zustand entscheidet Erfahrungsgemaumlszlig haumlngt der gegebene Phasenzustand von den in Kapitel 31 eingefuumlhrten Zustandsparametern n V P und T ab Legt man die Stoffmenge n auf einen Wert fest (zB auf ein Mol Teilchen) und beruumlcksichtigt man dass nach den gegebenen Zustandsgleichungen die Groumlszligen n V P und T miteinander verknuumlpft sind so genuumlgen zwei Parameter um den jeweils guumlnstigsten Phasenzustand eindeutig festzulegen Ein Diagramm bei dem einer der Parameter V P und T gegen einen anderen aufgetragen wird eignet sich also prinzipiell um bei einer gegebenen Teilchenart den unter diesen Bedingungen jeweils angestrebten Phasenzustand zu markieren So kann man gemaumlszlig den Abbildungen 23 bis 25 in einem Diagramm bei dem P gegen V aufgetragen wird schon den jeweils gegebenen Phasenzustand eintragen und ablesen In der Praxis eignen sich solche PV-Diagramme allerdings wenig um Phasenzustaumlnde zu markieren der gasfoumlrmige Zustand nimmt einen sehr breiten Raum ein waumlhrend der fluumlssige und der feste Zustand in dem sehr engen Bereich links neben dem Zweiphasengebiet bdquoeingequetschtldquo waumlre Vor allem in diesem Umfeld waumlre das Diagramm schwer ablesbar

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Wesentlich guumlnstiger ist dagegen die Auftragung vom Druck P gegen die Temperatur T In diesem PT-Diagramm das auch als Phasendiagramm bezeichnet wird lassen sich alle Phasenzustaumlnde uumlbersichtlich zuordnen Dabei bezeichnen Flaumlchenanteile im PT-Diagramm die unter den gegebenen Druck- und Temperaturbedingungen angestrebte Phase (zB fest fluumlssig gasfoumlrmig) waumlhrend Linien die dazwischen vorliegenden Gleichgewichte markieren und Phasengrenzlinien genannt werden (Abb 28)

T

Pfe

st

fluumlss

ig

gasfouml

rmig

kritischerPunkt

Tripel-punkt

Phasengrenzlinie

Abb 28 Phasendiagramm mit Auftragung des Drucks (P) gegen die Temperatur (T)

Auszligerdem enthaumllt ein Phasendiagramm gewoumlhnlich mindestens zwei besonders ausgezeich-nete Punkte den Tripelpunkt an dem die drei im Allgemeinen wichtigsten Phasenzustaumlnde fest fluumlssig und gasfoumlrmig miteinander im Gleichgewicht stehen und den bereits aus dem PV-Diagramm bekannten kritischen Punkt der das Ende eines definierten Uumlbergangs zwischen fluumlssiger und gasfoumlrmiger Phase markiert Beispiele fuumlr Phasendiagramme Kohlen-dioxid und Wasser sind in Abbildung 29 und 30 wiedergegeben

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T

P

fest

fluumlss

iggasfoumlrmig

kritischerPunkt

Tripel-punkt

2168 K

511 bar

CO2

3042 K

728 bar

Abb 29 Phasendiagramm fuumlr Kohlendioxid

T

P

fluumlss

ig

gasfoumlrmig

kritischerPunkt

H2O

Eis 1

Eis 1

Eis 2 Eis 3

Eis 5

Eis 6

Tripelpunkt6473 K

218 bar

6 mbar 27316 K

Abb 30 Phasendiagramm fuumlr Wasser Der Bereich oberhalb von 200 bar ist aus Gruumlnden der

Uumlbersichtlichkeit entlang der P-Achse komprimiert dargestellt

Eine wichtige Besonderheit des Phasenverhaltens von Wasser ist die Tatsache dass die Phasengrenzlinie zwischen fluumlssigem Wasser und Eis 1 eine negative Steigung aufweist Dies hat zur Folge dass gewoumlhnliches Eis durch Erhoumlhung des Drucks zum Schmelzen gebracht werden kann Dieser Umstand ist eine der Ursachen dafuumlr dass eine Kufe auf Eis gleitet da der durch das Schmelzen entstehende Wasserfilm die Reibung vermindert (allerdings spielt hier auch die Reibungswaumlrme eine Rolle) Der Grund fuumlr dieses Verhalten steht in direkter Verbindung mit der strukturbedingten Volumenabnahme beim Schmelzen von Eis (s Videos unter httpwwwyoutubecomwatchv=6s0b_keOiOU und httpswwwyoutubecomwatchv=CDTZoFGmZoc )

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Waumlhlt man in einem Phasendiagramm eine Kombination von Druck und Temperatur so kann man direkt denjenigen Phasenzustand ablesen den die gegebene Teilchenart unter diesen Bedingungen anstrebt Das heiszligt jedoch nicht dass dieser Zustand dann auch in jedem Fall und zu jeder Zeit vorliegt Haumlufig beobachtet man eine so genannte kinetische Hemmung einer Phasenumwandlung So gibt es unterkuumlhlte Fluumlssigkeiten (zB Regentropfen bei -3degC) genauso wie unterkuumlhlte Dampfphasen (zB uumlbersaumlttigten Wasserdampf in Gewitterwolken) oder uumlberhitzte Fluumlssigkeiten (zB uumlberhitztes Wasser bei einem Siedeverzug) Kristalli-sationskeime wie Staubkoumlrner koumlnnen Phasenumwandlungen beschleunigen (zB durch Staub verursachter bdquoIndustrieschneeldquo) Bisher wurden lediglich Phasendiagramme von reinen Stoffen betrachtet die nur aus einer einzelnen Sorte Atomen oder Molekuumllen bestehen Mischt man einem gegebenen Stoff eine weitere Komponente hinzu so aumlndert sich das Phasendiagramm erheblich Als Beispiel betrachten wir ein System in dessen fluumlssiger Phase ein Fremdstoff A geloumlst wird der weder im Festkoumlrper noch im der Gasphase loumlslich ist (zB Kochsalz in Wasser) In diesem Fall dehnt sich der fluumlssige Bereich des Phasendiagramms mit steigender Konzentration von A in alle Richtungen aus so dass gleichzeitig der Schmelzpunkt erniedrigt der Siedepunkt erhoumlht und der Dampfdruck verringert wird (Abb 31) In erster Naumlherung sind alle genannten Aumlnderungen proportional zu cA

T

P

fest

fluumlss

ig

gasfouml

rmig

Abb 31 Phasendiagramm fuumlr ein System in dessen fluumlssiger Phase ein Fremdstoff mit steigender

Konzentration cA geloumlst wird Der Bereich der fluumlssigen Phase dehnt sich daraufhin in alle

Richtungen aus

Bei weiter steigender Konzentration von A kann ein Punkt erreicht werden an dem die Mischung in zwei getrennte Bereiche zerfaumlllt die ebenfalls als Phasen bezeichnet werden (zB Olivenoumll und Wasser) Eine dieser Phasen besitzt dann einen hohen Loumlsemittelanteil bei geringer Konzentration von A die andere besteht aus einem hohen Anteil an A mit einem geringen Gehalt an Loumlsemittel Dieser Vorgang der Phasenseparation binaumlrer (aus zwei Komponenten bestehender) Systeme wird durch eine andere Art von Phasendiagramm beschrieben dem so genannten Mischphasendiagramm (Abb 32) Hierbei wird die Tempe-

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ratur dem relativen Anteil einer Komponente gegenuumlbergestellt der Druck wird als konstant angenommen

Abb 32 Allgemeine Darstellung eines Mischphasendiagramms

Grundsaumltzlich gibt die linke Flanke der Phasentrennlinie (links des kritischen Punkts) die Zusammensetzung der bdquoA-armenldquo Phase an waumlhrend die rechte Flanke (rechts des kritischen Punkts) die Zusammensetzung der A-reichen Phase beschreibt Die Mengen der dabei gebildeten Phasen koumlnnen nach dem so genannten Hebelgesetz berechnet werden Demnach gilt zwischen dem Anteil n1 der A-armen Phase 1 dem Anteil n2 der A-reichen Phase 2 und den Laumlngen der Pfeile s1 und s2 in der vorhergehenden Abbildung folgender Zusammenhang

n1 s1 = n2 s2

Fuumlr das gezeigte Beispiel wuumlrde das bedeuten dass der Anteil der Phase 1 etwa doppelt so groszlig waumlre wie der Anteil der Phase 2 In der Naumlhe der beiden Raumlnder des Diagramms also fuumlr xA 0 (sehr wenig A im Loumlsemittel) oder xA 1 (sehr wenig Loumlsemittel in A) liegen in den meisten Faumlllen einphasige homogene Mischungen vor Das besagt dass auch bei niedrigen Temperaturen ein wenig von dem Stoff A im Loumlsemittel bzw ein wenig Loumlsemittel im Stoff A loumlslich ist Der im Diagramm eingezeichnete kritische Punkt bedeutet dass oberhalb der dazugehoumlrigen kritischen Temperatur keine Entmischung mehr erfolgt dh hier sind die beiden Komponenten vollstaumlndig und in jedem Verhaumlltnis miteinander mischbar Neben solchen oberen kritischen Punkten gibt es auch untere kritische Punkte Im zweiten Fall gilt dass die beiden Komponenten unterhalb einer bestimmten Temperatur in jedem Verhaumlltnis miteinander mischbar sind Im Allgemeinen koumlnnen die drei verschiedenen Faumllle auftreten die in Abbildung 33 dargestellt sind

0 Molenbruch xA der Komponente A 1

Tem

pera

tur

obere kritischeTemperatur

Einphasen-gebiet

Zweiphasen-gebiet

Beispiel xA = 04

T1

Zum gezeigten Beispiel

Eine Mischung mit dem Molenbruch xA = 04 wird von T2 nach T1 abgekuumlhltDabei zerfaumlllt die Mischung bei Tklsquo in zwei Phasen derenZusammensetzung bei T1auf der x-Achse an den Punkten 1 und 2 ablesbar ist

T2

Tklsquo

1 2

kritischer Punkt

s1 s2

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0 xA 1

Tem

pera

tur

System mit oberem kritischen Punkt

kritischer Punkt

0 xA 1Te

mpe

ratu

r

System mit unterem kritischen Punkt

kritischer Punkt

0 xA 1

Tem

pera

tur

System mit oberem und unterem

kritischen Punkt

kritischer Punkt

kritische Punkte

Abb 33 Moumlgliche Varianten von kritischen Punkten bei Systemen aus zwei Komponenten

Obere kritische Punkte findet man dann wenn sich die molekulare thermische Bewegung gegen die Tendenz der Molekuumlle sich mit gleichartigen Molekuumllen zusammenzulagern durchsetzt Dieses Phaumlnomen ist sehr verbreitet so dass ein oberer kritischer Punkt bei sehr vielen Mischphasen beobachtet wird Untere kritische Punkte sind sehr viel seltener Sie treten beispielsweise dann auf wenn die beiden Komponenten miteinander bei tiefen Temperaturen einen Komplex bilden der bei houmlheren Temperaturen wieder zerfaumlllt und dann zu einer Phasenseparation fuumlhrt Ein Beispiel dafuumlr ist die Mischung aus Wasser und Triethylamin

Fuumlr Mischphasen aus drei Komponenten so genannte ternaumlre Mischungen sind die bisher gezeigten Darstellungen ungeeignet Hierfuumlr haben sich Dreiecksdiagramme (Gibbssches Phasendreieck) durchgesetzt die das Phasenverhalten unter Variation der Mengenbeitraumlge aller drei Komponenten aufzeigen (Abb 34) Das Diagramm ist so geartet dass die Summe aller drei Mengenanteile xA xB und xC in jedem Fall den Wert 1 ergibt Damit besitzt die Zusammensetzung des ternaumlren Gemisches zwei Freiheitsgrade Jede Linie die durch eine Ecke des Diagramms fuumlhrt verbindet diejenigen Punkte bei denen das Verhaumlltnis zweier Komponenten gleich ist Jede Linie die parallel zu einer der drei Seiten verlaumluft entspricht Gemischen bei denen der relative Anteil einer Komponente gleich bleibt

00 02 04 06 08 10Komponente A

00

02

04

06

08

10

Kom

pone

nte

B

0002

04

06

08

10

Komponente C

C

A

B

00 02 04 06 08 10Komponente A

00

02

04

06

08

10

Kom

pone

nte

B

00

02

04

06

08

10

Komponente C

x1

x2x

Abb 34 Prinzip eines ternaumlren Phasendiagramms nach Gibbs (Dreiecksdiagramm)

In solche ternaumlren Mischphasendiagramme lassen sich nun entsprechend den binaumlren Mischphasendiagrammen die Ein- und Zweiphasengebiete einzeichnen Das Diagramm in

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Abb 34 rechts gilt zB fuumlr eine ternaumlre Mischung aus A B und C bei der die Komponenten A und B sowie B und C jeweils paarweise in jedem Verhaumlltnis miteinander mischbar sind Die Komponenten A und C sollen dagegen nur begrenzt mischbar sein Als Konsequenz daraus ergibt sich ein Dreiecksdiagramm das an der unteren Achse die dem Anteil 0 der Komponente B entspricht ein Zweiphasengebiet aufweist

Die Hilfslinien im Zweiphasengebiet markieren die Zusammensetzung der entstehenden Einzelphasen So wuumlrde beispielsweise eine Mischung deren Zusammensetzung im Diagramm durch den Punkt x markiert ist in die beiden Phasen x1 und x2 zerfallen Die Mengenanteile der beiden Phasen koumlnnten dabei wieder uumlber das Hebelgesetz berechnet werden Um zusaumltzlich den Einfluss der Temperatur wiederzugeben muss eine weitere Koordinate eingefuumlhrt werden Man erhaumllt dabei ein dreidimensionales Dreiecksdiagramm das haumlufig unter Verwendung von Houmlhenlinien nach der Art einer topographischen Landkarte dargestellt wird Jede Houmlhenlinie des Zweiphasengebiets umschreibt dann seine Ausdehnung bei einer gegebenen Temperatur

Fragt man bei einem System mit bestehenden Randbedingungen nach der Zahl der frei variierbaren Zustandsgroumlszligen also nach der Zahl der Freiheitsgrade so haumlngt die Antwort zunaumlchst davon ab in welchem Phasenzustand sich das System befindet So kann man beispielsweise in der Gasphase (bei festgelegter Stoffmenge) Temperatur und Druck frei waumlhlen wodurch dann automatisch das Volumen festgelegt wird Gleiches gilt fuumlr die feste und die fluumlssige Phase Das System hat innerhalb eines Phasenzustands also zwei Freiheits-grade Setzt man allerdings voraus dass sich das System in einem Gleichgewicht zwischen zwei Phasen befindet (zB auf der Verdampfungslinie) so besitzt es nur einen Freiheitsgrad Am Tripelpunkt schlieszliglich bei einem Gleichgewicht zwischen drei Phasen sind keine Freiheitsgrade mehr vorhanden Zwischen der Zahl der Phasen P und der Zahl der Freiheitsgrade F gibt es also folgende einfache Beziehung

F = 3 - P

Beruumlcksichtigt man weiter dass auch mehr als eine Komponente auftreten kann (Zahl der Komponenten C gt 1) so erhoumlht sich die Zahl der Freiheitsgrade um jede zusaumltzliche Komponente deren Konzentration ja frei waumlhlbar ist um den Wert eins Man erhaumllt damit

F = 3 - P + (C - 1) oder F = C - P + 2

Nach dieser allgemeinguumlltigen Formel der so genannten Gibbsrsquoschen Phasenregel laumlsst sich die Zahl der Freiheitsgrade in jedem beliebigen System bestimmen Sie erlaubt insbesondere bei sehr komplizierten Mischungen mit einer unbekannten Anzahl an Phasenzustaumlnden uumlber eine einfache Betrachtung Ruumlckschluumlsse auf deren Phasenverhalten

Page 39: Vorlesung PC I Einführung in die Physikalische Chemierelaxation.chemie.uni-duisburg-essen.de/lehre/Skript_PC_2016_2017.pdf · Schwingungen möglich, deren Geometrie (d.h. die Zahl

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Wesentlich guumlnstiger ist dagegen die Auftragung vom Druck P gegen die Temperatur T In diesem PT-Diagramm das auch als Phasendiagramm bezeichnet wird lassen sich alle Phasenzustaumlnde uumlbersichtlich zuordnen Dabei bezeichnen Flaumlchenanteile im PT-Diagramm die unter den gegebenen Druck- und Temperaturbedingungen angestrebte Phase (zB fest fluumlssig gasfoumlrmig) waumlhrend Linien die dazwischen vorliegenden Gleichgewichte markieren und Phasengrenzlinien genannt werden (Abb 28)

T

Pfe

st

fluumlss

ig

gasfouml

rmig

kritischerPunkt

Tripel-punkt

Phasengrenzlinie

Abb 28 Phasendiagramm mit Auftragung des Drucks (P) gegen die Temperatur (T)

Auszligerdem enthaumllt ein Phasendiagramm gewoumlhnlich mindestens zwei besonders ausgezeich-nete Punkte den Tripelpunkt an dem die drei im Allgemeinen wichtigsten Phasenzustaumlnde fest fluumlssig und gasfoumlrmig miteinander im Gleichgewicht stehen und den bereits aus dem PV-Diagramm bekannten kritischen Punkt der das Ende eines definierten Uumlbergangs zwischen fluumlssiger und gasfoumlrmiger Phase markiert Beispiele fuumlr Phasendiagramme Kohlen-dioxid und Wasser sind in Abbildung 29 und 30 wiedergegeben

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T

P

fest

fluumlss

iggasfoumlrmig

kritischerPunkt

Tripel-punkt

2168 K

511 bar

CO2

3042 K

728 bar

Abb 29 Phasendiagramm fuumlr Kohlendioxid

T

P

fluumlss

ig

gasfoumlrmig

kritischerPunkt

H2O

Eis 1

Eis 1

Eis 2 Eis 3

Eis 5

Eis 6

Tripelpunkt6473 K

218 bar

6 mbar 27316 K

Abb 30 Phasendiagramm fuumlr Wasser Der Bereich oberhalb von 200 bar ist aus Gruumlnden der

Uumlbersichtlichkeit entlang der P-Achse komprimiert dargestellt

Eine wichtige Besonderheit des Phasenverhaltens von Wasser ist die Tatsache dass die Phasengrenzlinie zwischen fluumlssigem Wasser und Eis 1 eine negative Steigung aufweist Dies hat zur Folge dass gewoumlhnliches Eis durch Erhoumlhung des Drucks zum Schmelzen gebracht werden kann Dieser Umstand ist eine der Ursachen dafuumlr dass eine Kufe auf Eis gleitet da der durch das Schmelzen entstehende Wasserfilm die Reibung vermindert (allerdings spielt hier auch die Reibungswaumlrme eine Rolle) Der Grund fuumlr dieses Verhalten steht in direkter Verbindung mit der strukturbedingten Volumenabnahme beim Schmelzen von Eis (s Videos unter httpwwwyoutubecomwatchv=6s0b_keOiOU und httpswwwyoutubecomwatchv=CDTZoFGmZoc )

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Waumlhlt man in einem Phasendiagramm eine Kombination von Druck und Temperatur so kann man direkt denjenigen Phasenzustand ablesen den die gegebene Teilchenart unter diesen Bedingungen anstrebt Das heiszligt jedoch nicht dass dieser Zustand dann auch in jedem Fall und zu jeder Zeit vorliegt Haumlufig beobachtet man eine so genannte kinetische Hemmung einer Phasenumwandlung So gibt es unterkuumlhlte Fluumlssigkeiten (zB Regentropfen bei -3degC) genauso wie unterkuumlhlte Dampfphasen (zB uumlbersaumlttigten Wasserdampf in Gewitterwolken) oder uumlberhitzte Fluumlssigkeiten (zB uumlberhitztes Wasser bei einem Siedeverzug) Kristalli-sationskeime wie Staubkoumlrner koumlnnen Phasenumwandlungen beschleunigen (zB durch Staub verursachter bdquoIndustrieschneeldquo) Bisher wurden lediglich Phasendiagramme von reinen Stoffen betrachtet die nur aus einer einzelnen Sorte Atomen oder Molekuumllen bestehen Mischt man einem gegebenen Stoff eine weitere Komponente hinzu so aumlndert sich das Phasendiagramm erheblich Als Beispiel betrachten wir ein System in dessen fluumlssiger Phase ein Fremdstoff A geloumlst wird der weder im Festkoumlrper noch im der Gasphase loumlslich ist (zB Kochsalz in Wasser) In diesem Fall dehnt sich der fluumlssige Bereich des Phasendiagramms mit steigender Konzentration von A in alle Richtungen aus so dass gleichzeitig der Schmelzpunkt erniedrigt der Siedepunkt erhoumlht und der Dampfdruck verringert wird (Abb 31) In erster Naumlherung sind alle genannten Aumlnderungen proportional zu cA

T

P

fest

fluumlss

ig

gasfouml

rmig

Abb 31 Phasendiagramm fuumlr ein System in dessen fluumlssiger Phase ein Fremdstoff mit steigender

Konzentration cA geloumlst wird Der Bereich der fluumlssigen Phase dehnt sich daraufhin in alle

Richtungen aus

Bei weiter steigender Konzentration von A kann ein Punkt erreicht werden an dem die Mischung in zwei getrennte Bereiche zerfaumlllt die ebenfalls als Phasen bezeichnet werden (zB Olivenoumll und Wasser) Eine dieser Phasen besitzt dann einen hohen Loumlsemittelanteil bei geringer Konzentration von A die andere besteht aus einem hohen Anteil an A mit einem geringen Gehalt an Loumlsemittel Dieser Vorgang der Phasenseparation binaumlrer (aus zwei Komponenten bestehender) Systeme wird durch eine andere Art von Phasendiagramm beschrieben dem so genannten Mischphasendiagramm (Abb 32) Hierbei wird die Tempe-

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ratur dem relativen Anteil einer Komponente gegenuumlbergestellt der Druck wird als konstant angenommen

Abb 32 Allgemeine Darstellung eines Mischphasendiagramms

Grundsaumltzlich gibt die linke Flanke der Phasentrennlinie (links des kritischen Punkts) die Zusammensetzung der bdquoA-armenldquo Phase an waumlhrend die rechte Flanke (rechts des kritischen Punkts) die Zusammensetzung der A-reichen Phase beschreibt Die Mengen der dabei gebildeten Phasen koumlnnen nach dem so genannten Hebelgesetz berechnet werden Demnach gilt zwischen dem Anteil n1 der A-armen Phase 1 dem Anteil n2 der A-reichen Phase 2 und den Laumlngen der Pfeile s1 und s2 in der vorhergehenden Abbildung folgender Zusammenhang

n1 s1 = n2 s2

Fuumlr das gezeigte Beispiel wuumlrde das bedeuten dass der Anteil der Phase 1 etwa doppelt so groszlig waumlre wie der Anteil der Phase 2 In der Naumlhe der beiden Raumlnder des Diagramms also fuumlr xA 0 (sehr wenig A im Loumlsemittel) oder xA 1 (sehr wenig Loumlsemittel in A) liegen in den meisten Faumlllen einphasige homogene Mischungen vor Das besagt dass auch bei niedrigen Temperaturen ein wenig von dem Stoff A im Loumlsemittel bzw ein wenig Loumlsemittel im Stoff A loumlslich ist Der im Diagramm eingezeichnete kritische Punkt bedeutet dass oberhalb der dazugehoumlrigen kritischen Temperatur keine Entmischung mehr erfolgt dh hier sind die beiden Komponenten vollstaumlndig und in jedem Verhaumlltnis miteinander mischbar Neben solchen oberen kritischen Punkten gibt es auch untere kritische Punkte Im zweiten Fall gilt dass die beiden Komponenten unterhalb einer bestimmten Temperatur in jedem Verhaumlltnis miteinander mischbar sind Im Allgemeinen koumlnnen die drei verschiedenen Faumllle auftreten die in Abbildung 33 dargestellt sind

0 Molenbruch xA der Komponente A 1

Tem

pera

tur

obere kritischeTemperatur

Einphasen-gebiet

Zweiphasen-gebiet

Beispiel xA = 04

T1

Zum gezeigten Beispiel

Eine Mischung mit dem Molenbruch xA = 04 wird von T2 nach T1 abgekuumlhltDabei zerfaumlllt die Mischung bei Tklsquo in zwei Phasen derenZusammensetzung bei T1auf der x-Achse an den Punkten 1 und 2 ablesbar ist

T2

Tklsquo

1 2

kritischer Punkt

s1 s2

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0 xA 1

Tem

pera

tur

System mit oberem kritischen Punkt

kritischer Punkt

0 xA 1Te

mpe

ratu

r

System mit unterem kritischen Punkt

kritischer Punkt

0 xA 1

Tem

pera

tur

System mit oberem und unterem

kritischen Punkt

kritischer Punkt

kritische Punkte

Abb 33 Moumlgliche Varianten von kritischen Punkten bei Systemen aus zwei Komponenten

Obere kritische Punkte findet man dann wenn sich die molekulare thermische Bewegung gegen die Tendenz der Molekuumlle sich mit gleichartigen Molekuumllen zusammenzulagern durchsetzt Dieses Phaumlnomen ist sehr verbreitet so dass ein oberer kritischer Punkt bei sehr vielen Mischphasen beobachtet wird Untere kritische Punkte sind sehr viel seltener Sie treten beispielsweise dann auf wenn die beiden Komponenten miteinander bei tiefen Temperaturen einen Komplex bilden der bei houmlheren Temperaturen wieder zerfaumlllt und dann zu einer Phasenseparation fuumlhrt Ein Beispiel dafuumlr ist die Mischung aus Wasser und Triethylamin

Fuumlr Mischphasen aus drei Komponenten so genannte ternaumlre Mischungen sind die bisher gezeigten Darstellungen ungeeignet Hierfuumlr haben sich Dreiecksdiagramme (Gibbssches Phasendreieck) durchgesetzt die das Phasenverhalten unter Variation der Mengenbeitraumlge aller drei Komponenten aufzeigen (Abb 34) Das Diagramm ist so geartet dass die Summe aller drei Mengenanteile xA xB und xC in jedem Fall den Wert 1 ergibt Damit besitzt die Zusammensetzung des ternaumlren Gemisches zwei Freiheitsgrade Jede Linie die durch eine Ecke des Diagramms fuumlhrt verbindet diejenigen Punkte bei denen das Verhaumlltnis zweier Komponenten gleich ist Jede Linie die parallel zu einer der drei Seiten verlaumluft entspricht Gemischen bei denen der relative Anteil einer Komponente gleich bleibt

00 02 04 06 08 10Komponente A

00

02

04

06

08

10

Kom

pone

nte

B

0002

04

06

08

10

Komponente C

C

A

B

00 02 04 06 08 10Komponente A

00

02

04

06

08

10

Kom

pone

nte

B

00

02

04

06

08

10

Komponente C

x1

x2x

Abb 34 Prinzip eines ternaumlren Phasendiagramms nach Gibbs (Dreiecksdiagramm)

In solche ternaumlren Mischphasendiagramme lassen sich nun entsprechend den binaumlren Mischphasendiagrammen die Ein- und Zweiphasengebiete einzeichnen Das Diagramm in

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Abb 34 rechts gilt zB fuumlr eine ternaumlre Mischung aus A B und C bei der die Komponenten A und B sowie B und C jeweils paarweise in jedem Verhaumlltnis miteinander mischbar sind Die Komponenten A und C sollen dagegen nur begrenzt mischbar sein Als Konsequenz daraus ergibt sich ein Dreiecksdiagramm das an der unteren Achse die dem Anteil 0 der Komponente B entspricht ein Zweiphasengebiet aufweist

Die Hilfslinien im Zweiphasengebiet markieren die Zusammensetzung der entstehenden Einzelphasen So wuumlrde beispielsweise eine Mischung deren Zusammensetzung im Diagramm durch den Punkt x markiert ist in die beiden Phasen x1 und x2 zerfallen Die Mengenanteile der beiden Phasen koumlnnten dabei wieder uumlber das Hebelgesetz berechnet werden Um zusaumltzlich den Einfluss der Temperatur wiederzugeben muss eine weitere Koordinate eingefuumlhrt werden Man erhaumllt dabei ein dreidimensionales Dreiecksdiagramm das haumlufig unter Verwendung von Houmlhenlinien nach der Art einer topographischen Landkarte dargestellt wird Jede Houmlhenlinie des Zweiphasengebiets umschreibt dann seine Ausdehnung bei einer gegebenen Temperatur

Fragt man bei einem System mit bestehenden Randbedingungen nach der Zahl der frei variierbaren Zustandsgroumlszligen also nach der Zahl der Freiheitsgrade so haumlngt die Antwort zunaumlchst davon ab in welchem Phasenzustand sich das System befindet So kann man beispielsweise in der Gasphase (bei festgelegter Stoffmenge) Temperatur und Druck frei waumlhlen wodurch dann automatisch das Volumen festgelegt wird Gleiches gilt fuumlr die feste und die fluumlssige Phase Das System hat innerhalb eines Phasenzustands also zwei Freiheits-grade Setzt man allerdings voraus dass sich das System in einem Gleichgewicht zwischen zwei Phasen befindet (zB auf der Verdampfungslinie) so besitzt es nur einen Freiheitsgrad Am Tripelpunkt schlieszliglich bei einem Gleichgewicht zwischen drei Phasen sind keine Freiheitsgrade mehr vorhanden Zwischen der Zahl der Phasen P und der Zahl der Freiheitsgrade F gibt es also folgende einfache Beziehung

F = 3 - P

Beruumlcksichtigt man weiter dass auch mehr als eine Komponente auftreten kann (Zahl der Komponenten C gt 1) so erhoumlht sich die Zahl der Freiheitsgrade um jede zusaumltzliche Komponente deren Konzentration ja frei waumlhlbar ist um den Wert eins Man erhaumllt damit

F = 3 - P + (C - 1) oder F = C - P + 2

Nach dieser allgemeinguumlltigen Formel der so genannten Gibbsrsquoschen Phasenregel laumlsst sich die Zahl der Freiheitsgrade in jedem beliebigen System bestimmen Sie erlaubt insbesondere bei sehr komplizierten Mischungen mit einer unbekannten Anzahl an Phasenzustaumlnden uumlber eine einfache Betrachtung Ruumlckschluumlsse auf deren Phasenverhalten

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T

P

fest

fluumlss

iggasfoumlrmig

kritischerPunkt

Tripel-punkt

2168 K

511 bar

CO2

3042 K

728 bar

Abb 29 Phasendiagramm fuumlr Kohlendioxid

T

P

fluumlss

ig

gasfoumlrmig

kritischerPunkt

H2O

Eis 1

Eis 1

Eis 2 Eis 3

Eis 5

Eis 6

Tripelpunkt6473 K

218 bar

6 mbar 27316 K

Abb 30 Phasendiagramm fuumlr Wasser Der Bereich oberhalb von 200 bar ist aus Gruumlnden der

Uumlbersichtlichkeit entlang der P-Achse komprimiert dargestellt

Eine wichtige Besonderheit des Phasenverhaltens von Wasser ist die Tatsache dass die Phasengrenzlinie zwischen fluumlssigem Wasser und Eis 1 eine negative Steigung aufweist Dies hat zur Folge dass gewoumlhnliches Eis durch Erhoumlhung des Drucks zum Schmelzen gebracht werden kann Dieser Umstand ist eine der Ursachen dafuumlr dass eine Kufe auf Eis gleitet da der durch das Schmelzen entstehende Wasserfilm die Reibung vermindert (allerdings spielt hier auch die Reibungswaumlrme eine Rolle) Der Grund fuumlr dieses Verhalten steht in direkter Verbindung mit der strukturbedingten Volumenabnahme beim Schmelzen von Eis (s Videos unter httpwwwyoutubecomwatchv=6s0b_keOiOU und httpswwwyoutubecomwatchv=CDTZoFGmZoc )

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Waumlhlt man in einem Phasendiagramm eine Kombination von Druck und Temperatur so kann man direkt denjenigen Phasenzustand ablesen den die gegebene Teilchenart unter diesen Bedingungen anstrebt Das heiszligt jedoch nicht dass dieser Zustand dann auch in jedem Fall und zu jeder Zeit vorliegt Haumlufig beobachtet man eine so genannte kinetische Hemmung einer Phasenumwandlung So gibt es unterkuumlhlte Fluumlssigkeiten (zB Regentropfen bei -3degC) genauso wie unterkuumlhlte Dampfphasen (zB uumlbersaumlttigten Wasserdampf in Gewitterwolken) oder uumlberhitzte Fluumlssigkeiten (zB uumlberhitztes Wasser bei einem Siedeverzug) Kristalli-sationskeime wie Staubkoumlrner koumlnnen Phasenumwandlungen beschleunigen (zB durch Staub verursachter bdquoIndustrieschneeldquo) Bisher wurden lediglich Phasendiagramme von reinen Stoffen betrachtet die nur aus einer einzelnen Sorte Atomen oder Molekuumllen bestehen Mischt man einem gegebenen Stoff eine weitere Komponente hinzu so aumlndert sich das Phasendiagramm erheblich Als Beispiel betrachten wir ein System in dessen fluumlssiger Phase ein Fremdstoff A geloumlst wird der weder im Festkoumlrper noch im der Gasphase loumlslich ist (zB Kochsalz in Wasser) In diesem Fall dehnt sich der fluumlssige Bereich des Phasendiagramms mit steigender Konzentration von A in alle Richtungen aus so dass gleichzeitig der Schmelzpunkt erniedrigt der Siedepunkt erhoumlht und der Dampfdruck verringert wird (Abb 31) In erster Naumlherung sind alle genannten Aumlnderungen proportional zu cA

T

P

fest

fluumlss

ig

gasfouml

rmig

Abb 31 Phasendiagramm fuumlr ein System in dessen fluumlssiger Phase ein Fremdstoff mit steigender

Konzentration cA geloumlst wird Der Bereich der fluumlssigen Phase dehnt sich daraufhin in alle

Richtungen aus

Bei weiter steigender Konzentration von A kann ein Punkt erreicht werden an dem die Mischung in zwei getrennte Bereiche zerfaumlllt die ebenfalls als Phasen bezeichnet werden (zB Olivenoumll und Wasser) Eine dieser Phasen besitzt dann einen hohen Loumlsemittelanteil bei geringer Konzentration von A die andere besteht aus einem hohen Anteil an A mit einem geringen Gehalt an Loumlsemittel Dieser Vorgang der Phasenseparation binaumlrer (aus zwei Komponenten bestehender) Systeme wird durch eine andere Art von Phasendiagramm beschrieben dem so genannten Mischphasendiagramm (Abb 32) Hierbei wird die Tempe-

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ratur dem relativen Anteil einer Komponente gegenuumlbergestellt der Druck wird als konstant angenommen

Abb 32 Allgemeine Darstellung eines Mischphasendiagramms

Grundsaumltzlich gibt die linke Flanke der Phasentrennlinie (links des kritischen Punkts) die Zusammensetzung der bdquoA-armenldquo Phase an waumlhrend die rechte Flanke (rechts des kritischen Punkts) die Zusammensetzung der A-reichen Phase beschreibt Die Mengen der dabei gebildeten Phasen koumlnnen nach dem so genannten Hebelgesetz berechnet werden Demnach gilt zwischen dem Anteil n1 der A-armen Phase 1 dem Anteil n2 der A-reichen Phase 2 und den Laumlngen der Pfeile s1 und s2 in der vorhergehenden Abbildung folgender Zusammenhang

n1 s1 = n2 s2

Fuumlr das gezeigte Beispiel wuumlrde das bedeuten dass der Anteil der Phase 1 etwa doppelt so groszlig waumlre wie der Anteil der Phase 2 In der Naumlhe der beiden Raumlnder des Diagramms also fuumlr xA 0 (sehr wenig A im Loumlsemittel) oder xA 1 (sehr wenig Loumlsemittel in A) liegen in den meisten Faumlllen einphasige homogene Mischungen vor Das besagt dass auch bei niedrigen Temperaturen ein wenig von dem Stoff A im Loumlsemittel bzw ein wenig Loumlsemittel im Stoff A loumlslich ist Der im Diagramm eingezeichnete kritische Punkt bedeutet dass oberhalb der dazugehoumlrigen kritischen Temperatur keine Entmischung mehr erfolgt dh hier sind die beiden Komponenten vollstaumlndig und in jedem Verhaumlltnis miteinander mischbar Neben solchen oberen kritischen Punkten gibt es auch untere kritische Punkte Im zweiten Fall gilt dass die beiden Komponenten unterhalb einer bestimmten Temperatur in jedem Verhaumlltnis miteinander mischbar sind Im Allgemeinen koumlnnen die drei verschiedenen Faumllle auftreten die in Abbildung 33 dargestellt sind

0 Molenbruch xA der Komponente A 1

Tem

pera

tur

obere kritischeTemperatur

Einphasen-gebiet

Zweiphasen-gebiet

Beispiel xA = 04

T1

Zum gezeigten Beispiel

Eine Mischung mit dem Molenbruch xA = 04 wird von T2 nach T1 abgekuumlhltDabei zerfaumlllt die Mischung bei Tklsquo in zwei Phasen derenZusammensetzung bei T1auf der x-Achse an den Punkten 1 und 2 ablesbar ist

T2

Tklsquo

1 2

kritischer Punkt

s1 s2

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0 xA 1

Tem

pera

tur

System mit oberem kritischen Punkt

kritischer Punkt

0 xA 1Te

mpe

ratu

r

System mit unterem kritischen Punkt

kritischer Punkt

0 xA 1

Tem

pera

tur

System mit oberem und unterem

kritischen Punkt

kritischer Punkt

kritische Punkte

Abb 33 Moumlgliche Varianten von kritischen Punkten bei Systemen aus zwei Komponenten

Obere kritische Punkte findet man dann wenn sich die molekulare thermische Bewegung gegen die Tendenz der Molekuumlle sich mit gleichartigen Molekuumllen zusammenzulagern durchsetzt Dieses Phaumlnomen ist sehr verbreitet so dass ein oberer kritischer Punkt bei sehr vielen Mischphasen beobachtet wird Untere kritische Punkte sind sehr viel seltener Sie treten beispielsweise dann auf wenn die beiden Komponenten miteinander bei tiefen Temperaturen einen Komplex bilden der bei houmlheren Temperaturen wieder zerfaumlllt und dann zu einer Phasenseparation fuumlhrt Ein Beispiel dafuumlr ist die Mischung aus Wasser und Triethylamin

Fuumlr Mischphasen aus drei Komponenten so genannte ternaumlre Mischungen sind die bisher gezeigten Darstellungen ungeeignet Hierfuumlr haben sich Dreiecksdiagramme (Gibbssches Phasendreieck) durchgesetzt die das Phasenverhalten unter Variation der Mengenbeitraumlge aller drei Komponenten aufzeigen (Abb 34) Das Diagramm ist so geartet dass die Summe aller drei Mengenanteile xA xB und xC in jedem Fall den Wert 1 ergibt Damit besitzt die Zusammensetzung des ternaumlren Gemisches zwei Freiheitsgrade Jede Linie die durch eine Ecke des Diagramms fuumlhrt verbindet diejenigen Punkte bei denen das Verhaumlltnis zweier Komponenten gleich ist Jede Linie die parallel zu einer der drei Seiten verlaumluft entspricht Gemischen bei denen der relative Anteil einer Komponente gleich bleibt

00 02 04 06 08 10Komponente A

00

02

04

06

08

10

Kom

pone

nte

B

0002

04

06

08

10

Komponente C

C

A

B

00 02 04 06 08 10Komponente A

00

02

04

06

08

10

Kom

pone

nte

B

00

02

04

06

08

10

Komponente C

x1

x2x

Abb 34 Prinzip eines ternaumlren Phasendiagramms nach Gibbs (Dreiecksdiagramm)

In solche ternaumlren Mischphasendiagramme lassen sich nun entsprechend den binaumlren Mischphasendiagrammen die Ein- und Zweiphasengebiete einzeichnen Das Diagramm in

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Abb 34 rechts gilt zB fuumlr eine ternaumlre Mischung aus A B und C bei der die Komponenten A und B sowie B und C jeweils paarweise in jedem Verhaumlltnis miteinander mischbar sind Die Komponenten A und C sollen dagegen nur begrenzt mischbar sein Als Konsequenz daraus ergibt sich ein Dreiecksdiagramm das an der unteren Achse die dem Anteil 0 der Komponente B entspricht ein Zweiphasengebiet aufweist

Die Hilfslinien im Zweiphasengebiet markieren die Zusammensetzung der entstehenden Einzelphasen So wuumlrde beispielsweise eine Mischung deren Zusammensetzung im Diagramm durch den Punkt x markiert ist in die beiden Phasen x1 und x2 zerfallen Die Mengenanteile der beiden Phasen koumlnnten dabei wieder uumlber das Hebelgesetz berechnet werden Um zusaumltzlich den Einfluss der Temperatur wiederzugeben muss eine weitere Koordinate eingefuumlhrt werden Man erhaumllt dabei ein dreidimensionales Dreiecksdiagramm das haumlufig unter Verwendung von Houmlhenlinien nach der Art einer topographischen Landkarte dargestellt wird Jede Houmlhenlinie des Zweiphasengebiets umschreibt dann seine Ausdehnung bei einer gegebenen Temperatur

Fragt man bei einem System mit bestehenden Randbedingungen nach der Zahl der frei variierbaren Zustandsgroumlszligen also nach der Zahl der Freiheitsgrade so haumlngt die Antwort zunaumlchst davon ab in welchem Phasenzustand sich das System befindet So kann man beispielsweise in der Gasphase (bei festgelegter Stoffmenge) Temperatur und Druck frei waumlhlen wodurch dann automatisch das Volumen festgelegt wird Gleiches gilt fuumlr die feste und die fluumlssige Phase Das System hat innerhalb eines Phasenzustands also zwei Freiheits-grade Setzt man allerdings voraus dass sich das System in einem Gleichgewicht zwischen zwei Phasen befindet (zB auf der Verdampfungslinie) so besitzt es nur einen Freiheitsgrad Am Tripelpunkt schlieszliglich bei einem Gleichgewicht zwischen drei Phasen sind keine Freiheitsgrade mehr vorhanden Zwischen der Zahl der Phasen P und der Zahl der Freiheitsgrade F gibt es also folgende einfache Beziehung

F = 3 - P

Beruumlcksichtigt man weiter dass auch mehr als eine Komponente auftreten kann (Zahl der Komponenten C gt 1) so erhoumlht sich die Zahl der Freiheitsgrade um jede zusaumltzliche Komponente deren Konzentration ja frei waumlhlbar ist um den Wert eins Man erhaumllt damit

F = 3 - P + (C - 1) oder F = C - P + 2

Nach dieser allgemeinguumlltigen Formel der so genannten Gibbsrsquoschen Phasenregel laumlsst sich die Zahl der Freiheitsgrade in jedem beliebigen System bestimmen Sie erlaubt insbesondere bei sehr komplizierten Mischungen mit einer unbekannten Anzahl an Phasenzustaumlnden uumlber eine einfache Betrachtung Ruumlckschluumlsse auf deren Phasenverhalten

Page 41: Vorlesung PC I Einführung in die Physikalische Chemierelaxation.chemie.uni-duisburg-essen.de/lehre/Skript_PC_2016_2017.pdf · Schwingungen möglich, deren Geometrie (d.h. die Zahl

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41

Waumlhlt man in einem Phasendiagramm eine Kombination von Druck und Temperatur so kann man direkt denjenigen Phasenzustand ablesen den die gegebene Teilchenart unter diesen Bedingungen anstrebt Das heiszligt jedoch nicht dass dieser Zustand dann auch in jedem Fall und zu jeder Zeit vorliegt Haumlufig beobachtet man eine so genannte kinetische Hemmung einer Phasenumwandlung So gibt es unterkuumlhlte Fluumlssigkeiten (zB Regentropfen bei -3degC) genauso wie unterkuumlhlte Dampfphasen (zB uumlbersaumlttigten Wasserdampf in Gewitterwolken) oder uumlberhitzte Fluumlssigkeiten (zB uumlberhitztes Wasser bei einem Siedeverzug) Kristalli-sationskeime wie Staubkoumlrner koumlnnen Phasenumwandlungen beschleunigen (zB durch Staub verursachter bdquoIndustrieschneeldquo) Bisher wurden lediglich Phasendiagramme von reinen Stoffen betrachtet die nur aus einer einzelnen Sorte Atomen oder Molekuumllen bestehen Mischt man einem gegebenen Stoff eine weitere Komponente hinzu so aumlndert sich das Phasendiagramm erheblich Als Beispiel betrachten wir ein System in dessen fluumlssiger Phase ein Fremdstoff A geloumlst wird der weder im Festkoumlrper noch im der Gasphase loumlslich ist (zB Kochsalz in Wasser) In diesem Fall dehnt sich der fluumlssige Bereich des Phasendiagramms mit steigender Konzentration von A in alle Richtungen aus so dass gleichzeitig der Schmelzpunkt erniedrigt der Siedepunkt erhoumlht und der Dampfdruck verringert wird (Abb 31) In erster Naumlherung sind alle genannten Aumlnderungen proportional zu cA

T

P

fest

fluumlss

ig

gasfouml

rmig

Abb 31 Phasendiagramm fuumlr ein System in dessen fluumlssiger Phase ein Fremdstoff mit steigender

Konzentration cA geloumlst wird Der Bereich der fluumlssigen Phase dehnt sich daraufhin in alle

Richtungen aus

Bei weiter steigender Konzentration von A kann ein Punkt erreicht werden an dem die Mischung in zwei getrennte Bereiche zerfaumlllt die ebenfalls als Phasen bezeichnet werden (zB Olivenoumll und Wasser) Eine dieser Phasen besitzt dann einen hohen Loumlsemittelanteil bei geringer Konzentration von A die andere besteht aus einem hohen Anteil an A mit einem geringen Gehalt an Loumlsemittel Dieser Vorgang der Phasenseparation binaumlrer (aus zwei Komponenten bestehender) Systeme wird durch eine andere Art von Phasendiagramm beschrieben dem so genannten Mischphasendiagramm (Abb 32) Hierbei wird die Tempe-

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ratur dem relativen Anteil einer Komponente gegenuumlbergestellt der Druck wird als konstant angenommen

Abb 32 Allgemeine Darstellung eines Mischphasendiagramms

Grundsaumltzlich gibt die linke Flanke der Phasentrennlinie (links des kritischen Punkts) die Zusammensetzung der bdquoA-armenldquo Phase an waumlhrend die rechte Flanke (rechts des kritischen Punkts) die Zusammensetzung der A-reichen Phase beschreibt Die Mengen der dabei gebildeten Phasen koumlnnen nach dem so genannten Hebelgesetz berechnet werden Demnach gilt zwischen dem Anteil n1 der A-armen Phase 1 dem Anteil n2 der A-reichen Phase 2 und den Laumlngen der Pfeile s1 und s2 in der vorhergehenden Abbildung folgender Zusammenhang

n1 s1 = n2 s2

Fuumlr das gezeigte Beispiel wuumlrde das bedeuten dass der Anteil der Phase 1 etwa doppelt so groszlig waumlre wie der Anteil der Phase 2 In der Naumlhe der beiden Raumlnder des Diagramms also fuumlr xA 0 (sehr wenig A im Loumlsemittel) oder xA 1 (sehr wenig Loumlsemittel in A) liegen in den meisten Faumlllen einphasige homogene Mischungen vor Das besagt dass auch bei niedrigen Temperaturen ein wenig von dem Stoff A im Loumlsemittel bzw ein wenig Loumlsemittel im Stoff A loumlslich ist Der im Diagramm eingezeichnete kritische Punkt bedeutet dass oberhalb der dazugehoumlrigen kritischen Temperatur keine Entmischung mehr erfolgt dh hier sind die beiden Komponenten vollstaumlndig und in jedem Verhaumlltnis miteinander mischbar Neben solchen oberen kritischen Punkten gibt es auch untere kritische Punkte Im zweiten Fall gilt dass die beiden Komponenten unterhalb einer bestimmten Temperatur in jedem Verhaumlltnis miteinander mischbar sind Im Allgemeinen koumlnnen die drei verschiedenen Faumllle auftreten die in Abbildung 33 dargestellt sind

0 Molenbruch xA der Komponente A 1

Tem

pera

tur

obere kritischeTemperatur

Einphasen-gebiet

Zweiphasen-gebiet

Beispiel xA = 04

T1

Zum gezeigten Beispiel

Eine Mischung mit dem Molenbruch xA = 04 wird von T2 nach T1 abgekuumlhltDabei zerfaumlllt die Mischung bei Tklsquo in zwei Phasen derenZusammensetzung bei T1auf der x-Achse an den Punkten 1 und 2 ablesbar ist

T2

Tklsquo

1 2

kritischer Punkt

s1 s2

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0 xA 1

Tem

pera

tur

System mit oberem kritischen Punkt

kritischer Punkt

0 xA 1Te

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ratu

r

System mit unterem kritischen Punkt

kritischer Punkt

0 xA 1

Tem

pera

tur

System mit oberem und unterem

kritischen Punkt

kritischer Punkt

kritische Punkte

Abb 33 Moumlgliche Varianten von kritischen Punkten bei Systemen aus zwei Komponenten

Obere kritische Punkte findet man dann wenn sich die molekulare thermische Bewegung gegen die Tendenz der Molekuumlle sich mit gleichartigen Molekuumllen zusammenzulagern durchsetzt Dieses Phaumlnomen ist sehr verbreitet so dass ein oberer kritischer Punkt bei sehr vielen Mischphasen beobachtet wird Untere kritische Punkte sind sehr viel seltener Sie treten beispielsweise dann auf wenn die beiden Komponenten miteinander bei tiefen Temperaturen einen Komplex bilden der bei houmlheren Temperaturen wieder zerfaumlllt und dann zu einer Phasenseparation fuumlhrt Ein Beispiel dafuumlr ist die Mischung aus Wasser und Triethylamin

Fuumlr Mischphasen aus drei Komponenten so genannte ternaumlre Mischungen sind die bisher gezeigten Darstellungen ungeeignet Hierfuumlr haben sich Dreiecksdiagramme (Gibbssches Phasendreieck) durchgesetzt die das Phasenverhalten unter Variation der Mengenbeitraumlge aller drei Komponenten aufzeigen (Abb 34) Das Diagramm ist so geartet dass die Summe aller drei Mengenanteile xA xB und xC in jedem Fall den Wert 1 ergibt Damit besitzt die Zusammensetzung des ternaumlren Gemisches zwei Freiheitsgrade Jede Linie die durch eine Ecke des Diagramms fuumlhrt verbindet diejenigen Punkte bei denen das Verhaumlltnis zweier Komponenten gleich ist Jede Linie die parallel zu einer der drei Seiten verlaumluft entspricht Gemischen bei denen der relative Anteil einer Komponente gleich bleibt

00 02 04 06 08 10Komponente A

00

02

04

06

08

10

Kom

pone

nte

B

0002

04

06

08

10

Komponente C

C

A

B

00 02 04 06 08 10Komponente A

00

02

04

06

08

10

Kom

pone

nte

B

00

02

04

06

08

10

Komponente C

x1

x2x

Abb 34 Prinzip eines ternaumlren Phasendiagramms nach Gibbs (Dreiecksdiagramm)

In solche ternaumlren Mischphasendiagramme lassen sich nun entsprechend den binaumlren Mischphasendiagrammen die Ein- und Zweiphasengebiete einzeichnen Das Diagramm in

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Abb 34 rechts gilt zB fuumlr eine ternaumlre Mischung aus A B und C bei der die Komponenten A und B sowie B und C jeweils paarweise in jedem Verhaumlltnis miteinander mischbar sind Die Komponenten A und C sollen dagegen nur begrenzt mischbar sein Als Konsequenz daraus ergibt sich ein Dreiecksdiagramm das an der unteren Achse die dem Anteil 0 der Komponente B entspricht ein Zweiphasengebiet aufweist

Die Hilfslinien im Zweiphasengebiet markieren die Zusammensetzung der entstehenden Einzelphasen So wuumlrde beispielsweise eine Mischung deren Zusammensetzung im Diagramm durch den Punkt x markiert ist in die beiden Phasen x1 und x2 zerfallen Die Mengenanteile der beiden Phasen koumlnnten dabei wieder uumlber das Hebelgesetz berechnet werden Um zusaumltzlich den Einfluss der Temperatur wiederzugeben muss eine weitere Koordinate eingefuumlhrt werden Man erhaumllt dabei ein dreidimensionales Dreiecksdiagramm das haumlufig unter Verwendung von Houmlhenlinien nach der Art einer topographischen Landkarte dargestellt wird Jede Houmlhenlinie des Zweiphasengebiets umschreibt dann seine Ausdehnung bei einer gegebenen Temperatur

Fragt man bei einem System mit bestehenden Randbedingungen nach der Zahl der frei variierbaren Zustandsgroumlszligen also nach der Zahl der Freiheitsgrade so haumlngt die Antwort zunaumlchst davon ab in welchem Phasenzustand sich das System befindet So kann man beispielsweise in der Gasphase (bei festgelegter Stoffmenge) Temperatur und Druck frei waumlhlen wodurch dann automatisch das Volumen festgelegt wird Gleiches gilt fuumlr die feste und die fluumlssige Phase Das System hat innerhalb eines Phasenzustands also zwei Freiheits-grade Setzt man allerdings voraus dass sich das System in einem Gleichgewicht zwischen zwei Phasen befindet (zB auf der Verdampfungslinie) so besitzt es nur einen Freiheitsgrad Am Tripelpunkt schlieszliglich bei einem Gleichgewicht zwischen drei Phasen sind keine Freiheitsgrade mehr vorhanden Zwischen der Zahl der Phasen P und der Zahl der Freiheitsgrade F gibt es also folgende einfache Beziehung

F = 3 - P

Beruumlcksichtigt man weiter dass auch mehr als eine Komponente auftreten kann (Zahl der Komponenten C gt 1) so erhoumlht sich die Zahl der Freiheitsgrade um jede zusaumltzliche Komponente deren Konzentration ja frei waumlhlbar ist um den Wert eins Man erhaumllt damit

F = 3 - P + (C - 1) oder F = C - P + 2

Nach dieser allgemeinguumlltigen Formel der so genannten Gibbsrsquoschen Phasenregel laumlsst sich die Zahl der Freiheitsgrade in jedem beliebigen System bestimmen Sie erlaubt insbesondere bei sehr komplizierten Mischungen mit einer unbekannten Anzahl an Phasenzustaumlnden uumlber eine einfache Betrachtung Ruumlckschluumlsse auf deren Phasenverhalten

Page 42: Vorlesung PC I Einführung in die Physikalische Chemierelaxation.chemie.uni-duisburg-essen.de/lehre/Skript_PC_2016_2017.pdf · Schwingungen möglich, deren Geometrie (d.h. die Zahl

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ratur dem relativen Anteil einer Komponente gegenuumlbergestellt der Druck wird als konstant angenommen

Abb 32 Allgemeine Darstellung eines Mischphasendiagramms

Grundsaumltzlich gibt die linke Flanke der Phasentrennlinie (links des kritischen Punkts) die Zusammensetzung der bdquoA-armenldquo Phase an waumlhrend die rechte Flanke (rechts des kritischen Punkts) die Zusammensetzung der A-reichen Phase beschreibt Die Mengen der dabei gebildeten Phasen koumlnnen nach dem so genannten Hebelgesetz berechnet werden Demnach gilt zwischen dem Anteil n1 der A-armen Phase 1 dem Anteil n2 der A-reichen Phase 2 und den Laumlngen der Pfeile s1 und s2 in der vorhergehenden Abbildung folgender Zusammenhang

n1 s1 = n2 s2

Fuumlr das gezeigte Beispiel wuumlrde das bedeuten dass der Anteil der Phase 1 etwa doppelt so groszlig waumlre wie der Anteil der Phase 2 In der Naumlhe der beiden Raumlnder des Diagramms also fuumlr xA 0 (sehr wenig A im Loumlsemittel) oder xA 1 (sehr wenig Loumlsemittel in A) liegen in den meisten Faumlllen einphasige homogene Mischungen vor Das besagt dass auch bei niedrigen Temperaturen ein wenig von dem Stoff A im Loumlsemittel bzw ein wenig Loumlsemittel im Stoff A loumlslich ist Der im Diagramm eingezeichnete kritische Punkt bedeutet dass oberhalb der dazugehoumlrigen kritischen Temperatur keine Entmischung mehr erfolgt dh hier sind die beiden Komponenten vollstaumlndig und in jedem Verhaumlltnis miteinander mischbar Neben solchen oberen kritischen Punkten gibt es auch untere kritische Punkte Im zweiten Fall gilt dass die beiden Komponenten unterhalb einer bestimmten Temperatur in jedem Verhaumlltnis miteinander mischbar sind Im Allgemeinen koumlnnen die drei verschiedenen Faumllle auftreten die in Abbildung 33 dargestellt sind

0 Molenbruch xA der Komponente A 1

Tem

pera

tur

obere kritischeTemperatur

Einphasen-gebiet

Zweiphasen-gebiet

Beispiel xA = 04

T1

Zum gezeigten Beispiel

Eine Mischung mit dem Molenbruch xA = 04 wird von T2 nach T1 abgekuumlhltDabei zerfaumlllt die Mischung bei Tklsquo in zwei Phasen derenZusammensetzung bei T1auf der x-Achse an den Punkten 1 und 2 ablesbar ist

T2

Tklsquo

1 2

kritischer Punkt

s1 s2

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0 xA 1

Tem

pera

tur

System mit oberem kritischen Punkt

kritischer Punkt

0 xA 1Te

mpe

ratu

r

System mit unterem kritischen Punkt

kritischer Punkt

0 xA 1

Tem

pera

tur

System mit oberem und unterem

kritischen Punkt

kritischer Punkt

kritische Punkte

Abb 33 Moumlgliche Varianten von kritischen Punkten bei Systemen aus zwei Komponenten

Obere kritische Punkte findet man dann wenn sich die molekulare thermische Bewegung gegen die Tendenz der Molekuumlle sich mit gleichartigen Molekuumllen zusammenzulagern durchsetzt Dieses Phaumlnomen ist sehr verbreitet so dass ein oberer kritischer Punkt bei sehr vielen Mischphasen beobachtet wird Untere kritische Punkte sind sehr viel seltener Sie treten beispielsweise dann auf wenn die beiden Komponenten miteinander bei tiefen Temperaturen einen Komplex bilden der bei houmlheren Temperaturen wieder zerfaumlllt und dann zu einer Phasenseparation fuumlhrt Ein Beispiel dafuumlr ist die Mischung aus Wasser und Triethylamin

Fuumlr Mischphasen aus drei Komponenten so genannte ternaumlre Mischungen sind die bisher gezeigten Darstellungen ungeeignet Hierfuumlr haben sich Dreiecksdiagramme (Gibbssches Phasendreieck) durchgesetzt die das Phasenverhalten unter Variation der Mengenbeitraumlge aller drei Komponenten aufzeigen (Abb 34) Das Diagramm ist so geartet dass die Summe aller drei Mengenanteile xA xB und xC in jedem Fall den Wert 1 ergibt Damit besitzt die Zusammensetzung des ternaumlren Gemisches zwei Freiheitsgrade Jede Linie die durch eine Ecke des Diagramms fuumlhrt verbindet diejenigen Punkte bei denen das Verhaumlltnis zweier Komponenten gleich ist Jede Linie die parallel zu einer der drei Seiten verlaumluft entspricht Gemischen bei denen der relative Anteil einer Komponente gleich bleibt

00 02 04 06 08 10Komponente A

00

02

04

06

08

10

Kom

pone

nte

B

0002

04

06

08

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Komponente C

C

A

B

00 02 04 06 08 10Komponente A

00

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06

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Kom

pone

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B

00

02

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06

08

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Komponente C

x1

x2x

Abb 34 Prinzip eines ternaumlren Phasendiagramms nach Gibbs (Dreiecksdiagramm)

In solche ternaumlren Mischphasendiagramme lassen sich nun entsprechend den binaumlren Mischphasendiagrammen die Ein- und Zweiphasengebiete einzeichnen Das Diagramm in

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44

Abb 34 rechts gilt zB fuumlr eine ternaumlre Mischung aus A B und C bei der die Komponenten A und B sowie B und C jeweils paarweise in jedem Verhaumlltnis miteinander mischbar sind Die Komponenten A und C sollen dagegen nur begrenzt mischbar sein Als Konsequenz daraus ergibt sich ein Dreiecksdiagramm das an der unteren Achse die dem Anteil 0 der Komponente B entspricht ein Zweiphasengebiet aufweist

Die Hilfslinien im Zweiphasengebiet markieren die Zusammensetzung der entstehenden Einzelphasen So wuumlrde beispielsweise eine Mischung deren Zusammensetzung im Diagramm durch den Punkt x markiert ist in die beiden Phasen x1 und x2 zerfallen Die Mengenanteile der beiden Phasen koumlnnten dabei wieder uumlber das Hebelgesetz berechnet werden Um zusaumltzlich den Einfluss der Temperatur wiederzugeben muss eine weitere Koordinate eingefuumlhrt werden Man erhaumllt dabei ein dreidimensionales Dreiecksdiagramm das haumlufig unter Verwendung von Houmlhenlinien nach der Art einer topographischen Landkarte dargestellt wird Jede Houmlhenlinie des Zweiphasengebiets umschreibt dann seine Ausdehnung bei einer gegebenen Temperatur

Fragt man bei einem System mit bestehenden Randbedingungen nach der Zahl der frei variierbaren Zustandsgroumlszligen also nach der Zahl der Freiheitsgrade so haumlngt die Antwort zunaumlchst davon ab in welchem Phasenzustand sich das System befindet So kann man beispielsweise in der Gasphase (bei festgelegter Stoffmenge) Temperatur und Druck frei waumlhlen wodurch dann automatisch das Volumen festgelegt wird Gleiches gilt fuumlr die feste und die fluumlssige Phase Das System hat innerhalb eines Phasenzustands also zwei Freiheits-grade Setzt man allerdings voraus dass sich das System in einem Gleichgewicht zwischen zwei Phasen befindet (zB auf der Verdampfungslinie) so besitzt es nur einen Freiheitsgrad Am Tripelpunkt schlieszliglich bei einem Gleichgewicht zwischen drei Phasen sind keine Freiheitsgrade mehr vorhanden Zwischen der Zahl der Phasen P und der Zahl der Freiheitsgrade F gibt es also folgende einfache Beziehung

F = 3 - P

Beruumlcksichtigt man weiter dass auch mehr als eine Komponente auftreten kann (Zahl der Komponenten C gt 1) so erhoumlht sich die Zahl der Freiheitsgrade um jede zusaumltzliche Komponente deren Konzentration ja frei waumlhlbar ist um den Wert eins Man erhaumllt damit

F = 3 - P + (C - 1) oder F = C - P + 2

Nach dieser allgemeinguumlltigen Formel der so genannten Gibbsrsquoschen Phasenregel laumlsst sich die Zahl der Freiheitsgrade in jedem beliebigen System bestimmen Sie erlaubt insbesondere bei sehr komplizierten Mischungen mit einer unbekannten Anzahl an Phasenzustaumlnden uumlber eine einfache Betrachtung Ruumlckschluumlsse auf deren Phasenverhalten

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0 xA 1

Tem

pera

tur

System mit oberem kritischen Punkt

kritischer Punkt

0 xA 1Te

mpe

ratu

r

System mit unterem kritischen Punkt

kritischer Punkt

0 xA 1

Tem

pera

tur

System mit oberem und unterem

kritischen Punkt

kritischer Punkt

kritische Punkte

Abb 33 Moumlgliche Varianten von kritischen Punkten bei Systemen aus zwei Komponenten

Obere kritische Punkte findet man dann wenn sich die molekulare thermische Bewegung gegen die Tendenz der Molekuumlle sich mit gleichartigen Molekuumllen zusammenzulagern durchsetzt Dieses Phaumlnomen ist sehr verbreitet so dass ein oberer kritischer Punkt bei sehr vielen Mischphasen beobachtet wird Untere kritische Punkte sind sehr viel seltener Sie treten beispielsweise dann auf wenn die beiden Komponenten miteinander bei tiefen Temperaturen einen Komplex bilden der bei houmlheren Temperaturen wieder zerfaumlllt und dann zu einer Phasenseparation fuumlhrt Ein Beispiel dafuumlr ist die Mischung aus Wasser und Triethylamin

Fuumlr Mischphasen aus drei Komponenten so genannte ternaumlre Mischungen sind die bisher gezeigten Darstellungen ungeeignet Hierfuumlr haben sich Dreiecksdiagramme (Gibbssches Phasendreieck) durchgesetzt die das Phasenverhalten unter Variation der Mengenbeitraumlge aller drei Komponenten aufzeigen (Abb 34) Das Diagramm ist so geartet dass die Summe aller drei Mengenanteile xA xB und xC in jedem Fall den Wert 1 ergibt Damit besitzt die Zusammensetzung des ternaumlren Gemisches zwei Freiheitsgrade Jede Linie die durch eine Ecke des Diagramms fuumlhrt verbindet diejenigen Punkte bei denen das Verhaumlltnis zweier Komponenten gleich ist Jede Linie die parallel zu einer der drei Seiten verlaumluft entspricht Gemischen bei denen der relative Anteil einer Komponente gleich bleibt

00 02 04 06 08 10Komponente A

00

02

04

06

08

10

Kom

pone

nte

B

0002

04

06

08

10

Komponente C

C

A

B

00 02 04 06 08 10Komponente A

00

02

04

06

08

10

Kom

pone

nte

B

00

02

04

06

08

10

Komponente C

x1

x2x

Abb 34 Prinzip eines ternaumlren Phasendiagramms nach Gibbs (Dreiecksdiagramm)

In solche ternaumlren Mischphasendiagramme lassen sich nun entsprechend den binaumlren Mischphasendiagrammen die Ein- und Zweiphasengebiete einzeichnen Das Diagramm in

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Abb 34 rechts gilt zB fuumlr eine ternaumlre Mischung aus A B und C bei der die Komponenten A und B sowie B und C jeweils paarweise in jedem Verhaumlltnis miteinander mischbar sind Die Komponenten A und C sollen dagegen nur begrenzt mischbar sein Als Konsequenz daraus ergibt sich ein Dreiecksdiagramm das an der unteren Achse die dem Anteil 0 der Komponente B entspricht ein Zweiphasengebiet aufweist

Die Hilfslinien im Zweiphasengebiet markieren die Zusammensetzung der entstehenden Einzelphasen So wuumlrde beispielsweise eine Mischung deren Zusammensetzung im Diagramm durch den Punkt x markiert ist in die beiden Phasen x1 und x2 zerfallen Die Mengenanteile der beiden Phasen koumlnnten dabei wieder uumlber das Hebelgesetz berechnet werden Um zusaumltzlich den Einfluss der Temperatur wiederzugeben muss eine weitere Koordinate eingefuumlhrt werden Man erhaumllt dabei ein dreidimensionales Dreiecksdiagramm das haumlufig unter Verwendung von Houmlhenlinien nach der Art einer topographischen Landkarte dargestellt wird Jede Houmlhenlinie des Zweiphasengebiets umschreibt dann seine Ausdehnung bei einer gegebenen Temperatur

Fragt man bei einem System mit bestehenden Randbedingungen nach der Zahl der frei variierbaren Zustandsgroumlszligen also nach der Zahl der Freiheitsgrade so haumlngt die Antwort zunaumlchst davon ab in welchem Phasenzustand sich das System befindet So kann man beispielsweise in der Gasphase (bei festgelegter Stoffmenge) Temperatur und Druck frei waumlhlen wodurch dann automatisch das Volumen festgelegt wird Gleiches gilt fuumlr die feste und die fluumlssige Phase Das System hat innerhalb eines Phasenzustands also zwei Freiheits-grade Setzt man allerdings voraus dass sich das System in einem Gleichgewicht zwischen zwei Phasen befindet (zB auf der Verdampfungslinie) so besitzt es nur einen Freiheitsgrad Am Tripelpunkt schlieszliglich bei einem Gleichgewicht zwischen drei Phasen sind keine Freiheitsgrade mehr vorhanden Zwischen der Zahl der Phasen P und der Zahl der Freiheitsgrade F gibt es also folgende einfache Beziehung

F = 3 - P

Beruumlcksichtigt man weiter dass auch mehr als eine Komponente auftreten kann (Zahl der Komponenten C gt 1) so erhoumlht sich die Zahl der Freiheitsgrade um jede zusaumltzliche Komponente deren Konzentration ja frei waumlhlbar ist um den Wert eins Man erhaumllt damit

F = 3 - P + (C - 1) oder F = C - P + 2

Nach dieser allgemeinguumlltigen Formel der so genannten Gibbsrsquoschen Phasenregel laumlsst sich die Zahl der Freiheitsgrade in jedem beliebigen System bestimmen Sie erlaubt insbesondere bei sehr komplizierten Mischungen mit einer unbekannten Anzahl an Phasenzustaumlnden uumlber eine einfache Betrachtung Ruumlckschluumlsse auf deren Phasenverhalten

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Abb 34 rechts gilt zB fuumlr eine ternaumlre Mischung aus A B und C bei der die Komponenten A und B sowie B und C jeweils paarweise in jedem Verhaumlltnis miteinander mischbar sind Die Komponenten A und C sollen dagegen nur begrenzt mischbar sein Als Konsequenz daraus ergibt sich ein Dreiecksdiagramm das an der unteren Achse die dem Anteil 0 der Komponente B entspricht ein Zweiphasengebiet aufweist

Die Hilfslinien im Zweiphasengebiet markieren die Zusammensetzung der entstehenden Einzelphasen So wuumlrde beispielsweise eine Mischung deren Zusammensetzung im Diagramm durch den Punkt x markiert ist in die beiden Phasen x1 und x2 zerfallen Die Mengenanteile der beiden Phasen koumlnnten dabei wieder uumlber das Hebelgesetz berechnet werden Um zusaumltzlich den Einfluss der Temperatur wiederzugeben muss eine weitere Koordinate eingefuumlhrt werden Man erhaumllt dabei ein dreidimensionales Dreiecksdiagramm das haumlufig unter Verwendung von Houmlhenlinien nach der Art einer topographischen Landkarte dargestellt wird Jede Houmlhenlinie des Zweiphasengebiets umschreibt dann seine Ausdehnung bei einer gegebenen Temperatur

Fragt man bei einem System mit bestehenden Randbedingungen nach der Zahl der frei variierbaren Zustandsgroumlszligen also nach der Zahl der Freiheitsgrade so haumlngt die Antwort zunaumlchst davon ab in welchem Phasenzustand sich das System befindet So kann man beispielsweise in der Gasphase (bei festgelegter Stoffmenge) Temperatur und Druck frei waumlhlen wodurch dann automatisch das Volumen festgelegt wird Gleiches gilt fuumlr die feste und die fluumlssige Phase Das System hat innerhalb eines Phasenzustands also zwei Freiheits-grade Setzt man allerdings voraus dass sich das System in einem Gleichgewicht zwischen zwei Phasen befindet (zB auf der Verdampfungslinie) so besitzt es nur einen Freiheitsgrad Am Tripelpunkt schlieszliglich bei einem Gleichgewicht zwischen drei Phasen sind keine Freiheitsgrade mehr vorhanden Zwischen der Zahl der Phasen P und der Zahl der Freiheitsgrade F gibt es also folgende einfache Beziehung

F = 3 - P

Beruumlcksichtigt man weiter dass auch mehr als eine Komponente auftreten kann (Zahl der Komponenten C gt 1) so erhoumlht sich die Zahl der Freiheitsgrade um jede zusaumltzliche Komponente deren Konzentration ja frei waumlhlbar ist um den Wert eins Man erhaumllt damit

F = 3 - P + (C - 1) oder F = C - P + 2

Nach dieser allgemeinguumlltigen Formel der so genannten Gibbsrsquoschen Phasenregel laumlsst sich die Zahl der Freiheitsgrade in jedem beliebigen System bestimmen Sie erlaubt insbesondere bei sehr komplizierten Mischungen mit einer unbekannten Anzahl an Phasenzustaumlnden uumlber eine einfache Betrachtung Ruumlckschluumlsse auf deren Phasenverhalten