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Vorlesungsmanuskript zu Di erentialgleichungen II · Vorlesungsmanuskript zu Di erentialgleichungen II Werner Balser Institut für Angewandte Analysis Sommersemester 2010

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Vorlesungsmanuskript zu

Di�erentialgleichungen II

Werner Balser

Institut für Angewandte Analysis

Sommersemester 2010

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Bücher zur Vorlesung

[1] L. V. Ahlfors, Complex analysis, McGraw-Hill Book Co., New York, dritte Au�., 1978. An intro-duction to the theory of analytic functions of one complex variable, International Series in Pure andApplied Mathematics. 39

[2] H. Amann, Gewöhnliche Di�erentialgleichungen, de Gruyter Lehrbuch, Walter de Gruyter & Co.,Berlin, 1983.

[3] V. I. Arnol′d, Geometrische Methoden in der Theorie der gewöhnlichen Di�erentialgleichungen,Birkhäuser Verlag, Basel, 1987.

[4] , Gewöhnliche Di�erentialgleichungen, Hochschulbücher für Mathematik, 83, Deutscher Verlagder Wissenschaften, Berlin, zweite Au�., 1991.

[5] M. Braun, Di�erentialgleichungen und ihre Anwendungen, Springer-Lehrbuch, Berlin, dritte Au�.,1994.

[6] E. A. Coddington und N. Levinson, Theory of ordinary di�erential equations, McGraw-HillBook Company, Inc., New York-Toronto-London, 1955. 25, 35

[7] L. Collatz, Di�erentialgleichungen, B. G. Teubner, Stuttgart, siebte Au�., 1990. Eine Einführungunter besonderer Berücksichtigung der Anwendungen.

[8] H. Heuser, Gewöhnliche Di�erentialgleichungen, Mathematische Leitfäden, B. G. Teubner, Stutt-gart, fünfte Au�., 2006. Einführung in Lehre und Gebrauch.

[9] G. Jank und L. Volkmann, Einführung in die Theorie der ganzen und meromorphen Funktio-nen mit Anwendungen auf Di�erentialgleichungen, UTB für Wissenschaft: Grosse Reihe, BirkhäuserVerlag, Basel, 1985.

[10] H. Knapp, Gewöhnliche Di�erentialgleichungen, Rudolf Trauner, Linz, 1982.

[11] K. Meyberg und P. Vachenauer, Höhere Mathematik 2, Springer, Berlin, 1999. 57

[12] A. Peyerimho�, Gewöhnliche Di�erentialgleichungen. I, Akademische Verlagsgesellschaft, Wiesba-den, zweite Au�., 1982. Studienbuch für Studierende der Mathematik und aller Naturwissenschaftenab 3. Semester.

[13] , Gewöhnliche Di�erentialgleichungen. II, Akademische Verlagsgesellschaft, Wiesbaden, 1982.

[14] F. W. Schäfke und D. Schmidt, Gewöhnliche Di�erentialgleichungen, Springer-Verlag, Berlin,1973. Die Grundlagen der Theorie im Reellen und Komplexen, Heidelberger Taschenbücher, Band108.

[15] W. W. Stepanow, Lehrbuch der Di�erentialgleichungen, Hochschulbücher für Mathematik, 20,VEB Deutscher Verlag der Wissenschaften, Berlin, 1982.

[16] W. Walter, Gewöhnliche Di�erentialgleichungen, Springer-Lehrbuch, Springer-Verlag, Berlin, fünf-te Au�., 1993. Eine Einführung.

[17] H. Werner und H. Arndt, Gewöhnliche Di�erentialgleichungen, Hochschultext, Springer-Verlag,Berlin, 1986. Eine Einführung in Theorie und Praxis.

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Inhaltsverzeichnis

1 Unendlich-dimensionale Di�erentialgleichungssysteme 5

1.1 Ableitung und Riemann-Integral . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5

1.2 Der Satz von Picard-Lindelöf im Banachraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10

1.3 Anwendungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12

1.4 Di�erentialgleichungen in einer komplexen Variablen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13

2 Stabilität 16

2.1 Lipschitz-stetige Di�erentialgleichungssysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16

2.2 De�nition und einfache Eigenschaften der Stabilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19

2.3 Gestörte lineare Systeme mit konstanten Koe�zienten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19

2.4 Autonome Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22

2.5 Gleichgewichtslösungen bei autonomen Systemen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22

3 Eigenwertaufgaben 25

3.1 Ein Beispiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25

3.2 Selbstadjungiertheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26

3.3 Die Greensche Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29

3.4 Der Greensche Operator . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31

3.5 Die Vollständigkeit der Eigenfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32

3.6 Probleme mit Gewichtsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33

3.7 Singuläre Randwertprobleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35

3.8 Weitere Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35

4 Lineare Di�erentialgleichungen in der komplexen Ebene 37

4.1 Analytische Fortsetzung von Lösungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37

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4.2 Singuläre Punkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39

4.3 Singularitäten erster Art . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41

4.4 Skalare Gleichungen höherer Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44

4.5 Die Frobenius-Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45

4.6 Reguläre Singularitäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47

4.7 Die hypergeometrische Di�erentialgleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48

4.8 Die Besselsche Di�erentialgleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50

5 Separation der Variablen 52

5.1 Die schwingende Saite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52

5.1.1 Die homogene Gleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52

5.1.2 Die inhomogene Gleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55

5.2 Das Dirichlet-Problem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55

5.3 Die schwingende Kreisscheibe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56

5.4 Die Wärmeleitungsgleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57

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Kapitel 1

Unendlich-dimensionale

Di�erentialgleichungssysteme

In diesem Kapitel wollen wir bekannte Resultate für Di�erentialgleichungssysteme, wie z. B. den Existenz-und Eindeutigkeitssatz von Picard-Lindelöf, wiederholen bzw. verallgemeinern: Einmal wollen wir Sys-teme unendlicher Dimension betrachten, und zum anderen wollen wir zulassen, dass die unabhängigeVariable des Systems eine komplexe Veränderliche ist, so dass wir Resultate der Funktionentheorie be-nutzen können. Dabei wird X immer ein fest gewählter, aber beliebiger Banachraum über K sein, wobeiK entweder R oder C sein darf. Mit L(X) sei die Menge aller stetigen linearen Abbildungen von X insich bezeichnet. Mit X′ bezeichnen wir die Menge aller stetigen linearen Funktionale auf X, das heiÿt dieMenge aller linearen Abbildungen φ : X→ K, welche im Sinn der Norm stetig auf X sind. Hierbei ist dieStetigkeit bekanntlich äquivalent zur Beschränktheit von φ ∈ X′, und wir setzen wie üblich

‖φ‖ = supx∈X, ‖x‖≤1

|φ(x)| .

Wir betrachten im Folgenden meist Funktionen, die auf einer Menge D ⊂ K de�niert sind und Werte inX haben. Diese werden gelegentlich auch X-wertige Funktionen heiÿen, um sie von solchen mit Werten inK zu unterscheiden. Für K = R ist D meist ein Intervall, und im anderen Falle ein Gebiet G ⊂ C, d. h.,eine o�ene und zusammenhängende Menge von komplexen Zahlen.

In der linearen Algebra ist es üblich, bei der Multiplikation eines Vektors mit einer Zahl diese links vomVektor zu schreiben. Hier wird es bequem sein (z. B. bei den unten eingeführten Riemann-Summen), vondieser Konvention abzuweichen und zu erlauben, dass die Zahl auch rechts stehen kann!

1.1 Ableitung und Riemann-Integral

Im Folgenden sei X, wie oben schon gesagt, immer ein Banachraum. Weiter sei, wenn nichts anderesgesagt wird, I ein nicht-triviales1 reelles Intervall, und f eine auf I de�nierte X-wertige Funktion.

De�nition 1.1.1 (Ableitung und Stammfunktion) Wir nennen f in einem Punkt t0 ∈ I di�eren-zierbar, wenn der Di�erenzenquotient

(t− t0)−1(f(t)− f(t0)

), t 6= t0 , t ∈ I ,

für t → t0 einem Grenzwert zustrebt, und diesen bezeichnen wir dann mit f ′(t0) und nennen ihn dieAbleitung von f im Punkt t0. Falls t0 einer der Randpunkte von I ist, ist dies natürlich die entsprechende

1Dies soll heiÿen, dass I mehr als einen Punkt enthält.

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einseitige Ableitung. Wenn f in jedem Punkt von I di�erenzierbar ist, dann sagen wir auch: f ist auf Idi�erenzierbar. Wir nennen eine Funktion F eine Stammfunktion zu f auf I, wenn F dort di�erenzierbarund f gleich der Ableitung von F ist.

Das folgende Lemma zur Ableitung von φ ◦ f und das analoge Resultat für Integrale ist auf den erstenBlick vielleicht überraschend, wird aber sofort verständlich, wenn man sich klar macht dass eine linea-re Abbildung bei endlich-dimensionalen Vektorräumen der Multiplikation mit einer konstanten Matrixentspricht.

Lemma 1.1.2 (Rechenregeln)

(a) Ist f auf I konstant, so ist f dort di�erenzierbar, und f ′(t) = 0 für alle t ∈ I.

(b) Ist f in t0 ∈ I di�erenzierbar, und ist φ ∈ X′, so ist auch φ ◦ f in t0 di�erenzierbar, und es gilt(φ(f(t0)

)′= φ(f ′(t0)) .

(c) Sind F und G Stammfunktionen zur gleichen Funktion f auf I, so ist F −G auf I konstant.

Beweis: Der erste Teil der Behauptung ist klar nach De�nition der Ableitung. Sei jetzt φ ∈ X′ gegeben.Wegen der Stetigkeit von φ folgt sofort

φ(

(t− t0)−1(f(t)− f(t0)

) )→ φ

(f ′(t0)

)(t→ t0) .

Andererseits ist aber wegen der Linearität von φ die linke Seite gleich (t − t0)−1 (φ(f(t)) − φ(f(t0))),woraus (b) folgt. Wenn F und G Stammfunktionen zu f sind, dann folgt aus dem soeben Bewiesenen fürjedes φ ∈ X′ dass φ ◦ F und φ ◦G zwei Stammfunktionen zur K-wertigen Funktion φ ◦ f sind. Daher istφ ◦F −φ ◦G = φ ◦ (F −G) konstant. Hieraus folgt (mit Hilfe des Satzes von Hahn-Banach) die Konstanzvon H := F−G, denn wenn H(t1) 6= H(t2) wäre, so gäbe es ein φ ∈ X′ mit φ(H(t1)) 6= φ(H(t2)). Beachtedass diese typische Schlussweise auch später noch angewandt wird, um das Bestehen von Gleichungenzwischen Vektoren zu zeigen! 2

Aufgabe 1.1.3 (Weitere Rechenregeln) Seien f, g : I → X und α : I → K di�erenzierbar im Punktt0 ∈ I. Zeige:

(a) s := f + g ist in t0 di�erenzierbar, und s′(t0) = f ′(t0) + g′(t0).

(b) p := α f ist in t0 di�erenzierbar, und p′(t0) = α′(t0) f(t0) + α(t0) f ′(t0).

Überlege selbst, wie sich die Quotientenregel verallgemeinert und, falls X ein Hilbertraum ist, welche Regelfür die Ableitung des inneren Produkts gilt.

Aufgabe 1.1.4 Sei A ∈ L(X), und sei x0 ∈ X. Zeige:

(a) Für alle t ∈ R ist die Reihe

etA :=

∞∑n=0

tn

n!An

konvergent, und es gilt et1A et2A = e(t1+t2)A für alle t1, t2 ∈ R.

(b) Die durch die Reihe gegebene L(X)-wertige Funktion ist an jeder Stelle t ∈ R di�erenzierbar, und

d

dtetA = A ◦ etA = etA ◦A ∀ t ∈ R .

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Untersuche weiter, wie auch folgende Aussage bewiesen werden kann: Wenn A(t) eine L(X)-wertige, aufI di�erenzierbare Funktion ist, und wenn A′(t) und A(t) für jedes feste t ∈ I kommutieren, dann gilt

d

dteA(t) = A′(t) ◦ eA(t) = eA(t) ◦A′(t) ∀ t ∈ I .

Finde ein Beispiel dafür, dass diese Aussage falsch ist, wenn man die Voraussetzung, dass A′(t) und A(t)für jedes feste t ∈ I kommutieren, fallen lässt.

De�nition 1.1.5 (Integral) Sei jetzt I = [a, b] ein abgeschlossenes Intervall. Wie in den Grundvorle-sungen Analysis de�nieren wir für jede Zerlegung Z = {a = t0 < t1 < . . . < tN = b} und jede Wahl einesZwischenpunktvektors τ = (τ1, . . . , τN )T mit τk ∈ [tk−1, tk], 1 ≤ k ≤ N , die zugehörige Riemann-Summeals den Vektor

S(Z, τ) :=

N∑k=1

f(τk) (tk − tk−1) .

Wir nennen f über [a, b] Riemann-integrierbar, wenn es einen Vektor in X gibt, den wir dann mit∫ baf(t) dt bezeichnen und Integral von f über [a, b] nennen, für welchen folgendes gilt:

• Zu jedem ε > 0 existiert eine Zerlegung Zε von [a, b], so dass für jede Verfeinerung Z von Zε undjede Wahl des Zwischenpunktvektors τ gilt∥∥∥ ∫ b

a

f(t) dt − S(Z, τ)∥∥∥ < ε . (1.1.1)

Wenn dies so ist, dann ist das Riemann-Integral von f über [a, b] eindeutig bestimmt, und es ergibtsich sofort die Konvergenz mindestens einer zulässigen Folge von Riemann-Summen gegen das Integral.Dass sogar alle zulässigen Folgen von Riemann-Summen gegen das Integral konvergieren, zeigen wir imnächsten Satz.

Aufgabe 1.1.6 Zeige: Genau dann ist f über [a, b] integrierbar, wenn es zu jedem ε > 0 eine ZerlegungZε von [a, b] gibt, so dass für alle Verfeinerungen Z, Z von Zε und jede Wahl von Zwischenpunktvektorenτ, τ gilt ∥∥ S(Z, τ) − S(Z, τ)

∥∥ < ε .

Anleitung: Zeige zunächst: Wenn die angegebene Bedingung erfüllt ist, dann gibt es eine zulässige Folgevon Riemann-Summen (S(Zn, τn)) so, dass jedes Zm für m > n eine Verfeinerung von Zn ist, und dass‖S(Zn, τn)− S(Zm, τm)‖ < 1/n ist.

Aufgabe 1.1.7 Zeige: Wenn f und g über [a, b] integrierbar sind, dann ist auch α f + β g, für alleα, β ∈ K, über [a, b] integrierbar, und es gilt∫ b

a

(α f(t) + β g(t)

)dt = α

∫ b

a

f(t) dt + β

∫ b

a

g(t) dt .

Zeige weiter: Für a ≤ c ≤ b ist f genau dann über [a, b] integrierbar, wenn es über beide Teilintervalle[a, c] und [c, b] integrierbar ist, und es gilt∫ b

a

f(t) dt =

∫ c

a

f(t) dt +

∫ b

c

f(t) dt .

Satz 1.1.8 Mit obigen Bezeichnungen und De�nitionen gilt:

(a) Wenn f über [a, b] integrierbar ist, dann ist f dort beschränkt, und es gilt die Fundamentalabschät-zung ∥∥∥ ∫ b

a

f(t) dt∥∥∥ ≤ (b− a) sup

a≤t≤b

∥∥f(t)∥∥ .

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(b) Genau dann ist f über [a, b] integrierbar, wenn alle zulässigen Folgen von Riemann-Summen kon-vergieren.

(c) Wenn f über [a, b] integrierbar und φ ∈ X′ ist, dann ist auch φ ◦ f über [a, b] integrierbar, und esgilt ∫ b

a

φ(f(t)

)dt = φ

( ∫ b

a

f(t) dt).

(d) Wenn f auf [a, b] stetig ist, dann existiert das Riemann-Integral von f über jedes abgeschlosseneTeilintervall von [a, b], und die Funktion

F (t) =

∫ t

a

f(u) du ∀ t ∈ [a, b]

ist Stammfunktion zu f auf [a, b].

(e) Wenn f über [a, b] integrierbar und F dort Stammfunktion zu f ist, dann folgt∫ b

a

f(t) dt = F (b) − F (a) . (1.1.2)

Beweis: Teil (a) folgt direkt aus der De�nition des Integrals: Bei einem unbeschränkten Integrandenkann man für eine beliebige Zerlegung Z immer Zwischenpunkte so wählen, dass die zugehörige Riemann-Summe beliebig groÿ wird. Wenn dagegen f beschränkt ist, kann man jede Riemann-Summe mit derDreiecksungleichung abschätzen und erhält daraus die Fundamentalabschätzung. Zum Beweis von (b) seizunächst f als integrierbar vorausgesetzt. Dann gibt es nach (a) ein K so dass ‖f(t)‖ ≤ K ist für allet ∈ [a, b]. Sei jetzt ε > 0, und sei Zε = {a = t0 < t1 < . . . < tN = b} eine entsprechende Zerlegung wie inder De�nition der Integrierbarkeit. Sei Z1 = {a = u0 < u1 < . . . < uM = b} eine andere Zerlegung, derenFeinheit kleiner als das kürzeste Teilintervall von Zε ist, und sei ein beliebiger Zwischenpunktvektor τgewählt. Wir sehen dann: Zu jedem k, 1 ≤ k ≤ N − 1 gibt es ein eindeutig bestimmtes j = j(k) so,dass uj−1 < tk ≤ uj ist, und die Funktion k 7→ j(k) ist streng monoton wachsend. Sei Z2 so gebildet,dass die Teilpunkte uj(k) in Z1 durch tk ersetzt werden, während die übrigen gleich bleiben. Dann ist Z2

eine Verfeinerung von Zε, und wenn wir nötigenfalls die Zwischenpunkte τj(k) anpassen, dann folgt mitder Integralde�nition dass der Abstand der Riemann-Summe für Z2 vom Integralwert kleiner als ε ist.Andererseits ist der Unterschied der Riemann-Summen zu Z1 und Z2 höchstens gleich 3N K |Z1|, da wirnur N der Teilpunkte anpassen müssen, und da bei einer Änderung des zugehörigen Zwischenpunktesdie Riemann-Summe um maximal 3K |Z1| verändert wird. Wenn also Z1 hinreichend fein ist, dann ist3N K |Z1| < ε, und dann folgt mit der Dreiecksungleichung∥∥∥ ∫ b

a

f(t) dt − S(Z1, τ)∥∥∥ < 2 ε .

Daher muss jede zulässige Folge von Riemann-Summen gegen das Integral konvergieren. Wenn umgekehrtdie Konvergenz jeder solcher Folge gesichert ist, folgt in der üblichen Weise zunächst dass alle diese Folgenden gleichen Grenzwert haben (den wir dann als Integral bezeichnen). Dann gilt aber

• Für alle ε > 0 gibt es ein δ > 0 derart, dass für alle Zerlegungen Z mit einer Feinheit |Z| < δ undjede Wahl eines Zwischenpunktvektors τ die Ungleichung (1.1.1) gilt.

Wäre das nämlich nicht so, dann gäbe es ein ε > 0 so, dass eine zulässige Zerlegungsfolge existiert, fürwelche bei geeigneter Zwischenpunktwahl alle zugehörigen Riemann-Summen vom Integral um mindestensε abweichen, was nicht sein kann. Aus dieser Ungleichung folgt aber die Integrierbarkeit von f . Die Aussage(c) ist klar, da wegen der Linearität von φ für jede Riemann-Summe S(Z, τ) immer gilt

φ(S(Z, τ)) =

N∑k=1

φ(f(τk)

)(tk − tk−1) ,

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und da wegen der (Folgen-)Stetigkeit von φ die zulässigen Folgen von Riemann-Summen zu φ ◦ f gegenφ(∫ baf(t) dt) konvergieren. Um (d) zu beweisen, reicht es aus, die Integrierbarkeit über [a, b] zu zeigen,

und hierfür benutzen wir dass f auf dem abgeschlossenen Intervall [a, b] sogar gleichmäÿig stetig ist.Daher existiert zu jedem ε > 0 ein δ > 0 derart, dass ‖f(t) − f(u)‖ < ε gilt, falls nur |t − u| < δ ist.Sei jetzt Zε = {a = t0 < t1 < . . . < tN = b} irgendeine Zerlegung von [a, b], deren Feinheit kleinerals δ ist, und τ1, . . . , τN seien irgendwelche Zwischenpunkte. Seien weiter eine beliebige VerfeinerungZ = {a = u0 < u1 < . . . < uM = b} von Zε und zugehörige Zwischenpunkte η1, . . . , ηM gewählt. Fürirgendein k seien tk−1 = uj−1 < uj < . . . < um = tk. Dann folgt∥∥∥f(τk) (tk − tk−1) −

m∑ν=j

f(ην) (uν − uν−1)∥∥∥

=∥∥∥ m∑ν=j

(f(τk)− f(ην)

)(uν − uν−1)

∥∥∥ ≤ m∑ν=j

∥∥f(τk)− f(ην)∥∥ |uν − uν−1| < ε (tk − tk−1) .

Mit Hilfe der Dreiecksungleichung ergibt sich hieraus

‖S(Zε, τ)− S(Z, η)‖ =∥∥∥ N∑k=1

f(τk)(tk − tk−1) −

M∑ν=1

f(ην) (uν − uν−1)∥∥∥ < ε (b− a) .

Daraus folgt: Wenn wir eine zulässige Folge von Zerlegungen wählen, dann bilden die entsprechenden Rie-mannsummen für irgendeine Zwischenpunktwahl immer eine Cauchyfolge in X, denn wenn die Feinheitenvon Zerlegungen Zn und Zm beide kleiner als δ sind, können wir Z gleich der gemeinsamen Verfeinerungder beiden setzen und erhalten aus der obigen Abschätzung

‖S(Zn, τn)− S(Zm, τm)‖ ≤ ‖S(Zn, τn)− S(Z, τ)‖ + ‖S(Z, τ)− S(Zm, τm)‖ < 2 ε (b− a) .

Da X vollständig ist, hat diese Folge einen Grenzwert, und daher ist f integrierbar. Dass die angegebeneFunktion F Stammfunktion zu f ist, zeigt man wie in der Grundvorlesung. Zum Beweis der letztenTeilaussage sei φ ∈ X′. Dann ist φ ◦F wegen Lemma 1.1.2 Stammfunktion zu φ ◦ f , und deshalb gilt mit(c)

φ( ∫ b

a

f(t) dt)

=

∫ b

a

φ(f(t)) dt = φ(F (t))∣∣ba

= φ(F (b)− F (a)

),

und daraus folgt mit (c) und dem Satz von Hahn-Banach die Behauptung. 2

Aufgabe 1.1.9 (Dreiecksungleichung für Integrale) Zeige: Wenn f auf [a, b] stetig ist, dann istauch ‖f‖ auf [a, b] stetig und somit auch integrierbar, und es gilt die Ungleichung∥∥∥ ∫ b

a

f(t) dt∥∥∥ ≤ ∫ b

a

‖f(t)‖ dt .

Aufgabe 1.1.10 Sei die Folge (fn) von X-wertigen Funktionen auf einem abgeschlossenen Intervall [a, b]gleichmäÿig konvergent gegen die Grenzfunktion f . Zeige: Sind alle fn stetig auf [a, b], so ist auch f dortstetig. Sind alle fn über [a, b] integrierbar, so gilt dasselbe auch für f , und es folgt∫ b

a

f(t) dt = limn→∞

∫ b

a

fn(t) dt .

Aufgabe 1.1.11 Sei Y ein zweiter Banachraum über demselben Körper K, und sei T eine stetige lineareAbbildung von X nach Y. Zeige: Wenn eine X-wertige Funktion f über [a, b] integrierbar ist, dann istauch die Y-wertige Funktion T ◦ f über [a, b] integrierbar, und es gilt∫ b

a

T (f(t)) dt = T( ∫ b

a

f(t) dt).

Vergleiche dies mit der Aussage (c) des letzten Satzes.

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1.2 Der Satz von Picard-Lindelöf im Banachraum

Die Theorie der Systeme von Di�erentialgleichungen (erster Ordnung) befasst sich im Grunde mit dif-ferenzierbaren Funktionen mit Werten in einem endlich-dimensionalen Vektorraum, nämlich Kn. Schondaher ist es sinnvoll zu fragen, ob eine ähnliche Theorie entwickelt werden kann, wenn Kn durch einenbeliebigen Banachraum ersetzt wird. Ein anderer wichtigerer Grund liegt aber darin, dass man sehr oftein System von Di�erentialgleichungen untersucht, dessen rechte Seite von zusätzlichen Variablen (besserParameter genannt) abhängt, und dann stellt sich die Frage der Abhängigkeit der Lösungen von ebendiesen Parametern. Genauer heiÿt das z. B: Wenn die rechte Seite in diesen Parametern stetig oder so-gar holomorph ist, gilt dies auch für die Lösungen? Eine solche rein qualitative Frage lässt sich leichtbeantworten, wenn man Di�erentialgleichungen für Banachraum-wertige Funktionen untersucht, und wirwollen dies hier tun. Eine andere, noch wichtigere Frage besteht allerdings darin zu klären, wie sensitivdie Lösungen gegenüber (kleinen) Veränderungen der Parameterwerte und/oder der Anfangswerte sind.Dies soll später noch betrachtet werden.

Im Weiteren sei F eine X-wertige Funktion auf der Menge D := [t0, t0 +r]×K(x0, s), mit t0 ∈ R, x0 ∈ X,und r, s > 0. Wir wollen jetzt folgendes Anfangswertproblem (AWP) studieren:

x′ = F (t, x) x(t0) = x0 . (1.2.1)

Wir nennen eine auf einem Teilintervall I := [t0, t0 +ρ], 0 < ρ ≤ r di�erenzierbare Funktion x Lösung desAWP, wenn x(t0) = x0 ist, und wenn für alle t ∈ I immer x′(t) = F (t, x(t)) ist, wobei implizit voraus-gesetzt ist, dass alle Werte x(t) in der Kugel K(x0, s) liegen, damit x(t) überhaupt in F (t, x) eingesetztwerden kann � deshalb sollen stetige Funktionen mit Werten in K(x0, s) kurz zulässig heiÿen. Um denüblichen Satz von Picard-Lindelöf auf den Fall eines unendlich-dimensionalen Raumes X ausdehnen zukönnen, ist vor allem zu beachten, dass in diesem Fall der De�nitionsbereich D zwar abgeschlossen, aberi. A. nicht kompakt ist. Daher formulieren wir die erforderlichen Voraussetzungen jetzt wie folgt:

(V1) Für jede zulässige Funktion x(t), also für jedes Teilintervall I := [t0, t0 +ρ], 0 < ρ ≤ r und jede dortstetige Funktion mit Werten inK(x0, s), sei die Funktion F (t, x(t)) wieder stetig auf I. Insbesondereist dann F (t, x0) auf [t0, t0 + r] stetig und folglich beschränkt, und wir setzen

K := supt0≤t≤t0+r

‖F (t, x0)‖ . (1.2.2)

(V2) Es gebe ein L ∈ R+ so, dass für alle t ∈ [t0, t0 + r] und x1, x2 ∈ K(x0, s) die Lipschitzbedingung inder Variablen x, nämlich die Ungleichung

‖F (t, x1) − F (t, x2)‖ ≤ L ‖x1 − x2‖

erfüllt ist.

Unter diesen Voraussetzungen bestimmen wir das maximale ρ ≤ r so, dass

KeLρ − 1

L≤ s . (1.2.3)

Diese Zahl ρ existiert und ist eindeutig bestimmt, da die linke Seite der Ungleichung gegen 0 geht fürρ → 0 und auÿerdem monoton wachsend in ρ ist � man kann ρ sogar ausrechnen, aber dies spielt hierkeine Rolle.

Aufgabe 1.2.1 (Grönwallsche Ungleichung) Sei I = [t0, a) ⊂ R mit a > t0, und seien u, α, β auf Istetige und nicht negative R-wertige Funktionen mit

u(t) ≤ α(t) +

∫ t

t0

β(s)u(s) ds ∀ t ∈ I . (1.2.4)

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Zeige dass dann folgende Abschätzung für u gilt:

u(t) ≤ α(t) +

∫ t

t0

α(s)β(s) exp[ ∫ t

s

β(ξ) dξ]ds ∀ t ∈ I . (1.2.5)

Anleitung: De�niere v(t) :=∫ tt0β(s)u(s) ds, zeige eine Ungleichung für

d

dtv(t) exp

[−∫ t

t0

β(ξ) dξ]

= β(t) exp[−∫ t

t0

β(ξ) dξ]

(u(t) − v(t)) ,

und integriere diese.

Satz 1.2.2 (Satz von Picard und Lindelöf) Wenn F die obigen Voraussetzungen erfüllt, existiertgenau eine Lösung des AWP (1.2.1) auf dem Intervall I = [t0, t0 + ρ]. Diese Lösung ist der Grenzwertder Folge (xn)∞n=0, de�niert durch x0(t) ≡ x0 und

xn+1(t) = x0 +

∫ t

t0

F (τ, xn(τ)) dτ ∀ n ∈ N0 , (1.2.6)

wobei diese Folge auf dem angegebenen Intervall gleichmäÿig konvergiert.

Beweis: Der Beweis läuft im Grunde völlig analog zu dem im Fall X = Kn: Sei für den Moment ange-nommen, dass die Folge xn(t) auf I durch (1.2.6) de�niert ist (beachte, dass dies nicht selbstverständlichist, da ja die Funktionen zulässig sein müssen). Aus der Fundamentalabschätzung des Integrals und derDe�nition der Zahl K folgt sofort

‖x1(t)− x0‖ ≤ (t− t0)K ∀ t ∈ I .

Mit Hilfe der Lipschitzbedingung und Aufgabe 1.1.9 folgt weiter

‖xn+1(t) − xn(t)‖ ≤ L

∫ t

t0

‖xn(τ)− xn−1(τ)‖ dτ ∀ n ∈ N , t ∈ I . (1.2.7)

Hieraus schlieÿen wir mit vollständiger Induktion

‖xn+1(t) − xn(t)‖ ≤ K(t− t0)n+1 Ln

(n+ 1)!∀ n ∈ N0 , t ∈ I .

Daraus wiederum folgt mit der Dreiecksungleichung für m, p ∈ N:

‖xm+p(t) − xm(t)‖ ≤m+p−1∑n=m

‖xn+1(t) − xn(t)‖ ≤ K

∞∑n=m

(t− t0)n+1 Ln

(n+ 1)!∀ t ∈ I . (1.2.8)

Wenn man jetzt m = 0 setzt, so erhält man dass ‖xp(t) − x0‖ ≤ K (eLρ− 1)/L ≤ s, und dies zeigt, dassdie Iteration wohlde�niert ist (beachte auch, dass nach Voraussetzung (V1) die Iterierten alle stetig aufI sind). Weiter folgt aber aus (1.2.8) für allgemeines m die gleichmäÿige Konvergenz der Folge auf demIntervall I, und die Grenzfunktion ist nach Aufgabe 1.1.10 stetig. Auÿerdem kann man bei gleichmäÿigerKonvergenz das Integral und den Grenzwert vertauschen, und daher gilt die Integralgleichung

x(t) = x0 +

∫ t

t0

F (τ, x(τ)) dτ ∀ t ∈ I .

Hieraus folgt aber die Di�erenzierbarkeit von x sowie die Tatsache, dass x das AWP löst. Um noch dieEindeutigkeit zu zeigen, sei x eine weitere Lösung. Dann erfüllt auch x die obige Integralgleichung, undfür die Di�erenz d = x− x folgt mit Hilfe der Lipschitzbedingung die Ungleichung

‖d(t)‖ ≤ L

∫ t

t0

‖d(τ)‖ dτ ∀ n ∈ N , t ∈ I .

Aus Aufgabe 1.2.1 folgt dann aber d(t) ≡ 0, also die Eindeutigkeit. 2

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Aufgabe 1.2.3 Zeige dass ein analoger Satz auch auf einem Intervall der Form [t0 − r, t0] gilt, falls Fdie entsprechenden Voraussetzungen erfüllt.

Aufgabe 1.2.4 Sei angenommen, dass die Funktion F sogar auf [t0, t0 + r] × X de�niert ist und dort(global) eine Lipschitzbedingung erfüllt. Zeige, dass dann die Lösung des AWP immer auf dem vollenIntervall [t0, t0 + r] existiert. Wende dies auf den Fall einer linearen Funktion F (t, x) = A(t)x+ b(t) an,wobei A : [t0, t0 + r]→ L(X) und b : [t0, t0 + r]→ X stetig sind.

Aufgabe 1.2.5 Sei A ∈ L(X), und sei x0 ∈ X. Zeige mit Hilfe von Aufgabe 1.1.4:

(a) Das AWP x′ = Ax, x(0) = x0 hat die eindeutig bestimmte Lösung x(t) = etA x0.

(b) Ist b eine beliebige X-wertige stetige Funktion auf dem Intervall [t0, t0 +r], so ist die nach Satz 1.2.2eindeutig bestimmte Lösung des AWP x′ = Ax+ b(t), x(0) = x0, t0 ≤ t ≤ t0 + r gegeben durch

x(t) = etA(x0 +

∫ t

0

e−τA b(τ) dτ).

1.3 Anwendungen

Wir wollen Satz 1.2.2 jetzt in der folgenden Situation anwenden: Gegeben seien n,m ∈ N, eine kompakteMenge K ⊂ Km, sowie t0 ∈ R, x0 ∈ Kn und r, s > 0. Weiter sei f eine auf [t0, t0 + r]×K(x0, s)×K ⊂R × Kn × Km stetige Kn-wertige Funktion, und g0 sei auf K stetig mit Werten in K(x0, s/2). Gesuchtist eine Lösung x = x(t, y) des n-dimensionalen AWP mit den Parametern y = (y1, . . . , ym)T

x′ = f(t, x, y) , x(t0, y) = g0(y) ∀ y ∈ K , (1.3.1)

wobei mit x′ = x′(t, y) immer die (partielle) Ableitung nach t gemeint ist. Wenn wir beachten, dass f ,als stetige Funktion von n+m+ 1 Variablen auf einem kompakten De�nitionsbereich, auch beschränktist, müssen wir für eine Anwendung des �normalen� Satz von Picard-Lindelöf (bei beliebigem aber festemy ∈ K) noch voraussetzen, dass eine Lipschitzbedingung der Form

‖f(t, x1, y) − f(t, x2, y)‖ ≤ L ‖x1 − x2‖ ∀ t ∈ [t0, t0 + r] , x1, x2 ∈ K(x0, s) , y ∈ K (1.3.2)

gilt. Dabei kann die Lipschitzkonstante L von y abhängen, aber wir wollen für die folgenden Überlegungenannehmen, dass dies nicht so ist. Dies ist z. B. erfüllt, wenn die partiellen Ableitungen von f nachx1, . . . , xn in [t0, t0 + r] × K(x0, s) × K existieren und beschränkt sind. Unter diesen Voraussetzungenerhält man Existenz und Eindeutigkeit einer Lösung von (1.3.1), weiÿ aber zunächst nichts darüber, wiedie Lösung von y abhängt. Für Information darüber kann man z. B. Satz 1.2.2 anwenden, wenn maneinen geeigneten Banachraum wählt. Dazu betrachten wir folgende Fälle:

1. Die Menge C(K) aller auf K stetigen Funktionen mit Werten in Kn ist ein Banachraum bezüglichder Norm

‖g‖∞ := supy∈K‖g(y)‖ ,

wobei rechts die euklidische Norm in Kn steht. Mit K(g0, σ)∞ = {g ∈ C(K) : ‖g − g0‖∞ ≤ σ}de�nieren wir eine C(K)-wertige Funktion F (t, g), de�niert auf [t0, t0 + r]×K(g0, σ)∞ durch

F (t, g)(y) = f(t, g(y), y) ∀ t ∈ [t0, t0 + r] , g ∈ K(g0, σ)∞ , y ∈ K .

Für σ = s/2 und g ∈ K(x0, σ)∞ folgt mit der Dreiecksungleichung dass die Werte g(y) alle imDe�nitionsbereich von f liegen. Weiter ist durch die Stetigkeit von f gesichert, dass F (t, g) in der

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Tat eine stetige Funktion auf K ist. Da f auf dem angegebenen (kompakten) De�nitionsbereichsogar gleichmäÿig stetig ist, �nden wir dass für jede zulässige Funktion x(t) = x(t, y)

‖F (t1, x(t1))(y) − F (t2, x(t2))(y)‖ = ‖f(t1, x(t1, y), y) − f(t2, x(t2, y), y)‖ < ε

ausfällt, sobald |t1−t2| < δ ist. Bildet man das Supremum über y ∈ K, so folgt hieraus die Stetigkeitder Abbildung t 7→ F (t, x(t)) von [a, b] nach C(K). Auch die beiden anderen Voraussetzungen vonSatz 1.2.2 sind erfüllt, und daher folgt aus diesem Satz, dass die Lösungen eines AWP bei stetigerÄnderung der Parameter und/oder der Anfangswerte sich ebenfalls stetig ändern!

2. Mit den obigen Bezeichnungen betrachten wir jetzt für n = m = 1 und K = [a, b] die Menge C1(K)aller auf K einmal stetig di�erenzierbaren Funktionen mit Werten in K. Dies ist ein Banachraum,z. B. bezüglich der Norm

‖g‖1,∞ := |g(a)| + supa≤y≤b

|g′(y)| .

Wir de�nieren F wie oben, und wollen erreichen, dass für alle g ∈ C1(K) die Funktion F (t, g)(y) =f(t, g(y), y) nach y stetig di�erenzierbar ist. Daher setzen wir voraus, dass f(t, x, y) nach den Va-riablen x und y stetig partiell di�erenzierbar ist und erhalten dann

∂yF (t, g)(y) = fy(t, g(y), y) + fx(t, g(y), y) g′(y) ,

wobei an den Rändern des rechteckigen De�nitionsbereiches die entsprechenden einseitigen parti-ellen Ableitungen gemeint sind. Ähnlich wie oben kann man die entsprechenden Voraussetzungenvon Satz 1.2.2 veri�zieren und erhält dann durch Anwendung dieses Satzes, dass die Lösungen von(1.3.1) di�erenzierbare Funktionen von y sind, wenn nur die rechte Seite und/oder die Anfangswerteeben solche Funktionen sind.

3. Sei jetzt erneut m = 1, aber n beliebig, sei K = C, und sei K = G die abgeschlossene Hülle einesbeschränkten Gebietes G ⊂ C. In dieser Situation ist die Menge aller in G holomorphen2 und auf Kstetigen Funktionen mit Werten in Cn ein abgeschlossener Unterraum von C(K). Wenn die rechteSeite von (1.3.1) und die Anfangswerte holomorph in der (einen) Variablen y sind, dann folgt alsoaus Satz 1.2.2 und dem ersten Teil dieser Diskussion die Holomorphie der Lösungen. Beachte aber,dass hier Holomorphie in dem Parameter y, nicht aber in der Variablen t gemeint ist!

Aufgabe 1.3.1 Finde selber geeignete Banachräume X, um Resultate von folgender Art zu beweisen:

• Wenn die rechte Seite und die Anfangswerte nach mehreren Parametern stetig partiell di�erenzierbarist, dann gilt dasselbe für die Lösungen.

• Wenn die rechte Seite und die Anfangswerte nach einem Parameter n-mal stetig di�erenzierbar ist,dann gilt dasselbe für die Lösungen.

Überlege, wie man auch Resultate hinsichtlich beliebig oftmaliger (partieller) Di�erenzierbarkeit ableitenkann.

1.4 Di�erentialgleichungen in einer komplexen Variablen

Bisher haben wir Di�erentialgleichungen in der Variablen t betrachtet, welche in den Anwendungen meistdie Bedeutung von Zeit hat und innerhalb eines reellen Intervalls variiert. In vielen Fällen stellt man aberfest, dass die Lösungen einer solche Dgl eigentlich holomorphe Funktionen sind, d. h. also in Wahrheit aufeinem Gebiet in der komplexen Ebene de�niert und dort di�erenzierbar sind. Wir wollen jetzt feststellen,

2Eine solche Funktion soll holomorph heiÿen, wenn alle Koordinatenfunktionen holomorph sind.

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in welchen Fällen dies so ist, und betrachten hierzu an Stelle eines reellen Intervalls ein bezüglich einesWertes z0 sternförmiges Gebiet G ⊂ C, und wollen dann an Stelle von t den Buchstaben z zur Bezeichnungder unabhängigen Variablen verwenden. Mit X bezeichnen wir wieder einen Banachraum, allerdings jetztimmer über C. Typischerweise kann man hier X = Cn setzen, aber die gleichen Resultate gelten auch ineinem unendlich-dimensionalen Raum.

De�nition 1.4.1 Eine Funktion f : G→ X heiÿt stark holomorph, oder auch einfach holomorph, in G,wenn für jedes z0 ∈ G der Grenzwert

f ′(z0) := limz→z0

(z − z0)−1 (f(z)− f(z0))

existiert, und in diesem Fall heiÿt f ′(z0) die (erste) Ableitung von f an der Stelle z0. Wir nennen fschwach holomorph in G, falls für jedes φ ∈ X∗ die Hintereinanderausführung φ ◦ f : G→ C im üblichenSinn der Funktionentheorie holomorph in G ist.

Bemerkung 1.4.2 Ein wichtiges Resultat, das wir hier ohne Beweis benutzen wollen, besagt: Jede in Gschwach holomorphe Funktion ist dort holomorph. Die Umkehrung gilt natürlich auch. In dem für unswichtigsten Fall X = Cn ist diese Äquivalenz klar.

Für den Rest dieses Abschnittes sei F eine X-wertige Funktion auf der o�enen Menge D := Ur(z0) ×K(x0, s), mit z0 ∈ C, x0 ∈ X, und r, s > 0. Wir wollen jetzt folgendes Anfangswertproblem (AWP) in derkomplexen Variablen z untersuchen:

x′ = F (z, x) x(z0) = x0 . (1.4.1)

Wir nennen eine auf einer Kreisscheibe Uρ(z0), 0 < ρ ≤ r, holomorphe Funktion x Lösung des AWP,wenn x(z0) = x0 ist, und wenn für alle z ∈ Uρ(z0) immer x′(z) = F (z, x(z)) ist, wobei wieder implizitvorausgesetzt ist, dass alle Werte x(z) in der Kugel K(x0, s) liegen, damit x(z) überhaupt in F (z, x)eingesetzt werden kann � holomorphe Funktionen mit dieser Eigenschaft sollen erneut kurz zulässig heiÿen.Um Satz 1.2.2 auf diesen Fall ausdehnen zu können, machen wir folgende zusätzliche Voraussetzungen:

(V1) Für jede zulässige Funktion x(z) sei die Funktion F (z, x(z)) wieder holomorph in Ur(z0). Insbeson-dere ist also dann F (z, x0) holomorph in Ur(z0), und wir verlangen zusätzlich deren Beschränktheit,so dass dann ein K > 0 existiert mit

K := sup|z−z0|<r

‖F (t, x0)‖ . (1.4.2)

(V2) Es gebe ein L ∈ R+ so, dass für alle z ∈ Ur(z0) und x1, x2 ∈ K(x0, s) die Lipschitzbedingung in derVariablen x, d. i. die Ungleichung

‖F (z, x1) − F (z, x2)‖ ≤ L ‖x1 − x2‖

erfüllt ist.

In der Funktionentheorie benutzt man statt des üblichen Riemann-Integrals ein Kurvenintegral. Auchdieses kann man für Banachraum-wertige Funktionen erklären. Da wir aber hier nur in einem sternförmi-gen Gebiet integrieren wollen, verzichten wir auf die Einführung allgemeiner Kurvenintegrale und führenstatt dessen das Integral über ein Geradenstück durch Einsatz der Parameterdarstellung auf ein normalesRiemann-Integral zurück.

Unter den oben angegebenen Voraussetzungen können wir jetzt zeigen:

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Satz 1.4.3 (Satz von Picard und Lindelöf im Komplexen) Wenn f die obigen Voraussetzungenerfüllt, existiert genau eine Lösung von (1.2.1) auf der Kreisscheibe U := Uρ(z0), mit ρ wie in (1.2.3).Diese Lösung ist der Grenzwert der Folge (xn)∞n=0, de�niert durch x0(z) ≡ x0 und

xn+1(z) = x0 +

∫ z

z0

F (w, xn(w)) dw := x0 + (z − z0)

∫ 1

0

F (w(t), xn(w(t))) dt ∀ n ∈ N0 , (1.4.3)

mit w(t) = (1− t) z0 + t z, wobei diese Folge auf der angegebenen Kreisscheibe gleichmäÿig konvergiert.

Beweis: Der Beweis verläuft weitgehend analog wie der von Satz 1.2.2: Durch dieselben Abschätzungenerhält man, dass die Folge der xn de�niert ist und auf U gleichmäÿig konvergiert. Um zu sehen, dass allexn dort holomorph sind, benutzt man am einfachsten, dass für jedes φ ∈ X′ aus (1.4.3) mit Hilfe vonSatz 1.1.8 (c) folgt

φ(xn+1)(z) = φ(x0) +

∫ z

z0

φ(F (w, xn(w))

)dw ∀ n ∈ N0 ,

und daraus folgt per Induktion jedenfalls die schwache Holomorphie der Funktionen in U , was aber zurHolomorphie äquivalent ist. Aus der gleichmäÿigen Konvergenz folgt dann die (schwache) Holomorphieder Grenzfunktion x, und durch Vertauschen von Integral und Grenzwertbildung erhalten wir die Inte-gralgleichung

x(z) = x0 +

∫ z

z0

F (w, x(w)) dw ∀ z ∈ U .

Hieraus folgt aber, dass x das AWP löst. Auch die Eindeutigkeit folgt völlig analog wie im Beweis vonSatz 1.2.2. 2

Bemerkung 1.4.4 Gegeben sei ein lineares Di�erentialgleichungssystem x′ = A(z)x+ b(z), für welchesA(z) eine quadratische n-reihige Matrix und b(z) ein entsprechender Vektor sind, deren Einträge allein einer Kreisscheibe U = Ur(z0) holomorph sind. Dann kann der letzte Satz, mit beliebig groÿem s,angewandt werden und zeigt, dass die Lösungen des Systems ebenfalls in U holomorph sind. In gewissemSinn kann man die Lösungen dann durch einen Potenzreihenansatz berechnen: Dazu entwickeln wir

A(z) =

∞∑k=0

(z − z0)k Ak , b(z) =

∞∑k=0

(z − z0)k bk ,

mit n-reihigen quadratischen Matrizen Ak und Vektoren bk ∈ Cn. Der Ansatz x(z) =∑

(z − z0)k xk, mitnoch unbestimmten Koe�zienten xk ∈ Cn, führt durch gliedweises Ableiten und Koe�zientenvergleich zuden Gleichungen

(k + 1)xk+1 = bk +

k∑j=0

Ak−j xj ∀ k ∈ N0 .

Aus diesen Gleichungen sieht man: Wenn x0 = x(z0) gegeben ist, können alle übrigen Koe�zientenrekursiv berechnet werden. Der Satz 1.4.3 ergibt ohne weitere Rechnung dass die so gewonnene Potenzreihefür die Lösung des AWP mindestens in U konvergiert. Ein solcher Potenzreihenansatz ist grundsätzlichauch für nichtlineare Systeme möglich, führt aber auf wesentlich kompliziertere Rekursionsgleichungen fürdie Koe�zienten xk.

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Kapitel 2

Stabilität

In diesem Kapitel wollen wir die (Ljapunov-)Stabilität kennen lernen. Dieser Begri� drückt aus, dasssogenannte globale Lösungen, welche am Anfang dicht beieinanderliegen, dies auch für alle späteren Zeitentun. Da man in praktischen Anwendungen die Anfangsdaten so gut wie nie genau bestimmen kann, ist esvon groÿer theoretischer Bedeutung zu wissen, dass ein System stabil ist, da im anderen Fall eine geringeStörung der Anfangsdaten langfristig katastrophale Auswirkungen haben kann. Andererseits ist es oftnicht einfach festzustellen, ob ein gegebenes System stabil ist � z. B. ist bis heute nicht bekannt, ob dasrelativ leicht aufzustellende Di�erentialgleichungssystem, welches unser Sonnensystem beschreibt, stabilist oder nicht!

2.1 Lipschitz-stetige Di�erentialgleichungssysteme

In diesem Abschnitt betrachten wir immer ein festes System gewöhnlicher Di�erentialgleichungen derForm

x′ = f(t, x) , (t, x) ∈ G . (2.1.1)

Dabei sei für die Funktion f und ihren De�nitionsbereich G immer folgendes vorausgesetzt:

(A1) Der De�nitionsbereich G ist ein Gebiet in R×Kn, also o�en und zusammenhängend.

(A2) Die Funktion f(t, x) ist stetig auf G und hat Werte in Kn.

(A3) Die Funktion f(t, x) erfüllt auf G lokal eine Lipschitzbedingung bzgl. x � d. h., für alle (t0, x0) ∈ Ggibt es o�ene Mengen U1 ⊂ R und U2 ⊂ Kn mit (t0, x0) ∈ U1×U2 ⊂ G sowie eine LipschitzkonstanteL, so dass

‖f(t, x1) − f(t, x2)‖ ≤ L ‖x1 − x2‖ ∀ t ∈ U1 , x1, x2 ∈ U2 .

Funktionen mit dieser Eigenschaft nennt man auch kurz Lipschitz-stetig in x.

Aufgabe 2.1.1 Sei f wie oben beschrieben. Zeige: Ist K ⊂ G kompakt, so gibt es immer ein L > 0 so,dass die Lipschitzbedingung mit diesem L für alle (t, x1), (t, x2) ∈ K gilt.

Aufgabe 2.1.2 Sei K eine kompakte Teilmenge von G, und seien (t0, x0), (t1, x1) ∈ K so, dass dieLösungen x0(t) und x1(t) von (2.1.1) mit x0(t0) = x0 und x1(t1) = x1 auf einem kompakten IntervallI mit t0, t1 ∈ I de�niert sind. Zeige, dass es eine Konstante C gibt, welche nur von K, nicht aber von(t0, x0), (t1, x1) abhängt, so dass gilt

‖x1(t) − x2(t)‖ ≤ C(|t1 − t2| + ‖x1 − x2‖

)∀ t ∈ I .

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Zeige hiermit folgende Eindeutigkeitsaussage für Lösungen von (2.1.1): Ist I ein beliebiges Intervall, undsind x(t) und x(t) zwei auf I de�nierte Lösungen mit x(t0) = x(t0) für ein t0 ∈ I, dann folgt x(t) ≡ x(t).

Bemerkung 2.1.3 Unter den getro�enen Voraussetzungen gilt immer folgendes:

(a) Ist x(t) für t ∈ I eine Lösung von (2.1.1), so ist insbesondere der Graph {(t, x(t)) : t ∈ I} eineTeilmenge von G, welche kompakt ist, falls I ein kompaktes Intervall ist.

(b) Zu jedem Paar (t0, x0) ∈ G gibt es nach Satz 1.2.2 genau eine Lösung x(t) von (2.1.1) auf einemIntervall der Form [t0, t0 +ρ] mit x(t0) = x0. Da diese Lösung sicherlich von der Wahl der Anfangs-daten (t0, x0) abhängt, soll sie im Folgenden mit x(t, t0, x0) bezeichnet werden. Beachte aber, dassmit x′(t, t0, x0) immer die (partielle) Ableitung dieser Funktion nach t gemeint ist.

(c) Durch Substitution t→ −t sieht man, dass es auch auf einem linksseitigen Intervall [t0 − ρ, t0] eineeindeutige Lösung des gleichen AWP gibt. Dies bedeutet, dass die Funktion x(t, t0, x0) immer aufeinem t-Intervall existiert, welches t0 als inneren Punkt enthält.

(d) Zur Angabe einer Lösung eines Anfangswertproblems gehört eigentlich auch immer die Angabeeines Intervalls, auf dem diese Lösung de�niert ist. Wenn wir aber zwei verschiedene Intervalle I1und I2 betrachten, auf denen x(t, t0, x0) de�niert ist, folgt aus Aufgabe 2.1.2 die Eindeutigkeit derLösung auf I1 ∩ I2. Also können wir die Lösung immer auf die Vereinigung I1 ∪ I2 fortsetzen. Daherist klar, dass es ein maximales Intervall (nämlich die Vereinigung aller dieser Intervalle) gibt, aufwelches die Lösung fortsetzbar ist. Durch eine erneute Anwendung von Satz 1.2.2 folgt weiter, dassdieses maximale Intervall o�en ist. Es gibt also zwei Funktionen t±(t0, x0), welche auf G de�niertsind und auch die Werte ±∞ annehmen können, derart dass das maximale Existenzintervall derLösung x = x(t, t0, x0) die Form (t−(t0, x0), t+(t0, x0)) hat. Somit ist der De�nitionsbereich derFunktion x(t, t0, x0) die Menge

D := { (t, t0, x0) : (t0, x0) ∈ G , t−(t0, x0) < t < t+(t0, x0) } ⊂ R× R×Kn .

(e) Wir zeigen jetzt:

• Die Menge D ist o�en, und die Funktion x ist dort Lipschitz-stetig. Das heiÿt genauer: Zujedem (t(1), t

(1)0 , x

(1)0 ) ∈ D gibt es o�ene Intervalle I, J ∈ R und eine o�ene Menge O ⊂ Kn so,

dass (t(1), t(1)0 , x

(1)0 ) ∈ I × J × O ⊂ D ist, und dass für ein L > 0 (abhängig von I, J,O) die

Ungleichung

‖x(t, t0, x0) − x(t, t0, x0)‖ ≤ L(|t− t| + |t0 − t0| + ‖x0 − x0‖

)für alle t, t ∈ I, t0, t0 ∈ J und x0, x0 ∈ O erfüllt ist.

Beweis: Sei ein beliebiger Punkt (t(1), t(1)0 , x

(1)0 ) ∈ D gegeben. Wir beschränken unsere Diskussion

auf den Fall dass t(1) ≥ t(1)0 ist � der andere Fall lässt sich aber analog behandeln. Der Graph der

Funktion x(t, t(1)0 , x

(1)0 ), für t(1)0 ≤ t ≤ t(1), ist eine kompakte Teilmenge K1 von G, und daher gibt

es eine kompakte Menge K ⊂ Kn mit

K1 ⊂◦

K ⊂ G .

Auf K erfüllt f wegen Aufgabe 2.1.1 eine (globale) Lipschitzbedingung mit einer einheitlichenLipschitzkostanten L und ist dort auch beschränkt durch eine Zahl M . Die abgeschlossene Hülledes Komplements von K hat von der kompakten Menge K1 einen positiven Abstand, und daherfolgt die Existenz von Zahlen r, σ > 0 so, dass

[t− r, t+ r]×K(x, σ) ⊂ K ∀ (t, x) ∈ K1 .

Seien jetzt (t0, x0) mit |t0 − t(1)0 | < r und ‖x0 − x(1)0 ‖ < s gegeben � dabei sei s = σ/m mit einernatürlichen Zahl m ≥ 2, welche noch gewählt werden soll. Dann können wir Satz 1.2.2 auf diese

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Anfangsdaten anwenden und sehen dass die Funktion x(t, t0, x0) mindestens auf dem t-Intervall[t0−ρ, t0 +ρ] de�niert ist, wobei ρ nur von den Zahlen L und M , nicht aber von den Anfangsdatenabhängt. Also sehen wir

[t0 − ρ, t0 + ρ]× [t(1)0 − r, t

(1)0 + r]×K(x

(1)0 , s) ⊂ D .

Falls t(1) < t0 + ρ ist, folgt hieraus dass (t(1), t(1)0 , x

(1)0 ) ein innerer Punkt von D ist. Im anderen

Fall folgt dass x(t, t0, x0) durch erneute Anwendung von Satz 1.2.2 mit den Anfangsdaten (t1, x1),t1 := t0 + ρ, x1 := x(t0 + ρ, t0, x0), auf das Intervall [t0 + ρ, t0 + 2ρ] fortgesetzt werden kann �

jedenfalls wenn wir m ≥ 3 wählen, da dann die Kugel K(x1, s) noch ganz in K(x(1)0 , σ) enthalten

ist. Dieser Schluss kann endlich oft wiederholt werden, wobei m entsprechend vergröÿert werdenmuss, und man erhält dann

[t0 − ρ, t0 + (m− 1)ρ]× [t(1)0 − r, t

(1)0 + r]×K(x

(1)0 , s) ⊂ D .

Also ist schlieÿlich t(1) < t0 + (m − 1)ρ, und dann folgt dass (t(1), t(1)0 , x

(1)0 ) in der Tat ein innerer

Punkt von D ist. Somit ist D o�en. Um die Lipschitz-Stetigkeit von x(t, t0, x0) zu zeigen, sei wieder(t(1), t

(1)0 , x

(1)0 ) ∈ D gegeben. Wie oben betrachten wir nur den Fall t(1)0 ≤ t(1). Aus dem bereits

Gezeigten folgt die Existenz einer kompakten Umgebung A von x(1)0 sowie einer Zahl ε > 0 so, dass

für alle t0 ∈ Iε := [t(1)0 − ε, t

(1)0 + ε] und x0 ∈ A die Lösung zu den Anfangsdaten (t0, x0) auf dem

Intervall Jε := [t(1)0 − ε, t(1) + ε] de�niert ist. Daher gilt für t ∈ Jε und zwei Vektoren x0, x1 ∈ A

x(t, t0, x0) − x(t, t0, x1) = x0 − x1 +

∫ t

t0

(f(τ, x(t, t0, x0))− f(τ, x(t, t0, x1))

)dτ .

Schätzt man mit Hilfe von Dreiecksungleichung und Lipschitzbedingung ab, so folgt hieraus miteiner Lipschitzkonstante, welche wegen der Kompaktheit von Jε × Iε ×A von t, t0 und x0, x1 nichtabhängt, die Ungleichung

‖x(t, t0, x0) − x(t, t0, x1)‖ ≤ ‖x0 − x1‖ + L

∫ t

t0

‖x(τ, t0, x0) − x(τ, t0, x1)‖ dτ .

Mit der Grönwallschen Ungleichung folgt hieraus die Lipschitzstetigkeit in x0. Wegen x′(t, t0, x0) =f(t, x(t, t0, x0)) folgt mit dem Mittelwertsatz auch die Lipschitzstetigkeit in t. Seien jetzt t0, t1 ∈ Iε.Dann ist x(t, t0, x0) auf dem Intervall Jε Lösung von (2.1.1) sowohl zu den Anfangsdaten (t0, x0)als auch zu (t1, x1), mit x1 := x(t1, t0, x0), und x(t, t1, x0) ist die Lösung zu den Daten (t1, x0). Alsofolgt aus dem bereits gezeigten die Existenz von Konstanten L1, L2 mit

‖x(t, t1, x0) − x(t, t0, x0)‖ = ‖x(t, t1, x0) − x(t, t1, x1)‖ ≤ L1 ‖x1 − x0‖

sowie‖x1 − x0‖ = ‖x(t1, t0, x0) − x(t0, t0, x0)‖ ≤ L2 |t1 − t0| ,

jeweils für alle t ∈ Jε und x0 ∈ A. Daher ist x auch Lipschitz-stetig in der Variablen t0. Zusammen-genommen folgt deshalb die Behauptung. 2

Aufgabe 2.1.4 Seien (t1, t0, x0), (t2, t0, x0) ∈ D. Zeige: Dann ist auch (t2, t1, x(t1, t0, x0)) ∈ D, und esgilt

x(t2, t0, x0) = x(t2, t1, x(t1, t0, x0)) .

Analysiere dies für den einfachen Fall dass f(t, x) von t unabhängig und eine lineare Abbildung in x ist.

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2.2 De�nition und einfache Eigenschaften der Stabilität

In diesem Abschnitt betrachten wir wieder ein System (2.1.1) unter den Voraussetzungen (A1)�(A3),machen allerdings folgende zusätzliche Annnahmen für den De�nitionsbereich und die Funktion f :

(A4) Der De�nitionsbereich G ist das kartesische Produkt eines o�enen Intervalls I ⊂ R und einesGebietes G1 ⊂ Kn.

(A5) Das Intervall I ist von der Form I = (a,∞), und a ist negativ.

(A6) Es gilt 0 ∈ G1.

(A7) Es gilt f(t, 0) = 0 für alle t ∈ I.

Bemerkung 2.2.1 Wir nennen Lösungen von (2.1.1) global, wenn sie auf einem bis ∞ reichenden Teil-intervall de�niert sind. Die Voraussetzungen (A6), (A7) sichern die Existenz mindestens einer globalenLösung, nämlich x(t) ≡ 0. Wenn es überhaupt eine globale Lösung x0(t) auf einem Intervall (b,∞) gibt,dann kann man x = x0(t) + y setzen und �ndet, dass x genau dann (2.1.1) löst, wenn y eine Lösung desSystems y′ = g(t, y) mit g(t, y) = f(t, x0(t) + y) − f(t, x0(t)) ist. Dieses neue System erfüllt dann (A6).Also ist diese Voraussetzug in gewissem Sinn äquivalent zur Existenz einer globalen Lösung.

De�nition 2.2.2 Unter den oben getro�enen Annahmen nennen wir die Null-Lösung stabil, wenn es zujedem t0 ∈ I und jedem ε > 0 ein δ > 0 gibt, so dass für alle x0 ∈ G1 mit ‖x0‖ < δ die Lösung x(t, t0, x0)global ist, und wenn ‖x(t, t0, x0)‖ < ε gilt für alle t ≥ t0. Wenn zusätzlich für alle diese x0 sogar

limt→∞

x(t, t0, x0) = 0 (2.2.1)

ist, dann heiÿt die Null-Lösung asymptotisch stabil. Allgemeiner heiÿt eine globale Lösung x0(t) auf einemIntervall (b,∞) stabil bzw. asymptotisch stabil, wenn die in Bemerkung 2.2.1 angegebene Transformationauf ein neues System führt, für welches die Nulllösung stabil bzw. asymptotisch stabil ist.

Beachte, dass aus (2.2.1) alleine noch nicht die Stabilität folgt, da eine Lösung, die schlieÿlich gegen 0geht, vorher beliebig groÿ werden kann.

Wir wollen nun klarstellen, dass die Stabilität der Null-Lösung in gewissem Sinn nicht von der Wahl desAnfangszeitpunktes t0 abhängt:

• Sei die Bedingung der (asymptotischen) Stabilität für ein t0 ∈ I erfüllt. Dann gilt dasselbe auch fürjedes andere t0.

Dies folgt leicht aus der Tatsache, dass x(t, t0, x0) auf dem ganzen De�nitionsbereich D Lipschitz-stetigin t0 ist. Wegen dieser Tatsache (und weil nach Voraussetzung 0 ∈ I ist) können wir uns im Folgendenauf den Fall t0 = 0 beschränken.

2.3 Gestörte lineare Systeme mit konstanten Koe�zienten

Wenn die Funktion f(t, x) mindestens zweimal stetig partiell nach den Variablen x1, . . . , xn di�erenzierbarist gilt nach dem Taylorschen Satz (wegen Voraussetzung (A7))

f(t, x) = A(t)x + g(t, x) ,

wobei A(t) eine n-reihige quadratische Matrix ist, während die Funktion g(t, x) bei festem t für x → 0schneller als ‖x‖ gegen 0 geht. In diesem Abschnitt setzen wir aber mehr voraus:

19

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(A8) Die Matrix A(t) =: A ist konstant, und zu jedem ε > 0 gibt es ein δ > 0 so, dass

‖g(t, x)‖ ≤ ε ‖x‖ ∀ ‖x‖ < δ , t ≥ 0 . (2.3.1)

In diesem Fall sagen wir: Die Funktion g ist eine kleine Störung der linearen Abbildung x 7→ Ax.

Wenn f(t, x) von t nicht abhängt, ist diese Voraussetzung immer erfüllt, und diesen Fall eines autonomenSystems behandeln wir ausführlicher gegen Ende dieses Kapitels.

Um die Stabilität eines solchen Systems zu untersuchen, betrachten wir zuerst den besonders einfachenFall g(t, x) ≡ 0. Dabei nennen wir einen Eigenwert λ von A halbeinfach, wenn er eine einfache Nullstelledes Minimalpolynoms von A ist. Dies ist bekanntlich äquivalent dazu, dass alle Blöcke der JordanschenNormalform von A zu diesem Eigenwert eindimensional sind. Hinreichend dafür ist natürlich, dass λ aucheinfache Nullstelle des charakteristischen Polynoms von A ist.

Satz 2.3.1 Für eine beliebige n-reihige quadratische Matrix A ist die Null-Lösung des homogenen linea-ren Systems x′ = Ax

(a) instabil, wenn ein Eigenwert von A positiven Realteil hat.

(b) stabil, wenn kein Eigenwert einen positiven Realteil hat, und wenn alle rein imaginären Eigenwertehalbeinfach sind.

(c) asymptotisch stabil, wenn alle Eigenwerte von A negative Realteile haben.

Beweis: Sei T eine invertierbare Matrix, für welche J = T−1AT in Jordanscher Normalform ist. Dannist X(t) = T etJ ein Fundamentalsystem. Zu jedem Eigenwert λ von A enthält dieses Fundamentalsystemeine Anzahl von Spalten der Form y(t) eλt, wobei der Vektor y(t) nur Polynome enthält und bei einemhalbeinfachen Eigenwert sogar konstant ist. Daraus folgen die Behauptungen des Satzes. 2

Jetzt zeigen wir für den allgemeinen Fall:

Satz 2.3.2 Unter den Voraussetzungen (A1)�(A8) seien die Realteile aller Eigenwerte von A negativ.Dann ist die Null-Lösung asymptotisch stabil. Genauer gilt: Es gibt Konstanten δ, c,K > 0 derart, dass

‖x(t, 0, x0)‖ ≤ K e−ct ∀ x0 mit ‖x0‖ < δ .

Beweis: Da alle Eigenwerte von A nach Voraussetzung in der linken Halbebene von C liegen, gibt es einα > 0 derart, dass Re λ < −α ist für alle Eigenwerte λ von A. Durch Betrachten der Jordan-Normalformvon A sieht man, dass dann für hinreichend groÿes β > 0 gilt

‖etA‖ ≤ β e−αt ∀ t ≥ 0 .

Man rechnet direkt nach: Wenn x(t) für 0 ≤ t < t1 das System (2.1.1) löst, dann gilt

x(t) = etA(x0 +

∫ t

0

e−sA g(s, x(s)) ds)

∀ t ≥ 0 , x0 = x(0) ∈ Kn , (2.3.2)

und umgekehrt ist auch jede Lösung dieser Integralgleichung di�erenzierbar und erfüllt (2.1.1). Für einnoch zu wählendes ε > 0 gibt es nach Voraussetzung ein δ > 0 so, dass (2.3.1) gilt, und wenn wir‖x0‖ < δ wählen, dann gilt für hinreichend kleines t1 auch ‖x(t)‖ < δ für alle 0 < t < t1. Hieraus folgtfür u(t) := eαt ‖x(t)‖ die Abschätzung

u(t) ≤ β(‖x0‖ + ε

∫ t

0

u(s) ds), 0 ≤ t < t1 ,

20

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Wegen der Grönwall-Ungleichung ist dann aber

‖x(t)‖ ≤ e−αt β ‖x0‖ eβεt , 0 ≤ t < t1 ,

Wenn wir ε < α/β und ‖x0‖ < δ/β wählen, folgt hieraus ‖x(t)‖ < δ für alle diese t. Daher können wirt1 →∞ streben lassen, und daraus folgt die Behauptung. 2

Satz 2.3.3 Unter den Voraussetzungen (A1)�(A8) habe A einen Eigenwert λ mit positivem Realteil.Dann ist die Null-Lösung instabil.

Beweis: Falls A überhaupt nur Eigenwerte mit positiven Realteilen hat, kann man den folgenden Beweisstark vereinfachen � dies wird hier ausgelassen. Im anderen Fall sei T eine konstante invertierbare Matrix.Die Transformation x = T y überführt das gegebene System in ein neues von derselben Form, aber mitT−1AT an Stelle von A. Daher können wir im Beweis annehmen, dass A eine Jordanmatrix ist. Wennwir eine weitere solche Transformation vornehmen mit einer Diagonalmatrix T , dann können wir sogarerreichen, dass an Stelle der Einsen in der Jordanmatrix (unterhalb der Diagonalen) eine beliebig kleinepositiv-reelle Zahl γ steht. Weiter können wir voraussetzen, dass diejenigen Eigenwerte mit positivenRealteilen vor den übrigen stehen. Also ist A eine direkte Summe von Matrizen A1 und A2, wobei dieEigenwerte von A1 Realteile haben, welche mindestens gleich einer positiven Zahl σ sind, während dieRealteile aller Eigenwerte von A2 nicht positiv sind. Mit diesen Bezeichnungen ist das Di�erentialglei-chungssystem äquivalent zu den beiden gekoppelten Gleichungssystemen

x′1 = A1 x1 + g1(t, x) , x2 = A2 x2 + g2(t, x) ,

wobei x = (x1, x2)T und g = (g1, g2)T ist. Für ε < σ/10 sei η > 0 so, dass aus ‖x‖ ≤ η folgt ‖g(t, x‖ ≤ε ‖x‖ für alle t ≥ 0, was wegen (A8) möglich ist. Wir schreiben R(t) := ‖x1(t)‖, ρ(t) := ‖x2(t)‖. Wennwir annehmen, dass die Null-Lösung stabil ist, gibt es ein δ > 0 derart, dass aus R(0) + ρ(0) < δ folgtR(t) + ρ(t) < η für alle t ≥ 0. Es folgt unter Benutzung der oben getro�enen Normalisierungen von A1

2R(t)R(t)′ =d

dtR(t)2 = 2 Re (x1(t)

Tx1(t)′) ≥ 2

(σ R(t)2 − γ R(t)2 − εR(t) (R(t)− ρ(t))

).

Wenn man die Einschränkungen für γ und ε beachtet, folgt hieraus

R(t)′ ≥ σ

2R(t) − ε ρ(t) .

Durch eine analoge (obere) Abschätzung ergibt sich

ρ(t)′ ≤ ε (ρ(t) +R(t)) +σ

20ρ(t) .

Durch Subtraktion und nochmalige Benutzung der Einschränkungen für γ und ε �ndet man dann

d

dt(R(t)− ρ(t)) ≥ σ

4(R(t)− ρ(t)) ,

woraus folgt dass R(t) − ρ(t) ≥ (R(0) − ρ(0)) exp(σt/4) ist. Wenn man jetzt den Anfangswert x0 sowählt, dass R(0) > ρ(0) ist, was immer möglich ist, auch wenn R(0) + ρ(0) < δ ist, erhält man einenWiderspruch dazu, dass die Lösung x(t) beschränkt bleiben muss. 2

Bemerkung 2.3.4 Die Sätze dieses Abschnittes besagen, grob gesprochen, dass die Stabilität eines Dif-ferentialgleichungssystems in erster Linie vom linearen Anteil der Funktion f(t, x) abhängt. Wir werdendies in den Beispielen des nächsten Abschnittes noch genauer sehen.

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2.4 Autonome Systeme

De�nition 2.4.1 Ein Di�erentialgleichungssystem (2.1.1) heiÿt autonom, falls f(t, x) =: f(x) nicht vonder Variablen t abhängt.

Durch Erweiterung des Zustandsraumes Kn zu Kn+1 kann man zu jedem nicht-autonomen System einäquivalentes autonomes System de�nieren: Sei x = (x1, . . . , xn+1)T , und sei

g(x) =

(f(xn+1, x)

1

)∀ (xn+1, x) ∈ G .

Dann gilt:

• Genau dann, wenn (2.1.1) die Voraussetzungen (A1), (A2) erüllt, tut dies auch das transformierteSystem

x′ = g(x) (xn+1, x) ∈ G . (2.4.1)

• Genau dann erfüllt (2.4.1) die Voraussetzung (A3) (in der neuen Variablen x), wenn f(t, x) auchbezüglich t Lipschitz-stetig ist.

• Wenn x(t) eine Lösung von (2.1.1) zu den Anfangsdaten (t0, x0) ist, dann ist

x(t) =(x1(t), . . . , xn(t), t

)Teine Lösung des autonomen Systems (2.4.1) mit den Anfangsdaten (t0, x0) mit x0 = (x0, t0)T .

• Sei x(t) eine Lösung von (2.4.1) mit den Anfangsdaten (t0, x0). Mit x0 = (x(0)1 , . . . , x

(0)n+1)T folgt

xn+1(t) = t− t0 + x(0)n+1, und x(t) löst das AWP

x′ = f(t− t0 + x(0)n+1, x) , x(t0) = x0 .

Für t0 = x(0)n+1 erhalten wir also wieder eine Lösung von (2.1.1). Also ist ein allgemeines System

immer äquivalent zu einem autonomen System!

Wegen der oben beschriebenen Äquivalenz von (2.1.1) und (2.4.1) kann man sich in vielen Fällen daraufbeschränken, autonome Systeme zu untersuchen. Allerdings muss man folgendes beachten: Wenn (2.1.1)eine globale Lösung besitzt, dann kann man wie bereits beschrieben eine Transformation durchführen,welche diese Lösung in die Null-Lösung überführt, und dann sind in der Regel die weiteren Voraus-setzungen (A4)�(A7) erfüllt. Das entsprechende autonome System (2.4.1) hat dann zwar eine globaleLösung, diese ist aber nicht gleich der Null-Lösung, denn g(0) 6= 0. Wenn man diese globale Lösung indie Null-Lösung transformiert, zerstört man wiederum die Autonomie des Systems, und daher kann mandie Ergebnisse des letzten Abschnittes nicht in jedem Fall anwenden!

2.5 Gleichgewichtslösungen bei autonomen Systemen

In diesem Abschnitt betrachten wir neben allgemeinen autonomen Systemen das folgende einfache Modellzur Beschreibung der Entwicklung zweier Populationen, von denen die eine die Rolle von Räubern, dieandere von Beutetieren spielt. Dabei bezeichnen x1(t) bzw. x2(t) die Anzahl der Beutetiere bzw. Räuberzu einem Zeitpunkt t, und wir nehmen an, dass mit positiven reellen Zahlen a, b, c und d die folgendenBeziehungen gelten:

x′1 = x1 (a − b x2) , x′2 = −x2 (c − d x1) . (2.5.1)

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Hier wird vernachlässigt, dass die beiden (unbekannten) Funktionen x1(t) und x2(t) eigentlich nur ganz-zahlige Werte annehmen können. Die Form der Gleichungen drückt aus, dass bei Abwesenheit der Räuber(also für x2(t) ≡ 0) die Beutetiere exponentiell anwachsen, während bei Abwesenheit von Beutetieren dieRäuber exponentiell aussterben. Anwesenheit von Räubern schwächt dagegen das Wachstum der Beu-tetierpopulation (für Werte 0 < bx2 < a) bzw. lässt die Gröÿe der Population sogar abnehmen (fürWerte b x2 > a). Entsprechendes gilt für die Anzahl der Räuber. Das Di�erentialgleichungssystem (2.5.1)wird in der Literatur als Lotka-Volterrasches Räuber-Beute-Modell behandelt. Wie wir sehen werden, eig-net es sich, trotz seiner Einfachheit, zur Erklärung einer früher gemachten Beobachtung, dass sich zweiPopulationen von Räubern und Beutetieren in Zykeln entwickeln.

Das obige Modell ist insoweit zu einfach, als z. B. die Beutetierzahl auf Grund von Futterknappheit o. ä.auch bei Abwesenheit von Räubern nur über sehr kurze Zeiträume exponentiell wächst. Daher wird nebendem obigen Modell auch gerne ein weiteres betrachtet, bei dem man mit (kleinen) positiven Parameterne und f zwei weitere Terme hinzufügt, welche bei groÿen Populationszahlen wirksam werden. Man erhältdann ein verbessertes Modell, nämlich

x′1 = x1 (a − b x2) − e x21 , x′2 = −x2 (c − d x1) − f x22 . (2.5.2)

Da man für e = f = 0 aus dem zweiten Modell das erste erhält, wollen wir zunächst das allgemeinereSystem (2.5.2) betrachten.

Die beiden obigen Systeme sind Spezialfälle eines allgemeinen autonomen Di�erentialgleichungssystemsin zwei Dimensionen

x′ = f(x) , x = (x1, x2)T , f(x) = (f1(x1, x2), f2(x1, x2))T , x ∈ G .

Wir wollen einige typische Sprechweisen in der qualitativen Theorie solcher Systeme vorstellen, ohne z.B. den (selbsterklärenden) Begri� der Bahn einer Lösung formal zu de�nieren:

• Ist x(t), t ∈ I, eine Lösung eines autonomen Systems, so ist auch x(t+ t0), t ∈ It0 , eine Lösung.

• Wenn f Lipschitz-stetig ist, können sich die Bahnen von Lösungen nicht schneiden.

• Wenn es eine nicht konstante periodische Lösung gibt, ist ihre Bahn der Träger einer einfach ge-schlossenen Kurve in R2, und diese zerlegt nach dem Jordanschen Kurvensatz die Ebene in zweidisjunkte Gebiete, nämlich ein beschränktes Innnengebiet und ein unbeschränktes Auÿengebiet. Lö-sungen, welche in einem der Gebiete starten, können die periodische Lösung nicht schneiden undbleiben deshalb immer in diesem Gebiet.

• Ein Punkt x0 ∈ R2 heiÿt Gleichgewichtspunkt eines solchen Systems, wenn f(x0) = 0 ist, da danndie Funktion x(t) ≡ x0 eine (globale) Lösung ist. Für die Anwendungen wichtig ist die Frage, ob einsolcher Gleichgewichtspunkt stabil ist. Dies lässt sich meist durch Untersuchung der Matrix f ′(x0)klären: Wir schreiben (mit der Taylorformel bei entsprechender Di�erenzierbarkeit von f(x), unterBeachtung von f(x0) = 0 in einem Gleichgewichtspunkt)

f(x) = f ′(x0) (x − x0) + g(x) .

wobei gilt ‖g(x)‖ ≤ C ‖x − x0‖2 für x → x0, mit einer geeigneten Konstanten c > 0. Aus derTatsache, dass f ′(x0) eine reelle zweidimensionale Matrix ist, folgt dass ihre Eigenwerte entwederbeide reell oder zueinander konjugiert komplex sind. Mit der Transformation x = x0 + y und derAnwendung der Sätze 2.3.2 und 2.3.3 folgt, dass die Gleichgewichtslösung asymptotisch stabil istfalls beide Eigenwerte in der linken Halbebene liegen, bzw. instabil falls mindestens ein Eigenwertin der rechten Halbebene liegt. Die übrigen Fälle bleiben o�en.

Im Fall von (2.5.2) sind nur Punkte im ersten Quadranten von R2 von Interesse, und daher haben wir(bei kleinen Werten von e und f) nur einen Gleichgewichtspunkt, nämlich die Lösung x0 = (x

(0)1 , x

(0)2 )T

des inhomogenen linearen Gleichungssystems

b x2 + e x1 = a , d x1 − f x2 = c . (2.5.3)

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In unserem Beispiel (2.5.2) ist

f ′(x) =

[a− bx2 − 2ex1 −bx2

dx2 −c+ dx1 − 2fx2

],

und speziell für x = x0 erhalten wir mit (2.5.3)

f ′(x0) =

−ex(0)1 −bx(0)2

dx(0)2 −fx(0)2

.

Die Determinante dieser Matrix ist positiv, ihre Spur dagegen ist negativ (oder = 0 im Fall von (2.5.1)).Daher müssen die beiden Eigenwerte entweder reell und negativ oder zueinander konjugiert komplex seinund negativen Realteil haben (bzw. rein imaginär sein für (2.5.1)). Daraus folgt für das System (2.5.2)die asymptotische Stabilität der Gleichgewichtslösung, während die allgemeinen Ergebnisse für das ersteModell nicht anwendbar sind. Wir wollen aber jetzt das System (2.5.1) noch genauer untersuchen:

Um herauszu�nden, wie Lösungen von (2.5.1) wirklich (qualitativ) aussehen, ist es von Bedeutung, einsogenanntes erstes Integral zu �nden; dies ist eine Funktion F (x1, x2), welche beim Einsetzen von Lö-sungen (x1(t), x2(t))T konstant ist. Dazu bilden wir geeignete Kombinationen der beiden Gleichungen;genauer erkennt man mit etwas Phantasie, dass

d

dt

(d x1 + b x2 − c log x1 − a log x2

)= d x′1 + b x′2 − c

x′1x1− a

x′2x2

= 0

ist. Also ist die Funktion F (x1, x2) = d x1 + b x2 − c log x1 − a log x2 ein solches erstes Integral. Mankann zeigen, dass die Niveaulinien, d. h., die Lösungen der Gleichung F (x1, x2) = K mit gegebenemK ∈ R, geschlossene Kurven im ersten Quadranten sind, und durch Studium des Richtungsfeldes von(2.5.1) �ndet man, dass die Lösungen sich periodisch entlang dieser Niveaulinien bewegen.

Aufgabe 2.5.1 Zeige die oben gemachten Aussagen über die Funktion F bzw. die Lösungen von (2.5.1).Anleitung: Zeige dass jede Niveaulinie von F jede Gerade durch den Gleichgewichtspunkt zweimalschneidet, und dass die Schnittpunkte vom Gleichgewichtspunkt aus gesehen auf unterschiedlichen Seitender Geraden liegen.

24

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Kapitel 3

Eigenwertaufgaben

In diesem Kapitel wollen wir die Theorie der kompakten Operatoren aus der Funktionalanalysis anwenden,um klassische Resultate über Rand- und Eigenwertaufgaben herzuleiten. Diese Ergebnisse sind eigent-lich älter als die Funktionalanalysis, und man kann sie daher auch elementar beweisen. Für eine solcheHerleitung sei auf das Buch von Coddington und Levison [6] verwiesen. Allerdings vereinfachen sich vieleArgumente sehr stark, wenn man die funktionalanalytischen Resultate benutzt. Da aber die GreenscheFunktion einen sehr speziellen Fredholmschen Integral-Operator darstellt, erhalten wir zum Teil auchdeutlich bessere Ergebnisse als für den allgemeinen Fall eines kompakten Operators: Im selbstadjungier-ten Fall haben wir immer unendlich viele Eigenwerte, und die Eigenfunktionen bilden ein vollständigesOrthonormalsystem.

3.1 Ein Beispiel

In diesem Abschnitt betrachten wir die sehr einfache Eigenwertaufgabe (EWA)

− x′′ = λx , x(0) = x(1) = 0 , (3.1.1)

für eine unbekannte (komplexwertige) zweimal stetig di�erenzierbare Funktion x(t) auf dem abgeschlos-senen Intervall [0, 1]. Dabei ist λ ein komplexer Parameter. Dieses Problem tritt z. B. auf, wenn man dieSchwingungen einer Saite untersucht � wenn die Zeit hierzu ausreicht, werden wir uns im letzten Kapiteldamit beschäftigen.

Für λ = 0 ist die Nullfunktion die einzige Lösung dieser EWA, und deshalb sei jetzt λ 6= 0 vorausgesetzt.Dann sind die Funktionen x±(t) = e±iλ

1/2t ein Fundamentalsystem der Dgl −x′′ = λx, wobei λ1/2 eineder beiden (komplexen) Quadratwurzeln von λ ist. Die allgemeine Lösung ist also

x(t) = a eiλ1/2t + b e−iλ

1/2t , a, b ∈ C .

Dabei gilt x(0) = 0 genau dann wenn b = −a, also x(t) = c sin(λ1/2t) ist, mit c = 2 i a. Die weitereGleichung x(1) = 0 ist (für c 6= 0) äquivalent zu λ = π2 k2, mit k ∈ N. Diese Zahlen heiÿen dann dieEigenwerte der EWA, und die Funktionen xk(t) =

√2 sin(kπt) heiÿen zugehörige Eigenfunktionen. Der

Vorfaktor ist dabei so gewählt, dass gilt∫ 1

0

xj(t)xk(t) dt = δjk ∀ j, k ∈ N .

Dies bedeutet, dass die Eigenfunktionen dieser einfachen EWA ein Orthonormalsystem in L2(0, 1), alsoder Menge der auf [0, 1] Lebesgue-messbaren Funktionen mit endlicher 2-Norm, bilden. Was wir in diesemKapitel untersuchen wollen, ist die Frage, inwieweit bei anderen linearen Di�erentialgleichungen ähnlicheResultate gelten:

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• Gibt es immer abzählbar viele Eigenwerte und Eigenfunktionen?

• Sind die Eigenfunktionen immer orthogonal (und die Eigenwerte reell)?

• Sind die Eigenfunktionen sogar ein vollständiges Orthonormalsystem?

Dass dies nicht immer so ist, zeigt folgendes weitere Beispiel: Die EWA

i x′ = λx , x(1) = a x(0) ,

mit einer komplexen Konstanten a, hat als Eigenwerte alle Lösungen der Gleichung e−iλ = a, also alleWerte λk = i log a = i log |a| − arg(a) − 2kπ mit k ∈ Z und arg(a) irgendein fest gewählter Wert derArgumentfunktion. Die zugehörigen Eigenfunktionen sind gleich xk(t) = exp[−iλkt]. Man rechnet nach,dass die Eigenfunktionen genau dann orthogonal (und die Eigenwerte reell) sind, wenn |a| = 1 ist.

Aufgabe 3.1.1 Berechne Eigenwerte und Eigenfunktionen für die EWA

i x′ = λx , x(0)− x(1) = 0 .

3.2 Selbstadjungiertheit

Im Folgenden betrachten wir immer zwei feste Zahlen a, b ∈ R mit a < b, und bezeichnen mit L2 :=L2(a, b) die Menge der auf dem abgeschlossenen Intervall [a, b] Lebesgue-messbaren Funktionen x(t) mit∫ ba|x(t)|2 dt <∞. Wir setzen weiter1 für x, y ∈ L2(a, b)

〈x, y〉 =

∫ b

a

x(t) y(t) dt , ‖x‖ =√〈x, x〉 =

( ∫ b

a

∣∣x(t)∣∣2 dt)1/2 .

Weiter sei n eine feste natürliche Zahl, und

Lx := p0(t)x(n) + p1(t)x(n−1) + . . .+ pn(t)x

sei ein linearer Di�erentialoperator n-ter Ordnung mit Koe�zientenfunktionen2 pk ∈ C := C[a, b]. Schlieÿ-lich soll der Koe�zient p0(t) keine Nullstellen auf [a, b] haben. Für zwei quadratische n-reihige MatrizenM = [mjk] und N = [njk] schreiben wir

Uj x :=

n∑k=1

(mjk x

(k−1)(a) + njk x(k−1)(b)

), 1 ≤ j ≤ n .

Das System der n Gleichungen Uj x = 0 schreiben wir dann einfach kurz als U x = 0. Wenn wir y(t) =(x(t), x′(t), . . . , x(n−1)(t))T setzen, können wir die Randbedingungen auch durch das homogene lineareGleichungssystem

M y(a) + N y(b) = 0

ausdrücken.

Aufgabe 3.2.1 Finde Matrizen N und M , welche für n = 2 die Randbedingungen x(a) = x(b) = 0ergeben.

1Da wir im Folgenden immer stetige Funktionen integrieren wollen, spielt es nur eine geringe Rolle dass hierdurch kein

�richtiges� inneres Produkt auf L2(a, b) de�niert wird.2Später werden wir voraussetzen, dass pk wenigstens (n − k)-mal stetig di�erenzierbar sein soll, damit wir feststellen

können, in welchen Fällen L selbstadjungiert ist.

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De�nition 3.2.2 (Selbstadjungiertheit) Für λ ∈ C nennen wir

Lx = λx , U x = 0 (3.2.1)

die Eigenwertaufgabe (EWA) zum Randwertproblem (L,U). Jedes λ ∈ C, für welche die Eigenwertaufgabeeine nicht-triviale Lösung x besitzt, nennen wir einen Eigenwert, und jede solche Lösung heiÿt zu λ gehö-rige Eigenfunktion der EWA bzw. von (L,U). Die Menge aller Lösungen von (3.2.1), einschlieÿlich dertrivialen, heiÿt zugehöriger Eigenraum. Die auf [a, b] mindestens n-mal stetig di�erenzierbaren Funktio-nen, welche die Randbedingungen U x = 0, aber vielleicht nicht die Di�erentialgleichung, erfüllen, sollenfür die EWA zulässig heiÿen; die Menge der zulässigen Funktionen werde mit D bezeichnet und spielt dieRolle des De�nitionsbereiches des Operators L, obwohl dieser eigentlich auf ganz C(n)[a, b] de�niert ist.Wenn für alle Funktionen u, v ∈ D immer gilt

〈Lu, v〉 = 〈u, L v〉 , (3.2.2)

dann nennen wir die Eigenwertaufgabe selbstadjungiert.

Bemerkung 3.2.3 Der Di�erentialoperator L ist nicht für alle x ∈ L2 de�nierbar. Wir betrachten ihnauf dem Unterraum D ⊂ C(n) := C(n)[a, b] der auf [a, b] mindestens n-mal stetig di�erenzierbaren Funk-tionen, welche die Randbedingungen erfüllen. Man kann sehen, dass D in L2 dicht ist � sogar die Mengeder beliebig oft di�erenzierbaren Funktionen, deren Ableitungen an den Randpunkten a, b alle verschwin-den, liegt dicht. Dieser Unterraum wird allerdings von L nicht etwa in sich selber abgebildet, und deshalbist L kein Endomorphismus auf D. Auÿerdem ist L : D → L2 nicht beschränkt!

Welche Eigenwertaufgaben selbstadjungiert sind, soll hier nicht genau untersucht werden. Jedenfalls folgt,unter der Voraussetzung dass pn−k ∈ C(k) ist, mit partieller Integration und der Leibnizregel für höhereAbleitungen eines Produktes∫ b

a

pn−k(t)u(k)(t) v(t) dt = ck + (−1)k∫ b

a

u(t)( k∑j=0

(k

j

)p(k−j)n−k (t) v(j)(t)

)dt ,

mit einer Zahl ck, welche nur von den Randwerten der Ableitungen von u und v bis zur Ordnung k − 1abhängt. Daher ist die Aufgabe jedenfalls dann selbstadjungiert, wenn

∑k ck = 0 ist für alle zulässigen

Funktionen u und v, und wenn weiter gilt

pn−j(t) =

n∑k=j

(k

j

)(−1)k p

(k−j)n−k (t) ∀ j = 0, . . . , n .

Ob diese Bedingungen auch notwendig sind, spielt hier keine Rolle und soll deshalb nicht weiter untersuchtwerden. Statt dessen betrachten wir noch folgendes wichtige

Beispiel 3.2.4 (Sturm-Liouvillesche EWA) Seien p, q reellwertige, entsprechend oft di�erenzierbareFunktionen auf [a, b], und sei p(t) > 0 auf [a, b]. Ein Di�erentialoperator zweiter Ordnung der Form(

p(t)x′)′ − q(t)x = 0 ,

wird auch Sturm-Liouvillescher Operator genannt. Die zugehörige Eigenwertaufgabe ist selbstadjungiert,wenn für alle zulässigen Funktionen u, v immer gilt

p(t)(u′(t) v(t) − u(t) v′(t)

)∣∣∣ba

= p(b) det

[v(b) u(b)v′(b) u′(b)

]− p(a) det

[v(a) u(a)v′(a) u′(a)

]= 0 .

Es liegt also an der Form der Randbedingungen, ob dies zutri�t � vergleiche hierzu die nächste Aufgabe.

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Aufgabe 3.2.5 Zeige dass eine Sturm-Liouvillesche EWA genau dann selbstadjungiert ist, wenn derRang der Matrix [M,N ] maximal, also gleich 2 ist, und wenn zusätzlich gilt

p(a) detM = p(b) detN .

Anleitung: Beachte dass für zwei beliebige zweireihige quadratische Matrizen Xa und Xb immer zweiFunktionen u, v ∈ C existieren mit

Xa =

[v(a) u(a)v′(a) u′(a)

], Xb =

[v(b) u(b)v′(b) u′(b)

].

Daher ist die EWA genau dann selbstadjungiert, wenn aus der Gleichung M Xa + N Xb = 0 folgt dassp(a) detXa = p(b) detXb ist. Zeige dann zunächst: Wenn der Rang von [M,N ] kleiner als 2 ist, danngibt es immer Matrizen Xa, Xb mit M Xa +N Xb = 0, für welche p(a) detXa 6= p(b) detXb ist.

Aufgabe 3.2.6 Zeige: Ist c ∈ R, und ist (L,U) selbstadjungiert, so ist auch (L+ c, U) selbstadjungiert.Finde heraus, wie die Eigenräume der beiden Aufgaben zusammenhängen.

Aufgabe 3.2.7 Seien x1, . . . , xn, λ ∈ C und c ∈ [a, b]. Zeige: Die nach Picard-Lindelöf eindeutig be-stimmte Lösung des Anfangswertproblems

Lx = λx , x(k−1)(c) = xk , 1 ≤ k ≤ n , (3.2.3)

und auch alle ihre Ableitungen nach t bis zur Ordnung n−1, sind für jedes feste t ∈ [a, b] ganze Funktionenin λ.

Obwohl die De�nition der Selbstadjungiertheit genau der aus LA I zu entsprechen scheint, gibt es einenkleinen aber wichtigen Unterschied: Der Operator L ist nicht auf ganz L2 de�niert, sondern nur auf demdichten Unterraum D. Dieser Unterraum wird aber wiederum nicht in sich selber abgebildet, und deshalbkann man nicht direkt schlieÿen, dass z. B. alle Eigenwerte von L reell sind. Allerdings kann man dieselbenBeweisschritte wie im Fall eines selbstadjungierten Endomorphismus anwenden, um zu zeigen, dass esnur reelle Eigenwerte gibt, und dass Eigenfunktionen ein ONS bilden.

Satz 3.2.8 Für jede selbstadjungierte Eigenwertaufgabe gilt:

(a) Alle Eigenwerte sind reell.

(b) Eigenfunktionen zu verschiedenen Eigenwerten sind orthogonal.

(c) Es gibt höchstens abzählbar unendlich viele Eigenwerte.

(d) Die Menge aller Eigenwerte hat keinen endlichen Häufungspunkt.

Beweis: Die Behauptungen (a) und (b) kann man genau wie in LA I beweisen. Seien λ ∈ C undc ∈ [a, b], und seien xj(t) = xj(t, λ) die (nach Picard-Lindelöf) eindeutig bestimmten Lösungen desAnfangswertproblems (AWP)

Lx = λx , x(k−1)(c) = δjk , 1 ≤ k ≤ n .

Da die Lösungen xj sogar ein Fundamentalsystem bilden, ist λ genau dann ein Eigenwert von L, wenn esKonstanten c1, . . . , cn gibt, die nicht alle verschwinden, so dass die Linearkombination x(t) := c1 x1(t) +. . .+cn xn(t) die Randbedingungen U x = 0 erfüllt. Dies ist gerade ein homogenes lineares Gleichungssys-tem von n Gleichungen in den Unbekannten c1, . . . cn. Die Koe�zientenmatrix dieses Systems enthält nurdie t-Ableitungen der Funktionen xj(t) bis zur Ordnung n− 1, und zwar für t = a und für t = b, welchenach Aufgabe 3.2.7 ganze Funktion von λ sind. Somit ist auch die Determinante der Koe�zientenmatrixeine ganze Funktion von λ, und ihre Nullstellen sind gerade die Eigenwerte von L (da ein homogenesquadratisches Gleichungssystem genau dann eine nicht-triviale Lösung hat, wenn die Determinante derKoe�zientenmatrix verschwindet). Da nach (a) diese Determinante nicht gleich der Nullfunktion seinkann, folgen (c) und (d) aus dem Nullstellensatz für holomorphe Funktionen. 2

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Bemerkung 3.2.9 Beachte, dass der Beweis der Aussagen (c) und (d) im obigen Satz nicht wirklichvon der Selbstadjungiertheit der EWA abhängt, sondern lediglich benutzt, dass die Determinante derKoe�zientenmatrix nicht identisch verschwindet. Ob dies so ist, hängt von der Form der Randbedingungenab � z. B. ist es nicht so, wenn beide Matrizen M und N Nullmatrizen sind.

3.3 Die Greensche Funktion

Im Allgemeinen gibt es auÿer den Eigenwerten noch andere Spektralwerte eines linearen Operators. Umdies zu untersuchen, betrachten wir jetzt das inhomogene Problem

Lx = λx + f, U x = 0 , (3.3.1)

mit einer gegebenen Funktion f , die wir momentan als stetig voraussetzen wollen. Die Menge C der auf[a, b] stetigen Funktionen ist ein Banachraum unter der Supremumsnorm, und L ist ein unbeschränkterOperator in C mit dem De�nitionsbereich D. Wir wollen L nicht entartet nennen, wenn nicht jedes λ ∈ Cein Eigenwert von (L,U) ist. Wie im Beweis von Satz 3.2.8 folgt dann, dass die Menge σ aller Eigenwertevon (L,U) diskret ist, was heiÿen soll, dass σ abzählbar ist und keinen endlichen Häufungspunkt hat.Wenn wir zeigen, dass es zu jedem f ∈ C und jedem λ 6∈ σ genau eine Lösung x ∈ D von (3.3.1) gibt, unddass die (o�ensichtlich lineare) Abbildung f 7→ x auf C beschränkt ist, haben wir insbesondere bewiesen,dass σ gleich dem Spektrum des Operators L (in C) mit De�nitionsbereich D ist, dass es also auÿer denEigenwerten keine weiteren Spektralwerte gibt. Dies gilt natürlich trivialerweise auch, wenn L entartetist.

Dass die Gleichung (3.3.1) für λ 6∈ σ höchstens eine Lösung haben kann, ist klar, da die Di�erenz zweierLösungen immer die EWA (3.2.1) erfüllt. Der nun folgende Satz liefert gerade die Existenz einer Lösungund gibt sogar eine Darstellungsformel:

Satz 3.3.1 (Greensche Funktion) Gegeben sei eine nicht entartete Eigenwertaufgabe. Sei O = C \ σdas Komplement der zugehörigen Eigenwertmenge. Dann existiert genau eine Funktion G(t, τ, λ), de�niertauf [a, b]2 ×O, mit folgenden Eigenschaften:

(a) Die partiellen Ableitungen von G nach t bis zur Ordnung n− 1 existieren auf dem ganzen De�niti-onsbereich [a, b]2 ×O.

(b) Die partiellen Ableitungen von G nach t bis zur Ordnung n− 2 sind auf dem ganzen De�nitionsbe-reich [a, b]2 ×O stetig.

(c) Die (n− 1)-ste partielle Ableitung von G nach t ist stetig auf({a ≤ τ ≤ t ≤ b} × O

)∪({a ≤ t < τ ≤ b} × O

)⊂ [a, b]2 ×O .

Die einseitigen Grenzwerte G(n−1)(τ + 0, τ, λ) ( = G(n−1)(τ, τ, λ) ) und G(n−1)(τ − 0, τ, λ) dieserAbleitung existieren für t → τ , und G(n−1)(τ + 0, τ, λ) − G(n−1)(τ − 0, τ, λ) = 1/p0(τ), für alle(τ, λ) ∈ [a, b]×O.

(d) Für alle festen (t, τ) ∈ [a, b]2 ist G eine holomorphe Funktion auf O, und die Punkte von σ sindhöchstens Polstellen von G.

(e) Für alle festen (τ, λ) ∈ [a, b] × O und t 6= τ ist G sogar n-mal nach t stetig partiell di�erenzierbarund eine Lösung der Gleichung Lx = λx.

(f) Für alle festen (τ, λ) ∈ (a, b)×O erfüllt G die Randbedingungen.

Für diese Funktion G und beliebiges f ∈ C[a, b] sowie λ ∈ O ist durch

x(t) =(Gλ f

)(t) :=

∫ b

a

G(t, τ, λ) f(τ) dτ (3.3.2)

eine Lösung des inhomogenen Problems (3.3.1) gegeben.

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Beweis: WennG und G zwei Funktionen mit den angegebenen Eigenschaften sind, dann ist ihre Di�erenzd = G − G entsprechend nach t partiell di�erenzierbar, und wegen Eigenschaft (c) ist die (n − 1)-stepartielle Ableitung von d in den Punkten t = τ stetig ergänzbar. Da G und G beide für t 6= τ dieGleichung Lx = λx erfüllen, tut dies d ebenfalls, und hieraus folgt sogar Existenz und Stetigkeit dern-ten t-Ableitung von d an den Stellen t = τ . Somit ist d für a < τ < b eine Lösung der EWA und mussdeshalb wegen λ 6∈ σ identisch verschwinden. Um jetzt die Existenz eines solchen G zu zeigen, verwendenwir die Methode der Variation der Konstanten, welche sich am elegantesten für Systeme formulieren lässt.Wir betrachten dazu ein Fundamentalsystem (xj(t, λ))nj=1 wie im Beweis von Satz 3.2.8, wobei wir derEinfachheit halber c = b wählen, und bilden

Y (t, λ) =

x1(t, λ) . . . xn(t, λ)x′1(t, λ) . . . x′n(t, λ)

......

x(n−1)1 (t, λ) . . . x

(n−1)n (t, λ)

, g(t) =

0...0f(t)

.

Für diese gilt dann Y (b, λ) = I, und mit der Wronski-Identität folgt detY (t, λ) 6= 0 für alle t ∈ [a, b]und λ ∈ C (tatsächlich ist die Determinante von λ unabhängig, was aber keine Rolle spielt). NachAufgabe 3.2.7 ist die Matrix Y (t, λ) eine ganze Funktion in λ, und da sie immer invertierbar ist, folgt dasgleiche auch für die inverse Matrix, z. B. aus der Darstellungsformel mittels Kofaktoren. Für beliebigesc ∈ Cn ist dann der Vektor

y(t, λ) = Y (t, λ)

[c +

∫ t

a

Y −1(τ, λ) g(τ)dτ

p0(τ)

]die allgemeine Lösung des zu Lx = λx + f äquivalenten Systems. Die Randbedingungen sind dannäquivalent zu dem inhomogenen linearen Gleichungssystem(

M Y (a, λ) + N)c = −N

∫ b

a

Y −1(τ, λ) g(τ)dτ

p0(τ)

für den (unbekannten) Vektor c. Für λ ∈ O besitzt dieses System eine eindeutige Lösung, und nach derCramerschen Regel schlieÿen wir, dass diese Lösung eine meromorphe Funktion von λ ist, also holomorphin O mit (möglichen) Polen an den Punkten von σ. Wenn wir diese Lösung einsetzen, so folgt

y(t, λ) =

∫ b

a

H(t, τ, λ) g(τ) dτ ,

mit der Matrix H(t, τ, λ) = [hjk(t, τ, λ)] gegeben durch

p0(τ)H(t, τ, λ) =

Y (t, λ)

(I − (M Y (a, λ) +N)−1N

)Y −1(τ, λ) (a ≤ τ ≤ t ≤ b)

−Y (t, λ) (M Y (a, λ) +N)−1 N Y −1(τ, λ) (a ≤ t < τ ≤ b)

Also gilt p0(τ) (H(τ + 0, τ, λ)−H(τ −0, τ, λ)) = I. Die erste Komponente des Vektors y(t, λ) ist dann diegesuchte Lösung x(t, λ) von (3.3.1), während die übrigen gerade die Ableitungen bis zur Ordnung n− 1ergeben. Wegen der speziellen Form des Vektors g(t) sehen wir, dass (3.3.2) gilt, wenn wir G(t, τ, λ) gleichh1n(t, τ, λ)/p0(τ) setzen. Diese Position der Matrix involviert nur die erste Zeile der Matrix Y (t, λ), alsonur die Funktionen xk(t, λ), nicht aber deren Ableitungen. Aus dieser Tatsache und der De�nition vonG liest man dann die Eigenschaften (a)�(e) ab. Die letzte Eigenschaft folgt, da man für a < τ < b undλ ∈ O nachrechnen kann, dass M H(a, τ, λ) +N H(b, τ, λ) = 0 ist. 2

De�nition 3.3.2 Die Funktion G(t, τ, λ) im obigen Satz heiÿt die Greensche Funktion zu (3.3.1).

Bemerkung 3.3.3 Die durch (3.3.2) de�nierte lineare Abbildung f 7→ Gλ f ist wegen der Eigenschaftender Greenschen Funktion ein beschränkter Operator auf C. Also ist σ im Sinne der Funktionalanalysisgerade das Spektrum von L auf dem De�nitionsbereich D.

Aufgabe 3.3.4 Berechne die Greensche Funktion zum Beispiel (3.1.1).

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3.4 Der Greensche Operator

De�nition 3.4.1 Wir nennen einen Operator L normalisiert, wenn 0 6∈ σ ist. Ist dies der Fall, so schrei-ben wir statt G0 bzw. G(t, τ, 0) auch einfacher G bzw. G(t, τ). Der Operator G soll auch kurz GreenscherOperator heiÿen.

Bemerkung 3.4.2 Ein normalisierter Operator ist o�ensichtlich nicht entartet. Beachte dass wir um-gekehrt im nicht entarteten Fall immer annehmen können, dass L normalisiert ist, da wir sonst L durchL− c ersetzen können, und dabei ist λ genau dann ein Eigenwert von L, wenn λ− c einer für L− c ist.Wenn c ∈ R gewählt wird, ist sogar die Selbstadjungiertheit von (L,U) äquivalent zu der von (L− c, U).

Mit dieser Normalisierung erhalten wir folgende Resultate für die Operatoren L und G:

• Die Abbildungen L und G sind invers zueinander. Genauer gilt

LG f = f , G Lx = x ∀ f ∈ C , x ∈ D . (3.4.1)

Auÿerdem gelten die Randbedingungen für alle Funktionen x = G f mit f ∈ C. Anders ausgedrücktheiÿt das, dass G von C bijektiv auf D abbildet, und dass L die Umkehrabbildung ist.

• Ist λ ∈ σ (also insbesondere wegen der Normalisierung λ 6= 0), so gilt für jede zugehörige Eigenfunk-tion x die Gleichung x = λG x. Weiter folgt: Ist x = λG x für ein x ∈ C, so muss notwendig x ∈ Dsein, und es gilt Lx = λx, so dass x eine Eigenfunktion zum Eigenwert λ ist. Dies heiÿt in anderenWorten: Genau dann ist µ ein Eigenwert für den Endomorphismus G auf C[a, b], wenn µ 6= 0 undsein Kehrwert λ = 1/µ ein Eigenwert für L ist. Auÿerdem sind die zugehörigen Eigenräume gleich.

• Sei jetzt die zu (L,U) gehörige EWA selbstadjungiert und normalisiert. Setzt man in (3.2.2) u = G fund v = G g, so erhält man

〈f,G g〉 = 〈G f, g〉 ∀ f, g ∈ C . (3.4.2)

Diese Eigenschaft wollen wir die Selbstadjungiertheit von G nennen. Spezialisiert man die letzteIdentität zu g = f , so folgt

〈f,G f〉 = 〈G f, f〉 ∈ R ∀ f ∈ C .

Beachte, dass die Selbstadjungiertheit von G bedeutet, dass die Funktion G(t, τ) − G(τ, t) inL2([a, b] × [a, b]) zu allen Funktionen der Form f(t) g(τ) orthogonal ist. Da die Linearkombina-tionen solcher Funktionen dicht liegen, folgt daraus die Gleichung

G(t, τ) = G(τ, t) ∀ t, τ ∈ [a, b] ,

und umgekehrt ergibt sich aus dieser Gleichung mit dem Satz von Fubini auch wieder die Selbst-adjungiertheit von G.

Aufgabe 3.4.3 Zeige mit der Hölderschen Ungleichung, dass die Abbildung f 7→ G f zu einem beschränk-ten linearen Operator auf L2 fortgesetzt werden kann. Genauer: Zeige dass für jedes f ∈ L2 das Lebesgue-Integral x(t) :=

∫ baG(t, τ) f(τ) dτ für alle t ∈ [a, b] existiert, und dass gilt

‖x‖2 ≤ ‖f‖2( ∫

[a,b]2|G(t, τ)|2 dt dτ

)1/2.

Zeige weiter, dass die Bildfunktion x sogar immer stetig auf [a, b] ist, obwohl im Fall n = 1 die GreenscheFunktion auf der Diagonalen von [a, b]2 nicht stetig ist. Zeige schlieÿlich noch, dass aus der Dichtheit vonC[a, b] in L2 folgt: Wenn (3.4.2) gilt, dann gilt dasselbe sogar für alle f, g ∈ L2.

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Aufgabe 3.4.4 Zeige: Ist f ∈ L2 und g = G f , dann gilt folgende punktweise Abschätzung für g:

|g(t)| ≤ ‖f‖2( ∫ b

a

∣∣G(t, τ)∣∣2 dτ )1/2 ≤ K ‖f‖2 ∀ t ∈ [a, b] ,

mit (b− a)−1K ≥ ‖G‖∞ := sup[a,b]2 |G(t, τ)|.

Bemerkung 3.4.5 Nach Aufgabe 3.4.3 kann, im Falle eines normalisierten Operators L, der GreenscheOperator G auf den Raum L2 fortgesetzt werden. Da G ein Fredholmscher Integraloperator ist, ist ersogar ein kompakter Endomorphismus auf L2. Also kann die Theorie der kompakten Operatoren aufG : L2 → L2 angewandt werden. Hieraus folgt:

(a) Das Spektrum von G ist abzählbar, und höchstens der Nullpunkt ist ein Häufungspunkt.

(b) Jeder von 0 verschiedene Spektralwert ist ein Eigenwert, und der zugehörige Eigenraum hat immerendliche Dimension.

(c) Wenn G selbstadjungiert ist, ergibt sich aus dem Entwicklungssatz für selbstadjungierte kompakteOperatoren, dass G unendlich viele Eigenwerte haben muss, da andernfalls das Bild von G endlicheDimension hätte, was nicht sein kann, da der Unterraum D zum Bild gehört und bereits unendlicheDimension hat.

Weiter folgt aus der gleichen Aufgabe dass alle Eigenfunktionen zu von 0 verschiedenen Eigenwerten vonG stetig sind, und da G stetige Funktionen nach D abbildet, sind diese Eigenfunktionen sogar n-mal stetigdi�erenzierbar. Daher kann G auf dem Raum L2, mit der möglichen Ausnahme des Nullpunktes, nichtmehr Eigenwerte und Eigenfunktionen haben als in dem kleineren Raum C[a, b]. Deshalb ergibt sich fürjede selbstadjungierte Eigenwertaufgabe die Existenz einer Folge (xj , λj)

∞j=1, für welche folgendes gilt:

• Die Folge (xj)∞j=1 ist ein Orthonormalsystem in L2, und alle xj sind Eigenfunktionen von L, also

insbesondere in D enthalten.

• Ist λ irgendein Eigenwert von L, so gibt es natürliche Zahlen n ≤ m so, dass λn = . . . = λm = λist, und derart dass die Funktionen xn, . . . , xm eine Basis des Eigenraums von L zum Eigenwert λbilden.

Jede solche Folge wollen wir auch kurz charakteristisches System der EWA nennen.

Dass bei einer selbstadjungierten normalisierten Aufgabe der Nullpunkt kein Eigenwert von G ist, kannman folgendermaÿen zeigen: Wenn für ein f ∈ L2 gilt G f = 0, dann folgt

〈g,G f〉 = 〈G g, f〉 = 0 ∀ g ∈ L2 .

Also ist f orthogonal zum Bild von G, und dieses enthält den dichten Unterraum D. Daraus folgt aberf = 0, das heiÿt genauer f ist fast überall gleich 0, so dass der Nullpunkt auch im Raum L2 kein Eigenwerteines selbstadjungierten normalisierten Operators G sein kann.

3.5 Die Vollständigkeit der Eigenfunktionen

In diesem Abschnitt sei immer eine selbstadjungierte EWA gegeben. Weiter sei ein charakteristischesSystem (xj , λj)

∞j=1 mit den in Bemerkung 3.4.5 genannten Eigenschaften fest gewählt.

Wir zeigen jetzt folgenden wichtigen Satz:

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Satz 3.5.1 Die Folge (xj)∞j=1 der Eigenfunktionen ist ein vollständiges Orthonormalsystem in L2, und

für jedes x ∈ C(n), welches die Randbedingungen erfüllt, gilt sogar

x(t) =

∞∑j=1

〈x, xj〉xj(t) ∀ t ∈ [a, b] ,

wobei die Reihe gleichmäÿig konvergiert.

Beweis: Für den Beweis können wir o. B. d. A. annehmen, dass die EWA normalisiert ist. Dann sindalle Eigenwerte λj 6= 0, und es ergibt sich aus dem Entwicklungssatz für selbstadjungierte kompakteOperatoren, angewandt auf G, die Darstellung

G f =

∞∑j=1

λ−1j 〈f, xj〉xj ∀ f ∈ L2 , (3.5.1)

wobei die Reihe im Sinn der Norm auf L2 konvergiert. Wenn f ∈ L2 zu allen xj orthogonal ist, folgt hierausG f = 0, und wie oben gezeigt wurde, muss dann f = 0 sein. Daher ist das ONS (xj)

∞j=1 vollständig. Wir

wollen jetzt zeigen, dass die Reihe (3.5.1) wegen der speziellen Form von G sogar gleichmäÿig konvergentist. Hierzu seien p, q ∈ N beliebig gegeben. Dann gilt für alle t ∈ [a, b] und alle f ∈ L2 wegen Aufgabe 3.4.4:∣∣∣ p+q∑j=p+1

λ−1〈f, xj〉xj(t)∣∣∣ =

∣∣∣ ∫ b

a

G(t, τ)

p+q∑j=p+1

〈f, xj〉xj(τ) dτ∣∣∣ ≤ ∥∥∥ p+q∑

j=p+1

〈f, xj〉xj∥∥∥ K ∀ t ∈ [a, b] .

wobei K nicht von p, q abhängt. Wegen der Parsevalschen Gleichung gilt aber∥∥∥ p+q∑j=p+1

〈f, xj〉xj∥∥∥2 =

p+q∑j=p+1

∣∣〈f, xj〉∣∣2 ,und die Besselsche Ungleichung besagt

∑∞j=1

∣∣〈f, xj〉∣∣2 < ∞. Daher ist die Reihe (3.5.1) in der Tatgleichmäÿig konvergent auf [a, b]. Wenn x ∈ D ist, gibt es ein (eindeutig bestimmtes) f ∈ C mit x = G f .Da

〈x, xj〉 = 〈G f, xj〉 = 〈f,G xj〉 = λ−1j 〈f, xj〉 ∀ j ∈ Nist, folgt hieraus die Behauptung. 2

3.6 Probleme mit Gewichtsfunktion

Im Folgenden sei eine normalisierte und selbstadjungierte EWA (3.2.1) gegeben, und G bzw. G(t, τ) seienwieder der/die zugehörige Greensche Operator bzw. Funktion. In vielen Anwendungen treten an Stellevon (3.2.1) jedoch Probleme auf, welche eine Gewichtsfunktion ρ ∈ C enthalten und von der Gestalt

Lx = λ ρ(t)x , U x = 0 (3.6.1)

sind. Wir wollen auch in diesem Fall λ einen Eigenwert nennen, wenn (3.6.1) eine nicht triviale Lösungbesitzt, und jede solche Lösung soll wieder zugehörige Eigenfunktion heiÿen. Wir nehmen für den Momentnur an, dass ρ(t) auf [a, b] nicht negativ ist, und setzen r(t) =

√ρ(t). Mit Hilfe der Greenschen Funktion

zum Operator L de�nieren wi einen neuen Operator H auf L2 durch(Hf)(t) = r(t)

∫ b

a

G(t, τ) r(τ) f(τ) dτ ∀ t ∈ [a, b] . (3.6.2)

Wenn man die Multiplikation eines f ∈ L2 mit der Funktion r als Multiplikationsoperator au�asstund mit r bezeichnet, kann man auch kurz schreiben H = r ◦ G ◦ r. Es ist nicht schwer einzusehen,dass H auf L2 kompakt und selbstadjungiert ist. Damit H unendlich viele Eigenwerte hat, und damitjedes charakteristische System ein vollständiges ONS ist, ist entscheidend, dass wir folgende zusätzlicheVoraussetzung tre�en:

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(V) Sei die Gewichtsfunktion so, dass das Bild von H ein dichter Unterraum von L2 ist.

In allen Anwendungen hat ρ nur endlich viele Nullstellen auf [a, b], und in all diesen Fällen ist die obigeVoraussetzung erfüllt. Umgekehrt ist dies nicht der Fall, wenn die Nullstellenmenge von ρ ein positivesLebesguemaÿ hat.

Unter den getro�enen Voraussetzungen folgt genau wie im letzten Abschnitt dass H unendlich vieleEigenwerte hat, die alle reell sind und von denen keiner verschwindet, dass die zugehörigen Eigenräumeendliche Dimension haben, und dass Eigenfunktionen zu verschiedenen Eigenwerten orthogonal sind.Was wir jetzt sehen wollen ist, wie die Eigenwerte und Eigenfunktionen von H mit denen von (3.6.1)zusammenhängen:

Sei µ ein beliebiger Eigenwert von H (also insbesondere µ 6= 0), und sei x eine zugehörige Eigenfunktion.Wir de�nieren x so, dass x = r x ist, wobei wir zunächst o�en lassen, wie wir x(t) an den Nullstellen vonr(t) setzen wollen. Jedenfalls folgt dann für alle anderen t ∈ [a, b] aus der Gleichung µ x = H x mit derDe�nition von H die Beziehung

µx(t) =

∫ b

a

G(t, τ) ρ(τ)x(τ) dτ .

Die Nullstellen von r sind eine Lebesguesche Nullmenge (sonst wäre unsere Voraussetzung (V) verletzt),und daher können wir an diesen Stellen x(t) so de�nieren, dass diese Gleichung sogar immer gilt. Dann istaber x ∈ D, und es folgt die Gleichung Lx = λ ρx, mit λ = 1/µ. Da die Eigenfunktion x von H ohnehinnur fast überall de�niert ist, sehen wir dass wir alle Eigenfunktionen von H immer in der Form r x mitx ∈ D schreiben können, und daher bildet der Multiplikationsoperator r den Eigenraum von (3.6.1) zueinem Eigenwert λ bijektiv auf den Eigenraum von H zum Eigenwert µ = 1/λ ab! Die Orthogonalität vonEigenfunktionen von H ist dann äquivalent zu der von Eigenfunktionen von (3.6.1), allerdings bezüglicheines gewichteten Skalarproduktes, nämlich

〈x, y〉ρ =

∫ b

a

ρ(t)x(t) y(t) dt . (3.6.3)

Zu diesem Skalarprodukt, bzw. der entsprechenden Norm, die wir mit ‖ · ‖2,ρ bezeichnen wollen, erhaltenwir einen zugehörigen Raum L2(ρ) als Menge aller messbaren Funktionen mit endlicher ‖ · ‖2,ρ-Norm.Daneben betrachten wir auch noch eine �gewichtete ∞-Norm�

‖f‖∞,ρ := supt∈[a,b]

|r(t) ρ(t)| .

Auf Grund dieser Beobachtungen ergibt sich auch für die EWA mit Gewichtsfunktion (3.6.1) die Existenzeiner Folge (xj , λj)

∞j=1, wobei jedes xj eine Eigenfunktion von (3.6.1) zum Eigenwert λj ist, und die Folge

(xj)∞j=1 ist ein vollständiges ONS in L2(ρ). Mit denselben Abschätzungen wie im Beweis von Satz 3.5.1

zeigt man dass die Reihe

H f =

∞∑j=1

λ−1j 〈f, xj〉 xj =

∞∑j=1

〈H f, xj〉 xj ,

mit xj = rxj gleichmäÿig auf [a, b] konvergiert. Wenn man r f = g setzt, ist dies äquivalent mit dergleichmäÿigen Konvergenz der Reihe

r G g =

∞∑j=1

〈G g, xj〉ρ r xj ,

und da G ja den Raum C auf D abbildet, folgt für jedes x ∈ C(n), welches die Randbedingungen erfüllt,die Darstellung

r(t)x(t) =

∞∑j=1

〈x, xj〉ρ r(t)xj(t) ∀ t ∈ [a, b] ,

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wobei die Reihe gleichmäÿig konvergiert. Anders ausgedrückt bedeutet dies, dass die Reihe

x(t) =

∞∑j=1

〈x, xj〉ρ xj(t)

in der oben de�nierten gewichteten ∞-Norm ‖ · ‖∞,ρ konvergiert. Beachte hierbei, dass die (punktweise)Konvergenz dieser Reihe an den Nullstellen von r nicht gesichert ist, dass diese De�nitionslücken aberkeine Rolle spielen, da die Grenzfunktion ja stetig ist.

3.7 Singuläre Randwertprobleme

Wenn man die bisherigen Ergebnisse genauer analysiert, so stellt man fest, dass die Rolle der Nebenbe-dingungen im Wesentlichen darin besteht, einen Unterraum D von C(n) festzulegen, auf welchem dannder Operator L im Idealfall selbstadjungiert ist. In vielen wichtigen Anwendungen sind die Koe�zientenvon L lediglich auf dem o�enen Intervall (a, b) de�niert und stetig, und/oder der Koe�zient der höchstenAbleitung ist nur dort von 0 verschieden, so dass Lösungen im Allgemeinen nicht in den Randpunktende�niert sein werden. In diesen Fällen muss also an Stelle der Randbedingungen auf andere Weise fest-gelegt werden, wie D aussieht. Z. B. kann die entsprechende Randwertaufgabe so interpretiert werden,dass man Lösungen x sucht, die für t → a + 0 und t → b − 0 Grenzwerte besitzen, für welche danndie Randbedingungen gelten. Diese Interpretation ist auch sinnvoll, wenn a = −∞ und/oder b = ∞ist. Gelegentlich betrachtet man auch noch allgemeinere Randbedingungen, bei denen die Lösungen aneinem oder beiden Randpunkten wenigstens noch beschränkt sein sollen. Wir wollen solche singulärenRandwertprobleme hier nicht allgemein studieren und verweisen auf die einschlägige Literatur, etwa aufdas Buch von Coddington und Levinson [6]. Beispiele hierzu �nden sich auch im folgenden Abschnitt.

3.8 Weitere Beispiele

Wir betrachten folgende Beispiele, die in Anwendungen auf physikalische Probleme wichtig sind:

1. Etwas allgemeiner als in (3.1.1) betrachten wir die selbstadjungierte EWA

−mx′′ = λx , x(0) = x(`) = 0 .

Hierbei ist m > 0 die Masse eines schwingenden Systems, und ` > 0 hat die Bedeutung einer Länge.Um zu verstehen, was diese Aufgabe mit dem Schwingen einer Saite zu tun hat, muss man eigentlichdie Variable t in s umbenennen und als eine Ortsvariable au�assen. Eine Lösung beschreibt dann bisauf einen zeitabhängigen Faktor die �Momentaufnahme� der Saite zu einem beliebigen Zeitpunkt.

Wie am Anfang dieses Kapitels rechnet man nach, dass die Eigenwerte für diese EWA die Zahlenλk = m (kπ/`)2 mit k ∈ N sind. Die zugehörigen Eigenfunktionen sind, bis auf einen Normierungs-faktor, gleich xk(t) = sin(kπt/`), k ∈ N. Also sind die Eigenfunktionen, im Gegensatz zu den Eigen-werten, von m unabhängig! Aus Satz 3.5.1 ergibt sich die Vollständigkeit des OGS (sin(kπt/`)∞k=1

in L2(0, `).

2. Wir betrachten nun das leicht veränderte Problem

−mx′′ = λx , x′(0) = x′(`) = 0 .

Dies ist eine selbstadjungierte, aber nicht normalisierte Sturm-Liouvillesche EWA, und man rechnetnach, dass die Eigenwerte die Zahlen λk = m (kπ/`)2 sind, wobei jetzt allerdings auch k = 0 seinkann. Die zugehörigen Eigenfunktionen sind dann, abgesehen von der Normierung, gleich xk(t) =cos(kπt/`). Auch dieses System ist vollständig in L2(0, `).

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3. Wenn man in den ersten beiden Problemen ` = π setzt, erhält man die Vollständigkeit der Systeme(sin(kt))∞k=1 sowie (cos(kt))∞k=0 auf dem Intervall [0, π]. Da die Sinusfunktionen ungerade und dieKosinusfunktionen gerade sind, kann man jede ungerade Funktion aus L2(−π, π) durch eine Reihemit Sinusfunktionen darstellen, und jede gerade Funktion lässt sich in eine Reihe mit Kosinusfunk-tionen entwickeln. Daraus ergibt sich die Vollständigkeit des sogenannten trigonometrischen OGSin L2(−π, π), denn dieser Raum ist die orthogonale Summe der Unterräume aus den geraden bzw.ungeraden Funktionen.

4. Sei jetzt das Problem

−x′′ = λx , x(−π) = x(π) , x′(−π) = x′(π)

betrachtet, welches ebenfalls selbstadjungiert ist. Jetzt ist λ = 0 Eigenwert, und x(t) ≡ 1 istzugehörige Eigenfunktion. Die anderen Eigenwerte sind gleich λk = k2 mit k ∈ N, und hier gibt esimmer zwei linear unabhängige Eigenfunktionen, nämlich xk,1(t) = cos(kt) und xk,2(t) = sin(kt).Dies zeigt erneut die Vollständigkeit des trigonometrischen Systems in L2(−π, π).

5. Als Beispiel für singuläre EWA betrachten wir die Gleichung

Lx :=((1− t2)x′

)′= λx , −1 < t < 1 .

Hier ist der Koe�zient der zweiten Ableitung nur auf dem o�enen Intervall positiv, und daherkönnen Lösungen der Eigenwertgleichung Lx = λx unbeschränkt sein, wenn t → ±1 geht. Wennwir aber an Stelle der üblichen Randbedingungen den De�nitionsbereich D von L als die Mengealler auf (−1, 1) beschränkten und zweimal stetig di�erenzierbaren Funktionen festlegen, dann istL auf D selbstadjungiert, und daher sind auch hier alle Eigenwerte reell, und Eigenfunktionen zuverschiedenen Eigenwerten sind immer orthogonal. Nach Satz 1.4.3 sind alle Lösungen der EWA imEinheitskreis holomorph und können also durch einen Potenzreihenansatz x(t) =

∑xn t

n bestimmtwerden. Setzt man in die Gleichung ein, so führt der Koe�zientenvergleich auf die Rekursionsformel

xn+2 =n(n+ 1) + λ

(n+ 1) (n+ 2)xn ∀ n ∈ N0 .

Die ersten beiden Koe�zienten x0, x1 können dabei beliebig vorgegeben werden, während alle wei-teren xn eindeutig bestimmt sind. Für die Zahlen λm = −m(m + 1) sehen wir, dass wir immerein Polynom m-ten Grades als Lösung bekommen, da wir bei geradem, bzw. ungeradem m mitx0 = 1, x1 = 0 bzw. mit x0 = 0, x1 = 1 beginnen können. Da Polynome natürlich bei t = ±1beschränkt sind, sind also alle diese Zahlen Eigenwerte. Die zugehörigen polynomialen Eigenfunk-tionen heiÿen Legendresche Polynome. Da ein solches Orthogonalsystem von Polynomen immervollständig ist, folgt dass es keine weiteren Eigenwerte bzw. Eigenfunktionen mehr geben kann!

6. Analog zum letzten Beispiel betrachten wir noch zwei weitere Fälle singulärer EWA: Das Problem(mit einer Gewichtsfunktion) (

(1− t2)1/2 x′)′

= λ (1− t2)−1/2 x

hat für alle λn = −n2 ein Polynom n-ten Grades als Lösung. Diese Polynome sind die äuÿerstwichtigen Tschebysche�-Polynome, die neben ihrer Orthogonalität (bzgl. des gewichteten Skalar-produktes (3.6.3) mit der singulären Gewichtsfunktion ρ = (1−t2)−1/2) weitere sehr bemerkenswerteEigenschaften haben! Ein weiteres wichtiges Orthogonalsystem von Polynomen ist Lösung der EWA(

exp(−t2/2)x′)′

= λ exp(−t2/2)x

auf dem (unendlich langen) o�enen Intervall R = (−∞,∞). Hier sind die Eigenwerte λn = −n,und die zugehörigen Polynome sind nach Hermite benannt. In den beiden hier betrachteten Fällenwollen wir nicht genau untersuchen, ob es auÿer den angegebenen polynomialen Eigenfunktionennoch weitere gibt � beachte dass es nicht unmittelbar klar ist, ob auch in L2(ρ) mit den beidenangegebenen Gewichtsfunktionen der Unterraum der Polynome dicht liegt.

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Kapitel 4

Lineare Di�erentialgleichungen in der

komplexen Ebene

In diesem Kapitel soll untersucht werden, ob und wie explizit man Lösungen von linearen Di�erential-gleichungssystemen durch sogenannte Potenzreihenansätze berechnen kann. Dabei betrachten wir immerein Gebiet G ⊂ C und ein lineares homogenes Di�erentialgleichungssystem

x′ = A(z)x , z ∈ G , (4.0.1)

mit einer n × n-Matrix A(z), deren Elemente holomorphe Funktionen in G sind. Am Ende von Ab-schnitt 1.4 haben wir gesehen, dass zu beliebigen Anfangsdaten (z0, x0) mit z0 ∈ G und x0 ∈ Cn immereine eindeutig bestimmte Lösung x(z) mit x(z0) = x0 existiert, welche (mindestens) in der gröÿten o�enenKreisscheibe um z0, die noch ganz zu G gehört, holomorph ist, und die grundsätzlich durch einen Potenz-reihenansatz berechnet werden kann, wobei �grundsätzlich� heiÿen soll, dass man für die Koe�zientender Potenzreihe von x(z) eine Rekursionsformel erhält, in die die Koe�zienten der Entwicklung von A(z)eingehen. Meistens ist aber wichtig zu wissen, ob sich die Lösung in das ganze Gebiet fortsetzen lässt,und wie sich diese Lösung verhält, wenn die Variable z gegen einen Randpunkt des Gebietes strebt. Diessoll jetzt untersucht werden.

4.1 Analytische Fortsetzung von Lösungen

Der Begri� der analytischen Fortsetzung hat zunächst nichts mit Lösungen von Di�erentialgleichungenzu tun � wir werden aber sehen, dass man solche immer fortsetzen kann.

De�nition 4.1.1 (Fortsetzbarkeit) Gegeben sei eine holomorphe Funktion x(z), für z in einer Kreis-scheibe U0 = K(z0, r) ⊂ G, sowie eine Kurve γ in G mit Anfangspunkt z0 und Parameterdarstellungz(t), 0 ≤ t ≤ 1. Wir sagen, dass sich x(z) entlang γ (analytisch) fortsetzen lässt, wenn es eine ZerlegungZ = {0 = t0 < t1 < . . . < tN = 1} sowie Radien r0 = r, . . . , rN > 0 gibt, so dass folgendes gilt:

(a) Der Träger von γ wird von den Kreisscheiben Uj := K(z(tj), rj), 0 ≤ j ≤ N , überdeckt, und allediese Kreisscheiben liegen in G.

(b) Für jedes j = 0, . . . , N − 1 ist z(tj+1) ∈ Uj, also insbesondere ist Uj ∩ Uj+1 6= ∅.

(c) Für jedes j = 0, . . . , N gibt es eine Funktion x(z; j), die in Uj holomorph ist, mit x(z; 0) = x(z) inU0 und x(z; j + 1) = x(z; j) in Uj ∩ Uj+1 für alle j = 0, . . . , N − 1.

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Bemerkung 4.1.2 Seien x(z) und γ wie oben. Wenn x(z) bereits in einem Gebiet Gγ mit γ∗ ⊂ Gγholomorph ist, dann ist diese Funktion entlang γ fortsetzbar. Wenn umgekehrt x(z) entlang γ fortsetzbarist, und wenn die Kurve γ doppelpunktfrei und nicht geschlossen ist, dann ist Gγ := U0 ∪ . . . ∪ UN einTeilgebiet Gγ ⊂ G, welches den Träger γ∗ von γ enthält, und in welchem es eine holomorphe Funktiongibt, die wir der Einfachheit halber wieder mit x(z) bezeichnen, so dass x(z) = x(z; j) für z ∈ Gγ ∩ Ujist, für alle j = 0, . . . , N . Beachte aber, dass im Allgemeinen dies nicht so sein muss � siehe dazu dasunten stehende Beispiel.

Wenn x(z) entlang γ fortsetzbar ist, dann kann man prinzipiell die Fortsetzung durch das sogenannteKreiskettenverfahren berechnen. Vergleiche hierzu Aufgabe 4.1.4.

Wenn x(z) eine Lösung von (4.0.1) ist, folgt aus dem Nullstellensatz für holomorphe Funktionen, dassalle x(z; j) für z ∈ Uj Lösungen von (4.0.1) sind, da ja x′(z; 0)− A(z)x(z; 0) = 0 in U0 ist, und darausfolgt mit (c) induktiv x′(z; j)−A(z)x(z; j) = 0 in Uj für j = 1, . . . , N .

Beispiel 4.1.3 Sei n = 2. Das System x′1 = 0, x′2 = z−1 x1 in G = C \ {0} hat die Lösung x(z) =(1, log z)T . Wenn γ der positiv orientierte Einheitskreis mit Anfangs- und Endpunkt 1 ist, dann lässt sichdiese Lösung, bei beliebiger Wahl von log 1, entlang γ analytisch fortsetzen, aber der Wert der Lösungam Endpunkt stimmt nicht mit dem am Anfangspunkt überein. Daher ist es nicht möglich, ein GebietGγ ⊂ G so zu bestimmen, dass γ∗ ⊂ Gγ ist und in welchem x(z) holomorph ist.

Aufgabe 4.1.4 (Kreiskettenverfahren) Mit den Bezeichnungen aus De�nition 4.1.1 sei x(z) entlangγ fortsetzbar. Dann kann man x(z) um z0 in seine Potenzreihe entwickeln, und diese konvergiert mindes-tens in U0. Zeige: Aus dieser Potenzreihe kann man prinzipiell alle Potenzreihen der Funktionen x(z; j)um den Entwicklungspunkt z(tj) bestimmen.

Satz 4.1.5 Sei x(z) eine Lösung von (4.0.1), für z in einer Kreisscheibe U0 = K(z0, r) ⊂ G. Dann lässtsich x(z) entlang jeder Kurve γ mit Anfangspunkt z0 und γ∗ ∈ G holomorph fortsetzen.

Beweis: Der Träger γ∗ ist eine kompakte Teilmenge von G, und daher existiert ein r0 > 0 so, dass fürjedes z ∈ γ∗ gilt K(z, r0) ⊂ G. Sei o. B. d. A. r0 ≤ r angenommen, so dass x(z) in U0 := K(z0, r0)holomorph ist. Falls γ∗ ⊂ U0 ist, ist nichts zu zeigen. Im anderen Fall sei z(t), 0 ≤ t ≤ 1, eine Pa-rameterdarstellung von γ. Dann ist z(t) auf [0, 1] gleichmäÿig stetig, und daher existiert ein δ > 0 so,dass aus |t − τ | < δ stets |z(t) − z(τ)| < r0/2 folgt. Sei jetzt t1 := inf{t ∈ (0, 1] : z(t) 6∈ K(z0, r0/2)}.Dann folgt für z1 := z(t1) dass |z1 − z0| = r0/2 ist. Also ist z1 ∈ U0, und t1 ≥ δ. In U1 := K(z(t1), r0)gibt es wegen Abschnitt 1.4 genau eine Lösung x(z; 1) von (4.0.1) mit x(z1; 1) = x(z1), und wegen derEindeutigkeit solcher Lösungen folgt x(z; 1) = x(z) in U0 ∩ U1. Falls γ∗ ⊂ U0 ∪ U1 ist, sind wir fertig.Andernfalls sei t2 := inf{t ∈ (t1, 1] : z(t) 6∈ K(z1, r0/2)} > t1, und dann folgt für z2 := z(t2) wie obendass |z2 − z1| = r0/2 ist. Also ist z2 ∈ U1, und t2 ≥ t1 + δ. In U2 := K(z(t2), r/2) gibt es genau eineLösung x(z; 2) von (4.0.1) mit x(z2; 2) = x(z2; 1), und es folgt x(z; 2) = x(z; 1) in U1∩U2. Setzt man dieseÜberlegung fort, folgt nach endlich vielen Schritten die Behauptung, da dann der Fall γ∗ ⊂ U0 ∪ . . .∪UNeintreten muss. 2

Einerseits lassen sich nach dem vorangegangenen Satz Lösungen von (4.0.1) entlang beliebiger Kurvenfortsetzen, andererseits kann diese Fortsetzung, wie im obigen Beispiel, von der Wahl der Kurve und nichtnur von deren Endpunkt abhängen. Daher kann man im Allgemeinen nicht davon ausgehen, dass jedeLösung x(z) von (4.0.1) in dem ganzen Gebiet G holomorph ist. Dies ist aber richtig, wenn G einfachzusammenhängend ist, was sich aus dem nächsten Satz ergeben wird. Dazu benutzen wir folgende

De�nition 4.1.6 (Homotope Kurven) Seien γ1, γ2 Kurven in einem Gebiet G ⊂ C. Wir nennenγ1, γ2 zueinander homotop, falls es eine auf dem Quadrat [0, 1]2 stetige Funktion z(t, s) mit Werten in Ggibt, so dass z(t, 0) bzw. z(t, 1) Parameterdarstellung von γ1 bzw. γ2 ist, und dass z(0, s) ≡ z0 und z(1, s) ≡

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z1 ist, für alle s ∈ [0, 1]. O�enbar haben homotope Kurven also immer einen gemeinsamen Anfangs- bzw.Endpunkt, nämlich z0 bzw. z1. Ein Gebiet G, in welchem zwei Kurven γ1, γ2 mit gemeinsamem Anfangs-und Endpunkt immer homotop sind, heiÿt einfach zusammenhängend.

Aufgabe 4.1.7 Zeige dass G = C \ {0} nicht einfach zusammenhängend ist.

Satz 4.1.8 (Monodromiesatz) Sei x(z) eine in U0 = K(z0, r) ⊂ G de�nierte Lösung von (4.0.1), undseien γ1, γ2 zwei zueinander homotope Kurven in G mit Anfangspunkt z0 und Endpunkt z1. Wenn wirmit x1(z) bzw. x2(z) die analytischen Fortsetzungen von x(z) entlang γ1 bzw. γ2 bezeichnen, dann istx1(z1) = x2(z1).

Beweis: Wenn z(t, s) die in der Homotopie-De�nition genannten Eigenschaften hat, dann ist die Bild-menge dieser Funktion kompakt in G, und daher gibt es ein r0 > 0 so, dass Ut,s := K(z(t, s), r0) ⊂ Gist für alle s, t ∈ [0, 1]. Auÿerdem gibt es wegen der gleichmäÿigen Stetigkeit von z(t, s) ein δ > 0 derart,dass aus |t−τ |+ |s−σ| < δ folgt dass |z(t, s)−z(τ, σ)| < r0 ist. Für (festes) s0 ∈ [0, 1] sei γ(s0) die Kurvein G mit Parameterdarstellung x(t, s0), 0 ≤ t ≤ 1, also ist γ(0) = γ1 und γ(1) = γ2. Wegen Satz 4.1.5kann x(z) entlang γ(s0) bis zum Punkt z1 fortgesetzt werden, und daraus folgt dass es zu jedem t ∈ [0, 1]eine Funktion x(z; t, s0) gibt, welche in Ut,s0 holomorph ist, und für die gilt: Für 0 ≤ t ≤ τ < t + δ giltx(z; t, s0) = x(z; τ, s0) in Ut,s0 ∩Uτ,s0 . Sei jetzt s ∈ (s0− δ, s0 + δ)∩ [0, 1]. Dann wird der Träger von γ(s)von den Kugeln Ut,s0 überdeckt, und hieraus folgt dass x(z; t, s) = x(z; t, s0) in Ut,s ∩ Ut,s0 ist, für allet ∈ [0, 1]. Das bedeutet dass x(z; 1, s) für die betrachteten Werte von s und z ∈ U1,s nicht von s abhängenkann, und da s0 beliebig aus [0, 1] gewählt war, folgt die Behauptung. 2

Bemerkung 4.1.9 Der letzte Satz gilt allgemeiner für eine beliebige Funktion x(z), welche in U0 =K(z0, r) ⊂ G holomorph und entlang jeder Kurve in G fortsetzbar ist. Vergleiche hierzu das Buch von L.V. Ahlfors [1]. Beachte, dass die Aussage des Satzes im Allgemeinen falsch wird, wenn die beiden Kurvennicht zueinander homotop sind.

Korollar zu Satz 4.1.8 Wenn das Gebiet G einfach zusammenhängend ist, ist jede Lösung von (4.0.1)in ganz G holomorph.

4.2 Singuläre Punkte

In diesem Abschnitt setzen wir voraus, dass es einen Punkt z0 6∈ G gibt, derart dass für hinreichendkleines ρ > 0 gilt U ′ρ(z0) := {z : 0 < |z − z0| < ρ} ⊂ G. Wir wollen auch z0 = ∞ zulassen, und indiesem Fall soll es ein R > 0 geben, so dass {|z| > R} ⊂ G ist. In beiden Fällen ist also z0 eine isolierteSingularität der Koe�zientenmatrix A(z).

Aufgabe 4.2.1 Sei 0 6∈ G, sei w = 1/z, und sei z0 = ∞ isolierte Singularität von A(z). Zeige: Genaudann ist x(z) eine Lösung von (4.0.1), wenn der Vektor x(w) = x(1/w) eine Lösung des Systems

x′ :=d

dwx = A(w) x , A(w) = −w−2A(1/w) (4.2.1)

ist. Wenn A(z) sich bei z =∞ wie zr−1 verhält, dann verhält sich also A(w) bei w = 0 wie w−r−1. DieseTatsache erklärt die unten folgende De�nition des Poincaréschen Ranges eines singulären Punktes.

De�nition 4.2.2 Sei z0 eine endliche isolierte Singularität von A(z), sei ρ > 0 wie oben, und sei X(z)ein Fundamentalsystem von (4.0.1), für z in einer kleinen Kreisscheibe U := K(z1, ρ1), mit ρ1 > 0

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und 0 < r1 := |z1 − z0| < ρ. Dann kann man X(z) entlang des positiv orientierten Kreises um z0mit Radius r1 analytisch fortsetzen, und die am Endpunkt der Kreises erhaltene Matrix soll mit X(z; 1)bezeichnet sein. Wegen der Wronski-Identität ist auch X(z; 1) noch immer ein Fundamentalsystem von(4.0.1), aber einfache Beispiele zeigen, dass i. A. X(z; 1) 6= X(z) ist. In jedem Fall gibt es aber einekonstante invertierbare Matrix C, für welche X(z; 1) = X(z)C ist. Da 0 kein Eigenwert von C ist, gibtes eine weitere Matrix M := (2πi)−1 logC, und wir nennen M auch Monodromiematrix. Entsprechendde�nieren wir diesen Begri� auch im Fall z0 =∞.

Bemerkung 4.2.3 Wenn M eine Monodromiematrix eines Fundamentalsystems X(z) ist, setzen wir

zM = elog zM ∀ z ∈ C \ {0} .

Wenn man diese Matrix, für einen fest gewählten Zweig von log z = log |z|+ i arg z, entlang eines positivorientierten Kreises um 0 fortsetzt, erhöht sich der Wert von arg z um 2π, und wir erhalten daher amEndpunkt als neuen Funktionszweig die Matrix zM e2πiM = zM C. Daraus folgt, dass sich die MatrixS(z) = X(z) (z − z0)−M bei Fortsetzung um z0 herum nicht ändert. Anders ausgedrückt heiÿt das, dassS(z) im Punkt z0 eine isolierte Singularität hat, und sich deshalb in eine Laurentreihe entwickeln lässt.Wir erhalten also eine Darstellung

X(z) =( ∞∑

j=−∞(z − z0)j Sj

)(z − z0)M (0 < |z − z0| < ρ) ,

aber die Matrix M und die Koe�zienten Sj der Laurentreihe sind nicht direkt berechenbar. Auÿerdembietet diese Darstellungsformel im Allgemeinen keine Möglichkeit, das Verhalten von X(z) bzw. S(z) fürz → z0 zu studieren.

Aufgabe 4.2.4 Seien X(z), M , S(z) wie in der letzen Bemerkung. Zeige

S′(z) = A(z)S(z) − (z − z0)−1 S(z)M (0 < |z − z0| < ρ) .

Das bedeutet, dass die Matrix S(z) ein lineares Dgls der Dimension n2 löst.

Wir wollen bei unseren weiteren Untersuchungen den Fall, dass wenigstens ein Element von A(z) im Punktz0 eine wesentliche Singularität hat, nicht betrachten, da über solche Systeme relativ wenig bekannt ist,und da sie auch in den Anwendungen selten vorkommen!

De�nition 4.2.5 (Poincaré-Rang) Falls z0 ∈ C keine wesentliche Singularität von A(z) = [ajk(z)]ist, d. h. genauer, falls alle Elemente ajk(z) in z0 höchstens eine Polstelle haben, dann nennen wir z0einen singulären Punkt des Dgls (4.0.1). Die kleinste nicht-negative Zahl r, für welche alle ajk(z) inz0 Pole höchstens der Ordnung r + 1 haben, heiÿt dann der Poincarésche Rang des singulären Punktes.O�enbar ist dann r ∈ N0. Falls r = 0 ist, dann sprechen wir auch von einer Singularität erster Art, undin jedem anderen Fall heiÿt die Stelle Singularität zweiter Art. Wenn alle Lösungen von (4.0.1) höchstensso schnell wie eine Potenz von (z−z0)−1 anwachsen, wenn z → z0 strebt und arg(z−z0) beschränkt bleibt,dann nennt man z0 einen regulär-singulären Punkt oder eine reguläre Singularität. Wenn {|z| > R} ⊂ Gfür hinreichend groÿes R > 0 ist, dann nennen wir z0 =∞ eine Singularität erster bzw. zweiter Art bzw.eine reguläre Singularität, falls der Nullpunkt eine entsprechende Singularität für das System (4.2.1) ist.Falls A(z) eine rationale Funktion ist, und falls alle Polstellen sowie auch ∞ Singularitäten erster Artsind, dann heiÿt (4.0.1) ein Fuchssches System.

Aufgabe 4.2.6 Zeige dass z0 = ∞ genau dann eine Singularität erster Art von (4.0.1) ist, wenn sichA(z) auÿerhalb einer groÿen Kreisscheibe um den Nullpunkt in eine Laurentreihe entwickeln lässt, welchenur negative Potenzen von z enthält. Dies ist äquivalent dazu, dass A(z) auÿerhalb dieser Kreisscheibe

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holomorph ist und gegen 0 konvergiert, wenn z → ∞ geht. Verwende dies um zu zeigen, dass (4.0.1)genau dann ein Fuchssches System ist, wenn

A(z) =

m∑j=1

(z − zj)−1 Aj

ist, mit verschiedenen Zahlen z1, . . . , zm ∈ C und beliebigen n-reihigen quadratischen Matrizen Aj. Über-lege, warum es sinnvoll ist, den Punkt z =∞ einen regulären, d. h., einen nicht-singulären, Punkt einesFuchsschen Systems zu nennen, falls gilt A1 + . . .+Am = 0.

Aufgabe 4.2.7 Zeige: Zu jedem regulär-singulären Punkt z0 ∈ C von (4.0.1) gibt es mindestens einenLösungsvektor der Form

x(z) = s(z) (z − z0)µ ,

mit einer Zahl µ ∈ C und einem Vektor s(z), dessen Einträge in z0 holomorph sind.

Im Folgenden wollen wir der Einfachheit halber immer den singulären Punkt z0 = 0 untersuchen. Jederandere Fall kann durch eine Substitution der Variablen z auf diese Situation zurückgeführt werden. Indiesem Fall können wir die Koe�zientenmatrix A(z) in eine Laurentreihe um z0 = 0 entwickeln, und wirschreiben diese Entwicklung in der Form

zr+1A(z) =

∞∑j=0

zj Aj ∀ z ∈ Uρ , (4.2.2)

wobei im Fall r ≥ 1 immer A0 6= 0 gilt. Wir können im Grunde dasselbe auch für r = 0 annehmen, dasonst der Nullpunkt keine Singularität des Systems ist. Dies spielt aber im Folgenden keine Rolle.

Aufgabe 4.2.8 (Skalare Di�erentialgleichungen erster Ordnung) Sei n = 1, also (4.0.1) eineskalare Di�erentialgleichung erster Ordnung, und sei z0 = 0 ein singulärer Punkt vom Poincaré-Rangr. Zeige: Dann gibt es eine eindeutig bestimmte Lösung der Form

X(z) = F (z) zL eQ(1/z) (0 < |z| < ρ) , (4.2.3)

mit einem Polynom Q(z) mit Q(0) = 0 und Grad Q(z) = r falls r ≥ 1 ist, einer Zahl L ∈ C, undeiner in Uρ holomorphen Funktion F (z) mit F (0) = 1 � beachte aber, dass der Term zL = eL log z einemehrdeutige Funktion in Uρ ist, was heiÿen soll, dass wir für ein z zuerst einen Zweig von log z festlegenmüssen, bevor X(z) eindeutig de�niert ist. Zeige weiter, dass auch für allgemeines n eine solche Lösungexistiert, falls alle Matrizen Aj miteinander kommutieren, wobei dann allerdings F (z), Q(z), L Matrizensind, die ebenfalls miteinander kommutieren. In diesen Fällen ist also z0 = 0 genau dann eine reguläreSingularität, wenn r = 0 ist. Im Allgemeinen werden wir sehen dass aus r = 0 folgt, dass eine reguläreSingularität vorliegt, während die Umkehrung nicht gilt.

Aufgabe 4.2.9 Sei r ∈ N. Zeige dass das System

x′ =

[0 0

z−r−1 0

]x

im Nullpunkt zwar den Poincaréschen Rang r, aber eine reguläre Singularität hat.

4.3 Singularitäten erster Art

Im Folgenden sei immer ein System (4.0.1) mit einer Singularität erster Art im Punkt z0 = 0 betrachtet,und die Matrix A(z) sei wie in (4.2.2) entwickelt, wobei natürlich r = 0 zu setzen ist.

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De�nition 4.3.1 Wir sagen, dass A0 die Eigenwertbedingung erfüllt, wenn für zwei beliebige Eigenwerteµ und ν von A0 die Di�erenz µ−ν niemals eine natürliche Zahl ist. Anders ausgedrückt heiÿt das: Wennfür zwei Eigenwerte µ und ν von A0 gilt µ− ν ∈ Z, dann folgt µ = ν.

Aufgabe 4.3.2 Seien A und B zwei quadratische Matrizen, nicht notwendigerweise von gleicher Gröÿe,und so, dass sie keinen Eigenwert gemeinsam haben. Zeige dass die Matrixgleichung

AX − X B = C (4.3.1)

für jede Matrix C von passender Gröÿe immer eine eindeutig bestimmte Lösung X hat.

Satz 4.3.3 Wenn A0 die Eigenwertbedingung erfüllt, dann gibt es genau ein Fundamentalsystem von(4.0.1) der Form

X(z) =( ∞∑

j=0

zj Fj

)zA0 (0 < |z| < ρ) , (4.3.2)

wobei F0 = I ist und die übrigen Koe�zienten aus den Gleichungen

Fj (A0 + j I) − A0 Fj =

j∑k=1

Ak Fj−k ∀ j ∈ N (4.3.3)

rekursiv berechnet werden können.

Beweis: Wenn X(z) die behauptete Form hat, dann ist

z X ′(z) =( ∞∑

j=0

zj Fj(A0 + j I

) )zA0 .

Ein Koe�zientenvergleich zeigt dass X(z) genau dann eine Lösung von (4.0.1) ist, wenn die Koe�zientenFj die Gleichungen

Fj(A0 + j I

)=

j∑k=0

Ak Fj−k ∀ j ∈ N0

erfüllen. Für j = 0 und F0 = I ist dies richtig, und die übrigen Gleichungen sind äquivalent zu (4.3.3).Wegen Aufgabe 4.3.2 und der Eigenwertbedingung sind hieraus die Fj für j ≥ 1 eindeutig berechenbar.Dies bedeutet, dass eine formale Lösung der behaupteten Form existiert, da wir noch nicht gezeigt haben,dass die Potenzreihe in Uρ konvergiert. Um dies zu tun, gehen wir folgendermaÿen vor: Wir teilen beideSeiten von (4.3.3) durch j und erkennen so, dass die Matrix Fj Lösung eines linearen Gleichungssystemsist, dessen Koe�zientenmatrix (der Gröÿe n2) eine beschränkte Funktion von j ist und sogar gegen dieEinheitsmatrix konvergiert, wenn j →∞ geht. Also geht die Determinante der Koe�zientenmatrix gegen1 für j → ∞, und mit der Cramerschen Darstellung für die inverse Matrix folgt, dass auch diese einebeschränkte Funktion von j ist. Daraus folgt die Abschätzung

‖Fj‖ ≤ j−1 C

j∑k=1

‖Ak‖ ‖Fj−k‖ ∀ j ∈ N1 ,

mit einer hinreichend groÿen Konstanten C > 0. Wenn wir c0 = ‖F0‖ setzen und weiter de�nieren

cj := j−1 C

j∑k=1

‖Ak‖ cj−k ∀ j ∈ N1 ,

dann folgt induktiv ‖Fj‖ ≤ cj für j ≥ 0. Mit c(t) :=∑∞

0 cj tj und a(t) := C

∑∞1 ‖Aj‖ tj−1 folgt hieraus

(formal) die Di�erentialgleichung c′(t) = a(t) c(t). Aus der Konvergenz von (4.2.2) für |z| < ρ folgt

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die Konvergenz der Reihe a(t) für |t| < ρ. Also ist a(t) in Uρ holomorph, und die Di�erentialgleichungc′(t) = a(t) c(t) hat die Lösung

c(t) = c0 exp( ∫ t

0

a(τ) dτ).

Diese Lösung c(t) ist ebenfalls in Uρ holomorph, und durch Koe�zientenvergleich folgt, dass die Potenz-reihe für diese Funktion gleich der Reihe

∑∞0 cj t

j sein muss. Daraus folgt die Konvergenz der Reihe F (z)für |z| < ρ. Die Tatsache, dass X(z) ein Fundamentalsystem ist, folgt da die Determinante nicht identischverschwindet. 2

Wir betrachten jetzt den allgemeinen Fall eines Systems mit einer Singularität erster Art im Nullpunkt.Dabei wollen wir sagen dass bei einer (unteren) Dreiecksmatrix M die Eigenwerte (also die Diagonalele-mente) modulo 1 gruppiert sind, wenn diejenigen Eigenwerte, deren Di�erenzen ganzzahlig sind, unmittel-bar hintereinander stehen, und wenn innerhalb einer Gruppe solcher Eigenwerte deren Realteile monotonwachsen. Falls M die Eigenwertbedingung erfüllt, bedeutet dies lediglich, dass die gleichen unter denDiagonalelementen unmittelbar hintereinander angeordnet sind.

Satz 4.3.4 Bei beliebigem A0 gibt es ein Fundamentalsystem von (4.0.1) der Form

X(z) =( ∞∑

j=0

zj Fj

)zK zM (0 < |z| < ρ) . (4.3.4)

Dabei ist F0 invertierbar, die Matrix M erfüllt die Eigenwertbedingung und ist eine untere Dreiecksma-trix mit modulo 1 gruppierten Eigenwerten, und K ist eine Diagonalmatrix mit monoton wachsendenganzzahligen Diagonalelementen.

Beweis: Wenn wir x = F (z) y in (4.0.1) einsetzen, wobei F (z) eine in Uρ holomorphe Matrix ist, derenDeterminante dort keine Nullstellen hat, so ist x(z) genau dann eine Lösung, wenn y(z) das transformierteSystem

y′ = B(z) y , B(z) = F−1(z)(A(z)F (z) − F ′(z)

)löst. Anders geschrieben ergibt das folgendes Di�erentialgleichungssystem für die TransformationsmatrixF (z):

F ′(z) = A(z)F (z) − F (z)B(z) , (4.3.5)

wobei allerdings auch die Matrix B(z) zunächst unbekannt ist. Jedenfalls hat auch die Matrix B(z) imNullpunkt einen Pol erster Ordnung. Wenn wir die Matrizen F (z), z A(z) und z B(z) in Potenzreihenum den Nullpunkt entwickeln und in (4.3.5) einsetzen, erhalten wir durch Koe�zientenvergleich dieBeziehungen

j Fj =

j∑k=0

(Aj−k Fk − Fk Bj−k

)∀ j ∈ N0 .

Da F0 = F (0) invertierbar ist, folgt für j = 0 dass die Matrix B0 zu A0 ähnlich sein muss. Wir könnendaher B0 als Jordansche Normalform von A0 mit modulo 1 gruppierten Eigenwerten wählen, und dieMatrix F0 ist dann eine entsprechende Transformationsmatrix. Für die weiteren Überlegungen wollen wirder Einfachheit halber annehmen, dass A0 selbst bereits in dieser Normalform vorliegt, und wir könnendann F0 = I setzen. Die verbleibenden Gleichungen schreiben wir dann in der Form

Fj (A0 + j I) − A0 Fj = Aj − Bj +

j−1∑k=1

(Aj−k Fk − Fk Bj−k

)∀ j ∈ N . (4.3.6)

Die Matrix A0 ist eine direkte Summe aus Blöcken A1(0), . . . , As(0), wobei jeder Block Aν(0) eineneinzigen Eigenwert λν hat, und alle λ1, . . . , λs sind verschieden. Wenn wir die Matrizen Fj , Aj und Bj in

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entsprechend groÿe Blöcke einteilen und diese mit Fνµ(j) etc. bezeichnen, dann folgt aus (4.3.6) für allej ∈ N und 1 ≤ ν, µ ≤ s

Fνµ(j) (Aµ(0) + j I) − Aν(0)Fνµ(j) = −Bνµ(j) + Hνµ(j) ,

wobei der Block Hνµ(j) nur von Matrizen Fk und Bk mit Index k < j abhängt und somit für die weiterenÜberlegungen als bekannt angesehen werden kann. Wenn λµ + j 6= λν ist, kann diese Gleichung füreine beliebige Wahl von Bνµ(j) eindeutig nach Fνµ(j) aufgelöst werden, und wir wählen in diesem Falleinfach Bνµ(j) = 0. Falls dies nicht so ist, wählen wir dagegen Fνµ(j) = 0 und lösen die Gleichungnach Bνµ(j) auf. Auf diese Weise erhalten wir eindeutig bestimmte Koe�zienten Fj und Bj , für welche(4.3.6) gilt. Für jedes Paar von Indizes µ und ν gibt es höchstens ein j ∈ N mit λµ + j = λν , und zwarwegen der gewählten Anordnung der Eigenwerte von A0 höchstens dann, wenn ν > µ ist. Daher sind nurendlich viele der Matrizen Bj 6= 0, und ein Block in Position (ν, µ) ist nur für ein einziges j nicht-trivial.Wenn man dies beachtet, sieht man, dass das transformierte Di�erentialgleichungssystem y′ = B(z) yeine Fundamentallösung Y (z) = zK zM hat, mit M und K wie im Satz beschrieben � vergleiche dazuauch Aufgabe 4.3.5. Auÿerdem kann man durch eine Abschätzung wie im Beweis des vorangegangenenSatzes zeigen, dass die Potenzreihe F (z) für |z| < ρ konvergiert. Damit ist alles gezeigt. 2

Aufgabe 4.3.5 Seien K und M Matrizen der im letzten Satz beschriebenen Form. Zeige (zK zM )′ =z−1 (K + zKM z−K) und benutze dies um zu beweisen, dass das System y′ = B(z) y eine Fundamental-lösung der Form Y (z) = zK zM hat.

4.4 Skalare Gleichungen höherer Ordnung

Einerseits kann man zwar Gleichungen höherer Ordnung immer in ein System umschreiben, andererseitsist aber die Berechnung von Lösungen meist einfacher, wenn man dies nicht tut. Aus diesem Grund, undweil viele für die Anwendungen wichtige Gleichungen ohnehin von dieser Art sind, untersuchen wir jetztDi�erentialgleichungen n-ter Ordnung der Form

an(z) y(n) + . . .+ a1(z) y′ + a0(z) y = 0 (z ∈ G) , (4.4.1)

wobei G ⊂ C ein einfach zusammenhängendes Gebiet ist und die Koe�zientenfunktionen aj(z) in G ho-lomorph sind. Wir setzen weiter voraus, dass der höchste Koe�zient an(z) nicht identisch verschwindet,da wir sonst n erniedrigen könnten. Da man diese Di�erentialgleichung eigentlich durch an(z) dividierensollte, sind die Nullstellen dieser Funktion gerade die singulären Punkte der Gleichung. Ist z0 eine die-ser Nullstellen, so können wir weiter annehmen, dass nicht alle der übrigen Koe�zienten ebenfalls dieNullstelle z0 haben, da man sonst die Gleichung durch z − z0 teilen könnte.

Wenn man die Gleichung (4.4.1) in der üblichen Weise in ein System umschreibt, dann hat dieses Systemgenau dann eine Sigularität erster Art im Punkt z0, wenn die Funktionen aj(z)/an(z) dort eine Polstellehöchstens erster Ordnung haben. Wie wir unten sehen werden, gibt es aber eine bessere Art, eine Glei-chung in ein äquivalentes System zu verwandeln, welches auch dann eine Singularität erster Art hat, wenndie Polordnungen von aj(z)/an(z) gröÿer sind. Dies wird in der folgenden De�nition vorweggenommen.

De�nition 4.4.1 Für eine Gleichung der obigen Form heiÿt z0 eine Singularität erster Art, wenn füralle j = 0, . . . , n−1 die Funktionen aj(z)/an(z) im Punkt z0 eine Polstelle höchstens (n−j)-ter Ordnunghaben. Für G = C verwenden wir dieselbe Bezeichnung für z0 = ∞, falls für alle j = 0, . . . , n − 1die Funktionen aj(z)/an(z) für z → ∞ eine Nullstelle mindestens (n − j)-ter Ordnung haben. WennG = C ist, und wenn alle singulären Funkte einschlieÿlich ∞ Singularitäten erster Art sind, dann heiÿtdie Gleichung vom Fuchsschen Typ. Wie im Fall eines Systems nennen wir z0 ∈ C bzw. z0 = ∞ einenregulär-singulären Punkt oder reguläre Singularität, wenn alle Lösungen für z → z0 nicht schneller alseine Potenz von (z − z0)−1 bzw. von z anwachsen.

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Bemerkung 4.4.2 Sei z0 = 0 eine Singularität erster Art von (4.4.1), und sei xj(z) := zj−1 y(j−1)(z)für j = 1, . . . , n. Dann ist x′j(z) = z−1 ((j − 1)xj(z) + xj+1(z). Wenn y(z) eine Lösung von (4.4.1) ist,dann ist speziell

x′n(z) = z−1 ((n− 1)xn(z) +

n∑j=1

zn−j aj−1(z)

an(z)xj(z) .

Daher ist die skalare Gleichung (4.4.1) äquivalent zu einem homogenen linearen System für den Vektorx(z) := (x1(z), . . . , xn(z))T , dessen Koe�zientenmatrix im Nullpunkt einen Pol erster Ordnung hat. Dieserklärt die obige Bezeichnung der endlichen Singularitäten von (4.4.1). Den Fall z0 =∞ kann man durchSubstitution w = 1/z auf w0 = 0 zurückführen.

Satz 4.4.3 Genau dann ist (4.4.1) vom Fuchsschen Typ, wenn es endlich viele z1, . . . , zm ∈ C gibt, sodass gilt

an−j(z)

an(z)=

pj(z)

(z − z1)j · . . . · (z − zm)j∀ j = 1, . . . , n ,

mit Polynomen pj(z) vom Grad höchstens gleich (m− 1) j.

Beweis: Seien bj(z) := an−j(z)/an(z). Falls die Gleichung vom Fuchsschen Typ ist, dann sind dieseFunktionen in C meromorph und beschränkt und können deshalb nur endlich viele Polstellen haben.Wenn wir diese mit z1, . . . , zm bezeichnen, sind diese gerade die endlichen singulären Stellen erster Art derGleichung, und deshalb folgt dass die Funktionen bj(z) (z−z1)j · . . . ·(z−zm)j nur hebbare Singularitätenin C und bei ∞ höchstens Pole haben. Also sind diese Funktionen Polynome, und da auch ∞ eineSingularität erster Art sein soll, folgt dass der Grad dieser Polynome maximal gleich (m− 1) j sein kann.Also gilt eine Richtung der Behauptung, und die Rückrichtung folgt ebenfalls mit der De�nition dersingulären Stellen erster Art. 2

4.5 Die Frobenius-Methode

In diesem Abschnitt wollen wir sehen, wie man in einer Umgebung einer Singularität erster Art einFundamentalsystem von (4.0.1) berechnen kann. Dabei nehmen wir der Einfachheit halber an, dass derbetrachtete regulär-singuläre Punkt der Gleichung der Nullpunkt ist. In diesem Fall kann man (4.0.1)immer in der folgenden Form schreiben:

P (z, d/dz) y = 0 , P (z, d/dz) := zndn

dzn+

n−1∑k=0

bk(z) zkdk

dzk, (4.5.1)

wobei die Funktionen bk(z) in einer Kreisscheibe Uρ um den Nullpunkt holomorph sind. Die im Folgendendargestellte Methode zur Berechnung eines Fundamentalsystems für (4.5.1) geht auf F. G. Frobeniuszurück.

Sei µ ∈ C ein komplexer Parameter, und sei y(z;µ) =∑∞

0 yj(µ) zj+µ eine Potenzreihe mit beliebigenKoe�zientenfunktionen yj(µ). Wenn wir bk(z) =

∑∞0 bk,j z

j für k = 0, . . . , n− 1 setzen, dann ist

P (z, d/dz) y(z;µ) =

∞∑j=0

zj+µ{p(j + µ) yj(µ) +

n−1∑k=0

j−1∑m=0

pk(µ+m) bk,j−m ym(µ)},

mit pk(ν) = ν (ν − 1) · . . . · (ν − k + 1), und

p(ν) = pn(ν) +

n−1∑k=0

pk(ν) bk,0 . (4.5.2)

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Unser erstes Ziel ist es, die Koe�zientenfunktionen yj(µ) so zu bestimmen, dass P (z, d/dz) y(z;µ) =p(µ) y0(µ) zµ ist. Dies gilt genau dann, wenn wir y0(µ) beliebig wählen und die übrigen Funktionenrekursiv durch die Gleichungen

yj(µ) =−1

p(j + µ)

n−1∑k=0

j−1∑m=0

pk(µ+m) bk,j−m ym(µ) ∀ j ∈ N

bestimmen. Wenn wir z. B. für y0(µ) ein beliebiges Polynom wählen, dann sind alle yj(µ) rationaleFunktionen in µ, mit potentiellen Polen höchstens an den Stellen, an denen p(j+µ) = 0 ist für ein j ∈ N.Da p(µ) ein normiertes Polynom n-ten Grades ist, kann es höchstens n Nullstellen haben � allerdings gibtes für jede Nullstelle µ0 abzählbar unendlich viele potentielle Polstellen, nämlich die Zahlen µ = µ0 − jmit j ∈ N. Die Gesamtmenge aller potentiellen Polstellen ist somit eine diskrete Teilmenge von C.Wie in Abschnitt 4.3 kann man zeigen, dass die Potenzreihe y(z;µ) für jedes feste µ, welches keinedieser Polstellen ist, in der Kreisscheibe Uρ konvergiert. Auÿerdem ist y(z;µ) beliebig oft nach µ partielldi�erenzierbar, und die Di�erentiationen nach µ und z sind von der Reihenfolge unabhängig. Daher folgenaus P (z, d/dz) y(z;µ) = p(µ) y0(µ) zµ mit der Leibnizregel für Ableitungen die Gleichungen

P (z, d/dz)∂ν

∂ µνy(z;µ) = zµ

ν∑m=0

m

)(p(µ) y0(µ)

)(ν−m)(log z)ν ∀ ν ∈ N0 . (4.5.3)

Zur Berechnung eines Fundamentalsystems für (4.5.1) wollen wir nun y0(µ), ν und µ so wählen, dass dierechte Seite von (4.5.3) verschwindet. Dazu unterscheiden wir folgende beiden Fälle:

1. Sei µ0 eine Nullstelle von p(µ) der Vielfachheit s0, und sei p(µ0+j) 6= 0 für j ∈ N. Beachte, dass dieseAnnahme für mindestens eine Nullstelle von p(µ) erfüllt ist und sogar für alle Nullstellen gilt, fallsderen Di�erenzen keine natürlichen Zahlen sind � dies entspricht genau der Eigenwertbedingungaus Abschnitt 4.3. In diesem Fall ist p(ν)(µ0) = 0 für alle ν = 0, . . . , s0−1. Wenn wir z. B. y0(µ) ≡ 1wählen, dann erhalten wir insgesamt s0 Lösungen der Form

∂ν

∂ µνy(z;µ)|µ=µ0 =

ν∑m=0

m

)(log z)ν−m

∞∑j=0

y(m)j (µ0) zj+µ0 .

Man kann zeigen, dass die so erhaltenen Lösungen linear unabhängig sind. Also bekommen wirinsbesondere für Gleichungen, bei denen die Di�erenzen der Nullstellen von p(µ) keine natürlichenZahlen sind, ein volles Fundamentalsystem von Lösungen.

2. Sei jetzt zugelassen, dass es Nullstellen von p(µ) gibt, welche sich um natürliche Zahlen unterschei-den. Sei µ0 wieder eine beliebige Nullstelle von p(µ), und sei j0 ∈ N0 maximal gewählt, so dassp(µ0 + j0) = 0 ist. Dann können wir o. B. d. A. annehmen, dass µ0 − j für j ∈ N keine Nullstellenvon p(µ) sind, denn andernfalls können wir µ0 durch µ0 − j und j0 durch j0 + j ersetzen. Wennwir jetzt y0(µ) = p(µ + 1) · . . . · p(µ + j0) wählen, erhalten wir eine Folge von Koe�zienten yj(µ),welche an der Stelle µ0 keine Pole haben. In diesem Fall hat die Funktion p(µ) y0(µ) für µ = µ0

eine Nullstelle, deren Ordnung gleich der Summe aus den Nullstellenordnungen von p(µ + j) fürj = 0, . . . , j0 ist. Die Koe�zienten yj(µ) für 0 ≤ j ≤ j0 − 1 haben an der Stelle µ0 Nullstellen,deren Ordnung mit j abnimmt, und zwar jeweils genau um die Nullstellenordnung von p(µ + j)an der Stelle µ = µ0 (dies gilt auch, falls die Nullstellenordnung = 0 ist), und yj0(µ) hat keineNullstelle mehr. Wie oben erhalten wir durch partielles Di�erenzieren nach µ und anschlieÿendesEinsetzen von µ0 Lösungen von (4.5.1), die alle linear unabhängig sind, und deren Anzahl gleichder Nullstellenordnung von p(µ) y0(µ) ist.

Mit Hilfe dieses Verfahrens kann man in jedem Fall ein Fundamentalsystem für (4.5.1) berechnen. Dielineare Unabhängigkeit der berechneten Lösungen ergibt sich z. B. dadurch, dass sie für z → 0 unter-schiedlich schnell anwachsen � dies soll hier nicht genau gezeigt werden.

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De�nition 4.5.1 (Charakteristisches Polynom) Das oben de�nierte Polynom p(µ) bezeichnen wirals charakteristisch im singulären Punkt z0 = 0 für die Di�erentialgleichung (4.5.1), seine Nullstellenheiÿen auch die Floquetschen Exponenten.

Aufgabe 4.5.2 Berechne das charakteristische Polynom p(z) sowie, unter der Annahme dass die Null-stellen von p(z) bekannt sind, ein Fundamentalsystem für die sog. Eulersche Di�erentialgleichung

n∑k=0

zkdk

dzky = 0 ,

also für die Gleichung (4.5.1) mit bk(z) ≡ 1 für k = 0, . . . , n− 1.

4.6 Reguläre Singularitäten

Aus der Frobenius-Methode folgt dass jede Singularität erster Art von (4.4.1) ein regulär-singulärer Punktist. Anders als bei Systemen gilt bei Gleichungen n-ter Ordnung auch die Umkehrung:

Satz 4.6.1 Jeder regulär-singuläre Punkt von (4.4.1) ist eine Singularität erster Art.

Beweis: Sei o. B. d. A. der Nullpunkt ein regulär-singulärer Punkt von (4.4.1). Wenn wir die Gleichungin der Form (4.5.1) schreiben, ist zu zeigen, dass alle bj(z) im Nullpunkt holomorph sind. Dies tunwir durch vollständige Induktion über n: Aus Aufgabe 4.2.7 folgt die Existenz einer Lösung der Formy0(z) = s(z) zµ, wobei µ ∈ C und s(z) im Nullpunkt holomorph ist und o. B. d. A. angenommen werdenkann, dass s(0) 6= 0 ist, da wir sonst µ um eine natürliche Zahl abändern können. Für n = 1 folgt hieraus

b0(z) = − µ s(z) + z s′(z)

s(z),

und daher ist b0(z) im Nullpunkt holomorph, was zu zeigen war. Für beliebiges n ≥ 2 sei y = y0(z) y.Setzt man in (4.5.1) ein, so folgt (mit bm(z) ≡ 1)

0 =

n∑k=1

y(k)n−k∑j=0

(j + k

k

)zj+k bj+k(z) y

(j)0 (z) ,

wobei in der äuÿeren Summe der Term für k = 0 fehlt, da y0(z) die Gleichung (4.5.1) erfüllt. Dazj y

(j)0 (z) = zµ sj(z) ist, mit einer im Nullpunkt holomorphen Funktion sj(z), folgt nach Division durch

z y0(z) für z in einer hinreichend kleinen Kreisscheibe um 0 (in der s(z) 6= 0 ist) die Gleichung

0 =

n−1∑k=0

zk y(k+1) ck(z) , ck(z) =

n−k−1∑j=0

(j + k + 1

k + 1

)bj+k+1(z) sj(z)/s(z) ,

und cn−1(z) ≡ 1. Dies ist eine Di�erentialgleichung (n − 1)-ter Ordnung für die Funktion y′, und derNullpunkt ist eine reguläre Singularität. Wenn wir auf diese Gleichung die Induktionshypothese anwenden,folgt dass alle ck−1(z) im Nullpunkt holomorph sind. Durch Au�ösen nach bk(z) (und Beachtung vonbn(z) ≡ 1) folgt dann deren Holomorphie im Nullpunkt, also die Behauptung. 2

Der letzte Satz zeigt, dass bei skalaren Gleichungen das Vorliegen einer regulären Singularität leicht ausder Form der Gleichung abgelesen werden kann. Dies ist bei Systemen im Allgemeinen nicht so!

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4.7 Die hypergeometrische Di�erentialgleichung

In den folgenden Abschnitten betrachten wir einige spezielle skalare lineare Di�erentialgleichungen zweiterOrdnung. Mit der Frobenius-Methode kann man in jedem Fall ein Fundamentalsystem dieser Gleichungenberechnen � wir wollen uns aber auf den wichtigsten Fall beschränken, in welchem die beiden Eigenwertekeine ganzzahlige Di�erenz haben.

De�nition 4.7.1 Für beliebige Parameter α, β, γ ∈ C heiÿt die Gleichung

z (1− z) y′′ +(γ − (α+ β + 1) z

)y′ − αβ y = 0 (4.7.1)

die hypergeometrische Di�erentialgleichung. Sie hat drei regulär-singuläre Punkte, nämlich 0, 1 und ∞.

Als Pochhammer-Symbol bezeichnen wir folgende Produkte von komplexen Zahlen:

∀ a ∈ C : (a)0 = 1 , (a)j = a (a+ 1) · . . . · (a+ j − 1) ∀ j ∈ N .

O�enbar ist (1)j = j!, und (−k)j = 0 für k ∈ N0 und j > k.

Aufgabe 4.7.2 Zeige für a ∈ C und j ∈ N:(a

j

)= (−1)j

(−a)jj!

.

Zeige weiter: Ist −a 6∈ N0, so gilt (a)j = Γ(a+ j)/Γ(a), wobei Γ(z) die Gamma-Funktion bezeichnet.

Aufgabe 4.7.3 Finde für die hypergeometrische Di�erentialgleichung an jeder ihrer singulären Stellendas charakteristische Polynom und die Floquetschen Exponenten.

In der folgenden Berechnung von Fundamentalsystemen kann man sich strikt an der Frobenius-Methodeorientieren; wir wollen aber noch einen geringfügig anderen Rechenweg kennen lernen, welcher einfacherist, solange die Di�erenz der Floquetschen Exponenten keine ganze Zahl ist.

• Berechnung eines Fundamentalsystems im Punkt z0 = 0: Um die folgenden Rechnungenund Argumente zu erleichtern, stellen wir uns vor, dass wir (formale) Lösungen von (4.7.1) suchen,welche die Form y(z) =

∑yj z

j+µ haben sollen, wobei die Summation über alle j ∈ Z erstreckt wird,aber die Koe�zienten yj = 0 sind wenn j < 0 ist, und o. B. d. A. y0 = 1 angenommen sei. Wennman diesen Ansatz in die Di�erentialgleichung einsetzt, �ndet man durch Koe�zientenvergleich,dass y(z) genau dann eine Lösung von (4.7.1) ist, wenn für alle j ∈ Z die Gleichungen

(j + µ+ 1) (j + µ+ γ) yj+1 =(

(j + µ) (j + µ+ α+ β) + αβ)yj = (j + µ+ α) (j + µ+ β) yj

gelten. Für j ≤ −2 sind diese Gleichungen trivial erfüllt, während für j = −1 (wegen y0 6= 0) folgt,dass

µ(µ+ γ − 1) = 0

sein muss. Daher erhalten wir wie in Aufgabe 4.7.3 zwei mögliche Werte für µ, nämlich die beidenFloquetschen Exponenten µ = 0 bzw. µ = 1 − γ. Im ersten Fall von µ = 0 wollen wir die übrigenGleichungen für j ≥ 0 zur Berechnung von yj+1 benutzen, müssen dazu aber voraussetzen, dass−γ 6= N0 ist. Wenn wir dies tun, folgt induktiv

yj =(α)j (β)j

(γ)j j!∀ j ∈ N0 , (4.7.2)

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wobei wir das oben de�nierte Pochhammer-Symbol benutzen. Wir notieren diese Lösung in derForm

F (α, β, γ; z) =

∞∑j=0

(α)j (β)j(γ)j j!

zj (4.7.3)

und nennen sie die hypergeometrische Funktion. O�enbar hat die Potenzreihe den KonvergenzradiusR = 1, auÿer wenn sie abbricht, d. h., ein Polynom ist � siehe hierzu die unten stehenden Aufgaben.

Um die Lösung zum Exponenten µ = 1 − γ zu �nden, unterwerfen wir die Di�erentialgleichungder Transformation y = z1−γ y und erhalten, dass y genau dann eine Lösung von (4.7.1) ist, wenny wieder einer hypergeometrischen Gleichung genügt, wobei allerdings die Parameter α, β, γ durchα− γ + 1, β − γ + 1, 2− γ ersetzt sind. Also ist auch

z1−γ F (α− γ + 1, β − γ + 1, 2− γ; z)

für jede Wahl eines Zweiges von z1−γ eine Lösung von (4.7.1), sofern γ − 2 6∈ N0 ist. Für γ = 1erhalten wir aber die gleiche Lösung wie vorher. Wenn jedoch γ 6∈ Z ist, dann bilden die beidenLösungen ein Fundamentalsystem.

Es ist wichtig zu beachten, dass wir zu jedem Wert von γ mindestens eine Lösung berechnet haben,und für γ 6∈ Z erhalten wir sogar ein Fundamentalsystem. Wie man für ganze Zahlen γ noch einezweite Lösung �ndet und wie diese aussieht, ergibt sich aus der Frobenius-Methode.

• Berechnung eines Fundamentalsystems im Punkt z0 = 1: Einerseits kann man das gesuchteFundamentalsystem analog wie im ersten Fall berechnen, indem man einen entsprechenden Ansatzmacht. Einfacher geht es aber, wenn man die Substitution w = 1 − z verwendet. Diese überführt(4.7.1) in eine neue Gleichung derselben Form, allerdings mit dem Parameter α + β + 1 − γ anStelle von γ. Wenn also α + β + 1− γ 6∈ Z ist, bilden die Funktionen F (α, β, α + β + 1− γ; 1− z)und (1− z)γ−α−β F (γ − β, γ − α, γ − α− β + 1; 1− z) ein Fundamentalsystem in der KreisscheibeK(1, 1), wenn man den Zweig der Potenz von 1− z beliebig festlegt.

• Berechnung eines Fundamentalsystems im Punkt z0 =∞: Hier kann man die Substitutionw = 1/z verwenden und für die neue Gleichung ein Fundamentalsystem bei w0 = 0 berechnen. DieRücksubstitution zeigt dann, dass (4.7.1), im Fall dass α − β 6∈ Z ist, das Fundamentalsystem ausden Funktionen z−α F (α, α+ 1− γ, α− β + 1; 1/z) und z−β F (β, β + 1− γ, β − α+ 1; 1/z) besitzt.

Bemerkung 4.7.4 In der oben geführten Diskussion der Fundamentalsysteme für die hypergeometrischeDi�erentialgleichung traten allgemeine Potenzen von z bzw. 1 − z auf. Nach Wahl eines Zweiges dieserFunktionen an einer Stelle z1 lassen sich die so erhaltenen Lösungen in jedes einfach zusammenhängendeGebiet G, welches z1 aber nicht die singulären Stellen 0, 1,∞ enthält, analytisch fortsetzen. Eine üblicheWahl eines solchen Gebietes, etwa für z1 = 1/2 in den Fällen z0 = 0 und z0 = 1, oder für z1 = 1/2 + iim dritten Fall, ist

G± := C \{x ∈ R : x ≤ 0 oder x ≥ 1

}.

Anschaulich erhält man dieses Gebiet, wenn man die Ebene mit einer Schere von 0 bzw. 1 aus entlang dernegativen bzw. positiven reellen Achse bis nach ∞ aufschneidet. Man kann in jedem Fall die Lösungenauch auf die �beiden Ufer� dieser Schnitte fortsetzen, erhält dabei allerdings im Allgemeinen unterschied-liche Grenzwerte. Wenn man statt eines Fundamentalsystems nur die hypergeometrische Funktion selberuntersuchen will, ist der Schnitt entlang der negativ-reellen Achse über�üssig, da ja F (α, β, γ; z) für z = 0holomorph ist, und da deshalb die Fortsetzung auf die beiden Ufer dieses Schnittes zum gleichen Ergebnisführt. Aus diesem Grunde schreiben wir im Folgenden auch G+ für das Gebiet mit dem einen Schnittvon 1 nach ∞ entlang der positiv-reellen Achse.

Statt entlang der reellen Achse kann man grundsätzlich auch entlang anderer sich nicht überkreuzendenHalbgeraden von 0 bzw. 1 aus aufschneiden. Dies ist aber nicht üblich.

Aufgabe 4.7.5 Zeige dass F (α, β, γ; z) = F (β, α, γ; z) ist, und dass die hypergeometrische Funktiongenau dann ein Polynom ist, wenn −α ∈ N0 oder −β ∈ N0 ist.

49

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Aufgabe 4.7.6 Zeige für −γ 6= N0 und z ∈ G+ die Identitäten

d

dzF (α, β, γ; z) =

αβ

γF (1 + α, 1 + β, 1 + γ; z) ,

(α+ zd

dz) F (α, β, γ; z) = αF (1 + α, β, γ; z) ,

und �nde selber weitere Identitäten dieser Art.

Aufgabe 4.7.7 Zeige für reelle x mit −1 < x < 1

(1− x)−α = F (α, 1, 1;x) ,

log(1− x) = xF (1, 1, 2;x) ,

arctanx = xF (1/2, 1, 3/2;−x2) .

Satz 4.7.8 (Integraldarstellung) Für Re γ > Re β > 0 gilt

F (α, β, γ; z) =Γ(γ)

Γ(β) Γ(γ − β)

∫ 1

0

(1− t)γ−β−1 tβ−1

(1− t z)αdt ∀ z ∈ G+ . (4.7.4)

Beweis: Für |z| < 1 und 0 ≤ t ≤ 1 gilt (1− t z)−α =∑∞

0 (α)j(tz)j/j!, und die Reihe ist in t gleichmäÿig

konvergent. Wenn man dies in die rechte Seite von (4.7.4) einsetzt, kann man Integration und Summationvertauschen. Mit dem Beta-Integral∫ 1

0

(1− t)a−1 tb−1 dt =Γ(a) Γ(b)

Γ(a+ b)∀ a, b ∈ C mit Re a > 0 , Re b > 0 (4.7.5)

folgt die Behauptung für diese z. Wegen des Identitätssatzes für holomorphe Funktionen gilt die Darstel-lung dann sogar in G+. 2

4.8 Die Besselsche Di�erentialgleichung

De�nition 4.8.1 Für beliebiges ν ∈ C heiÿt

z2 y′′ + z y′ + (z2 − ν2) y = 0 (4.8.1)

die Besselsche Di�erentialgleichung. Sie hat einen regulär-singulären Punkt in z0 = 0 und einen irregulär-singulären Punkt in ∞.

Ähnlich wie bei der hypergeometrischen Di�erentialgleichung wollen wir wieder nur für den Hauptfall einFundamentalsystem der Besselschen Gleichung im Nullpunkt berechnen. Dabei wollen wir die Einzelheitender Berechnung auslassen und nur das Ergebnis angeben:

• Für beliebiges ν ∈ C hat (4.8.1) die Lösung

Jν(z) =

∞∑j=0

(−1)j

j! Γ(j + ν + 1)(z/2)2j+ν , (4.8.2)

wobei die Reihe für alle z ∈ C konvergiert. Wir bezeichnen Jν(z) auch als Besselfunktion. Da dieGleichung bei Substitution ν 7→ −ν nicht geändert wird, ist auch J−ν(z) eine Lösung, und wennν 6∈ Z ist, bilden diese beiden Lösungen ein Fundamentalsystem.

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Aufgabe 4.8.2 Zeige folgende Integraldarstellung der Besselfunktion: Für x ∈ R+ und Re ν > −1/2 gilt

Jν(x) =1

Γ(ν + 1/2)√π 2ν

∫ x

0

(x2 − τ2)ν−1/2 cos τ dτ . (4.8.3)

Aufgabe 4.8.3 Zeige dass Jν(z) und J−ν(z) genau dann linear unabhängig über C sind, wenn ν 6∈ Z ist.Anleitung: Benutze dass 1/Γ(z) eine ganze Funktion ist, die genau an den Stellen −z ∈ N0 Nullstellenhat.

51

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Kapitel 5

Separation der Variablen

Viele praktische Probleme sind von einer solchen Form, dass sie einen bestimmten Lösungsansatz nahe-legen. Eine spezielle Technik bei partiellen Di�erenzialgleichungen ist die der Separation der Variablen,bei der man eine Funktion mehrerer Variabler als ein Produkt von Funktionen von einer dieser Variablenalleine ansetzt und die einzelnen Funktionen zum Beispiel als Lösungen von gewöhnlichen Di�erenzial-gleichungen erhält. Wir zeigen in Beispielen, wie man hier vorgeht.

5.1 Die schwingende Saite

Die Schwingungen einer Saite werden durch die partielle Di�erenzialgleichung

utt + 2 r ut = c2 uxx + f(t, x) (5.1.1)

beschrieben. Dabei beschreiben die Veränderlichen t die Zeit und x einen Punkt auf der Saite, währenddie (gegebene) Funktion f(t, x) die zum Zeitpunkt t auf diesen Punkt einwirkende Kraft beschreibt. Wirnehmen dabei an, dass die Auslenkung der Saite aus ihrer Ruhelage nur in einer Richtung geschieht, unddass die (unbekannte) Lösung u(t, x) der Gleichung die Gröÿe dieser Auslenkung beschreibt. Weiter sollenr ≥ 0 und c > 0 zwei (reelle) Zahlen sein, und wir werden uns auf den Fall einer kleinen Dämpfungskon-stanten r beschränken. Die Länge der Saite sei ` > 0, und da die Enden der Saite fest eingespannt seinsollen, muss eine Lösung u(t, x) die Randbedingungen

u(t, 0) = u(t, `) = 0 ∀ t ∈ R (5.1.2)

erfüllen. Schlieÿlich stellen wir uns vor, dass Ausgangslage und -geschwindigkeit der Saite zum Zeitpunktt = 0 bekannt sind; dies entspricht der Vorgabe von Anfangsbedingungen

u(0, x) = g(x) , ut(0, x) = h(x) ∀ x ∈ [0, `] , (5.1.3)

mit gegebenen Funktionen g, h : [0, `] −→ R, die wir als stetig, aber nicht unbedingt als di�erenzierbarvoraussetzen wollen. Wie bei gewöhnlichen Di�erenzialgleichungen ist es üblich, die Gleichung (5.1.1) alsinhomogen, und die Gleichung

utt + 2 r ut = c2 uxx (5.1.4)

als (zugehörige) homogene Gleichung zu bezeichnen. Diese soll im Folgenden zuerst gelöst werden.

5.1.1 Die homogene Gleichung

Zur Lösung von (5.1.4) verwenden wir einen sogenannten Separationsansatz. Das bedeutet, dass wirmomentan die Anfangsbedingungen (5.1.3) ignorieren und nicht-triviale Lösungen von (5.1.4) zu �nden

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versuchen, die die Randbedingungen (5.1.2) erfüllen und von der sehr speziellen Form

u(t, x) = u(t) v(x)

sind, wobei keine der beiden Funktionen die Nullfunktion sein soll. Einsetzen in die Gleichung und Sor-tieren der Terme ergibt dann

u′′(t) + 2 r u′(t)

u(t)= c2

v′′(x)

v(x).

Das bedeutet, dass beide Seiten dieser Gleichung gleich einer Konstanten sein müssen, welche wir als−c2λ2 schreiben wollen, wobei momentan auch zugelassen sei, dass λ2 ≤ 0, also λ imaginär sein kann.Jedenfalls folgt dann

v′′(x) + λ2 v(x) = 0 ∀ x ∈ [0, `] .

Falls λ = 0 ist, ist die allgemeine Lösung dieser Gleichung von der Form v(x) = a x + b mit Konstantena, b, und dann können die Randbedingungen (5.1.2) nur für a = b = 0, also v(x) ≡ 0 gelten, was demAnsatz widerspricht. Für λ 6= 0 ist die allgemeine Lösung dieser Gleichung (in komplexer Form) gleich

v(x) = a e−iλx + b eiλx , a, b ∈ C .

Damit (5.1.2) gilt, müssen die Konstanten a, b das lineare Gleichungssystem 1 1

e−iλ` eiλ`

a

b

= 0

erfüllen. Wenn dieses System eine nicht-triviale Lösung haben soll, muss die Determinante der Koe�zi-entenmatrix verschwinden, und deshalb muss gelten

e2iλ` = 1 .

Dies ist genau dann der Fall, wenn λ ` ein ganzzahliges Vielfaches von π ist. Wir können uns danno. B. d. A. auf λ > 0 beschränken und erhalten dann die sogenannten Eigenwerte der schwingenden Saite

λk = kπ

`, k ∈ N .

Die Konstanten a und b müssen dann noch a + b = 0 erfüllen, und wir wählen o. B. d. A. b = 1/(2 i),a = −b, denn dann ist vk(x) = sin(λk x) die entsprechende Lösung.

Für u(t) ergibt sich die Gleichung

u′′(t) + 2 r u′(t) + (c λk)2 u(t) = 0 ,

welche für r < c λk die allgemeine Lösung

u(t) = e−rt(Ak cos(ωk t) + Bk sin(ωk t)

), ωk =

√c2 λ2k − r2 , Ak, Bk ∈ R

hat. Zusammenfassend erhalten wir für jedes k ∈ N eine Lösung der Form

uk(t, x) = e−rt(Ak cos(ωk t) + Bk sin(ωk t)

)sin(λk x) ,

mit beliebigen Konstanten Ak, Bk ∈ R. Diese Funktionen heiÿen die Eigenschwingungen der Saite. Sie sindfür r > 0 immer exponenziell abklingende Schwingungen. Die Abklingrate ist von k völlig unabhängig,während die Frequenz ωk von k, aber auch von r abhängt. Mit wachsendem r werden die Frequenzenniedriger, was auch einleuchtet.

Bis jetzt sind die Anfangsbedingungen (5.1.3) unberücksichtigt geblieben. Um sie zu erfüllen, bilden wirgemäÿ dem Superpositionsprinzip die unendliche Reihe

u(t, x) =

∞∑k=1

uk(t, x) = e−rt∞∑k=1

(Ak cos(ωk t) + Bk sin(ωk t)

)sin(λk x)

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und versuchen die Konstanten Ak, Bk ∈ R so zu bestimmen, dass (5.1.3) erfüllt ist. Dies ist gleichbedeu-tend mit den Entwicklungen

g(x) =

∞∑k=1

Ak sin(λk x) , h(x) = −r g(x) +

∞∑k=1

ωk Bk sin(λk x) .

Das heiÿt also, dass wir die Funktionen g und h+r g in Fouriersche Reihen entwickeln müssen � allerdingsin Sinusreihen. Wenn wir uns g als ungerade Funktion auf das Intervall [−`, `] fortgesetzt denken, sinddie Konstanten Ak gegeben durch die Formeln

Ak =1

`

∫ `

−`g(x) sin(λk x) dx =

2

`

∫ `

0

g(x) sin(λk x) dx ,

und entsprechend erhält man die Bk aus den Gleichungen

ωk Bk =2

`

∫ `

0

(h(x) + r g(x)

)sin(λk x) dx .

Die Konvergenz der Reihe für die Lösung u(t, x), insbesondere aber die für die ersten und zweiten parti-ellen Ableitungen nach t und x, ist bei beliebigen stetigen Funktionen g und h nicht gesichert, aber dieReihen konvergieren jedenfalls im Sinn der Konvergenz von Distributionen gegen die sogenannte distribu-tionelle Lösung für das Problem der schwingenden Saite. Dies wird auch noch deutlicher in den folgendenBeispielen. Dazu nehmen wir der Einfachheit halber an, dass ` = π ist, was o. B. d. A. getan werdenkann, weil wir ja immer die Längeneinheit beliebig festlegen können. Die Eigenwerte λk sind in diesemFall einfach gleich k, und die Formeln für Ak, Bk vereinfachen sich entsprechend.

Beispiel 5.1.1 (Die gezupfte Saite) Wir stellen uns vor, dass ein Musiker die Saite durch Zupfen aneiner Stelle x0 ∈ (0, π) zum Klingen bringt. Dies entspricht den Anfangsbedingungen (5.1.3) mit

h(x) ≡ 0 , g(x) =

ax0x (0 ≤ x ≤ x0)

aπ−x0

(π − x) (x0 ≤ x ≤ π)

Dies ergibt

Ak =2 a

x0 (π − x0)

sin(kx0)

k2, ωk Bk = r Ak , k ∈ N .

Die Frequenzen ωk sind ungefähr gleich k, sodass sich die Ak bzw. Bk ungefähr wie k−2 bzw. k−3 verhalten.Die Reihe für u(t, x) ist also gleichmäÿig konvergent, die für die ersten partiellen Ableitungen ist diesbereits nicht mehr, und die für die zweiten partiellen Ableitungen konvergiert nur noch im Sinne derKonvergenz von Distributionen.

Beispiel 5.1.2 (Die angeschlagene Saite) Wird eine Saite, wie in einem Klavier, durch ein Häm-merchen angeschlagen, entspricht dies in idealisierter Form den Anfangsbedingungen

g(x) ≡ 0 , h(x) =

a für x0 ≤ x ≤ x1 ,

0 sonst ,

mit a > 0 und 0 ≤ x0 < x1 ≤ π. Wenn man dabei das Intervall [x0, x1] vekleinert, sollte man aentsprechend vergröÿern, damit der der Saite zugeführte Gesamtimpuls gleich bleibt, und deshalb seia = (x1 − x0)−1. Man erhält dann

Ak = 0 , ωk Bk =−2

π k

cos(k x1)− cos(k x0)

x1 − x0∀ k ∈ N .

Lässt man x1 gegen x0 konvergieren, so ist der Grenzwert der rechten Seite gleich (2/π) sin(kx0). Diesentspricht der distributionellen Anfangsbedingung h(x) = δ(x− x0). In diesem Grenzfall sind die Koef-�zienten Bk ungefähr wie 1/k.

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Wenn man beide Beispiele vergleicht, stellt man fest, dass bei der gezupften Saite die Amplituden derObertöne rascher klein werden als bei der angeschlagenen. Dies ist sicher nicht die einzige, aber eine derErklärungen dafür, dass eine Gitarre weicher klingt als ein Klavier.

5.1.2 Die inhomogene Gleichung

Genau wie bei gewöhnlichen linearen Di�erenzialgleichungen genügt es auch bei der Schwingungsglei-chung, und allgemein bei jeder linearen Di�erenzialgleichung, eine spezielle Lösung der inhomogenenGleichung zu �nden und danach die zugehörige homogene Gleichung zu untersuchen. In manchen Fällenkann man für eine solche spezielle Lösung mit einem der Form von f(t, x) entsprechenden Ansatz zumZiel kommen. Wir zeigen dies im nächsten Beispiel:

Beispiel 5.1.3 Die schwingende Saite werde von auÿen angeregt durch eine periodische Kraft der Form

f(t, x) = A sin(λk x) cos(ωt) ,

wobei λk einer der Eigenwerte der Saite ist, während die Frequenz der Anregung zunächst beliebig sei.Wir stellen uns die Amplitude A der Anregung als klein vor und fragen einmal nach der Form der Lösungund zum anderen danach, für welche Frequenz ω wir eine Lösung mit einer groÿen Amplitude bekommen.

Da die von uns gefundenen Lösungen der homogenen Gleichung exponentiell abklingen, erwarten wir, dasssich langfristig eine Schwingung der Saite einstellt, welche von der Form her der Anregung entspricht,insbesondere dieselbe Frequenz hat. Um dies zu zeigen, beachten wir dass f(t, x) gerade der Realteil vonf(t, x) = A sin(λk x) eiωt ist, und machen für die Lösung den Ansatz

u(t, x) = Re u(t, x) , u(t, x) = B sin(λk x) eiωt .

Setzt man u(t, x) in (5.1.1), mit f(t, x) an Stelle von f(t, x), ein, so ist die Gleichung richtig, wenn

(λ2k c2 + 2 r ω i − ω2)B = A .

Wenn wir r > 0 voraussetzen, lässt sich die Gleichung nach B au�ösen, und es folgt

u(t, x) =A sin(λk x) eiωt

λ2k c2 + 2 r ω i − ω2

=A sin(λk x) ei(ω t+φ)√

(λ2k c2 − ω2)2 + 4 r2 ω2

.

Trennen von Real- und Imaginärteil ergibt dann die partikuläre Lösung

u(t, x) =A sin(λk x) cos(ω t+ φ)√(λ2k c

2 − ω2)2 + 4 r2 ω2.

Dies ist also eine phasenverschobene Schwingung mit der Frequenz ω der Anregung und einer AmplitudeA/√

(λ2k c2 − ω2)2 + 4 r2 ω2.

Aufgabe 5.1.4 Bestimme das Maximum der Amplitude der oben gefundenen Lösung in Abhängigkeitvon ω.

5.2 Das Dirichlet-Problem

Ein sehr wichtiges Problem ist die Bestimmung einer Lösung der Gleichung (in zwei Variablen x und y)

∆u = uxx + uyy = 0 , (5.2.1)

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welche auf dem Rand eines Kreises um den Nullpunkt mit Radius R > 0 vorgegebene Werte annimmt.Dazu ist es angebracht, Polarkoordinaten einzuführen. Die Gleichung (5.2.1) ist dann von der Form

r2Urr + r Ur + Uφφ = 0 , U(r, φ) = u(x, y) .

Die Vorgabe der Werte auf dem Kreisrand entspricht dann der Bedingung

U(R,φ) = f(φ) , (5.2.2)

mit einer 2π-periodischen Funktion f . Der Separationsansatz U(r, φ) = a(r) b(φ) führt auf die Gleichungb′′(φ) + ω2 b(φ) = 0, welche für ω 6= 0 die allgemeine Lösung

b(φ) = a e−iωφ + b eiωφ , a, b ∈ C ,

hat. Wir benötigen 2π-periodische Lösungen, und deshalb fordern wir b(0) = b(2π) und b′(0) = b′(2π).Das bedeutet zwei Gleichungen für a und b, welche genau dann eine nicht-triviale Lösung haben, wenn ωeine ganze Zahl ist, und in diesem Fall kann die allgemeine Lösung auch in der Form b(φ) = a cos(ωφ) +b sin(ωφ) geschrieben werden. Für ω = 0 ist die einzige periodische Lösung konstant. Also �ndet man fürjedes ω = n ∈ N0 periodische Lösungen

bn(φ) = an cos(nφ) + bn sin(nφ) a, b ∈ C .

Für a(r) erhält man die Gleichung

r2 a′′(r) + r a′(r) − n2 a(r) = 0 .

Dies ist eine Eulersche Gleichung. Der Ansatz b(r) = rλ führt auf die Möglichkeiten λ = ±n, und da wirBeschränktheit von b(r) im Nullpunkt erreichen wollen, ergibt sich nur die eine Lösung b(r) = rn. Alsoist das Ergebnis für U(r, φ) eine Reihe der Form

U(r, φ) =

∞∑n=0

rn (an cos(nφ) + bn sin(nφ)) ,

also eine Fourierreihe, und die Koe�zienten sind so zu wählen, dass (5.2.2) gilt.

5.3 Die schwingende Kreisscheibe

Dieses Problem entspricht der Bestimmung von u(t, x, y) mit

utt + 2 r ut = c2 ∆ u (x2 + y2 < 1)

u(t, x, y) ≡ 0 (x2 + y2 = 1)

u(0, x, y) = f(x, y) (x2 + y2 ≤ 1)

ut(0, x, y) = g(x, y) (x2 + y2 ≤ 1)

(5.3.1)

Dabei sind f und g gegebene Funktionen, welche auf dem Rand der Einheitskreisscheibe verschwinden,um die Randbedingung nicht zu stören. Die Dämpfungskonstante r soll wieder nicht-negativ aber kleinsein. Wir machen zunächst einen Separationsansatz der Form u(t, x, y) = a(t) b(x, y) und erhalten dieGleichungen

a′′(t) + 2 r a′(t) + c2 λ2 a(t) = 0 , ∆ b(x, y) + λ2 b(x, y) = 0 ,

mit einer Zahl λ, die wieder reell oder rein imaginär sein kann. Diese Rechnung ist soweit unabhängig da-von, ob wir eine schwingende Kreisscheibe oder eine andere zweidimensionale Figur betrachten. Jetzt aberführen wir Polarkoordinaten ein und setzen an b(x, y) = b(r) c(φ). Dies führt dann auf die Gleichungen

b′′(r) + r−1 b′(r) + (λ2 − r−2µ) b(r) = 0 c′′(φ) + µ c(φ) = 0 ,

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mit einer beliebigen Konstanten µ ∈ R. Da wir aber 2π-periodische Funktionen c(φ) benötigen, ergibtsich µ = n2 mit einem n ∈ N0, und c(φ) = c1 cos(nφ) + c2 sin(nφ), mit beliebigen cj ∈ R � auch für denFall n = 0. Die Di�erentialgleichung für b(r) ist fast die Besselsche Gleichung � jedenfalls hat sie eineLösung

Jn(λr) = (λr)n∞∑m=0

(−1)m

Γ(1 + n+m)m!

(λr/2

)2m.

Da die von uns gesuchten Lösungen im Nullpunkt keine Singularität haben dürfen, ist dies bis auf einenFaktor die einzige zulässige Lösung, und die Randbedingung besagt genau, dass λ eine Nullstelle von Jnsein muss. Man sieht schnell, dass es keine rein imaginären Nullstellen von Jn geben kann, und deshalbmuss λ reell (und o. B. d. A. positiv) sein. Es ist bekannt, dass es abzählbar unendlich viele solcheNullstellen gibt, und wir numerieren sie so, dass

0 < λn1 < λn2 < λn3 < . . .

Alles in allem bekommen wir damit Lösungen der Form

unm(t, x, y) = Jn(λnmr)[anm sin(nφ) sin(cλnmt) + bnm cos(nφ) sin(cλnmt)

+ cnm sin(nφ) cos(cλnmt) + dnm cos(nφ) cos(cλnmt)]

mit beliebigen (reellen) Konstanten anm, bnm, cnm, dnm. Die gesuchte Lösung ist dann eine Doppelreiheder Form

u(t, x, y) =

∞∑n,m=0

unm(t, x, y) .

Da die Besselfunktion die Orthogonaleigenschaft∫ 1

0

Jn(λnmr) Jn(λnkr) = δnk Jn+1(λnmr) ( 6= 0)

besitzt, erhält man die unbekannten Konstanten aus den Anfangsbedingungen in der gleichen Weise wiebei Fourierreihen; für die genauen Formeln, vergleiche [11].

5.4 Die Wärmeleitungsgleichung

Wenn u(t, x) die Temperatur zur Zeit t an der Stelle x auf einem beidseitig unendlich langen Stabbedeutet, gilt für die Ausbreitung der Wärme die sogenannte Wärmeleitungsgleichung

ut = a2 uxx , u(0, x) = f(x) ,

mit einer gegebenen Anfangstemperaturverteilung f(x). Der Separationsansatz u(t, x) = u(t) v(x) ergibtdann

u′(t) = −λ2 a2 u(t) , v′′(x) = −λ2 v(x) ,

mit einer Konstanten λ2, die aus physikalischen Gründen positiv sein muss. Also erhält man Lösungender Form

uλ(t, x) =[a(λ) cos(λx) + b(λ) sin(λx)

]e−λ

2a2t .

Da hier Randbedingungen fehlen, erhalten wir für jedes λ ≥ 0 eine Lösung, und nach dem Superpositi-onsprinzip der Physik ist die gesuchte Lösung in diesem Fall keine Reihe, sondern ein Integral

u(t, x) =

∫ ∞−∞

[a(λ) cos(λx) + b(λ) sin(λx)

]e−λ

2a2t dλ .

Um die Anfangsbedingung zu erfüllen, muss man setzen

a(λ) =1

∫ ∞−∞

f(ξ) cos(λξ) dξ , b(λ) =1

∫ ∞−∞

f(ξ) sin(λξ) dξ .

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Setzt man dies in die Formel für u(t, x) ein und vertauscht die Integrationsreihenfolge, so kann man dasinnere Integral ausrechnen und erhält die folgende Darstellung:

u(t, x) =

∫ ∞−∞

G(t, x− ξ) f(ξ) dξ , G(t, x) =1

2 a√π t

exp[− x2

4 a2 t

].

Beachte, dass dieses Integral viel besser konvergiert als die ursprünglichen Integrale! Die Funktion G(t, x)ist gerade die Grundlösung oder Greensche Funktion der Wärmeleitungsgleichung.

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Index

AbleitungRechenregeln, 6von X-wertigen Funktionen, 5

Anfangsbedingungbei PDGl, 52

Anfangswertproblem, 10asymptotisch stabil, 19autonom, 22AWP, 10, 28

Bahn, 23Besselfunktion, 50

Integraldarstellung, 51Besselsche Gleichung, 50

C, 26charakteristisches Polynom, 47C(n), 27

D, 27Di�erentialgleichung

Besselsche, 50Eulersche, 47hypergeometrische, 48

Di�erentialoperator, 26Di�erenzierbarkeit

von X-wertigen Funktionen, 5Dirichlet-Problem, 55diskret, 29

Eigenfunktion, 27Eigenraum, 27Eigenschwingungen, 53Eigenwert, 27

halbeinfacher, 20Eigenwertaufgabe, 25Eigenwertbedingung, 42einfach zusammenhängend, 39Eulersche Di�erentialgleichung, 47EWA, 25

Floquetscher Exponent, 47Fortsetzbarkeit, 37Frobenius-Methode, 45Fuchssches System, 40Fundamentalabschätzung, 7Funktion

Besselsche, 50

Greensche, 30hypergeometrische, 49zulässige, 10

Gewichtsfunktion, 33Greensche Funktion, 30Greenscher Operator, 31Grönwallsche Ungleichung, 10

halbeinfach, 20holomorph

stark/schwach, 14homogene Gleichung, 52homotope Kurven, 38hypergeometrische Di�erentialgleichung, 48hypergeometrische Funktion, 49

Integral, 7Berechnung, 8

L2, 26L(X), 5Lipschitz-stetig, 16

modulo 1 gruppiert, 43Monodromiematrix, 40Monodromiesatz, 39

nicht entartet, 29nicht-triviales Intervall, 5

Pochhammer-Symbol, 48Poincaréscher Rang, 40Potenzreihenansatz, 15

Räuber-Beute-Modell, 23Randbedingungen, 26Randgedingungen, 52Rang, 40regulär-singulär, 40reguläre Singularität, 40Riemann-Summe, 7

SatzMonodromie-, 39von Picard-Lindelöf, 11

schwingende Saite, 52selbstadjungiert, 27

59

Page 60: Vorlesungsmanuskript zu Di erentialgleichungen II · Vorlesungsmanuskript zu Di erentialgleichungen II Werner Balser Institut für Angewandte Analysis Sommersemester 2010

Separationsansatz, 52singulärer Punkt, 40Singularität

erster/zweiter Art, 40bei skalaren Gleichungen, 44

reguläre, 40Störung, 20stabil, 19Stammfunktion

von X-wertigen Funktionen, 6Sturm-Liouville, 27

vom Fuchsschen Typ, 44

Wärmeleitungsgleichung, 57

X-wertige Funktion, 5Ableitung, 5Integral, 7Riemann-Summe, 7

X, X′, 5

zulässige Funktion, 10

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