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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Zeichen geringerer Spezifität Vieldeutige Zeichen QRS-Komplex: V1 : 1 R 1 > 0,7 mV R/S > 1 QR > 0,03 s bzw. QR' > 0,05 s V5, V6: R/S 2, S 0,7 mV R (V1) 1+ 1 S(V5) 1 > 1,05 mV Kammerendteile: ST-Senkung und T-Negativierung in V 1 —V3 Rechtstyp, auch Steiltyp mit fast isoelektrischem QRS in I, oder Sa- gittaltyp (S 1, S11, Sm-Typ) von QRS (Ausnahme: junge Astheniker) P-dextroatriale (falls nicht Fre- quenz > 100-120/min) Vorschläge für Diagnostik und Therapie des chronischen Cor pulmonale Volker Sill Definition: Rechtsventrikuläre Hypertrophie infolge einer Erkran- kung der Lungen einschließlich ihrer Gefäße, die zu einer Erhöhung des Lungengefäßwiderstandes führt. Anmerkung: Eine passive pul- monale Hypertonie aufgrund einer Myokard-Erkrankung oder eines Herzvitiums ist auszuschließen. Pathologische Anatomie Vasokonstriktion-, -obliteration, -obstruktion und -reduktion sind die jeweils verantwortlichen Mechanis- men, die einem erhöhten Lungenge- fäßwiderstand zugrunde liegen. Die Folge der chronischen Druckbela- stung im Lungenkreislauf ist ein cha- rakteristicher Umbau des rechten Ventrikels. Eine Längsdilatation führt zur Herzspitzenbildung durch die rechte Herzkammer; gleichzeitig tritt eine Linksdrehung um die Herz- achse ein. Die muskuläre Wandhyper- trophie wird unter anderem an einer Verbreiterung des Kammerwand- querschnittes auf über 0,5 cm deut- lich. Mit zunehmender Insuffizienz stellt sich auch die Querdilatation der Kammer ein, die zu einer relativen Trikuspidalklappen-Insuffizienz führt. Grunderkrankungen des chronischen Cor pulmonale a) Obstruktive- oder b) restrik- tive Ventilationsstörung, c) Obstruk- tion der Lungengefäße, d) alveoläre Hypoxie bei chronischer Höhen- exposition, e) Atemregulations- und Schlafapnoe-Syndrom und f) neuro- muskuläre Erkrankungen. Die häu- figste Ursache eines chronischen Cor pulmonale ist die chronisch obstrukti- ve Bronchitis. Sie geht meistens mit ei- nem mehr oder weniger ausgeprägten obstruktiven Lungenemphysem ein- her. Die pulmonale Hypertonie bei chronisch obstruktiver Bronchitis wird nur zu einem geringen Teil durch anatomische Faktoren (Verminde- rung der Kapillarfläche) verursacht. Im Vordergrund stehen peribronchi- ale und perivasale Entzündungen und die hypoxische pulmonale Vasokon- striktion (HPV). Weitere Faktoren sind Polyglobulie, Hypervolämie, Mi- krothromben und selten ein erhöhtes Herzzeitvolumen. Die Wertigkeit die- ser Faktoren ist umstritten. Die pul- monale Hypertonie ist bei obstruk- tiver Bronchitis ein wichtiger progno- stischer Faktor. Die Prognose korre- liert mit der Höhe des pulmonal-arte- riellen Mitteldruckes (PAMP) und dem Zeitpunkt der ersten Rechts- herzdekompensation. Bei den mei- sten Formen des Lungenemphysems ist, obwohl das Lungengefäßbett deutlich reduziert ist, das chronische Cor pulmonale weniger ausgeprägt. Unter den Lungengerüsterkrankun- gen führt die idiopathische Lungen- fibrose bei langjährigem Verlauf häu- fig zu einer pulmonalen Hypertonie. Bei Pneumokoniosen und ihrer wich- tigsten Form, der Anthrakosilikose, ist das Cor pulmonale wie bei der Sar- koidose nur in fortgeschrittenen Sta- dien anzutreffen. Das Ausmaß der Druckerhöhung korreliert nicht mit den arteriellen Blutgasen. Dieser Be- fund spricht dafür, daß die Restrikti- on des Lungengefäßbettes der we- sentliche pathogenetische Faktor ist. Tabelle 1: EKG-Hinweise auf eine chronische Drucküberlastung des rechten Ventrikels 111•1547.- ,, Kriterien relativ hoher Spezifität Tachykardie inkompletter oder kompletter Rechtsschenkelblock bei Rechts- bzw. Steil- oder Sagittaltyp * Die Spezifität dieser Zeichen ist hoch, ihre Sens . tivität jedoch gering. A-402 (64) Dt. Ärztebl. 88, Heft 6, 7. Februar 1991

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Zeichen geringerer Spezifität Vieldeutige Zeichen

QRS-Komplex: V1 : 1 R 1 > 0,7 mV

R/S > 1 QR > 0,03 s bzw. QR' > 0,05 s

V5, V6: R/S 2, S 0,7 mV R (V1) 1+ 1 S(V5) 1 > 1,05 mV

Kammerendteile: ST-Senkung und T-Negativierung in V1—V3

Rechtstyp, auch Steiltyp mit fast isoelektrischem QRS in I, oder Sa-gittaltyp (S 1, S11, Sm-Typ) von QRS (Ausnahme: junge Astheniker)

P-dextroatriale (falls nicht Fre-quenz > 100-120/min)

Vorschläge für Diagnostik und Therapie des chronischen Cor pulmonale Volker Sill

Definition: Rechtsventrikuläre Hypertrophie infolge einer Erkran-kung der Lungen einschließlich ihrer Gefäße, die zu einer Erhöhung des Lungengefäßwiderstandes führt.

Anmerkung: Eine passive pul-monale Hypertonie aufgrund einer Myokard-Erkrankung oder eines Herzvitiums ist auszuschließen.

Pathologische Anatomie

Vasokonstriktion-, -obliteration, -obstruktion und -reduktion sind die jeweils verantwortlichen Mechanis-men, die einem erhöhten Lungenge-fäßwiderstand zugrunde liegen. Die Folge der chronischen Druckbela-stung im Lungenkreislauf ist ein cha-rakteristicher Umbau des rechten Ventrikels. Eine Längsdilatation führt zur Herzspitzenbildung durch die rechte Herzkammer; gleichzeitig tritt eine Linksdrehung um die Herz-achse ein. Die muskuläre Wandhyper-trophie wird unter anderem an einer Verbreiterung des Kammerwand-querschnittes auf über 0,5 cm deut-lich. Mit zunehmender Insuffizienz

stellt sich auch die Querdilatation der Kammer ein, die zu einer relativen Trikuspidalklappen-Insuffizienz führt.

Grunderkrankungen des chronischen Cor pulmonale

a) Obstruktive- oder b) restrik-tive Ventilationsstörung, c) Obstruk-tion der Lungengefäße, d) alveoläre Hypoxie bei chronischer Höhen-exposition, e) Atemregulations- und Schlafapnoe-Syndrom und f) neuro-muskuläre Erkrankungen. Die häu-figste Ursache eines chronischen Cor pulmonale ist die chronisch obstrukti-ve Bronchitis. Sie geht meistens mit ei-nem mehr oder weniger ausgeprägten obstruktiven Lungenemphysem ein-her. Die pulmonale Hypertonie bei chronisch obstruktiver Bronchitis wird nur zu einem geringen Teil durch anatomische Faktoren (Verminde-rung der Kapillarfläche) verursacht. Im Vordergrund stehen peribronchi-ale und perivasale Entzündungen und die hypoxische pulmonale Vasokon-

striktion (HPV). Weitere Faktoren sind Polyglobulie, Hypervolämie, Mi-krothromben und selten ein erhöhtes Herzzeitvolumen. Die Wertigkeit die-ser Faktoren ist umstritten. Die pul-monale Hypertonie ist bei obstruk-tiver Bronchitis ein wichtiger progno-stischer Faktor. Die Prognose korre-liert mit der Höhe des pulmonal-arte-riellen Mitteldruckes (PAMP) und dem Zeitpunkt der ersten Rechts-herzdekompensation. Bei den mei-sten Formen des Lungenemphysems ist, obwohl das Lungengefäßbett deutlich reduziert ist, das chronische Cor pulmonale weniger ausgeprägt. Unter den Lungengerüsterkrankun-gen führt die idiopathische Lungen-fibrose bei langjährigem Verlauf häu-fig zu einer pulmonalen Hypertonie. Bei Pneumokoniosen und ihrer wich-tigsten Form, der Anthrakosilikose, ist das Cor pulmonale wie bei der Sar-koidose nur in fortgeschrittenen Sta-dien anzutreffen. Das Ausmaß der Druckerhöhung korreliert nicht mit den arteriellen Blutgasen. Dieser Be-fund spricht dafür, daß die Restrikti-on des Lungengefäßbettes der we-sentliche pathogenetische Faktor ist.

Tabelle 1: EKG-Hinweise auf eine chronische Drucküberlastung des rechten Ventrikels 111•1547.- ,,

Kriterien relativ hoher Spezifität

Tachykardie

inkompletter oder kompletter Rechtsschenkelblock bei Rechts-bzw. Steil- oder Sagittaltyp

* Die Spezifität dieser Zeichen ist hoch, ihre Sens . tivität jedoch gering.

A-402 (64) Dt. Ärztebl. 88, Heft 6, 7. Februar 1991

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Latente pulmonale Hypertonie:

Manifeste pulmonale Hypertonie:

Latente Rechtsherzinsuffizienz:

Manifeste Rechtsherzinsuffizienz:

Ruhe Belastung 50 Watt Ruhe

Ruhe Belastung Ruhe

PAMP _5_ 20 mmHg PAMP > 28 mmHg

PAMP > 20 mmHg

RA < 8 mmHg RA > 9 mmHg RA > 9 mmHg

Tabelle 2: Einteilung der pulmonalen Hypertonie nach dem Schwere-grad

Die Lungentuberkulose kann aus verschiedenen Gründen (De-struktion des Parenchyms, ausge-dehnte Vernarbungen, Thromben oder Embolien in pulmonalen arte-riellen Gefäßen) zu einer Druckstei-gerung im kleinen Kreislauf füh-ren. Parenchymverkleinernde Ein-griffe bei gesunder Lunge bis zur Pneumonektomie beeinflussen den Pulmonalarteriendruck in Ruhe nicht. Dies gilt auch für Verlaufsbe-obachtungen über 10 Jahre. Pleu-raschwarten (gleiches gilt für die Ky-phoskoliose) haben nur dann einen Einfluß, wenn die Vitalkapazität der Lunge auf mehr als 50 Prozent des Sollwertes reduziert ist.

Die primäre pulmonale Hyper-tonie (PPH) ist selten. Zu unter-scheiden ist: die obstruktive PH durch Pharmaka (Aminorexfumarat, Monocrotalin, Fulvin) von der idio-pathischen primären pulmonalen Hypertonie. Differentialdiagnostisch sind abzugrenzen: rezidivierende Lungenembolien, Arteriitiden. Der Morbus embolicus ist die häufigste und wichtigste Ursache eines Cor pulmonale chronicum vasculare.

Die Höhenexposition spielt in unseren Breitengraden keine Rolle, jedoch sind die verschiedenen For-men der Atemregulations- und Schlafapnoe-Syndrome als Ursache zu beachten.

Diagnostik des chronischen Cor pulmonale

Lungenfunktionsparameter zei-gen das Ausmaß der funktionellen Folgen der Lungenerkrankung an. Sie sind nicht geeignet zur Diagno-stik der pulmonalen Hypertonie. Al-lerdings ist bei konstant erhöhtem pCO2, das heißt > 44 mmHg = 5,9 kPa, und Atemwegswiderstand von Raw > 0,65 kPa.s/1 mit großer Wahr-scheinlichkeit ein pulmonaler Hoch-druck vorhanden.

Im EKG finden sich vorwiegend die Zeichen der Rechtsherzhyper-trophie, gelegentlich auch Hinweise auf eine Rechtsherzschädigung. Die beginnende Rechtsherzhypertrophie bleibt im EKG stumm. Bei gleichzei-tig bestehender Linksherzhypertro-

phie treten die Kenngrößen der Rechtsherzhypertrophie nicht in Er-scheinung. Besonders ausgeprägte EKG-Veränderungen finden sich beim Cor pulmonale auf der Basis ei-ner primär-vaskulären pulmonalen Hypertonie. Das Cor pulmonale bei chronisch obstruktiver Bronchitis kann nur zu etwa 50 bis 60 Prozent elektrokardiographisch diagnosti-ziert werden. Besonders unbefriedi-gend ist die hohe Zahl falsch negati-ver und falsch positiver Befunde bei latenter und nur gering ausgeprägter manifester pulmonaler Hypertonie. In Tabelle 1 sind die elektrokardio-graphischen Kenngrößen des chroni-schen Cor pulmonale dargestellt.

Zusammengefaßt sind die Sensi-tivität und Spezifizität der EKG-Kri-terien, nämlich der Rechtsherzhy-pertrophie und der -schädigung, nicht ausreichend, um ein chroni-sches Cor pulmonale zu diagnostizie-ren. Röntgenologisch ist eine Dia-gnose erst im Stadium IV der Herz-insuffizienz möglich, das heißt, der rechte Ventrikel (Linksverbreite-rung im p. a. Bild) und Vorhof sind dilatiert. Das Fehlen der röntgenolo-gischen Kriterien wie C) Dilatation

Tabelle 3: Nutzen der O2-Langzeittherapie

Lebensverlängerung

zum Teil Senkung des Pulmo-nalarteriendrucks

Verbesserung der Myokard-kontraktilität, Besserung der psychomotorischen Funktio nen

gesteigerte Lebensqualität

von Conus pulmonalis, Pulmonalar-terienhauptstamm und der zentralen Lungenarterien, © sogenannter Ka-libersprung und C) gefäß arme Lun-genperipherie schließen eine pulmo-nale Hypertonie nicht aus.

Echokardiographie Nachweisbar sind folgende Kri-

terien: 1. Vergrößerung des rechten Ventrikels, 2. abnorme Konfigurati-on und systolisch inverse Septumbe-weglichkeit, 3. Verdickung der frei-en rechtsventrikulären Wand, 4. ab-norme systolische Zeitintervalle, 5. abnormes Pulmonalklappenbewe-gungsmuster, 6. verändertes Strö-mungsprofil im Ausflußtrakt des rechten Ventrikels (Doppler-Echo-kardiographie).

Mittels konventioneller Echo-kardiographie ist die Diagnose des chronischen Cor pulmonale nur sehr eingeschränkt möglich, da häufig in-folge Lungenüberblähung eine exak-te Auswertung nicht möglich ist. Mit-tels ein- und zweidimensionaler Echokardiographie ist die Abschät-zung des pulmonalen Hochdruckes besonders für Mitteldrucke (PAMP) zwischen 20 und 30 mmHg unzuver-lässig. Die dopplerechokardiographi-schen Indizes sind weniger störanfäl-lig, versprechen eine bessere Korre-lation bei PAMP von > 25 mmHg Der genaue Stellenwert ist jedoch noch nicht endgültig festgelegt.

Radionuklidkardiographie Die Thallium-201-Myokardszin-

tigraphie erlaubt eine Beurteilung der freien Wand des rechten Ventri-kels, insbesondere bei PAMP über 30 mmHg

Mittels Gated-Blood-Pool-Un-tersuchungen, bei denen ein Radio-nuclid i.v. appliziert wird, werden die

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zyklischen Volumenschwankungen des Herzens aufgrund der entspre-chenden präkordialen Strahlen-schwankungen funktionsszintigra-phisch dargestellt. Hiermit kann die rechtsventrikuläre Ejektionsfraktion (EF) bestimmt werden. Bei Patien-ten mit chronischem Cor pulmonale ist die EF in Ruhe häufig normal, unter Belastung steigt die EF jedoch nicht adäquat an. Zwischen EF des rechten Ventrikels und Höhe des PAMP besteht eine gute inverse Korrelation.

Trotz der vielversprechenden Korrelation scheinen beide Verfah-ren für die Routineanwendung zur Diagnostik des chronischen Cor pul-monale wenig geeignet.

Rechtsherzkatheter Die Einschwemmherzkatheter-

Untersuchung mittels Ballonkatheter ist die einzige zuverlässige Methode. Sie erlaubt eine genaue Bestimmung des Schweregrades der pulmonalen Hypertonie (PH) (Tabelle 2) und ei-ne Unterscheidung in prä- und post-kapillär Die Indikationen sind: 0 Abschätzung des Schweregra-des der PH beziehungsweise ei-ner Rechtsherzinsuffizienz, 0 Aus-schluß beziehungsweise Nachweis ei-ner ventrikulären Funktionsstörung, C) Beurteilung der Reversibilität der PH, ® gutachterliche Fragestel-lung zur Belastbarkeit (Anmerkung: Die Untersuchung ist nicht dul-dungspflichtig), C) Ausschluß einer Lungenstauung (passive PH).

Das Risiko der Untersuchung wird mit < 1%0 letaler Komplikatio-nen angegeben. Wegen druckstei-gernder Effekte im kleinen Kreislauf sollten ß-Rezeptorenblocker minde-stens 48 Stunden und wegen druck-senkender Effekte Vasodilatatoren (Nitrat, Molsidomin, Kalzium-Ant-agonisten, ACE-Hemmer) minde-stens 24 bis 48 Stunden vor Beginn der Untersuchung abgesetzt werden.

Einteilung der pulmonalen Hy-pertonie (Tabelle 2): Liegt keine Druckerhöhung in Ruhe vor, sollte eine ergometrische Belastung ange-schlossen werden. Ist dagegen eine manifeste pulmonale Hypertonie nachweisbar, sollte eine Reversibili-tätsprüfung mit Sauerstoff oder ei-nem Vasodilatator erfolgen.

Die Verwendung eines Swan-Ganz-Ballonkatheters erlaubt die Messung des sogenannten pulmo-nalen kapillären Druckes (PCP) und damit unter Ruhebedingungen Rückschluß auf die linksventrikuläre Funktion oder ein Mitralvitium. Hiermit kann zwischen einer postka-pillären, das heißt passiven PH infol-ge einer Linksherzinsuffizienz oder eines Mitral- oder Aortenklappen-fehlers und einer präkapillären PH,

zum Beispiel bei COLD, unterschie-den werden. Bei stark erhöhtem Al-veolardruck und unter großer kör-perlicher Belastung ist die Aussage über die linksventrikuläre Funktion infolge der Schwierigkeit, einen kor-rekten intravasalen PC-Druck zu registrieren, eingeschränkt. Ange-merkt sei, daß das dekompensierte chronische Cor pulmonale mit einer Beeinträchtigung der linksventriku-lären Funktion einhergeht.

Tabelle 4: Voraussetzungen und Kriterien für die 0 2-Langzeit-Heimthera-pie, modifiziert nach dem Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Tuberkulose

O Bewährte Therapieverfahren sind ausgeschöpft.

(I) Der mehrfach gemessene Ruhe-Pa0 2 ist kleiner als 55 bzw. 60 mmHg (7,3-8,0 kPA). Bei Verdacht auf Myokardsauerstoffmangel ist der gemischt venöse P02 in Ruhe kleiner als 36 mmHg (4,8 kPa) und bei Belastung klei-ner als 26 mmHg.

• Der Nachweis der Pa0 2-Grenzwertunterschreitung sollte innerhalb von zwei Monaten wiederholt erbracht werden.

ei Der Pa02 sollte bei der 0 2-Atmung mindestens um 10 mmHg mög-lichst auf 75 (8 kPa) ± 10 mmHg ansteigen. Die 02-Testatmung ist bis zu 30 Minuten mit ansteigenden Flüssen von 1,2 und 3 1/min durchzuführen.

O Die Entscheidung zur Sauerstoff-Langzeit-Heimtherapie kann durch den Nachweis einer pulmonalen Hypertonie oder sekundä-ren Polyglobulie untermauert werden. Eine pulmonale Hypertonie kann auch ohne Unterschreiten des kritischen Pa02 eine Indikation zur Sauerstoff-Langzeit-Heimthe-rapie sein. Eine PaCO2 > 45 mmHg (6,0 kPa) stellt keine absolute Kontraindi-kation dar. Eine Sauerstoff-Testatmung während mehrerer Stun-den, insbesondere auch nachts, ist zum Ausschluß einer progressi-ven Hyperkapnie notwendig.

O Bei Sehlafapnoe-Syndromen ist die Therapie der Wahl die nasale kontinuierliche Überdruckbeatmung (CPAP). Die Entscheidung zur begleitenden 0 2-Langzeittherapie muß durch nächtliche konti-nuierliche PaCO2-Messung kontrolliert sein. Ein maximaler PaC0- 2-Anstieg von kleiner als 10 mmHg = 1,3 kPa ist tolerabel.

• Der Patienten muß kooperationsfähig und -willig sein. Eine 12-, besser 18stündige 02-Insufflation muß akzeptiert werden.

(;) Die Indikationsstellung erfolgt durch Fachkliniken oder Kranken-häuser bzw. Gebiets- oder Teilgebietspneumologen.

O Regelmäßige Kontrollen durch den Hausarzt und ein Facharztzen-trum sind zu fordern (zum Beispiel BGA, Hämatokrit, Schrift-probe).

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Zusätzlich kann das Herzzeitvo-lumen mittels Thermodilution oder bei gleichzeitiger Registrierung der Sauerstoffaufnahme nach dem Fick-schen Prinzip bestimmt werden. Au-ßerdem ermöglicht die Untersu-chung eine Widerstandsbestimmung im kleinen Kreislauf, den Ausschluß oder Nachweis einer Trikuspidal-klappen-Insuffizienz, -stenose oder einer Pulmonalstenose. Über Blut-gasanalysen können Shunt-Vitien analysiert und qantifiziert werden.

Therapie des chronischen Cor pulmonale

Im Vordergrund der Behand-lung steht die Therapie der Grund-erkrankung. Bei den häufigsten Ur-sachen, den COLD empfiehlt sich ein Vorgehen nach den Empfehlun-gen der Deutschen Liga zur Be-kämpfung der Atemwegserkrankun-gen e. V. Ebenso selbstverständlich ist, daß die vorliegenden Lungenge-rüsterkrankungen einer konsequen-ten Behandlung bedürfen. In ausge-wählten Fällen kann bei Kyphoskoli-osen eine Korrektur der Thoraxde-formität, bei Pleuraschwarten eine Dekortikation angezeigt sein. Die Bedeutung der Therapie wird ver-deutlicht durch nachfolgende Anga-ben: Bei normalem PAMP beträgt die Fünf-Jahres-Lebenserwartung 90 Prozent, dagegen nur 50 Prozent bei einem PAMP von 25 bis 30 mmHg Nach der ersten Rechtsherzdekom-pensation ist die Fünf-Jahres-Le-benserwartung von 50 Prozent auf fünf Prozent verkürzt.

Eine Synopsis der Literatur er-gibt, daß vor Einführung der Sauer-stoff-Langzeittherapie nach Rechts-herzdekompensation die Lebenser-wartung durchschnittlich nur zwei Jahre betrug. Hervorgehoben werden muß, daß bis heute in kontrollierten klinischen Studien nur für die Sauer-stoff-Langzeittherapie bei hypoxämi-schen Patienten mit COLD und Be-einflussung der PH eine verbesserte Prognose nachgewiesen ist. Dieser Nachweis fehlt für jedes nachfolgend diskutierte Medikament.

Theophyllin wirkt atemstimulie-rend, pulmonaldrucksenkend und di-

uretisch. Zusätzlich scheint es auch die körperliche Belastbarkeit zu stei-gern. Die Therapie ist durch Mes-sung der Serumkonzentrationen zu optimieren. Anzustreben sind Werte im oberen therapeutischen Bereich (15 mg/1).

Nitrate und Molsidomin führen ebenfalls zu einer Senkung des pul-monal-arteriellen Druckes und somit zu einer Abnahme der Nachlast ne-ben der Vorlastsenkung für den rechten Ventrikel. Ein Nutzen dieser Therapie ist nicht erwiesen.

Kalzium-Antagonisten: Sie kön-nen im Akutversuch eine Senkung des Lungengefäßwiderstandes be-wirken. Häufig ist eine Senkung des Pulmonalarteriendruckes nach eini-gen Tagen nicht mehr nachweisbar. Langzeitstudien mit Nifedipin über 12 und 18 Monate konnten keinen therapeutischen Nutzen belegen. Das Risiko — insbesondere bei der Akuttherapie —, daß die arterielle Hypoxie verstärkt wird, ist bei allen Vasodilatatoren gegeben.

ACE-Hemmer: Bei Anwendung des ACE-Hemmers Enalapril konnte verschiedentlich eine Senkung des mittleren Pulmonalarteriendruckes beobachtet werden. Für das Capto-pril wird eine Hemmung der hypoxi-schen Vasokonstriktion diskutiert. Über Langzeiteffekte besteht keine Klarheit.

Almitrin: Ein kontrollierter The-rapieversuch mit Almitrin zur Anhe-bung des arteriellen p0 2 ist bei der chronischen Bronchitis mit ausge-prägter Hypoxämie vertretbar. Nach heutigen Erkenntnissen werden fol-gende mögliche Wirkungen disku-tiert: 1. regionale Änderung des Ventilations-/Perfusions-Verhältnis-ses, 2. periphere Bronchodilatation, 3. Stimulation der peripheren Che-morezeptoren im Aortenbogen und im Glomus caroticum. Bei akuter Applikation wird ein PAP-Anstieg beobachtet, der auf einer erhöhten Freisetzung von Thromboxanen be-ruht. Der Nachweis einer lebensver-längernden Wirkung steht gegenwär-tig aus.

Diuretika und Aldosteron-Ant-agonisten haben keinen direkten Ef-fekt auf die PH. Sie dienen der Volu-menentlastung durch Diuresesteige-rung.

Positiv inotrope Substanzen: Die Indikation zur Applikation posi-tiv inotroper Substanzen ist nicht bei einem kompensierten chronischen Cor pulmonale, sondern erst bei ei-ner Rechtsherzinsuffizienz gegeben.

Anzumerken ist, daß Digitalis beim Cor pulmonale — insbesondere im Zusammenhang mit der Hypoxie — Herzrhythmusstörungen begün-stigt. Indiziert ist die Digitalisthe-rapie bei der tachykarden Form des Vorhofflimmern und/oder Ein-schränkung der linksventrikulären Funktion.

Sauerstoff-Langzeittherapie: Bei medikamentös nicht zu bessernder arterieller Hypoxie mit einem arte-riellen Sauerstoff-Partialdruck von < 55 mmHg ( = 7,3 kPa) ist auf-grund der NOTT- und MRC-Studie eine Sauerstoff-Langzeittherapie, das heißt täglich 18stündige 0 2-In-sufflation, geeignet, die Letalität in einem Beobachtungszeitraum von 12 bis 24 Monaten zu senken. Hervor-gehoben werden muß, daß die Sau-erstoff-Langzeittherapie die bisher einzige Therapieform ist, die die Prognose bei den COLD mit Hypox-ämie nachgewiesenermaßen verlän-gert (Tabellen 3 und 4).

Aderlässe: Bei Hämatokrit-Wer-ten um 60 Prozent sollte eine isovol-ämische Hämodilution durchgeführt werden. Der erforderliche Aderlaß sollte ein Volumen von 500 ml im Einzelfall nicht überschreiten. Eine Hämodilution auf normwertigen Hä-matokrit sollte in der Langzeitthera-pie nicht angestrebt werden.

Antikoagulanzien: Eine Antiko-agulanzien-Therapie ist bei rezidivie-renden Lungenembolien, bei schwe-rer Polyglobulie und der primär pul-monalen Hypertonie durchzuführen. Bei fehlendem therapeutischen Ef-fekt bezüglich der Lungenembolie ist die Versorgung mit einem Cava-Filter als Ultima ratio zu überlegen, wenn auch einheitliche Empfehlungen der-zeit nicht möglich sind.

Atem- und Krankengymnastik: Im Stadium der Dekompensation sollte überwiegend Bettruhe einge-halten und eine forcierte Physiothe-rapie vermieden werden. Die alleini-ge Bettruhe bei gleichzeitiger konse-quenter Thromboseprophylaxe kann zu einer ausgeglichenen Sauerstoff-

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FUR SIE REFERIERT

versorgung führen. Nach Rekom-pensation ist ein Atemtraining, das der individuellen Leistungsfähigkeit angepaßt sein sollte, sinnvoll. Es soll-te nicht schmerzhaft oder anstren-gend sein. Aktive Atemtechniken, die auch im häuslichen Milieu durch den Patienten fortgesetzt werden können, sind passiven vorzuziehen.

Körperliches Training ist nur in geringem Umfang möglich und sinn-voll. Besonderer Wert auf körperli-che Betätigung ist bei Patienten zu legen, die unter einer Dauerbehand-lung mit oralen Glukokortikoiden stehen, um einer Osteoporose entge-genzuwirken.

Ungünstig sind folgende körper-liche Belastungen: Starke plötzliche Anstrengungen, lang andauernde Belastungen, statische Belastungs-elemente, Anstrengungen unter Preßatmung, körperliche Aktivität in Höhen über 2000 m, Unterwasser-sport, Interkontinental-Flüge, sport-liche Betätigung bei Kälte, Nässe, Zugluft. Empfehlenswert sind: Wan-dern in mäßigem Tempo, Radfahren bis zu einem Tempo von zirka 15 km/ Std., Brust- und Rückenschwimmen in temperiertem Wasser.

Richtige Ernährung: Bei über-gewichtigen Patienten kann durch Gewichtsreduktion eine Besserung der Blutgaswerte erzielt werden. Bei Emphysem-Patienten vom Typ „pink-puffer" besteht häufig eine pulmonale Kachexie, bedingt durch einen erhöhten Grundumsatz. Die Überlebenszeit durch Einschrän-kung der Lungenfunktion sinkt mit dem Ausmaß des Untergewichtes. Hochkalorische Ernährung kann im Einzelfall den Gewichtsverlust nicht auffangen. Es konnte jedoch gezeigt werden, daß eine Verringerung des Kohlenhydratanteiles der Ernährung zugunsten des Fettanteiles zu einem Absinken der metabolischen Koh-lensäureproduktion führt und damit zu einem Absinken des pCO 2 im Blut.

Konsekutiv wird eine Verbesse-rung der Lungenfunktionsparameter beobachtet. Die Ernährung des Pa-tienten sollte deshalb kohlenhydrat-arm sein, um Kohlensäureüberschüs-se zu verhindern. Krankheitsange-paßte Ernährungsversuche sind noch im Experimentalstudium.

Mitglieder der Arbeitsgruppe:

Dr. med. Rainer Bonnet Krankenhaus Großhansdorf, Wöhrendamm 80, W-2070 Groß-hansdorf

Prof. Dr. med. Ulrich Cegla Hufeland-Klinik, W-5427 Bad Ems

Prof. Dr. med. Severin Daum I. Med. Klinik und Poliklinik rechts der Isar, Ismaninger Straße 22, W-8000 München 80

Prof. Dr. med. Linus Geisler St Barbara-Hospital, Postfach 269, W-4390 Gladbeck

Prof. Dr. med. Wolfgang Hartung Ruhr-Universität Bochum, Institut für Pathologie, Postfach 2148, W-463 Bochum-Querenburg

Prof. Dr. med. Karlgeorg Lanser Kreiskrankenhaus Brunsbüttel, Abt. f. Innere Medizin u. Lungen-erkrankungen, Delbrückstraße 2, W-2212 Brunsbüttel

Prof. Dr. med. Heinrich Matthys Klinikum der Albert Ludwigs-Uni-versität, Abt. Pneumologie, Hug-stetterstraße 55, W-7800 Freiburg

Prof. Dr. med. Volker Sill Allgemeines Krankenhaus Wandsbek, I. Med. Abt., Al-phonsstr. 14, W-2000 Hamburg 70

Prof. Dr. med. Ralf Wettengel Karl Hansen-Klinik, Postfach 12 80, W-4792 Bad Lippspringe

Prof. Dr. med. Heinrich Worth Medizinische Einrichtungen der Universität Düsseldorf, Moo-renstr. 5, W-4000 Düsseldorf 1

Korrespondenzanschrift:

Prof. Dr. med. Volker Sill Leitender Arzt I. Medizinische Abteilung Allgemeines Krankenhaus Hamburg-Wandsbek Alphonsstraße 14 W-2000 Hamburg 70

Akuter Schub bei Colitis ulcerosa und Morbus Crohn durch Superinfektion?

Seit Jahren wird diskutiert, ob der akute Schub einer Colitis ulcero-sa oder eines Morbus Crohn durch eine bakterielle oder virale Superin-fektion ausgelöst wird. Auf der ande-ren Seite findet man nicht selten Sal-monellen-Dauerausscheider unter den Patienten mit chronisch ent-zündlichen Darmerkrankungen, oh-ne daß eine Korrelation zu einem akuten Schub zu finden ist.

Die Autoren aus London unter-suchten 72 Patienten mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen auf verschiedene Viren, Mycoplasma pneumoniae, Chlamydia psittaci und Coxiella burnetii. Serologisch ließen sich 54 Infektionen nachweisen, von denen 23 (42,6 Prozent) mit einem akuten Schub korreliert waren. Für den Respirationstrakt pathogene Keime waren für 59,3 Prozent der Infektionen verantwortlich, 43,8 Pro-zent von ihnen waren mit gastrointe-stinalen Symptomen vergesellschaf-tet. Rubella-Virus, Epstein-Barr-Vi-rus und Adenovirus waren für akute Exacerbation bei fünf Kindern ver-antwortlich zu machen. Bei vier Kin-dern kam es im Rahmen eines aku-ten Schubes zu einer Reaktivierung einer latenten Herpesvirus-Infek-tion, so daß offensichtlich nicht nur eine Exazerbation der chronisch ent-zündlichen Darmerkrankung durch einen akuten Infekt, sondern auch eine Exazerbation einer latenten Vi-rusinfektion durch ein Aufflackern der Grundkrankheit ausgelöst wer-den kann.

Kangro, H. 0., S. K. F. Chong, A. Hardi-man, R. B. Heath, J. A. Walker-Smith: A Prospective Study of Viral and Myoplasma Infections in Chronic Inflammatory Bowel Disease. Gastroenterlogy 98: 549-553, 1990

Virology Department, St. Bartholomew's Hospital, Third Floor, 51/53 Bartholomew Close, West Smithfield, London EC1A 7BE, Großbritannien.

Dt. Ärztebl. 88, Heft 6, 7. Februar 1991 (73) A-407