Upload
g-lueschen
View
214
Download
0
Embed Size (px)
Citation preview
Berlchte
Weltkongrel! fur Soziologiein Toronto/Canada vom 18.-24.8.1974
Das Internationale Komitee fiir Soziologiedes SPOrts organisicrte auf dcm Kongrefvier Sitzungen, von dencn besonders dieSitzungen iiber soziale Schichten, tiber Freizeit und iiber Konflikt zu bemerkenswerten Diskussionen Hihrten. Vertreter aus 16Landern legten insgesamt 30 Beitrage vor.In der Diskussion zur sozialen Schichtungund Sport belegtc P. KIVIAHO (JyvaskyHi/Finnland) die Bedeutung der Klasscnstruktur fiir die finnischen Sportorganisationen.Kliifte zwischen den sozialen Klassen wiederholen sich dabei deutlich in den vier Verbanden. Sosehr damit die Klassenkomponente im Sport sichtbar wird, sosehr wollreman in der allgemeinen Diskussion die Stanrskomponente, die nidir primar materiellbestirnmt ist, flir die Analyse sozialerSchidrtung im Sport beriidcsiditigt wissen.Wie sehr se1bst in marxistisdien Gesellschaften, die den Einflufi rnaterieller Klassenfaktoren auszuschalten versuchen, andere Faktoren der sozialen Sdiichrung dieTeilnahme am Sport besrimmen, erwies sidiim Beitrag von K. PETROVIC/A. HOSEK
(Ljubljana) auf Grund einer Fakroren-Analyse jugoslawischer Daten. Danadi hat dersozio-polirische Status eines Individuumsden relativ starksten Einflufi auf die Teilnahme am Sport, wahrend beispielsweisedas personliche Einkommen keine Rollespielt. Bemerkenswert sind nach diesen Ergebnissen ebenfalls Einfliisse, die aus dernokonomischen und sozialen, nidit aber politisdien Status der Eltern herriihren. PETR.OVIC stellte schlie6lich fest, daB die Gleichheit sozialer Chancen ftir die Rekrurierungniederer Gruppen in der sozialen Sdiiditung nidit ausreiche.Zwei Vortrage beschaftigten sidi mit Statusproblemen im Berufssport. G. STONE (Minnesota) argumentierte in einem Grundsatzbeitrag gegen den Professionalisierungsbegriff in der Soziologie, det fur den Sport
420
nicht nur unangemessen sei, sondern in denherrschenden Lehrmeinungen am Beispieldes SPOrts seine ganze Vordergriindigkeitaufweise, G. McKELVEY (Ottawa) analysierte das Problem der gewerkscbaftlichenOrganisation im Sport auf der Basis einerTheorie des kollektiven Verhaltens. Nachden bestehenden Verhaltnissen im kanadisdien Sport ist danadi mit erheblichen Problemen der Kollektivierung individuellerInteressen zu redmen.
In einem weiteren Grundsatzreferat entwickelte E. BEND (Slippery Rock College/USA) ein Modell zur Mobilitat im Sport,in dem er vor allem die hohe Rate niditerfiillter Mobilitatserwartungen beriicksidrtigre. Der Sport weise klar erkennbareStufen sozialer Mobilitar auf, die fiir einesoziologische Analyse bestens geeigner seienund neue Einsidrten iiber Mobilitiitsprozesse vermitteln konnten. Das relariv hoheMobiliratspotential des derzeitigen arnerikanischen Sports erklarte er aus der jiingsten Expansion des Berufssports, der Popularitat des Zuschauersports als gesdiaftlimer Unterhalrung, der Ausweitung desUniversitatssports, dem wachsenden Prestige des Berufssportlers, dem Fehlen jeglicher Kontrollen durch die Regierung undder gewerkschaftlidien Organisation derSportier. Diese Bedingungen konnten sididurehaus andern und damit weirgehendeFolgen fUr die Mobilitat im und durchSport haben. Mobilitar miisse immer im Zusammenhang mit dem erweiterten gesellschaftlidien Kontext gesehen werden.
In einern empirischen Beitrag stellten M.SMITH und F. DIAMOND (Toronto) zwareine deutlich aufw1irts gerichtete Mobilitarin der fruhen Karriere kanadisdier Eishokkeyspieler fest, gleichzeitig aber eine deutlime Abwiirtsbewegung im weiteren Verlauf det Karriere. Dieses Ergebnis ist deshalh relativ uberraschend, weil die starkeAusweitung des professionellen SpOrts inden letzten Jahren grundsatzlich die ver-
mehrte chance bedeutete, Position und Status zu halten. Informationen iiber die weitere Mobilitat der zumeist in unteren Klassen untertaudienden ehemaligen Spitzenspieler seien iiberhaupt nicht vorhanden, sodaE an diesem Beispiel eine angemessenetheoretisdie Einordnung nur in Ansatzenmoglidi sei,Die zweite Sitzung, KonfUkt, Wettbewerbund Sport, wurde weirgehend durch dasEingangsreferat von A. MATEJKO (Alberta/Canada) beherrscht, in dem er auf die externen Einfliisse zur Konfliktbildung imSport, auf die geregelte Form des Konfliktsim sportlidien Wenkampf und auf die bestehenden manifesten und latenten Konflikte in Sportorganisationen einging. Filr dieStrukturanalyse von Organisationen seiensolche Konflikte im iibrigen frudirbare Ansatzpunkte. N. PONOMAltEV (Leningrad)verwies in seiner Stellungnahme auf die Bedeutung des SPOrts fiir den Konfliktausgleidi zwischen Vol kern und belegte das u.3. mit den Ergehnissen von Studien iibersportlidi-volksrtimlidie Wettkampfe beiden VOlkern der Sowjetunion. G. WATSON(Perth/Australien) diskutierte das Engagement von Eltern beim Knaben-Baseball inden USA. Die abgesdilossene Organisationdes Baseball wird dabei weitgehend von denEltern akzeptiert, da sic Sport einerseitsals Mittel der Sozialisierung (vorzugsweisein der Mittelschidrt), andererseits als Beginn einer beruflichen Karriere (vorzugsweise in der Unrersdiicht) anerkennen. Familiale Interessen und die der BaseballOrganisation (einsch1ieJ3lich dec jeweiligenWettkampfsrruktur) fiihren jedoch am Ortdes Spiels immer wieder zu harten Konflikten zwischen den beteiligten Erwadisenen.
In der mitten Sitzung iiber SpOTt und Freizeit beherrsditen nach dem Referat von B.SUTTON-SMITH (Columbia Universitat/USA) Fragen urn die spielerische Grundstruktur des Sports die Diskussion. Die 50ziologie erfasse solche Strukturen in ihren
Beruhte
Makro-Analysen nur sehr unzureidiend,stellte dabei M. KAPLAN (Universitat Florida/USA) fest. R. TELAMA (Universitat]yvaskylii) setzte sich mit der Kompensadons-Hypothese im Hinblidc auf Freizeitund Sport bei Metallarbeitern in Finnlandauseinander. Er madite dabei auf die Gefahrdung der Gesundheit durdi allzu hohepropagandistische Anspriiche an die Beteiligung der Arbeiter im Sport und auf dieVernadilassigung qualitativer zugunstenrein quantitativer Gesichtspunkte aufmerksam. C. DAUluAC (Paris) legte eine Faktoren-Analyse uber Sportarten bei Sdiiilernin Frankreidi vor und errnittelte, daB innerbalb von flinf ",Clustern" auf die Teilnahme an individuellen ",Grundsportarten"456/0, "Luxus-Sportarten" 24% , Mannschaftssportarten 19%, Freizeitsport 7,5%und isoliert ausgeiibtem Sport 4% entfallen. Oberraschend ist in diesen Zahlen dierelativ sdrwache Position der Mannschaftssportarten. H. WILMANS {Miinchen) diskutierte den Forschungsansatz einer Untersudrung zum Frauensporr.
In der vierten Sitzung nahmen J. CIKLER(Prag) und A. WOHL (Warschau) zu Fragenurn den Sport in der tedmisierten und wissenschaftlichen Welt Stellung. WOHL vetrrat dabei die Auffassung, daB tiber denSport in der erweiterten Freizeit wiedereine tendenzielle Riickkehr zur Arbeit erfolge. Die Technik habe im iibrigen einenimmer starkeren EinfluB auf den Sport genommen. In diesem Zusammenhang verwies er einerseits auf die Veranderung derStruktur des Sports, andererseits darauf,daJ3 namentlich das Fernsehen das Verstandnis fiir den Sport in der Gesellsdiaftgefordert habe, Auf die progressive Rolleder technisierten, sozialistisdien Gesellschaft und den Sport verwies F. GRAS(Leipzig). L. BURGENER (Genf) diskutierteFragen um den Sport im Schweizer Recht,Auf Fragen der Personlichkeitsenrwicklungund der moralisdien Enrwicklung im Zu-
421
Beridne
sammenhang mit Sport und Sportgruppengingen A. STOYCHEV (Sofia) und N. VALENTINOVA (Moskau) ein.In einer Round-Table-Diskussion legte G.LOSCHEN (Bremen und Illinois) den theoretisdien Ansatz und Forschungsplan zueiner internationalen Untersuchung iibernationals Sportorganisationen und ihreExekutiv-Mirglieder 'lor.Vortrage und Diskussionen wiesen ein erfreuliches Niveau auf. Die Aufgliederungin wenige Hauptvortrage und Kurzbeitrage,die zum Teil nur sdiriftlidi vorgelegr werden durften, karn dabei einer ausfuhrlichen Diskussion sehr zugute. Die Soziologiedes Sports hat sidi sidierlidi mit dieser Tagung auf internationaler Ebene weiter konsolidierr. Unabhangig von unterschiedlichen theoretisdien Positionen der Teilnehmer hat dieser Kongrels flir die Soziologiedes Sports wie fur die Soziologie ilberhaupreine erneute Bestatigung fiir die verbindende Mission der International SociologicalAssociation (ISA) erbracht. Fur den Sportist es zudem erfreulich, daB sich die 1113J3gebliche wissenschaftliche Organisation derSoziologie mit diesem Phanomen beschaftigr, Wie fruchtbar das auf lange Sieht fiirden Sport selbst wird, wird nieht zuletztdavon abhsngig sein, welches Interesse dieOrganisationen des Sports ihrerseits denSoziologen entgegenbringen. Es bestehr dabei gar kein Zweifel, daB die Soziologiederzeit nur wenig harte, unmittelbar fiir diePraxis verwendbare Ergebnisse vorlegenkann. Ein Teil der Soziologen des Sportsist daran aueh gar nidit interessiert, sondernverfolge in der Analyse des SPOrts reintheoretisdie Ziele fur die allgemeine Soziologie. Die Sitzungen in Toronto maditendas gleiehermaBen deutlieh. Andererseitswird der Praxisbezug grundsatzlich niehtverneinr. Das Problem scheint nur insgesamt darin zu bestehen, daB es dieses Praxisbezugs einsdllieBlieh der weiteren empirisehen Erforschung der Institution Sportnidir so sehr bedarf wie einer vertieften
422
und differenzierten theoretischen Bewaltigung von seiten der Soziologie. Hier Iiegenweiterhin deutliehe Mangel vor, die in Toronto immer wieder angesprochen wurden.Die Analyse des Sports auf der Basis dertraditionellen Konzepte, Fragestellungenund Forschungstechniken der Soziologiehat auch bei dieser Gelegenheit zu interessanten und wichtigen Ergebnissen gefilhrt.Das hie Rhodos - hie salta der Soziologiedes Sports ist aber dann angesprodien,wenn man von der Soziologie eine originareStrukturanalyse des Sports vcrlangt, Dazugibt es bisher nur Ansatze, Aber weldiewissenschaftliche Disziplin hat den Sportbisher wirklieh ernst genommen? Nur kannes sich die Soziologie mit am wenigstenleisten, an diesem Phanomen vorbeizugehen. Die ISA und die Sitzungen in Torontolassen solche Vernadilassigung auch kaumvermuren. So wurde fesegesrellr, daB essich beim Sport urn die groBte gesellsdiaftlidie Institution hinsichtlich der vielfaltigenFormen der Teilnahme des grolhen Teilsder Bevolkerung in Industriegesellschaftenhandle und er dabei die Religion weit iibertreffe (STONE). Man mag diese Feststellungim Vergleich zur Institution der Familiefiiglich bestreiten und sie im iibrigen vorallem auf die USA einsdiranken wollen zu den grBBeren Institutionen gehort derSport jedenfalls audi in Landern wie derBRD, England, Frankreich oder der Sowjetunion. Interessant bleibt dabei, daf derAnreil der personlidi aktiven Mitgliederdieser Institution relativ gering im Vergleidi zur Zahl derer ist, die sidi mit demSport und seiner symbolisehen Qualiratidentifizieren. Darin wird deutlich, daB dieAnalyse des Sports aus der Sieht der traditionellen sportwissenschaftlichen Disziplinen wie der Physiologie oder Padagogikauf jeden Fall durch die Analyse der Soziologie erweitert werden muB. Die Sitzungenauf dem WeltkongreB leisteten dazu einenbemerkenswerten Beitrag.
G. LOSCHEN