Wie die Zeit in die Welt kam

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Fundamental Physics

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Wie die Zeit in die Welt kamWenn uns etwas unumstlich erscheint, so das Fortschreiten der Zeit, die Unumkehrbarkeit von Vergangenheit und Zukunft. Ohne sie gbe es kein Leben, keine Erfahrung, keine Wirklichkeitserkenntnis. Die Physik zeigt jedoch, da durch die fundamentalen Naturgesetze fr diese Phnomene keine Richtung der Zeit ausgezeichnet wird. Zeit ist, mit den Worten von Albert Einstein, eine wenn auch hartnckige Illusion. Auch fr den Laien verstndlich, fhrt Genz den Leser durch die Geschichte der Zeitvorstellungen von der antiken Naturphilosophie bis hin zu den avancierten Befunden der heutigen theoretischen Physik. Er erklrt, was es heit, da Einsteins Relativittstheorie verschiedene Zeiten kennt. Er beschreibt die Beziehungen zwischen mikround makrophysikalischen Zeitrichtungen und die Rolle des Parameters Zeit in der Quantenmechanik. Er geht der Frage nach, ob die Zeit mit dem Urknall, wenn es denn einen gegeben hat, erst begonnen hat oder ob dieser bereits in einer zuvor schon gegebenen Zeit stattgefunden haben mte. Hchst komplexe Zusammenhnge von Zeit, Ordnung, Entropie, Strukturbildung werden klar dargelegt und mnden schlielich in die grundlegende Frage, ob die fundamentalen Naturgesetze einen von den Geschehnissen unabhngigen Zeitparameter enthalten mssen, der so etwas wie ihren Ewigkeitscharakter bestimmt. Henning Genz fat das, was die moderne Physik zu diesen Fragen zu bieten hat, prgnant zusammen. Unbekanntes und Paradoxes wird als das spannende Wissenschaftsprojekt der Zukunft geschildert. So ist aus geschichtlichem Wissen, theoretischer Kennerschaft und Neugier auf das noch zu Entdeckende ein spannendes und zuverlssiges Kompendium zum Verstndnis eines faszinierenden Problems geworden. Henning Genz, geboren 1938 in Braunschweig, lehrt seit 1978 am Institut fr Theoretische Teilchenphysik der Universitt Karlsruhe. Bei Hanser erschien: Die Entde-ckung des Nichts (1994). Schutzumschlag: David B. Hauptmann, Zrich, un-ter Verwendung einer NASAAbbildung ( J. Hester und R Scowan, Arizona State University/NASA) Henning Genz Wie die Zeit in die Welt kam Die Entstehung einer Illusion aus Ordnung und Chaos Carl Hanser Verlag Vorwort Dies Buch hat eine lange Geschichte. Sie beginnt im Herbst 1991 am Anfang eines halbjhrigen Aufenthalts am Forschungsinstitut TRIUMF in Vancouver, Kanada. Dort habe ich begonnen, ein Buch ber Raum und Zeit zu schreiben. Am Ende waren gut siebenhundert Seiten beisammen viel zuviel fr ein Buch. Deshalb sind zwei Bcher daraus geworden. Das erste ber den Raum ist im Frhjahr 1994 im Carl Hanser Verlag erschienen (Die Entdeckung desNichts Leere und Flle im Universum), dem zweiten ber die Zeit gilt dieses Vorwort. Zeit und die Naturgesetze war der Arbeitstitel des Buches. Es soll das schwie-rige Verhltnis schildern, in dem die beiden Begriffe zueinander stehen. Zu-erst aber ist Ballast abzuwerfen: Unserer persnlichen Zeiterfahrung gilt das Buch ausdrcklich nicht. Ihr Verstndnis ist eine naturwissenschaftliche Spe-zialaufgabe, eine Herausforderung fr Neurologen, Computerwissenschaftler und andere Berufene, die ich nicht aufzhlen mag. Ich denke, da das mehr als zweitausendfnfhundertjhrige Denken ber die Zeit nur geringen natur-wissenschaftlichen Fortschritt gebracht hat. Durch Introspektion knnen wir die Fragen, mit denen uns unsere Erfahrung der Zeit konfrontiert, nicht lsen. Bis Newton und Leibniz im 17. Jahrhundert wurde zudem das Denken ber die Zeit durch das Fehlen einer wichtigen Einsicht behindert: Die Einsicht in den Begriff des Grenzwerts. Ohne diese Einsicht kann das Verhltnis, in dem Punkte und Intervalle zueinander stehen, nicht verstanden werden. Frhe Dis-kussionen des nicht nur aus psychologischen Grnden schwer zu verstehenden Problems des Jetzt leiden unter diesem Mangel. Auch Geschwindigkeit und Be-schleunigung, die ja Grenzwerte sind, mssen ohne diesen Begriff mysteris bleiben. Tatschlich verraten zahlreiche Paradoxien, von denen die des Zenon die bekanntesten sind, den Mangel an Einsicht in den Begriff des Grenzwerts. 15 Lange Passagen des Buches IV der Physik des Aristoteles, das der Zeit gewidmet ist, errtern im Grunde nicht sie, sondern ringen mit diesem Begriff. In den Naturgesetzen tritt die Zeit als Parameter auf. Die erste groe ber-raschung ist, da die Gesetze fr Alltagsablufe dieselben bleiben, wenn die Reihenfolge aller Ereignisse und mit ihr die Richtung der Zeit umgekehrt wird. Wie kann das sein? Wenn die Richtung der Zeit nicht in den Naturgeset-zen verankert ist, woher kommt sie dann? Sie kommt in die Welt als Konse-quenz des molekularen Chaos: Obwohl die mikroskopischen Bewegungen der ungeheuer vielen Molekle eines makroskopischen Stcks Materie Naturgeset-zen gengen, verhalten sie sich von auen gesehen in vielerlei Hinsicht so, als ob ihre Bewegungen ausgewrfelt wrden. Wrfeln aber erzeugt unabwendbar Unordnung aus Ordnung und genau das beobachten wir bei Prozessen, die ganz offenbar nicht umgekehrt werden knnen. Zum Beispiel wird ein Schornstein gesprengt und strzt zusammen. Da die Entwicklung im Laufe der Zeit immer von Ordnung zu Unordnung fhrt, ver-decken Prozesse, bei denen in gewissen Bereichen geordnete Gebilde entstehen. Das ist ein wichtiges Thema, aber nur am Rande ein Thema des Buches. Erstens aus dem pragmatischen Grund, da hierzu bereits viel Kompetentes, auch Popu-lrwissenschaftliches, verffentlicht worden ist. Zweitens aber bin ich davon berzeugt, da auch diese Entwicklungen fundamentalen Naturgesetzen gen-gen, die keine zeitliche Richtung von Ablufen auszeichnen. Gewi, die Bil-dung von Strukturen ist ein besonders faszinierender Aspekt des allgemeinen Zerfalls von Ordnung mehr aber nicht. Da aus Ordnung Chaos entsteht, ist der fr unsere Erfahrung wichtigste Aspekt der Zeit. Natrlich mssen wir fragen, wie die groe Ordnung im Weltall entstanden ist, die es ursprnglich besa, noch besitzt und die zerfllt. Spekulationen hierzu stehen im Innern des Buches. Sieht man von den statisti-schen Aspekten der Zeit ab, die ihre Richtung vom Standpunkt der funda-mentalen Naturgesetze aus gesehen zur Illusion machen, bleibt die Frage nach ihrem Status innerhalb dieser Gesetze. Die wohl grte berraschung, die der Parameter Zeit fr uns bereithlt, ist, da er in der quantenmechanischen Be-schreibung des Universums insgesamt, der Wellenfunktion des Universums, nicht auftritt die Wellenfunktion, und mit ihr das Universum, ist zeitlich kon-stant. Ich habe zeitlich in Anfhrungszeichen gesetzt, weil das Universum ins-gesamt nach Auskunft dieser Theorie keine Zeit kennt. Es ndert sich nicht, liegt einfach da. Ausfhrliches hierzu steht im Kapitel ber Zeit und Quantenmechanik. Die Zeit kommt in die Welt nicht als Eigenschaft des Universums, sondern als Kon16 sequenz der Teilung des Universums in Beobachter und Beobachtetes, ist inso-fern also eine Illusion. Ich will nicht so weit gehen wie der bedeutende ameri-kanische theoretische Physiker John Archibald Wheeler, der sogar die Existenz des Universums auf Beobachter zurckfhrt, die zugleich Teilnehmer sind. Die Gleichung fr die Wellenfunktion des Universums, die Wheeler-DeWitt-Glei-chung, impliziert ebendas fr die Zeit. Ursprnglich sollten in dem Buch die Naturgesetze nur insofern auftreten, als sie in Beziehung zu dem Hauptthema Zeit stehen. So ist es nicht geblieben, das Thema Naturgesetz hat sich verselbstndigt. Denn um sagen zu knnen, in welchem Verhltnis die Zeit nach meiner Meinung zu den Naturgesetzen steht, habe ich wieder und wieder meine Auffassung von ihnen erlutern mssen. Letztlich habe ich den Widerstand aufgegeben und den Naturgesetzen eigene Abschnitte gewidmet. Nach meiner Auffassung ist die wichtigste Aufgabe eines naturwissenschaft-lichen Sachbuchs die Verbreitung der Einsicht, da die Welt verstanden werden kann. Sachbcher sollen esoterischer Spkenkiekerei entgegenwirken, indem sie auf reale Mechanismen verweisen, die in der Welt wirken. Darauf also, da es nicht der Geist ist, der der Welt ihre Gesetze vorschreibt, sondern da die Naturgesetze objektive Realitt besitzen. Das merken wir insbesondere dann, wenn die Natur zu einem angenommenen Gesetz bei dessen experimenteller berprfung nein sagt. Man mag es merkwrdig finden aber die Naturgesetze besitzen eine hrtere und klarere Realitt als die Dinge, von denen sie sprechen. Albert Einstein in seinem Satz, den ich als Motto gewhlt habe, spricht von die-sem Glauben der Naturwissenschaftler an die Realitt der Naturgesetze nicht von einem Glauben an einen persnlichen Gott. Der Kosmologe und Autor zahlreicher brillanter naturwissenschaftlicher Sachbcher Paul C. W. Davies hat in einem Vortrag bei einer Konferenz 1989 in Santa Fe den Grundkonsens naturwissenschaftlichen Bemhens in zwei Punkten zusammengefat: Es gibt erstens eine reale Auenwelt, die gewisse Re-gelmigkeiten aufweist. Diese Regelmigkeiten knnen zumindest teilweise durch diewissenschaftliche Methode rationaler Untersuchung verstanden werden. Zweitens ist dieWissenschaft nicht nur ein Spiel oder eine Scharade. Ihre Resultate geben, wenn auchnur unvollkommen, Aspekte der Realitt wieder. Folglich sind die Regelmigkeiten wirkliche Eigenschaften des physikalischen Universums und nicht nur menschliche Er-findungen oder Illusionen. Indem wir diese Annahmen machen, mssen wir extremenidealistischen Philosophien aus dem Weggehen wie der, da der Geist der Welt die Ge-setzmigkeiten irgendwie auferlegt, um ihr Sinn zugeben. Diese Stze sollen mir Mut machen, wenn ich auf den folgenden Seiten17 anerkannten Geisteshaltungen gelegentlich nicht zustimmen kann. Wir haben keinen Grund zu der Annahme, da die Naturgesetze menschliche Erfindun-gen seien. Was sie aber genau sind, wissen wir nicht. Karlsruhe, im Mai 1996 Henning Genz 18 Prolog Vorwrts und rckwrts Einmal angenommen, Sie knnten den Lauf der Welt anhalten und mit in allen Stcken umgekehrter Bewegungsrichtung neu starten was wrde geschehen? Wrde alles, was einmal war, wie in einem rckwrts laufenden Film in umge-kehrter Reihenfolge wieder auftreten? Wrden Schachspiele mit einer Remi-oder Mattposition beginnen und sich zur Grundstellung hin entwickeln? Oder wre, was der rckwrts laufende Film zeigt, nicht nur mit den Schach-, son-dern auch mit den Naturgesetzen unvereinbar so da die Dinge auch bei dem neuen Anfang mit umgekehrten Bewegungen ihren mehr oder weniger ver-trauten Gang nehmen wrden? Wahrscheinliche und unwahrscheinliche Ablufe Wenn uns ein Naturgesetz ehern erscheint, dann das von der Richtung der Zeit. Die Tasse fllt zur Erde und zerbricht. Das umgekehrte Scherben ver-sammeln sich und bilden eine Tasse, die auf den Tisch hpft ist niemals beob-achtet worden und wird das nicht werden. Wie zahllose andere Alltagsablufe erlaubt also auch dieser eine Unterscheidung von Wirklichkeit und rckwrts laufendem Film: Was der Film zeigt, kann in der Wirklichkeit nicht auftreten. Nun kann, da etwas nicht auftritt, verschiedene Grnde haben. Es kann durch ein Naturgesetz verboten sein. Wenn das beim rckwrts laufenden Film so ist, kann die Richtung der Zeit bereits von den Naturgesetzen abgelesen werden. Doch auch ein durch die Naturgesetze zwar erlaubter, aber sehr, sehr unwahrscheinlicher Ablauf wird nicht auftreten. So verbietet kein Naturgesetz, da ein auf eine Schreibmaschine losgelassener Affe Goethes Faust produziert. Trotzdem wird das nicht geschehen es ist zwar nicht verboten, aber unendlich unwahrscheinlich. 19 Angewendet auf die Richtung der Zeit wrde das bedeuten, da die Ablufe des rckwrts laufenden Films nur deshalb nicht in der Wirklichkeit auftreten, weil es praktisch unmglich ist, die Anfangsbedingungen, aus denen sie folgen, einzustellen. Oder, wre das gelungen, weil die kleinste uere Strung, die im Laufe der Zeit eintrte, den Erfolg zunichte machen wrde. Der Frage unge-achtet, ob auerdem und obendrein die Naturgesetze das Auftreten der zeitlich umgekehrten Ablufe verbieten, reicht diese Einsicht aus, die Vorwrts-rck-wrts-Asymmetrie der Alltagsablufe zu erklren. Zeit in fundamentalen und effektiven Naturgesetzen Der groe antike Philosoph und Naturforscher Aristoteles hat das abendlndi-sche Denken ber die Natur bis zum 17. Jahrhundert beherrscht. In seiner Phy-sik hat er eine Zeitrichtung per Gesetz ausgezeichnet. Fr ein Naturgesetz hat er nmlich gehalten, da alle nicht angetriebenen Bewegungen zur Ruhe kom-men. Obwohl durch nahezu beliebige Alltagsbeobachtungen besttigt, ist das fr sich allein aber kein Naturgesetz, sondern die Konsequenz eines Naturgeset-zes zusammen mit unserer speziellen Stellung im Universum. Da ein Gefhrt zur Ruhe kommt, wenn es nicht gezogen wird, beruht auf der Reibung der Rder an der Erde und des Gefhrtes an der Luft. Beides verhllt fr uns ein ganz anderes, wahrhaft fundamentales Naturgesetz, welches besagt, da jeder Krper, auf den keine Krfte also auch keine Reibungskrfte wirken, seinen Bewegungszustand beibehlt. Sieht man von den Wirkungen der Schwerkraft ab, fliegen Geschosse im luftleeren Raum mit konstanter Geschwindigkeit ge-radeaus. Ihre Bewegung hlt, einmal begonnen, immer an. Die fr die Bewe-gung unter dem Einflu von Reibung geltenden effektiven Naturgesetze knnen auf fundamentale nur durch spezielle, den Einzelfllen angepate Klimmzge zurckgefhrt werden. Von allen auf der Erde beobachtbaren Phnomenen folgen die Bewegungen der Himmelskrper am direktesten aus fundamentalen Naturgesetzen. Sehr eindrucksvoll sind Kamerafahrten in Planetarien, die mit den Bewegungen der Planeten und der Sonne, wie wir sie sehen, beginnen und mit einer Sicht auf das Planetensystem insgesamt enden: Die anfangs komplizierten Bewegungen der Planeten ordnen sich langsam zu Bewegungen auf einfachen elliptischen Bahnen um die als ruhend angenommene Sonne. Selbstverstndlich erlauben die Naturgesetze alle tatschlichen Ablufe. Aber 20 erlauben sie auch jene, bei denen die Planeten ihre Bahnen rckwrts durch-laufen? Die Antwort der Physik ist ein enthusiastisches Ja: Da die Bahnen der Planeten so durchlaufen werden, wie sie es werden, ist keine Konsequenz allein eines Naturgesetzes, sondern zudem der bei der Bildung des Sonnensystems herrschenden Bedingungen. Wren diese anders gewesen, wren auch die Pla-netenbahnen andere. Geeignete Anfangsbedingungen htten bewirkt, da die Planeten ihre Bahnen rckwrts durchlaufen. Mehrere gleichberechtigte Zeiten Da dies alles so ist, hat Newton als erster gewut. ber die Rolle der Zeit in seinem Universum hat er sich kraftvoll geuert: Die absolute, wahre und mathe-matische Zeit verfliet an sich und vermge ihrer Natur gleichfrmig und ohne Beziehungauf irgendeinen ueren Gegenstand. Wir wissen heute, da das nicht stimmt. Es gibt kein Naturgesetz, das eine wahrhaftige Zeit vor anderen, gleichberechtig-ten auszeichnete. Das ist wohl die wichtigste naturphilosophische Konsequenz von Albert Einsteins Spezieller Relativittstheorie. Nur durch Ernennung kn-nen wir von einer wahren Zeit sprechen. Newton hatte ebenso an einen ein-zigen wahren, absolut ruhenden Raum geglaubt der allerdings bereits auf Grund seiner Mechanik nicht von anderen, ebenfalls ruhenden Rumen unter-schieden werden kann. Wenn nun die fundamentalen Naturgesetze alle von Newtonscher Art wren und keine Unterscheidung zwischen vorwrts und rckwrts erlaubten wie knnte es dann die offensichtlichen Unterschiede zwischen den Wirkungen der beiden Zeitrichtungen geben? Ebendeshalb, weil die zeitliche Umkehrung wirklicher Ablufe oftmals nur schwer oder gar nicht in Gang gesetzt werden kann. Und weil, anders als bei wirklichen Ablufen, bereits sehr kleine Strun-gen bei den Umkehrungen zu qualitativ anderen Resultaten fhren wrden. Zeit der Gesetze und Zeit der Systeme Hierzu ein einfaches Beispiel harte Kugeln, die, wenn sie sich berhren, wie Billardkugeln elastisch aneinanderstoen. Die Kugeln sind, so nehmen wir an in einen Kasten eingesperrt, dessen Wnde sie ebenfalls elastisch reflektieren. Leichter darstellbar ist das in zwei statt drei Dimensionen, in der Ebene statt im Raum. Die Abb. 1a zeigt einen einfach herzustellenden Anfangszustand: Alle 21 Abb. 1 Die Kreise der Abbildung stoen elastisch aneinander und an an den Wnden des Kastens, in den sie eingeschlossen sind. Gezeigt werden Szenenbilder a, b und c von drei Ablufen 1, 2 und 3. Die Zeit wchst von links nach rechts. Kugeln in der Ebene Scheiben sind in der linken Kastenhlfte versammelt und besitzen irgendwelche Anfangsgeschwindigkeiten. Nun berechnet ein Computerprogramm, was weiter geschieht: Die Scheiben bewegen sich, stoen elastisch aneinander und an den Wnden des Kastens und haben alsbald begon-nen (Abb. lb), die linke Kastenhlfte zu verlassen. Wenige Rechenschritte wei-ter haben sich die Scheiben ber den ganzen Kasten verteilt (Abb. 1c). Nun halten wir den Vorgang an und tun zweierlei. Erstens sehen wir ihn uns wie einen rckwrts laufenden Film von hinten nach vorn an; die Sze-nenfotos, die der Abb. 1.1 entsprechen, zeigt die Abb. 1.2 in umgekehrter Reihenfolge. Dabei bewegen sich die Scheiben selbstverstndlich in die Ge-genrichtung. Zweitens aber starten wir in der Situation der Abb. 1.1c das Computerprogramm neu mit umgekehrten Geschwindigkeiten aller Schei-ben. Da die Gesetze des elastischen Stoes, welche die Bewegungen der Scheiben bei vorgegebenen Anfangsbedingungen bestimmen, nicht zwischen vorwrts und rckwrts unterscheiden, sollte der so berechnete neue Film der Abb. 1.3 mit dem der Abb. 1.2 identisch sein. Er ist es aber nicht; die Kugeln versammeln sich nicht in der linken Kasten-hlfte. Der Grund ist einfach: Die zehn Stellen Genauigkeit, mit der die umge-kehrten Geschwindigkeiten und dieselben Orte auf dem Rechner eingestellt 22 wurden, reichen nicht aus, so genau zu zielen, da alle Scheiben auf dem Bild-schirm denselben Weg rckwrts nehmen. Deshalb tun sie nicht, was bei feh-lerloser Bewegungsumkehr zu erwarten wre: sich in der linken Kastenhlfte versammeln. Die Rundungsfehler whrend der Rechnung simulieren zudem den Einflu der Auenwelt, der es unmglich macht, einen Ablauf mit ber den ganzen Kasten verteilten Scheiben so zu beginnen, da sie sich nach einiger Zeit in nur einer Kastenhlfte versammeln. Denn in unserem Modell sind die Einflsse der Rundungsfehler so unvorhersehbar wie die der Auenwelt in der Wirklichkeit. Wahrscheinliche und unwahrscheinliche Zustnde Wir knnen das auch so formulieren: Tatschliche Ablufe fhren niemals von wahrscheinlichen zu viel weniger wahrscheinlichen Zustnden. Die Wahr-scheinlichkeit eines Zustands sei vorerst durch die Schwierigkeit definiert, ihn einzustellen. Die Schwierigkeit, harte Scheiben in einen Zustand zu versetzen, aus dem heraus sie alle innerhalb einer gewissen Zeit in derselben Kastenhlfte zusammenkommen werden, hat zwei Grnde. Erstens gibt es viel mehr Zu-stnde, die dazu fhren, da die Scheiben die ganze Zeit ber den Kasten ver-teilt sein werden. Denn es gibt viel mehr Zustnde, in denen sie ber den ganzen Kasten verteilt statt nur in der linken Hlfte eingeschlossen sind. Zwei-tens aber, und noch wichtiger, liegen in unmittelbarer Nhe aller Zustnde, die bewirken, da sich auf Grund der Stobewegungen alle Teilchen innerhalb einer gewissen Zeit in der linken Kastenhlfte versammeln, viel mehr Zustnde, aus denen heraus eben das nicht geschehen wird. Wird die Anfangsgeschwin-digkeit oder der Anfangsort nur ein kleines bichen, in einer Ziffer weit hinter dem Komma, falsch gewhlt, kommen die harten Scheiben in keiner absehba-ren Zeit wieder in der linken Kastenhlfte zusammen von den unvorherseh-baren Einflssen der Auenwelt sogar abgesehen. Wir wollen knftig annehmen, da es keine Strungen von auen gibt. An-gewendet auf ein Gas aus sagen wir 1023 Atomen zeigen unsere berlegun-gen, da und warum ein der Abb. 1.2 entsprechender Ablauf niemals auftreten wird. Niemals steht hier fr in Weltaltern nicht, ist also das Niemals der Physik, nicht der Mathematik. Dieser Unterschied von niemals und niemals hat bei der Entwicklung der Vorstellungen, die wir mit der Abb. 1 verbinden, eine wich-tige Rolle gespielt. Der groe sterreichische Physiker Ludwig Boltzmann (1844-1906) war frh von der Existenz der Atome berzeugt. Er hat auch gese 23 hen, da deren Gewimmel zur Erklrung aller Phnomene ausreicht, fr die eine geheimnisvolle, aber niemals offenbare Richtung der Zeit verantwortlich gemacht wurde und von manchen bis heute verantwortlich gemacht wird. Einer der Mathematiker-Einwnde, denen er begegnen mute, war der Wieder-kehreinwand des groen franzsischen Mathematikers Henri Poincar. Poincar hat nmlich gezeigt, da jedes System von der Art der harten Schei-ben oder Kugeln der Abb. 1 nach einer gewissen endlichen Zeit seinem Anfangs-zustand wieder beliebig nahe kommen mu die Molekle des Gases sich also wieder in der linken Kastenhlfte versammeln mssen. Darber aber, wie lang diese gewisse endliche Zeit sein werde, wute Poincar nichts zu sagen. Trotz-dem hat er Boltzmann mit allerlei unhflich formulierten Invektiven einge-deckt. Boltzmann beging 1906 Selbstmord. Nach dem Grund haben zahlreiche Pu-blikationen gefragt. An erster Stelle wird seine schlechte Gesundheit und die daraus resultierende Unfhigkeit genannt, Angriffen gegen seine Standpunkte so entgegenzutreten, wie er es zuvor gekonnt hatte. Feinde hatte er in mehre-ren Lagern. In der Physik war es vor allem die Atomhypothese, die ihm nicht abgenommen und gegen die polemisiert wurde. Ordnung und Unordnung Groen Widerspruch hat Boltzmann aber auch durch seine Zustimmung zur Abstammungs-und Evolutionslehre Darwins auf sich gezogen. Umstritten war diese Lehre vor allem wegen ihrer religisen und weltanschaulichen, die Stel-lung des Menschen betreffenden Aspekte. Sie schien und scheint manchen aber auch mit dem Zweiten Hauptsatz der Wrmelehre unvereinbar zu sein. Der Erste Hauptsatz ist einfach der Energiesatz Energie kann zwar in andere Formen, darunter Wrmeenergie, umgewandelt werden, bleibt insgesamt aber immer erhalten. Den Zweiten Hauptsatz hat der deutsche Physiker Rudolf Clausius zwischen 1854 und 1865 formuliert. Er kann in vielen verschiedenen Formen ausgesprochen werden, zum Beispiel so, da Wrmeenergie niemals von selbst von einem kalten auf einen warmen Krper bergeht wodurch der kalte noch klter, der warme noch wrmer wrde. Gbe es zwei solche Krper, knnte aus ihnen ein Gert konstruiert werden, das Herd, Eisschrank und Wr-mekraftmaschine zugleich wre. Als Satz ber makroskopische Systeme verbie-tet der Zweite Hauptsatz unter anderem, da sich im Zimmer verteiltes Parfm im Flakon versammelt was, wie wir uns am Beispiel der Abb. 1 berlegt 24 haben, zwar durch kein Naturgesetz verboten, aber bis zur Unmglichkeit unwahrscheinlich ist. Also ist der Zweite Hauptsatz kein Naturgesetz? Mit dem englischen Astro-physiker A. S. Eddington, in seinem Buch von 1931 Das Weltbild der Physik, un-terscheiden wir Naturgesetze erster und zweiter Art wobei die Namengebung der Numerierung der Hauptstze entspricht. Hierauf werde ich alsbald einge-hen. Mit der Evolutionslehre Darwins scheint der Zweite Hauptsatz deshalb unvereinbar zu sein, weil er verbietet, da in abgeschlossenen Systemen die Ordnung im Laufe der Zeit wchst. Zum Beispiel verbietet er den Ablauf der Abb. 1.2. Denn bei diesem Proze nimmt makroskopisch gesehen die Ordnung zu. Mikroskopisch gesehen ist der Proze zwar nicht verboten. Trotzdem wird er nicht auftreten. Denn die Anfangsbedingungen, unter denen er das wrde, knnen praktisch nicht eingestellt werden. Fr andere makroskopische Prozesse, bei denen die Ordnung wachsen wrde, gilt dasselbe: Sie treten nicht auf, weil die zugehrigen mikroskopi-schen Ablufe, obwohl durch kein Naturgesetz verboten, niemals eintreten wer-den. Das war der Grundgedanke Boltzmanns zur Begrndung des Zweiten Hauptsatzes. Obwohl Darwins Evolutionslehre besagt, da sich auf der Erde Strukturen bilden, die Ordnung also wchst, widerspricht sie diesem Satz nicht, weil er voraussetzt, da das betrachtete System abgeschlossen ist, insbe-sondere also keine Energie durch es hindurchfliet. Das aber gilt fr die Erde nicht sie empfngt von der heien Sonne genausoviel Energie in der Form von Strahlung, wie sie an den kalten Nachthimmel wieder abgibt. Insgesamt kann die makroskopische Ordnung bei keinem Proze wachsen. Wenn wir von makroskopischer Ordnung sprechen, haben wir verborgene mikroskopische Korrelationen, die sich makroskopisch nicht auswirken kn-nen, fortgeworfen. Nheres zu diesem Proze der Grobkrnung oder, wie wir zumeist sagen werden, Vergrberung folgt weiter unten und im bernchsten Kapitel. Korrelationen dieser Art bestehen zwischen den Orten und Geschwin-digkeiten der harten Kreise von Abb. 1.1c auf Grund der Tatsache, da sich der Zustand 1.1c aus dem Zustand 1.1a entwickelt hat. Makroskopisch knnten sich die Korrelationen auswirken, wenn die theoretische Mglichkeit, alle Orte gleich zu lassen und die Richtungen aller Geschwindigkeiten umzukehren, auch praktisch bestnde: Dann wrde die Entwicklung der Abb. 1.2 eintreten. Tatschlich knnen die Geschwindigkeiten nicht umgekehrt werden, und die verborgenen Korrelationen der Abb. 1.1c wirken sich makroskopisch nicht aus. 25 Naturgesetze und die Richtung der Zeit berlegungen und Rechnungen, die auf denen Boltzmanns fuen, haben ge-zeigt, da sowohl der Abbau von Struktur insgesamt, als auch deren Ausbildung in Teilsystemen auf Ablufe zurckgefhrt werden kann, deren jeweilige zeit-liche Umkehr denselben Naturgesetzen gengt wie sie selbst. Wir knnen auch sagen, da die fundamentalen Naturgesetze die erster Art keine Richtung derZeit vor der anderen auszeichnen. Hier mu ein kleiner Vorbehalt angemeldet werden: Experimente mit Elementarteilchen, auf deren Konsequenzen ich in Kapitel 4 eingehen werde, haben 1964 ine winzige Verletzung dieser Zeitum-kehrsymmetrie der Naturgesetze bewiesen. Aber die Voraussetzungen, unter de-nen diese Verletzung auftritt, sind so speziell, da die Phnomene, von denen wir jetzt sprechen, von ihr unabhngig sind. Da die Gesetze des elastischen Stoes, auf denen die Effekte der Abb. 1 be-ruhen, keine Richtung der Zeit vor der anderen auszeichnen, ist leicht zu sehen. Beginnen wir nmlich mit einem Film, der einen einzelnen Kreis im Kasten der Abbildung zeigt. Diesem Film kann offenbar nicht angesehen wer-den, ob er vorwrts oder rckwrts abluft. Genauso ist es bei zwei Kreisen und bei drei. Bei den sechzehn Kreisen der Abb. 1 sind wir hingegen schon recht sicher, da die Abb. 1.2 einen rckwrts laufenden Film zeigt. Aber niemals, auch nicht bei 1023 Atomen, kann die subjektive Sicherheit auf ein bei irgend-einer Anzahl neu hinzugekommenes Naturgesetz zurckgefhrt werden. Sie beruht auf nichts als der zunehmenden Unmglichkeit, einen Ablauf in Gang zu setzen, bei dem sich die Kreise/Atome in einer Kastenhlfte versammeln. Die wachsende Unmglichkeit kann leicht durch eine abnehmende Wahr-scheinlichkeit quantifiziert werden. Wir wollen uns nmlich vorstellen, wir wrfelten die Orte und Geschwindigkeiten der Kreise/Atome am Anfang eines Ablaufs im Einklang mit den makroskopischen Einschrnkungen aus. Je mehr Kreise/Atome wir betrachten, desto seltener erwrfeln wir eine Anfangsbedin-gung, die den zur Abb. 1.2 analogen Ablauf so in Gang setzen wrde, da in-nerhalb eines Weltalters von sagen wir 1010 Jahren die Abb. 1.2c erreicht wre. Abschtzungen, die ein Niemals im physikalisch-praktischen Sinn przi-sieren wrden, setzten genaue Spezifikationen voraus und sollen uns hier nicht interessieren. Wenn also einmal ein Zustand erreicht ist, der Abb. 1.2c entspricht, bleibt er makroskopisch gesehen bestehen das System befindet sich im thermischenGleichgewicht. Dann ist es so ungeordnet oder chaotisch, wie es bei den beste-henden makroskopischen Einschrnkungen Temperatur zum Beispiel, Teil-26 Abb. 2 Von der Schwankung der Differenz der Teilchenzahlen in zwei Kastenhlften kann im Thermischen Gleichgewicht nicht abgelesen werden, ob die positive wachsende Zeit nach rechts oder nach links aufgetragen wurde. Bei makroskopischen Systemen berwiegen die grt-mglichen Abweichungen von Null, bei denen alle Teilchen in derselben Kastenhlfte versammelt wren, die hier dargestellten um viele, viele Grenordnungen. chenzahl und Volumen berhaupt sein kann. Seine weitere Entwicklung ist dann auch makroskopisch zeitumkehrsymmetrisch. Nehmen wir zum Beispiel eine makroskopische Variable wie die Differenz der Teilchenzahlen in der rech-ten und linken Kastenhlfte. Diese wird zwar um den Mittelwert Null schwan-ken, an der Gesamtzahl der Teilchen gemessen aber nur wenig. Niemals (im physikalischen Sinn) wird sie aber den Wert erreichen, der Abb. 1.1a oder 1.2c entspricht. Die kleinen Schwankungen kommen und gehen zeitumkehrsym-metrisch wie gewonnen, so zerronnen. Einer graphischen Darstellung dieser Differenz (Abb. 2) ist nicht anzusehen, ob die Zeit von links nach rechts oder von rechts nach links wchst. Wenn sich ein System aus vielen Teilchen also in einem Zustand befindet, der vom thermischen Gleichgewicht weit entfernt ist, kann es diesen Zustand nicht dadurch angenommen haben, da es sich durch eine Schwankung von einem zuvor bestehenden thermischen Gleichgewicht entfernt hat. Denn groe Schwankungen treten bei groen Systemen nahezu niemals auf. Wodurch aber dann? Durch Einflsse, die auerhalb seiner selbst liegen, es als System erst de-finieren oder in einen Zustand des Nichtgleichgewichts versetzen. Diese Ein-flsse knnen iwals geordnete Systeme ausben, indem wir zum Beispiel einen27 Stab an einem Ende erhitzen und ihn dann sich selbst berlassen. Einflsse, die Systeme in Zustnde fern vom thermischen Gleichgewicht versetzen, wirken aber auch in der unbelebten Natur ein Stck bricht von einem Eisberg ab und fllt ins Wasser. Insgesamt knnen wir die Entwicklung bis zu einem Zeitpunkt kurz nach dem Urknall zurckverfolgen, ohne auf Prozesse zu stoen, die den Zweiten Hauptsatz verletzen. Gemessen an der Unordnung, die im Weltall herrschen knnte, ist seine Ordnung noch heute berraschend gro. berall finden wir geordnete Strukturen wie Galaxien, Sterne, Planeten und insbeson-dere fein verteilte Materie, aus der Sterne entstehen knnen und entstehen. In ihrem Zustand grter Unordnung bildet die Materie ein Schwarzes Loch. De-tails zu diesen und anderen berraschenden thermischen Eigenschaften der Ma-terie unter dem Einflu der Schwerkraft findet der Leser in Kapitel 4. Fr den Prolog sind diese Fragen zu gro. Noch grer ist aber die Frage nach dem Ur-sprung der Ordnung, die das Universum kurz nach dem Urknall besa. Woher die Ordnung? Das Universum knnte in einem Zustand groer Ordnung entstanden sein. Da-mit wre die Frage nach dem Ursprung der beobachteten Ordnung beantwor-tet. Aber nicht befriedigend. Denn Details mten noch ausgemalt werden. Jede realisierte Ordnung ermglicht nmlich andere, nicht realisierte Ordnungen. Warum und wodurch sollte das Universum im Augenblick seiner Entstehung eine bestimmte Ordnung herausgreifen und entstehen lassen, nicht aber eine der anderen, genauso mglichen Ordnungen? Fragen dieser Art hat vor allem der deutsche Philosoph Gottfried Wilhelm Freiherr von Leibniz (1646-1716) gestellt. Er hat rsoniert, da der Schpfer der Welt keine Wahl zwischen gleich guten Mglichkeiten htte treffen knnen. Vor eine solche Wahl gestellt, htte Gott berhaupt keine Welt erschaffen. Aber auch abgesehen von einem Schpfer je weniger Detailinformation eine Schpfungsgeschichte voraussetzt, desto berzeugender ist sie. Die Schpfungsgeschichte der heutigen Physik beginnt mit dem Satz, da am Anfang die Temperatur unendlich gro war. Dann aber war auch die Un-ordnung am Anfang so gro wie berhaupt mglich. Denn je hher die Tem-peratur, desto grer die Unordnung. Woher dann die Ordnung, die das Uni-versum heute besitzt? 28 Exkurs: Zeit vor der Zeit des Urknalls? Der Kirchenvater Augustin, der um 400 wirkte, beginnt seine Diskussion des Zeitpunkts der Erschaffung der Welt mit der Frage Was tat denn Gott, ehvor erHimmel und Erde erschuf? Denn war er mig ... und wirkte kein Werk, warum blieber so nicht immer und alle Zeiten fort, wie er vor der Schpfung immer des Wirkens miggewesen? Die Antwort, die Augustin gibt, hat wohl auch theologische, nicht nur logische Grnde, erffnet aber eine wichtige Denkmglichkeit: Die Zeit wurde zusammen mit der Welt erschaffen; zuvor gab es keine Zeit. Heute ist diese Denkmglichkeit im Zusammenhang mit der Urknallhypo-these wichtig. Sie bildet das Standardmodell der Physik von der Entstehung der Welt. Die Galaxien sind im Weltall nicht statisch verteilt wie die Stdte auf der Erdoberflche, sondern fliegen so voneinander fort, als seien sie vor sagen wir fnfzehn Milliarden Jahren in einer gewaltigen Explosion aus demselben Raumgebiet herausgeschleudert worden. Die Urknallhypothese folgert aus diesem Befund, da alle Materie vor fnf-zehn Milliarden Jahren, im Augenblick des Urknalls, in einem Punkt versam-melt war. ber Materie in diesem Zustand sagen die Gesetze der Physik nichts aus. Wir knnen ihm aber ber eine Folge von Zustnden, in denen die Gesetze der Physik gelten, beliebig nahe kommen. Nehmen wir also an, die Materie des von uns beobachtbaren Teils des Universums sei erstens in unserer Galaxie, der Milchstrae, versammelt, zweitens in dem Sonnensystem, drittens in der Erde, viertens dem Klner Dom, fnftens in einer Nuschale und so weiter: Wir konstruieren eine Folge von Zustnden, fr welche die Gesetze der Physik gel-ten und die dem Zustand, in dem sich die Materie im Augenblick des Urknalls befunden hat, beliebig nahe kommen. Ich behaupte nicht, da wir die Gesetze der Physik fr Materie in diesen Zu-stnden kennen; das ist nicht so. Wir denken aber, da es solche, noch unbe-kannte Gesetze gibt. Klar ist, da sich die in einem immer kleineren Volumen konzentrierte Materie immer schneller bewegt haben mu. Denn die Galaxien, die heute voneinander fort fliegen, tun dies unter dem Einflu der Schwerkraft, die ihre Bewegung abbremst. Je weniger Raum der Materie also zur Verfgung stand, um so schneller hat sie sich bewegt. Klar ist auch, da diese Bewegung eine ungeordnete Relativbewegung gewesen sein mu. Denn die Geschwin-digkeiten der Galaxien sind verschieden, und deshalb mssen sich deren Bau-steine anfangs verschieden schnell bewegt haben. Unmittelbar nach dem Urknall, als alle Materie auf engem Raum zusammen war, flog also alles, was es gab, mit groen Geschwindigkeiten ungeordnet29 durcheinander. Daraus, aus der ungeordneten Bewegung ohne Grenzen, folgt die Expansion des Universums, die wir bei unserer Betrachtung rckwrts ver-folgt haben. Die Teile der Materie in diesen frhen Zustnden des Universums kennen wir nicht; wir wissen nicht einmal, ob in ihnen berhaupt von Teilen gesprochen werden kann. Mir kommt es darauf an, da sich die Materie im sehr frhen Universum in einem Zustand schneller, ungeordneter Bewegung be-funden haben mu gleichgltig ob diese Bewegung besser als die Bewegung voneinander getrennter Teile oder als das schwankende Hin und Her einer Fls-sigkeit beschrieben werden kann. Ich bleibe bei dem Bild der voneinander getrennten Teile der Materie. Je schneller deren ungeordnete Bewegungen sind, desto heier ist sie. Temperatur ist geradezu die ungeordnete Bewegung von Teilen. Heies Wasser lst Zucker besser auf als kaltes, da die schnelleren Wassermolekle bei hherer Temperatur die Zuckermolekle besser aus ihrem Verband herausschlagen knnen. Je nher wir also dem Urknall kommen, desto heier ist die Materie. Im Augenblick des Urknalls war das Weltall unendlich hei und unendlich dicht. Das ist der Zu-stand hchstmglicher Formlosigkeit, des vollkommenen Chaos. Wenn es ein Vorher gab, beeinflut es das Nachher nicht: Die unendlich hohe Tempera-tur und Dichte im Augenblick des Urknalls lschen jede Information darber, wie die Welt vorher beschaffen war, aus. Ob vor dem Urknall sinnvoll von einer Zeit gesprochen werden kann, ist fr die Entwicklung der Welt nach ihm gleichgltig. Aussagen darber sind, da unberprfbar, keine wissenschaft-lichen Aussagen. War die Welt einmal unendlich hei, knnen wir den Zeitpunkt, zu dem sie das war, auch in Gedanken nur aus unserem Zeitbereich, rckwrts also in der Zeit, erreichen. Sich tatschlich und physisch rckwrts in der Zeit zu bewe-gen, ist selbstverstndlich unmglich. Wir knnen aber eine Tabelle der Zu-stnde, die die Welt im Laufe der Zeit angenommen hat, rckwrts lesen. Diese Tabelle mu bei der Eintragung Temperatur unendlich abbrechen. Wenn wir verschiedene Substanzen mit gleicher atomarer Zusammenset-zung durch Erhitzen in ihre Atome zerlegen, verlieren wir genauso die Infor-mation darber, mit welchem Prozentsatz von welcher Substanz wir begonnen haben. Graphit und Diamant bestehen aus demselben Kohlenstoff. Wird eine Mischung von beiden fr einige Stunden auf mindestens 1500 Grad erhitzt, ist das Ergebnis reines Graphit: Die Information, mit welcher Mischung wir begonnen haben, ist zusammen mit den Diamanten verlorengegangen. 30 Wiederaufnahme: Woher die Ordnung? Wenn die Hypothese vom unendlich heien Urknall richtig ist, knnen wir ohne Furcht vor Widerspruch zu mglichen Erfahrungen sowohl annehmen, da es Zeit zuvor gegeben hat, als auch, da das nicht so war. Denn dann war das Universum im Augenblick des Urknalls so chaotisch wie berhaupt mg-lich. Aber woher dann die Ordnung im heutigen Weltall? Kurze Zeit Sekunden oder Minuten nach dem Urknall war die Ordnung im Universum grer als heute. Das mag berraschen. Denn heute weist das Universum Strukturen auf, die sich seither gebildet haben. Aber Struktur be-deutet doch Ordnung mehr Ordnung jedenfalls, als sie die nahezu gleich-mig verteilte Materie kurz nach dem Urknall besessen haben kann? Das ist nicht so. Schon Newton wute, da die Materie die Tendenz besitzt, unter dem Einflu der Schwerkraft, die ihre Teile aufeinander ausben, zusam-menzustrzen. Insbesondere ist fein verteilte Materie instabil. Wenn sich in einem Raumbereich durch eine zufllige Schwankung besonders viel Materie angesammelt hat, wird sich in diesem Bereich auf Grund der vergrerten Schwerkraft, die von ihm ausgeht, noch mehr Materie ansammeln. Schlielich strzt die Materie in einer Umgebung des Bereichs zusammen und bildet einen Stern, ein Planetensystem oder eine Galaxie. Kapitel 4 beschreibt im Detail, da und warum hierbei die Ordnung abnimmt Materie, die unter dem Einflu ihrer eigenen Schwerkraft zusammenstrzt, wird heier und heier, und das bedeutet verminderte Ordnung. Es bleibt die Frage, wie es zu dem Zustand hoher Ordnung kurze Zeit nach dem Urknall kommen konnte. Um eine endgltige Antwort geben zu knnen, mten wir den Einflu groer Temperaturen auf hchst verdichtete Materie und Energie besser kennen, als wir es tun. Aber bereits die Anwendung des Zweiten Hauptsatzes auf das Universum insgesamt steht auf wackligen Fen. Denn das Universum expandiert, so da es nicht als abgeschlossenes System angesehen werden kann obwohl es, andererseits, alles enthlt, was es gibt. Ordnung wird aus der Expansion des Universums insbesondere dann erwach-sen, wenn diese so schnell erfolgt, da andere Prozesse, die in ihm ablaufen, nicht Schritt halten knnen. Genau so aber hat sich das Universum unmittelbar krzer als kurz, wie wir sagen knnen nach dem Urknall entwickelt. In sei-ner frhesten Phase ist das Universum besonders schnell grer geworden. Wir wollen vereinfachend annehmen, das sehr frhe Universum sei pltzlich in dem Sinn grer geworden, da sich seine Teile voneinander entfernt haben, anson-sten aber ungendert auch gleich gro geblieben sind. Hierbei und hierdurch31 wird die Zahl der Mglichkeiten vergrert, die Bauteile des Universums in ihm zu verteilen. Die aktuelle Ordnung aber bleibt dieselbe. Als Resultat ist die grtmgliche Unordnung gewachsen, die tatschliche aber ungendert geblie-ben. Deshalb, weil das Universum als Resultat seiner Expansion mehr Unord-nung ermglicht, als seine Teile besitzen, knnen diese in einen Zustand gerin-gerer Ordnung bergehen und dadurch und dabei Teilsysteme schaffen, in denen die Ordnung wachsen wird. Abgezweigte Systeme Mit berragender Wahrscheinlichkeit hat die Ordnung eines abgeschlossenen Systems, das wir in einem Zustand groer Ordnung antreffen, seit dem letzten Kontakt mit anderen Systemen abgenommen. Ich erinnere an den Stab, dessen eines Ende wir erhitzt haben, und an den von einem Eisberg abgebrochenen und ins Wasser gefallenen Eisklotz, der zusammen mit dem flssigen Wasser ein System bildet, dessen Unordnung dadurch zunimmt, da der Eisklotz schmilzt. Ein anderes uns schon bekanntes Beispiel ist Parfm in einem offenen Flakon in einem geschlossenen Raum. Vereinfachend knnen wir sagen, da derartige Systeme in Zustnden groer Ordnung entstanden sind abgezweigt von ande-ren Systemen, entwickeln sie sich ohne Kontakt zur Auenwelt weiter. Im Prinzip knnte der Weltenplan bewirken, da abgezweigte Systeme von ihren Geburtshelfer-Systemen in einen jener raren Zustnde versetzt werden, mit dem beginnend die Ordnung wchst. Aber das ist nicht so Korrelationen zwischen dem makroskopischen Proze der Abzweigung und dem mikrosko-pischen Anfangszustand des abgezweigten Systems treten nicht auf. Genauso knnte es Korrelationen zwischen den Naturgesetzen fr die mikroskopische Entwicklung eines Systems und dessen mikroskopischen Zustnden geben, die bewirken, da die makroskopische Ordnung wchst. Das ist nicht so makro-skopisch gesehen, wirken mikroskopische Gesetze in derartigen Fllen genauso wie blinder Zufall. Zur Erluterung whle ich das von dem sterreichischen theoretischen Phy-sik Paul Ehrenfest (1880-1933) ersonnene, hchst instruktive Modell der Abb. 3. In zwei Urnen befinden sich 100 mit 00, 01,..., 99 durchnumerierte Kugeln. Ihre Verteilung definiert den Anfangszustand des Modells. Seine zeit-liche Entwicklung bestimmt blinder Zufall. Durch ein Glcksrad mit 100 Ein-teilungen wird eine Zahl zwischen 00 und 99 zufllig ausgewhlt. Die Kugel mit dieser Nummer wird aus der Urne, in der sie sich befindet, in die andere 32 Abb. 3 Das Modellsystem zur Thermodynamik erlutert der Text. umgepackt. Und so wieder und wieder mit der Konsequenz, da eine anfangs mglicherweise bestehende Ordnung abgebaut wird. Ordnung bedeutet bei diesem System, da sich mehr Kugeln in der einen Urne als in der anderen befinden. Insofern gleicht es dem der Abb. 1 mit dem Unterschied freilich, da dort das fundamentale Naturgesetz des elastischen Stoes, hier der blinde Zufall die zeitliche Entwicklung bestimmt. Da bei zahlreichen Kugeln auch hier eine anfangs bestehende Ordnung nahezu immer abgebaut wird, ist offensichtlich: Je mehr Kugeln sich in einer Urne befinden, desto grer ist die Wahrscheinlichkeit, da das Glcksrad eine dieser Kugeln auswhlen wird. Folglich wird die Zahl der Kugeln in der Urne abnehmen, in der sich mehr befinden das Ungleichgewicht wird abgebaut. Im Gleichge-wicht wird dann die Differenz der Zahlen der Kugeln in der rechten und der linken Urne wie in der Abb. 2 um Null herum schwanken. Statt des blinden Zufalls soll nun ein Gesetz die zeitliche Entwicklung des Systems bestimmen. Von der Kreiszahl Pi knnen Mathematiker beliebig viele Stellen hinter dem Komma berechnen. Um nur Stellen hinter dem Komma zu haben, betrachte ich die Zahl Pi geteilt durch 10, also Pi/10=0,/31/41/59/26/53/58/97/93/23/84/62/64/../ und so weiter. Ich habe die Ziffernfolge in Paare von Ziffern unterteilt und ihnen so die 100 Ehrenfestschen Kugeln zugeordnet. Mein Gesetz ist nun, da statt der vom Glcksrad ausgewhlten Zahlen die Ziffernpaare von Pi/10 be-stimmen sollen, welche Kugeln umgepackt werden. Wie in der Abbildung ist 33 das zunchst die Kugel mit der Nummer 31; dann die mit der Nummer 41, dann 59, 26, 53 und so weiter. Zweierlei kann keinem Zweifel unterliegen. Erstens sei die Anfangsver-teilung unabhngig von dem Gesetz gewhlt, das die zeitliche Entwicklung bestimmen wird die Kugeln - werden zum Beispiel ohne Ansehung ihrer Nummern auf die Urnen verteilt. Dann kann die Wirkung des Gesetzes auf die Verteilung der Kugeln von der Wirkung des blinden Zufalls nicht unterschie-den werden. Wird zweitens aber die Anfangsverteilung dem Gesetz angepat, so da zwischen beiden geeignete Korrelationen bestehen, kann erreicht wer-den, da zumindest fr eine beschrnkte oder herausgegriffene sptere Zeit die Ordnung wchst. Dazu werden die 12 Kugeln mit den Nummern 23, 26, 31, 41, 53, 58, 59, 62, 64, 84, 93 und 97 in die linke Urne gelegt, alle anderen in die rechte. Was dann geschieht, wird der blinde Zufall hchst selten bewirken die 12 Kugeln der linken Urne werden in 12 Zeitschritten in die rechte umgelagert. Wenn wir durch die Auswahl der Kugeln keine weiteren Korrelationen zwi-schen Gesetz und Anfangszustand eingefhrt haben, kann die weitere Entwick-lung von einer durch blinden Zufall bewirkten abermals nicht unterschieden werden. Gesetz ohne Gesetz? Die wahre Logik dieser Welt liegt laut dem groen englischen Physiker des letzten Jahrhunderts, James Clerk Maxwell, in der Wahrscheinlichkeitsrechnung. A. S. Ed-dington hat zwischen Gesetzen erster und zweiter Art unterschieden: Ich habe dieGesetze, die das Verhalten eines einzelnen Krpers regeln, Gesetze erster Art ge-nannt, und damit implizite behauptet, da der zweite Hauptsatz der Wrmelehre, ob-gleich er ebenfalls ein anerkanntes Naturgesetz ist, doch in gewissem Sinn den ersterennicht gleichgeordnet werden kann und als Gesetz zweiter Art bezeichnet werden mu. ... Die Gesetze erster Art verbieten gewisse Dinge, deren Geschehen unmglich ist. DieGesetze zweiter Art verbieten Dinge, deren Geschehen zu unwahrscheinlich ist, als da sie jemals wirklich eintreten knnten. Es ist die berzeugungfast aller Physiker gewesen,da der letzten Wurzel alles Geschehens ein lckenloses System von Gesetzen erster Artzugrunde liegt, welches das Verhalten jedes einzelnen kleinsten Teilchens oder Bausteinsder Welt mit ehernem Determinismus regiert. Eine Funote zur berzeugung fast aller Physiker weist auf die Unbestimmt-heiten der damals neuen Quantenmechanik hin: Seif einiger Zeit stellen dies da nmlich die letzte Wurzel alles Geschehens ein lckenloses System von Geset34 zen erster Art ist -jedoch manche Physiker, wie auch ich Eddington selbst, inFrage. Die Idee jedoch, da es berhaupt keine Gesetze erster Art, sondern nur solche zweiter Art geben knne, hatte zur Zeit Eddingtons niemand. Der groe amerikanische Physiker John Archibald Wheeler ist ein promi-nenter Vertreter dieser Idee. Trotz meiner Verehrung fr ihn gehe ich auf sein Law without law Gesetz ohne Gesetz nicht im Detail ein. Zuviel mte um-gestoen werden, bevor sich diese Idee als richtig erweisen knnte. Trotzdem eine Skizze. Der Zweite Hauptsatz ist das wichtigste Beispiel. Er gilt auch dann, wenn auf dem mikroskopischen Niveau der blinde Zufall statt eines Naturgesetzes herrscht. Allgemein soll der Zufall an die Stelle der dann nur vermeintlichen fundamentalen Naturgesetze treten knnen, ohne da sie auf ihrem hheren Niveau ungltig wrden. Dem folge ich, wie gesagt, nicht. Ich denke, da es fundamentale Naturge-setze gibt, die festlegen, was bei vorgegebenen Anfangsbedingungen im Laufe der Zeit geschieht. Gewimmel und Chaos knnen Einsteins E = mc2 nicht be-grnden. Und die Wahrscheinlichkeiten der Quantenmechanik beruhen auf mehr als nur dem Gesetz der groen Zahlen, das schluendlich zu den Verfesti-gungen fhren mag, die wir beobachten (Kapitel 6). Zuzugeben ist aber, da die Naturgesetze, die hier und jetzt herrschen, eine Geschichte haben knnen. Wir wissen nicht, warum die Konstanten, die in den Naturgesetzen auftreten, ihre speziellen Werte besitzen ob sie durch einen Proze, der auch anders htte ausgehen knnen, festgelegt wurden. Wenn das so ist, gibt es eine einfa-che Erklrung dafr, da ihre Werte ungefhr so sind, wie sie sind: Wren sie ganz anders, wir wren nicht hier. Denn nur ein schmales Band von Werten der Naturkonstanten erlaubt intelligentes Leben. Unsere Existenz hier und jetzt be-weist selbstverstndlich, da die Naturgesetze, die hier und jetzt gelten, unsere Existenz erlauben. Anthropisches Prinzip ist der viel zu bombastische Name fr diese Feststellung. Seltsam ist nur, da der Bereich der Werte der Naturkon-stanten, der intelligentes Leben erlaubt, sehr schmal ist. Deterministisches Chaos Die Naturgesetze, die fr groe genauer: nicht-quantenmechanische Sy-steme gelten, sind deterministisch: Ist der Anfangszustand vorgegeben, folgt aus den Gesetzen, was weiter geschieht. Aber Determinismus fhrt nicht unbe-dingt auf praktisch nutzbare Vorhersagbarkeit. Zunchst ein einfaches Pendel. Bei ihm ist das so: Wenn ich Ort und Geschwindigkeit der Pendelmasse zu 35 Abb. 4 Das Doppelpendel kann sowohl regulr als auch chaotisch schwingen. einem Zeitpunkt mit einer gewissen Genauigkeit kenne, kann ich Ort und Ge-schwindigkeit mit ungefhr derselben Genauigkeit zu jeder Zeit berechnen. Bei zahlreichen, geradezu den meisten Systemen ist das aber ganz anders. Diese Systeme knnen chaotisches Verhalten zeigen. So das Doppelpendel der Abb. 4: Die Pendelmasse 2 ist durch eine starre Stange mit der Pendelmasse 1 verbunden; diese durch eine weitere starre Stange mit dem Aufhngungspunkt. In der Abbildung deuten Pfeile an, da die Stangen um ihre Aufhngungs-punkte rotieren knnen, berschlag also mglich ist. Reibung soll es nicht ge-ben, so da das System, einmal in Bewegung gesetzt, fr immer schwingt. berlt man das Doppelpendel in der Stellung der Abbildung sich selbst, werden die beiden Pendelmassen so hin-und herschwingen, da fr alle Zeiten mit groer Genauigkeit berechnet werden kann, wo sie sich gerade befinden und wie schnell sie sind. Diesem regulren Verhalten steht ein chaotisches gegen-ber. Wenn der Leser das Buch um 180 Grad dreht, so da das Doppelpendel auf dem Kopfsteht, sieht er eine andere, ebenfalls mgliche Anfangslage der Pendelmassen vor sich. In dieser Stellung losgelassen, werden sie sich schnell und chaotisch bewegen: Nach einer gewissen Zeit kann es zu einem berschlag einer Pendelmasse gekommen sein, oder auch nicht. Davon hngt aber das wei-tere Schicksal des Doppelpendels entscheidend ab: Ist es zu einem berschlag gekommen, verhlt es sich ganz anders, als wenn es nicht dazu gekommen ist. Um das Langzeitverhalten des Doppelpendels einigermaen genau berechnen zu knnen, mssen deshalb die Anfangslagen und Anfangsgeschwindigkeiten 36 der Pendelmassen absurd genau bekannt sein: Obwohl es deterministisch fest-gelegt ist, kann das Langzeitverhalten des Doppelpendels nicht vorhergesagt werden. Genausowenig kann aus dem gegenwrtigen Zustand eines chaotisch schwin-genden Doppelpendels sein Zustand vor einer langen Zeit berechnet werden. Das ist wie bei dem Gas der Abb. 1, nachdem Thermisches Gleichgewicht er-reicht worden ist. Genau wie dieses zeichnet auch das chaotisch schwingende Doppelpendel keine der beiden Zeitrichtungen vor der anderen aus. Die Aus-zeichnung der einen Zeitrichtung vor der anderen bei dem Gas der Abb. 1 folgt nicht bereits daraus, da sich das Gas chaotisch verhlt. Erforderlich ist auch und vor allem, da es von dem regulren Regime zu dem chaotischen ohne Kontakt mit der Auenwelt bergehen kann, niemals aber zurckfinden wird. Dazu aber sind viele Teilchen erforderlich, physikalisch-abstrakt ausgedrckt: viele Freiheitsgrade. Wenn der Leser denkt, chaotisches Verhalten allein reiche zur Unterscheidung der einen Richtung der Zeit von der anderen aus, befindet er sich in guter Gesellschaft. Trotzdem ist es nicht so: Zeigt ein Film die chao-tischen Schwingungen eines Doppelpendels, kann ihm nicht angesehen wer-den, ob er vorwrts oder rckwrts abluft. Eine Richtung der Zeit kann von einem abgeschlossenen System nur dann abgelesen werden, wenn es sich von geordnetem zu ungeordnetem Verhalten entwickelt und nicht wieder zurck-kehrt. Das aber kann es nur, wenn es zahlreiche Freiheitsgrade besitzt. Wenn Chaos herrscht, hngt alles von allem ab das Wetter in Karlsruhe von dem Flgelschlag eines Schmetterlings in Kalifornien. So oder hnlich haben wir es oft gehrt. Was aber weiter, wenn wir zustimmen, weil wir es verstanden haben? Die vornehmste Aufgabe der Physik ist, die fundamentalen Naturge-setze herauszufinden. Hinge, wie es bei chaotischem Verhalten ist, alles von allem ab, wre das unmglich. Das ist die wohl wichtigste Konsequenz der Chaos-Forschung fr unser Thema. Herrschte berall Chaos, wre Naturforschung unmglich. Dann wre es unmglich, Bereiche abzugrenzen, die fr sich allein verstanden werden kn-nen. Da nichts geplant werden knnte, bte Intelligenz keinen evolutionren Vorteil. Darber, ob bei Allgegenwart von Chaos intelligentes Leben, oder Le-ben berhaupt, mglich wre, will ich nicht spekulieren. Wrde sich das Son-nensystem chaotisch statt regulr verhalten, wre Leben, wie wir es kennen, in ihm wohl unmglich. Dann wrden die Planeten chaotische Bahnen durchlau-fen, auf denen ihre Entfernung von der Sonne sich stndig stark ndern wrde mit der Konsequenz, da die Oberflchentemperaturen der Planeten extre-men Schwankungen unterworfen wren. 37 Ein Ergebnis der Chaos-Forschung ist, da erst regulres und chaotisches Verhalten zusammen die Entwicklung und das Funktionieren von adaptiven Systemen den IGUS, Information Gathering and Utilizing Systems des Physikno-belpreistrgers von 1969, Murray Gell-Mann, in seinem Buch Das Quark undder Jaguar - ermglicht. Nun hngt das Ausma von chaotischem und regulrem Verhalten von den Werten der Naturkonstanten ab. Wre Newtons Gravitati-onskonstante grer als sie ist, dann auch die Kraft, mit der die Erde die Massen des Doppelpendels anzieht. Dann wre mehr Energie erforderlich, um chaoti-sches Verhalten anzuregen. Umgekehrt wrde bei kleinerer Gravitationskon-stante bereits ein kleinerer Ansto das Doppelpendel zu chaotischen Schwin-gungen veranlassen. Naturgesetze und Naturkonstanten Analoges gilt fr chaotisches und regulres Verhalten des Sonnensystems. Fr uns ist nur wichtig, da die Werte der Naturkonstanten darber entscheiden, ob die Welt verstanden werden kann. Mglicherweise sind auch die Naturge-setze, die wir fr fundamental halten, nur Nherungen. Zustzlich zu den Ter-men, die wir kennen, knnten sie andere enthalten, die aber so klein sind, da sie sich nicht bemerkbar gemacht haben. Insbesondere ist zu vermuten, da Terme, in denen Naturkonstanten mit der Dimension einer Lnge als Faktor auftreten, nur sehr kleine Beitrge zu beobachtbaren Gren liefern werden. Schwerkraft, Quantenmechanik und Spezielle Relativittstheorie bringen drei Naturkonstanten ins Spiel, die in der fundamentalen Theorie der Zukunft, die alle Theorien vereinigt und die wir noch nicht kennen, zusammen auftreten mssen: Newtons Gravitationskonstante, Plancks Wirkungsquantum und die Lichtgeschwindigkeit als Grundgre von Einsteins Spezieller Relativitts-theorie. Aus diesen drei Naturkonstanten kann eine Lnge gebildet werden, die unter der Voraussetzung, da nicht von irgendwoher riesengroe Faktoren dazukommen, im wesentlichen festliegt. Diese Lnge sie heit die Planck-sche Lnge und hat den Zahlenwert 10-33 Zentimeter ist so klein, da sie sich bei keiner Lngenmessung hat bemerkbar machen knnen. Da aber zu vermu-ten ist, da die fundamentale Theorie der Zukunft diese Lnge enthlt, ms-sen zu den Termen der Theorien, die wir fr fundamental halten, Terme hin-zukommen, die zu dieser Lnge proportional und deshalb so klein sind, da ihr Fehlen in der Theorie experimentell noch nicht nachgewiesen werden konnte. 38 Abb. 5 Der Holzschnitt Tlieorica musice aus dem Jahr 1492 von Gafurios veranschaulicht dem Pythagoras zugeschriebene Experimente zur Harmonielehre. Die groe Entdeckung der Pythagoreer war, da den Harmonien Zahlen-verhltnisse entsprechen. Diese lassen sich von System zu System bertragen so da den Na-turgesetzen eine Realitt zugeschrieben wer-den mu, die von dem jeweiligen System un-abhngig ist. Dasselbe gilt fr weitere mgliche Terme, die zum Quadrat dieser Lnge proportional sind, und so weiter. Fundamentaler als die mehr oder weniger fundamentalen Naturgesetze, die wir kennen, sind Symmetrieprinzipien, auf denen einige ihrer Eigenschaften beruhen. So sollen die Naturgesetze fr ein beliebiges abgeschlossenes System davon unabhngig sein, wo sich das System befindet, wann der Experimentator mit seinen Untersuchungen beginnt und wie das System im Raum orientiert ist. Sie sollen auch davon unabhngig sein, wie schnell sich das System mit konstanter Geschwindigkeit bewegt. Aus diesen vier Symmetrieprinzipien, die uneingeschrnkte Gltigkeit zu besitzen schei-nen, folgen zahlreiche Eigenschaften der Naturgesetze. Insofern also mssen sie von System zu System bertragbar sein. Die Pythagoreer, deren Schule um 500 v. Chr. in Unteritalien florierte, ha-ben die bertragkeit entdeckt. Ihr Gesetz war die Zahl konkret haben sie ge-funden, da musikalischen Harmonien Zahlenverhltnisse entsprechen. Und zwar, wie in der Abb. 5 dargestellt, bei auf den ersten Blick ganz verschiedenen Systemen. Da lag es nahe, auch im Universum insgesamt nach Harmonien zu suchen, die sein Verhalten bestimmten. Man stellte sich vor, da diese zahlenmi-gen Verhltnisse fr die Struktur des Universums eine Schlsselrolle spielen. So glaubte39 man, da die gleichen Verhltnisse in den Abstnden der Planeten zu finden seien. Diespteren Pythagoreer lehrten, da die Planeten oder die Sphren, die sie um das zen-trale Feuer trugen ebenfalls Tne erzeugten: die berhmten Sphrenklnge.Grobkrnung und die Richtung der Zeit Ludwig Boltzmanns Idee, da der Flu der Zeit in eine erkennbare Richtung, wie er im Zweiten Hauptsatz zum Ausdruck kommt, nicht auf den fundamen-talen Naturgesetzen erster Art beruhe, ist auf groen, auch emotionalen Wider-stand gestoen. In einem abgeschlossenen System entsteht der sogenannte Flu der Zeit laut Boltzmann letztlich dadurch, da wir allzu verborgene mikrosko-pische Korrelationen zwischen der Orten und Geschwindigkeiten der einzel-nen Atome nicht mehr zur Kenntnis nehmen. Wir werfen die Korrelationen sozusagen fort und erhalten dadurch eine grobgekrnte oder, wie wir sagen wol-len, vergrberte Beschreibung. Erst sie zeichnet die eine Richtung der Zeit gesetz-mig vor der anderen aus. Aber die Gesetze, die fr die vergrberte Beschreibung eines Systems gelten unter ihnen der Zweite Hauptsatz , sind ausnahmslos Gesetze zweiter Art. Sie entstehen durch den Akt der Vergrberung, drcken also keine in den Na-turgesetzen erster Art verankerte Realitt aus. Die Vergrberung schafft eine Richtung der Ablufe, die auf keiner vorgegebenen Richtung der Zeit beruht. Auch wenn die zeitliche Umkehrung eines Ablaufes niemals auftritt, wird durch ihn nur eine Richtung in der Zeit ausgezeichnet. Die Zeit selbst besitzt keine Richtung; nur Ablufe besitzen eine. Realitt und Emergenz Damit sagen wir nicht, da der Flu der Zeit keine objektive Realitt besitzt. Auch das Leben ist real, ohne da den Atomen, aus denen die Lebewesen beste-hen, Leben zugesprochen werden kann. Um das Bewutsein scheint es mir ge-nauso zu stehen; auch um die Musikalitt und die Begabung fr Schach. All das sind emergente Eigenschaften, die durch das Zusammenspiel vieler einzelner Systembestandteile erzeugt werden und dadurch nicht weniger, aber anders objektiv real sind als die Eigenschaften von Atomen, Nervenzellen und/oder Naturgesetzen. Douglas R. Hofstadter schildert in seinem hchst lesenswerten Buch Gdel, 40 Escher, Bach, das zuerst 1979 erschienen ist, die Entstehung emergenter Eigen-schaften durch eine Parabel: Der Ameisenbr beschreibt dem Achilles seine amsanten Unterhaltungen mit einem Ameisenhaufen. Achilles vermutet dar-aufhin, da es einige sehr schlaue Ameisen in dem Haufen geben msse. Das keinesfalls so der Ameisenbr , die Ameisen wirken aber so zusammen, da der Haufen insgesamt andere, hhere (eben emergente) Eigenschaften besitzt als jede individuelle Ameise, die alle so dumm sind, wie man nur sein kann. Der reale Hintergrund dieser Parabel ist natrlich, da Ameisenkolonien durch ganz andere Begriffe beschrieben werden knnen als einzelne Ameisen. Deren Gewimmel wird durch Signale von Ameise zu Ameise gesteuert. Daraus erwchst ein kollektives Verhalten, das als Verhalten des Haufens beschrieben werden kann. Hofstadter erweckt in seinem Buch den Eindruck, der Zusam-menhang von individuellen und kollektiven Eigenschaften sei bei den Ameisen verstanden. Bei den Nervenzellen und dem Bewutsein ist das sicher nicht so. Mir scheint, da unsere tiefsten Emotionen mit dem zu tun haben, was wir die Richtung der Zeit nennen mit Entwicklung und Zerfall, Geburt und Tod. Auch diese Emotionen sind real ob die Richtung der Zeit nun in den Natur-gesetzen verankert ist oder nicht. Sieht man nur auf die fundamentalen Naturgesetze erster Art, ist die Zeit nicht real. Das gilt auch fr die Quantenmechanik. Die Zeit kommt in die Welt durch das kollektive Verhalten vieler Teilchen, beruht letztlich also auf dem Gesetz des Zufalls da, was extrem unwahrscheinlich ist, nicht eintreten wird. Als emergente Eigenschaft groer Systeme ist die Zeit zwar real, aber doch, um mit Albert Einstein zu sprechen, eine Illusion sie bildet, wie wir zusam-menfassend sagen wollen, eine reale Illusion. Illusion auch deshalb, weil nach Auskunft von Albert Einsteins Relativitts-theorien ihr Vergehen wenn wir so sagen drfen von dem Bewegungszu-stand der Uhr abhngt, die es verzeichnet, und von der Schwerkraft, der die Uhr ausgesetzt ist. Letztlich kann das Vergehen der Zeit an Korrelationen von Ablufen festgemacht, ja mit ihnen identifiziert werden. Darauf wird in diesem Buch nher einzugehen sein. Der Flu der Zeit ist auch deshalb eine Illusion, weil er aufhren kann. Im Zustand des Thermischen Gleichgewichts gibt es keine Zeit mehr alles ist so durchmischt und chaotisch wie mglich; die Un-ordnung kann nicht weiter wachsen. Wenn das Universum einmal in einen sol-chen Zustand eintreten sollte, gbe es die Zeit nicht einmal mehr als Illusion. 41 1. Sprachliches, Religises und Philosophisches zu Zeit und Gesetz Als die Lydier und Meder mit gleichem Erfolg gegeneinander Krieg fhrten, geschah esim sechsten Jahr, whrend sich ein Zusammensto ereignete und die Schlacht entbranntwar, da der Tag pltzlich zur Nacht wurde. Diese Verwandlung des Tages hatte Thalesaus Milet den Ioniern mit Bestimmtheit vorausgesagt, und zwar hatte er als Termin ebendas Jahr 585 v. Chr. angegeben, in dem dann die Verwandlung auch tatschlich sichereignete. Heute wissen wir, da diese Vorhersage des Thales, wenn nicht ber-haupt erfunden, ein Zufallstreffer war (Abb. 6a). Trotzdem illustriert sie sehr schn den Zusammenhang der Zeit mit den Naturgesetzen. Zeiterfahrung und Gesetze Wenn es keine gesetzmige Abfolge von Ereignissen gibt, ist Stillstand der Zeit auf keine Weise von ihrem Fortschreiten in die eine oder andere Richtung zu unterscheiden. Angenommen nmlich, uns wrden unser eigener Krper, un-ser Bewutsein und unsere Ungeduld keinen Zeitsinn auferlegen wie knn-ten wir dann bei einer Rast im Nebel darber entscheiden, ob ein gewaltiger Dmon den Ablauf der Zeit angehalten, ungendert gelassen oder umgekehrt hat? Wir knnten es nicht; wobei sogar noch das Vermgen, berhaupt eine Entscheidung zu treffen, einen uns verbliebenen Zeitsinn erfordern wrde im Gegensatz zu der Voraussetzung, da wir Zeitunterschiede zwar ablesen, aber nicht erfahren knnen. Uhren soll es, anders gesagt, um uns herum geben kn-nen, wir selbst aber sollen keine sein. Auch die frheste mir bekannte Erwhnung der Zeit durch die Griechen verbindet sie mit einem Gesetz mit dem Richterstuhl der Zeit, von dem der im Jahr 640 v. Chr. geborene weise Athener Gesetzgeber Solon spricht. Anders aber als die gypter, deren Existenz von dem Auf und Ab ihres Flusses, dem 42 Abb. 6 Bei einer Sonnenfinsternis steht der Mond zwischen Erde und Sonne. Anders aber als die 1619 entstandene Abb. 6a uns glauben machen will, verdunkelt der Mond nicht die ganze Erde, sondern wirft in jedem Augenblick einen kreisfrmigen Schatten mit einem Durchmesser von weniger als 100 Kilometer. Unter dem Schatten dreht sich die Erde, so da er wie ein dunkler Pinsel eine oftmals mehrere tausend Kilometer lange, aber nur einhundert Kilometer breite Bahn berstreicht. Aus der re-lativen Stellung von Sonne, Mond und Erde folgt also nicht, ob berhaupt an einem be-stimmten Ort, geschweige denn zu einer be-stimmten Zeit der Tag pltzlich zur Nacht wer-den wird. Thales htte fr eine Vorhersage von Zeit und Ort seiner Sonnenfinsternis also auer der-relativen Stellung von Sonne, Mond und Erde auch den Drehwinkel der Erde vorherwissen mssen und das war noch Jahrtausende nach ihm ganz und gar unmglich. Unmglich war und ist es auch, ohne Kenntnis dieser Zusammenhnge Regeln aufzustellen, die das Auftreten einer Sonnenfinsternis vorherzusagen erlauben. Insgesamt sind die Berichte ber die Vorhersage des Thales sehr vage. Erst tausend Jahre spter, am 4Januar 484, hat sich eine Sonnenfinsternis ereignet, ber die wir verlliche Berichte besitzen. Sie hat zur Zeit des Sonnenaufganges Athen verdunkelt. Einen fr unser Thema interessanten Aspekt veran-schaulicht die Abb. 6b (S. 44): Wre die Geschwindigkeit, mit der sich die Erde dreht, seither un-gendert geblieben, htte die Sonnenfinsternis Athen verfehlt, da dann ihr dunkler Pinselstrich den Weg B genommen htte. Daraus, da sie Athen bei Sonnenaufgang verdunkelte, lt sich schlie-en, da und um wieviel die Drehgeschwindigkeit der Erde seither abgenommen hat gemessen, selbstverstndlich, an den Umlaufzeiten von Sonne, Mond und Erde umeinander. Nil, abhing, haben die Griechen die Zeit niemals als ordnendes Strukturele-ment unmittelbar erfahren. In ihre Naturkunde sollten sie sie durch die Hin-tertr, ber die zeitlosen Naturgesetze, einfhren. Zeit und Schpfungsmythen Das die Einfhrung des Begriffes der Zeit durch ihre Leugnung hat mit Thales begonnen. Die Griechen vor ihm haben ihre eigene Existenz ber Ge-nealogien von Vorfahren, dann Heroen wie Herkules auf die unsterblichen Gtter zurckgefhrt. In deren losem Haufen geht es ziemlich menschlich allzumenschlich zu. Mchtige abstrakte Mythologien, die den Gtterlegenden voranzusetzen wren und die Existenz von Gttern erklren knnten, kennen 43 die frhen Griechen nicht. Zeus, der oberste der Gtter, wurde wie ein Men-schenkind geboren und hat sich die Oberhoheit wie ein menschlicher Tyrann angeeignet. Eine Vorgeschichte der Gtter haben die frhen Griechen also nicht erdacht. Die Existenz der Welt, ihrer selbst und der Gtter fhren sie auf keine wie im-mer geartete, richtige oder falsche, physikalische Ursache zurck. Am Anfangwar Eurynome, die Gttin aller Dinge, beginnt der Schpfungsmythos der Pelasger, die um 3500 v. Chr., aus Kleinasien kommend, die griechische Halbinsel besie-delt haben. Nackt erhob sie sich aus dem Chaos. Aber sie fand nichts Festes, darauf sieihre Fe setzen konnte. Wenn die Gttin aller Dinge schon im dritten Satz ihres Schpfungsmythos Fe besitzt, mssen wir uns ber den siebten, fr griechi-sche Schpfungsmythen typischen Satz Eurynome tanzte, um sich zu erwrmen,wild und immer wilder, bis Ophion, lstern geworden, sich um ihre gttlichen Gliederschlang und sich mit ihr paarte nicht wundern. Die Welt erbauen in der griechi-schen Mythologie immer menschenhnliche Wesen. Die Theogonie des Hesiod, der gegen Ende des 8.Jahrhunderts v. Chr. in B44 otien auf dem griechischen Festland lebte, schildert in archaischem, kraftvollem Stildie Entwicklung der Gtter und die Entstehung der heiligen und universellen, olympi-schen Ordnung, die aus dem Sieg des Zeus erwchst. Das Aufflligste an diesem Mythosist der furchtbare, mit zgelloser Gewalt gefhrte Streit der gttlichen Mchte: allberallKindermord, Inzest, Kastration, Zerstrung und Verrat. Eine der schrecklichsten Geschichten handelt von Kronos, dem Sohn des Himmels Uranos und der Erde Gaia. Fr unser Thema ist nur wichtig, da Kronos aus Angst, sie knnten ihn entmachten, seine eigenen Kinder verschlingt einer von ihnen ist Hades, der Gott der Unterwelt. Aber statt seines Sohnes Zeus, der ihm die Herrschermacht entreien wird, hat Kronos einen in Windeln gewickelten Stein verschlungen eine wste Geschichte, die aber mit unserem Thema zu tun hat. Denn Kronos lebt fort als Gott der Zeit, und das kann den Eindruck erwecken, er habe bereits fr die Griechen diesen Rang besessen. Tatschlich hat er das nicht. Die Gtter und Heroen der Griechen gingen, wie sie selbst, in der Gegenwart auf. ber allem, auch ber Zeus, stand die Schicksalsgttin Moira, die am ehesten fr eine Gttin der Zeit gehalten werden knnte, aber von den Griechen so nicht verstanden wurde. God of the gaps Lckenbergott wrde die Moira der Griechen in heutigem Sprachgebrauch heien: Sie wurde fr Schicksale von Gttern und Menschen verantwortlich gemacht, die den eigentlich gltigen Regeln nicht entsprachen. Der Schlund der Zeit Ein Aspekt der Zeit, und ein schrecklicher dazu, ist, da nichts Bestand hat. In poetischer berhhung ist es die Zeit selbst, die das bewirkt. Alles zernagt dieZeit hat der rmische Dichter Ovid in seinen Metamorphosen Verwandlungen gedichtet. Wie Kronos seine Kinder, verschlingt die Zeit alles, was sie geschaf-fen hat. Dennoch hatte im griechischen Altertum der schreckliche Gott Kronos nichts mit Chronos, der Zeit, zu tun. Kronos, der von den Rmern Saturn genannt wurde, war einfach ein Bauerngott, dargestellt mit einer Sichel sie verweist auf eine andere blutrnstige Geschichte der griechischen Mythologie und einem furchtbaren Appetit auf seine eigenen Kinder. So hat ihn Goya ge-sehen (Abb. 7). Kronos hat erst das spte Mittelalter zum Gott der Zeit erhoben. Vor Thales kannten die Griechen keine Zeit; mit ihm beginnt ihre Leugnung. Der orphi-sche Schpfungsmythos aus dem 7. oder 6.Jahrhundert v.Chr., der mit den Worten Am Anfang schuf die Zeit das silberne Weltenei beginnt, weist Parallelen zu 45 7a) Abb. 7 Der furchtbare altgriechische Gott Kro-nos/Saturn, der in Goyas Darstellung (Abb.a) eines seiner Kinder verschlingt, war fr die frhen Griechen nichts weiter als ebendies: ein furchtbarer Gott. Da aber auch die Zeit ver-nichtet, was sie geschaffen hat, haben ihn sptere Zeitalter zum Gott der Zeit ernannt und mit deren Attributen wie der Stirnlocke zum Ergreifen des gnstigen Augenblickes, des Kairos versehen. Seine Sichel hat der Chro-nos/Kronos der Abb. b, eines Stiches aus dem Jahr 1827, beiseite gelegt. einer iranischen Religion auf, in der Zurvan, der Gott der Zeit, eine so groe Rollespielt. Eigenstndig griechisch ist dieser Anfang des orphischen Schpfungsmy-thos also nicht. Rationale Mythen Die abendlndische Frage nach der Zeit kann auf zwei Quellen zurckgefhrt werden. Erstens auf die griechischen Philosophen vor Sokrates, mit Thales be-ginnend, und zweitens die christliche Religion. Dies Buch fragt nach der Zeit aus dem Blickwinkel eines Naturwissenschaftlers eines solchen, der schlu-endlich nur naturwissenschaftliche Fragen fr legitime Fragen hlt. Das mu und wird erlutert werden. Jetzt soll es meine Themenauswahl begrnden wenig ber die christlichen, viel aber ber die naturwissenschaftlichen, von den Naturforschern vor Sokrates abstammenden Vorstellungen zur Zeit. 46 7b) Auf den ersten Blick erstaunt, da nicht frhe Kulturen mit abstrakten Schp-fungsmythen, in denen sogar die Zeit selbst als Gottheit auftritt, ihre Frage nach der Zeit przisiert und zum Gegenstand naturwissenschaftlicher berlegungen gemacht haben. Dies blieb den Griechen vorbehalten explizit wohl zuerst Pla-ton und Aristoteles; ihnen aber als Gliedern in einer Kette von Naturforschern, deren Auffassungen auf ein bestimmtes Zeit Verstndnis schlieen lassen: da es nmlich genaugenommen keine Vernderung und damit keine Zeit gibt. Die um 600 v. Chr. von dem Propheten Zarathustra im Ostiran begrndete Religion des Parsismus interpretiert die Zeit als Schpfer der Welt: Mit der Zeitals einziger Ausnahme wurden alle Dinge erschaffen. Sie ist der Schpfer und besitztkeine Grenze, weder oberhalb noch unterhalb. Sie hat es immer gegeben und wird es im-mer geben. Woher sie kommt, wird kein Vernnftiger zu sagen versuchen. Aber trotz desGlanzes, der sie immer umgab, war dermaleinst niemand da, der sie Schpfer htte nen-nen knnen: Sie hatte die Welt noch nicht erschaffen. Dann erschuf sie Feuer und Wasser,und als sie beide zusammengebracht hatte, begann Ohrmazd zu existieren, und zugleichwurde sie selbst zum Schpfer und Gott der Welt, die sie erschaffen hatte. So der viel spter entstandene Persische Rivayat. Ohrmazd, von dem hier die Rede ist, steht ebenfalls fr die Zeit; nicht aber fr die seit je und fr immer bestehende. Sie, von der der Text handelt und durch die Ohrmazd erschaffen wurde, verkrpert der altpersische Gott Zurvan, den wir von den orphischen Schpfungsmythen kennen. Die Zeit des Ohrmazd ist zyklische Zeit; eine, in der sich das Weltge-schehen wiederholt, oder die selbst so genau sind Mythen nicht in periodi-scher Folge geschaffen wird und wieder vergeht. 47 Rein logisch knnen wir vier oder fnf Vorstellungen von der Zeit unter-scheiden. Erstens die Zeit Zurvans, die es immer gegeben hat und immer geben wird. Zweitens Ohrmazds Zeit, die begonnen hat und enden wird. Sie kann sich periodisch wiederholen oder auch nicht. Dann ist drittens oder viertens eine Zeit vorstellbar, die einen Anfang hatte, aber kein Ende haben wird. Und schlielich eine, die enden wird, aber keinen Anfang hatte. Da die Religion Zarathustras frh den Abstraktionsschritt von leiblichen Gttern zu Sinnbildern wie der Zeit gemacht hat, zeichnet sie vor der wstenPhantastik der griechischen Schpfungsmythologie aus. Statt des fr die griechi-sche Mythologie typischen Gtterkampfes kennt sie die geistige Auseinander-setzung von Prinzipien, die ihr Ziel grundstzlich nicht im Raum, sondern in derZeit, d.h. in der Zukunft findet, in der das Prinzip des Guten einmal siegt. Aber weder aus dieser hochentwickelten, abstrakten Mythologie noch aus anderen, gleichwertigen ist die abendlndische Wissenschaft entstanden, son-dern sozusagen aus dem Nichts: Was vor ihnen war, haben Thales und seine Nachfolger nicht zur Kenntnis genommen oder kommentarlos verworfen. Ihre Chance war der Neubeginn durch die Idee, da die Welt verstanden werden kann: Sie betrachteten die Welt als einen recht komplizierten Mechanismus, der nachewigen, ihm innewohnenden Gesetzen abluft, welche sie begierig waren, aufzufinden.Das ist die Grundeinstellung der Naturwissenschaft bis auf den heutigen Tag. Und so darf ich hinzufgen die Verbreitung ebendieser berzeugung ist die wichtig-ste Aufgabe der Popularisierung von Wissenschaft. Denn sie lt den Glauben an Astrologie und Spkenkiekerei nicht zu. Die Welt kann verstanden werden Die berzeugung, da die Welt verstanden werden kann, fordert zu der Bemhung auf, sie tatschlich zu verstehen. Im Wechselspiel halten Erfolge dieser Bemhung die berzeugung von der Verstehbarkeit aufrecht. Offenba-rung, Mythologie oder berlieferung sind fr den von der Verstehbarkeit der Welt berzeugten keine Erkenntnisquellen. Wirklich neu war bei Thales und seinen Nachfolgern ja nicht, was sie ber die Welt dachten, sondern warum sie es dachten. Der Gedanke einer Entstehung der Welt aus dem Wasser war zur Zeit des Thales bereits ein alter Hut. Neu war, da er das Aussehen der Welt durch die Entstehung aus dem Wasser heraus erklren wollte: keine Gttin Eurynome,die ... nichts Festes fand, sondern der Gedanke, da es Naturgesetze gibt, die immer dieselben sind und die Entwicklung der Welt bestimmen. 48 Mit einer weiterentwickelten, abstrakteren Mythologie als der der Griechen htte sich ein nichtgriechischer Thales durchaus anderswo auseinandersetzen mssen und womglich erlutern, da er mit dem Ergebnis eines Mythos zwar bereinstimmte, aber aus ganz anderen Grnden. Und da diese Grnde seine eigentliche Botschaft sind! Tatschlich und naturwissenschaftlich richtig ist bei Thales berhaupt nichts. Aber sein Ansatz war naturwissenschaftlich, und das ist das wirklich Wichtige. ber die Kosmologie seines Schlers Anaximander, der wie er die Welt durch einen einzigen Urstoff verstehen wollte, besitzen wir diesen Bericht Diodors aus dem Jahr 50 v. Chr.: Als sich nmlich im Anbeginn das Weltall bildete, httenHimmel und Erde noch dieselbe Gestalt gehabt, da das, was ihr besonderes Wesen bildet,damals noch vermischt war. Als sich dann aber die Stoffe voneinander schieden, habe dasWeltall die ganze in ihm sichtbare Gliederung angenommen, die Luft aber den Ansto zu immerwhrender Bewegung empfangen; und was in ihr von feuriger Art war, sei nachden hchsten Rumen zusammengestrmt, da die Leichtigkeit seiner Natur es nach obentragen mute ... Das Schlammige und Trbe aber samt der Vereinigung alles Feuchtensei seiner Schwere wegen an demselben Ort zusammengeronnen. Auch hier sind die eigentlich naturwissenschaftlichen Aussagen zu vage, um ernst genommen zu werden. Das aber ist unwichtig verglichen mit dem Ansatz, der die Entwicklung der Welt allein auf rational einsehbare Mechanismen zurckfhren will. Weshalb sich dann aber die Stoffe voneinander schieden, wei Anaximander genausowenig rational zu begrnden wie frhere Schpfungsmy-then, die fr derartiges Gtter verantwortlich machten. Einflu der Zeit auf die Dinge? Der Dinge auf die Zeit? Laut heutiger Physik bildet die Expansion des Universums einen Hauptgrund dafr, da sich die Stoffe voneinander schieden. Darber besteht Einigkeit. Ich werde aber auch die Argumente des bedeutenden britischen Mathematikers und Physikers Roger Penrose dafr bernehmen, da die Materie kurz nach dem Urknall im Universum fein verteilt war. Dann mute sie unter ihrer eige-nen Schwerkraft in Gebieten zusammenstrzen, in denen ihre Dichte durch et-welche Schwankungen grer war als in der Umgebung. Sonnen, Planetensy-steme, Galaxien und schlielich Schwarze Lcher sind durch derartige Prozesse entstanden. Auf beides wird ausfhrlich einzugehen sein. Der Leser wei vielleicht, da49 die spontanen Dichteschwankungen in der kosmischen Hintergrundstrahlung (Kapitel 4) Spuren hinterlassen haben, die 1994 nachgewiesen werden konnten. Nun wchst bei allen Prozessen im Universum die Unordnung stndig und un-aufhaltsam. Gleichzeitig aber nimmt durch die Expansion die maximal mgliche Unordnung zu es gibt viel mehr Mglichkeiten, seine Siebensachen in einem groen Zimmer zu verteilen als in einem kleinen. Selbst wenn also unmittelbar nach der Entstehung des Universums die Unordnung so gro gewesen wre wie berhaupt mglich, htte die Expansion Platz fr weitere Unordnung ge-schaffen. Deshalb, und weil die Materie anfangs fein verteilt war, kann die Ord-nung in Teilsystemen auch wachsen sie mu ja nur insgesamt abnehmen. In ihnen, die wegen ihrer Anbindung an grere Systeme fr sich allein auch of-fene Systeme genannt werden, wird die Ordnung immer dann zunehmen, wenn eben dadurch der Abbau der Ordnung insgesamt gefrdert und beschleunigt wird. Davon wuten die Naturforscher bis ins 19. Jahrhundert hinein nichts. Weil aber die Unterscheidbarkeit von Ablufen und ihrer zeitlichen Umkehr auf dem universellen Abbau von Ordnung beruht, haben insbesondere die frhen Na-turforscher den Gedanken einer wie hufig salopp gesagt wird Richtung derZeit nicht entwickeln knnen. Im gesamten antiken Schrifttum findet sich nur eine einzige Stelle, in der... das Zu-nehmen der Unordnung eines Systems mit der Zeit gestreift wird heit es in dem Buch Das physikalische Weltbild der Antike des Physikers und Wissenschaftshistorikers S. Sambursky, das zuerst 1965 erschienen ist. Sambursky meint und zitiert die folgende uerung in der Physik des Aristoteles: Und Dinge werden durch die Zeitbeeinflut, so wie wir zu sagen pflegen, da die Zeit die Dinge verbraucht und da allesdurch die Zeit altert und mit der Zeit in Vergessenheit gert; aber wir sagen das nicht inbezug auf lernen oder jung oder schn werden. Denn die Zeit an sich ist vielmehr die Ur-sache von Verfall.... Nichts entsteht, ohne da es irgendwie in Bewegung gesetzt wirdund ttig ist, aber Dinge verfallen, auch wenn sie sich nicht bewegen. Und das meinen wirvor allem damit, wenn wir von einem Verfall mit der Zeit sprechen. Eines ist die Beobachtung, da die Zeit (gem einer bereits angefhrten For-mulierung Ovids) alles zernagt; ein anderes die Rckfhrung der Richtung der Zeit genauer: der Ablufe auf ebendiesen Abbau von Ordnung. Die Konse-quenzen sind abermals eine andere Sache. Wenn es denn wahr ist, da Ordnung immer nur abgebaut wird, kann die Welt so, wie sie ist, nicht ewig bestehen. Das aber war die Ansicht des Aristoteles: Die Welt hat mehr oder weniger so, wie er sie vorfindet, seit je bestanden und wird ewig so bestehen bleiben. Von der rumlichen Gestalt des Kosmos hatte Aristoteles eine ganz andere Vorstel50 lung: Der Kosmos sei endlich; an seinem Rand werden alle Bewegungen zu Kreisen umgebogen, so da sich auerhalb seiner nicht nur nichts befindet, sondern nichts befinden kann. Da aber laut Aristoteles leerer Raum dadurch zu kennzeichnen ist, da sich in ihm zwar nichts befindet, wohl aber etwas befin-den kann, gibt es auerhalb des Universums des Aristoteles nicht einmal leeren Raum. Dies nur nebenbei. Offensichtlich konnte die christliche Kirche mit ihrem Glauben an Schpfung und Jngstes Gericht die Doktrin des Aristoteles von der Unendlichkeit der Zeit nicht bernehmen. Fr uns ist wichtig, da es keine sich im wesentlichen immer gleich bleibende Welt, die von Ewigkeit zu Ewig-keit andauerte, geben kann: Gbe es sie seit je, mte sie ebenfalls seit je zerfal-len sein. Ist sie einmal entstanden, zerfllt sie und wird weiter zerfallen: Wie im 19. Jahrhundert vermutet werden sollte, mu sie dem Wrmetod durch Aus-gleich aller Temperaturdifferenzen entgegengehen. Der Bewegung, die nach der Auffassung des Aristoteles in enger Beziehung zur Zeit steht, wre dann ein Fortschreiten der Zeit nicht mehr anzusehen. Aber auch eine zyklische Entwicklung der Welt, wie sie von den Pythago-reern und Stoikern angenommen wurde, steht im Widerspruch zum unab-wendbaren Zerfall. Wenn man den Pythagoreem in der Frage, ob dieselbe Zeit wiederkehren wird, Glauben schenken kann, so wird alles einmal zahlenmig das-selbe sein, und ich werde wieder zu euch sprechen mit dem Stab in der Hand, und ihrwerdet wie jetzt vor mir sitzen, und genau so wird es sich mit allem verhalten; und es liegtauf der Hand, da auch die Zeit dieselbe sein wird. Denn die Bewegung ist ein und die-selbe, und ebenso die Folge vieler Dinge, die sich wiederholen, und dies gilt auch von derZahl. Daher wird alles identisch sein, auch die Zeit. Das ist, wie gesagt, unmglich, und dasselbe gilt von den zyklischen Welt-modellen der Stoiker. Man findet laut Sambursky auer der vereinzelten Aristoteles-Stelle, die oben zitiert wurde, im gesamten wissenschaftlichen Denken der Antikekeine Spur der Idee von einem einseitigen Ablauf im Universum, einer noch so primitivenAndeutung des Entropiebegriffs. Entropie den Ausdruck habe ich bisher vermie-den ist eine Megre, die mit der Unordnung ansteigt. Der Glaube an die ewige Wiederkehr des Gleichen kann auf Vorstellungen von der Endlichkeit der Welt genauer: von der Zahl ihrer mglichen Zu-stnde und der Kausalitt zurckgefhrt werden: Wenn in einem Augenblick alles berall so ist, wie es irgendwann einmal war, mu sich in der Zukunft alles damals Zuknftige wiederholen. Hat die Welt nach diesem Ablauf wieder denselben Zustand erreicht, folgt aus ihm wieder dasselbe und deshalb wird sich abermals dasselbe ereignen bis in alle Ewigkeit. Weil aber die Welt laut 51 Annahme endlich ist, kann sie nicht fortlaufend neue Zustnde annehmen, so da derselbe Zustand wiederkehren mu. Diese Voraussetzung des ewigen Wiederkehr des Gleichen ist also erfllt. Rubriks Wrfel kann als Modell fr diese Zusammenhnge dienen. Leser, die den Wrfel nicht kennen, sollten ltere Freunde fragen oder diesen Absatz und den nchsten berspringen. Der Wrfel ist geordnet wenn jede seiner sechs Flchen nur eine Farbe zeigt. Angenommen nun, Willemsen wrde im Fernse-hen einen durcheinandergebrachten Rubrikschen Wrfel unerhrt schnell ord-nen wir Zuschauer wrden sofort vermuten, da ein rckwrts laufender Film gezeigt wird. Denn den Wrfel zu ordnen ist viel schwerer, als ihn durch-einanderzubringen. Die Moral von der Geschichte berlasse ich dem Leser. Wenn ich unendlich lange an dem Wrfel mit seinen nur endlich vielen Einstellungen herumfin-gere, mu ich eine der bereits zuvor erreichten Einstellungen wieder erreichen. Nun lege anders als bei meinem Herumfingern das Aussehen des Wrfels zu einem bestimmten Zeitpunkt fest, wie dieses sich entwickeln wird. Dann mu der Wrfel wie das Universum der Pythagoreer und Stoiker wieder und wieder dieselbe Folge von Zustnden durchlaufen im Widerspruch zu dem Theo-rem, da die Ordnung nur abnehmen oder davon sogleich gleichbleiben kann. Zuzugeben ist, da laut Poincars Wiederkehreinwand (siehe Prolog) end-liche Modelluniversen jeden einmal erreichten Zustand nach endlicher Zeit wieder annehmen werden. Genauer sollte ich sagen, da sie einen Zustand an-nehmen mssen, der dem zuvor erreichten beliebig also vorgebbar nahe-kommt. Wichtig ist, da die durch Poincars Einwand erzwungene Wiederkehr in der Unendlichkeit der zuknftigen Zeit verborgen liegt. In jedem praktisch-physikalischen Sinn knnen wir annehmen, da es unendlich lange dauert, bis ein einigermaen realistisches Modelluniversum einen vorangegangenen Zu-stand wieder annehmen wird. Es wird, anders gesagt, denselben Zustand nie-mals wieder annehmen. Die Mglichkeit, da die Ordnung immer dieselbe bleibt, habe ich bisher nicht einbezogen. Das kann sie aber nur dann, wenn die Voraussetzung unse-rer Betrachtungen, da die Unordnung noch nicht so gro ist wie berhaupt mglich, falsch ist: Die Unordnung kann bei Ablufen nur dann insgesamt die-selbe bleiben, wenn sie bereits so gro ist wie mglich wenn, in einer techni-schen Sprache, Thermodynamisches Gleichgewicht erreicht wurde. Das aber trifft in den Zustnden, von denen die Naturforscher der antiken Welt ausge-hen, nicht zu. 52 Knnten Zeitreisen, deren Mglichkeit Quantenmechanik und Allgemeine Relativittstheorie zusammengenommen unterstellen, dazu fhren, da je-mand seinen Grovater bei dessen Geburt ermordet? Selbst wenn wir von allen logischen Komplikationen, die aus einer solchen Mglichkeit erwachsen wr-den, absehen, knnen wir sicher sein, da diese Lieblingsidee der Science-fiction-Autoren nicht realisierbar ist. Bei einer solchen Reise, die in eine geord-netere Vergangenheit fhrte, mte die Ordnung wachsen knnen was, wie wir wissen, unmglich ist. Gtter und Himmelskrper Thales und seine Nachfolger halten (ihnen noch) unbekannte Naturgesetze al-lemal fr bessere Ursachen als Gtter, die dasselbe bewirken. Hierin unter-scheiden sie sich radikal von ihren Vorgngern in der Wissenschaft, den Babylo-niern, die seit den Zeiten ihres groen Gesetzgeberknigs Hammurabi um 1800 v. Chr. Aufzeichnungen ber die Stellungen des Mondes, der Sonne und der Planeten vor dem Hintergrund der Fixsterne im Laufe der Jahre angefertigt haben. Diese mit Kontinuitt ber viele Jahrhunderte erstellten Aufzeichnun-gen sollten es ihnen ermglichen, auf Grund allein von Periodizitten genaue Vorhersagen ber das Eintreten fr sie wichtiger Konstellationen zu machen: an welchem Abend die Sichel des Neumonds zum ersten Mal wieder auftreten wird so da ein neuer Monat sakraler und brgerlicher Zeitrechnung offiziell festge-stellt werden konnte; wann und mit welchem Bedeckungsgrad sich eine Mond-finsternis ereignen wird; und so weiter. Bei einer Mondfinsternis verdunkelt der Schatten der Erde den Mond teil-weise oder ganz. Das ist fr jedermann sichtbar, der den Mond sehen kann. Welche Punkte auf der Erde der Mondschatten bei einer Sonnenfinsternis berstreichen wird, ist ungleich schwerer vorherzusagen als das Eintreten einer Sonnenfinsternis irgendwo auf der Erde (Abb. 6b; s. S. 44). Letzteres ist genauso schwer oder leicht wie die Vorhersage einer Verdunkelung des Mondes. Die Babylonier konnten also Tage bestimmen, an denen eine Sonnenfinsternis drohte. Trat sie dann nicht ein, galt es ihnen als gnstiges Omen. Die Experten sind sich darber einig, da die Babylonier nicht wuten, wor-auf die Periodizitten ihrer Tabellen beruhen. Das, so wird vermutet, hat sie nicht interessiert. Hierin sind sie auf der Stufe ihres Schpfungsmythos EnumaElish aus der Zeit Hammurabis stehengeblieben, in dem es ber Marduk, Hauptfigur des Mythos und Stadtgott von Babylon, heit: 53 Den Nannar (Mondgott) lie er erglnzen, vertraute ihm die Nacht an.Er bestimmte ihn zu einem Nachtschmuck, die Zeit zu bestimmen,Jeden Monat bei Nacht den Kreis des schwellenden, schwindenden Lichts zu beschreiben. Neumond, du Leuchte ber dem Land, Sechs Tage glnze mit Hrnern, Am siebten Tag mache die Scheibe halb, und wachse noch weiter.Am Schabattu-Tag stehe gegenber (der Sonne), und so teilst du den Monat vonVollmond zu Vollmond. Dann schwinde zurck, im abnehmenden dritten Viertel, Bis drunten am Horizont die Sonne dich erreicht. Am Bulbullu-Tage nhere dich der Sonnenbahn, Bis deren Schatten ber dir liegt. Dunkel ist dann der Mond.Am 30. Tag beginnt der Kreislauf aufs neue. Fr die Babylonier sind und bleiben die Sternenbilder und Himmelskrper Gt-ter, denen der Obergott Marduk ihre Bahnen am Erdenhimmel, und wie sie sie durchlaufen, zugewiesen hat. Das geometrische Bild von Bahnen der Himmels-krper im Raum haben erst die Griechen geschaffen auf der Grundlage baby-lonischer Tabellen, die sie als Daten genommen und interpretiert haben. Tabellen, Geometrie und Gesetze Abstrakt gesehen besteht die Leistung eines Naturgesetzes darin, Daten zu komprimieren: An die Stelle von langen Tabellen tritt eine kurze Formel, wel-che die in der Vergangenheit angesammelten und fr die Zukunft vermuteten Daten zusammenfat. So weit sind die Babylonier durch ihre Vorschriften ge-kommen. Mathematische Funktionen wie Kosinus und Sinus kannten sie zwar nicht, aber ihre Vorschriften knnen in unsere Formelsprache bersetzt wer-den. Nun sind Formeln genauso leicht oder schwer zu verstehen wie Vor-schriften. Beider Kriterium ist ja nur, da sie dieselben Tabellen zu generieren gestatten. Die griechischen Naturforscher bis Platon und Aristoteles unterscheidet von den Babyloniern, da sie auf Verstndnis und rationa