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Wirkmechanismen bei der Mikrozerspanung E. Brinksmeier und O. Riemer 1 Einleitung Die Mikrozerspanung ist eine ultrapra ¨zise, mechanische Bearbeitungstechnologie hoher Flexibilita ¨t zur Herstellung von Bauteilen mit optischer Qualita ¨t und/oder (mikro) mecha- nischer Pra ¨zision. Die erzielbaren Formgenauigkeiten und Rauheiten liegen im Submikrometer bzw. im Nanometerbe- reich, womit ein fu ¨r technische Anwendungen bedeutender Genauigkeitsbereich zwischen den konventionellen spanen- den Prozessen und den physikalischen und chemischen Ver- fahren erschlossen wird. Die Mikrozerspanung wird in Form von Dreh und Fra ¨sprozessen und ultrapra ¨zisen Schleif- verfahren angewendet. Dabei werden geringste Schnitttiefen von wenigen Mikrometern und Spanungsdicken im Submi- krometerbereich eingehalten, woraus sich die Bezeichnung ,Mikrozerspanung‘ ableitet [1]. Das Anwendungsspektrum mikrozerspanter Bauteile reicht von der Grundlagenforschung, der angewandten Physik oder optischen Industrie bis hin zu abgeformten Massenprodukten in der Automobilindustrie und Telekommunikation (siehe Abb. 1). Insbesondere bei der Herstellung von Metalloptiken und im Pra ¨zisionsformenbau kann die Mikrozerspanung ihre Vorteile einbringen. Ein wesentliches Kennzeichen ist die Be- arbeitung eines spezifischen Werkstoffspektrums in einem großen Geometriebereich und dies sowohl in Einzelfertigung als auch in (Klein)Serien. Beispiele fu ¨r typische mikrozer- spante Komponenten sind Metallspiegel aus Kupfer oder Alu- minium fu ¨ r Hochleistungs-Lasersysteme zur Materialbearbei- tung oder Teleskop-Spiegel. Aus dem wichtigen Bereich der (mikro)strukturierten Bauteile sind die Fresnellinsen anzufu ¨h- ren, die aufgrund ihrer geringen Baugro ¨ ße in vielen optischen Anwendungen Eingang gefunden haben, z. B. in Tageslicht- projektoren oder bei Intraokularlinsen. An die Bearbeitungsmaschinen werden hohe Anforderun- gen hinsichtlich thermischer Stabilita ¨t, Genauigkeit von Fu ¨h- rungen und Spindeln, Da ¨mpfung der Antriebe, statischer und dynamischer Steifigkeit und an die Steuerungen und Weg- meßsysteme gestellt. Eine entscheidende Rolle spielt die me- chanische Genauigkeit der Ultrapra ¨zisionsmaschinen. Sie werden in klimatisierten Ra ¨umen und zur Entkopplung von externen Schwingungen auf geeigneten Fundamentierungen aufgestellt. Die Fu ¨hrungselemente der Linear- und Rundach- sen sind in der Regel hydrostatisch oder aerostatisch gelagert. Als Wegmeßsysteme finden Laserinterferometer oder hoch- auflo ¨sende Glasmaßsta ¨be Verwendung. In ju ¨ngster Zeit wer- den ultrapra ¨zise Werkzeugmaschinen mit bis zu 5 numerisch gesteuerten Achsen fu ¨r die Mikrozerspanung gebaut und ein- gesetzt. Fu ¨r die Mikrozerspanung mit geometrisch bestimmten Schneidteilen kommt als Schneidstoff bisher nur monokristal- liner Diamant in Frage. Allein dieser Schneidstoff erfu ¨llt die Anforderungen an Kantenscha ¨rfe und Welligkeit, die auch bei Spanungsdicken von wenigen Nanometern eine stabile Zer- spanung zulassen. Die klassischen Werkstoffe der Mikrozer- spanung sind zum einen Materialien mit duktilem Zerspanver- halten wie hochreines Kupfer, siliziumfreie Aluminiumlegie- rungen, stromlos abgeschiedenes Nickel mit einem Phosphor- anteil von etwa 12% und Kunststoffe wie PMMA oder Poly- carbonat. Zu den diamantbearbeitbaren Materialien mit spro ¨- dem Zerspanverhalten za ¨hlen die Halbleiter Zinkselenid, Zinksulfid, Silizium und Germanium, welche z. B. in der In- frarotoptik Anwendung finden. Das eingeschra ¨nkte Werk- stoffspektrum der Mikrozerspanung ergibt sich aus der Forde- rung nach chemisch inertem Verhalten bei der Zerspanung gegenu ¨ber Diamant. Die hohen Anforderungen an die Mikrozerspanung machen eine hochentwickelte, hochgenaue Oberfla ¨chenmeßtechnik unerla ¨ßlich. Nur so kann eine Fehleranalyse und Qualita ¨ts- sicherung bei der Herstellung ultrapra ¨ziser Bauteile gewa ¨hr- leistet werden. Neben den bekannten Verfahren aus der Fer- tigungsmesstechnik kommen hochauflo ¨sende optische oder rasternde mechanische Verfahren zum Einsatz, mit denen Abb. 1. Anwendungsfelder der Mikrozerspa- nung Fig. 1. Fields of application for precision ma- chined components 754 0933-5137/00/0808-0754$17.50 .50/0 Mat.-wiss. u. Werkstofftech. 31, 754–759 (2000) Ó WILEY-VCH Verlag GmbH, D-69451 Weinheim, 2000

Wirkmechanismen bei der Mikrozerspanung

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Wirkmechanismen bei der MikrozerspanungE. Brinksmeier und O. Riemer

1 Einleitung

Die Mikrozerspanung ist eine ultrapraÈzise, mechanischeBearbeitungstechnologie hoher FlexibilitaÈt zur Herstellungvon Bauteilen mit optischer QualitaÈt und/oder (mikro) mecha-nischer PraÈzision. Die erzielbaren Formgenauigkeiten undRauheiten liegen im Submikrometer bzw. im Nanometerbe-reich, womit ein fuÈr technische Anwendungen bedeutenderGenauigkeitsbereich zwischen den konventionellen spanen-den Prozessen und den physikalischen und chemischen Ver-fahren erschlossen wird. Die Mikrozerspanung wird inForm von Dreh und FraÈsprozessen und ultrapraÈzisen Schleif-verfahren angewendet. Dabei werden geringste Schnitttiefenvon wenigen Mikrometern und Spanungsdicken im Submi-krometerbereich eingehalten, woraus sich die Bezeichnung,Mikrozerspanung` ableitet [1].

Das Anwendungsspektrum mikrozerspanter Bauteile reichtvon der Grundlagenforschung, der angewandten Physik oderoptischen Industrie bis hin zu abgeformten Massenproduktenin der Automobilindustrie und Telekommunikation (sieheAbb. 1). Insbesondere bei der Herstellung von Metalloptikenund im PraÈzisionsformenbau kann die Mikrozerspanung ihreVorteile einbringen. Ein wesentliches Kennzeichen ist die Be-arbeitung eines spezifischen Werkstoffspektrums in einemgroûen Geometriebereich und dies sowohl in Einzelfertigungals auch in (Klein)Serien. Beispiele fuÈr typische mikrozer-spante Komponenten sind Metallspiegel aus Kupfer oder Alu-minium fuÈr Hochleistungs-Lasersysteme zur Materialbearbei-tung oder Teleskop-Spiegel. Aus dem wichtigen Bereich der(mikro)strukturierten Bauteile sind die Fresnellinsen anzufuÈh-ren, die aufgrund ihrer geringen BaugroÈûe in vielen optischenAnwendungen Eingang gefunden haben, z. B. in Tageslicht-projektoren oder bei Intraokularlinsen.

An die Bearbeitungsmaschinen werden hohe Anforderun-gen hinsichtlich thermischer StabilitaÈt, Genauigkeit von FuÈh-rungen und Spindeln, DaÈmpfung der Antriebe, statischer und

dynamischer Steifigkeit und an die Steuerungen und Weg-meûsysteme gestellt. Eine entscheidende Rolle spielt die me-chanische Genauigkeit der UltrapraÈzisionsmaschinen. Siewerden in klimatisierten RaÈumen und zur Entkopplung vonexternen Schwingungen auf geeigneten Fundamentierungenaufgestellt. Die FuÈhrungselemente der Linear- und Rundach-sen sind in der Regel hydrostatisch oder aerostatisch gelagert.Als Wegmeûsysteme finden Laserinterferometer oder hoch-aufloÈsende GlasmaûstaÈbe Verwendung. In juÈngster Zeit wer-den ultrapraÈzise Werkzeugmaschinen mit bis zu 5 numerischgesteuerten Achsen fuÈr die Mikrozerspanung gebaut und ein-gesetzt.

FuÈr die Mikrozerspanung mit geometrisch bestimmtenSchneidteilen kommt als Schneidstoff bisher nur monokristal-liner Diamant in Frage. Allein dieser Schneidstoff erfuÈllt dieAnforderungen an KantenschaÈrfe und Welligkeit, die auch beiSpanungsdicken von wenigen Nanometern eine stabile Zer-spanung zulassen. Die klassischen Werkstoffe der Mikrozer-spanung sind zum einen Materialien mit duktilem Zerspanver-halten wie hochreines Kupfer, siliziumfreie Aluminiumlegie-rungen, stromlos abgeschiedenes Nickel mit einem Phosphor-anteil von etwa 12% und Kunststoffe wie PMMA oder Poly-carbonat. Zu den diamantbearbeitbaren Materialien mit sproÈ-dem Zerspanverhalten zaÈhlen die Halbleiter Zinkselenid,Zinksulfid, Silizium und Germanium, welche z. B. in der In-frarotoptik Anwendung finden. Das eingeschraÈnkte Werk-stoffspektrum der Mikrozerspanung ergibt sich aus der Forde-rung nach chemisch inertem Verhalten bei der ZerspanunggegenuÈber Diamant.

Die hohen Anforderungen an die Mikrozerspanung macheneine hochentwickelte, hochgenaue OberflaÈchenmeûtechnikunerlaÈûlich. Nur so kann eine Fehleranalyse und QualitaÈts-sicherung bei der Herstellung ultrapraÈziser Bauteile gewaÈhr-leistet werden. Neben den bekannten Verfahren aus der Fer-tigungsmesstechnik kommen hochaufloÈsende optische oderrasternde mechanische Verfahren zum Einsatz, mit denen

Abb. 1. Anwendungsfelder der Mikrozerspa-nung

Fig. 1. Fields of application for precision ma-chined components

754 0933-5137/00/0808-0754$17.50 � .50/0 Mat.-wiss. u. Werkstofftech. 31, 754±759 (2000)Ó WILEY-VCH Verlag GmbH, D-69451 Weinheim, 2000

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eine dreidimensionale Erfassung der OberflaÈche moÈglich ist.Genannt seien hier die Interferometrie, die 3D-Koordianten-meûtechnik, die Weiûlichtinterferometrie und die Rasterkraft-mikroskopie [1, 2].

2 OberflaÈ chenentstehung undWirkmechanismen

Das Zusammenwirken von Diamantwerkzeug und Werk-stoff stellt ein komplexes tribologisches System dar. Nebender hochgenauen Vermessung von Bauteilform und OberflaÈ-chentopographie stellt die Ermittlung der wirksamen Zerspa-nungsmechanismen eine wichtige Voraussetzung fuÈr die Pro-zessbeherrschung dar. Durch eine hochaufloÈsende Analyseder Mikrotopographie und die Messung der ZerspankraÈfteim Bereich geringster Schnitttiefen und Spanungsdickenkann Aufschluss uÈber die relevanten Zerspanmechanismenund die Energieumsetzung bei der Mikrozerspanung gewon-nen werden. Zerspanexperimente wurden an duktilen Metal-len, wie Kupfer oder chemisch Nickel, und an sproÈdhartenMaterialien, wie Silizium und Germanium, in Form vonDreh, FraÈs und Ritzprozessen durchgefuÈhrt. Dabei wurdeninsbesondere die kinematischen EingriffsverhaÈltnisse unddas werkstoffspezifische Bearbeitungsverhalten untersucht.

2.1 Zerspanung bei geringsten Spanungsdicken

Die Kinematik des Bearbeitungsprozesses und das Zer-spanverhaltens des Werkstoffs setzen der erreichbaren Genau-igkeit diamantbearbeiteter OberflaÈchen Grenzen. Auûerdembildet sich die Schneidkante in den Vorschubrillen ab und wei-tere StoÈrungen der OberflaÈchenstruktur resultieren aus derSpanbildung selbst. Bedingt durch die Schneidengeometrieder bevorzugt eingesetzten Radiuswerkzeuge ergibt sich zu-naÈchst durch den Werkzeugvorschub eine regelmaÈûige Rillen-struktur auf der OberflaÈche. Diese kinematische Rauheit stelltdie maximale theoretische Rauheit dar und kann folgender-maûen abgeschaÈtzt werden:

Rkin: � f2

8 � re �1�

Die erzielbare Rauheit haÈngt somit lediglich vom verwen-deten Schneideckenradius re und dem wirksamen Vorschub fab. Groûe Eckenradien und kleine VorschuÈbe setzen die Rau-heit herab. FuÈr Radiuswerkzeuge ergibt sich jedoch uÈber denEingriffsbogen der Schneidkante ein spezifischer Spanungs-dickenverlauf. Die Spanungsdicke variiert zwischen nullund einem Maximalwert. Die Form des Spanungsquer-schnitts wird anschaulich als Kommaspan bezeichnet. DieFunktionsoberflaÈche des Bauteils wird dabei im Bereichum den Scheitelpunkt der Schneide erzeugt, d. h. im Bereichminimaler Spanungsdicken. Die in dieser Zone wirkendenTrennmechanismen beeinflussen maûgeblich die Rauheitdes Bauteils.

Bei Unterschreiten der Mindestspanungsdicke ist kein tren-nender Materialabtrag mehr moÈglich und es erfolgt lediglicheine plastische VerdraÈngung des Werkstoffs unterhalb derSchneide (siehe Abb. 2). Dieser Ort der Mindestspanungs-dicke ist nicht fest auf dem Eingriffsbogen, sondern kannsich in AbhaÈngigkeit von den StellgroÈûen Vorschub f undSchnitttiefe ap sowie dem Eckenradius re uÈber die KontaktlaÈn-ge der Schneide in Richtung Nebenschneide oder Haupt-schneide verschieben. Die Verrundung der Schneidkante, aus-gedruÈckt durch den Schneidkantenradius rb, hat entscheiden-den Einfluss auf die Zerspanung, denn der Kantenradius be-stimmt die Mindestspanungsdicke und damit die erzielbareOberflaÈchenguÈte, wie in vielen Untersuchungen festgestelltwurde [3, 4, 5]. Die Mindestspanungsdicke wurde meistensauf ein Zehntel der Schneidenverrundung abgeschaÈtzt, d. h.hmin � 0,1 rb. Dies bedeutet, dass selbst bei effektiven Span-winkeln von ceff � ÿ 648 eine kontinuierliche Spanbildunggerade noch moÈglich ist. FuÈr die konventionelle Zerspanungmit Schneidkantenverrundungen rb im Bereich von einigenzehn bis hundert Mikrometern bedeutet dies Mindestspa-nungsdicken von einigen Mikrometern. Im Falle der Mikro-zerspanung sind die Kantenverrundungen jedoch hundert bistausend Mal geringer. Vermessungen scharfer Diamantschnei-den, z. B. im Rasterkraftmikroskop, ergeben Kantenverrund-ungen von rb < 50 nm und somit Mindestspanungsdicken vonhmin. < 5 nm. Extrem kleine Mindestspanungsdicken vonhmin � 1 nm wurden bereits nachgewiesen [6].

Abb. 2 zeigt die geometrischen VerhaÈltnisse, die bei einerZerspanung im Bereich der Schneidkantenverrundung vorlie-gen. Am Staupunkt unmittelbar vor der Schneidkante kannsich ein stationaÈres ± ¹totesª ± Werkstoffvolumen ausbil-den. Der nicht zerspante Materialanteil wird elastisch und pla-

Abb. 2. Der effektive Spanwinkel ceff. bei derZerspanung mit kleinsten Schnitttiefen inner-halb der Schneidenverrundung

Fig. 2. Effective rake angle ceff. when ma-chining at the minimum depth of cut in theorder of the cutting edge radius

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stisch verformt und unter die Schneidkante des WerkzeugsgedraÈngt. Er flieût in einen Bereich der KontaktlaÈnge w ander FreiflaÈche entlang und erholt sich anschlieûend elas-tisch. Aufgrund lokaler plastischer Verformung des Werk-stoffs unter der Schneide kommt es zur Verfestigung.

Bei Radiuswerkzeugen hat die am Scheitelpunkt derSchneide wirkende oberflaÈchennormale Spanungsdicke hcu.nentscheidenden Einfluss auf die OberflaÈchengenerierung.Sie kann aus geometrischen UÈ berlegungen berechnet werdenzu:

hcu:n: � f2

2 � re � 4 � Rkin: �2�

Die mittlere Spanungsdicke im Bereich der erzeugtenOberflaÈche ist damit etwa viermal so groû wie die theoretischerreichbare, kinematische Rauheit Rkin. Sie liegt fuÈr scharfeDiamantwerkzeuge bei typischen StellgroÈûen im Bereich ei-niger zehn Nanometer, d. h. der Ort auf der Schneide an demdie Mindestspanungsdicke unterschritten wird, befindet sichauf der Nebenschneide.

Den Einfluss der Schneidkantenverrundung auf den Mitten-rauhwert Rq bei der Mikrozerspanung von OFHC-Kupfer undstromlos abgeschiedenem Nickel ist in Abb. 3 dargestellt. DieRauheitswerte wurden mit einem Rasterkraftmikroskop(Atomic Force Microscope ± AFM) an 40 lm mal 40 lm gro-ûen Meûbereichen bestimmt. Bei der Zerspanung von Kupferist deutlich der nach Gl. (1) quadratisch eingehende Einflussdes Vorschubs zu erkennen. Die Rauheit wird aber in keinemFall zu null, sondern es verbleibt auch bei kleinen VorschuÈbeneine Restrauheit. Auch im Fall des stromlosen Nickels steigtdie Rauheit mit zunehmendem Vorschub stark an. Der Ein-fluss der Schnitttiefe auf die Rauheit ist dagegen nur ge-ring. Bei zunehmender Schnittefe erhoÈht sich die Rauheitnur leicht. FuÈr beide Werkstoffe ergeben sich abhaÈngigvom Verrundungszustand der Schneidkante deutlich unter-schiedliche Rauheiten. Allerdings resultiert entgegen der Er-wartung der rauhere ObeflaÈchenzustand vom scharfen Werk-zeug (rb < 50 nm) und nicht vom verrundeten (rb � 100 nm).Eine ErklaÈrung hierfuÈr kann in den untersuchten Mikrogeo-metrien der Schneiden gesehen werden, die sich u. U. nurzu gering hinsichtlich der Kantenverrundung unterscheiden.

Auûerdem zeigt sich auch hier, dass nicht ausschlieûlichdie Kinematik und die Schneidengeometrie die erzeugteOberflaÈchentopographie eindeutig bestimmen, sondern nochweitere Faktoren eine Rolle spielen.

2.2 OberflaÈ chenentstehung

Mikrozerspante OberflaÈchen an polykristallinen kfz-Metal-len, wie z. B. Kupfer oder Aluminium, weisen haÈufig charak-teristische oberflaÈchenbestimmende Effekte auf, die auf dieanisotropen Eigenschaften dieser Werkstoffe zuruÈckzufuÈhrensind. Abb. 4 zeigt dies beispielhaft an einer Messung einerdiamantbearbeiteten KupferoberflaÈche mit Korngrenzen. Inder Weiûlichtinterferometer-Aufnahme ist deutlich die kine-matische Rauheit in Form von Vorschubrillen zu erkennen.In den drei Profilschnitten zeigen sich daruÈber hinaus weite-re, die Topographie bestimmende Effekte. So sind hoÈherfre-quente, uÈberlagerte Schwingungen (Profil 1) und unterschied-liche Niveaus einzelner KoÈrner (Profil 2) zu sehen, und bei derZerspanung der Korngrenzen ergeben sich Stufen beim UÈ ber-gang von Korn zu Korn (Profil 3).

Korngrenzen als flaÈchenfoÈrmige Gitterfehlstellen behin-dern u. a. die Wanderung von Versetzungen erheblich. Siezeichnen sich an mikrozerspanten OberflaÈchen kubisch-flaÈ-chenzentrierter Metalle haÈufig durch MaterialuÈberhoÈhungenaus, die bis einige 10 Nanometer aus der bearbeiteten Ober-flaÈche herausragen. Die Flanken derartiger MaterialuÈberhoÈ-hung sind sanfte Anstiege mit einer Steigung von wenigerals 18 [5]. Es wird vermutet, dass MaterialuÈberhoÈhungen anzerspanten Korngrenzen aufgrund der lokal stark erhoÈhteFehlstellendichte hervorgerufen werden. Allerdings ist nochkeine befriedigende ErklaÈrung bekannt, die wesentlicheAspekte des plastischen und elastischen WerkstoffverhaltensberuÈcksichtigt. An mikrozerspanten OberflaÈchen von Metal-len mit kfz-Gitterkonfiguration sind haÈufig Niveauunterschie-de bis zu 40 Nanometern zwischen benachbarten Kristallitenfestzustellen [5]. Nach Heubeck [7] sind die StufenspruÈngezwischen benachbarten Kristalliten wesentlich auf Differen-zen der elastischen RuÈckfederung zerspanter Kristallite zu-ruÈckzufuÈhren. Aus der Praxis der Mikrozerspanung und ausDrehversuchen an OFHC-Kupfer ist bekannt, dass sich diese

Abb. 3. Einfluss der Schneidkan-tenverrundung rb auf den Mitten-rauhwert Rq bei Variation vonSchnitttiefe ap und Vorschub f

Fig. 3. Average roughness Rq fordiamond turned OFHC copperand electroless nickel dependingon feed f, depth of cut ap and cut-ting edge radius rb

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HoÈhendifferenzen ebenso wie die zuvor beschriebenen Korn-grenzenaufschiebungen durch die Verwendung neuwertigerSchneidteile (rb < 50 nm) minimieren lassen [5].

Die Ausbildung unterschiedlicher, stufenfoÈrmiger Mikroto-pographien auf verschiedenen Einzelkristalliten ist durch dieBildung von Gleitstufen an der zerspanten OberflaÈche zu er-klaÈren. Bei der Zerspanung unterschiedlich zur Schnittrich-tung orientierter Kristallite werden verschiedene Gleitsys-teme aktiviert, und die Materialtrennung erfolgt an bevorzug-ten Gleitebenen.

Im Zuge der komplexen plastischen Flieû- und Gleitvor-gaÈnge an der Schneidkante wird ein Teil des Materials seit-lich verdraÈngt. Dabei entsteht ein schmaler seitlicher Auf-wurf, der z. T. auch auf die bereits bearbeitete OberflaÈche ge-langt. An diamantgedrehten Kupfer-OberflaÈchen werden soRauheitsspitzen erzeugt, die wegen ihres charakteristischenAussehens auch als ¹Grasª bezeichnet werden [3].

Eine grundlegend andere Struktur weist das stromlos abge-schiedene Nickel mit einem Phosphorgehalt von etwa 12%auf. Es ist der haÈrteste bekannte metallische Werkstoff, dersich ohne wesentliche Abnutzung der Schneidkante diamant-bearbeiten laÈût. BetraÈgt der Phosphorgehalt weniger als, 10%so kommt es zu SchaÈdigungen der Schneidkante durchNickelphosphit-Einlagerungen. Bei sehr geringen Phosphor-gehalten tritt zudem chemischer Verschleiû auf. FuÈr die Dia-mantbearbeitung werden i. d. R. Nickel-PhosphoruÈberzuÈgemit Schichtdicken zwischen 50 lm und 150 lm benoÈtigt,die uÈber eine ausreichende Haftfestigkeit verfuÈgen muÈssenund zudem vollstaÈndig homogen, frei von EinschluÈssen undeigenspannungsfrei sein muÈssen. Obwohl die stromlos abge-schiedenen Nickelschichten amorph und homogen sind undim Gegensatz zu kristallinen Materialien keine mechanischeAnisotropie aufweisen, zeigen sich auch dort deutlich von derkinematischen Rauheit abweichende OberflaÈchenqualitaÈten.Der Zustand der Schneidkante sowie die Spanbildung selbstsind die wesentlichen Ursachen hierfuÈr.

Eine weitere, insbesondere fuÈr die Infrarotoptik interes-sante Werkstoffklasse stellen die Halbleiterwerkstoffe dar,z. B. einkristallines Germanium oder Silizium. Diese Materia-lien zeigen aber ein sproÈdes Abtragsverhalten, das nicht zueiner brauchbaren Mikrotopographie fuÈhrt, denn zur Erzeu-gung einer OberflaÈche in optischer QualitaÈt ohne Nachbear-beitung ist ein duktiler Abtrag mit Nanometer-Rauheit zwin-

gend erforderlich. Bei Unterschreiten einer kritischen Spa-nungsdicke ist es jedoch moÈglich, auch bei diesen Materia-lien einen duktilen Werkstoffabtrag ohne sichtbare SchaÈdi-gung der erzeugten OberflaÈche zu erreichen. Die kritischeSpanungsdicke, an der ein UÈ bergang von duktiler zu sproÈderZerspanung stattfindet, liegt fuÈr die beiden genannten Werk-stoffe deutlich unter einem Mikrometer. In der Praxis koÈnnendie geringen Spanungsdicken am Scheitelpunkt der Radius-werkzeuge hierfuÈr genutzt werden.

Das Abtragsverhalten von monokristallinem Germaniumund Silizium wurde in Ritzversuchen mit kontinuierlich zu-nehmender Schnitttiefe untersucht und die ProzesskraÈftemit der erzeugten OberflaÈchentopographie korreliert. DerVergleich fuÈhrte zu einer Modellvorstellung fuÈr den UÈ ber-gang von duktiler zu sproÈder Zerspanung. Im Bereich des duk-tilen Materialabtrags kann im Rasterkraftmikroskop eine sehrglatte Topographie und ein gleichmaÈûiger Kraftverlauf ge-messen werden. Die Ritzspur weist eine Tiefe von wenigenNanometern auf (Abb. 5, links). Wird die kritische Schnitttie-fe uÈberschritten, bricht die duktile Zerspanung ab, und dasMaterial versagt sproÈde (Abb. 5, rechts). Die ProzesskraÈftezeigen in diesem Bereich starke Schwankungen entsprechenddem periodischen Wechsel von Spannungsaufbau, Rissaus-breitung und Wegplatzen von Material.

2.3 ProzesskraÈ fte

Die ProzeûkraÈfte bei der Mikrozerspanung sind im Ver-gleich zur konventionellen Zerspanung aÈuûerst gering. Nurin Verbindung mit der hohen mechanischen PraÈzision der Be-arbeitungsmaschinen und den scharfen Diamantwerkzeugenlassen sich so die sowohl absoluten als auch relativen hohenGenauigkeiten fuÈr hochpraÈzise Bauteile erreichen. In Abb. 6sind Messwerte der drei orthogonalen Komponenten der Zer-spankraft (Schnitt-, Passiv und Vorschubkraft) fuÈr einen typi-schen Plandrehprozess an OFHC-Kupfer und stromlos abge-schiedenem Nickel dargestellt. Die KraÈfte beim Diamantdre-hen von Kupfer sind deutlich kleiner als ein halbes Newtonund selbst beim wesentlich haÈrteren, stromlos abgeschiede-nen Nickel-Phosphor liegen alle Kraftkomponenten unter1,5 Newton.

Abb. 4. Korngrenzen an einer mi-krozerspanten OberflaÈche ausOFHC-Kupfer (weiûlichtinterfe-rometrische Aufnahme)

Fig. 4. Diamond turned OFHCcopper surface with grain bound-aries (measured with a white lightinterferometer)

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Werden die ZerspankraÈfte auf den Spanungsquerschnitt Acbezogen, so lassen sich Aussagen uÈber die Energieumsetzungbei der Zerspanung machen. Es zeigt sich ein typischesVerhalten, der sogenannte Size-Effekt, bei dem die spezifi-schen KraÈfte fuÈr geringe Schnitttiefen extrem anwachsen,waÈhrend sie fuÈr groûe Schnitttiefen einen konstanten Wertannehmen [8].

Auf Basis des Scherebenenmodells von Merchant [9], wel-ches die grundlegenden kinematischen und mechanischen Zu-sammenhaÈnge bei der orthogonalen Zerspanung wiedergibt,wurde ein Modell zur Beschreibung des werkstoffspezifi-schen Zerspanverhaltens entwickelt. In Zerspanversuchenwurde ein Werkstoffkennwert, die charakteristische Schnitt-tiefe ap,char., ermittelt. Dieser erlaubt eine Unterscheidungder dominierenden Anteile der Zerspanenergie, bestehendaus Reibung, Materialtrennung und Scherung in AbhaÈngig-keit von der Schnitttiefe.

In Ritzversuchen ergeben sich charakteristische Schnitttie-fen von ap,char. � 3,6 lm fuÈr OFHC-Kupfer undap,char. � 1,2 lm fuÈr stromlos abgeschiedenes Nickel. Auf-

grund der hoÈheren mechanischen Festigkeit gewinnt fuÈrstromlos abgeschiedenes Nickel bei steigender Schnitttiefedie Scherung schnell an Bedeutung. FuÈr das weichereOFHC-Kupfer dominiert auch in groÈûeren Schnitttiefen dieFreiflaÈchenreibung den Prozess, und es ergibt sich eine cha-rakteristische Schnittiefe, die groÈûer ist als fuÈr stromlos ab-geschiedenes Nickel. Hierbei ist anzumerken, dass dieseSchnitttiefen den Verrundungsradius der Schneidkante(rb < 0,05 lm) um einige GroÈûenordnungen uÈbersteigen.Der Anstieg der spezifischen ZerspankraÈfte tritt also nichterst dann ein, wenn die Zerspanung im Bereich der Schneid-kantenverrundung ablaÈuft. Die Ursachen fuÈr den Anstieg derspezifischen ZerspankraÈfte sind also nicht ausschlieûlich inder Schneidkantengeometrie zu finden, sondern sie sind inder Art der Energiedissipation der Zerspanung begruÈndet.

Abb. 5. OberflaÈchentopographiebei Ritzversuchen in Silizium ±UÈ bergang von duktiler zu sproÈderZerspanung

Fig. 5. Surface topography ofplunge cut silicon ± transitionfrom ductile to brittle material re-moval

Abb. 6. Schnitt-, Passiv- und Vor-schubkraft beim Diamantdrehenvon OFHC-Kupfer und stromlosabgeschiedenem Nickel unter typi-schen Prozessbedingungen

Fig. 6. Cutting, thrust and feedforce when diamond turningOFHC copper and electroless nick-el at typical process parameters

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3 Zusammenfassung und Ausblick

Die Mikrozerspanung ist ein ultrapraÈzises, mechanischesBearbeitungsverfahren hoher FlexibilitaÈt, welches hoÈchstenAnforderungen an Formgenauigkeit und OberflaÈchenguÈte ge-recht wird und die wirtschaftliche Herstellung von SchluÈssel-komponenten fuÈr die HochpraÈzisionstechnik gewaÈhrleistet.Durch Zerspanung mit extrem scharfen Diamantwerkzeugenauf hochgenauen Werkzeugmaschinen schlieût dieses Verfah-ren die LuÈcke zwischen konventionellen spanenden und phy-sikalisch/chemischen Prozessen. Die erreichbaren OberflaÈ-chenqualitaÈten sind sowohl maschinenseitig als auch verfah-rensseitig bedingt und nicht zuletzt werkstoffabhaÈngig. DiematerialabhaÈngigen Grenzen des spanenden Verfahrens Mi-krozerspanung wurden aufgezeigt und analysiert. Die durch-gefuÈhrten theoretischen Analysen und zerspantechnischenUntersuchungen dienen sowohl einem besseren VerstaÈndnisdes Mikrozerspanprozesses duktiler metallischer Werkstoffeals auch sproÈder Halbleitermaterialien. Damit lassen sich auf-grund der Kenntnisse elementarer Wirkmechanismen fuÈr dieangewendeten Verfahren die Bearbeitungsergebnisse verbes-sern, die Prozesssicherheit erhoÈhen und die LeistungsfaÈhig-keit steigern.

4 Literatur

1. Brinksmeier, E., ¹UltrapraÈzisionsbearbeitungª. in: Kompen-dium: Spanende Fertigung, Hrsg. K. Weinert, 2. Ausgabe, Vul-kan-Verlag Essen, 1997: 155 ± 168.

2. Brinksmeier, E., HoÈper, R., Riemer, O., ¹Charakterisierung mi-krozerspanter OberflaÈchen durch Rasterkraftmikroskopieª. IDR3/1996: 190 ± 195.

3. Burnham, M.W., ¹The Mechanics of Micromachiningª. SPIEVol. 93 (Advances in Precision Machining of Optics), 1976:38 ± 45.

4. Kaneeda, T., Ikawa, N., et al., ¹Microscopical Separation Pro-cess at a Tool Tip in Metal Cuttingª. Bulletin of the JapaneseSociety of Precision Engineering. Volume 17, Nr. 1, 1983.

5. Spenrath, N., ¹Technologische Aspekte zum Feinstdrehen vonKupferspiegelnª. Dissertation, RWTH Aachen: 1991.

6. Ikawa, N., Shimada, S., Tanaka, H., Ohmori, G., ¹An AtomisticAnalysis of Nanometric Chip Removal as Affected by Tool-Work Interaction in Diamond-Turningª. Annals of the CIRPVol. 40/1/1991: 551 ± 554.

7. Heubeck, C., ¹Der Einfluû des GefuÈgeaufbaus von Kupferwerk-stoffen auf die Mikrogeometrie zerspanter OberflaÈchenª. Dis-sertation. SaarbruÈcken, 1991.

8. Lucca, D.A., Rhorer, R.L., Komanduri, R., ¹Energy Dissipationin the Ultraprecision Machining of Copperª. Annals of the CIRP,Vol. 40, 1991.

9. Merchant, M.E., ¹Mechanics of the Metal Cutting Process. I.Orthogonal Cutting and a Type 2 Chipª. Journal of Applied Phy-sics. Vol. 16/5, 1945: 267 ± 275.

Anschrift: E. Brinksmeier, O. Riemer, Labor fuÈr Mikrozerspanung,UniversitaÈt Bremen

Eingangsdatum: 8.5.00 [T 262]

Neuerscheinung

Etching in Microsystem Technology

Michael KoÈhler

1999. XVI, 368 pages with 71 figures and 10 tables. Hardcover.DM 298¦ ,±, Q 152,36, sFr 265,±, ISBN 3-527-29561-5, WILEY-VCH

Microcomponents and microdevices are increasingly finding appli-cation in everyday life. The specific functions of all moern micro-devices depend strongly on the selection and combination of thematerials used in their construction, i.e., the chemical and physicalsolid-state properties of these materials, and their treatment. Theprecise patterning of various materials, which is normally perfor-med by lithographic etching processes, is a prerequisite for the fa-brication of microdevices.

The microtechnical etching of functional patterns is a multidis-ciplinary area, the basis for the etching processes coming from che-mistry, physics, and engineering.

The book is devided into two sections: the wet and dry etchingprocesses are presented in the first, general, section which providesthe scientific fundamentals, while a catalog of etching bath com-position, etching isntructions, and parameters can be found inthe second section. This section will enhance the comprehensionof the general section and also give an overview of data that areessential in practice.

From the Contents

l Introductionl Features of Microtechnical Etchingl Wet Chemical Etching Methodsl dry-etching Methodsl Microforming by Etching of Locally Changed Materiall Selected Recipes

Mat.-wiss. u. Werkstofftech. 31, 754±759 (2000) Mikrozerspanung 759