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Arch. exper. Path. u. Pharmakol., Bd. 215, S. 217--230 (1952). Aus dem Pharmakologischen Institut der Freien Universit/~t Berlin. Wirkungsverluste von Krampfgiften dutch Hexachloreyclohexan+. Von HANS HERKEN~ HELMUT KEWITZ und INGEBORG ]~LEMPAU. Mit 3 Textabbildungen. (Eingegangen am 17. Januar 1952.) Einige Hexachlorcyclohexane rufen langanhaltende Funktions/~nde- rungen im Nervensystem yon Warmbliitern hervor, die sigh mit Hilfe krampferzeugender Pharmaka leicht nachweisen lassen. Bei Verwendung yon LipoidlSsungsmitteln zeigten 4 Isomere krampfhindernde Eigen- schaften, wenn mit einer Cardiazoldosis getestet wurde, die bei allen Kontrolltieren den typischen tonisch-klonisehen Krampf hervorrief 1. Diese Wirkung der chlorierten Cyclohexane zeiehnete sich durch ihre un- gewShnlich lange Dauer vor allen bisher bekannten Effekten /ihnlicuer Art aus. Abgesehen vonder Bedeutung dieses auff~lligen Befundes fiir die Erschlie6ung bestimmter Funktionen des Nervensystems sind die Hexachlorcyclohexane auch deswegen interessant, weft von einer genauen Analyst der Wirkungsweise Einblicke in die sterische Spezifit/it bio- logischer Reaktionen erwartet werden kSnnen. Die Wichtigkeit der r/iumliehen Konfiguration ffir die AuslSsung pharmakodynamischer Effekte ist durch die Untersuchung der optischen Antipoden biologisch bedeutsamer Verbindungen hinreichend bekannt. Die Zahl der theo- retiseh mSglichen Isomeren ist bei den Hexachlorcyclohexanen besonders groG. Praktisch wird sie allerdings durch die ri~umliche Behinderung der einzelnen Chlor- und Wasserstoffatome untereinander erheblich ein- geschr/~nkt. Neben den krampfhindernden Eigenschaften bcsitzen diese Substanzen weitere W~rkungen auf das Zentralnervensystem, die die Auswirkungen der sterischen Anordnung deutlich demonstrieren. So ist die als Kontaktinsektizid bekannt- gewordenc ~,-Komponente 2 auch ffir den Warmb]iiter ein starkes Krampfgift, das ~-Isomere dagegen hat in hohen Dosen zentrall/ihmende Wirkungen, die yon einer auffKlligen Schlaffheit der Skeletmuskulatur begleitet sind. Zwischen den einzelnen Isomeren bestehcn intcrcssante Wechselwirkungen, die bei der fi- und y-Kompo- nente besonders auffallen. Einma]ige Vorbehandlung mit nicht toxischen Mengen des fl-Isomeren verhindert die Ausl6sung von Gamme:~ankr~impfenund schfitzt die Tierc vor der tSdlichen Vergiftung mit der y-Komponente. Hierbci geht die krampf- hindernde Wirkung nicht verloren a. Es kommt vielmehr zu ciner Verst/irkung dieses * Herrn Prof. Dr. W. H~UBNER zum 75. Geburtstag gewidmet. Arch. exper. Path. u. Pharmakol.,B,~I. 215. 1,5

Wirkungsverluste von Krampfgiften durch Hexachlorcyclohexan

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Page 1: Wirkungsverluste von Krampfgiften durch Hexachlorcyclohexan

Arch. exper. Path. u. Pharmakol., Bd. 215, S. 217--230 (1952).

Aus dem Pharmakologischen Institut der Freien Universit/~t Berlin.

Wirkungsverluste von Krampfgiften dutch Hexachloreyclohexan +.

Von HANS HERKEN~ HELMUT KEWITZ und INGEBORG ]~LEMPAU.

Mit 3 Textabbildungen.

(Eingegangen am 17. Januar 1952.)

Einige Hexachlorcyclohexane rufen langanhaltende Funktions/~nde- rungen im Nervensystem yon Warmbliitern hervor, die sigh mit Hilfe krampferzeugender Pharmaka leicht nachweisen lassen. Bei Verwendung yon LipoidlSsungsmitteln zeigten 4 Isomere krampfhindernde Eigen- schaften, wenn mit einer Cardiazoldosis getestet wurde, die bei allen Kontrolltieren den typischen tonisch-klonisehen Krampf hervorrief 1. Diese Wirkung der chlorierten Cyclohexane zeiehnete sich durch ihre un- gewShnlich lange Dauer vor allen bisher bekannten Effekten /ihnlicuer Art aus. Abgesehen v o n d e r Bedeutung dieses auff~lligen Befundes fiir die Erschlie6ung bestimmter Funktionen des Nervensystems sind die Hexachlorcyclohexane auch deswegen interessant, weft von einer genauen Analyst der Wirkungsweise Einblicke in die sterische Spezifit/it bio- logischer Reaktionen erwartet werden kSnnen. Die Wichtigkeit der r/iumliehen Konfiguration ffir die AuslSsung pharmakodynamischer Effekte ist durch die Untersuchung der optischen Antipoden biologisch bedeutsamer Verbindungen hinreichend bekannt. Die Zahl der theo- retiseh mSglichen Isomeren ist bei den Hexachlorcyclohexanen besonders groG. Praktisch wird sie allerdings durch die ri~umliche Behinderung der einzelnen Chlor- und Wasserstoffatome untereinander erheblich ein- geschr/~nkt.

Neben den krampfhindernden Eigenschaften bcsitzen diese Substanzen weitere W~rkungen auf das Zentralnervensystem, die die Auswirkungen der sterischen Anordnung deutlich demonstrieren. So ist die als Kontaktinsektizid bekannt- gewordenc ~,-Komponente 2 auch ffir den Warmb]iiter ein starkes Krampfgift, das ~-Isomere dagegen hat in hohen Dosen zentrall/ihmende Wirkungen, die yon einer auffKlligen Schlaffheit der Skeletmuskulatur begleitet sind. Zwischen den einzelnen Isomeren bestehcn intcrcssante Wechselwirkungen, die bei der fi- und y-Kompo- nente besonders auffallen. Einma]ige Vorbehandlung mit nicht toxischen Mengen des fl-Isomeren verhindert die Ausl6sung von Gamme:~ankr~impfen und schfitzt die Tierc vor der tSdlichen Vergiftung mit der y-Komponente. Hierbci geht die krampf- hindernde Wirkung nicht verloren a. Es kommt vielmehr zu ciner Verst/irkung dieses

* Herrn Prof. Dr. W. H~UBNER zum 75. Geburtstag gewidmet. Arch. exper. Path. u. Pharmakol., B,~I. 215. 1,5

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218 H. HERKEN, H. KEWITZ und I. KLEMPAU:

Effektes, denn bei gleichzeitiger Applikation beider Isomeren wirken auch solche Dosen, die allein die Cardiazolkr/~mpfe nicht verhindem konnten 4. Diese Befunde geben ein eindrucksvolles Beispiel fiir die sterische Spezifit~t bestimmter Reak- tionen am Nervensystem. fl- und ~,-Komponente unterscheiden sich n/~mlich nur durch die raumliche Anordnung von Wasserstoff- und Chlor am C1-Atom des Kohlenstoffgerfistes voneinander,

f l - Isom eres y - I s o m eres H Ct It CL

Ct H Ct Ct

Abb. 1. Hexachlorcyclohexan, schematisch.

Dieser bemerkenswerte Synergismus und Antagonismus der neuro- tropen Wirkungen lieB vermuten, dal~ der /£ul~erlich erkennbaren Be- hinderung chemisch induzierter Kr/~mpfe wahrscheinlich verschiedene biochemische Vorg/inge in den Nervenzellen zugrunde liegen, zumal sich deutliche Unterschiede im Ablauf des Effektes bei den verschiedenen Isomeren nachweisen liei~en. Die Beobachtungen gaben den Anla$ zur Prtifuag weiterer Krampfgifte, wobei uns besonders die Frage interes- sierte, ob mit dieser Methode Unterschiede in der Wirkungsweise solcher Pharmaka erkannt werden kSnnen.

Die Analeptika Cardiazol, Pikrotoxin und Coramin gehSren nach allen bisher vorliegenden Erfahrungen zu den Substanzen, die auf hShere Abschnitte des Zentralnervensystems eine ziemlich umfassende Er- regung ausiiben 5. Wegen der ~hnlichkeit ihrer Wirkungen mit dem epileptischen Anfallssyndrom haben sich auBerordentlich viele Arbeiten mit der Aufkl~rung der Wirkungsweise und der Festlegung der Angriffs- punkte yon Krampfgiften beschaftigt. Hiernach scheinen kaum Unter- schiede zwischen Pikrotoxin und Cardiazol zu bestehen, die beide tonisch- klonische Kr~mpfe yon gleichem Erscheinungsbild hervorrufen.

Auch das Pikrotoxin hat eine Weckwirkung und schfitzt ebenso wie Cardiazol gegen die t6dliche Schlafmittelvergiftung durch einige Barbiturs~iuren% Die ~lteren Durchschneidungs- und Ausschaltungsexperimente haben einen nahezu gleichen Angriffspunkt beider Pharmaka im Zentralnervensystem festgelegt. Am supra- tentorial decerebrierten Tier ]assert sich mit gleichen Cardiazoldosen Krampfe aus- 15sen wie am intakten Organismus 7. Xhnliches gilt auch ffir das Pikrotoxin, bei dem erst die Abtragung der Basis des Mittelhirns zu einem plStzlichen Anstieg der Krampfsehwelle fiihrt s. Natfirlich kommt es bei einer solchen Versuchsanordnung zu erheblichen Eingriffen in ein hochentwickeltes Funktionssystem, die keine feineren Differenzierungen fiber die Angriffspunkte dieser Pharmaka gestatten. ~Tberdies existieren genfigend Befunde, die fiir eine gegenseitige Beeinflussung der einzelnen Abschnitte des Zentralnervensystems sowohl im Sinne einer FSrderung als auch einer Hemmung bestimmter Funktionen sprechen. So erkl/~ren sich auch

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Wirkungsverluste yon Krampfgiften durch Hexachlorcyclohexan. 219

manche widersprechenden Befunde ~tlterer Arbeiten mit den Ergebnissen bei moderner Versuchsanordnung, auf die vor allem W. R. HESS 9 bei der Punkt-ffir- Punkt-Analyse der Funktionen des Zentralnervensystems (ZNS) aufmerksam ge- macht hat.

Es erschien uns daher yon besonderem Interesse, die Wirkung ein- zelner Krampfgifte naeh der ehemischen Reaktion des Nervensystems mit den Hexachlorcyclohexanen zu priifen. Einzelheiten der Versuehs- anordnung gehen aus der folgenden Tabelle hervor, die aueh die Ergeb- nisse bei den Kontrolltieren enth/~lt. Der Abstand zwischen der oralen Verabreiehung der verschiedenen Isomeren und den krampferzeugenden Pharmaka, die in allen F~llen subcutan injiziert wurden, betrug 4 Tage.

Von den Ergebnissen sind folgende Einzelheiten bemerkenswert. Hier ist zun/ichst der Unterschied bei den Versuehen mit Cardiazol und Pikro- toxin auffallend, die bei den Kontrolltieren in den verabreiehten Dosen generalisierte Kr/~mpfe yon gleichem Erscheinungsbild erzeugen. Der ehemische Eingriff fiihrt nun zu einer interessanten Differenzierung, die mit den bisher ~iblichen Methoden nieht dargestellt werden konnte. Nach Verabreiehung des ~-Isomeren erleiden beide Pharmaka im Vergleich zu den Kontrolltieren einen Wirkungsverlust, der sieh bei 50~ der Ver- suchstiere in dem Ausbleiben yon generalisierten Krgmpfen ~uSert. Das ~-Isomere, das gegeniiber Cardiazol so besonders wirksam ist, kann da- gegen die Pikrotoxinkr~mpfe tiberhaupt nicht behindern. Auch eine Vor- behandlung mit der h5heren Dosis yon 200 mg/kg ~-Hexaehlorcyclo- hexan ist beim Pikrotoxin wirkungslos, dagegen behindert eine Dosis yon 150 mg/kg des fl-Isomeren in gewissem Umfange auch die Krampf- wirkung yon Pikrotoxin.

Coramin erfghrt als einziges der hier untersuehten Analeptika dureh alle 4 Isomeren eine deutliehe Einschrankung der Krampfwirkung. Hier ist auch das 6-Isomere wirksam, das Cardiazol- und Pikrotoxinwirkung nach 4 Tagen nur unwesentlich beeinflul~t. Zwisehen Coramin und den tibrigen Analeptika lieSen sich auch mit anderen pharmakologisehen Methoden Untersehiede nachweisen, auf die F. HAHN 10 in versehiedenen Arbeiten hingewiesen hat. Bei der O-Komponente sind die Wirkungs- bedingungen noch nicht vSllig klar, da bei steigenden Dosen manchmal eine Abnahme der krampfhindernden Wirkung gegentiber Cardiazol be- obachtet werden konnte.

Das chemisehe Aussehaltungsexperiment mit Hexachlorcyclohexan spricht dafiir, dab die experimentell ausgelSsten Krgmpfe aueh bei glei- ehem Erseheinungsbild nieht auf denselben Funktions/~nderungen im ZNS beruhen kSnnen, so dal~ eine Differenzierung krampferzeugender Pharmaka mit Hilfe der versehiedenen Isomeren vorgenommen werden kann. Nachdem sich herausgestellt hat, dal~ die neurotropen Wirkungen

15"

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220 H. HERKEN, H. KEWlTZ und I. KLEMPAU:

Tabelle 1. Versuche mit Kramp/gi#en nach einmaliger Vorbehandlung mit Hexachlorcyclohexan.

Zahl der Zahl der Todesf~lle Menge und Ar~ Krampfgift in mg/kg Versuchs- Tiere mit nach Bcmerkungen der tiCII-Gabe tiere Kriimpfen Krampfgift

Kontroll- tiere

80 mg/kg ~-Isomeres

100 mg/kg fl-Isomeres

150 mg/kg fl-Isomeres

150 mg/kg c¢-Isomeres

200 mg/kg ~-Isomeres

100 mg/kg 6-Isomeres

80 Pentamethylen te t razol

(Cardiazol) 6

Pikrotoxin . . . . . 250

fl-Pyridincarbonsiiure- diit thylamid (Coramin)

80 Pentamethylen te t razol

{Cardiazol) 6

Pikrotoxin . . . . . 250

fl-Pyridincarbonsi~ure- digthylamid (Coramin)

8O Cardiazol . . . . . .

6 Pikrotoxin . . . . .

25O Coramin . . . . . .

8O Cardiazol . . . . . .

6 Pikrotoxin . . . . .

/ Cardiazol . . . . . . 6

Pikrotoxin . . . . . 250

Coramin . . . . . .

Cardiazol . . . . . . 6

Pikrotoxin . . . . .

I 80 ! Cardiazol . . . . . .

6 Pikrotoxin . . . . .

250 Coramin . . . . . .

48

18

12

15

15

7

15

8

8

10

10

16

16

8

10

10

8

8

8

48

18

10

11

8

0

3

5

0

16

0

1

10

7

6

3

0

1

0

0

0

0

7

Bei 5 Tieren ref l~ktor isch auslSsbare Zuckungen

Bei 4 Tieren refl~ktorisch ausl6sbare Zuckungen

Bei 5 Tieren reflektorisch auslSsbare Zuckungen

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Wirkungsverluste von Krampfgiften durch Hexachlorcyclohexan. 221

Tabelle 2. Versuche mit kramp/erzeugenden Pharmaka nach einmaliger Vorbehandlung mit fl- und y-Hexachlorcyclohexan.

HCH-Dosis in Zeitlicher Abstand zwischen Zahl der Zahl der Tiere mg/kg RapsSll6sung HCH und Krampfgift in Tagen Vcrsuchstiere mit Kr~mpfen

60 (y) -~ 50 (fl)

60(r) + 50 (~)

80 mg/kg Cardiazol

nach 4- - 5 Tagen nach 8--11 Tagen nach 13--17 Tagen nach 19--26 Tagen

6 mg/kg Pikrotoxin

nach 4 Tagen nach 7 Tagen nach 12 Tagen

24 24 24 24

8 14 14 24

der Hexach lorcyc lohexane durch verschiedene Fak to ren der Dia t beein-

f l u l t werden kSnnen n, wird es viel le icht auf diesem Wege m6glich sein,

Einbl ick in die biochemischen Reak t ionen der Nervenzel len zu bekom-

men, die ftir den Ablauf der verschieden ausgelSsten Krampfanf/~lle

wichtig sind.

Die Unterschiede im Wirkungsmechanismus yon P ik ro tox in und

Cardiazol lassen sich noch auf an@re Weise demonstr ieren. Gleichzeitige

. . . . . . L = _ ~ __ A . - J - ~ . h - - - . ~ . . . .

a b e Vorbehandlung mit :

a 80 mg/kg y-Isomerem b 200 mg/kg fl-Isomerem c 200 mg/kg a-Isomerem 20 mg/kg Cardtazol i.v. 10 mg/kg Cardiazol i.v. 10 mg/kg Cardiazol i. v.

Abb. 2. Blutdruckwirkung yon Cardiazol an krampfresistenten Ratten.

Appl ika t ion des fl- und y- I someren f t ihrt in e inem bes t immten Do-

sierungsbereich zu einer deut l ichen Verl/ ingerung der k rampfh indernden

Wirkung gegeniiber Cardiazol. Die hierbei verabre ich te Dosis der f l-Kom-

ponente war allein t iberhaupt n icht wirksam. Bei Anwendung yon Pikro- tox in konnte diese addi t ive Wirkung der beiden Hexachlorcyc lohexane

n ich t beobach te t werden.

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222 H. HERKEN, H. KEWITZ und I. KLEMPAU:

Abgesehen yon der ? -Komponente , die in den verabreichten Mengen bei einem Teil der Versuchstiere voriibergehende Kr~mpfe auslSst, schei- nen die Nebenwirkungen im Stadium der Krampfresis tenz bei allen ge- prfiften Isomeren gering zu sein. Dies l~Bt sich schon aus der Erha l tung der physiologischen Motilit~t, der normalen Temperaturregula t ion und der Ansprechbarkei t des W~rmezentrums auf Ant ipyre t ika sowie der unveri~nderten Funkt ion der A tmung entnehmen. Die Blu tdruckwirkung des Cardiazols ist bei den krampfresis tenten Versuchstieren in gleichem AusmaB wie bei normalen nachweisbar.

Ganz besonders auff~llig war die Erha l tung der Weckwirkung des Pentamethylentetrazols , die sich im Antagonismus gegenfiber einer Na- kose mit 60 mg/kg Diallylbarbitursi~ure i~u$erte. Bei dieser Dosis schliefen die Tiere 51/2--6 Std.

Tabelle 3. Weckversuche an krampfresistenten Ratten.

Menge und Art Zahl der Weckversuch mit Eintritt der Weckwirkung der HCH-Gabe Versuchstiere 80 mg/kg Cardiazol (hufrichten aus Seitenlage

nach Schlafzeit in Std und Fortbewegung) ]

Kontrolle . . .! 17

Kontrolle . . .i 9

80 mg/kg . . . . i 8 (~-Isomeres) I

5 J

j 6

120mg/kg . . i 2 (fl-Isomeres) ']

I

150mg/kg . . . ! 2 7 (u-Isomeres) .i

2½ ] nach 4--22 min

3 i nach 10--15 min

1 nach 15--30 rain

2½ l½

nach 6--20 min nach 3--17 min nach 5-- 7 min

nach 5--10 min

lunmit : l?hr /ach 8 I:~:ktion

Die Weckversuche mit Cardiazol lieBen keine Unterschiede zwischen normalen und krampfresis tenten Versuchstieren erkennen. Die Schlaf- tiefc scheint nach Vorbehandlung mit dem ~-Isomeren geringer zu sein. I n toxischen Dosen ha t diese Komponente eigenartige langanhal tende erregende Wirkungen, die sowohl yon L. L]~NDLE und SC~NEID~.R 12 wie yon uns la schon frfiher beschricben wurden.

Alle diese Beobachtungen sprechen daffir, dab dttrch die verwendeten Dosen Hexachlorcyclohexan offenbar nur ein eng umschriebener Funk- tionsausfall verursacht wird. Der auff~llige Befund der Trennung yon Krampf- und Weckwirkung des Cardiazols durch die Hexachlorcyclo- hexane ha t uns veranlaBt, elektroencephalographische Untersuchungen an Kaninchen im Stadium der Krampfresistenz durchzuffihren, fiber die an anderer Stelle berichtet wird ~a. Diese Versuche ffihrten zu dem fiber- raschenden Ergebnis, dab die hirnelektrischen Erregungsabl~ufe auch bei

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Wirkungsverluste von Krampfgiften durch Hexachlorcyclohexan. 223

den vorbehandel ten Tieren nach Cardiazolinjektionen unver/~nder$ er- hal ten sind. I n einem Fall konnte sogar ein typisches Krampfs t rombi ld nach der intravenSsen Verabreichung einer fiir das Kaninchen hohen Cardiazoldosis (42 mg/kg) registriert werden, bei dem die sonst damit verbundenen klinischen Krampf-Xquivalente der Skeletmuskulatur vSllig fehlten.

Diese Ergebnisse liel~en zun/~chst vermuten, dab der Angriffspunkt der Hexachlorcyclohexane in peripheren Abschnit ten des Nervensystems zu suchen sei. Zur Kl~trung dieser Frage haben wir daher Versuche an Rfickenmarkpr/~paraten und an supratentorial decerebrierten Tieren durchgefiihrt . Mit Untersuchungen fiber den Angriffsort des Cardiazols ha t sich neben BLUME 7 und SCH5~ 6 vor allem W. KOLL 15 besch~ftigt. Da KOLL bei seinen Untersuchungen am Spinalpr~parat der Ka tze ein- wandfrei eine Steigerung der Reflexerregbarkeit durch Cardiazol naeh- weisen konnte, schien uns diese Versuchsanordnung zur weiteren Analyse tier Hexaehlorcyelohexanwirkung geeignet. Alle frfiheren Versuchsergeb- nisse wurden an Ra t t en gewonnen; daher war es notwendig, auch diese Exper imente am gleichen Versuchstier durehzufiihren. Auf die experi- mentellen Sehwierigkeiten bei Versuchen an Ka tzen wurde bereits yon W. ]~OLL ausfiihrlich hingewiesen. Sie gelten in gleieher Weise auch ftir die Rat te . Bei schonender Versuchstechnik konnten auch an diesem kleinen Versuchstier einwandfrei funktionierende Reflexpr~parate er- hal ten werden. Zur Priifung der Wirkung yon Cardiazol auf die Funk t ion des Rfiekenmarks normaler Ra t t en und soleher, die mit Hexachloreyelo- hexan vorbehandel t waren, wurde als Test der homolaterale Beugereflex herangezogen.

Methode: Wei~e Ratten beiderlei Geschlechts im Gewicht von 150---180g wurden in tiefer :~thernarkose supratentorial decerebriert. Nach Laminektomie geschah die Durchtrennung des Rfickenmarks im mittleren Thorakalbereich. An einer Hinterpfote wurde der Nervus peron~us freigelegt, angesch]ungen und nach mSglichst weir peripher verlaufender Durchschneidung mit einer kleinen S~ERRING- To~-Elektrode versehen. Die Kontraktionen des yon seinem Tibia-Ansatz getrenn- ten Musculus semitendineus der gleichen SeRe konnten auf einer RuB-Trommel durch einen K~IT~-LucAs-Hebel registriert werden. Die Reflexausl5sung erfolgte alle 2 min mit 5 sec dauernden tetanischen Reizen, die aus rechteckigen Strom- stSBen yon l0 Millisekunden Dauer bei einer Frequenz von 50 Hz und 1--2 Milliamp. Stromst~rke bestanden.

Bei den Versuchen an Riickenmarkpr~paraten ist es besonders wichtig, den Blutdruck laufend zu registrieren. Es traten St5rungen der Reflext~tigkeit auf, wenn der Blutdruck, der mit einem Quecksilbermanometer in der Carotis gemessen wurde, unter 50 mm Hg abfiel. Gleiche Beobachtungen hat KOLL bei seinen Ver- suchen an der Katze machen kSnnen und gefunden, dal3 friihzeitiges Absinken des Blutdruckes zu einer vorfibergehenden Steigerung der ReflexhShe ffihrt, die eine Erregung vort~uschen kann. Wegen der besonderen Empfindlichkeit des ZNS gegenfiber Sauerstoffmangel ist die Aufrechterhaltung einwandfreier Kreislauf- verhi~Itnisse Voraussetzung fiir pharmakologische Priifungen an Rtickenmark-

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224 H. flERKEN, H. KEWITZ und I. KLEMPAU:

praparaten. Aus diesem Grunde hat KOLL intravenSse Adrenalin-Dauerinfusionen, Strophanthingaben und kleine Bluttransfusionen empfohlen. Bei unseren Versuchen geniigte eine Injektion yon 0,5 y Strophanthin pro 100 g Ratte zu Beginn des Versuchs und im Bedarfsfalle die Durchfiihrung kleiner Bluttransfusionen yon 0,5--1 cm a. Die Rektaltemperatur muB zwischen 35--38 ° gehalten werden. Die Versuche fanden im Juni-August 1951 statt. Die Tiere erhielten gemischte Kost; zu einer Haferdi/~t wurden Riiben, Kartoffeln und Fleisch zusatzlich verfiittert.

100 mg/kg fi-Hexachlorcyklohexan wurden in der iiblichen Weise als 0,5~oige L5sung, 80 mg/kg Gammexan als l~/oige LSsung in RapsS1 durch die Magensonde

verabreicht. Die Festste]lung der krampf- hindernden Wirkung erfolgte in diesen Versuchen durch intravenSse Injektion yon 40 mg/kg Cardiazol, das, als 2~/oige LSsung in die Schwanzvene der Ratte injiziert, bei allen Kontrolltieren den charakteristischen Krampfanfall auslSste.

Die Priifung der Reflext~tigkeit am Rtickenmarkpri~parat der Ratte in der oben geschilderten Versuchs- anordnung ergab nach intravenSser Injektion yon 30 mg/kg eine deut- liche Steigerung des homolateralen Beugereflexes. Dieser Effekt ist auch bei den krampfresistenten Versuchs-

l l tieren in gleichem Umfang nachweis- bar. Die Versuche wurden am 4. Tag nach der Verabreichung von Gamm-

Abb. 3. Reflexsteigerung durch Cardiazol exan bzw. am 7. Tag nach der Vor- am 7. Tage nach Vorbehandlung mit 200 mg/kg fl-ltCH (krampfresistentes Tier), behandlung mit dem fl-Isomeren Oben: homolateraler Seugereflex. durchgefiihrt. Die 12 Std vorher durch- Unten: Blutdruck.

1.Markierung: 0,5 em 3 Blut i .v . gefiihrten Injektionen y o n 4 0 mg/kg 2. Markierung: 30 mg/kg Cardiazoli. v, Cardiazol ergaben bei diesen Tieren

keine Kri~mpfe.

Obwohl in diesen Versuchen nurder homolaterale B3ugereflex geprtift wurde, ist es unwahrscheinlich, da$ die Ursache der krampfhindernden Wirkung der Hexachlorcyclohexane in Funktions/~nderungen des Rtik- kenmarkes liegt. Auch an dem krampferzeugenden Effekt des ?-Isomeren kann das Riickenmark nicht wesentlich beteiligt sein. 100 mg/kg Gam- mexan, intraperitoneal verabreicht, bewirken keine Verst/~rkung der Reflexausschl/~ge. Diese Dosis ruft bei intakten Tieren wiederholte An- f~lle generalisierter Kr/~mpfe hervor, an denen sie innerhalb der 1. Std zugrunde gehen. Neun Riickenmarkpr/~parate dagegen iiberlebten mehr als 4 Std ohne Krampferscheinungen.

Der Angriffsort der neurotropen Effekte der Hexachlorcyclohexane muB demnach in einem pr/~spinalen Abschnitt des ZNS zu suehen sein.

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Wirkungsverluste von Krampfgiften durch Hexachlorcyclohexan. 225

Zur Kl~rung der Frage, welcher Tell des Gehirns ffir die Wirkung be- deutungsvoll ist, wurde die 100 °/o ige Krampfdosis fiir Cardiazol bei intra- venSser Injektion in folgenden Versuchsserien bestimmt:

1. Nicht vorbehandelte intakte Ratten. 2. Intakte Ratten 4 Tage nach Vorbehandlung mit Gammexan. 3. Nicht vorbehandelte decerebrierte Tiere. 4. Decerebrierte Ratten 4 Tage nach Vorbehandlung mit Gammexan.

Tabelle 4. Einflufl der Decerebrierung au/ die Kramp/hemmung durch HCH.

i Kr/~mpfe Zahl der Tiere mg/kg Cardiazol i. v.

+ I -

Intakte Ratten, nicht vorbehandelt. ,5 L5 I o 5

1. 5 20 2 3 5 30 5 0

Intakte Ratten, 4 Tage nach Vorbehandlung mit 100 mg/kg HCH oral. 6 35 [ 0 6

2. 6 40 : 1 5 6 50 4 2 6 55 6 0

Decerebrierte Ratten, nicht vorbehandelt.

3. 12 l 35 [ 12 0

Decerebrierte Ratten, 4 Tage nach Vorbehandlung mit 100 mg/kg HCH oral.

4. 10 ] 35 i 10 0

Wie aus der Tabelle hervorgeht, bestehen zwischen den Serien 1, 3 und 4 keine nennenswerten Unterschiede. Serie 2 enth~l~ die Angaben ffir intakte Tiere nach Vorbehandlung mit Gammexan, die einen ein- wandfreien Anstieg der Krampfschwelle erkennen lassen. Die Krampf- hinderung ist somit an das Vorhandensein der supratentorial gelegenen Hirnabschnitte des Vorderhirns gebunden. Sie f~llt auch 4ann weg, wenn nur eine H~lfte des Vorderhirns entfernt wird. Auch beim Diphenyl- hydantoin konnten KNOEFEL und LEHMANN i6 nach Decerebrierung keine Beeinflussung der Anf~lle mehr nachweisen. Die Versuche lieBen immer- hin noch die Vermutung zu, dab eine beliebige ZerstSrung der Kontinui- t~t der Nervenbahn genfigt, um die krampfhindernde Wirkung des Hexachlorcyclohexans zum Verschwinden zu bringen. Dies ist jedoch nicht der Fall. Bei zwei Versuehstieren gelang die Durchtrennung der Kommissurenbahnen des Vorderhirns in der Mitre unter Vermeidung yon Blutungen. Nach diesem Eingriff blieb die Behinderung der Cardiazol- kr~mpfe in vollem Umfang bestehen.

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226 H. HERKEI~, I-[. KEWITZ und I. KLEMPAU:

Auf Grund der vorliegenden Versuche kann daher ausgesagt werden, dab ftir die Wirkung der Hexachtorcyclohexane beide Vorderhirnh~lften notwendig sind. Dieser Hirnabschnitt ist fiir das Zustandekommen der Cardiazolkr~mpfe sicher nur yon untergeordneter Bedeutung, wie aus den Experimenten an decerebrierten Tieren hervorgeht. Der antikonvul- siren Wirkung der Hexachlorcyclohexane dfirfte demnach das interes- sante Ph~nomen einer sehr begrenzten zentralnervSsen Funktions~nde- rung zugrunde liegen, die anscheinend die fiir das Zustandekommen des generalisierten Krampfanfalls notwendige Koordinierung cerebraler Er- regungserscheinungen verhindert. Im Gehirn existiert sehr wahrschein- lich ein umschriebenes Funktionssystem yon Ganglienzellen, das nach Einwirkung yon HCH als fibergeordneter hemmender Faktor gegeniiber pathologischen Erregungen tiefer liegender Abschnitte des ZNS wirksam wird, die fiir sich allein eine unver~nderte Erregbarkeit auf Cardiazol erkennen lassen.

Bei den frfiher angeffihrten Versuchen mit Coramin, in denen die tonisch-klonische Phase vSllig unterdrfickt wurde, war noch auffallig, dab sich dureh mechanische Reize kurze reflektorische Zuckungen auslSsen lassen. Der zentrale Hemmungsmechanismus scheint sich bei diesem Pharmakon demnach etwas anders auszuwirken. Vielleicht spricht dieser Befund ffir die Auffassung von F. HAu~ 10 der den Angriffspunkt des Coramins im wesentlichen in das Rfickenmark verlegt.

Die frfiher erw/~hnte Trennung yon Krampf- und Weckwirkung des Cardiazols durch die Hexachlorcyclohexane sowie die Erhaltung der hirnelektrischen Erregungsabl/~ufe nach intraveniSser Injektion des Ana- leptikums bei vorbehandelten Tieren demonstriert eindrucksvoll die spezielle Pathogenese generalisierter Krampfanf/~lle im Rahmen eines allgemeinen Erregungszustandes des ZNS.

Bei den beobachteten neurotropen Wirkungen der Hexachlorcyclo- hexane handelt es sich offenbar um Befunde yon allgemeinerer Be- deutung. Bei der Prtifung yon zwei typischen Cholinesterasegiften, dem Physostigmin und dem Prostigmin, fanden sich bemerkenswerte Unter- schiede, wenn als Test die Aufhebung der charakteristischen fibrill~ren und fascicul/~ren Muskelzuckungen zugrunde gelegt wurde, die bei hohen Dosen beider Pharmaka regelm~Big vorkamen. Nach Vorbehandlung mit drei isomeren Hexachlorcyclohexanen erleidet nur das Prostigmin einen deutliehen Wirkungsverlust. Die Unterschiede bleiben auch nach Ein- wirkung hSherer Dosen der chlorierten Kohlenwasserstoffe bestehen. Bei der Priifung des Ablaufes der Wirkung zeigte sich, dal3 das Maximum des Effektes gegeniiber dem Prostigmin durch Vorbehandlung mit hShe- ren Dosen yon ~- und fl-Isomeren erst am 7. Tage erreicht wird.

Es ist viel dariiber diskutiert worden, ob die pharmakologischen Wirkungen dieser Cholinesterasegifte allein durch die Behinderung der Acetylcholinzerst6rung

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Wirkungsverluste yon Krampfgiften durch Hexachloreyclohexan. 227

Tabelle 5. Verauche mit Cholineaterasegi#en.

M e n g e und Art dez HCH-Gabe

Krampferzeugung des Pharmakon in

mg/kg

Zeitlicher Ab- stand zwischen HCl~-Gabe

und Krampfgift in Tagen

Zahl der Versuchs-

tiere

Zahl der Tiere mit Kr~mpfen

TodesfiLlle

Kontrolltiere

80 mg/kg y-Isomeres

100 mg/kg fl-Isomeres

150 mg/kg fl-Isomeres

150 mg/kg u-Isomeres

200 mg/kg ~-Isomeres

2 Physostigmin . . .

0,25 Prostigmin . . . . .

2 Physostigmin . . .

0,25 Prostigmin . . . .

2 Physostigmin . . .

0,25 Prostigmin . . . .

2 Physostigmin . . .

0,25 Prostigmin . . . .

Physostigmin i 0,25

Prostigmin - - • i i

Physostigmin . . . 0,25

Prostigmin . . . .

] I

4

4

4

4

4

4 7

15

4

4

4

4 7

15

19

13

8

10

7

7

12

l0 8 6

8

24

11

l l 9 9

19

13

8

5

• 7

3

12

6 0 4

8

l0

l l

7 0 8

8

3

5

3

2

0

8

0 0 0

1

3

9

1

0 1

ausreichend zu erkl~ren sind. W. FELDBERG 17 hat in einer zusammenfassenden Dar- stellung versehiedene Argumente dafiir angeffihrt, daft Eserin in bestimmten Dosen nur bei gleichzeitiger Anwesenheit yon Acetylcholin biologische Wirkungen er- kennen liiBt. Dies gilt auch fiir die Erzeugung der fibrill~ren und faseieul~ren Muskelzuckungen durch das Cholinesterasegfft, die einige Tage nach Durch- schneidung des den Muskel versorgenden Nerven ausbleiben, nachdem die Nerven- fasern ihr Acetylcholin verloren haben und neue ~)bertriLgersubstanz nieht mehr synthetisiert werden kann. Alle bisher durchgefiihrten Versuehe haben keinerlei Anhaltspunkt fiir einen AngTiff der Hexachlorcyklohexane am peripheren Nerven- system ergeben, so dab aueh bei unseren Experimenten die Vorg~nge im ZNS in erster Linie beriicksiehtigt werden miissen. Acetylcholin liLBt sich in Gehirnextrak- ten leieht nachweisen is. W. F~LDB~.RO und seine Mitarbeiter TM haben experimentelle Beweise dafiir beigebracht, daft diese Substanz auch an den zentralen Synapsen als ~oertr~gerstoff der Nervenerregung yon Bedeutung ist. Doeh ergeben sich auch hier die gleichen Sehwierigkeiten fiir die Erkl~rung der Unterschiede im Verhalten der

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228 H. HERKEN, H. KEWITZ und I. KLEMt'AU:

beiden Cholinesterasegifte nach vorheriger Einwirkung der Hexachlorcyklohexane, wenn die Erhaltung des Acetylcholins allein die Ursache der zentralen Wirkungen beider Stoffe sein soll. Zweifellos liegen hier weir kompliziertere Verhaltnisse vor, da Acetylcholin sicher nicht der universelle ~Tbertragerstoff ist und W. ~ELDBERG und M. VOGT 2° auf Grund ihrer :Befunde zu der ~berzeugung kamen, da~ neben cholin- ergischen auch niehtcholinergische Neuronen im ZNS eine Rolle spielen.

Die bei den Expe r imen ten mi t dem Hexach lo rcyc lohexan e rha l t enen Ergebnisse lassen sich nur un te r der A n n a h m e befr iedigend deuten, da~ zwisehen P ros t igmin und Physos t igmin Untersch iede in der zen t ra len W i r k u n g bestehen, die n icht allein in ihren Eigenschaf ten als Cholin- es terasegif te zu suchen sind. Die Ergebnisse s ind deswegen yon beson- derem Interesse , weil hier im Fal le des Pros t igmins eine zentra le F u n k - t ionsanderung offenbar auch die Reak t ionen eines chol inergischen Phar - makons an e inem per ipheren Angriffsort beeini tussen kann.

]~ber den feineren Wirkungsmechanismus zentral erregender Pharmaka ist noch sehr wenig bekannt. R~C~TER und CROSSLAND 21 haben den Acetylcholingehalt des Gehirns yon jungen Ratten bei verschiedenen Funktionszust~nden ermittelt, wobei sie die fermentative ZerstSrung des Ubertr~tgerstoffes durch schnelle Fixierung des Gehirns in fliissiger Luft verhinderten. Sie ermittelten die Acetylcholinwerte im Schlaf, in der Narkose, im normalen Wachzustand und wi~hrend generalisierter Kr~mpfe. Die hSchsten Werte wurden im Schlaf, die niedrigsten im Krampfzustand gefunden. In einer sp~tteren Arbeit hat sich CROSSL(~'D 22 noch einmal kritisch mit der yon ibm benutzten Methode auseinandergesetzt und gefunden, da~ die schlag- artige Gefrierung mit flfissiger Luft allgemein etwas hShere Acetylcholinwerte liefert als ~ltere Verfahren, die abet offenbar zu keiner prinzipiellen ~nderung der frtiheren Ergebnisse fiihrten.

Gewisse Aufschliisse fiber die Wirkungsweise zentralerregender Pharmaka konnten auch von Untersuchungen fiber die Antagonisten der Krampfgifte er- wartet werden; doch sind die meisten Arbeiten mit Barbiturs~urederivaten durch- geffihrt worden, die vorwiegend narkotische Eigensehaften besitzen. Bei solchen Ver- suchen beschrieb ECCLES e3 eine~nderung der Erregungsiibertragung an den Synapsen des Riickenmarks unter dem Einflu~ yon Methyl-~-Methyl-Butylbarbiturs~ure. Die Versuche dfirften allerdings fiir unser Problem nur eingeschrankte Bedeutung haben, denn die spezifischen krampfhindernden Pharmaka, unter ihnen das be- sonders wichtige Diphenylhydantoin wirken niemals narkotisch, sondern eher erregend 24. Diese Substanz scheint auch am peripheren Nervensystem unter be- stimmten Bedingungen einen Effekt auszuiiben. TO,AN ~5 land n~imlich am Frosch- nerven eine Ver~nderung der Erregbarkeit und der Erholungszeit nach Einwirkung yon Diphenylhydantoin. Bei all diesen Versuchen muB iiberdies beriicksichtigt werden, da[3 die Wirkung der krampfhindernden Pharmaka nut unter patho- logisehen Bedingungen manifest wird, w~thrend die normalen Funktionen kaum beeintr~chtigt werden.

Da fiber die feinere F u n k t i o n s s t r u k t u r des ZNS noch zuwenig be- k a n n t ist, s ind vorliiufig keine Aussagen darf iber mSglich, welche bio- chemischen und phys ika l i schen Abweichungen in den Neuronen fiir das Z u s t a n d e k o m m e n eines Krampfanfa l l e s no twendig sind. Bei ~uBerlich gleichem Ersche inungsbi ld der Erregungszus t~nde lassen die Hexach lo r - cyclohexane hier Untersch iede in der W i r k u n g der einzelnen Krampfg i f t e

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Wirkungsverluste von Krampfgiften durch Hexachlorcyctohexan. 229

zutage treten, die mit den bisher bekannten Methoden nicht zu fassen waren, so dab sich zahlreiche neue Gesichtspunkte fiir weitere Forschungen ergeben. In diesen bemerkenswerten biologischen Eigen- schaften der Hexachlorcyclohexane liegt ihre besondere Bedeutung fiir die ErschlieBung feinerer Funktions/~nderungen in den Ganglienzellen des Zentralnervensystems.

Zusammenfassung.

Nach Vorbehandlung mit verschiedenen Hexachlorcyclohexanen er- leiden einige Analeptika einen auffallenden Wirkungsverlust, der sich im Ausbleiben generalisierter Kr/~mpfe ~uBert. Mit dieser Methode lassen sich die Krampfwirkungen yon Cardiazol, Pikrotoxin und Coramin diffe- renzieren. Dies spricht daftir, dab die chemisch ausgel6sten Kr~mpfe auch bei gleichem Erscheinungsbild nicht auf 4enselben Funktions/~nderungen im ZNS beruhen.

I m Stadium der Krampfresistenz scheinen die Nebenwirkungen bei allen geprtiften [someren gering zu sein. Die Blutdrucksteigerung naeh intravenSser Applikation yon Pentamethylentetrazol und die Weckwir- kung waren erhalten. Durch die zur Krampfhinderung ben6tigten Dosen Hexachlorcyclohexan wird offenbar nut ein eng umschriebener Funk- tionsausfall im Nervensystem verursacht.

Reflexversuche an l~iickenmarkpr~paraten der Rat ten mit Cardiazol ergaben keine Unterschiede zwischen normalen und krampfresistenten Tieren. Der Angriffspunkt der Hexachlorcyclohexane ist sehr wahrschein- lich in pr~spinalen Abschnitten des ZNS zu suchen. Bei supratentorial decerebrierten Tieren fi~llt die krampfhindernde Wirkung der Hexachlor- cyclohexane fort.

Bei den beobachteten neurotropen Wirkungen der chlorierten Kohlen- wasserstoffe handelt es sich offenbar am Befunde yon allgemeinerer Be- deutung. Auch die durch Prostigmin hervorgerufenen charakteristischen fibrill/~ren and fasciculKren Muskelzuckungen warden beeinfluBt. Die Physostigminwirkung dagegen blieb unveri~ndert erhalten. Der Unter- schied im Verhalten dieser beiden Pharmaka 1/~13t sich nicht allein durch ihre Eigenschaften als Cholinesterasegifte erkl~tren. Die Ursachen miissen in Abweichungen der zentralen Wirkungen beider Stoffe zu suchen sein.

Die chemische Ausschaltung best immter Hirnfunktionen durch die isomeren Hexachlorcyclohexane li~l~t Unterschiede in der Wirkung ein- zelner Krampfgif te hervortreten, die mit den bisher bekannten Methoden nicht nachweisbar waren.

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Prof . Dr . H . HERKEN, P h a r m a k o l o g i s c h e s I n s t i t u t , Be r l i n -Dah lem, Thielal lee 69/73.