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X IX
Atelier de la Concurrence
Tagungsbericht
von Anna Kobi und Larissa Nef
ZHAW School of Management and Law
Kfz-Vertrieb – das Jahr der Entscheidung
"DER ENTSCHEID IST GEFÄLLT, WIE GEHT’S WEITER?"
Referate: Der wettbewerbskonforme Händler- und Werkstattvertrag Prof. Dr. Patrick L. Krauskopf, ZHAW Der Entwurf der revidierten Kfz-Bekanntmachung Prof. Dr. Patrik Ducrey, WEKO
Die Irrwege der EU-Kommission im Kfz-Gewerbe Antje Woltermann, ZDK
Tagungsbericht: XIX. Atelier de la Concurrence von Anna Kobi und Larissa Nef
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Kfz-Vertrieb – das Jahr der Entscheidung
Die Kfz-Bekanntmachung der Wettbewerbskommission WEKO hat sich in den vergangenen zehn Jahren bewährt und den Wettbewerb nachhaltig gefördert. Die WEKO hat am 15. Dezem-ber 2014 entschieden, die Regelungen der Kfz-Bekanntmachung zur Ausgestaltung von Händ-ler- und Werkverträgen weiterzuführen und gleichzeitig zu modernisieren. Am 12. März 2015 hat die WEKO neue Kfz-Bekanntmachung veröffentlicht und in Vernehmlassung bis 30. April 2015 geschickt. Am XIX. Atelier de la Concurrence befassen sich die Stakeholder der verschiedenen Interes-sengruppen des Kfz-Gewerbes mit zentralen Punkten der Kfz-Bekanntmachung: Wie wird der Mehrmarkenvertrieb sichergestellt? Reichen die Kündigungsfristen aus, um das Investitionsrisi-ko der Garagisten abzufedern? Wie werden unangemessene Standards in den Verträgen kon-trolliert? Gibt es in Zukunft noch reine Markenwerkstätten? Wann muss die WEKO intervenie-ren, wann sind die Gerichte dafür zuständig?
Tagungsbericht: XIX. Atelier de la Concurrence von Anna Kobi und Larissa Nef
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Prof. Dr. RA Patrick L. Krauskopf
AGON PARTNERS / Leiter Zentrum Wettbewerbs- und Handelsrecht ZHAW
Prof. Dr. RA Patrik Ducrey
Stv. Direktor, Wettbewerbskommission WEKO
Urs Wernli
Zentralpräsident, Auto Gewerbe Verband Schweiz AGVS
Roger Kunz
Präsident, Verband Freier Autohandel Schweiz VFAS
Michel Rudin
Geschäftsführer Konsumentenforum Kf
Daniel Wolgensinger
Präsident, Vereinigung der Renault Händler Schweiz VRH
Antje Woltermann
Geschäftsführerin, Zentralverband Deutsches Kraftfahrzeuggewerbe ZDK
Dr. Olivier Schaller
Vizedirektor, Wettbewerbskommission WEKO
Tagungsbericht: XIX. Atelier de la Concurrence von Anna Kobi und Larissa Nef
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1. Teil: Einleitung
Traditionell läutete die Atelier-Hymne der Concordia Harmonie d’Excellence das XIX. Atelier de
la Concurrence ein. Anschliessend begrüsste Prof. Dr. Patrick L. Krauskopf im Hotel Bellevue
Palace in Bern die zahlreich erschienenen Gäste. Das Thema des XIX. Atelier de la Concur-
rence lautete „Kfz-Vertrieb – das Jahr der Entscheidung“. Mit dem Verweis auf den gut gewähl-
ten Zeitpunkt der Veröffentlichung des Entwurfes der KFZ-Bekanntmachung durch die WEKO
am 12. März 2015, welcher bei der Planung des XIX. Atelier de la Concurrence noch nicht be-
kannt war, eröffnete Prof. Dr. Patrick L. Krauskopf die Tagung.
2. Teil: Vorträge
2.1 Präsentation des Gutachtens „Der wettbewerbskonforme Händler- und Werkstattver-
trag“ von Prof. Dr. Patrick Krauskopf (Leiter des Zentrums für Wettbewerbs- und
Handelsrecht an der ZHAW, Chairman AGON Partners)
Aufgrund der unterschiedlichen Verhandlungsmacht zwischen Generalimporteuren und Händ-
lern/Werkstätten besteht eine asymmetrische Kräfteverteilung, die sich auf die Händler- und
Werkstattverträge auswirkt, und unter anderem eine Beschränkung der unternehmerischen
Freiheit für die Händler/Werkstätten zur Folge hat.
Die positiven Auswirkungen der Kfz-Bekanntmachung konnten in diversen Gutachten nachge-
wiesen werden. Insbesondere zwei Gutachten der ZHAW zu den Marktstrukturen (Zeitraum
2008 bis 2014) zeigen, dass sich die Einführung der Kfz-Bekanntmachung im Sinne der WEKO
wettbewerbsfördernd auf die Automobilbranche in der Schweiz ausgewirkt hat:
In Folge der gewonnenen unternehmerischen Freiheit der Händler konnten volkswirt-
schaftliche Effizienzsteigerungen verzeichnet werden.
Auf die Konsumentenwohlfahrt hat das Kfz-Regulativ einen positiven Effekt, da sich die-
se Ersparnis für Konsumenten signifikant erhöht hat (Gutachten „Konsumentenwohlfahrt
2012“).
Die Wechselkursaufhebung Mitte Januar 2015 zeigt schliesslich, dass sich die Händler
und Werkstätten sich dem von der Kfz-Bekanntmachung bewirkten Wettbewerbsdruck
ohne Verzug gestellt haben.
Trotz der zahlreichen positiven Auswirkungen bestehen nach wie vor problematische Abhän-
gigkeitsverhältnisse zwischen den Schweizer Generalimporteuren und ihren Vertragspartnern:
Der Automobilmarkt ist auf der einen Seite durch eine oligopolistische Marktstruktur mit
einer geringe Anzahl von Herstellern und Generalimporteuren geprägt, während auf der
Marktgegenseite eine atomistische Marktstruktur mit einer grossen Anzahl von ca.
10'000 Händlern und Werkstätten besteht.
Es sind in der Schweiz keine Hersteller ansässig, sodass die Bewirtschaftung mittels
unabhängiger Generalimporteure oder Tochtergesellschaften der Hersteller erfolgt.
Durch die starke Marktmacht die Hersteller und Generalimporteure kann es mittels kartell-
rechtswidriger Vertragsklauseln zu existenzgefährdenden Abhängigkeiten und Wettbewerbs-
verzerrungen. Die betroffenen Händler schlagen bei Drohen eines Abbruches der Geschäftsbe-
Tagungsbericht: XIX. Atelier de la Concurrence von Anna Kobi und Larissa Nef
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ziehungen nicht den verfahrensrechtlichen Weg ein, sondern müssen eine aussergerichtliche
Lösung suchen. Dies ist darauf zurückzuführen, dass der Händler – vor allem die Kleinunter-
nehmen – aufgrund betriebswirtschaftlicher Gründe auf die Vertragsbeziehung angewiesen
sind. (Gutachten „Abhängigkeitsverhältnisse im Kfz-Gewerbe 2014“).
Vor diesem Hintergrund erhielt die Züricher Hochschule für Angewandte Wissenschaften
(ZHAW) vom Auto Gewerbe Verband Schweiz (AGVS) folgenden Auftrag:
Gutachten: Analyse wettbewerbsschädlicher, der Kfz-Bekanntmachung sowie der Kfz-
Erläuterung widersprechender, asymmetrischer Klauseln, die Ausdruck von Markt-
machtmissbrauch sein können.
Musterklauseln: Verfassen von wettbewerbsrechtlich einwandfreien und “fairen“ Mus-
terklauseln für Händler- und Werkstattverträge.
Im Rahmen des Gutachtens wurden 17 Kfz-Verträge auf ihre wettbewerbsschädlichen Klauseln
untersucht. Aus Neutralitätsgründen wurde darauf verzichtet, Verträge zu analysieren, die be-
reits Gegenstand von Gerichtsverfahren sind. Kartellrechtswidrige Vertragsklauseln erscheinen
in Form von „unzulässigen Wettbewerbsabreden“ gemäss Art. 5 KG oder von „Marktmacht-
missbrauch“ gemäss Art. 7 KG:
Die Analyse der 17 untersuchten Verträge zeigt, dass kein direkter Marktmachtmiss-
brauch vorliegt.
Es sind jedoch Fälle gefunden worden, welche einen marktmächtigen Importeur in die
Lage versetzen, den Vertrag einseitig zum Nachteil des Garagisten zu ändern (sog. indi-
rekter Marktmachtmissbrauch). In einem Fall hatte das Recht zur einseitigen Abände-
rung des Vertrages zur Folge, dass neue AGB ihre Wirkung sogar rückwirkend entfalten
können. Für den betroffenen Händler bedeutete dies, dass die Verkaufsziele von einem
Jahr zum nächsten um bis zu 50% erhöht werden konnten – und dies ohne Begründung.
Mit dem Gutachten der ZHAW werden erstmals Musterklauseln für Handels- und Serviceverträ-
ge des Schweizer Automobilmarktes erarbeitet, die den KMU und Familienunternehmen eine
grosse Hilfestellung beim Erkennen kartellrechtswidriger Klauseln bieten.
Die Kommentierung der Vertragsklauseln bietet den Behörden und Gerichten die Mög-
lichkeit, sich daran zu orientieren und eine wettbewerbskonforme Auslegung der Klau-
seln vorzunehmen.
In Anbetracht der enormen und zuweilen auch existenzgefährdenden Abhängigkeit for-
dert Prof. Dr. Patrick L. Krauskopf eine intensive Beschäftigung der WEKO mit den
Händler- und Werkstattverträgen.
2.2 „Der Entwurf der revidierten Kfz-Bekanntmachung“ von Prof. Dr. Patrik Ducrey, Stv.
Direktor, Sekretariat WEKO
Prof. Dr. Patrik Ducrey greift zu Beginn seines Vortrages über den „Entwurf der revidierenden
Kfz-Bekanntmachung“ die Einleitung von Prof. Dr. Patrick L. Krauskopf auf. Er erklärte den
Zeitpunkt dieser Tagung ebenfalls als unverhofft perfekt, da die WEKO erst in der vergangenen
Woche den neuen Entwurf zur Kfz-Bekanntmachung besprochen und versendet habe und nun
die Stellungnahme und Anregungen der Betroffenen erwartet würde.
Tagungsbericht: XIX. Atelier de la Concurrence von Anna Kobi und Larissa Nef
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In seiner Stellungnahme erläutert Prof. Dr. Patrik Ducrey zunächst die Entwicklung seit 2002
und geht dann auf den Entwurf der Kfz-Bekanntmachung ein:
Im Jahr 2002 wurde die Gruppenfreistellungsverordnung GVO der EU beigezogen, um
einen äquivalenten Rechtsrahmen in der Schweiz zu gewährleisten.
Mit der Kartellrechtsrevision von 2004 sind Direktsanktionen möglich geworden.
Die Vertikalbekanntmachung wurde aufgrund von Änderungen der EU und Praxiserfah-
rung im Jahr 2007 angepasst. In der Folge führte die Änderung des Marktumfelds zur
zweiten Revision der Vertikalbekanntmachung.
Im Sommer 2012 entschied die WEKO, an der Kfz-Bekanntmachung vorläufig festzuhal-
ten.
Eine Neubeurteilung wurde erst im Jahr 2014 vorgenommen.
Es folgte eine Verbandseinladung, bei der viele Hinweise und Anregungen entgegenge-
nommen werden konnten. Die WEKO selbst entschied in einem Grundsatzentscheid
vom 15. Dezember 2014, die Kfz-Bekanntmachung grundsätzlich weiterzuführen.
Ein Grundsatz der neuen Bekanntmachung ist die enge Anlehnung an den Gesetzestext. Ein
konkretes Beispiel ist der derzeitige Wortlaut „unzulässig“, welcher aus der GVO der EU 1:1
übernommen wurde. Da die Kfz-Bekanntmachung keine Rechtsdurchsetzung garantiert, soll
der Wortlaut „unzulässig“ im Entwurf der Bekanntmachung mit „erheblich“ oder „unangebracht“
ersetzt werden. Eine Entfernung von den europäischen Händlerschutzbestimmungen soll damit
jedoch nicht bewirkt werden. Auch die Kompatibilität des Entwurfes der Kfz-Bekanntmachung
mit der Vertikalbekanntmachung und der EU sind zentrale Punkte der Revision.
Den Wegbereiter bildet in dieser neuer Bekanntmachung die Mitberücksichtigung des
Zugangs zu technischen Informationen. Somit wird erstmals auch der technische Fort-
schritt mit einbezogen. Ziel des Entwurfes der Kfz-Bekanntmachung ist nach wie vor die
Gewährleistung eines wirksamen Inter- und Intrabrand-Wettbewerbs auf dem Primär-
und Sekundärmarkt sowie ein offener Schweizer Markt.
Bezüglich des Kontrahierungszwangs vertritt die WEKO den Standpunkt, es solle Ver-
tragsfreiheit gelten.
Eine weitere Änderung der Kfz-Bekanntmachung betrifft die Kündigung der Verträge.
Eine ordentliche Kündigung der Verträge soll in Zukunft ohne Begründungspflicht mög-
lich sein.
Prof. Dr. Patrik Ducrey gibt einen Ausblick über die weiteren Schritte, die bis zum Entscheid der
Kfz-Bekanntmachung erfolgen sollen.
Die Vernehmlassung zur neuen Kfz-Bekanntmachung dauert bis 30. April 2015. In die-
sem Zusammenhang bittet er die Vertreter der Automobilbranche ihre Stellungnahmen
fristgerecht einzureichen, damit die definitive Publikation noch vor der Sommerpause er-
folgen kann. Besonders willkommen sind jene Anregungen zu den Übergangsfristen in
den Verträgen bzw. für die Geltungsdauer derselben. Die WEKO schlägt derzeit eine
10-jährige Geltungsdauer vor.
Nach der Vernehmlassung erfolgt die Analyse durch das Sekretariat.
Alsdann wird das Sekretariat der WEKO einen entsprechenden Antrag für die Verab-
schiedung der definitiven Fassung der Kfz-Bekanntmachung unterbreiten.
Der Entscheid der WEKO ist für Mitte 2015 vorgesehen.
Tagungsbericht: XIX. Atelier de la Concurrence von Anna Kobi und Larissa Nef
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2.3 „Die Irrwege der EU-Kommission im Kfz-Gewerbe – Die Erfahrungen nach dem Ent-
fall der Kfz-GVO aus deutscher Perspektive“ von Antje Woltermann:
Antje Woltermann macht zu Beginn deutlich, dass die momentane Lage in der EU, speziell in
Deutschland, viel schwieriger sei als in der Schweiz. Sie möchte dem Publikum zunächst einen
Einblick geben, wie der Markt in Deutschland ohne Kfz-Bekanntmachung funktioniert. Dabei
liegt der Fokus ihres Referats auf dem Neuwagenvertrieb.
Bereits im Jahr 2000 wurde in Deutschland und der EU darüber diskutiert, wie die Automobil-
welt ohne eine Gruppenfreistellungsverordnung aussehen würde. Im Jahr 2002 erliess jedoch
die EU-Kommission eine branchenspezifische Sonderregelung, die sog. Kfz-GVO (Nr.
1400/2002/EG). Die neue Philosophie der EU-Kommission hatte zwei Aspekte:
Vermeidung der Störungen des Wettbewerbs
Entwicklung und Förderung neuer Vertriebsmodelle
Die GVO sollte weniger als Zwangsjacke funktionieren, sondern den Herstellern und Händler
mehr Freiraum für ihre Vertragsverhandlungen einräumen.
Anlässlich der Finanzkrise im Jahr 2008 kam die EU-Kommission zu folgenden Erkenntnissen:
Der Neuwagenmarkt war durch starken Wettbewerb gekennzeichnet
Es hatten sich kaum neue Vertriebssysteme entwickelt.
Daraus zog die EU-Kommission den Schluss, dass es noch weniger Regulierungen im Neuwa-
genmarkt benötige. Stattdessen sollen die Hersteller und Händler auf Augenhöhe Vertragsge-
staltungen diskutieren, was ihnen mehr Gestaltungsspielraum bot.
Antje Woltermann sah den Entscheid der EU-Kommission damals kritisch, denn die Händler
seien durchaus an Regelungen interessiert gewesen, die Hersteller hingegen nicht. Die Sicht-
weise der Händler habe die EU-Kommission jedoch damals nicht in Betracht gezogen. Nach
Ablauf der 3-jährigen Übergangsfrist (ab dem 1 Juni 2013) gibt es keine Kfz-spezifische-GVO
für den Neuwagenvertrieb mehr.
Entgegen der Annahme der EU-Kommission, die Hersteller würden den Geschäftsbetrieb wei-
terhin fair regeln, wurden die Vertriebsverträge mit für den Handel kritischen Klauseln versehen.
Bei den Verhandlungen wurden hauptsächlich die folgenden Punkte zu Lasten der Händler ver-
einbart:
Einschränkung des Mehrmarkenvertriebs
Beschränkung der Möglichkeit zur Übertragung des Vertrags
Entfall des Zwangs zur Begründung einer ordentlichen Kündigung
Zudem wurden Konditionen flexibilisiert und häufig auch gesenkt. Auf diese Art wurde den
Händlern mitgeteilt, dass bei einer Nichteinigung die Verträge jederzeit und ohne Begründung
gekündigt werden können. Kleine Händler haben den Markt verlassen, starke Händlergruppen
sind in den letzten Jahren gewachsen.
Ein Blick in die Zukunft des Neuwagenmarktes und der Umstand, dass fast alle Unternehmen
von 2015 bis 2020 gehalten sind Investitionen in Corporate Identity vorzunehmen, lässt den
Beginn einer grossen Investitionswelle durch Händler erahnen. Der fehlende Investitionsschutz
Tagungsbericht: XIX. Atelier de la Concurrence von Anna Kobi und Larissa Nef
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birgt für diese KMU-Investoren ein immenses Risiko. Eine Kündigung des Herstellers bedeutet
den Verlust der Existenzgrundlage der KMU und Familienunternehmen. Der zunehmende Di-
rektvertrieb und das Testen neuer Vertriebskonzepte der Hersteller und Importeure führen wei-
terhin zu einer Intensivierung der Marktmacht. Der Deutsche Automobilverband ist sich einig:
Es besteht Handlungsbedarf.
Das EU-Parlament ist der Ansicht, dass die Einführung eines code of conduct zwischen
den Herstellern und Händlern zu einer grössere Achtung der Grundsätze von Treu und
Glauben führt.
Die Hoffnung liegt auf einem Nachfolgeprojekt von Cars 2020. Ansonsten sieht sich der
ZDK gezwungen, über Selbsthilfe nachzudenken.
Erste Ansätze bestehen im Dialog unter den Händlern. Jene Diskussionen stehen jedoch erst
am Anfang und sind insofern heikel, als sie von der EU-Kommission als wettbewerbspolitisch
unerwünscht eingestuft werden könnten. Dies hätte zur Folge, dass die Selbsthilfe vor der EU-
Kommission gerechtfertigt werden müsste.
Antje Woltermann zieht den Vergleich zur Schweiz und rühmt die Kfz-Bekanntmachung der
WEKO, welche als Vorbild gelten sollte. Ihrer Ansicht nach werden Hersteller, die einmal
Marktmacht haben, auch dazu neigen diese auszuüben. Vor allem dann wenn dieser Freiraum
durch die Wettbewerbsbehörden gefördert wird.
Im Ergebnis ist eine Regulierung der Marktmacht absolut notwendig, selbst wenn man dieser
dadurch nicht gänzlich Herr werden könne. Eine Aufhebung der Regulatoren, wie es die EU
getan hat, sei definitiv keine Lösung.
3. Teil: Panel
Nach einer kurzen Pause stimmt die Concordia Harmonie d’Excellence auf den nächsten Teil
der Veranstaltung – die Paneldiskussion – ein. Prof. Dr. Patrick L. Krauskopf als Moderator des
Panels stellt die Panelgäste vor: Urs Wernli (AGVS), Roger Kunz (VFAS), Michel Rudin (Kon-
sumentenforum) und Daniel Wolgensinger (Regionalhändler Ostschweiz Renault/Dacia). Die
hinzugestossenen Panelisten geben ein kurzes Statement zu den Vorträgen der drei Referen-
ten.
Urs Wernli
Ein detailliertes Feedback zur geplanten Kfz-Bekanntmachung ist heute noch nicht möglich.
Grundsätzlich wird das rasche Vorangehen der WEKO begrüsst. Es sei von Vorteil, dass zuver-
lässige längerfristige Regeln in diesem Bereich festgelegt werden. Allerdings stünden einige
Fragen im Raum. In Anbetracht der EU-Rechtsangleichung würde fast nichts mehr beim Alten
bleiben. Zum einen sei der fehlende Investitionsschutz ein grosses Problem. Selbst der Schutz
von zwei Jahren bei unbefristeten Verträgen sei ungenügend. Die Möglichkeit, die Verträge
ohne Begründung kündigen zu können, sei für die Automobilbranche eine Katastrophe. Wie soll
dann die WEKO über den Markt informiert bleiben, wenn keine Begründungspflicht mehr beste-
he? Als Folge wäre die WEKO gezwungen, viel effizienter durchzugreifen und somit den Kon-
trollaufwand ihrerseits zu erhöhen. Der Wegfall des Kontrahierungszwanges sei höchstproble-
matisch.
Tagungsbericht: XIX. Atelier de la Concurrence von Anna Kobi und Larissa Nef
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Roger Kunz
Der VFAS wird nach genauem Studium in der Vernehmlassung eine detaillierte Stellungnahme
abgeben. Bei der Erstbetrachtung scheint dem für den Preiswettbewerb sehr wichtigen Direkt-
und Parallelimport zu wenig Rechnung getragen worden zu sein. In der Kfz-Bekanntmachung
kämen die Garantieansprüche zu kurz. Es bestehe Optimierungspotential im Sekundärmarkt.,.
Es sollte ein funktionierender Wettbewerb generiert werden. Aber wie soll dies im Zusammen-
hang mit der Koppelung der Serviceverträge im After-Sales möglich sein? Auch in diesem Be-
reich seien aus dem Entwurf keine Lösungsansätze zu entnehmen.
Daniel Wolgensinger
Der fehlende Investitionsschutz wird ebenfalls bemängelt. Händler müssen, in ihre Marke inves-
tieren (erfüllen selektiver Kriterien), um sich als Markenwelt abzuheben von den freien Händ-
lern. Vor diesem Hintergrund müssen hohe Investitionen getätigt werden, um die Showrooms
und Ausstellungshallen markengerecht gestalten zu können. Unter Umständen müsse dafür bis
zu CHF 500'000.- investiert werden. Eine solche Investition zu amortisieren sei äusserst
schwierig, bei den sehr tiefen Margen bei einer Kündigungsfrist von 2 Jahren.
Michel Rudin
Aus Sicht der Konsumentenvertretung habe sich die Situation deutlich verbessert. Dennoch
seien weitere wichtige Aspekte der Investitionsschutz, der Strukturwandel sowie die Problema-
tik der Familienunternehmen. Der fehlende Investitionsschutz hätte letztendlich zur Folge, dass
die Händler ihre Margen auf den Konsumenten abwälzen. Zudem bestehe bis dato immer noch
ein immenses Informationsdefizit bei den Schweizer Bürgern.
Spezifische Fragen an die Panelgäste
Wie ist die momentane Lage in Deutschland ohne Händlerschutzbestimmungen?
Antje Woltermann:
Zurzeit handle es sich um das Top-Thema überhaupt. Allerdings weigere sich die Bundesregie-
rung die Thematik aufzugreifen. Während vieler Diskussionen seien nun zwei wichtige Aspekte
geblieben: Einerseits die österreichische Lösung, wonach der Ersatzanspruch ins nationale
Gesetz übernommen wird, und andererseits die Einräumung eines kündigungsfreier Zeitraum
von fünf Jahren.
Was bedeutet der neue EURO-Kurs für den Wettbewerb auf Handelsstufe?
Urs Wernli
Der Konsument profitiere in erster Linie vom derzeitigen Eurokurs. Die Währungsgewinne wür-
den dem Konsumenten weitergegeben. Die Situation werde sich zukünftig ändern, sofern keine
Regelung folge. Würde die Marktkonzentration weiter voranschreiten, so könne sich nur noch
Tagungsbericht: XIX. Atelier de la Concurrence von Anna Kobi und Larissa Nef
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eine Marke durchsetzen und damit schaltet sich der Intrabrand-Wettbewerb automatisch aus.
Für den Konsumenten hiesse dies am Ende des Tages: Er bezahlt mehr als er sollte.
Wie wird sich die WEKO auf dem Markt intervenieren?
Prof. Dr. Patrik Ducrey
Die WEKO wird sich weiterhin für den Intra- sowie Inter-Wettbewerb und einen offenen Markt
einsetzen. Bei der Umfrage im letzten Herbst wurde ersichtlich, wie heterogen die Meinungen
der Anspruchsgruppen wirklich waren. Diese Interessen unter einen Hut zu bringen, sei für die
WEKO eine grosse Herausforderung. Grundsätzlich sei die WEKO aber bereit, über Änderun-
gen zu sprechen. Grund dafür sei das Kartellgesetz, denn auch die WEKO könne sich nicht
über das Gesetz hinwegsetzen.
Was hat die Automobilbranche im Vergleich zur EU in der Schweiz richtig gemacht?
Roger Kunz
Aufgrund des Eurokurses sei der Wettbewerbsdruck enorm angestiegen. Daraufhin hätten die
Generalimporteure sofort mit Preisanpassungen agiert, wenn auch nicht ganz freiwillig, dh. nur
aufgrund der Präsenz und des Druckes der Parallelimportuere.
Wie wichtig sind die Vertriebssysteme für die Schweiz?
Urs Wernli
Es braucht zwingend Schutzklauseln für Werkstätten und Händler, damit die Grundversorgung
der gesamten Schweiz befriedigt werden könne. Die Mechanismen müssten von den Garagis-
ten mitgestaltet werden.
An wen soll der Kunde sich mit einer Reparatur wenden, wenn kein Kontrahierungszwang mehr
besteht?
Prof. Dr. Patrik Ducrey
Grundsätzlich seien die Schutzklauseln im After-Sales höher. Es gäbe jedoch etliche freie Ga-
ragen, die unterschiedliche Markenfahrzeuge warten und reparieren. Die Qualität einer solchen
Reparatur sei einer Markengarage gleichzustellen. Im Hinblick auf die Garantie dürfe diese
auch dann nicht beschränkt werden, falls das Fahrzeug in einer fremden Garage repariert wur-
de. Der Kunde werde immer noch die freie Wahl haben.
Michel Rudin
Zentral sei die Kundentransparenz, denn die Kunden fördern den Wettbewerb. Wesentlich sei,
dass sich die Akteure bei Preis, Service und Beratung differenzieren.
Wie erleben Sie die Vertragsverhandlungen mit Ihren Geschäftspartnern?
Daniel Wolgensinger
Es finden keine Vertragsverhandlungen statt, zumal es sich um standardisierte Formularverträ-
ge der Importeure handelt. Die einzigen Verhandlungen, die geführt werden können, betreffen
Tagungsbericht: XIX. Atelier de la Concurrence von Anna Kobi und Larissa Nef
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das Volumen. Dieses sei aber meistens nicht im Vertrag selbst integriert, sondern als Anhang
individuell beigefügt.
Wie erleben Sie die Vertragsverhandlungen in Deutschland?
Antje Woltermann
Man könne nicht jedem Händler sagen, er solle sich einem starken Händlerverband anschlies-
sen. Gewisse Probleme liessen sich im Regelfall durch einen solchen entschärfen. Die Herstel-
ler gäben die Standards mit Ausnahme weniger kleineren Anpassungen vor, welche im Grund-
satz nicht verhandelbar seien. Es sei für den Händler empfehlenswert, die Bedingungen im Ver-
trag aus betriebswirtschaftlicher Sicht zu analysieren. Sofern Investitionen nicht amortisierbar
seien, müsse entweder nach Alternativen gesucht oder auf den Vertrag verzichtet werden.
Was macht ein deutscher Händler im Falle einer willkürlichen Kündigung?
Antje Woltermann
Es gibt wenige Händler, die im Falle einer Kündigung vor Gericht eine willkürliche Kündigung
einklagen. Es brauche einen Händler, der den Mut und die Kraft habe, eine solche Kündigung
anzufechten. Im Falle Fiat habe der Importeur nach erstinstanzlichem Entscheid wiederrum den
Händlern neue Verträge zugeschickt – mit einer 2-wöchigen Bedenkfrist. Dies zeige ganz klar
die momentane Problematik in Deutschland: Den Händlern seien die Hände gebunden. Denn
wer die Vertragsbeziehung aufrechterhalten wolle, gehe nicht vor Gericht. Die Schweiz sei mit
der Kfz-Bekanntmachung auf dem richtigen Wege und Deutschland könne dies als Vorbild
nehmen.
Wie sieht die momentane Situation in der Schweiz aus im Falle einer willkürlichen Kündigung?
Prof. Dr. Patrik Ducrey
Sofern dies ein generelles Problem darstelle, sei die WEKO verantwortlich, dieses zu lösen.
Einzelfälle seien zivilrechtlich durchzusetzen, zumal die WEKO nur im öffentlichen Interesse
agiere. Allerdings zeige sich eine Problematik bei der Anwendung von wettbewerbsrechtlichen
Normen auf dem Zivilprozessweg. Die Richter wenden grundsätzlich bei Vertragsstreitigkeiten
das Vertragsrecht bzw. das Obligationenrecht an. Das Kartellgesetz würde oft aussen vor ge-
lassen.
Urs Wernli
Im Zuge dieser Marktkonzentration werde es mehr Fälle geben, bei denen die Unternehmen die
Rechtsprechung suchen. Dadurch werde die Haltung der WEKO für die Gerichte wichtiger wer-
den. Bis heute allerdings seien jene Streitigkeiten nicht bis vor das Bundesgericht gelangt. Dies
sei darauf zurückzuführen, dass ein Verfahren einerseits sehr kostspielig und andererseits aus
Sicht eines Einzelbetriebs nicht möglich sei. Vor diesem Hintergrund bestehe heute mehr denn
je Handlungsbedarf seitens der Händler, mit der WEKO in Kontakt zu treten.
Prof. Dr. Patrik Ducrey
Dieses Begehren sei verständlich, aber dessen Umsetzung wenig praktikabel. Einzelfälle müs-
sen vor das Zivilgericht. Die Gerichte werden sich natürlich an die WEKO wenden, sofern das
Tagungsbericht: XIX. Atelier de la Concurrence von Anna Kobi und Larissa Nef
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Kartellgesetz zur Anwendung komme. Die WEKO sei jederzeit für allfällige Stellungnahmen
offen und nehme sich der Zukunftsproblematik gerne an. Jedoch bestehe der Vorbehalt, dass
diese Stellungnahmen zu keinen Massnahmen führen werden.
Prof. Dr. Patrick Krauskopf
Es bestünden zwei praktische Probleme. (i) Sobald eine Kündigung vorliege und der Händler
aus dem Vertriebsnetz ausgeschlossen werde, müsste das Zivilgericht mit einer sog. „vorsorgli-
chen Massnahme“ dagegen wirken. Das Problem sei unter anderem, dass die Gerichte nicht in
Kontakt mit der WEKO stünden. Dies führe dazu, dass der Richter nur aus rein vertraglicher
Sichtweise des Obligationenrechts entscheide und vorsorgliche Massnahme gestützt auf das
KG ablehne. (ii) In der Theorie wäre auch ein ordentliches Verfahren durchführbar. In der Praxis
sei das Verfahren vor dem Kartellgericht jedoch zu langsam und kostenintensiv.
Wäre die Lösung eine Annäherung zwischen den Zivilgerichten und der WEKO?
Urs Wernli
Wenn der Schaden bereits auf dem Tisch liege, sei es problematisch, einen aussergerichtlichen
Weg zu finden. Dementsprechend brauche es einen klaren Rechtsrahmen, auf den abgestützt
werden kann. Leider fehle dieser heute.
4. Teil: Abschluss
Dr. Oliver Schaller
In seiner Zusammenfassung betonten Olivier Schaller die Aktualität und Herausforderungen der
Thematik. Die weiteren Entwicklungen würden wohl den Weg weisen, sobald die neue Kfz-
Bekanntmachung tatsächlich umgesetzt und angewendet werde.
Abschliessend lädt Dr. Oliver Schaller alle Teilnehmer zum XX. Atelier de la Concurrence am 7.
Mai 2015 an der Universität Genf ein, das sich mit den Möglichkeiten und dem Nutzen des
Schiedswesen im Kartellrecht auseinandersetzt.
Prof. Dr. Blaise Carron
Abschliessen wurde von der Swiss Association for Compliance and Competition Law (ACCL)
der alljährliche ACCL Master Award an Michel Jutzeler von der Universität Basel vergeben. Der
Preisträger hat mit der Arbeit „Verfahrensgrundrechtliche Probleme von Sanktionen im Kartell-
recht“ die beste an einer Schweizer Hochschule geschriebene Masterarbeit im Bereich Wettbe-
werbsrecht und -ökonomie verfasst und einen Preis in Höhe von CHF 6900 gewonnen. Als Vor-
sitzender der Jury hat Prof. Blaise Carron (UniNE) die Laudatio gehalten.