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Berichte zur Wissenschaftsgeschichte 22 (1999): Dokumentation und Information 25 Dokumentation und Information XVIII. Wiirzburger medizinhistorisches Kolloquium, 6.-8.11.1998 Vom 6. bis 8. November 1998 fand auf Burg Lis- berg (bei Trabelsdorf nahe Bamberg) unter der Leitung von Gundolf Keil das XVIII. Wiirzburger medizinhistorische Kolloquium statt, veranstaltet von der Wiirzburger medizinhistorischen Gesell- schaft in Verbindung mit dem Institut fur Ge- schichte der Medizin in Wurzburg. Den The- menschwerpunkt - unterstrichen durch eine Aus- stellung einschlagiger Exponate - bildeten Frage- stellungen urn die ,Braunschweiger Hand' und Herzog Christian 11. von Braunschweig-Lune- burg-Wolfenbuttel, dem 1622 als Folge einer in der Schlacht bei Fleurus gegen die Spanier erlittenen Schuflverletzung der linke Arm knapp uber dem Ellbogen hatte amputiert werden mussen. Dariiber hinaus spielten Chirurgen-Biographien neben Ent- wicklungslinien des chirurgischen Fachgebietes eine wesentliche Rolle und wurden Themen der mittelalterlichen salernitanischen Medizin, der me- dizinischen Psychologie des 18. Jahrhunderts so- wie der Lexikographie (die Edition des medizin- historischen Pschyrernbel) zur Diskussion gestellt. Zum zentralen Themenkreis beschrieb Lieb- hard Loff7t-r (Trabelsdorf) die Funktionsweise der sich irn Besitz des Herzog-Anton-Ulrich-Mu- seums zu Braunschweig befindenden eisernen Arm-Hand-Prothese und stellte die Frage nach der Erbauerberufsgruppe, die - wie anerkannte Waffenexperten meinen - aller Wahrscheinlichkeit nach im Buchsenmacherhandwerk zu suchen ist. Mit Hilfe vorgefundener vermutlicher ,,Kon- struktionsteile" der Buchsenmacherei konnte eine Alterseingrenzung des Kunstarmes zwar auf die Zeit zwischen 1570 und 1700 (insbesondere des Dreifligjahrigen Krieges) vorgenommen werden. Bei der Prothese, die im Preis (wie entsprechende Vergleichsstucke) dem ,,Gegenwert eines groflen Hofes samt Inventar" entsprach, durfte es sich - trotz ansonsten passender Daten - allerdings nicht urn eine von Christian 11. getragene han- deln, da sie aufgrund eines schriftlichen Hinwei- ses ,,aus einem Grab stammt" und der Sarkophag des Herzogs bis zur Offnung 1995 unversehrt ge- blieben war. Die Inaugenscheinnahme des Sarko- phaginnern ergab namlich den ,,sensationellen, ganzlich unerwarteten Fund" eines in eine Offi- ziersscharpe gehullten praparierten linken Armes 0 WILEY-VCH Verlag GmbH, D-69451 Weinheim 1999 auf dem urn die linke obere Extremitat reduzier- ten Skelett Christians 11.; und Bernd Herrmann vom Institut fur Anthropologie der Universitat Gottingen gelang in der Folge unter Anwendung der Methode des genetischen Fingerabdrucks (durch ,,Typisierung der alten DNA [aDNA]") auf die vorgefundenen Skeletteile der Nachweis ihrer Zusammengehorigkeit. Dai3 es sich bei dem Unterarmskelett - wie Helmut Mayer (Wolfenbuttel: ,,Die Person von Christian und insbesondere die Sarkophagoff- nung") glaubt - um ,,eine bisher nicht bekannte Form eines naturlichen Kunstgliedes" handelt, das ,,mit Kupferdrahten verbunden, mit Bandagen umwickelt, in einem Armel verborgen, am Ober- korper und Restoberarm mit Bandagen befestigt" getragen wurde, hielt Loffler (nach einem Hin- weis von Christoph Weijler, Wurzburg) wegen fehlender ,,trichterformiger Erweiterungen im Sinne von Abnutzungserscheinungen" im Bereich der ,,Eingange zu den gebohrten Knochentun- neln" (fur die ,,verbindenden Kupferdrahte" an Hand und Arm) fur wenig wahrscheinlich. Be- ziiglich der Motivation fur die Sarkophagbeigabe sah er - im Gegensatz zu Helmut Mayer, aber konform den insbesondere auf theologisch-philo- sophischer Quellenbasis ermittelten Erkenntnis- sen von Johannes G. Mayer (Wurzburg: ,,Unver- sehrtheit des Leibes - Zur christlichen Leibvor- stellung in Spatantike und Mittelalter") ethisch- religiose Motive mit der Vorstellung einer ,,kor- perlich unversehrten" Auferstehung am Jungsten Tag als ausschlaggebend an. Die Gesamtthematik urn die ,Braunschweiger Hand' wurde erganzt und abgerundet durch Beitrage iiber die ,,Metall- prothese des Herzog-Anton-Ulrich-Museums in Braunschweig" (von Alfred Walz, Braunschweig) und den ,,brandneuen Stand der Handprothesen- technik - Beschreibung mit praktischer Demon- stration" (durch die Fa. Otto Bock, Duderstadt). Aus dem Fachgebiet der Chirurgie des 19. Jahr- hunderts referierte Bernd Gay (Wurzburg) iiber Leben und Leistung des ,,Chirurgen und Poeten" Richard von Volkmann-Leander (1830- 1889); ,,Albrecht Theodor Middeldorpf (1824-1868) und seine Bedeutung fur die EntwicMung der moder- nen Elektrochirurgie (Galvanokaustik)" waren 0170-6233/99/0103-0025 $10.00+.25/0

XVIII. Würzburger medizinhistorisches Kolloquium, 6.-8.11.1998

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Berichte zur Wissenschaftsgeschichte 22 (1999): Dokumentation und Information 25

Dokumentation und Information

XVIII. Wiirzburger medizinhistorisches Kolloquium, 6.-8.11.1998

Vom 6. bis 8. November 1998 fand auf Burg Lis- berg (bei Trabelsdorf nahe Bamberg) unter der Leitung von Gundolf Keil das XVIII. Wiirzburger medizinhistorische Kolloquium statt, veranstaltet von der Wiirzburger medizinhistorischen Gesell- schaft in Verbindung mit dem Institut fur Ge- schichte der Medizin in Wurzburg. Den The- menschwerpunkt - unterstrichen durch eine Aus- stellung einschlagiger Exponate - bildeten Frage- stellungen urn die ,Braunschweiger Hand' und Herzog Christian 11. von Braunschweig-Lune- burg-Wolfenbuttel, dem 1622 als Folge einer in der Schlacht bei Fleurus gegen die Spanier erlittenen Schuflverletzung der linke Arm knapp uber dem Ellbogen hatte amputiert werden mussen. Dariiber hinaus spielten Chirurgen-Biographien neben Ent- wicklungslinien des chirurgischen Fachgebietes eine wesentliche Rolle und wurden Themen der mittelalterlichen salernitanischen Medizin, der me- dizinischen Psychologie des 18. Jahrhunderts so- wie der Lexikographie (die Edition des medizin- historischen Pschyrernbel) zur Diskussion gestellt.

Zum zentralen Themenkreis beschrieb Lieb- hard Loff7t-r (Trabelsdorf) die Funktionsweise der sich irn Besitz des Herzog-Anton-Ulrich-Mu- seums zu Braunschweig befindenden eisernen Arm-Hand-Prothese und stellte die Frage nach der Erbauerberufsgruppe, die - wie anerkannte Waffenexperten meinen - aller Wahrscheinlichkeit nach im Buchsenmacherhandwerk zu suchen ist. Mit Hilfe vorgefundener vermutlicher ,,Kon- struktionsteile" der Buchsenmacherei konnte eine Alterseingrenzung des Kunstarmes zwar auf die Zeit zwischen 1570 und 1700 (insbesondere des Dreifligjahrigen Krieges) vorgenommen werden. Bei der Prothese, die im Preis (wie entsprechende Vergleichsstucke) dem ,,Gegenwert eines groflen Hofes samt Inventar" entsprach, durfte es sich - trotz ansonsten passender Daten - allerdings nicht urn eine von Christian 11. getragene han- deln, da sie aufgrund eines schriftlichen Hinwei- ses ,,aus einem Grab stammt" und der Sarkophag des Herzogs bis zur Offnung 1995 unversehrt ge- blieben war. Die Inaugenscheinnahme des Sarko- phaginnern ergab namlich den ,,sensationellen, ganzlich unerwarteten Fund" eines in eine Offi- ziersscharpe gehullten praparierten linken Armes

0 WILEY-VCH Verlag GmbH, D-69451 Weinheim 1999

auf dem urn die linke obere Extremitat reduzier- ten Skelett Christians 11.; und Bernd Herrmann vom Institut fur Anthropologie der Universitat Gottingen gelang in der Folge unter Anwendung der Methode des genetischen Fingerabdrucks (durch ,,Typisierung der alten DNA [aDNA]") auf die vorgefundenen Skeletteile der Nachweis ihrer Zusammengehorigkeit.

Dai3 es sich bei dem Unterarmskelett - wie Helmut Mayer (Wolfenbuttel: ,,Die Person von Christian und insbesondere die Sarkophagoff- nung") glaubt - um ,,eine bisher nicht bekannte Form eines naturlichen Kunstgliedes" handelt, das ,,mit Kupferdrahten verbunden, mit Bandagen umwickelt, in einem Armel verborgen, am Ober- korper und Restoberarm mit Bandagen befestigt" getragen wurde, hielt Loffler (nach einem Hin- weis von Christoph Weijler, Wurzburg) wegen fehlender ,,trichterformiger Erweiterungen im Sinne von Abnutzungserscheinungen" im Bereich der ,,Eingange zu den gebohrten Knochentun- neln" (fur die ,,verbindenden Kupferdrahte" an Hand und Arm) fur wenig wahrscheinlich. Be- ziiglich der Motivation fur die Sarkophagbeigabe sah er - im Gegensatz zu Helmut Mayer, aber konform den insbesondere auf theologisch-philo- sophischer Quellenbasis ermittelten Erkenntnis- sen von Johannes G. Mayer (Wurzburg: ,,Unver- sehrtheit des Leibes - Zur christlichen Leibvor- stellung in Spatantike und Mittelalter") ethisch- religiose Motive mit der Vorstellung einer ,,kor- perlich unversehrten" Auferstehung am Jungsten Tag als ausschlaggebend an. Die Gesamtthematik urn die ,Braunschweiger Hand' wurde erganzt und abgerundet durch Beitrage iiber die ,,Metall- prothese des Herzog-Anton-Ulrich-Museums in Braunschweig" (von Alfred Walz, Braunschweig) und den ,,brandneuen Stand der Handprothesen- technik - Beschreibung mit praktischer Demon- stration" (durch die Fa. Otto Bock, Duderstadt).

Aus dem Fachgebiet der Chirurgie des 19. Jahr- hunderts referierte Bernd Gay (Wurzburg) iiber Leben und Leistung des ,,Chirurgen und Poeten" Richard von Volkmann-Leander (1830- 1889); ,,Albrecht Theodor Middeldorpf (1824-1868) und seine Bedeutung fur die EntwicMung der moder- nen Elektrochirurgie (Galvanokaustik)" waren

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26 Berichte zur Wissenschaftsgeschichte 22 (1999)

Gegenstand des Vortrages von Heiko Sudermann (Frankfurt am Main): 1853 unternahm Middel- dorpf die erste galvanokaustische Operation am lebenden Menschen unter Verwendung von ihm im Verbund mit Physikern und Instrumentenma- chern gefertigter Apparaturen und setzte das Ver- fahren auch weiterhin erfolgreich ein. - Einen Uberblick iiber die ,,Entwicklung der Chirurgie vom Handwerk zur Wissenschaft" in der Neuzeit vermittelte Michael Sachs (Frankfurt am Main).

Irmgard Hort (GieBen) und Axel Karenberg (Koln) befagten sich mit ,,Uberlegungen salernita- nischer Magistri zur Apoplexie". Sie verdeutlich- ten den pragenden Einflug der Ubersetzungen an- tiker und arabischer Texte auf die Vorstellungen salernitanischer Magistri zur Apoplexie, richteten ihr Augenmerk jedoch insbesondere auf neue Aspekte im vorgegebenen Rahmen der antiken Krankheitskonzeptionen (etwa ,,bei der Eintei- lung der Apoplexie in verschiedene Schwere- grade" oder ,,der Lokalisation der Krankheit und der materia peccans"). Dariiber hinaus vermoch- ten sie am gewahlten Beispiel unter anderem das nach der ,,rein rezeptiven Periode" sich entwik- kelnde Streben nach einem ,,immer selbstbewug-

teren Umgang mit der Uberlieferung" und nach ,,einer eigenstandigen Losung" erkannter WIder- spriiche aufzuzeigen.

In seinem Beitrag ,,Friedrich Christian Gottlieb Scheidemantel (1735-1796): Landarzt und friiher Arztlicher Psychologe" ging Gernot Huppmann (Mainz) auf dessen medizinpsychologische An- schauungen ein, wie sie in dem ,,pathematologi- schen" Werk Die Leidenschaften als Heilmittel betruchtet (1787) dargelegt sind; und in einem ,,lexikographischen Werkstattbericht" stellte Wer- ner E. Gerubek (Wiirzburg) vor allem Konzep- tion und Auswahlkriterien der fur das Jahr 2000 geplanten, zum Teil am Institut fur Geschichte der Medizin in Wiirzburg vorbereiteten ,,Edition des medizinhistorischen ,Pschyrembel"' vor. Das ,,wichtige Desiderat" der medizingeschichtlichen Forschung wird in der Aufmachung dem klassi- schen ,Klinischen Worterbuch' entsprechen und auf etwa 1300 Seiten 3000 Stichworter mit biogra- phischen wie Sachtiteln ,,aller Epochen und Kul- turen" (besonders des Abendlandes) enthalten.

Die Vortrage sollen 1999 in Band 18 der ,Wiirz- burger medizinhistorischen Mitteilungen' verof- fentlicht werden. Josef Domes, Wiirzburg

Anschrift des Verfassers: Dr. Josef Domes, Institut fur Geschichte der Medizin der Universitat Wurz- burg, Oberer Neubergweg 10 a, D-97074 Wiirzburg

Arbeitstagung ,,Judische Arzte in Deutschland, 1933-1945"

Am 14. und 15. Mai 1998 fand im Medizinhisrori- schen Institut in Mainz eine Tagung zum Thema Jiidische Arzte in Deutschland, 1933-1945" statt. Veranstalter waren der Interdisziplinare Ar- beitskreis Jiidische Studien' und das Medizinhi- storische Institut der Johannes-Gutenberg-Uni- versitat Mainz (Leitung: Prof. Dr. Werner Kiim- mel) in Verbindung mit Prof. Dr. Udo Benzenho- fer (Medizinische Hochschule Hannover). Die Ta- gung war als ,Workshop' konzipiert und richtete sich daher eher an Forschende in diesem Bereich denn an eine breitere Offentlichkeit.

In seiner Einleitung wies Werner Kiirnmel (Mainz) darauf hin, daB der Begriff ,jiidische Arzte' in diesem Zusammenhang naturlich nur mit aller Vorsicht zu benutzen sei, da er der na- tionalsozialistischen Ideologie und Gesetzgebung entspreche. Da jedoch alle Arzte bedroht, ent- rechtet und verfolgt wurden, die von den Nazis dergestalt klassifiziert wurden (seien es ,Voll-', ,Halb-' oder Fertelsjuden', ,Glaubens-' oder ,Rassejuden'), erscheine der Begriff im Titel der Arbeitstagung gerechtfertigt; eine kritische Histo- riographie miisse das Schicksal aller genannten ,Gruppen' ins Auge fassen.

Als erster Redner zeige fohn M. Efron (Chi- cago) einen interessanten Aspekt der ,judischen' Medizingeschichte vor der NS-Zeit auf, indem er auf das Bemiihen deutsch-judischer Arzte urn 1900 aufmerksam machte, vielfach angefochtene jiidische Religionsgesetze wie die Beschneidung, das Schachten oder die iibrigen judischen Speise- gesetze nicht theologisch, sondern erstmals medi- zinisch-wissenschaftlich zu rechtfertigen.

Eduard Seidler (Freiburg) wandte sich dem ,,Schicksal jiidischer Kinderarzte nach 1933" zu und berichtete iiber sein laufendes Forschungspro- jekt, das er im Auftrag der Historischen Kommis- sion der Deutschen Gesellschaft fur Kinderheil- kunde verfolgt. Nach dem derzeitigen Kenntnis- stand des Referenten war im Jahre 1933 ca. die Halfte aller Kinderarzte (Facharzte und Arzte mit padiatrischem Schwerpunkt; der Facharzt fur Kin- derheilkunde war erst 1924 eingefiihrt worden) ,jii- disch' im Sinne der Nationalsozialisten. Wahr- scheinlich wurde mehr als die Halfte der bislang ca. 700 zwischen 1933 und 1945 erfai3ten ,jiidischen' Kinderarzte in die Emigration gezwungen (davon mehr als 100 nach Palastina); ca. 10 % wurden nach der Deportation ermordet oder toteten sich selbst.

Ber.Wissenschaftsgesch. 22 (1999) 25-30