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Zusammenfassung Die Regeln der Kunst Abstract Dieses Buch ist sicherlich – nicht nur umfangmässig – eines der grössten, das Bourdieu jemals geschrieben hat. Es enthält die Essenz seiner Feldtheorie und wendet sie auf ein konkretes Beispiel an: das literarische Feld Frankreichs im 19. Jahrhundert, dessen Genese und Struktur herausgearbeitet werden. Ausserdem besprich Bourdieu Flauberts „Education sentimentale“, das gleichsam als Mikrokosmos der vor sich gehenden Veränderungen und der daran beteiligten Akteure gelten kann. Die Interpretation dieses Buch nimmt den Prolog des Buches ein und verwendet die Grundbegriffe des Bourdieu’schen Denkapparats: Kapital, Feld, Macht, zeitliche Entwicklung, Homologie, Autonomie, Heteronomie etc. Der zweite Teil beschäftigt sich mit der Genese (Kapitel 1) und Struktur (Kapitel 2) des literarischen Feldes als eigenständiger sozialer Bereich. Im letzten Kapitel des ersten Teils werden die Ergebnisse verallgemeinert und in eine allgemeine Theorie der Felder eingefügt. Der zweite Teil geht zunächst auf Methodenfragen ein (Kapitel 1), um dann einige „allgemeine Merkmale der Felder kultureller Produktion“ vozubringen. Im dritten Teil geht es darum, das Verstehen zu verstehen. Die l’art pour l’art, wie sie Flaubert und Baudelaire verstanden, ist eine historisch(e) (kontingente) Form der Literatur und entstand in Abgrenzung gegen die dominante bürgerliche Literatur (mit Emile Augier als bekannten Exponenten) einerseits und die ebenfalls ziemlich neue realistische, kritische oder sozialistische Schule andererseits (mit Vertretern wie Murger, Champfleury oder Maxime du Camp). Prolog Hier bespricht Bourdieu Flauberts bekannten Roman „Die Erziehung des Gefühls“ (l’education sentimentale). Frédéric Moreau, der Held – oder sollte man eher sagen Antiheld? – der Story ist ein etwas abgewandeltes Spiegelbild von Flaubert selbst. Die anderen Figuren bilden die Bekannten von Flaubert. Die Struktur des sozialen Raums im Roman gleicht also der Struktur des sozialen Raums, in den Flaubert während seiner Jugend eingeordnet war. Bourdieu bezeichnet Flaubert deshalb als „Sozioanalytiker Flauberts“. Die Protagonisten der Reihe nach: Frédéric, Monsieur & Madame Arnoux, Madame & Monsieur Dambreuse, Rosanette, Roque Louise, Deslauriers, Pellerin, Hussonnet, Martinon, Regimbart, Vatnaz, Cisy, Oudry. Die Anordnung der Figuren im sozialen Raum findet sich auf Seite 25. Die Figuren werden wie Elementarteilchen durch den Raum geschleudert, und zwar zwischen dem Pol der Macht und dem Pol der Kunst. „Diese Trägheit ist doppelt verankert: in ihren aufgrund ihrer Herkunft und ihres Werdegangs je unterschiedlichen Dispositionen, die eine Tendenz zur Beharrung in einer spezifischen Daseinsweise auszeichnet, folglich einen wahrscheinlichen Werdegang beinhaltet; sowie im ererbten Kapital, das beiträgt zur Definition der durch das Feld angebotenen Möglichkeiten und Unmöglichkeiten.“

Zusammenfassung die Regeln der Kunst

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this is a summary of pierre bourdieu's outline of an art theory in "les règles de l'art" (the rules of art, die regeln der kunst)

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Page 1: Zusammenfassung die Regeln der Kunst

Zusammenfassung Die Regeln der Kunst

Abstract

Dieses Buch ist sicherlich – nicht nur umfangmässig – eines der grössten, das Bourdieu jemals

geschrieben hat. Es enthält die Essenz seiner Feldtheorie und wendet sie auf ein konkretes Beispiel

an: das literarische Feld Frankreichs im 19. Jahrhundert, dessen Genese und Struktur

herausgearbeitet werden. Ausserdem besprich Bourdieu Flauberts „Education sentimentale“, das

gleichsam als Mikrokosmos der vor sich gehenden Veränderungen und der daran beteiligten Akteure

gelten kann. Die Interpretation dieses Buch nimmt den Prolog des Buches ein und verwendet die

Grundbegriffe des Bourdieu’schen Denkapparats: Kapital, Feld, Macht, zeitliche Entwicklung,

Homologie, Autonomie, Heteronomie etc. Der zweite Teil beschäftigt sich mit der Genese (Kapitel 1)

und Struktur (Kapitel 2) des literarischen Feldes als eigenständiger sozialer Bereich. Im letzten Kapitel

des ersten Teils werden die Ergebnisse verallgemeinert und in eine allgemeine Theorie der Felder

eingefügt. Der zweite Teil geht zunächst auf Methodenfragen ein (Kapitel 1), um dann einige

„allgemeine Merkmale der Felder kultureller Produktion“ vozubringen. Im dritten Teil geht es darum,

das Verstehen zu verstehen. Die l’art pour l’art, wie sie Flaubert und Baudelaire verstanden, ist eine

historisch(e) (kontingente) Form der Literatur und entstand in Abgrenzung gegen die dominante

bürgerliche Literatur (mit Emile Augier als bekannten Exponenten) einerseits und die ebenfalls

ziemlich neue realistische, kritische oder sozialistische Schule andererseits (mit Vertretern wie

Murger, Champfleury oder Maxime du Camp).

Prolog

Hier bespricht Bourdieu Flauberts bekannten Roman „Die Erziehung des Gefühls“ (l’education

sentimentale). Frédéric Moreau, der Held – oder sollte man eher sagen Antiheld? – der Story ist ein

etwas abgewandeltes Spiegelbild von Flaubert selbst. Die anderen Figuren bilden die Bekannten von

Flaubert. Die Struktur des sozialen Raums im Roman gleicht also der Struktur des sozialen Raums, in

den Flaubert während seiner Jugend eingeordnet war. Bourdieu bezeichnet Flaubert deshalb als

„Sozioanalytiker Flauberts“. Die Protagonisten der Reihe nach: Frédéric, Monsieur & Madame

Arnoux, Madame & Monsieur Dambreuse, Rosanette, Roque Louise, Deslauriers, Pellerin, Hussonnet,

Martinon, Regimbart, Vatnaz, Cisy, Oudry. Die Anordnung der Figuren im sozialen Raum findet sich

auf Seite 25. Die Figuren werden wie Elementarteilchen durch den Raum geschleudert, und zwar

zwischen dem Pol der Macht und dem Pol der Kunst. „Diese Trägheit ist doppelt verankert: in ihren

aufgrund ihrer Herkunft und ihres Werdegangs je unterschiedlichen Dispositionen, die eine Tendenz

zur Beharrung in einer spezifischen Daseinsweise auszeichnet, folglich einen wahrscheinlichen

Werdegang beinhaltet; sowie im ererbten Kapital, das beiträgt zur Definition der durch das Feld

angebotenen Möglichkeiten und Unmöglichkeiten.“

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Teil 1: Drei Entwicklungsstufen des Feldes

Die Eroberung der Autonomie

Wie entstand die Literatur der l’art pour l’art im 19. Jahrhundert in Frankreich? Diese Frage steht im

Zentrum des Kapitels. Folgende Faktoren bzw. gesellschaftlichen Bedingungen haben zu einem

eigenständigen Feld beigetragen: aufkommendes Bürgertum mit Grosskaufleuten und Industriellen,

Salons, Bildungsexpansion und rasantes Ansteigen der Studentenzahlen, Presse und Kunstkritik,

Abgrenzung gegen das einfache Volk und den politischen Realismus einerseits, die Bourgeoisie und

deren Autoren (Augier) andererseits, Baudelaire als Gesetzgeber: Programmatik.

Zum aufkommenden Bürgertum: Die Herrschaft des Geldes und die Begeisterung für den Profit

machten sich überall geltend. Die neuen einflussreichen Grossbürger legten wenig Wert auf Kunst

und Bildung und betonten v. a. das Geschäft. Waren die früheren Verhältnisse von Künstler und

Auftraggeber durch Abhängigkeit und Ergebenheit gekennzeichnet, handelte es bei den „neuen“

Künstlern um eine „strukturelle Unterordnung“. Einerseits waren sie den Zwängen und Sanktionen

des Marktes ausgeliefert, andererseits denen der dauerhaften Beziehungen. Letztere äusserte sich

insbesondere in der Institution des Salons. Hier gibt es Unterschiede und die Schriftsteller clustern

nach Gruppen, je nachdem in welchen Salon sie eingeladen werden. „Die Salons, die sich eher

dadurch unterscheiden, was sie ausschliessen, als durch das, was sie zusammenführen, tragen so bei

zur Strukturierung des literarischen Feldes [...] entlang einiger fundamentaler Gegensätze“: z. B.

mondäne vs. elitäre Schriftsteller. Auch über die Presse wirkt sich die strukturelle Herrschaft aus.

„Die Entwicklung der Presse ist ein Indiz unter anderen für die beispiellose Expansion des Marktes

der kulturellen Güter.“

Begünstigt wird diese Expansion durch strukturelle Wandlungen. Junge Leute ziehen in die Stadt und

versuchen sich als Schrifsteller oder Künstler durchzuschlagen, die Studentenzahlen steigen an. Diese

morphologischen Prozesse gehören zu den wichtigsten Gründen für den künstlerischen Wandel und

das Aufkommen der l’art pour l’art. „Indem sich so eine umfangreiche Population von jungen Leuten

zusammenfindet, deren Bestreben es ist, von der Kunst zu leben, und die sich von allen anderen

sozialen Kategorien durch die Lebenskunst unterscheiden, die sie zu entwickeln im Begriff sind, tritt

eine regelrechte Gesellschaft in der Gesellschaft in Erscheinung.“ Die Bohème und die Parnassiens (z.

B. unter Theophile Gautier) können als Vorläufer von Flaubert und Baudelaire und ihrer Version der

l’art pour l’art gesehen werden. Sie zeichnete sich durch einen antibürgerlichen Lebensstil aus. „Alles

war falsch, schreibt Flaubert in einem Brief vom 28. September 1871 an Maxime du Camp, falsch die

Armee, falsch die Politik, falsch die Literatur, falsch der Kredit und falsch sogar die Kurtisanen.“

Grund für diese desillusionierte Sicht waren nicht zuletzt die zeitlichen Umstände: gescheiterte

Revolution 1848 und vor sich hindümpeldnes Kaiserreich Napoleons III (zweites Kaiserreich) in der

Folge.

Wie der Abschnitt „Baudelaire als Gesetzgeber“ zeigt, ging der ästhetische Bruch der neuen Schule

mit einem ethischen Bruch einher. Baudelaire widersetzte sich den Autoritäten. Dies äussert sich z. B.

in Baudelaires Kandidatur für die academie. „Mit seiner Bewerbung bei einer noch weitgehend

anerkannten Konsekrationsinstitution macht B., der besser als jeder andere weiss, welchen Empfang

man ihm bereiten wird, das Recht auf Konsekration geltend, das im kraft der Anerkennung gebührt,

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die er im engeren Kreis der Avantgarde geniesst.“ Mit seinem berühmt gewordenen Diktum (Zitat),

das das erste Kapitel einleitet, bringt er die doppelte Abgrenzung von den Bürgerlichen und den

Sozialisten auf den Punkt. Auch bei der Wahl des Verlages äussert sich diese Kompromisslosigkeit. Er

schlägt den finanziell besseren Deal für den künstlerisch wertvolleren aus. „Der beste Beleg für die

Wirksamkeit der Ordnungsrufe, die der Logik des sich autonomisierenden Feldes immanent sind,

liegt aber darin, dass selbst Autoren, die in ihrem gesellschaftlichen Verhalten wie in ihrem Werk

scheinbar am direktesten externer Nachfrage und externen Forderungen gehorchen, immer stärker

gezwungen sind, die spezifischen Normen des Feldes anzuerkennen.“

Im Anschluss zeichnet Bourdieu die damals verbreiteten Strömungen des Realismus (= soziale Kunst)

und des Bürgertums. „Gegen die eine wie die andere definiert sich in doppelter Abwehr eine dritte

Position: die des l’art pour l’art.“ Prototypische Vertreter der bürgerlichen Kunst sind Emile Augier

und Octave Feuillet. Unter den Sozialisten, die der Kunst eine gesellschaftliche und politische

Funktion zuordnen, finden wir so prominente Namen wie Proudhon, Sande, aber auch die Saint-

Simonisten und Fourieristen. Als typisches Beispiel für die Richtung wird aber Henri Murger

herausgepickt. Er kommt – im Gegensatz zu den Vertretern der l’art pour l’art – aus

kleinbürgerlichem Milieu und wies beträchtliche Bildungslücken auf. „Selbst im Alter mangelt es

seinem Urteil an Kraft: Wo sie gesellschaftliche, politische, religiöse, selbst literarische Fragen

streifen, sind seine Reflexionen von einzigartiger Ärmlichkeit.“ Durch ganz ähnliche Merkmale ist der

buveur d’eau Champfleury gekennzeichnet.

Für die entstehende Richtung und das ausdifferenzierte Kunstfeld ist charakteristisch, dass ihr

ökonomische Profite egal sind: „Einige Autoren, darunter Leconte de Lisle, gehen sogar so weit, im

unmittelbaren Erfolg das Zeichen geistiger Minderwertigkeit zu brandmarken... Auf symbolischem

Terrain vermag der Künstler nur zu gewinnen, wenn er auf wirtschaftlichem Terrain verliert.“ Eine

wichtige Voraussetzung um überhaupt schreiben zu können, ist die finanzielle Abgesichertheit, die

oft durch ein Erbe garantiert wurde. „Das geerbte Geld sichert immer noch am besten die Freiheit

vom Geld.“ Auch was den sozialen Werdegang anbelangt, gleichen sich die Anhänger der l’art pour

l’art untereinander.

Um den Standpunkt Flauberts (seinen Raum der Werke) zu verstehen, muss man den Raum der

Möglichkeiten nachvollziehen können. Eine der Grunddimensionen dieses Raums ist die Hierarchie

der Gattungen. Der Roman hatte eine Ausseinseiter-Position inne. „Ich habe Madam Bovary

gemacht, um Champfleury zu ärgern. Ich wollte zeigen, dass bürgerliche Tristesse und mediokre

Gefühle eine schöne Sprache vertragen können.“ Die Kunst für die Kunst zeichnet sich eben gerade

dadurch aus, dass sie das Sujet der Form unterordnet. Vertreter der gesellschaftlich engagierten

Kunst – z. B. Vasque, Vermorel oder auch Proudhon – standen der neuen Kunst sehr kritisch

gegenüber und prangerten sie als hässlich, schmutzig, kalt oder sogar verderbt an. „In der Tat

erheischt der reine Blick, den es damals zu efinden galt (und nicht, wie heutzutage, nur umzusetzen),

mittels des Abbruchs der Verbindungen zwischen Kunst und Moral eine Haltung der Leidenschafts-

losigkeit, Gleichgültigkeit, ja der zynischen Ungeniertheit, die das glatte Gegenteil der aus Schrecken

und Faszination zusammengesetzten doppelten Ambivalenz des Kleinbürgers gegenüber dem

Bourgeois und dem Volk darstellt... Der an seine Grenze getriebene Ästhetizismus tendiert zu einer

Art moralischem Neutralismus, der nicht weit von ethischem Nihilismus entfernt ist.“

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Die Entstehung einer dualistischen Struktur

Das zweite Kapitel des ersten Teils untersucht das literarische Feld in Frankreich um 1880 herum.

Stand vorher die Entwicklung im Zeitverlauf im Fokus, wird jetzt eine synchrone Perspektive gewählt.

Es geht darum „ein Modell des Zustands des literarischen Felds“ zu entwerfen.

Zunächst bespricht Bourdieu die Besonderheiten der Gattungen. Auf kommerzieller Seite war das

Theater am erfolgreichsten, der Roman stand in der Mitte und ganz unten kam die Dichtung (Lyrik).

Auf symbolischer Seite sah es genau umgekehrt aus: Hier dominierte die Dichtung, der Roman war

wiederum in der Mitte angesiedelt, jedoch mit sehr grosser Varianz, und unten rangierte die

Dramatik. Zola scheint nun Flaubert als interessierenden Künstler abgelöst zu haben. Die Gattung des

Romans ist wie das ganze literarische Feld durch seine chiastische Struktur geprägt. Bourdieu

unterscheidet kommerziellen Gewinn von einer „Hierarchie des Prestiges“. Ersterer lässt sich anhand

eine Modells mit drei Dimensionen wiedergeben: Preis, Anzahl und soziale Qualität der

Konsumenten sowie Länge des Produktionszyklus und Schnelligkeit mit der die Gewinne anfallen

(Zeit- bzw. Altersdimension). Mehr an Wert gewinnt dagegen der symbolische Kredit, also der andere

Pol des Feldes bzw. die künstlerische Seite. Am Beispiel des bürgerlichen (Boulevard)Theaters macht

Bourdieu die kommerzielle Logik deutlich. Da die Plätze für die Aufführungen von Stücken sehr

begrenzt waren, herrschte ein starker Wettbewerb, bei dem insbesondere das soziale Kapital

ausschlaggebend für den Erfolg war. Waren die Plätze erstmal vergeben, mussten sich die Autoren

dem Urteil des Publikums stellen. Das erfordert Vertrautheit mit dem Theatermilieu und eine gute

Beobachtungsgabe. War beim Theater der wirtschaftliche Erfolg gewünscht und ein Zeichen von

Qualität, erhielt er im Falle des Romans eher pejorative Konnotationen. Die Lyrik als Gattung

schliesslich findet ihre Abnehmer fast ausschliesslich bei den Produzenten selbst. Es handelt sich um

eine relativ geschlossene Welt. Beim Roman kommt es zur Trennung in verschiedene Schulen,

„wobei diesen neuen Strömungen der aus dem Naturalismus hervorgehende soziale oder

regionalistische Roman und der Thesenroman gegenüberstehen.“ Im Theaterbereich bildet sich erst

relativ spät eine autonome Avantgarde heraus.

Auf Seite 199 ist das literarische Feld zum betrachteten Zeitpunkt (Ende 19. Jahrhundert) dargestellt.

Der Hauptgegensatz besteht zwischen links und rechts, zwischen der reinen und der

Massenproduktion. „Überlagert wird jener [Gegensatz] durch einen sekundären Gegensatz, der sich

innerhalb des Subfeldes der reinen Produktion zwischen Avantgarde und arrivierter Avantgarde

einstellt.“ Der eine Pol (die Jungen) ist mit niedrigem Konsekrationsgrad ausgestattet, der andere (die

Alten) dagegen mit hohem. Das Feld der kulturellen Produktion ist seinerseits in das Machtfeld und

dieses wiederum in den sozialen Raum eingeordnet (203).

Wie das Auftauchen heute in vollkommene Vergessenheit geratener Schulen (202) zeigt, herrscht im

literarischen Feld ein stetes Bemühen um Distinktion. „Keine Aktion eines Handelnden, die nicht

Reaktion auf alle anderen oder zumindest auf eine von ihnen wäre.“ Diese ständigen (symbolischen)

Kämpfe bilden den Motor der Transformation. Den entscheidenden Grund dafür sieht Bourdieu im

zahlenmässigen Zuwachs an Produzenten, der auf das Anwachsen des Schulsystems zurückgeht.

Damit wächst nämlich auch der Markt der potentiellen Leser. Am Beispiel Zolas verdeutlicht der

Autor sodann „die Erfindung des Intellektuellen“, der losgelöst von politischen Interessen als

Verteidiger universalistischer Prinzipien auftritt, „die nichts anderes sind als das Ergebnis der

Universalisierung spezifischer Prinzipien seines eigenen Universums.“

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In einem weiteren Abschnitt geht Bourdieu auf die Austauschbeziehungen von Malern und

Schriftstellern ein. Diese können voneinander profitieren. Manet sieht er in der Malerei in einer

ähnlichen Rolle wie Flaubert in der Literatur. „Der Monotheismus des (lange Zeit von der Academie

verkörperten) zentralen Gesetzgebers weicht der Konkurrenz vieler ungewisserer Götter. Der Begriff

der l’art pour l’art tauchte zum ersten Mal 1831 im Zusammenhang mit dem Bildhauer Jean

Duseigneur auf. „Indem er Elitegedanken und Anti-Utilitarismus verbindet, verhöhnt der Künstler die

konventionelle Moral, Religion, Pflichten und Verantwortlichkeiten und verachtet alles, was mit der

der Vorstellung eines Dienstes verbunden sein könnte, den die Kunst der Gesellschaft zu entrichten

hätte.“

Der Markt der symbolischen Güter

Im letzten Kapitel des ersten Teils geht es darum, die gewonnen Schlüsse aus den vorherigen beiden

Kapiteln in Theorie umzusetzen, bzw. die allgemeine Theorie des literarischen Feldes oder der

Märkte symbolischer Güter zur formulieren. Hier bildet die Gegenwart die Grundlage. Auch hier

kommen die beiden wohlbekannten Pole zum Zuge: der kommerzielle und der autonome. „Ein

Unternehmen steht dem kommerziellen Pol um so näher, je direkter oder umfassender seine

Produkte einer vorher und in vorgegebenen Formen bestehenden Nachfrage entsprechen.“ Ein

wichtiger Gradmesser dabei ist die Länge des Produktionszyklus bzw. die langfristige oder kurzfristige

Ausrichtung. Grob kann man die Unterschiede mit den Begriffen one-hit wonder vs. Klassiker fassen.

So stellt Bourdieu in der Grafik auf Seite 230 ein komerziell erfolgreiches, aber schnell abtauchendes

Buch den Werken von Beckett und Robbe-Grillet gegenüber. Auch bei der Editionspolitik der Verlage

spiegelt sich dieses Kalkül wider. Dementsprechend gibt es „zwei Modi des Alterns“: am

heteronomen Pol ist der unmittelbare Erfolg das wichtigste Kriterium, am autonomen Pol dagegen ist

das Prestige über lange Dauer hinweg entscheidend. „Die einzige legitime Akkumulation besteht

darin, sich einen Namen zu machen, einen bekannten und anerkannten Namen.“ Den Klassikern, die

Epoche gemacht haben, aber auch schon etwas verstaubt sind, steht die Avantgarde distinktiv

gegenüber.

„Das die Geschichte des Feldes die Geschichte des Kampfes um das Monopol auf Durchsetzung

legitimer Wahrnehmungs- und Bewertungskategorien ist: diese Aussage ist noch unzureichend; es

ist vielmehr der Kampf selbst, der die Geschichte des Feldes ausmacht; durch den Kampf tritt es in

die Zeit ein.“

Weil sich die künstlerischen Felder in ihrem Verhältnis zur Nachfrage um den gleichen Gegensatz

(Kommerziell vs. Nicht-Kommerziell) formieren, stehen sie in einem Verhältnis der Homologie zum

Machtfeld. Am Beispiel des Theaters verdeutlicht Bourdieu diese Tatsache. „Die vielfältigen

Homologien, die demjenigen ein passendes Publikum, verständnisvolle Kritiken usw. garantieren, der

seinen Platz in der Struktur gefunden hat, arbeiten dagegen dem zuwider, der seinen natürlichen Ort

verlassen hat.“ Der Glaube an die Regeln des (Spiel)Felds (illusio) ist eine Grundvoraussetzung für

dessen Bestehen.

Wie entsteht aber der Glaube an die Regeln des (Spiel)Felds? Er wird durch die Sozialisation der

einzelnen Mitglieder gewährleistet. In diesen „Kreislauf der Konsekration“ tritt man irgendwann ein

und kommt dann schwer wieder heraus. Bourdieu vergleicht das Kunstwerk mit religiösen Gütern

Page 6: Zusammenfassung die Regeln der Kunst

(Reliquien), die Wert nur gewinnen durch den kollektiven Glauben an sie. Er nennt dies den

Hofmantel-Effekt.

Teil 2: Grundlagen einer Wissenschaft von der Kulturproduktion

Methodenfragen

„An Grosstheorien war ich nie sonderlich interessiert“: So startet der zweite Teil. Und das ist mal eine

Ankündigung! Ihn erfreuen Werke, bei denen die Theorie in die Empirie eingebettet ist, überall und

nirgendwo ist, wie er es sagt. „Theorien, die sich weniger von der rein theoretischen Rivalität mit

anderen Theorien nähren als von der Konfrontation mit immer neuen empirischen Gegenständen.

Am Beispiel des Habitus verdeutlicht Bourdieu dieses Verständnis. Ein zentraler Punkt dabei ist das

auf Cassirer zurückgehende „Denken in Relationen“.

Anschliessend wird der Feldbegriff herausgearbeitet. Dieser Abschnitt könnte bei Fragen zu den

Merkmalen und Eigenschaften von Feldern relevant sein. Die entsprechende Stelle beginnt ab ca.

Seite 290. Jedes Feld folgt seiner eigenen Ökonomie. Was das Feld der kulturellen Produktion so

besonders macht und vor der Objektivierung „schützt“ ist die Ehrfurcht, die man ihm entgegenbringt

und die schon früh durch die Sozialisation vermittelt wird. Genau dem möchte Bourdieu

entgegenwirken, indem er das Programm einer objektiven Wissenschaft der Kulturproduktion

skizziert. Im Gegensatz zur Theorie des ursprünglichen Entwurfs von Sartre, der eine biographisch

geleitete Untersuchung präsentiert (Lebensbrüche: „schon damals“, „von da an“, „von klein auf“),

und in Abgrenzung gegenüber strukturalistischen Lesarten postuliert Bourdieu einen feldbezogenen

und relativen Approach. Sartres Betonung der individuellen Laufbahn des Künstlers vernachlässigt die

strukturellen Effekte (Einbettung in die Familie und Wirkungen im literarischen Feld, Raum der

Möglichkeiten und Stellungnahmen, Distinktion und Positionierung) und macht aus dem Schrifsteller

gleichsam einen „Schöpfer“ oder Gott. „Die charismatische Vorstellung vom Schriftsteller als

Schöpfer führt dazu, alles auszuklammern, was mit der Position des Autors innerhalb des

Produktionsfelds und dem sozialen Werdegang zusammenhängt, der ihn dahin führte.“ Aber nicht

nur gehobene Sartre’sche Bilder der Kunstwelt existieren, sondern auch antiintellektuell geprägte.

Auch diese Position führt nicht zu wertvollen und den Vorstellungen Bourdieus entsprechenden

Objektivierungen.

Der Abschnitt „Der Raum der Standpunkte“ (ab Seite 309) dreht sich um die Rolle der Kunstkritik im

Feld. Auch diese ist in das Feld eingebunden und an Kapitalformen und Machtpositionen geknüpft.

Bourdieu unterscheidet eine formale Lesart von einer externen. „Die erste dieser Traditionen ist in

ihrer verbreitesten Form nichts anderes als die bereits erwähnte literarirsche doxa.“ Diese

Vorstellung ist ans mittelalterliche Bild des Lektors im Gegensatz zum Auctor gebunden. In der

strukturalistischen und formalistischen Lesart kommt diese Vorstellung zum Zuge. Auch in der Schule

wird diese textimmanente Lesart begünstigt behandelt und gelehrt. Philosophisch ist die

textimmanente Interpretation durch den Neukantianismus und durch den Strukturalismus

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begründet. Sie (Bourdieu erwähnt in diesem Zusammenhang nur den Strukturalismus, deshalb weiss

ich nicht genau, ob das für den Neukantianismus auch zutrifft) zeichnet sich durch Ahistorizität aus,

indem sie die geschichtliche Entwicklung des Textes ausblendet. „Im Grunde genommen findet sich

die stringenteste Formulierung der Grundlagen der strukturalen Analyse kultureller Produkte bei

Michel Foucault.“ Die andere Extremposition, also die externe Lesart, versteht die Werke als simple

Wiederspiegelung der sozialen Welt. Sie vergessen damit die Autonomie und Eigenlogik - und damit

auch die Geschichte - des kulturellen Produktionsfeldes. Statt das Kunstwerk zu verstehen,

konzentrieren sich die Anhänger der externen Deutung nur auf dessen Kontext. In Wirklichkeit

braucht es aber beides: das Feld und das Kunstwerk für ein umfassendes Verständnis der

Kulturproduktion. „Die externen Faktoren – Wirtschaftskrisen, technischer Wandel, politische

Revolutionen oder schlicht die soziale Nachfrage einer besonderen Gruppe von Auftraggebern, deren

direkten Einfluss auf die Werke die herkömmliche Sozialgeschichte untersucht – können sich nur

über von ihnen ausgelöste Veränderungen in der Struktur des Feldes auswirken.“ In diesem

Zusammenhang bespricht und kritisiert er auch Beckers Konzept der Kunstwelten (327, 328).

In einem dialektischen Versuch verbindet Bourdieu die beiden Lesarten, die textimmanente und die

externe. Der Zauberstab hierfür ist das Feld oder der Feldbegriff. „Der Feldbegriff ermöglicht es, über

den Gegensatz zwischen interner und externer Analyse hinauszugelangen, ohne irgend etwas von

den Erkenntnissen und Anforderungen dieser traditionell als unvereinbar geltenden Methoden

aufzugeben.“ Die Intertextualität kommt dabei im Raum der Werke zur Geltung, der zum Raum der

Positionen im Produktionsfeld in einem homologen Verhältnis steht. Das Kapitel schliesst mit dem

etwas prätentiösen Abschnitt „Das Subjekt der Objektivierung objektivieren“.

Der Standpunkt des Autors: Einige allgemeine Eigenschaften der Felder kultureller Produktion

Drei Analyseschritte kennzeichnen die Untersuchung kultureller Werke: 1) Untersuchung der Position

des literarischen Feldes im Feld der Macht, 2) Analyse der inneren Struktur des literarischen Feldes,

3) die Untersuchung der Genese des Habitus der Inhaber dieser Positionen. Diese Anordnung bzw.

Untersuchungsplan ist für alle Felder gültig.

Ad 1) Das literarische Feld im Feld der Macht: Das literarische Feld ist innerhalb des Feldes der Macht

ein dominiertes Feld. Es ist in seiner autonomen Form durch materielle Uninteressiertheit

gekennzeichnet. Trotzdem müssen natürlich die ökonomischen Voraussetzungen berücksichtigt

werden (-> z. B. Analyse der Beziehungen zwischen Schrifstellern und Verlergern sowie Künstlern und

Galeristen). Welches ist der wichtigste Indikator für die Position innerhalb eines Feldes? Der Umfang

des Publikums (und daher seine soziale Qualität). „Mit den Epochen und nationalen Traditionen

schwankt das Ausmass an Autonomie eines Feldes beträchtlich.“ Die Auseinandersetzungen im

literarischen Feld wie auch in den anderen Feldern nehmen die Form von „Definitionskämpfen“ an.

„Im Mittelpunkt literarischer (usw.) Konkurrenzkämpfe steht immer auch das Monopol literarischer

Legitimität“, d. h. Definitionsmacht, wer sich Schrifsteller nennen darf und wer nicht. Wie kann man

das empirisch untersuchen? Beispielsweise indem man untersucht, welche Konsekrationsinstanzen

und –schritte ein Schrifsteller durchlaufen muss um als solcher zu gelten. „Man könnte durch

Anwendung verschiedener Methoden versuchen, den Prozess der Kanonisierung in der Vielfalt seiner

Formen und Äusserungen zu verfolgen.“ Das literarische und künstlerische Feld unterscheidet sich

von anderen Feldern durch seinen geringen Grad an Kodifizierung (Verregelung).

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Das Verhältnis von Habitus und Feld wird auf Seite 160 ff. behandelt. Jedes Feld besitzt seine eigene

illusio. „Produzent des Werts des Kunstwerks ist nicht der Künstler, sondern das Produktionsfeld als

Glaubensuniversum, das mit dem Glauben an die schöpferische Macht des Künstlers den Wert des

Kunstwerks als Fetisch schafft.“ Externe Effekte, d. h. Bewegungen in anderen Feldern, wirken sich

stets vermittelt über das eigene Feld aus und werden darum in die jeweilige Logik gegossen. Dies

geschieht je stärker, je autonomer das Feld ist.

Der Gegenstand der Wissenschaft vom Kunstwerk ist die „Beziehung zwischen zwei Strukturen“:

Struktur der objektiven Beziehungen zwischen den Positionen innerhalb des Produktionsfelds und

Struktur der objektiven Beziehungen zwischen den Positionierungen im Raum der Werke.“ Diese

beiden Strukturen stehen in einem Verhältnis der Entsprechung oder Homologie und zwischen sie

schiebt sich gleichsam ein dritter Raum: der Raum des Möglichen, der angibt, was denk- und

machbar ist. Raum der Positionen <- (Raum des Möglichen) -> Raum der Positionierungen (Werke).

„Der Raum des Möglichen deckt die vorhandenen Dispositionen auf. Eine Analyse dieses Raums kann

z. B. über Konjunktive geschehen: „...sich vorzustellen, wer Barcos, Flaubert oder Zola hätte sein

können, wenn sie in einem anderen Zustand des Feldes andere Voraussetzungen zur Entfaltung ihrer

Dispositionen gefunden hätten.“ Das geschichtliche und kollektive Erbe fungiert für die Akteure als

ein solcher Raum des Möglichen. Künstlerische Neuheiten sind damit nur möglich, wenn sie

strukturelle Lücken bedienen, die virtuell bereits exisiterten, die also nur auf ihre Realisierung

gewartet haben. Der Raum des Möglichen stülpt den Beteiligten seine Kategorien über („ein System

sozialer Wahrnehmungs- und Bewertugskategorien). Sodann bringt Bourdieu Vorschläge und

Möglichkeiten zur Untersuchung dieses Raums vor (den man – auch wenn es schwer ist – unbedingt

untersuchen sollte).

Da sich Veränderungen im Raum der Positionen, wie Kettenreaktionen, aufeinander auswirken und

einen allgemeinen Wandel bedeuten, ist es vergeblich den idealen Ausgangspunkt des Wandels zu

suchen. Normalerweise geht der Anstoss jedoch von Neulingen aus, d. h. den Jüngsten, denen es an

spezifsichem Kapital fehlt. Erneut kommt Bourdieu auf Distinktionsbestrebungen zu sprechen, wie sie

sich exemplarisch in der Vielfalt lyrischer Bewegungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts widerspiegelt.

„Die Geschichte des Romans kann mindestens seit Flaubert auch als eine lange Arbeit an der Aufgabe

geschrieben werden, das Romanhafte zu töten, wie Edmond de Goncourt sagte, das heisst, den

Roman von all dem zu reinigen, was ihm eigen scheint, die Intrige, die Handlung, der Held.“ Der reine

Roman in diesem autonomisierten Feld verwischt die Grenzen zwischen Schriftsteller und Kritiker.

„Die Entwicklung des Feldes der kulturellen Produktion in Richtung auf grössere Autonomie geht mit

der in Richtung auf erhöhte Reflixivität einher.“ Die Geschichte des Feldes wohnt ihm jederzeit inne,

wie Bourdieu am Zöllner Rousseau (und damit der naiven Schriftstellerei) zeigt (387 ff.). „Die gesamte

Geschichte des künstlerischen Feldes determiniert das essentiell widersprüchliche und

notwendigerweise scheiternde Vorgehen, durch das sie Künstler gegen die historische Definition des

Künstlers konstitutieren wollen.“ Das Gegenteil des naiven Künstlers ist der gewitzte Künstler, wie er

in der Gestalt von Marcel Duchamp perfekt zum Ausdruck kommt: „... bewegt Marcel Duchamp sich

im Feld der Kunst wie ein Fisch im Wasser.“

Wie kommen Angebot und Nachfrage im Feld der Kunst zustande? Bourdieu nennt die Homologie

zwischen Produzenten und Konsumenten als entscheidenden Faktor. Nicht durch bewusste

strategische Planung und Vorwegnahme von Markterfolgen (was zwar auch geschieht, aber nur im

heteronomsten Fall) passen sich Angebot und Nachfrage aneinander an, sondern durch

Notwendigkeiten, die durch die jeweiligen Positionen im Feld begründet sind. Man muss deshalb das

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Publikum kennen, das die Produkte des sich autonomisierenden künstlerischen und literarischen

Feldes konsumierte. Zumeist stammt dieses aus dem Feld der Macht. Oft ist für das Reüssieren im

künstlerischen (usw.) Feld der Rückgriff auf exterene Belohnungen (oder negativ: Sanktionen)

notwendig. Bourdieu spricht in diesem Zusammenhang von einer „Entsprechung zwischen internen

Veränderungen und externen Veränderungen“ (400). So gelingt es neuen Strömungen (Heterodoxen)

meist nur mit Unterstützung von aussen erfolgreich zu sein (-> Entsprechung zur Machtressourcen-

Theorie RMM). Wichtig sind dabei insbesondere politische Sponsoren und Veränderungen. „Das

soziale Altern des Kunstwerks, der unmerkliche Übergang zum Deklassierten oder Klassischen, ist

somit Ergebnis eines Zusammentreffens einer internen Entwicklung, die mit den die Produktion

verschiedenartiger Werke entfachenden Kämpfen innerhalb des Feldes verbunden ist, und einer

externen, mit der sozialen Veränderung des Publikums einhergehenden Entwicklung, die den Verlust

der Seltenheit sanktioniert und verschärft, indem sie ihn jedermann vor Augen führt.“

Zum Schluss dieses Kapitels versucht Bourdieu Punkt 3 seiner Feldanalyse einzulösen: den Habitus

der Akteure untersuchen1. Die Struktur des Feldes wohnt den Habitus (Plural) inne. Da alle Felder in

den sozialen Raum eingelagert sind, muss neben der Geschichte des Produktionsfeldes auch die

Geschichte des sozialen Raums insgesamt betrachtet werden („Die Begegnung zweier Geschichten“).

Der Habitus des reinen Schriftstellers oder Künstlers ist durch Freiheit geprägt und sowohl gegen das

Bürgertum als auch gegen den Markt und die fehlende Unterordnung ihnen gegenüber

gekennzeichnet. „Und gleichzeitig lassen sich innerhalb des kulturellen Produktionsfeldes mehrere

grosse Klassen generationenübergreifender Laufbahnen unterscheiden“: aufsteigende, absteigende,

gebrochene... Solche Prozesse könnten durch biographische Untersuchungen analysiert werden. Was

den Habitus anbelangt, sind die riskantesten Schriftsteller mit relativ viel ökonomischem und

symbolischem Kapital ausgestattet. „Vor allem aber begünstigen die mit gehobener Herkunft

verbundenen Lebensbedingungen Dispositionen wie Kühnheit und Gleichgültigkeit gegenüber

materiellen Gewinnen wie auch sozialen Orientierungssinn und die Kunst, die Bildung neuer

Hierarchien vorauszuahnen.“ Allerdings lassen sich die Positionierungen nicht allein (und

deterministisch) von der Position und von den Dispositionen (Habitus) ableiten. Bourdieu stellt

sodann Verlaine und die décadents den „geordneteren“ Symbolisten um Mallarmé gegenüber.

Letztere betrieb die Schriftstellerei als Beruf, ersterer musste sich mit zahlreichen Nebenjobs

durchschlagen. Dementsprechend unterschied sich auch ihr Lebensstil (Ruhe und Geordnetheit vs.

ständige Bewegtheit und Unsicherheit).

Teil 3: Das Verstehen verstehen

Die historische Genese der reinen Ästhetik

Wie hat sich der reine Blick, also die (scheinbar) interesselose und von den Nöten und Zwängen der

äusseren Welt freien Betrachtungsweise von Kunstwerken, herausgebildet? Wie entstand diese dem

1 Punkt 1: Verhältnis des literarischen Feldes zum Feld der Macht, Punkt 2: Interne Struktur des Feldes

Page 10: Zusammenfassung die Regeln der Kunst

Kantischen Geschmacksbegriff zugrunde liegende Zugangsweise? Diese Frage steht im Zentrum des

dritten Teils.

Zunächst wird die Definitionsfrage abgehandelt, also was Kunst von Nicht-Kunst unterscheide. Eine

Vielzahl von Antworten auf die Frage, was denn das Kunstwerk zum Kunstwerk mache und wodurch

der reine Blick gekennzeichent sei, existieren. Bourdieu erwähnt folgende:

- Zwecklosigkeit, Funktionslosigkeit, Interesselosigkeit im Sinne des Kant’schen

Geschmacksurteils, Detachement (Osborne) -> Konsument

- Kompetenz (Wellek & Warren) -> Konsument

- Ästethische Intention (Panofsky) -> Produzent (?)

- Institutionen, Art World (Danto, siehe dazu auch die entsprechende Stelle bei Becker)

All diese Lesarten hält Bourdieu für ungenügend. Stattdessen bemängelt er die analytische Trennung

von Konsumtion und Produktion. Erst wenn man versteht, wie die ästhetische Einstellung (ihrerseits

historisch entstanden) und die Produktion und Definition von Kunstwerken zusammenhängen,

erreicht man ein Verständnis für das Feld der Kunst und das Kunstwerk. „Die Erfahrung des

Kunstwerks als unmittelbar sinn- und werthaft ist ein Effekt der Übereinstimmung der beiden sich

gegenseitig begründenden Seiten derselben historischen Institutionen: des gebildeten Habitus und

des künstlerischen Feldes.“ Die spezifische Illusion des künstlerischen Feldes ist das Kunstwerk als

Fetisch; das Feld erzeugt mit dem Glauben an das Werk des schöpferischen einzelnen eine Magie, die

jener von Fetischen gleichkommt.

Die soziale Genese des Blicks

Eine Theorie des Lesens in actu