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Zwei Fälle von Ohrmuschelkrebs

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Page 1: Zwei Fälle von Ohrmuschelkrebs

XI.

Zwei FMIe von Ohrmuschelkrebs. Mittheilung aus der Abtheilung fur Ohrenkrankheiten des Prof.

Dr. J. B~ke im St. Rochus Spital in Budapest.

Voa

Dr. ]~rnst V~li~ Secuud~rarzt.

(Von der Redaction •bernommen am 1. September I890)

Die Ohrmuschel gehSrt zu jenen, man kSnnte sagen gliick- lieheren KSrpertheilen, welche von den Neubildungen sehr selten zum Sitze gew~hlt werden. Es kommt zwar fast jede Art der Iqeubildungen hier vor, aber weniger h~tufig.

So finder man auf der Muschel: Atherome, Fibrome (Knapp allein beobachtete binnen 6 Jahren bet I~egerinnen 8 derartige Falle), Sarkome, Fibrolipome, Gummen, Cysten (nach Hess l e t ~) sind bisher 10 F~tlle bckannt), wie auch hltufiger Lupus auriculae; verhi~ltnissm~tssig kommt auf der Ohrmuschel am seltensten das Carcinom vor.

In den Lehrblichern ftir Ohrenbeilkunde sind die krebsartigen Erkrankungen der Ohrmuschel ganz kurz behandelt, und dieses Wenige bietet auch keinen sicheren Aufsehluss, denn ihr Vorkom- men wird bald als haufig, bald wieder als sehr selten angegeben. Beztiglich der Krankheit wird auf chirurgisehe Werke hingewiesen, wo aber meist die Affection gar nicht erw~thnt wird. S c h w a r t z e selbst behandelt in seincm Werke tiber ,,Chirurgische Affectionen des Ohres" diesen Theil mtiglichst kurz.

B U r k n e r hebt in seinem Artikel ,Beitr~tge zur Statistik der Ohrenkrankheiten" 2) das ~tusserst seltene Auftreten des Auricular- carcinoms hervor~ und dass bisher blos G r u b e r 8, H e i d i n g e r 3, L u c a e , N e w a r t h und Z a u f a l je 1 Fall veriiffentlichten; dem- naeh w~tren in der Literatur bisher blos 14 F~tlle bekannt.

Thatsache ist, dass die krebsige Entartung der Ohrmuschel eine seltene Affection ist, aber eine genauere Durchmusterung der Literatur zeigt, dass sowohl ti'tiher, als namentlich nachher dennoch mehrere derartige literarisehe Falle verzeichnet sind.

l~ Archiv. f. Ohrenheilk. Bd. XXIII. 2) Ebenda. Bd. XX.

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So theilt W i n i w a r t e r I) aus B i l l r o t h ' s Klinik 7 Falle mit~ die dort binnen einem Zeitraume yon 6- -7 Jahren bchandelt warden. D e l s t a n e h e 2) erw~thnt einen Fall , wo der carein(ise Process vom Tragus ausging and sich ins Mittelohr hinein er- streckte. In dam Falle yon Charles J. K i p p 3) breitete sich der Krebs yore ~usseren Gehiirgang auf die Ohrmuschel aus; einen ahnliehen Fall beschreibt M oosa) mit der Bemerkung, dass bei seinem Kranken zugleieh Facialisl~hmung vorhanden war.

Ferner wurden F~ille yon krebsiger Entartung der Ohrmuschel and des Gehi~rgangs mitgetheilt, and zwar je 1 Fall yon K r e t s c h - m a n n 5) aus S e h w a r t z e ' s Klinik, B e z o l d ~ ) , G o r h a n und M u r r y T ) , auch yon B t i r k n e r S ) , sowie K i p p 9) und P o l a i l - l on lO); H a b e r m a n n 11) theilt aus Z a u f a l ' s Klinik auch einen Fall yon Ohrmuschelkrebs mit, der nach der Operation heilte. S t a e k e 1~) beschreibt aus S c h w a r t z e 's Klinik einen, G. B u r s auf einmal 2 Falle des Auricularcarcinoms im XXVIII. Bd. dieses Arehivs; B e r g m a n n ~3) beobachtete 4 F~ille.

Interessant ist die Mittheilung yon S e h w a r t z e 1 4 ) , der bei einer 55 Jahre alten Frau den krebsigen Process yon der Trom- melh(ihle und den GehiJrkniichelchen ausgehen sah; von hier breitete er sich nach Durchbrechung des Trommelfells entlang des GehSrgangs auf die Musehel fiber und trennte sie gewisser- maassen vom Kopfe ab. In Verbindung mit diesem Falle cr- w~ihnt S c h w a r t z e zugleich, dass das Carcinom ausserst selten vom Sehl~ifenbein ausgeht, in den meisten F~llen yon der Parotis, Ohrmuschel oder Schadelbasis. - - Einen dem S c h w a r t z e'schen Falle ~hnlichen theilt B i l l r o t h im X. Bd. des Arch. f. Chir. mit.

Meines Wissens sind bisher nut so viel F~ille von Auricular- carcinom mitgetheilt worden. Die Affection - - namentlich die Zahl der operirten F~lle - - ist ~iusserst selten. Ich muss es einem besouderen Zufalle zuschreiben, dass auf der Abtheilung des Herin Prot: B (i k e im Verlaufe von einigen Monaten 2 solche Fiille in an- sere Beobachtung kamen, welche ieh im Folgenden beschreiben will.

l) Beitrfige zur Statistik der Carcinome. 2) Arch. L Ohrenheilk. Bd. XV. 3) Zeitschr. f. Ohrenheilk. Bd. XI. 4) Ebenda. Bd. XIII. 5) Archiv f. Ohrenheilk. Bd. XXIV. 6) Ebenda. Bd. XXV. 7) Ebenda. Bd. XXVII. 8) Ebenda. Bd. XXVI. 9) Zeitschr. f. Ohrenheilk. Bd. XL

10) Arch. f. Ohrenheilk. Bd. XVII. 11) Ebenda. B. XVIII. 12) Jahresbericht der Universi~ts-Ohrenklinik in Halle a. S. 13) Notizen fiber die ia der Dorpater Klinik beobacht. Hautkrebse. 1872. 14) Archly f. Ohrenheilk. Bd. IX.

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I. M.N., 62ji~hriger Landwirth, liess sich im September 1889 auf die Ohrenklinik des St. Rochus-Spitales aufnehmen. - - Erbliehe Anlage besteht in der Familie nieht. Anamnestisch erfuhren wit, dass der Patient ungefi~hr vor io Jahren auf seiner linken Ohr- muschel am Grunde der Concha~ in unmittelbarer N~the der Incisura intertragica~ ein bohnengrosses, weisses~ mittelhartes~ iifters feuehtes~ warzcnartiges Gebilde wahrnahm. Zcitweise bildete sich aus dem w~issrigen Secrete eine Krust% welehe er - - da sic stark j u e k t e - iJfters abkratzte. Diese scheinbar unschuldige Warze vergr(isserte sich kaum im Laufe der Jahre~ verursachte aueh keinen besonderen Sehmerz~ der Kranke iibersah sic fast gi~nzlich. Vor ungefii.hr ~J4 Jahren be- gann die Warzc zu ulceriren und der Kranke nahm wahr~ dass die Ulceration quasi unter der Haut hervorbricht; seitdem breitete sieh der Geschwtirsproccss rasch aus.

Einen Arzt consultirte er erst jetzt zum ersten Mate~ der die Ausrottung der I~eubildung rieth; darauf ging aber der Kranke nicht ein und so wurde - - w i e es selmint~ solatii c a u s a - die tbrt- w~ihrend uleerirende Fliiche mit verschiedenen Salben~ Oelen und Jodoform behandelt. Kauterisirt wurde sic niemals. Eiacn Monat vor seiner Aufnahme traten heftig% steehende Sebmerzen auf~ die nach innen, in der Riehtung des Trommelfells~ ausstrahlten.

S t a t u s p r a e s e n s . Patient von starkem K~irperbau~ fast das ganze linke Ohr, iiberhaupt der Dieke nact b vergrSssert; mit Aus- nahme der Rander ist es in seiner ganzen Ausdehnung dicht~ resistent und bl~iuliehroth verfi~rbt.

Die Muschel zeigt entsprechend ihrer Rfickseite eine kleine nuss- grosse~ rothblaulich verf~irbt% dichte und resistente Erhebung. Auf der inneren Fltiche der Ohrmuschel - - hinauf bis zum unteren Crus furea% naci~ aussen his zum ~usseren Rand des Helix~ nach unten zu bis zur oberen Grenzc des Antitragus - - befindet sich ein die ganzc Musehel einnehmender~ seharf begrenzter~ mit aufgeworfcnen~ unregelm~issigen Riindern versehener~ hiJekriger - - stellenweise mit infiltrirtem Grunde - - harter~ mit eitrigem Secret und abgestorbenen Gewebsfetzen bedeekter Substanzverlust~ der sieh entlang des ~tusseren GehSrgangs gegen das Trommelfell zu fortzusetzen seheint. ~ Unter- halb der Ohrmuschel~ im Unterkieferwinkel~ befindet sich ebenfalls eine nussgrosse~ wenig bewegliche~ scharf begrenzt% rundliche und derb anzuftihlende Geschwulst. Die Halsdriisen sind nicht vergriJssert. In den iibrigen Organen sind keine Ver~inderungen vorhanden.

Patient hiJrte auf seinem linken Ohre frtiher ganz gut~ seitdem aber der Geschwiirsproeess anfing~ nahm er wahr~ dass sein Gehiir- vermiigen bctr~tehtlich schwiicher wurde.

~aeh der yon Dr. B u d ai im hiesigen pathologiseh-anatomisehen Institute ausgeftihrten mikroskopischen Untersuchung ,kann bei dem 1~eugebilde die Differentialdiagnose zwisehen Lupus und Carcinom auf Grund des mikroskopischen Befundes eher zu Gunsten des Care. epithetiale entsehieden werden".

Eine andere Fragc war jetzt die~ ob bei einer derartigen De- generation die Operation noch indieirt ist.

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S c h w a r t z e 1) betont ausdrUek]ich, dass bet carcinomat(iser Degeneration der Ohrmuschel die zur rechten Zeit ausgeftihrte Ex- cision oder Ausrottung die Ansbreitung des krebsigen Processes in das Mittelohr verhindern kann. Ebenso ermunternd sind die Angaben yon Win i w a r t e r ~ wonaeh beim Muschelkrebs die HalsdrUsen selten infiltrirt werden und auch Metastasen kaum vorkommen.

Die Operation fanden wir daher indicirt und filhrte ieh in Gegen- wart des Herrn Prof. B ~ k e , bet Assistenz des Herrn Dr. D o b r i - bain~ Seeundarius I. KL~ mittelst l~arkose aus. Ich fUhrte einen ovalen Sehnitt auf dem oberen Drittel des Helix von der Gesichts- seit% der dutch die Mittellinie der Fossa intercruralis bis zum ausseren Rande tier Muscbel ging~ yon da kam ieh unmittelbar auf die hinter der Muschel befindliche Kopfhaut, dann unterhalb des Ohrzipfels schreitend kehrte ich in den auf tier Gesiehtsseite der Muschel begonnenen Schnitt zurtick. ~aeh Entfernung der Musehel ging Herr Prof. BiJke mit einem Volkmann'schen LiJffeI in den GehiJrgang ein und kratzte bier die abgestorbenen krebsigen Gebilde aus. Nach tier Operation zeigte sieh einige Tage hindurch sine geringe abendliche Temperaturerhebung, die aber ohne Darreiehung irgend eincs Antipyreticums verschwand.

Die Wunde heilte ungest(irt; schon am Ende der 2. Woehe wen- deten wir gegen die tibermiissigen Granulationen Lapis an. 4 Woehen nach der Operation war die granulirende Wundfliiehe ungefiihr vier- kreuzerstiickgross um den Geh(trgang, und um letzteren vor Verwaeh- sung zu sehtitzen~ ftihrten wir t!~glieh ein dtinnes Drainrohr ein.

Bet seincr Entlassung am 15. November ist um die ~tussere Oeff- nung des GehCirgangs noeh eine 5 Mm. breite und ebenso lange Granulationsflitche sichtbar; der Gehiirgang selbst ist yon 3- -4 Mm. Kaliber und erstreckt sieh 2 Cm. nach innen. Die im Unterkiefer- winkel beobachtete vergrSsserte Drtise nahm seit seiner Aufnahme an Umfang nieht zu.

Seitdem sind 8 Monate vergangen u n d e s zeigt sich bet dem Kranken kein Recidiv.

II. B. J.~ 70 Jahre alt~ Tageliihner, wurde im Mat 1890 auf unsere Abtheilung aufgenommen. Seine Krankheit begann erst vor 2 Monaten~ als dis Muschel stark ansehwoll und riJthliehblau sieh verfi~rbte; nach seiner Angabe sah sie wie erfroren aus. Diese ge- schwollene Muschel brach an einigen Stellen auf~ exaleerirt% und da sie keine :Neigung zur Heilung zeigt% kam er ins SpitaL

Die linke Ohrmuschel ist faustgross geschwollen, ihrer ganzen Ausdehnung naeh earcinomatiJs degenerirt und zeigt den Anschein, als ob tier Krebs sich aueh ins Mittelohr erstrecken wiirde. Die Hals- und Axillardriisen gesehwollen.

Die grosse Ausbreitung des krebsigen Processes, das vorge schrittene Alter des Patienten und die bedeutende Kachexie contra- indicirten die Operation; er selbst willigte auch nicht ein J und verliess so ungeheilt unsere Abtheilung.

l) Die ehirurgischen Krankheiten des Ohres. 1885.