1
Carl von Ossietzky
Universität Oldenburg
Bachelorstudiengang
Germanistik und Interdisziplinäre Sachbildung
Bachelorarbeit
Titel:
„Schülervorstellungen zum Phänomen Macht. Eine qualitative
Untersuchung mit Schülern des 4. Schuljahrgangs“
Vorgelegt von:
Magdalena Hansen
Artillerieweg 42b
26129 Oldenburg
Betreuende Gutachterin: Zweite Gutachterin:
Julia Lüpkes Dr. Claudia Schomaker
Oldenburg, den 29.09.2010
2
Inhaltsverzeichnis
Seite
Einleitung 4
1. Theoretischer Hintergrund 6
1.1 Politische Macht 6
1.2 Abgrenzung der Begriffe „Macht“ und „Gewalt“ 9
1.2.1 Hannah Arendts Definition des Machtbegriffs 9
1.2.2 Macht aus Sicht des Soziologen Max Webers 10
1.3 Zusammenhang von Macht und Verantwortung 11
2. Stand der Forschung 12
2.1 Studie zur politischen Orientierung von Vor- und Grundschul-
kindern 13
2.2 Studie zu Schülervorstellungen und politikwissenschaftlichen
Vorstellungen über Demokratie 14
3. Datenerhebung und Auswertung 15
3.1 Beschreibung der Untersuchungsgruppe 15
3.2 Die Fragenkategorien 16
3.3 Darstellung der Forschungsmethodik 16
3.4 Gütekriterien 19
4. Darstellung und Interpretation der Ergebnisse 20
4.1 Vorhaben in Machtpositionen 20
4.1.1 Darstellung der Ergebnisse 20
4.1.2 Interpretation der Ergebnisse 21
4.2 Eigene Erfahrungen mit Macht 22
4.2.1 Sich selbst mächtig fühlen 22
4.2.1.1 Darstellung der Ergebnisse 22
4.2.1.2 Interpretation der Ergebnisse 23
4.2.2 Wer hat Macht über mich? 24
4.2.2.1 Darstellung der Ergebnisse 24
4.2.2.2 Interpretation der Ergebnisse 24
4.3 Macht und Verantwortung 25
4.3.1 Macht der Eltern 25
4.3.1.1 Darstellung der Ergebnisse 25
4.3.1.2 Interpretation der Ergebnisse 25
4.3.2 Macht der Lehrerin 26
3
4.3.2.1 Darstellung der Ergebnisse 26
4.3.2.2 Interpretation der Ergebnisse 27
4.4 Macht in der Politik 28
4.4.1 Ziele von Politikern 28
4.4.1.1 Darstellung der Ergebnisse 28
4.4.1.2 Interpretation der Ergebnisse 29
4.4.2 Gedanken zu Machtpositionen 30
4.4.2.1 Darstellung der Ergebnisse 30
4.4.2.2 Interpretation der Ergebnisse 30
4.4.3 Politische Verantwortung 32
4.4.3.1 Darstellung der Ergebnisse 32
4.4.3.2 Interpretation der Ergebnisse 32
4.5 Macht und Gewalt 33
4.5.1 Macht eines Löwen 33
4.5.1.1 Darstellung der Ergebnisse 33
4.5.1.2 Interpretation der Ergebnisse 34
4.5.2 Zwang und Erpressung 35
4.5.2.1 Darstellung der Ergebnisse 35
4.5.2.2 Interpretation der Ergebnisse 36
4.5.3 Unterschiede Macht und Gewalt 37
4.5.3.1 Darstellung der Ergebnisse 37
4.5.3.2 Interpretation der Ergebnisse 37
4.6 Der Machtbegriff 38
4.6.1 Darstellung der Ergebnisse 38
4.6.2 Interpretation der Ergebnisse 39
5. Konsequenzen für den Sachunterricht 39
Abschließendes 43
Literaturverzeichnis 45
Internetquellen 46
Anhang
4
Einleitung
Diese Forschungsarbeit beschäftigt sich mit Schülervorstellungen zum Phänomen
„Macht“, die in einer vierten Klasse mithilfe von Interviews erhoben worden sind. Die
Ergebnisse dieser Arbeit sollen als ein Anhalts- bzw. Ausgangspunkt für den
Sachunterricht dienen. Unterricht soll im Anschluss an die Vorstellungen der Schüler1
entwickelt werden, indem die Konzepte der Kinder aufzugreifen und zu erweitern sind.
Macht begegnet uns überall im Alltag, ob in der Politik oder im täglichen Umgang mit
den Mitmenschen. Es existieren die verschiedensten Definitionen und Auffassungen
über Macht, beschäftigt haben sich damit beispielsweise Michel Foucault, Hannah
Arendt oder Max Weber. Aufgrund der vielen Facetten, die Macht aufzuweisen vermag,
erschien es interessant, zu ergründen, welche Aspekte davon etwa zehnjährige Kinder
bereits von dem Themenfeld erfassen können und welche Gedanken und Vorstellungen
sie damit verbinden. Mit der Erhebung steht also die „soziale Verteilung der
Perspektiven auf ein Phänomen“ im Fokus2.
Um die Datenerhebungen zu vereinfachen, ist das Gebiet im Vorfeld strukturiert und
auf dieser Basis einzelne Bereiche in den Vordergrund gestellt worden, die in der
weiteren Darstellung noch genauer begründet werden. Die Befragungen wurden mit der
Methode des problemorientierten Interviews durchgeführt, da diese dem Gegenstand am
ehesten angemessen erscheint. Anschließend wurden die Daten mithilfe des
thematischen Kodierens analysiert, wobei die Antworten also Kategorien zugeteilt und
daraufhin untersucht worden sind. Dadurch konnten Gemeinsamkeiten und
Widersprüche zwischen den Aussagen deutlich gemacht werden. Um diese Analyse zu
vereinfachen, sind die Interviews zunächst offen kodiert und von jedem einzelnen eine
Fallanalyse erstellt worden. Diese werden in dem Kapitel bezüglich der Konsequenzen
der Ergebnisse für den Sachunterricht aufgegriffen, um daran die Heterogenität der
Haltungen aufzeigen zu können.
Es gibt wenige Studien über die politische Sozialisation von Kindern, bereits
vorhandene beziehen sich vor allem auf Interessen und so genannte Umweltängste3. Im
Perspektivrahmen Sachunterricht findet sich das politische Themenfeld in der sozial-
1 In der folgenden Darstellung wird die dritte Person Singular maskulin verwendet, womit aber beide
Geschlechter gemeint sind. 2Flick, Uwe: Psychologie des technisierten Alltags. Soziale Konstruktion und Repräsentation technischen
Wandels in verschiedenen kulturellen Kontexten. Opladen: Westdeutscher Verlag 1996, S. 161. Im
Folgenden zitiert: Flick, Uwe: Psychologie des technisierten Alltags. 3 Zum Folgenden vgl.: Richter, Dagmar: Gesellschaftlicher Unterricht im Anfangsunterricht. In: Gläser,
Eva (Hrsg.): Sachunterricht im Anfangsunterricht. Lernen im Anschluss an den Kindergarten.
Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren 2007, S. 98. Im Folgenden zitiert: Richter, Dagmar:
Gesellschaftlicher Unterricht im Anfangsunterricht.
5
kulturwissenschaftlichen Perspektive wieder und wird damit nicht explizit erwähnt, was
damit zusammenhängt, dass Politik aus Gesichtspunkten der Lernpsychologie und
didaktischen Fragestellungen zu wenig erforscht ist. Laut Richter gehören zur
politischen Bildung Inhaltsbereiche wie Ökonomie, Recht und Frieden, welche mit den
Konzepten bezüglich „Macht und Öffentlichkeit“ in Verbindung stehen und als
„allgemein akzeptiert“ gelten. Auch sollten politische Werte wie Gerechtigkeit und
Verantwortung gelehrt werden4. Der Anspruch dieser Arbeit soll es sein, im Kontext
des politischen Verständnisses einen Beitrag zum Forschungsgegenstand zu liefern,
wobei in dieser Arbeit Macht und Verantwortung als zentrale Kernthemen angegeben
werden können. Richter stellt die Frage, ob bereits „domänenspezifische Kompetenzen“
schon im Anfangsunterricht thematisiert werden sollten5. Diese Entscheidung müsste
dabei auf Studien über Gegenstände wie die Fähigkeit, Macht und Hierarchien in
Gruppen zu erkennen beruhen und sich mit Fragen zu Gerechtigkeit und Verantwortung
auseinander setzen. Außerdem ist die Fähigkeit der Perspektivenübernahme hier von
Bedeutung. Zehnjährige Kinder sollten laut Richter bereits das Rollenverhalten von
Personen erkennen und innere Beweggründe in die Handlungssituation mit einbeziehen
können6. Auch aufgrund dessen erscheint die Wahl für eine vierte Klasse durchaus
angemessen, auch wenn bereits schon mit acht Jahren Handlungsdilemmata erkannt und
eine unterschiedliche Gewichtung zwischen Gründen vorgenommen werden können.
Mit entsprechender Förderung und Behandlung bestimmter Themen könnten bereits
Grundschulkinder das gesellschaftliche Wissen von 14-Jährigen erreichen, sofern das
domänenspezifische Wissen und damit einhergehend auch domänenspezifische
Strukturen im Gedächtnis entstehen würden, was zum Verstehen der gesamten Domäne
beitrage. Da Reflexion über die Erscheinungsformen von Macht, die Teil des Alltags
sind, durchaus für die Reifung der Persönlichkeit und den verantwortungsvollen
Umgang sowie Empathie und Perspektivenübernahme relevant ist, ist es umso
wichtiger, Macht mit all ihrer Facetten möglichst früh zu thematisieren und damit
bewusstes Umgehen mit der eigenen Macht zu fördern, auch wenn bedacht werden
sollte, dass die Kinder trotz der Wichtigkeit entsprechend ihren Möglichkeiten und ihrer
Entwicklung an das Gebiet herangeführt und nicht überfordert werden sollten.
4 Ebd, S. 98f.
5 Zum Folgenden vgl.: Ebd, S. 100.
6 Ebd, S. 102.
6
1. Theoretischer Hintergrund
Im Folgenden soll das Phänomen „Macht“ aus verschiedenen Perspektiven
wissenschaftlich beleuchtet werden. Dabei wird der Schwerpunkt auf den Bereich
Politik, auf die Abgrenzung des Begriffes „Macht“ gegenüber dem der „Gewalt“ sowie
der Zusammenhang zwischen Macht und Verantwortung gelegt.
Da in dieser Arbeit der Schwerpunkt nur auf einigen Bereichen des Themas „Macht“
liegt, werden die übrigen Disziplinen in der hier aufgeführten Theorie nicht weiter
berücksichtigt.
1.1. Politische Macht
Ein Bereich, der in den Interviews eine zentrale Bedeutung einnimmt, ist der über die
Schülervorstellungen zu politischer Macht. Daher soll hier ein kurzer Abriss über die
Erscheinungsformen von Macht in der Politik gegeben werden. Dabei steht auch im
Vordergrund, wie sich die Macht des Einzelnen in Bezug auf die Macht der Masse7
verhält, um somit aufzeigen zu können, welcher Zusammenhang zwischen der Macht
von Politikern und der der Bevölkerung besteht.
Ein Phänomen von Macht ist, dass sie nie stabil und immer in Bewegung zu sein scheint
und nicht diktatorisch verfügbar ist8. Sie entsteht aus dem Zusammenspiel vieler
Akteure, sodass durch die Macht der Masse auch die jedes Einzelnen Mitglieds dieser
wächst. Eine Störung dieser Macht kann nur durch Trägheit oder Einflüsse von außen
bewirkt werden. Gegenmächte wie beispielsweise Regierungen, Verfassungsordnungen
oder Traditionen können der Volkssouveränität entgegentreten und diese stören. Eine
solchen Gegenmacht kann durch Inszenierung des „Vorausliegenden“ gesteigert werden
und stellt damit einen Gegenpol zur Volkssouveränität dar. Eine Einschränkung der
Macht der Volkssouveränität, ob von innen oder außen, kann mit Gewalt erreicht
werden. Die Basis für eine produktive Macht jedoch sei immer eine vom Volk
ausgehende. Diese Macht der Masse kann nur dann zerstört werden, wenn sich durch
Gewalt ein Einzelner aus der Masse isoliert und sich über diese erhebt. Somit kann ein
Gewaltmonopol entstehen, denn durch Gewalt eines Einzelnen kann die Masse zur
Ausführung von Befehlen gezwungen werden, sodass aus der Macht der Masse
Ohnmacht werden kann.
7Der Begriff „Masse“ wird von verschiedenen Autoren der hier verwendeten Literatur verwendet und ist
gleichbedeutend mit „Gesellschaft“. 8 Zum Folgenden vgl.: Schwarte, Ludger: Macht und Aktion. Zur Performanz politischer Öffentlichkeit.
In: Haas, Birgit: Macht. Performativität, Performanz und Polittheater seit 1990, S. 141. Im Folgenden
zitiert: Schwarte, Ludger: Macht und Aktion.
7
Da durch die Masse die Macht des Einzelnen wächst, wachsen damit auch deren
Handlungsmöglichkeiten. Demnach hat Gewalt keine Chance, wenn die Masse in der
Lage ist, sich zu organisieren. Macht geht nach Arendt und Foucault aus einer „Vielfalt
sozialer Beziehungen“ hervor, wodurch Subjektwerdung mit positiven Effekten erzielt
werde9. Diese Subjekte gingen aus Machtbeziehungen hervor und würden aus ihnen
geformt. Foucaults „Gouvernementalität“ teilt sich in die „Regierung des Selbst“ und
die „Regierung der anderen“10
. Subjektivität werde demnach also nicht nur durch
Herrschaft geformt, sondern auch durch die „Arbeit“ an sich selbst, was die Macht über
das eigene Subjekt fördere. Die eigene Identität werde durch Selbsttechnologien
bestimmt, die sich aus externen und internen Faktoren bilden. Die Macht der Masse
könne sich nur da entfalten, wo sich die vielen Einzelnen „von der Gewalt eines
Herrschaftssystems nicht bannen lassen“.
Politik wird durch Personen ausgeführt, die im Idealfall im Auftrag und vor allem im
Interesse der Bevölkerung handeln. Die meisten Politiker sind Berufspolitiker, einige
Ausnahmen stellen Fachkräfte dar, die zeitweise aus Wissenschaft und Wirtschaft als
Experten politisch agieren11
. Wollte man eine grobe Einteilung der Politikertypen
vornehmen, käme man auf drei Gruppierungen, die hauptsächlich danach unterschieden
werden, welche Machtambitionen sie verfolgen12
. Die Ziele der ersten Gruppe sind eher
diskret, die entsprechenden Kandidaten streben ein Amt an, ziehen sich dann aber oft
etwas zurück. Die Ambitionen der zweiten Gruppe sind statisch, was bedeutet, dass
Versuche unternommen werden, eine langfristige Karriere anzustreben. Der so genannte
progressive Typ nutzt ein Amt in der Regel als „Wartestation“ für ein nächsthöheres
und bildet somit die dritte Gruppe. Will man die Ambitionen eines Politikers
herausfinden, sind Interviews selten eine erfolgversprechende Methode, da sich viele
gar nicht über ihre eigenen Ziele bewusst sind13
. Ist das Machtstreben eher hoch, wird
die entsprechende Person wahrscheinlich eher ein Ministerpräsidentenamt favorisieren,
anstatt auf einen Posten in der Bundesregierung zu hoffen. Selbst rückblickend, wie
beispielsweise in Memoiren, wird das eigene Verhältnis zu Machtpositionen selten von
ehemaligen Amtsinhabern reflektiert14
.
9 Zum Folgenden vgl.: Ebd, S. 142.
10 Zum Folgenden vgl.: Ebd, S. 143.
11 Beyme, Klaus von: Die politische Elite in der Bundesrepublik Deutschland. München: R. Piper & Co.
Verlag 1971, S. 109f. Im Folgenden zitiert: Beyme, Klaus von: Die politische Elite in der Bundesrepublik
Deutschland. 12
Zum Folgenden vgl.: Ebd, S. 110. 13
Zum Folgenden vgl.: Ebd, S. 111. 14
Ebd, S. 112.
8
Die politische Verantwortung, die vor allem in den Fällen übernommen werden muss,
wenn ein Schaden entstanden ist, liegt häufig bei Personen, die gar nicht direkt in die
Geschehnisse hätten eingreifen können. Da sie aber eine gewisse Position bekleiden,
wird oft verlangt, dass die Verantwortung für Fehler, die beispielsweise zwar im selben
Ressort, aber auf unterer Stufe passiert sind, von den Inhabern solcher höheren Posten
übernommen wird15
.
Ob die Persönlichkeiten, die in der Politik hohe Ämter bekleiden, immer geeignet sind,
darüber lässt sich streiten. Die Kritik von Karl Jaspers lautet beispielsweise, dass die
führenden Persönlichkeiten „nicht die besten“ seien und damit keine Wertelite in
Deutschland regiere16
, wie es früher noch eher der Fall gewesen sei. Zu den Faktoren,
die früher ein Eliteprädikat ausgemacht haben, zählten Beruf, Bildung, Besitz, Alter und
die politische Ausbildung und Tätigkeiten17
. Der Elitetheoretiker Nadel hingegen
definiert diese so genannte Elite in der Hinsicht, dass diese auf allgemeinen,
nachahmbaren Qualitäten beruht und nicht auf einem Status bezüglich
Familienzugehörigkeit und Prestige. Politiker erfüllten heutzutage außerhalb der
politischen Welt keine Vorbildrolle mehr, was auch mit der Abnahme der Elitenführung
zu begründen sei. Die Eigenschaften, die ein Politiker in sich vereinigen sollte, werden
als Rollenerwartungen an ihn herangetragen. CDU-Mitglied Merkatz prägte 1958
folgende Stellungnahme: „Wer von Elite spricht, rechnet sich gar zu gern dazu, und wer
Masse sagt, macht meistens den stillen Vorbehalt, nicht dazu zugehören. Wirklicher
Rang ist etwas Unbewußtes, Natürliches, Selbstverständliches. Wer einen Rang
beansprucht, hat ihn damit schon verloren (…)“18
. Es ist zu vermuten, dass damit auch
politische Ränge gemeint sind. In Bezug auf das Machtstreben und den Status einer
Person vertritt Merkatz also die Ansicht, dass eine solche Position nicht durch einen
bestimmten Vorgang errungen werden kann, sondern vielmehr natürliche Autorität und
Ausstrahlung entscheidend sind. Willy Brandt allerdings hat eine etwas andere
Auffassung: „(…) Vertrauen gewinnt nur, wer Vertrauen ausstrahlt. Macht erlangt man
nicht ohne Willen zur Führung (…)“19
. Letztendlich scheint das Ansehen bei Partei und
Volk größere Auswirkungen auf die Macht eines Politikers zu haben, als dessen
Leistung20
, wobei normalerweise das Ansehen bei guter Leistung steigen sollte. Rainer
Barzel äußert sich bereits 1947 dahingehend, dass Politiker uneigennützig nach dem
15
Ebd, S. 113. 16
Ebd, S. 116f. 17
Zum Folgenden vgl.: Ebd, S. 117. 18
Ebd, S. 172. 19
Ebd, S. 176. 20
Ebd, S. 186.
9
Gesamtwohl streben sollten21
, denn „die Parteien sollten bei allem Trennenden
unaufhörlich nach dem Einenden suchen, damit wir zu einer tatsächlichen Demokratie,
das ist zu einer Volksherrschaft, nicht aber zur Herrschaft irgendwelcher Parteien oder
Parteikonstellationen kommen“. Dieses Zitat verdeutlicht das Streben
Nachkriegsdeutschlands noch vor der Gründung der BRD, eine funktionierende
Demokratie aufzubauen, in der das Wohl des Volkes im Fokus stehen soll und nicht die
Macht einer Elite, die das System für die eigenen Interessen ausnutzt. Es sollte aber
auch angemerkt werden, dass laut Artikel 21 des Grundgesetzes die Parteien zur
politischen Willensbildung des Volkes mitwirken22
.
1.2 Abgrenzung der Begriffe „Macht“ und „Gewalt“
Ein zentrales Thema in den Schülerbefragungen stellte der Bereich „Macht und Gewalt“
dar. Die Auseinandersetzung mit den Definitionen Hannah Arendts und Max Webers in
Bezug auf den Machtbegriff ist im Zusammenhang dieser Arbeit deshalb interessant,
weil Arendt Macht klar von Gewalt unterscheidet und es für sie keine Rechtfertigung
gibt, Gewalt einzusetzen, um Macht durchzusetzen, während Weber Macht wie folgt
definiert: „Macht bedeutet jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen
Willen auch gegen Widerstand durchzusetzen, gleichviel woraus diese Chance
besteht“23
. Da die Schüler durchaus ambivalente Sichtweisen zu diesem Gebiet gezeigt
haben, scheint es interessant, die Aussagen der Kinder mit den Definitionen Arendts
und Webers zu vergleichen.
1.2.1 Hannah Arendts Definition des Machtbegriffs
Arendts Theorie zielt auf eine differenzierte Sicht zwischen den beiden Begriffen
„Macht“ und „Gewalt“ ab, welche auch Gesprächsinhalt der Interviews ist.
Theorien, wie beispielsweise der von Schmitt, nach der Macht auf der Legitimität der
Gewaltausübung beruht, lehnt Arendt ab24
. Sie ist der Ansicht, „Ohnmacht der Bürger
öffnet der Diktatur die Türen“25
. Gewalt definiert Arendt als physische Gewalt, sie
21
Zum Folgenden vgl.: Ebd, S. 173. 22
http://www.bundestag.de/dokumente/rechtsgrundlagen/grundgesetz/gg_02.html am 28.09.2010. 23
http://www.slidefinder.net/d/definition_von_macht_ausgew%C3%A4hlte_beispiele/9535060 am
22.09.2010. 24
Schönherr-Mann, Hans-Martin: Hannah Arendt. Wahrheit. Macht. Moral. München: Verlag C. H. Beck
2006, S. 138. Im Folgenden zitiert: Schönherr-Mann, Hans-Martin: Hannah Arendt. Wahrheit. Macht.
Moral. 25
Zum Folgenden vgl.: Ebd, S. 139.
10
beruft sich oft auf die griechische Antike, als Herrschaft in und Kriege zwischen den
Stadtstaaten stattfanden.
Nach Arendt existiert Macht nur aufgrund von Gruppendynamik, wenn jemand Macht
habe, werde er dazu von anderen ermächtigt26
, denn „Macht entsteht nicht durch
gewaltsame Unterdrückung, sondern durch freiwillige Zustimmung, durch öffentliche
Kommunikation“. Nach dieser Auffassung habe ein Einzelner nie Macht, sondern
höchstens Stärke bzw. physische Überlegenheit. Im Gegensatz zu den Aussagen in der
Theorie von Schmitt brauche Macht auch immer eine ethische Komponente und einen
verantwortlichen Umgang27
. Ihrer Ansicht nach gewinnt der Staat durch die
Gewaltenteilung an Macht, statt ihn dadurch zu schwächen, da sich dessen Ansehen bei
der Bevölkerung, der Masse, dadurch steigere. Wirklich frei seien nur die, die nicht
unter Beherrschten leben, denn keiner sei frei, wenn der eine den anderen beherrscht28
.
Für Arendt steht Gewalt nicht mit politischer Macht in Verbindung29
. Sie nimmt in
ihren Theorien Bezug auf Immanuel Kant und dessen „Kritik der Urteilskraft“, was mit
ihrer Auffassung harmoniert30
. Laut Arendt können „Freiheit und gewaltfreie Macht
(…) sich nur in einer gewaltfreien Handlung selber manifestieren“, was zum einen
hieße, dass Gewaltausübung zur Bewirkung von Frieden widersprüchlich wäre31
und
eine demokratische Gesellschaft nur mit gewaltfreien Mitteln verteidigt und begründet
werden könne32
. Auch solle die „Macht des besseren Arguments“ herrschen, was
bedeuten würde, dass sich die Masse einem so genannten Aggressor nicht unterwirft.
Dieser könne daher nicht mit der Folgsamkeit der Masse rechnen, also fände eine
soziale Verteidigung statt33
.
1.2.2 Macht aus Sicht des Soziologen Max Webers
Eine eher gegensätzliche Auffassung des Machtbegriffes zu der von Hannah Arendt
wird durch den Soziologen Max Weber vertreten. Da er Gewalt durchaus als Mittel der
Machtausübung und Machtdemonstration für legitim hält, vertritt er eine Gegenposition
zu Arendt, die daher ebenfalls an dieser Stelle aufgegriffen werden soll. Dadurch wird
26
Zum Folgenden vgl.: Ebd, S. 140. 27
Zum Folgenden vgl.: Ebd, S. 141. 28
Ebd, S. 144. 29
Kulla, Ralf: Politische Macht und politische Gewalt. Krieg, Gewaltfreiheit und Demokratie im
Anschluß [sic] an Hannah Arendt und Carl von Clausewitz. Hamburg: Verlag Dr. Kovac 2005, S. 100. 30
Ebd, S. 101. 31
Ebd, S. 137. 32
Ebd, S. 137f. 33
Ebd, S. 139f.
11
verdeutlicht, dass keine einheitlichen Auffassungen darüber bestehen, ob Macht mit
Gewalt durchgesetzt werden dürfe, oder ob diese Begriffe klar getrennt werden sollten.
Macht ist für Weber ein schwer definierbarer Begriff, sie sei „die Chance, innerhalb
einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen,
gleichviel, worauf diese Macht beruht“34
. Wenn in einer sozialen Beziehung Macht
ausgeübt wird, sei das von der „Ungleichheit der Chancen“ abhängig35
. Macht und
Herrschaftsansprüche seien durch „Legitimität des Unterschieds“ gekennzeichnet36
, der
Stärkere habe somit das Recht, sich seine Überlegenheit zunutze zu machen und besitze
damit die Macht über den Unterlegenen. Privilegierte gingen ihrem natürlichem
Bestreben nach Überlegenheit nach, was eine Selbstrechtfertigung der Herrschenden
gleichkommt. Wahlen dienen somit also nicht der Machtübertragung eines vom Volk
ausgewählten Politikers, sondern der Bestätigung durch die Beherrschten37
.
1.3 Zusammenhang von Macht und Verantwortung
Macht aufgrund von Verantwortung erleben Kinder im täglichen Alltag, ob in der
Schule oder in der Familie bzw. im sozialen Umfeld, daher beinhaltet ein Teil der
Erhebung die Vorstellungen der Schüler zu diesem Bereich, wobei vor allem im
Vordergrund stehen soll, ob die Verantwortung im Handeln von beispielsweise den
Eltern bereits erkannt wird.
Elementar für die moralische Entwicklung und damit auch die Ausprägung der
Möglichkeit, den Sinn und Zusammenhang im Handeln anderer erkennen zu können, ist
die Fähigkeit der Rollenübernahme38
. Diese ist wichtig, um eine Rolle in der Familie,
Schule oder sonstigen Umgebung „spielen“ zu können, die Rolle anderer gegenüber
dem Selbst muss dabei anerkannt werden. Wichtig ist dabei auch, dass der Sinn und
Zweck von Rechten und Pflichten deutlich ist. In der Regel hängen Intelligenz und
moralisch fortgeschrittenes Denken zwar zusammen, allerdings bedeutet eine hohe
Intelligenz nicht zwingend eine hohe Fähigkeit im moralischen Denken, wohingegen
eine hohe Moral meistens mit hoher Intelligenz einher gehe39
. Neben der Intelligenz ist
aber ebenso die bereits angesprochene Rollenübernahme wichtig, die durch Erfahrungen
34
Weber, Max/Foucault, Michael: Über Macht und Herrschaft in der Moderne. Pfaffenweiler: Centaurus-
Verlagsgesellschaft 1993, S. 9. Im Folgenden zitiert: Weber, Max/Foucault, Michael: Über Macht und
Herrschaft in der Moderne. 35
Ebd, S. 12. 36
Zum Folgenden vgl.: Ebd, S. 19. 37
Ebd, S. 20. 38
Zum Folgenden vgl.: Kolberg, Lawrence: Die Psychologie der Moralentwicklung. Frankfurt/Main:
Suhrkamp 1997, S. 32. Im Folgenden zitiert: Kolberg, Lawrence: Die Psychologie der Moralentwicklung. 39
Zum Folgenden vgl.: Ebd, S. 33.
12
in sozialen Gruppen, in denen das Kind sich bewegt, geschult wird. Je höher die soziale
Schicht eines Kindes ist, desto höher ist oft auch das moralische Urteilsvermögen
entwickelt, ebenso sind beliebtere Kinder in dieser Hinsicht gegenüber weniger
beliebten im Vorteil, was wahrscheinlich mit den Möglichkeiten des Trainings der
Rollenübernahme in Zusammenhang steht40
.
Von hoher Bedeutung für die Ausbildung einer guten Rollenübernahmefähigkeit und
damit einhergehend einer möglichst hohen moralischen Entwicklung hat sich die
Identifikation mit den Eltern herausgestellt41
. Unter Identifikation wird die „allgemeine
Tendenz, sich in die Rolle des strafenden und kritisierenden anderen zu versetzen“
verstanden, nur dann könne auch das eigene Handeln kritisiert und hinterfragt werden.
Die moralische Rollenübernahme entwickelt sich mit dem frühen Kindesalter, wenn es
starke Gefühle wie Angst, Liebe und Respekt erlebt und in Folge dessen eine
Identifikation mit der Erwachsenenpersönlichkeit und deren Vorschriften und Regeln
erfährt42
. Wichtiger als die moralischen Werte der Eltern seien Wärme und der Wunsch
der Kinder, wie die Eltern sein zu wollen, sich diese also zum Vorbild zu nehmen. Ein
positives Selbstbild der Kinder ist also am wichtigsten für die Moralentwicklung, dieses
entstehe durch elterliche Liebe und Fürsorge43
.
Fehlt die oben beschriebene Rollen- und Perspektivenübernahmefähigkeit, oder auch
Empathie und sozial-ethische Reflexivität, kann in Folge einer verschobenen
Reziprozität zwischen dem Ego und den Allos, eine mehr oder weniger ausgeprägte
Form des Egozentrismus entstehen44
. Diesen Kindern dürfte es schwerer fallen, die
Motive verantwortlich handelnder Personen als solche zu erkennen und somit auch
seltener sozial verantwortlich zu handeln, also einer hilfebedürftigen Person
uneigennützig Unterstützung anzubieten45
.
2. Stand der Forschung
Wenn es auch keine Studie über das Verständnis von Schülern zum Begriff Macht gibt,
so sollen an dieser Stelle jedoch zwei Studien angeführt werden, die sich mit dem
Politik- bzw. Demokratieverständnis auseinander setzen. Da sich diese
40
Zum Folgenden vgl.: Ebd, S. 34. 41
Zum Folgenden vgl.: Ebd, S. 35. 42
Zum Folgenden vgl.: Ebd, S. 36. 43
Ebd, S. 37. 44
Kleiter, Ekkehard F.: Egozentrismus, Selbstverwirklichung und Moral. Über den Zusammenhang von
Selbstverwirklichung/Individualisierung, Egozentrismus und Verantwortung/Moral. Weinheim:
Deutscher Studien Verlag 1999, S. 123. 45
Ebd, S. 137.
13
Forschungsarbeit in mehrere Bereiche der Macht gliedert und neben Verantwortung und
dem Unterschied zwischen Macht und Gewalt ein zentraler der der Politik ist, soll
angemerkt werden, dass die hier vorgestellten verwandten Studien sich vorrangig auf
die politischen Aspekte beziehen, da keine mit den anderen Gebieten vergleichbaren
Studien gefunden werden konnten. Die Probanden der hier vorgestellten Studien sind in
Bezug auf das Alter nicht unbedingt mit denen dieser Arbeit vergleichbar, da sie
entweder jünger, oder aber deutlich älter sind. Thematisch sind aber durchaus Parallelen
erkennbar.
2.1 Studie zur politischen Orientierung von Vor- und
Grundschülern
Eine verwandte Studie ist von Marina Berton und Julia Schäfer von der Universität
Mannheim durchgeführt worden46
. Zur Ergebnisgewinnung wurden Tiefeninterviews
und Pretests in zwei Gruppen durchgeführt, eine bestehend aus Vorschul-, die andere
aus Grundschulkindern im Alter von sechs und sieben Jahren. Es wurden vier
Themenbereiche festgelegt:
• Gesellschaftliche Problembereiche
• Macht und Deutschland
• Europa
• Einstellungen
Da sich diese Arbeit schwerpunktmäßig mit den Schülervorstellungen zu Macht
beschäftigt, soll an dieser Stelle auch nur auf die Ergebnisse des zweiten
Themenbereiches eingegangen werden.
Um zu erfahren, über welche politischen Vorkenntnisse die Kinder bereits verfügen,
wurden den Kindern folgende Fragen gestellt:
• Glaubst du, dass es irgendjemanden in der Welt gibt, der ganz viel bestimmen
darf/kann?
• Glaubst du, dass es irgendjemanden in Deutschland gibt, der ganz viel
bestimmen darf/kann?
• Hast du schon mal etwas von Politikern gehört?
• Hast du schon mal etwas von Politik gehört?
• Hast du schon mal etwas von einem Bundeskanzler gehört?
46
Zum Folgenden vgl.: http://www.mzes.uni-mannheim.de/publications/wp/wp-86.pdf am 08.09.2010.
14
• Hast du schon mal etwas von Parteien gehört?
• Hast du schon mal etwas von Gesetzen gehört?
• Weißt du, was die Hauptstadt von Deutschland ist?
Konnten die Kinder zu einer der Fragen etwas sagen, wurden sie dazu angeregt, ihr
Wissen näher zu erläutern. Unter den Befragten herrschte eine geringe bis gar keine
Vorstellung darüber, wer in der Welt die meiste Macht besitze. Die Antworten in der
Gruppe der Vorschulkinder reichten von „keiner“ über „Gott“ bis hin zu gar keiner
Antwort. Die Kinder der zweiten Gruppe waren ähnlich ratlos, lediglich ein Kind gab
an, dass es mehrere Mächtige in der Welt gäbe. Die Frage nach der Macht in
Deutschland konnte im Vergleich dazu schon genauer beantwortet werden. In der ersten
Gruppe gaben vier von elf Befragten den Bundeskanzler an, in der zweiten waren es
sogar sieben von zehn Kindern, wahlweise wurde auch der Staatspräsident genannt,
oder auch Posten wie Bürgermeister und König.
Auch nach dem Bundeskanzler wurde gefragt, dessen Namen (Gerhard Schröder) in der
ersten Gruppe vier und in der zweiten Gruppe sieben Kinder nennen konnten. Einige
Kinder konnten ihn sogar auf einem Bild erkennen bzw. auch teilweise dessen
Aufgaben erklären. Die Kinder der ersten Gruppe konnte nur wenig mit den Begriffen
„Politiker“ oder „Partei“ anfangen, oder die Hauptstadt Deutschlands benennen,
während den Kinder der zweiten Gruppe zumindest teilweise der Begriff „Politiker“
bekannt war, nur zwei Kindern sagte der Begriff „Partei“ etwas. Allerdings kannten
sieben der Kinder aus der zweiten Gruppe die Funktion von Gesetzen und zumindest
einige wussten, dass Berlin Deutschlands Hauptstadt ist und wie die Deutsche Flagge
aussieht.
Es kann abschließend festgehalten werden, dass die Befragten der ersten Gruppe
deutlich weniger politische Kenntnisse gehabt haben, als die der zweiten Gruppe, was
allerdings weniger mit dem Alter, als vielmehr mit dem Schuleintritt zu erklären sei.
2.2 Studie zu Schülervorstellungen und politikwissenschaftlichen
Vorstellungen über Demokratie
Sven Heidemeyer hat in der elften Klasse eines Wirtschaftsgymnasiums eine Studie
zum Demokratieverständnis der Schüler durchgeführt47
, deren Ergebnisse er mit dem
47
Heidemeyer, Sven: Schülervorstellungen und politikwissenschaftliche Vorstellungen über Demokratie.
Ein Beitrag zur politikdidaktischen Rekonstruktion. Oldenburg: Didaktisches Zentrum 2006, S. 58. Zum
Folgenden vgl: Heidemeyer, Sven: Schülervorstellungen und politikwissenschaftliche Vorstellungen
über Demokratie.
15
Konzept der politikdidaktischen Rekonstruktion aufbereitet hat48
. Hauptsächlich werden
in der Studie zwei der problemzentrierten Interviews exemplarisch dargestellt und
analysiert.
Politische Mitbestimmungsmöglichkeiten bestehen für die befragten Schüler lediglich
durch Wahlen, eine ständige Partizipation der Bürger scheint kaum vorstellbar49
. Bei
den einzelnen Politikern, die nicht zwingend im Sinne des Volkes handeln würden,
liege relativ viel Verantwortung und Macht. Machtmissbrauch von Seiten der Politiker
wird aber ausgeschlossen und Kontrollen von Führungspersonen scheinen unnötig,
obwohl Politiker teilweise als „nicht dem Ideal entsprechend“ empfunden werden. Laut
Auffassung der befragten Schüler entscheiden gewählte Vertreter aber in der Regel im
Interesse des Volkes, sind allerdings nicht zwingend an dessen Willen gebunden,
obwohl immer das Wohl aller im Fokus stehen sollte50
. Dem Volk wird zumindest von
einer der beiden Befragten eine passive Rolle zugeschrieben, es sei auf Vorschläge und
die Kompetenz der „Elite“ angewiesen, diese Führungskräfte gingen aus sozialen
Gruppen hervor und würden oft auch eigene Interessen verfolgen51
.
3. Datenerhebung und Auswertung
3.1 Beschreibung der Untersuchungsgruppe
Die Untersuchungsgruppe bestand aus der vierten Klasse einer Grundschule in
Niedersachsen, von den 20 Schülern lagen von 12 die Einverständniserklärungen der
Eltern vor, sodass mit diesen ein Interview durchgeführt werden konnte. Es wurden fünf
Jungen und sieben Mädchen befragt, für die vorliegende Forschungsarbeit wurden
jedoch lediglich die Interviews von jeweils drei Jungen und drei Mädchen ausgewählt.
Die Auswahl erfolgte nach inhaltlichen Kriterien, da sich besonders unter den Mädchen
die Antworten teilweise sehr ähnlich waren, ist darauf geachtet worden, dass sich die
Interviews zwar in ihren Kategorien, aber nicht zu sehr in den Ansichten der Schüler
gleichen, da die Heterogenität der Haltungen und Vorstellungen, die innerhalb einer
Klasse vorherrschen, aufgezeigt werden soll. Die Entscheidung fiel auf eine vierte
Klasse, da in diesem Alter bereits differenziertere Sichtweisen auf ein Phänomen
erfolgen können, als dies in den ersten Jahren der Grundschulzeit der Fall sein dürfte.
48
Ebd, S. 11. 49
Zum Folgenden vgl.: Ebd, S. 89. 50
Zum Folgenden vgl.: Ebd, S. 90. 51
Ebd, S. 91.
16
Lennart52
weicht in seinen Antworten in vielerlei Hinsicht von seinen
Klassenkameraden ab und kann daher nicht in allen Kategorien mit ihnen verglichen
werden. Dennoch soll das Interview mit ihm in dieser Arbeit aufgegriffen werden, da es
denkbar ist, dass es durchaus Kinder gibt, die ähnliche Auffassungen haben, die
möglicherweise auch durch ihre familiäre Sozialisation und ihr soziales Umfeld geprägt
wurden. Auch wenn man bei Lennart nicht ganz sicher sein kann, ob er alles immer
ernst meint, was er antwortet, sollte nicht unterschätzt werden, welche Auswirkungen
gewaltverherrlichende Spiele haben können. Daher scheint es interessant, seine
Sichtweisen genauer zu analysieren.
3.2 Die Fragenkategorien
Da das Thema „Macht“ ein zu großes ist, als dass es in allen interessant scheinenden
Facetten in dieser Arbeit berücksichtigt werden könnte, haben sich im Laufe der
Themenfindung insgesamt vier Kategorien als besonders geeignet herausgebildet, da
anzunehmen ist, dass diese durchaus schon in der Erfahrungswelt der Kinder einer
vierten Klasse vorkommen und in gewisser Hinsicht auch deren Leben beeinflussen.
Zunächst zielen die Fragen im Allgemeinen auf die eigenen Erfahrungen der Kinder mit
Macht ab. Dabei wird im Groben unterschieden, wer Macht über die Befragten habe
und wann sie selbst das Gefühl verspüren, Macht zu besitzen. Daran anschließend wird
der Themenbereich „Macht und Verantwortung“ in den Fokus gestellt, der vor allem
mit den Personen der Eltern, aber auch der der Lehrer verbunden ist. Des Weiteren
scheint die Frage interessant, inwiefern die Schüler die Begriffe „Macht“ und „Gewalt“
unterscheiden und ob für sie zwischen diesen ein Zusammenhang besteht. Zuletzt geht
es um das Gebiet der politischen Macht, wobei die Interviews je nach Verlauf
verschiedene Schwerpunkte haben, die entweder eher auf politischer Verantwortung
oder auch vermehrt auf Gedanken zu Machtpositionen beruhen.
Im Verlauf der Interviews sind durchaus auch weitere Aspekte angesprochen worden,
die teilweise ebenfalls in die Darstellung und Auswertung mit einbezogen wurden.
3.3 Darstellung der Forschungsmethodik
Um die Vorstellungen der Viertklässler zum Thema „Macht“ erfassen zu können, fiel
die Wahl der Erhebungsmethode auf die des problemorientierten Interviews. Die
52 Alle Namen der Befragten wurden aus Datenschutzgründen geändert.
17
verbalen Daten, die nach Flick „eine der methodischen Säulen qualitativer Forschung“53
darstellen, sind anschließend mithilfe des thematischen Kodierens ausgewertet worden.
Anfangs stand als Erhebungsmethode auch das Gruppeninterview als Alternative zur
Diskussion, allerdings wurde nach gründlichem Abwägen unten stehender Vor- und
Nachteile dem problemorientierten Interview der Vorzug gegeben. Die Gefahr der
Schüchternheit einige Schüler beim Gruppeninterview ist als zu groß eingeschätzt
worden und so einige Gedanken möglicherweise nicht zum Ausdruck gekommen
wären. Die Vorstellungen zum Thema „Macht“ beruhen teilweise auf individuellen
Erfahrungen, die eher zum Ausdruck gebracht werden, wenn der Interviewte nicht von
Haltungen anderer beeinflusst wird und seine Gedanken unabhängig vom Umfeld
während des Gespräches frei äußern kann. Des Weiteren ist der Erhebungsvorgang als
solcher bei einem Gruppeninterview sehr kompliziert erschienen, sodass auch deshalb
die Gefahr hätte bestehen können, dass zentrale Aspekte verloren gehen, da das hier zu
behandelnde Thema für diese Methode zu komplex erscheint. Fakten, die für das
problemorientierte Interview gesprochen haben, waren vor allem, dass es sich bei dem
Gegenstand „Macht“ um ein gesellschaftlich relevantes Problem handelt und damit laut
Flick diese Methode durchaus empfehlenswert ist und neben den strukturellen
Vorgaben trotzdem Raum für Erzählungen und eigene Gedanken bleibt54
. Bei den
Befragungen hat es sich außerdem als vorteilhaft erwiesen, dass der Interviewer je nach
Gesprächsverlauf reagieren und so entweder einen Themenwechsel einleiten, oder auch
bei manchen Antworten genauer nachfragen konnte.
Die Daten mithilfe des thematischen Kodierens auszuwerten lag deshalb nahe, da in den
Antworten sowohl die durch die Fragenkategorien vorgegebenen Themenbereiche
Ausdruck gefunden haben, als auch die an manchen Stellen auftauchenden individuellen
Besonderheiten mit berücksichtigt werden können.
Zunächst sind von allen Interviews Fallanalysen erstellt worden, wie auch Flick sie in
einer Studie bezüglich des technisierten Alltags durchgeführt hat55
. Im Vorfeld sind
zwar oben genannte Fragenkategorien festgelegt worden, die die Interviews
strukturieren, allerdings bietet das Verfahren in der angewendeten Form auch einen
gewissen Raum für individuelle Gedanken und Erfahrungen, die in den oben genannten
Fallanalysen berücksichtigt werden und somit nicht verloren gehen.
53
Flick, Uwe: Qualitative Sozialforschung. Eine Einführung. Reinbek: Rowohlt Taschenbuch Verlag
1995, S. 268. 54
Zum Folgenden vgl.: Ebd, S. 272. 55
Zum Folgenden vgl.: Flick, Uwe: Psychologie des technisierten Alltags, S. 161.
18
Durch die Methode des problemorientierten Interviews bleibt neben den festgelegten
Kategorien immer noch Platz für narrative Sequenzen. Diese individuellen
Besonderheiten werden in der vorliegenden Forschungsarbeit indirekt mit in die
Auswertung einbezogen, wenn auch aus Platzgründen nicht in vollem Umfang bzw. in
letzter Ausführlichkeit. Der Schwerpunkt soll daher vielmehr auf den vier
Themenbereichen mit allen seinen während der Befragungen entstandenen Facetten
gelegt werden.
Die Fallanalysen werden dahingehend erstellt, dass jedes Interview einzeln analysiert
wird und die zentralen Aussagen und Besonderheiten zusammengefasst werden56
.
Anschließend ist jedes Interview nach Themenbereichen strukturiert worden, wobei im
Laufe dieses Vorgangs die nachfolgenden Fälle an den gefundenen Kategorien der
zuerst angeschauten überprüft und diese Kategorien daraufhin ggf. erweitert worden
sind.
Die Gliederung der Darstellung und Interpretation der Daten leitet sich im Folgenden
aus den in den Interviews gefundenen Kategorien ab. Um den Überblick gewährleisten
zu können und auch individuelle Besonderheiten nicht verloren gehen zu lassen, sind
die Interviews zusätzlich zu der Strukturierung in Themenbereiche auch offen kodiert
worden, was zu einer Erleichterung der Interpretation führen soll.
Die Transkription der Interviews ist in Anlehnung an den Regelkatalog von Norbert
Dittmar erfolgt57
. Dabei sind folgende Kriterien berücksichtigt worden:
1. Es wird wörtlich transkribiert, nicht lautsprachlich
2. Sprache und Interpunktion wird leicht geglättet, also an das Schriftdeutsch
angeglichen
3. Angaben, die einen Rückschluss auf eine befragte Person zur Folge haben
können, werden anonymisiert
4. Deutliche, längere Pausen werden durch Auslassungspunkte (...) markiert
5. Besonders betonte Begriffe werden durch Unterstreichen hervorgehoben
6. Zustimmende bzw. bestätigende Lautäußerungen des Interviewers (Mh, Aha
ect.) werden nicht mit transkribiert, sofern sie den Redefluss der befragten
Person nicht unterbrechen
7. Einwürfe der jeweils anderen Person werden in Klammern gesetzt
56
Zum Folgenden vgl.: Ebd, S. 161f. 57
Zum Folgenden vgl.: Dittmar, Norbert: Transkription. Ein Leitfaden mit Aufgaben für Studenten,
Forscher und Laien. Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften 2009, S. 44.
19
8. Lautäußerungen der befragten Person, die die Aussage unterstützen oder
verdeutlichen, werden in Klammern gesetzt
9. Absätze der interviewenden Person werden durch ein „I“, die der befragten
Personen durch ein Kürzel gekennzeichnet
10. Jeder Sprecherwechsel wird durch zweimaliges Drücken der Enter-Taste, also
einer Leerzeile zwischen den Sprechern deutlich gemacht, um die Lesbarkeit zu
erhöhen
3.4 Gütekriterien58
Gütekriterien
qualitativer
Sozial-
forschung
Beschreibung der
Gütekriterien
qualitativer
Sozialforschung
Anwendung für die Erhebung und Auswertung
der Daten von problemorientierten Interviews
zu Schülervorstellungen zum Phänomen Macht
Transparenz Offenheit
bezüglich der Ziele
und angewendeten
Methoden
Darstellung und Erläuterung der Methodik
bezüglich Fragestellung, Interview- und
Kodierungsweise;
Schrittweise Erläuterung des Vorgehens;
Veröffentlichung der Rohtexte der Interviews
im Anhang
Stimmigkeit Vereinbarkeit von
Zielen und
Methoden
Entscheidung für das problemorientierte
Interview, da ein gesellschaftlich relevantes
Problem im Fokus steht;
Entscheidung für die Methode des thematischen
Kodierens aufgrund der festgelegten
Themenbereiche, die eine Gliederung des
komplexen Themas „Macht“ ermöglichen
Adäquatheit Angemessenheit
der Forschungs-
resultate gegenüber
dem Gegenstand
Die Interviewten haben die Möglichkeit
erhalten, sich im Rahmen vorgegebener Fragen
zu ihren Vorstellungen zu äußern, auch
persönliche Gedanken haben ihren Raum
bekommen, wodurch ein möglichst
umfassendes Bild von den Haltungen von
Viertklässlern gegenüber einem komplexen
Themenfeld entstehen konnte;
Durch die möglichst neutral gehaltene
Interviewsituation wird gewährleistet, dass die
Schüler ihre tatsächlichen Gedanken zum
Ausdruck bringen können, ohne dem Druck von
Mitschülern oder Lehrkraft ausgesetzt zu sein,
denen gegenüber manche vielleicht gehemmt
gewesen wären;
Durch verschiedene Einstiegsfragen und
mediale Zugänge wird eine hohe Bandbreite an
Teilbereichen des untersuchten Gebietes
58
Zum Folgenden vgl.: Moser, Heinz: Instrumentenkoffer für die Praxisforschung. Zürich: Lambertus
2008, S. 18f.
20
gewährleistet
Anschluss-
fähigkeit
Verknüpfung des
untersuchten
Gebietes mit
wissenschaftlichem
Wissen und daran
anschließend neue
Erkenntnisse
Einordnung in das auf Schülervorstellungen
bezogen noch wenig erforschte Gebiet
politischen Lernens;
Fragestellung in Anlehnung an
Schülervorstellungen zu Politik und Demokratie
mit Schwerpunktlegung auf die Aspekte
Verantwortung und Abgrenzung zu Gewalt und
Machtmissbrauch mit Alltagsbezug;
Ergebnisse dieser Forschungsarbeit liefern
Ansatzpunkte für Unterricht, der Grenzen und
Möglichkeiten von Macht thematisiert und auf
verschiedene Bereiche des Lebens übertragen
werden kann
4. Darstellung und Interpretation der Ergebnisse
Die Darstellung und Interpretation der Ergebnisse soll in dieser Forschungsarbeit zwar
in zwei Schritten, jedoch nicht völlig voneinander getrennt erfolgen. Dadurch soll
gewährleistet werden, dass die sich aus der Darstellung ergebenen Interpretationen
nachvollziehbarer sind und in Abhängigkeit zu den Antworten der Kinder verstanden
werden können, da so der unmittelbare Bezug der Interpretation auf die Darstellung
erleichtert wird.
Daher wird jeder einzelne Punkt bzw. Unterpunkt dieses Kapitels, der sich mit je einem
Themenbereich bzw. einem Unterbereich beschäftigt, in zwei Teile getrennt, sodass sich
auf die Darstellung der Antworten in einem folgenden Schritt unmittelbar die
Interpretation dieser anschließt.
4.1 Vorhaben in Machtpositionen
4.1.1 Darstellung der Ergebnisse
Um es den Kindern zu erleichtern, sich in eine Machtposition hineinzuversetzen, lautete
die Einstiegsfrage bei jedem Interview: „Was würdest du tun, wenn du König/Königin
von Deutschland wärst?“. Ziel dieser Frage war es, dass sich der betreffende Schüler
vorstellen können sollte, wie es wäre, eine Machtposition zu bekleiden. Gleichzeitig
konnte somit ein erster Eindruck darüber entstehen, wie sich das jeweilige Kind die
Ausübung eines solchen Amtes vorstellt, um darauf basierend erste Erkenntnisse
bezüglich des Machtbegriffes schließen zu können.
Vier der sechs befragten Schüler gaben politische Aufgaben an, für die sie sich
einsetzen wollten. Lara ging es dabei hauptsächlich um den Naturschutz, außerdem
21
betonte sie, dass sie die Bevölkerung mitbestimmen lassen würde. Sebastian nannte den
Bau von zusätzlichen Krankenhäusern und Helena würde die Verlängerung der
Grundschule auf sechs Jahre durchsetzen, dabei bezog sie sowohl die daraus
resultierenden Vorteile der einzelnen Kinder, als auch den positiven Aspekt für
Deutschland in ihre Überlegungen mit ein. Auch Simon erklärte nach einiger Zeit des
Nachdenkens, dass er in der Politik einige Dinge ändern würde, ging jedoch nicht auf
Einzelheiten ein. Marie beantwortete die Eingangsfrage dahin gehend umfangreich, dass
sie zunächst darauf einging, was sich verschiedene Menschen unter der Ausübung eines
machtvollen Amtes vorstellen würden. Sie erwähnte dabei Aspekte wie Geld, Mode und
das Gefühl, alles bestimmen zu dürfen. Sie selbst stellt sich ihr Handeln in einer solchen
Position so vor, dass sie die Welt „kunterbunt erstellen“ würde. Auf Nachfrage
begründet sie diese Antwort damit, dass jeder bunt sei und ihr das gut gefiele. Lennart
äußerte den Wunsch, die Welt zu regieren, wobei er angab, dieses Vorhaben mit der
Nutzung von Waffen umzusetzen. Zusätzlich erwähnte er, Deutschland geografisch
erweitern zu wollen, Schulen und Hausaufgaben abzuschaffen und stattdessen
Einkaufszentren zu bauen, wobei ihm wichtig war zu betonen, dass seine derzeitige
Schule erhalten bleiben sollte und nur der Spielplatz verbesserungswürdig sei.
4.1.2 Interpretation der Ergebnisse
Schaut man sich die Antworten im Überblick an, fällt als erstes auf, dass die Kinder
überwiegend das allgemeine Wohl berücksichtigt haben, eigene Interessen zunächst
nicht im Vordergrund stehen und scheinbar keine Zufriedenheit gegenüber der aktuellen
Politik herrscht. Allerdings gehen die Vorstellungen, was in Deutschland verbessert
werden sollte auseinander, da sowohl bildungs- und umweltpolitische Themen, als auch
das Gesundheitswesen angesprochen wurden.
Lara erklärt neben ihrem Vorhaben, „für die Natur kämpfen“ zu wollen, dass sie die
Bevölkerung mitbestimmen lassen wolle. Damit zeigt sie, dass sie bereits
demokratische Strukturen verinnerlicht hat, was auch Dagmar Richter bestätigt, wenn
sie sagt, dass Kinder einer kanadischen Studie schon in jungem Alter zeigen, dass sie
Ungerechtigkeiten in Politik und Gesellschaft ablehnen59
.
Lennart weicht hier von dieser Behauptung ab, da in seinen Antworten zum Ausdruck
kommt, dass er sich keine Gedanken über das Befinden der Bevölkerung zu machen
scheint, wenn er die Möglichkeit hätte, Deutschland zu regieren. Vielmehr würde er
59
Richter, Dagmar: Gesellschaftlicher Unterricht im Anfangsunterricht, S. 102.
22
diese Ungerechtigkeiten erst verursachen, anstatt sie zu bekämpfen. Lennart ist
möglicherweise in seiner Rollenübernahmefähigkeit nicht so weit entwickelt wie seine
Klassenkameraden, da er die Konsequenzen seiner Vorhaben nicht reflektieren kann
oder will. Laut Kohlberg ist aber eben diese Kompetenz notwendig, um die
Verantwortung für das eigene Verhalten und das anderer durchschauen zu können60
.
Marie macht ihren Wunsch nach individuellen Entfaltungsmöglichkeiten deutlich,
indem sie sagt, sie „würde (…) die Welt dann kunterbunt erstellen“, scheinbar ist es ihr
wichtig, dass jeder möglichst nach den eigenen Wünschen leben kann. Möglicherweise
sieht sie sich teilweise einem Gruppenzwang gegenüber, was auch an anderer Stelle
deutlich wird, als sie anmerkt, dass eine Gruppe Macht über sie habe, wenn sie sich
miteinander gegen sie verbünden, auch merkt sie an, dass es kein schönes Gefühl sei,
wenn andere über sie bestimmen wollen. Insgesamt kann gesagt werden, dass der
Großteil der Gruppe sich der Verantwortung bewusst ist, die ein mächtiges Amt mit
sich bringt, Verbesserungen für die Allgemeinheit werden angestrebt, sodass die
Durchsetzung eigener Interessen eine untergeordnete Rolle spielt. Lara antwortet sogar
auf die Frage, ob sie auch eigene Interessen durchsetzen wolle, dass sie „für die Natur
kämpfen“ und umweltfreundlichere Autos produziert würde, sie verbindet also die
eigenen Wünsche weiterhin mit dem Vorhaben, etwas Positives für die Umwelt tun zu
wollen, was letztendlich wieder allen zu Gute kommen würde.
4.2 Eigene Erfahrungen mit Macht
Unter anderem sollte auch untersucht werden, inwieweit die Schüler bereits
Erfahrungen mit Macht gesammelt haben. Unterschieden wird an dieser Stelle zwischen
der Macht, die sie selbst ausüben und der, die sie durch andere erfahren.
4.2.1 Sich selbst mächtig fühlen
4.2.1.1 Darstellung der Ergebnisse
Die Antworten auf die Frage, ob die Schüler selbst in gewissen Situationen schon
einmal das Gefühl hatten, selbst Macht zu haben, fielen sehr unterschiedlich aus. Die
drei Jungen stimmten zu, zum Teil aber erst nach einiger Bedenkzeit, bereits eigene
Macht verspürt zu haben, allerdings gaben sie alle sehr unterschiedliche Beispiele an.
Simon berichtete von seinem Hamster, der „immer das macht“, was er will. Sebastian
sieht sich gegenüber jüngeren Kindern in einer machtvollen Position, da er sich dafür
60 Kolberg, Lawrence: Die Psychologie der Moralentwicklung, S. 32.
23
verantwortlich fühlt, diese von seiner Erfahrung profitieren zu lassen, indem er ihnen
beispielsweise neue Spiele zeigt. Lennart assoziiert das eigene Machtgefühl mit der
Situation, als er Playmobilfiguren „abgeknallt“ habe. Die befragten Mädchen antworten
alle drei, dass sie selbst noch nie Macht gehabt hätten. Während Lara auch auf
Nachfrage bei ihrer Aussage bleibt, beginnt Helena zu überlegen. Sie erklärt, dass sie
glaubt, dieses Gefühl schon einmal erlebt zu haben, kann sich jedoch an die Situation
nicht mehr erinnern. Marie ist sich ebenfalls unsicher, sie fängt nach kurzer Überlegung
an, über das Gefühl zu berichten, was man ihrer Ansicht bzw. Erfahrung nach verspürt,
wenn man sich mächtig fühlt. Dabei ist die Assoziation mit dieser Empfindung bei ihr
eher negativer Art, denn sie findet „dieses Gefühl ,Macht` ist blöd, aber kitzelt auch im
Bauch“. Dabei fällt ihr im Folgenden die Ambivalenz auf, die Macht oft darstellt,
nämlich einerseits das erhabene Gefühl, etwas bestimmen zu dürfen, andererseits die
Gefahr, sich von dieser Position dazu verführen zu lassen, die Bedürfnisse der anderen
nicht mehr ausreichend zu berücksichtigen.
4.2.1.2 Interpretation der Ergebnisse
Tendenziell lässt sich sagen, dass die Schüler sich selbst selten in machtvoller Position
erleben, zumindest nicht bewusst. Mit „Macht haben“ wird in erster Linie „bestimmen
können“ verbunden, wahrscheinlich aus dem Grund, dass diese Form von Macht am
ehesten in der Erfahrungswelt der Kinder vorkommt. Marie erkennt neben dieser
Chance, Dinge entscheiden zu können, aber auch gleichzeitig die Gefahren, die Macht
ebenfalls mit sich bringen kann, indem sie aus der Perspektive der „Unterdrückten“
schildert, dass dies kein schönes Gefühl sei. Die bereits mehrfach erwähnte
Rollenübernahmefähigkeit scheint bei ihr also gut ausgeprägt zu sein. Lennart verbindet
Macht mit physischer Überlegenheit und der Ausübung von Gewalt, auch wenn er dies
auf Nachfrage bestreitet, zeigen seine Aussagen dies deutlich. Er scheint sich seine
eigene Welt aufbauen zu müssen, da er in der realen möglicherweise wenig
Selbstbewusstsein hat und so spielerisch seine Unterlegenheit bzw. Machtlosigkeit zu
kompensieren versucht. Die hohe Gewaltbereitschaft, die Lennart im Interview zeigt
und die Tatsache, dass er allein regieren wollen würde, können Hinweise darauf sein,
dass er nur wenige soziale Kontakte hat und seine Wut über denkbare Ablehnungen
bzw. Nichtbeachtung von Altersgenossen oder auch Verwandten durch Gewaltspiele
unterdrückt bzw. dadurch auslebt. Sebastian fühlt sich gegenüber Jüngeren in einer
mächtigen Position, er hat die Verantwortung erfahrenerer Menschen als
Machtkriterium verinnerlicht. Wahrscheinlich beruht diese Vorstellung auf den
24
Erlebnissen, die Sebastian beispielsweise mit seinem Bruder gemacht hat und von
denen er während der Befragung erzählt. Er hat erkannt, dass er von dem Umgang mit
Älteren profitiert und überträgt diese Denkstrukturen auf ähnliche Beziehungen, wie
sich im Laufe des Interviews immer wieder feststellen lässt. Simon erzählt von einer
Situation mit seinem Hamster, in der er das Gefühl hatte, Macht über sein Haustier zu
haben, er verbindet möglicherweise auch aufgrund dieser Erinnerung „Macht haben“
damit, Einfluss auf das Verhalten anderer nehmen zu können.
4.2.2 Wer hat Macht über mich?
4.2.2.1 Darstellung der Ergebnisse
Die Antworten auf die Frage, wer über sie Macht habe, fallen bei allen Schülern relativ
ähnlich aus. Helena benennt als ihr gegenüber in einer machtvollen Position stehenden
Personen ihre Eltern sowie die Lehrer. Simon antwortet ebenfalls, dass seine Eltern
Macht über ihn hätten, allerdings ausschließlich diese. Marie erläutert auf die Frage hin
eine Situation, in der andere ihr in einem Streit mit einer Freundin entgegen stehen und
sich auf deren Seite gestellt haben, was sie mit der größeren Sympathie gegenüber der
Freundin begründet. Für Sebastian sind alle Personen ihm gegenüber mächtig, die älter
sind als er. Lara gibt an, dass es schon Situationen gab, in denen jemand die Macht über
sie gehabt habe, allerdings betont sie, dass sie „deren Namen nicht so gerne nennen“
möchte. Lennart stimmt erst nach mehrmaligem Nachfragen zu, dass er Lehrer in einer
ihm gegenüber mächtigeren Position sieht.
4.2.2.2 Interpretation der Ergebnisse
Die Kinder haben den Zusammenhang von Macht und Verantwortung und die Motive
von beispielsweise Eltern und Lehrern größtenteils erkannt. Tatsächlich wurden auch
die Eltern und Lehrer hauptsächlich als Personen genannt, wenn es darum gegangen ist,
wer Macht über die Kinder habe. Die Analyse der Antworten zu dem Verhältnis der
Schüler zu diesen beiden Instanzen wird aber im Folgenden noch weiter ausgeführt.
Marie hat das Gefühl, dass eine Gruppe Gleichaltriger Macht über sie habe, wenn diese
sich gegen sie stelle. Sie hat also erfahren, wie das Verhalten anderer auf sie selbst
einen sozialen Druck ausüben kann und sie sich in gewisser Hinsicht den anderen
unterlegen fühlt. Sebastian erklärt, dass Ältere ihm gegenüber mächtig seien, was auf
der bereits angesprochen Erfahrung beruhen dürfte, die er diesbezüglich gemacht hat.
Lara lässt durch ihre Aussage, dass sie die Namen derer, die Macht über sie haben, nicht
25
so gern nennen möchte vermuten, dass sie bei dieser Antwort an Situationen erinnert
wird, die sie als negativ empfunden hat und sie bei Angabe der Namen Ärger befürchtet.
Scheinbar verbindet sie „Macht haben“ auch mit der Ausübung von Druck und
möglicherweise Gewalt, um Ziele durchsetzen zu können. Anders als Lennart plant sie
aber nicht, sich möglicherweise zu rächen und gewaltvoll eine bessere Position zu
erkämpfen. Vielmehr beruhen ihre Vorstellungen eher auf Erfahrungen und in gewisser
Weise vielleicht auch auf Angst und Unterdrückung, sodass sie sozialen Druck als
Macht gegen sich empfindet.
4.3 Macht und Verantwortung
Im Rahmen dieser Forschung sollte auch überprüft werden, inwiefern die Schüler
bereits den Zusammenhang zwischen Macht und Verantwortung begreifen können,
wobei sich hier vordergründig auf die Verantwortung von Eltern, Lehrern und
Politikern konzentriert werden soll.
4.3.1 Macht der Eltern
4.3.1.1 Darstellung der Ergebnisse
Die Eltern nehmen eine besondere Rolle im Leben der Kinder ein, daher scheint es
interessant zu erfahren, ob die Schüler die Verantwortung in deren machtvollen Position
den Kindern gegenüber erkennen.
Auf die Frage, wer Macht über ihn hat, antwortet Simon, dass niemand über ihn Macht
habe, bis auf seine Eltern. Er begründet dies damit, dass diese ihm helfen wollen und
ihn auf Fehler aufmerksam machen, da er „noch ein Kind“ sei. Auch Sebastian gibt an,
dass seine Eltern Macht über ihn haben und erkennt außerdem, dass deren Vorgaben
und Regeln hauptsächlich seinem Wohl dienen. Helena erwähnt ebenfalls, dass ihre
Eltern über Macht verfügen, allerdings lässt sich aus dem weiteren Gespräch nicht
direkt ableiten, dass sie den Zusammenhang zwischen Macht und Verantwortung bei
ihren Eltern durchschaut.
4.3.1.2 Interpretation der Ergebnisse
Simon reflektiert in besonderer Weise über die Verantwortung, der seine Eltern ihm
gegenüber nachkommen. Er erkennt den Nutzen, den er später von der Fürsorge seiner
Erziehungsberechtigten haben wird und kann damit Zusammenhänge zwischen dem
Handeln der Eltern in der Gegenwart und den Konsequenzen für seine Person in der
26
Zukunft herstellen. Er hat also erfahren, dass das, was seine Eltern tun, seine Richtigkeit
hat, „auch wenn es (…) jetzt nervt“. Die Eltern haben wahrscheinlich in der
Vergangenheit oft zu seinem Wohlbefinden gehandelt und treffen, wie es bei Kindern in
seinem Alter die Regel sein sollte, die wichtigen Entscheidungen, sodass Simon
Vertrauen zum Handeln seiner Eltern entwickelt hat. Sebastian gibt ebenfalls an, dass
seine Eltern Macht über ihn haben und auch er kann eine Verbindung zwischen deren
Handeln und dem Nutzen für ihn als Kind ziehen. Allerdings reflektiert er nicht in der
Form wie Simon über den ferneren Zukunftsbezug, er macht durchgehend den
Eindruck, als lebe er überwiegend im Hier und Jetzt. Sebastian erklärt die Macht der
Eltern mit deren Alter, er bleibt also auch an dieser Stelle bei seinem Denkmuster.
Beide Jungen haben also den Zusammenhang von Macht und Verantwortung
durchschaut, was darauf schließen lässt, dass die von Kohlberg angesprochene
Rollenübernahmefähigkeit61
bei ihnen ausreichend ausgebildet zu sein scheint.
4.3.2 Macht der Lehrerin
4.3.2.1 Darstellung der Ergebnisse
Grundsätzlich haben alle befragten Schüler der Lehrerin Macht zugesprochen, wobei
vor allem die Mädchen bestritten, dass Lehrer über sie Macht haben.
Simon reflektiert in besonderer Weise über die Absichten der Lehrkraft, wie auch über
die der Eltern. Er erkennt, dass das, was Lehrkräfte von Schülern verlangen, dazu
beitragen soll, dass die Kinder später eine gute Perspektive im Leben haben. Er hat den
Zukunftsbezug zwar durchschaut, die Schule für ihn hat, lebt aber scheinbar noch sehr
in der Gegenwart und unterscheidet zwischen „Kind sein“ und „später“. Er sieht zwar
auch den Sinn von Schule und Unterricht und erledigt seine Pflichten, „auch wenn es
(…) jetzt nervt“. Simon wurde während des Interviews nicht explizit gefragt, ob die
Lehrerin Macht über ihn persönlich hat, es können also keine Angaben darüber gemacht
werden, ob die Lehrkraft von Simon auch ihm als Person gegenüber als mächtig
empfunden wird, wobei er dieser allgemein eine Macht zuspricht. Sebastian stimmt zu,
dass die Lehrerin Macht über ihn hat, wenn sie gewisse Dinge von ihm verlangt. Ob er
deren Intention durchschaut, ist seiner Aussage in dieser Situation allerdings nicht zu
entnehmen. Lennart bestreitet zunächst, dass die Lehrkraft Macht über ihn hat, erst als
ihm eine konkrete Situation geschildert wird, widerruft er seine Aussage. Auf die
Nachfrage, warum die Lehrerin gewisse Dinge von den Schülern verlangt, wird keine
61 Ebd, S. 32.
27
Antwort gegeben, die darauf hindeutet, dass Lennart die Verantwortung der Lehrkraft in
ihrer machtvollen Position erkennt. Marie ist nicht der Ansicht, dass Lehrer Macht über
sie als Person haben, was sie damit begründet, dass sie nur Dinge tut, die sie selbst tun
möchte und sich nicht zwingen lasse. Auf Nachfrage, warum Lehrkräfte Schüler fordern
und verlangen, dass sie ihre Aufgaben fertig stellen, wird aber deutlich, dass Marie die
verantwortungsvolle Aufgabe der Lehrer bewusst ist. Auch Helena meint, dass die
Lehrer keine Macht über sie haben. Die Aussage ist aber nicht klar genug formuliert,
sodass an dieser Stelle keine Aussagen über Helenas Verständnis der Lehrerrolle
gemacht werden können. Lara denkt ebenfalls nicht, dass Lehrer über sie als Person
Macht haben. Die Verantwortung der Lehrer erkennt sie aber durchaus, ähnlich wie
Simon hat sie bereits die Konsequenzen des Unterrichts in Bezug auf das Leben nach
der Schule durchblickt. Generell stimmt sie zu, dass Lehrer über Macht verfügen.
Auf die direkte Frage, ob die Lehrer Macht über die Schüler als Person hätten,
verneinen dies alle drei Mädchen, obwohl sie der Lehrerin eine machtvolle Position
zusprechen. Während Sebastian und Lennart angeben, dass die Lehrerin Macht über sie
habe, ist Simons Antwort in diesem Zusammenhang nicht eindeutig zu bewerten, da
ihm die Frage nicht direkt dahingehend gestellt wurde, ob die Lehrerin Macht über ihn
als Person, sondern nur, ob sie allgemein über Macht verfüge.
4.3.2.2 Interpretation der Ergebnisse
Alle befragten Kinder sind der Ansicht, dass Lehrer über Macht verfügen. Vor allem
Simon erkennt auch an dieser Stelle die Zukunftsbedeutung des Unterrichts für sein
späteres Leben, allerdings macht er den Eindruck, als hätte er noch keine intrinsische
Motivation entwickelt, wie es bei den Mädchen den Anschein hat. Marie und Lara
erkennen die verantwortungsvollen Intentionen der Lehrkräfte. Lennart scheint die
Macht der Lehrerin eher als Zwang und Kontrolle zu empfinden, da er keinerlei
Angaben darüber macht, warum diese bestimmte Dinge von ihm verlangt, was
wiederum darauf hindeuten könnte, dass die Rollenübernamefähigkeit gering ist.
Interessant ist der Unterschied, den die Mädchen in Bezug auf die Macht der Lehrerin
machen. Alle drei sprechen der Lehrkraft allgemein zwar eine Macht zu, streiten aber
ab, dass die Lehrerin über sie selbst Macht besitze. Besonders bei Marie wird deutlich,
dass sie alles, was in der Schule verlangt wird, aus eigener Überzeugung tue und sie
sich nicht zu etwas zwingen lasse, dessen Sinn sie nicht erkennen kann. Vor allem an
ihrer Aussage wird die intrinsische Motivation, was schulische Aufgaben betrifft,
erkennbar, die zumindest bei den in dieser Studie befragten Jungen nicht so deutlich
28
zum Ausdruck kommt, wie bei den Mädchen, was möglicherweise daran liegt, dass
diese in der Hinsicht einen Vorsprung in der Entwicklung haben. Um dieser These nicht
allzu viel Bedeutung zuzusprechen, sollte an dieser Stelle relativierend erwähnt werden,
dass die hier aufgeführten Unterschiede zwischen den Geschlechtern ebenso auf Zufall
beruhen können und die Ergebnisse auch auf Individualität zurückzuführen sein mögen.
4.4 Macht in der Politik
Die Vorstellungen der Schüler, was die politische Macht betrifft, stellen eines der
zentralen Themen dieser Arbeit dar. Um diese herauszufinden wurde den Schülern
beispielsweise folgendes Zitat vorgelesen: „Der Politiker oder die Politikerin gibt der
Bevölkerung, die die Macht auf Zeit erteilt hat, ein Versprechen. Die Bevölkerung passt
dann aufmerksam auf, dass dieses Versprechen auch eingehalten wird.“ Die Schüler
werden anschließend befragt, was passiere, wenn ein Politiker ein Versprechen nicht
einhalte.
Vorweg soll angemerkt werden, dass die Antworten der Schüler teilweise auf bereits
ansatzweise vorhandenes Wissen über politische Themen und Vorgänge hindeuten.
Allerdings werden manche Fragen nur in Bezug auf politische Abläufe beantwortet,
sodass die moralische Komponente, der sich Politiker aussetzen, teilweise nicht
aufgegriffen wird. Grund dafür könnte sein, dass die Frage missverständlich gestellt
bzw. sie falsch verstanden wurde. Beispielsweise erklärte Marie, nachdem das oben
erwähnte Zitat vorgelesen wurde, dass ein Politiker, der sein Versprechen nicht einhalte,
„Ärger mit dem Gesetz“ bekäme, anstatt auf politische Konsequenzen einzugehen.
4.4.1 Ziele von Politikern
4.4.1.1 Darstellung der Ergebnisse
Die Schülervorstellungen über die Intentionen, die Politiker haben könnten, um an die
Macht kommen zu wollen, sind ambivalent.
Simon ist der Meinung, dass nicht zuletzt das Geld den Anreiz ausmache, während
Marie und Lara eher meinen, dass sich Politiker für das Wohl der Bevölkerung
einsetzen wollen. Lara merkt aber auch an, dass sie manchmal auch eigene Interessen
durchsetzen würden und Marie erklärt, dass die guten Absichten nicht immer sofort
ersichtlich seien. Sebastian verbindet mit einer politischen Machtsituation hauptsächlich
das Recht, entscheiden zu können.
29
4.4.1.2 Interpretation der Ergebnisse
Die Meinungen darüber, was den Reiz ausmachen könnte, ein politisches Amt zu
bekleiden, gehen bei den Kindern in verschiedene Richtungen. Es fällt auf, dass das
Bild, das vor allem Marie und Lara von Politikern zu haben scheinen, ein recht positives
ist, Simon dagegen nennt Geld als den hauptsächlichen Anreiz und lässt dadurch
vermuten, dass er Politikern nicht nur uneigennütziges Verhalten zutraut. Obwohl
besonders Marie an anderer Stelle darüber reflektiert hat, dass es Menschen gibt, die
gerne über etwas bestimmen, spricht sie Politikern in dieser Situation diesen
vorrangigen Wunsch eher ab. Sie scheint eine Idealvorstellung von Politikern zu haben,
die es ihr nicht ermöglicht, Gedanken zuzulassen, dass auch Vertreter des Staates zu
Selbstdarstellung, oder im schlechtesten Fall auch zu Machtmissbrauch neigen könnten.
Natürlich haben in dieser Frage auch Äußerungen des sozialen Umfeldes Auswirkungen
auf die Haltung der Kinder, möglicherweise ist ihnen ein eher schmeichelhaftes bzw.
unvollständiges Bild von Politikern vermittelt worden. Laut Klaus von Beyme ist das
Machtstreben eines Politikers aber ein nicht unwichtiger Teil seiner Ambitionen, ein
politisches Amt bekleiden zu wollen62
und auch Willy Brandt bekräftigt, „Macht erlangt
man nicht ohne Willen zur Führung“63
. Während Lara meint, dass manchmal wohl auch
eigene Interessen das Handeln leiten würde, ist Marie der Ansicht, dass die guten
Absichten nicht immer sofort ersichtlich seien, was fast den Anschein erwecken könnte,
dass sie in die Kritik geratene Politiker verteidigt, auch hier ist es aber ebenfalls
denkbar, dass sie aufgeschnapptes Halbwissen wiedergibt. Möglich ist auch, dass Marie
eine Vorstellung von Politikern verinnerlicht hat, die den Rollenvorstellungen
entspricht, die an Politiker herangetragen werden64
und es außerhalb ihrer Vorstellungen
liegt, dass jemand, der für sie eine Vorbildfunktion verkörpert, eigenen Interessen
nachgeht und seinen Status für persönliche Ziele nutzt. Mit dieser Aussage vertritt
Marie eine andere Ansicht als die Schüler der elften Klasse des Wirtschaftsgymnasiums,
die Politikern durchaus auch Egoismus zutrauen65
. Auch wenn Politiker nach von
Beyme außerhalb ihres Tätigkeitsbereiches keine Vorbildrolle mehr haben, ist es
denkbar, dass Marie eine solche Vorstellung hat. Dafür spräche, dass die Schüler auf die
Frage, was sie als Herrscher von Deutschland tun würden, überwiegend politische Ziele
angegeben haben, was einen Hinweis darauf liefern könnte, dass sie mit einer solchen
62 Beyme, Klaus von: Die politische Elite in der Bundesrepublik Deutschland, S. 110. 63
Ebd, S. 176. 64
Ebd, S. 117. 65 Heidemeyer, Sven: Schülervorstellungen und politikwissenschaftliche Vorstellungen über Demokratie,
S. 91
30
Position automatisch verbinden, sich vorbildlich zu verhalten und für das Land
einsetzen zu wollen. Sebastian sieht vorrangig die Möglichkeit, in einem mächtigen
Amt Dinge entscheiden zu können, über persönliche Ambitionen finden sich in seinen
Aussagen keine Angaben, er erkennt aber die Möglichkeiten, die eine solche Position
mit sich bringt. Sebastian erwähnt, dass „gute Entscheidungen“ getroffen werden
müssen, worauf in 4.4.3.2 noch näher eingegangen wird.
4.4.2 Gedanken zu Machtpositionen
4.4.2.1 Darstellung der Ergebnisse
An dieser Stelle sollen auch einige Gedanken zu Machtpositionen aufgegriffen werden,
die während der Interviews thematisiert wurden.
Simon äußert während des Gespräches, dass ein Politiker, der wieder gewählt werden
will, seine Fehler eingestehen und versichern müsse, dass er sich für das Land einsetzen
wolle. Lara meint, dass ein Politiker zwar nicht ohne Weiteres sein Amt verliert, wenn
er erst einmal gewählt ist, erkennt aber auch, dass er möglicherweise nicht wieder
gewählt wird, wenn er sein Wahlversprechen nicht einhält. Sie erzählt des Weiteren von
ihrer Vorstellung einer Machtposition, in der Politiker an der Spitze eines Berges
stehen, wo die Luft sehr dünn sei und es daher nur wenige dort aushielten. Helena ist
der Ansicht, dass ein Politiker, der sein Versprechen nicht einlöst, auch nicht mehr in
einer machtvollen Position sei. Sie erklärt, dass nicht nur ein Politiker die Macht habe,
da auch noch andere Parteien im Bundestag mit abstimmen dürften. Als ihr die Frage
gestellt wird, ob ein Alleinherrscher eines Landes mehr Macht habe, stimmt sie zu.
Wenn es nicht viele Gesetze und Regeln gäbe, könne und müsse jemand in einer
machtvollen Position entscheiden, was er für wichtig halte, was oft nicht mit der
Meinung der übrigen Bevölkerung übereinstimme. Helena führt Außenminister
Westerwelle als Beispiel an, als sie erklärt, dass ein Politiker wissen muss, „was gut für
das Land ist“. Sie ist nicht der Meinung, dass er wieder gewählt würde, „weil er einfach
nichts Gutes zeigt“.
4.4.2.2 Interpretation der Ergebnisse
Die Schüler haben erkannt, dass die Macht eines Politikers auch damit zusammenhängt,
wie er sich präsentiert und ob er „gute Entscheidungen“ trifft, das Vertrauen bei der
Bevölkerung sei wichtig, um das Amt behalten bzw. verteidigen zu können. Helena
macht klar deutlich, dass ein Politiker etwas „Gutes“ zeigen müsse, um wiedergewählt
31
zu werden, obwohl laut von Beyme Ansehen gegenüber Leistung den höheren
Stellenwert habe66
. Ansatzweise ist also schon die Erkenntnis bei den Schülern
festzustellen, dass Macht an bestimmte Bedingungen geknüpft ist, und je nach
Umständen veränderbar bleibt67
.
Besonders bei Helena ist bruchstückhaftes Wissen über politische Vorgänge und die
Gewaltenteilung vorhanden, da sie erkennt, dass sich die Instanzen gegenseitig
kontrollieren. Ein Widerspruch ergibt sich bei ihr dadurch, dass sie einem
absolutistischen Herrscher ebenfalls Macht zuspricht, obwohl dieser nach anderen
Maßstäben regiert. Während sie also, ähnlich wie auch Simon, bezüglich der
demokratischen Ausrichtung in Deutschland durchaus mit den Gedanken Arendts
konform geht, stimmt sie gleichzeitig auch mit der Machtdefinition Webers überein, da
in einem absolutistischen Staat die Macht nicht auf der Legitimation durch die Masse
beruht, sondern vielmehr die Herrschenden ihren Machtanspruch entweder mit
physischer Überlegenheit, oder mit dem eigenen Status bzw. Angehörigkeit zu einer
Elite rechtfertigen und durchsetzen.
Unklar bleibt, ob die Schüler bereits durchschauen, wodurch die Macht der Politiker
legitimiert wird bzw. dass jeder einzelne Bürger in gewisser Hinsicht auch Macht und
Einfluss auf die Politik hat68
.
Interessant ist auch die Anmerkung von Lara bezüglich ihrer Vorstellungen von der
Situation eines Politikers auf hohem Posten. Ihre sinnbildliche Definition einer
Machtposition macht deutlich, dass sie bereits tiefgründige Gedanken zu der Thematik
entwickelt hat. Offen bleibt, wie sich diese Haltung entwickeln konnte, möglicherweise
hat sie bereits selbst erfahren, dass man in Entscheidungspositionen oft einem Druck
ausgesetzt ist und Verantwortung für alle Beteiligten hat. Eine solche Erfahrung kann
schon in scheinbar unbedeutenden Situationen entstehen, beispielsweise bei der Leitung
einer Arbeitsgruppe. Unter Umständen gibt diese Aussage auch Aufschluss über das
Wesen Laras, da sie über ein eher geringes Selbstvertrauen verfügt und es ihr schwer
fällt, die eigenen Entscheidungen und Meinungen zu vertreten.
66
Beyme, Klaus von: Die politische Elite in der Bundesrepublik Deutschland , S. 186. 67
Zum Folgenden vgl.: Schwarte, Ludger: Macht und Aktion, S. 141. 68 Beyme, Klaus von: Die politische Elite in der Bundesrepublik Deutschland, S. 117.
32
4.4.3 Politische Verantwortung
4.4.3.1 Darstellung der Ergebnisse
Da sowohl das Verständnis vom Zusammenhang von Macht und Verantwortung, als
auch Gedanken über politische Macht zentrale Aspekte dieser Forschungsarbeit sind,
liegt es nahe, auch die politische Verantwortung zu thematisieren, die teilweise von den
Schülern auch erkannt werden konnte.
Laut Simon treten Politiker dann zurück, wenn sie merken, dass „das Volk sie nicht
mehr so richtig mag“. Sebastian erklärt, dass Politiker gute Entscheidungen treffen
sollten und „keinen Weltkrieg machen“. Gute Entscheidungen seien zwar nicht immer
von der gesamten Bevölkerung befürwortet, die Verantwortlichen sollten möglichst
versuchen, die Interessen möglichst vieler zu vertreten.
Des Weiteren sollte nicht außer Acht gelassen werden, dass auf die Frage, was sie selbst
als „König/Königin von Deutschland“ tun würden, viele politische Beispiele anführten,
sich also, zumindest theoretisch, der Verantwortung, die eine solche Position erfordert,
bewusst sind.
4.4.3.2 Interpretation der Ergebnisse
Unter politischer Verantwortung verstehen die Schüler unter anderem, dass „gute
Entscheidungen“ für Deutschland getroffen werden sollten. Die Ermächtigung,
entscheiden zu können, ist also auch an dieser Stelle wieder ein zentraler Aspekt, der
von den Kindern als Indiz für Macht gesehen wird. Vor allem Sebastian reflektiert
darüber, dass dafür alle Interessen sorgfältig gegeneinander aufgewogen werden
müssten um auf dieser Basis handeln zu können. Er nennt dabei das Beispiel, dass
Politiker „keinen Weltkrieg machen“ sollen, womit er zeigt, dass er erkannt hat, dass die
Entscheidungen, die getroffen werden, Konsequenzen für Land und Bevölkerung haben.
Ferner wird durch die Aussage auch deutlich, dass er einige grundlegende Ereignisse
der deutschen Geschichte kennt. Sollte der Rückhalt in der Bevölkerung durch schlechte
Leistungen oder andere Fehltritte sinken, würden Politiker laut Simon zurücktreten.
Damit macht er deutlich, dass er darum weiß, dass Macht ihre Grenzen hat und jemand,
der durch einen Fehler das Wohl anderer gefährdet, keinen Rückhalt mehr erwarten
kann. Die Kinder, die als Vorhaben in einer Machtposition politische Ziele angegeben
haben, haben damit ebenfalls gezeigt, dass sie Verantwortung für Land und
Bevölkerung tragen wollen würden. Das Wissen, dass machtvolle Positionen eine
gewisse Verantwortungsbereitschaft erfordern, ist also durchaus vorhanden. Ob sie dies
33
in der Praxis in übertragbaren Situationen auch selbst immer anwenden würden, kann an
dieser Stelle nicht geklärt werden.
4.5 Macht und Gewalt
Ein wichtiger Aspekt, der im Zuge dieser Forschungsarbeit thematisiert werden soll, ist
der Unterschied zwischen Macht und Gewalt, bzw. ob jemand, der seine Ziele mit
Gewalt durchsetzt, wirklich mächtig ist und was Macht letztendlich ausmacht. Um die
Schülervorstellungen zu den Unterschieden zwischen Macht und Gewalt oder auch
eventuell mögliche Zusammenhänge zu ergründen, sind in den Interviews
dementsprechende Anregungen gegeben worden, deren Ergebnisse im Folgenden
dargelegt sind.
4.5.1 Macht eines Löwen
4.5.1.1 Darstellung der Ergebnisse
In den meisten Interviews wurde den Schülern das Bild eines Löwen gezeigt, der gerade
aus einem, dem Betrachter nicht ersichtlichen Grund, das Maul aufreißt. Ziel sollte es
sein, mit den Kindern darüber ins Gespräch zu kommen, ob ein fleischfressendes Tier
Macht hat und über wen.
Ausnahmslos alle Kinder stimmten darin überein, dass der Löwe auf dem Bild Macht
habe. Sebastian, Marie und Helena erklären ihre Aussage zunächst damit, dass der
gezeigte der Chef aller Löwen sei, was teilweise mit der Ausstrahlung begründet wird.
Simon bemerkt, dass der Löwe der König der Tiere allgemein sei und bekräftigt seine
Aussage dadurch, dass er ihn mit Blick auf seine Kraft und körperliche Überlegenheit
weit oben in der Hierarchie der Tierarten einordnet. Marie merkt außerdem noch an,
dass Löwen auch manchmal „aus Spaß“ brüllen, verbindet Macht aber in dieser
Situation auch mit „wild sein“ und der Demonstration der Überlegenheit durch das
Brüllen. Lara antwortet sehr überlegt, sie spricht dem Löwen zwar Macht zu, allerdings
nur „eingeschränkte“ und nicht so große, wie den Menschen. Seine Macht begründet sie
mit der Fähigkeit, die Herde anzuleiten, spricht ihm also Führungsqualitäten zu, aus
denen sie seine Macht ableitet. Obwohl sie zunächst meint, der Löwe habe Macht über
Beutetiere, erklärt sie anschließend, dass er diese ja auch zum Leben benötige, was auch
Helena erkennt. Letztere bemerkt des Weiteren, dass der abgebildete Löwe scheinbar
der „König der Löwen“ sei, was sie mit seiner Ausstrahlung bzw. seinem Blick erklärt.
Sebastian lässt auch an dieser Stelle wieder seine Auffassung darüber erkennen, dass die
34
Eltern ihren Kindern bzw. der Löwe seinen Jungen gegenüber mächtig sind. Auch
erwähnt er, dass Löwen über ihre Beutetiere Macht hätten, indem sie sie töteten. Auf
Nachfrage, ob Macht das Gleiche sei wie Gewalt, verneint er dies allerdings. Auch
Marie stimmt zunächst zu, als sie gefragt wird, ob der Löwe Macht über die Tiere hat,
die er frisst.
In 5.5.3 wird genauer dargelegt, inwiefern die Kinder einen möglichen Unterschied
zwischen Macht und Gewalt erkennen und wie sie die beiden Begriffe erklären.
4.5.1.2 Interpretation der Ergebnisse
Die Kinder sprechen dem Löwen allesamt Macht zu, allerdings begründen sie diese
unterschiedlich. Interessant, aber aus Kindersicht auch nachvollziehbar ist die Aussage,
dass der Löwe deshalb Macht habe, weil er der König der Tiere sei, was durch
vielfältige Medien in dieser oder ähnlicher Form vermittelt wird. Diese Meinung beruht
auf der Vorstellung, dass Könige allein schon wegen ihres Status über Macht verfügen.
Bemerkungen über Aussehen und die Ausstrahlung des Löwen unterstützen den
Eindruck, dass vor allem jene als mächtig empfunden werden, die es verstehen, sich und
ihre möglicherweise vorhandene Macht gekonnt darzustellen. Ein weiterer Faktor der
Macht ist laut Schüleraussagen die körperliche Überlegenheit gegenüber anderen
Tierarten. An dieser Stelle ist die Frage zu stellen, inwieweit Stärke ein Ausdruck von
Macht ist, wie es Weber definiert69
, oder ob man Arendt zustimmt, die die Begriffe
„Macht“ und „Gewalt“ klar trennt70
. Interessant ist Simons Ansicht, dass der Löwe
deshalb Macht habe, weil niemand über ihn herrsche, dahinter steht das Sinnbild der
Nahrungskette, an deren oberen Ende der Löwe steht. Helena meint, dass der Löwe
aufgrund seiner sozialen Stellung Macht besitze, diese Auffassung wird bei ihr auch an
anderer Stelle deutlich. Möglicherweise hat sie dabei die Vorstellung einer Eliteführung,
nach der Macht durch einen Status legitimiert wird, der beispielsweise auf
Weitervererbung beruht und nicht auf individuellen persönlichen Qualitäten des Macht
Habenden71
. Dazu im Vergleich scheint Sebastian bereits verstanden zu haben, dass er
nur Macht habe, wenn die von ihm genannten „Kleinen“ ihn als „Leitfigur“ anerkennen,
er sich diese Position also erst verdienen muss, beispielsweise dadurch, dass die
jüngeren Kinder merken, dass sie von seinen Erfahrungen profitieren können. Auch
wenn er diesen Zusammenhang ausdrückt, indem er sagt, er habe Macht über die Kinder
69 Weber, Max/Foucault, Michael: Über Macht und Herrschaft in der Moderne, S. 9. 70 Schönherr-Mann, Hans-Martin: Hannah Arendt. Wahrheit. Macht. Moral, S. 138. 71 Beyme, Klaus von: Die politische Elite in der Bundesrepublik Deutschland, S. 117.
35
„außer sie zicken rum“, ist in der Aussage seine Erfahrung zu erkennen, dass er Macht
nicht allein aufgrund des „höheren“ Alters besitzt, sondern auch natürliche Autorität
und eine vertrauensvolle Ausstrahlung dazu gehören. Sebastian lässt auch in diesem
Zusammenhang wieder erkennen, dass er Macht sehr eng mit dem Alter verbindet, da er
meint, der Löwe habe Macht über seine Jungen. Vermutungen bezüglich der Gründe für
diese Denkmuster sind an anderer Stelle bereits dargelegt worden. Lara macht deutlich,
dass sie sehr vielschichtig denken kann, in dem sie auf der einen Seite meint, dass der
Löwe Macht über seine Beute habe, auf der anderen Seite aber auch anmerkt, dass er
diese zum Überleben brauche. Dadurch relativiert sie die Macht wieder und deckt so
selbst einen Widerspruch auf, der oft Anlass sein kann, über einen Sachverhalt genauer
nachzudenken. Auch ist Lara der Ansicht, dass Tiere über weniger Macht verfügen als
Menschen, möglicherweise denkt sie dabei daran, dass einige Löwen entgegen ihrer
Natur von Menschen gefangen gehalten werden.
4.5.2 Zwang und Erpressung
4.5.2.1 Darstellung der Ergebnisse
Um herauszufinden, ob die Schüler Instanzen als mächtig empfinden, die ihre Ziele mit
Zwängen und Erpressungen verwirklichen wollen, wurden in den Interviews
verschiedene Situationen beschrieben, in denen die Opfer emotionaler Gewalt
ausgesetzt wurden. Die fiktiven Inszenierungen des Interviewers variierten bei jedem
Interview.
Lara antwortete auf die Frage, ob eine Freundin, die von ihr verlangte, ihr eine Puppe zu
schenken, weil sie sonst nicht mehr ihre Freundin sei, dass sie dies als Macht der
Freundin ihr gegenüber empfinde. Auf Nachfrage, warum sie dies meinte, sagte sie,
dass die Freundin deshalb Macht habe, weil sie „unbedingt was durchsetzen“ wolle.
Helena wurde eine ähnliche Situation geschildert, mit dem Unterschied, dass der
Erpressungsgrund die Einladung zu einer Geburtstagsfeier darstellte, die die Freundin
mit ihrer Androhung, ansonsten die Freundschaft zu kündigen, erreichen wollte. Helena
erwiderte allerdings, dass dieses Mädchen keine Macht über sie habe, da sie der Ansicht
ist, Freunde sollte sich jeder selbst aussuchen können und diese besagte Freundin könne
sie nicht zu etwas zwingen. Simon bekam die Frage gestellt, ob eine Gruppe von
Jungen, die auf dem Schulhof einen jüngeren Schüler bedroht, Macht über diesen
haben. Simon erkennt zwar, dass Drohungen auch eine Art von Gewalt darstellen
können, allerdings streitet er an dieser Stelle nicht ab, dass die älteren Schüler Macht
36
über den kleineren Jungen haben. Erst auf Nachfrage erklärt Simon, dass es zwei Arten
von Macht gäbe und eine davon mit Gewalt durchgesetzt werde. In dem Interview mit
Marie wurde kein Beispiel explizit angesprochen, allerdings ist während des Gespräches
eine Aussage entstanden, die ebenfalls auf Maries Einstellung in Bezug auf
Erpressungen ihrer Person schließen lässt. Auf die Frage, ob ihre Lehrerin Macht über
sie habe, antwortet Marie, dass dies ihrer Ansicht nach nicht der Fall sei, da sie nur die
Dinge tun würde, die sie selber für richtig halte. Allerdings würde sie, „auch wenn das
der König sagt“, nichts tun, was ihr schaden könnte. Auch im weiteren Gespräch betont
sie abermals, dass sie sich nie von Lehrern zwingen lasse, Hausaufgaben zu machen, da
sie dies aus eigenem Antrieb tue.
4.5.2.2 Interpretation der Ergebnisse
Als besonders aufschlussreich kann bei dieser Thematik der Unterschied in den
Aussagen der Mädchen empfunden werden. Lara und Helena werden ähnliche
Situationen geschildert, in denen sie sich in eine Erpressungssituation mit einer
Freundin einfühlen sollen. Während Lara zustimmt, dass die erpressende Freundin
Macht über sie habe, streitet Helena dies ab, was mit den Unterschieden im
Selbstbewusstsein zusammenhängen dürfte. Während sich Lara der Situation ausgesetzt
fühlt, erkennt Helena, dass sie sich ihr entziehen kann, indem sie nicht auf die
Forderung eingeht und sich das Machtverhältnis in diesem Moment umkehrt. Das
fehlende Selbstvertrauen und damit einhergehend ein in gewisser Hinsicht negatives
Selbstbild bei Lara ist wahrscheinlich mit den Erfahrungen zu erklären, die sie in ihrem
Leben bisher gemacht hat. Eingeschüchterte Kinder fühlen sich demnach eher
unterdrückt und damit einer Macht ausgesetzt, als solche, die erfahren haben, dass sie
auf sich selbst und ihre Entscheidungen vertrauen können.
Ähnlich wie Helena argumentiert auch Marie, dass sie sich zu nichts zwingen lasse, sie
verlässt sich darauf, dass sie selbst weiß, was richtig für sie ist. Simon erkennt, dass
Zwang und Erpressung auch eine Art von Gewalt darstellen, wobei er nicht abstreitet,
dass Macht damit nichts zu tun habe. Eine Definition und Abgrenzung beider Begriffe
scheint also schwierig. Simons Vorstellung, dass es zwei Arten von Macht gäbe und
eine davon mit Gewalt durchgesetzt werde, wird im folgenden Kapitel analysiert.
37
4.5.3 Unterschiede Macht und Gewalt
4.5.3.1 Darstellung der Ergebnisse
Im Laufe fast jeden Interviews stellte sich die Frage, ob Macht das Gleiche wie Gewalt
sei. Den Kindern wurde eine Situation geschildert, in der sich eine Partei der anderen
gegenüber als überlegen darstellte. Daran anschließend folgte i.d.R. die Frage, ob der
Überlegende auch der Mächtigere sei, woraufhin zwangsläufig der Unterschied
zwischen Macht und Gewalt thematisiert wurde.
Lara und Simon lösen den Widerspruch, der sich durch die Frage ergeben hat, ob Macht
und Gewalt zusammen hängen in der Weise, dass sie Macht in zwei Arten
unterscheiden, von denen eine mit Gewalt durchgesetzt wird. Lara beschreibt die
„andere“ Macht dadurch, dass sich auch verbal durchgesetzt werden kann, was sie auf
folgende Weise beschreibt: „Da bestimmen die einfach und kommandieren irgendwie
mit Wörtern einen überall rum“. Simon unterscheidet die beiden Arten dadurch, dass er
behauptet, Eltern und Lehrer hätten „eine andere Macht als Gewalt“. Er erwähnt die
Verantwortung der erstgenannten und bemerkt, Gewalt habe eher etwas mit Drohen und
Kämpfen zu tun. Marie argumentiert ähnlich, indem sie Macht als „über jemanden
bestimmen“ definiert und Gewalt als beispielsweise eine Tötung. Sebastian scheint als
einziger von selbst ins Nachdenken zu geraten, während er über ein vom Interviewer
entworfenes Fallbeispiel nachdenkt. Er erkennt, dass allein durch physische
Überlegenheit nicht unbedingt von Macht gesprochen werden kann, auf Nachfrage
bestreitet er, dass Macht und Gewalt zusammen hängen. Er verbindet Macht
vordergründig mit „regieren können“, als Beispiel für Gewalt nennt er einen
Bombenanschlag. Lennart behauptet auf Nachfrage, dass Macht und Gewalt nicht
dasselbe seien, was allerdings seinen Ausführungen über seinen Traum, die Welt
regieren zu können widerspricht, da er dies mit der Anwendung von Waffen erreichen
wollen würde. Auch antwortet er auf die Frage, was Macht für ihn sei: „Macht hat für
mich Geld her, Waffen her und Weltherrschaft her“.
4.5.3.2 Interpretation der Ergebnisse
Dadurch, dass einige Kinder Macht in zwei Arten unterteilt haben, wird deutlich, dass
eine Trennung der Begriffe ihnen schwer fällt. Die Schüler haben in der geschilderten
Situation bestätigt, dass es sich trotz Gewaltausübung um Macht handele. Auf
Nachfrage, ob Macht und Gewalt dasselbe sei, haben die meisten aber keine rechte
Antwort gewusst, sodass die Unterteilung in zwei Arten von Macht nahe gelegen hat.
38
Sebastian gibt sich als einziger nicht mit diesem Unterschied der Begrifflichkeiten
zufrieden und kommt zu dem Schluss, dass die beiden Begriffe eine verschiedene
Bedeutung haben. Im späteren Verlauf des Gespräches wird er erneut auf eine ähnliche
Situation angesprochen, diesmal wendet er die neue Erkenntnis aber sofort an und hat
fortan entweder von Macht oder von Gewalt gesprochen. Die anderen Kinder haben
ihren Widerspruch dadurch aufzulösen versucht, dass sie Eigenschaften von Macht und
Gewalt beschrieben haben, eine klare Trennung haben sie aber nicht gezogen. Man kann
also sagen, dass die Schüler über durchaus ambivalente Vorstellungen des
Machtbegriffes in Bezug auf Gewalt verfügen, also keine klare Übereinstimmung mit
den Grundideen Arendts einerseits72
, oder denen Webers andererseits vorherrscht73
.
Lennart macht ebenfalls gegensätzliche Angaben, da er zum einen sagt, dass Macht und
Gewalt nicht dasselbe seien, er andererseits seine Ziele in einer machtvollen Position
mit Gewalt durchsetzen will. Die möglichen Gründe für die zumindest theoretische
Gewaltbereitschaft Lennarts wurden an anderer Stelle bereits geschildert.
4.6 Der Machtbegriff
4.6.1 Darstellung der Ergebnisse
Im Rahmen der mit den Kindern geführten Interviews war es nicht vordergründiges
Ziel, den Machtbegriff selbst zu definieren. Im Laufe der Gespräche entstanden jedoch
einige Aussagen, die darauf schließen lassen, was der jeweilige Schüler unter Macht
versteht.
Helena bezeichnet Macht als „großes Wort in vielen Bereichen“, sie merkt an, dass sie
zwar eine Vorstellung von Macht hat, diese aber nicht verbalisieren kann. Sie erklärt,
dass Macht nicht zwingend in Zusammenhang mit dem Handeln einer Person in
Verbindung stehen muss. Marie spricht nicht speziell vom Machtbegriff, vielmehr zählt
sie auf, was sich verschiedene Menschen in einer Machtposition vorstellen und
wünschen könnten. Sebastian verbindet „Macht“ mit Politikern wie Angela Merkel, die
ein Land regieren. Lennart erläutert seine Vorstellung von Macht, indem er erklärt, dass
Macht für ihn „Geld her, Waffen her und Weltherrschaft her“ bedeutet.
72 Schönherr-Mann, Hans-Martin: Hannah Arendt. Wahrheit. Macht. Moral, S. 140. 73 http://www.slidefinder.net/d/definition_von_macht_ausgew%C3%A4hlte_beispiele/9535060.
39
4.6.2 Interpretation der Ergebnisse
Eine Definition für den Begriff „Macht“ zu erarbeiten, fällt sogar Erwachsenen schwer,
daher sollte dies auch nicht zu einem der Kernbereiche der Befragung gemacht werden,
dennoch ergaben sich im Laufe der Gespräche interessante Anknüpfungspunkte.
Helena macht in verschiedenen Momenten des Interviews den Eindruck, als habe sie
sich schon damit auseinander gesetzt, in welchen Formen Macht auftreten kann. Diese
Gedanken klarer zu definieren, scheint aber noch eine zu komplexe Aufgabe zu sein,
denn „Macht ist ein großes Wort in vielen Bereichen“. Daran anknüpfend steht auch
Maries Aussage, dass jeder eine andere Vorstellung davon hat, was Macht bedeuten
kann. Marie reflektiert mehr als die anderen Kinder darüber, welche Bedeutungsebenen
dadurch angesprochen werden können. Lennart verbindet die Bekleidung einer
Machtposition mit der Möglichkeit, die ganze Welt zu beherrschen und Einfluss auf die
gesamte Bevölkerung nehmen zu können, er träumt von der absoluten Macht und damit
einhergehend der Kontrolle über alles und jeden. Diese Aussagen lassen vermuten, dass
er möglicherweise in der Realität keine Kontrolle über gewisse Dinge verspürt und sich
damit eher machtlos dem Leben gegenüber sieht, was zur Folge hat, dass er erst recht
nach Macht strebt und diese mit Gewalt durchsetzen will, da ihm die Vorstellung über
alternative Wege fehlen.
Auch hier sollte wieder erwähnt werden, dass die Schüler „Macht haben“ mit der
Möglichkeit verbinden, Entscheidungen treffen zu können, was vor allem bei Sebastian
deutlich wird, der diese Macht in besonderer Weise Politikern zuspricht, die damit aber
auch die Verantwortung für das Volk übernehmen und Interessen abwägen müssen.
5. Konsequenzen für den Sachunterricht
Aus den vorangestellten Ergebnissen lassen sich Konsequenzen für den Sachunterricht
ableiten. Es hat sich gezeigt, dass eine Vielfalt an Vorstellungen und Konzepten bei den
Schülern vorherrscht, die alle berücksichtigt und aufgegriffen werden sollten, um so der
Heterogenität einer Schulklasse gerecht werden zu können. Durch die verschiedenen
Interessensbereiche liegt es nahe, dass möglicherweise unterschiedliche Zugänge zum
Themenbereich gefunden werden müssen. Im Folgenden werden die Fallanalysen, die
im Zuge des thematischen Kodierens angefertigt wurden, aufgegriffen, um zu
verdeutlichen, wie individuell verschieden die Schwerpunkte in den Vorstellungen und
Erfahrungen sind.
40
Ein interessanter Aspekt bei Simon ist seine Unterscheidung von Macht in zwei Arten.
Ein Anknüpfungspunkt bei ihm könnte also sein, eine Begriffsbestimmung
vorzunehmen, beispielsweise mit einem philosophischen Gespräch, das die beiden
Machtbegriffe von Arendt und Weber thematisiert74
. Obwohl Simon über die Absichten
von Eltern und Lehrern reflektieren kann, scheint er noch wenig intrinsische Motivation
entwickelt zu haben. Es könnte ein Ziel sein, ihm den Zukunftsbezug bewusster zu
machen. Vor allem schulische Aufgaben im Hinblick auf einen möglichen späteren
Wunschberuf sollten auch aus eigenem Antrieb ernst genommen werden, sodass
dadurch die „Regierung des Selbst“75
gefördert wird.
Marie, die Schulaufgaben nach eigenen Angaben meistens sogar mit Freude erledigt,
legt Wert auf Individualität, was u.a. durch ihre Aussage deutlich wird, dass sie die
Welt gern „kunterbunt erstellen“ würde, da „jeder (…) bunt“ sei. Auch ihre Aussage,
sich von niemandem zu etwas zwingen zu lassen, was gegen ihren Willen geschehen
würde, legt den Schluss nahe, dass Marie ein sehr selbstbestimmtes Kind ist, welches
nichts gegen die eigene Überzeugung tut. Sie könnte daher auf Kinder, die weniger
Selbstbewusstsein haben, in einem entsprechenden schulischen Rahmen positiv
einwirken, also hier auch eine gewisse Machtposition einnehmen. Bei Marie fällt auf,
dass ihr Bild von Politikern durchweg positiv zu sein scheint, Gedanken zu
Machtmissbrauch oder Machtkämpfen sind bei ihr wenig präsent. Diese Erkenntnis
bietet ebenfalls eine Ansatzmöglichkeit für Unterricht, in dem thematisiert werden
sollte, welche Chancen und Gefahren eine Machtposition eröffnet. Marie hat aber
bereits erkannt, dass Macht einerseits dazu führen kann, dass diese Position ausgenutzt
wird, anderseits es aber auch „toll“ sei, bestimmen zu können. Durch Helfersysteme,
wie sie auch in der offenen Eingangsstufe eingeführt werden, kann Macht dadurch
erfahren werden, dass ein Kind für ein anderes, meist jüngeres, zwar auf der einen Seite
die Verantwortung trägt, andererseits aber auch dieses jüngere Kind dem „Beschützer“
untergeordnet ist76
. Die Herausforderung ist also für das Helferkind, die Position nicht
auszunutzen und natürliche Autorität zu erlernen.
Ein zentraler Aspekt der Macht bei Lennart ist die Ausübung von Gewalt, um Macht
durchsetzen zu können. Er scheint oft machtlos der eigenen Situation gegenüber zu
stehen und sich nicht anders daraus befreien zu können, als durch den Gedanken der
74
Goll, Thomas: Was ist Macht, was ist Gewalt?. Begriffsbestimmung mit der Methode des
Philosophierens. In: Weltwissen Sachunterricht. Was Macht macht. Westermann 2008, H. 4, S. 32. 75 Schwarte, Ludger: Macht und Aktion, S. 143. 76
Götz, Maria: Einmal Monatshäuptling sein. In: Weltwissen Sachunterricht. Was Macht macht.
Westermann 2008, H. 4, S. 10.
41
Herrschaft über seine gesamte Umwelt durch Gewalt. Bei Lennart scheint in erster Linie
die Förderung der Empathie wichtig, um ihm so deutlich zu machen, was seine
Vorhaben für andere bedeuten könnten. Da er möglicherweise nicht gelernt hat, seine
Interessen und Ansichten verbal durchzusetzen und zu vertreten, sollte er dahingehend
Unterstützung erhalten. Des Weiteren könnte Partizipation ihm helfen, auch andere
Formen von Macht kennen zu lernen. Da er sich positiv über seine Grundschule äußert,
könnte man ihm ermöglichen, an Veränderungen und Entscheidungen teilzuhaben, die
diese betreffen, beispielsweise bezüglich des von Lennart angesprochenen Spielplatzes.
Bei Helena finden sich teilweise widersprüchliche Aussagen bezüglich der Macht in
politischen Positionen. Sie spricht den Politikern in einer Demokratie Macht zu und
kennt sogar in Ansätzen das Prinzip der Gewaltenteilung. Gleichzeitig habe laut ihren
Aussagen aber auch ein absolutistischer oder auch diktatorischer Herrscher Macht. In
Anlehnung an diese Vorstellungen könnte die Frage behandelt werden, wodurch Macht
in den verschiedenen Systemen legitimiert wird, ob durch die Volkssouveränität oder
aufgrund von angeborenem Status bzw. Gewaltanwendung. Daran anschließend könnte
auch diskutiert werden, wann Macht gescheitert ist und wodurch sie gesteigert werden
könnte.
Für Sebastian hängt Macht vor allem mit dem Alter zusammen. Er sieht sich selbst in
der Verantwortung, jüngeren Kindern etwas beizubringen und von seinen Erfahrungen
profitieren zu lassen, akzeptiert aber auch die Macht, die Eltern, Lehrer oder ältere
Geschwister über ihn haben. Um sein Interesse zu wecken und damit ein möglicher
Zugang zum Thema „Macht“ ist es bei Sebastian denkbar, ihm verantwortungsvolle
Aufgaben zu übertragen. Auch aufgrund seiner differenzierten Sicht bezüglich Macht
und Gewalt könnte er beispielsweise als Konfliktlotse tätig sein, um so die eigene
Persönlichkeit weiter zu entwickeln und natürliche Autorität auszubilden. Ähnlich wie
bei Simon fehlt aber auch ihm teilweise der innere Antrieb, schulische Aufgaben aus
eigenem Willen und Interesse heraus anzugehen.
Lara macht eher den Eindruck eines Kindes mit geringem Selbstvertrauen. Auch ihr
würde ein Helfersystem unter Umständen gut tun, da sie in diesem Rahmen die
Verantwortung für jemanden trüge, der ihr eher dankbar für die Unterstützung sein
wird, als Druck auf sie auszuüben. Ihr Interessensschwerpunkt liegt vor allem auf der
Natur, Tieren und dem Umweltschutz. Sinnvoll könnte es für sie sein, sich bei einem
Projekt zu engagieren, welches eine solche Thematik verfolgt. So könnte sie erfahren,
was eine Gruppe im Gegensatz zum Einzelnen oft bewirken kann und gleichzeitig „für
die Natur kämpfen“.
42
Anhand der aufgezeigten Fälle mit ihren jeweiligen Schwerpunkten wird deutlich, wie
vielfältig Sachunterricht zu diesem Thema gestaltet werden kann. Selbst wenn einige
Themen bei einem Kind wichtiger erscheinen als bei einem anderen, sind doch alle
Vorschläge durchaus auch für die gesamte Klasse sinnvoll. Wenn möglich, sollte aber
immer auch die Heterogenität der Klasse und damit möglichst alle Interessen und
Bedürfnisse berücksichtigt werden. Zu den Kerngebieten des Themas zählen vor allem
die Vermittlung der verschiedenen Interessen, die in einer Machtposition berücksichtigt
werden sollten und damit einhergehend der wünschenswerte Anspruch, dass alle Ziele
und Bedürfnisse so verwirklicht bzw. Konflikte dahingehend gelöst werden, dass dies
im Interesse aller Beteiligten geschieht. Möglichst sollte also weder Gewalt, noch Druck
oder Erpressungen als Mittel der Interessensdurchsetzung eingesetzt werden, daher
könnte vor allem die Förderung der Empathie als ein wichtiges Ziel gelten. Vor allem
sollte auch vermittelt werden, dass jeder Einfluss auf Abläufe nehmen kann, die ihm
wichtig erscheinen und das das Zusammenschließen zu einer Gruppe dabei meist
wesentlich mehr Erfolg bringt. Allerdings sollten die Möglichkeiten des Einflusses
immer realistisch dargestellt werden, sodass keine Enttäuschungen entstehen, wenn eine
gut gemeinte Aktion, beispielsweise im Kampf für Kinderrechte, nicht immer den
erhofften Erfolg bringt. Die „Macht der Masse“, die in einer Demokratie durch das Volk
entsteht, sollte ebenfalls zentraler Ansatzpunkt sein, um politische Macht zu
verdeutlichen. Dabei ist es wichtig, klarzustellen, dass zwar jeder Bürger eine Stimme
hat, diese aber nur in der Masse zur Macht eines Politikers beiträgt, der bei dieser Masse
dadurch in der Pflicht steht, sich für die gemeinsamen Interessen einzusetzen. Auch
nicht vernachlässigt werden sollte dabei der Gedanke, dass theoretisch Gewalt nur dort
entstehen könne, wo die Masse nicht in der Lage ist, sich dagegen zu wehren. Nicht
zuletzt war auch die Inszenierung von Macht ein Thema, allerdings mehr in Bezug auf
den Löwen auf dem gezeigten Bild, als in der Politik. Das Bild könnte also
Ausgangspunkt für eine Diskussion sein, wie und warum Macht demonstriert wird.
Auch Partizipation ist von hoher Bedeutung, so können demokratische Vorgänge
beispielsweise anhand einer Klassensprecherwahl nachempfunden werden.
Da sowohl Marie, aber besonders Helena bereits ansatzweise über den Machtbegriff
philosophiert haben, könnte es eine sinnvolle Herausforderung darstellen, wenn diese
Schüler am Ende der Einheit aufgefordert würden, sich mit den dazu erworbenen
Erkenntnissen und Wissenserweiterungen daran zu versuchen, eine Definition zum
Phänomen „Macht“ zu formulieren.
43
Abschließendes
In der vorangegangenen Darstellung konnte gezeigt werden, dass Kinder bereits über
vielfältige Vorstellungen zum Phänomen „Macht“ verfügen, diese allerdings bedingt
durch Erfahrungen und Individualität sehr heterogen sind. Soll die Thematik im
Unterricht behandelt werden, muss sich die Lehrkraft also immer darüber im Klaren
sein, dass der Zugang möglichst nach Interessensschwerpunkt gewährleistet und bedingt
durch die unterschiedlichen Konzepte und Vorstellungen das Thema so breit wie
möglich angelegt werden sollte. Ein Aspekt, der in der Darstellung und Interpretation
vernachlässigt worden ist, ist der Zusammenhang von Macht und Geld. Einige Kinder
haben diesen durchaus angesprochen, allerdings ist Geld eher als Begleiterscheinung
von Macht gesehen worden, als ein Faktor, der Einfluss begünstigen kann.
Mit Blick auf die Ergebnisse lässt sich feststellen, dass die einzelnen Bereiche des
Themas oft ineinander übergehen, so ist der Aspekt der Verantwortung sowohl in den
Erfahrungen der Kinder mit Eltern und Lehrern, als auch in Bezug auf politisches
Handeln relevant. Auch die Differenzierung zwischen Macht und Gewalt bzw. Chancen
und Gefahren einer Machtposition kann als zentraler Punkt angegeben werden.
Bezüglich der Befragungen der Schüler wird an dieser Stelle angemerkt, dass es unter
Umständen sinnvoller gewesen wäre, diese nicht zu fragen, ob sie schon einmal das
Gefühl gehabt haben, Macht zu besitzen, sondern wann. Möglicherweise wären die
Antworten daraufhin ausführlicher ausgefallen, da bei dieser Fragestellung
vorausgesetzt wird, dass jedes Kind dieses Gefühl bereits gehabt haben müsse. Des
Weiteren sollte kritisch erwähnt werden, dass den Kindern an einigen Stellen die Worte
in den Mund gelegt worden sind, da die interviewende Person teilweise die Antworten
durch gezieltes Nachfragen vorweg genommen hat.
Insgesamt kann als Fazit gezogen werden, dass die Antworten der Kinder
wahrscheinlich anders ausgefallen wären, wenn erstens das Gespräch in einer Gruppe
stattgefunden hätte und zweitens ihnen die interviewende Person bekannt gewesen
wäre. Schüler, die als allgemein still und zurückhaltend beschrieben worden sind, haben
unter diesen Bedingungen frei sprechen können und wurden so wenig wie möglich
abgelenkt, da sie weniger dem Druck einer sozialen Erwünschtheit ausgesetzt waren
oder von Klassenkameraden beeinflusst worden sind. Glücklicherweise hat sich die
Befürchtung nicht bestätigt, dass die Kinder gegenüber einer fremden Person aufgrund
von Schüchternheit keine ausführlichen Antworten gegeben haben. Durch die
vorgegebenen Themenschwerpunkte konnten die Antworten gut kategorisiert und
dadurch ausgewertet werden, sodass eine gewisse Bandbreite an Ergebnissen vorliegt,
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ohne die individuellen Gedanken zu vernachlässigen. Aus diesen Erkenntnissen kann
geschlossen werden, dass sowohl die Entscheidung, das problemorientierte Interview
als Methode zu wählen, als auch die Daten mit einer Variante des thematischen
Kodierens auszuwerten, im Nachhinein als durchaus sinnvoll betrachtet werden können.
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