Christoph Brezinka
Reproduktionsmedizin und Mehrlingsschwangerschaften
Lösungsansätze zur Verringerung
Hormonell Aktuell, 26 Oktober 2011
Christoph Brezinka, Innsbruck
1) Mehrlinge als geburtshilflich-neonatologisches Problem
2) Mehrlinge durch ART3) Mehrlinge durch nicht-ART -medikamentöse
Ovarialstimulation4) Lösungsansätze
Egal ob die Mehrlinge
-Am Rücksitz eines Renault Twingo..
-In einem sittsamen Ehebett…
-In einem Labor…
….gezeugt wurden…
Bei Mehrlingen besteht immer eine Kumulation der Risikofaktoren!
„Mehrlinge“ ist per se ein Risikofaktor für Frühgeburtlichkeit, Präeklampsie und postpartale Blutungen!
Bei Gemini Kumulation der Risikofaktoren
dazu kommen noch
•Spezifisches Patientinnenkollektiv bei assistierter Reproduktion
•Frauen über 35
•erste SchwangerschaftSenat 2008
Mehr als die Hälfte aller Zwillinge kommen als Frühgeburten zur Welt!
25%
50%
Geburtstermin bei Einlingen vs Zwillingen
Fruchtblasenprolaps bei Gemini in der 24 SSW
Auf Bedrohung Frühgeburt hin spezifisch untersuchen !
z.B. regelm Zervixlängen-Messung
VASA PRAEVIA Zwillinge haben doppelt so viel Placenta, zwei Nabelschnüre, daher schon aus diesem Grund erhöhte Rate von Nabelschnurproblemen und vasa praevia
Zwillinge sind ab der 38 SSW als post-date (übertragen) zu betrachten…. Man muss entsprechend intervenieren
Minakami H, Sato I: Re-estimated date of delivery in multifetal pregnancies JAMA 275:1996
Luke B: the changing patterns of mutliple births in the US, maternal and infant characteristics , 1973 to 1990 Obstet Gynecol 84:101 1994
Totgeburten Einlinge vs Zwillinge
Zwillings-schwangerschaften haben eine wesentlich höhere Wahrscheinlichkeit auf schlechten Ausgang als Einlinge!
Also wird mehr geklagt!
IVF-Drillinge
2 intrauterin verstorben
16 Tage nach Tod des zweiten Akut-Sectio in der 25. SSW um 3.Kind zu retten
Auch dieses Kind verstirbt
Anklage § 80 StGB wg fahrlässiger Tötung: weil bei der Drillingsdiagnose kein Infantizid an zwei Kindern gemacht wurde, um so eines zu retten
Bei höhergradigen Mehrlingen steigt das Präeklampsie-Risiko weiter an!
Auch wenn sie auf Zwillinge reduziert werden, bleibt das Präeklampsie-Risiko der Höhergradigkeit bestehen Uzan 2000
0 10 20 30 40 50 60 70
Schweden
Irland
Italien
Finnland
Dänemark
Flandern (B)
Niederlande
Frankreich
Deutschland
Schottland
Österreich
% < 32 SSW% 32-36 SSW
Prozentsatz der Mehrlingsgeburten vor der 32 SSW und zwischen 32-36 SSW
Blondel Peristat BJOG 113: 528-535 2006
0 5 10 15 20
Niederlande
Dänemark
Flandern (B)
Schweden
Finnland
Deutschland
Frankreich
Österreich
England
Irland
ItalienZwillinge und Drillinge auf 1000 Lebendgeburten in Europa 2000/2001
Blondel Peristat BJOG 113: 528-535 2006
General obstetrics: Preterm birth and multiple pregnancy in European countries participating in the PERISTAT project
BJOG: An International Journal of Obstetrics & GynaecologyVolume 113, Issue 5, pages 528-535, 24 APR 2006 DOI: 10.1111/j.1471-0528.2006.00923.xhttp://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/j.1471-0528.2006.00923.x/full#f1
USA (2008)CDC betreibt NASS National ART Surveillance SystemAlle zugelassenen IVF Zentren in den USA müssen alle Zyklen und alle Schwangerschaften jährlich melden
ART in den USA derzeit (2008) verantwortlich für 1,2% der Lebendgeburten16% aller Zwillinge38% aller Drillinge und höhergradigen Mehrlingen
41% aller IVF Kinder kommen vor der 37 SSW zur Welt !
Schieve et al Am J Epidemiol 179:1396-1407 2009
Österreich 2010:
76.663 Mütter 78.080 Kinder
75.090 Einlingsgeburten 1.394 Mehrlingsgeburten
Geburtenregister
Österreich 2010: 75.090 Einlingsgeburten 1.394 Mehrlingsgeburten
1361 Zwillinge (1,8%) 30 Drillinge 2 Vierlinge Summe Mehrlingskinder: 2820
Addiert zu Kindern mit Einlingen 77.910 Es fehlen noch 170 Kinder „ohne Angabe“ – vermutlich EinlingeGeschätzt: zusätzlich 169 Einlinge 1 x Zwillinge
Nach Hellin‘scher Regel hätten in Österreich 2010 sein „müssen“
902 Zwillinge 10 Drillinge
0,1 Vierlinge
Die Hellinsche Regel basierte auf den Zwillingsaufzeichnungen in sächsischen Pfarrbüchern von 1830 bis 1860
Frauen bekamen ihre Kinder damals um ca 10 Jahre früher als heute, die Hellin‘sche Regel ist kein Naturgesetz sondern gibt eine damals gemessene Fertilität wieder
Würde für 2010 bedeuten:
728 „natürliche“ Zwillinge 3 „natürliche“ Drillinge
170 weniger als „Hellin“• 53% unserer Zwillinge sind „natürlich“• die übrigen 633 Zwillinge, 27 Drillinge
und die 2 Vierlinge sind mit medizinischer Unterstützung entstanden.
USA 4 Mio Geburten/a
2005 140.000 Mehrlingsgeburten
Auf Basis der Mehrlinge 1971 kalkulierte Anzahl der geschätzten „spontanen“ Mehrlinge 2005 (höherer Anteil an Menschen afrikanischer Abstammung)
83.750 59,9 %2005 Anzahl der sicher mit ART gezeugten Mehrlinge
24.165 17,28%2005 Anteil der Mehrlinge durch Nicht-ART Ov-Auslösung
31.902 22,82%
Schieve et al Am J Epidemiol 179:1396-1407 2009
Österreich 2010 1394 Mehrlingsgeburten
Auf Basis der Mehrlinge 1971 kalkulierte Anzahl der geschätzten „spontanen“ Mehrlinge ( im Vergleich zu USA niedriger Anteil an Menschen afrikanischer Abstammung)
739 Geburten 53 %
Anzahl der mit ART gezeugten Mehrlinge
251 Geburten 18%
Anteil der Mehrlinge durch Nicht-ART Ov-Auslösung
320 Geburten 23% Unklar: 6% (84 Geburten))
Umgerechnet auf Basis von Schieve et al Am J Epidemiol 179:1396-1407 2009
Andere Länder…..Belgien
Nicht-ART Ovulations-Auslösung verantwortlich für 33% aller MehrlingsschwangerschaftenOnbelet et al Multiple gestation and infertility treatment-the Belgian project Hum Reprod Update 11:3-14 2005
Umrechnung der Schätzungen von Schieve für die USA auf Österreich
geschätzte Zahl der durch nicht-ART Ovulationsauslösung geborenen Einlinge 3,98%
3.051
Gesamtzahl der Geburten durch nicht-ART Ovulationsauslösung 4,62%
3.541Schieve et al Am J Epidemiol 179:1396-1407 2009
•Geburtenregister Austria dokumentiert Krankenhausgeburten und von Hebammen gemeldete Hausgeburten in Österreich, auch von Frauen, die nicht in Ö gemeldet sind
•Statistik Austria dokumentiert Geburten aller in Österreich gemeldeten Mütter (z.B. auch Frauen aus Kl.Walsertal in Kempten/D) aber nicht der nicht in Österreich wohnhaften Mütter
•Differenz von 1000 Kinder pro Jahr
Leichte Unschärfe in der Geburtenstatistik….
Was uns auch noch für verlässliche Zahlen fehlt…
… ART – Kinder in Österreich außerhalb des IVF- Fonds
… ART-Kinder, die in Österreich geboren werden, aber im Zuge von „Reproduktionstourismus“ entstanden
?
Österreich 2010: 75.090 Einlingsgeburten 1.394 Mehrlingsgeburten Total Ö Basis
1971IVF Fonds
unklar
Zwi 1361 728 145 488
Dri 30 3 7 20
Vier 2 0,1 0 2
Keine Möglichkeit, Schwangerschaften, die durch Ovulationsauslösung entstanden sind, zu erfassen, durch Clomifenhandel über Internetapotheken (für Doping) unklare Dunkelziffer und Selbstmedikation
In Internetapotheken erhältlich als:Clomid, Clomin, Clomhexal, Clomifert, Clomiphene, Clomivid, Clomphid, Clostilbegyt, Androxal, Milophene, Serophene, Dyneric, Omifin, Ikaclomin
Wir merken uns…
Pro Jahr ca 1400 Mehrlingsgeburten
davon etwas mehr als die Hälfte750 Geburten 53 % „natürlich“
Knapp 20 % IVF und ICSI 251 Geburten 18%
Knapp 25% Clomifen und Lowdose Ovulations-Auslösung320 Geburten 23%
Umgerechnet auf Basis von Schieve et al Am J Epidemiol 179:1396-1407 2009
Unklar: 6% (84 Geburten))
Faustregel für Tirol: 10% von Österreich
Auch wir finden Zwillinge süß…..
Trotzdem sollte man sie nicht leichtfertig auf den Weg bringen !
60% Risiko niedriges Geburtsgewicht und/oder Frühgeburt
Kosten…
Australische Zahlen„birth admission costs“
4098 € Nicht-ART Einling
4818 € ART-Einlinge +18%
13.890 € ART-Mehrlinge 3 x mehr als 1
54.294 € ART-Drilling/Vierling 11 x mehr
Britische NHS Zahlen
Mehr-Kosten für den NHS – Schwangerschaft bis 1.Lebensjahr(Pfund-Euro Kurs 2002) 5.273 € ART Einling14.519 € ART Zwillinge51.416 € ART DrillingeLedger et al The cost to the NHS of multiple births after IVF treatment in the UK BJOG 113 21-25 2006
Frauenklinik Brünn 2009
Gemini spontan # 41 36 SSW 82.000 €
Gemini nach IVF # 74 32 SSW 7,4 Mio €
Tschechisches Parlament hat im Juni 2011 entschieden, dass die Krankenkassen die Kosten für 5 Zyklen übernehmen sollenDafür müssen die ersten 3 Zyklen SET sein
P.Uher, Pörtschach, Oktober 2011
P.Uher, Pörtschach, Oktober 2011
Fehlbildungen
Israel: 1998 – 2009 1154 Schwangerschaften mit schweren Fehlbildungen, (78 Zwillinge)
43 davon Ancenzephalie
9 Fälle von Anencephalie bei einem von Zwillingen
8 der Zwillinge durch ART, 1 der Zwillinge spontan
Ben Ami et al Sackler School of Medicine, Tel-Aviv University Do assisted conception twins have an increased risk of anencephaly? Hum Reprod Oct 2011 E-Pub ahead of print
eSET elective single embryo transfer„aus vielen der Beste, Rest Kryo“
Non-eSET Zyklus in dem ein Embryo rücktransferiert wird und kein Embryo kryokonserviert wird
DET double embryo transfer
DET double embryo transferWar ursprünglich die Standardmethode – nicht um bewusst Mehrlinge zu produzieren, sondern damit „wenigstens einer angeht“
Bei 25-30% der DETs kommt es zu Zwillingsschwangerschaften
Bei 10% der DETs kommt es zum „vanishing twin“, ursprünglich 2 Fruchtsäcke mit Herzaktion, dann nur mehr einer
Die Einlinge nach DET sind nicht wie Einlinge nach eSET
Diese Einlinge mit „vanishing twin“ haben ein deutlich erhöhtes Risiko auf Komplikationen einschließlich Wachstumsrückstand (SGA) und Frühgeburtlichkeit
Pinborg et al Vanishing twin: a predictor of small-for-gestational age in IVF singletons Hum Reprod 22:2707-2714, 2007Sazonova et al Factors affecting obstetric outcome of singletons born after IVF Hum Reprod 26: 2878-2886, 2011
Bei 10% der DETs kommt es zum „vanishing twin“, ursprünglich 2 Fruchtsäcke mit Herzaktion, dann nur mehr einer
eSET funktioniert am Besten in Kombination mit Kryo-ZyklenFET frozen embryo transfer
In Finnland bis zu 50% aller Zyklen….… „einer nach dem Anderen“
Tiitinen, 2008
Weniger Mehrlinge durch eSET
Belgien: Reduktion der Zwillinge von 19% aller IVF/ICSI-Geburten auf 3%Onbelet et al Multiple gestation and infertility treatment-the Belgian project Hum Reprod Update 11:3-14 2005
Schweden: Reduktion 20% auf 5%Källen et al Trends in outcome after IVF in Sweden, Hum Reprod 25:1026-1034 2010
Finnland: Reduktion 28% auf 9%Tiitinen et al The impact of SET to reduce preterm birth in Finland, Hum Reprod 23:726-734 2008
Tiitinen, 2008
Tiitinen, 2008
Schwedisches IVF-Register verbunden mit Geburtenregister-alle Zyklen 2002-2006
8941 Einlinge nach IVFDavon
4191 eSET1860 non-eSET2715 DET 175 DET mit vanishing twin
Sazonova et al Factors affecting obstetric outcome of singletons born after IVF Hum Reprod 26: 2878-2886, 2011
Auch Einlingsschwangerschaften nach IVF/ICSI haben einen etwas ungünstigeren geburtshilflichen Outcome als spontane Einlingea) Erhöhte Rate an Frühgeburt vor 32 SSW
(2% nach IVF, 0,9% spontan)Assoziiert mit – Primiparität - Rauchen der Mutter
- Vanishing TwinSazonova et al Factors affecting obstetric outcome of singletons born after IVF Hum Reprod 26: 2878-2886, 2011
Auch Einlingsschwangerschaften nach IVF/ICSI haben einen etwas ungünstigeren geburtshilflichen Outcome als spontane Einlinge
b)Small for gestational age3,2 % nach IVF, 2,4% spontan
Assoziiert mit - Ältere Mutter- Jahre der Infertilität- BMI – Primiparität
- Rauchen der Mutter- Vanishing Twin
Sazonova et al Factors affecting obstetric outcome of singletons born after IVF Hum Reprod 26: 2878-2886, 2011
Auch Einlingsschwangerschaften nach IVF/ICSI haben einen etwas ungünstigeren geburtshilflichen Outcome als spontane Einlinge
c) Placenta praevia1,5% nach IVF, 0,3% spontan
Assoziiert mit – Alter der Mutter- Multiparität
- Blastozystentransfer (3,4% pl praevia gegen 1,5% praevia bei Tag 2 Embryonen)-Diagnostischer Bias?
Sazonova et al Factors affecting obstetric outcome of singletons born after IVF Hum Reprod 26: 2878-2886, 2011
Placenta Praevia
Österreich – es werden immer noch zu viele Embryonen rücktransferiert!
Zervomanolakis,
Wer heute noch vier Embryonen rücktransferiert, rüttelt am medizinpolitischen Watschenbaum !
Die „unnötigen frühgeborenen Mehrlinge der Reproduktions-mediziner“ sind längst ein Thema der Gesundheitspolitik!
Der Nachteil der geringeren Konzeptionsrate im ersten Zyklus bei eSET wird durch Erfolg bei folgenden Kryozyklen kompensiert (vorausgesetzt die Frau ist unter 36 und gesund)
341:c6945 2010
Überlassen wir alles dem Markt?..oder den Klerikern und Ethikern? Oder den Gerichten?
„das Kind mit dem Bade ausschütten“
Als Sprichwort ist seit 1560 im deutschen Sprachraum belegt
(als es üblich wurde, Kinder zu baden)
•Müssen wir die Zwillinge dämonisieren?
•Muss die Perinatalmedizin die verursachten Kosten so betonen?
•6 Monate Lebensverlängerung für enorme Kosten sind für Onkologen ein Erfolg, auf den sie stolz sind…..•Ein Frühgeborenes, das 70 Jahre lebt, soll eine Fehlentwicklung der Medizin sein?
Wie invasiv, wie investigativ, wie indiskret darf / muss die Mehrlings-Proveninenzforschung sein ?
„Wir sagen nie mehr, dass wir mit IVF schwanger wurden, Ärzte und Hebammen haben uns so zur Sau gemacht…“
Vor Beginn einer Kinderwunsch-behandlung: doppelt so viel Aufklären!
Gegen verkitschte Illusion der „Zwillinge – 2 für den Preis von einem“ argumentieren!
Lösen wir die Raum- und Personalprobleme der Neonatologie mit strengen Gesetzen…..….wenn das Ausweichen ins Ausland so leicht ist ?
In jeder Studie weltweit zeigt sich, daß Zwillingsschwangerschaften•öfter schlechteren Ausgang•mehr Fehlbildungen•mehr Frühgeburten•mehr Kinder mit postpartalen Schäden haben
.......als Einlings-Kollektive
Achten Sie bei der bestehenden Klagefreude, daß nicht alles an Ihnen hängen bleibt, weil Sie vermeidbare Fehler gemacht haben!
Twin ShamansTom Lanford; Ojibway
Eineiige Zwillinge werden bei den amerikanischen Ureinwohnern zu Schamanen ausgebildet, weil sie die Stimmen der Geister in der Natur besser hören und verstehen können.
Danke für Ihre Aufmerksamkeit !