Der Onkologe als „Lotse“in einem ganzheitlichen
Versorgungskonzept
Priv.-Doz. Dr. med. Roland ReppMedizinische Klinik V
Sozialstiftung Bamberg
Krebshäufigkeit in Stadt und Landkreis Bamberg
• Neuerkrankungen: ca. 1000 Fälle pro Jahr- Darmkrebs: 185 Pat.- Brustkrebs: 144 Pat.- Prostatakarzinom: 127 Pat.- Lungenkrebs: 117 Pat.
• Zahl der aktuell lebenden Personen, die in den letzten5 Jahren an einer Krebserkankung erkrankt sind: 5200 Personen
• Krankenhausaufnahmen wegen bösartiger Erkrankung: ca 3000 pro Jahr
Die Onkologie befindet sich im Wandel
• Demographie: altersbedingte Zunahme von Krebserkrankungen, 2020 ca. 550-600.000 neue Krebserkrankungen/Jahr
• Krebs zweithäufigste Todesursache in Deutschland
• Aus einer akut lebensbedrohlichen Erkrankung wird immer häufiger eine chronische Erkrankung
• Ältere Patienten mit komplexen Begleiterkrankungen
• Zunehmende Komplexität der Krebstherapie ⇒Zusammenarbeit aller Disziplinen
• Neue zielgerichtete Arzneimittel, hohe Kosten
• Wissensexplosion durch molekularbiologische Erkenntnisse: Individualisierte Therapieansätze mit neuen Medikamenten
Beispiel eines Kranheitsverlaufbei einer Patientin mit Brustkrebs
Eigene Ansprüche der Krebserkrankten• Nicht sterben! (Mortalität)• Keine Symptome, keine Nebenwirkungen! (Morbidität)• Gutes Leben bei und nach Therapie! (Lebensqualität)• Keine Belastung der Familie! (Sozio-Ökonomie)• Beste Betreuung, Behandlung, Begleitung! (Qualität)• spezialisiert (Arzt, Zentrum, Versorgungseinheit)• modern (nach aktuellem Standard, neusten Erkenntnissen)• individuell (auf die Erkrankung, ein Patient - ein Arzt)• ganzheitlich (Mensch und Erkrankung)• ganzheitlich (komplementäre und alternative Methoden, CAM)• sich selbst für seine Gesundheit einsetzen
(Selbstverantwortung)• Nicht alleine gelassen werden (psychologische und spirituelle
Begleitung, Selbsthilfegruppen)• wohnortnah (um die Ecke)• keine/wenige (Zusatz-)kosten
Wie sieht die Versorgungsrealität aus?• Fragmentierte Versorgung:
Zergliederung in ambulanten und stationären SektorKeine Kontinuität der BetreuungZergliederung des medizinischen Behandlungsprozesses in viele Detailleistungen
• Fragmentierte Betrachtung des Patienten:Das Ganze einer umgreifenden Heilpraxis geht in einer verwirrenden Vielfalt der Spezialfächer und Spezialmethoden verloren
MV
Historischer Strukturstatus!Historischer Strukturstatus!ChaosChaos
MV
Regionale KooperationsstrukturRegionale Kooperationsstruktur
• Integration verbessert die Kommunikation• Gemeinsame Behandlungspfade sichern Qualität
• Wer begleitet den Patienten auf seinem Weg durch eine komplexe Behandlung?
• Wie kommt die Entscheidung für einen bestimmten Pfad zustande?
• Wer koordiniert alle Mitbehandler?
Welche Faktoren sind für eine Therapieentscheidung wichtig?
• Art des Tumorerkrankung• Krankheitsstadium• Alter, Begleiterkrankung• Abwägung der Risiken und Nutzen einer Therapie
Ist das alles?• Ziele und Wertvorstellungen des Patienten• Ängste, Wünsche, Hoffnungen• Körperliche Beschwerden• Psychische, spirituelle und soziale Bedürfnisse
Beispiel zur Entscheidungsfindung
• 61 jähriger PatientDiagnose: chronisch lymphatische LeukämieRezidiv der Erkankung bereits 6 Monate nach Ende der Chemotherapie
• Mittlere Lebenserwartung ca 2 Jahre• Möglichkeit einer Heilung der Erkrankung durch
eine Stammzelltransplantation• Hohes Risiko der Stammzelltransplantation
Gibt es eine richtige Entscheidung?
Vor jeder Beurteilung von Behandlungswegen:
Jeder Mensch hat zwei Meinungen zu seiner Krankheit:
Eine, wenn er noch gesund ist,
und eine, wenn er krank ist.
•„Patients with cancer are much more likely to opt for radical treatmentwith minimal chance of benefit than people who do not have cancer, including medical and nursing professionals. This should be taken intoaccount when discussing treatment options with patients and theirrelatives.“
Slevin et al. Br Med J 1990, 300:1458
Einschätzung des Behandlungswunsches: Diskrepanz zwischen Patient und Therapeut
Entscheidungsfindung
• Das Ergebnis ist ein individueller Weg, der immer wieder korrigiert und überprüft werden muss
• Die Begleitung diese Weges setzt eine gute und kontinuierliche Arzt-Patienten Beziehung voraus
Nur ein informierter Arzt kann dem Patienten bei der Entscheidungsfindung qualifiziert helfen!
• Spezialisierung nimmt weiter zu• Immer mehr multimodale Therapien• Behandlungsalternativen müssen bekannt
sein
⇒ Interdisziplinäre Falldiskussion (Tumorboard)
Reicht Interdisziplinarität aus, um von einem ganzheitlichen Ansatz zu sprechen?
• Was ist ganzheitliche Onkologie?• Welche Vorraussetzungen müssen erfüllt
sein?• Welche Berufsgruppen sind beteiligt?
Ganzheitliche Medizin oder Ganzheitsmedizinbezeichnet Konzepte und Methoden im Bereich der Medizin, die die Natur und den kranken Menschen in umfassenden Zusammenhängen betrachten und behandeln. …Eine einheitliche Definition von Ganzheitlichkeit wird man vergeblich suchen, da jeder hierzu eine andere, eigene Definition und Beschreibung hat. Somit ist Ganzheitlichkeit exakt das, was jeder einzelne sich hierunter vorstellt.
Wikipedia
Ziel einer ganzheitlichen Betreuung und Behandlung
Umfassende Berücksichtigung aller Aspekte des Krankseins unter Beachtung der Lebensbedingungen des Patienten, seiner Vorstellung von Krankheit und Gesundheit sowie seiner Wünsche, am Behandlungsprozess teilzunehmen
Ganzheitliche Onkologie
• „Schul“-Medizin• Komplementäre Medizin• Psychoonkologie• Psychosoziale Beratung• Spirituelle Begleitung• Ernährung• Sport
Torsten Wendt-Mikeit www.mein-mantelzelllymphom.de
Bedeutung einer ganzheitlichen Betreuung
Nach Abschluss der Hochdosis-Therapie musste ich vor allem akzeptieren, dass alles seine Zeit braucht. Was meine physische Erholung anlangte, habe ich ein großes Maß an Geduld und Verständnis mit mir und für mich selbst entwickeln müssen. Ein körperliches Aufbautraining unter Anleitung und Kontrolle eines Sportmediziners war mir hier sehr hilfreich. Spätestens nach Abschluss des Behandlungs-Marathons geriet ich in ein Tal seelischer Erschöpfung: Für mich wurde das Weiterleben zum Problem. Die Diagnose Krebs ist traumatisierend, das Durchstehen der ganzen Behandlung Schwerstarbeit. Und in manchen Momenten galt es auch, Angehörige zu trösten und zu beruhigen.
Leitliniengerechtes psychoonkologisches Angebot
• durch Ärzte/Diplom-Psychologen mit jeweils psychotherapeutischer Weiterbildung und psychoonkologischer Fortbildung gemäßPSO.
• Jedem Patienten muss die Möglichkeit eines psychoonkologischen Gesprächs ort- und zeitnah, niederschwellig, in allen Phasen der Versorgung (Diagnose, stationär, poststationär) angeboten werden
• Behandlungsziele sind: Vorbeugung + Behandlung von psychosozialen Folgeproblemen, Erhaltung der Lebensqualität, Aktivierung von Ressourcen, Berücksichtigung des sozialen Umfeldes, Organisation der ambulanten Weiterbetreuung
„Was kann ich sonst noch tun“ ?
• Möglichkeit der Eigenverantwortung, Eigenkompetenz, des Selber-Aktiv-Werdens.
• Fachlich wurde hierfür der Begriff „Salutogenese“geprägt, bei dem es nicht nur darum geht, körperliche Beschwerden zu lindern, sondern wirklich wieder einen Zustand der eigenen Kräfte und der Gesundheit herzustellen, der auch erreichbar ist, wenn der Patient nach objektiven medizinischen Maßstäben gar nicht „gesund“ ist, die Krankheit aber für ihn in einem Ausmaß besteht, das eine gute Lebensqualität birgt.
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Deutschland Kanada Frankreich USA Schweiz
Ernst, BMJ 2000
Inanspruchnahme komplementärer/alternativ-medizinischer Massnahmen
Alternativ-Therapien versprechen einen gleichwertigen Therapieweg unter Umgehung der etablierten Behandlungen
Komplementär-Therapie: Behandlungsmethoden, die in der Krebsbehandlung zusätzlich und in Ergänzung zu schulmedizinischen Verfahren angewandt werden
Integrative Onkologie: Einbeziehung etablierterkomplementärer Methoden in die Onkologie
Was ist das Ziel einer Komplementär-therapie in der Krebsbehandlung?
• Abschwächung der Nebenwirkungen der Krebsbehandlung
• Steigerung der Lebensqualität• Motivierung des Patienten, sich selbst für seine
Gesundheit einzusetzen• Erhöhung der Raten für die Ausheilung vom
Tumor?• Verbesserung der Wirkungen der Schulmedizin?
Kann Komplementärtherapie auch schaden?
• Allgemeine Überlegungen– Auch Naturprodukte und Pflanzen können giftig sein!– Wechselwirkung mit anderen Medikamenten
• Herabsetzung der Wirksamkeit der Bestrahlung• Beeinflussung der Wirkungen der Chemotherapie• Herabsetzung der Wirkungen einer antihormonellen
Behandlung– Wechselwirkungen der Komplementär-Präparate
untereinander
• Spezielle Bedenken– Möglicher Wachstumsreiz auf Leukämie- und Lymphomzellen?– Potentielle Wachstumsförderung von Brustkrebszellen durch
Phytohormone?
Eine ganzheitliche onkologische Behandlung ist immer auch eine individuelle Behandlung, die ein qualifizierte, kontinuierliche Begleitung voraussetzt
Der Onkologie als „Lotse“• Persönliche Behandlung eines Krebskranken durch einen
versierten Onkologen, der die Verantwortung und die kontinuierliche Betreuung übernimmt.
• Erstellt gemeinsam mit dem Patienten einen individuellen Therapieplan auf Basis einer partizipativenEntscheidungsfindung
• Integriert Diagnostik, Therapie und begleitende Maßnahmen (u.a. psychosoziale Beratung, psychoonkologische Beratung, Ernährung, Sport, Lebensführung, komplementäre Medizin) in ein Gesamtkonzept
• Zieht weitere Fachkompetenz hinzu (u.a. Tumorboard)• Arbeitet eng mit Hausarzt zusammen• Sammelt und dokumentiert alle Informationen und sorgt für
eine Weitergabe an alle Mitbehandler
Fazit
• Zum Fazit gehört für mich auch der Hinweis, dass es ganz sicher nicht“den” oder “den einen” Umgang mit der Erkrankung gibt. Es kann ihn gewiss nicht geben, denn jeder von uns ist einzigartig, eben individuell, verschieden.
Torsten Wendt-Mikeit www.mein-mantelzelllymphom.de
Danke fDanke füür Ihre Aufmerksamkeit !r Ihre Aufmerksamkeit !