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Page 1: Der Wand-Decken-Knoten im Mauerwerksbau: Teil 1: Theoretische und experimentelle Untersuchungen zur Tragfähigkeit

2 © 2005 Ernst & Sohn Verlag für Architektur und technische Wissenschaften GmbH & Co. KG, Berlin · Mauerwerk 9 (2005), Heft 1

Fachthemen

Wolfram JägerGunar Baier

1 Notwendigkeit und Berechnungs-modelle

1.1 Allgemeines

Die Bemessung nach der Methodeder Grenzzustände setzt sich im Bau-wesen allgemein durch. Auch derMauerwerksbau ist dabei, diese Me-thodik zu übernehmen, um eine ein-heitliche Berechnung und Bemes-sung nach dem neuen Sicherheits-konzept für alle Bauteile eines Ge-bäudes zu ermöglichen. Durch diedetaillierte Erfassung der Sicherheits-einflüsse und durch fundiertereBerechnungs- und Bemessungsme-thoden sind damit Effekte im Sinneeiner effizienteren Materialausnut-zung möglich, die bisher nicht er-schlossen worden sind. Das betrifftauch die Berücksichtigung des Ein-flusses der Deckenverdrehung beimNachweis gemauerter Wände.

Durch die behinderte Verdre-hung der Deckenplatten entstehen inGeschoßbauten Einspannmomentean den Verbindungsstellen zwischenDecken und Wänden, dem Wand-

Decken-Knoten, die in die Wandkon-struktionen abgeleitet werden. Bild 1zeigt beispielhaft eine Außenwand ei-nes Wohngebäudes aus Mauerwerkmit den zugehörigen Beanspruchun-gen infolge Dachlast, Wind undDeckenbelastung.

Die statische Modellbildung zurBestimmung der Biegemomente ori-entiert sich im Regelfall an Rahmen-systemen mit biegesteifen Ecken. Inder Realität schwankt der Einspann-grad jedoch, abhängig von Geometrieund Baustoffkenngrößen, zwischenvoller Einspannung und gelenkigerLagerung (vgl. Bild 2).

Im Falle einer biegesteifen Ver-bindung werden somit relativ großeBiegemomente in die Wände übertra-gen, während bei annähernd gelenki-gem Anschluß der Decke die Biegebe-anspruchung nur gering ist. Für denNachweis der Tragfähigkeit der Wandist das von erheblicher Bedeutung, damit steigenden Lastexzentrizitätenauch die Tragfähigkeit geringer wird.Damit besitzt die Bestimmung der imKnotenbereich in die Wände übertra-genen Biegemomente gerade für dieanschließende Nachweisführung be-sondere Bedeutung.

Der Wand-Decken-Knoten im MauerwerksbauTeil 1: Theoretische und experimentelle Untersuchungen zur Tragfähigkeit

Der Wand-Decken-Knoten hat bei der Bemessung von Mauerwerk eine markante Be-deutung, da infolge der Verdrehung der Geschoßdecken in die Wände Biegemomenteübertragen werden, die wiederum die Tragfähigkeit der Wand nachhaltig beeinflussen.Um den Arbeitsaufwand für deren Ermittlung in Grenzen zu halten, wird die Berechnungdes Rahmensystems aus Wänden und Decken i. d. R. auf Ein-Knoten-Systeme zurückge-führt, die jeweils am Kopf und am Fuß der Wand angesetzt werden. Auf diese Weise läßtsich gleichzeitig die Lagerung der Wand an diesen Stellen berücksichtigen. Einer mög-lichst realitätsnahen Bestimmung der infolge Behinderung der Deckenverdrehungen in-dizierten Biegemomente und somit der Lastexzentrizität in der Wand kommt eine beson-dere Bedeutung bei der Bemessung zu. Die Güte der Modellierung und die zugrunde ge-legten Annahmen haben Einfluß auf das rechnerische Ergebnis, das mehr oder wenigervon dem realen Verhalten und der tatsächlichen Tragfähigkeit abweicht. Es soll auf dersicheren Seite liegen sowie einfach und schnell zu bestimmen sein.

Das Verhalten des Wand-Decken-Knotens ist mit besonderem Bezug zumEurocode 6 theoretisch, experimentell und numerisch untersucht worden, um ggf. vor-handene Reserven beim Übergang auf das neue Sicherheitskonzept offenlegen und aus-nutzen zu können. Die wesentlichen Ergebnisse werden nachfolgend dargestellt.

Bild 1. Außenwand eines Mauerwerksgebäudes und zugehörige Beanspruchung(Quelle: BV Ziegelindustrie)

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3Mauerwerk 9 (2005), Heft 1

1.2 Theoretische Modelle

In der Vergangenheit ist das Tragver-halten des Wand-Decken-Knotens imMauerwerksbau international mehr-fach analysiert worden. Vorrangigsind an dieser Stelle Arbeiten vonShalin [1], [2] und Hendry [3], [4] zunennen, die besonders in den 70erund 80er Jahren umfangreiche Unter-suchungen zur Problematik durchge-führt haben.

Sahlin geht dabei von der imBild 2 (rechts) dargestellten Bezie-hung zwischen den Drehwinkeln derDecke, der Wände und des Knotensaus. Wesentliches Merkmal dabei ist,daß im Gegensatz zum ideal biege-steifen Knoten der Decken- und derWanddrehwinkel voneinander ver-schieden sind. Der entstehende Diffe-renzdrehwinkel entsteht durch die imKnotenbereich und den Lagerfugenbei steigender Deckenbelastung auf-tretenden Risse und ist für nicht bie-gesteife Verbindungen markant. Fürden verformten Knoten gilt folgendemathematische Beziehung:

(1)

Gesucht ist der verformte Zu-stand des Knotensystems, bei demdiese Gleichung erfüllt wird. Darinlassen sich der Deckendrehwinkel ϕDsowie der Wanddrehwinkel auf theo-retischem Weg bestimmen, währendder entstehende Differenzdrehwinkelnur mittels experimenteller Untersu-chungen gefunden werden kann.

Bei der Ermittlung des Decken-drehwinkels geht Sahlin davon aus,daß die Decken gelenkig gelagertsind und nur durch die exzentrisch

ϕ ϕ ϕD W= + ∆

wirkenden Normalkräfte in denMauerwerkswänden eine Einspan-nung am Rand erfolgt. Das zugrunde-liegende statische System ist in Bild 3abgebildet.

Aus der technischen Mechanikläßt sich anhand des Systems folgen-de Beziehung für den Deckendreh-winkel ableiten:

(2)

Zur Bestimmung des Wanddreh-winkels wird in [1] folgende verein-fachte Gleichung angegeben (mit cals Abstand der Resultierenden vomgedrückten Querschnittsrand):

(3)

Diese vereinfacht jedoch nur dienichtlinearen Beziehungen zwischenDrehwinkel, Exzentrizität und Auf-last einer Mauerwerkswand. Für er-gänzende Informationen zur Her-kunft dieser Gleichung muß aus

ϕ λυ

WuN e hc EI

= ⋅ ⋅3

ϕD o o u uql

EIN e N e l

EI= − ⋅ + ⋅( )3

24 2

Platzgründen an dieser Stelle auf [1]und [5] verwiesen werden.

Die Bestimmung des Differenz-drehwinkels kann, wie bereits ange-deutet, nur auf experimentellem Wegerfolgen. Dazu wurden von Sahlinzahlreiche Versuche an einzelnenKnotenausschnittsmodellen, wo nurein Teil der beiden Mauerwerkswändesowie die Deckenplatte als Kragarmnachgebildet werden, und an komplet-ten Rahmensystemen durchgeführt.Es wurde festgestellt, daß der Diffe-renzdrehwinkel erst ab einem gewis-sen Grenzmoment Mpl. auftritt. Bisdahin wirkt der Knoten infolge desHaftverbundes zwischen den einzel-nen Materialien nahezu biegesteif.Wird das Grenzmoment erreicht, be-ginnt der Knoten zu rotieren. Ab die-sem Zeitpunkt ist die Größe des über-tragbaren Momentes von der Decke indie Wände nicht mehr steigerbar, derKnoten verdreht sich nur noch. DerRotation des Knotens ist eine Grenzegesetzt, bei deren Erreichen starkeRißbildungen in den Wandbereichenober- bzw. unterhalb des Knotens so-wie in der Deckenplatte auftreten, diedann letztlich zum Versagen führen.

Als Näherungslösung für dieKnotentragfähigkeit wird von Sahlinangegeben:

∆ϕ = 0 für 0 ≤ M < Mpl. (4)

0 ≤ ∆ϕ ≤ ∆ϕult. für M = Mpl. (5)

mitM Deckenendmoment bzw. wirk-

sames KnotenmomentMpl. Moment, ab dem der Knoten

sich nicht mehr elastisch verhält∆ϕult Grenzverdrehung im Bruchzu-

stand.

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Bild 2. Rahmensystem in einem zweigeschossigen Mauerwerksbau und Drehwin-kelbeziehungen in den Rahmenecken (Wand-Decken-Knoten)

ϕW WanddrehwinkelϕD Deckendrehwinkel∆ϕ Differenzdrehwinkel

Bild 3. Statisches System der Deckenplatte und Kräfteverteilung im Auflager-bereich

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4 Mauerwerk 9 (2005), Heft 1

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Für die Grenzverdrehung im Bruch-zustand wird in Abhängigkeit vomVerhältnis der wirkenden Normal-kraft N zur vertikalen TragfähigkeitNR der Wand eine lineare Beziehungangegeben:

(6)

Das plastische Grenzmomentund der Verlauf des Differenzdreh-winkels sowie die Grenzverdrehungwurden aus den experimentellen Un-tersuchungen bestimmt, da sie nichtauf rein analytischem Wege hergelei-tet werden können. Sahlin gibt dazuverschiedene Werte an. Alle Größenhängen wesentlich von der Art derMaterialien, den Steifigkeitsverhält-nissen sowie der Geometrie des Kno-tens ab.

Damit sind jeweils Gleichungenzur Bestimmung der Wand- undDeckendrehwinkel als auch des Kno-tens vorhanden. Alle Drehwinkel sindFunktionen der Normalkräfte undLastexzentrizitäten. Zu einer vorgege-benen Vertikalkraft Nu existiert ge-nau eine zugehörige Exzentrizität e,bei der die Gln. (1) bis (4) allesamterfüllt sind. Die Lösung wird vonSahlin grafisch in Diagrammform an-gegeben.

Im Gegensatz zu Sahlin, der sei-ne Theorie auf Basis der Drehwinkel-beziehungen nach Gl. (1) aufbautund dann anhand der einzelnenFunktionen die Exzentrizität e ermit-telt, bei der die Gleichungen alle er-füllt sind, verfolgt Hendry eine andereBetrachtungsweise. Die Grundideeliegt darin, die Größe des in die Wän-de eingetragenen Biegemomentes aneinem Rahmensystem mit biegesteifenEcken auf linear elastischem Weg zuberechnen und dieses Moment an-schließend mit Hilfe eines Abminde-rungsfaktors zu reduzieren. DieserFaktor ist eine Art Knotensteifigkeits-faktor, der über das Verhältnis destatsächlich aus der Deckenbelastungin die Wand eingetragenen MomentesMreal zu dem Moment Mtheo, welchesauf Basis der Elastizitätstheorie unterAnnahme eines biegesteifen Knotensberechnet werden kann, definiert ist.Es gilt:

(7)

Zur Bestimmung dieses Faktorshaben Hendry et al experimentelleUntersuchungen an einem zweige-

β = MM

real

theo

∆ ∆ϕ ϕult RN N= ⋅ −( )1 / .

schossigen Rahmensystem im Modell-maßstab M1:2 und an einem dreige-schossigen Rahmensystem im Ori-ginalmaßstab durchgeführt [3]. Fürbeide Systeme wurden anhand der ge-messenen Verformungen und Dreh-winkel die tatsächlich in den Wand-Decken-Knoten übertragenen Biege-momente bestimmt.

Die Berechnung der Deckenein-spannmomente erfolgt prinzipiell un-ter den gleichen Annahmen, wie sie inBild 3 dargestellt sind. Die untereDeckenplatte des im Bild 4 (links)dargestellten Versuchskörpers wirdals Einfeldträger betrachtet, der durchein zusätzliches Randmoment, dassich aus der Einspannwirkung derVertikalkraft am Knoten ergibt, bela-stet wird. In den Versuchen wurdensowohl die Verformung der Decken-platte in der halben Spannweite alsauch die Verdrehung der Decke amKnoten gemessen. Darüber hinaus er-folgte über eine Verformungsmessungder oberen Deckenplatte, die zweifels-frei als gelenkig gelagerter Einfeld-träger betrachtet werden kann, die Be-stimmung der Biegesteifigkeit im geris-senen Zustand. Mit deren Kenntniskönnen für den Einfeldträger (untereDecke) auf Basis der gemessenenVerformungsgrößen für verschiede-ne Deckenbelastungen (Lastzustände)stets die Randeinspannmomente Mrealermittelt werden. Zum Vergleich wur-den an dem auf der rechten Seite vonBild 4 dargestellten Rahmensystem dieDeckeneinspannmomente Mtheo be-rechnet und anschließend gemäß Gl.(7) ins Verhältnis gesetzt.

Auf diese Art und Weise kannder Knoten somit zunächst als biege-steif betrachtet und die Rechnung aneinfachen Rahmensystemen erfolgen.Der Bezug zum tatsächlichen Verhal-ten wird dann über den Abminde-rungsfaktor hergestellt. Zur Verallge-

meinerung und für eine praktikableAnwendung ist es jedoch erforder-lich, die Größe des Abminderungs-faktors für beliebige Stein-Mörtel-Kombinationen, Deckenplatten-dicken und Spannweiten abschätzenzu können. Dazu wurden weitereVersuchreihen durchgeführt sowie inder Literatur verfügbare experimen-telle Ergebnisse ausgewertet. Als va-riablen Parameter hat Hendry dasVerhältnis KS / KW gewählt, d. h. dasSteifigkeitsverhältnis der Decke (In-dex S) zu den Wänden (Index W). Esgilt:

(8)

Den experimentell ermitteltenVerlauf des Abminderungsfaktorszeigt Bild 5.

Zur analytischen Bestimmungdes Abminderungsfaktors schlägtHendry folgenden Ausdruck vor:

(9)

Auf diese Art und Weise könnenunter Verwendung der aus der Statikbekannten einfachen Rahmenfor-meln die Schnittgrößen in den Wän-den ermittelt und mit Hilfe des Ab-minderungsfaktors an die tatsächli-chen Verhältnisse angepaßt werden.Kritisch zu bewerten ist in jedem Falldie tatsächliche Größe des Abminde-rungsfaktors, da alle Versuche, diezur Bestimmung herangezogen wur-den, aus heutiger Sicht mehr als 25Jahre zurückliegen und an für Eng-land typischem Ziegelmauerwerkdurchgeführt wurden (Mauersteinemit hoher Druckfestigkeit in Kombi-nation mit Normalmörteln). EineÜberprüfung der Übertragbarkeit aufmodernes Mauerwerk mit den heutetypischen Materialkombinationenhat bisher nicht stattgefunden.

β =

+1

0 44 1 1, / ,K KS W

K KEI hEI lS W

S

W/ = ⋅

Bild 4. Rahmensystem und Eingangsgrößen zur theoretischen Ermittlung desKnotenmomentes nach Elastizitätstheorie [3]

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5Mauerwerk 9 (2005), Heft 1

Die geschilderte Vorgehensweiseist im wesentlichen die Basis des inprEN 1996-1-1 enthaltenen Verfah-rens. Das Steifigkeitsverhältnis KS/KWist dabei mit dem in Gl. (12) definier-ten Faktor k nahezu identisch, es feh-len lediglich die Stabsteifigkeitsfakto-ren. Die Hyperbel nach Gl. (9) läßtsich innerhalb der Grenzen 0 ≤ k ≤ 2durch eine einfache Gerade approxi-mieren. Für den Abminderungsfaktorergibt sich somit:

(10) β( )k k= −1

4

Die beiden in Kürze geschilder-ten, theoretischen Modelle ermög-lichen die Betrachtung des Wand-Decken-Knotens unter Berücksichti-gung der infolge Rißbildung eintre-tenden Biegeweichheit des Knotens,wobei das Vorgehen nach Hendryeinfacher handhabbar ist. In beidenTheorien ist aber in jedem Fall zu-mindest immer eine Größe nur expe-rimentell bestimmbar, eine rein ana-lytische Lösung existiert damit nicht.

1.3 Normative Regeln

In den Normen DIN 1053-1 [6] undEurocode 6 (prEN 1996-1-1) [7] wer-den Hinweise zur Modellierung bzw.vereinfachte Systeme gegeben, mitderen Hilfe die Biegemomente in denWänden bestimmt werden können.Die Berechnung erfolgt in der Regelauf der Basis von ebenen Rahmensy-stemen mit ein, zwei oder mehrerenfreien Knoten, bei denen die horizon-talen Geschoßdecken und die verti-kalen Wände als biegesteif miteinan-der verbunden angenommen werden.Zur Korrektur dieser Modellannahmeund zur Berücksichtigung des Auf-reißens der Querschnitte wird ein zu-sätzlicher Abminderungsfaktor zurReduzierung der berechneten Biege-momente verwendet. Diese Verfah-rensweise ist damit in beiden Nor-men prinzipiell gleich und lehnt sichan die geschilderte Methodik nachHendry an. Bild 6 zeigt das verein-fachte Berechnungsmodell mit denzugehörigen Gleichungen nach EC 6.

Im Vergleich dazu, wird in DIN1053-1 kein konkretes System ange-geben, sondern nur der Hinweis, daßdie Berechnung der Knotenmomentean Ersatzsystemen unter Abschät-zung der Momentennullpunkte erfol-gen kann. Weiterhin dürfen elasti-sches Materialverhalten und ungeris-sene Querschnitte angesetzt werden.Die so berechneten Momente kön-nen pauschal auf 2/3 ihres Wertes ab-gemindert werden. Die Vorgehens-weise ist somit analog zum Eurocode-Verfahren, muß jedoch aufgrund derpauschalen Abminderung als wesent-lich konservativer und weniger rea-litätsnah eingestuft werden. Der dar-aus abzuleitende Berechnungsalgo-rithmus ist in Bild 7 beispielhaft füreinen Außenwandknoten dargestellt.

Eigene Tastversuche haben ge-zeigt, daß der Wand-Decken-Knotenwesentlich biegeweicher und damitdie Momentenbeanspruchung für dieWände wesentlich geringer ist, alsdies rechnerisch nach Norm bisherangenommen wird. Die Erkenntniswar Anlaß für eine ausführlichereUntersuchung der Problematik.

2 Experimentelle Untersuchungen

Die Überprüfung der in Eurocode 6enthaltenen Berechnungsgleichun-gen erfolgte durch je einen Versuch

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Bild 5. Knotensteifigkeit als Funktion des Steifigkeitsverhältnisses der Deckenund Wände [2]

Bild 6. Vereinfachtes Rahmensystem nach EC 6 [7] und zugehörige Berechnungs-formeln

E E-Modeul I Trägheitsmomenth Wandhöhe l Deckenspannweiten Steifigkeitsfaktor k Abminderungsfaktor

Bemessungswert

M

n E Iln E I

l

w l

n

w l

n

mitn E I

ln E I

hn E I

l

i i i

ii

i i i

ii

1

1 1 1

1

1

4

3 32

3

4 42

4

1

4 1 1 1

1

4 4 4

4

4 1 4 1

( )*ϕ = ×

−( ) −−( )

= +…+

=

=

mit

n E Il

n E Il

n E Ih

n E Ih

k =+

+

3 3 3

3

4 4 4

4

1 1 1

1

2 2 2

2

M k M1 11

4( ) ( )*ϕ ϕ= −

×

(11)

(12)

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an einem Außenwand- und einem In-nenwandknoten im Originalmaßstab.Vom Versuchsaufbau und der Durch-führung her konnten die Bearbeiterauf Erfahrungen aus der experimen-tellen Untersuchung von Wand-Decken-Knoten aus dem Betonbauzurückgreifen ([11], [12]).

Es wurde in beiden Fällen be-wußt ein 1 m breiter Streifen gewählt,um bei der Überprüfung der „ebenenFormeln“ räumliche Effekte auszu-schließen. Der Aufbau und die we-sentlichen Parameter sind Tabelle 1zu entnehmen.

Begleitend zum Aufbau desWand-Decken-Knotens wurden zu-sätzliche Probekörper der einzelnenKomponenten hergestellt. DerenNotwendigkeit ergab sich aus denAnforderungen des entwickelten nu-merischen Modells, mit dessen Hilfedie spätere Simulation des Versuchesvorgenommen werden sollte. Wesent-liches Ziel dieser zusätzlichen Unter-suchungen war es, die erforderlichenEingangsparameter für das im Ab-schnitt 4 beschriebene numerischeModell zu bestimmen.

Bild 8 zeigt beispielhaft dieSteinprismen bei der Bestimmung derSpannungs-Dehnungs-Kennlinie.

Für den verwendeten Kalksand-stein wurden folgende Kenngrößenermittelt:Rohdichte: ρb = 1,912 kg/dm3

Zugfestigkeit Richtung Steinhöhe: fbt, ⊥LF = 1,299 MN/m2

Druckfestigkeit:fb = 18,2 MN/m2

Zugfestigkeit Richtung Steinlänge: fbt, LF = 1,460 MN/m2

Querdehnzahl: vb = 0,17

In beiden Wand-Decken-Kno-ten-Versuchen wurden für verschie-dene Kopfbelastungen der Wände imWohnungsbau übliche Deckenlastenstufenweise aufgebracht und die Ver-formungen der Decken und Wändesowie deren Verdrehungen am Kno-ten gemessen.

Mit Hilfe der aufgezeichnetenMeßdaten wurden die Biegemomenteam Wand-Decken-Knoten ähnlichwie nach dem im Abschnitt 1.2 ge-schilderten Verfahren von Hendrybestimmt. Deutlich zu beobachtenwaren Rißbildungen in der 2. Lager-fuge unter- und oberhalb der Decken-platte. Die Fuge zwischen Wand undDecke blieb ungerissen. Ursachedafür sind die gegenüber der reinenLagerfuge (Stein-Mörtel) besserenVerbundeigenschaften (Haftzugfe-stigkeit) zwischen Deckenplatte undden angrenzenden Steinen, wodurchdie Risse nicht in der Fuge zwischenBeton und Stein, sonder erst zwi-schen der 1. und 2. Steinreihe auftra-ten. Auf eine zusätzliche Trennlagezwischen Deckenplatte und Mauer-werk wurde bewußt verzichtet, um

6 Mauerwerk 9 (2005), Heft 1

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Bild 7. Systemmodellierung und Algorithmus nach [8], [9] für einen Wand-Decken-Knoten in einem Normalgeschoß

E E-Modeul I Trägheitsmomenth Wandhöhe l Deckenspannweite

Deckeneinspannmoment:

(13)

Abminderungsfaktor2/3

Abgem. Deckeneinspannmoment:

(14)

Wandelemente

(15)M MM q l

ko uz= − = = ⋅ ⋅

+

213 12

22

1 12

1

Mq l

kz� = − ⋅ ⋅

+23 12

22

1 12

1

Mq l

kz = − ⋅+

1 12

1122

2

k

EIEI

hl

B

M1

1

23

= ⋅

Tabelle 1. Zusammenstellung der wesentlichen Parameter für die Versuchskörper

Innenwand-Decken-Knoten (IWDK) Außenwand-Decken-Knoten (AWDK)

Wände

Breite b = 1,0 m Breite b = 1,0 mlichte Höhe h = 2,5 m Höhe h = 2,0 mWanddicke t = 0,175 m Wanddicke t = 0,115Kalksandstein DIN 106 Kalksandstein KS Quadro

KS 12 – 1,8 – 175 20 – 2,0 – 115Mörtel Normalmörtel MGII Mörtel Dünnbettmörtel

Decken

Breite b = 1,0 m Breite b = 1,0 mSpannweite l = 6,0 m Spannweite l = 5,0 mDeckendicke d = 0,16 m Deckendicke d = 0,16 mBeton B2 Beton B25Betonstahl BST 500 M/S Betonstahl BST 500 M/S

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Die experimentellen Werte lie-gen in Abhängigkeit von der verti-kalen Auflast in den Wänden imVergleich zu den auf Basis vonE = 1000fk berechneten Werten ledig-lich bei 18 bis 56 %. Das in die Wän-de eingetragene Biegemoment ist da-mit im ungünstigsten Fall nur halb sogroß wie das berechnete Moment.Ähnliche Tendenzen zeigt auch derVergleich mit den auf Basis des expe-rimentell ermittelten E-Moduls be-rechneten Größen. Für geringere Auf-lasten liegen auch hier die Werte un-terhalb der theoretischen Größen.Bei hohen Auflasten (letzte Zeile derTabelle) ist jedoch das berechneteMoment geringer, als dies in Wirk-lichkeit der Fall ist.

Insgesamt muß festgestellt wer-den, daß die mit dem theoretischenModell nach Eurocode 6 berechnetenBiegemomente nur unzureichend dieim Experiment nachgebildeten realenVerhältnisse wiedergeben. Diese Fest-stellung führte maßgeblich zu der imTeil 2 näher beschriebenen Modifika-tion des im Eurocode 6 vorhandenentheoretischen Modells. Die Ergebnis-se am Innenwand-Knoten zeigten diegleichen Tendenzen.

Der Teil 2: „Vorschlag für einrealistischeres Berechnungsmodellauf Basis neuer Erkenntnisse“ er-scheint im nächsten Heft.

auch den Einfluß des Haftverbundesmit erfassen zu können.

Die Tabelle 2 zeigt beispiel-haft für den Außenwandknoten dieGegenüberstellung der Größe derDeckeneinspannmomente im Bereichdes Knotens. Die experimentellen Er-gebnisse sind mit MEXP bezeichnet. Mist das Deckeneinspannmoment, dasmit dem Berechnungsmodell gemäßBild 6 bestimmt wurde. Hierbei istnoch eine zusätzliche Differenzierungnach der Größe des bei der Berech-nung verwendeten E-Moduls vonMauerwerk vorgenommen worden, dagemäß Eurocode der E-Modul mitE = 1000fk (fk charakteristische Mau-erwerksdruckfestigkeit) definiert wird,während sich experimentell an geprüf-ten Kleinkörpern nur E ≈ 500fk ergab.Aus der Tabelle ist deutlich zu erken-nen, daß die experimentell ermitteltenBiegemomente für unterschiedlicheLaststufen und damit vertikale Aufla-sten veränderlich sind.

Im Gegensatz dazu erhält mannach dem Eurocode-Verfahren stetsden gleichen Zahlenwert (s. Tabel-le 2), da das Verfahren selbst auflast-unabhängig ist, was als ein wesent-licher Nachteil zu werten ist. Hinzukommt, daß sich die unterschiedli-chen Verhältnisse von Elastizitätsmo-dul und Druckfestigkeit des Mauer-werks sehr stark auf die Ergebnisseauswirken.

Bild 8. Bestimmung der Spannungs-Dehnungslinie und der Querdehnzahl amSteinprisma

Tabelle 2. Gegenüberstellung der experimentell bestimmten und der nach Euro-code 6 berechneten Biegemomente (Außenwand-Decken-Knoten)

Auflast Versuch FEM EC 6 Verhältnis

MEXP. MFEM ME=500 fk ME=1000 fk[kNm] [kNm] [kNm] [kNm]

5kN –0,63 –0,48 –1,39 –3,44 0,45 0,18

25kN –1,14 –1,25 –1,39 –3,44 0,82 0,33

100kN –1,93 –1,95 –1,39 –3,44 1,38 0,56

MM

EXP

E fk=500

MM

EXP

E fk=1000

7Mauerwerk 9 (2005), Heft 1

Literatur und Quellen

[1] Sahlin, S.: Structural Masonry, Pren-tice Hall, Inc.: New Jersey: EnglewoodCliffs, 1971.

[2] Sahlin, S.: Plea for an EN StandardTest of Floor/Wall Joint’s. MasonryInternational 16 (2003) 3, S. 83–88.

[3] Awni, A. A., Hendry, A.W.: SimplifiedMethod for Eccentricity Calculation.In: Proceedings of Fifth InternationalBrick and Masonry Conference: Wash-ington 1979, pp. 528-534.

[4] Hendry, A. W.: Structural Masonry.Sec. Ed. Macmillian Press: Houndmillsand London 1998.

[5] Jäger, W., Baier, G.: Kosteneinspa-rung im Mauerwerksbau durch wirk-lichkeitsnahe Erfassung des Tragver-haltens von Mauerwerksbauten. For-schungsbericht: TU Dresden, FakultätArchitektur, Lehrstuhl Tragwerkspla-nung. Gefördert durch Mittel des Bun-desamtes für Bauwesen und Raumord-nung. Dresden September 2004.

[6] DIN 1053-1: 1996: Mauerwerk. Teil 1:Berechnung und Ausführung. Deut-sches Institut für Normung e.V. Berlin:Beuth Verlag 1996.

[7] prEN 1996-1-1: Stage 49. Eurocode6: Design of Masonry Structures – Part1-1: Common rules for reinforced andunreinforced masonry structures. un-published, CEN/TC 250/SC 6 N 0271.Brussels: March 2003.

[8] Mann, W.: Mauerwerk. In: Lehrbuchder Hochbaukonstruktionen. Hrsg. E.Cziesielski. Stuttgart: B. G. Teubner1993, S. 93 – 141.

[9] Reeh, H., Reeh, S., Mathias, B.: Kalk-sandstein. DIN 1053-1 Mauerwerk. Be-rechnung und Ausführung. Hrsg. KS-Info GmbH: Hannover 2003.

[10] Jäger, W., Meyer, U. u.a.: Bemessungvon Ziegelmauerwerk. Hrsg.: Arbeits-gemeinschaft Mauerziegel im Bundes-verband der Deutschen Ziegelindustriee. V: Bonn 2002.

[11] Berndt, E., Müller, G.: Experimen-telle Untersuchungen zur Tragfähigkeiteines Wand-Decken-Knotens mitHohldeckenplatten. Wiss. Zeitschriftder TU Dresden 36 (1987) 5, S. 69 – 74.

[12] Berndt, E., Sabha, A.: Zum Tragver-halten des Wand-Decken-Knotens ei-nes Hohlwand-Hohldecken-Systems.Beton- und Stahlbetonbau 86 (1991) 7,S. 162 – 166.

Autoren des Beitrags:Prof. Dr.-Ing. Wolfram Jäger, Dipl.-Ing. Gunar Baier, Technische Universität Dresden, Fakultät Architektur, Lehrstuhl für Tragwerks-planung, D-01602 Dresdene-Mail: [email protected]

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