Die energieautarke Kläranlage
Karl Svardal
Institut für Wassergüte, Ressourcenmanagement und Abfallwirtschaft
Technische Universität Wien
Einleitung
• Klimaveränderung und Energiebedarf sind dominante Themen
Einsparung an fossilen Brennstoffen
Erneuerbare Energieträger
Faulgas (Biogas)
• Abwasserreinigung hat in Österreich an politischer Bedeutung verloren, weil zumindest die Erstausstattung in Österreich und weiten Teilen Westeuropas weitgehend vorhanden ist.
Einleitung
• Derzeit hohe Energiepreise und staatliche Förderung für Energie aus nachwachsenden Rohstoffen
Druck auf Kläranlagen, Einsparungspotenziale beim Energiebedarf zu ermitteln und umzusetzenAuch wenn sich diesbezügliche Verbesserungen nur sehr langsam amortisieren
• Abwasserbenchmarking liefert viel Datenmaterial zur Überprüfung theoretischer Überlegungen mit den Ergebnissen des praktischen Betriebes
Reinigungsanforderungen und Energiebedarf
• Welchen Einfluss hat die geforderte Reinigungsleistung auf den Energiebedarf?
Die Reinigungskapazität einer Belebungsanlage, ist abhängig vom Schlammalter und der Temperatur
Die tatsächlich erzielte Reinigungsleistung auch von der Steuerung der Sauerstoffzufuhr
Reinigungsanforderungen und Energiebedarf
• Energiebedarf ist primär von der Sauerstoffzufuhr durch Belüftungssysteme abhängig.
• Der gesamte Sauerstoffbedarf setzt sich zusammensetzen aus:
OVC Sauerstoffbedarf für die Oxidation der Kohlenstoffverbindungen
OVN Sauerstoffbedarf für die Oxidation von Ammonium zu Nitrat, das im Ablauf enthalten ist (4,3 g O2/g NO3-Ne)
OVDN Sauerstoffbedarf für die Oxidation von Ammonium zu molekularem Stickstoff, der durch Denitrifikation aus dem Abwasser entfernt wird (1,7 g O2/g N-DN)
Reinigungsanforderungen und Energiebedarf
• Berechnung von OVC
Schlammalter
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
0 5 10 15 20 25 30 35
CSB-ÜS
OVC ohne Vorklärung
mit Vorklärung
[d]
Energie im Schlamm
Energiebedarf für Belüftung
Mittlere Jahrestemperatur im Belebungsb. °C 15
CSB von ausgefaultem Schlamm g/EW110/d 30
CSB von simultan aerob stabilisiertem Schlamm, Optimierung für N-Entfernung g/EW110/d 34
CSB von simultan aerob stabilisiertem Schlamm, Optimierung für Stabilisierung g/EW110/d 30
Sauerstoffertrag unter Betriebsbedingungen konventionell /effiziente neue Anlagen kg O2/kWh 1,7 /2,2
Reinigungsanforderungen und Energiebedarf
Annahmen für Energiebedarfsrechnung bei verschiedenen Fallbeispielen
Fallbeispiele für Energiebilanzen
Reinigungsanforderung Anlagentyp tTS (d)
1 EU-Anforderung für normale Gebiete (BSB-Entfernung)
1-stufige Belebungsanlage mit Vorklärung und Schlammfaulung
4
2 EU-Anforderung für empfindliche Gebiete, 75% N-Entfernung, Nitrifikation T>8°C
1-stufige Belebungsanlage mit Vorklärung und Schlammfaulung, konventionelle Ausrüstung
15
3 EU-Anforderung für empfindliche Gebiete, 75% N-Entfernung, Nitrifikation T>8°C;
2-stufige Belebungsanlage mit Vorklärung und Schlammfaulung, effiziente Ausrüstung
1,5/ 8
4 gleichzeitige aerobe Schlammstabilisierung mit Stickstoffentfernung >80%
1-stufige Belebungsanlage ohne Vorklärung, intermittierende Belüftung
25
5 gleichzeitige aerobe Schlammstabilisierung, ohne Stickstoffentfernung
1-stufige Belebungsanlage ohne Vorklärung, aerobes Schlammalter 25 d
25
Fallbeispiel 1:1-stufige Belebungsanlage mit Vorklärung und Schlammfaulung
CSB Zulauf 110 g/EW/dCSB Ablauf Vorklärbecken (CSB-Entfernung VKB 30%) 77 g/EW/d CSB im Primärschlamm: 110 – 77 = 33 g/EW/dAblauf CSB 11 g/EW/dCSB Abbau Belebung: 77 -11 = 66 g/EW/d
OVC = 50% vom CSB-Abbau 33 g/EW/d CSB-ÜS = 50% vom CSB-Abbau 33 g/EW/dCSB im ausgefaulten Schlamm 30 g/EW/dCSB Zulauf Faulbehälter: PS + ÜS = 33 +33 = 66 g/EW/dCSB Faulgas: 66 – 30 = 36 g/EW/d
OP= 1,7 kg/kWh; Sauerstoffgehalt im BB cx= 2mg/l Belüftungsenergie: (33/1,7) * 10/(10-2) = 24,3 Wh/EW/dGasanfall: 36 * 0,35 =12,6 NL CH4/d Elektr. WirkungsgradGasmotor: 3 kWh/Nm³CH4
Energiebilanz: 24,3 – 12,6 * 3 = -13,5 Wh/EW/d (-0,56 W/EW)
Fallbeispiel 2:1-stufige Belebungsanlage mit Vorklärung und Schlammfaulung 75% N-Entfernung
OP = 1,7 kg O2/kWh; Sauerstoffgehalt im BB cx= 1,5 mg/lOVgesamt= 41 + 6 + 10 = 57 g/EW/d; Belüftungsenergie: 57/1,7 * (10/8,5) = 39,4 Wh/EW/d Gasanfall: 30 * 0,35 = 10,5 NL CH4/d; Wirkungsgr. Gasmotor: 3 kWh/Nm³CH4
Energiebilanz: 39,4 - 10,5*3 = +7,9 Wh/EW/d (+0,33 W/EW)
CSB Zulauf (9 g N/EW/d) 110 g/EW/dCSB Ablauf Vorklärung: (CSB-Abnahme VKB: = 30%) 77 g/EW/dCSB Primärschlamm 33 g/EW/dCSB Ablauf 9 g/EW/dCSB Entfernung in Belebung: 77 – 9 = 68 g/EW/dOVC (Abb. 2) 41 g/EW/dCSB-ÜS (2 g N/EW/d) 27 g/EW/dOVN = (9-2-5.6) * 4.3 = 6 g/EW/dOVDN: (denitrifizierte N-Fracht 5,6 g N/EW/d): 5,6 * 1.7 = 10 g/EW/dCSB im ausgefaulten Schlamm: 30 g/EW/dCSB im Zulauf Faulbehälter: 33 + 27 = 60 g/EW/dCSB im Faulgas = 60 - 30 = 30 g/EW/d
Fallbeispiel 3:2-stufige Belebungsanlage mit Vorklärung und Schlammfaulung, 75% N-Entfernung, effiziente Ausrüstung
Sauerstoffertrag OP = 2,2 kg O2/kWh; Sauerstoffgehalt im BB cx= 1,5 mg/lOVgesamt= 34 + 7,7 + 6,3+ 1,6 = 49,6 g/EW/d Belüftungsenergie:(49,6/2,2)*10/8,5 = 26,5Gasanfall: 38 * 0,35 =13,3 NL CH4/d; Wirkungsgrad Gasmotor: 4 kWh/Nm³CH4
Energiebilanz: 26,5 – 13,3 * 4 = -26,7 Wh/EW/d (-1,1 W/EW)
CSB Zulauf (9 g N/EW/d) 110 g/EW/dCSB Ablauf Vorklärung (Wirkungsgrad Vorklärung 30%): 77 g/EW/dCSB im Primärschlamm 33 g/EW/dCSB im Ablauf: 9 g/EW/dCSB-Entfernung in Belebung 68 g/EW/dOVC (Abb. 2) 34 g/EW/dCSB – ÜS (3,5 g N/EW/d) 34 g/EW/dCSB im Zulauf Faulbehälter:(3,5 g N/EW/d): 33 +34 = 68 g/EW/dOVDN: (denitrifizierte N-Fracht 3,7 g N/EW/d): 3,7* 1,7= 6,3 g/EW/dOVN= (9-3,5-3,7) * 4,3= 7,7 g/EW/dCSB im ausgefaulten Schlamm (2 g N/EW/d) 30 g/EW/dOV Trübwasserdenitrifikation (WETT) 1,5 * 1,05= 1,6 g/EW/dCSB im Faulgas: 68 - 30= 38 g/EW/d
Fallbeispiel 4:1-stufige Belebungsanlage ohne Vorklärung, intermittierende Belüftung, 75% N-Entfernung
Sauerstoffertrag OP = 1,7 kg O2/kWh; Sauerstoffgehalt im BB cx =1,0 mg/l
OV gesamt=: 67 + 7,3 + 11,9 = 86 g O2/EW/d;
Belüftungsenergie = (86/1,7) * 10/9 = +56,2 Wh/EW/d
Energiebilanz: +56,2 Wh/EW/d (+2,3 W/EW)
CSB Zulauf (11 g N/EW/d) 110 g/EW/d
CSB Ablauf 9 g/EW/d
CSB-Entfernung in Belebung 101 g/EW/d
OVC 67 g/EW/d
CSB im stabilisierten ÜS (2,3 g N/EW/d) 34 g/EW/d
OVDN: N-Entfernung 7 g N/EW/d: 7 * 1,7= 11,9 g/EW/d
OVN (NO3-N im Ablauf: (11 – 2,3 – 7) 4,3 = 7,3 g/EW/d
Fallbeispiel 5:1-stufige Belebungsanlage ohne Vorklärung, aerobes Schlammalter 25 d (weitgehende Schlammstabilisierung)
Sauerstoffertrag OP = 1,7 kg O2/kWh; Sauerstoffgehalt im BB cx=1,2mg/l
Belüftungsenergie : (107,7/1,7)*10/8,8 = +72 kWh/EW/d (+3,0 W/EW)
Energiebilanz: +72 kWh/EW/d (+3,0 W/EW)
CSB- Zulauf: (11 g N/EW/d) 110 g/EW/d
CSB im Ablauf 9 g/EW/d
CSB Entfernung in Belebung 101 g/EW/d
OVC (Abb. 2) 69 g/EW/d
CSB im stabilisierten Schlamm:(2 g N/EW/d) 30 g/EW/d
OVN (Nitrat im Ablauf 11-2 = 9): 9 * 4,3 g O2/gN = 38,7 g/EW/d
OV Gesamt: 69 + 38,7 = 107,7 g/EW/d
Vergleich der Energiebilanzen für die 5 Fallbeispiele
Dim 1 2 3 4 5
Sauerstoffertrag OP kgO2/kWh 1,7 1,7 2,2 1,7 1,7
Mittl. O2-Gehalt mg/l 2 1,5 1,5 1 1,2
η el Gasmotor % 25 25 37 - -
Leistung Belüftung W/EW 1,0 1,9 1,1 2,3 3,0
Sonstiger Bedarf W/EW 0,7 0,7 1,0 0,7 0,6
el. Energiebedarf kWh/EW/a 15 23 18 26 32
el. Leistung Biogas W/EW 1,6 1,3 2,2 0 0
el. Gesamtleistung W/EW 0,2 1,2 -0,1 3,0 3,6
el. Energiebezug kWh/EW/a 2 11 -1 27 32
Vergleich der Energiebilanzen für die 5 Fallbeispiele
0,0
0,5
1,0
1,5
2,0
2,5
3,0
3,5
4,0 W
/EW
Belüftung
Sonstige
Biogas
Gesamt
1 2 3 4 5
Resümee aus den Energiebilanzen
• Höhere Anforderungen an die Reinigungsleistung (Nährstoffentfernung statt nur BSB-Entfernung) führen zwar zu einem höheren Energiebedarf
durch bessere Verfahrenswahl, effizientere Ausrüstung und Nutzung des Faulgases kann dies kompensiert werden (Fallbeispiele 1, 2 und 3).
• Große Kläranlagen können heute trotz hoher Anforderungen an die Nährstoffentfernung, über ein Betriebsjahr gesehen, ohne externe Energiezufuhr betrieben werden.
Ausgleich zwischen einer relativ konstanten Energieproduktion aus Faulgas und den starken Schwankungen des Energiebedarfs für die Belüftung über den Anschluss an das Stromnetz (Beispiel 3).
Resümee aus den Energiebilanzen
• Bei kleinen Anlagen (<20.000 EW) ist es nicht wirtschaftlich, den Bedarf an externer Energiezufuhr zu minimieren, weil die Einsparung an Energie zumindest derzeit nicht die erhöhten Investitionskosten für eine Schlammfaulung mit Verstromung des Faulgases wettmachen können.
Die Minimierung des Energiebedarfes ( Maximierung der Stickstoffentfernung) resultiert in schlechterer Stabilisierung des Schlammes (Fallbeispiele 4 und 5).
Realer Gesamtenergiebedarf von 47 Anlagen (kommunale Kläranlagen in Österreich von 20.000 bis 1 Mio. EW)
Zusammenfassung
• Die auf Basis gesicherter theoretischer Grundlagen und Erfahrungswerte berechneten Kennzahlen für den spezifischen Leistungsbedarf je EW stimmen sehr gut mit den Ergebnissen des österreichweit angewendeten Abwasserbenchmarkings überein.
• Der Einfluss der Reinigungsleistung auf den Energiebedarf ist zwar vorhanden aber nicht dominant
• Den stärksten Einfluss auf den Energiebedarf hat die Größe der Anlage, v.a. wenn gleichzeitig die Minimierung der Gesamtkosten angestrebt wird
Zusammenfassung
• Für die Herstellung und laufende Instandsetzung der Kläranlagen kann ein mittlerer Leistungsbedarf von ~12 W/E abgeschätzt werden (vorwiegend fossile Energieträger). In elektrische Leistung umgerechnet wären das >4 W/E.
Damit liegt der Energiebedarf für die Errichtung und laufende Instandsetzung von Kläranlagen in der gleichen Größenordnung wie der Energiebedarf für den Betrieb
• Einsparungen an Energie dürfen nie zu Lasten der Reinigungsleistung durchgesetzt werden. Insgesamt spielt der Energiebedarf von Kläranlagen auf nationaler Ebene weder für den Energiehaushalt noch für die Volkswirtschaft eine wichtige Rolle.
Zusammenfassung
• Beim Betrieb von vielen Abwasserreinigungsanlagen ist ein relevantes Einsparungspotenzial an Energie vorhanden.
Wieweit es wirtschaftlich ist dies zu realisieren, muss bei bestehenden Anlagen im Einzelfall entschieden werden.
• Energieautarke Kläranlage? Es ist nachweislich möglich große Kläranlagen (>50.000 EW) trotz hoher Anforderungen an die Reinigungsleistung (1.AEVkA) so zu planen und zu betreiben, dass in einer Jahresbilanz keine externe Energiezufuhr benötigt wird.
Ob dies immer erstrebenswert ist, muss unter Berücksichtigung aller spezifischen lokalen Randbedingungen entschieden werden.