18 | Onkologische Pharmazie | 19. Jahrgang | Nr. 1/2017
3. Fachtagung Orale Krebstherapie am 10.9.2016 in MünchenKompetente pharmazeutische Beratung sichert den Therapieerfolg in der oralen Krebstherapie
Kongressbericht von Karla Domagk, Cottbus
Am 10. September 2016 fand die von der Deutschen Gesellschaft für Onkologische Pharmazie (DGOP) veranstaltete 3. Fachtagung Orale Krebstherapie in München
statt. Praxisrelevante Workshops, intensive Diskussionen mit den Referenten und Teilnehmern des 15. Pharmazeutisch-onkologischen Fachkongresses NZW-München trugen zu einer Erweiterung des Fachwissens für eine kompetente pharmazeutische Beratung von Krebspatienten bei.
Der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Onkologische Pharmazie (DGOP) Klaus Meier begrüßte die 150 Teilnehmer der 3. Fachtagung für Orale Krebstherapie in München mit dem Hinweis, dass die Oralia-Initiative der DGOP bereits seit 2009 nicht nur im Norden unseres Landes sondern auch durch Kollegen aus dem Süden und insbesondere Bayern aktiv unterstützt worden sei. Er freue sich, dass ein weiteres Mal eine Symbiose mit dem seit 15 Jahren im Süden durchgeführten Pharmazeutisch-onkologischen Fachkongress NZW-Mün-chen unter Federführung von Prof. Dr. Günther Wiedemann gelungen sei.
Bei der oralen Krebstherapie ist die Beratungskompetenz des Apothekers in hohem Maße gefordert.
DGOP-Präsident Klaus Meier
Meier stellte die von der Bundes apo-thekerkammer im Juni 2016 verabschiedete neue Weiterbildungsordnung als großen Fortschritt heraus. Da diese nun eine Zertifikats fortbildung „Kompetente Betreu-ung von Tumorpatienten“ enthalte, in der Interessierten in Webinaren und Präsenz-seminaren die Grundlagen für eine oralen Krebstherapie vermittelt werden.
Der Präsident der Bayrischen Landesapo-thekerkammer Thomas Benkert überbrachte seine Grußworte auch als Vizepräsident der Bundesapothekerkammer. Krebspatienten hätten heute wesentlich bessere Chancen, eine Krebserkrankung zu überleben, als noch vor 30 Jahren. Große Fortschritte in der Vorsorge, Diagnostik, Therapie und Nachsorge hätten dies ermöglicht. Da die Kosten der Krebstherapie gestiegen seien, hätten die Krankenkassen begonnen, die Krebstherapie allein unter wirtschaftli-chen Gesichtspunkten zu organisieren. Dies hätte zu teils chaotischen Zuständen in der Versorgung der Krebspatienten u.a. aufgrund fehlender Chemotherapien, ver-späteter Lieferungen oder nicht lieferbarer Begleitmedikation nach dem Start der euro-paweiten Ausschreibung der AOK geführt. Hier würde auf das falsche Pferd gesetzt werden, so Benkert. Eine solche Praxis dünne das Versorgungsnetz aus und bedeute Kompetenzverlust in der pharmazeutischen Versorgung. Die individuellen Bedürfnisse der Patienten stünden dabei im Hintergrund und es bestünde die Gefahr, dass am Ende, wenn nur noch wenige Apotheken vor-handen wären, nicht nur die Preise stie-gen, sondern auch Lieferengpässe deutliche Konsequenzen nach sich zögen.
Die Mehrzahl der Krebspatienten bevor-zuge die perorale Therapie gegenüber der parenteralen Applikation und bezöge die
erforderlichen Medikamente aus ihrer Stammapotheke. Diese Patienten müssten deshalb kompetent und vertrauensvoll in ihrer Apotheke beraten und versorgt wer-den. Dies sei eine Herausforderung, die alle angehe.
Wenn eine Antikrebstherapie wegen komplexer Einnahmeregime, unbehan-delten Nebenwirkungen oder schlech-ter Verträglichkeit abgesetzt würde, sei der Erfolg der Therapie gefährdet. Daher sei die kompetente Beratung von Krebs-patienten Aufgabe aller Apothekerinnen und Apo theker.
Die Bundesapothekerkammer (BAK) habe in Zusammenarbeit mit der DGOP das Curriculum zur Weiterbildung „Onko-logische Pharmazie“ in diesem Jahr über-arbeitet. Jedem Apotheker stehe nun ab 2017 die Möglichkeit offen, an der Zertifikatsfortbildung „Kompetente Betreu-ung von Krebspatienten“ teilzunehmen.
Benkert dankte der DGOP für die Durch-führung der 3. Fachtagung für orale Krebstherapie und wünschte den Anwesen-den eine erfolgreiche Teil nahme und viele neue Erkenntnisse für die Praxis.
▶ Orale Krebstherapie mit Tyrosinkinaseinhibitor: „Russisch Roulette“?
Gerade bei der Therapie mit oralen Zytosta-tika ist eine verlässliche – das heißt mög-lichst konstante – Resorptionsrate aus dem Gastrointestinal-Trakt sicher zu stellen. Prof. Dr. Werner Weitschies, Greifswald,
K O N G R E S S B E R I C H T
Onkologische Pharmazie | 19. Jahrgang | Nr. 1/2017 | 19
Bericht zur 3. Fachtagung für orale Krebstherapie
betonte, dass das Kernproblem beim Umgang mit oralen Zytostatika darinbestünde, dass diese praktisch alle schlecht wasserlöslich sind. Als Beispiel führte er Vemurafenib mit einer Wasserlöslichkeit von ca. 0,00026mg pro Liter (pH 1-7) an, das sich bei einer Einzeldosis von 960mg in ca. 3,7 Mill. Liter Wasser lösen würde. Erschwerend käme hinzu, dass unter Nüchtern-Bedingungen nur sehr wenig Wasser im Gastrointestinal-Trakt als Lösungsmittel zur Verfügung stünde (Magen: ca. 50ml; Dünndarm: ca. 100 ml).
Die Resorption von Vemurafenib steige durch die Einnahme mit der Nahrung im Mittel um den Faktor 3,7! Für die Praxis bedeute dies: vier Tabletten mit der Mahlzeit eingenommen, entspricht 15 Tabletten nüch-tern eingenommen1 (Abb. 1).
Die bekannten Einnahmeempfehlungen in Abhängigkeit vom „Food“ Effekt, wie Einnahme mit Nahrung bei positiven Food-Effekten (z.B. Itroconazol, Prednisolon, Metronidazol, Aciclovir, ....) oder
Einnahme nüchtern bei negativen Food- Effek ten (z.B. Bisphospho nate, L-Thyroxin, Indinavir, Penicillin V, …)
resultierten aus der Logik, dass eine Falsch-einnahme durch den Patienten demzu-folge eine verringerte Bioverfügbarkeit und damit evtl. verringerte Wirkung zur Folge habenwürde, aber keine überschießenden Plasmaspitzen und damit keine Gefahr akuter Nebenwirkungenprovoziere. Diese Annahme sei für die Tyrosinkinaseinhibitoren (TKI) nicht zutreffend.
„Die bekannten Einnahmeempfehlungen in Abhängigkeit vom
„Food Effekt“ können nicht für Tyrosinkinase inhibitoren übernom
men werden.“
Prof. Dr. Werner Weitschies, Greifswald
Die Einnahmeempfehlungen in den Bei-pack zetteln von TKI variierten maximal und würden den positiven Food-Effekt unter-schiedlich berücksichtigen (Abb. 2). Als Antwort auf die Publikation zu Lapatinib und den Resorptionsraten in Abhängigkeit
1 Ribas et al. J ClinPharmacol. 2013
von der Einnahme mit/ohne Nahrung2 (Abb. 3) wurde der Vorschlag unterbreitet, das Lapatinib prinzipiell mit der Mahlzeit zu verabreichen, um dadurch die Dosis zu redu-zieren und in Folge auch Kosten zu sparen3. Ein solches Vorgehen sei jedoch auch nicht risikolos, da bereits eine nüchterne Einnahme in der Patientenrealität nicht mit einer unter klinisch-pharmakologischen Bedingungen vergleichbar sei.
Klinische Prüfungen zum Verständ nis der Bio verfügbarkeit des Arznei stoff es unter Nüchtern bedingungen sowie Food- Eff ekt- Studien (Abb. 4) würden nach Guidelines
2 Koch et al. J Clin Oncology. 20093 Tannock. J Clin Oncology. 2009
Vemurafenib: Plasmaspiegel
Dosis: 960 mg (4 Tabletten)fasting after meal (1000 kcal)
Resorption steigt durch gEinnahme mit Nahrung im gMittel um Faktor 3,7!
4 Tabletten mit Mahlzeit eingenommen entspricht
Ribas et al. J Clin Pharmacol. 2013
15 Tabletten nüchtern eingenommen
Onkologische Präparate:Positiver Food‐Effekt
Orale onkologische Medikamente mit positivem Food‐Effekt:‐ Exemesatan (AROMASIN u.a.): AUC + 40 %( ) 4‐ Regorafenib (STIVARGA): AUC + 48 %‐ Ceritinib (ZYKADIA): AUC + 60 %
( )‐ Nilotinib (TASIGNA): AUC + 80 %‐ Erlotinib (TARCEVA): AUC + 100 %
Pazopanib (VOTRIENT): AUC + 100 %‐ Pazopanib (VOTRIENT): AUC + 100 %‐‐ Bosutinib (BOSULIF): AUC + 130 %‐ Lapatinib (TYVERB): AUC + 325 %p ( ) 3 5‐ Vemurafenib (ZELBORAF): AUC + 370 %‐ Venetoclax (VENCLEXTA): AUC + 400 %‐ Sonidegib (ODOMZO): AUC + 500 %‐ Arbirateron (ZYTIGA): AUC + 1000 %Einnahmeempfehlung: nüchtern (= mind 1 h vor / 2 h nach Mahlzeit)Einnahmeempfehlung: nüchtern (= mind. 1 h vor / 2 h nach Mahlzeit)
mit/nach Mahlzeitunabhängig von Mahlzeiten
Abb. 1
Abb. 2
der FDA und EMA unter standardisierten Bedingungen durchgeführt. In der Literatur werden mittlere Magen ent leerungsraten von 2‐3 kcal/min angegeben: 500 kcal „normales“ Frühstück ca. 3‐4
Stunden 1000 kcal „FDA“‐Frühstück ca. 6 Stunden
Demzufolge sei die häufig auf Beipackzetteln zu findende Angabe1 Stunde vor oder 2 Stunden nach einer Mahlzeit, die auf eine FDA-Empfehlung4 zurückgehe, keines-falls gleichbedeutend mit einer nüchternen Einnahme, wie auch eigene Untersuchungen nahelegen würden (Abb. 5). Bei normalem
4 FDA-Guidance:“Food-EffectBioavailabilityandFedBioequivalenceStudies“(2002)
Vemurafenib
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Bericht zur 3. Fachtagung für orale Krebstherapie
Essverhalten sei eine Nüchtern-Einnahme 3x täglich nicht möglich, da der Patient i.d.R. nur morgens tatsächlich nüchtern sei.
Die auf Food‐Effekt‐Studien der klinischen-Pharmakologie basierende Empfehlung, orale Zytostatikamit positivem Food‐Effekt (z.B. Erlotinib, Gefitinib, Lapatinib,Nilotinib, Pazopanib) 1 Stunde vor oder 1 bis 2 Stunden nach einerMahlzeit einzunehmen, birgt das Risiko extrem variablerPlasmaspie-gel (anstatt wie behauptet die Variabilität zuverringern).Es wird nicht ohne Grund gemutmaßt, dass die orale Therapie mit TKI einem „Russisch Roulette“ gleicht5.
Prof. Weitschies verwies darauf, dass die TKI als schwache Basen in der Magen-säure besser löslich seien. Dies müsse jedoch bei der gleichzeitigen Verordnung von Antazida, H2-Blocker und Protonen-pumpenhemmer unbedingt beachtet werden. Da die Resorptionsrate vieler Tyrosinkinaseinhibitoren und auch anderer neuer oraler Tumortherapeutika sehr stark von den Einnahmebedingungen abhän-gig sei und die Frage des Zeitpunktes von Medikamenteneinnahme und Nahrungsauf-nahme besonders im Fokus stehe, sollten Patienten orale Zytostatika unbedingt unter konstanten Bedingungen einnehmen (keines-falls abwechselnd vor oder nach Mahlzeiten). Beim Auftreten von Nebenwirkungen sollten die Einnahmegewohnheiten im Beratungs-gespräch gezielt hinterfragt werden.
▶Wie bekomme ich orale Zytostatika in das Kind?
Voraussetzung für eine effektive Arznei-mittel therapie von Tumorer krankungen im Kindesalter seien kindgerechte Arzneiformen und -dosierungen. Viele verordnete Arznei-mittel enthielten nicht die erforderliche Dosis, so dass bspw. Tabletten „zu Hause am Küchentisch“ von den Eltern geteilt und oftmals zermörsert werden. Mit konkreten Untersuchungsergebnissen belegte Prof. Dr. Jörg Breitkreutz, Düsseldorf, dass dabei oft-mals differierende Dosen und eine relevante Staubentwicklung entstünden6 (Abb. 6). Aus
5 SzmulewitzRZ,RatainMJ.PlayingRussianroulettewithtyrosinekinaseinhibitors.ClinPharmacoTher.2013Mar;93(3):242-4.
6 WesselT,BreitkreutzJ,AhlkeE,BoosJ.Krankenhauspharmazie22:325-9(2001)
Positiver Food‐Effekt
27 Patienten, 1500 mg Lapatinib Tabletten (TYVERB)
3NüchternLeichtes Frühstück (520 kcal fettarm)NüchternLeichtes Frühstück (520 kcal, fettarm)
AUC: FDA/nüchtern = 4,25
3 Leichtes Frühstück (520 kcal, fettarm)FDA-Standardfrühstück (1040 kcal, fettreich)
( , )FDA‐Standardfrühstück (1040 kcal, fettreich)
AUC: LF/nüchtern = 2,672
(mg
/ L)
1
Lapa
tinib
(0
Koch et al. J Clin Oncology. 20090 12 24 36 48
t (h)
0
Food‐Effekt‐Studien
Standardschema der klinischen Pharmakologie h d G id li FDA d EMAentsprechend Guidelines von FDA und EMA
(Probanden und ggf. auch Patienten): ‐ mind. 10 h nüchtern
(über Nacht)‐ Frühstück: ca. 1000 kcal
(mind. 50 % Fett)‐ Arzneimittel mit 240 mL Wasser
(30 min nach Beginn des(30 min nach Beginn desFrühstücks)
‐ nach 4 h (oder 5 h)nach 4 h (oder 5 h) nächste Mahlzeit
Wann ist der Magen wieder leer?
„FDA“‐Frühstück (1000 kcal), 12 Probanden, Bestimmung des Magenvolumens mittels MRTMagenvolumens mittels MRT
240 mLWasser Koziolek et al. Mol Pharm. 2014
Abb. 3
Abb. 4
Abb. 5
Onkologische Pharmazie | 19. Jahrgang | Nr. 1/2017 | 21
Bericht zur 3. Fachtagung für orale Krebstherapie
6-Mercaptopurin-Tabletten 50mg wurden jeweils vier Rezepturarzneimittel in kindge-rechter Dosierung (12,5mg Bruchstück links oben, 12,5mg gemörserte Tablette in eine Kapsel, 12,5mg Bruchstücke in eine Kapsel, 10mg/ml Suspension) in Apotheken angefer-tigt und deren Freisetzungsraten standardi-siert untersucht7 (Abb. 7). Zwischenzeitlich lasse sich die Dauertherapie für Kinder mit der auf dem deutschen und österreichi-schen Markt befindlichen 6-Mercaptopurin 10mg Tablette sehr individuell und ohne Teilung adaptieren. Hingegen habe sich die Suspension mit 20mg/ml Mercaptopurin (Xaluprine®) in der deutschen Praxis bisher nicht durchsetzen können.
Die publizierte Einschätzung der Eignung verschiedener Darreichungsformen (Abb. 8) für Säuglinge, Kinder und Jugendliche von der European Medicines Agency (EMA)8 war Ausgangspunkt für zwei eigene fir-menunabhängige klinische Studien, die wirkstofffreie Minitabletten (Durchmesser 2mm) mit Glucose-Sirup bei 366 Kindern verglich (offen, randomisiert, stratifiziert in 6 Altersgruppen zwischen 0,5 bis 6 Jahre; three-waycross-over: befilmte Minitablette, unbefilmte Minitablette, Glucose-Sirup; an der Heinrich-Heine-Universität Düssel-dorf )9,10. Die Bewertung erfolgte anhand definierter Beobachtungskategorien (1= Tabl. im Ganzen geschluckt/Sirup voll-ständig geschluckt; 2= Tabl. gekaut und geschluckt/Sirup teilweise geschluckt; 3= ausgespuckt; 4= verschluckt; 5= verweigert, inkl. Kopf weggedreht und ohne Aktivitäten zur Akzeptanzsteigerung).
Beim Vergleich der Kategorie Schluckbarkeit von Minitablette und Sirup (Kategorie 1) wären überraschender Weise in keiner der Altersgruppen ein Unterschied festgestellt worden (Abb. 9). Prof. Breitkreutz stellte als mögliche Ursachen dieser Fehleinschätzung der EMA-Experten heraus, dass einerseits bei der Betrachtung ab einer gewissen Altersstufe über alle Altersstufen hinweg eine Abnahme der Akzeptanz zu beobachten
7 Breitkreutzetal.Paed.Perin.DrugTher.20078 EMAReflectionPaper,Formulationsofchoice
forthepaediatricpopulation(2006)9 KlingmannV,SpomerN,LerchC,Stoltenberg
I,BosseJ,BreitkreutzJ,MeissnerT.J.Pediatr.163:1728-32(2013)
10 SpomerN,KlingmannV,LerchC,StoltenbergI,MessnerJ,BreitkreutzJ:Arch.Dis.Child.97:283-6(2012)
Abb. 6: Masseverteilung sowie Pulverentwicklung beim Halbieren und Vierteln von Tabletten (6)
Abb. 7: Freisetzung von 6-Mercaptopurin (7)
Mercoptopurin für KinderMass Distribution of Halfs
789
Number
Staub
23456
0,29 mg(0,23%)
012
<50.4 52
.454
.456
.458
.460
.462
.464
.466
.468
.470
.4
Mass Distribution of Quarters
10
12Number
< Mass of parts [mg]
4
6
8
10T. Wessel, J. Breitkreutz, E. Ahlke, J. Boos, Krankenhauspharmazie 22 325 329 (2001)
Staub
0,26 mg
0
2
4
3.4
4.4
5.4
6.4
7.4
8.4
9.4
0.4
1.4
2.4
3.4
4.4
5.4
6.4
7.4
8.4
9.4
9.4
22: 325‐329 (2001) g
(0,41%)
4
23 24 25 26 27 28 29 30 3 3 2 33 34 35 36 37 38 39 >39
Mass of parts [mg]
Mercoptopurin für Kinder12,5 mg gemörserte Tbl. in Kps. (#030904)
100
120
%]
12,5 mg Bruchstück links oben (# 4C073)
120
40
60
80
setz
ung
6-M
P [%
40
60
80
100
etzu
ng 6
-MP
[%]
0
20
0 10 20 30 40 50 60
Zeit [min]
Frei
0
20
40
0 10 20 30 40 50 60
Zeit [min]
Frei
se
12,5 mg Bruchstücke in Kps. DE (# 408E09)
120
10 mg/ml Suspension Uni SB (# PL4110)
120
[ ]
60
80
100
ung
6-M
P [%
]
60
80
100
ng 6
-MP
[%]
!
0
20
40
Frei
setz
u
0
20
40
Frei
setz
u
5
0 10 20 30 40 50 60
Zeit [min]0 10 20 30 40 50 60
Zeit [min]J. Breitkreutz et al., Paed. Perin. Drug Ther.(2007)
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Bericht zur 3. Fachtagung für orale Krebstherapie
gewesen sei, andererseits bisher Kinder unter einem Jahr bzw. zwei Jahren diesbezüg-lich nicht in Studien einbezogen worden seien. In den untersuchten Altersgruppen seien die Minitabletten dem Sirup klar überlegen gewesen (Abb. 9). Wichtig sei auch das Ergebnis, dass es sowohl bei der Schluckbarkeit als auch bei der Akzeptanz (Kategorie 1 und 2) keinen Unterschied zwi-schen befilmter und unbefilmter Minitablette gegeben habe (Abb. 9 und 10).
In einer ergänzenden Studie11 an 151 Neu-ge boren en wurde das Studiendesign bei-behalten, lediglich die Applikation von Minitablette oder Sirup erfolgte in liegen-der seitlicher Position des Neugeborenen (entsprechend der Trinkposition an der Mutterbrust). Im Ergebnis sei die Schluck-barkeit in dieser Altersgruppe sogar noch besser gegenüber dem Sirup gewesen und die Akzeptanz lag sogar bei 100% (Abb. 11). In der Zusammenfassung aller drei vorge-stellten Studien lasse sich ableiten, dass alle drei Zubereitungen (Minitablette,
befilmte Minitablette, Sirup) verträglich waren,
keines der 517 Kinder sich am Glucose-sirup verschluckte,
keines der 517 Kinder sich an einer unbe-filmten Minitablette verschluckte,
2 der 306 Kinder (0,65%), beide zwischen 0,5 und 1 Jahr, sich an einer befilmten Minitablette verschluckten, jedoch ohne klinische Relevanz,
die Stichprobe noch immer zu klein sei,um die Sicherheit endgültig zu bewerten.
Weitere eigene Untersuchungen fokus-sierten auf die Applikation von mehreren Minitabletten. Die Ergebnisse seien ermu-tigend und gegenüber dem Sirup wäre die Gabe von 100-400 Minitabletten nicht schlechter. Dies sei jedoch nicht so über-raschend, da 400 MT auf einen Teelöffel passten. Durch die hohe Verdichtung ist die Dosis z.T. viel höher als bei einer Flüssigkeit. Zudem würden auf dem Markt befindliche Applikatoren und weitere Entwicklungen hier die genaue Dosierung erleichtern.
Minitabletten mit niedrigen, kindgerechten Dosisstärken, orodispersible Filme mit vari-abler Dosiseinteilung und raffinierte neue
11 KlingmannV,SeitzA,MeissnerT,BreitkreutzJ,MoeltnerA,BosseHM.J.Pediatr.(2015)
Eignung von festen Formen
Akzeptanz (Kriterien 1 und 2)unbefilmte Minitablette > SSirupin der gesamten Gruppe Differenz 15,0 % 95% CI 10 3-19 695% CI 10,3 19,6p < 0.0001
Befilmte Minitablette > SiSirupIn der gesamten Gruppe Differenz 14,9 % (95% CI 10,4-19,5(95% CI 10,4 19,5p < 0.0001
Kein Unterschied zwischen b fil t d b fil tbefilmter und unbefilmterMinitablette
n=306
11
n 306
Abb. 8: Eignung von Darreichungsformen (1= nicht geeignet … 5= sehr geeignet) (8)
Abb. 9: Schluckbarkeit unbefilmter und befilmter Minitabletten im Vergleich zu Sirup bei 306 Kindern zwischen 0,5 und 6 Jahren (9, 10)
Abb. 10: Akzeptanz (Kategorie 1 und 2) unbefilmterund befilmterMinitabletten im Vergleich zu Sirup bei 306 Kindern zwischen 0,5 und 6 Jahren (9, 10)
Eignung von festen Formen
Schluckbarkeitunbefilmte Minitablette > SSirupin der gesamten Gruppe Differenz 12,6 % 95% CI 5 7-19 695% CI 5,7 19,6p = 0.0007
Befilmte Minitablette > SiSirupIn der gesamten Gruppe Differenz 11,6 % 95% CI 4,6-18,695% CI 4,6 18,6p = 0.002
Kein Unterschied zwischen b fil t d b fil tbefilmter und unbefilmterMinitablette
n=306
10
n 306
Onkologische Pharmazie | 19. Jahrgang | Nr. 1/2017 | 23
Bericht zur 3. Fachtagung für orale Krebstherapie
Applikationssysteme spielen in der moder-nen Arzneimittelentwicklung eine immer wichtigere Rolle. Von diesen Innovationen könnte die Tumortherapie im Kindesalter zukünftig enorm profitieren. Auf absehbare Zeit wird es dennoch weiter einen Bedarf an Rezepturarzneimitteln für die Pädiatrie geben.
▶ Chronisch myeloische Leukämie und orale Tumortherapie
Die chronisch myeloische Leukämie (CML) sei mit ca. 1.200 Neudiagnosen pro Jahr keine sehr häufige Erkrankung, gelte jedoch als eine Modellerkrankung für Diagnostik und insbesondere auch für die Therapie neo-plastischer Erkrankungen. Bei der CML werden drei Phasen unterschieden, die dem Fortschreiten der Erkrankung entsprechen: 1. Chronische Phase (CP), Akzelerierte Phase (AP) und Blastenphase/-krise (BP). Bis zum Ende des 20. Jahrhunderts standen neben der allogenen Stammzelltransplantation vor allem Hydroxyharnstoff und Interferon alpha (IFN) als Behandlungsoptionen der CML zur Verfügung (Abb. 12). Mit der Einführung von Imatinib als einem der ersten Tyrosinkinaseinhibitoren (TKI) sei die Behandlung der CML revolutio-niert worden. Heute stünden mit Nilotinib, Dasatinib, Bosutinib und Ponatinib wei-tere orale Therapeutika zur Verfügung, so Dr. C. Alexander Burchardt, Oberursel. Das Gesamtüberleben von CML-Patienten habe sich dadurch in den letzten Jahren wei-ter dramatisch verbessert.
In die Phase-III-Studie zur Zulassung von Nilotinib (ENESTnd-Studie12) wur-den 846 Patienten in die drei Studienarme Imatinib (einmal täglich 400mg; n=283), Nilotinib (zweimal täglich 400mg; n=281) und Nilotinib (zweimal täglich 300mg; n=282) einbezogen. Die ENESTnd-Studie habe nicht nur die klinische Überlegenheit von Nilotinib vs. Imatinib belegen kön-nen, sondern vor allem auch, dass eine Dosierung von 300mg gegenüber 400mg Nilotinib einen signifikanten Vorteil für den CML-Patienten bringe (Abb.13). In der Hauptbehandlungsphase resultierten hier bspw. keine neuen Progressionen zur AP
12 HochhausAetal.EHA2013:[P712].
bzw. BP (mit oder ohne klonale Evolution) im 5. Jahr.
Im Rahmen der DASISION-Studie wurde Dasatinib (einmal täglich 100mg; n=259) mit Imatinib (einmal täglich 400mg; n=260) an 519 CML-Patienten in der chronischen Phase über 5 Jahren untersucht. Auch hier wurde ein hochsignifikanter Vorteil (MR4.5, BCR-ABL (IS) ≤0.0032%) für die CML-Patienten mit der neuen Zweitlinien-Substanz Dasatinib nachgewiesen (Abb. 14). Auch sei im Studienzeitraum von 5 Jahren die Transformationsrate zu AP/BP bei Dasatinib 4,6% geringer als bei Imatinib
7,3%. Unklar für beide Studien blieben die Ursachen für das deutlich schlechtere Abschneiden von Imatinib.
In der BELA-Studie13 war Bosutinib 500mg täglich mit Imatinib einmal täg-lich 400mg verglichen worden. 12 Monate nach Behandlungsbeginn konnte der Vorteil im Endpunkt der kompletten zytogeneti-schen Response statistisch nicht gesichert werden, obwohl es nominell erkennbar gewesen sei. Nachdem Bosutinib deshalb primär ein „Nischendasein“ geführt habe,
13 Cortesetal,JCO2012
Mini-Tab3-Studie
AkzeptanzMinitablette = Sirup
SchluckbarkeitMinitablette > Sirup
Differenz: 0 % Differenz: 9,9% p=0,0000094
12
V. Klingmann, A. Seitz, T. Meissner, J. Breitkreutz, A. Moeltner, H.M. Bosse. J. Pediatr. (2015)
Abb. 12: Historische Entwicklung der CML-Behandlung (modifiziert nach Baccarani M et al. Blood 2013;122(6):872–84)
Historische Entwicklung der CML Behandlungg g
Fragen 2016??Fragen 2016??
• Neue Substanzen?
• Generika?Generika?
• Kombinationen?
• Absetzen?
• Heilung?
modifiziert nach Baccarani M et al. Blood 2013;122(6):872–84
Abb. 11: Schluckbarkeit und Akzeptanz unbefilmter und befilmter Minitabletten im Vergleich zu Sirup bei 241 Kindern unter 0,5 Jahren (11)
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Bericht zur 3. Fachtagung für orale Krebstherapie
gäbe es zwischenzeitlich bestimmte Situationen in der Zweitlinien-Therapie, bei denen Bosutinib eingesetzt werde, da auch die Diarrhoe-Problematik mit einer Dosismodifikation gut handelbar sei.
Die EPIC-Studie14, in der Ponatinib 45mg einmal täglich mit Imatinib 400mg einmal täglich verglichen wurde, musste wegen inten siver Nebenwirkungen, vor allem schwer wiegender kardiovaskulärer Ereig nisse vorzeitig abgebrochen werden. So konnte nur ein definierter Endpunkt (BCR-ABL <10% Rate nach 3 Monaten) ausgewertet werden. Jedoch werde Ponatinib gegenwär-tig bei CML-Patienten mit einer T315I-Mutation erfolgreich eingesetzt, bei denen kein anderer TKI funktioniere (Abb. 15).
Therapieempfehlungen für die chroni-sche Phase der CML (Abb. 15) und eine Übersicht zur Auswahl des am besten geeig-neten TKI, die sich an den Komorbiditäten und manifestierten Risikofaktoren orien-tierten, seien für die Praxis sehr hilfreich (Abb. 16).
14 http://www.thelancet.com/journals/lanonc/article/PIIS1470-2045(16)00080-2/abstract
Heute könnten CML-Patienten im Normal-fall von einer regulären Lebenserwartung ausgehen, insbesondere durch die Einfüh-rung von Dasatinib und Nilotinib, habe sich die Remissionstiefe weiter verbessert. Der Gegenstand heutiger Studien ist das Erreichen einer maximalen Remissions-tiefe und die damit verbundene Option des Absetzens der Therapie, was letztend-lich die Heilung der CML durch orale Tumortherapie bedeuten könne.
Bspw. wurden in die EURO-SKI Studie, CML-Patienten nach mindestens 3 Jahren TKI-Behandlung (überwiegend Imatinib) und mit einer molekularen Remission mindes-tens um vier log-Stufen über ein Jahr (MR4 ≤ 1 Jahr) anfangs alle 4 bzw. 6 Wochen sowie alle 3 Monate im zweiten und dritten Jahr bzgl. eines Rezidives untersucht. Nach drei Jahren Auswertungszeit liege die Rezidivrate bei ca. 60%, in anderen Studien bei ca. 40%. Wenn ein Rezidiv auftrete, so würde dies relativ schnell im ersten halben Jahr nach dem Absetzen der
Abb. 13: ENESTnd-Studie – Kumulative Inzidenz einer molekularen Remission um ≥ 4,5 Logstufen (BCR-ABLIS ≤ 0,0032 %) [a – bei den berichteten kumulativen Remissionsraten wurden für jedes Jahr zwölf Zyklen mit jeweils 28 Tagen zugrunde gelegt] aus Saglio G et al. Blood. 2013: [Abstract 92]
ENESTnd - Kumulative Inzidenz einer MR4.5
100 Nil ti ib 300 BID ( 282)100
90
80 %
Nilotinib 300 mg BID (n = 282)Nilotinib 400 mg BID (n = 281)Imatinib 400 mg QD (n = 283)
Nach 5 Jahrena
54 %, p < 0,0001
Nach 4 Jahrena70
60
MR
4.5 ,
in
Nach 1 Jahra
31%
52 %, p < 0,0001
∆ 21 % bis 23 %
40 %, p < 0,0001
37 %, p = 0,0002
50
40
30ente
n m
it Nach 1 Jahra
11 %, p < 0,0001
7 %, p < 0,0001
1 %
∆ 6 % bis 10 %
31%
23%
∆ 14 % bis 17 %30
20
10
Patie
1 %
0 2 60
Zeit seit der Randomisierung, in Kalenderjahren31 4 5
MR4.5, molekulare Remission um ≥ 4,5 Logstufen (BCR-ABLIS ≤ 0,0032 %).a Bei den berichteten kumulativen Remissionsraten wurden für jedes Jahr zwölf Zyklen mit jeweils 28 Tagen zugrunde gelegt. 8 Saglio G, et al. Blood. 2013:[Abstract 92].
Abb. 14: Dasision-Studie – Kumulative Rate einer molekularen Remission (MR) um ≥ 4,5 Logstufen (vom ASH 2014)
C l ti MR4 5 R t O TiCumulative MR4.5 Rates Over TimeDasatinib 100 mg QD
N
Imatinib 400 mg QD 260259
100
90
80
Imatinib 400 mg QD 260
80
70
60By 5 years
p=0.0251R4.
5
50
40B 2
By 3 years
By 4 years
33%34%
42%
% W
ith M
30
20 By 1 year
By 2 years
8%13%
23%
%
19%24%
34%%
0 6 12 18 24 30 36 42 48 54 60
10
0 3%
8%5%
ASH 2014 11
0 6 12 18 24 30 36 42 48 54 60Months Since Randomization
MR4.5, BCR-ABL (IS) ≤0.0032% (for subjects with B2a2 and B3A2 transcripts).
Onkologische Pharmazie | 19. Jahrgang | Nr. 1/2017 | 25
Bericht zur 3. Fachtagung für orale Krebstherapie
TKI auftreten. Unerwartet würden jedoch nach dem Absetzen der TKI-Therapie bis zu 30% der Patienten unter Nebenwirkungen lei-den, vor allem an teilweise intensiven Gelenk-, Muskel- und/oder Knochenbeschwerden, die mit Antiphlogistika oder Steroiden behandelt werden müssten, sich jedoch oftmals im wei-teren Behandlungsverlauf wieder zurückbil-den würden15.
Abschließend verwies Dr. Burchardt dar-auf, dass bei Patienten, die BCR- ABL- Tyro sinkinaseinhibitoren (TKI) angewendet haben und chronische Träger des Hepatitis-B-Virus (HBV) waren, Fälle einer Reaktivierung des HBV aufgetreten seien. Einige Fälle der HBV-Reaktivierung verursachten ein aku-tes Leberversagen oder eine fulminante Hepatitis, die zu einer Lebertransplantation oder zum Tod führten. Daraus ergebe sich die Notwendigkeit der Untersuchung von CML-Patienten auf Hepatitis-B-Viren vor Behandlungsbeginn mit TKIs16.
15 Richter et al. JCO 201416 RoteHandBriefvom8.4.2016zudenBCR-ABL
TyrosinkinaseinhibitorenGlivec®(Imatinib),Sprycel®(Dasatinib),Tasigna®(Nilotinib),Bosulif®(Bosutinib)undIclusig®(Ponatinib):RisikoeinerHepatitis-B-Reaktivierung:NotwendigkeitderUntersuchungvonPatientenaufHepatitis-B-VirenvorBehandlungsbeginn
▶ Pharmazeutische Betreuung zu ausgewählten Nebenwirkungen oraler Zytostatika
„…Supportive Behandlungsmaßnahmen für Krebspatienten umfassen das multiprofessionelle Bemühen um die individuellen allum
fassenden physischen, psychosozialen, spi-rituellen und kulturellen Bedürfnisse und sollten zu jedem Zeitpunkt der Krankheit für Patienten allen Alters und unabhängig von der gegenwärtigen Behandlungsintention der gegen die Krankheit gerichteten
Abb. 15: Therapieempfehlungen in der chronischen CML-Phase (modifiziert nach Kantarjian H et al. Blood 2012, 119(9); 1981-1987)
ELN Therapieempfehlungen in der CP
modifiziert nach Kantarjian H et al. Blood 2012, 119(9); 1981-1987
*Wahl ist abhängig von Verträglichkeit und Nebenwirkung sowie Patientencharakteristik (Alter, Komorbiditäten), **nur im Falle von Baseline Warnhinweisen (Hochrisiko, Major route CCA/Ph+), *** 400 mg 2 x/Tag bei Versagen.
Maß nah men verfügbar sein“. Ausgehend von dieser EORTC-Definition17 begrün-dete Frau Stefanie Heindel, Münster, die Notwendigkeit von Patientenhand-zetteln im Nebenwirkungsmanagement oraler Zyto sta tika. Ein Betreuungskonzept nach dem Ampelsystem sollte immer
in Abstimmung mit den behandelnden Ärzten erfolgen (Abb. 17). Dieses hatte sie in der vorausgehenden 2. Fachtagung
17 DefinitionderEuropeanOrganisationforResearchandTreatmentofCancer(EORTC)auswikipedia
BCR-ABL Bei der chronisch myeloische Leukämie (CML) wird das BCR-ABL-Gen aus einer Fusion der beiden Gene BCR (breakpoint cluster region) und ABL (Abelson tyrosine kinase) gebildet (Philadelphia Chromosom), das die „Bauanleitung“ für die Leukämiezelle enthält, nach der diese das Eiweiß mit gleichem Namen (BCR-ABL-Eiweiß) herstellt. Die das BCR-ABL-Eiweiß bildende Tyrosinkinase ist der Angriffspunkt der CML-Therapie mit Tyrosinkinasehemmern (TKI).
Am BCR-ABL-Wert wird das Ansprechen der CML-Therapie abgelesen, d.h. je kleiner er wird, desto besser die Therapie. Der BCR-ABL-Wert kann bei gutem molekularen Ansprechen auf die Therapie tiefer als 0,1 % sinken. Ein anhaltendes tiefes molekulares Ansprechen (BCR-ABL-Wert von 0,01 % und darunter) ist nach bisherigem Wissensstand erforderlich, wenn ein Absetzen der Therapie im Rahmen von Studien erwogen wird.
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Bericht zur 3. Fachtagung für orale Krebstherapie
für Orale Krebstherapie bereits anhand der Nebenwirkungen Diarrhoe, Mukositis und EGFR-Hautreaktionen vorgestellt18. Wesentliche Aufgabe des Apothekers in Zusammenarbeit mit dem behandelnden Arzt sei es, aus der Informationsflut für den Krebspatienten und seine orale Therapie die wichtigen Nebenwirkungen herauszufiltern, eine adäquate Prophylaxe und unterstützende Maßnahmen bereits mit Therapiebeginn anzuregen sowie ihm jene Situationen zu vermitteln, in denen ein Arztkontakt drin-gend notwendig ist.
▶ Übelkeit und Erbrechen
Das Quälendste für ihre Patienten seien Übelkeit und Appetitlosigkeit über 24 Stunden, die neben der emetogenen Potenz der Arzneistoffe19 vor allem auf patienten-individuelle Faktoren, wie antizipatorisches Erbrechen, junges Alter (< 51 Jahre), bekannte Reise- oder Schwangerschaftsübelkeit, zurückzuführen sei.
Eine individuelle Beratung zur Ernährung und möglichen unterstützenden Maßnah men sollte frühzeitig im Rahmen der pharmazeu-tischen Betreuung integriert werden (Tab. 1, Abb. 18). Nachdrücklich müsse man auf die prophylaktische Einnahme der Antiemetika (1 Stunde vor der Therapie) hinweisen, da diese oftmals erst nach dem Erbrechen von den Patienten eingenommen würden.
Sollte ein Patient mit einem Antiemetikum nicht zurechtkommen (Erstlinientherapie) müsse auf eine andere Substanzklasse ausge-wichen werden (Zweitlinientherapie; Tab. 1). Der Patient benötigt klare Handlungs an-weisungen für sein Verhalten bei Erbrechen nach der Einnahme oraler Zytostatika, wie bspw.:
Erbrochenes sofort mit Haushaltspapier aufnehmen und bei der Entsorgung Handschuhe tragen, alles in einen
18 OnkologischePharmazie,18.Jahrgang,Nr.1/2016:45-46
19 RoilaFetal.MASCCandESMOConsensusGuidelinesforthePreventionofChemothera-pyandRadiotherapy-InducedNauseaandVomiting:ESMOClinicalPracticeGuidelines.AnnOncol.2016;27(suppl5):v119-v133,2016.http://www.mascc.org/antiemetic-guidelines[letzterZugriff:03.11.2016]
Abb. 17
Abb. 18
Individualisierte Therapie
Die Wahl des am besten geeigneten TKI sollte sich an den Komorbiditäten und manifestierten Risikofaktoren orientieren
Wolf D et al. Praxis Report. Thieme 2015; 7(16):1–12Abb. 16: Individualisierte CML-Therapie (nach Wolf D et al. Praxis Report. Thieme 2015; 7(16):1–12)
Onkologische Pharmazie | 19. Jahrgang | Nr. 1/2017 | 27
Bericht zur 3. Fachtagung für orale Krebstherapie
Plastik beutel geben und im Haushaltsmüll entsorgen.
keine erneute Einnahme der oralen Zyto-statika, egal in welchem zeitlichen Abstand das Erbrechen stattfindet, Therapie zum nächsten Einnahme zeitpunkt fortsetzen, d.h. niemals 2 Tagesdosen am gleichen Tag einnehmen.
▶ Hand-Fuß-Syndrom
In der Pathogenese des Hand-Fuß-Syndroms werden gegenwärtig zwei Varianten diffe-renziert. Beim Chemotherapie-assoziierten
Hand-Fuß-Syndrom reichern sich Abbau-pro dukte bspw. von Capecitabin auf der Hautoberfläche an, dringen dann in das Stratum corneum ein und verursachen die beschriebenen Schädigungen in unterschied-licher Intensität. Das Multikinaseinhibitor-assoziierte Hand-Fuß-Syndrom schädigt auf vaskulärer Ebene und verursacht eine stärkere Keratinisierung.
Höhere Schweregrade dieser dermatologi-schen Nebenwirkung haben einen erheb-lichen Einfluss auf die Lebensqualität des Patienten mit oraler Krebstherapie, weshalb eine frühzeitige Prophylaxe sehr hilfreich
ist (Abb.19). Therapeutische Maßnahmen erfolgen entsprechend dem Schweregrad die-ser Nebenwirkung. Vor allem die frühzeitige Dosisreduktion oder Therapiepause ist in der Behandlung dieser Nebenwirkung beson-ders wichtig und erfordert eine engmaschige Patientenbegleitung in Abstimmung mit den Ärzten (Abb. 20).
▶ Tumorassoziierte Fatigue
Bei vielen Krebspatienten tritt eine Tumor-assozi ierte Fatigue während und nach der Therapie auf, wobei emotionale, kognitive und
Tab. 1: Prophylaxe und Therapie bei Übelkeit und Erbrechen
Prophylaxe durch Ernährung Erstlinientherapie(nach MASCC/ESMO Leitlinie)
Zweitlinientherapie(nach MASCC/ESMO Leitlinie)
mehrere kleine statt üppige Mahlzeiten einnehmen
sehr süße, fette und stark gebratene Speisen meiden
kleine Mengen Toast oder Zwieback beruhigen den Magen
für Abwechslung und Vielfalt sorgen und auf Geschmacksveränderungen eingehen
intensive Essens- oder andere lästige Gerüche meiden, Lüften
Serotonin (5-HT3)-Antagonisten (Setrone):
Cave: Obstipation, QT-Zeit-Verlängerung
Ondansetron (Zofran®),2mg als Schmelztablette!
Granisetron (Kevatril®), 1 oder 2mg oder als Pflaster Sancuso®
Palonosetron (Aloxi®),0,5mg
(p.o.Einnahme 1h vor der Therapie)
Dopamin-Rezeptor-Antagonisten
Metoclopramid, 3 x 10mg alle 8h oder 1 x 30mg retard Cave: extrapyrimidale NW, Interaktionen z.B. Haloperidol
Domperidon (Motilium®) ohne zentralnervöse Nebenwirkungen
Alizaprid (Vergentan®), initial 3 x 50mg
Neurokinin-1 (NK1)-Rezeptorantagonisten
(nur in Kombi mit Setronen):
Aprepitant (Emend®), 125mg Tag 1, 80mg Tag 2-3
Netupitant (Akynzeo®), 300mg in fixer Kombi mit Palonosetron 0,5mg Tag 1
Neuroleptika
Haloperidol, initial 1-3 x 1mg
Olanzapin, 5 - 10mg/d oral für 3 Tage (off label use!)
langsames Essen und gründliches Kauen erleichtert die Verdauung
nach dem Essen im Sitzen entspannen (nicht flach hinlegen)
bei aufkommender Übelkeit hilft Ablenkung (Gespräche, Musik hören, Fernsehen)
eiskalte, klare Getränke wie Tee oder Apfelsaft können Erleichterung verschaffen ebenso wie das Lutschen von Eisstücken
Genussmittel wie Alkohol, Koffein oder Nikotin meiden
Stressreduktion und Einhalten eines geregelten Tag-Nacht-Rhythmus
Kortikosteroide:
Dexamethason, 4-12mg Tag 1, 2-3
Cave: nicht bei dekompensierter diabetischer Stoffwechsellage!
Benzodiazepine
Lorazepam (Tavor®),initial 1 x 0,5 -2mg, als Komedikation
H1-Blocker
Dimenhydrinat (Vomex A®), initial 3 x 50-100mg oder 1-2 x 150mg rektal
28 | Onkologische Pharmazie | 19. Jahrgang | Nr. 1/2017
Bericht zur 3. Fachtagung für orale Krebstherapie
physische Faktoren sich wechselseitig bedin-gen bzw. beeinflussen und zu individuell sehr unterschiedlichen Erscheinungsbildern füh-ren. Diese Belastungen und Einschränkun-gen werden oft nicht ausreichend wahr-genommen, Beschwerden und Zeichen der Fatigue kaum systematisch erfasst und Behandlungsmöglichkeiten häufig unterschätzt.
Zu den medikamentösen Therapieansätzen zählen Zytokine, Psychostimulantien, Antidepressiva, Antihistaminika, Hormone und Stoffwechselprodukte (Abb. 21). Im Vordergrund der Behandlung von tumoras-soziierter Fatigue stehen jedoch: Sport/Bewegung (frühzeitig beginnen,
individuell dosieren, mehrmals wöchentli-ches Ausdauer- und Krafttraining je 30–45 min.)
Psychoedukation, kognitive Verhaltens-therapie (Ängste, Belastungen, Stress)
Aktivitäts- und Energiemanagement (z.B. „Energietagebuch“)
Entspannungstechniken, Achtsamkeit (Yoga, Akupunktur, progressive Muskel-ent spannung, Stressbewältigung durch Achtsamkeit (MBSR -Mindfulness-based stress reduction))
Selbstmanagement (Ernährung, Schlaf, Soziales, Genuss, Gefühle).
Im Rahmen der pharmazeutischen Be treu-ung können Apotheker viel für ihre Krebs pa tien ten leisten, u.a. durch einen Medikations check (einschließlich Selbst-medikation) bei der Detektion von Fatigue oder ihre Kompetenz zu nichtmedikamen-tösen Therapie ansätzen und komple men tären Verfahren (Abb. 21).
▶ Besonderheiten in der pharmazeutischen Beratung von muslimischen Patienten
Die religiöse Einstellung des Patienten könne ein wichtiger Einflussfaktor für sein Gesundheitsverhalten und unter Umständen der Grund für eine Therapieverweigerung sein. Dr. Metin Bagli, Köln, führte aus, dass deshalb das Risiko der Non-Compliance bei muslimischen Patienten immer im Kontext zu soziodemographischen Merkmalen und dem sozialen Umfeld des Patienten zusehen sei.
Abb. 19
Abb. 20
Abb. 21
Onkologische Pharmazie | 19. Jahrgang | Nr. 1/2017 | 29
Bericht zur 3. Fachtagung für orale Krebstherapie
Tierische Produkte in der Pharmazeutischen HerstellungTier
off
Haut/ Haut/
© Vlad Klok/ Fotolia
Rohsto Darmmukosa Pankreasdrüsen Knorpelgewebe Fett/Fleisch Haut/
KnochenHaut/
Knochen Knorpelgewebe
dukt
90% 10%Heparin Pankreatin Chondroitin ChondroitinFettsäuren/ Gelatine
Prod 90% 10%
ung
Nahrungs
Nahrungsergänzungsmittel,Kapselmaterial,
Heparin Pankreatin Chondroitin ChondroitinProtein Gelatine
Verw
endu Gerinnungs‐
hemmer Pankreasenzyme Nahrungs‐ergänzungsmittel
Nahrungs‐ergänzungsmittel,
Hilfsstoffe
Nahrungs‐ergänzungsmittel
Überzüge von Tabletten,Trocknungs‐ und Bindemittel,Gelatineschwämme,Plasma Expander
Alternativen
FondaparinuxVerdauungsenzymepflanzlicher Herkunft
Rinderknorpel pflanzliche Produkte
andere Galenik,vegetarische Kapseln(Cellulose, Polysacharide)A Polysacharide),Aquakapseln
Dr. Metin Bagli 3. Fachtagung Orale Krebstherapie 10. September 2016, MünchenAbb. 22: Tierische Produkte in der pharmazeutischen Herstellung
Der Islam regele viele Aspekte des täglichen Lebens. Der Verzehr von Schweinefleisch und Alkohol sei für gläubige Muslime nicht „erlaubt“. Daher könnten Medikamente, die als Inhaltsstoff, meist Hilfsstoff, verarbeitetes Schweinefleisch oder Alkohol enthalten, für einen praktizierenden Muslimen nicht „helal“ und somit problematisch sein.
Oftmals könnten durch den Hilfs stoff Gela tine Konflikte ausgelöst werden, z.B. wenn diese als Überzüge von Tabletten,
Kapsel material oder als Trocknungs- und Binde mittel Verwendung fänden. Dann könne der Apotheker bei der Suche nach geeig neten Alternativen unterstützen (Abb. 22).
Alkohol komme sowohl äußerlich als auch innerlich zur Anwendung und auch hier seien konkrete Alternativen, z.B. über Daten-banken oder bei Herstellern, die Arznei mittel für Kinder oder Abstinenzler anbieten, zu suchen (Abb. 23).
„Manchmal kommt es auch zum Missverständnis bei verordneten
Arzneimitteln mit der Endung „ol“ wie z.B. Propranolol, Isopropanol…“
Dr. Metin Bagli, Köln
Ein weiteres Gebot bei Muslimen sei das Fasten. Während der Fastenzeit (Ramadan) sei dem Gläubigen von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang untersagt, zu essen und zu
Verwendungszweck Rechtfertigung Alternativen
Alkohol in der Pharmazeutischen Herstellung
Verwendungszweck Rechtfertigung Alternativen
Desinfektionsmittelz.B. Händedesinfektion
Keine orale EinnahmeErzeugt keine Rauschzustände
alkoholfreie Alternativen z.B. Didecyldimethylammonium‐Cl
ußerlich
kosmetische / topische Anwendung
Mundspüllösungen
Problem:Mittel der Wahl für hygienische und chirurgische Händedesinfektion sind alkoholbasierte Präparateäu alkoholbasierte Präparate
ch
Konservierungsmittel inLösungen und Säften
Not bricht Gebotz.B. Nitrolingual® Spray
alkoholfreie Alternativen
P bl
inne
rlic
Lösungsmittel in der Homöopathie, Tinkturen
Problem:Isoket® Sublingualtabletten nicht so verbreitet
Auszugsmittel in der Pflanzenheilkunde Kein Alkohol mehr nachweisbar alkoholfreie AlternativenAuszugsmittel in der Pflanzenheilkunde Kein Alkohol mehr nachweisbar alkoholfreie Alternativen
Missverständnis mit der Endung „ol“ (z.B. Propranolol, Isopropanol)
Dr. Metin Bagli 3. Fachtagung Orale Krebstherapie 10. September 2016, München
Abb. 23: Alkohol in der pharmazeutischen Herstellung
30 | Onkologische Pharmazie | 19. Jahrgang | Nr. 1/2017
Bericht zur 3. Fachtagung für orale Krebstherapie
Fastenpflicht Speisegebot
Der Gläubige entscheidet
Fastenpflicht
Kranke sind von der Fastenplicht b d
Speisegebot
Speisegebot gilt nicht bei entbunden Arzneimittel
Arzneimittel ist lebenswichtig undFasten trotz Krankheit
Arzneimittel ist lebenswichtig und ohne Alternativen
Auswahl von Alternativen
Hilfe bei Umstellung der Medikamenten‐
einnahme
Aufklärung über gesundheitliche Risiken
keine Medikamenteneinnahme od.k li Ei h
keine Medikamenteneinnahme
„Not bricht Gebot“
kumulierte Einnahme
Dr. Metin Bagli 3. Fachtagung Orale Krebstherapie 10. September 2016, München
trinken. Dies gelte auch für die Einnahme von einigen Arzneimitteln (Tab. 2).
Das Fasten könne zu gesundheitlichen Problemen wie Dehydratation, Magen‐ und Verdauungsbeschwerden, Kreislaufproble-men und anderen Beschwerden führen. Personen mit Herz‐Kreislauf‐Erkrankungen, Nieren er krankung, Diabetes, Magen‐Darm‐Er kran kun gen und Migräne seien in der Fas-ten zeit besonders gefährdet. Eine wichtige Empfehlung für die Fastenzeit sei ausrei-chende Flüssigkeitsaufnahme in der Nacht und Anpassung der körperlichen Aktivität.
Obwohl Kranke von der Fastenpflicht aus-genommen seien, hätten die Patienten sehr oft den Wunsch, trotzdem zu fasten. Fasten
sei nur möglich, wenn die Einnahme der Medikamente, die tagsüber eingenom-men werden, in die Nacht verlegt wer-den könne. Der Apotheker könne hier in Absprache mit dem Arzt den Patienten durch seine Einfühlsamkeit und fachliches Wissen beraten und durch Vorschläge zur Dosisanpassung oder Wechsel des Präparats Alternativen aufzeigen wie Umstellung auf retardierte Präparate
z.B. Schmerzmittel: Ibuprofen, Diclofenac
Umstellung auf Einmaldosis z.B. Anti biotikum: Ciprofloxacin à Fosfomycin; Amoxicillin à Azithromycin
Für Diabetiker bestehe, insbesondere in der Fastenzeit, die Gefahr einer Hyper‐ oder
Tab. 2: Verbotene und erlaubte Arzneiformen während der Fastenzeit
Abb. 24: Der Gläubige entscheidet
Hypoglykämie und Ketoazidose. Für die Anpassung der Dosis von Insulin/orale Antidiabetika beim Fasten sei das Vorgehen auf der Basis bereits vorliegender Guidelines zu empfehlen.
Die größte Gefahr beim Fasten bestehe darin, dass keine Arzneimittel bzw. kumuliert zum falschen Zeitpunkt eingenommen wer-den. Hier sei eine individuelle und einfühl-same Beratung zum Schutz des Lebens und der Gesundheit des muslimischen Patienten deshalb sehr wichtig. Ob er nach dem Prinzip „Not bricht Gebot“ handle, entscheide der Gläubige aber immer selber (Abb. 24).