Krieg, Flucht und Vertreibung und die Erbschaften der Vergangenheit- über
transgenerationale Weitergabe und die Bedeutung von Erinnerung
Die Nachkriegsgenerationen kennen 72 Jahre nach Ende des 2.Weltkriegs Krieg, Flucht und
Vertreibung meist und zum Glück nicht mehr aus eigenem Erleben. Dennoch finden sich, von
vorherigen Generationen weitergegeben, noch heute Gefühlserbschaften und Spuren
traumatischer Erfahrungen, die das Sein in der Welt und den Blick auf sie beeinflussen
können. Auch die speziellen Bindungs – und Erziehungserfahrungen der NS-Zeit wurden an
die Folgegenerationen teils bewusst, teils unbewusst übermittelt. So werden manchmal innere
Einsamkeit, Bindungsunsicherheit, diffuse Ängste, kollektive Schuld und, bei Familien mit
Flucht- oder Vertreibungserfahrungen, Entwurzelung und die Frage nach einem sicheren
Zuhause empfunden. Daneben finden sich, ebenfalls resultierend aus der Erfahrung mit Krieg
und Nationalsozialismus, wertvolle Kräfte – aufbauen können, Bescheidenheit,
Zusammenhalt, die Wertschätzung von Demokratischen Strukturen, ein Bemühen um
Humanität.
Woher kommen wir, wohin gehören wir und wohin wollen wir?
Die Nationalsozialistische Diktatur, die Krieg und Zerstörung der Humanität brachte, und das
darauf folgende Leben mit dem Kalten Krieg, bei mir zu Hause mit der Teilung Deutschlands
ist ein das seelische Leben prägender Teil der deutschen Geschichte. Ähnliche und sicher
auch andere Spuren wird es auch in Österreich geben. Peter Handke nannte sein 2010
erschienenes Drama, dass sich mit den familiären Erfahrungen des 2. Weltkriegs
auseinandersetzt, „Immer noch Sturm.“ Es wurde an vielen deutschen Theatern aufgeführt,
ich hatte die Gelegenheit, das Osnabrücker Theaterensemble, das einen österreichischen
Regisseur dafür engagierte, vor dem Beginn der Einstudierung zu beraten.
Eine transgenerationale Sichtweise, wie sie auch in Handkes Stück thematisiert wird,
erweitert Lebensbiographien und kann helfen, sich selbst und andere und auch
gesellschaftliche Prozesse besser zu verstehen. Wir sind anscheinend noch dabei, uns immer
weiter von den Schatten der Vergangenheit zu befreien, Mitgefühl, Herz und Seele wieder zu
ermächtigen und in tragendes Selbstbewusstsein und Verantwortung hinein zu wachsen, um
gesunde innere Grundlagen zu schaffen für mitmenschliche Beziehungen, für gelingende
Gemeinschaften im individuellen und im kollektiven Kontext.
Das Thema der Euthanasie, das hier auf der Tagung im Zentrum steht, trägt ein Paradigma
des Nationalsozialismus: die Verweigerung des Antlitz, wie es die Soziologin Sigrid
Chamberlain nennt, die Verweigerung der Menschenwürde.
„Alle Menschen sind frei und gleich an Würde geboren“ heißt es in Artikel 1 der Allgemeinen
Erklärung der Menschenrechte. Sie wurde am 10. Dezember 1948 von der
Generalversammlung der Vereinten Nationen in Paris verkündet als Reaktion auf die
unsäglichen Verbrechen des Nationalsozialismus. Die Menschenrechte wurden damit ein
Zukunftsweisendes Erbe des 2.Weltkriegs und des Nationalsozialismus. Wie immer sie auch
heute gelebt oder nicht gelebt werden, im Bewusstsein sind sie verankert. Entsprechend lautet
Artikel 1 des deutschen Grundgesetzes, das u.a. aus den Frankfurter Dokumenten als Weisung
der Westlichen Alliierten an den neu entstehenden deutschen Weststaat 1948/49 entstand:
„Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung
aller staatlichen Gewalt.“ Angesichts der gerade erst gestoppten Verbrechen am Menschen,
die nicht nur von einzelnen nationalsozialistischen Führungsfiguren ausgeführt, sondern von
vielen aus der Bevölkerung mitverübt oder mitgetragen wurden, war dies eine verordnete
Transformation für die neu entstehende bundesdeutsche Regierung und für die Bevölkerung,
die in den seitdem vergangenen 70 Jahren ihren Weg findet.
In der DDR sorgte die russische Besatzungsmacht und das sozialistische System für eine
stringente Entnazifizierung und Werteveränderung, gleichzeitig entstanden durch den einfluss
des Stalinismus und die sich entwickelnde Parteidiktatur der DDR bis zur Wende 1989 neue
Formen von Unterdrückung, Angst und Schweigen.
Entwürdigung gegenüber Menschen, die als dem Volkskörper nicht zugehörig angesehen
wurden, die als Feinde und Schädlinge, oder als Last im Sinne der Rasenhygiene galten, ist
eine der Erfahrungen, die als Gefühlserbschaft transgenerational weitergegeben wurde. Auch
Selbstentwürdigung an einem anderen Pol gehört dazu im Sinne von tiefer Beschämung, die
sich bei beginnender Bewusstwerdung über die Verbrechen des Krieges einstellte.
Die Mutter der 53-jährige Monika hat als 12-Jährige an der Hand ihres Vaters gestanden, der
als Kommunist vor ein Erschießungskommando treten sollte und im letzten Moment
begnadigt wurde und „nur “ in Lager Haft kam. Monikas Mutter hat Zeit ihres Lebens an
Verfolgungsängsten gelitten, Monika ist damit aufgewachsen. Die Einordnung in die
Geschichte des 12-jährigen Mädchens, das dann ihre Mutter wurde, hilft ihr, ihre eigene
seelische Verstörung besser zu verstehen
Der 42-jährige Markus erzählt: „Ich glaube, mein Großvater war Aufseher in Auschwitz. Nur
der Gedanke daran bringt mich schon in ein Gefühl von innerem Zerfall, weiter nachfragen
kann ich da gar nicht. Es kostet viel Kraft, mich von meinen Wurzeln fern zu halten“.
Der 40-jährige Martin hat einen Großvater, der auf Grund seiner Homosexualität 1944
hingerichtet wurde. Er kommt in die Therapie, weil dies ein Tabu in der Familie ist, über das
nicht gesprochen werden darf. Er aber hat recherchiert und Dokumente seiner Verurteilung
gefunden. Er ist allein damit, die Mutter, Tochter des Ermordeten, und ein noch lebender
Onkel, die einzigen Verwandten, brechen nach dem Aufdecken der Recherche den Kontakt
zu ihm ab. Ein Stück deutscher, nicht bewältigter Vergangenheit, das neues familiäres Leid
und Bindungsbrüche initiiert.
Und die 1948 geborene Maike erinnert, dass ihre im Haushalt mitlebende leicht geistig
behinderte Tante immer ins Souterrain des Wohnhauses gebracht und die Tür hinter ihr
abgesperrt wurde, sobald jemand an der Tür klingelte. Sie dachte lange, die Tante sei den
Eltern peinlich gewesen. Erst viel später erfuhr sie, dass die Eltern die Tante während des
Krieges versteckt hatten und sie konnte verstehen, dass sie in der ehemaligen Angst vor der
Deportation der Tante weitergelebt haben müssen. „Der Krieg war für sie auch Anfang der
60er Jahre noch lange nicht zu Ende“.
Ein Grundprinzip des Zen ist „ Baring witness“ , „Bezeugen und Bezeugt werden“, auch ein
Wirkfaktor in der Psychotherapie. Es kann uns helfen beim Zusammensetzen von Erinnerung,
es kann helfen bei der Re- Installation der mitfühlenden Anerkennung des menschlichen
Daseins. Die ideologisch legitimierte Verweigerung dieser Anerkennung bereitete u.a. den
Boden für die sogenannte Euthanasie.
Als Psychotherapeutin begleite ich – so wie Sie alle hier - Menschen, die seelische
Verletzungen in sich tragen. Die ursprüngliche Situation dazu kann aktuell erlitten sein, sie
kann auch lange zurückliegen, kann ihren Ursprung auch in transgenerational vermittelten
Belastungen haben. Verborgene oder offene Wunden von Geist, Herz und Seele.
Seelische Verstörung in all ihren Ausdrucksformen ist Antwort auf emotionale und
existentielle Mangelzustände, auf Abwertung und Beschämung, auf physische und
psychische Bedrohung und Gewalt, auf Verlust wichtiger Bindungen, auf Verlust von Heimat.
In Depression, in Angsterkrankungen, in Essstörungen, in Sucht, im burn out , liegt immer ein
seelischer Schmerz verborgen. Im günstigen Fall kann er Motor für einen
Veränderungswunsch werden,
Seelisches Glück wie auch seelische Verstörung spiegelt unser in Beziehung-Sein mit
anderen wieder. Beziehungs- und Bindungsverletzungen haben als Preis den Schmerz der
Unverbundenheit und die Verlorenheitsangst, ein Begriff des Psychoanalytikers Host
Eberhart Richter
Traumatische Erfahrungen haben eine besondere Wirkkraft. Ihre Folgen können an die
Nachkommen weitergegeben werden - bei Kriegserfahrungen als kollektive Prägung eine
ganze Generation, ein Volk oder eine Volksgruppe betreffen. Ein Satz aus dem Alten
Testament bei Ezechiel: „Die Väter haben saure Trauben gegessen und den Kindern sind
davon die Zähne stumpf geworden“ - ein über 2000 Jahre altes Wissen über
transgenerationale Weitergabe.
Stumpf gewordenen Zähne: Das bedeutet Verlust von Vitalität, von gesunder Aggression-
der Boden für Depression, wie sie in der Nachkriegszeit oft anzutreffen war. In vielen
Familien führte sie zu emotionaler Erstarrung und Schweigen.
Der Altersforscher Hartmut Radebold*, Professor für Klinische Psychologie,
sagt: „Bagatellisieren, Abschwächen und Verdrängen lautete die
Devise in den Nachkriegsjahren. Wie hätte man überleben sollen, wenn man sich ganz und
gar Verzweiflung und Kummer hingegeben hätte? Das Land richtete sich in einer manchmal
pathologischen Normalität ein.“
Die pathologische Normalität kostete jedoch ihren Preis. Standen auf der einen Seite
Funktionieren und Durchhalten für das Weiterleben und den Wiederaufbau, so gab es auf der
anderen Seite Betäubung, innere Leere und weiterhin Ignorieren seelischer Bedürfnisse.
Daraus resultierende depressive Grundstimmungen oder immer wieder aufflammende
destruktive Aggression wirken bis heute. Nach einer Studie der Universität Leipzig über die
seelischen Folgen des 2.Weltkriegs leiden jede fünfte Frau und jeder zehnte Mann der
Befragten aus der Kriegskindergeneration an Angstattacken im Zusammenhang mit Kriegs -
Erfahrungen. Zur Bewältigung der Schrecken und Zurücksetzungen, die die Kriegskinder
erfuhren, würde man heute ein Heer von Kinderpsychologen und Beratungsstellen aufbieten.
Und da ist auch gut so. Geschieht heutzutage ein Unglück so erfolgen schnell psychologische
Betreuungsangebote. In einigen Bundesländern in Deutschland gibt es einen
“Psychotherapeutischen Bereitschafts- Dienst“ um eine Erstversorgung für akut traumatisierte
Menschen sicher zu stellen.
Seelisches Leben braucht einen Raum des Seins, der während eines Krieges kaum zur
Verfügung steht
Ein Bericht des Pentagon teilte im Januar 2010 mit, dass die Suizidrate unter den im Irak
stationierten US - Soldaten erstmals die Anzahl der gefallenen Soldaten überstieg. In einem
Artikel über Traumafolgestörungen bei Bundeswehrsoldaten wurde ein 22- jähriger Soldat zu
seinem Einsatz in Afghanistan zitiert. Nach einem Selbstmordattentat, bei dem Kameraden
von ihm ums Leben kamen, habe er beschlossen, ab jetzt keinem Menschen mehr zu trauen,
denn: „Anders kann man nicht durchs Leben kommen.“ Was wird dieser junge Mann einmal
an seine Kinder weitergeben?
Bei der Ankunft der abgezogenen US-Soldaten aus dem Irak vor einigen Jahren gab es bereits
am Flughafen psychologische Betreuungsangebote und Flyer davon –eine perfide
Angelegenheit, die Männer erst in den Krieg zu schicken und ihnen dann sofort Hilfe bei der
Rückkehr anzubieten.
Prof. Butollo vom Traumzentrum München sagt dazu : „Der Begriff Posttraumatische
Belastungsstörung in diesem Feld suggeriert, man könne sie heilen wie einen Beinbruch. Dem
ist aber nicht so. Und ist nicht eigentlich der Krieg die Krankheit?“
Als 1960 Geborene bin ich 42 Jahre nach Ende des 1.Weltkrieges und 15 Jahre nach Ende
des 2.Weltkrieges geboren - beides eine kürzere Zeitspanne, als mein Leben bisher andauert.
In meiner eigenen Familiengeschichte meldete sich mein Großvater im1.Weltkrieg 16-jährig
freiwillig als Soldat. Meine Eltern sind beide Kriegskinder des 2. Weltkriegs mit Flucht aus
Ostpreußen mütterlicherseits und Ausbombung in Sachsen väterlicherseits, sie kamen bis
Mecklenburg. Beide flüchteten kurz vor meiner Geburt noch einmal, diesmal aus der DDR in
die Bundesrepublik nach Verfolgung durch den Staatssicherheitsdienst.
Meine 1990 geborene Tochter, die nächste Generation, hat Eltern, die im Gegensatz zu
mehreren Eltern - Generationen vorher keinen Krieg erlebt haben. Das macht ein anderes
emotionales Aufwachsen möglich. Und sie ist in einem wiedervereinigten Deutschland groß
geworden. Meine Familienbiographie ist nichts Besonderes für meine Generation.
In Lübeck, wo ich praktiziere, bestand nach dem Krieg 30% der Bevölkerung aus Flüchtlingen
und Vertriebenen. In dem sich anschließenden ehemaligen Teil der DDR, dem heutigen
Bundesland Mecklenburg-Vorpommern, stellten sie die Hälfte der Bevölkerung. Darüber
durfte mit Rücksicht auf die Sowjetunion in der DDR nicht gesprochen werden, in der
Bundesrepublik wurde der emotionale Aspekt des Themas vermieden - und das bei etwa 15
Millionen Flüchtlingen, die die Alliierten im Restteil Deutschlands aufnehmen und irgendwie
versorgen mussten.
Flucht und Vertreibung – das betraf Deutsche aus Ostpreußen, Schlesien und Pommern, aus
den baltischen Staaten, aus Polen, aus dem Sudentenland in der Tschechoslowakei, aus
Ungarn, Rumänien und Jugoslawien und aus der Sowjetunion
Elisabeth Pfeil schreibt schon 1948 in ihrer Abhandlung „Der Flüchtling. Gestalt einer
Zeitenwende“1:
„Alles, was einem Leben Halt gibt, hat der Flüchtling verloren. Die selbstverständliche
Einordnung in die mitmenschliche Welt fehlt. Damit ist auch die soziale Einbettung
weggefallen. Ohne die hegende Umwelt ist der Mensch auf sich verwiesen. Die
Selbstachtung, die Beurteilung der anderen, die Bewertung der Lage sollen aus ihm selbst
kommen. Dazu erweist sich ein Teil der Menschen nicht in der Lage, und auch daraus
erwächst, wie jedem Entwurzelten, Lebensunsicherheit. In einer ohnehin schon schwierigen
psychischen Lage heißt es, in einer fremden, oft feindlichen Umgebung zu bestehen.“
In der Begegnung mit Kriegs - Flüchtlingen heute finden wir dies wieder.
Was wissen wir von den Lebensbedingungen von Eltern und Großeltern während des
Krieges? Wie leben wir mit unserem psychischen Erbe? Gehört Auschwitz zur deutschen
Identität, wie der ehemalige deutsche Bundespräsident Joachim Gauck anlässlich des
70.Jahrestags der Befreiung von Auschwitz sagte?
Was hat sich gewandelt und welche Aufgaben warten?
1 Elisabeth Pfeil: „Der Flüchtling: Gestalt einer Zeitenwende“, Hamburg: von Hugo, 1948
Wir brauchen – zum Glück - nicht mehr den Abwehr-Schutz des Schweigens, der lange das
geistige Klima prägte. Erinnerung kann heute Räume der Zuwendung, des Austauschs, des
Verstehens erfahren.
„Meine Eltern erzählten immer viel von der Kriegszeit“, sagt die 50-jährige Geschichtslehrerin
Franka. „Mein Vater ist 1922 geboren, er durchlief die ganze nationalsozialistische Erziehung.
Mit 18 ging er als Soldat nach Russland. Meine Mutter erlebte den Krieg als Kind. Ihr Vater
war linientreuer Nationalsozialist, sie hatten vier Kinder und meine Mutter als älteste war
während der Kriegszeit zuständig für das Besorgen von Lebensmitteln. Oft erzählte sie vom
Fliegeralarm, nachts mussten sie aus den Betten und saßen im Luftschutz - Keller. Bis heute
kann sie keine Sirenen heulen hören. Es gab auch ein bis heute wirkendes Angstbild vor
Soldaten und vor Männern überhaupt. So schwang bei uns früh ein negatives Männerbild
mit. Oft fror ich innerlich, Einsamkeit war ein Grundgefühl meiner Kindheit. Und doch finde
ich es enorm wichtig, meine Familiengeschichte zu verstehen. Ich bin in einem Literaturkreis
und vor kurzem erzählte der Dozent, er sei aus Königsberg – die damalige Hauptstadt
Ostpreussens, das heutige russische Kaliningrad, und er sei als Kind „irgendwie noch
weggekommen“. In solchen Momenten werde ich ganz wach, ich merke dann: Hinter jedem
Menschen steht eine Geschichte.“
Die 1958 geborenen Erzieherin Miriam erzählt aus ihrer Familiengeschichte mit einem
anderen Focus:
„Meine 1929 geborene Mutter hatte nie das werden können, was sie eigentlich wollte,
Lehrerin. Schwer war für sie, alle ihre männlichen Freunde zu verlieren. „Wieso hast du erst
so spät geheiratet, mich so spät bekommen?“ fragte ich sie. „Na ja, meine Freunde sind
gefallen, die Jungen in meinem Alter mussten im letzten Kriegsjahr noch zum Militär“
Sehr geprägt wurde sie von der ersten Zeit in Hessen nach der Flucht aus dem Memel-
Gebiet, dem heutigen Litauen. Noch Mitte der 60er Jahre sagte eine Nachbarin einmal vom
Balkon aus zu einer anderen über unsere Familie: „Das ist ja alles Pack aus dem Osten“.
Ich glaube, dass ihre Vergangenheit sehr auf unsere Beziehung gewirkt hat. Ein großes
Thema in unserer Familie war: Bloß nicht auffallen, nichts Besonderes sein, nicht laut sein,
immer schön bescheiden, sich am besten gar nicht rühren. Das lernte ich von Kind an.
Erst mit 14 Jahren erfuhr ich: Mein früh gestorbener Vater war Jude gewesen, er war
Ingenieur und seine Firma schickte ihn in eine Niederlassung nach Sumatra.. Er überlebte
dort in einem Internierungslager. Meine bei Kriegsbeginn 9 Jahre alte Tante wurde in einem
katholischen Nonnen-Internat unter falschem Namen versteckt, meine Großeltern
überlebten irgendwie in einer schwer zugänglichen Dienstboten - Wohnung in Berlin. Als
Jugendliche in den 70er Jahren dachte ich manchmal: „Ich brauche mich nicht nur zu
schämen für meine familiäre Vergangenheit.“ Es hat etwas Absurdes - das Verfolgungs- Leid
der väterlichen Linie gab mir ein besseres Lebensgefühl als Deutsche.
Oft fühle ich einen Schmerz in mir, der meiner ist und doch nicht meiner. Und auf der
anderen Seite gibt es auch die Freude, das Leben kann so schön sein! Auch diese starken
Gegensätze wurzeln in meiner Familien - Geschichte. Ich glaube, meine Generation ist da
sehr nah dran. Wir hören nicht nur die Geschichten unserer Eltern, wir fühlen sie auch und
wir haben sie immer gefühlt.“
55 Millionen Menschenleben kostete der 2. Weltkrieg weltweit, 6 Millionen jüdische
Mitbürger wurden ermordet. 1945 lagen weite Teile Europas in Trümmern. Die Humanität
lag in Scherben.
Ächtung und Verurteilung von außen sowie Schuldgefühle und Verleugnung von innen
wirkten auch auf die nächste Generation
Die Traumatherapeutin Prof. Gabriele Rosenthal sagt zur Familiendynamik der NS-
Verbrechen:
„Kinder und Enkel in Familien von Nazi - Tätern haben oft nur vage Ahnungen. Sie zweifeln
immer wieder an ihrer Wahrnehmung und fühlen sich für ihre Vermutungen schuldig. Täter
schützen sich auch aggressiv vor einer Anklage ihrer Nachkommen. Sie leugnen oft ihre
Vergangenheit, dies tun Überlebende von Verfolgung nicht, diese verschweigen sie. Sie
wollen ihre Kinder und Enkel nicht mit ihrer Verfolgungsvergangenheit belasten“
Mit dem Wiederaufbau und dem beginnenden sogenannten Wirtschaftswunder in der
Bundesrepublik begann dort die Kompensationsmöglichkeit des Konsums.
In der DDR war die Situation diesbezüglich eine andere, durch das Wirtschaftssystem, aber
auch durch die hohen Reparationszahlungen an die Sowjetunion. Die Sowjetunion hatte fast
die Hälfte der weltweiten, etwa 28 Millionen Kriegsopfer zu beklagen und eine teilweise
zerstörte Infrastruktur. Welche transgenerationalen Folgen mag dies in Russland haben und
sich vielleicht in der heutigern politischen Situation auswirken? Von den beiden deutschen
Staaten musste nur die DDR in hohem Umfang und bis in die 50er Jahre hinein Reparationen
leisten.
Ein bis heute übersteigertes Konsumverhalten kann auch verstanden werden als Ausdruck
eines emotionalen Hungers, der anders keine Antwort zu finden scheint.
Und gleichzeitig besteht – vielleicht als kontraphobische Umkehrung der Kriegs- und
Nachkriegsdepression - eine Überbewertung von Leistung, Attraktivität und Erfolg. Wir sind
die „Generation perfect“, nennt dies eine 25-Jährige.
Sind wir eine Gesellschaft, die immer glücklich sein will, glücklich sein muss? Wollen wir
wirklich wissen, wie dunkel es in anderen, in uns selbst sein kann?
Der Psychoanalytiker Arno Gruen sagt in seinem Buch „Entfremdung vom Leben “: „Das
Bewusstsein der eigenen Verletzlichkeit würde den Blick auf die Verletzlichkeit des anderen
öffnen. Aber ohne Zugang zur Empathie sind dieses Bewusstsein und entsprechendes Handeln
nicht möglich“
Menschen haben eine Geschichte, Familien haben eine Geschichte, ebenso wie die jeweilige
Generation, das Volk, die Nation eine Geschichte haben. Wir verinnerlichen im Laufe unseres
Lebens gemachte Erfahrungen, sie prägen unser Denken, Fühlen und Handeln. Unsere
Träume, unsere Ängste und Hoffnungen werden davon mitbestimmt. Es ist ein wesentlicher
Grundgedanke der Tiefenpsychologie, dass Erfahrungen in uns gespeichert sind. Sie wirken
wie ein Hintergrund, vor dem wir die Gegenwart erleben und gestalten. Wenn wir diesem
Erfahrungshintergrund mit Interesse begegnen, erhält die Seele erhält ihr Recht zu Sein.
Die nationalsozialistische Ideologie war nicht emotionslos, sie sprach vielmehr über magisch
anmutende Rituale in Menschen seelisch verschüttete Bereiche an: Suche nach Selbstwert,
pervertiert zu narzisstischer Grandiosität, Suche nach Sinn und Halt, kanalisiert in
Aufopferung an Führer und Volk, Suche nach Gemeinschaft, die für Propagandazwecke
missbraucht wurde
Die ehemaligen Kriegskinder gehören jetzt der ältesten Generation unserer Gesellschaft an,
14, 8 Millionen in Deutschland lebende Menschen haben den 2.Weltkrieg noch erlebt.
„Unsere Eltern und Großeltern räumten die Trümmer der zerstörten Häuser mit den Händen
weg - wir, die nächste Generation, sind noch mit dem Aufräumen der seelischen Trümmer
beschäftigt“ beschreibt eine 52-jährige Frau ihr Bemühen um Transformation. Das braucht
Anerkennung.
Denn tief sitzt in vielen die Erfahrung aus der Erziehung der Nachkriegszeit, sich
unterzuordnen, Funktionieren als Selbstverständlichkeit zu sehen und berechtigten Stolz und
Selbstliebe nicht wirklich zu erlauben. Und der Auftrag zur Heilung von Kriegs- oder NS-Zeit
bedingten elterlichen Wunden richtete sich in besonderem Masse an die Söhne und Töchter,
die sich bei Nichterfüllung schuldig fühlten und noch fühlen.
Die Weitergabe von Erfahrungen an die Folgegeneration erfolgt über die Bindungsbeziehung
zu den Kindern. Sie werden halbbewusst und unbewusst, sprachlich und nonverbal
vermittelt. Bindung ist ein von Lebensbeginn an menschliches Grundbedürfnis, eine
Grundmotivation im Leben und auch vielen Tierarten eigen. Für ein Kind sichert eine gute
Bindung zu den Eltern den nötigen Schutz, die Versorgung und die Zuwendung, die es für
sein Leben braucht. Es gibt ihm darüber hinaus ein Gefühl der Zugehörigkeit zu einer
größeren Gemeinschaft.
Die Bindungsforschung betont, dass das Baby ein zutiefst Beziehungsbetontes
Wesen ist. Da Bindung als essentieller Faktor für das Überleben so wichtig ist, wurde das
Baby in der Jahrmillionen dauernden Evolution des Menschen mit der elementaren Fähigkeit
ausgestattet, auf dem Wege körperlicher Signalgebung die Bindung an die Eltern von sich
aus aktiv mitzugestalten. Kommunikation ist eine unserer frühesten und wichtigsten
Kompetenzen.
2,5 Millionen Kinder hatten nach dem zweiten Weltkrieg in Deutschland nur noch einen
Elternteil, 100000 wurden Vollwaisen. Entsprechende Zahlen für Österreich wären interessant.
Die Übernahme der Verantwortung für Aufgaben, die eigentlich Erwachsene tragen lernten die
Kriegskinder früh, eine geforderte Autonomieentwicklung, die ich bei vielen Klienten der
Kriegskindergeneration, aber auch noch bei der Folgegeneration erlebe. Bedürfnisse zu zeigen
fällt eher schwer, zeigt sich z.T. in Psychosomatischen Beschwerden. Insbesondere nach dem
Zusammenbruch des dritten Reiches wurden viele Erwachsenen als verstört, als verstummt
erlebt. Dies ist für Kinder eine besondere Situation, die Erwachsene als gesunde Orientierung
brauchen. So werden sie seelisch erwachsen in einem kindlichen Dasein. Krieg fordert dies
Kindern und Jugendlichen ab und schafft Bedingungen, die die natürliche Ordnung zwischen
Eltern und Kindern zerstören.
Und im Gegensatz zu einer für ein gesundes seelisches Aufwachsen notwendigen Erfahrung
von Geborgenheit stand für viele Kriegskinder als Bindungs – Belastender Faktor die
seelenverleugnende Erziehungs-Haltung des Nationalsozialismus in Familien und staatlichen
Erziehungsinstitutionen Schon vor der Herrschaft des Nationalsozialismus erschwerten die
preußischen Erziehungsideale eine sichere Eltern - Kind - Bindung. Als kollektive Werte
galten die Unterdrückung der emotionalen Welt, unbedingter Gehorsam und
Autoritätsergebenheit. Die nationalsozialistische Erziehungsdoktrin nutzte diese schon
vorhandenen Paradigmen. Ein Kind und der spätere Erwachsene sollte bereit sein, sich für
das deutsche Volk aufzuopfern, Erziehung wurde politisiert. Adolf Hitler sagte in einer Rede
1934 bei einer Sonnenwendfeier der Hitlerjugend auf der Zugspitze : “ Ich will eine Jugend,
die stark ist wie ein Raubtier. Die Welt soll sich fürchten vor unserer Jugend“
Nationalsozialistische Erziehungsratgeber wurden vom Propagandaministerium an jede
werdende Mutter geschickt, vor allem das der Münchener Ärztin Johanna Haarer „Die
deutsche Mutter und ihr erstes Kind.“ Auffällig daran ist die rigorose Abwesenheit von
Mitgefühl und liebevoller Zuwendung.
“Der Säugling wird in einen abgedunkelten Raum verbracht und alle vier Stunden zum
Füttern und Säubern hervorgeholt“. „ Das Kind hat vom ersten Lebenstag an zu lerne, dass
etwas einmal Gesagtes befolgt werden muss“. „Liebe Mutter, pass auf wenn die
Großmutter ins Haus kommt, sie wird das Kind verhätscheln und wiegen wollen. Dann sind
alle bisherigen Erziehungsmaßnahmen umsonst gewesen und du hast für immer einen
schweren Stand“- so Originalton Johanna Haarer. Das Buch wurde bis 1986 unter dem Titel
„Die Mutter und ihr 1.Kind “ aufgelegt und verkauft.
In Deutschland heute um Schutz nachsuchende Kriegs -Flüchtlinge werden von einem Teil
der Bevölkerung mit großem und auch herzlichem Engagement aufgenommen, viele
Menschen wollen helfen und tun es auch. Bei anderen weckt die Begegnung mit Flüchtlingen
Ängste, Abwehr oder Aggression.
Als 2015 der Höhepunkt der sogenannten Flüchtlingswelle in Deutschland erreicht war, kam
es zu einer bemerkenswerten gleichsamen Welle der Empathie und Hilfsbereitschaft. Überall
gab es freiwillige Helfer und Helferinnen, auf dem Lübecker Bahnhof schmierten Schüler
Brötchen für die Transitflüchtlinge nach Skandinavien statt vor dem PC abzuhängen, Frauen
organsierten Sammelstellen für Kleidung und Decken , auf dem Wochenmarkt hörte ich
Gespräche mit den Markthändlern, wer etwas umsonst abzugeben habe.
Sprachpatenschaften, interkulturelle Treffen, Vormundschaften für unbegleitete Jugendliche
entstanden als Bürgerbewegung neben den staatlichen oder kirchlichen Hilfsangeboten,
Geld wurde gesammelt. Schüler interviewten erstmals ihre Großeltern zu ihrer
Fluchtgeschichte und stellten Interviews mit geflüchteten Jugendlichen aus SDyrien,
Afghanistan oder Eritrea daneben. Es entstand der Eindruck, als ob bei einem Teil der
Bevölkerung eine lang zurückgehaltene Empathie nun endlich leben konnte. Als hätte es eine
Sehnsucht gegeben, diesen vom Krieg gebeutelten Flüchtlingen mit Mitmenschlichkeit zu
begegnen, vielleicht auch als kollektive Wiedergutmachung transgenerational weiter
gegebener Schuldgefühle.
Krieg ist ein man- made- disaster, ein von Menschenhand initiiertes Szenario. Es hat andere
Auswirkungen als traumatische Erfahrungen durch Naturgewalten oder Unfälle. Auch hier
werden Bedrohung und Ohnmacht erlebt, die Menschen bleiben jedoch in innerer
Gesamtheit beieinander. Der Tsunami im Winter 2004 in Sri Lanka z.B. löste eine vorher nie
da gewesene globale Hilfsbereitschaft aus. Ein man - made - disaster aber trennt Menschen
voneinander. Es gibt Täter und Opfer, Sieger und Besiegte, Profitierende und Verlierer.
Während eines Krieges ist Gewalt angeordnet, toleriert und legitimiert.
Das Vertrauen in andere Menschen wird erschüttert. Als soziale Wesen leben wir aber in
Gemeinschaft mit anderen, wir beziehen daraus Sicherheit, Hoffnung und Lebenskraft.
Dies gilt insbesondere für Kinder.
Zur Situation von Flüchtlingskindern schreibt Petra Reski:
„Schon die ganz kleinen Kinder lernen, dass mit ihnen und ihrer Familie etwas anders ist, aber
was genau das ist, das wissen sie nicht. Sie erleben Eltern, denen der Krieg die Zuversicht
geraubt hat, dass die Welt ein sicherer Ort ist. Überanpassung sowie ein permanentes Gefühl
des Bedroht - Seins sind die Folgen.“2
2 Petra Reski: „Ein Land so weit“, Ullstein Taschenbuch Verlag, München 2002,
Als eine Form der tolerierten Kriegsgewalt gab es laut einer Studie der Universität Greifswald
2,1 Millionen Fälle von Vergewaltigung durch russische Besatzungssoldaten in der russischen
Besatzungszone und späteren DDR, etwa 30000 Kinder sind daraus entstanden, ihre
Herkunft war tabuisiert. Auch in der französischen Besatzungszone gab es diese
Kriegsverbrechen. Prof. Radebold hat ein Curriculum für Altenpfleger und – Pflegerinnen
erarbeitet für diese Problematik der jetzt alten Menschen in den Pflegeheimen.
Welche Bedeutung geben wir der Erinnerung?
Erinnerung gibt Identität, ich weiß um mich, ich weiß, wer ich bin. Ein traumatisches
Erinnern bindet das Gedächtnis an Schmerz und Angst, es sorgt für Rückzug, für
Vermeidung, für Isolation, für Störungen in dann projektiv gefärbten Beziehungen. Ein
Mensch mit unverarbeiteten traumatischen Erfahrungen ist oft für andere nicht wirklich
erreichbar, kann nicht verstehen, was ihm passiert ist und was in ihm passiert, kann sich nicht
verständlich machen. Die schon zum Zeitpunkt des Traumas oft vorhandene Isolation bleibt
auf diese Weise aufrecht erhalten. Werden Menschen mit unverarbeiteter Traumatisierung
Eltern, kommen die Kinder in Berührung mit dieser Dynamik. Ihre Eltern sind dann
emotional für sie nicht erreichbar, die Kinder geraten selbst in Isolation – so entsteht die
Gefühlserbschaft der Einsamkeit. Manche werden überbordet mit den traumatischen
Erfahrungen des Elternteils – durch die seelische Offenheit und Rezeptivität eines Kindes und
seine unbedingte Loyalität mit den Eltern entsteht die Gefühlserbschaft der Selbstaufgabe.
Ein Mensch mit traumatisch eingefärbtem Gedächtnis – auch mit transgenerational
traumatisch eingefärbtem Gedächtnis - findet in der Psychotherapie die Möglichkeit des sich
von der traumatischen Energie befreienden Erinnerns. Dafür braucht es sichere Bindung und
den Raum, langsam Sprache oder andere Formen des Ausdrucks wie Malen, Musik, Gestalten
zu finden. In Hamburg und auch in anderen deutschen Städten gibt es von einigen
Kirchengemeinden das Projekt des begleiteten Biographischen Schreibens und des
Erzählcafes für die ehemaligen Kriegskinder. Eine wunderbare Möglichkeit des Lernens,
sich-oft erstmals - mitzuteilen. In der letzten Zeit melden auch die Kinder der Kriegskinder,
die mittlere Generation, Interesse an dieser Möglichkeit des Austauschs an, für ihre
wahrgenommenen transgenerational erworbenen seelischen Verletzungen und für die
Erfahrung von Gemeinschaft, die nicht wertet und fordert, sondern teilt und bezeugt.
Die Vergangenheit prägt die Gegenwart und damit die Zukunft, weil sie unsere Erlebens-und
Gestaltungsmöglichkeiten beeinflusst. Auch deshalb ist zugängliche und mentalisierte,
mitteilbare Erinnerung so wichtig. Das Auftauen der gefrorenen Erinnerung, wie es der
französische Neuropsychiater und Psychoanalytiker Boris Cyrulnik nennt, braucht Schutz,
Zeit und seelische Wärme. Dazu eine Metapher aus Dörte Hansens Roman „Altes Land“:
Es ist die Geschichte einer jungen Frau, die 1945 aus Ostpreußen flüchten muss und bis ins
Alte Land bei Hamburg, ein großes Obstanbaugebiet mit Apfelplantagen gelangt.
„Manchmal“, so erzählt ihr eines Tages der Obstbauer, bei dem sie unterkommt, “manchmal
haben wir im Mai noch Nachtfrost, wenn die Apfelbäume schon blühen. Er könnte die ganze
Ernte vernichten. Dann sprühen wie alle Bäume mit einem Wassernebel ein, der sich als
feine Eisschicht um die Blüten legt. Dazwischen entsteht ein ganz kleiner Hohlraum, der sie
vor der Zerstörung durch die Nachtfröste schützt.“ „Ja“, denkt sie, als sie das hört, „nicht
anders ist es bei mir, so hat meine Seele überlebt und so überlebe ich immer noch“.
Welche Werte leben wir heute? Wie ist es mit unserem Humanismus bestellt? In der
Pädagogik sind Selbstvertrauen und Persönlichkeitsentwicklung heute primäre Ziele. In
Deutschland gab es erst im November 2000 eine Reform des sogenannten
Züchtigungsrechts der Eltern. In § 1631 heißt es jetzt: “Kinder haben ein Recht auf
gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere
entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig“. Damit wären wir wieder bei der Würde.
Die DDR-Schriftstellerin Christa Wolf sagt in ihrem Roman „Kindheitsmuster“: „Das
Vergangene ist nicht tot, es ist nicht einmal vergangen, wir trennen es nur von uns ab“
Zum Geheimnis von Versöhnung gehört Erinnerung. Versöhnung bedeutet in diesem
Kontext, sich den teils noch verborgenen Erinnerungen wertschätzend anzunähern. Um das
Erleben einer ganzen Generation zu wissen. Weiter Zeugnis abzulegen und zu bezeugen,
um unsere Werte, unser Denken und Fühlen und unseren Handlungsspielraum von den
Schatten der Vergangenheit immer weiter zu befreien und unsere Humanität für die
essentiellen Aufgaben im Hier und Jetzt weiter zu entwickeln.
Dipl.-Psych., Psycholog. Psychotherapetin Bettina Alberti, Lübeck
www.koerpertherapie-luebeck.de
Literatur von ihr:
“Seelische Trümmer –Die Nachkriegsgeneration im Schatten des Kriegstraumas“ , Kösel
2010
„Die Seele fühlt von Anfang an“ - Kösel 2005