Quellen: JÄNICKE, Otto: Französische Etymologie. Einführung und
Überblick. In: Romanische Arbeitshefte 35,Tübingen: Niemeyer 1991.
Pfister, Max: Einführung in die romanische EtymologieWissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt, 1980.
Referentinnen: Sandra BreuerKathrin Schmanns
Gliederung:1. Einführung in die Etymologie und ihre
Forschung Definitionen Forschung Methodik Voraussetzungen
2. Probleme etymologischer Forschung grundlegende Schwierigkeit Vorwurf mangelnder Wissenschaftlichkeit fehlende schriftliche Zeugnisse Kein “verbindliches Rezept“
3. Romanische Etymologie
Gliederung:
4. Problembereiche französischer Etymologie
Vulgärlateinische Elemente Keltische Elemente Germanische Elemente Romanische Wortschöpfung
1.1 Definition der Etymologie Teilbereich der historischen Sprachwissenschaft Wissenschaft von der Herkunft, der Grundbedeutung
und der Entwicklung der Wörter Führt einzelne Wörter bzw. Morpheme auf ihre
Ursprungsform und Grundbedeutung zurück « Science qui a pour objet la recherche de l‘origine des
mots d‘une langue donnée, la reconstruction de l‘ascendance de ces mots »
(Grand Larousse de la langue française (1973)) « la recherche des rapports qu’un mot entretient avec
une autre unité plus ancienne qu’ en est l’origine »
(Dictionnaire de linguistique (Larousse 1973)
1.2 Etymologische Forschung
Teilgebiet der historischen Lexikologie Ziele:
Ursprung einzelner Einheiten des Lexikons bestimmen und rekonstruieren
Geschichte und genetische Zusammenhänge der einzelnen Wörter erforschen
Bedeutungswandel und Wortgeschichte innerhalb der Entwicklung einer Einzelsprache aufzeigen
1.3 Methodik etymologischer Forschung Der Wortschatz einer Sprache setzt sich aus
3 Teilen zusammen:
1. Erbwörter○ Wörter, die sich aus einem schon in vorigen
Sprachstufen einer Sprache enthaltenen Wörtern entwickelt haben
○ Bsp.: lat. causa - frz. Chose
2. innersprachliche Derivate○ Wortbildung mit Hilfe von Affixen
3. Lehnwörter○ Ergebnis der Übernahme eines Wortes aus einer
Sprache in eine andere○ Bsp.: lat. vinum – frz. Vin
1.3 Methodik etymologischer Forschung
Aufgabe der etymologischen Forschung ist es,
diese drei Elemente zu bestimmenErbwörter einer bestimmten Sprache mit
den Wörtern der verwandten Sprachen zu vergleichen
formale und inhaltliche Entwicklung bis in die Ausgangssprache zurückzuverfolgen
Weitere Definitioneno Substrat
o Sprachliche Varietät, die die Struktur einer dominanteren Sprachvarietät in einer Sprachgemeinschaft beeinflusst hato Bsp.: Nachdem Gallien von Julius Cäsar erobert worden war,
war dort Gallisch Substrat
o Superstrato Varietät der politisch dominanten Klasse, die die Struktur
dominanten Sprache innerhalb einer Sprachgemeinschaft beeinflusst hat
o Bsp.: das Fränkische nach der Eroberung Galliens durch die Germanen
o Adstrato bezeichnet Sprachen, die in engem Kontakt miteinander
stehen, so dass sie sich durch Interferenzen beeinflussen, wobei keine der beiden Sprachen untergeht
1.4 Voraussetzungen wissenschaftl. Etymologie Kenntnis der genealogischen Klassifizierung der
untersuchten Einzelsprache
Kenntnis der erbwörtlichen Lautentwicklung eines Wortes Trennung in volkstümlich entwickelte Wörter gelehrte Entwicklungen und Entlehnungen
Ohne die Erarbeitung der historischen Lautlehre, der Formen- und Wortbildungslehre fehlt einer Etymologie der theoretische Rückhalt
unabdingbare Vorarbeiten etymologischer Arbeit: chronologische Aufreihung der Belege Feststellung der geographischen Verbreitung
für die Problematik Lehnwort/Erbwort kann die geographische Verbreitung eines Wortes ausschlaggebend sein
1.4 weitere Voraussetzungen Möglichst erschöpfende Wortgeschichte
• besondere Aufmerksamkeit der Bedeutungsentwicklung speziell: • der ursprünglichen Verwendung sowie • den älteren Formvarianten schenkt
möglichst genaue Bestimmung des Alters der Bezeichnung
○ Alter enthält bereits Hinweis hinsichtlich der Richtung, in der man den Ursprung zu suchen hat
Berücksichtigung der Verhältnisse in den anderen romanischen Sprachen
1. grundlegende Schwierigkeit
2. Vorwurf mangelnder Wissenschaftlichkeit
3. fehlende schriftliche Zeugnisse für Anfänge der jeweiligen Sprache
4. Kein “verbindliches Rezept“
2. Probleme etymologischer Forschung
2.1 grundlegende Schwierigkeit
laienhafte ad-hoc-Interpretationen in Antike und Mittelalter:
ahistorische bzw. synchrone Orientierung der Etymologie
○ ahistorisch: griechische bzw. lateinische Wörter werden mit
anderen ähnlich lautenden Wörtern derselben Sprache in Verbindung gebracht
z.B.: Augustinus: lat. lucus „Hain“ mit lucere „hell sein“ und bellum „Krieg“ mit bellus „schön“
2.2 Vorwurf mangelnder Wissenschaftlichkeit
gleiche Orientierung in Volksetymologieein sich in der Sprache selbst vollziehender
Vorgang
• „bei einem Sprachphänomen bringen die Sprecher Wörter, die auf Grund ihrer Vereinzelung innerhalb der Sprache sich in einer instabilen Lage befinden mit geläufigeren Wörter bzw. Wortfamilien und unterziehen sie damit zugleich einer Neuinterpretation bzw. Umdeutung“
• in Einzelfällen die Willkürlichkeit der sprachlichen Zeichen überwinden und ihnen eine sekundäre Motivation geben
2.2 Vorwurf mangelnder Wissenschaftlichkeit
Problem:Sprachstufen,
die über die angenommenen Anfänge der jeweiligen Sprache hinausführen und
die sich meistens durch Nichtschriftlichkeit auszeichnen
fehlende schriftliche Zeugnisse (Textüberlieferungen)
angewiesen auf Hypothesen, sprachliche Rekonstruktionen
2.3 Fehlende schriftliche Zeugnisse
unterschiedliche Wege, sich einem etymologischen Problem zu nähernEinzelfall-Entscheidung notwendig, je nach
Art des Problemsselten Parallelfälle
○ diese meist erst erkannt, wenn Herkunft geklärt
2.4 kein “verbindliches Rezept“
3. Romanische Etymologie erst möglich, als man die genetischen
Zusammenhänge der romanischen Sprachen erkannt hatte
Nur innerhalb einer bestimmten Sprache oder Gruppe verwandter Sprachen, die auf eine gemeinsame Grundsprache zurückgehen, sind derartige Zusammenhänge zwischen Wörtern feststellbar
dieser Rahmen ist durch das Spontanlatein gegeben Erst die Lautgesetze ermöglichten eine Scheidung in
Erb- und Lehnwörter Diese Untergliederung ist grundlegend für die
Wortgeschichte und etymologische Forschung
3. Romanische Etymologie
(scheinbarer) Vorteil der romanischer Etymologie
romanische Sprachen aus dem Lateinischen hervorgegangen
Ursprungsbasis (das Lateinische) bekannt
trotzdem bleibt etymologische Forschung schwierig
4. Problembereiche französischer Etymologie:
zahlreiche Fälle vorhanden, deren Herkunft unbekannt oder umstritten sind
P. Guiraud:« il ressort que 25% du vocabulaire français
(1500/6000) ont une origine inexpliquée ou mal expliquée »
(Dictionnaire 7)
4. Problembereiche französischer Etymologie:
1. vulgärlateinische Elemente
2. keltische Elemente
(das gallische Substrat)
3. germanische Elemente
(das altniederfränkische Superstrat)
4. romanische Wortschöpfungen
4. Problembereiche französischer Etymologie:
Hauptgrund für Existenz der Problembereiche 1-3:
aus unterschiedlichen Gründen nur sehr spärliche Zeugnisse
Notwendigkeit der Hypothesenbildung = Ansetzung von
○ nichtbelegten, ○ aus dem Konsens der romanischen Sprachen
erschlossenen ○ spätlateinischen Formen
4. Problembereiche französischer Etymologie:
Gefahr
„in diesen ungenügend bekannten Sprachformen das anzusiedeln, was man auf andere Weise nicht erklären kann“
(Jännike, S.43 f.)
4.1 vulgärlateinische Elemente Wurzeln des Französischen:
Vulgärlatein (=spätantikes Sprechlatein) sermo vulgaris (Sprechweise des
gemeinen Volkes) / sermo quotidianus (Alltagsspr.) Unterschiede je nach regionaler Herkunft und
gesellschaftlicher Stellung sprachliches Fundament der lateinischen
Schriftsprache
4.1 vulgärlateinische Elemente Problembereiche:
nur Teil der lateinischen Vorlagen im Schriftlatein nachweisbar○ Umgangssprache in Antike keine Beachtung
geschenkt (nicht schriftl. fixiert)Unterschiede zwischen Schrift- bzw.
Literatursprache und Vulgärlatein:○ in lat. Texten vom Sprechlatein abgehobene
Sprache verwendet○ Entwicklung „romanischer Idiome“○ im Vulgärlatein stärkere Weiterentwicklung
der lexikalischen Basis als in Schriftsprache
4.1 vulgärlateinische Elemente semantische Entwicklungen
aus der Schrift- bzw. Literatursprache bekannte Wörter werden im Vulgärlatein in einer abweichenden, weiterentwickelten Bedeutung verwendet
Vulgärlatein bevorzugt plastische Bezeichnungen
○ diese verlieren in der weiteren Entwicklung ihre ursprüngliche Ausdruckskraft
aus Expressivwörtern werden Normalwörter, die in romanischen Sprachen fortleben
4.1 vulgärlateinische Elemente Beispiele für semantische Entwicklungen
4.1 vulgärlateinische Elemente morphologische Entwicklungen
größere Anzahl an Ableitungen im Vulgärlatein als im Schriftlatein
Weiterentwicklung vorhandener (bekannter) Wortbildungsmöglichkeiten und neue Ableitungselemente
○ Entwicklung von Diminutivsuffixen im Vulgärlatein
○ Entwicklung von Nominalsuffixen○ Neuerungen im Bereich der Verbalbildung
4.1 vulgärlateinische Elemente Beispiele für morphologische Entw.
4.1 vulgärlateinische Elemente neue Wortschöpfungen in spätlateinischer
Umgangssprache onomatopoetische Wortschöpfungen
○ *tocare „berühren“ (> ital. tocare, fr. toucher) expressive Wortschöpfungen
○ z.B. *pittittus > fr. petit Entlehnungen aus dem Griechischen und
anderen Sprachen z.B.
○ aus dem Griechischen: ballare „tanzen“○ aus dem Gallischen: *traucum (traugum
8. Jhd.) > frz. trou
4.1 vulgärlateinische Elemente Vorgehensweise
zunächst die sich aus dem Vulgärlatein selbst ergebenden Erklärungsmöglichkeiten ausschöpfen, bevor nach stratsprachlichen Erklärungen gesucht
teilweise Versuch,○ stratsprachliche Erklärungen (insbes. solche, aus
altgermanischen Sprachen) in Frage zu stellen und durch vulgärlateinische Ansätze zu ersetzen
Grundsatz:Einzelfallbetrachtung unter Berücksichtigung der
wortgeschichtlichen Daten des SpätlateinsFrage der Wahrscheinlichkeit
4.2 Einfluss der Stratsprachen
auf das nach Gallien importierte Latein
○ Hypothesenbildung aufgrund fehlender schriftl. Belege
gallisches Substrat: Einfluss des Keltischen auf gesprochenes Latein
altniederfränkisches Superstrat
germanische Elemente, die in die (sich in Nordfrankreich entwickelnde) romanische Sprache übergegangen sind
Gallien zur Zeit Caesars (58 v.Chr.)
4.2 keltische Elemente Keltisches der Gallier
= eines der vorrömisches Substraten, die vor allem den Wortschatz des Lateins in den verschiedenen Regionen des röm. Reiches beeinflusst haben
kein direkter Kontakt zwischen dem Gallischen und den entstehenden romanischen Sprachen
gallische Elemente als integrierende Elemente des Vulgärlateins übernommen
erste Quelle für Wörter keltischen Ursprungs durch Kontakt zw. Römern mit Galliern der Gallia cisalpina (bevor transalpines Galien, spätere Galloromania, von Römern erobert wurde)
4.2 keltische Elemente
Überlieferung im Lateinischen: bei röm. Autoren ca. 150 Wörter ausdrücklich als
gallisch bezeichnet (+ 60 die wahrscheinlich gall. Ursprung) (DOTTIN, Georges)
(teilweise) Fortleben in rom. Sprachen: in Gebieten, die den festländischen Siedlungsräumen
der Kelten in Westeuropa entsprachen von mehr als 300 Etyma, die mit Gallischem in
Verbindung gebracht werden (FEW), 2/3 erschlossen meist in begrifflicher Hinsicht Zusammenhang mit
ländlichem Lebensraum
4.2. keltische Elemente Beispiele keltischer Lehnwörter
4.2 keltische Elemente Problem:
Gallisches nur ungenügend bekannt Mangelhafte Überlieferung aus älteren
Epochen○ Möglichkeit, dass Wortfamilie mit einer noch
älteren Sprachschicht in Verbindung gebracht werden muss
Fehlen zusammenhängender längerer Texte für eine eindeutige Bedeutungsbestimmung
○ insbes. bei verschiedenen aufgrund von vereinzelten Dialektbelegen konstruierten gallischen Etymologien
4.3 germanische Elemente germanisches Wortgut in Sprachen und
Mundarten der Galloromania
Grund: vielfältige Beziehungen der Galloromania zu germanischen Völkern seit Ende des römischen Imperiums
○ Beginn: Niederlassung germ. Stämme im spätröm. Gallien (Völkerwanderung)
○ Gipfel: fränkisches Merowingerreich im Norden (486)
4.3 germanische Elemente Einfluss der altgermanischen Sprachen auf
Spätlatein (Superstrat)
germ. Superstrat: Westfränkisches der merowingischen
Franken○ zahlreiche Wörter aus dem Westfränkischen in
Spätlatein Nordgalliens übergegangen bevor Westfränkisches durch Romanisierung seiner Sprecher untergegangen
Wortgut der Niederfranken (Altniederfränkisch)○ über Sprachgrenzzone im Nordosten seit Übergang
zum Mittelalter vermittelt
4.3 germanische Elemente Problem:
Altniederfränkisches nicht in größeren zusammenhängenden Texten übermittelt:
fehlende Belege
gerade im Zusammenhang mit der Erklärung der inneren Gliederung der Galloromania:
ungenügend abgesicherte Hypothesen divergierende Interpretationen
4.3 germanische Elemente Kriterien für die Zuverlässigkeit eines
fränkischen Ansatzes1. geographische Verbreitung innerhalb und
gegebenenfalls außerhalb der Galloromania
2. Berücksichtigung der Wortsemantik
3. Existenz von französischen Parallelfällen, die die gleiche Entwicklung aufweisen wie das dem Altniederfränkischen zugeschriebenen Wort
4. Existenz von Parallelfällen im Germanischen, die den Ansatz stützen
5. Chronologie der romanischen Belege spätes Auftreten Entlehnung
unwahrscheinlich
4.3 germanische Elemente Gefahr, wenn z.B.:
für mundartliche Einzelbelege
○ ohne Existenz älterer Zeugnisse ○ beruhend auf unvollständiger Dokumentation○ ohne Zusammenhang mit einem verbreiteten
Formtypus zu erkennen○ nur aufgrund formaler Ähnlichkeiten
spezielle (altgermanische) Etyma angesetzt werden
4.3 germanische Elemente erst Übernahme aus dem fränkischen
Superstrat als Möglichkeit betrachtet, wenn:
tatsächlich Anhaltpunkte hierfür vorhanden sind und
alle Erklärungsmöglichkeiten, die das Vulgärlatein bietet, ausgeschöpft wurden
keine „ad-hoc-Erklärung“, sondern sorgfältiges Abwägen (was ist wahrscheinlicher?), da sonst zu wenig gesichert
4.4 romanische Wortschöpfung Rolle der romanischen
Wortschöpfungen lange unterbewertet erst mit Aufkommen der Dialektforschung
(Wende 19./20. Jh.) genauer betrachtet von Interesse
onomatopoetsiche Wortbildungen bzw. Expressivwörter Beziehungen zwischen frz. Wortschatz und
○ Gruppensprachen○ Mundarten
4.4 romanische Wortschöpfung Expressivwörter (Affektwörter)
zahlreiche expressive Wörtern als Entlehnungen aus germanischen Sprachen interpretiert
aber: Frage ob Ursprung nicht vielmehr im Romanischen selbst
Beispiel:○ micmac „fam., intrigue, agissement suspects“
Problem: noch keine eindeutig formulierten Kriterien für
die Identifizierung expressiver Wortbildungen
4.4 romanische Wortschöpfung Beziehung des Wortschatzes zu
Mundarten und Gruppensprachen Einfluss der Eigenarten begrenzt gültiger
Sprachformen (Sprechart best. Berufsgruppen/ soz. Schichten, Dialekte) vor allem auf den lexikalischen Bereich
Grund: Standardsprache benötigte Bezeichnungen
für die über den engen Rahmen hinaus bekannt gewordenen regionalen und berufsspezifischen Gegebenheiten
4.4 romanische Wortschöpfung Beziehung des Wortschatzes zu
Gruppensprachen Probleme:
Elemente des gesprochenen Substandards
○ fehlende schriftliche Belege ○ bis 18. Jh. gesprochene Sprache wenig beachtet
lückenhafte Kenntnis bzgl.:○ volkssprachliche Bezeichnungen○ argot○ français populaire bzw. familier○ der galloromanischen Dialekte des 16.-18. Jh.