Nephrologe 2009 · 4:534–537DOI 10.1007/s11560-009-0347-zOnline publiziert: 27. September 2009© Springer Medizin Verlag 2009
V. Brandenburg1 · A. Schleser2 · H. Peters3
1 Klinik für Kardiologie, Interdisziplinäres Zentrum für Klinische Forschung (IZKF) BioMAT Aachen, Universitätsklinikum der RWTH, Aachen2 Klinik für Kardiologie und Nephrologie, Katharinenspital, Unna3 Medizinische Klinik mit Schwerpunkt Nephrologie, Charité Universitätsmedizin Berlin, Campus Mitte, Berlin
Von Compliance zur Adhärenz in der NephrologieTherapietreue als Teamaufgabe
Im Fokus
Im Rahmen der Arzt-Patienten-Bezie-hung beschreibt der Terminus „Compli-ance“ das Befolgen von ärztlichen Rat-schlägen, Anordnungen und Maßnahmen seitens des Patienten. „Compliance“ spie-gelt dabei ein eher asymmetrisches Arzt-Patienten-Verhältnis wider. Das Com-pliancekonzept charakterisiert den Pa-tienten als passiven Empfänger, dem bei „Non-Compliance“ einseitig die Schuld bzw. Verantwortung zugewiesen werden kann [1].
> „Adhärenz“ reflektiert ein mehr symmetrisches Arzt-Patienten-Verhältnis
Diese Sichtweise wird seit den 1990er-Jah-ren zunehmend verlassen und durch den Begriff der „Adhärenz“ ersetzt (. Tab. 1). „Adhärenz“ bezieht sich auf ein mehr symmetrisches Arzt-Patienten-Verhält-nis und steht für ein Behandlungsbünd-nis (Arzt-Patienten-Vertrag). Das Ver-hältnis Arzt-Patient ist partnerschaftlich hinsichtlich des Wunsches, das Thera-pieziel zu erreichen. Die Verantwortung für einen erfolgreichen Behandlungsweg ist auf beide Schultern verteilt. Adhärenz kann definiert werden als das Ausmaß, mit dem das Patientenverhalten mit den Empfehlungen des Arztes (allgemeiner:
einer Fachkraft im Gesundheitssystem) korrespondiert [2].
Die Dimension des Problems
Naturgemäß sind Therapietreue und in-taktes Therapiebündnis bei chronischen Erkrankungen wichtiger als bei akuten und kurzfristig verlaufenden. Adhärenz spielt eine zunehmend bedeutende und anerkannte Rolle in der modernen Me-dizin. In einem Bericht der Weltgesund-heitsorganisation WHO aus dem Jahr 2003 wird geschätzt, dass bis zu 50% ver-ordneter Medikamente nicht korrekt ein-
genommen werden [3]. Dieser WHO-Be-richt ist Ausdruck der Wertschätzung, die die WHO dem Problemfeld mangelhafter Adhärenz entgegenbringt.
Wie Adhärenz entsteht
Adhärenz ist das Resultat eines individu-ellen Entscheidungsweges: dem „Glau-ben“ und der Überzeugung des Patienten hinsichtlich der Notwendigkeit einer The-rapie gegenüber stehen subjektive Hürden (mangelnde Motivation, unklare Aufklä-rung, Befürchtungen, Ängste, Sorglosig-keit etc.) oder objektivierbare Hinder-
Tab. 1 Adhärenz: Kernaussagen der WHO [3]
- Ungenügende Adhärenz in der Therapie chronischer Erkrankungen ist ein weltweites Problem von herausragender Bedeutung
- Die Relevanz schlechter Adhärenz wächst mit der zunehmenden Last chronischer Erkrankungen
- Folgen ungenügender Adhärenz bestehen in schlechterem Ergebnis für die Patienten und erhöh-ten Gesundheitskosten
- Verbesserung der Adhärenz erhöht die Patientensicherheit
- Adhärenz ist eine wichtige Stellgröße der Effektivität des Gesundheitssystems
- Die Gesundheitssysteme entwickelter und sich entwickelnder Länder müssen sich der Herausfor-derung durch chronische Erkrankungen stellen
- Patienten müssen unterstützt und bei ungenügender Adhärenz nicht „unidirektional verantwort-lich“ gemacht werden
- Auf den Patienten individuell abgestimmte Konzepte helfen, Adhärenz zu verbessern
- Adhärenz ist ein dynamischer Prozess
- Mitarbeiter des Gesundheitssystems müssen zum Thema Adhärenz ausgebildet sein
- Familie, soziales Umfeld und Patientenorganisationen sind Schlüsselspieler beim Thema Adhärenz
- Verbesserung von Adhärenz ist ein interdisziplinärer Prozess
RedaktionD. Fliser, Homburg/SaarW. Kleophas, Düsseldorf
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nisse, der Therapie zu folgen (Kosten, mangelnde kognitive oder praktische Fä-higkeiten, Organisationshemmnisse etc.). Diese teils gegenläufigen Parameter wer-den im Individuum prozessiert und resul-tieren im individuellen Maß der Therapie-treue ([4]; . Abb. 1)
Adhärenz in der Nephrologie
Die Nephrologie mit ihrem hohen An-teil chronisch multimorbider Patienten ist eine Paradedisziplin für Adhärenzfor-schung (z. B. Einhaltung des Dialysere-gimes, Phosphatbindertherapie; [5]). Bei der Diskussion über Non-Adhärenz ist nun hervorzuheben, dass der Dialysepa-tient hinsichtlich seiner Einbindung in ein starres Behandlungsschema, seiner Pro-zessabhängigkeit und seiner ausgeprägten Komorbidität ein besonders belasteter Pa-tient ist. Das Leben des Dialysepatienten ist durch Diätvorschriften und strenge Einnahmeschemata für zahlreiche Me-dikamente gekennzeichnet. Durch diese Einschnitte im Alltagsleben ist das chro-nische Nierenversagen ein klassisches Bei-spiel für eine mit potenziell hoher Non-Adhärenz konfrontierte Erkrankung.
Wie kann Adhärenz verbessert werden?
Ein erster und herausragend wichtiger Schritt ist die Schaffung eines Problem-bewusstseins. So ist es zu begrüßen, wenn zum Beispiel die Firma Shire „Adhärenz-Workshops“ gezielt für Nephrologen und ihre Teammitglieder durchführt. Auf sol-chen Workshops können u. a. diverse As-pekte der Adhärenzlehre praxisnah ver-mittelt und Maßnahmen zur Adhärenz-verbesserung aktiv erlernt werden. Die Liste solcher Maßnahmen ist lang. Eine kontinuierliche und verständliche Auf-klärung und Beratung mit konsistenten Botschaften aller am Behandlungsweg Beteiligter (Teamarbeit für Pflegende und Ärzte!) sind ein probates Mittel zur Ad-
härenzverbesserung. Besonders zu beto-nen ist, dass der Wahrnehmung und Be-sprechung patientenspezifischer Ängste, Sorgen oder Unklarheiten breiter Raum gegeben werden sollte (. Abb. 1). Eben-so gilt es, so einfache Dinge wie die Fra-ge nach körperlichen und kognitiven Vor-aussetzungen zur Medikamenteneinnah-me zu beachten. Eine kritische Reflexi-on über die Medikamenten- und Tablet-tenzahl kann ebenso hilfreich sein wie die Vereinfachung bzw. Sicherung der Medi-kamentenapplikation (soziales Umfeld!).
In einer oft biochemisch, auf das „Messbare“ fokussierten wissenschaft-lichen Medizin sollte dem Thema Adhä-renz zukünftig sicherlich mehr Raum ge-geben werden. Pointiert wurde postuliert, dass von einer Verbesserung der Therapi-etreue für bestehende Behandlungsstra-tegien wohl eine bessere Kosten-Nutzen-Relation im Gesundheitssystem resultie-ren würde als durch immer höhere Inves-titionen in neue Therapieansätze, für wel-che die Adhärenz erneut nicht gesichert erscheint [6].
KorrespondenzadressePD Dr. V. BrandenburgKlinik für Kardiologie, Interdisziplinäres Zentrum für Klinische Forschung (IZKF) BioMAT Aachen, Universitätsklinikum der RWTHRheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen, 52057 [email protected]
Interessenkonflikt. V. Brandenburg hat Vortrags-/Forschungsgelder der Firmen Abbott, Amgen, Freseni-us, Genzyme, Roche und Shire erhalten.A. Schleser hat Vortrags-/Forschungsgelder der Firmen Abbott, Fresenius, Genzyme und Shire erhaltenH. Peters hat Vortrags-/Forschungsgelder der Firmen Gambro, Fresenius, Novartis und Shire erhalten.
Literatur
1. Horne R (2006) Compliance, adherence and con-cordance: implications for asthma treatment. Chest 130(1 Suppl):65S–72S
Wie ensteht Therapietreue?
Wissen / GlaubeVerständnis um Notwendigkeit
Ängste /Sorgen / Bedenken…
der Therapie
Überzeugung
Adhärenzüber Therapie
Abb. 1 9 Wie ensteht Therapietreue?
2. Rand CS (1993) Measuring adherence with thera-py for chronic diseases: implications for the treat-ment of heterozygous familial hypercholesterole-mia. Am J Cardiol 72(10):68–74
3. WHO adherence report (2003) http://www.who.int/chp/knowledge/publications/adherence_re-port/en/index.html, Zugriff 07/2009
4. Clifford S, Barber N, Horne R (2008) Understan-ding different beliefs held by adherers, unintentio-nal nonadherers and intentional nonadherers: ap-plication of the Necessity-Concerns Framework. J Psychosom Res 64(1):41–46
5. Karamanidou C, Clatworthy J, Weinman J, Horne R (2008) A systematic review of the prevalence and determinants of nonadherence to phosphate bin-ding medication in patients with end-stage renal disease. BMC Nephrol 9(2):2–13
6. Haynes RB, McDonald H, Garg AX, Montague P (2002) Interventions for helping patients to follow prescriptions for medications. Cochrane Database Syst Rev (2):CD000011
Nierenkranke Kinder profitieren von konsequenter Blutdruck-senkung
Weniger als ein Prozent der chronisch nie-
renkranken Patienten sind Kinder. Der Nie-
renschaden führt bei etwa der Hälfte dieser
Kinder zu einem erhöhten Blutdruck. Meist
sind angeborene Entwicklungsstörungen
der Nieren und Harnwege oder erbliche
Nierenerkrankungen die Ursache. Bei diesen
chronisch nierenkranken Kindern lässt im
Krankheitsverlauf die Nierenfunktion oft
stetig nach, sodass sie schließlich auf eine
regelmäßige Dialyse oder Nierentransplanta-
tion angewiesen sind. Je länger man diesen
Zeitpunkt hinauszögern kann, desto besser.
Die Ergebnisse einer Europäischen Studie
zeigen jetzt erstmals, dass die Nierenfunktion
länger erhalten bleibt, wenn der Blutdruck
der Kinder konsequent abgesenkt wird. An
der ESCAPE-Studie (Effect of Strict blood
pressure Control and ACE inhibition on the
progression of chronic renal failure in PEdia-
tric Patients) nahmen 385 nierenkranke Kin-
der in 33 europäischen Behandlungszentren
teil. Während in der konventionell behandel-
ten Gruppe, bei der die Blutdruckwerte im
oberen Normalbereich eingestellt wurden,
nach 5 Jahren 41,7 Prozent der Kinder eine
Nierenersatztherapie benötigten, waren dies
in der intensiviert behandelten Gruppe mit
Zielwert im unteren Normalbereich nur 29,9
Prozent der Patienten. Beide Gruppen erhiel-
ten einen ACE-Hemmer und, falls notwendig,
weitere blutdrucksenkende Medikamente
anderer Stoffklassen. Obwohl sich die thera-
peutisch erzielten Blutdruckwerte der beiden
Gruppen nur leicht unterschieden (3-4 mm-
Hg), waren die Ergebnisse signifikant besser
mit der intensivierten Therapie.
Die Ergebnisse der Wissenschaftler vom
Universitätsklinikum Heidelberg wurden
nun im „New England Journal of Medicine“
veröffentlicht.
Literatur: ESCAPE Trial Group, Wühl E, Trivelli
A et al (2009) Strict Blood-Pressure Control
and Progression of Renal Failure in Children.
The ESCAPE Trial Group, New England Journal
of Medicine 361:1639–1650
Quelle: Universitätsklinikum Heidelberg,
www.uni-heidelberg.de
Gut und lange mit Spender-organ leben
Seit der ersten Nierentransplantation sind
in Deutschland fast 95.000 Spenderorgane
übertragen worden. Aus medizinischer Sicht
ist die Organtransplantation mittlerweile
Routine. Dank sorgfältiger Vorbereitung,
verbesserter Operationstechniken und effek-
tiven Medikamenten gegen die Organabsto-
ßung haben Transplantierte gute Aussichten,
dass das neue Organ viele Jahre funktions-
tüchtig bleibt. Aber auch die Transplantierten
selbst sind gefordert, verantwortungsbe-
wusst mit ihrem neuen Organ umzugehen.
Nur wer gesundheitsbewusst lebt und die
Medikamente lückenlos und genau nach
Anweisung einnimmt, kann das Organ vor
Komplikationen oder Abstoßung schützen.
Die neue Broschüre „Zurück im Leben“ vom
Bundesverband für Gesundheitsinformation
und Verbraucherschutz (BGV) enthält In-
formationen rund um das Leben mit einem
Spenderorgan. Neben praktischen Tipps
für den Alltag, wie etwa zu den Themen
Hygiene, Reisen, Beruf und Kinderwunsch,
erklärt der Ratgeber, wie die Unterdrückung
der Organabstoßung funktioniert, welche
Besonderheiten bei der Einnahme der ent-
sprechenden Medikamente zu beachten
sind und mit welchen Maßnahmen das
Risiko möglicher Nebenwirkungen reduziert
werden kann. Die kostenlose Broschüre kann
beim BGV angefordert werden und steht im
Internet als Download zur Verfügung.
Quelle: Bundesverband für Gesundheits-
information und Verbraucherschutz –
Info Gesundheit e.V.,
www.bgv-transplantation.de
Fachnachrichten
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