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OPEN EDUCATION ALS DIGITALES PANOPTIKUM: ZU DEN GRENZEN PÄDAGOGISCHER TRANSPARENZ MARKUS DEIMANN // FERNUNIVERSITÄT IN HAGEN @MDEIMANN Emblem der Französischen Revolution // 1792

Open Education als digitales Panoptikum: Zu den Grenzen pädagogischer Transparenz

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Open Education ist auf dem Weg zum Mainstream – so lässt sich durch Publikationen wie dem Whitepaper „OER für Schulen in Deutschland“ (Muuß-Merholz & Schaumburg, 2014). der Benchmark-Studie „Open Education in Berlin“ (Dobusch, Heimstädt, & Hill, 2014) oder der geplante Stellungnahme der Kultusministerkonferenz schlussfolgern. Bereits seit über 10 Jahren arbeiten Organisationen wie die UNESCO an der Verbreitung von OER. Begründet wird das Engagement durch den Grundsatz „Bildung ist ein Menschenrecht und der Schlüssel zu individueller und gesellschaftlicher Entwicklung“ (Butcher, Malina, & Neumann, 2013, S. 4) sowie den Möglichkeiten von OER: „Urheber von Bildungsmaterialien stellen diese unter einer offenen Lizenz zur Verfügung und ermöglichen den Nutzern damit den kostenlosen Zugang und die kostenlose Nutzung, Bearbeitung und Weitergabe der Materialien, ohne oder mit nur geringfügigen Einschränkungen“ (ebenda). Die humanistische Perspektive (Bildung als Menschenrecht) legitimiert somit einen normativen Handlungsauftrag, der sich sowohl auf die kollektive (für das Öffnen von verkrusteten Bildungsstrukturen; „Opening up Education“) als auch auf die individuelle Ebene auswirkt (für das Teilen; „Sharing is caring“). Was auf den ersten Blick als ein vielversprechendes Projekt zum Vorteil der gesamten Menschheit erscheint, entpuppt sich bei genauerer Analyse als ambivalenter bzw. dialektischer Prozess (vgl. Horkheimer & Adorno, 1969). So wird beispielsweise durch das „Google-Urteil1“ des Europäischen Gerichtshofs EuGH deutlich, dass es auch eine Kehrseite der Transparenz gibt, was in Bezug auf das Persönlichkeitsrecht als „Recht auf Vergessen“ diskutiert wird. Daraus folgt die Einsicht: „Informationen sind nicht neutral und Transparenz nicht kontextlos wertvoll“ (Wampfler, 2014). Denn während auf der einen Seite ein unbeschränkter Zugang zu Informationen und kulturellen Ressourcen die notwendige und hinreichende Bedingung für Bildung darstellt, ergeben sich damit auf der anderen Seite eine Reihe moralischer Implikationen (z.B. ist es gerechtfertigt, dass Lernenden zur Veröffentlichung ihrer Materialien verpflichtet werden?). Wir haben es somit mit einem Spannungsfeld zwischen Öffnung und Ausgrenzung zu tun, das aus einer komplexen Machtstruktur entsteht. Der vorliegende Beitrag analysiert diese Machtstrukturen vor dem Hintergrund der philosophischen Positionen von (1) Michel Foucault – Disziplinargesellschaft (1994), (2) Gilles Deleuze – Kontrollgesellschaft (1993) und (3) Byung-Chul Han – Transparenzgesellschaft (2012) und diskutiert die pädagogischen Implikationen.

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OPEN EDUCATION ALS DIGITALES PANOPTIKUM: ZU DEN GRENZEN PÄDAGOGISCHER TRANSPARENZ

MARKUS DEIMANN // FERNUNIVERSITÄT IN HAGEN @MDEIMANN

Emblem der Französischen Revolution //1792

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AT THE HEART OF THE MOVEMENT TOWARD OPEN EDUCATIONAL RESOURCES IS THE SIMPLE AND POWERFUL IDEA THAT THE WORLD’S KNOWLEDGE IS A PUBLIC GOOD AND THAT TECHNOLOGY IN GENERAL AND THE WORLD WIDE WEB IN PARTICULAR PROVIDE AN EXTRAORDINARY OPPORTUNITY FOR EVERYONE TO SHARE, USE, AND REUSE KNOWLEDGE. (ATKINS ET AL, 2007, P. 5)

Die OER-DNA

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Transparenz - ein universalistisches Gut?

Öffnung (verkrusteter) Strukturen zur Demokratisierung der Bildung:

kollektiv: Opening up Education (EU)

individuell: Sharing is caring (Lizenzierung)

Ziel: Bildung als globales Menschenrecht verbindlich verankern

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RECHT AUF VERGESSENHTTP://WWW.TAGESSCHAU.DE/MULTIMEDIA/BILDER/GOOGLE-RECHT-AUF-VERGESSEN102~_V-VIDEOWEBM.JPG

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DIALEKTISCHER PROZESS GROSSER ERZÄHLUNGEN Z.B. AUFKLÄRUNG (HORKHEIMER & ADORNO)

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„SCHATTENSEITEN“ DER TRANSPARENZ Michel Foucault // Disziplinargesellschaft

Gilles Deleuze // Kontrollgesellschaft

Byung-Chul Han // Transparenzgesellschaft

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WISSEN MACHT SUBJEKT

DIE „AUFKLÄRUNG“, WELCHE DIE FREIHEITEN ENTDECKT HAT, HAT AUCH DIE DISZIPLINEN ERFUNDEN. (FOUCAULT, 1976, S. 285)

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Michel Foucault (1926-1984)

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EINSCHLIEßUNGSMILIEUS

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http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/a/ac/Presidio-modelo2.JPG

http://images.fotocommunity.de/bilder/industrie-kultur/industriebauten/fabrikhalle-110127b6-4988-4912-9855-5c7dfb4744db.jpg

http://www.hermsdorf-regional.de/friedensschule/1949/images/bild006.jpg

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Konsequenzen für Open Education

Selbstoptimierung durch Selbstunterwerfung

Sichtbarkeit als „Falle“? (Umkehrung der Sichtbarkeit von Regierung und Bevölkerung)

Ausgrenzung in cMOOCs: Ohne Sharing keine Teilhabe?

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HETEROGENITÄT VIELHEIT NOMADISCHE WISSENSCHAFT

DIE DISZIPLINARGESELLSCHAFTEN, DA GEHÖRTEN WIR SCHON NICHT MEHR DAZU, WIR WAREN SCHON DABEI, SIE ZU VERLASSEN. (DELEUZE, 1993, S. 255)

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Gilles Deleuze (1925-1995)

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Konsequenzen für Open Education

ständige Kontrolle: Evaluation & Training anstelle von (Abschluss-)Prüfung

Sichtbarkeit schafft mehr Kontrollmöglichkeiten: Offenes Web

closed MOOC Plattformen als Life-Long-Learning-Strategie

wer kontrolliert wen? Evil Corporations oder das Open Ed Regime?

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TRANSPARENZ GLOBALISIERUNG NEOLIBERALISMUS

DIE TRANSPARENZ IST EIN SYSTEMATISCHER ZWANG, DER ALLE GESELLSCHAFTLICHEN VORGÄNGE ERFASST UND SIE EINER TIEFGREIFENDEN VERÄNDERUNG UNTERWIRFT. (HAN, 2012, S. 6)

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Byung-Chul Han (*1959)

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Konsequenzen für Open Education

gewaltsame Glättung und Einheit statt Reibung und Vielheit (xMOOCs vs. cMOOCs/ offenes Web)

Ausstellungszwang und Überbelichtung (Veröffentlichung digitaler Materialien als Wettbewerbsvorteil vs. Etablierung eines umregulierten, offenen Kulturraums)

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die nächste Gesellschaft ist…

offen, aber ihre Ambivalenzen reflektierend

keine neue Entwicklungsstufe, sondern ein erweiterter Mix aus bisherigen Modellen

experimentell: Code Variationen (offen, closed, instruktiv, partizipativ, elitär, egalitär, kapitalistisch)

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http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/f/fb/Janus_coin.png

Danke fürs Zuhören!