Beziehung zwischen Wachstum und Fortschritt des wirtschaftlichen Wohlstandes

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Beziehung zwischen Wachstum und Fortschritt des wirtschaft l ichen Wohlstandes

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J. J. Dalmulder, Tilburg Mit 3 Textabbildungen

Diese Arbe i t sucht die F r a g e zu bean twor t en : wie beein~ul~t e ine Z u n a h m e des Angebotes a n W a r e n u n d Le'~stungen bei gle ichbleibender Bev(i lkernng den wi r t schaf t l i chen Wohlstand~?

Be t r ach ten wi r e inen e inze lnen Verbraucher . Aus b e k a n n t e n Gri in- den wird er mi t e inem E i n k o m m e n m beim P u n k t C in der fo lgenden Abb. 1 ein Gleichgewicht erreichen. W e n n das Wachs tum bei unver -

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B B ~ 0 X 0 X

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Abb. 1 Abb. 2

~inderten P re i sen sein E i n k o m m e n auf m ' erhSht, ist die neue Gleich- gewichtslage bei C'. Dieser P u n k t l iegt au f e iner hSheren Ind i f f e renz - ku rve als C - - das W a c h s t u m ha t den indiv iduel len Woh l s t and ge- steigert .

Die Gii l t igkei t dieser Fo lge rungen b_~ngt se lbstvers t~ndl ich yon der Gii l t igkei t der A n n a h m e n ab, die der I n d i f f e r e n z k u r v e n a n a l y s e zu- g runde liegen, n~ml ich : a) Verbrauchsgewohnhei ten bleiben unver- ~indert; b) der Verbraucher k a n n vSllig f re i w~ihlen; c) das Wachs tum be t r i f f t n u r die Gii ter X und Y; d) der Verbraucher a n e r k e n n t Pre i se und E i n k o m m e n als gegebene Gr51~en. I n Wirk l ichke i t miigen diese An- n a h m e n n ich t mltreffen. Es gibt d a n n mehre re MSglichkeiten:

1 Aus Raummangel war es leider notwendig, einen Absatz der Arbeit Prof. D a l m u l d e r s auszulassen, tier die Wirkung der Entwicklung auf das Angebot an menscbliehen Leistungen zeigt.

J. J, Dalmulder : Beziehung zwischen Wachstum u. Fortschri t t 43

1. De r V e r b r a u c h e r k a n n X (oder Y) ge r inge r sch~itzen ats vorher . D a d u r c h w i r d de r N u t z e n - I n d e x e ine r gegebenen I n d i f f e r e n z k u r v e

s t e igen ; die G r e n z r a t e de r Subs t i tu t ion aY -~y w i rd s inken ; d ie Grenz-

e inhe i t yon X (oder Y) w i rd - - in Y (oder X) ausgedr i i ck t - - wen ige r w e r t sein. Die I n d i f f e r e n z k u r v e w i rd f l acher werden.

2. Der V e r b r a u c h e r kann X (oder Y) hiiher sch~itzen a ls vorher . D ie E r g e b n i s s e s ind in d iesem F a l l das genaue Gegen te i l yon denen in F a l l 1.

3. D e r V e r b r a u c h e r k a n n beide GrSl~en - - X und Y - - im gle ichen Verh~iltnis ge r inge r sch~itzen. Das w i r d den Nu tzen - Index der I n d i f - f e r e n z k u r v e senken, d ie G r e n z r a t e de r Subs t i tu t ion und d ie F o r m der I n d i f f e r e n z k u r v e we rden abe r unver~indert bleiben.

4. W e n n der Ve rb rauche r be ide Gi i te r - - X und ¥ - - im gleichen Verh~iltnis hi iher sch~itzt, ge l ten d ie genau gegen te i l igen Fo tgen wie bei 3.

5. Der Verb rauche r sch~itzt X hSher und Y ge r inge r a l s vorher , wo- bei jedoch die B e f r i e d i g u n g der u r sp r i lng l i chen K o m b i n a t i o n (bei C) unver~indert bleibt . D a d u r c h w i rd d ie G r e n z r a t e de r Subs t i tu t ion gr(i- l~er; e ine Grenze inhe i t yon Y wi rd e ine k l e ine re Menge yon X wef t sein. Die I n d i f f e r e n z k u r v e n w e r d e n s tei ler , die de r gegebenen Kombi- na t ion en t sp rechende I n d i f f e r e n z k u r v e h a t jedoch den gle ichen Nutzen- Index .

6. Der V e r b r a u c h e r k a n n X ge r inge r und Y hSher schii tzen als vor- her, wobei jedoch d ie aus de r u rspr t ing l ichen K o m b i n a t i o n gewonnene B e f r i e d i g u n g gleich bleibt . Die W i r k u n g e n s ind dann das Gegente i l yon denen in F a l l 5.

Diese F~ille ersch~ipfen die logischen MSglichkei ten. Nun en t s t eh t d ie F r a g e : was geschieht m i t dem ind iv idue l l en Wohls tand , wenn sich d ie Gewohnhe i t en wie oben ~indern? I m F a l l 1, wenu der Verb rauc~e r X ge r inge r sc l~ tz t , i s t die Lage wie in Abb. 2: w i r t s cha f t l i ches Wachs- turn versch ieb t die B u d g e t g e r a d e yon A B gegen A ' B' , d ie 2[nderung

I2 in de r Befr iedig~mg l~;t t jedoch die I n d i f f e r e n z k u r v e N an die SteUe

t ier u r spr t ing l i chen I n d i f f e r e n z k u r v e I s (s. Abb. 1) t re ten . D a A 'B"

:~ schne ide t (Abb. 2), s t r eb t de r Ve rb rauche r nach e i n e m Gte ichgewicht N : ' k le ine r i s t bei C" a u f N'I~ D a r a u s folgt, dal~ der Nu tzen - Inde x yon N

a ls de r yon 12 und I~ W e n n d ie Senkung des Nu tzen - Index bedeutend N"

:~ k le ine r werden als der yon I t , alas W a c h s t u m ist, kann der I n d e x yon N

muir dann n icht m i t zunehmende r W o h l f a h r t zusammenfa l l en .

Das zeigt die Methode unse r e r Analyse . W i r k~innen j e t z t die kor- r e spond ie r enden F o l g e r u n g e n f t i r a l le oben erw~ihnten F~itle yon I bis 6 fes ts te l len . I m F a l l e 1 is t es, wie gezeigt, n i ch t s ic~er, dal~ W a c h s t u m den Woh l s t and s te iger t . Es k a n n a b e t nu r in den F i i l l en 1 und 2 e in W a c h s t u m der P roduk t i on mi t e iner V e r m i n d e r u n g des Woh l s t andes zusammenfa l l en . Das Z u s a m m e n t r e f f e n is t wahrsche in ] icher im F a l l 3,

wenn gegebenenfa l l s der I n d e x yon ~ k le ine r is t a ls de r yon I1, w~ih-

44 3. J. Dalmulder:

rend Fall I einen reduzierten Wohlstand nur ergibt, wenn der Index

(der grSl~er ist als der yon ~) kleiner ist als der Index ~r0n Y o n 11 • Um jedoch zu zeigen, dal~ Wachstum eine Verminderung des Wohlstan- des verursachen kann, miissen wir auch vorftihren, dal~ Wachstum die Art yon :4nderungen in der Befriedigung hervorrufen kann, wie sie Fall 1 und 3 enthalten. Is t das mSglich? Wir definieren Wachstum als Zunahme des Angebotes an Giitern und Leistungen bei gleichbleiben- der Beviilkerung. Ein solches Wachstum kann mit oder ohne Qualit~its~ ~inderungen erfo]gen. Es kann mit der gleichen, einer griif~eren oder geringeren Lust zur Arbeit (satisfaction of labor) verbunden sein. Es kann fiir jeden Verbraucher eine proportionale oder unproportionale Zunahme des Verbra~chs bedeuten. Jede dieser Folgen beeinflut~t die

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Abb. 3

Befriedigung. Eine schlechtere Qualit~t der Giiter vermindert die Befriedig~ug, die deren Verbrauch gew~ihrt. Wenu die Qualit~it aller Giiter proportional vermindert wird, tri t t Fall 3 ein. Wenn die Qualit~it yon X (oder Y) konstant gehalten, aber die Qlmlitiit yon Y (oder X) vermindert wird, t r i f f t Fall 1 zu. Diese Lagen kiinnen sich leicht erge- ben, z. B. bei einem Verk~iufer-, oder einem inflationistischen Markt oder auch w~ihrend des Wiederaufbaues einer Nachkriegsperiode. Schwerere

Arbeit kann die Lust zur Arbeit vermindern oder sogar Unlust verur- sachem Da eine Verminderung der Lust zur Arbeit die Freude am Giiterverbrauch herabsetzt, kann ein derartiges Wachstum den Wohl- stand vermindern.

Die Gesamtbefriedigung h~ingt jedoch nicht nur yon den Giitern ab, die ein Individuum selbst konsumiert, sondern auch vom Verbrauch der andern. Eine ,,ungerechte" ¥erteilung eines vergrSBerten Angebo- tes kann die Befriedigung eines Individuums vermindern. Dann be- steht ebenfalls die Gefahr, da~ Wachstum den Wohlstaud herabsetzt.

Zweitens betrachten wir die Folge eingeschr~inkter Wahl. Nehmen wir einen Verbraucher, der im Gleichgewicht ist, wenn er sein Ein- kommen frei fiir i und Y verwendet. Wenn das Einkommen auf m' steigt, seine Wahlfreiheit aber vermindert wird, kSnnen sich drei La- gen ergeben, wie in Abb. 3 gezeigt wird.

a) Die Einschrfinkung kann ihn zwingen, mehr Y und weniger X zu kaufen, als wenn er frei w~ihlen wiirde (Lage R1).

b) Die Einschriinkung iibt keinen Einflul~ auf seine Wahl aus (Lage Re).

c) Die Einschr~inkung kann ihn zwingen, mehr X und weniger Y zu kaufen, als er miichte (Lage Ra).

Im Falle b) f~illt das Wachstum immer mit vermehrtem Wohlstand zusammen. In den F~illen a) und c) ist dieses Zusammentreffen nicht

Beziehung zwischen Wachstum u. Fortschritt des wirtsch. Wohlstandes 45

notwendig. Wenn sich einige Leute in einer R c L a g e und einige andere in einer Ra-Lage befinden, kann ein schwarzer Mark t entstehen. Gil t dagegen die R~- oder Ra-Lage fi ir alle Leute, dann wird sich kein schwarzer Markt entwickeln, dafi i r kann aber ein psychologischer WandeI die Bewert~mgen des relat iv knappen Produktes s teigern und jene des re la t iv iiberfliissigen Produktes vermindern. Als Folge davon wird die Grenzra te der Substi tution in der Ri-Lage grSfter und in der Ra-Lage kleiner. Die psychologische Reaktion auf eine RvLage wi rd deshalb die Indifferenzkurven steiler werden lassen und das Gegenteil im Ra-Fall ergeben. Diese Anderung in der Gestal t der Indifferenz- kurven kann yon einer grSl~eren, geringeren oder unveri inderten Gesamtbefr iedigung begleitet sein. Drei MSglichkeiten sind zu unter- scheiden:

In der R1-Lage: 1. Wenn die Gesamtbefr iedigung von R 1 unveri indert bleibt, ver-

s t~rkt das Stei lerwerden der Indif ferenzkurve den Unterschied zwi- schen der erzwungenen Lage und der Lage bei f re ie r Wahl. Das l~ftt die Indif ferenzkurven noch steiler werden und ergibt einen noch grii- fteren Unterschied zwischen R 1 und der Lage bei f re ier Wahl. Dieser kumutat ive Prozeft l~Bt die Lage bei f re ier Wahl immer mehr gegen B' tendieren und fi ihrt zur Verminderung der Gesamtbefr iedigung bei R~.

2. Wenn die Gesamtbefr iedigung yon R 1 anf~nglich infolge einer Beschr~inkung gesteigert wird, wird der in 1. beschriebene kumulat ive Yerlauf auf lange Sicht die wirtschaft l iche Wohlfahr t vermindern.

3. Wenn die Gesamtbefr iedigung yon R 1 anf~inglich infotge einer Einschr~nkung abnimmt, wird der kumulat ive Verlauf die Lage ver- schlechtern.

Ahnliche Folgen ergeben sich fiir die R3-Lage. Zusammenfassend kSnnen wir sagen: Einschr~nkung der Wahlf re ihe i t wird auf lange Sicht die giinstigen Wirkungen eines Wachstums vernichten.

Dri t tens kSnnen wir feststellen, daft die Folgerungen aufrecht blei- ben, wenn neue Giiter angeboten werden; die Analyse ers t reckt sich dann auf drei s ia t t auf zwei Dimensionen.

Viertens betrachten wir, was geschieht, wenn Einkommen und Pre ise nicht anerkannt werden. Die ,,Theorie tier Spiele" meint, daft zur L~isung yon gesellschaftlichen Verteilungproblemen gebildete Koa- l i t ionen zu der Ar t der oben analysier ten F ragen fi ihren kiinnen - - Knderungen in den Verbrauchsgewohnheiten, Einschr~nkungen der Wahl usw. ~ mi t all den Wirkungen, die wir iiberlegt haben.

Diskntssion

H a b e r l e r sagte, dab er - - weil in der Arbeit der Nutzen als unme~bar angenommen wird - - nicht einsehen kann, wie die Ergebnisse yon Anderun- g e n d e r Verbrauchsgewohnheiten zum Ausdt~ck gebracht werden kSnnten. F o u r a s t i 4 erkundi~e sich nach der Grundlage, yon der aus die Indifferenz- kurven erstellt worden w~iren. Er hiett es fiir notwendig, da/~ nicht nur die yon den Indifferenzkurven wiedergegebenen Mengen meftbar seien, sondern daft sie tats~ichlich gemessen wtirden.

46 J. ;l. D a l m u l d e r : Beziehung zwischen W a c h s t u m u. F o r t s c h r i t t

D e h e m behaupte te , dal~ D a l m u l d e r die i ibliche Ind i f f e renzkurven- t echn ik mi l lb rauch t habe. E r babe z. B. in einem Fa l l angenommen, dab sich die Qualit~it der Gi i ter gei inder t habe, und d a n n erkRirt , dal] die Verschie- bung au f de r I n d i f f e r enz t a f e l e ine Ande rung der Verb rauchsgewohnhe i t en anzeige. D a l m u l d e r erwider te , dall die zwei Gii ter phys isch vlillig gleich geblieben wiiren und dal] s ich n u r die Verb rauchsgewohnhe i t en gei inder t hi t t ten. Das wiire die gleiche Probtemste l lung, d ie yon B e r g s o n und A r r o w behande l t worden ist.

T r a v a g l i n i bemiingelte, dall die Arbe i t zwischen kurz- und langf r i s t igen W i r k u n g e n n ich t k l a r e r un te r sch ieden habe, u n d e r es f i i r unm6gl ich ha l te , die kurz f r i s t ige Ana lyse l angf r i s t igen Yerhi i l tn issen anzupassen. G i e r s c h un te r s t i i t z t e das a n d f ragte , was gesch~he, wenn Leute sterben. Man kSnnte schwer l ich die Ind i f f e renzkurven-Ana lyse verwenden, um Leute versch iedener Genera t ionen zu be t rach ten . D a l m u l d e r gab das zu. E r me in te aber, dais es doch w e r t w~re, zu untersuchen , wie und w a r u m sich die Ind i f fe renz- t a fe l eines I nd iv i duum s mi t ges te iger ter P roduk t ion der Geset lschaf t i indern wiirde. Das miisse m a n jedoch unvermeid l i ch m i t den sub jek t iven W i r k u n g e n a u f die Bef r i ed igung eines I nd i v i duum s zum Ausdruck bringen.

D u p r i e z bemerkte , D a l m u l d e r habe gezeigt, dall eine geste iger te Pro- duk t ion n i ch t i m m e r das Niveau de r Bef r i ed igung erhShe, was bedeu t sam w~re. Viel le icht ki)nnen die modernen Analysen de r , ,welfare economics" beim L6sen des Problems helfen, das of fens icht l ich im ¥erg le ichen yon Niveaus de r Befr iedigung, kaum abe t im Messen yon Unte r sch ieden der Bef r i ed igung bestehe.

E l l i s ging au f die A n n a h m e gle ichble ibender Grenzkos ten ein. Wfi rden Anderungen der Verb rauchsgewohnhe i t en n ich t die Pre ise ~indern und d a m i t den Ver lus t an Bef r i ed igung te i lweise ausscha l t en? Wiirde es ferner , w e n n de r ¥ e r b r a u c h e r beides, X und Y, weniger schiitzt, n i ch t folgern, dal~ er e ine a n d e r e A l t e rna t i ve hSher sch~tzen mul3?.

H a g u e meinte, es w~ire zu f i i rchten, dal] einige Sprecher yon tier Indi f - f e renzkurven-Ana lyse Le i s tungen e rwar ten , die d a m i t n iemals beabsicht ig~ w a r e n und die Methode in Mil~kredit b r ingen wiirden. I n d i f f e r e n z k u r v e n b i lde ten e inen ni i tz l ichen Lehrbehelf , kSnnten aber n ich t al le Prob leme der W i r t s c h a f t Risen. Es wtire n ich t s dabei, wenn m a n mi t I n d i f f e r e n z k u r v e n zu zeigen versuche, wie eine phys i sch wachsende P r o d u k t i o n die Befr iedi - gung des Ve rb rau che r s iindere. Diese B e h a n d l u n g des Prob lems wtlre jedoch n u t eine yon vielen und wahrsche in l i ch eine de r weniger b rauchba ren .

(Aus d~em Engtischen iibersetzt yon Dr. J. Sznahovich, Wien)

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