Die Arbeit an Emotionen in der Psychotherapie Claas-Hinrich Lammers Klinik für Psychiatrie und...

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Die Arbeit an Emotionen in der Psychotherapie

Claas-Hinrich LammersKlinik für Psychiatrie und Psychotherapie

Charité-Universitätsmedizin BerlinCampus Benjamin Franklin

claas-hinrich.lammers@charite.de

Der kalte Sinn löst den Knoten nicht

Fernando, in „Stella“ von J.W. Goethe

Irrtümer und Zweifel des Verstandes schwinden schneller und spurloser als die Irrtümer und Zweifel des Herzens

„Die Brüder Karamasov“ Fjodor Dostojewski

Das Herz hat seine Gründe, von denen der Verstand nichts weiß

„Pensees“ Blaise Pascal

Gliederung

II. Die Struktur emotionaler Konflikte

III. Die Therapie an und mit Emotionen

I. Die Bedeutung von Emotionen

I. Die Bedeutung von Emotionen

Motivationale Systeme

• Biologische Triebe (Hunger, Durst, Sexualität)

• Physischer Schmerz

• Emotionen (Ärger, Traurigkeit, Freude, Scham ect.)

Emotionen bestehen aus vier Komponenten

1. somatisches Geschehen i.S. einer Aktivierung der viszeralen

und muskuloskelettalen Systeme (z.B. Pulsbeschleunigung,

Schwitzen, Anspannung der Muskeln)

2. einem behavioralen Anteil (Handlung bzw. Handlungsimpuls)

3. Kognitionen (Wahrnehmung eines Stimulus, gedankliche Re-

präsentation, Bewertung)

4. einer subjektiven-empfindenen Komponente (Gefühl)

• Orientierung und Kontrolle

• Lustgewinn / Unlustvermeidung

• Bindungsbedürfnis

• Bedürfnis nach Selbstwerterhöhung

Emotionen und Grundbedürfnisse des Menschen

• Emotionen zeigen die Befriedigung oder die Frustration von

Bedürfnissen an. Z.B.:

Bedürfnis Umwelt Emotion

Bindung Zurückweisung Angst

Bindung Kontakt Geborgenheit

Selbstwert Kritik Minderwertigkeit

Selbstwert Lob Stolz

Bedeutung von Emotionen

• Emotionen initiieren adaptive Handlungen in Bezug auf die

Bedürfnisse und die jeweilige Umwelt

Z.B.:

Angst Vermeiden, Weglaufen, Aufmerksamkeitssteigerung

Schuld Entschuldigung, Wiedergutmachung

Interesse Annäherung, Intensivierung des Reizes

Ärger Bekämpfen, Ablehnen, Entfernen

Bedürfnis Umwelt Emotion Handlung

Bindung Zurückweisung Angst Rückzug

Selbstwert Lob Stolz Aktivität

Kontrolle Überforderung Ärger Ablehnen

Grundbedürfnis = Selbstwert, Orientierung und Kontrolle,

Bindungsbedürfnis, Lustgewinnung/Unlustvermeidung

Primäre Emotion

Reaktion der Umwelt

Emotionsschematische Theorie

• In der Entwicklung wiederholt erfahrene Reaktionen der Umwelt auf ein Bedürfnis können zu Bildung eines emotionalen Schemas führen

• Ein solches Schema macht sich durch eine primäre Emotion bemerkbar

Grundbedürfnis = Selbstwert, Orientierung und Kontrolle,

Bindungsbedürfnis, Lustgewinnung/Unlustvermeidung

Primäre Emotion

Reaktion der Umwelt

Emotionsschematische Theorie

Adaptive

Reaktion

• Ohne emotionales Erleben sind wir

entscheidungsunfähig

• Nicht-bewusste Emotionen haben Einfluss auf unsere Entschei-

dungen.

z.B. Die „Somatic-marker-Theorie“ von Damasio, 1996

Bedeutung von Emotionen

• Emotionale Zentren des Gehirns regulieren kognitive Zentren;

umgekehrt regulieren kognitive Zentren auch emotionale Zentren,

aber deutlich schwächer

• Objekte menschlicher Erfahrungen werden als erstes bewertet

(Gut vs. Schlecht / positive vs. negativer Affekt)

• Zwischenmenschliche Interaktionen werden als erstes mit dem

Faktor emotional positiv vs. emotional negativ bewertet

Bedeutung von Emotionen

• Negatives motivationales Priming

Negative emotionale Reize bahnen Assoziationen, Repräsentationen

und Verhaltensprogramme im Vermeidungssystem, während positi-

ve emotionale Reize das Annäherungssystem aktivieren.

• Die Unterdrückung des Ausdrucks von negativen Emotionen

führt zu:

1. einer anhaltenden Intensität der Emotion

2. einer gesteigerten sympathischen Aktivierung

3. Einbußen im Gedächtnis

4. einer abgeschwächten Intensität von positiven Emotionen

• Negative Emotionen sind ein Signal zur Verhaltensänderung,

wodurch deren Erleben beendet werden kann

• Bei fehlenden Handlungsmöglichkeiten werden negative

Emotionen im Erleben zu vermeiden versucht

Bedeutung von Emotionen

ABC-Schema der Gefühle?

A = Situation B = Bewertung C = Emotion

A = Kritik B = Man mag C = Traurigkeit mich nicht

Emotionales Schema

Primäre Emotion: Minderwertigkeit Sekundäre Emotion: Traurigkeit

II. Die Struktur emotionaler Konflikte

Grundbedürfnis = Selbstwert, Orientierung und Kontrolle,

Bindungsbedürfnis, Lustgewinnung/Unlustvermeidung

Emotionales Schema

Problematische primäre Emotion

Emotionsschematische Theorie psychischer Erkrankungen

Schemata

• Wichtige Erfahrungen mit der Reaktion der Umwelt auf ein Be-

dürfnis werden als emotionales Schema gespeichert ->insb.

primäre Emotionen (core-emotion), Stimmungen, körperlichen

Reaktionen und Empfindungen

• Ein Schema wird durch situative Reize automatisch bottom up

aktiviert und dann unbewusst top down (kognitiv-behavioral)

exekutiert

• Man kann bei diesem Schema auch von einer emotionalen Kondi-

tionierung sprechen

Schemata

Beispiel

• Herr X. wurde in seiner Kindheit und Jugend andauernd

kritisiert. Sein Grundbedürfnis nach Selbstwert wurde frustriert

und er erlebte immer wieder die Emotion Minderwertigkeit.

Adaptiver Wert von Minderwertigkeit = Rückzug, Schutz vor

Frustration

• Im Erwachsenenalter führt jede Leistungssituation zu der mal-

adaptiven primären Emotion „Minderwertigkeit“

Instrumentale Emotion = eine „manipulative“ Emotion, die dazu

dient, eine bestimmte Reaktion beim Gegenüber hervorzurufen

Adaptive primäre Emotion = die unmittelbare, zuerst auftreten-

de hilfreiche Emotion nach einem Stimulus

Maladaptive primäre Emotion = eine unmittelbar auftretende

Emotion, die der Situation nicht angemessen und problematisch ist

Sekundäre Emotion = eine zeitliche verzögert auftretende,

kognitiv bearbeitete reaktive Emotion (dient häufig dazu, eine

primäre Emotion zu verdecken)

Verschiedene Funktionen einer Emotion

Schemata

2. Bewältigungsschema: Die Umgehensweise mit den aus den

Schemata hervorgehenden Emotionen

Vermeidung = des auslösenden Stimulus

Bekämpfung = der Emotion

Ertragen = der Emotion

1. Emotionales Schema: Schematische Reaktion auf Grund-

bedürfnissen

Annäherungsschema = positive primäre Emotion

Vermeidungsschema = negative primäre Emotion

Grundbedürfnis = Selbstwert, Orientierung und Kontrolle, Bindungs-

bedürfnis, Lustgewinnung/Unlustvermeidung

Primäre (mal)adaptive Emotion

Maladaptive Verarbeitung

Bekämpfen

(sek. Emotion)

Emotionales Schema

Maladaptive Verarbeitung

Vermeiden

(sek. Emotion)

Adaptive

Verarbeitung

(sekundäre

Emotion)

Maladaptive

Verarbeitung

ErtragenBewältigungsschemata

Emotionsschematische Theorie psychischer Erkrankungen

• Die emotionsfokussierte Therapie konzipiert eine Reihe

von psychischen Problemen als Ausdruck eines

emotionsphobischen Konfliktes

• Der Patient versucht das Erleben von aversiven problematischen

Emotionen zu vermeiden

• Die psychischen Symptome sind Ausdruck der Vermeidung einer

konflikthaften Emotion, für die der Patient keine Handlungskompe-

tenzen hat

Grundbedürfnis = Selbstwert

Primäre maladaptive Emotion

Angst, Minderwertigkeit, Scham

Maladaptive VerarbeitungBekämpfen = Ärger, Wut,

Selbsthass(sek. Emotion)

Emotionales Schema

Maladaptive VerarbeitungVermeiden =

PerfektionismusEmotion = Stolz,

Selbstbewusstsein, Überlegenheit

(sek. Emotion)Maladaptive Verarbeitung

Ertragen= Angst, Minderwertigkeit,

Scham

Bewältigungsschema

Emotionales Schema des narzisstischen Konfliktes

• Die Bewertung des Selbst beeinflusst das Erleben von primären

Emotionen und ist deswegen eine feste Größe in der Entstehung

und Aufrechterhaltung von emotional-kognitiven Schemata.

• Es gibt zwei grundsätzliche dysfunktionale Bewertungen des

eigenen Selbst:

1. „Ich bin schwach, hilflos“

2. „Ich bin schlecht und schuldig“

Selbst-Schemata und Emotion

• Grundbewertung: „Ich bin schwach, hilflos“

Wenn als primäre Emotion Unsicherheit auftritt, kommt z.B. als

sekundäre Emotion schneller Ärger oder Verzweiflung.

Selbst-Schemata und Emotion

• Grundbewertung: „Ich bin schlecht und schuldig“

Wenn als primäre Emotion Ärger auftritt, kommt z.B. als sekun-

däre Emotion schneller Traurigkeit oder Schuldgefühle

III. Emotionsfokussierte Therapie

Regulation vor Stimulation!!!

Vorteile des emotionsfokussierten Ansatzes

• Das Erkennen des motivationalen Konfliktes durch ein emotions-

fokussiertes Vorgehen ermöglicht ein effizienteres Einsetzen

von veränderungsorientierten Schritten

• Die emotionale Aktivierung und Prozessierung im Rahmen ver-

schiedener Therapiekonzepte ist unerlässlich für den Erfolg einer

Psychotherapie (Whelton, 2004)

• Die emotionale Intensität von Therapiesitzungen ist einer der

besten Prädiktoren für einen psychotherapeutischen Therapieerfolg

(Beutler et al., 2000; Iwakabe et al., 2000; Znoj et al., 2004)

• Bei der verhaltenstherapeutischen Expositionstherapien der An-

stieg von Angst unter der Exposition der wesentliche Prädiktor für

den Therapieerfolg (Kozak et al., 1988; Foa et al., 1995)

Erlebnisorientierte emotionsfokussierte Therapie:

• gutes psychosoziales Funktionsniveau

• keine Suizidalität

• gute Impulskontrolle

• Einsicht und Regulation von Abwehrverhalten

• guter therapeutischer Kontakt

Therapieindikation

Emotionsmanagement bzw. kognitive Verhaltenstherapie:

• schlechtes psychosoziales Funktionsniveau

• Suizidalität

• selbst-oder fremdschädigenden Impulse bzw. Emotionen

• im Vordergrund stehendes Abwehrverhalten

• dissoziative Zustände

Die Grundannahmen der emotionsfokussierten

Therapie sind:

3. Die sekundären Emotionen bzw. andere vermeidende Verhaltens-

weisen werden mit der Zeit symptomatisch, d.h. problematisch

2. Das Erleben dieser Emotion wird phobisch vermieden, indem

sekundäre Emotionen bzw. vermeidende Verhaltensweisen akti-

viert werden

1. Patienten haben lerngeschichtlich einen intrapsychischen Konflikt

erfahren, in dessen Mittelpunkt eine problematische adaptive

oder maladaptive Emotion steht

Basisziel des Umganges mit Emotionen

Nicht frei von Emotionen sein,

sondern frei in Emotionen sein

1. Die Förderung der Wahrnehmung von Emotionen

Vier psychotherapeutische Prozesse zur

Veränderung von Emotionen

4. Die Veränderung von Emotionen

2. Die Förderung der regulatorischen Fähigkeit im Umgang mit

Emotionen

3. Die Steigerung der emotionalen Einsicht

Ziele der therapeutischen Arbeit an Emotionen

2. Qualitative Veränderung der maladaptiven primären Emotion

1. Identifikation und Korrektur der sekundären Emotion (Bewälti-

gungsstrategien) und deren vermeidende Funktion (primäre

Emotion)

3. Akzeptanz und Exposition mit der adaptiven primären Emotion

und Emotionsdesensitivierung

4. Training von Emotionsausdruck und emotionsadäquates

Verhalten 5. Restrukturierung selbstabwertender Prozesse

Techniken in der Arbeit an Emotionen

• Erlebnisorientierte Therapie => emotionale Aktivierung

z.B. Imagination, Rollenspiel, Emotionsstimulation

• Empathie und Validierung

• 2-Stuhl-Technik

• Klärungsorientierte Arbeit mit Reparenting

• Kognitive und behaviorale Arbeit; z.B: Emotionsanalysen und

tagebuch; Umsetzen von Emotionen in Ausdruck und Verhalten

• Gibt es bei dem Patienten noch dysfunktionale Bewältigungs-

strategien, die mit sekundären Emotion einhergehen?

• Kann der Patient seine adaptiven primären Emotionen wahr-

nehmen, aushalten und akzeptieren?

• Kann der Patient die Bedürfnisse erkennen, die durch seine adap-

tiven primären Emotionen ausgedrückt werden?

• Ist der Patient in der Lage, seine adaptiven primären Emotionen

angemessen auszudrücken bzw. in Handlungen umsetzen?

Emotions-Checkliste

• Hat der Patient eine maladaptive primäre Emotion, die korrigiert

werden muss?

Buchtips

2. McCullough et al., Treating Affect Phobia

3. J Young. Schematherapie

4. L. Greenberg, Emotion-Focused Therapy

1. P. Ekman, Gefühle lesen

5. S. Hayes, Akzeptanz und Commitment Therapie

Die Arbeit an Emotionen in der Psychotherapie

Claas-Hinrich LammersKlinik für Psychiatrie und Psychotherapie

Charité-Universitätsmedizin BerlinCampus Benjamin Franklin

claas-hinrich.lammers@charite.de

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