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Nephrologe 2011 · 6:323–330DOI 10.1007/s11560-010-0520-4© Springer-Verlag 2011
S. Pahernik · M. HohenfellnerUrologische Universitätsklinik Heidelberg
Operative Therapie des Nierenzellkarzinoms
Leitthema
Das Management des Nierenzellkarzinoms hat in den letzten Jahren einen substan-ziellen Paradigmenwechsel erfahren. Operative Innovationen, insbesondere die Etablierung minimal-invasiver Tech-niken, haben die Morbidität operativer Therapiestrategien gesenkt. Die organ-erhaltende Chirurgie hat bei gleichblei-bender onkologischer Effektivität einen neuen Stellenwert in der operativen The-rapie, da die Nierenfunktion weitgehend erhalten und die langfristige Morbidität gesenkt werden kann. Neue Erkenntnisse zur Signaltransduktion des Nierenzellkar-zinoms haben zu verschiedenen neuarti-gen Strategien für die Therapie des metas-tasierten Nierenzellkarzinoms geführt. Daher hat sich die moderne Behandlung des Nierenzellkarzinoms in einen inter-disziplinären und multimodalen Ansatz verwandelt.
Das Nierenzellkarzinom betrifft etwa 3% aller bösartigen Tumorerkrankungen. In Deutschland wird die Zahl jährlicher Neuerkrankungen an Nierenzellkarzino-men auf etwa 16.700 geschätzt. Das Nie-renzellkarzinom ist mit einem Anteil von 3,6% bei Männern die siebthäufigste ma-ligne Todesursache, bei Frauen mit einem Anteil von 2,5% die zehnthäufigste. Das mittlere Erkrankungsalter liegt für Män-ner bei etwa 65 Jahren, für Frauen bei et-wa 70 Jahren. Die Inzidenz des Nieren-zellkarzinoms stieg in den letzten 3 Deka-den um 2,3–4,3% pro Jahr [1]. Dieses ist am ehesten bedingt durch den zunehmen-den Einsatz moderner Bildgebung. Etwa ein Drittel der Patienten zeigen bei Diag-nosestellung bereits eine Fernmetastasie-rung durch das Nierenzellkarzinom.
Durch die steigende Inzidenz des Nie-renzellkarzinoms sowie die zunehmende Anzahl an kleinen, zufällig diagnostizier-
ten Nierentumoren kommen auf die ope-rative Therapie des Nierenzellkarzinoms in unserer immer älter werdenden Ge-sellschaft spezifische und individualisierte Herausforderungen zu.
Management des lokal begrenzten Nierenzellkarzinoms
Radikale Tumornephrektomie
Die radikale Tumornephrektomie, wie sie von Robson 1969 eingeführt wurde, war lange Zeit der Goldstandard in der Thera-pie des Nierenzellkarzinoms [2]. Das on-kologische Prinzip umfasste dabei die frü-he Ligatur der Nierengefäße zur Minimie-rung des Risikos von Tumorembolien, die En-bloc-Exzision der Gerota-Faszie mit intakter Niere und Nebenniere sowie die ausgedehnte paraaortale und parakavale Lymphadenektomie.
Durch die Fortschritte der Bildge-bung, insbesondere der Sonographie so-wie der Schnittbildbegung, in den letzten Dekaden werden zunehmend kleine, in-
zidentelle Nierenzellkarzinome diagnosti-ziert. Dies führte dazu, dass die von Rob-son aufgestellten Prinzipien der radika-len Tumornephrektomie, insbesondere die ipsilaterale Adrenalektomie und hilä-re Lymph adenektomie, zunehmend hin-terfragt wurden. Der therapeutische Nut-zen der Lymphadenektomie, insbesonde-re beim klinisch lokal begrenzten Nieren-zellkarzinom, ist sehr umstritten und das Verfahren heute aufgrund fehlender Evi-denz weitgehend verlassen [3].
EOperatives Ziel ist die komplette Resektion des Tumors.
Die radikale Tumornephrektomie bei lo-kal begrenztem Nierenzellkarzinom wur-de weitgehend durch die laparoskopische oder retroperitoneoskopische Tumorne-phrektomie ersetzt. Vorteile des minimal-invasiven Vorgehens beinhalten v. a. einen reduzierten Blutverlust, einen geringeren Analgetikabedarf, eine kürzere Kranken-hausaufenthaltsdauer sowie eine schnelle-re Rekonvaleszenz. Die onkologischen Er-
Invasivität ↓
LaparoskopischeTumornephrektomie
RadikaleTumornephrektomie
Nierentumor-resektion
LaparoskopischeNierentumorresektion
da Vinci
SPLRS
NOTESCryoablation
Radiofrequenzablation
AktiveÜberwachung
20102000199019801970
Organerhalt
Abb. 1 8 Evolution der operativen Therapie von T1-Nierentumoren
RedaktionM. Zeier, HeidelbergM. Hohenfellner, Heidelberg
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gebnisse sind vergleichbar mit denen der offenen Nierentumorchirurgie mit ent-sprechend niedrigen Komplikationsraten.
Die radikale Tumornephrektomie zeig-te im Stadium T1 ( Nierenzellkarzinom <7 cm) ausgesprochen günstige onkolo-gische Ergebnisse, sodass zunehmend mi-nimal-invasive Therapieoptionen unter-sucht wurden. Ausgehend von der lange Zeit als Goldstandard angesehenen radi-kalen Tumorphrektomie beinhalteten die operativen Innovationen die radikale la-paroskopische Tumornephrektomie, die offene, die laparoskopische und die robo-terunterstützte laparoskopische Nierentu-morresektion sowie weitere Innovationen im minimal-invasiven Zugang wie bei-spielsweise Single-Port-Chirurgie oder NOTES. Zusätzlich werden momentan zunehmend thermoablative Therapieop-tionen, die entweder laparoskopisch oder perkutan appliziert werden können, etab-liert und im Rahmen von Studien unter-sucht (.Abb. 1).
Organerhaltende Nierentumorchirurgie
Für das lokal begrenzte Nierenzellkarzi-nom ist heute die organerhaltende Nie-rentumorresektion der operative Gold-standard. Das organerhaltende Vorge-hen kam zunächst nur bei speziellen In-dikationen (imperativ) zum Tragen, bei-spielsweise bei Patienten mit bilateralen Nierentumoren oder Patienten mit Nie-rentumoren in funktionellen oder opera-tiven Einzelnieren. Hier steht der Funk-tionserhalt der Niere im Vordergrund, um Nierenersatzverfahren mit den ent-
sprechenden Komorbiditäten zu vermei-den. Trotz der negativen Tumorselektion zeigten die größten Serien zur imperati-ven Nierentumorresektion in Einzelnie-ren akzeptable onkologische Ergebnisse mit tumorspezifischen Fünfjahresüberle-bensraten von fast 90% und Lokalrezidiv-raten nach 5 Jahren von etwa 10% [4, 5]. Die organerhaltende Nierentumorchirur-gie führt bei Patienten mit synchron bi-lateralen Nierentumoren zu entsprechen-den onkologischen und funktionellen Er-gebnisse [6].
Bei Vorliegen einer kontralateralen ge-sunden Niere (elektive Indikation) wurde entgegen diverser Bedenken das Konzept der radikalen Tumornephrektomie nach Robson mehr und mehr verlassen. Das Konzept der elektiven Nierentumorresek-tion war lange Zeit äußerst umstritten, da man eine erhöhte Rate an Lokalrezidiven nach Nierentumorresektion befürchtete und multifokale Nierenzellkarzinome, die in der Literatur mit einer Häufigkeit von bis zu 30% angegeben wurden, nicht ad-äquat behandelt sein könnten. Durch ent-scheidende Innovationen in der Nierentu-morchirurgie, insbesondere der Nierenre-konstruktion, der Chirurgie in Ischämie und lokaler Hypothermie, sowie durch neuartige Techniken zur Hämostase er-fuhr die organerhaltende Nierentumor-chirurgie einen Durchbruch.
Wesentliche Bestandteile der Nieren-tumorresektion sind [7]:FNierenfreilegung,FOkklusion der Arteria renalis, sodass
der Eingriff in der Regel in warmer Ischämie (Ischämiezeiten <20 min) stattfindet,
Fsichere Resektion des Tumors im Gesunden,
FHämostase,Fggf. Rekonstruktion des Nieren-/
Kelchsystems (.Abb. 2).
Die Nierentumorresektion ist mittlerweile ein etabliertes operatives Verfahren, das offen-chirurgisch, laparoskopisch oder la-paroskopisch-roboterunterstützt mit dem Da-Vinci-System durchgeführt wird. Im Vergleich zur radikalen Tumornephrek-tomie ist die organerhaltende Nieren-tumorresektion mittlerweile eine etab-lierte und onkologisch vergleichbar ef-fektive Therapieoption [8, 9] mit tumor-spezifischen Überlebensraten von über 95%. Die Nierentumorresektion war an-fangs beschränkt auf kleine, peripher ge-legene Nierentumoren mit einem Durch-messer unter 4 cm. Diese Beschränkung ist mittlerweile verlassen worden, da ge-zeigt werden konnte, dass ein organerhal-tendes Vorgehen auch bei größeren Nie-rentumoren mit onkologischer Äquief-fektivität möglich ist [10, 11]. Aktuell soll-ten alle Nierentumore, welche nach Ein-schätzung des Operateurs in sano rese-ziert werden können, organerhaltend be-handelt werden.
Allerdings ist die Nierentumorresek-tion im Vergleich zur Tumornephrekto-mie mit einer höheren Rate an Kompli-kationen wie insbesondere Blutung (3,1%) und Urinextravasation (4,4%) vergesell-schaftet [12]. Generell wird dieser Eingriff offen-chirurgisch oder laparoskopisch durchgeführt. Die laparoskopische Nie-rentumorresektion ist technisch deutlich anspruchsvoller und erfordert spezielle
Abb. 2 9 Technik der Nierentumorresektion (nach [7]; mit freundlicher Genehmigung von Wiley-Blackwell)
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Leitthema
Expertise in den laparoskopischen Fähig-keiten mit entsprechend langen Lernkur-ven. Im Vergleich zu offen-chirurgischer Resektion scheint die Komplikationsra-te in Hinblick auf postoperative Blutung und Urinextravasation höher, wobei die onkologische Effektivität gleich zu sein scheint [13].
Entscheidende Vorteile der Nieren-tumorresektion im Vergleich zur radi-kalen Tumornephrektomie sind der Er-halt der Nierenfunktion [14] und die da-mit assozierte Verbesserung der Lebens-qualität sowie die Reduktion der kar-diovaskulären Morbidität. In einer typi-schen Kohorte von Nierenzellkarzinom-patienten (GFR >60 ml/min) sinkt die GFR 5 Jahre nach einer organerhalten-den Nierentumor resektion bei 20% der Patienten unter 60 ml/min, während sie nach radikaler Tumornephrektomie bei 65% der Patienten unter diesen Wert sinkt. Risikofaktoren für eine klinisch relevante Niereninsuffizienz nach organerhalten-der Nierentumorchirurgie sind eine be-reits präoperativ bestehende Nierenin-suffizienz, die warme Ischämiezeit wäh-rend der Nierentumorchirurgie, das Vor-handensein einer Einzelniere, die Tumor-größe und das Alter des Patienten. Eine warme Ischämie von über 20 min führt zu einer Schädigung der Nierenfunktion [15], weswegen multiple operative Ansätze, insbesondere bei der minimal- invasiven Chirurgie, vorgeschlagen wurden, um die Ischämiezeit zu reduzieren. Die mögli-che Beeinträchtigung der Nierenfunk-tion nach einem nierentumorchirurgi-schen Eingriff sollte immer mehr Ein-gang finden in die differenzialtherapeu-tischen Überlegungen. Das Ziel des ope-rativen Vorgehens bei Patienten mit lo-kal begrenztem Nierenzellkarzinom ist
die sichere onkologische Resektion des Tumors bei größtmöglichem Erhalt der Nierenfunktion. Aktuell stehen mehrere therapeutische Optionen für die Behand-lung von lokal begrenzten Nierenzellkar-zinomen zur Verfügung, die individuell mit dem Patienten erörtert werden soll-ten (.Tab. 1).
Thermoablative Chirurgie
Zur Reduktion der Morbidität nach radi-kaler Nephrektomie oder Nierentumor-resektion wurden thermoablative Thera-pieoptionen entwickelt. Bei diesem Kon-zept werden Thermosonden minimal-in-vasiv (entweder laparoskopisch oder per-kutan) in den Tumor eingebracht.
Bei der Kryoablation werden mehrere Sonden entweder laparoskopisch mit so-nographischer Unterstützung oder per-kutan via Schnittbildgebung im Tumor platziert. Durch ein flüssiges Gasgemisch (flüssiger Stickstoff, Argon) an der Son-denspitze kommt es nach in der Regel 2-maligen Einfrier-/Auftauvorgängen zur Proteindenaturierung und Zellmembran-zerstörung. Die Ausdehnung des sog. Eis-balls kann sowohl laparoskopisch als auch mit der Sonographie in Echtzeit über-wacht werden [16]. Eine Limitation, ins-besondere beim perkutanen Ansatz, stellt die Lokalisation des Tumors am Nieren-hilus oder am Oberpol dar. Die bisheri-gen Ergebnisse sind vielversprechend, ins-besondere auch im Hinblick auf eine Pro-tektion der Nierenfunktion, da das Ver-fahren nicht unter Ischämie der Niere er-folgt [17, 18].
Im Gegensatz zu Kryoablation ver-wendet die Radiofrequenzablation mono-polaren Hochfrequenzstrom über Elek-troden, welche in der Regel perkutan
platziert werden, um thermische Energie in das Zielgewebe zu applizieren. Es wer-den Temperaturen bis zu 100°C erreicht, was im Gewebe zu einer Koagulationsne-krose führt. Die ersten Beobachtungsstu-dien zeigen bei einem mittleren Follow-up von etwas mehr als 2 Jahren eine kom-plette Ablation in etwa 90% der Fälle [19, 20]. Technische Limitationen der perkuta-nen Radiofrequenzablation stellen insbe-sondere große Nierentumoren sowie eine Lokalisation in der Nähe des Hilus, des Darms und von Gefäßen dar.
EKryo- und Radiofrequenzablation sind noch keine Standardverfahren in der Behandlung des Nierenzellkarzinoms.
Die vorliegenden Daten müssen noch vorsichtig interpretiert werden, da es sich um ein hoch selektioniertes Patienten-gut handelt und die Beobachtungszeit der Studien kurz ist. Zudem besteht kein Kon-sens über Therapie- und Nachsorgepro-tokolle sowie belastbare und einheitliche Kriterien für Behandlungserfolg/Tumor-rezidiv. Es gibt auch keine vergleichen-den Studien unterschiedlicher Therapie-optionen. Das Lokalrezidivrisiko scheint zudem in Metaanalysen im Vergleich zur Nierentumorresektion erhöht zu sein [21, 22].
Aktive Überwachung
Die aktive Überwachung („active surveil-lance“) ist eine potenzielle Option für Pa-tienten im höheren Lebensalter, für die eine kurative Therapie ein Morbiditäts-risiko darstellt oder deren onkologisches Risiko überschaubar ist. Das Konzept be-inhaltet bei entsprechender Indikation (Alter >75 Jahre, Tumorgröße <4 cm) zu-nächst eine abwartende Haltung, um den Verlauf der Tumorerkrankung zu über-wachen. Bei Nachweis einer entsprechen-den Tumordynamik werden die Patienten einer aktiven Intervention im Sinne einer Standardtherapie zugeführt. Es handelt sich um eine verzögerte Intervention, um Patienten mit niedrigem onkologischen Risikoprofil eine Übertherapie zu erspa-ren. In der Regel gilt dies für Patienten mit substanziellen Komorbiditäten sowie deutlich erhöhtem kardiovaskulären Ri-sikoprofil. Eine weitere Zielgruppe stel-
Tab. 1 Therapieoptionen bei Nierentumoren <4 cm
Operative Strategie Vorteile Nachteile
Radikale Nephrektomie Onkologisch effektiv NierenfunktionéMortalität è
Nierentumorresektion GoldstandardOnkologisch effektivNierenfunktion èMortalität é
AnspruchsvollKomplikationen è
Thermoablation Minimal-invasivNierenfunktion è
Onkologisch unklarLokalrezidiv è
Aktive Überwachung Morbidität é Tumorprogression èSelektionsbias (Daten)
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Leitthema
Zusammenfassung · Abstract
Nephrologe 2011 · 6:323–330 DOI 10.1007/s11560-010-0520-4© Springer-Verlag 2011
S. Pahernik · M. Hohenfellner
Operative Therapie des Nierenzellkarzinoms
ZusammenfassungZiel der operativen Therapie des Nierenzell-karzinoms ist die komplette Resektion des Tu-mors. Für das lokal begrenzte Nierenzellkar-zinom ist die organerhaltende Nierentumor-resektion mittlerweile Goldstandard, insbe-sondere zum Erhalt der Nierenfunktion bei vergleichbarer onkologischer Effektivität im Vergleich zur radikalen Tumornephrektomie. Entscheidend für ein organerhaltendes Vor-gehen ist die Einschätzung des Operateurs, ob eine komplette Resektion möglich ist. Die organerhaltende Nierentumorchirurgie kann bei entsprechender Expertise minimal-inva-siv laparoskopisch, retroperitoneoskopisch oder roboterunterstützt („da Vinci“) durchge-führt werden. Alternativ stehen weitere The-rapieoptionen (radikale Tumornephrektomie, perkutane oder laparoskopische Thermoab-lation, aktive Überwachung) zur Verfügung. Das therapeutische Vorgehen sollte individu-ell mit dem Patienten erörtert werden, wo-bei neben der onkologischen Frage die Ko-
morbiditäten, die Lebenserwartung und die Nierenfunktion in die Überlegungen einbe-zogen werden müssen. Für das lokal fortge-schrittene Nierenzellkarzinom ist die kom-plette Resektion des Tumors Methode der Wahl. Beim metastasierten Nierenzellkarzi-nom ist im Kontext einer multimodalen Be-handlung vor der systemischen Therapie eine zytoreduktive Tumornephrektomie anzustre-ben. Der Stellenwert der Metastasenchirurgie beim Nierenzellkarzinom bleibt auch in der Ära der „targeted therapy“ erhalten. Bei Pa-tienten mit solitären oder resektablen Metas-tasen sollte eine Metastasenchirurgie in kura-tiver Intention in Betracht gezogen werden, um die Toxizität einer systemischen Therapie zu vermeiden.
SchlüsselwörterChirurgie · Nierenzellkarzinom · Organerhalt · Nierenfunktion
Surgical treatment of renal cell cancer
AbstractThe aim of surgical treatment for renal cell carcinoma is complete resection of the tu-mor.
For localized renal cell carcinoma organ-sparing resection of the kidney tumor has become the gold standard, in particular for preservation of renal function with compa-rable oncological efficacy compared to radi-cal nephrectomy. Crucial for the organ-spar-ing approach is currently the judgment of the surgeon whether a complete resection is pos-sible. Organ-sparing renal tumor surgery can be performed with the appropriate expertise by minimally invasive laparoscopic, retroperi-toneoscopic or robot-assisted (“da Vinci”) ap-proaches. Alternatively various other treat-ment options, such as radical nephrectomy, percutaneous or laparoscopic thermal abla-tion or active surveillance are available. The therapeutic approach should be discussed in-
dividually with the patient and in addition to the oncologic issues, comorbidities, life ex-pectancy and renal function must also be taken into account.
For locally advanced renal cell carcino-ma complete resection of the tumor is the method of choice. In metastatic renal cell car-cinoma in the context of a multimodal treat-ment prior to systemic therapy cytoreductive nephrectomy is advised. The role of surgery in metastatic renal cell carcinoma remains unchanged in the era of targeted therapy. Pa-tients with solitary or surgically manageable metastases should be considered for meta-static surgery with curative intent in order to avoid the toxicity of systemic therapy.
KeywordsSurgery · Renal cell cancer · Organ preservation · Renal function
len nach den aktuellen Leitlinien Patien-ten im höheren Alter (>75 Jahre) mit klei-nen Nierentumoren dar. Hier kann für eine Entscheidungsfindung die jeweilige Kinetik des Tumorwachstums mit in Be-tracht gezogen werden.
EDie größte Sorge der Patienten gilt dem Risiko der Tumorprogression.
Eine lokale Tumorprogression kann den operativen Eingriff evtl. schwieriger ge-stalten und ein organerhaltendes Vorge-hen deutlich erschweren oder unmög-lich machen. Eine Risikostratifizierung bei Nierenzellkarzinom ist nur sehr ein-geschränkt möglich. Der einzige Para-meter ist die Tumorgröße: Mit zuneh-mender Tumorgröße wächst das onkolo-gische Risiko. Ein Cut-off zur Diskrimi-nierung eines aggressiveren biologischen Verhaltens des Karzinoms scheint bei et-wa 3 cm Tumorgröße zu liegen. Das Risi-ko einer synchronen Metastasierung be-trägt 0–4,3% bei einem Tumordurchmes-ser unter 2 cm, 2,4–4,9% bei einem Tu-mordurchmesser von 2–3 cm und 6,0–8,4% bei einem Tumordurchmesser von 3–4 cm [23, 24, 25]. Longitudinale Be-obachtungsstudien in hoch selektionier-ten Patientenkohorten mit kleinen Nie-rentumoren zeigten eine mittlere Wachs-tumsgeschwindigkeit von 0,06–0,28 cm/Jahr [26]. Es gibt allerdings keine Kor-relation der Wachstumsgeschwindigkeit eines Tumors mit der Dignität sowie dem Metastasierungsrisikos. Das Metastasie-rungsrisiko von aktiv überwachten Nie-rentumoren mit einer mittleren Tumor-größe von 2,6 cm beträgt gemäß einer Metaanalyse nach einer relativ kurzen Nachbeobachtungszeit von 34 Monaten etwa 1% [26].
Das Konzept der aktiven Überwa-chung spielt bei selektionierten Patienten eine Rolle und kann mit älteren Patienten vor dem Hintergrund ihrer Komorbiditä-ten, der Lebenserwartung sowie des Tu-morprogressionsrisikos individuell er-örtert werden. Alle bisherigen Daten ha-ben einen erheblichen Selektionsbias durch das negativ hoch selektionierte Pa-tientengut. Mit Ausnahme der Tumorgrö-ße gibt es keine klinischen Parameter zur individuellen Risikostratifizierung. Ein-schränkend muss festgestellt werden, dass
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die Daten limitiert sind, das Follow-up der Studien sehr kurz ist und es keine einheit-lichen, validierten Protokolle oder Krite-rien für die Tumorprogression gibt.
Eine aktive Überwachungsstrategie kann auch bei Patienten mit substanziel-ler Niereninsuffizienz oder speziellen on-kologischen Charakteristika wie multifo-kalen, bilateralen Nierenzellkarzinomen eine Option darstellen.
Management fortgeschrittener Nierenzellkarzinome
Die Behandlung des lokal fortgeschrit-tenen Nierenzellkarzinoms erfolgt pri-mär operativ. Entscheidend hierbei ist die komplette Resektion des Tumors, insbe-sondere bei lokal fortgeschrittenem und somit aggressivem Tumor. Die Besonder-heit beim fortgeschrittenen Nierenzellkar-zinom liegt darin, dass sich in 5–10% der Fälle Tumorthromben in das venöse Ge-fäßsystem ausbilden, die bis in die Vena cava oder den rechten Vorhof reichen können. Hier ist die operative Entfernung nicht nur aus onkologischer Sicht indi-ziert, sondern auch zur Prävention throm-boembolischer Ereignisse.
Die operative Therapie eines lokal fort-geschrittenen Nierenzellkarzinoms be-inhaltet die radikale Tumornephrektomie sowie ggf. die En-bloc-Resektion benach-barter tumorinfiltrierter Strukturen. Mit diesem operativ aggressiven Vorgehen werden bei ausgedehntem Tumorbefall mit Vena-cava-Thrombus etwa die Hälfte der Patienten geheilt [27]. Risikofaktoren für Tumorrezidive sind [28]:FTumorstadium,FGrading,FAllgemeinzustand (Performance-
Status),Ftumorspezifische Symptome.
Für die Rezidivchirurgie besteht die zu-sätzliche Option einer intraoperativen Ra-diotherapie zur lokalen Tumorkon trolle. Für eine adjuvante Therapie bei lokal fort-geschrittenem Nierenzellkarzinom mit hohem Tumorprogressionsrisiko gibt es aktuell keine Evidenz. Allerdings werden diesbezüglich aktuell verschiedene rando-misierte und placebokontrollierte Studien durchgeführt.
Operatives Management metastasierter Nierenzellkarzinome
Eine Besonderheit ist die operative Stra-tegie bei Patienten mit metastasiertem Nierenzellkarzinom. Die zytoredukti-ve Nephrektomie bei Vorliegen eines metastasierten Nierenzellkarzinoms ist Teil einer multimodalen Therapiestra-tegie. Diesbezügliche Daten kamen aus der Ära der Immuntherapie aus 2 Pha-se-III-Studien, die zeigten, dass metasta-sierte Patienten, welche systemisch im-muntherapeutisch behandelt wurden, klar von einer vorherigen zytoreduktiven Tumornephrektomie onkologisch profi-tierten [29, 30]. Für die aktuelle Ära der „ targeted therapy“ gilt die zytoreduktive Therapie ebenfalls als Standard, insbeson-dere bei resektablen Tumoren, gutem All-gemeinzustand des Patienten sowie einer entsprechend hohen lokalen Tumorlast. In diesem Kontext ist auch anzumerken, dass in allen modernen Zulassungsstu-dien der Tyrosinkinase-, der VEGF- so-wie der mTOR-Inhibitoren bei fast allen Patienten das Prinzip der zytoreduktiven Tumornephrektomie durchgeführt wur-de. Aktuell wird die Rolle der zytoreduk-tiven Tumornephrektomie bei systemi-scher Erkrankung im Zeitalter der „targe-ted therapy“ in mehreren randomisierten Studien untersucht.
Patienten mit solitären oder über-schaubaren Metastasen sollten für eine Metastasenchirurgie in Betracht gezogen werden, weil damit zum einen in bis zu 30% der Fälle ein tumorspezifisches Über-leben erreicht werden kann und den Pa-tienten die Toxizität der systemischen Therapie erspart bleibt. Günstige prog-nostische Faktoren für die Metastasen-chirurgie stellen solitäre Lungenmetas-tasen und ein langes Intervall zwischen Erstdiagnose und Auftreten der Metasta-sierung dar.
Fazit für die Praxis
Ziel der operativen Therapie des Nieren-zellkarzinoms ist die komplette Resek-tion des Tumors. Für das lokal begrenz-te Nierenzellkarzinom ist die organerhal-tende Nierentumorresektion mittler-weile Goldstandard. Die organerhalten-
de Nierentumorchirurgie kann bei ent-sprechender Expertise minimal- invasiv laparo skopisch, retroperitoneoskopisch oder roboterunterstützt („da Vinci“) durchgeführt werden. Alternativ stehen weitere Therapieoptionen (radikale Tu-mornephrektomie, perkutane oder la-paroskopische Thermoablation, aktive Überwachung) zur Verfügung. Das thera-peutische Vorgehen sollte individuell mit dem Patienten erörtert werden, wobei neben der onkologischen Frage die Ko-morbiditäten, die Lebenserwartung und die Nierenfunktion in die Überlegungen einbezogen werden müssen.Für das lokal fortgeschrittene Nierenzell-karzinom ist die komplette Resektion des Tumors Methode der Wahl. Beim metas-tasierten Nierenzellkarzinom ist im Kon-text einer multimodalen systemischen Therapie eine zytoreduktive Tumor-nephrektomie anzustreben. Der Stellen-wert der Metastasenchirurgie beim Nie-renzellkarzinom bleibt auch in der Ära der „targeted therapy“ erhalten. Bei Pa-tienten mit solitären oder resektablen Metastasen sollte eine Metastasenchirur-gie in kurativer Intention in Betracht ge-zogen werden, um die Toxizität einer sys-temischen Therapie zu vermeiden.Aktuell, im Hinblick auf die multimoda-len und interdisziplinären Therapie-algorithmen, ist eine interdisziplinäre und individuelle Erörterung des Nieren-zellkarzinoms (Nephrologie, Onkologie, Radiologie, Urologie).
KorrespondenzadressenPD Dr. S. Pahernik
Urologische Universitätsklinik HeidelbergIm Neuenheimer Feld 110, 69120 Heidelbergsascha.pahernik@ med.uni-heidelberg.de
Prof. Dr. M. HohenfellnerUrologische Universitätsklinik HeidelbergIm Neuenheimer Feld 110, 69120 Heidelbergmarkus.hohenfellner@ med.uni-heidelberg.de
Interessenkonflikt. Der korrespondierende Autor gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
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Leitthema
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Organtransplantation – Lebendspende
Über 12.000
Patienten war-
ten derzeit in
Deutschland
auf ein Spen-
derorgan. Das
Problem des
Organmangels
- und damit ver-
bunden das der
Lebendspende
- wird seit Jahren diskutiert. In Deutschland
ist es nur dann erlaubt, eine Lebendspende
durchzuführen, wenn kein Organ eines Ver-
storbenen zur Verfügung steht. Die Nierenle-
bendspende weist neben immunologischen
und Organ-Qualitätsvorteilen auch die
Möglichkeit einer frühzeitigen Transplanta-
tion auf. Zwar hat die Lebendspende durch
Komplikationen, Misserfolge und Todesfälle
immer wieder schwere Rückschläge erlitten,
wurde aber von engagierten Chirurgen welt-
weit und auch in Deutschland stetig voran-
getrieben.
Über den derzeitigen Kenntnisstand zur
Lebendspende bei Nierentransplantation
und Lebertransplantation informiert die Zeit-
schrift „Der Chirurg“ in Heft 9/2010.
Die Schwerpunkte des Leitthemenheftes
sind:
- Ethische und rechtliche Voraussetzungen
der Lebendspende
- Lebendspende-Nierentransplantation
- Lebendspende-Lebertransplantation beim
Erwachsenen/beim Kind
- Psychosomatische Aspekte der Leber-
lebendspende
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330 | Der Nephrologe 4 · 2011
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