View
1
Download
0
Category
Preview:
Citation preview
Untervazer Burgenverein Untervaz
Texte zur Dorfgeschichte
von Untervaz
2000
Fremde Kriegsdienste
Email: dorfgeschichte@burgenverein-untervaz.ch. Weitere Texte zur Dorfgeschichte sind im Internet unter http://www.burgenverein-untervaz.ch/dorfgeschichte erhältlich. Beilagen der Jahresberichte „Anno Domini“ unter http://www.burgenverein-untervaz.ch/annodomini.
- 2 -
2000 Fremde Kriegsdienste Dr. Martin Bundi Der Freistaat der Drei Bünde. Seine grosse Bedeutung im europäischen
Geschehen. Dieses Heft ist der Katalog einer Ausstellung in der Chesa Planta Zuoz - Teil II: Fremde Kriegsdienste als ökonomisches und staatspolitisches Phänomen des 15. bis 19. Jahrhunderts. Dr. Martin Bundi, Chur. 1. Auflage, Zuoz 2000. Seite 39-64.
- 3 -
S. 39:
- 4 -
S. 40/41: Fremde Kriegsdienste
als Ökonomisches und staatspolitisches Phänomen des 15. bis 19. Jahrhunderts
Die Gewohnheit oder der Zwang von Gebirgsvölkern, ihre Manneskraft
ausserhalb der Heimat zur Verfügung zu stellen, auch im Kriegsdienst fremder
Herren allenfalls zu sterben, lässt sich weit in der Geschichte zurückverfolgen.
Schon unter der Herrschaft des römischen Kaisers Antoninus Pius standen
militärische Verbände aus den rätischen Alpen in ausländischem Dienst. Das
Schweizerische Landesmuseum bewahrt ein Militärdiplom eines Soldaten der
1. Rätischen Kohorte, ausgestellt in Rom 148 nach Chr. Dieser «Bündner»
Veteran hatte seinen Dienst in Kleinasien geleistet.
Übersicht
Kriegsdienste von Bündnern sind seit dem 14. Jahrhundert am Alpensüdfuss
bekannt. Seit dem ausgehenden 15. Jahrhundert kennt man die vertraglichen
Abmachungen, die ersten mit Frankreich. In sogenannten Militär-
kapitulationen, auch Allianzen oder Soldverträge genannt, wurde den Söldnern
ein rechtliches Statut eingeräumt. Indem die Konventionen vom Staate
ausgehandelt wurden, stand diesem in der Folge auch die Überwachung des
Vertragsinhalts und ein Einnahmeanteil zu. Im Laufe des 16. Jahrhunderts
entwickelte sich dieses System zu dreierlei Arten von Auszahlungen von
Seiten fremder Fürsten: Einmal zur Zahlung von vertraglich festgelegten
Soldgeldern an die Kriegsdienstleistenden, dann zur Leistung der ebenfalls
vertraglich vereinbarten Jahrgelder an den Staat (Annaten) und drittens zur
Zahlung von geheimen oder offenen Geldern (Schmiergelder) an einflussreiche
Personen, um den Vertragsabschluss zu erlangen: diese letzte Art nannte man
Pensionen.
Wie die Eidgenossenschaft erweiterte auch der Freistaat der Drei Bünde vom
16. Jahrhundert an sein Angebot von Söldnern über Frankreich hinaus auf alle
benachbarten Staaten (Österreich 1500/1518, Venedig 1512/1603) und darüber
hinaus (Spanien 1639, Niederlande 1693, Savoyen oder Sardinien-Piemont
1733, Neapel 1825).
- 5 -
Diese Kriegsdienste standen in Einklang mit dem internationalen Kriegsrecht
und mit der damals gültigen Auffassung von der Neutralität, welche die
Eidgenossenschaft und Graubünden um 1700 nach aussen bekundeten. Sie
mussten lediglich die Bedingung einhalten, die europäischen Staaten und
Fürsten möglichst gleichmässig mit Söldnern zu bedienen.
Die Bundesverfassung von 1848 verbot alle Arten von Söldnerdiensten.
Trotzdem wurden solche von einzelnen Kantonen noch weiter toleriert. Diese
Kriegsdienste wurden aber seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert einer stets
heftiger werdenden Kritik unterzogen. Immer mehr Demokraten verstanden es
nicht mehr, dass sich Schweizer zur Unterstützung von reaktionären Fürsten
und Monarchien und gegen die Freiheitsbestrebungen von ganzen Völkern zur
Verfügung stellten. Die letzten kapitulierten Truppen der Schweiz wurden
1861 in Neapel aufgelöst. In den vergangenen hundert Jahren begaben sich
Schweizer nur noch sporadisch - illegal, allfällige Strafen in Kauf nehmend in
den Kriegsdienst fremder Staaten, wie z. B. in die Französische Fremdenlegion
oder in den Spanischen Bürgerkrieg (1936-1939).
Die Schweiz als Jungfrau, umworben von den europäischen Mächten. Von rechts: Der Doge von Venedig, der König von Frankreich, der Kaiser des Deutschen Reiches. Links: der Herzog von Savoyen, Österreich und Preussen. Gemälde aus dem Jahre 1650. Bild: Schweiz. Landesmuseum
- 6 -
Erneuerung des Bündnisses zwischen Ludwig XIV. von Frankreich und den Gesandten der Eidgenossen 1663. Ausschnitt aus einem Gobelin. Paris, um 1665. Bild: Schweiz. Landesmuseum
Grundzüge einer Militärkapitulation
Im Spätmittelalter herrschte das System der freien Anwerbung von Söldnern
vor. Man sprach vom ungeordneten Reislaufen oder von «wilden»
Kriegsdiensten. Die Stellung des einzelnen Söldners war eine sehr unsichere.
Mit den vertraglichen Militärkapitulationen kam eine gewisse Ordnung in die
Werbung und in die Aufstellung von Regimentern und Kompanien. Die
schweizerischen und bündnerischen Militärverbände im Ausland standen
nunmehr unter einheimischen Offizieren und eigenem Disziplinar- und
Kriegsrecht.
S. 42: Einer der ersten umfassenden Soldverträge des Dreibündestaates war die
Kapitulation von 1509 mit Frankreich. Ihr Inhalt war im Wesentlichen der
folgende: Zunächst wird bestimmt, dass Frankreich ungehindert im ganzen
Gebiet der Drei Bünde Söldner anwerben kann, soweit ihrer Frankreich bedarf
und es die Drei Bünde verantworten können (eine Höchstzahl ist nicht
namentlich genannt). Frankreich wird Bündner als Hauptleute dieser Truppe
bestimmen, soweit solche zur Verfügung stehen.
- 7 -
Die Werbung wird nicht zugelassen, wenn die Drei Bünde von Krieg bedroht
sind. Bündner Söldner dürfen weder auf dem Meere noch jenseits des Meeres
eingesetzt werden. Frankreich zahlt jedem Söldner jeweilen während eines
vollen Jahres einen monatlichen Sold von sechs Franken, beginnend mit dem
Tage der Musterung, wer gegen den Willen Frankreichs in dessen Kriegsdienst
tritt, erhält keinen Sold. Die Drei Bünde versprechen freien Durchgang für
französische Söldner aus anderen Regionen durch ihr ganzes Gebiet, sie lassen
es nicht zu, dass eigene Söldner für eine feindliche Macht Frankreichs
kämpfen. Für den Fall, dass Graubünden während des gegenwärtigen Krieges
von jemandem angegriffen würde, wird ihm Frankreich zu Hilfe kommen.
Sollte Frankreich durch eigenen Krieg verhindert sein, Hilfe zu leisten, würde
es den Drei Bünden in Mailand besondere Geldzahlungen zukommen lassen.
Hinsichtlich Pensionen oder Jahrgelder wird der Dreibündestaat wie drei
eidgenössische Orte behandelt, d.h. jeder der Drei Bünde erhält 2000 Franken
jährlich der Dreibündestaat insgesamt also 6000 Franken. Frankreich sichert
im Weiteren den Drei Bünden die gleichen Zollvergünstigungen am
Alpensüdfuss zu, wie sie die Bündner im früheren Herzogtum Mailand seit
dem 15. Jahrhundert genossen: Zollfreiheit für den Import von Wein, Getreide
und andere Handelsware für den Eigengebrauch. Das Bündnis ist auf zehn
Jahre abgeschlossen. Wenn Frankreich mit seinen Feinden Frieden schliesst,
werden die Drei Bünde darin auch eingeschlossen. Beide Bündnispartner
behalten sich in diesem Bündnis Papst Julius und ihre eigenen Verbündeten
vor.1
Dieser Soldvertrag war zugleich ein politisches Bündnis. Es enthielt Zündstoff
für Implikationen. Die Bedingungen genau einzuhalten, fiel beiden Partnern
schwer. Die Praxis zeigte, dass Frankreich die Zahlungsverpflichtungen nicht
immer regelmässig erfüllte und dass die Drei Bünde das Versprechen, keine
Söldner an mit Frankreich verfeindete Mächte zu liefern, nicht allzu Ernst
nahmen. - Interessant ist der Werdegang dieser Kapitulation, der drei Phasen
aufweist:
a) Nachdem Frankreich sein grundsätzliches Interesse am Abschluss einer
Vereinbarung bekundet hatte, schickte es einen Gesandten in die Drei Bünde,
der einen Vertragsentwurf mit einer Bündner Deputation diskutierte.
- 8 -
An einem Bundestag in Ilanz am 4. Juni 1509 wurde dieser Vertrag angepasst
und grundsätzlich gutgeheissen sowie eine Gesandtschaft zum französischen
König bestimmt, die den Vertrag endgültig aushandeln sollte.
b) Die siebenköpfige Gesandtschaft nach Oberitalien, wo sich der französische
König Ludwig XII. aufhielt, wurde von Rudolf von Marmels, alt
Bürgermeister der Stadt Chur, geleitet und setzte sich im Übrigen aus je zwei
Vertretern der Drei Bünde zusammen: Hercules von Capol, Landvogt zu
Fürstenau, und Jacob Castelmur, Landammann des Bergells, für den
Gotteshausbund, Johann Janick von Ilanz, alt Landrichter, und Sebastian
Marugg, Ammann zu Thusis und am Heinzenberg, für den Grauen Bund,
Nicolaus Beeli, Landammann von Davos und Martin Seger, Landvogt von
Maienfeld, für den Zehngerichtenbund. Diese sieben hochkarätigen Gesandten
paraphierten in Cremona am 24. Juni den definitiv ausgehandelten Vertrag,
welcher mit dem königlichen Siegel beglaubigt wurde.
c) Die Ratifikation der Kapitulation bündnerischerseits erfolgte durch den
Bundestag zu Chur vom 17. Juli 1509.
Das Beispiel zeigt, wie die Republik der Drei Bünde, ein auf dem
Volksreferendum gründendes direkt-demokratisches Staatswesen, schon früh
eine Praxis entwickelte, ihre Aussenpolitik im Rahmen ihrer eigenen
Bedürfnisse und unter der Beachtung der Spielregeln der internationalen
Diplomatie recht speditiv und geschmeidig abzuwickeln.
S. 43: Militärdiplom und Medaillon des Kaisers Antonius Pius
Bürgerrechtsverleihung und Entlassungsurkunde für einen Soldaten der 1.
Rätischen Kohorte, ausgestellt in Rom 148 n. Chr.
Die römischen Legionssoldaten erhielten bei der Entlassung aus dem aktiven
Dienst eine Abfindung in Geld oder Landbesitz. Die Soldaten der Hilfstruppen
dagegen waren meist Männer aus den unterworfenen Gebieten und demzufolge
ohne römisches Bürgerrecht. Ihnen wurde nach 25-jähriger Dienstzeit das
Bürgerrecht und Eherecht verliehen («Militärdiplom»).
- 9 -
Die Verleihung des Bürgerrechts war eine staatliche Verfügung, die in Rom
öffentlich angeschlagen wurde. Dem Begünstigten wurde eine Abschrift des
kaiserlichen Erlasses auf zwei versiegelten Bronzeplatten ausgehändigt,
aufklappbar nach Art der Diptychen. Die Echtheit des Aussentextes konnte
amtlich geprüft werden durch Aufbrechen des Siegels und durch Vergleich mit
dem Innentext, der identisch sein musste.
Dem Schweizerischen Landesmuseum ist es gelungen, eine nahezu
vollständige Tafel eines solchen Militärdiploms aus dem Kunsthandel zu
erwerben. Anlass zum Kauf war die Tatsache, dass das Diplom die 1. Rätische
Kohorte (Cohors Prima Raetorum) namentlich nennt.
Diese Truppeneinheit ist in dem unter Augustus 15 v. Chr. eroberten rätischen
Raum (= Ostschweiz/Graubünden, Vorarlberg, westbayerischer Alpen- und
Voralpenraum) ausgehoben und als Hilfstruppe dem römischen Heer
eingegliedert worden. Ihre Spuren finden sich fortan an den Nordgrenzen des
Imperiums, später im Donaugebiet und schliesslich im 2. Jahrhundert in
Kleinasien.
- 10 -
Die ursprüngliche Mannschaft bestand aus Teilen der unterworfenen rätischen
Jungmannschaft. Später wurde der Bestand durch Rekrutierung neuer Soldaten
auch aus dem jeweiligen Garnisonsraum erneuert und ergänzt.
Das Militärdiplom ist durch die Nennung der 1. Raeter Kohorte ein Zeugnis für
die Eingliederung junger rätischer Männer ins römische Heer und für deren
Einsatz im weiten Raum des römischen Weltreiches.
Dem kostbaren Dokument kommt gesamtschweizerische Bedeutung zu. Es ist
für die Kulturgeschichte von internationalem Wert. Zur Zeit kennen wir etwa
160-180 solcher Militärdiplome, meist nur sehr kleine Fragmente bis zu 1 cm
Grösse. Nur 20-30 Tafeln sind mehr oder weniger vollständig erhalten.
Urkundentext in deutscher Übersetzung
«Der Kaiser, Sohn des vergöttlichten Hadrian, Enkel des vergöttlichten Trajan,
des Parthersiegers, Urenkel des vergöttlichten Nerva, Titus Aehus Hadrianus
Antoninus Pius, zum 11. Mal in der tribunizischen Gewalt, Imperator zum 2.,
Konsul zum 4. Mal, Vater des Vaterlandes. Den Fusssoldaten, die in der 1.
Räterkohorte (In Cohorte prima Raetorum) gedient haben, welche unter dem
Statthalter Flavius Tertullus in Asia unter dem Kommando des Praefekten
Flavius Julianus stehen und die nach 25 oder mehr Dienstjahren ehrenvoll
entlassen wurden. Denjenigen, deren Namen nachstehend verzeichnet sind,
wird das römische Bürgerrecht, soweit sie es noch nicht haben, verliehen.
Ferner das Recht auf legale Ehe mit ihren Frauen, die sie bereits haben,
einschliesslich Verleihung des Bürgerrechts an diese, desgleichen den Frauen,
die sie später ehelichen, aber jeweils nur einer einzigen. Gegeben unter dem
Konsulat des Marcus Antonius Zeno und des Gaius Fabius Agrippinus dem
Soldaten Lualis, Sohn des Mama aus Isauria. Verzeichnet und bekanntgemacht
auf einer Erztafel, welche zu Rom hinter dem Tempel des vergöttlichten
Augustus zum Minervatempel hin befestigt ist.
(Text gemäss Info-Blatt Schweiz .Landesmuseum)
- 11 -
S. 44:
«Erbeinigung» zwischen Kaiser Maximilian I. einerseits und dem Bischof von Chur und den Drei Bünden andererseits, vom 15. Dezember 1518. Ausschnitt aus dem Text der Originalurkunde. Bild: Staatsarchiv Graubünden, Chur
Anwerbung von Soldaten für Holland. Das vorliegende Gemälde von Amsterdam, das sich im sogenannten «Rekrutierungszimmer» der Chesa Poult in Zuoz befindet, diente einst als Anregung zum Solddienst. Foto: Rutz KAG, Samedan
- 12 -
S. 45:
Bündnis zwischen König Ludwig XII. von Frankreich und den Drei Bünden, abgeschlossen zu Cremona am 24. Juni 1509. Siegel des französischen Königs in Kapsel und Holzdeckel. Bild: Staatsarchiv Graubünden, Chur.
Neu-Haldenstein. Nach einer Zeichnung von J. R. Rahn, ca. 1880. Im Dorf Haldenstein liegt die in den Jahren 1544-1548 von Joh. Jakob Castion, Gesandter Franz I., Königs von Frankreich bei den Drei Bünden, errichtete Schlossanlage.
S. 46: Abkommen zwischen Republiken
Während die meisten Militärkapitulationen ein Verhältnis zwischen dem
Dreibündestaat und europäischen Monarchien regelten, ragen die beiden
Bündnisse mit Venedig und mit den Niederlanden als Spezialitäten hervor,
weil sie die einzigen europäischen republikanischen Staatswesen betrafen - mit
Ausnahme der Eidgenossenschaft, mit welcher Graubünden als zugewandter
Ort Verbündet war.
- 13 -
Bündnis mit Venedig vom 5. August 1603
Schon seit dem ausgehenden 15. Jahrhundert sind Bündner Solddienste in der
Republik Venedig bekannt. Seit 1512, als die Drei Bünde das Veltlin
erwarben, grenzten sie an die beiden Provinzen von Brescia und Bergamo des
venezianischen Territoriums, waren also Grenznachbarn Venedigs geworden.
Nach vielen Ansätzen gelang es, 1603 ein militärisches, politisches und
wirtschaftliches Bündnis abzuschliessen. Einleitend wird darin betont, dass
beide Republiken in allen Dingen gute Freundschaft und Nachbarschaft halten
wollen, wie sich dies zwischen guten und redlichen Freunden und Verbündeten
geziemt. Die wichtigsten Punkte sind alsdann: Venedig ist befugt, in den Drei
Bünden zwischen 1000 bis 6000 Söldner anzuwerben, die unter eigenen
Obersten stehen, diese sind verpflichtet, im ganzen Gebiet der Terra firma zu
dienen, dürfen aber weder beim Sturm auf Festungen noch auf dem Meere mit
Ausnahme des Transits - verwendet werden. Sollte der Fall eintreten, dass
Frankreich von den Eidgenossen und Bündnern, auf Grund der mit ihnen
geschlossenen Kapitulation von 1602, alle dort vorgesehenen 16'000 Mann
oder mehr benötigte, würde sich Venedig mit der Höchstzahl von 4'000
Bündnern begnügen, damit der Dreibündestaat nicht unangemessen in seiner
Sicherheit beeinträchtigt wird. Wenn Venedig in Graubünden Truppen
aushebt, zahlt es den Hauptleuten für die Anzahl von 300 Soldaten den Sold
monatlich zum voraus, die angeworbenen Truppen haben sich innert zehn
Tagen auf venezianisches Gebiet zu verschieben. Jeder Söldner verpflichtet
sich zu einem mindestens dreimonatigen Dienst, ein zusätzlicher Ehrensold
wird im Falle eines Sieges in Aussicht gestellt. Die Feldkompanien im
Verband eines Obersten dürfen nicht unter 2'000 Soldaten vermindert werden.
Die Bündner Obersten und Hauptleute haben dem Generalhauptmann,
-gouverneur oder -proveditor zu gehorchen. Im Falle, dass der Freistaat der
Drei Bünde von Feinden angegriffen würde, kann er die im Dienste Venedigs
stehenden Truppen - bei Ausgleichung des ausgerichteten Soldes -
zurückberufen. Venedig richtet für jede Kompanie von 300 Mann (Offiziere
inbegriffen) monatlich 1700 Dukaten aus, dazu 100 Dukaten monatlich einem
oder zwei Obersten und 200 Dukaten für Offiziere, die ein Oberst zusätzlich
im ganzen Regiment benötigt. Soldaten, die erkranken, werden bis zur neuen
Zahlung bezahlt und erhalten dazu einen Zehntagessold, um nach Hause
zurückkehren zu können.
- 14 -
Bei den Aushebungen ernennt Venedig die Obersten und Hauptleute, welche
aus den Drei Bünden gebürtig sein müssen, diese ihrerseits bezeichnen in
eigener Kompetenz die Subalternoffiziere. Beide Partner gewähren einander
den freien Transit ihrer Truppen und verhindern denselben für ihre Feinde.
Neben diesen militärischen Bestimmungen enthält das Bündnis noch Artikel
über den gegenseitigen freien Handel und Wandel der Landsleute der beiden
Republiken in ihren Gebieten, die Religionsfreiheit und Schutz vor der
Inquisition für ihre Angehörigen daselbst, die gegenseitige Auslieferung von
Verbrechern sowie Privilegien im Handel mit Korn und Salz.2
Das Bündnis, welches insgesamt für Graubünden ausserordentlich günstige
Bedingungen enthielt, war auf zehn Jahre abgeschlossen. - Es erfuhr wegen der
beginnenden Bündner Wirren 1613 keine Verlängerung. Erst 1706 wurde es
mit fast gleichem Inhalt erneuert. Aus Verschulden der Drei Bünde kündigte
Venedig dasselbe 1764, was 1766 zur «Vertreibung» von mehr als tausend
gewerbetreibenden Bündnern aus Venedig führte.
S. 47:
Bündnis von Venedig mit den Drei Bünden vom 5. August 1603. Siegel Venedigs an roter geflochtener Seidenschnur: Vorne der Doge rechts, dem Stadtheiligen S. Marco gegenübergestellt hinten die Inschrift: Marinus Grimano, von Gottes Gnaden Doge der venezianischen Republik. Bild: Staatsarchiv Graubünden, Chur
- 15 -
S. 48: Die Defensivallianz zwischen Graubünden und Holland 1713
Ein Regiment von Bündner Soldaten, vorwiegend reformierter Herkunft, stand
seit 1693 im Dienste der 1614 unabhängig gewordenen und republikanisch
geordneten Generalstaaten der Niederlande, kurz Holland genannt. Es diente
dort hauptsächlich zur Abwehr der Aggression von Seiten Frankreichs. Das
Bündnis von 1713 hatte zum Zweck, einerseits die militärische Unterstützung
durch die Drei Bünde zur Behauptung der holländischen Unabhängigkeit
besser abzusichern und andererseits die Stellung und Fortdauer des Bündner
Regiments in Holland langfristig zu verankern. Im ersten Artikel verpflichten
sich die beiden Partner, einander mit allen möglichen guten Diensten
beizustehen und im Angriffsfalle Hilfe zu leisten. Holland darf die Bündner
zur Verteidigung seines Territoriums und auch zur Verteidigung von
englischen Besitzungen auf dem Kontinent verwenden. Die Drei Bünde
verpflichten sich, ihre zehn in Holland weilenden Kompanien weiterhin im
Dienste der Generalstaaten zu belassen und gestatten den Hauptleuten, die
notwendigen Aushebungen in ihrem Gebiet vornehmen zu lassen. Sie erlauben
Holland, weitere 2'000 Mann anzuwerben für den Fall, dass Holland
angegriffen oder bedroht würde. Sie dürfen im Falle eigener Bedrohung einen
Teil der Truppen zurückrufen und werden zudem noch von Holland mit Geld
unterstützt. Die zehn Bündner Kompanien in holländischem Dienst dürfen in
Friedenszeiten auf 150 Mann reduziert werden, sie unterstehen alle Bündner
Hauptleuten.3
Diese Allianz bildete die Basis für über 100-jährige Beziehungen zwischen
Holland und Graubünden, die nicht allein militärischer Natur waren, Bündner,
die ihren Solddienst quittierten, erhielten Gelegenheit, in den «holländischen
Steüben» ein Handwerk zu erlernen. Die wirtschaftliche und kulturelle
Komponente war denn hier wie im Falle von Venedig - von unschätzbarem
Wert.
- 16 -
S. 49:
Allianz der Generalstaaten der Vereinigten Niederlande vom 9. April 1713 mit den Drei Bünden. Grosses Siegel der Niederlande an gold und rot geflochtener Seidenschnur, in Silberkapsel, mit der Inschrift: «Durch Eintracht wachsen (auch) kleine Staaten».
Drei kleinere Siegel des Grauen-, Gotteshauses- und Zehngerichtenbundes (Gravuren). Bilder: Staatsarchiv Graubünden, Chur
S. 50: Zur Präsenz von Bündner Söldnern im Ausland
Es gibt bis heute keine Untersuchungen über die genaue Anzahl von
Kriegsdienstleistenden im Ausland. Diese Genauigkeit lässt sich vermutlich
auch nie erreichen. So ist man auf Angaben von Chronisten und
Zusammenstellungen von Historikern angewiesen.
- 17 -
Diese ergeben die folgende Übersicht:
Um 1572 soll der Dreibündestaat gemäss dem Chronisten Hans Ardüser
13'000 Mann «erwählt und zum Kriege verfasst gemacht» haben. Diese Zahl
widerspiegelt aber lediglich die waffenfähige Mannschaft und darf nicht mit
der Zahl der im Ausland Dienstleistenden identifiziert werden.
Um 1640, ein Jahr nach Beginn der «kapitulierten» Bündner Kriegsdienste mit
Spanien, standen 4'300 Mann in dessen Dienst. Es handelte sich um 20
Bündner Freikompanien, die unter dem Kommando von Leganés in
Oberitalien in spanischem Solde standen. Vom Total der spanischen Truppen
daselbst war jeder Siebente ein Bündner.
Friede und Bündnis König Philipps IV. von Spanien mit den Drei Bünden vom 3 September 1639. Siegel an geflochtenen Schnüren in den Landesfarben, in Blech- und Messingkapseln: Von links nach rechts. Grauer Bund, Gotteshausbund, Zehngerichtenbund, König von Spanien. Bild: Staatsarchiv Graubünden, Chur
S. 51: Im Jahre 1696, vor Beginn des Spanischen Erbfolgekrieges, standen folgende
Kontingente in ausländischem Solde:
In Französischem Dienst:
1 Regiment Salis 2'400 Mann
2 Kompanien im Regiment Gardes Suisses 400 Mann
4 Freikompanien 800 Mann
6 Kompanien in den Regimentern Greder, Stuppa und Diesbach 1'200 Mann
- 18 -
In Holländischem Dienst:
1 Regiment Capol 1'600 Mann
In Spanischem Dienst:
1 Regiment Albertini 2'400 Mann
Insgesamt 8'800 Mann
Im Jahre 1743, zu Beginn des Österreichischen Erbfolgekrieges, befanden sich
folgende Bestände im Ausland:
In Französischem Dienst:
1 Regiment 2'100 Mann
1 Bataillon in der Garde Suisse 700 Mann
1 Freikompanie Travers 50 Mann
In Österreichischem Dienst:
1 Regiment 2'400 Mann
In Holländischem Dienst:
1 Regiment 2'400 Mann
In Spanischem Dienst:
4 Kompanien im Schweizer Regiment 600 Mann
In Piemonter Dienst:
1 Regiment 2'100 Mann
Insgesamt4 10'350 Mann
Auf dem Höhepunkt der fremden Kriegsdienste machte der Anteil der Söldner
im Ausland zwischen 12 und 15 Prozent der Wohnbevölkerung aus. Zusätzlich
befanden sich periodisch noch bis zu etwa 10% handel- und gewerbetreibende
Bündner im Ausland. Dies bedeutete einen erheblichen Aderlass für die
einheimische Volkswirtschaft, der aber weitgehend durch einen Ressourcen-
Rücktransfer kompensiert wurde.
- 19 -
S. 52:
Quelle: Stadtarchiv Chur
- 20 -
S. 53:
Ein ander schön Gesang oder Gedicht XXXVII Von dem fröhlich auszug der
Reformierten Pündtner zu dem könig in England wie folgt
Mit freuden will ich singen ein nüw liedelein
Gott helf' das mir mög lingen dem frommen insgemein,
dem grossen Gott zu Ehren, der Religion zu guot,
den Glauben zu vermehren, sing ich aus frischem Muoth.
So hörend all insgemeine, was ich jetzund sing,
Ihr sygend gross und kleine nun merket wunders ding
was sich hat zugetragen.
Konrad Michels von der Buocha (aus Buchen i. Pr.) Lied über den Auszug des ersten Bündner Regiments 1693 in den holländischen Kriegsdienst.
- 21 -
S. 55: Vor- und Nachteile des Solddienstes
Die Beurteilung der fremden Kriegsdienste durch Zeitgenossen und durch
spätere Beobachter der Szene fiel nicht einheitlich aus. Allgemein wird
anerkannt, dass die jungen Bündner in Zusammenhang mit dem ausländischen
Solddienst auch Möglichkeiten erblickten, einer anderen Beschäftigung als in
der Landwirtschaft nachzugehen. Gelegenheiten, im eigenen Land ein
Handwerk zu erlernen und auszuüben oder sich in Manufakturbetrieben zu
betätigen, waren in den Gebirgstälern selten. Als die Industrie in Graubünden
in Ansätzen aufkam, stand den jungen Leuten die Neigung nicht danach. Sie
zogen den Dienst in der Fremde vor. Tatsächlich hatte der einfache Söldner
kaum eine Chance, zu Geld zu kommen, eher aber, es zu verschlagen. Nur «bei
Sparsamkeit konnte er sich auch in untergeordneter Stellung mehr verdienen
als zu Hause. Hingegen hatte er Gelegenheit, fremde Länder, Sitten und
Sprachen kennen zu lernen, häufiger sogar eine bessere Schule zu benutzen als
in seiner Heimatgemeinde.»5
Viele jedoch starben auf ausländischen Schlachtfeldern, andere gelangten
krank oder invalid nach Hause. Manche Volkslieder drücken den Schmerz des
in den Kriegsdienst Scheidenden aus und begründen den Zwang zum
Söldnertum mit der materiellen Armut oder Arbeitslosigkeit in der Heimat.
Wem brachte der fremde Kriegsdienst Vorteile? - Beim gemeinen Soldaten
mochte die Rechnung, sofern er lebend und gesund zurückkehrte,
einigermassen aufgehen. Erspartes blieb kaum übrig. Für ihn waren
Aufstiegsmöglichkeiten in der militärischen Laufbahn praktisch verschlossen,
denn dazu brauchte es Ausbildung, Sprachkenntnisse und Beziehungen.
Eigentliche Vorteile brachte der Solddienst in erster Linie den Mitgliedern
prominenter Familien, der Aristokratie. Diese bestiegen in Kürze die Leiter der
Offiziersstellen, genossen gesellschaftliches Ansehen und bezogen höhere
Soldansätze. So war es ihnen möglich, Vermögen anzuhäufen. Daraus wurde
oft in der Heimat investiert. Manche schöne Bürgerhäuser und Paläste sind mit
dem so gewonnenen Geld gebaut worden. Verschiedene Offiziere widmeten
sich nach dem Rückzug in die Heimat der dortigen militärischen Ausbildung
der Jugend. In Ausnahmefällen bereicherten sie ihre Region auch mit
kulturellen Zuwendungen, wie es das Beispiel des aus holländischem
- 22 -
Solddienst zurückgekehrten Balthasar Planta kurz nach 1700 beweist, der seine
Heimatgemeinde Zuoz mit einer Reihe von kostbaren holländischen
Musikdrucken beschenkte, Werke von niederländischen und italienischen
Komponisten des 16./17. Jahrhunderts, die über längere Zeit den
Kirchengesang im Engadin prägten.6
Zu den Kritikern der fremden Kriegsdienste gehörten seit dem 16. Jahrhundert
Vertreter der Kirche, insbesondere der reformierten. Die Prädikanten geisselten
den vom Solddienst importierten Sittenzerfall, der sich in Fluchen und Lästern,
Würfelspiel und Tanz, Prassen und Trinken, in der Kleidermode und in der
Geldgier äusserte. Das Pensionenwesen und die Korruption unterhöhlten ihrer
Meinung nach die staatliche und kirchliche Autorität. Doch ihre Stimmen
verhallten zumeist ungehört vor den individuellen Gewinnaussichten und der
Staatsraison.
S. 56:
Ferdinand Hodler. Kämpfender Krieger. Verwundeter Krieger Kunstmuseum Genf Kunstmuseum Genf
Löwendenkmal in Luzern. 1821 zur Erinnerung an die Schweizergarde in Paris errichtet. aus «Die Schweiz 1830», Pharos Verlag Basel
- 23 -
S. 57: Als die fremden Kriegsdienste auch nach der neuen Bundesverfassung nicht
aufhören wollten, holte Johann Bartholome Caflisch, liberaler Politiker und
späterer Nationalrat, noch 1849 zu einer massiven Kritik aus. Nach ihm waren
diese Dienste eines republikanischen Staates nicht würdig. Insbesondere der
Schweiz, der Quelle und Hüterin der Freiheit, musste es, so meinte er, in ihrem
innersten Lebenselement zuwider sein, «wenn ihre Söhne sich zu Stützen
ausländischer Throne verdingen und für absolutistische Prinzipien ihr Leben in
die Schanze schlagen. Es liegt in dieser Tatsache eine Verleugnung der
eigenen republikanischen Existenz, welche sich am Vaterlande schon jeher in
mannigfacher Form gerächt hat»7
Gemäss Caflisch waren die fremden Militärdienste schon immer eine
Pflanzschule aristokratischer Gesinnung unter dem Offizierskorps, diese habe
schon oft einen Hemmschuh für die Entwicklung der Volksinteressen
abgegeben, während der gemeine Soldat sich gewöhnt habe, sich der Richtung
eines Vorgesetzten blindäugig unterzuordnen.
Derart kritische Stimmen waren vor diesem Zeitpunkt kaum zu vernehmen
gewesen, sie konnten im Zeitalter des Liberalismus aber auch freimütiger
geäussert werden.
Zum Schluss drängt sich die Frage auf, inwieweit die vom 15. bis zum 19.
Jahrhundert währenden fremden Kriegsdienste den Volkscharakter von
Schweizern und Bündnern mitgeprägt haben! Haben sie die stark
militaristische Ausrichtung unseres Milizheeres und unserer Gesellschaft in der
ersten Hälfte des 20. Jahrhundert mitbeeinflusst? Und inwieweit liegt einem
den Schweizern angedichteten Streben nach Geldbesitz in Verbindung mit der
früher im Ausland zirkulierenden Redewendung von «Point d'argent, point de
Suisses» tatsächlich eine schweizerische Eigenschaft zugrunde? Diese Fragen
können hier nur angedeutet werden, müssen aber vorläufig unbeantwortet im
Raume stehen bleiben. Dr. Martin Bundi, Chur
Aus Platzgründen konnten nicht alle Bilder aufgenommen werden. Im Bedarfsfalle ist das Original beizuziehen. (Kantonsbibliothek Chur: Sign. KBG Bz 1208 (6A-6B)
- 24 -
S. 63:
Fahne des Regiments Salis-Marschlins im Schweiz. Landesmuseum, Zürich.
Anmerkungen zu den Fussnoten 1 Bündnis Zwischen Ludwig XII. und den Drei Bünden, von Constanz Jecklin
publiziert in: JHGG 1891, S. 71-77. 2 Text des Bündnisses vom 5. August 1603 in: I primi rapporti tra i Grigioni e Venezia
nel secolo XV e XVI, von Martin Bundi. Chiavenna 1996, S. 132-138. 3 Bundi, Martin, Bündner Kriegsdienste in Holland um 1700, Chur 1972, S. 82-85. 4 Vgl. Angabe in: Sprecher/Jenny: Kulturgeschichte der Drei Bünde im 18.
Jahrhundert, Chur 1951, S. 234 und 247. 5 Caflisch, J. B. Ein Beitrag zur Kenntnis der Zustände mit besonderer
Berücksichtigung der Auswanderung. Chur 1849, S. 2. 6 Bundi, Gian. Auswanderung und heimische Kultur in Bünden, in: Der Bund 1925,
Nr. 531. 7 Caflisch, Ein Beitrag zur Kenntnis, S. 2.
Dr. Martin Bundi, 7000 Chur
Internet-Bearbeitung: K. J. Version 05/2014
- - - - - - - -
Recommended