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Harald Gündel Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie
Universitätsklinikum Ulm
Wann macht Arbeit krank – und wann hält Sie gesund?
Psychische Gesundheit bei der Arbeit im Spannungsfeld zwischen Organisation und Individuum
Universitätsklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie
Hollederer - Vortrag SBG II Bundeskongress - 2007
Gesundheitszustand arbeitsloser Menschen in Deutschland
Krankenhaustage nach ICD 10 Diagnosekapiteln Berufstätiger und Arbeitsloser, altersstandardisiert (GEK 2000)
Grobe & Schwartz - Gesundheitsberichterstattung des Bundes, 13 - 2003
Frauen Männer
Gesundheitszustand arbeitsloser Menschen in Deutschland
• Arbeit strukturiert den Tag und den ganzen Menschen,
• stiftet (Lebens-)Sinn
⇒ Arbeit hält gesund
⇒ Nur unter speziellen Bedingungen kann Arbeit zur seelischen oder körperlichen Erkrankung beitragen
⇒ Dann nicht selten Kombination aus privater und beruflicher Belastung
Anforderungs-Kontroll-Modell (Karasek)
Missverhältnis zwischen • hohen Anforderungen durch die Arbeit • niedriger Kontrollmöglichkeit in der Arbeit (wenig
Entscheidungsspielraum, geringe berufliche Qualifikation)
Geringe soziale Unterstützung
Anforderungs-Kontroll-Modell (Karasek)
Gratifikationskrisenmodell (Siegrist)
Missverhältnis zwischen • Verausgabung
(geforderte berufliche Leistungen) • „Belohnungen“:
– Bezahlung – Wertschätzung – Beruflicher Aufstieg und/oder Arbeitsplatzsicherheit
Persönlichkeit: Gesteigerte Verausgabungsneigung (Overcommitment)
(Siegrist, 1996, 1999)
Gerechtigkeit
Gerechtigkeit in Entscheidungsprozessen
Procedural justice
(1) Teilhabe an Entscheidungen (Procedures are designed to hear the concerns of all those affected by the decision)
(2) Entscheidungen basieren auf richtigen und umfassenden Informationen (Procedures are designed to collect accurate information necessary for making decisions)
(3) Zustimmung oder Ablehnung der Entscheidung ist möglich (Procedures are designed to provide opportunities to appeal or challenge the decision)
(4) Entscheidungen basieren auf standardisierten Prozessen (Procedures are designed to generate standards so that decisions can be made with consistency)
Kivimäki et al, OEM, 2003
Gerechtigkeit durch den Vorgesetzten
Relational justice
(1) Sichtweise des Mitarbeiters wird berücksichtigt (Your supervisor considers your viewpoint).
(2) Persönliche Befangenheit/Voreingenommenheit wird zurückgestellt (Your supervisor is able to suppress personal biases)
(3) Freundlicher und überlegter Umgang mit dem Mitarbeiter (Your supervisor treats you with kindness and consideration)
(4) Vertrauensverhältnis zu Mitarbeiter (Your supervisor takes steps to deal with you in a truthful manner).
Kivimäki et al, OEM, 2003
09.07.2010:
„Stress macht viele Arbeitnehmer krank“ „Die seelischen Störungen liegen … mittlerweile an vierter Stelle bei den
Ursachen für eine Erkrankung Berufstätiger.“
23.03.2010:
„Mehr seelische Erkrankungen durch Stress im Job“ „Stress, wenig Lob und Geld: Bereits elf Prozent aller Fehltage werden
durch psychische Krankheiten bedingt.“
Beginn der persönlichen Belastung
Was ist individueller Stress – von der Gesellschaft in die Zelle
Juster et al., 2010
„Irritation“ (Mohr, 2005): Frühe Symptome dauerhaft erhöhter Beanspruchung
Stress
Fehlzeiten
Fluktuation
Leistungsabfall
Betriebliche Folgen
Muskuloskeletale Beschwerden
Psychische Erkrankungen
Koronare Herzkrankheit
Gesundheitliche Folgen
Langfristige Folgen von beruflicher Belastung / Stress
Lieberman & Eisenberger 2009
Mobbing
Mobbing
• eine Person wird sozial isoliert oder ausgeschlossen • ihre Arbeit und Bemühungen werden abgewertet • sie wird bedroht, • in ihrer Abwesenheit werden abfällige Bemerkungen gemacht • u.v.a.
mit dem Ziel, das Opfer zu zermürben oder zu entmutigen
Erleben von Ausgrenzung am Arbeitsplatz
Kivimäki et al.,2003
(2010)
„transcriptional fingerprint of loneliness“
Cole et al., 2007
⇒ Erhöhtes Risiko für entzündlich vermittelte Erkrankungen ⇒ Verminderte Resistenz gegenüber viralen Infekten
Frühe Zeichen (“Warnsymptome”) einer sich entwickelnden psychischen Beeinträchtigung (Depression, beginnende
Alkoholabhängigkeit, ..)
Veränderung der Arbeitsfähigkeit:
Mehr Fehler
Langsamer im Arbeitsablauf
Weniger leistungsfähig
Evtl. unpünktlich
Hektischer, unruhiger, angespannter, gereizter
Misstrauisch
Mehr Fehltage
Unterschiedliche Vulnerabilität: Bsp. IL-6
Cole et al., 2010
Cytokin
Korreliert mit Morbidität und Mortalität: Kardiovaskulär, Neurodegeneration, einige Tumorarten
Reagiert auf Umwelteinflüße: Stress => Erhöhte IL-6 und Biomarker C-RP – Spiegel
IL-6 – Promotor-Polymorphismus: CC – CG – GG
Unterschiedliche genetische Vulnerabilität bei Gene x Social Environment Wechselwirkung
Cole et al., 2010
G-homozygote Personen: Verkürzte Lebenserwartung um 2,8 Jahre, wenn gleichzeitig depressiv
Psychosoziale Belastungen und Herzerkrankungen
INTERHEART-Studie
„Hitliste der koronaren Risikofaktoren“
1. Fettstoffwechselstörung („hohes Cholesterin“) 3. Rauchen 4. Psychosoziale Faktoren: Beruflicher und privater Stress, Depression, mangelnde
Kontrolle privater und beruflicher Lebensumstände, private und berufliche Katastrophen 5. Übergewicht 6. Hochdruck 7. ungesunde Ernährung 8. mangelnde Bewegung 9. Zuckerkrankheit 10. Alkoholabusus
- erklären zusammen 90 % des Herzinfarktrisikos -
Yusuf et al Lancet 2004
Whitehall II Study - Fairness am Arbeitsplatz
und koronare Herzerkrankung
• 6442 männliche britische Beamte (Alter 35-55) • 8.7 Jahre Verlaufsbeobachtung
• Ein hohes Maß an Gerechtigkeit/Fairness am Arbeitsplatz war mit einem um 35% niedrigerem Risiko für eine KHK verbunden im Vergleich zu der Inzidenz von KHK in Gruppe mit geringem oder mittlerem Gerechtigkeitsempfinden
Kivimaki et al Arch Intern Med 2005
Depression und Herz
• Erhöhte Depressivität in einem Kollektiv gesunder Probanden ist assoziiert mit einem erhöhten Risiko für das Erleiden eines Myokardinfarktes und für frühzeitigen Tod. (Barefoot et al., Circulation 1996)
• Das Vorkommen einer Depression ist assoziiert mit einer Progredienz der KHK oder dem Auftreten neuer Infarktereignisse (Barefoot et al., Am J Cardiol. 1996)
Stabile Angina pectoris
wiederkehrender Schmerz in typischen Situationen
Akuter Herzinfarkt
schwere Krankheit, u.U. ohne vorangegangene Beschwerden
Ijzelenberg, W., Burdorf, A., Spine 30 (2005) 1550-1556
Alter „Physische Subj. Mangel Arbeitsbelastung“ an Unterstützung
16-34 35-44 45-65 awkward perceived by by posture load coworkers superior
Emotionale Erschöpfung: Gefühl, durch den Kontakt überbeansprucht und ausgelaugt zu sein
Depersonalisation: Gefühllose und abgestumpfte Reaktionen im Umgang mit den Interaktionspartnern; negative und zynische Einstellungen gegenüber den Klienten
Reduzierte persönliche Erfüllung und Leistungsfähigkeit: Unzufriedenheit mit der eigenen Person, wachsendes Gefühl der Inkompetenz und des Versagens bei der Arbeit mit Menschen
=> Ursprünglich begrenzt auf soziale Berufe, jetzt massive Begriffsausweitung
Psychosomatische Störungen im Betrieb aus Sicht der Betroffenen: Synonym „Burnout“
Maslach und Jackson 1982, 1984
Perspektive von Betroffenem und Arbeitgeber
Bender, 2008
verhaltensbezogen verhältnisbezogen
• Ansatzpunkt: Person
• Ziel: Bewältigung ungünstiger Arbeitssituation fördern
• Maßnahmen: z.B. Konfliktbewältigung, Stressbewältigung
• Vorteil: leichter durchführbar als verhältnisbezogene Maßnahmen
• Nachteil: Wirkungsdauer unklar; „Attributionsproblem“
• Ansatzpunkt: Bedingungen
• Ziel: Ursachen für Stress in der Arbeitssituation beseitigen
• Maßnahmen: z.B. Arbeitsplatzgestaltung, Aufgabenstrukturierung
• Vorteil: Effekte sind strukturell und nachhaltig
• Nachteil: strukturelle Durchführungsprobleme
Interventionen im Betrieb
verhaltensbezogen verhältnisbezogen
• Ansatzpunkt: Person
• Ziel: Bewältigung ungünstiger Arbeitssituation fördern
• Maßnahmen: z.B. Konfliktbewältigung, Stressbewältigung
• Vorteil: leichter durchführbar als verhältnisbezogene Maßnahmen
• Nachteil: Wirkungsdauer unklar; „Attributionsproblem“
• Ansatzpunkt: Bedingungen
• Ziel: Ursachen für Stress in der Arbeitssituation beseitigen
• Maßnahmen: z.B. Arbeitsplatzgestaltung, Aufgabenstrukturierung
• Vorteil: Effekte sind strukturell und nachhaltig
• Nachteil: strukturelle Durchführungsprobleme
Interventionen im Betrieb
Offene Fragen/Forschungsbedarf
• Langzeiteffekte • Effekte auf psychische und körperliche Gesundheit • Effekte auf betrieblicher Ebene
Betriebliche Stressprävention
Fragestellung MAN-GO-Studie
Führt ein
Stressbewältigungstraining
für produktionsnahe Führungskräfte (LKW-Produktion) am Arbeitsplatz
zur anhaltenden Verbesserung von
psychologischer Stressreaktivität (SRS)
physiologischer Stressreaktivität (Cortisol, Amylase)
psychischer Gesundheit (Depression)
Betriebliche Stressprävention - Beispiel „MAN-GO!“
Einzelberatung auf Anfrage möglich
Gesundheitscheck I
(Ein/Ausschluss der Teilnehmer) Au fnahme in die Studie
Randomisierung
Warte-KG (n=87) IG (n=87)
Gesundheitscheck II (nach 12 Monaten)
Gesundheitscheck III nach 2 Jahren (n=64)
Studiendesign
Einzelberatung auf Anfrage möglich
Stressbewältigungstraining + 2 Auffrischungssitzungen
Gesundheitscheck II nach 1 Jahr (n= 75)
Gesundheitscheck II nach 1 Jahr (n=79)
Informationsveranstaltung
Gesundheitscheck III nach 2 Jahren (n=67)
Stressbewältigungstraining + 2 Auffrischungssitzungen
Betriebliche Stressprävention
Stressbewältigungstraining
Ziele • Verbesserung individueller Stressbewältigungsfähigkeiten • Verbesserte Ressourcennutzung
2-tägiges Training 2 „Auffrischungen“ nach ca. 4 und 8 Monaten Gruppengröße 8–12 TN
Betriebliche Stressprävention - Beispiel „MAN-GO!“
Ziele
Verbesserung individueller Stressbewältigungsfähigkeiten Bessere Ressourcennutzung
Inhalte Verbesserte Wahrnehmung körperlicher Anspannung Analyse typischer Stress-Situationen Gemeinsames Problemlösen Ärgerbewältigung Konstruktive Kritik Selbstbehauptung Unrealistische Kontrollbestrebungen Ausbau sozialer Netzwerke
Stressbewältigungstraining
Beschreibung des Kollektivs
174 Teilnehmer, nach 1 Jahr 89%, nach 2 Jahren 76%
Alter: 41 ± 7,8 Jahre
Geschlecht: 98 % Männer
Schulbildung: 57% Hauptschule 19% Mittlere Reife 24% Abitur
BMI ≥ 30: 26% (Bundes-Gesundheitssurvey 1998: 21,8%)
Raucher: 30%
RR : 19% (RR sys > 140 mmHg und RR diast > 90 mmHg)
Sport/Bewegung < 1 h/Woche 36%
Betriebliche Stressprävention - Beispiel „MAN-GO!“
SRS-Summenwert
t1-t2 p = .002
Stress-Reaktivitäts-Skala
MZP
Effektstärke IG vs. CG T1/T2 = 0,25
Effektstärke IG T1/T3 = 0,56
**
t2-t3p = 0.795
Betriebliche Stressprävention - Beispiel „MAN-GO!“
Amylase AUC
Amylase
t1-t2 p = .033
MZP
t2-t3 p = .264
*
Betriebliche Stressprävention - Beispiel „MAN-GO!“
Depression
t1-t2 p = .107
t2-t3 p = .571
Depression (HADS)
n.s.
Betriebliche Stressprävention - Beispiel „MAN-GO!“
Baseline Follow-up 1 Follow-up 2
Sport (h/Woche)
2,0 1,3
2,1 1,8
2,7 1,8
Zigaretten (Stück/d) 3,9 2,7 2,7
Blutdruck (mm Hg) 135/89 131/86 134/87
HDL-Cholesterin (mg/dl)
45 50 50
HbA1c (%) 5,5 5,4 5,4
Gesundheitsverhalten und Risikofaktoren: Ergebnisse nach 2 Jahren
Betriebliche Stressprävention - Beispiel „MAN-GO!“
Das Stressbewältigungstraining führt zur Verbesserung der - selbstberichteten Stressreaktivität (SRS) - Amylase als Marker der physiologischen Stressreaktivität
Die im 1. Jahr beobachteten positiven Effekte verstärkten sich tendenziell im 2-Jahres-Zeitraum
Kein Effekt auf Cortisol nachweisbar
Depressionswerte verbessern sich tendenziell in beiden Gruppen, mit etwas stärkerer Ausprägung in der IG (unspezifischer Effekt?)
Gesundheits-Check positive Effekte auf Gesundheitsverhalten und kardiovaskuläres Risikofaktoren
Hohe Teilnehmer-Treue und -Zufriedenheit
Zusammenfassung MAN-GO
Betriebliche Stressprävention - Zusammenfassung „MAN-GO!“
Subjektive Erfolgseinschätzung
Betriebliche Stressprävention - Beispiel „MAN-GO!“
Einbindung von Unternehmensleitung, Personalabteilung, Betriebsarzt, Betriebsrat und Meisterverein
Niederschwelligkeit des Angebots (kostenlos, während Arbeitszeit)
Teilnahme von Mitarbeitern aus verschiedenen Hierarchieebenen
Kombination von Einzelberatung und Gruppentrainings
Fokussierung auf den Aufbau von Veränderungsmotivation (Zielarbeit)
Anstoß zu strukturellen Änderungen durch Rückmeldung häufig genannter Probleme an das Management
Stresspräventionstraining - Erfolgsfaktoren
erfordert die Einbindung aller Akteure von Beginn an stellt einen systematischen Problemlöseprozess dar (Teil von
„Gesundheitsmanagement“)
wird sinnvoll eingeleitet durch eine psychische Gefährdungssanalyse setzt nicht nur beim Individuum („Stressbewältigungstraining“), sondern
auch beim Team und der Organisation an Verbesserung der Organisation: dazu dienen z.B. Gesundheitszirkel.
Parallel zur Stressprävention: sinnvollerweise Führungskräfteschulung und -coaching („gesundheitsorientierte Führung“)
Das Angebot einer regelmäßigen individuellen präventivmedizinischen Untersuchung und Beratung ist ein sinnvoller Präventionsbaustein.
Ausblick: Prävention psychischer Erkrankungen im Betrieb
• die systematische Erhöhung der Kompetenz von Betriebsärzten in Diagnostik, Indikationsstellung und ggf. Motivierung zu einer adäquaten Behandlung
• die erleichterte Bereitstellung eines schnellen und adäquaten Versorgungsangebots für erkrankte Mitarbeiter des Betriebs => Psychosomatische Ambulanz, „Sprechstunde
Psychosomatische Gesundheit“, ..
• und die krankheitsadäquate berufliche Wiedereingliederung.
Weitere Kernelemente spezifischer Versorgung
Publikationen zu MAN-GO!
1. Limm H, Angerer P, Heinmüller M, Marten-Mittag B, Nater UM, Gündel H: Self-perceived stress reactivity is an indicator of psychosocial impairment at the workplace. BMC Public Health 2010, 10:252 http://www.biomedcentral.com/1471-2458/10/252
2. Limm H, Gündel H, Heinmüller M, Marten-Mittag B, Nater UM, Angerer P: Stress-Management interventions in the workplace improve perceived stress reactivity: a randomized controlled trial. 2010 Sep 10. [Epub ahead of print=Online erschienen, Zeitschrift folgt]
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