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Leib und Gefühl. Der Leib als Ausdruck des Selbst und als Medium des Erlebens Rahmen: ÖAGG Jour fixe der Fachsektion für Integrative Gestalttherapie, 17. Mai 2016 Autor: Mag. Florian Schmidsberger, Bakk., Universität Wien Schlagwörter: Phänomenologie der Gefühle Phänomenologie des Leibes Ausdruck des Selbst Leib als Me- dium des Erlebens Waldenfels Fuchs Abstract: Im Vordergrund meines Vortrages steht die Frage: »Welche Rolle spielt der Leib für Gefühle?« Es handelt sich hierbei nicht nur um eine Grundfrage einer aktuellen Philosophie der Gefühle, sondern auch um eine Grundfrage im Rahmen der Integrativen Gestalttherapie. Im Vortrag werden diese Fragen entlang eines philoso- phischen bzw. phänomenologischen Nachdenkens mit aktuellen Konzeptionen von Bernhard Waldenfels und Thomas Fuchs erörtert. Anliegen dabei ist es, aktuelle Konzepte einer Phänomenologie der Gefühle und der Leib- lichkeit in den Diskurs der Integrativen Gestalttherapie einzubringen, die bekanntermaßen eine Affinität zur Phä- nomenologie hat. Mit Waldenfels wird der Leib als Ausdruck des Selbst bestimmt, wo ausdrückende Gebärde und ausgedrücktes Gefühl eine originäre Einheit bilden und der Leib Sinn inkarniert. Mit Fuchs lässt sich der Leib als Medium unseres subjektiven und personalen Erlebens fassen. Sein modernes Konzept der »Interaffektivität« zeigt eine grundsätzliche prä-reflexive Verflechtung des Leibes mit anderen auf, worin die »Zwischenleiblichkeit« eine leibliche Basis der Empathie darstellt. Inhaltsverzeichnis Einleitung ...........................................................................................................................................................2 1 Vorbemerkung: Die phänomenologische Grunddifferenz von Leib und Körper ..................................2 1.1 Die Charaktere von Leib und Körper ........................................................................................................3 1.2 Das Verhältnis von Leib und Körper zueinander ......................................................................................4 2 Waldenfels .....................................................................................................................................................6 2.1 Der Leib als Ausdruck des Selbst .............................................................................................................6 2.2 Heterosomatik: Anfang bei und Verwobenheit mit Anderem ..................................................................9 3 Thomas Fuchs .............................................................................................................................................10 3.1 Leibliche Affektivität ..............................................................................................................................10 3.2 Interkorporalität und Interaffektivität .....................................................................................................12 Literaturverzeichnis ........................................................................................................................................15

(2016) Leib und Gefühl. Der Leib als Ausdruck des Selbst und als Medium des Erlebens

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Leib und Gefühl.

Der Leib als Ausdruck des Selbst und als Medium des Erlebens

Rahmen: ÖAGG Jour fixe der Fachsektion für Integrative Gestalttherapie, 17. Mai 2016

Autor: Mag. Florian Schmidsberger, Bakk., Universität Wien

Schlagwörter: Phänomenologie der Gefühle – Phänomenologie des Leibes – Ausdruck des Selbst – Leib als Me-

dium des Erlebens – Waldenfels – Fuchs

Abstract: Im Vordergrund meines Vortrages steht die Frage: »Welche Rolle spielt der Leib für Gefühle?« Es

handelt sich hierbei nicht nur um eine Grundfrage einer aktuellen Philosophie der Gefühle, sondern auch um eine

Grundfrage im Rahmen der Integrativen Gestalttherapie. Im Vortrag werden diese Fragen entlang eines philoso-

phischen bzw. phänomenologischen Nachdenkens mit aktuellen Konzeptionen von Bernhard Waldenfels und

Thomas Fuchs erörtert. Anliegen dabei ist es, aktuelle Konzepte einer Phänomenologie der Gefühle und der Leib-

lichkeit in den Diskurs der Integrativen Gestalttherapie einzubringen, die bekanntermaßen eine Affinität zur Phä-

nomenologie hat. – Mit Waldenfels wird der Leib als Ausdruck des Selbst bestimmt, wo ausdrückende Gebärde

und ausgedrücktes Gefühl eine originäre Einheit bilden und der Leib Sinn inkarniert. Mit Fuchs lässt sich der Leib

als Medium unseres subjektiven und personalen Erlebens fassen. Sein modernes Konzept der »Interaffektivität«

zeigt eine grundsätzliche prä-reflexive Verflechtung des Leibes mit anderen auf, worin die »Zwischenleiblichkeit«

eine leibliche Basis der Empathie darstellt.

Inhaltsverzeichnis

Einleitung ...........................................................................................................................................................2

1 Vorbemerkung: Die phänomenologische Grunddifferenz von Leib und Körper ..................................2

1.1 Die Charaktere von Leib und Körper ........................................................................................................3

1.2 Das Verhältnis von Leib und Körper zueinander ......................................................................................4

2 Waldenfels .....................................................................................................................................................6

2.1 Der Leib als Ausdruck des Selbst .............................................................................................................6

2.2 Heterosomatik: Anfang bei und Verwobenheit mit Anderem ..................................................................9

3 Thomas Fuchs .............................................................................................................................................10

3.1 Leibliche Affektivität ..............................................................................................................................10

3.2 Interkorporalität und Interaffektivität .....................................................................................................12

Literaturverzeichnis ........................................................................................................................................15

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Einleitung

Wie Sie meinem Lebenslauf entnehmen, bin ich in Bezug auf die Psychotherapie ein Jungspund und als Teil-

nehmer der Ö41, der gerade einmal sein erstes Ausbildungsjahr hinter sich gebracht hat, sicherlich grün hinter den

Ohren. D.h. auf einer psychotherapeutischen Ebene werde ich Ihnen sicherlich nichts zu sagen haben. Das, was

ich Ihnen zu sagen habe, ist mehr von philosophischer Natur. Meines Erachtens liegt die genuin philosophische

Kompetenz in der Begriffs- und der Theoriebildung. Es geht darum, vermittels von Begriffen Phänomene sichtbar

zu machen, bzw. – um es mit Waldenfels gesprochen, weiter auszudifferenzieren – darum, sprachliche Ordnungen

anzubieten, und auf diese Weise vertraute Phänomene – mit Heidegger gesprochen – sprachlich zu »bergen«.1

Das, worüber ich heute sprechen werde, wird vielen von Ihnen, vor allem den erfahrenen PsychotherapeutInnen

bereits aus der Erfahrung vertraut sein. Mein Beitrag liegt eher in der Weise, wie ich darüber spreche. D.h. ich

möchte Ihnen heute Abend eine Sprache bzw. eine bestimmte Weise, zu sprechen, anbieten.

Im Vordergrund meiner Arbeit steht die Frage, welche Rolle der Leib für Gefühle hat? Hiermit möchte ich über

das Verhältnis von Leib und Gefühlen begrifflich nachdenken. Diese Leitfrage möchte ich mit modernen phäno-

menologischen Ansätzen von Bernhard Waldenfels und Thomas Fuchs erörtern.

Mein Vortrag wird sich in vier Teile gliedern. In einem ersten werde ich mit Waldenfels eine grundsätzliche

phänomenologische Differenzierung von Leib und Körper einführen, um die basalen Erscheinungsweisen unseres

Leibkörpers zu unterscheiden. Im zweiten Teil möchte ich mit Waldenfels den Leib als Ausdruck des Selbst be-

stimmen. Im dritten Teil werde ich das Konzept der »leiblichen Affektivität« (»embodied affectivity«) von

Thomas Fuchs vorstellen, das die Medialität des Leibes betont und Ausdifferenzierungen erlaubt, um den Leib als

Medium des Erlebens und darin als Medium des Erleidens zu beschreiben. Im vierten Teil soll sein Konzept der

»Interaffektivität« vorgestellt werden, das der Empathie und dem sozialen Verstehen eine leibliche bzw. zwischen-

leibliche Basis unterlegt.

1 Vorbemerkung: Die phänomenologische Grunddifferenz von Leib und Körper

Der Erörterung der Leitfrage vorweg möchte ich einleitend und vorbereitend die phänomenologische Grund-

differenz von Leib und Körper vorausschicken. Gallagher und Zahavi (2012) fassen jene Differenz gar als »[t]he

first and most basic phenomenological distinction« (ebd., 154) auf. Mit Waldenfels geht es hiermit um die Unter-

scheidung zweier Gesichtspunkte, zweier Weisen der Betrachtung, des Erscheinens (im Sinne von: Zum-Vor-

schein-Kommen) und des Sprechens über unseren Leib (vgl. Waldenfels 2000, 248f.), es geht um eine »doppelte

Betrachtung desselben« (Ebd., 249). Die Ausführungen zu dieser phänomenologischen Grunddifferenz sind nach

den folgenden Fragen gegliedert: Erstens, was besagt diese Differenz? Zweitens, wie stehen die beiden Seiten

zueinander?

1 Ebenso ein Anliegen: Ich möchte diesen Rahmen dazu nutzen, Inhalte meiner Dissertation zu präsentieren

und zur Diskussion zu stellen.

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1.1 Die Charaktere von Leib und Körper

Was besagt also die Differenz von Leib und Körper bei Waldenfels? Es ist die Unterscheidung zwischen dem

»Leib als Gesamtheit des Selbst« und des »Körper als Materialität des Leibes« (Sternagel 2012, 119). Sie ist

eingebunden in die traditionelle philosophische Fragestellung nach der Einheit des Menschen, auch bekannt als

Leib-Seele-Problem. Waldenfels schließt in seinen Ausführungen dazu vor allem an Husserl und Merleau-Ponty

an (vgl. Waldenfels 2000, 246-264).

Ein wichtiges Motiv für seine Beschreibung ist die Abgrenzung gegen einen Cartesianischen Dualismus (vgl.

Waldenfels 1980, cap. 1), der den Menschen in zwei getrennte Substanzen aufspaltet: zum einen eine res cogitans,

ein denkendes, körperloses Ding und zum anderen eine res extensa, ein gedankenloses, mechanistisch ablaufendes

ausgedehntes Ding. Die Aufspaltung eines leiblichen Selbst in zwei getrennte und selbständige Substanzen bringt

infolge grundsätzliche Probleme mit sich, wenn es um die Vermittlung zwischen beiden geht, wie sie uns im

Zustand der Trunkenheit, der Müdigkeit oder bei sexuellen Phantasien begegnet. Demgegenüber versucht die phä-

nomenologische Herangehensweise von Waldenfels, eine aus der alltäglichen Erfahrung vertraute »mitgewusste

Einheit des Menschen« (ebd., 30) entgegen einer solchen dualistische Auffassung begreiflich zu machen.

Was sind nun die Charakteristika von Leib und Körper?2 Unser Leib kommt aus einer naturalistischen, d.h. vor

allem aus einer naturwissenschaftlichen Perspektive, als Körper zu Erscheinung. Dieser kann dann verstanden

werden als Körperding, das aus einer »distanzierten Beobachtung« (Waldenfels 2000, 248) einer 3. Person-Per-

spektive beschrieben wird. Es ist der vor- und gegenüber gestellte Körper, auf den eine »empirische Außenansicht«

(Waldenfels 1980, 33) bezogen ist. Der Leib erscheint vor allem in der Medizin als Körper, als ausgedehnter, mit

messbaren Eigenschaften, in räumlichen Relationen, entlang einer physikalischen Kausalität und einer »kompli-

ziertere[n] Gesetzmäßigkeit« (ebd., 34): Mit meiner Hand verwende ich ein Glas, um zu trinken. Das darin ent-

haltene stark bleihaltige Wasser vergiftet meinen biologischen Organismus. Eine radikale Steigerung einer solchen

Betrachtungsweise fasst den Körper als reines Außen und reines, gegenständliches Vorhanden-Sein. Hierin liegt

auch die Gefahr, unseren Leib einseitig materialistisch aufzufassen.

Demgegenüber steht der Leib in seiner personal erfahrenen Erscheinungsweise. Geht es in der ersten Betrach-

tung um den Leib als wahrgenommener Körper, geht es hier um den Leib als wahrnehmenden. Der Ausgangspunkt

der Betrachtung liegt hier nicht mehr aufseiten eines distanzierten Beobachters, sondern vielmehr aufseiten eines

»teilnehmenden Beobachter« (vgl. Waldenfels 2002, 248).3 In diesem Zugang stehen ein unmittelbares Erfahren

und ein Selbst-Gegeben-Sein aus der 1. Person Perspektive im Vordergrund. Im Zuge einer »Innenerfahrung«

(Waldenfels 1980, 35) wissen wir um unseren Leib, um unser Befinden (wie etwa Müdigkeit, Hunger, Stimmung,

2 Grundlage für die Charakterisierung der Differenz: Waldenfels 1980, 29-54; Waldenfels 2000, 246-264. 3 Im Grunde ist eigentlich nicht mehr von einem teilnehmenden Beobachter die Rede, vielmehr müsste von einem perso-

nalen Involviert-Sein gesprochen werden. Wenn ich hier und jetzt meinen Leib dazu verwende, mit meinen Fingern diesen

Text auf einer Tastatur zu tippen bzw. mit meinen Händen das ausgedruckte Papier in Händen halte, habe ich mit meinem

Leib nicht im Zuge einer Beobachtung zu tun, sondern im Zuge einer lebensweltlichen Involvierung.

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Schmerzen, etc.) Bescheid. Dieses »Innen« bzw. jene »Innenerfahrung« kann auch als »propriozeptive Eigenwahr-

nehmung« gefasst werden. Eine Übersteigerung dieser Erscheinungsweise des Leibes fasst den Leib als ein reines

Innen und als reine Subjekthaftigkeit. Hierin liegt nun die Gefahr, den Leib einseitig intellektualistisch zu begrei-

fen.

1.2 Das Verhältnis von Leib und Körper zueinander

Kommen wir zur dritten der eingangs gestellten Fragen: Wie stehen die beiden Seiten, Leib und Körper zuei-

nander? Bisher wurde aufgezeigt, dass dem Leib bzw. der leiblichen, personalen Erfahrung ein Vorrang vor dem

Körper zukommt, der im Zuge eines Absehens vom subjekthaften Erfahren zur Erscheinung kommt. Ist damit das

Verhältnis von Leib und Körper aber zur Gänze beschrieben? Lässt sich damit bereits erfassen, wie das Sinnhafte

des Leibes zur Naturkausalität des Körpers steht? Waldenfels formuliert dies als Frage, »wie phänomenaler Leib

und objektiver Körper aufeinander bezogen sind?« (Waldenfels 1980, 48) In unserem Kontext, lautet die Frage

etwa, wie sich im Gefühl des Zorns etwa die wahrgenommene politische Ungerechtigkeit zum biologischen Or-

ganismus verhält, wenn der Blutdruck steigt, das Herz schneller wird und man womöglich rot im Gesicht wird?

Um das Verhältnis beider Seiten zueinander weiter zu klären, folge ich einer Argumentation Waldenfels‘ (1980,

29-54)4, mit der die Auffassungen von Leib und Körper ins Extrem getrieben werden, um relevante Phänomene

sichtbar zu machen. Daraus ergibt sich auf der einen Seite die Überspitzung einer empiristischen Außenansicht,

die unseren Leib als reines Körperding auffasst und diesen auf ein »reines und eindeutiges faktisches Vorhanden-

sein, ein absolutes Außen« (ebd., 49) reduziert – eine »Äußerlichkeit ohne Innerlichkeit« (ebd., 36). Auf der an-

deren Seite steht die Überspitzung einer rationalistischen Bewusstseinsphilosophie, die den Leib, ausgehend von

einem Bewusstsein vom Leib, als »reines und eindeutiges Verfügen über den Leib, ein absolutes Innen« (ebd., 50)

auffasst – eine »Innerlichkeit ohne Äußerlichkeit« (ebd., 36). Die Überspitzung liegt dann darin, zum einen den

Leib auf seine Äußerlichkeit zu verkappen, zum anderen ihn auf das subjekthafte Erfahren und Verfügen zu redu-

zieren.

Wird der Leib auf den Körper eingeschränkt und als reines, faktisches Vorhandensein, als Äußerlichkeit ohne

Innerlichkeit aufgefasst, wird übersehen, dass der Leib als Medium unseres Weltbezuges fungiert, sich dabei un-

merklich im Hintergrund hält und uns darin einen Ausgangspunkt bzw. eine Verankerung in der Welt bietet. In

diesem Einwand sind mehrere Charakterisierungen des Leibes enthalten: erstens die fungierende Medialität des

Leibes, zweitens die Hintergründigkeit bzw. Unsichtbarkeit des Leibes im Fungieren sowie drittens die Veranke-

rung in der Welt durch den Leib.

Zum ersten Aspekt: Die radikale Reduktion des Leibes auf den Körper übergeht, dass uns der Leib als Medium

des Weltbezugs fungiert. »Fungieren des Leibes« bedeutet bei Waldenfels (im Anschluss an Husserl): »er [der

Leib] leistet etwas, spielt eine Rolle, ist Bedingung für etwas.« (Waldenfels 2000, 249) »Medium des Weltbezug«

4 Zugebenermaßen gibt die vorliegende Argumentation jene von Waldenfels nicht vollständig sinngemäß wieder. Anliegen

ist es, seine Argumente, die er in der Darstellung des Ansatzes von Merleau-Ponty einbringt, für den gegebenen Kontext einer

Einführung in die Leib-Körper-Differenz fruchtbar zu machen.

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meint, dass wir mit dem Leib bzw. durch den Leib auf die Welt bezogen sind. Fungieren und Medialität bringen

dasselbe Phänomen zum Ausdruck, dass der Leib unseren Bewegungen, der Bestimmung räumlicher Verhältnisse

oder körperlicher Qualitäten wie etwa der Wärme, der Beschaffenheit und dergleichen »ermöglichend vorausgeht«

(Waldenfels 1980, 34) und jenes »mittels des Leibes geschieht« (ebd.). Um das lebensweltlich zu veranschauli-

chen: Möchte ich die Türklinke betätigen, um damit den Raum verlassen zu können, bedarf es des Leibes, mit und

durch den die Türklinge physisch bewegt wird und vermittels dem ich den Raum verlasse. Damit einher geht die

zweite genannte Charakterisierung, dass sich der Leib unsichtbar im Hintergrund hält – solches ist bereits im

Begriff des »Fungierens« implizit mitangesprochen. Dass uns der Leib als Medium dient, vollzieht sich nicht im

Lichte eines reflexiven, selbst-bewussten, ausdrücklichen Verfügens über den Leib, vielmehr vollzieht sich jenes

prä-reflexiv. Waldenfels formuliert das folgendermaßen: »Die Funktion des Leibes lässt sich nur verstehen aus

der Sicht des leiblichen Vollzugs selbst« (ebd., 38). Das lässt sich an einem Phänomen veranschaulichen, das

jedem vertraut ist: angenommen man eilt zu Fuß einen längeren Stiegenaufgang hinter, so darf man sich nicht auf

seine Fußbewegungen konzentrieren, um nicht zu stolpern. Konzentriert man sich auf seinen Füße, versucht man

diese, bewusst zu führen, kommt man aus dem Rhythmus und der erforderlichen Leichtigkeit. Lässt man den Leib

»einfach machen«, kommt man unbeschadet und wie gewünscht, zügig die Treppen hinab. Dieses unreflektierte,

»den-Leib-einfach-machen-Lassen« ist mit dem Fungieren des Leibes gemeint. Er hält sich darin im Hintergrund

und bleibt unmerklich bzw. unsichtbar. Er wird erst explizit, wenn er »meinen Projekten Grenzen und Widerstände

setzt« (ebd.): etwa wenn die Körperkräfte nicht ausreichen, um den Weg zur abfahrenden Ubahn noch rechtzeitig

zurückzulegen, oder uns der Leib durch körperliches Gebrechen (gebrochener Fuß) oder Psychopathologien den

Dienst versagt.

Vor diesem Hintergrund liegt der dritte Aspekt auf der Hand: Indem der Leib uns als Medium unserer Weltbe-

zugnahme dient, fungiert er darin unaufhörlich als Verankerung in der Welt: »Durch unseren Leib haben wir eine

Welt und gehören dieser Welt an.« (Ebd., 39) Der Leib ist nicht bloß ein in seinen Eigenschaften messbarer und

bestimmbarer Körper, sondern in einem der Ausgangspunkt unserer subjekthaften Weltbezugnahme. Gerade hie-

rin ist er mehr als ein bloß dinghafter Körper, in diesem perspektivischen Ausgangspunkt lässt sich »[…] de[r]

Ort, von wo aus ich sehe, (nicht) in die Körperwelt einfügen, weil ich damit meine Welt selbst aufhöbe.« (Ebd.)

Nun zur anderen Seite: Was wird übersehen, wenn der Leib auf ein absolutes Innen, ein reines Verfügen über

den Leib verkappt wird? Hierbei wird übergangen, dass unser Leib »nicht in seiner Vermittlerrolle aufgeht, viel-

mehr darinnen zugleich faktisch da ist.« (Ebd., 48) Bzw.: »Und doch ist mein Leib ja kein immaterielles Medium,

sondern als Medium hat er seine Materialität« (Ebd., 39). Mit jener Materialität sind wir mit einer »Selbstvorfind-

lichkeit« (Ebd., 48) konfrontiert. Was meint »Selbstvorfindlichkeit«? Es ist das Phänomen, dass wir uns in be-

stimmten Situationen mit uns selbst konfrontiert vorfinden, wir finden uns in einem faktischen, materiellen Leib

wieder, der uns auch seinen Dienst verwehren kann. Beispielsweise, wenn ich mit meinem Fahrrad eine lange

Steigung entlang fahre und die brennenden Oberschenkel mich daran erinnern, dass ich doch nicht so sportlich

bin, wie ich es gerne hätte; wenn ich nach einer kleinen Diät-Portion zum Mittagessen bemerke, dass ich doch

mehr Essen brauche, um satt zu sein; wenn mir deutlich wird, dass ich meinen Kopf nicht um 360° drehen kann,

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sondern der Drehwinkel beschränkt ist, wenn ich nach rechts oder links blicken möchte; wenn ich im Moment

einer sehr beschämenden Situation damit abfinden muss, dass ich mich doch nicht einfach in Luft auflösen kann,

sondern in der bloßstellenden Situation leiblich verharre.

Dieses Faktische des Leibes, diese Materialität ist nichts, worüber ich verfügen könnte, vielmehr finde ich mich

damit konfrontiert. Noch deutlicher wird diese Materialität des Leibes in »verschiedenen Formen der Desintegra-

tion« (Ebd., 49) erfahren, wenn sich der eigene Leib einem selbst widersetzt, etwa bei Schmerzen, Krankheiten

(Diabetes, Brüchen, etc.) oder Alterserscheinungen.

Entsprechend lässt sich auch das Argument von zuvor ergänzen: Der Leib ist nicht nur in seiner Medialität

Ausgangspunkt und Verankerung in der Welt, indem wir durch ihn und mit ihm vernehmend und agierend auf die

Welt bezogen sind. Der Leib ist ebenso in seiner Materialität Verankerung und Ausgangspunkt. Waldenfels for-

muliert dies derart, dass ich »ein Ich bin in leiblicher Vorgegebenheit« (Ebd., 40).

Wir haben an dieser Stelle nun zwei Überspitzungen, zwei einseitige Auffassungen vom Leib – einmal als rein

dinghafter Körper, ein anderes Mal als personales Verfügen – mitsamt den Einwänden, die dagegen sprechen.

Einmal verbietet die Medialität des Leibes, diesen auf seine dinghafte Körperlichkeit zu reduzieren. Ein andermal

verlangt es die Materialität des Leibes, die Medialität nicht auf ein reines und immaterielles Inneres zu verkürzen.

Was folgt schließlich hieraus? Es ergibt sich hieraus eine »Spannung, die innerhalb der leiblichen Existenz

herrscht« (Ebd., 51), die Waldenfels mit folgenden Formulierungen ausdrücklich macht: »Deshalb kann er [der

Leib] äußerlich erfahren werden, doch zuvor wird er in aller weltlichen Erfahrung miterlebt« (Ebd., 39); Dass »ich

nämlich bereits eine Welt habe und ein Ich bin in leiblicher Vorgegebenheit.« (Ebd., 40); »die Tatsache, dass der

Leib sehend und sichtbar zugleich ist.« (Waldenfels 2000, 256) Dieses Spannungsverhältnis aus Leib und Köper,

Medialität und Materialität bezeichnet Waldenfels mit Merleau-Ponty als »Ambiguität« bzw. als »zweideutige

Seinsweise« (Waldenfels 2002, 254) und mit Husserl als »Umschlagstelle zwischen verständlichem Sinn und Na-

turkausalität« (Ebd., 247), sodass der Leib nicht eindeutig dem Geist oder der Natur zugeordnet werden kann,

vielmehr »(sind) beide Momente […] in ihm verschränkt« (Ebd.). Waldenfels spricht insofern von einer »ontolo-

gische[n] Zweideutigkeit« (Waldenfels 1980, 46): »die Natur ist nicht reine Natur, der Geist nicht reiner Geist, der

Mensch ist eines im andern« (Ebd.).

2 Waldenfels

2.1 Der Leib als Ausdruck des Selbst

Vor dem Hintergrund dieses basalen Verständnisses des Leibes möchte ich mich nun der Fragestellung zuwen-

den, welche Rolle der Leib bei Waldenfels für Gefühle spielt. Ansatzpunkte für diese Frage finden sich bei

Waldenfels in seinem Werk Antwortregister (466-477) sowie seiner Vorlesung Das Leibliche Selbst (210-245).

Hier entwickelt er die Position, wonach dem Leib ein medialer Charakter zukommt, er ist Ausdruck, Realisierung,

ja sogar Inkarnation von Sinn. Dies soll im Folgenden nachgezeichnet werden.

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Waldenfels behandelt die Thematik im Rahmen der Frage nach dem Zusammenhang von sprachlichen und

leiblichen Verhalten (ebd. 466) bzw. der Frage nach dem Leib als Medium der Selbstdarstellung (LS 210). Sein

Ansatz ist in der Abgrenzung bzw. im Kontrast zu einer cartesianischen Gegenposition zu verstehen. So wendet

sich Waldenfels gegen einen Cartesianismus, der von einem »Dualismus zweier selbstständiger Bereiche« (ebd.

212) ausgeht. Demnach teilt eine Person sich in die Bereiche des Inneren und des Äußeren auf (vgl. ebd. 212-217).

Das Innere steht für das Psychische, die eigenen Erlebnisse und damit auch für subjektive Bedeutsamkeit, das

Äußere für das Physische, die fremden Körpermechanismen, die ohne Bedeutsamkeit nach einem mechanistischen

Naturverständnis ablaufen. Es kommt zu einer Dichotomie von Innen und Außen, Psychischem und Physischem,

Eigenem und Fremden, beide Seiten stehen in einer Gegensätzlichkeit zueinander. Die Eigenerfahrung wird pri-

vilegiert, das eigene Innere ist einem im Zuge der Introspektion in exklusiver Weise zugänglich. Die Fremderfah-

rung bzw. die Erfahrung des Anderen ist lediglich zugänglich durch Beobachtung. Das Reich des eigenen Inneren

bleibt dem anderen verschlossen, ebenso sehr wie das Innere des Gegenübers einem selbst verschlossen bleibt.

Für Gefühle bzw. den Ausdruck von Gefühlen durch den Leib – etwa wenn man im Zorn oder im Schämen rot

wird – ergibt sich daraus: Der leibliche Ausdruck von Gefühlen ist das »Nachaußentreten dessen, was ich innerlich

bereits habe« (ebd. 222). Der leibliche Ausdruck hat eine sekundäre Rolle, das eigene Erleben von Gefühlen bleibt

primär einem exklusiven Inneren vorbehalten. Am Gegenüber führt der angeführte Dualismus hingegen zur fol-

genden Beschreibung: Ist etwa meine Arbeitskollegin zornig, kann ich verschiedene Körpervorgänge an ihr be-

obachten – etwa, dass ihr Gesicht rot und ihre Mimik grimmig wird. Per Urteil bzw. Analogieschluss zu meinen

eigenen Erfahrungen kann ich schließlich folgern, dass sie wütend ist: »der Zorn des Anderen erschließt sich mir

per Analogieschluss.« (ebd. 214) Es kommt zur Ein-Fühlung bzw. zur Projektion: »man verlegt in das Innere des

Anderen, was man in sich selbst vorfindet.« (ebd. 215)

Gegen diese Position bringt Waldenfels eine Reihe von Einwänden, die darauf hinauslaufen, die Dichotomi-

sierung von Innerem und Äußerem wie Eigenem und Fremden sowie die Privilegierung des Inneren einzureißen.

Zusammengefasst lautet sein Einwand, wonach »in unserem Verhalten Eigenes mit Fremden zusammenspielt,

vermittelt durch allgemeine Gestalten und Strukturen, die sich nicht auf zwei Bereiche aufteilen lassen.« (ebd.

222)

Ein erstes Beispiel für solche Strukturen, die Inneres und Äußeres übergreifen, ist die Farbempfindung (ebd.

218f.). Um das Argument anschaulich zu machen, möchte ich dieses anhand der beiden Farbstifte (rot und orange)

erläutern, die neben meinem Buch liegen und mir zur Kennzeichnung bei der Lektüre dienen. Im cartesianischen

Schema ließe sich die Rotempfindung des Stiftes als singuläre Wahrnehmung in mein Inneres verlegen. Der rote

Stift unterscheidet sich vom orangen Stift, der neben ihm liegt. Der Kontrast ist dabei für die Farbwahrnehmung

bedeutsam und konstitutiv. Wohin gehört aber dieser Kontrast? Ein Kontrast ist wiederholbar, sowohl für mich,

als auch für andere. Wäre kein Kontrast, könnte jemand anders etwa nicht die beiden Stifte unterscheiden, wenn

ich ihn bitte, mir den roten Stift zu geben. Auf diese Weise unterläuft der Kontrast, der zur Wahrnehmung des

roten Stifts gehört, die Privilegierung der individuellen Wahrnehmung. Ebenso die Differenz von Innen und Au-

ßen. Denn wäre ein Kontrast nur im Inneren einer einzelnen Person, ließe sich schwer argumentieren, warum auch

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andere den orangenen und den roten Stift unterscheiden können. Auf diese Weise brechen die Differenzen ein,

wobei Waldenfels als Alternative anbietet: »Farbstrukturen und Strukturen überhaupt sind weder innen noch au-

ßen, sondern sie sind genau die Art und Weise, wie die Wirklichkeit, wie die Welt sich uns im Erleben […] dar-

stellt.« (ebd. 219, meine Hervorhebung)

Ein weiteres Beispiel gegen die Dichotomie von Innen und Außen entwickelt Waldenfels am Beispiel der Int-

rospektion als »Innenschau« (ebd. 220f.). Diese lässt sich fassen als primärer und exklusiver Zugang zum eigenen

emotionalen Erleben, das sich etwa beschreiben lässt als: »ich bin wütend«. Eine solche Auffassung grenzt wie-

derum ein Inneres gegen ein Äußeres sowie ein Eigenes gegen ein Fremdes ab. Hiergegen wendet Waldenfels die

Verwendung einer Sprache ein, um seine Gefühle sprachlich auszurücken, die bereits die Trennung von Innerem,

Eigenem und Äußerlichem, Fremden überschritten hat. Was die Sprache anbelangt, die man für die Innenschau

einbezieht, ist (an Wittgensteins Argument zur Privatsprache anschließend) zu bedenken, dass jeder sprachliche

Zugang zu den eigenen Gefühlen eine Sprache voraussetzt, die nicht exklusiv die eigene ist, sondern einer Sprach-

gemeinschaft entstammt – inkl. Worten und gewohnten Begriffen für Gefühle, Regeln sowie Instanzen zur Prüfung

einer korrekten Sprachverwendung, die nie und nimmer der Sphäre des Inneren einer einzelnen Person entstam-

men. Gebe ich meinem Gegenüber etwa zu verstehen: »Das, was du gerade zu mir gesagt hast, macht mich zor-

nig!«, so ist diese Selbstbekundung verwoben in eine Sprache, die sich von einem »Reich des eigenen und Inneren«

bereits längst entfernt hat. Auf diese Weise brechen an der Sprache die Grenzen von Innen und Außen, Eigenem

und Fremden, privilegierten und sekundären Zugang zu den eigenen Gefühlen ein.

Wenn auf diese Weise ein cartesianischer Ansatz einer Trennung von Innen und Außen bröckelt, bietet Walden-

fels demgegenüber (im Zeichen von Merleau-Ponty) eine alternative Position: »der Leib ist der sichtbare Ausdruck

meiner selbst.« (ebd. 210) Der Leib ist Medium der Selbstdarstellung, »das Ausgedrückte realisiert sich im Aus-

druck selbst, es inkarniert sich, es ist ein verkörperter Sinn und keine äußere Kundgabe.« (ebd. 224), »Sinn [wird]

im Verhalten selbst verwirklicht.« (ebd. 229) Waldenfels veranschaulicht diese These mit Scheler anhand des

Zorns. Wenn ich mich ärgere, weil ein Autofahrer mich beim Überqueren der Straße fast angefahren hätte, sind

mein Erröten, eine aufgebrachte Stimme sowie die geballte Faust weder sekundär, noch die äußere Darstellung

eines Sinngehaltes, sondern die Realisierung des Zornes selbst. »[D]ie Zornesgebärde ist die Realisierung des

Zornes.« (ebd. 229) Waldenfels spricht in diesem Sinne auch von einer »originäre[n] Einheit und Selbigkeit von

ausdrückender Gebärde und ausgedrücktem Gefühl.« (AR 475) Auf diese Weises spielt sich der Zorn auch nicht

exklusiv, verborgen und verschlossen in meinem Inneren ab, bevor er äußerlich Gestalt annimmt. Wenn Walden-

fels, wie zuvor zitiert, schreibt, dass der Leib der »sichtbare Ausdruck meiner selbst« (ebd. 210, meine Hervorhe-

bung) ist, dann besagt dies konsequent auch, »dass Andere zu meinen Erlebnissen Zugang haben, ob ich den

Zugang gewähre und erleichtere oder nicht.« (AR 477) Mein Zorn wird an meinem leiblichen Gebaren sichtbar,für

mein Gegenüber erlebbar und zugänglich.5 – Hierin finden sich zwei Motive, die für die Position von Waldenfels

5 Diesem Motiv wird später noch eine zentrale Rolle zukommen, zumal hier ein wichtiger Zugang zum anderen ausdrück-

lich eröffnet wird, der insbesondere für das psychotherapeutische Gespräch und das gemeinsame Erleben der Gefühlswelt

einer Hilfe suchenden KlientIn eine maßgebende Bedeutung einnimmt.

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konstitutiv sind: eine Verleiblichung sowie eine Entsubjektivierung des Ausdrucks und der Gefühle (vgl. ebd.

475f.).

2.2 Heterosomatik: Anfang bei und Verwobenheit mit Anderem

Schließlich möchte ich noch eine kurze Bemerkung zur grundsätzlichen Ausrichtung der Leiblichkeits-Kon-

zeption bei Waldenfels macht. So lässt sich diese als »Heterosomatik« bestimmen. Was ist mit diesem Begriff

gemeint? Dieser Zug bestimmt den Leib (»Somatik«) vom Anderen (»Hetero«) her (vgl. AR 478ff., LS 372), das

leibliche Selbst wird von einem Anderen in Anspruch genommen, auf das es leiblich antwortet. Es ist die Auffas-

sung eines Leibes, »der sich spürt, indem er etwas anderes und jemand anderen spürt, der in seiner Eigenwirksam-

keit unaufhörlich fremden Einwirkungen ausgesetzt ist« (Waldenfels 2007, 167). Der Leib hat am Geschehen von

Anspruch und Antwort auf ein Fremdes Anteil.6 Das Widerfahrnis, das Pathos kann insofern auch als »Allopathos,

das vom anderen ausgeht« (Waldenfels 2012, 91) bestimmt werden. Waldenfels spricht im Zuge dessen auch von

»Fremdaffektion« (ebd. 85).

Beispiele für leibliche Fremdaffektionen sind etwa der Blick bzw. das Angeblicktwerden sowie die Stimme

oder das Angesprochenwerden. Der erfahrbare Blick von jemand anders zeichnet sich dadurch aus, »dass ich mich

gesehen fühle, bevor ich meinerseits den Anderen sehe als jemanden, der die Dinge und am Ende auch mich selbst

sieht.« (ebd. 86, meine Hervorhebung) Selbiges gilt auch für das Angesprochenwerden, dem eine Vorgängigkeit

zukommt. Angenommen man befindet sich auf dem Heimweg von der Arbeit, setzt in Gedanken versunken einen

Schritt vor den anderen, auf einmal durchbricht eine irgendwie bekannte Stimme den eigenen Gedankengang,

indem man von jemanden außerhalb des Blickfeldes gerufen wird. In diesem Falle »fühlen [wir] uns durch andere

getroffen, bevor wir dazu kommen zu fragen, wer sie sind und was ihre Äußerungen meinen.« (ebd. 85) Blick und

Stimme »schließen mich selbst ein als jemanden, der sich als angeschaut und angeredet erfährt. Dies besagt, dass

ich mich selbst von anderswoher wahrnehme.« (ebd. 87)

An diesen Beispielen verdeutlicht sich die leiblich erfahrene Vorgängigkeit (pathisches Geschehen) eines Ge-

troffenwerdens durch Andere, auf das wir schließlich antworten, etwa in dem wir uns freudvoll der Person zuwen-

den, als wir sie als jemanden erkennen, den wir schätzen. Dass wir uns als Person erblickt oder angesprochen

fühlen verdankt sich dann einer Quelle, die außer uns liegt und unseren Initiativen vorausgeht. Durch diesen »he-

terosomatischen« Zug kann Waldenfels an der Leiblichkeit eine Verflochtenheit mit anderen aufweisen, die er im

Anschluss an Merleau-Ponty »Zwischenleiblichkeit« nennt, wonach »Eigenes und Fremdes ineinander verflochten

sind, […] jeder von uns in ein Geflecht sozialer Beziehungen eingelassen ist« (ebd. 88). Der heterosomatische Zug

hebt diesen leiblichen Anfang bei und eine grundsätzliche Verwobenheit mit Anderem hervor.

Das Antworten setzt hieran an: ich erwidere den Blick meines Kollegen, indem ich antwortend hinsehe; ich

wende mich der Stimme zu, die mich auf der Straße gerufen hat, indem ich antwortend hinhöre; ich erwidere den

6 Als kleine Anmerkung: Das Motiv des »Fremden« ist bei Waldenfels ein weiteres, konstitutives Schlüsselmotiv. In

diesem Rahmen soll die Bedeutung des Anderen und des Fremden nur soweit angerissen werden, soweit es für unsere Frage-

stellung relevant ist.

10

Händedruck einer Person, indem ich mit selbiger Festigkeit jemanden antwortend meine Hand gebe (vgl. AR 514).

Dergestalt antworte ich leiblich entlang verschiedener Register auf die Ansprüche die mir widerfahren, die außer-

halb meiner ihren Anfang nehmen, sodass »ich mich selbst von anderswoher wahrnehme« (Waldenfels 2012, 87)

bzw.: »Erfahrung, die einem Widerfahrnis entstammt, beginnt nicht bei sich selbst, im Eigenen, sondern anderswo,

in der Fremde.« (Waldenfels 2007, 166).7

3 Thomas Fuchs

3.1 Leibliche Affektivität

Im Folgenden soll es darum gehen, die Beiträge von Fuchs zu einer philosophischen Emotionstheorie darzu-

stellen. Ganz allgemein zeichnet sich seine Position dadurch aus, dass er die Leiblichkeit für Gefühle (und eine

Psychopathologie) besonders gewichtet und darin auch neuartige Beiträge liefert (etwa die »Interaffektivität«, die

noch etwas später behandelt wird). Die Darstellung des Ansatzes von Fuchs folgt der Frage: Welche Rolle spielt

der Leib für Gefühle?

Ich beginne mit einem allgemeinen Begriff von Leiblichkeit. Diese wird bei Fuchs unter den Termini »Em-

bodiment« bzw. »Verkörperung« thematisiert. Kognitive Aspekte, Evaluationen, affektive Intentionalität, Emoti-

onen, etc. sind stets als »verkörperte« bzw. »leibhaftige« zu denken. Damit wendet er sich etwa gegen eine zu

starke Akzentuierung der kognitiven Anteile, beispielsweise der evaluativen Inhalte, bei welcher der Leib eine

nachrangige Rolle spielt. Vielmehr sind diese selbst als »verkörpert« (»embodied«) aufzufassen und der Leib als

»co-constitutive« (Fuchs 2014b, 3) zu betrachten.

Sein Ansatz gründet auf einer traditionellen philosophischen Unterscheidung von Leib und Körper: Der Leib

ist subjekthaft, (personal) gelebt und wahrnehmend, der Körper ist die wahrgenommene, physikalische Seite

(Fuchs 2009a, 571). Beide Seiten unseres Leibkörpers sind erfahrbar8, Fuchs bezeichnet dies als »double or am-

biguous experiential status« (ebd.), also als einen zweifachen, ambigen Charakter. Einmal erfahren wir den Leib

implizit, ein andermal explizit. In der impliziten Erfahrungen fungiert der Leib als Medium und Hintergrund unse-

rer Erfahrung (ebd.). Er ermöglicht uns eine Interaktion mit der Welt und hält sich stillschweigend (»tacitly«) und

unsichtbar im Hintergrund. Auch unsere Gestimmtheit und Befindlichkeit in einer Situation werden leiblich ge-

spürt, dieses leibliche Selbstvernehmen färbt darin unsere konkrete, gerichtete und situative Erfahrung.9 Unser

7 Vgl. dazu Waldenfels 2012, 74: »Die Tatsache, dass wir durch Ichfremdes affiziert werden und Ichfremden ausgesetzt

sind, hängt weder von unserem Wissen noch von unserem Wollen, also vom sogenannten Bewusstsein ab, sie weist zurück

auf unseren Leib.« 8 An dieser Stelle möchte ich explizit darauf hinweisen, dass der Körper bei Thomas Fuchs als erfahrbarer konzipiert ist

– anders als etwa bei Waldenfels (vgl. 2000, 248). Hiermit müsste man am Leib im Grund genommen 3 verschiedene Modi

unterscheiden: erstens den Leib, den wir selbst spüren, zweitens den Körper, den wir »in verschiedenen Formen der Desin-

tegration« (Waldenfels 1980, 49) wie etwa einem gebrochen Oberschenkelknochen als Einschränkung unseres medialen Lei-

bes erfahren und drittens den Körper, der unserem Erleben verschlossen bleibt und nur mehr der Beobachtung zugänglich ist,

die von subjekthaften Charakteren abstrahiert. 9 Fuchs verweist hier explizit auf das Konzept der »existential feelings« von Ratcliffe.

11

Leibkörper wird dann explizit als Körper erfahren, wenn er durch mangelndes Vermögen, Ermüdung, Krankheit

oder Taubheit als aufdrängend erlebt wird oder wir uns als für andere exponiert sehen (ebd.). Unsere gesamte

Wahrnehmung oszilliert zwischen diesen beiden Modi unseres Leibkörpers: »An ongoing oscillation between

these two bodily modes constitutes a fluid and hardly noticed foundation of all experiencing.« (ebd.)

Im Rahmen der Gefühle steht der Leib in seinem impliziten medialen Charakter im Vordergrund, seine explizite

Erfahrung als Körper wird vor allem im Rahmen des Pathologischen von Bedeutung, etwa im Rahmen der De-

pression, wo der Körper zu einer vordergründig erfahrenen Last wird (vgl. Fuchs 2013).

Im seinem Verständnis von Gefühle gehören Gefühle und Leib engstens zusammen, sein Ansatz kann als ein

»verkörpertes und ökologisches Konzept der Emotionen« (Fuchs 2014a, 16) charakterisiert werden. Damit sind

zwei Stoßrichtungen angeführt: zum einen die bereits genannte Verkörperung, zum anderen die Verflechtung mit

der Umwelt – Gefühle ereignen sich demnach nicht in einem isolierten Inneren, sondern im Rahmen eines Bezuges

zur Umwelt10 einer Person. Zu einem solchen Konzept gehören mehrere Motive: eine leiblich gefasste affektive

Intentionalität sowie eine leibliche Resonanz mit einer zentripetalen (Eindruck) und einer zentrifugalen (Aus-

druck) Richtung, worin der Leib als Medium der affektiven Betroffenheit fungiert. Hierauf möchte ich im Folgen-

den weiter eingehen.

Beginnen wir mit der affektiven Intentionalität. Ganz im Sinne eines phänomenologischen Grundgedankens

sind Emotionen gerichtet, und zwar auf Objekte, Personen, Situationen (Fuchs 2014b, 2). Diese Intentionalität hat

nun einen weiteren, nämlich affektiven Charakter:

Emotionen erscheinen als spezifische Formen leiblicher Gerichtetheit eines Subjekts auf

affektive Qualitäten und Valenzen einer gegebenen Situation. Sie umfassen Subjekt und Situ-

ation und lassen sich daher nicht in im Inneren der Person lokalisieren, weder in ihrer Psy-

che, weder in ihrem Gehirn. (Fuchs 2014a, 16)

Bei dieser Bestimmung handelt es sich um eine recht dichte, in der mehrere philosophische Motive miteinander

verflochten sind. Zum einen ist hier eine leiblich verfasste Intentionalität enthalten (vgl. Goldie 2009), zum ande-

ren das (evaluative) Entdecken von Werthaftigkeit und Bedeutung.11 Angenommen ich erlebe Neid gegenüber

einer Arbeitskollegin, weil sie am Jahresende eine Leistungsprämie für ihren Arbeitseinsatz bekommt, ich aber

nicht. In diesem Falle entdecke ich in meinem Neid an ihrem Verhalten bzw. an der gemeinsamen Situation Ei-

genschaften, die mir etwas bedeuten: sie bekommt etwas, was ich (auch) gerne hätte. Dergestalt entdeckt mein

Neid im Zuge von Bewertungen (Evaluationen, appraisals) für mich Werthaftes (value) und Bedeutungshaftes

(meaning). Solches Erschließen hat dann einen zweifachen Charakter, zum einen das Erschließen einer Qualität

für mich, zum anderen das Erschließen einer Qualität für mich, worin Weltbezug und Selbstbezug ineinander

verflochten sind (Fuchs 2014b, 3; vgl. Slaby 2007, 102ff.). Fuchs verdeutlicht jenes gleichermaßen am Neid

10 Was genau dann »Umwelt« bedeutet und wie sie ontologisch zu fassen ist, sei zunächst dahin gestellt. Es soll versucht

werden, den Begriff aus den behandelten Beispielen und der Verwendung heraus verständlich zu machen. 11 Vgl. den Ansatz von Slaby 2009.

12

(Fuchs 2014b, 3): zum einen missgönnt man darin einer anderen Personen einen Vorteil oder einen Erfolg (Welt-

bezug), zum anderen fühlt man sich selbst minder und unzufrieden mit sich (Selbstbezug). In diesem Selbstbezug

geht es mit dem Weltbezug auch um einen Selbst bzw. um eine existentiell und personal erfahrene Bedeutsamkeit.

Hierbei handelt es sich dann nicht um einen »rein kognitiven« Aspekt – ein Seitenhieb von Fuchs gegen kogniti-

vistische Ansätze von Solomon, Lyons oder Nussbaum – sondern um einen verkörperten. Wenn es um erlebbare

Intensität von Gefühlen12 geht, bedarf es eines Einbezugs der leiblichen Kompetente, ein Fokus auf kognitive oder

propositional-sprachliche Aspekte an Gefühlen reicht nicht aus: »Cognitions as such do not differ in intensity.«

(ebd. 1) Intensität wird nicht erfahrbar durch eine bestimmte Satzstruktur, eine Wiederholung von Ausrufezeichen

oder Steigerungen (»Ich bin so sehr, sehr, sehr neidisch!!!«). »This does not yield a different affective experience

unless we feel the ›very‹ or the repetition as expressing a more activated, tense or stressful bodily state« (ebd).

Intensität wird also auf einer leiblichen Ebene erfahrbar. Entsprechend ist das Entdecken von wert- und bedeu-

tungsvollen Qualitäten an einem Objekt, einer Person, einer Situation gleichermaßen leiblich verfasst.

Die leibliche Resonanz baut auf diesem Gedanken auf: Alles Erfahrene wird leiblich erfahren. Hierzu zählen

autonome Nervenaktivitäten (Herzschlag, Atmung, Zittern, etc.), muskuläre Aktivitäten, körperliche Haltungen,

Gesten, etc. Besonders Gesicht, Brust und Bauch sind »[b]esonders reiche Felder leiblicher Resonanz« (ebd.).

Fuchs beschreibt solches mit der akustischen Metapher der Resonanz, also eines Mitschwingens bzw. eines Wi-

derhalls. Durch und mit unseren leiblichen Empfindungen sind wir in unseren Gefühlen intentional auf Ge-

genstände, Personen oder Situationen bezogen: »Being afraid, for instance, is not possible without feeling a bodily

tension or trembling, a beating of the heart or a shortness of breath, and a tendency to withdraw. It is through these

sensations that we are anxiously directed toward a frightening situation.« (ebd. 3)

Vor dem Hintergrund dieser Ausführungen zur affektiven Intentionalität sowie leiblichen Resonanz verwundert

es wenig, dass der Leib bei Fuchs einen grundsätzlichen medialen Status hat: Der Leib ist das »Medium der af-

fektiven Intentionalität selbst« (Fuchs 2014a, 15) bzw. das »Medium unserer affektiven Betroffenheit von einer

Situation« (ebd. 16).

3.2 Interkorporalität und Interaffektivität

Die folgenden beiden Aspekte der Interkorporalität und Interaffektivität gehören genau genommen ebenso zum

Konzept leiblicher Affektivität bei Fuchs. Nachdem er hiermit aber einen neuen Aspekt in die Diskussion zu den

Gefühlen miteinbringt und diesen recht umfassend ausarbeitet, soll jenes eigens hervorgehoben behandelt werden.

Die zentrale Pointe der obigen Beschreibung einer leibhaftigen Affektivität, in der der Leib als Medium fun-

giert, liegt darin, dass Gefühle hierin für andere sichtbar sind: »[emotions] are not only felt from the inside, but

12 Ich setze hier »Intensität von Gefühlen« und »existentielle, personale Bedeutsamkeit« gleich. Mit letzterem meine ich

jenes, was je-mir wirklich wichtig ist: sei es die Beziehung zu meiner Freundin, das Erbstück von meinem Vater, das ihn in

meinem Leben präsent hält, ein Geschenk von meiner Mutter, eine regelmäßige Arbeit und die damit verbundene soziale

Zugehörigkeit, etc. All jenes, was in psychischen oder psychopathologischen Krisen explizit in den Vordergrund tritt.

13

also displayed and visible in expression and behaviour« (Fuchs 2014b, 5)13. Dies eröffnet den Raum dafür, was

Fuchs (mit Merleau-Ponty) »Interkorpalität« und »Interaffektivität« nennt, wo Leiber mehrerer Menschen ver-

flochten sind (»bodily link« (ebd. 7)) und es zu einer leibhaften Kommunikation (»embodied communication«

(ebd. 6)) kommt bzw. wie es in der Phänomenologie immer wieder heißt: einem »Körpergespräch«.

Fuchs verdeutlicht dies am Beispiel des Ärgers: Zwei Personen tragen einen Disput aus, die erste Person wird

wütend und bringt ihren Ärger zum Ausdruck. Nicht nur im Gesagten, sondern auch in einer gespannten Körper-

haltung, angespannter und aufgebrachter Stimme und errötetem Gesicht – solches wurde ja bereits als Impression

und Expression beschrieben. Die zweite Person sieht sich nun mit jenem leibhaftigen Ausdruck der ersten Person

konfrontiert. Der Ausdruck der ersten Person ist darin der Eindruck für die zweite Person, die ihrerseits leibhaftig

auf ihr wütendes Gegenüber reagiert: etwa mit einer unangenehmen Anspannung oder einem Rückzugs- und

Fluchtimpuls. Der Leib der zweiten Person antwortet auf die Erregung der ersten Person. Die Wahrnehmung des

anderen ereignet sich selbst medial: »Our body is affected by the other’s expression, and we experience the kinet-

ics, intensity, and timing of his emotions through our own bodily kinaesthesia and sensation.« (Fuchs 2013, 223)

Fuchs unterscheidet an einer solchen Wahrnehmung einen »proximalen« (Nähe) und einen »distalen« (Ferne)

Aspekt: der Nah-Aspekt ist die Wahrnehmung des eigenen Leibes, wie er auf den Ärger des anderen antwortet,

etwa durch Aktivierung oder durch einen Fluchtimpuls. Die leiblichen Äußerungen des Gegenübers, der ersten,

wütenden Person, sind demgegenüber der Fern-Aspekt. In der Wahrnehmung tritt der Nah-Aspekt gegenüber dem

Fern-Aspekt in den Hintergrund (ebd.).

Die Expression der ersten Person wird zur Impression für die zweite Person, die ihrerseits leiblich-affektiv

antwortet (etwa durch eine eingeschüchterte Körperhaltung), worin die Expression der zweiten Person neuerlich

zur Impression für die erste Person wird. Dergestalt kommt es zu Prozessen der Interaffektivität, bei denen in

Bruchteilen einer Sekunde der Leib mehrerer Personen ineinander verflochten sind – Fuchs nennt dies »mutual

incorporation« (Fuchs 2014b, 6): »This creates a circular interplay of expressions and reactions running in split

seconds and constantly modifying each partner’s bodily state.« (ebd.)

Mit einem solchen Konzept grenzt sich Fuchs ausdrücklich gegen Repräsentations- und Simulationsansätze ab

(Fuchs 2009b, 467). Jenen ist gemeinsam zu eigen, dass sie Interaktion zwischen Personen derart beschreiben,

dass Simulationsmodelle oder Schlussfolgerungen herangezogen werden, um das Verhalten anderer Personen er-

klären und antizipieren zu können. Solche Ansätze haben außerdem eine Nähe zur Hirnforschung (Stichwort:

Spiegelneuronen) und zu Konzeptualisierungen, die auf einer subpersonalen Ebene stattfinden und von der Warte

einer 3. Person ausgehen.

Fuchs führt hiergegen mehrere Einwände (Fuchs 2009b, 467f.): Zum einen wendet er sich gegen die implizite

Annahme eines mentalen Inneren als eines isolierten Reiches, versteckt und unzugänglich vor anderen, dessen

Kluft nach »Außen« und gegenüber anderen nur durch Projektion und Schlussfolgerung (inference) überwunden

13 Vgl. dazu auch Fuchs 2009b, 469: »Intentions are not opaque and hidden but are expressed in action and can be percep-

tible to others.« – Fuchs führt jene Bestimmung als 3. Annahme seines Ansatzes an.

14

werden kann. Dem steht die bereits genannte Beschreibung entgegen, dass durch unseren – medial verstandenen

– Leib Eindrücke und Ausdrücke unserer Erfahrungen für andere sichtbar sind. Zudem wendet Fuchs ein, dass mit

einer Bevorzugung einer 3. Person Perspektive, die sich auf eine Beobachterposition zurückgezogen hat, die In-

teraktion fehlt, die – entlang der angeführten Beispiele – im lebensweltlichen Miteinander leiblich spürbar wird.

Überhaupt wird die Leiblichkeit einer Interaktion übergangen, die Repräsentations- und Simulationsansätze kön-

nen verstanden werden als: »disembodied sender-receiver relation between two Cartesian minds« (ebd. 468), wo

der Leib bestenfalls als »transmission device« herhält. Die von Fuchs beschriebene Verflechtung von Ausdruck

und Eindruck zweier Personen im Zuge eines Interaktionsprozesses macht demgegenüber sichtbar, wie sich ein

solcher Prozess grundsätzlich leiblich ereignet. An den subpersonalen Erklärungsansätzen, die von biochemischen

Prozessen im Gehirn gewonnen werden, beanstandet er prinzipiell »serious problems with a subpersonal account

of simulation« (ebd. 469). Simulationen oder Spiegelungen ergeben auf einer subpersonalen Ebene keinen Sinn,

beide verlangen vielmehr ein Subjekt, für das etwas »als ob« bzw. als Gespiegeltes erscheint. Außerdem fehle laut

Fuchs die dynamische Komponente, wonach sich Hirnstrukturen durch eine Interaktion mit der Umwelt erst her-

ausbilden und entsprechend nicht statisch vorgegeben sind.

Demgegenüber bezeichnet Fuchs seine Position als »non-representational, enactive and embodied concept of

intersubjectivity« (ebd. 469). Die Zwischenleiblichkeit ist – wie etwa im Aufeinandertreffen von Blicken erfahrbar

– unmittelbar und basiert nicht auf Repräsentationen oder simulierten Körpermodellen, die nach außen projiziert

werden. Jede Form von Wahrnehmung, Affektion oder Handlungsimpuls sind leiblich (»embodied«) und entste-

hen in der Interaktion des Leibes mit seiner Umwelt (»enactive«), hier etwa in der Verflechtung mit einem anderen

Leib (»bodily link«). Fuchs findet hierin auch »the bodily basis of empathy and social understanding« (Fuchs

2014b, 5) bzw. »kinaesthetic empathy« (ebd. 7). Empathie und soziales Verstehen basieren demnach nicht auf

reflexiven oder kognitiven Leistungen (Schlussfolgerung, Decodierung oder der Simulation eines »other mind«),

sondern auf einem präreflexiven, leiblichen und non-verbalen Austausch. Auf diese Weise wird der jeweils eigene

Leib zugleich zum Medium der Teilnahme an einer gemeinsamen Sphäre (Fuchs 2013, 225), zu einem Medium

der Intersubjektivität.

Der leibliche Ausdruck von Person A und der leiblich erfahrene Eindruck auf Person B korrespondieren mit-

einander. An diesem Korrespondieren lässt sich ein Geschehen deutlich machen: »a process of generating and

transforming meaning in the interplay between interacting individuals and the interaction process itself« (Fuchs

2009b, 466). Fuchs und De Jaegher bezeichnen solches sogar als »participatory sense-making« (ebd.) Das bedeu-

tet, dass es in der leiblich erfahrenen Begegnung zwischen Personen zu einem Prozess der Sinnbildung kommt, an

dem beide teilhaben und in dessen Verlauf sich Bedeutung, Absichten, Handlungen erst ergeben. Fuchs beschreibt

jenes als ein Prozessgeschehen des Zwischen (»in-between«), das keiner der Beteiligten allein kontrollieren könnte

oder dafür gänzlich verantwortlich wäre. Hierin vollzieht sich eine gemeinsame Sinnbildung, an der beide beteiligt

sind und die nicht einseitig zugewiesen kann – Fuchs spricht hier von einem »truly joint sense-making« (ebd. 477).

Zur Veranschaulichung könnte man ein philosophisches Gespräch zwischen zwei StudentInnen anführen, das sich

in seinem Verlauf aufheizt und zum persönlichen Konflikt wird und an deren Dynamik beide Personen Anteil

15

haben. Auf diese Weise beeinflussen sowohl der andere, als auch der Prozess mich selbst, indem sie auf mich

zurückwirken. Um im Bild zu bleiben: Im genannten Konflikt erwidert die zweite Person die Provokation der

ersten durch einen verächtlichen Blick. Dieser wiederum führt dazu, dass sich die erste Person gekränkt fühlt und

sich haltungsmäßig von der zweiten Person abwendet. Hierin vollzieht sich ein Betroffen-Werden, das sich wie-

derum dem Verfügen widersetzt: »I not only have limited control over the other, but also over myself in my en-

counter with him.« (ebd.) – Auf diese Weise vollzieht sich in der Zwischenleiblichkeit und Interaffektivität ein

Prozess der Sinnbildung zwischen den Beteiligten, über den keiner rein verfügen kann und der auf jene zurück-

wirkt.

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