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Zwischen Wortwitz und Klamauk Der Tatort Münster als Dramedy T HOMAS KLEIN Dem deutschen Gegenwartsfernsehen wird seit Jahren vorgeworfen, mit neuen Formen seriellen Erzählens nicht Schritt halten zu können. Dabei wird meist auf das US-amerikanische sog. Quality TV verwiesen. In nahezu blindem Aktionismus ha- ben Praktiker auf diese Misere deutscher Serienproduktion reagiert, indem sie Imi- tationen von US- oder auch britischen Serien konzipierten bzw. produzierten. Die Ergebnisse waren überwiegend katastrophal. Stromberg (2004-2012) als Adaption von The Office (2001-2003) ist eher eine Ausnahme. Davon abgesehen stellt sich aber die Frage, ob ästhetische, narrative und speziell serielle Veränderungen nicht doch im Detail einen gewissen und nicht unbedingt negativen Einfluss auf die deut- sche Serienproduktion ausgeübt haben. Zu diesen narrativen und seriellen Modifikationen gehört die Hybridisierung von Genres, Formaten und anderen narrativen und seriellen Formen. Eine entspre- chende Variante besteht im »Wechselspiel zwischen episodischem und fortset- zungsorientiertem Erzählen« (Mittell 2012: 106). Der Mischung aus series und se- rial kann als weitere Zutat die Struktur der Soap Opera hinzugefügt werden, wie es Glen Creeber festgestellt und dafür die Bezeichnung »flexi-narrative« eingeführt hat (Creeber 2004: 12). Eine weitere Hybridisierung findet sich in der Kombination von Komik und melodramatischen Elementen, wie es paradigmatisch in Ally McBeal (1997-2002) praktiziert wurde (vgl. hierzu Groß 2012: 275). Für diese Form – »hour-long television programmes that seek to fuse elements of comedy and drama, resulting in a drama with comic elements or a comedy with dramatic ele- ments« (Feasey 2012: 71) – hat sich ein Terminus gefunden, in den sich die Vermi- schung im wahrsten Sinne des Wortes eingeschrieben hat: Dramedy. Die ersten Dramedies, hierzulande auch Dramödien genannt, erschienen in den 1980er Jahren. Moonlighting/Das Model und der Schnüffler (1985-1989) gilt als erstes prägnantes Beispiel in der Seriengeschichte. Eine konzeptionell sehr ähnliche

Zwischen Wortwitz und Klamauk: Der Tatort Münster als Dramedy

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Zwischen Wortwitz und Klamauk

Der Tatort Münster als Dramedy

THOMAS KLEIN

Dem deutschen Gegenwartsfernsehen wird seit Jahren vorgeworfen, mit neuen

Formen seriellen Erzählens nicht Schritt halten zu können. Dabei wird meist auf das

US-amerikanische sog. Quality TV verwiesen. In nahezu blindem Aktionismus ha-

ben Praktiker auf diese Misere deutscher Serienproduktion reagiert, indem sie Imi-

tationen von US- oder auch britischen Serien konzipierten bzw. produzierten. Die

Ergebnisse waren überwiegend katastrophal. Stromberg (2004-2012) als Adaption

von The Office (2001-2003) ist eher eine Ausnahme. Davon abgesehen stellt sich

aber die Frage, ob ästhetische, narrative und speziell serielle Veränderungen nicht

doch im Detail einen gewissen und nicht unbedingt negativen Einfluss auf die deut-

sche Serienproduktion ausgeübt haben.

Zu diesen narrativen und seriellen Modifikationen gehört die Hybridisierung

von Genres, Formaten und anderen narrativen und seriellen Formen. Eine entspre-

chende Variante besteht im »Wechselspiel zwischen episodischem und fortset-

zungsorientiertem Erzählen« (Mittell 2012: 106). Der Mischung aus series und se-

rial kann als weitere Zutat die Struktur der Soap Opera hinzugefügt werden, wie es

Glen Creeber festgestellt und dafür die Bezeichnung »flexi-narrative« eingeführt

hat (Creeber 2004: 12). Eine weitere Hybridisierung findet sich in der Kombination

von Komik und melodramatischen Elementen, wie es paradigmatisch in Ally

McBeal (1997-2002) praktiziert wurde (vgl. hierzu Groß 2012: 275). Für diese

Form – »hour-long television programmes that seek to fuse elements of comedy and

drama, resulting in a drama with comic elements or a comedy with dramatic ele-

ments« (Feasey 2012: 71) – hat sich ein Terminus gefunden, in den sich die Vermi-

schung im wahrsten Sinne des Wortes eingeschrieben hat: Dramedy.

Die ersten Dramedies, hierzulande auch Dramödien genannt, erschienen in den

1980er Jahren. Moonlighting/Das Model und der Schnüffler (1985-1989) gilt als

erstes prägnantes Beispiel in der Seriengeschichte. Eine konzeptionell sehr ähnliche

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Serie war Remington Steele (1982-1987), die als Wegbereiter für Moonlighting

gilt.1 Um das Ausgangsgenre (in diesen Fällen die Detektivgeschichte) kenntlich zu

machen, das mit Elementen des Komischen durchdrungen wird, ist bei diesen Se-

rien auch von comedic dramas die Rede. Eine weitere, sehr naheliegende Spielart

der Dramedy ist die Kombination von Familienserie und Comedy. Dass diese bei-

den Formen miteinander harmonieren können, zeigt die domestic comedy, die aber

überwiegend komische Anteile aufweist. Wenn Familienserie und Comedy mit ei-

ner großen Schnittmenge von dramatischen und komischen Anteilen vermischt

werden sollen, so erscheint eine deutlichere Abweichung von der Kernfamilie von-

nöten. Tatsächlich ist dies auch zu beobachten. Rebecca Feasey: »[...] recent exam-

ples of the genre tend to focus on a number of alternative family codes, conventions

and complications« (2012: 71). Als Beispiele nennt sie Gilmore Girls (2000-2007)

und v.a. Desperate Housewives (2004-2012).

Davon ausgehend ist die Figurenkonstellation im Tatort Münster für eine

Dramedy bestens geeignet: Der Kommissar lebt in Scheidung und ermittelt mit ei-

nem unkonventionellen ›Team‹, dessen Mitglieder alle alleinstehend sind, darunter

die junge blonde Assistentin, ein Gerichtsmediziner, dessen kleinwüchsige Assis-

tentin, eine Staatsanwältin mit Reibeisenstimme und der Taxi fahrende Vater des

Kommissars. Den Tatort Münster im Kontext des Hybridgenres Dramedy zu be-

trachten, erfordert jedoch die Berücksichtigung einer weiteren Ebene, denn es han-

delt sich um eine Serie innerhalb einer übergeordneten Reihe. Es muss also darum

gehen, wie im Thiel/Boerne-Tatort das Wechselverhältnis von Drama bzw. Krimi-

nalserie und Komik im Kontext einer Reihe (des Tatort) strukturiert wird, von der

angenommen werden kann, dass nicht jede Form von Modifikation funktioniert,

sondern unter Umständen als »Genre- bzw. Formatverletzung« (Hißnauer/Scherer/

Stockinger 2012: 151) wahrgenommen wird.

KOMIK ALS DISTINKTION

2003 ins Leben gerufen, handelt es sich beim Thiel/Boerne-Tatort des WDR zu-

gleich um den derzeit quotenstärksten Tatort, der in den neuesten Folgen Rekord-

zahlen erreichte.2 Zugleich hat sich mit den 14- bis 49-Jährigen eine Zuschauer-

schaft gefunden, die lange Zeit nicht zur Klientel des Tatorts zählte, was sich aller-

1 Der Produzent Glenn Gordon Caron war bei beiden Serien beteiligt.

2 Die Folgen 22 und 23, Das Wunder von Wolbeck (2012) und Summ, summ, summ (2013),

erreichten über 12 Mio. Zuschauer (http://www.tatort-fundus.de/web/folgen/chrono/ab-

2010/2012/851-das-wunder-von-wolbeck.html und http://www.tatort-fundus.de/web/fol

gen/chrono/ab-2010/2013/867-summ-summ-summ.html).

ZWISCHEN WORTWITZ UND KLAMAUK │285

dings auch für andere Tatort-Serien geändert hat. Dass dieser Erfolg mit den auf ei-

ne komische Wirkung abzielenden Dialogen, mit gezielt als Typen konzipierten

wiederkehrenden Haupt- und Nebenfiguren sowie Elementen der situation comedy

zu tun hat, daran besteht kein Zweifel. Doch wie kommt es, dass eine Reihe, die als

der »wahre deutsche Gesellschaftsroman« (Vogt 2005) bezeichnet wurde, die trotz

einiger Zäsuren und temporärer Brüche letztlich doch eine bemerkenswerte Konti-

nuität hinsichtlich einer gewissen Ernsthaftigkeit im Umgang mit Kriminalität zu-

nächst in der Bundesrepublik und dann in Deutschland aufweist, eine Serie, die

dergestalt »Einblicke in die sozial- und mentalitätsgeschichtlichen Verhältnisse der

Bundesrepublik Deutschland« (Hißnauer/Scherer/Stockinger 2012: 143) bietet, ei-

nen solchen Erfolg verbuchen?

Abb. 1: Prof. Karl-Friedrich Boerne in Der dunkle Fleck

Folgen wir Christian Hißnauer, Stefan Scherer und Claudia Stockinger weiter, so

spielen Distinktionsmerkmale für den Tatort prinzipiell eine wichtige Rolle (ebd.:

153). Diese Merkmale bedingen auch eine Trennung in die Bezeichnung Reihe,

wenn vom Tatort insgesamt, und Serie, wenn von den Tatort-Folgen um bestimmte

Kommissarfiguren einer Sendeanstalt die Rede ist. Bezüglich Ermittler bzw. Er-

mittlerpaar stellte in den 1980er Jahren der Tatort des WDR mit Schimanski und

Thanner die erste auffällige Zäsur dar. Fall und Privatleben rückten oft sehr nahe

zusammen, die Diskrepanz zwischen dem medial repräsentierten Polizisten zur au-

ßerfilmischen Polizisten-Realität nahm deutlich zu (und wurde entsprechend disku-

tiert); und in der Figur des von Eberhard Feik gespielten Thanner wurde das Stereo-

typ des Assistenten aufgebrochen, indem er zum gleichberechtigten Kollegen avan-

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cierte. Die Ausnahmestellung des Schimanski-Tatort zeigte sich auch darin, dass

zwei Kinofilme entstanden.

Der Thiel/Boerne-Tatort, wieder vom WDR produziert, stellt in vieler Hinsicht

eine zweite deutliche Zäsur dar. Und abermals besteht das zentrale Distinktions-

merkmal in einer starken Variation des Ermittlerpaares. Mit Prof. Karl-Friedrich

Boerne (Abb. 1) ist zum ersten Mal ein Rechtsmediziner zweite Hauptfigur. Mit

Der letzte Zeuge (1998-2007) wurde dieser Figurentyp zuvor bereits in einer deut-

schen Serie als Protagonist eingesetzt: hier war der Kommissar eher Nebenfigur.3

Während Kolmaar eindeutig der Protagonist ist, sind Hauptkommissar Frank Thiel

(Abb. 2) und Boerne gleichwertige Hauptfiguren. Aus diesem Distinktionsmerkmal

geht das zweite hervor, die Komik, die aus der Kontrastrelation zwischen Boerne

und Thiel resultiert, aber auch in anderen Figurenrelationen auftritt. Diese bedarf

eines spezifischen Sinns für Humor beim Zuschauer, zumal nicht davon ausgegan-

gen werden kann, dass er diesen im Tatort ohne weiteres goutiert.

Abb. 2: Hauptkommissar Frank Thiel in Der dunkle Fleck

POLITICAL CORRECTNESS, WITZ UND KOMIK

In seinem Buch »Herrlich inkorrekt«. Die Thiel-Boerne-›Tatorte‹ (2012) hat

Matthias Dell, Kulturredakteur der Wochenzeitung Freitag, bereits Funktionen des

Komischen im Münsteraner Tatort aufgezeigt. Dabei fokussiert er solche Momente,

3 Ulrich Mühe spielt Dr. Robert Kolmaar, der in Scheidung lebt und mit seiner Tochter

Anna zusammenwohnt.

ZWISCHEN WORTWITZ UND KLAMAUK │287

die sich auf den ›PC‹-Diskurs beziehen, also darauf, wie die Thiel/Boerne-Tatorte

das Thema Political Correctness für die Erzeugung von Komik einsetzen. Am of-

fensichtlichsten tritt dies in Boernes Anspielungen auf die geringe Körpergröße von

Silke Haller zutage, die er in Anspielung an eine Figur aus der germanischen My-

thologie (den Elfen- bzw. Zwergenkönig) mit dem Beinamen ›Alberich‹ belegt. Ein

anderes Beispiel gibt Dell mit einer Äußerung Boernes in der Folge 3 x Schwarzer

Kater (2003): »Schade, dass das Vierteilen politisch nicht mehr korrekt ist. Speziell

im Falle jenes britischen Genies, der diese Software programmiert hat. Den würde

ich gerne persönlich teeren, federn, rädern und anschließend kreuzigen, und zwar

genau in der Reihenfolge.« (00:41:38-00:41:53) (Ein britischer Softwareprogram-

mierer möchte von Boerne persönlich nach Münster gebeten werden, um ein von

ihm entwickeltes schadhaftes Computerprogramm zu reparieren.) Dell zeigt, wie

der Witz funktioniert:

»Auch wenn Witze-Erklären immer schrecklich dröge rüberkommt: Die Übertreibung funk-

tioniert, weil das Genervtsein von Boerne über sein schadhaftes Programm und das Sich-

Zieren des Progammierers in keinem Verhältnis zu den mittelalterlichen Folter- und Hinrich-

tungspraxen steht, die Boerne sich ausmalt.« (Dell 2012: 82f.)

Dell hat recht, dass Witze erklären selten witzig ist. Allerdings hat (wie Dell deut-

lich macht) Boernes Äußerung weniger mit Political Correctness zu tun, als es die

explizite Thematisierung verspricht. Für Dell ist der Sprachwitz daher auch weniger

gelungen denn in anderen von den beiden Drehbuchautoren Jan Hinter und Stefan

Cantz geschriebenen Dialogen (ebd.: 84). Das Problem sieht er als Teil der Debatte

um politische Korrektheit: »Die Verwendung von ›politisch korrekt‹ macht aus dem

Witz ein unangenehmes Programm; die Pointe ist nur der Vorwand, nebenher or-

dentlich auszuteilen.« (Ebd.)

Dells Befund hinsichtlich des Humors fällt letztlich nicht eben positiv aus. Als

Kollateralschäden der ›PC‹-Analyse finden sich Begriffe wie »Kadettenhumor«

(ebd.: 90) oder die Beobachtung, dass Witze auf der Basis hanebüchener Konstruk-

tionen von Szenen stattfinden (ebd.: 103). Indem Dell aber auf den (deutschen)

›PC‹-Diskurs eingeht, bezieht sich seine Analyse des Komischen im Tatort Münster

auf das, was ohnehin als typisch für den Tatort im Allgemeinen betrachtet wird:

dass der Tatort »Einblicke in die sozial- und mentalitätsgeschichtlichen Verhältnis-

se der Bundesrepublik Deutschland« (Hißnauer/Scherer/Stockinger 2012: 143) gibt.

Diese Perspektive gibt Dell selbst als Leitlinie seiner Darstellung an: »Dieses Buch

[...] versucht [...] zu beschreiben, wie Münster von einer bestimmten, immer wie-

derkehrenden Debatte der Jetztzeit handelt.« (Dell 2012: 23) Alle witzigen Elemen-

te, die mit Political Correctness zu tun haben, schaffen demzufolge keine Inkohä-

renz innerhalb der Tatort-Reihe, weil sie auch auf längere Sicht vom Publikum als

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Variationen des Konzepts ›Tatort‹ rezipiert werden können, das darin besteht, aktu-

elle gesellschaftliche Debatten in die Handlung zu integrieren.

Indes stellt sich die Frage, in welchem Verhältnis Witz und Komik im Thiel/

Boerne-Tatort zueinander stehen. Gemeinhin gilt der Witz als Spielart der Komik.

Nach Sigmund Freud ist der Unterschied in der Art und Weise der Kommunikation

zu finden: »Der Witz wird gemacht, die Komik wird gefunden, und zwar zu aller-

erst an Personen [...].« (Freud 1958: 147) Das überzeugt insofern, als man darin

durchaus eine gängige Form der kommunikativen Äußerung eines Witzes wieder-

erkennen kann. In medialen Darbietungen von Witzen entstehen jedoch weitere

Ebenen, weil dann ein Witz nicht nur einer oder mehreren anderen Person erzählt

wird, sondern der Zuschauer im Kino oder vor dem Fernseher hinzukommt. So

kann ein Witz, der im Film erzählt wird, auch die Funktion haben, den Witze-

Erzähler als nicht besonders witzig darzustellen, indem keiner seiner Zuhörer in-

nerhalb der Diegese auf den Witz lachend reagiert. Das schließt jedoch nicht aus,

dass wir als Fernsehzuschauer über den Witz lachen.

Übertragen auf Boerne könnte das bedeuten, dass er Witze macht, die für die

anderen Figuren fast nie witzig sind, während wir Zuschauer vor dem Fernseher

darüber lachen sollen. Die Zuschauer müssen also die in Boernes Äußerungen im-

plizierte Komik finden. Wenn Boernes Äußerungen tatsächlich als Witze bezeich-

net werden sollten, in denen der ›PC‹-Diskurs zur Sprache kommt, dann wären sie

unter der Kategorie zu subsumieren, die Freud als »tendenziöse Witze« bezeichnet,

weil sie sich in den Dienst einer Absicht stellen (ebd.: 72). Es ist jedoch nötig, einen

Schritt weiter zu gehen. Eine Stellung zwischen dem Witz und dem Komischen

weist Freud dem Naiven zu. Dieses ist v.a. bei Äußerungen von Kindern anzutref-

fen. Der Naive wirkt komisch, ohne dass er dies selbst wahrnimmt. Er erzählt einen

Witz, hegt aber nicht die Absicht dazu. Die komische Wirkung fiktionaler Figuren,

ob auf der Bühne, in Film oder Fernsehen, hängt stark mit dem Naiven zusammen.

Schauspieler spielen eine Figur dergestalt komisch, dass die Figur den Eindruck

erweckt, nicht zu merken, dass sie komisch ist, selbst dann, wenn die Komik als

Witz daherkommt. Sie verhalten sich gespielt naiv. Der berühmte Schlusssatz

»Niemand ist vollkommen!« in Some Like It Hot/Manche mögen’s heiß (1959) ist

dafür ein sehr passendes Beispiel. Allerdings nehmen wir diese Aussage nur des-

halb als komisch wahr, weil sie aus der Narration hervorgeht. Ohne den Kontext

des Spiels mit Gender, das der Film betreibt, wäre die Aussage kaum komisch.

Daraus ergibt sich aber die Frage, in welchem Verhältnis Boernes Äußerungen

als Witze zur komischen Wirkung im Kontext einer Tatort-Narration stehen. Wenn

Boerne sich etwa über die Körpergröße von Silke Haller lustig macht, dann sind

dies in der Tat intendierte Witze. Diese sind aber kaum in die Narration eingebettet,

und sie richten sich ausschließlich an den Fernsehzuschauer. Andere Figuren lachen

über seine Witze fast nie, und wenn jemand lacht, dann meist über Boerne und nicht

über dessen Witz, geschweige denn über dessen Humor. Darüber hinaus wird Ko-

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mik in Dialogen freigesetzt, die weder den Charakter von Witzen aufweisen noch

mit der Debatte um Political Correctness zu tun haben. Die Komik, die von Boerne

in vielen anderen Situationen ausgeht, entspricht zuvorderst einer komischen Figu-

renkonzeption, die darauf beruht, dass Boerne sich der von ihm ausgehenden Ko-

mik nicht bewusst ist. Er agiert im o.g. Sinne naiv.

»It is not [...] just the content of comedy that is significant but also its ›conspira-

tional‹ relationship with the viewer (reader).« (Horton 1991: 9) Eine Funktion hin-

sichtlich des Konspirativen hat interessanterweise gelegentlich Nadeshda, die als

›normalste‹ Figur hin und wieder Mittlerin zwischen Diegese und Zuschauer ist, so

etwa, wenn sie und Thiel in einer Folge die Staatsanwältin zu Hause aufsuchen und

überraschenderweise Thiels Vater frisch geduscht mit einem Handtuch um die Hüf-

ten auftritt. Nadeshda kann ein Lachen kaum unterdrücken, Hauptkommissar Thiel

hingegen ist nicht zum Lachen zumute (Das zweite Gesicht, 01:16:49-01:17:20).

Dass komische Figuren eine merkwürdige Stellung zwischen dem Bewusstsein,

komisch zu sein, und der erwähnten Naivität haben können, wird insbesondere in

Sitcoms deutlich. Wenn die verheirateten Lily und Marshall in How I Met Your

Mother (seit 2005) darüber sprechen, dass es noch nie bei der Verrichtung seiner

Notdurft im selben Zimmer war (Zip, Zip, Zip/Nur nichts überstürzen, Staffel 1,

Episode 14), so tut es das im Brustton der Überzeugung eines Beziehungsdramas

und zugleich im Modus des Komischen, der Äußerungen und Handlungen impli-

ziert, die in den Ausführungen bewusst überzeichnet sind. Besonders interessant

wird es, wenn man einen Blick darauf wirft, wie andere Figuren in der Diegese auf

komische Figuren reagieren. Gerade weil sie die komische Figur eigentlich ernst

nehmen oder allenfalls sonderbar oder verhaltensauffällig, entsteht der komische

Effekt. Noch einmal How I Met Your Mother: Keiner seiner Freunde lacht über

Barney Stinson. Nie schließt sich eine andere Figur in der emotionalen Reaktion an

eine Lachkonserve an. Es sind im Übrigen gerade die Lachkonserven, die deutlich

machen, wie konspirativ gerade Sitcoms vorgehen. Bei Dramedies werden sie aber

in der Regel nicht eingesetzt.

Wie die Sitcom erweckt auch der Thiel/Boerne-Tatort den Eindruck, es würden

Witze erzählt – resultiert die Komik doch überwiegend aus dem Dialog. Nicht um-

sonst ist dann auch von Wortwitz die Rede. Doch weder eine Sitcom noch eine

Dramedy noch der Thiel/Boerne-Tatort erschöpfen sich darin, wenn sie Komik an-

wenden. Deshalb sollen weitere Merkmale des Komischen herausgestellt werden,

darunter auch solche des Slapstick, die ebenfalls in Sitcoms vorkommen, im Tatort

jedoch eher als Klamauk und damit als zu starke serielle Inkohärenz wahrgenom-

men werden (können).

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ELEMENTE DER SITCOM

Die Sitcom als TV-Destillat der Situationskomödie hat sich im Fernsehen nicht zu-

letzt durchgesetzt, weil sie besonders gut mit Serialität harmoniert. Wichtig ist eine

Grundsituation, ein Status Quo, auf den von Folge zu Folge immer wieder zurück-

gekehrt werden kann. Dabei handelt es sich überwiegend um Relationen zwischen

statisch konzipierten Figuren. Die Figuren entwickeln sich nicht weiter. Für den

Tatort gilt dies in vieler Hinsicht generell, weswegen die Kombination mit der Sit-

com auch gelingen kann. Im Thiel/Boerne-Tatort weisen die Hauptfiguren zudem

deutliche Züge von Figurentypen auf. V.a. Boerne ist als eindimensionale und ste-

reotype Figur konzipiert, die nur wenige, aber dafür prägnante Eigenschaften be-

sitzt. So kann er als Karikatur des Bildungsbürgers mit akademischem Hintergrund

bezeichnet werden, der mit seinem bildungsbürgerlichen Wissen prahlt. Münster

mit seiner altehrwürdigen Universität ist hierfür das geeignete Setting. Thiel wiede-

rum affirmiert den kleinen Mann aus dem Volk auf übertriebene Weise: eine Figu-

renkonzeption, die der Schauspieler Axel Prahl bereits in seinen Filmen mit Andre-

as Dresen entwickelt hatte.4 Diese Figurenkonzeptionen prallen mit anderen aufei-

nander: Boerne auf Haller, deren Hauptmerkmal ihre Kleinwüchsigkeit ist, Thiel

auf seinen Vater Herbert, dessen Hauptmerkmal sein Alt-68er-Gestus ist. Die ket-

tenrauchende Staatsanwältin Wilhelmine Klemm wiederum kann mit allen Figuren

konfrontiert werden. Von Elementen der Figurentypisierung ausgenommen ist

Thiels junge Assistentin Nadeshda, die Jugendlichkeit, berufliches Engagement und

weibliche Attraktivität repräsentiert.

Prinzipiell kommen auf Komik zielende Dialoge in allen Situationen vor, auch

am Tatort zu Beginn der Ermittlungen. Gezielt darauf verzichtet wird in der vier-

zehnten Folge Wolfsstunde (2008), indem Boerne Thiel nur kurz im Vorübergehen

›Morgen‹ wünscht. Weil es um einen brutalen Sexualmord geht, wurde der Anteil

komischer Elemente in dieser Folge ohnehin reduziert. In der zweiundzwanzigsten

Folge Das Wunder von Wolbeck (2012), wo komische Elemente viel Raum ein-

nehmen, streiten Thiel und Boerne bereits am Tatort über Spielschulden in Höhe

von 120 Euro, die Boerne bei einem Schachspiel mit Thiel gemacht habe und

kommunizieren dabei über einen anderen Mitarbeiter. Hier wird von einem komi-

schen Element Gebrauch gemacht, das sich in der Beziehungskomödie findet: Zwei

eigentlich ineinander Verliebte, die sich ihre Gefühle noch nicht offenbaren konn-

ten, geraten in einen Streit, der aus diesen noch ambivalenten Gefühlen resultiert

und zu einer unvernünftigen, ja nahezu infantilen Kommunikations-Umleitung

4 Auf diese Figurenkonzeptionen geht auch Matthias Dell (2012: 26-44) ein, er kommt aber

später, wenn es um ›PC‹ geht, nur noch bedingt darauf zurück.

ZWISCHEN WORTWITZ UND KLAMAUK │291

führt. Diese komische Situation kann demzufolge auch in Relationen zwischen

männlichen Figuren eingesetzt werden.

Meistens wird eine komische Verwicklung zwischen Thiel und Boerne schon

vor den ersten Ermittlungen etabliert. In der zehnten Folge Das zweite Gesicht

(2006) wird dies geschickt dazu benutzt, Nadeshda mehr Raum in der Ermittlung zu

geben. So trifft sie allein am Tatort ein, während Thiel in einem An- und Verkauf-

Geschäft ein Tisch-Heizgerät kaufen will. Als Thiel die Umdrehungszahl erhöht,

kommt Qualm aus dem Gerät und es schaltet sich aus. Darauf erwidert der Verkäu-

fer, dass man über den Preis noch reden könne. Das erste Aufeinandertreffen von

Thiel und Boerne findet in der Gerichtsmedizin statt, und in dem sofort erfolgenden

Streitgespräch erfahren wir, dass in Boernes Haus, und damit auch in Thiels Woh-

nung, die Heizung ausgefallen ist. Das Problem der Heizung eskaliert zusehends

und nach 70 Minuten sieht sich der Mieter Thiel gezwungen, in Boernes Wohnung

umzuziehen, was zu weiteren komischen Situationen führt.

Abb. 3: Die erste Begegnung von Thiel und Boerne in Screenshot aus Der dunkle Fleck

Hier wird deutlich, dass der Handlungsort eine wichtige Funktion für die Anwen-

dung von Komik einnimmt. Das Polizeipräsidium ist dafür nur bedingt einsetzbar,

weil sich hier mehr die dramatischen Anteile abspielen. Wenn Thiel sich in Das

zweite Gesicht (2006) im Präsidium an einem Heizungsrohr mit Bewegungen auf-

wärmt, als handele es sich um eine Tanzstange, ist dies des Komischen schon fast

zu viel. Vorstellbar wäre diese Situation allenfalls in den überdrehten Genre-

Parodien David Zuckers, wie etwa in der Naked Gun/Die nackte Kanone-Reihe

(1988-1994). Thiel ist als Figur so angelegt, dass sich das Verhältnis von Komik

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und Ernsthaftigkeit zum Ziel der Glaubwürdigkeit als Tatort-Ermittler die Waage

halten muss.

Komische Situationen finden also v.a. an anderen Orten statt, und hierfür wurde

auch die dramaturgische Konstruktion entwickelt, dass Boerne und Thiel im glei-

chen Haus und dort vis-à-vis wohnen. Der Gag in der ersten Folge Der dunkle

Fleck (2002), als die beiden sich zum ersten Mal begegnen, ist denn auch als kleine

Slapstick-Nummer umgesetzt (00:07:39-00:07:59). Thiel steht mit einer großen

Verkaufsverpackung, in der sich eine Matratze befindet, vor seiner neuen Wohnung

und will gerade aufschließen. Boerne kommt, von Thiel ungesehen, aus seiner

Wohnung gegenüber und grüßt Thiel. Der dreht sich mit der Verpackung um. Boer-

ne duckt sich geschickt und tritt zur Seite. Er spricht Thiel erneut an, der sich aber-

mals mit seiner Verpackung umdreht. Diesmal gelingt es Boerne nicht, sich recht-

zeitig zu ducken und die Verpackung schlägt ihm mitten ins Gesicht (Abb. 3).

Abb. 4: Boerne mit neuer Krone in Der dunkle Fleck

Es handelt sich um eine altbekannte Slapstick-Nummer, die in Verbindung mit ei-

nem Objekt eingesetzt wird. In diesem Thiel/Boerne-Tatort wird aus dem Schluss-

gag der Slapstick-Szene zusätzlich ein Running Gag gemacht. Denn Boerne verliert

zentral zwischen den Schneidezähnen eine Krone, die er im weiteren Verlauf der

Handlung mal ersetzt bekommt, dann wieder verliert, um sie schließlich wieder an-

bringen zu lassen (Abb. 4-6).

Es stellt sich die Frage, ob ein solcher Running Gag als Distinktionsmerkmal

goutiert wird oder nicht. Die Kritik von epd zeigt, dass eine andere dem Tatort adä-

quatere Komik erwartet wurde:

ZWISCHEN WORTWITZ UND KLAMAUK │293

»Und es reichte Buch und Regie offenbar nicht, dass Professor Boerne eine Krone aus dem

Mund geschlagen wird. Nein, wenig später muss ihm das Gleiche noch mal passieren, wahr-

scheinlich, damit Liefers so schön übertrieben weiterlispeln kann.«5

Der Tenor der Rezension weist darauf hin, dass eine derartige Form von Komik im

Tatort nicht akzeptabel sei. Sie sieht den Running Gag offenbar als dysfunktional

an. Das hat vielleicht auch damit zu tun, dass es sich um die erste Folge des Tatort

in Münster handelte, das Konzept der Serie zu diesem Zeitpunkt also noch nicht be-

kannt gewesen sein mag.

Abb. 5: Boerne verliert erneut die Krone (Der dunkle Fleck)

Allerdings werden Running Gags häufig eingesetzt – und zwar binnenepisodisch

und folgenübergreifend. Folgenübergreifende Running Gags sind etwa Boernes An-

spielungen auf Hallers Körpergröße. Ein binnenepisodisches Beispiel ist das er-

wähnte Heizgerät in Das zweite Gesicht (2006): Am Anfang will Thiel ein altes

Heizungsgerät kaufen, es funktioniert aber nicht. Später bringt ihm Boerne als

Vermieter eben dieses Gerät zur Überbrückung, bis die richtige Heizung repariert

ist. Thiel führt ihm vor, dass der Heizlüfter defekt ist, doch als Boerne es wieder

bedient, läuft er plötzlich. Als wiederum einige Szenen später Thiel zu Hause das

Gerät benutzen will, funktioniert es wieder nicht, woraufhin er in Boernes Woh-

nung umzieht, der natürlich zwei supermoderne Heizkörper in seinem Wohnzimmer

5 Andrea Kaiser. »›Tatort‹: ›Der dunkle Fleck‹.« epd/Kirche und Rundfunk 84 (26. Oktober

2002): 2.

294 │KLEIN

stehen hat. Running Gags sind also konstitutiv für die Komik im Thiel/Boerne-

Tatort. Von größerer Bedeutung erscheint mir aber, und damit will ich abschließend

auf die Spezifik der Konzeption des Thiel/Boerne-Tatorts als Dramedy eingehen,

dass der Anteil und die Form der Komik die kriminalistische Handlung nicht un-

terminiert. Dabei will ich zuerst darauf zu sprechen kommen, inwiefern sich der

Münsteraner Tatort auch Elemente anderer neuer Serienkonzepte angeeignet hat.

Abb. 6: Erneut mit Krone (Der dunkle Fleck)

DRAMEDY

Eine sehr bekannte US-amerikanische Serie, die im Kontext des Quality TV disku-

tiert wurde und Züge einer Dramedy trägt, ist Six Feet Under, die von 2001 bis

2005 produziert und in Deutschland ab 2003 auf Premiere ausgestrahlt wurde.

»Familienserie, Melodram, romantische und schwarze Komödie« (Eder 2012: 301)

vermischend, kann die Serie über das Bestattungsunternehmen und die Familie der

Fishers wegen ihres spezifischen surreal-grotesken Umgangs mit dem Thema Tod

als dark soap opera bezeichnet werden (vgl. Klein 2007: 109). Zu Beginn jeder

Folge wird ein Todesfall gezeigt, der zwischen den Polen Tragik und Komik viel-

fältig ausgestaltet ist. Wenn zu Beginn der siebten Thiel-Boerne-Folge Der Frauen-

flüsterer (2005) eine Leiche völlig unvorbereitet auf das Dach eines Autos kracht,

könnte es sich auch um den Anfang einer Episode in Six Feet Under handeln. Viele

Szenen in der Gerichtsmedizin, die Boerne bei der Arbeit zeigen, sind zwar bei wei-

tem nicht so drastisch wie hier, aber der schwarze Humor erinnert durchaus an den

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für die Fishers arbeitenden Thanato-Praktiker Federico Diaz, für den Leichen Ob-

jekte seiner Kunst sind.

Der Tatort macht generell immer wieder Anleihen bei anderen Genres. Beim

Thiel/Boerne-Tatort ist dies auffallend oft der Fall. Der Anfang der ersten Folge

Der dunkle Fleck (2002), in der es um eine Moorleiche geht, ist wie Gothic-Horror

gefilmt. In Das Wunder von Wollbeck (2012) taucht Boerne im Westernhut auf ei-

ner Farm auf, wo er sich um ein krankes Rind kümmern will und in Der Frauen-

flüsterer (2005) wird eine Schlägerei in einer Kneipe wie eine Saloon-Prügelei in-

szeniert; am Ende findet eine Verfolgungsjagd zu Pferd statt.

Entscheidend ist, ob sich diese Anleihen bei anderen Serienkonzepten und ande-

ren Genres letztlich in das Konzept ›Tatort‹ einfügen und auch die Figurenkonzepte

für das Publikum nicht sprengen. Das gilt eben auch für die Komik. Wenn es sich

beim Thiel/Boerne-Tatort um eine Dramedy handelt, dann dürfen die Gags den

dramatischen Gehalt nicht aus den Angeln heben. In Das Wunder von Wollbeck

(2012) könnte man den Anteil der Komik als zu hoch einschätzen. Der Handlungs-

strang mit der Ziege, die ein Beweismittel verspeist hat und fortan bei Boerne in der

Gerichtsmedizin verweilt sowie das als Abschied von einer Geliebten inszenierte

Zurückbringen der Ziege auf die Weide am Ende der Folge ist zu wenig an das

Konzept der Figur Boernes gebunden und lebt auch nicht vom Wortwitz in Dialo-

gen. Mit dem PC-Diskurs hat das ebenfalls wenig zu tun. Es handelt sich um das,

was im allgemeinen Sprachgebrauch als Klamauk bezeichnet wird. Zwar hatte die

Folge sehr hohe Einschaltquoten. Auf der Fan-Webseite tatort-fundus fällt die Wer-

tung hingegen sehr schlecht aus. Hier finden sich Äußerungen wie »Purer Kla-

mauk« und »Das war so lustig, dass es schon nicht mehr lustig war«.6 Auch negati-

ve Kritiken in der Tagespresse sind nur schwer für die Argumentation hinzuzuzie-

hen, weil ein Argument, das in einer Besprechung als Grundlage eines Verrisses

Verwendung findet, in einer anderen Kritik genau entgegengesetzt eingesetzt wer-

den kann. Sinnvoller ist demnach eine genaue dramaturgische Analyse der Einbin-

dung von Komik. Dabei kann festgestellt werden, dass Komik am sinnvollsten über

den Dialog transportiert wird, aber nur bedingt über eine Körperkomik, wie sie etwa

den Slapstick auszeichnet. Diese ist für eine starke erste Begegnung wie zu Beginn

der ersten Folge sinnvoll. Des weiteren ist Komik, wenn sie nicht im Dialog (auch

während der Ermittlungen) verortet wird, tendenziell besser außerhalb der explizi-

ten polizeilichen Ermittlungen einzusetzen. Hierzu eignet sich das Konzept, dass

Boerne und Thiel im selben Haus wohnen, aber auch deren private Lebenssituation,

dass beide Figuren alleinstehend sind und diese Situation gerne ändern würden.

Hieraus lassen sich gerade in einem Konzept, das sich ohnehin durch Hybridität

6 http://www.tatort-fundus.de/web/rangliste/folgen-wertungen/rangliste-auswertung/nach-

usern.html?folge=851&Nr=9 [6. Dezember 2013].

296 │KLEIN

auszeichnet, immer wieder Elemente der filmischen romantic comedy einbauen. Zu

diesen Elementen gehören die Akzentuierung des Sentimentalen und trotz einer

komischen Grundstimmung eine Neigung für das Melodramatische (vgl. Gehring

2002: 67). In der jüngeren Folge Die chinesische Prinzessin (2013) wurde davon

Gebrauch gemacht. Boerne hat zu Beginn eine erotische und nur dezent mit Mitteln

der Komik inszenierte Begegnung mit der Titelfigur, die ihm fast zum Verhängnis

wird. Er selbst wird bewusstlos und die Chinesin ermordet in seinem Labor gefun-

den. Boerne kann sich an nichts erinnern und wird in nahezu der gesamten Folge

kaum als komische Figur, sondern vielmehr als melodramatisch Leidender insze-

niert.

Es gibt jedoch einen weiteren Aspekt, der für das langfristige Funktionieren des

Thiel/Boerne-Tatort eine wichtige Rolle spielt. In seinem Artikel From discourse to

Discord: Quality and Dramedy at the End of the Classic Network System geht Phi-

lip W. Sewell auf eine Debatte Ende der 1980er Jahre in den USA ein, in der es um

neue Serien ging, die als dramedies bezeichnet wurden (z.B. Hooperman/Inspektor

Hooperman, 1987-1989). Diese Debatte wurde explizit in einem Quality-TV-

Diskurs geführt. Die neuen Serien wurden kritisiert und funktionierten auch nicht

besonders gut. Die Hybridisierung wurde als problematisch angesehen. In der oben

zitierten epd-Rezension zum ersten Thiel/Boerne-Tatort wird ein ähnlicher Ein-

druck erweckt. Komik ja, aber derart dosiert, dass nicht der Eindruck einer Comedy

entsteht. Nun ist es so, dass Sitcoms und auch Dramedies in der Regel fast nie eine

Laufzeit von mehr als zehn Jahren haben. Wenn demnach einige Kritiken zu den

neuesten Folgen des Thiel/Boerne-Tatort darauf verweisen, dass das Konzept nichts

mehr hergebe,7 dann ließe sich das als durchaus nachvollziehbares Zeichen werten,

diese Serie der Reihe Tatort einzustellen, wie es eben auch bei anderen Serien der

Fall ist. Allerdings geht diese Argumentation an den immens hohen Einschaltquo-

ten der neuesten Folgen vorbei. Thiel, Boerne und Co. werden der Tatort-

Zuschauerschaft wohl noch eine Weile erhalten bleiben.

LITERATUR

Creeber, Glen. Serial Television. Big Drama on the Small Screen. London: BFI,

2004.

Dell, Matthias. »Herrlich inkorrekt«. Die Thiel-Boerne ›Tatorte‹. Berlin: Bertz +

Fischer, 2012.

7 Siehe z.B. Christian Buß. »Münster-›Tatort‹ mit Roland Kaiser: Mord und tote Schlager.«

spiegel.de, 22. März 2013 (http://www.spiegel.de/kultur/tv/tatort-aus-muenster-mit-gast

star-roland-kaiser-a-889697.html).

ZWISCHEN WORTWITZ UND KLAMAUK │297

Feasey, Rebecca. From Happy Homemaker to Desperate Housewives. Motherhood

and Popular Television. London, New York: Anthem Press, 2012.

Freud, Sigmund. Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten. Frankfurt a.M.:

Fischer, 1958 [1905].

Gehring, Wes D. Romantic Vs. Screwball Comedy: Charting the Difference. Lan-

ham, Md: Scarecrow Press, 2002.

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Christian Hißnauer (Hg.). Stuttgart: Reclam, 2012. 274-279.

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ren der Serialität in der ARD-Reihe ›Tatort‹.« Populäre Serialität: Narration –

Evolution – Distinktion. Zum seriellen Erzählen seit dem 19. Jahrhundert.

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Horton, Andrew S. (Hg.). Comedy/Cinema/Theory. Berkeley, Los Angeles: Univer-

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Mills, Brett. The Sitcom. Edinburgh: Edinburgh University Press, 2009.

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129.

BEHANDELTE TATORT-FOLGEN

Der dunkle Fleck, 20. Oktober 2002 (WDR, R: Peter F. Bringmann)

3 x Schwarzer Kater, 19. Oktober 2003 (WDR, R: Buddy Giovinazzo)

Der Frauenflüsterer, 3. April 2005 (WDR, R: Kaspar Heidelbach)

Das zweite Gesicht, 12. November 2006 (WDR, R: Tim Trageser)

Wolfsstunde, 9. November 2008 (WDR, R: Kilian Riedhof)

Das Wunder von Wolbeck, 25. November 2012 (WDR, R: Matthias Tiefenbacher)

Summ, summ, summ, 24. März 2013 (WDR, R: Kaspar Heidelbach)

Die chinesische Prinzessin, 20. Oktober 2013 (WDR, R: Lars Jessen)

298 │KLEIN

ANDERE ZITIERTE FILME, MEHRTEILER, SERIEN UND

REIHEN

Ally McBeal (USA, 1997-2002 [FOX])

Der letzte Zeuge (D, 1998-2007 [ZDF])

Desperate Housewives (USA, 2004-2012 [ABC])

Gilmore Girls (USA, 2000-2007 [The WB])

Hooperman/Inspektor Hooperman (USA, 1987-1989 [ABC])

How I Met Your Mother (USA, seit 2005 [CBS])

Moonlighting/Das Model und der Schnüffler (USA, 1985-1989 [ABC])

Remington Steele (USA, 1982-1987 [NBC])

Six Feet Under (USA, 2001-2005 [HBO])

Some Like It Hot/Manche mögen’s heiß 1959 (USA, R: Billy Wilder)

Stromberg (D, 2004-2012 [ProSieben])

The Naked Gun: From the Files of Police Squad!/Die nackte Kanone 1988 (USA,

R: David Zucker)

The Naked Gun 2½: The Smell of Fear/Die nackte Kanone 2½ 1991 (USA, R:

David Zucker)

Naked Gun 33⅓: The Final Insult/Die nackte Kanone 33⅓ 1994 (USA, R: Peter

Segal)

The Office (GB 2001-2003 [BBC Two])