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Rundgespräche der Kommission für Ökologie Verlag Dr. Friedrich Pfeil ISSN 0938-5851 · ISBN 978-3-89937-156-7 42 Schutz und Nutzung von Tropenwäldern

Die Nachtfalterfauna im Gebiet des tropischen Bergregenwaldes in Ecuador – der Einfluss des Menschen

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Rundgesprächeder Kommission für Ökologie

Verlag Dr. Friedrich PfeilISSN 0938-5851 · ISBN 978-3-89937-156-7

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Die Nachtfalterfauna im Gebiet des tropischen Bergregenwaldes in Ecuador –

der Einfluss des Menschen

Konrad Fiedler*

Zusammenfassung

Die Artengemeinschaften von Nachtfaltern in den Bergregenwäldern Südecuadors gehören zu den arten-reichsten der Erde. Wesentlich dafür ist einerseits die enorme ökologische Heterogenität des Gebiets: Steile Umweltgradienten und damit einhergehend eine Vielzahl von Habitaten ermöglichen eine Koexistenz vieler, vor allem auch spezialisierter Arten auf engem Raum. Ein erheblicher Anteil dieser hohen Biodiversität hat sich über lange Zeiträume seit dem mittleren Miozän akkumuliert. Ökologische wie historische Faktoren sind daher gemeinsam verantwortlich für den Status der Region als globaler Hotspot der Biodiversität. Menschliche Landnutzung in Südecuador führt bisher meist zum Verlust von Bergwaldflächen. Werden gestörte Flächen der sekundären Sukzession überlassen, so erreicht die Zahl der Nachtfalterarten zumindest in waldnahen Lagen nach wenigen Jahrzehnten wieder sehr hohe Werte, wenn auch die Artenzusammensetzung noch nicht wieder der im Naturwald entspricht. Ein Naturwaldexperiment belegte, dass eine schonende Nutzung des Waldes durch selektive Auflichtung nur geringen Einfluss auf die Nachtfalterdiversität hat; damit zeigt dieses Experiment eine biodiversitätsverträgliche Nutzungsoption auf. Inwieweit Aufforstungen mit indigenen Baumarten auf vom Naturwald weiter entfernten, stark devastierten Flächen zur Erhaltung der Insektenbiodi-versität beitragen können, kann noch nicht beantwortet werden. Zumindest 6-8 Jahre nach Etablierung dieser Aufforstungen ist ihre Nutzung durch die Larvenstadien von Nachtfaltern noch sehr gering. Erfolge solcher Aufforstungen dürften erst nach Jahrzehnten sichtbar werden und erfordern die Existenz naturnaher Wälder als Quellareale für eine spontane Wiederbesiedlung durch Tiere.

Summary

Moths in the tropical mountain rainforest in Ecuador – the influence of man on mega-diverse insect assem-blages. Moth assemblages of tropical mountain rainforests in South Ecuador are among the most species-rich on Earth. This is due, on the one hand, to the enormous ecological heterogeneity of the region: steep environmental gradients and concomitantly a wide range of available different habitats facilitate the co-existence of numerous, often highly specialized species in dense packing. A substantial fraction of this stunning biodiversity has accu-mulated over long periods, since the mid-Miocene. Thus, the interplay between ecological and historical factors is responsible for the status of the region as a global biodiversity hotspot. Human land-use in South Ecuador has mostly resulted in the loss of mountain rainforest areas so far. If dis-turbed areas are left to secondary succession, moth biodiversity re-gains high values after a few decades, as long as these areas are situated nearby natural forests. However, species composition remains different from forest habitats. A thinning experiment in a natural forest had little impact on moth biodiversity. Therefore, this mode

Rundgespräche der Kommission für Ökologie, Bd. 42 »Schutz und Nutzung von Tropenwäldern«, S. 85-96.© 2013 by Verlag Dr. Friedrich Pfeil, München – ISSN 0938-5851 – ISBN 978-3-89937-156-7

Nachtfalterfauna: der Einfluss des Menschen

* Fiedler, Konrad, Univ.-Prof. Mag. Dr., Universität Wien, Department für Tropenökologie & Biodiversität der Tiere, Rennweg 14, 1030 Wien, Österreich. E-Mail: [email protected]

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of land-use might be compatible with the goal of maintaining species diversity in mountain forests. It remains to be seen whether afforestations with native timber tree species on more isolated and devastated sites may contribute to the maintenance of insect biodiversity. Thus far, 6-8 years after their establishment colonization of these afforestations by moth larvae is still very limited and mostly relates to habitat or host-plant generalists. The success of these afforestations may require decades to become visible and for sure will depend on maintaining sufficient natural forest areas in their vicinity as source areas for the spontaneous re-colonization by animals.

Einleitung

Erst in den letzten zwei Jahrzehnten wurden die Regenwälder in tropischen Bergregionen als Hotspots der Biodiversität erkannt, in denen für einige Organismengruppen die Artendichte sogar noch deutlich höher sein kann als in tropischen Tieflandregenwäldern (Brehm et al. 2008). Bis heu-te ist das Ausmaß dieser extremen Artenvielfalt erst in Grundzügen bekannt; noch lückenhafter ist unser Verständnis der historischen Prozesse und ökologischen Mechanismen, welche diese Vielfalt generiert haben bzw. zu ihrer Aufrecht-erhaltung beitragen. Gemeinsam mit meinen Arbeitsgruppen an der Universität Bayreuth und später an der Uni-versität Wien konnte ich über insgesamt 14 Jahre in der Reserva Biológica San Francisco, am Rande des Podocarpus-Nationalparks in Südecuador, die Biodiversität von Insekten erforschen.1 Aufgrund der enormen und taxonomisch noch weithin unerschlossenen Artenvielfalt in diesem Gebiet war eine umfassende Analyse von vorneherein unerreichbar. Wir haben uns daher auf kleine, aber handhabbare Ausschnitte konzentriert: auf einen Höhengradienten im Naturwald (1000-2800 m), auf Sukzessionshabitate mit spontan regenerierender Vegetation nach Störung durch menschliche Eingriffe in der Randzone des Reser-vats (1800-2100 m) und auf experimentelle Auf-forstungen auf aufgelassenen Weideflächen . Herbivore, d. h. Pflanzen fressende Insek-ten spielen in der Biodiversitätsforschung eine große Rolle, da sie einen hohen Anteil der enormen terrestrischen Artenvielfalt ausmachen. Zur Abschätzung globaler Artenzahlen werden z. B. gerne die herbivoren Käfer herangezogen. Aus ihrer mittleren Artenzahl pro Pflanzenart, multipliziert mit der Zahl der Pflanzenarten, kann man – unter Berücksichtigung des Anteils,

den herbivore Käfer an der Gesamtheit dieser Insektenordnung ausmachen – die Gesamtzahl der Käferarten eines Gebiets schätzen. Dasselbe lässt sich auch mit anderen herbivoren Insekten, z. B. den Schmetterlingen , machen (Hamilton et al. 2010). Zum anderen haben herbivore Insekten als Mittler zwischen der pflanzlichen Primärpro-duktion und den von ihnen lebenden Prädatoren (z. B. Vögel oder Fledermäuse ) und Parasitoiden (z. B. Wespen oder Fliegen) wichtige Funktionen in Nahrungsnetzen. Herbivore Insekten sind i. d. R. Nahrungsspe-zialisten , d. h., sie sind nicht in der Lage, mit einer Vielzahl von Pflanzen und damit von Sekundär-metaboliten , die sie entgiften müssten, zurechtzu-kommen. Die Wirtsspezifität ist eng verbunden mit dem Phänomen der Koevolution , d. h. zu einem evolutionären Prozess der wechselseitigen Anpassungen von Organismen; tatsächlich basiert die klassische Koevolutionstheorie von Ehrlich & Raven (1964) primär auf Erkenntnissen über die Wirtspflanzenbeziehungen von Schmetterlin-gen . Innerhalb der Schmetterlinge (Lepidoptera) haben wir uns auf die Nachtfalter spezialisiert, da die taxonomisch und ökologisch weit besser charakterisierten Tagfalter in einem derart steilen und dicht bewaldeten Gelände praktisch nicht zu bearbeiten sind. Nachtfalter dagegen sind sowohl artenreich als auch relativ gut erfassbar. Nachtfalter lassen sich in zwei verschiedenen Lebenszyklusphasen erfassen. Die Falter werden nachts mit Lichtfängen angelockt und liefern so umfassende Informationen über kleinräumige Biodiversitätsmuster . An 48 Standorten wurden von uns auf diese Weise bisher über 58 000 Indivi-duen gesammelt, auf Morphospezies-Niveau sor-tiert und, wo immer möglich, artgenau bestimmt. Da die Falter mobil sind und einige hundert, u. U. auch tausend Meter aus dem Wald herausfliegen können, haben sie ein Wiederbesiedlungspoten-zial , d. h., sie vernetzen Habitatfragmente mitei-nander und spielen so bei der Renaturierung von Habitaten eine große Rolle. Die Larvenstadien, d. h. die Raupen , sind dagegen hemisessile Orga-

1 Zur Lage des Untersuchungsgebiets vgl. Bendix (2013), Abb. 1, S. 77, in diesem Band.

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nismen, die räumlich wie physiologisch an ihre oftmals spezifischen Wirtspflanzen gebunden sind. Sie können von den Blättern abgeschüttelt bzw. abgestreift werden (Bodner et al. 2010). An über 35 holzigen Pflanzenarten haben wir in systematischen Kampagnen über 25 000 Individu-en gesammelt, soweit möglich bis zum adulten Falter aufgezogen und mittels morphologischer oder molekulargenetischer Merkmale (DNA-Barcoding ) identifiziert.

Der Naturwald – ein Biodiversitätshotspot

Weltkarten von Hotspots der Biodiversität wer-den i. d. R. an zwei Beispielen aufgezeigt, den Gefäßpflanzen (Barthlott et al. 2005) und den Vögeln (Kissling et al. 2009). Für beinahe alle anderen Organismengruppen, vor allem aber für die meisten Wirbellosen, sind wir immer noch nicht in der Lage, seriöse Karten der globalen Artenvielfalt anzufertigen. Zweifellos gehört das Untersuchungsgebiet in Ecuador aber zu den globalen Biodiversitätshotspots. Um den lokalen Artenreichtum zu erfassen, werden oft-mals so genannte Artenakkumulationskurven erstellt.2 Allein für die spannerartigen Nachtfalter (Geometridae ) in einem schmalen Höhenband des Untersuchungsgebiets (1800-2200 m) kommen wir auf eine beobachtete Zahl von etwa 950 Arten und auf eine Extrapolation in der Größenord-nung von über 1100 Arten (Abb. 1, Brehm et al. 2005). Interessant ist, dass selbst der extrapolierte Schätzwert der Arten nach Auswertung von 26 Lichtfangstandorten noch keine Asymptote er-reicht hat, d. h., die Zahl wird weiter anwachsen. Ein Vergleich mit Europa (10,2 Mio. km2) und der Kontinentalinsel Borneo (743 330 km2), auf der die Nachtfalter sehr gut erfasst sind, zeigt, dass das kleine Untersuchungsgebiet (< 10 km2) im Bergregenwald Südecuadors tatsächlich au-ßerordentlich artenreich ist (Tab. 1). Wir haben diese Untersuchungen weiterge-führt, indem wir zum einen zur verbesserten Abdeckung der Habitate weitere Standorte hin-zugenommen haben und zum anderen das sog.

DNA-Barcoding anwenden. Dabei wird mithilfe von molekularen Markern (dem mitochondrialen Cytochromoxidase-I-Gen) die genetische Distanz zwischen den Tieren gemessen. Recht allgemein akzeptiert ist, dass ab einer Divergenz von 2-3 % zwischen zwei Proben diese mit großer Wahr-scheinlichkeit zu verschiedenen Arten gehören (Wiemers & Fiedler 2007). Das Beispiel der in den Tropenregionen der ganzen Erde verbreiteten Gattung Eois (Geometridae ; Abb. 2) verdeutlicht

2 Anhand der Zunahme der gefundenen Arten im Verlauf systematischer Erfassungen kann über verschiedene statistische Methoden (vgl. Colwell 2013) auf die zu erwartende Gesamtartenzahl an einem Probenstandort hochgerechnet werden (»Schätzwert«).

1200 –

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Anz

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Anzahl der untersuchten Standorte

beobachtetextrapoliert (Schätzwert)

ı ı ı ı ı ı

0 5 10 15 20 25

Abb. 1. Akkumulierte beobachtete und extrapolierte Artenzahl (Jackknife-Schätzer 1. Ordnung) von span-nerartigen Nachtfaltern (Geometridae ) an den Stand-orten in der Reserva Biológica San Francisco, Südecua-dor , in einem kleinen Ausschnitt des Naturwald-Höhen-gradienten (1800-2200 m). – Daten aus Brehm et al. (2005).

Tab. 1. Artenzahlen ausgewählter Nachtfaltergruppen in einem Naturwald-Höhengradienten (1000-2800 m) in der Reserva Biológica San Francisco (RBSF) in Südecuador, im Vergleich mit Europa (Karsholt et al. 2012) und Borneo (Holloway 2011). Die Schätzwerte (Jackknife-Verfahren 1. Ordnung) wurden aus Arten-akkumulationskurven berechnet.

Familie Arten(beobachtet)

Schätzwert (gesamt)

Geometridae (Spanner)RBSF 1450+ 1700Europa 975Borneo 1100

Pyraloidea (Zünsler)RBSF 748 1050Europa 958Borneo > 1500

Erebidae-Arctiinae (Bärenspinner)RBSF 445 550Europa 109Borneo 400

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den so erreichten Fortschritt der Erfassung. Nach ersten Surveys kamen wir auf 102 Eois-Arten an 40 Standorten, mit einem Akkumulationsschätzwert bei 120. Nach Hinzunahme weiterer Standorte und Auflösung kryptischer Artenkomplexe mit-tels Barcoding liegen wir jetzt bei 166 Eois-Arten, mit einem Schätzwert von ca. 250 Arten (Strutzen-berger et al. 2011). Für die gesamte neotropische Faunenregion liegen die Schätzwerte noch weit darüber (Brehm et al. 2011). Beschrieben sind aus den Tropen der gesamten Erde bisher hingegen nur ca. 220 Eois-Arten .

Ursachen der extrem hohen Artendichte

Wie kommt diese »Mega-Diversität« zustande? Die Hauptursache für die extrem hohe Arten-dichte ist die kleinräumige Umweltheterogenität, sodass viele Spezialisten in enger Nachbarschaft ihre jeweiligen Lebensräume vorfinden (hohe Beta-Diversität durch Verschiedenartigkeit der Habitate).3 Bei der Reserva Biológica San Fran-cisco handelt sich um ein Gebirgsrelief mit un-terschiedlichen Höhenlagen , unterschiedlichen topografischen Expositionen, mit natürlichen (z. B. Erdrutsche) sowie vom Menschen verursachten Störungen und dadurch einem Nebeneinander vieler ökologischer Nischen . Diese extreme Um-weltheterogenität (und die damit verbundene Vielfalt der Vegetation) begünstigt die Koexistenz einer derart hohen Artendichte auf Landschafts-ebene (Gamma-Diversität ). Zu dieser aktualistisch-ökologischen Kompo-nente kommt die historisch-evolutive Dimension hinzu. Wir sehen das Ergebnis einer über Millio-nen von Jahren andauernden Radiation (Auffä-cherung) der Falter und Koevolution mit ihren larvalen Wirtspflanzen. Molekulare Datierungen

a

b

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Abb. 2. Vertreter der tropischen Nachtfaltergattung Eois (Geometridae ); a, Eois angulata, b, Eois antiopata, c, Eois spec. cf. olivacea, d, Eois chrysocraspedata, e, Eois spec. cf. golosata. Maßstab: 1 cm. – Fotos: G. Brehm.

3 Alpha-Diversität (Punktdiversität): Vielfalt der in einem Habitat vorkommenden Arten. Beta-Diver-sität : Unterschiedlichkeit der Artenausstattung auf mittlerer Raumebene (regional); je weniger Arten zwei lokale Lebensräume (Habitate) gemeinsam haben, desto größer ist die Beta-Diversität. Gamma-Diversität : Artenvielfalt auf einer umfassenderen räumlichen Skalenebene, z. B. einer Landschaft.

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der Stammesgeschichte der Eois -Falter zeigen, dass nicht erst die Klimazyklen des Pleistozäns (ca. 2,5 Mio. bis ca. 12 000 Jahre vor heute) zu jun-gen parapatrischen Artbildungen 4 geführt haben. Vielmehr liegen die meisten Aufspaltungsereig-nisse, die zu der heutigen Artenvielfalt geführt haben, 5-15 Mio. Jahre zurück (Strutzenberger & Fiedler 2011). Dies bedeutet, die Eois-Arten haben mit den Piper - und Peperomia -Pflanzen, an denen ihre Larven vorwiegend leben, über mehr als 10 Mio. Jahre eine Koevolution durchlaufen.

Höhengradient im Naturwald

Nach gängiger Lehrmeinung würde man inner-halb eines Höhengradienten für ektotherme herbi-vore Insekten eine Abnahme des Artenreichtums mit steigender Höhe erwarten. Denn einerseits nehmen die Vielfalt der Gefäßpflanzen und die Nettoprimärproduktion ab, sodass für herbivore Insekten mit zunehmender Höhenlage immer weniger verschiedenartige Nahrungsressour-

cen zur Verfügung stehen. Andererseits sollte die geringere Temperatur in größeren Höhen auch direkt die physiologische Aktivität der Insekten einschränken. Innerhalb der von uns erfassten Nachtfalter gibt es Organismen wie die Pyraloidea (Zünslerfalter), die, stark von der Temperatur gesteuert, diese erwartete Abnahme zeigen. Es gibt aber auch Artengruppen wie die Geometridae (Spanner), die erstaunlicherweise über den gesamten Bergwald zwischen 1000 und 2800 m Höhe in nahezu gleicher und dabei extrem hoher Artenvielfalt und auch Abundanz vorkommen (Abb. 3; Brehm et al. 2003, Fiedler et al. 2008, Beck et al. 2011). Die physiologischen Mechanismen, welche diese ungewöhnliche Tole-ranz vieler Spanner gegenüber kalten Umwelten ermöglichen, sind noch immer erst in Ansätzen verstanden. Die Artenzusammensetzung der Geometridae , Pyraloidea und Arctiinae (Bärenspinner) ändert sich mit dem Höhengradienten sehr deutlich, aber kontinuierlich, d. h. ohne distinkte Höhenzonen (Abb. 4). Dieser ausgeprägte Artenwechsel ist eine wesentliche Ursache für die hohe Beta-Diversität und in weiterer Folge für die enorm hohe Gamma-Diversität . Die Artengemeinschaften einzelner Höhenstufen reagieren dabei derart konsistent, dass sie nachgerade als »Höhenmesser« dienen

4 Parapatrische Artbildung: Artbildungen in enger Nachbarschaft infolge veränderter Umweltbedin-gungen.

GeometridaePyraloidea

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Abb. 3. Lokale Diversität von Nachtfalterarten (Fishers Alpha als Diversitätsmaß) in Abhängigkeit von der Höhenlage (in m ü. NN) für Pyraloidea (Zünslerfalter) und Geometridae (Spanner). – Nach Fiedler et al. (2008).

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könnten, mit einer Auflösung von ±100 m. In-teressanterweise unterscheiden sich die Muster des Artenwechsels im Höhengradienten kaum zwischen den Nachtfaltergruppen, während die Muster der lokalen Artendiversität stark Taxon-spezifisch sind (vgl. Abb. 3). Durch Einbeziehen molekulargenetischer Da-ten lässt sich anstelle der Artenvielfalt auch die phylogenetische, d. h. stammesgeschichtliche Di-versität näher untersuchen. Bei den Geometridae , deren Artenvielfalt über den Höhengradienten weitgehend konstant ist (Abb. 3), zeigen sich auf der Ebene der phylogenetischen Diversität hingegen hoch signifikante Höhenkorrelationen. Die phylogenetische Klumpung dieser Gemein-schaften nimmt mit steigender Höhe zu, während die phylogenetische Diversität mit steigender Höhe abnimmt (Brehm et al. 2013). Anders aus-gedrückt: Der Verwandtschaftsgrad innerhalb der lokalen Artengemeinschaften steigt mit zu-nehmender Höhe. Es gibt offensichtlich einige wenige jüngere phyletische Radiationen , die in hohen Lagen mit hoher Artendichte vorkommen, wie die Gattungen Eois , Psaliodes und Eupithecia , während vermehrt phylogenetisch alte Linien wegfallen. Wird im unteren Höhenbereich der Wald gerodet , gehen diese alten, phylogenetisch informativen, wertvollen Reliktarten verloren .

Artenvielfalt und -zusammensetzung auf Sukzessionsflächen

Anthropogene Einflüsse auf die Nachtfalterfau-na wurden von uns auf entwaldeten Flächen mit spontaner, nicht gelenkter Sukzession nach unterschiedlich starken Eingriffen durch den Menschen untersucht. Die Eingriffe liegen un-terschiedlich lange zurück und sind z. T. gut datierbar, z. B. durch den Bau eines Kanals für ein Elektrizitätswerk. Untersuchungen an Sukzessionsgradienten sind immer kritisch zu sehen, weil dabei unter-stellt wird, es handle sich um eine Zeitreihe. Wenn wir diese unechte Zeitreihe als einigermaßen akzeptabel ansehen, stellen wir fest, dass in frü-hen Sukzessionsstadien (noch weitgehend ohne Gehölze) die Artenvielfalt der Nachtfalter gerin-ger ist, in späteren Sukzessionsstadien (sobald in nennenswertem Umfang Gehölze aufgekommen sind) hingegen sehr hoch wird. Im Unterwuchs des geschlossenen naturnahen Bergwaldes ist die Artenvielfalt dann wieder geringer, sehr ausge-prägt bei den Bärenspinnern (Abb. 5a), tendenziell ähnlich auch bei den Spannern (Abb. 5b). Dies könnte einen Hinweis auf die Gültigkeit der Intermediate-Disturbance-Hypothese (Connell & Slatyer 1977) geben, wonach moderat gestörte Sukzessionsflächen, auf denen ein mosaikartiges Nebeneinander von Sukzessionszeigern in der Klimaxvegetation entstehen kann, eine ganz besonders hohe Artenvielfalt haben können. Sehr stark gestörte Habitate sowie Habitate mit früherer Störung, die bereits wieder weit in die natürliche Sukzession hineingegangenen sind, können zumindest für manche Organismen wie-der etwas geringere Artenzahlen aufweisen. Die Unterschiede zwischen den Nachtfaltergruppen dürften dabei sehr stark von deren Bindung an das Ökosystem »Wald« beeinflusst sein. Unter den Bärenspinnern gibt es eine ausgeprägte Fauna des Kronenraums , die von uns nicht erfasst wurde – was die starke beobachtete Diversitätsabnahme im Unterwuchs des Naturwaldes begründet. Bei den Spannern hingegen ist eine solche spe-zialisierte Kronenraumfauna viel weniger stark ausgeprägt, sodass schon die Erfassung mittels bodennaher Lichtfänge die Artenvielfalt im ge-schlossenen Wald nahezu vollständig abbildet.

Die untersuchten Sukzessionsflächen liegen alle in der Nähe großer Naturwaldflächen wie dem

Abb. 4. Artenwechsel im Höhengradienten, für alle Nachtfalter der Geometridae + Pyraloidea + Arctiinae aggregiert. Dargestellt ist das Ordinationsdiagramm einer nichtlinearen zweidimensionalen Skalierung, auf der Grundlage paarweiser Bray-Curtis-Ähnlichkeitsin-dizes. Jeder Punkt entspricht der Nachtfaltergemein-schaft eines Standorts. Die 22 Standorte (1040-2670 m ü. NN) ordnen sich nahezu perfekt entlang einer Hö-henachse an (Korrelation der Koordinaten entlang der X-Achse mit der Höhenlage: r = 0,975; p < 0,001). – Nach Fiedler et al. (2008).

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H ö h e n l a g e

Dimension 1

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Podocarpus-Nationalpark und der privat gema-nagten Reserva Biológica San Francisco. Da die Falter der meisten Arten durchaus in der Lage sind, einige hundert Meter aus dem Wald heraus-zufliegen, wird man selbst reine Waldbewohner zwangsläufig auch anlässlich ungerichteter Dis-persionsflüge gelegentlich in Lichtfallenfängen finden. Das heißt, die Arten, die zu der hohen Artenzahl eines Sukzessionsstandorts beitragen, müssen dort nicht zwangsläufig regelmäßig und häufig vorkommen oder sich gar dort fortpflan-zen. Aufschluss hierüber kann eine Analyse der Artenzusammensetzung geben. Bestünden die Faltergemeinschaften an Sukzessionsstandorten im Wesentlichen aus Zufallsbesuchern im Zusam-menhang mit Dispersionsflügen, sollten sie eine verarmte Teilmenge der Fauna des benachbarten Naturwaldes ausmachen. Könnte man anderer-seits gerichtete Verschiebungen in den Artenzu-sammensetzungen von Sukzessionsflächen und Naturwald finden, würde dies darauf hinweisen, dass sich tatsächlich auf den Sukzessionsflächen charakteristische Gemeinschaften mit anderen dominanten Arten herausgebildet haben. Die Artenzusammensetzung der Nachtfalter im Naturwald unterscheidet sich in der Tat deut-lich von derjenigen auf kürzlich aufgelassenen Viehweiden bzw. in frühen und späten Sukzes-sionsstadien der Vegetation nach anthropogener

Störung (Abb. 6). Es handelt sich um hochsig-nifikant unterschiedliche Artengemeinschaften mit deutlich abweichenden dominanten Arten und Häufigkeitsprofilen (Hilt & Fiedler 2008). Bei der Verschiebung der Artenspektren vom Wald zur Weide-/Sukzessionsfläche beobachtet man indes auch eine Verarmung hinsichtlich der funktionellen Diversität . Dies führt z. B. dazu, dass Nahrungsspezialisten , d. h. Organismen, die an ganz spezifischen Baumarten oder an Sträuchern und Kräutern im Unterwuchs mit bestimmten Lichtverhältnissen leben, weitgehend verschwin-den. Davon betroffen sind z. B. viele Eois -Arten, die als Larven an Piper -Sträuchern im Unterwuchs des Bergwaldes leben, daher ein mehr oder weniger geschlossenes Kronendach benötigen und höchstens mit kleineren Baumsturzlücken zurechtkommen. Auf größeren Erdrutschlücken oder Weideflächen , wo das Mikroklima völlig anders ist (vgl. Beitrag Bendix (2013) in diesem Band), kommen diese Arten nicht vor. Auch die vielen Arten, deren Larven von epiphyllen Moosen leben, fallen weg – wir haben inzwischen viele Nachtfalterarten entdeckt, deren Raupen Moose an Blättern in feuchten Schluchtwäldern abweiden. Dafür können plötzlich einige weniger spezialisierte Flechtenfresser , deren Raupen an Bodenflechten leben, zu Tausenden auf Erosi-onsflächen auftreten, ebenso wie Grasherbivore.

55 –

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Frühes Spätes Unterwuchs Sukzessionsstadium Naturwalda

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Abb. 5. Artenvielfalt (Fishers Alpha als Diversitätsmaß) auf Flächen in frühen (gehölzfreien) und späten (in Wiederbewaldung begriffenen) Sukzessionsflächen in der Randzone der Reserva Biológica San Francisco sowie im Unterwuchs des Naturwaldes für a, Erebidae-Arctiinae (Bärenspinner) und b, Geometridae (Spanner). Angegeben sind jeweils die Mittelwerte (Quadrate), Standardfehler (Boxen) und Standardabweichungen (Streu-ungslinien); gleiche Buchstaben zeigen an, dass im paarweisen Vergleich keine überzufälligen Gruppenunter-schiede bestehen. – Nach Hilt & Fiedler (2008).

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Das heißt, wir beobachten eine Verschiebung von überwiegend monophagen Arten, d. h. Nahrungs-spezialisten , im Naturwaldunterwuchs hin zu überwiegend oligo- und polyphagen Arten auf Sukzessionshabitaten (Bodner 2011, Bodner et al. 2012).

Artenzusammensetzung in einem Naturwaldexperiment

Im Rahmen eines Experiments zur nachhaltigen , schonenden Waldnutzung im Gebiet des tropi-schen Bergregenwaldes in Südecuador wurden in zwei Seitentälern (Quebrada, span. für Schlucht) des Untersuchungsgebiets Bäume im Naturwald in unterschiedlichem Ausmaß aufgelichtet (Flä-chen Q3 und Q5), ein drittes Seitental diente als Referenzfläche (Q2).5 In jedem der Seitentäler wurden ca. 9 Monate nach Durchführung der Auflichtung an drei Stellen Nachtfalter mittels Lichtfang erfasst.

Die Artenzusammensetzung der Bärenspinner auf der Referenzfläche lag erwartungsgemäß ge-meinsam mit dem Naturwald in einem Cluster, während wir auf den aufgelichteten Flächen eine deutlich gegenüber dem Naturwald verschobene Artenzusammensetzung fanden, die sich zugleich auch sehr deutlich von den Artengemeinschaften der eben beschriebenen sekundären Sukzessions-flächen abhob (Abb. 7; Günter et al. 2008). In Bezug auf den Artenreichtum der Bären-spinner hatte das Auflichtungsexperiment keine Auswirkungen, deren Artenvielfalt blieb auch auf den stärker aufgelichteten Flächen im Wald hoch. Das heißt, die Auflichtung wäre eine Nutzungs-methode, die aus Sicht der Arthropodenvielfalt relativ günstig und schonend ist. Voraussetzung ist, dass ein Mindestmaß an Kronendeckung er-halten bleibt, die die spezielle mikroklimatische Pufferwirkung eines Waldklimas gewährleistet.

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Naturwald spätes Sukzessionsstadium frühes Sukzessionsstadium aufgelassene Weidefläche

Abb. 6. Unterschiede in der Artenzusammensetzung der Nachtfalter im Naturwald ( ) sowie an aufgelassenen Weideflächen ( ) und in älteren ( ) und jüngeren ( ) Sukzessionsflächen im kleinen Höhenausschnitt von 1800-2100 m für a, Erebidae-Arctiinae (Bärenspinner) und b, Geometridae (Spanner). Dargestellt sind Ordina-tionsdiagramme als Ergebnis einer distanzbasierten Redundanzanalyse (dbRDA; Datengrundlage: Hellinger-Distanzen zwischen den Faltergemeinschaften), wobei jedes Symbol die Artengemeinschaft eines Standorts abbildet. Die Artengemeinschaften beider Nachtfaltergruppen reagieren überraschend ähnlich. Umweltfaktoren (dargestellt als Vektoren), welche die anthropogene Habitatstörung reflektieren, trennen die Artengemeinschaften entlang der ersten Ordinationsachse auf, die thermale Umwelt (reflektiert durch die Höhenlage) entlang der zweiten Ordinationsachse. – Daten aus Hilt & Fiedler (2008).

5 Näheres zu dem Naturwaldexperiment s. Mosandl (2013), S. 122 ff., in diesem Band.

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Besiedlung von Aufforstungsflächen: Nutzung durch Larvenstadien

Die bisher beschriebenen Befunde wurden mittels Lichtfang erhoben – das heißt, wir erfassten in systematischer Weise das Auftreten der relativ mobilen adulten Nachtfalter. Was geschieht, wenn aufgelassene Weide flächen bzw. Adlerfarn-sukzessionsflächen (vgl. Beitrag Bendix (2013) in diesem Band) gezielt mit indigenen Baumarten aufgeforstet werden?6 Werden solche Auffors-tungen, die sich hunderte Meter vom Naturwald entfernt befinden, tatsächlich als Lebensraum und vor allem zur Reproduktion angenommen? Bei diesen Studien hatten wir den Nachteil, dass wir die Raupenaufsammlungen an nur 6-8 Jahre jun-gen und zwischen 1,00 und 2,50 m hohen Bäumen durchführen mussten. Die Besiedlungsrate dieser kleinen Bäumchen durch Raupen war mit 474 in

2 Jahren erfassten Individuen extrem gering im Vergleich zu den Individuenzahlen der Falter aus den Lichtfängen. Parallele Aufsammlungen an denselben Baumarten in natürlicher Verjün-gung im Unterwuchs des Naturwaldes ergaben etwa doppelt so hohe Raupendichten wie auf den Aufforstungsflächen. An drei Baumarten (Cedrela montana, Heliocarpus americanus , Tabebuia chrysantha ) fanden wir die Raupen von nur ca. 80 sich von Blättern ernährenden (folivoren) Schmet-terlingsarten, mit vielen Überlappungen, d. h. mit einem hohen Anteil an Generalisten (Marc-Oliver Adams, in Vorbereitung). Offensichtlich nutzen die über die neu gepflanzten Bäume fliegenden Insekten diese nur in einem sehr kleinen Ausmaß zur Eiablage. Dieses Ergebnis bedeutet in keiner Weise, dass derartige Aufforstungen wertlos wären, sondern lediglich, dass man viel Zeit und Geduld benötigt, um womöglich über eine Aufforstung Sekundärwälder mit ähnlicher Artenvielfalt und -zusammensetzung wie im Naturwald zu eta-blieren. Auch ergibt sich aus den Untersuchungen,

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Naturwald spätes Sukzessionsstadium frühes Sukzessionsstadium Auflichtungsflächen

Sukzession

F2

B1

H2

H13a

4b4a

5a

3b Q2-1

Q2-2

Q5-2

Q5-3Q5-1

Q3-3

Q3-1

Q3-2

Q2-3

5bC

E2

E1

B2

I AG2

G1

F1

Auflichtung

Abb. 7. Artenzusammensetzung der Erebidae-Arctiinae (Bärenspinner) während der Regenzeit im intakten ( ) und im aufgelichteten Naturwald ( : Referenzfläche Q2; : Auflichtungsflächen Q3, Q5) sowie auf älteren ( ) und jüngeren ( ) Sekundär-Sukzessionsflächen . Dargestellt ist das Ordinationsdiagramm einer nichtlinearen zweidimensionalen Skalierung, auf der Grundlage des CNESS-Index (m = 10) als Maß der Faunenähnlichkeit. Jeder Punkt entspricht der Nachtfaltergemeinschaft eines Standorts. Die Naturwaldstandorte bilden einen zen-tralen Cluster, von dem sich die Artengemeinschaften der Bärenspinner in den Auflichtungs- bzw. offenen Sukzessionsflächen in kontrastierender Weise unterscheiden. – Nach Günter et al. (2008).

Nachtfalterfauna: der Einfluss des Menschen

6 Näheres zu dem Aufforstungsexperiment s. Weber (2013), S. 132-134, in diesem Band.

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Schutz und Nutzung von Tropenwäldern

wie wichtig es ist, dass bei der Rodung einige große Bäume stehen bleiben, die als Strukturge-ber wichtig sind und auch für Vögel und viele weitere Tiere wichtige Lebensräume bilden.

Schlussfolgerungen

Wenn wir Wert auf die Erhaltung der Biodiver-sität in den äquatorialen Anden als einem der globalen Hotspots der Biodiversität legen, muss der Erhalt der noch existierenden Primärwälder absoluten Vorrang haben. Eine Vielzahl an Arten wird verloren gehen, sobald der Kronenschluss nicht mehr ausreichend vorhanden ist. Will man den Wald in irgendeiner Form nutzen, wären waldartige nachhaltige Nutzungssysteme, z. B. Agroforstsysteme an den Waldrändern , wie sie Tscharntke & Clough (2013, in diesem Band) vorgestellt haben, am ehesten aussichtsreich. Aber auch spontane Sekundärsukzessionen sind für die Biodiversität nicht wertlos. Sie sind z. B. als Pufferzonen entlang von Schutzgebieten extrem wichtig, wie schon bei früheren Arbei-ten in Borneo gezeigt wurde (Beck et al. 2002). Wichtig ist dabei der Waldanschluss, d. h. dass in erreichbarer Nähe noch naturnahe Waldreste als Quellareale für die Wiederbesiedlung existieren müssen. Bei devastierten Flächen, die mit indige-nen Baumarten aufgeforstet wurden, bin ich der Meinung, dass sie durchaus Zukunftspotenzial für die Biodiversität von Waldinsekten haben, wenn wir ihnen lange genug Zeit lassen – und wenn es gelingt, diese Flächen bis zum Erreichen eines echten Kronenschlusses vor Zerstörung zu schützen.

Danksagung

Mein Dank geht an alle wissenschaftlichen Mitarbei-terinnen und Mitarbeiter, die über Jahre hinweg dazu beigetragen haben, die hier vorgestellten Erkenntnisse zu erarbeiten. Namentlich hervorheben möchte ich (in alphabetischer Folge) Dipl.-Biol. Marc-Oliver Adams, Dr. Florian Bodner, Dr. Gunnar Brehm, Dr. Nadine Hilt, Mag. Patrick Strutzenberger, Dr. Dirk Süßenbach und Dipl.-Biol. Manuela Zimmermann. Unterstützung bei taxonomischen Fragen boten Dr. Axel Hausmann, Dr. Christoph L. Häuser und Dr. Wolfgang Speidel. Barbara Reischl brachte die Grafiken in eine publika-tionsfähige Form. Viele Kolleginnen und Kollegen auf der Forschungsstation Estación Científica San Francisco

(Ecuador) halfen uneigennützig in allen denkbaren (und manchen undenkbaren) Situationen. Die Deut-sche Forschungsgemeinschaft förderte die Arbeiten, namentlich im Rahmen der Forschergruppen FOR 402 und 816. Das Umweltministerium von Ecuador und die Stiftung Nature and Culture International (Loja & Del Mar) gewährten Forschungsgenehmigungen und Zugang zu den Untersuchungsgebieten.

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Nachtfalterfauna: der Einfluss des Menschen

Diskussion

M. Küppers: Sie haben die Artenzahlen von Borneo und Ecuador verglichen. Sind die Untersu-chungen durch Ihre Arbeitsgruppe mit vergleich-barer Intensivität durchgeführt worden?

K. Fiedler: Ja, die Gründlichkeit war die gleiche. Der wesentliche Unterschied ist, dass in Borneo die Arten gut zu bestimmen sind, weil Dr. Jeremy Holloway aus London 30 Jahre seines Lebens dafür geopfert hat, diese Arten zu benennen und die Fauna in einer Monografienserie zu dokumen-

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tieren. In Ecuador sind dagegen 70 % der Arten, die wir gefunden haben, ohne Namen. Aber wenn ich anfangen wollte, über 1400 Arten zu benennen, würde dies in der heutigen Universitätslandschaft leider auf Unverständnis durch Rektorate und Dekane treffen. Wir müssen Publikationen in so genannten Impact-Journalen publizieren und nicht nur in Museumsschriftenreihen.

M. Küppers: Könnte es sein, dass die geringe Raupendichte auf den Setzlingen damit zu tun hat, dass die Raupen auf den neu aufgeforste-ten Flächen zu wenig Schutz vor Fraßfeinden finden?

K. Fiedler: Das kann sein, aber ich denke eher, dass es eine Frage der standörtlichen klimatischen Bedingungen ist. Wenn die Sonne scheint, wird es auf den aufgeforsteten ehemaligen Weideflächen mangels Kronenschluss sehr heiß und trocken, das heißt, die klimatischen Extreme sind sehr ausgeprägt. Einer meiner Mitarbeiter, Marc-Oliver Adams, ist gerade dabei, seine Dissertation über diesen Datensatz zu schreiben. Er hat von denselben Baumarten auch natürliche Verjün-gungsexemplare im Wald aufgesucht. Dort, unter dem Kronendach, ist die Abundanz an Raupen etwa doppelt so hoch und die Artenzusammen-setzung ist eine andere. Fraßfeinde wie Vögel oder Ameisen mögen eine gewisse Rolle spielen, aber auch Vögel und Ameisen bevorzugen eher den Wald als diese gestörten Flächen. Von daher müsste das Häufigkeitsverhältnis genau anders herum sein, wenn die Raupen durch diese Art von Biokontrolle geregelt wären.

T. Tscharntke: Können Sie aus diesen Ergeb-nissen konkrete Empfehlungen ableiten, die Sie dem Umweltministerium in Ecuador geben könnten?

K. Fiedler: Meine Empfehlung wäre, den auf dem Papier bestehenden Podocarpus-Nationalpark nicht nur auf dem Papier bestehen zu lassen, sondern dafür zu sorgen, dass er tatsächlich als Nationalpark wahrgenommen wird. Ich kenne dieselbe Problematik aus Costa Rica , wo ich seit einiger Zeit die Verantwortung für die Tropenstation La Gamba am Rande des Parque Nacional Piedras Blancas habe. Seit in diesem Nationalpark tatsächlich Ranger sichtbar sind,

führt allein die Tatsache, dass man erwischt wer-den könnte, wenn man mit einer Motorsäge oder einer Machete illegal im Wald herumläuft, dazu, dass weniger gewildert und weniger Holz illegal entnommen wird. Man müsste auch in Ecuador unter Einbeziehung der lokalen Bevölkerung , die davon profitieren würde – sei es in Form von Arbeitsplätzen für Ranger, sei es in Form eines gelenkten Ökotourismus –, den Nationalpark als echtes Schutzgebiet durchsetzen und nicht nur auf einer Karte einzeichnen. Wenn die dort Ansässigen weiterhin ökonomische Probleme haben, werden sie natürlich in den Wald gehen, um eine Steineibe (Podocarpus ) umzusägen und für einige tausend Dollar zu verkaufen.

B. Hoppe: Sie haben von der Notwendigkeit ge-sprochen, natürlich vorhandene Primärwaldreste zu erhalten. Lässt sich das quantifizieren? Gibt es minimale oder optimale Flächen, die dafür nötig sind?

K. Fiedler: Das lässt sich durchaus quantifizieren, aber in Südecuador ist dies nicht gemacht worden. Es gibt aus Brasilien sehr gute Studien dazu, mit Waldfragmenten unterschiedlicher Größe. Die Antwort ist, dass die erforderte Mindestgröße solcher Refugien für jede Organismengruppe eine andere ist. Es gibt Gruppen, für die man mit kleinen Waldfragmenten von einem halben oder einem viertel Hektar einiges an Biodiversität erhalten kann. Es gibt aber auch Organismengrup-pen, die so kleine Flächen gar nicht mehr als Wald wahrnehmen, zum Beispiel große Vogelarten . Für Arthropoden würden Waldfragmente mit einer Kantenlänge von 50 Metern mal 50 Metern schon eine ganze Menge bringen. Ich nehme deshalb an, in Extrapolation aus diesen Studien aus Brasilien, dass auch in Ecuador mit kleinen Waldresten, wie sie an steilen Hängen und Schluchten noch überall vorhanden sind, durchaus ein Teil der Biodiversität erhalten werden kann. Aber man darf sich dabei keine falschen Vorstellungen machen: In solchen Flächen sind dann vielleicht drei Pfeffersträucher von einer bestimmten Eois -Art besiedelt, aber diese drei Sträucher werden nicht ausreichen, um von irgendeiner Eois-Art eine überlebensfähige Population aufrecht zu erhalten. Für Nahrungsspezialisten ist das ein-fach zu wenig.

Rundgespräche der Kommission für ÖkologieHerausgegeben von der Bayerischen Akademie der Wissenschaften

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