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ProgrammgruppeMensch, Umwelt, Technik (MUT)
Forschungszentrum Jülich
Programmgruppe Mensch
Behochfr
AR
Hef
Elektrosmog - Ein Risiko?deutungskonstitution von Risikenequenter elektromagnetischer Felder
Peter M. Wiedemann
Alexander Bobis-Seidenschwanz
Holger Schütz
BEITEN ZUR RISIKO-KOMMUNIKATION
t 44 Jülich, August 1994
, Umwelt, Technik (MUT), Forschungszentrum Jülich GmbH, D-52425 Jülich(„http://www.fz-juelich.de/mut“)
Elektrosmog - Ein Risiko?
Bedeutungskonstitution von Risiken
hochfrequenter elektromagnetischer Felder*
Peter M. Wiedemann
Alexander Bobis-Seidenschwanz
Holger Schütz
Programmgruppe Mensch, Umwelt, Technik
Forschungszentrum Jülich GmbH
unter Mitarbeit von
Werner Nothdurft, Bonn und
Thomas Spranz-Fogasy, Heidelberg
*Die vorliegende Arbeit wurde von der Forschungsgemeinschaft Funk e.V., Bonn Center,Bundeskanzlerplatz, 53113 Bonn finanziell gefördert
2
Inhaltsverzeichnis
Zusammenfassung für den eiligen Leser................................................................... 5
Einleitung..................................................................................................................... 10
Teil I: Diskussion von EMF-Risiken in der Öffentlichkeit .................................... 12
1. Problemlage....................................................................................................... 12
2. Forschungsansatz und Datenerhebung .............................................................. 13
2.1 Der Fokusgruppenansatz ................................................................................... 14
2.2 Planung und Durchführung der Fokusgruppen ................................................. 17
2.2.1 Inhaltliche Vorüberlegungen ............................................................................. 17
2.2.2 Rekrutierung von Fokusgruppen-Teilnehmern ................................................. 18
2.2.3 Rekrutierungsergebnisse und Motive für die Nicht-Teilnahme ........................ 19
2.3 Übersicht zu den durchgeführten Fokusgruppen............................................... 20
3. Ergebnisse.......................................................................................................... 21
3.1 Kognitiver Aspekt der Bedeutungskonstitution ................................................ 21
3.1.1 Betroffenheit vom EMF-Thema ........................................................................ 23
3.1.2 Subjektive Gefahreneinschätzung und Gefahrenmodelle für EMF .................. 27
3.1.3 Nutzeneinschätzung von Mobilfunk.................................................................. 42
3.1.4 Umgang mit der EMF-Problematik................................................................... 43
3.1.5 Informationsquellen und Bewertungsressourcen .............................................. 51
3.1.6 Semantische Kennzeichnung - Schlüsselbegriffe für EMF-Risiken ................. 58
3.1.7 Bewertungsprobleme......................................................................................... 59
3
3.1.8 Zusammenfassung und Schlußfolgerungen....................................................... 64
3.2 Interaktiver Aspekt der Bedeutungskonstitution ............................................... 68
3.2.1 Ausgangslage..................................................................................................... 68
3.2.3 Ablauf der Meinungsbildung............................................................................. 69
3.2.4 Umgang mit Positionen und Positionsentwicklung bei den Nichtbetroffe-nen ..................................................................................................................... 73
3.2.5 Teilnehmerbeziehung ........................................................................................ 75
3.2.6 Meinungsführerschaft und Rollenprofilierung.................................................. 78
3.2.7 Schlußfolgerungen............................................................................................. 82
Teil II: Expertenstreit um EMF-Gefahren undKonflikte um Mobilfunksendeanlagen..................................................................... 84
1. Forschungsansatz und Datenerhebung .............................................................. 84
2. Expertenstreit um EMF-Gefahren ..................................................................... 85
2.1 Interviewpartner ................................................................................................ 85
2.2 Ergebnisse.......................................................................................................... 88
3. Konflikte um Mobilfunksendeanlagen .............................................................. 94
3.1 Interviewpartner ................................................................................................ 94
3.2 Ergebnisse.......................................................................................................... 95
Teil III: Szenario-Konstruktion'Entwicklung der EMF-Risikokontroverse' ...........................................................101
1. Einführung........................................................................................................101
2. Methode der Szenariokonstruktion...................................................................102
3. Szenarien im Überblick ....................................................................................104
4
4. Risikowahrnehmung von Technik im Trendszenario 'Multiple Risikoge-sellschaft' ..........................................................................................................109
5. Selektive Verstärkung von qualitativen Risikofaktoren bei der Risiko-wahrnehmung und -bewertung von Technik....................................................111
6. Kritische Ereignisse für die EMF-Risikodiskussion ........................................114
VI. Empfehlungen und Ausblick .............................................................................116
1. Empfehlungen...................................................................................................116
2. Ausblick............................................................................................................121
Literatur.......................................................................................................................123
5
Zusammenfassung für den eiligen Leser
In den letzten beiden Jahren hat die Medienberichterstattung über und damit die
öffentliche Aufmerksamkeit für die Risikopotentiale von elektromagnetischen Feldern
(EMF) zugenommen. Eine weitere Zuspitzung dieser Diskussion kann für die Mobil-
funk-Unternehmen gravierende Auswirkungen haben. Die Frage ist, in welcher Weise
sich die Risikodiskussion um EMF weiter entwickeln wird?
Die Programmgruppe Mensch, Umwelt, Technik (MUT) ist dieser Frage in ihrer
Untersuchung zur Bedeutungskonstitution von EMF-Risiken nachgegangen. Untersucht
wurde: (1) Wie werden gegenwärtig in der Öffentlichkeit EMF-Risikopotentiale
wahrgenommen und diskutiert? (2) Was kennzeichnet den Expertenstreit über EMF-
Risikopotentiale? und (3) Wie kann sich die Risikodiskussion weiterentwickeln und
welche kritischen Ereignisse und Bedingungen sind dabei besonders zu beachten?
Die Untersuchung von MUT beruht auf einem qualitativen Ansatz. Dieser Ansatz er-
möglicht eine genaue und vor allem verzerrungsfreie Analyse der subjektiven Wahrneh-
mung und Beurteilung von EMF-Risikopotentialen. Die Grenzen des Ansatzes liegen in
der Einschränkung der Repräsentativität der Ergebnisse. Eine weitere repräsentative
quantitative Untersuchung wird deshalb nachdrücklich empfohlen.
EMF-Risiken sind für die allgemeine Öffentlichkeit kein 'high-involvement'-Thema. Nur
für unmittelbar Betroffene, d.h. Personen, die ihre Befindlichkeitsstörungen EMF
zuschreiben, und solche, die befürchten, durch eine EMF-Quelle (hier: Mobilfunk-
sendeanlage) geschädigt zu werden, hat dieses Thema in besonderem Maße Relevanz.
Für diese Gruppe besteht Gewißheit, daß von EMF hohe Gesundheitsrisiken ausgehen.
In der allgemeinen Öffentlichkeit ist dagegen die Risikoeinschätzung heterogen. Feste
Einstellungen und Überzeugungen sind selten. Das charakteristische Merkmal besteht in
der Unsicherheit der Risikobewertung. Wenn Bedrohungen wahrgenommen werden, so
resultiert dies nicht daraus, daß 'reale' Gefahren gesehen werden. Die wahrgenommene
Bedrohung ist vielmehr die Folge davon, daß Gefährdungen - nach Meinung der Befrag-
ten - nicht ausgeschlossen werden können.
6
Diese Unsicherheit hat zur Folge, daß soziale Einflüsse die Risikobewertung prägen.
Meinungsführerschaften, Rivalitäten und andere Beziehungsmerkmale führen zu In-
stabilität, Orientierungsverlust und Diffusität der Diskussion. Das unterscheidet die
EMF-Risikodiskussion deutlich von anderen technikbezogenen Risikokontroversen. Ein
weiteres spezifisches Merkmal der öffentlichen Debatte um die Risikopotentiale von
EMF ist die vergleichsweise niedrige Polarisierung der Öffentlichkeit in Gegner und
Befürworter.
Professionelle Nutzer sehen keine entscheidenden Risiken. Sie betonen den Nutzen und
die Notwendigkeit des Einsatzes von Mobilfunk für ihre Arbeit. Private Nutzer von
Funktelefonen stehen in ihrer Nutzeneinschätzung den professionellen Nutzern nahe. In
Bezug auf die Risikobewertung unterscheiden sie sich jedoch von ihnen. Ihre
Risikobewertung ist, wie bei der allgemeinen Öffentlichkeit, durch Unsicherheiten
geprägt.
Wenn die Risikobewertung im einzelnen hinterfragt wird, zeigen sich beträchtliche
Kenntnis- und Wissenslücken. Zwischen hoch- und niederfrequenten EMF werden keine
Unterschiede gemacht. Als Quellen von EMF-Risiken werden einige wenige, typische
Geräte und Anlagen genannt (Mobilfunk, Hochspannungsleitung, Babyphon, Radiowe-
ker). Expositionspfade und Wirkmechanismen sind unbekannt. Schädigungen werden
vor allem im Hinblick auf das Auge (generell den Kopf) vermutet.
Gleichzeitig ist aber die Risiko- und Gefahrenbewertung von Laien in einem hohen
Maße ausdifferenziert: Es werden so Synergieeffekte mit anderen Umweltbelastungen
erwartet, tageszeitliche Schwankungen der eigenen Verletzlichkeit angenommen und be-
sondere 'lokale' Wirkungsbereiche (z.B. das Schlafzimmer) befürchtet.
Hinsichtlich der Risikowahrnehmung sind Geräte und Produkte (Güter für den Endver-
braucher) klar von der Bewertung von Sendeanlagen zu unterscheiden. Während bei
Gütern individueller Nutzen gegenüber dem Risikopotential 'aufgerechnet' wird bzw.
werden kann, wird eine solche Abwägung bei Mobilfunksendeanlagen nicht vorgenom-
men. Generell werden solche Anlagen als Zumutung empfunden, auch von denen, die
den Mobilfunk für nützlich halten.
7
Die Risikodiskussion über EMF ist auch eine Experten- und Vertrauens- bzw. Glaub-
würdigkeitsdiskussion. Es werden Zweifel an dem wissenschaftlichen Erkenntnismodell
vorgebracht. Für jeden Experten läßt sich ein Gegenexperte finden - so lassen sich die
vorhandenen Einschätzungen pointiert zusammenfassen. Mißtrauen besteht vor allem
gegenüber Grenzwerten, aber auch in bezug auf das vermutete 'Herunterspielen' von
Gefahren - eine Strategie, die vielfach Unternehmen unterstellt wird.
Bei der Diskussion über EMF-Risiken wird auf drei Bewertungsressourcen zurück-
gegriffen. Die Medien lenken die Aufmerksamkeit auf das EMF-Risikothema und
schließen es an bestehende Diskussionen über Technik und ihre Risiken an. Dabei spielt
der Begriff des 'Elektrosmogs' eine wichtige Rolle. Persönliche Erfahrungen sind bislang
von untergeordneter Bedeutung; ausgenommen sind dabei diejenigen Personen, die sich
durch EMF geschädigt sehen. Vor allem sind es Alltagsweisheiten und Allgemeinplätze,
auf die bei der Beurteilung von EMF-Risiken zurückgegriffen wird. Solche Common-
Sense-Kompetenz ist vor allem dann von Bedeutung, wenn Wissens- und
Erfahrungsbestände nicht ausreichen, um komplexe Sachverhalte zu erfassen.
Im Hinblick auf Experten lassen sich drei Gruppierungen erkennen. Diese unterscheiden
sich in ihrer Gefahrenabschätzung von EMF aufgrund verschiedener Bewertungsdimen-
sionen, unterschiedlicher Gewichtungen vorhandener Wissensbasen und dem Stellen-
wert wissenschaftlicher Erkenntnisse. Die erste Expertengruppe, die sich der wissen-
schaftlichen Community verpflichtet fühlt, betrachtet neben den Risikopotentialen vor
allem auch Kosten-Nutzen-Relationen von zusätzlichen möglichen Risikovor-
sorgemaßnahmen. Sie sieht keinen Anlaß für weitere verschärfte Vorsorgemaßnahmen,
wenn die bestehenden Grenzwerte eingehalten werden. Eine zweite, ebenfalls der
wissenschaftlichen Community verpflichtete Expertengruppe empfiehlt Vorsorgemaß-
nahmen, die die EMF-Expositionen auch noch unterhalb der bestehenden Grenzwerte
reduzieren, solange der Aufwand vertretbar ist. Die dritte Gruppierung besteht aus Per-
sonen, die als Baubiologen traditionelle wissenschaftliche Standards als unzureichend
erachten. Sie setzen im wesentlichen auf ihre persönlichen Beratungserfahrungen und
die damit verbundenen anekdotischen Evidenzen. Sie verlangen eine starke Reduzierung
von EMF-Expositionen auch unterhalb der bestehenden Grenzwerte, die sie als unzurei-
chend ansehen.
8
Trotz ihrer unterschiedlichen Sichtweisen begrüßen alle drei Gruppierungen eine weitere
Erforschung von EMF-Risikopotentialen und zeigen Interesse an Diskussionsforen zur
Bestimmung von Forschungsfragen und -problemen. Dieser Konsens darf aber nicht
darüber hinwegtäuschen, daß bei Ermessens- und Wertfragen, die auch bei wissen-
schaftlichen Diskussionen unvermeidlich sind, beträchtliche Konflikte auftreten können.
Hier bestehen eben auch stärkere weltanschauliche und erkenntnistheoretische Diver-
genzen zwischen den genannten Expertengruppen.
Die künftige Entwicklung der EMF-Risikodiskussion wurde mittels des Szenario-
ansatzes erkundet. Kritisch für die Entwicklung sind zum einen globale gesellschaftliche
Trends und zum anderen EMF-bezogene Ereignisse. Von den globalen Trends ist
abhängig, inwieweit andere als technische Risiken in den Mittelpunkt der öffenlichen
Aufmerksamkeit rücken: politische, kulturelle oder soziale Risiken. Für wahrscheinlich
wird das Szenario der 'multiplen Risikogesellschaft' erachtet. Hier verlieren zwar
technische Risiken in der öffentlichen Diskussion ihre herausragende Rolle, sie bleiben
aber dennoch ein Fokus der gesellschaftlichen Kontroverse über Risiken. Dabei sind die
qualitativen Risikobeurteilungsfaktoren wie Kontrollierbarkeit, Betroffenheit sowie die
angenommene technisch mögliche, aber faktisch nicht umgesetzte Risikoreduktion von
besonderer Bedeutung. Weiterhin können Ereignisse wie spektakuläre Schadensfälle
(die auf Mobilfunk zurückgeführt werden), wissenschaftliche Studien, die Risiken von
EMF nachweisen sowie verschärfte Gesetze und Verordnungen (z.B. Vorsorgepflicht
auch bei hypothetischen Risiken, umgekehrte Beweislastpflicht) die Aufmerksamkeit für
EMF-Risikopotentiale verstärken. Beachtet werden müssen außerdem Branchentransfer-
Effekte sowie die Durchsetzung von semantischen Schlüsselbegriffen und Analogien,
die in der öffentlichen Diskussion EMF als Teil der Strahlenbelastungsdiskussion
thematisieren.
Schlußfolgerungen für die Risikokommunikation lassen sich zwar vorläufig ziehen,
bedürfen aber noch der weiteren Abklärung ihrer Voraussetzungen durch eine re-
präsentative Untersuchung sowie einer detaillierten Ausarbeitung. Beides kann nur im
Rahmen eigener F&E Projekte geleistet werden.
Essentials für die weitere Kommunikationsplanung sind:
9
• Vorrangig ist Risikokommunikation. Aber Risikokommunikation kann und darf nicht
entlang der den Unternehmen vertrauten Kommunikationsschiene von Werbung und
PR konzipiert werden.
• Auch die Risikokommunikation im EMF-Bereich hat sich auf die Bedingungen der
Kommunikation über Risiken, wie sie sich in unserer Gesellschaft herausgebildet ha-
ben, einzustellen. Das heißt vor allem anzuerkennen, daß sowohl die Popularisierung
von Wissenschaft als auch die Aufklärung als Mittel zur Angstminderung nur von sehr
begrenzter Wirksamkeit sind.
• Die unterschiedlichen Problemlagen und die damit verbundenen unterschiedlichen
Zielgruppen verlangen differenzierte Kommunikationsstrategien. Das Yuppie-Image
von Mobilfunktelefonen in der Öffentlichkeit ist das erste Problem. Das zweite Pro-
blem ist die Unkenntnis über elektromagnetische Verträglichkeit (EMV) und
elektromagnetische Umweltverträglichkeit (EMUV) bei potentiell vulnerablen
Personen und Mobilfunknutzern. Ein weiteres Problemfeld sind die Konflikte um
Standorte für Mobilfunksendeanlagen. Schließlich ist auch der Expertenstreit ein
eigenständiger Problembereich für die Risikokommunikation.
• Kommunikationsstrategien und Instrumente sind auf diese Problemkreise und die
damit verbundenen Personengruppen bzw. Netzwerke abzustimmen. Das erfordert
allerdings auch von den Mobilfunkunternehmen die Bereitschaft zur Umstellung und
Veränderung ihrer Kommunikationsgewohnheiten.
10
EinleitungDas Problem bei der Einschätzung und Bewertung von Risiken ist der Umgang mit
Unsicherheit. Das ist auch das Schlüsselproblem bei der Frage, ob elektromagnetische
Felder (EMF) Risiken für Gesundheit und Umwelt darstellen oder nicht. Die Gefahr
solcher Ungewißheitssituationen ist die Entwicklung von Extrempositionen. Es wird
schwarz oder weiß gemalt. Die einen behaupten dann, alles sei o.k., und die anderen
malen den Teufel an die Wand. Das Sachproblem wird damit zu einem Problem der ge-
sellschaftlichen Kommunikation. Wie aber in der Öffentlichkeit über EMF kom-
muniziert wird, entscheidet mit über die Zukunft der Telekommunikation in Deutsch-
land. Deshalb ist die Untersuchung der Kommunikation über EMF-Risiken ein wich-
tiges Forschungsfeld.
Die Programmgruppe 'Mensch Umwelt Technik' (MUT) hat hierzu vom November 1993
bis April 1994 ein Forschungsprojekt für die Forschungsgemeinschaft Funk durch-
geführt. Ziel des Projektes 'Bedeutungskonstitution' ist es, die jetzige Diskussion um die
möglichen Gefahren elektromagnetischer Felder zu erfassen und Szenarien zum künfti-
gen Diskussionsverlauf zu entwickeln.
Unter 'Bedeutungskonstitution' wird dabei der Prozeß verstanden, wie Menschen sich
ein Bild von Sachverhalten machen, von denen sie in der Regel keine eigenen Erfahrun-
gen besitzen. Bei ihren Bewertungen und Einschätzungen greifen Menschen auf Alltags-
weisheiten, Medienwissen und in Teilen auf Erfahrungen zurück. Aus der Vielzahl von
Informationsquellen konstruieren sie auf dem Hintergrund ihrer Einstellungen und Wert-
haltungen ein für sich selbst passendes Bild. Sie konstruieren dieses Bild immer auch in
der Auseinandersetzung mit Bekannten, Freunden und anderen Menschen, denn Bedeu-
tungen entstehen interaktiv. Bedeutungskonstitution ist somit immer zweifach bestimmt:
Einmal kognitiv, d.h. dadurch, was die Menschen wissen (bzw. nicht wissen), welche
Einschätzungen und Bewertungen sie vornehmen, und zum anderen interaktiv, d.h. wie
sie sich untereinander austauschen und wem sie dabei Glauben schenken.
Die kognitive und die interaktive Seite der Bedeutungskonstitution werden genauer
untersucht und dienen als Basis für die Konstruktion der Szenarien über den weiteren
gesellschaftlichen Diskussionsverlauf zu EMF-Risiken. Die Analyse von Expertenein-
11
schätzungen zur EMF-Problematik ist eine weitere Quelle für die Szenariokonstruktion.
Hier werden z.T. die kommenden Auseinandersetzungen um EMF vorgeformt, die dann
von den Medien aufgegriffen und an die Öffentlichkeit gebracht werden.
MUT weist bereits jetzt darauf hin, daß neben der Kenntnis der Risikokontroverse, zu
der hier ein wichtiger Baustein geliefert wird, die richtige Strategie für den Umgang mit
der Risikokontroverse gewählt werden muß. Diese läßt sich nicht allein aus der
folgenden empirischen Analyse ableiten, sondern ist auch eine Wertentscheidung. MUT
empfiehlt, hier eine kooperative Strategie der Risikokommunikation umzusetzen (siehe
WIEDEMANN 1991, CLAUS & WIEDEMANN 1994).
Die Prozesse und Stufen der Bedeutungskonstitution bei der Risikobewertung von EMF
werden im folgenden Teil 1 dargestellt. In Teil 2 wird der Expertenstreit erörtert und auf
die Konflikte um Mobilfunksendeanlagen eingegangen. In Teil 3 werden die Szenarien
konstruiert.
Abb. 1: Mögliche Verläufe der gesellschaftlichen EMF-Diskussion
12
Teil 1: Diskussion von EMF-Risiken in der Öffentlichkeit
1. ProblemlageIn den westlichen Industriestaaten kamen mit Beginn der 80er Jahren durch die zuneh-
mende Verwendung von Computerbildschirmen und Mikrowellenkochgeräten Befürch-
tungen über eine mögliche Gesundheitsgefährdung, durch die von diesen Geräten ausge-
hende elektromagnetische Strahlung, auf. Seit Ende der 80er Jahre hat die Medienbe-
richterstattung zu der Frage möglicher Gesundheitsgefährdungen durch nieder- und
hochfrequente elektromagnetische Felder zugenommen. Dabei wurde in der Presse über
Hochspannungsleitungen, Stromleitungen im Haus und elektrische Haushaltsgeräte als
mögliche Risikoquellen berichtet. Seit 1991 sind Mobilfunksendemasten und Mobil-
funkhandgeräte in den Mittelpunkt der Medienaufmerksamkeit gerückt. Seitdem hat sich
auch der Begriff 'Elektrosmog' für das Thema eingebürgert. Der medialen Aufmerksam-
keit steht gegenwärtig eine eher verhaltene Risikobewertung seitens der allgemeinen
Bevölkerung gegenüber. In (Ost-) Deutschland werden Handies und schnurlose
Haustelefone als vergleichsweise niedriges Risiko eingestuft (siehe Abbildung 1).
Auch in der von SCHÜTZ & WIEDEMANN (in Vorb.) durchgeführten Befragung wur-
den die Risiken von Mikrowellengeräten und Überlandstarkstromleitungen zu den
geringsten der angegebenen Risiken gezählt.
Aus der Issue-Forschung (COATES et al. 1986) wissen wir jedoch, daß die Entwicklung
von Risiko-Kontroversen in Randbereichen und bei Randgruppen beginnt. Hier erfolgen
die 'Prägungen' des Themas. Aus einem Thema wird eine Meinung, d.h. sie wird mit
Wertungen verknüpft. Später greifen die Medien ein: Sie popularisieren, verstärken und
dramatisieren. Und in vielen Fällen zieht die Öffentlichkeit dann im Sinne einer Anglei-
chung von Wahrnehmung und Bewertung nach (BECKER 1993). Für Unternehmen ent-
wickeln sich damit auch Akzeptanz- und Absatzkrisen. Beispiele finden sich in vielen
Branchen (siehe JUNGERMANN, ROHRMANN & WIEDEMANN 1991, WIEDE-
MANN 1994).
Eine solche Issue-Eskalation deutet sich auch im EMF-Bereich an. In den letzten beiden
Jahren hat die Medienberichterstattung zum Thema Elektrosmog zugenommen.
13
Meldungen über kritische Ereignisse und
Vorfälle (z.B. der Gerichtsfall in den USA
wegen einer Krebserkrankung im Zusam-
menhang mit der Nutzung eines Handies)
haben eine große Resonanz. Gesellschaft-
liche Anspruchsgruppen und Bürgerinitiati-
ven beziehen sich aktiv auf das Elektrosmog-
Thema. Gerade bei der Genehmigung von
Sendemasten und -anlagen für den Mobil-
funk nehmen lokale Proteste zu, die oft in
Gerichtsverfahren münden. Es ist nicht
auszuschließen, daß sich diese Entwicklung
fortsetzt und verschärft, sowie auf andere zur
Zeit noch kaum thematisierte Funkanlagen -
z.B. Radiostationen, Fernsehtürme,
militärische und zivile Radaranlagen - über-
greift.
Eine erhöhte Aufmerksamkeit und eine
genaue Analyse der beginnenden Elek-
trosmog-Risikodebatte empfiehlt auch das
damit verbundene unternehmerische Risiko.
Hier geht es nicht nur um die soziale bzw. ges
nehmen. Auch aus rein betriebswirtschaftlic
Telekommunikation alles tun, um die verschie
kontroverse um EMF genauer zu verstehen. Di
setzung für die Entwicklung einer proaktiven K
2. Forschungsansatz und DatenerheDie inhaltliche Zielstellung der Studie: die Bed
untersuchen, erfordert ein Vorgehen, welches m
flußnahmen der Forscher das erfaßt, was Mensc
den. Es sollen die tatsächlichen argume
Abbildung 1: Risiko- und Nutzen-Beurteilungen
von Produkten (aus Wiedemann und Schütz
1994a)
ellschaftliche Verantwortung von Unter-
hen Gründen sollten Unternehmen der
denen inhaltlichen Facetten der Risiko-
ese Analyse ist eine notwendige Voraus-
ommunikationsstrategie.
bungeutungskonstitution von EMF-Risiken zu
öglichst frei von Vorannahmen und Ein-
hen tatsächlich mit EMF-Risiken verbin-
ntativen Zusammenhänge aufgedeckt
14
werden, in die dieses Thema für die Menschen eingebettet ist. Damit verbieten sich in
dieser Phase der Untersuchung quantitative Vorgehensweisen empirischer Sozialfor-
schung, wie zum Beispiel standardisierte Fragebogenuntersuchungen. Erforderlich sind
Untersuchungstechniken, welche die Untersuchungsteilnehmer möglichst uneinge-
schränkt selbst zu Wort kommen lassen und die ein flexibles Eingehen auf ihre Argu-
mente ermöglichen. Die Diskussion um EMF befindet sich gegenwärtig gesamtgesell-
schaftlich noch in einem typischen Frühstadium ökologischer Auseinandersetzung: Es
gibt einen stark expandierenden Wirtschaftszweig, der mit dem Thema EMF assoziiert
ist (Mobilfunk), es gibt lokal organisierten Widerstand gegen einzelne Objekte, die mit
EMF in Zusammenhang gebracht werden (Mobilfunksendeanlagen), und es gibt eine
uneinheitliche, punktuelle Berichterstattung über Gesundheitsgefahren durch EMF.
Um eine solche Phase der Auseinandersetzung angemessen beobachten zu können und
Prognosen über mögliche Weiterentwicklungen der Debatte ausarbeiten zu können, ist
es wichtig, sich die gegenwärtige Unübersichtlichkeit der Meinungslage und das Fehlen
gesamtgesellschaftlicher Orientierungsgrößen vor Augen zu halten. Bei der Betrachtung
einer solchen Phase gewinnen Prozesse, in denen sich die Meinungsbildung über EMF
vollzieht, besondere Bedeutung.
Solche Prozesse der Meinungsbildung lassen sich gut mit Hilfe sogenannter Fokus-
gruppen untersuchen.
2.1 Der FokusgruppenansatzFokusgruppen sind kleine Diskussionsrunden aus in der Regel sieben bis zehn Teilneh-
mern und dauern ca. 2 Stunden. Die Auswahl der Diskussionsteilnehmer erfolgt - je
nach Forschungsinteresse - entweder gezielt oder zufällig. Unter der Moderation eines
Diskussionsleiters diskutieren die Teilnehmer ein bestimmtes Thema oder einen
Themenkomplex. Der Diskussionsleiter kann dabei einerseits den Teilnehmern viel
Freiraum zur Darstellung ihrer Meinungen zum Thema, zur Kritik anderer Ansichten
und zur Rechtfertigung des eigenen Standpunktes geben. Andererseits kann er ver-
suchen, durch gezielte Nachfragen bestimmte forschungsrelevante Aspekte zu präzi-
sieren oder zu vertiefen. Dieser Untersuchungsansatz ermöglicht in ökonomischer Weise
15
eine in die Tiefe gehende Exploration des Themas, wobei zusätzlich noch die
gruppendynamischen Effekte in der Diskussion genutzt werden können. Die Diskussion
wird in der Regel mit Hilfe eines Videorecorders oder Tonbandgerätes aufgezeichnet.
Diese Aufzeichnung bildet die Datenbasis für die Auswertung. Fokusgruppen-
Diskussionen haben sich z.B. in der Marktforschung, vor allem im angelsächsischen
Sprachraum, als Instrument der Erkundung von Denk- und Argumentationsmustern zu
einem bestimmten Thema bewährt (vgl. MORGAN 1988; KRUEGER 1988). Auch zur
Untersuchung von Problemen der Risikokommunikation werden Fokusgruppen erfolg-
reich eingesetzt (vgl. DESVOUSGES & SMITH 1988).
Für die Strukturierung der einzelnen Fokusgruppendiskussionen wurde jeweils ein
kurzer Leitfaden erstellt. Kasten 1 gibt ein Beispiel für einen Fokusgruppen-Leitfaden.
Als Einstieg in die Diskussion diente die Frage nach dem Kenntnisstand in bezug auf
EMF-Gefahren. Jeder Diskussionsteilnehmer wurde gebeten, hierzu kurz seine Meinung
zu sagen. Die anderen Fragen wurden nicht systematisch abgehandelt, sondern zwanglos
im Rahmen der laufenden Diskussion gestellt, wenn dies inhaltlich angemessen
erschien. Einige Fragen mußten gar nicht explizit angesprochen werden, da die Diskus-
sionsteilnehmer sie selber thematisierten. Der Diskussionsleiter hat versucht, nur dann
steuernd in die Diskussion einzugreifen, wenn diese deutlich vom Thema abkam, oder
wenn einzelne Diskussionsteilnehmer zu dominant waren und dadurch andere Teil-
nehmer in den Hintergrund gedrängt wurden. Durch diese offene Diskussionsführung
sollte den Fokusgruppen-Teilnehmern Raum gelassen werden, ihre eigene Problemsicht
zu entfalten.
16
Kasten 1: Beispiel für einen Gesprächsleitfaden - 6. Fokusgruppe (Funktelefonbenutzer)
EINLEITUNG:• Begrüßung, Danksagung, Vorstellung der MUT-Mitarbeiter• Thema der Diskussion:
1) Einschätzung der Gesundheitsgefahren elektromagnetischer Felder2) Umgang mit dieser Problematik (Nutzung von elektr. Geräten und Funktelefonen)
• Ziele des Forschungsprojekts: unterschiedliche Beurteilung von EMF-Gefahren verstehen• Aufnahme der Diskussion nur für Auswertung; Diskussionsteilnehmer bleiben anomym• Erstattung der Fahrtkosten nach Abschluß der Diskussion• Fragen?• Vorstellungsrunde (Person, Nutzung von Funktelefon)
GESPRÄCHSTHEMEN:Anfangsrunde: Was wissen Sie zum Thema 'Gesundheitsgefahren elektromagnetischer Felder'?
EMF-Gefahren• Gesundheits- und Umweltgefahren• Gefahrenmerkmale: Woran kann man (schädigende) Wirkung von EMF erkennen? Unter welchen Umständen
sind EMF gefährlich? (Quellen, Benutzungsdauer, Benutzungszeitpunkt, besonders gefährdete Orte undPersonen, Leistung/Feldstärke, Empfangen vs. Senden, Nähe von Antenne)
• Gefährlichkeit von EMF-Quellen: Handgerät vs. Sendemast, Richtfunkstrecke, Umweltbelastung durchFunksender
• Schädigungsmechanismen• Gefahreneinschätzung: Sicherheit, Quellen, Rolle von Wissenschaft• Beweis für vorhandene/nicht vorhandene Gefahr• Bei welchem Anlaß Beschäftigung mit EMF-Gefahren?• Runde: Was sagt Ihnen der Begriff 'Elektrosmog'?
Umgang mit EMF-Gefahren• eigene Schutzmaßnahmen/Nutzung von elektrischen Geräten und Funktelefon• Risiko und Nutzen von EMF-Quellen• Relevanz von EMF-Gefahren/Vergleich mit anderen Gefahren• Informationsbedarf/Forderungen an Behörden und Unternehmen
Endrunde: Hat sich Einschätzung von EMF-Gesundheitsgefahren geändert?
Die Auswertung der Fokusgruppendiskussionen wurde durch die oben formulierten For-
schungsfragen geleitet. Da das erhobene Datenmaterial in Form von Videoaufzeichnun-
gen zu umfangreich war (insgesamt ca. 23 Stunden), um in dem für das Projekt zur
Verfügung stehenden Zeitraum verschriftet zu werden, wurde ein gemischtes Auswer-
tungsverfahren gewählt. Zunächst wurde von jeder Fokusgruppe ein Verlaufsprotokoll
erstellt, in dem die wesentlichen Argumente der Fokusgruppenteilnehmer teils
zusammengefaßt, teils wörtlich festgehalten wurden. Dieses Protokoll ermöglicht es, die
Diskussion inhaltlich zu überschauen, und so Äußerungen zu einer bestimmten Frage-
stellung zu analysieren, auch wenn sie zu ganz unterschiedlichen Zeitpunkten während
17
der Diskussion gemacht wurden. Anhand der Videoaufzeichnungen kann wiederum die
Dynamik der Diskussion betrachtet und gegebenenfalls auf Details der Diskussion
zurückgegriffen werden.
Die Auswertungen selbst erfolgten in mehreren Stufen, als gesprächsübergreifende
Materialsichtung, als fallbezogene Hypothesengenerierung, als systematischer, fallüber-
greifender Hypothesenvergleich sowie als fallbezogene und übergreifende Schwer-
punktanalyse von Gesprächsausschnitten. Die Videoanalysen erfolgten in unterschiedli-
cher Differenzierungstiefe (a) direkt am Bildschirm (on-line-Videoanalyse) und (b)
anhand von differenzierten Transkripten (Mikroanalyse).
2.2 Planung und Durchführung der Fokusgruppen
2.2.1 Inhaltliche VorüberlegungenAusgangspunkt für die Zusammenstellung der Fokusgruppen war die Überlegung, daß
es für die Untersuchung der Bedeutungskonstitution sinnvoll ist, die einzelnen Fokus-
gruppen möglichst homogen in bezug auf ihre Vorerfahrungen mit der EMF-Problema-
tik zu halten. Deshalb wurden zunächst zwei Gruppen von Personen unterschieden:
solche, die bisher keine persönlichen Erfahrungen mit EMF gemacht hatten ('Unbetei-
ligte'), und solche, die schon Erfahrungen gemacht hatten. Bei dieser letzten Gruppe
wurden Personen mit verschiedenen Formen von Vorerfahrungen berücksichtigt:
• Anwohner einer Hochspannungsleitung bzw. Mitglieder einer Bürgerinitiative, die
sich gegen eine Hochspannungsleitung gegründet hat;
• Anwohner einer Mobilfunksendeanlage;
• Nutzer von Funktelefonen (schnurlosen Haustelefonen und Mobilfunktelefonen);
• Personen, die beruflich mit Funkgeräten umgehen;
• Personen, die sich durch EMF in ihrer Gesundheit beeinträchtigt oder geschädigt
fühlen ('Elektrosensible').
Auf die Homogenität der Fokusgruppen wurde lediglich bei einer Gruppe bewußt
verzichtet. In der vorletzten Gruppendiskussion (Fokusgruppe 10) wurden Anwohner
18
einer Mobilfunksendeanlage und Nutzer von Funktelefonen zusammengefaßt. Bei dieser
Fokusgruppe ging es vor allem um die Konfrontation von Personen, die sich in
gleichsam entgegengesetzter Weise von Mobilfunk betroffen fühlen, zum einen diejeni-
gen, die als Anwohner einer Sendeanlage die Lasten dieser Technologie zu tragen
meinen, und zum anderen diejenigen, die als Benutzer von Funktelefonen von dieser
Technologie profitieren.
Der Teilnehmerkreis der Fokusgruppen wurde damit so gewählt, daß möglichst die
gesamte Bandbreite von Einstellungen zu und Erfahrungen mit EMF berücksichtigt
wurde. Das heißt allerdings nicht - und dies muß hier betont werden - daß die Ergebnisse
dieser Studie ohne weiteres zu verallgemeinern wären. Dazu sind sowohl die Fallzahlen
der Untersuchung zu gering als auch der nicht auf Repräsentativität zielende
Fokusgruppenansatz ungeeignet. Man darf aber annehmen, daß die wesentlichen
Aspekte, welche die Bedeutung von EMF und insbesondere von EMF-Risiken in der
Öffentlichkeit konstituieren, in der vorliegenden Studie erfaßt wurden.
2.2.2 Rekrutierung von Fokusgruppen-TeilnehmernDie Rekrutierung der Fokusgruppen-Teilnehmer erfolgte entweder über Kontaktperso-
nen oder durch ein Zufallsverfahren. Über Kontaktpersonen - die Vorsitzende eines
Selbsthilfevereins für Elektrosensible, den Sprecher einer Bürgerinitiative sowie einen
am Forschungsprojekt beteiligten Wissenschaftler - wurden die Teilnehmer zu den
Fokusgruppen 1, 3 und 11 (Elektrosensible, Bürgerinitiative 'Hochspannungsleitung',
Unbeteiligte 3) eingeladen. Für die Rekrutierung der 7. Fokusgruppe (FG 7) (Funkge-
rätebenutzer) wurde (telefonisch und schriftlich) Kontakt aufgenommen mit Institutio-
nen, deren Mitarbeiter bei ihrer beruflichen Tätigkeit Funkgeräte benutzen, und um die
Entsendung von Mitarbeitern zu einer Gruppendiskussion zum Thema 'Elektromagneti-
sche Felder' gebeten. Die Personen, die zur Teilnahme an den Fokusgruppen mit
Anwohnern von Mobilfunksendeanlagen eingeladen wurden, wurden aufgrund der Nähe
ihres Wohnsitzes zur Sendeanlage ausgewählt. Für die Fokusgruppe 9 wurden Personen
angerufen, die maximal 300 Meter von dem Betonturm, auf dem die Mobil-
funksendeanlage angebracht ist, entfernt wohnen. Für die Fokusgruppe 10 wurden alle
Bewohner des Hauses angeschrieben, auf dem die Mobilfunksendeanlage aufgestellt ist.
19
Um sicherzugehen, daß sich die Anwohner der Mobilfunksendeanlage deren Existenz
auch bewußt sind, wurden für die beiden Fokusgruppen solche Sendeanlagen
ausgewählt, gegen deren Errichtung bereits Bürgerinitiativen protestiert hatten, so daß
über diese Anlagen in den entsprechenden lokalen Zeitungen bereits mehrmals berichtet
worden war.
Die Zusammenstellung der anderen Fokusgruppen erfolgte durch ein Zufallsverfahren:
Per Zufall wurden aus dem Telefonbuch Personen ausgewählt, angerufen und zur
Teilnahme an einer Gruppendiskussion zum Thema 'Elektromagnetische Felder' einge-
laden. Falls Interesse an der Teilnahme bekundet wurde, wurde näheres Informa-
tionsmaterial zugeschickt. Danach erfolgte eine zweite telefonische Kontaktaufnahme,
um weitere Fragen zur Gruppendiskussion beantworten zu können und um eine Zusage
zur Teilnahme zu erhalten. Gleichzeitig wurde nach der Benutzung von Funktelefonen
gefragt (insbesondere von schnurlosen Haustelefonen). Die Benutzer von
Mobilfunktelefonen wurden anhand der speziell für das C-Netz und die beiden D-Netze
verwendeten Telefonnummern (Vorwahlen: 0161 ..., 0171 ..., 0172 ...) ausgewählt und
angerufen.
2.2.3 Rekrutierungsergebnisse und Motive für die
Nicht-TeilnahmeWährend die Rekrutierung von Diskussionsteilnehmern über Kontaktpersonen relativ
einfach war, erwies sich die Zusammenstellung von Fokusgruppen durch das Zufalls-
verfahren als sehr aufwendig. Grob geschätzt zeigte nur etwa ein Drittel der Ange-
sprochenen überhaupt Interesse an dem Thema. Insgesamt wurden bei dem Zufallsver-
fahren etwa 950 Personen angerufen. An den Fokusgruppen haben 85 Personen
teilgenommen. Diese Schwierigkeiten, zufällig ausgewählte Personen zur Teilnahme an
den Fokusgruppendiskussionen zu bewegen, ist in zweifacher Hinsicht bedeutsam: In
methodischer Hinsicht mahnt sie zur Vorsicht bei der Verallgemeinerung; das
Meinungsspektrum in bezug auf das Thema EMF wird zwar abgedeckt, aber es können
keine verläßlichen Angaben zur Häufigkeit bestimmter Meinungen gemacht werden.
Inhaltlich allerdings läßt sich gerade auch aus der Ablehnung und den dafür genannten
Gründen etwas über die Bedeutung des EMF-Themas in der Öffentlichkeit ableiten. Es
20
wurde deshalb von Anfang an versucht, auch bei Ablehnung der Teilnahme etwas über
die Motive für die Nicht-Teilnahme zu erfahren, und diese, wo das möglich war, zu
notieren. Neben den Schwierigkeiten, eine Zielperson überhaupt zu erreichen (z.B. nur
Anrufbeantworter, Person legt sofort wieder auf oder lehnt telefonische Kontakt-
aufnahme ab), lassen sich zwei Bündel von Ablehnungsgründen unterscheiden:
(1) Termin-Probleme: Die überwiegende Zahl der Angesprochen gab an, keine Zeit für
die Teilnahme an der Gruppendiskussion zu haben. In manchen Fällen bezog sich
dies nur auf den avisierten Termin, wenn zum Beispiel gesagt wurde, man habe zu
diesem Zeitpunkt gerade Urlaub. Aber in vielen Fällen wurde pauschal auf
Zeitmangel verwiesen. Es muß offen bleiben, inwieweit eine solche Begründung
nicht nur vorgeschoben wurde, um andere Gründe, wie etwa Mangel an Interesse,
zu verdecken.
(2) Desinteresse am EMF-Thema: Eine Reihe von Personen äußerten direkt, daß sie das
EMF-Thema nicht interessiere, andere sagten, sie hätten sich mit dem Thema noch
nicht beschäftigt. Einige wenige Personen gaben an, sie hielten EMF für
ungefährlich und sähen deshalb keinen Grund, an einer Fokusgruppe zu diesem
Thema teilzunehmen.
Insgesamt kann man feststellen, daß ein wesentlicher Grund für die geringe Aus-
schöpfung bei der Rekrutierung der Fokusgruppen das geringe Interesse der angespro-
chenen Personen am EMF-Thema verantwortlich war. Für die meisten angesprochenen
Personen war das EMF-Thema offenbar so unwichtig, daß es sich aus ihrer Sicht nicht
lohnte, einige Stunden am Abend zu 'opfern'.
2.3 Übersicht zu den durchgeführten FokusgruppenInsgesamt wurden 11 Fokusgruppen mit zusammen 85 Teilnehmern durchgeführt. Da
eine Auswertung der Fokusgruppen nach soziodemographischen Merkmalen für die
Zielsetzung dieser Studie und im Rahmen der dafür gewählten Methode keinen Sinn
macht, wurde darauf verzichtet, solche Merkmale systematisch zu erfassen. Lediglich
das Geschlecht und das (von uns geschätzte) Alter sowie der Beruf (soweit er von der
21
betreffenden Person in der Diskussion genannt wurde) wurden notiert. Tabelle 1 gibt
eine Übersicht zu den Fokusgruppen.
Zahl der Teilnehmer
Fokusgruppe insgesamt Frauen Männer Ort Datum
(1) 'Elektrosensible' 7 6 1 München 12.11.93
(2) 'Hochspannungsleitung' 12 5 7 Winterbach 04.12.93
(3) Unbeteiligte 1 7 4 3 Heidelberg 30.11.93
(4) Unbeteiligte 2 6 2 4 Aachen 10.12.93
(5) Funktelefon-Nutzer 1 8 1 7 Aachen 13.12.93
(6) Funktelefon-Nutzer 2 3 2 1 Aachen 26.01.94
(7) Nutzer von Funkgeräten 4 0 4 Aachen 31.01.94
(8) Funktelefon-Nutzer 3 5 3 2 Berlin 05.03.94
(9) Anwohner Sendeanlage 9 3 6 Lüneburg 04.03.94
(10) Anwohner & Nutzer 12 3 9 Haan 11.03.94
(11) Unbeteiligte 3 12 5 7 Köln 17.03.94
Σ 85 34 51
Tabelle 1: Übersicht zu den Fokusgruppen
3. ErgebnisseWie in der Einleitung dargestellt wurde, ist die 'Bedeutungskonstitution' der Risiken von
EMF zweifach bestimmt: zum einen kognitiv, d.h. durch das Wissen über und die Ein-
schätzungen sowie Beurteilungen von EMF, und zum anderen interaktiv, d.h. durch den
Prozeß, in dem Wissen und Meinungen zwischen Personen ausgetauscht werden. Diese
beiden Perspektiven sollen im folgenden getrennt dargestellt werden, wobei zunächst
der kognitive Aspekt und anschließend der interaktive Aspekt behandelt werden.
3.1 Kognitiver Aspekt der BedeutungskonstitutionWenn hier und im folgenden von dem kognitiven Aspekt der Bedeutungskonstitution die
Rede ist, so muß zunächst betont werden, daß dies nicht als eine Beschränkung auf (wie
22
auch immer zu definierende) rationale Einschätzungen und Urteile verstanden werden
soll - im Gegensatz zu emotionalen oder affektiven Einschätzungen und Urteilen. Denn
natürlich gehen in Einschätzungen und Urteile auch Emotionen ein. Einschätzungen
bzw. Urteile können selbst auch affektive Reaktionen (z.B. verbale Äußerungen der
Besorgtheit; s.u.) hervorrufen; und auch Wissen wird in der Regel nicht als 'reines' Sach-
wissen im Gedächtnis gespeichert, sondern als mehr oder weniger emotional 'gefärbtes'
Wissen. In bezug auf die Bedeutungskonstitution geht es aber nicht um das bloße Fest-
stellen solcher Emotionen oder Affekte, sondern um Wissen, Einschätzungen und
Urteile im Zusammenhang mit EMF-Risiken, in die auch Emotionen eingehen können
(aber nicht müssen). Und Wissen, Einschätzungen und Urteile sind Folge kognitiver
Prozesse, d.h. Ergebnis von Informationsverarbeitungsprozessen. Emotionen werden
deshalb im folgenden nicht gesondert, sondern als integraler Bestandteil des kognitiven
Aspekts von Bedeutungskonstitution behandelt. Der affektive Gehalt von Wissen,
Einschätzungen und Urteilen in bezug auf EMF-Risiken wird an vielen Stellen unmittel-
bar sichtbar werden.
Die Bedeutung, die EMF-Risiken für eine Person haben, kann zahlreiche Facetten
haben. Aus der sozialwissenschaftlichen Risikoforschung ist bekannt, daß zentrale
Aspekte hierbei die subjektive Betroffenheit von einem Risiko-Thema, die Kriterien für
die Gefahreneinschätzung, die Vorstellungen von dem Zustandekommen einer
Gefährdung oder Wirkungsweise einer Risikoquelle sowie die Bewältigungsmöglichkei-
ten sind, die in bezug auf ein Risiko gesehen werden (vgl. JUNGERMANN & SLOVIC
1993). Wichtig ist weiterhin, worauf eine Person ihre Einschätzung und Meinung grün-
det und welche Informationsquellen sie heranzieht. Die Auswertung erfolgte deshalb in
bezug auf die folgenden Leitfragen:
• Betroffenheit vom EMF-Thema; hier geht es um die Frage, welche Umstände bei einer
Person zur Beschäftigung mit dem EMF-Thema geführt haben und in welchem Aus-
maß das Thema von Bedeutung ist.
• Subjektive Gefahreneinschätzung und Gefahrenmodelle für EMF beziehen sich auf die
Art und Weise, wie Personen die Risiken von EMF einschätzen, welche Merkmale
von EMF sie dazu heranziehen, wie sie EMF-Risiken im Vergleich zu anderen Risi-
ken beurteilen und welches 'Wirkungsmodell' sie für mögliche Schädigungen durch
23
EMF benutzen.
• Umgang mit der EMF-Problematik; d.h. wie reagieren sie persönlich auf die EMF-
Problematik, welche persönlichen Schutzmaßnahmen ergreifen sie und welche in-
stitutionellen (z.B. behördlichen) Schutzmaßnahmen fordern sie.
• Bewertungsressourcen und Informationsquellen zielt auf die Frage, worauf Personen
ihre Einschätzungen und Beurteilungen der EMF-Problematik gründen.
Die Darstellung der Ergebnisse faßt die verschiedenen Fokusgruppen in bezug auf diese
inhaltlichen Fragen zusammen.
3.1.1 Betroffenheit vom EMF-Thema'Betroffenheit' soll hier in einem psychologischen Sinne als subjektive Betroffenheit (In-
volvement), d.h. als 'sich betroffen fühlen', als Relevanz-Zuschreibung in bezug auf das
EMF-Thema, verstanden werden und nicht als objektive Betroffenheit, zum Beispiel
durch Nutzung eines EMF-Gerätes oder durch Wohnen in der Nähe einer
Mobilfunksendeanlage. Subjektive und objektive Betroffenheit müssen nicht korres-
pondieren, denn schon bei der Rekrutierung der Diskussionsteilnehmer hatte sich ja ge-
zeigt, daß viele objektiv Betroffene sich subjektiv von dem EMF-Thema nicht betroffen
fühlen und mithin kein Interesse an der Teilnahme an einer Fokusgruppe hatten. Wer
sich dagegen zur Teilnahme an einer Fokusgruppe bereit erklärt hat, signalisiert damit
natürlich zumindest ein gewisses Interesse, wenn auch nicht unbedingt Betroffenheit. In
den verschiedenen Fokusgruppen wurden hinsichtlich der Betroffenheit deutliche
Unterschiede sichtbar.
Die Elektrosensiblen (FG 1) und die Anwohner der Hochspannungsleitung bzw. die
Mitglieder der Bürgerinitiative, die sich gegen diese Hochspannungsleitung zur Wehr
setzt (FG 2), fühlen sich von diesem Thema ganz offensichtlich sehr stark betroffen. Das
hohe Ausmaß an Betroffenheit ergibt sich bei diesem Personenkreis daraus, daß sie
EMF allgemein oder eine spezifische EMF-Quelle (z.B. Hochspannungsleitung) für
bestehende Gesundheitsprobleme verantwortlich machen bzw. Gesundheitsbeeinträchti-
gungen durch EMF befürchten. Eine hohe Betroffenheit besteht auch für die Anwohner
der Mobilfunksendemasten (FG 9 und 10). Auch hier leitet sich die Betroffenheit aus der
24
räumlichen Konfrontation mit einer EMF-Quelle - dem Mobilfunksendemast - und der
deswegen befürchteten Gesundheitsgefährdung her. Im Gegensatz zu den Anwohnern
der Hochspannungsleitung gab jedoch keiner der Anwohner der Mobilfunksendeanlagen
an, daß seine Gesundheit durch den Betrieb dieser Sendeanlagen bereits beeinträchtigt
oder geschädigt worden sei. Solche Beeinträchtigungen oder Schädigungen wurden auch
nicht sofort, sondern erst langfristig befürchtet. Gleichzeitig beklagten die Anwohner der
Mobilfunksendeanlagen auch, daß sie - wenn Gesundheitsschädigungen auftreten
würden - diese evtl. gar nicht auf die Sendeanlage zurückführen könnten, weil sie gar
nicht wüßten, was für Schädigungen die Sendeanlage überhaupt alle hervorrufen könnte.
"... ich bin kein Fachmann, aber ich denke, daß so etwas schädlich ist und daß man so einen Turm nicht in
eine Wohngegend wie hier hätte hinsetzen müssen." (FG 9)1
In den anderen Fokusgruppen (FG 3 bis 8 und 11) variiert die Betroffenheit, ist aber
generell deutlich geringer. Auch in diesen Fokusgruppen haben alle Teilnehmer gehört
oder gelesen, daß von bestimmten elektrischen Geräten, Funktelefonen, technischen An-
lagen der Elektrizitätsversorgung oder Sendeanlagen möglicherweise Gesundheits-
gefahren ausgehen sollen.
"Also ich konnte und kann mit dem Begriff Elektrosmog nur relativ wenig anfangen. Gehört habe ich denBegriff schon. Gefunden habe ich ihn die ganze Zeit eigentlich, als ich in diesem Zusammenhang hörte,nur mit Funktelefon. Da ich keins habe, habe ich intensiv gehört, daß dieser Begriff ja viel weiter gefaßtist, ist mir zum ersten Mal bewußt, daß man sich Gedanken macht, bisher habe ich es nicht getan." (FG3)
Die Informationsquellen sind Printmedien, Fernsehen oder der Verwandten-, Freundes-
und Bekanntenkreis. Es können zwei Anlässe unterschieden werden, die dazu führen,
daß sich jemand in einer Weise mit dem Thema EMF-Gefahren beschäftigt, die über
eine bloße Registrierung des Themas vor dem Hintergrund der alltäglich empfangenen
Informationen hinausführt: Der erste Anlaß ist die Konfrontation mit Geräten oder einer
technischen Anlage, von denen elektromagnetische Wellen ausgehen und die mögli-
cherweise eine Gesundheitsgefahr darstellen sollen. Dies kann z.B. der Fall sein, wenn
1 Lesehinweis: Die Äußerungen der Fokusgruppenteilnehmer sind hier wörtlich zitiert; solche Äußerungen
sind - gemessen an den Standards der Schriftsprache - meist 'ungrammatisch', für verbale Äußerungen inGesprächen jedoch der Regelfall.
25
man sich ein Gerät anschaffen will, von dem Gesundheitsgefahren ausgehen sollen,
wenn man erfährt, daß von Geräten, die man selber benutzt oder die von Personen
benutzt werden, die einem sehr nahe stehen (z.B. Kinder), Gesundheitsgefahren
ausgehen sollen, wenn man in die Nähe einer technischen Anlage ziehen will, von der
Gesundheitsgefahren ausgehen sollen, oder wenn man in der Nähe einer solchen Anlage
wohnen würde.
"Ja, als ich am betroffensten davon war, war, als ich umgezogen bin und ein Telefon anschaffen mußte undich haben dann zuerst auch immer davon geschwärmt, so ein schnurloses Telefon, ach kannste dich soschön in den Sessel setzen und so und dazwischen durch kam halt dann die Diskussion darüber auf unddann habe ich halt gedacht, man muß das Risiko ja nicht unbedingt eingehen, dann nimmst du dir halt einanderes schönes Telefon und insbesondere weil dann war da mal in irgendeinem Fernsehbericht von denLeuten die immer im Auto sitzen mit dem Mobiltelefon rumtelefonieren und die ganz kurze Antennehaben und die dann irgendwo in der Nähe vom Auge ist und die dann grauen Star auslösen soll oderirgendwie so was, naja dann wollte ich lieber sowas nicht heraufbeschwören, weil ich auch schon neBrille trage und habe mir gedacht, nimmst du halt ein anderes Telefon." (FG 4)
"Das erste Mal, als ich davon gehört habe, war über eine Bekannte, die Baugrundstücke suchte, also um zubauen, und das sie dann irgendwo raus in Richtung [...] gefahren war um sich ein Stück anzusehen, undkam zurück, sagt sie neh, bei den Hochspannungsleitungen da wird nicht gebaut, das kann man direktvergessen. Das war also das erste was ich davon hörte. Dann habe ich direkt geguckt, wie sieht das beiuns aus, wir haben also in [...] gebaut und da ist also nichts." (FG 4)
Der zweite Anlaß für die Beschäftigung mit dem Thema EMF-Gefahren ist eine gesund-
heitliche Beeinträchtigung oder Schädigung, die man selbst oder andere glaubwürdige
Personen auf EMF zurückführen. Eine erhöhte Aufmerksamkeit für das Thema EMF-
Gefahren ist bei Eltern von (kleinen) Kindern festzustellen, sei es, weil eine mögliche
Gesundheitsgefährdung vor allem Kinder treffen soll (Berichte über Leukämieverursa-
chung durch Hochspannungsleitungen bei Kindern) oder weil ein bestimmtes Gerät vor
allem Kinder betrifft (Babyphone).
"Das erste Mal als mir das so bewußt wurde, das war als ich unter Schlafstörungen litt, deswegen dann zumArzt gegangen bin und der so nichts feststellen konnte und dann hat der Arzt eben halt so ein bißchenweitergeforscht und meinte, ob ich meinen Radiowecker direkt neben meinem Bett stehen habe und ichsagte dann ja und dann wies er mich daraufhin, daß das je nachdem dies auch Schlafstörungenverursachen kann. Also die elektromagnetischen Strahlen. Die Schlafstörungen sind dann nachher, wasweiß ich, die sind vorbeigegangen und vielleicht war das irgendwie mal streßbedingt von der Arbeit herund ja ich habe dann natürlich auch öfters darüber nachgedacht." (FG 4)
26
"Ich denke so, einmal ist von Leukämiefällen geredet worden in den Gebieten und die andere Sache ist, istvielleicht auch eine zusätzliche Sensibilisierung wenn man Kinder hat. Ich glaube, daß das schon einigeszu denken insgesamt gibt, also wenn man nur für sich selber verantwortlich ist. Weil ich denke dann ebenhalt auch für die Kinder und man macht sich dann irgendwo dann doch Sorgen." (FG 4)
Aus den Aussagen der Fokusgruppenteilnehmer läßt sich ablesen, daß Massenmedien
eher eine Warnfunktion haben, indem sie auf mögliche Gefahren hinweisen. Berichte
über Gesundheitsgefahren führen aber nicht zwangsläufig dazu, daß die Rezipienten
dieser Berichte die darin vorgebrachte Gefahreneinschätzung übernehmen oder sich stär-
ker mit diesen Gefahren auseinandersetzen. Vielmehr werden solche Berichte als
Hintergrundinformationen aufgenommen, die erst bei bestimmten Anlässen wieder
stärker in das Bewußtsein rücken. Solche Anlässe sind dadurch gekennzeichnet, daß das
Thema 'EMF-Gefahren' durch den Eintritt bestimmter Lebensumstände plötzlich eine
größere persönliche Relevanz gewinnt. Erst dann beginnt man, sich mit diesen Gefahren
stärker auseinanderzusetzen, um zu einer Einschätzung des Gefahrenpotentials zu
kommen. Dabei werden jetzt aber nicht nur Informationen aus den Massenmedien,
sondern auch von anderen Informationsquellen (z.B. Bekannte) herangezogen. Wenn
jemand für den Schutz von besonders verletzlichen Personen (insbesondere Kindern)
verantwortlich ist bzw. sich für solche Personen verantwortlich fühlt, stellt dies keinen
unmittelbaren Anlaß dar, sich mit dem Thema 'EMF-Gefahren' stärker
auseinanderzusetzen. Es führt jedoch dazu, daß - wenn einer der beiden oben genannten
Anlässe vorliegt - eine erhöhte Sensibilität gegenüber dem Thema 'EMF-Gefahren'
besteht.
Die Betroffenheit durch das Thema EMF-Gefahren ist jedoch bei keinem der Teil-
nehmer dieses Kreises sehr groß, selbst bei denjenigen nicht, die Schutzmaßnahmen
gegen EMF ergriffen haben. Es gibt keinen, der sein Leben durch EMF bedroht sieht.
Teilweise wird direkt gesagt, daß man sich von dem Thema nicht betroffen fühlt bzw.
daß andere Themen wichtiger sind. Die geringe Betroffenheit kommt auch darin zum
Ausdruck, daß die meisten Teilnehmer sich bisher nicht ausführlich mit dem Thema
beschäftigt haben und einige angaben, daß sie auch in Zukunft nicht aktiv nach Infor-
mationen zu dem Thema suchen würden.
"... Weder erschrocken noch beunruhigt. Ich fange jetzt an, darüber nachzudenken, aber bin bisher relativbelastfrei. Also weder erschrocken noch beunruhigt, weil bisher habe ich noch nichts gespürt, aber ichhabe auch noch nie gehört, daß jemand großen Schaden davongetragen hätte. Bisher bewußt nicht tan-
27
giert. Ich bin auch jetzt nach dieser Diskussion nicht beunruhigt oder erschrocken, ich war es auch vorhernicht." (FG 3)
"Also ich bin bisher nicht auf irgendwelche Informationen gestoßen, suchen in irgendwelchen Fach-zeitschriften würde ich nicht. Es gibt also bestimmte Zeitschriften die wir zugeschickt bekommen und dastehen auch schon mal aktuelle Fälle drin, wenn da natürlich was drin stehen würde, liest man da jaautomatisch. Aber da irgendwie noch selber, würde ich eigentlich nicht." (FG 5)
Ein weiteres Indiz für die geringe Betroffenheit ist, daß beim Vergleich von EMF-
Gefahren mit anderen Umweltgefahren in der Regel EMF-Gefahren nur eine unterge-
ordnete Bedeutung zugesprochen wird.
"Ich denke eigenlich, andere Dinge sind wesentlich wichtiger, haben einen viel, viel größeren Einfluß, daherist es wichtiger, auf unser Wohlempfinden. Bei den anderen Dingen gibt es soviel zu tun, wenn wir dasalle mal geschafft haben, dann könnte man sich diesem Thema etwas näher widmen." (FG 3)
Die geringste Betroffenheit zeigen die Teilnehmer der Fokusgruppen 7 und 8, obwohl in
beiden Gruppen die meisten Teilnehmer persönlichen Umgang mit EMF-Geräten haben:
drei der vier Teilnehmer aus Fokusgruppe 7 haben beruflich mit Funkgeräten (und auch
privat als Funkamateure) zu tun und drei der fünf Teilnehmer aus Fokusgruppe 8 benut-
zen Mobilfunktelefone.
"Ich mache mir eigentlich schon Gedanken darüber, was gesund ist, was nicht gesund ist. Im Zusam-menhang aber mit elektrischen Geräten habe ich mir noch nie Gedanken darüber gemacht." (FG 8)
"Aber im Endeffekt, man nutzt diese Geräte, weil man sie auch braucht, weil sie auch hilfreich sind, weilwenn man halt berufstätig ist und wenig Zeit hat, also die Mikrowelle ist für mich sehr wichtig, ohne diewürde ich überhaupt nicht mehr auskommen, weil es ist das Gerät, was ich am meisten benutze und dieTelefone sind einfach praktisch und ideal, man kann es überall mit rumschleppen, man ist überall erreich-bar, für mich sehr wichtig. Durch unsere beiden Geschäfte, ich muß einfach immer erreichbar sein. Ichbrauche ein Telefon. Aber das ich mir darüber Gedanken gemacht habe, das das für meine Gesundheitschädlich ist, kann ich eigentlich auch nicht sagen." (FG 8)
Bei diesen Fokusgruppen wird besonders deutlich, daß objektive Konfrontation mit
EMF nicht unbedingt zu Betroffenheit führen muß. Wir werden auf die Gründe dafür in
den nächsten beiden Teilkapiteln genauer eingehen.
3.1.2 Subjektive Gefahreneinschätzung und Gefahrenmodelle für
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EMFEine zentrale Frage für die Bedeutungskonstitution von EMF-Risiken ist: Wie hoch wird
das Risiko eingeschätzt, das von EMF ausgeht? Wie kommen Menschen zu ihrer Ein-
schätzung? Auf welche Merkmale von EMF rekurrieren sie dabei, welche Kriterien
benutzen sie? Welches Gefahrenmodell haben sie in bezug auf EMF, d.h. wie stellen sie
sich die schädigende Wirkung von EMF vor?
Bei der Gefahreneinschätzung können für die Fokusgruppenteilnehmer grob drei
qualitativ unterschiedliche Risikoeinschätzungen unterschieden werden. Eine Gruppe
von Teilnehmern ist sich sicher, daß von EMF große Gesundheitsgefahren ausgehen.
Eine zweite Gruppe ist in ihrer Risiko-Einschätzungen sehr heterogen; ihr charak-
teristisches Merkmal ist die Unsicherheit bei der Risikobewertung. Die dritte Gruppe
wiederum ist sich relativ sicher, daß von der (ordnungsgemäßen) Nutzung EMF-
Technik keine oder geringe Gefahren für die Gesundheit ausgehen.
Risikoeinschätzung: hoch
Diese Einschätzung, daß von EMF eine hohes Risiko ausgeht, vertreten uneingeschränkt
im wesentlichen nur die Teilnehmer der Fokusgruppe 'Elektrosensible' (FG 1) sowie die
Mitglieder der Bürgerinitiative gegen die Hochspannungsleitung und die Anwohner der
Hochspannungsleitung (FG 2). Die Gewißheit, mit der diese Risikoeinschätzung
vertreten wird, kann auf die spezifischen persönlichen Erfahrungen dieses
Personenkreises mit EMF zurückgeführt werden.
Bei den Teilnehmern der Fokusgruppe 'Elektrosensible' (FG 1) handelt es sich um Perso-
nen, die unter Gesundheitsbeeinträchtigungen leiden, die eher als unspezifisch zu
bezeichnen sind (z.B. Herzrasen, Schlafstörungen, Erschöpfungszustände, Konzen-
trationsschwächen etc.), d.h. die keiner bestimmten Krankheitsursache zugeordnet
werden können oder keinem eindeutigen und bekanntem Krankheitsbild entsprechen, die
aber andererseits Lebensqualität und -führung der Teilnehmer sehr stark beeinträchtigen.
Die Leiden traten in der Regel - zuweilen sehr plötzlich und stark - erst in der zweiten
Lebenshälfte der Teilnehmer auf. Die Teilnehmer sind dann bei verschiedenen Ärzten
unterschiedlicher Disziplinen gewesen, haben eine regelrechte Odysee durchgemacht,
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wiewohl ihnen kein Arzt - abgesehen von Heilpraktikern oder Ärzte, die sog. na-
turheilkundliche Therapien anwenden - weiterhelfen konnte. Entweder konnte ihnen
keine Ursache für ihre Leiden genannt werden, oder es wurden Ursachen genannt, die
die Teilnehmer nicht befriedigten (bspw. Hormonstörungen aufgrund der Wechseljahre
bei älteren Frauen, psychische Probleme aufgrund von Kindheit oder Scheidung) oder
gegen die keine schützenden Maßnahmen ergriffen werden konnten. Gerade psychische
Ursachen für ihre Leiden weisen die Teilnehmer weit von sich. Bei diesen Arztbesuchen
machten die Teilnehmer - gerade Frauen - sehr oft die für sie demütigende Erfahrung,
daß ihre Leiden und sie selbst nicht ernst genommen wurden. Jetzt sind die Teilnehmer
davon überzeugt, daß sie elektrosensibel/-sensitiv/-fühlig/-geschädigt sind, d.h. daß ihre
Leiden durch elektromagnetische Felder (vor allem solche, die durch die Nutzung von
elektrischem Strom entstehen) oder durch sog. Erdstrahlen verursacht werden, wobei
zwischen diesen beiden Ursachen oft nicht klar unterschieden wird.
"So nach knapp 10 Jahren nicht ganz 8 Jahren fings plötzlich an mit nächtlichen Herzklopfen, so einHerzrasen und dann das erste Mal habe ich mich furchtbar erschroken und da bin ich zum Arzt gegangenund es hat sich dann langsam so gesteigert, daß ich jede Nacht zwei-dreimal aufgewacht bin also mitrichtigem Herzrasen und dann wurde ich krankgeschrieben, arbeitsunfähig und dann fängt halt so eineOdysee an von einem Arzt zum anderen und keiner kann einem richtig helfen und mit Beruhigungsmittel.Die Beruhigungsmittel merkwürdigerweise, die habens immer nur aufgestaut, dann bin ich eben nichtnach 3 Stunden aufgewacht, sondern erst nach 4 Stunden, es war ein ganz merkwürdiges Phänomen. Daszog sich so hin bis dann mein Arzt, der ist da sehr aufgeschlossen in der Richtung, gesagt hat, lassen Siedoch mal Ihr Haus untersuchen auf elektromagnetische Strahlung. Und dann habe ich den Herrn [...]kommen lassen und das war dann also wirklich das Schlüsselerlebnis, der hat seine Geräte aufgestellt undhat nach 5 Minuten schon gesagt, dies Haus ist unbewohnbar. Sie müssen dies Haus sofort verkaufen, Siemüssen ausziehen. Und dann hat sich herausgestellt, daß ist der technische Aufbau, das dasStarkstromkabel für eine Zeile von 6 Reihenhäusern unter den Häusern langgeht, man hat das aus Erspar-nisgründen gemacht, früher hat man die Kabel einzeln reingelegt in jedes Haus und hier ist es durch dieZeile durchgezogen worden und dadurch das wirs zweite Haus sind, haben wir eben für 4 andere Häuserauch noch den ganzen Starkstrom im Haus. ... Und den Netzfreischalter, halt so eine ganze MengeMaßnahmen, womit es dann zumindest erträglich ist, wenn ich umziehe, ist es vielleicht nicht daselektromagnetischer Felder, dann ist es durch die Radarstrahlen oder dann ist sonst wieder was. Frau [...]hat mich eigentlich auch immer drin bestärkt und gesagt, nun nicht gleich alles verkaufen und aufgeben.Und ich muß sagen, die Beschwerden sind dann auch wesentlich besser geworden, ich hab dann auch wiedie andere Dame gesagt hat, also versucht das man sonst den guten Zustand kommt und ich merke haltjetzt nur noch, wenn es mir mal ansich etwas schlechter geht, dann schlägt es noch mal wieder durch."(FG 1)
"Mir gings auch so 1989/90, als ich die erste Zeit am Computer gearbeitet hab, war ja, vorher nur dieSchreibmaschine, da gings mir gut immer und kurz nach der Computer hab ich gemerkt das meinImmunsystem schwächer wird, habe ich damals alles nicht mit in Verbindung gemacht, wußte nichtsdavon. Erst hatte ich immer Erkältungen und das hat sich dann gesteigert bis zur schwersten Bronchitisund dann schwerer Astma. .... das hängt ja auch mit Immun zusammen und das ist eine höllische Ange-legenheit, jahrelang schwerste Probleme gehabt hab und jetzt geheilt bin... Ich hab dann immer öfterErschöpfungszustände gekriegt ohne jeden Anlaß eigentlich, ich habe gar nicht so schwer gearbeitet, ich
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war immer zutode erschöpft, müde, konnte aber sonst immer schlafen, und dann gings los mit sehrstarken Herz-Rhythmus-Störungen am Computer, und immer wenn ich in der Umgebung vom Computergesessen bin, wir hatten im Büro zwei Computer und einen Laser-Drucker stehen und ich war mittendrinvom ganzen und noch dazu kam, das die S-Bahn ganz nah an dem Gebäude da vorbeigegangen ist und soalle 2 Minuten eine S-Bahn und dann hat das Bild geflackert und das war wesentlich größer ... aber dieFirma hat nichts unternommen. Und dann habe ich Anfälle gekriegt und mein ganzer Körper hat ge-piepst, als ob ich am Strom angesteckt wär. Und dann habe ich gemerkt mit den Augen, daß die Augen soschlecht geworden sind, ich konnte weder mit Brille noch ohne Brille lesen und nachher hab ich erfahren,das hat ja mit den Augen gar nichts zu tun gehabt, die Augen sind noch gut und ich kann heute ohneBrille lesen und damals konnte ich mit Brille nicht mehr lesen weil die Durchblutung im Kopf, keineDurchblutung mehr, habe schwerste Konzentrationsstörungen und Gedächtnisstörungen gekriegt, so daßich mich wirklich schon selber..... Ich habe gedacht, ich habe die Alsheimer Krankheit, war wirklichschlimm, d.h. das habe ich heute auch noch, aber es ist besser. Aufgrund dessen habe ich dannDepressionen gekriegt, weil man von den Ärzten nicht ernstgenommen wird, sondern sehr demütigendbehandelt wird. Ich hab bestimmt 10.000,-DM ausgegeben - jetzt bin ich Pleite." (FG 1)
EMF bzw. Erdstrahlen erscheinen den Teilnehmern dieser Fokusgruppe als eine
plausible Ursache für ihre Leiden, obwohl sie wissen, daß dies im Rahmen der
'etablierten' Wissenschaften äußerst umstritten ist. Daß sie trotzdem bei ihrer Ein-
schätzung bleiben, dürfte unter anderem folgende Gründe haben:
• Ihnen wurde für ihre Leiden eine konkrete Ursache genannt (elektromagnetische Fel-
der und/oder Erdstrahlen) - etwas, das sie z.B. von den 'etablierten' Ärzten nicht
bekommen hatten. Vor allem dieses Wissen scheint für viele Teilnehmer eine große
Erleichterung bedeutet zu haben.
• Damit waren den Betroffenen zugleich Handlungsmöglichkeiten eröffnet, etwas
gegen ihre Leiden zu tun. Alle Teilnehmer haben solche Schutzmaßnahmen
ergriffen, die teilweise sehr drastisch und auch kostspielig sind. Allerdings haben
solche Schutzmaßnahmen, wie z.B. Herausdrehen der Sicherungen, Umzug in eine
andere, angeblich weniger strahlenbelastete Wohnung, verschiedene Abschirmmaß-
nahmen (Kupfermatte, Umwicklung von Kabeln mit einer speziellen Metallegierung
etc.), durchaus nicht immer den gewünschten Erfolg gezeigt. Zwar erfuhren einige
Personen durch diese Abschirmmaßnahmen eine wesentliche bis vollständige
Milderung ihrer Beschwerden, bei anderen jedoch stellte sich keine Besserung ein.
Dies führt aber offensichtlich nicht zu einer Revision der Risikoeinschätzung in
bezug auf EMF.
• In manchen Fällen wurde durch 'Ausmessen' der Wohnung nachgewiesen (mit elek-
31
trischen Meßgeräten oder mit Wünschelruten), daß da tatsächlich 'etwas' ist, was
nicht unmittelbar sinnlich erfahrbar ist, was aber doch Effekte, z.B. auf die
eingesetzten Instrumente, auslösen kann.
Im Gegensatz zur EMF-Exposition der Elektrosensiblen, die nur über ihre gesundheitli-
chen Effekte spürbar wird, haben die Anwohner der Hochspannungsleitung direkte sinn-
liche Erfahrungen mit EMF. Denn diese ist für sie optisch und akustisch wahrnehmbar.
Zu hören sind ein Summen, Knistern, Knacken und Brummen. Eine Teilnehmerin bei-
spielsweise berichtet von Menschen, die in ihrem Garten unter der Hochspannungs-
leitung gearbeitet und denen die Haare zu Berge gestanden haben. Eine andere Teil-
nehmerin erzählte, sie habe eine Neonröhre zum Fenster herausgehalten, die dann von
allein leuchtete.
Alle Teilnehmer, die nahe der Hochspannungsleitung wohnen, sind überzeugt davon,
daß die Beschwerden, die bei ihnen auftreten oder aufgetreten sind, von der Hoch-
spannungsleitung verursacht werden. Geklagt wird vor allem über eher unspezifische
Leiden wie Schlaf- und Konzentrationsstörungen, Herzprobleme, Müdigkeit, Mattigkeit:
"Dann hab ich festgestellt, daß ich, seit wir in [...] wohnen, unheimlich unkonzentriert bin, also mir fallenDinge aus der Hand oder ich will irgendwas machen und, bin ich total schusselig, was ich nie, in [...] niefestgestellt habe und, also auch unkonzentriert einfach, und, und nachts muß ich jetzt zwei-, dreimal aufdie Toilette, hab' ich in [...] nie müssen, also ich mußte nachts nie aufstehen, und, und das ist ja auchirgendwie vom Körper her irgenwie 'ne Reaktion, unruhig und, und, und ich bin unheimlich müde, alsowenn ich morgens, wenn ich, ich habe also 8 Stunden geschlafen oder 9 Stunden, dann, dann bin ichmüde, als ob ich nur 5 Stunden geschlafen hätte, bin unheimlich müde, wache überhaupt nicht auf, komm'nicht richtig zu mir, und dann hab' ich gesagt, wenn ich früher in [...], habe ich ein doppelt so großesHaus gehabt, hab' drei Söhne, große Söhne gehabt, und wenn ich die Arbeit und das Haus heute hätte, ichglaube, ich würde es überhaupt nicht schaffen, weil ich einfach die Energie nicht so aufbringe wie früher.Natürlich war dieses Jahr das Wetter oft ziemlich, sagen wir, schlechtes Wetter, wo man dann auch biß-chen draufdrücken tut vielleicht, wenn man ein bißchen wetterfühlig ist und so, obwohl ich da nicht so di-rekte Probleme hab', und ich bin auch sonst nicht allergisch oder irgendwas, und ich bin auch nichtirgendwo ein empfindlicher Mensch." (FG 2)
"Ich kann von meiner Person sagen, seit ich unter der Leitung wohne, geht mir's zwar nit ganz so drastisch,aber auch ähnlich. Schlafstörungen; Herz-Rhythmus-Störungen eigentlich weniger auch; Konzentrations-störungen treten schon auf." (FG 2)
Als ein wichtiges Indiz für das Bestehen von Gesundheitsrisiken durch die Hochspan-
nungsleitung wird angeführt, daß die Beschwerden abnahmen bzw. ganz verschwanden,
wenn die Betroffenen umgezogen sind oder wenn sie sich für einen bestimmten Zeit-
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raum an anderen Orten oder im Urlaub aufhielten. Auch von Personen, die die
Teilnehmer besuchten, wurden Gesundheitsbeschwerden (vor allem Schlafstörungen
oder Unwohlsein) berichtet, die beim Aufenthalt in deren Wohnungen aufgetreten sein
sollen. Außerdem wird darauf hingewiesen, daß die Zahl von Krebstoten in der Nähe der
Leitung sehr hoch sein soll (die Bürgerinitiative hat hierzu eine Befragung durchgeführt,
in der die Anzahl von Krebstoten im Ort, über den die Hochspannungsleitung ent-
langführt erfragt, aber nicht mit anderen Gebieten ohne Hochspannungsleitung ver-
glichen wurde), was ebenfalls auf die Hochspannungsleitung zurückgeführt wird.
Die Hochspannungsleitung wird im Vergleich zu elektrischen Haushaltsgeräten aus zwei
Gründen als besonders gefährlich angesehen: Zum einen, weil man sie nicht abstellen
oder beeinflussen kann. Dies wird von den Teilnehmern immer wieder betont und
scheint daher für sie ein zentrales Gefahrenmerkmal zu sein. Zum anderen wird die
Hochspannungsleitung als gefährlich eingeschätzt, weil man ihrem schädlichen Einfluß
nachts ausgesetzt ist und man nachts empfindlicher gegenüber einem solchen Einfluß
sein soll. Dies wird damit erklärt, daß man sich im Schlaf regeneriert und den EMF
nichts entgegensetzen kann, daß der Körper in einer Ruhephase empfänglicher ist, daß in
der Nacht das Immunsystem schwächer ist oder daß die Produktion eines bestimmten
Hormons (Melatonin), die nachts stattfindet, gestört wird. Ein drittes wichtiges Gefah-
renmerkmal ist die Dauer der EMF-Exposition: Je länger man der Strahlung ausgesetzt
ist, desto gefährlicher ist sie bzw. desto eher treten Gesundheitsschädigungen oder Be-
schwerden ein. Deshalb wird die Hochspannungsleitung im Vergleich zu elektrischen
Haushaltsgeräten als besonders gefährlich eingeschätzt, weil man ihrem Einfluß ständig
ausgesetzt ist, weil sie immer da ist. Weiterhin soll die Hochspannungsleitung auch
stärkere Felder als elektrische Haushaltsgeräte abgeben.
"Bei Elektrogeräten im Haushalt, die kann man ein- und ausschalten, man kann einen Stecker ziehen manweiß ganz genau, man kann das Ding ausschalten, das Problem ist nur, die Leitung kann man nichtausschalten, die ist immer da, wie ein Damokles-Schwert, und das ist eben auch ein Problem, imHaushalt kann man alles machen, vom Freischalter bis hin Geräte wieder abschrauben, wegstellen, woman meint das sie stören. Man hört sie ja auch. Das ist so ein Horror. Man hört es immer ständig." (FG 2)
Risikoeinschätzung: unsicher
Große Unsicherheit in bezug auf die Risikoeinschätzung besteht durchgängig bei den
Teilnehmern der 'Unbeteiligten'-Fokusgruppen (FG 3, 4 und 11), aber auch bei den
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Nutzern von Funktelefonen (FG 5 und 6) und den Anwohnern von Mobilfunksende-
masten (FG 9 und 10). Zwar hält keiner der Teilnehmer dieser Fokusgruppen Ge-
sundheitsschädigungen durch EMF für nachgewiesen, andererseits will auch keiner
völlig ausschließen, daß es zu solchen Gesundheitsschädigungen durch EMF kommen
kann.
"Solange man mir nicht beweist, das diese Strahlung wirklich unschädlich ist, halte ich das zunächst mal fürschädlich." (FG 6)
"Ich glaube, das Gefährliche ist nach meinem Gefühl, daß es gefährlich sein könnte, obwohl ich habekeinen Beweis, daß es gefährlich ist, aber ich habe auch keinen Beweis, daß es nicht gefährlich ist, ichglaube, daß das eher meine Einschätzung ist, und wie offen oder geschlossen ich dieser Sache überhauptgegenüberstehe, und ich sage mal, durch die Erfahrung in meiner Familie stehe ich dieser Sache eherskeptisch gegenüber, bis das ich vielleicht von 3 bis 4 Wissenschaftler irgendwann mal in 5 oder 10Jahren, die Dinger sind tatsächlich ungefährlich, aber solche Untersuchungen gibt es ja nicht, sind mirnicht bekannt." (FG 6)
Als Grund für die große Unsicherheit bei der Einschätzung von EMF-Risiken wird vor
allem angeführt, daß der derzeitige wissenschaftliche Kenntnisstand begrenzt ist und
man manche Gesundheitsgefahren möglicherweise erst in Zukunft herausfinden wird.
Diese Einschätzung wird durch Erfahrungen mit anderen gesundheitsgefährdenden
Stoffen (z.B. Asbest, Holzschutzmittel) gestützt, bei denen man auch zuerst annahm, daß
sie keine Gesundheitsgefahr darstellen würden, bis sich dann das Gegenteil herausstellte.
"Ich denke, daß dieses Zeug einen ziemlich schädlichen Einfluß hat. Also diese ganze Strahlung. Ich kanndann gleich gegenüber dem Herrn [...] sagen, ich finde das immer sehr komisch, dieses Argument, bisjetzt hat uns noch keiner bewiesen, daß das schädlich ist. Also Asbest hat auch etliche Jahre gebraucht,bis heraus kam, das es schädlich war." (FG 11)
Diejenigen, die stärker von einer möglichen Gesundheitsgefahr überzeugt sind, können
meist von Erfahrungen aus ihrem persönlichen Umfeld berichten, in denen sich eine
nachteilige Wirkung von EMF gezeigt hat bzw. Gesundheitsbeeinträchtigungen nach
dem Ergreifen von Schutzmaßnahmen gegen EMF (vor allem durch das Verstellen des
Bettes) aufhörten.
"Meine Kinder haben in einem Hochbett geschlafen 2 Kinder und die sind jede Nacht aufgestanden. DasBett wurde gekauft wurde an einen Platz gestellt und sind jede Nacht aufgestanden und zu unsgekommen. Und einer sagte mal, stell das Bett an eine andere Stelle. Warum denn das? Es könnte ja sein,das da eine Wasserader ist, oder das da so ein Strahlungskreuz ist, ich hatte damals überhaupt keineAhnung. Wir haben das Bett in den Raum reingestellt von dieser Wand weg, es ist wirklich wahr seit
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dieser Nacht schliefen diese Kinder in diesen Betten und sind niemehr nachts aufgestanden. Die Kinderhaben mit Sicherheit nicht, die fanden das toll, weil das Bett anders stand, weil da kann man von beidenSeiten runterspringen, für die war das, die haben nicht drüber nachgedacht, was das sollte, ich habe dasbewußt verstellt, das war ein durchschlagender Erfolg ab der ersten Nacht. Und danach habe ichangefangen, mich damit zu beschäftigen." (FG 6)
Auch die relative Gefahreneinschätzung unterschiedlicher Quellen von EMF ist
schwierig. EMF-Quellen, denen Gesundheitsgefahren zugeschrieben werden, sind bei
niederfrequenten Feldern elektrische Geräte allgemein, Babyphones, Fernseher,
Computerbildschirm sowie Hochspannungsleitungen, bei hochfrequenten Feldern
Mikrowellenkochgeräte, Funktelefone (schnurloses Haustelefon, Autotelefon, Handy,
portables Mobilfunktelefon) sowie Sendeanlagen (Fernsehtürme, Mobilfunksende-
anlagen). Bei technischen Anlagen wurden Hochspannungsleitungen häufiger als
gefährliche Quellen genannt als Sendeanlagen. Bei Quellen von niederfrequenten EMF
werden Hochspannungsleitungen (bzw. der Umstand, neben einer Hochspannungs-
leitung zu leben) immer als gefährlicher eingeschätzt als elektrische Geräte. Es gibt
eigentlich niemanden, der freiwillig neben einer Hochspannungsleitung leben würde.
Beim Vergleich der Gefährlichkeit von Mobilfunktelefon und Sendeanlage wird in der
Regel die Sendeanlage als gefährlicher eingeschätzt, weil sie eine größere Sendeleistung
hat und weil sie kontinuierlich strahlt. Aber auch das entgegengesetzte Urteil wird ge-
troffen, daß nämlich das Mobilfunktelefon gefährlicher sei, weil es als Sender sehr nah
am Körper ist.
Für keinen der Teilnehmer handelt es sich bei (nieder- und hochfrequenten) EMF und
bei ionisierender Strahlung (wobei die Teilnehmer dafür als Begriffe verwenden:
Strahlung von Atomkraftwerken, Atombombenexplosionen, Atomstrahlen oder
Strahlung von Tschernobyl) um das gleiche Phänomen. Selbst für diejenigen Teil-
nehmer, die häufig den Begriff der Strahlung benutzen, um EMF-Phänomene zu
beschreiben, handelt es sich bei EMF nur um eine Art von Strahlung, die sich von
anderen Arten der Strahlung - auch von ionisierender Strahlung - unterscheidet. Es ist
eher auffällig, wie wenig Bezug genommen wird auf Phänomene ionisierender
Strahlung und wie klar zwischen EMF und ionisierender Strahlung getrennt wird. Wenn
Bezug genommen wird auf ionisierende Strahlung, geschieht dies nur, um Parallelen
deutlich zu machen, die sich aber immer nur auf bestimmte Aspekte beschränken: z.B.
daß man EMF wie ionisierende Strahlung nicht riechen, hören, schmecken kann; daß
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EMF gefährlich sein kann, auch wenn es nicht sichtbar ist, weil dies auch für
ionisierende Strahlung gilt; daß die Gefahreneinschätzung bei EMF ähnlich unsicher ist
wie die Einschätzung der Strahlenbelastung, die von Tschernobyl herrührt. Wenn EMF
mit ionisierender Strahlung verglichen wird, wird aber - explizit oder implizit - deutlich,
daß ionisierende Strahlung als viel gefährlicher eingeschätzt wird.
"Also gut, ich glaube, daß ist das was immer so unterschwellig dann doch, auch wenn man sich sagt, machkeine Panik und ich gucke, das ich da möglichst aus dieser Zone oder auch in der Schlafzone z. B. keinedieser Geräte in der Nähe habe, aber gerade das Gefühl, wie es bei radioaktiven Strahlen ist, man sieht,hört und riecht es nicht und man weiß nicht, ob es in 20 Jahren vielleicht irgend wann mal Spätfolgen hatoder Folgen hat, die man in 20 Jahren sagt, wäre es damals oder hätten wir damals anders gemacht odernicht gemacht oder gleich daran gedacht, Häuser anders zu bauen oder irgendwie, das ist eigentlich, wasmich bei diesem Thema am meisten beunruhigt, das ist eigentlich das falsche Wort, aber bedenklichstimmt." (FG 3)
"Ja, man hat auch ein ganz unangenehmes Gefühl überhaupt bei Strahlen. Denn also so auch so mitAtomkraftwerken oder die Leuten die da in der Nähe wohnen oder irgendwie was, das sind ja Sachen, dieman nicht sofort merkt, wenn das irgendwie gesundheitsschädlich ist. Das kommt ja immer erst später.Und ich weiß nicht, mir ist das überhaupt unangenehm." (FG 10)
Aus den Äußerungen der Teilnehmer ohne technisch-naturwissenschaftliche Vorbildung
geht nicht immer klar hervor, ob sie zwischen EMF unterschiedlicher Frequenz unter-
scheiden (niederfrequente EMF bei elektrischem Strom, hochfrequente EMF bei
Funkanwendungen oder bei Mikrowelle). Einige Teilnehmer tun dies, andere machen
keine diesbezüglichen Aussagen, so daß zu vermuten ist, daß sie keine Unterscheidung
treffen (z.B. wenn allgemein von Strahlung geredet wird).
Für die meisten dieser Fokusgruppenteilnehmer ist das Charakteristische von EMF-
Gefahren im Vergleich zu anderen Umweltthemen gerade, daß es eine 'schwammige
Sache' ist, d.h. daß weder zweifelsfrei bewiesen wurde, daß Gefahren bestehen, noch
daß man hundertprozentig ausschließen kann, daß keine Gefahren bestehen, während bei
anderen Umwelt- oder Gesundheitsgefahren (z.B. Autoabgase oder Rauchen)
zweifelsfrei bewiesen ist, daß eine Gefahr besteht. Einige Teilnehmer halten sogar
sowohl negative als auch positive Effekte durch EMF für möglich.
Risikoeinschätzung: gering
Die Teilnehmer der Fokusgruppen 7 und 8 schätzen die Risiken von EMF fast durchweg
als gering ein und sie sind sich bei ihrer Einschätzung relativ sicher. Die professionellen
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Nutzer von Funkgeräten (FG 7) stimmen überein, daß Funkgeräte und Sendeanlagen im
normalen Alltag keine Gefahr darstellen. Eine für diese Gruppe typische Bewertung der
EMF-Problematik zeigt das folgende Zitat:
"Auch die Erwärmung durch Strahlen, das kennt man ja auch von hochfrequenten Geräten wie Mikrowelle,etc., daß da Wärme erzeugt wird und wenn man da mit so einem Handy bspw., das starke Leistung hätte,und die Antenne wirklich ganz nah am Kopf haben würde und das auf längere Sicht, wobei nicht jeder solange spricht, dann könnte ich mir vorstellen, daß es vielleicht eben welche Beeinflussungen haben könn-te. Dazu kann ich nichts erzählen, mir ist nichts bekannt, auch von anderen Funkamateuren nicht. Dennauch in Kreisen wird auch über dieses Thema viel gesprochen. Aber da geht der Hersteller ja das Themavor, Störung, elektromagnetischen Bereich wie auf den Nachbarn oder auf elektronische Geräte desNachbarn umzuräumen Störungen auswirken können, ist das Gespräch eher sehr nahe. Dasgesundheitliche Schädigungen der Funkamateure entstehen, ist auf diese Art und Weise ist momentaneher abgeebt. Eine Zeit lang war es im Gespräch und wohl auch sehr kontrovers aber nachdem es keinewissenschaftliche Belegung gibt, die das eine oder andere, hebt es das wieder ab." (FG 7)
Die Teilnehmer dieser Fokusgruppe stützen sich in ihrer Einschätzung stark auf wissen-
schaftlich-technische Argumente, vor allem auch darauf, daß trotz einer längeren
Diskussion keine Gefahren wissenschaftlich bewiesen sind: "Es hat noch niemand
nachweisen können, daß es gefährlich ist". Wenn überhaupt Probleme gesehen werden,
so liegen sie auf der technischen Ebene, z.B. die Störung von elektrischen Geräten oder
Sendegeräten untereinander.
Im Gegensatz zu der stark auf die Kenntnis technischer Zusammenhänge gestützten Ein-
schätzung von EMF durch die professionellen Funkgerätenutzer basiert die Ein-
schätzung der Teilnehmer der Fokusgruppe 8 eher auf einer sorglosen Grundeinstellung.
Für diesen Personenkreis steht deutlich der Nutzen von EMF-Geräten - insbesondere
Mobilfunktelefon - im Vordergrund; einige Teilnehmer sehen Mobilfunktelefone für
sich sogar als unverzichtbar an.
"Aber im Endeffekt, man nutzt diese Geräte, weil man sie auch braucht, weil sie auch hilfreich sind, weilwenn man halt berufstätig ist und wenig Zeit hat, also die Mikrowelle ist für mich sehr wichtig, ohne diewürde ich überhaupt nicht mehr auskommen, weil es ist das Gerät, was ich am meisten benutze und dieTelefone sind einfach praktisch und ideal, man kann es überall mit rumschleppen, man ist überall erreich-bar, für mich sehr wichtig. Durch unsere beiden Geschäfte, ich muß einfach immer erreichbar sein. Ichbrauche ein Telefon. Aber das ich mir darüber Gedanken gemacht habe, das das für meine Gesundheitschädlich ist, kann ich eigentlich auch nicht sagen." (FG 8)
Zwar werden auch in dieser Gruppe mögliche Gesundheitsgefahren durch EMF nicht
völlig ausgeschlossen, aber sie werden doch für vernachlässigbar gehalten oder im Ver-
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gleich zu anderen Risiken relativiert.
"Es gibt ganz andere Probleme, ich stürze mich jeden Tag in den Verkehr, in der Hauptverkehrszeit, fahrepermanent Auto, rauche, ich trinke, ich fliege mit einem Flugzeug, es gibt so viele Dinge wo man sichgefährdet, wenn man immer an die Gefahren und die Konsequenzen denken würde, da könnte man in derheutigen Zeit gar nicht mehr mit einem angemessenen Lebensstandard existieren." (FG 8)
Gefahrenmodell
Ein für alle Fokusgruppenteilnehmer gemeinsames Modell, das eine schädigende
Wirkung von EMF erklärt, ist nicht erkennbar. Für viele Fokusgruppenteilnehmer ist der
Aspekt der Wirkmechanismen, durch die EMF schädigen könnte, weitgehend
bedeutungslos. Die Fokusgruppenteilnehmer hatten in der Regel keine oder nur
ungenaue Vorstellungen darüber, auf welche Weise EMF den Körper schädigen oder
beeinträchtigen könnten. Wesentlich ist für diese Teilnehmer vielmehr, daß solche
schädlichen Einflüsse nicht ausgeschlossen werden können. Die prinzipielle Möglichkeit
einer Schädigung durch EMF reicht hier für die Bewertung von EMF als potentiell
gefährlich aus.
Einige Teilnehmer rekurrieren in ihren Vorstellungen auf biologische und physikalische
Erklärungen, wobei diese allerdings nur selten naturwissenschaftlich korrekt sind. Viel-
mehr wird auf biologische oder physikalische Vorgänge verwiesen, und diese werden
pauschal als Anknüpfungspunkt für einen Analogieschluß oder eine intuitiv plausible
Erklärung genommen.
"Mir ist auch die Tatsache bekannt, daß elektrische Geräte, elektrische Leitungen wo Strom fließt,Magnetfeld haben, das Magnetfelder miteinander, daß auch diese Magnetfelder auf die MenschenAuswirkungen haben können, haben sollen." (FG 3)
"Wenn man es betrachten, eigentlich den Körper betrachtet und die Funktionen im Gehirn, das läuft ja auchirgendwo über Synapsen ab, über Elektrolyte oder gewisse Enzyme und Leitungen ab. Ich denke das istschon möglich, daß EMF Gesundheitsschäden zur Folge haben können." (FG 3)
Andere halten psychische Einflußfaktoren für bedeutsam.
"Die Psyche hat einen großen Einfluß auf deinen eigenen Körper oder auch jeden Körper. Wenn es hiervom Kopf nicht richtig stimmt dann funktioniert mein Körper auch nicht. Wenn ich aber positiv in dieWelt raus gehe und auch positives Denken habe, kann man mit diesen Dingen auch ganz gut umgehenund dann ist man auch nicht so anfällig für Krankheiten. Man muß halt immer positiv denken und immer
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versuchen, das beste draus zu machen aus der jeweiligen Situation. Also Pessimismus ist für michsowieso eine Sache, die für mich nicht in Frage kommt." (FG 8)
Es ist auch hier bezeichnend für die Unsicherheit in bezug auf EMF, daß in den Diskus-
sionen solche sehr unterschiedlichen Vorstellungen fast immer unvermittelt
nebeneinander stehen bleiben und und nicht etwa von Teilnehmern mit anderen
Vorstellungen kritisiert werden. Dies mag daran liegen, daß tatsächlich die ganze Palette
von Einflußfaktoren für möglich gehalten wird oder aber daran, daß so wenig über die
Art und Weise, in der EMF schädigen könnte, bekannt ist, daß den Diskus-
sionsteilnehmern schlicht Argumente fehlen, um andere Vorstellungen angreifen zu
können.
Weitgehende Einigkeit bestand allerdings in allen Fokusgruppen hinsichtlich bestimmter
sensibler Lebensbereiche, besonders vulnerabler Personen und empfindlicher Organe,
die als besonders schützenswert, empfindlich oder prekär charakterisiert werden und die
über die einzelnen Diskussionen hinweg immer wieder auftraten:
(1) Das Auge taucht vor allem im thematischen Zusammenhang mit Mobilfunktelefonen
auf und gilt dort als besonders strahlungsgefährdetes Objekt - erstaunlicherweise im Ge-
gensatz zum Ohr, das ja physisch die größte Nähe zum Telefongerät aufweist: das Ohr
wird nirgends thematisiert. Ein weiterer Zusammenhang zwischen EMF und Auge wird
über die Erwärmung von Eiweiß gestiftet, z.B. in folgender Einschätzung der Strahlen
von Mobilfunktelefonen:
"das ist schon fast Mikrowellenbereich, und ich stell' mir immer so'n Ei in der Mikrowelle vor, dann machich das Ding an und schon platzt das Ei und so ähnlich siehts ja, denk ich mir, mit dem Eiweiß in mein'mAuge auch aus" (FG 5)
Ein Grund für die Qualifizierung des Auges als kostbares Gut in der EMF-Diskussion ist
sicherlich, daß das Auge generell als zentrales Wahrnehmungsorgan und als sehr ver-
letzliches Objekt gilt.
(2) Kindern wird eine erhöhte Sensibilität/Empfindlichkeit zugeschrieben, die teilweise
dadurch erklärt wird, daß Kinder "ja noch im Aufbau" sind, die häufig aber auch un-
expliziert stehengelassen wird.
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"Kinder sind glaube ich noch sensibler und empfindlicher als wir Erwachsenen." (FG 3)
Kinder gelten offenbar auch deshalb als besonders gefährdet, weil mögliche Gesund-
heitsschäden durch EMF als langfristig wirksam angesehen werden. Komplementär zu
Kindern wird die Relevanz von EMF für ältere Menschen als nicht so hoch eingeschätzt
("mich betrifft das nicht, aber meine Kinder und meine Enkel"). Es ist anzunehmen, daß
sich hier auch die gesamtgesellschaftlich hohe Wertung von Kindern auswirkt.
(3) Das Schlafzimmer gilt als besonders gefährdungsempfindlicher Ort. Teilweise wird
dies damit begründet, daß "der Mensch strahlungssensibler ist, wenn er schläft",
teilweise auch damit, daß man im Schlafzimmer "am ehesten auf diese Dinger verzichten
kann". Häufig wird die Herausstellung des Schlafzimmers aber auch ohne Erklärung
vorgenommen. Teilnehmer, die EMF-Geräte (z.B. Radiowecker) in ihrem Schlafzimmer
haben, betonen eigens die Zwangslage, aus der heraus sie dieses Arrangement vorge-
nommen haben. Das Schlafzimmer ist in der Vorstellung der Teilnehmer offenbar ein
Ort, an dem sie sich aufgrund ihres Schlafzustandes eher EMF ausgeliefert fühlen.
"Schlafzimmer ist für Ruhe zuständig für den nächsten Tag, da kann man es vielleicht auch eher aus-schalten, vielleicht ist man da auch im Schlaf in einer anderen, regenerativen Lage auch sensibler, dasmacht es vielleicht auch umweltbewußt, wenn man versucht das Gerät auszuschalten hat." (FG 3)
Im Hinblick auf die Frage, von welchen Randbedingungen eine mögliche Schädigung
durch EMF abhängen könnte, wurden vor allem die drei folgenden Aspekte genannt:
• Nähe bzw. Abstand zur EMF-Quelle: Je näher ein Gerät ist, von dem elektromagneti-
sche Felder ausgehen, umso gefährlicher wird es eingeschätzt. Dies gilt
insbesondere für die Antennen von Funktelefonen. So halten mehrere Teilnehmer
ein portables Mobilfunktelefon oder ein AT, bei denen die Antenne sich nicht im
Telefonhörer befindet, sondern an dem separaten Funkgerät angebracht sind, für
weniger gefährlich als ein Mobilfunktelefon-Handgerät, weil sich bei diesem die
Antenne direkt am Kopf befindet und somit die von ihr ausgehende Strahlung zuerst
den Kopf trifft. Zwei Teilnehmer benutzen beispielsweise wegen dieser Überlegung
in der Tat auch ein Autotelefon oder ein portables Mobilfunktelefon anstelle eines
Handies. Nähe wird dabei (gerade auch in Bezug auf ein Mobilfunktelefon) weniger
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als kontinuierliche Größe gesehen, sondern eher in die beiden Kategorien 'ganz nah
am Körper bzw. am Kopf' und 'einen bis mehrere Meter vom Körper weg' unterteilt.
Womöglich wird die Nähe eines Mobilfunktelefon-Handgerätes auch deshalb als
bedrohlich empfunden, weil sie den Kopf betrifft, der als besonders schützenswertes
oder empfindliches Körperteil angesehen wird.
• Sendeleistung: Weiterhin wird auch die Höhe der Sendeleistung als Gefahrenmerkmal
angesehen (je höher, desto gefährlicher), wobei auch von Dosierung oder Konzen-
tration gesprochen wird. Dabei wird teilweise betont, daß zwar alles
gesundheitsschädigend sei, es aber auf die Dosierung ankomme. Jedoch nicht alle
Teilnehmer, die die Nähe eines Sendegeräts als Gefahrenmerkmal nennen, führen
auch die Sendeleistung als Gefahrenmerkmal auf. Weiterhin wird von einigen
Teilnehmern anscheinend nicht beachtet, daß nur die Kombination von Abstand des
Senders und dessen Sendeleistung Aussagen über die Stärke der Strahlung
ermöglichen der man ausgesetzt ist. Einige Teilnehmer, vor allem wenn sie über
eine technisch-naturwissenschaftliche Ausbildung verfügen, sind mit diesem
Sachverhalt vertraut. Für andere scheint dagegen die Nähe des Sendegerätes das
wichtigere Gefahrenmerkmal zu sein, während die Sendeleistung erst dann eine
Rolle zu spielen scheint, wenn die Gefährlichkeit von Geräten verglichen wird, die
sich ähnlich weit weg vom Körper befinden.
• Benutzungsdauer: Beim Mobilfunktelefon wird auch öfters die Benutzungsdauer als
Gefahrenmerkmal angegeben (je länger man es benutzt, desto größer ist die Gefahr).
Entweder versucht man, das Mobilfunktelefon so wenig wie möglich zu benutzen,
oder man führt an, daß das Mobilfunktelefon einem nicht schaden wird, weil man es
nur kurz benutzt. Auch wenn von dem Fall der Frau in den USA berichtet wird, die
durch die Benutzung eines Mobilfunktelefons Krebs bzw. einen Tumor bekommen
haben soll, wird fast immer angemerkt, daß sie das Mobilfunktelefon sehr oft be-
nutzt haben soll:
"Es gibt Haushalte, wo also bewußt auf den Einsatz von Funktelefonen verzichtet wird, weil eben Ge-fahren. Es gab darüber auch ein Krebsfall in Amerika. Es ist ja auch bekannt, das die Funkwellendas Eiweiß im Auge erhitzen das es dann zu bleibenden Schädigungen kommt. Das hängt davonab, wie lange man damit telefoniert. Wenn Sie am Tag 10 Stunden damit telefonieren, kann dasschon der Fall sein." (FG 2)
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In den Fokusgruppendiskussionen wurde deutlich, daß eine ganze Reihe von Teil-
nehmern die EMF-Problematik nicht isoliert sehen, sondern in einen Zusammenhang mit
der (als gegeben angenommenen) Zunahme allgemeiner Umweltbelastungen sehen. D.h.
sie sehen eine Gefahr weniger in den EMF allein, die von einzelnen Geräten ausgehen,
sondern eher in dem Zusammenwirken von verschiedenen Strahlungen oder in dem Zu-
sammenwirken von EMF mit anderen Umweltbelastungen, denen man ausgesetzt ist.
Der folgende Wortwechsel in Fokusgruppe 6 zeigt dies beispielhaft:
"Wobei ich glaube, wenn eine Art von Strahlen so wie das früher hatte man nur die UKW-Anlage, dieUKW-Strahlen bekannt das macht jeder locker, der Körper schafft das, aber wenn alles dann so dichtkommt, sich konzentriert, Mikrowelle, Telefon, Radio, Fernsehen, Computer. Es gibt bestimmt noch vielmehr."
"Eben, und jeder hat das und es leben so viele Leute und"
"Und alle Geräte sind ständig an und in Bewegung, ich denke, das die Menge der ganzen Strahlen, was unsletztendlich einmal kaputt macht in irgendeiner Form, schädigen wird."
Gerade im Zusammenhang mit anderen Umweltgefahren kommt die Unsicherheit bei
der Einschätzung von EMF besonders zur Geltung; selbst wenn das Schadenspotential
von EMF für sich genommen vernachlässigbar sein mag, könnte es sein, daß es grade
der 'Tropfen ist, der das Faß zum Überlaufen bringt':
"Ich glaube also weiterhin, das es Einflüsse hat, elektrische, elektromagnetische Felder um Elektrogeräte,mit den Menschen. In wie weit die sind, ob die jetzt krankmachend sind, ob die fertig sind, kann ich auchweiterhin im Moment nicht sagen. Kann ich auch nicht als fühlbare Drohung jetzt empfinden, was seinkann, ist das einer von denen .... redet, Belastungen, Beschädigungen, Gefährdungen sind, die halt imVerein mit vielen anderen, dieser Tropfen sein kann, der das Faß zum Überlaufen bringt." (FG 3)
Zusätzlich zu einem Zusammenwirken von EMF-Gefahren mit anderen Umweltbe-
lastungen sehen viele Fokusgruppenteilnehmer EMF-Gefahren auch in einem all-
gemeineren Zusammenhang mit anderen, durch die Umwelt vermittelten Gesund-
heitsgefahren (z.B. Asbest, Holzschutzmittel, Autoabgase oder Amalgan-Plomben).
Dabei kann man jedoch zwei verschiedene Gruppen unterscheiden, die das Thema
'EMF-Gefahren' in einen unterschiedlichen Zusammenhang einordnen:
• Teilnehmer, die eher dazu neigen, nicht an das Vorhandensein von EMF-Gefahren zu
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glauben, beklagen sich darüber, daß man von allen möglichen Sachen hört, daß sie
gesundheitsgefährdend sein sollen, und daß EMF jetzt auch noch dazu gehört. Sie
fühlen sich überhäuft mit Meldungen über mögliche Gesundheitsgefahren und
bemerken, daß man solche Meldungen fast schon bewußt ignorieren muß, um
überhaupt noch etwas ohne Angst vor Gesundheitsgefahren tun zu können.
• Teilnehmer, die eher dazu neigen, an das Vorhandensein von EMF-Gefahren zu glau-
ben, betonen vor allem eine mögliche Analogie zu Asbest oder Holzschutzmitteln.
Bei diesen Stoffen wurde die Existenz von Gesundheitsgefahren von Unternehmen
und Behörden lange Zeit bestritten, bis sie dann doch nachgewiesen wurde. Diese
Teilnehmer befürchten, daß sich in Zukunft auch bei EMF herausstellen wird, daß
große Gesundheitsgefahren bestehen. Dann wäre jedoch aufgrund der ständig
steigenden Verbreitung von EMF-Quellen der Schaden umso größer.
Interessant sind auch die Vorstellungen, die in bezug auf die Frage, welche Funktion des
Mobilfunktelefons - das Senden oder das Empfangen von Funksignalen - gefährlicher
sei (bzw. bei welcher Funktion man einer stärkeren Strahlung ausgesetzt ist), vorhanden
sind. Hierzu gibt es bei den Teilnehmern neben der physikalisch zutreffenden Einschät-
zung, daß die empfangenen Felder wesentlich schwächer sind als diejenigen, die vom
Mobilfunktelefon gesendet werden) auch davon abweichende Einschätzungen. Zum
Beispiel:
"Ich stelle mir das, hier die Wellen kommen beim Empfangen an mein Ohr, wenn ich damit telefoniere undstelle ich mir jetzt gefährlicher vor als wenn ich etwas sende." (FG 6)
"Ich glaube sowohl als auch, es ist beides gleich gefährlich, ich glaube das das Empfangen und das Sendenauf jeden Fall gleich gefährlich ist, weil wie ich es mir das vorstelle, ist das was reinkommt, was rausgehtmuß die gleiche Stärke, die gleiche Intensität haben, damit überhaupt Kommunikation stattfinden kann."(FG 6)
3.1.3 Nutzeneinschätzung von MobilfunkDiejenigen Teilnehmer der Fokusgruppen, die privat oder beruflich schnurlose Hau-
stelefone oder Mobilfunktelefone verwenden, betonen in der Regel den hohen Nutzen,
den diese Geräte für sie haben. Bei schnurlosen Haustelefonen wird der Nutzen in der
größeren Bequemlichkeit des Telefonierens gesehen: Man kann von jeder Stelle in der
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Wohnung aus telefonieren, man kann sich während des Telefonierens in der Wohnung
bewegen, und man kann noch andere Aktivitäten während eines Telefongesprächs
durchführen. Beim Mobilfunktelefon, das fast ausschließlich für berufliche Zwecke
benutzt wird, wird der Nutzen darin gesehen, daß man jederzeit und an jedem Ort tele-
fonisch erreichbar ist und selber telefonieren kann. Vielfach wird aus beruflichen
Gründen die Benutzung von Mobilfunktelefonen sogar als unerläßlich angesehen.
Es wird jedoch vor allem auf den individuellen Nutzen von Mobilfunktelefonen hinge-
wiesen. Ein möglicher gesamtgesellschaftlicher Nutzen von Mobilfunk (z.B. die Schaf-
fung von Arbeitsplätzen durch die Telekommunikationsbranche) wird in keiner Fokus-
gruppe explizit vorgebracht. In einigen Fokusgruppen weisen Teilnehmer jedoch darauf
hin, daß die Einschränkung der Nutzung von Mobilfunk in Deutschland - z.B. um
erstmal gründlich zu untersuchen, ob durch Mobilfunk Gesundheitsgefahren bestehen -
gesamtgesellschaftliche Nachteile mit sich führen könnte, etwa durch die Verringerung
der Exportmöglichkeiten von deutschen Anbietern von Mobilfunktechnologie. Andere
Teilnehmer befürchten, daß eine von ihnen als übertrieben empfundene Vorsicht bei der
Einführung neuer Technologien jeglichen technischen Fortschritt verhindern würde.
Der Nutzen von Mobilfunktelefonen wurde in der Regel nur von denjenigen Teilneh-
mern der Fokusgruppen bezweifelt, die noch nie ein Mobilfunktelefon benutzt haben.
Dabei sehen diese Teilnehmer zum einen für sich selbst kein Nutzen durch Mobilfunkte-
lefone; zum anderen bestreiten sie auch oft, daß Mobilfunktelefone überhaupt einen
Nutzen haben können. Den Nutzern von Mobilfunktelefonen wird deshalb unterstellt,
mit diesen Geräten nur ihr sozialen Prestige erhöhen zu wollen, weil es 'schick' aussieht,
mit einem solchen Gerät in der Öffentlichkeit zu telefonieren. Allenfalls bei besonderen
Berufsgruppen (z.B. Ärzten oder Noteinsatzdiensten) wird die Benutzung von
Mobilfunktelefonen als sinnvoll angesehen.
3.1.4 Umgang mit der EMF-ProblematikIn bezug auf den Umgang mit der EMF-Problematik kann man zwei Aspekte unterschei-
den. Der erste betrifft den persönlichen Umgang einer Person mit EMF, d.h. ergreift sie
selbst Schutzmaßnahmen, und wenn, in welchem Umfang; sucht sie Information, um
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genaueren Aufschluß über das Gefährdungspotential von EMF zu bekommen usw. Der
zweite Aspekt betrifft die Frage, wie die Gesellschaft und besonders die verantwort-
lichen Institutionen mit der EMF-Problematik umgehen sollten.
Individueller Umgang
Trivialerweise werden Personen, die keinerlei Gefahren durch EMF befürchten, auch
keine Schutzmaßnahmen ergreifen. Tatsächlich findet sich auch in den beiden Fokus-
gruppen, in denen die Risikoeinschätzung in bezug auf EMF durchweg gering ist (FG 7
und 8), niemand, der zu Schutzmaßnahmen gegriffen, geschweige denn seine Lebens-
weise wegen EMF geändert hätte. Genau dies aber haben die meisten Teilnehmer der
Fokusgruppen 'Elektrosensible' (FG 1) und 'Hochspannungsleitung' (FG 2) getan.
Insbesondere die Elektrosensiblen haben zum Teil erhebliche Anstrengungen
unternommen, sich gegen EMF zu schützen. Dazu gehören das 'Ausmessen' von
Wohnungen durch einen Bau-/Elektro-/Geobiologen oder Wünschelrutengänger oder
(durchaus kostspielige) Abschirmmaßnahmen (Kupfermatte, Umwicklung von Kabeln
mit einer speziellen Metallegierung etc.) oder Umzug in eine andere, angeblich weniger
strahlenbelastete Wohnung. Aber auch die Teilnehmer der Fokusgruppe
'Hochspannungsleitung' (FG 2) haben zum Teil individuelle Schutzmaßnahmen gegen
EMF-Geräte im Haushalt ergriffen (Radiowecker vom Bett weggestellt, Nutzung von
Mikrowelle eingeschränkt etc.), obwohl ihr konkretes Problem ja die Hochspannungs-
leitung und nicht EMF generell ist (s.u.).
Ein wesentlicher Aspekt des Umgangs mit EMF ist für viele Teilnehmer dieser beiden
Fokusgruppen die Organisation im Selbsthilfeverein 'Elektrosensible' bzw. in der Bür-
gerinitiative gegen die Hochspannungsleitung. Für die Elektrosensiblen bietet der
Selbsthilfeverein die Möglichkeit, Leidenserfahrungen kundzutun und miteinander zu
teilen. Gerade in Hinblick auf die Außenwelt (vor allem Ärzte oder Gesundheitsämter),
von der sich die Elektrosensiblen nicht ernstgenommen fühlen, hat dieser Erfahrungs-
austausch für die Mitglieder eine erleichternde und entlastende Wirkung. Er dient auch
dem Austausch von Informationen über Schutzmöglichkeiten gegen EMF oder Erdstrah-
len und als Ort des Erfahrungsaustausches über die Wirksamkeit dieser Schutzmaßnah-
men. Zu solchen oder verwandten Themen werden regelmäßig Vorträge veranstaltet.
Die Mitglieder bekommen so einen großen Teil ihrer Informationen über den Selbst-
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hilfeverein. Auch für die Teilnehmer der Fokusgruppe 'Hochspannungsleitung' hat die
Bürgerinitiative neben ihrer Funktion als Instrument politischen Protests ganz wesentlich
eine Integrations- und Informationsfunktion, da ein Kern von sehr aktiven Mitgliedern
die anderen Mitglieder auf Versammlungen regelmäßig über verschiedene Aspekte der
Diskussion über EMF-Gefahren informiert.
In den anderen Fokusgruppen, in denen die Risikoeinschätzung sehr unsicher und
heterogen war, findet sich ein weites Spektrum an Umgangsweisen mit EMF. Mehrere
Teilnehmer haben im weitesten Sinne Schutzmaßnahmen gegen einen möglichen nach-
teiligen Einfluß von EMF ergriffen: zum Beispiel wird das Mobilfunktelefon so wenig
wie möglich benutzt; es werden, wenn möglich, nur solche Funktelefone benutzt, die
eine geringere Sendeleistung aufweisen bzw. bei denen sich die Antenne nicht direkt am
Kopf befindet; elektrische Geräte werden aus dem Schlafzimmer entfernt; das Bett wird
weiter weg von Stromleitungen in der Wand oder von Sicherungskästen und das Baby-
phone weiter weg vom schlafenden Kind gestellt; ein Netzfreischalter wird eingebaut;
elektrische Geräte werden nicht im Stand-By Modus betrieben usw.
Solche Schutzmaßnahmen sind weniger eine Reaktion auf eine als 'real' wahrge-
nommene Bedrohung durch EMF, sondern vielmehr eine Reaktion auf die Unsicherheit
in bezug auf EMF.
"... ich meine, solche Sachen kommen erst Jahre später erst raus. Und von daher empfinde ich das da schonauch, es ist wissenschaftlich noch nicht endgültig bewiesen, ob es nun schadet, wie stark es beeinflußt, istmein Stand des Wissens. Also ich empfinde das schon als Bedrohung. Auf Grund dessen treffe ich auchbestimmte Vorkehrungen, Stecker rausziehen vom Fernseher, z. B. nicht auf Stand by laufen lassen, dannlieber aus und der Steker auch noch raus, vorsichtshalber, so halt. So im kleinen versucht man, das halt zuumgehen. Es geht schon, aber ich finde es schon als irgendwie bedrohlich, weil man es halt nicht sogenau weiß, ist es jetzt gefährlich oder nicht." (FG 3)
"Selbst wenn ich es nicht genau weiß, selbst wenn ich nur eine, kann ich aber trotzdem sagen, ich weiß esnicht, ich nehm's halt einfach nicht, weil ich andere Möglichkeiten habe, wenn ich hier Funktelefon habeund daneben Telefon mit Schnur, dann nehme ich immer das was Schnur hat, in jedem Fall. Wenn ichmir eins aussuchen kann, nehme ich das mit Schnur." (FG 5)
"Also, ich muß ehrlich sagen, ich habe zwar schon einiges darüber gelesen, aber wieder viel vergessen. Ichweiß eigentlich nur, daß man nichts hundertprozentiges weiß und ein paar direkte Gesundheitsgefahren,also die durch Mobiltelefone, also Gesundheitsschäden die durch die Mobiltelefone hervorgerufenworden sind, ich selber würde sagen, ich gehe so mit dem Mobiltelefon um, also ich habe davon gelesen,seitdem benutzte ich das Mobiltelefon eigentlich so wenig wie möglich." (FG 5)
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Aus diesen Äußerungen wird beispielhaft auch deutlich, daß die Schutzmaßnahmen, die
ergriffen werden, solche sind, die ohne großen Aufwand realisiert werden können. Die
Betroffenen verzichten nicht auf das Funktelefon, sondern nutzen es nur so wenig wie
möglich, oder sie benutzen ein Telefon mit Schnur - wenn sie die Möglichkeit haben.
Eine ganze Reihe von Diskussionsteilnehmern sehen überhaupt keinen Grund für Ein-
schränkungen bei der Nutzung von EMF-Geräten. Die Begründung hierfür liegt
allerdings meist nicht in der Behauptung, es gebe keine Gefährdung durch EMF (obwohl
auch dieses vereinzelt behauptet wird), sondern es werden im wesentlichen drei andere
Argumentationsmuster verwendet. Zum einen wird auf den persönlichen Nutzen oder
gar die Notwendigkeit von EMF-Geräten (besonders Handies) verwiesen:
"Man braucht es. Es sind halt Dinge, die man so zum täglichen Leben einfach braucht und ich wäre ohne soein Telefon aufgeschmissen. Ich pendle also zwischen Wohnung und Betrieb und Kunden undLieferanten hin und her und wenn ich gerade unterwegs bin, dann brauchen die mich im Restaurant oderwollen etwas, dann muß ich erreichbar sein, ich brauche dieses Telefon, ich kann's nicht ändern. Ichwürde es auch weiterhin benutzen. Ich denke, wenn ich nach draußen gehe und diese Umwelt hier seheund was ich am Tag so einatme und mitmache und auch brauche, ist viel schlimmer als die elektrischenWellen die mir irgendwelchen Schaden zufügen könnten." (FG 8)
Das zweite Argumentationsmuster setzt EMF zu anderen Gesundheits- und Umweltpro-
blemen in Beziehung, bei denen die Risiken größer sein, und gegen die man auch nichts
unternehme.
"Wie gehe ich persönlich damit um? Irgendwo eine Frage der Verhältnismäßigkeit. In der ganzenDiskussion muß man halt fragen, was schädigt den Menschen, was macht Gesundheitsschädigung? Dasist halt ein Faktor. Ich meine, alle sind sich ja darüber einig, daß z. B. Autoverkehr, Luftverschmutzung,das schädigt definitiv, daß sind Sachen, die sind definitiv schlecht für den Menschen. Der Mensch rauchtund macht andere Sachen, nimmt Nahrung zu sich, die vollkommen Nährstoffentladen ist und so, daßsind Sachen, die liegen auf der Hand und die werden auch nicht geändert. Ich meine, man muß die Ver-hältnismäßigkeit sehen, wo kann ich überhaupt anfangen und was machen viele. Man kann jetzt in demBereich viel forschen und machen und gleichzeitig ist man Kettenraucher. Dann frage ich mich irgendwo,was ist hier los? Und das ist bei vielen Menschen so, daß muß man sehen." (FG 11)
Als drittes Argumentationsmuster wird vorgebracht, daß viele technische Produkte, die
man benutzt, oder Aktivitäten, die man ausübt, eine Gesundheitsgefahr darstellen sollen,
und daß man infolgedessen handlungsunfähig wäre, wollte man alles, was gesundheits-
schädlich sein soll, vermeiden.
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"Da sucht sich der Mensch das ja noch aus, ob er was machen kann, wir können es uns ja nicht mehr oderweniger, wir können es schon aussuchen, aber nicht ohne aus dem alltäglichen Leben auszuscheiden,wenn man 8 oder 10 Stunden erfolgreich arbeiten will und in der Gesellschaft überhaupt angesehen seinwill, mitreden will mit den anderen, da hat man eben nicht mehr die Zeit für gewissen Sachen genau zuprüfen, für mit sich selbst jede Sache genau abzustimmen. Man nimmt gewisse Sachen einfach in Kauf.Da hat man vielleicht einen Punkt, da sagt man mein Gott, da haben mir schon fünf Leute an der Thekegesagt, es ist schlecht für mich, jetzt lasse ich das mal sein, da ist für mich jetzt der Punkt jetzt lasse ichdas sein, dafür esse ich dann mehr Pralinen, für den anderen reicht dann der Artikel im Spiegel, der sagtdann, dann lasse ich es dann sein. Ich behaupte einfach mal in unserer Gesellschaft ist es nicht möglich,relativ, normal zu leben, wie es die Gesellschaft von einem verlangt, es gibt ja gewisse gesellschaftlicheNormen, ohne Sachen in Kauf zu nehmen, in der Lebensart die vielleicht schädlich für einen sein können.Also Lebensmittel, Mobiltelefon." (FG 5)
Man kann allerdings auch nicht ausschließen, daß in einzelnen Fällen der 'sorglose' Um-
gang mit EMF eine defensive Abwehr der für möglich gehaltenen Bedrohung durch
EMF ist. Dies klingt in einigen Äußerungen von Teilnehmern an:
"Aber es ist auch so bei mir, man hört hier was, man hört da was und also was alles gesundheitsschädlichist. Also ich finde, es bricht unheimlich viel im heutigen Zeitalter auf uns ein. Und manchmal denke ichmir, ja, du mußt dich auch etwas davor verschließen, sonst wird es einfach zu viel. Ja, sonst dürftest duüberhaupt nichts mehr machen." (FG 4)
Gesellschaftlicher und institutioneller Umgang
Bei den Elektrosensiblen (FG 1) bleiben wegen der Ubiquität von EMF die Forderung
nach staatlichen Maßnahmen zur EMF-Gefahrenkontrolle sehr pauschal. Wenn
Forderungen bezüglich allgemein zu ergreifender Maßnahmen erhoben werden, richten
diese sich vor allem an Ärzte und Behörden, die für Gesundheitsfragen zuständig sind
(Zusammenarbeit von Ärzten mit Heilpraktikern, Einrichtung von Beratungsstellen für
Elektrosensible). Diese Forderungen entspringen dabei den schlechten Erfahrungen, die
die Teilnehmer mit 'klassischen' Ärzten und Behörden gemacht haben.
Die Teilnehmer der Fokusgruppen 'Hochspannungsleitung' (FG 2) und 'Mobilfunksende-
anlagen' (FG 9 und 10) fordern die Entfernung der Hochspannungsleitung bzw. der
Sendeanlage aus ihrem Wohngebiet. Dies geht einher mit der Forderung, daß Hoch-
spannungsleitungen bzw. Mobilfunksendeanlagen grundsätzlich nicht in Wohngebieten
stehen sollten. Von Anwohnern der Mobilfunksendemasten wird in diesem Zusammen-
hang das Vorgehen der beteiligten Unternehmen und Behörden bei der Installation der
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Sendeanlagen kritisiert.
"Ich habe gehört und gelesen, daß es kontroverse Meinungen darüber gibt, daß es Professoren jeglicherCouleur sich nicht einig sind. Der eine sagt, das ist total positiv zu sehen und der andere, von eineranderen Universität sagt, also das ist schädlich. Und aus dem Grunde sind wir besonders verunsichertund wissen nicht, nach wem wir uns richten sollen. Und das ist eigentlich der Hauptpunkt bei dieserganzen Geschichte. Es ist fast zu vermuten, da diese Geschichte mit der Installation und dem Aufbau derAnlage bei uns auf dem Haus so klammheimlich ging, das der Betreiber, der Bauherr, da wohl befürchtenmuß, das da ein Aufstand gegen gemacht würde, denn sonst hätte man ja vorher uns, was sie sagten, Herr[...], mal einfach nur informieren können. Die Sache liegt so, wir beabsichtigen, das und das zu bauen,Leute macht euch keine Gedanken darüber, daß ist nur ein technisches Gerät. Fertig. Nein, das ist alsonicht erfolgt. Sondern, eines Tages, durch einen Nebensatz des Hausmeistervertreters, haben wir davongehört und nachgehakt und nachgefragt nochmal, was ist das, was wird das sein, und je mehr mannachfragt und je mehr man hört darüber, um so unsicherer wird man. Ich bin nicht Verbraucher, wir woh-nen nur darunter. Wir erleiden es, aus unserer Sicht jetzt, weil wir nicht wissen, weshalb es so eine Hau-ruck-Aktion war. Wenn es nicht so gewesen wäre, wären wir vielleicht ganz anderer Meinung darüber."(FG 10)
Zu der Frage, wie die Gesellschaft und die verantwortlichen Institutionen grundsätzlich
mit Situationen umgehen sollten, in denen die Gefährlichkeit einer Technologie noch
unklar ist und es deshalb verschiedene Einschätzungen in bezug auf deren Risiko gibt,
werden in den Fokusgruppen zwei verschiedene Positionen vertreten.
Einige Fokusgruppenteilnehmer - und dies sind insbesondere die Benutzer von
Funktelefonen bzw. Funkgeräten - vertreten die Meinung, man könne nicht nur wegen
vager Hinweise auf Gefahren auf neue Technologien und damit auf Fortschritt
verzichten.
"Das alles ist schwammig, es gibt ja viele, die sagen, so lange das nicht geklärt ist, lehne ich das kategorischab, wenn ich genau weiß, das ist unschädlich, kommt mir hier kein Sendemast ins Wohngebiet, wenn wirmit so einer Einstellung weiterleben dann kriegen wir nie eine technische Innovation. Denn bei einertechnischen Innovation kann man immer einbringen, ich weiß nicht, ob das gesundheitsschädlich ist,lassen wir das mal sein. Mit der Einstellung kommt man nämlich nicht weiter. Mit der Einstellung kriegtman keinen Fortschritt, und ich sage mal, im Kreis der Fortschritts ist häufig, daß man Gefahren, die auseiner Neuentwicklung entspringen, läßt, erst später erkennt, das ist das Prinzip, an dem Prinzip könnenwir nichts ändern, sonst, wenn wir präventiv sagen, näh solange das nicht geklärt ist, Finger fort, dannkommen wir nicht weiter." (FG 5)
Die Mehrzahl der Teilnehmer vertritt allerdings eine in bezug auf mögliche Risiken
'konservative' Haltung, wie sie in den folgenden Zitaten deutlich wird:
"Man muß zuerst mal prüfen, ob es gut ist, ob es wirklich fundiert ist, und dann kann ich es in die Weltsetzen und dann fortschrittlich anpreisen. Weil, bevor ich nicht zumindest, ein reines Gewissen sollte ich
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dabei haben, das ist vielleicht wichtig, man kann es nicht, ein Wissenschaftler kann es nie, selbst einWissenschaftler sind ja auch nur Menschen, der kann nicht ausschließen, daß er vielleicht über mancheSachen eben nicht nachgedacht hat, eben weil die Sache viel komplexer wird, er kann für sein Gewissen,mit bestem Gewissen und Wissen sagen, das ist eine gute Sache und dann müssen es andere Leute prüfenund andere Leute prüfen. Ich bezweifele manchmal, ob das wirklich noch so ist in unserer Gesellschaft,ob man nicht wirklich sagt, kommt wir geben das mal raus, wir wollen erst mal verdienen und dann sehenwir mal, ob das noch gut ist, das würde ich auch wenn ein Mobiltelefon. Ich bin zu wenig belesen, aberich kann mir schon vorstellen, daß man von der Forschung her auch hätte anders vorgehen können beiMobiltelefonen und daß man nicht, so lange sind die Geräte ja noch nicht auf dem Markt, daß man schonhätte sagen können, komm laß uns noch 2 Jahre Zeit." (FG 5)
"Man kann ja die technische Entwicklung mit dem Aspekt der Gesunderhaltung der Bevölkerung auchbetrachten. Ich bin nicht generell gegen eine technische Entwicklung oder so, aber das ist nicht immernur so Technik unter Profit und unter dem geringsten Aufwand. Sondern bitte schön, wenn schonTechnik, dann auch unter Berücksichtigung der Gesundheit der Leute, die da arbeiten müssen und die daauch wohnen müssen." (FG 11)
"Im Moment ist es wohl noch so, daß eben die Forschung darüber sehr in Kinderschuhen steckt, und das daeben hieb- und stichfeste Untersuchungen wohl noch sehr wenig vorhanden sind. Und von daher, denkeich, kann man da wie anderswo auch eben erstmal den Grundsatz verfolgen, daß man sich vor möglichenGefahren eben erstmal hüten soll. Ob dann hinterher tatsächlich die mögliche Gefahr auch als einewirklich Gefahr erhärtet wird, daß ist dann vielleicht nicht so wichtig." (FG 11)
In diesen Äußerungen wird nicht nur das 'Safety First' Prinzip als handlungsleitende
Maxime formuliert, sondern implizit wird auch gesagt, daß dieses 'Safety First' Prinzip
von den Unternehmen aus Profitinteresse verletzt wird. Solchen Äußerungen wird in den
Diskussionen nicht widersprochen, was darauf hindeutet, daß diese Einschätzung von
den anderen Diskussionsteilnehmern geteilt werden. Andererseits äußern einzelne
Teilnehmer explizit ihr Vertrauen in die Sorgfalt der Industrie bei der Entwicklung von
Technologien:
"Ich denke, also ich hoffe einfach, das die Industrie sich davon vorher schon ein paar Gedanken gemachthat und das doch irgendwo eine relative Sicherheit da ist. Genau mit Arzneimitteln das ja auchirgendwann in Versuchen getestet und dann zugelassen wird. Ich habe dann auch immer so die Hoffnung,das so ein gewisses Maß an Sicherheit da ist und das es mich dann nicht trifft." (FG 8)
"Ja, das Vertrauen in die Industrie habe ich eigentlich auch, daß die, bevor sie so etwas auf den freien Marktbringen, es ausgetestet haben." (FG 8)
Eine grundlegende Skepsis in bezug auf den Umgang von Wissenschaft und Technik
mit Risiken und insbesondere hinsichtlich der Auffassung, Schädigungen müßten erst
nachgewiesen werden, bevor es nötig sei, zu reagieren, läßt sich allerdings aus vielen
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Diskussionsbeiträgen heraushören.
"Das finde ich auch gerade das gefährliche an der Diskussion, daß man, solange man nichts Schädlichesbeweisen kann, ist es auch nicht da. Daß das so gesagt wird. Und das ist erstmal für die Leute, die etwassensibler sind, schwieriger, gegen eine solche Haltung anzukämpfen, und es erhöht dann auch vielleichtdie Hysterie auf der Seite der Leute, die meinen, beeinträchtigt zu werden. Ich habe im Radio mal leidernur kurz mitbekommen, daß Hochspannungsleitung evtl. die Gehirnströme beeinflussen können,verändern können. Die Sendung habe ich nur im Vorbeigehen gehört, aber das hat mich eigentlich auchauf das ganze Problem aufmerksam gemacht, dieser kurze Moment. Und ja, also das mag stimmen odernicht stimmen, das ist wohl noch in der Diskussion. Was mich dann wieder verschreckt, ist, wenn dannweiter mit der Technik so gedankenlos umgegangen wird. Also jeder baut sich seine Antenne auf denBalkon und hat sein Mobiltelefon. Jeder macht weiter wie bisher, solange bis die Bombe platzt oder auchnicht." (FG 11)
Grenzwerte
Grenzwerten kommt bei der staatlichen Regulierung von Risiken eine besondere Rolle
zu. In der Öffentlichkeit allerdings - dies hat sich schon in anderen Risikokontroversen
gezeigt - gibt es häufig Verständnisschwierigkeiten und Skepsis. Dieses Bild zeigt sich
auch in den Fokusgruppen. Von den Fokusgruppenteilnehmern selbst allerdings wurden
Grenzwerte kaum in die Diskussion gebracht. Wenn dieses Thema durch den
Diskussionsleiter angesprochen wurde, zeigten sich bei den meisten Teilnehmern
Verständnisschwierigkeiten sowie auch große Skepsis gegenüber Grenzwerten.
Eine Reihe von Teilnehmern geben an, daß sie mit Grenzwerten bzw. mit Meßwerten,
die in irgendeiner Höhe unterhalb der Grenzwerte liegen, nicht viel anfangen können.
Mehrere Personen wollen statt Grenzwerten einfache Angaben darüber, ob etwas
gefährlich ist oder nicht.
"Aber was bedeutet es auch inhaltlich, wenn es, du sagst 25, ist das dann ein bißchen gesundheitsge-fährdend oder ein bißchen mehr oder die Hälfte vom Ganzen oder ist es dann ganz gesund oder ist esschon schrecklich schädlich, also irgendwie fehlt die Aussage da auch. Also eigentlich könnte man dochnur sagen, dieses Produkt ist gesund oder diese Art und Weise zu leben oder das zu benutzen ist gesundund das ist ungesund, das wäre für mich mehr als dieses 0,6 oder 25 oder 7." (FG 8)
"Die Frage die sich mir stellt ist doch folgende, ich habe nicht genug Fachwissen, um eigentlich überhauptfür mich selber zu sagen, ob es jetzt der Smog oder irgendwelche Spurenelemente radioaktiver Strahlungim Essen oder was auch immer. Wenn da jetzt steht Grenzwert ist 100, was auch immer 100, wenn dasteht 200 bedeutet es für mich doch Original das gleiche. Also wer legt es fest und was vor allen Dingen,bedeuten die 100 Milligramm oder was auch immer. Ich habe keine Ahnung und wenn mir jetzt jemandsagt, Grenzwert ist 100 und ich verlasse mich darauf, Grenzwert ist 100, für wen ist das denn, für denDurchschnittsmenschen und ist der denn 1,80 m und kerngesund und 25 Jahre?" (FG 8)
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Für die meisten Diskussionsteilnehmer haben Grenzwerte praktisch keine Hand-
lungsrelevanz, einige wenige allerdings richten sich, z.B. wenn es um Überschreitung
von Grenzwerten für die Luftschadstoffbelastung geht, in ihrem Verhalten schon nach
Grenzwerten und den damit verbundenen Handlungsempfehlungen. Nur einige wenige
Teilnehmer haben eine positive Einstellung zu Grenzwerten und meinen, es müsse eine
Grenze, eine effektive Zahl geben, ab der keine Gefahr mehr besteht. Die konkreten
Werte sind den meisten Teilnehmern allerdings nicht bekannt. Für die Skepsis
gegenüber Grenzwerten sind die folgenden Argumente typisch:
• Grenzwerte werden von der Industrie festgelegt bzw. basierten auf wirtschaftlichen
Interessen:"In dem Moment, in dem ich mir Gedanken darüber mache, bin ich skeptisch. In der Pharmazie gibt
es auch Grenzwerte. Viele Arzneien haben Grenzwerte, aber sie sind dann doch schädlich und sodenke ich mir, ist das bei solchen Geschichten auch. Und da muß man ja immer gucken, wer legtsolche Grenzwerte fest. Das ist wohl letztlich die Industrie." (FG 8)
• Grenzwerte sind politische Daten, die willkürlich festgesetzt werden:"Das ist also ein ganz haarige Angelegenheit diese Grenzwerte. Das sind politische Daten. Die
werden willkürlich genommen." (FG 9)
"Ja gut, es gibt aber dann auch diese Grenzwerte bei der radioaktiven Belastung und wenn die radio-aktive Belastung gerade mal etwas höher ist, dann wird halt der Grenzwert ein bißchen raufgesetzt,damit das dann immer noch in diesem tolerierbaren Rahmen ist. Wenn man sich daran hält, dannist die Welt wunderbar und in Ordnung." (FG 9)
• Grenzwerte dienen lediglich der Beruhigung der Öffentlichkeit:"Deswegen halte ich diese Grenzwerte auch, die dienen zur Beruhigung der Bevölkerung, aber ich
halte davon nicht viel." (FG 8)
• Deutsche Grenzwerte sind zu hoch:"Da gibts ja Grenzwerte. Die sind in Schweden bestimmt sehr sehr niedrig angesetzt. Und in
Deutschland sind sie sehr sehr hoch. Ich habe mal gelesen, die Grenzwerte für Elektrisches, diewerden von den praktizierten Elektrikern oft gar nicht angetroffen, weil die da gar nichthinkommen. Aber die sind als Richtwerte oder als Grenzwerte noch angesetzt. So hoch sind die."(FG 11)
• Grenzwerte gelten nur für den Durchschnittsmenschen und bei der Grenzwertfestle-
gung werden nur gesunde Erwachsene als Maßstab genutzt und dabei höhere Emp-
findlichkeit von Kinder oder alten Menschen vernachlässigt:
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"Die MAK-Werte z. B. da wird ein strotzendes Mannsbild als Maß genommen, das 8 Stunden amArbeitsplatz belastet ist, aber wir haben hier auch Kinder und ältere Leute. Also es wird immer dergesundeste Mensch angenommen." (FG 9)
3.1.5 Informationsquellen und Bewertungsressourcen
Informationsquellen
Information zum Thema EMF haben die meisten Diskussionsteilnehmer aus den
Massenmedien (Printmedien, Rundfunk und Fernsehen) sowie in geringerem Maße aus
ihrem Bekanntenkreis. Eine Ausnahme bilden hier allerdings die Elektrosensiblen (FG
1) und die Teilnehmer der Fokusgruppe 'Hochspannungsleitung' (FG 2). Dieser
Personenkreis hat sich für das EMF-Thema einen institutionalisierten Rahmen ge-
schaffen: den Selbsthilfeverein bzw. die Bürgerinitiative. Der Selbsthilfeverein ist für
die meisten Mitglieder ganz offensichtlich der wesentliche Ort zur Information. Hier
werden Informationen gegeben über Schutzmöglichkeiten gegen EMF oder Erdstrahlen
und es werden Erfahrungen über die Wirksamkeit dieser Schutzmaßnahmen ausge-
tauscht. Auch die Teilnehmer der Fokusgruppe 'Hochspannungsleitung' erhalten ihre
Informationen im wesentlichen auf den Mitgliederversammlungen der Bürgerinitiative
gegen die Hochspannungsleitung.
Für alle anderen Fokusgruppenteilnehmer, denen diese institutionelle Einbettung zum
Thema EMF fehlt, sind die Massenmedien die Hauptinformationsquelle. Allerdings hat
keiner dieser Diskussionsteilnehmer bislang von sich aus nach Information über EMF-
Risiken gesucht. Die jeweils verfügbaren Medien werden also nur rezipiert und Informa-
tion über EMF gleichsam 'en passant' mitgenommen. Zu diesem passiven Informations-
verhalten im Widerspruch steht die in den Gruppendiskussionen immer wieder
geäußerte Unzufriedenheit mit der verfügbaren Information zu diesem Thema. Deren
tieferer Grund dürfte allerdings nicht in der Menge an verfügbarer Information liegen,
sondern in der Qualität dieser Information, die in weiten Teilen als unverständlich,
widersprüchlich oder wenig glaubwürdig wahrgenommen wird und evtl. auch darin, daß
keine klaren Aussagen darüber gemacht wurden, was gefährlich und was ungefährlich
ist.
Insbesondere die Unglaubwürdigkeit von Information ist offenbar ein Problem, denn sie
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bezieht sich nicht nur auf die Massenmedien. So bestehen bei den Fokusgruppenteilneh-
mern gegenüber Informationen von Unternehmen und Behörden große Vorbehalte. Un-
ternehmen wird unterstellt, Gesundheitsgefahren zu leugnen oder zu verharmlosen, wäh-
rend bei Behörden oft angenommen wird, daß sie mit Unternehmen unter einer Decke
stecken oder daß sie inkompetent und gleichgültig sind. Auf der anderen Seite sind auch
Bürgerinitiativen und Umweltschutzorganisationen nicht ohne weiteres glaubwürdig, da
ihnen eine Dramatisierung möglicher Gefahren unterstellt wird.
"Staatlichen Stellen würde ich auch nicht glauben, weil die ja irgendwo Interesse auch haben, wirt-schaftliche Interessen vertreten letztlich, die vertreten ja nicht uns, sondern die sind interessiert, daß dieWirtschaft funktioniert. Als Informationsquellen würde ich so Organisationen wie Greenpeace, die sichwirklich damit beschäftigen, die vielleicht dann wieder übertreiben, in eine andere Richtung übertreibenvielleicht, aber solche halte ich schon für glaubwürdig." (FG 8)
"Andere Möglichkeiten sind natürlich, sich Informationen zu holen von diesen Firmen, die in dieser Materiearbeiten, die natürlich/wahrscheinlich positiv gefärbt sind, in derem Sinne. Aber andererseits kann mandann als Contra-Punkt dazu ja hingehen und sich an, ich würde mich jetzt erstmal an den BUND wendenoder an einen Naturschutzbund oder an solche Firmen oder an Bürgerinitiativen so weit sie bekannt sindund mir dann von da noch Informationen holen und die muß man dann, die sind natürlich ein bißchenschwarz gefärbt und da muß man sich dann eine Essenz rausholen für sich selber. Hundertprozentig allesrauskriegen kann man ja nicht, weil jeder argumentiert ja in seine Richtung." (FG 9)
Dem Wunsch nach neutralen Informationsquellen steht die etwas resignative (und nicht
nur auf die EMF-Thematik beschränkte) Einschätzung gegenüber, daß es überhaupt
keine neutralen Informationsquellen gibt. Eine Reihe von Teilnehmern wollen sich in
dieser Situation auf ihre eigene Beurteilungskompetenz verlassen und sich anhand ver-
schiedener, gerade auch gegensätzlicher Meinung zu dem EMF-Thema ein Urteil zu bil-
den, sei es durch Besuch von Podiumsdiskussionen oder durch das Einholen schriftli-
chen Informationsmaterials von verschiedenen Akteuren der EMF-Kontroverse. Offen-
bar erhoffen sich diese Teilnehmer durch die Gegenüberstellung der verschiedenen,
interessengeleiteten Meinungen eine Ausbalancierung der unterschiedlichen Verzerrun-
gen, so daß eine angemessene Urteilsbildung möglich wird.
"Da gibt es nur eine Antwort. Drei Experten, vier Meinungen. Ich gehe hin und nehme halt die Daten undnehme dann für mich halt was, die Fakten die ich beurteilen kann, beurteile ich und die Sachen die ichnicht beurteilen kann, da höre ich mir mehrere Meinungen an und mach daraus Fakten und entscheideletztendlich nach dem Gefühl, welche Fakten für mich wichtig sind und welche nicht." (FG 4)
Natürlich gibt es von dieser generellen Charakterisierung Abweichungen. Beispiels-
54
weise halten einige Teilnehmer solche Medien für seriös, denen man eine hohe
Fachkompetenz zutraut und von denen man deshalb eine angemessene Recherche
erwartet, wie etwa Fachzeitschriften oder technisch-naturwissenschaftliche Beilagen
großer Tageszeitungen. Eine solche Einschätzung wird zwar von anderen Fokus-
gruppenteilnehmern akzeptiert, gegenüber der Information in Fachzeitschriften (z.B.
Funkmagazine) wird aber geltend gemacht, daß diese von normalen Bürgern nicht
gelesen werden.
Ein besondere Rolle in der Kontroverse um EMF-Risiken spielen Experten. Zu besonde-
ren Personen oder Personengruppen, die eine hohe Glaubwürdigkeit besitzen würden
und an die man sich am ehesten wenden würde, um genauere Informationen über EMF-
Gefahren zu erhalten, werden nur in wenigen Fokusgruppen genauere Angaben
gemacht. Bei den Elektrosensiblen (FG 1), den Anwohnern der Hochspannungsleitung
(FG 2) sowie einigen anderen Fokusgruppenteilnehmern (in FG 3 und FG 11) werden
Baubiologen als solche Personen angesehen. In der FG 8 (Funktelefonbenutzer 3) nennt
eine Teilnehmerin Ärzte, insbesondere Hausärzte, als solche Personen, was bei den
übrigen Teilnehmern der Gruppe große Zustimmung findet. Nur ein Teilnehmer dieser
Gruppe würde sich bei seinem Hausarzt nicht über EMF-Gefahren informieren, weil er
davon ausgeht, daß dieser über zu geringe technische Kenntnisse verfügt. Mehrere
Fokusgruppenteilnehmer, die in handwerklichen Berufen arbeiten (in FG 5 und FG 11),
nennen ihre Berufsgenossenschaft als eine vertrauenswürdige Informationsquelle, worin
ihnen andere Teilnehmer jedoch auch widersprechen. Die geringen Nennungen von
besonders glaubwürdigen Personen, die man am ehesten nach Informationen über EMF-
Gefahren fragen würde, zeigt wiederum, daß für die meisten Fokusgruppenteilnehmer
die Massenmedien die wichtigste Informationsquelle sind, um zu einer Bewertung von
EMF-Gefahren zu kommen. Den Wissenschaftlern stehen viele Fokusgruppenteilneh-
mer skeptisch gegenüber. Es wird weiter geäußert, daß man Ergebnissen von wissen-
schaftlichen Studien nicht ohne weiteres trauen sollte, sei es, weil man aufgrund unter-
schiedlicher Sichtweisen bei solchen Studien zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen
kommen könne oder weil der Geldgeber der Studie das Ergebnis der Studie beeinflussen
könne.
"Nicht daß sie irren, weiß ich nicht, aber man ist so im Laufe der Jahre mit Erhebungen und Untersu-chungen so oft an der Nase herumgeführt worden." (FG 6)
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"... das sehr häufig Sachverständige eben auch zweckgerichtete Gutachten erstellen und da wäre vonvornherein auch eine große Skepsis da, da würde ich eben gucken, wofür arbeitet dieser Sachverständige,also einen wahrhaft neutralen Sachverständigen zu finden, finde ich unheimlich schwer, zumal erletztendlich für einen bestimmten Auftraggeber arbeitet, irgendwo auch die persönliche Einstellung eineRolle spielt, wenn man den Ansatz oder andere Dinge anguckt. Ich glaube, das neutral die allerwenigstensind." (FG 11)
Wissenschaftlichen Experten wird auch vorgehalten, daß ihre Information für Laien
unverständlich sei, selbst wenn sie an diese gerichtet sei. Demgegenüber genießen Ärzte
ein deutlich größeres Vertrauen. Viele Fokusgruppenteilnehmer halten den Hausarzt für
eine wichtige und vertrauenswürdige Informationsquelle, die sie bei Bedarf auch kon-
sultieren würden. Allerdings wird auch hier von einem Teilnehmer mit dem Argument
widersprochen, daß der Hausarzt nichts von Technik verstehe.
Bewertungsressourcen
Man kann drei wesentliche Ressourcen unterscheiden, auf die Menschen zurückgreifen,
wenn sie in der Kommunikation mit anderen Personen ihre Meinung vertreten (vgl.
GAMSON 1992):
• Medien;
• persönliche Erfahrungen;
• Alltagsweisheiten und Allgemeinplätze.
Medien, d.h. Printmedien, Rundfunk und Fernsehen, sind im Zusammenhang mit EMF
die wesentliche, tatsächlich genutzte Bewertungsressource. Die Unterschiedlichkeit der
in den Medien verbreiteten Information über die Risiken von EMF findet ihre Ent-
sprechung in der Bewertungsunsicherheit der meisten Fokusgruppenteilnehmer in bezug
auf EMF. Bezüglich des Medienwissens der Fokusgruppenteilnehmer fällt jedoch auf,
wie wenig detailliert dieses in den meisten Fällen ist. Namen von Personen, die am
Expertenstreit über EMF-Gefahren teilnehmen, sind überhaupt nicht bekannt. Es
bestehen höchstens bruchstückartige Kenntnisse zu möglichen schädlichen Quellen,
möglicherweise verursachten Gesundheitsschädigungen oder -beeinträchtigungen (z.B.
daß Gehirnströme aktiviert werden sollen) oder zu Schadensfällen und
Untersuchungsergebnisse, die in Rahmen der öffentlichen Diskussion über EMF-
Gefahren eine Rolle spielen (z.B. zum Gerichtsfall in den USA wegen der Frau, die
56
durch die Benutzung eines Mobilfunkhandies Krebs gekriegt haben soll oder zur
schwedischen Studie über die Erhöhung der Leukämierate, die bei Kindern auftreten
soll, die in der Nähe von Hochspannungsleitungen wohnen). Eine Ausnahme sind hier
natürlich die Teilnehmer der Fokusgruppen 'Elektrosensible' und 'Hochspannungs-
leitung', die ja eine klare Einschätzung der EMF-Problematik haben. Man kann
annehmen, daß dieser Personenkreis Information über EMF-Risiken, die von der
eigenen Bewertung abweicht, sehr selektiv rezipiert und/oder bewertet. Für alle anderen
Diskussionsteilnehmer aber liefern die Mediendarstellungen über EMF nur den Rahmen
für das, was als negative (oder auch positive) Wirkungen von EMF für möglich gehalten
werden kann. Insofern ist die Bedeutung der Medien als Bewertungsressource eher un-
spezifisch. Allerdings wurde mit dem Terminus 'Elektrosmog' in den Medien ein eingän-
giger Begriff (Schlüsselkonzept) geprägt, der Eingang in den Sprachgebrauch vieler
Teilnehmer gefunden hat, und nun als begriffliche Klammer (mit negativer Konnotation)
dient, um die vielfältigen Aspekte von EMF zusammenzufassen. Auch die Nennung von
EMF emitierenden Geräten in den Medien wird häufig nur schlagwortartig registriert.
Ein Teilnehmer beispielsweise berichtet, was er über EMF weiß:
"Eigentlich nur aus den Medien, da sind mir dann höchstens so Schlagworte aufgefallen wie haltMobiltelefon, Babyphon und diese Hochspannungsleitungen über Wohnhäusern"
Die Vermutung liegt nahe, daß die häufige Nennung bestimmter EMF-Geräte wie z.B.
'Handy' oder 'Babyphon' im Zusammenhang mit 'Elektrosmog' zu negativen Assoziatio-
nen zu diesen Geräten führen kann.
Dagegen spielen die bisher in den Medien bekannt gewordenen spektakulären Schadens-
fälle, die EMF zugeschrieben werden, bislang offenbar keine ausschlaggebende Rolle
für die Einschätzung von EMF-Risiken. Der in verschiedenen Fokusgruppen von Teil-
nehmern angesprochene Fall der Frau (in den USA) beispielsweise, die durch telefo-
nieren mit einem Handy Krebs bekommen haben soll und daran gestorben ist, ist zwar
vielen Teilnehmern bekannt, wird aber als aussagekräftiger Beweis für die Gefähr-
lichkeit von EMF (oder speziell von Handies) meist stark relativiert. Es wird argumen-
tiert, daß diese Frau sehr häufig und sehr lange telefoniert habe und deshalb nicht
typisch sei.
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Auch die persönliche Erfahrung als Bewertungsressource ist für die meisten Fokus-
gruppenteilnehmer nur beschränkt von Bedeutung. Zwar berichten eine Reihe von
Teilnehmern über Vorsichtsmaßnahmen, die sie gegen mögliche Gesundheitsschäden
durch EMF ergriffen haben (Radiowecker vom Bett wegstellen etc.), persönliche
Erfahrungen mit EMF-Schäden oder auch nur EMF-Wirkungen sind aber selten. Eine
Ausnahme sind hier natürlich wiederum die Elektrosensiblen und die Anwohner der
Hochspannungsleitung bzw. die Mitglieder der Bürgerinitiative gegen die Hoch-
spannungsleitung, die tatsächlich auf eigene Erfahrung mit EMF verweisen können und
ihre Bewertung von EMF auch (aber nicht ausschließlich) darauf stützen.
Persönliche Erfahrung als Bewertungsressource wird teilweise auch von den Nutzern
von Funkgeräten und Funktelefonen angeführt. Diese verweisen darauf, daß sie solche
EMF-emittierenden Geräte (teilweise) schon seit Jahren benutzen und keinerlei
schädigende Wirkung festgestellt haben. Allerdings ist dieses Argument zur Entlastung
von EMF gegen den Risikovorwurf nur von beschränkter Brauchbarkeit, da das
tückische an der schädigenden Wirkungsweise - und hierauf weisen die Betreffenden
teilweise sogar selber hin - die schleichende und erst später sichtbar werdende Schädi-
gung sei.
In gewissem Umfang kann die direkte und sinnliche persönliche Erfahrung durch medial
vermittelte Erfahrung ersetzt werden, insbesondere durch visuelle Medien wie z.B. das
Fernsehen:
"Da war mal n Fernsehbericht von den Leuten, die immer im Auto sitzen, mit dem Mobiltelefonrumtelefonieren, die ne ganz kurze Antenne haben und die dann in der Nähe vom Auge ist und irgendwiedann grauen Star auslösen soll oder irgendwie sowas, und das will ich nicht grad das auf mich nehmen,weil ich schon ne Brille hab"
Solche Bilder, obwohl sie nicht der eigenen Erfahrung entstammen, machen Situationen
plausibel, für die man sich eine schädigende Wirkung von EMF vorstellen kann.
Alltagsweisheiten und Allgemeinplätze gewinnen in dem Maße für die Bewertung von
EMF an Bedeutung, in dem 'objektive' Standards zur Bewertung der EMF-Problematik
(z.B. allgemein akzeptierte wissenschaftliche Erkenntnis) und individuelle Erfahrung
fehlen. Solche Alltagsweisheiten und Allgemeinplätze können verschiedene Formen ha-
58
ben. Sie können Aussagen sein, die sich durch einen hohen Allgemeinheitsgrad aus-
zeichnen und die oft in Form von kurzen 'Sprüchen' vorgebracht werden. In ihnen wer-
den stabile Bestandteile des Alltagswissens der Allgemeinheit formuliert. Häufig sind es
Basisaussagen über die Welt, die das Thema in besonderer Weise rahmen und diese
Rahmung gleichzeitig rechtfertigen; z.B. für die Rahmung 'Technikfortschritt': "man
kann den Fortschritt nicht aufhalten". Solche Alltagsweisheiten und Allgemeinplätze
sind durch Erfahrungen nur schwer veränderbar, strukturieren aber ihrerseits die Erfah-
rungsbildung, z.B. "der eine sagt so, der andere sagt so", "die große Informationsflut",
"die Technik richtet viel Unheil an".
Eine spezielle Variante von Alltagsweisheiten sind Analogien, die genutzt werden, um
das EMF-Problem zu anderen, bekannten und (subjektiv) einschätzbaren Phänomenen
(Technikrisiken) in Beziehung zu setzen, für die unterstellt wird, daß sie den Teilneh-
mern bekannt bzw. geläufig sind:
"Die Gefahren kann ich eigentlich momentan noch gar nicht einschätzen, als vor hundert Jahren dieVerbrennungsmotoren eingeführt wurden, hielten das auch viele Leute für Teufelszeug"
"Da gibt es heutzutage unheimlich viele Sachen - da gibt es die E-Stoffe im Essen, Dioxan inWaschmitteln"
"Was man so hört, daß ist ungefähr so, wie wir alle vielleicht nicht so genau wissen, wieviel Strahlen ausTschernobyl rübergekommen sind; vielleicht kann mans so bezeichnen, keiner weiß ja genau, waswirklich Sache ist"
Auch durch den Rekurs auf Allgemeinplätze und Alltagsweisheiten und die Nutzung
von Analogien zur Bewertung von EMF können die vorhandenen Unsicherheiten nicht
beseitigt werden. Dies wird auch daran deutlich, daß alle Argumente, gleich auf welche
Ressourcen sie sich stützen, sehr vorsichtig formuliert werden ("sozusagen", "in
Anführungsstrichen", "irgendwie", "ich sag jetzt mal") und häufig mit 'Selbstkorrekturen',
d.h. Zurücknahmen gerade geäußerter Meinungen versehen werden:
"Und daß man sich nicht immer alles bewußt macht - also ich mein', klar man sollte sich das schon bewußtmachen"
3.1.6 Semantische Kennzeichnung - Schlüsselbegriffe für EMF-
59
RisikenIn den Fokusgruppen wurde das Thema 'EMF-Gefahren' (d.h. mögliche Gesundheitsge-
fahren durch die direkte Einwirkung von elektromagnetischen Feldern auf den Men-
schen) mit verschiedenen Oberbegriffen verbunden. Am häufigsten wurden dabei die
Begriffe 'Elektrosmog', 'Elektromagnetische Felder', 'Elektromagnetische Wellen' und
'Elektromagnetische Strahlung' genannt, wobei viele Teilnehmer diese Begriffe auch
nebeneinander verwandten. Sehr selten wurde dagegen der Begriff 'Funkwellen'
genannt. Die Häufigkeit der Nennung dieser Begriffe kann aber auch ein methodischer
Artefakt sein, da bei der Rekrutierung der Teilnehmer der Fokusgruppen und auch zu
Beginn der Diskussion in den Fokusgruppen das zu behandelnde Thema immer mit dem
Begriff 'Elektromagnetische Felder' eingeführt wurde. Die Tatsache, daß viele
Fokusgruppenteilnehmer mehrere Begriffe zur Benennung des Themas 'EMF-Gefahren'
verwandten, läßt aber vermuten, daß eine bestimmte Bedeutungskonstitution, d.h. eine
bestimmte Interpretation des Themas 'EMF-Gefahren' nicht unbedingt fest mit nur einem
bestimmten Oberbegriff zu diesem Thema verbunden sein muß.
In den meisten Fokusgruppen wurde explizit gefragt, was die Teilnehmer mit dem
Begriff 'Elektrosmog' verbinden und ob sie diesen Begriff für eine passende Be-
zeichnung des Themas 'EMF-Gefahren' halten. Diese Fragen wurden sehr unter-
schiedlich beantwortet. Für die Teilnehmer der 7. Fokusgruppe 'Funkgerätebenutzer' war
Elektrosmog ein von ihnen oft verwendeter Begriff, den sie aber nicht mit dem Thema
'EMF-Gefahren', sondern mit Störungen von technischen Geräten untereinander durch
die Emission von elektromagnetischen Feldern verbanden. Die Teilnehmer aller anderen
Gruppen verbanden diesen Begriff jedoch mit dem Thema 'EMF-Gefahren'.
Darüber, ob Elektrosmog eine passende Bezeichnung darstellt, gingen die Meinungen
aber weit auseinander. Für viele Teilnehmer implizierte dieser Begriff die Aussage, daß
EMF-Gefahren in der Tat vorliegen. Einige Teilnehmer hielten Elektrosmog nicht für
eine passende Bezeichnung des Themas 'EMF-Gefahren', weil für sie EMF und der
durch Luftschadstoffe verursachte Smog unterschiedliche Phänomene waren. Andere
Teilnehmer fanden den Begriff 'Elektrosmog' sehr passend, weil sie sich die Präsenz von
EMF so ähnlich wie die Präsenz von Smog vorstellten (d.h. wie eine graue Dunstglocke,
wenn man sie sehen könnte). Wiederum andere Teilnehmer empfanden den Begriff
60
'Elektrosmog' wegen der darin implizierten Analogie zum normalen Smog als zu
harmlos, da für sie EMF-Gefahren eine wesentlich größere Gefahr als Smog darstellen.
Sie zogen den Begriff 'Elektromagnetische Strahlung' wegen der darin implizierten
Analogie zu nichtionisierender Strahlung vor (obwohl sie damit nicht sagen wollten, daß
es sich um das gleiche Phänomen handelt), da nach ihrer Ansicht dieser Begriff eine
größere Bedrohung suggerieren würde als Elektrosmog.
3.1.7 BewertungsproblemeIn praktisch allen Fokusgruppen mit Ausnahme der Elektrosensiblen (FG 1) und der Fo-
kusgruppen 'Hochspannungsleitung' (FG2) sowie der Fokusgruppen 7 und 8 fallen
besonders die vielfältigen Verdeutlichungen bzw. auch die markierten Unsicherheiten
hinsichtlich der Erkennbarkeit bzw. Wahrnehmbarkeit von EMF und in bezug auf den
Umgang mit solchen Phänomenen auf. Es ist den Beteiligten offensichtlich unklar, auf
welchen Wegen die EMF-Problematik überhaupt (z.B. technisch-naturwissenschaftlich
oder leiblich) wahrgenommen, in diskutierbare Aspekte differenziert und in intersub-
jektiv mitteilbare Evidenzen überführt werden kann. Jedenfalls gelten die überkom-
menen Maßstäbe technischer oder wissenschaftlicher Provenienz nicht mehr oder nur
sehr eingeschränkt, um den Beteiligten einen für sie befriedigenden bzw. in ihren Augen
adäquaten Zugang zu dieser Problematik zu ermöglichen. Die Teilnehmer dieser
Fokusgruppen demonstrieren einander durch Einschränkungen, durch die Aus-
druckswahl oder durch andere Markierungen ihre Unsicherheit, Maßstäbe für die
Bewertung der EMF-Problematik ermitteln zu können. Es erfolgt eine permanente
Nebeneinanderstellung von Kriterien, allerdings ohne eine explizite Diskussion darüber.
Akzeptiert wird dadurch auch eine mehr oder weniger willkürliche Anwendung von Be-
wertungskriterien.
Für Teilnehmer der Fokusgruppen 'Elektrosensible' (FG 1) und 'Hochspannungsleitung'
(FG 2) dagegen gelten bereits andere, z.B. auf der eigenen Erfahrung beruhende, Bewer-
tungen von EMF als sicher und gegeben. Umgekehrt ist für die Teilnehmer der Fokus-
gruppen 7 und 8, die praktisch keine EMF-Risiken sehen, die Bewertung von EMF
ebenfalls unkontrovers, insofern die derzeit 'etablierten' Wissenschaftsstandards
weitgehend akzeptiert werden, nach denen keine EMF-Risiken anzunehmen sind.
61
In allen Fokusgruppen werden grundlegende Erkenntnisprobleme direkt oder indirekt
angesprochen. Dabei geht es vor allem um die drei folgenden Bereiche:
• Die Teilnehmer kritisieren herkömmliche Wissenschaftsmodelle und -methoden (z.B.
das kausalistische wissenschaftstheoretische Modell der Naturwissenschaften oder
Prüfmodelle der wissenschaftlichen Statistik); diese Kritik wird in den Gruppen mit
unsicherer Risikoeinschätzung (FG 3 bis 6 und 11) nach und nach deutlicher, in den
Gruppen mit hoher Risikoeinschätzung (FG 1 und 2) herrscht darüber bereits Kon-
sens, in den Gruppen mit geringer Risikoeinschätzung (FG 7 und 8) dagegen wird
Kritik allenfalls angedeutet und z.T. explizit zurückgewiesen.
• Die Teilnehmer bieten ihnen bekannte alternative Konzeptionen der Wahrnehmung,
der Überprüfung oder der Bildung von Handlungsorientierung an, entwickeln sie
oder deuten sie an; alternative Konzeptionen werden klarerweise von den Elek-
trosensiblen (FG 1) und den Teilnehmern der Fokusgruppe 'Hochspannungsleitung'
(FG 2) am prägnantesten formuliert.
• Schließlich entwickelt sich in den Gruppendiskussionen noch eine Suche nach Er-
kenntniskriterien, die den Teilnehmern eine gültige Orientierung gestatten könnte.
Kritik an Wissenschaftsmodellen
Die Darstellung der Standpunkte zum EMF-Komplex wurde vielfach verknüpft mit der
Bekanntgabe des eigenen Kenntnisstandes hinsichtlich wissenschaftlicher und techni-
scher Zusammenhänge. Darin wurde auch stets - außer in der Gruppe der professionel-
len Nutzer (FG 7) - die mangelnden eigenen Beurteilungsmöglichkeiten dieser Zusam-
menhänge angesprochen und die publizistisch verbreiteten kritischen Einwände
kolportiert bzw. zu eigenen gemacht. Dies wurde zu einem beherrschenden Thema der
Gespräche. In einem Gespräch (FG 6) formulieren die Teilnehmer beispielsweise in
kürzester Folge mehrere explizit wissenschaftskritische Einwände:
• Die Wissenschaft trifft Aussagen, die sie kurze Zeit später zurückzieht und ins Gegen-
teil verkehrt.
62
• Die Außendarstellung der Wissenschaft führt zu falschen bzw. verunsicherten Auffas-
sungen bei den Bürgern.
• Die Wissenschaft hat noch keine begründete Auffassung zur Gefährdung durch EMF;
dennoch werden Teilaussagen in die Öffentlichkeit getragen.
• Wissenschaftler werden hoch bewertet, sind aber auch nur Menschen (und deshalb
fehlbar); z.B. berücksichtigen sie oft das Zusammenwirken verschiedener potentiel-
ler Schadensursachen nicht.
• Wissenschaftliche Aussagen widersprechen sich oft diametral.
• Veröffentlichte Statistiken haben aufgrund der arbeitsteiligen Trennung von Wissen-
schaftlern und Statistikern oft keinen Erklärungswert.
• Es erscheinen aufgrund von Unachtsamkeiten falsche wissenschaftliche Ergebnisse in
der Öffentlichkeit und halten sich dort über lange Zeiträume.
In diesen Äußerungen zeigt sich eine grundsätzliche Skepsis an den herkömmlichen wis-
senschaftlichen und wissenschaftlich-technischen Modellen, an der praktischen wissen-
schaftlichen und wissenschaftlich-technischen Arbeit, am Verhältnis von Wissenschaft
und Technik auf der einen und Öffentlichkeit auf der anderen Seite sowie an der
Brauchbarkeit wissenschaftlicher und wissenschaftlich-technischer Aussagen für
gesellschaftspolitische und individuelle Handlungsorientierungen und
Entscheidungsvorgänge. Daraus ergibt sich auch das Interesse an der Diskussion
alternativer Konzeptionen und validerer Erkenntniskriterien.
Alternative Konzeptionen
Die Diskussion der Schwierigkeiten, über wissenschaftliche und technische Modell-
bildungen verläßliche Aussagen zum Gefährdungspotential von EMF zu erhalten, führte
in vielen Gruppen zu Überlegungen alternativer Wahrnehmungs- und Beur-
teilungsmöglichkeiten. In fast allen Fokusgruppen ist hierzu das Phänomen einer
besonderen Elektrosensibilität genannt worden (eine Ausnahme bilden die professio-
nellen Funkgeräte-Nutzer der Fokusgruppe 7).
In diesen Fokusgruppen wurde Elektrosensibilität für einen Teil der Bevölkerung konze-
diert, dies galt jedoch dort lediglich als besonderes Potential für die Entwicklung somati-
scher und psychosomatischer Beschwerden und Erkrankungen (bis hin zur Krebsanfäl-
63
ligkeit). In der Gruppe der Elektrosensiblen (FG 1) wurde dieses Phänomen jedoch
bereits für Wahrnehmung in Anschlag genommen: besonders sensible Personen (zu
denen alle Mitglieder des Selbsthilfevereins zählen) seien in der Lage, elektroma-
gnetische Felder zu orten (z.B. Flugzeuge im Anflug, Mobilfunksendemasten, Hoch-
spannungsleitungen, etc.).
Auch (psycho-)somatische Beschwerden selbst sowie elektrostatische Phänomene
(Haaraufrichtung, Summen von HSL, etc.) werden von diesem Personenkreis bereits als
valide Indikatoren fataler Auswirkungen von EMF dargestellt und behandelt. Weiter
sind dort auch häufig Beschreibungen faktischer Selbstversuche zu finden, d.h. Personen
setzen sich dem EMF-Einfluß aus bzw. vermeiden einen solchen Einfluß und
vergleichen beide Situationen. Solche Beschreibungen eigener Erfahrungen finden sich
auch vielfach in anderen Fokusgruppen.
Als ernstzunehmende Alternativen zu herkömmlichen wissenschaftlich-technischen Er-
kenntnisweisen werden von den Teilnehmern der Fokusgruppen 1 und 2 die Vorgehens-
weisen und Aussagen von Baubiologen angeführt, die verständlich argumentieren und
logische Beweise liefern würden.
Auffällig an der diskursiven Behandlung von Erkenntnisproblemen ist jedoch auch, daß
an den Stellen, an denen Aussagen aus herkömmlichen wissenschaftlichen und
technischen Konzeptionen für die eigene Position opportun sind, solche Aussagen auch
regelmäßig verwendet werden (das gilt auch für die Fokusgruppen 1 und 2, z.B. werden
in einer Bürgerinitiative statistische Risikoberechnungen aus der Versiche-
rungswirtschaft herangezogen oder amerikanische Studien zitiert).
Suche nach Erkenntniskriterien
Die Suche nach Erkenntniskriterien findet sich vor allem ex negativo, d.h. im Ausdruck
von Unsicherheit der Realität dieses Phänomens und seiner möglichen Folgen
gegenüber. Die Gefahr könne nicht richtig eingeschätzt werden; man wisse nicht, wo
man hingehen solle, um Informationen zu bekommen; es werde vermutet, daß EMF
gesundheitsschädlich sei; man könne nur wahrnehmen, was mit den Sinnesorganen
'nachempfunden' werden kann.
64
Gewünscht wird eine tiefergehende Diskussion in technischen Zusammenhängen, dabei
müsse jedoch erst der Ansatz gefunden werden, also klar sein, wo geforscht werden soll.
Eine gegenteilige Auffassung geht davon aus, daß sich aus einem Puzzle von
Informationen ein Untersuchungsansatz ergeben kann.
'Analogien' zu anderen technologischen oder zivilisatorischen Gefahren wie Atom-
energie, Gentechnologie, Rauchen, etc., die durch Analogiebildung Aufschluß über
Erkenntniskriterien geben sollen oder könnten, enden regelmäßig in einer Flaute. Das
liegt daran, daß andere Technologien oder zivilisatorische 'Errungenschaften' für die
Gesprächsteilnehmer einen anderen Realitätscharakter haben: Auswirkungen sind direkt
meßbar, Schäden können eindeutig antizipiert werden, es bestehen in der Gesellschaft
lediglich unterschiedliche Auffassungen hinsichtlich des Ausmaßes der erforderlichen
Sicherungs- bzw. Vorsorgemaßnahmen bzw. deren genereller Möglichkeiten, jedoch
keine größeren Divergenzen erkenntnistheoretischer Art.
3.1.8 Zusammenfassung und Schlußfolgerungen
Betroffenheit
Versteht man 'Betroffenheit' in einem psychologischen Sinne als 'sich subjektiv betrof-
fen fühlen', so lassen sich drei Gruppen von Personen unterscheiden, die in unter-
schiedlichem Ausmaß von dem EMF-Thema betroffen sind:
(a) In hohem Maße betroffen fühlen sich Personen, die bestehende gesundheitliche
Leiden auf EMF zurückführen (Bsp.: Elektrosensible) oder befürchten, durch eine
bestimmte EMF-Quelle geschädigt zu werden (Bsp.: Anwohner einer Hochspan-
nungsleitung oder einer Mobilfunksendeanlage).
(b) Auf der anderen Seite gibt es Personen, für die das Thema EMF persönlich
praktisch keine Bedeutung hat. Gerade unter diesen Personen befinden sich eine
ganze Reihe, die täglich aus beruflichen Gründen Mobilfunktelefone oder Funkgerä-
te benutzen. Hier wird deutlich, daß 'objektive' Betroffenheit durch EMF nicht mit
'subjektiver' Betroffenheit korrespondieren muß.
(c) Für die große Mehrheit der Fokusgruppenteilnehmer ist ein unterschiedliches
Ausmaß an Betroffenheit vom Thema EMF festzustellen, daß aber insgesamt nicht
65
hoch ist. Zwar ist auch diesem Personenkreis die EMF-Problematik bekannt
(Stichwort: Elektrosmog), aber für die meisten bedeutet dies nicht mehr, als daß da
'etwas möglicherweise Gefährliches' ist, ohne daß sie deswegen persönlich ernsthaft
beunruhigt wären. Dies zeigt sich auch darin, daß hier niemand von sich aus
versucht hat, genauere Information über EMF zu bekommen.
Subjektive Gefahreneinschätzung und Gefahrenmodelle für EMF
In bezug auf die Gefahreneinschätzung können drei qualitativ verschiedene Risiko-
einschätzungen unterschieden werden:
(a) Risikoeinschätzung hoch: Diese Risikoeinschätzung vertreten uneingeschränkt nur
die Teilnehmer der beiden Fokusgruppen 'Elektrosensible' und 'Hochspannungs-
leitung'. Die Sicherheit, mit der diese hohe Risikoeinschätzung vertreten wird,
resultiert wesentlich aus den persönlichen Erfahrungen mit EMF. Für die Elek-
trosensiblen bedeutet dies in erster Linie, daß EMF als plausible Ursache für
bestehende Gesundheitsbeschwerden erscheint. Die Anwohner der Hochspan-
nungsleitung berufen sich bei ihrer Risikoeinschätzung wesentlich auf ihre persön-
liche, sinnliche Erfahrung mit Effekten der Hochspannungsleitung (z.B. sichtbare
elektrostatische Aufladungen). Viele Personen aus diesen beiden Fokusgruppen
haben die Erfahrung gemacht, daß Gesundheitsbeschwerden verschwinden, wenn
man sich von der EMF-Quelle entfernt oder Schutzmaßnahmen ergreift. Diese
persönlichen Erfahrungen stärken offenbar die Bereitschaft, die als widersprüchlich
wahrgenommene wissenschaftliche Diskussion um EMF-Risiken als Hinweis auf
deren tatsächliches Vorhandensein zu werten und auch außerwissenschaftlichen
(z.B. esoterischen) Erklärungen zum Thema EMF Glauben zu schenken.
(b) Risikoeinschätzung gering: Dies sind zum einen Personen, die täglich aus be-
ruflichen Gründen mit Funkgeräten umgehen und die einen relativ hohen tech-
nischen Kenntnisstand haben, sowie zum anderen Personen, die zwar keine be-
sonderen Technikkenntnisse haben, die aber glauben, daß es beim Umgang mit
Risiken im wesentlichen auf die eigene, positive Einstellung zur Bewältigung
solcher Risiken ankommt. Typischerweise wird EMF hier auch in Relation zu
anderen Umweltrisiken (z.B. Luftverschmutzung) betrachtet, die deutlich höher
eingeschätzt werden.
(c) Risikoeinschätzung unsicher: Die große Mehrheit der Fokusgruppenteilnehmer - da-
66
runter auch Personen, die selbst ein Mobilfunktelefon benutzen - ist in ihrer Risiko-
einschätzung sehr heterogen und unsicher. Wenn Personen aus diesem Kreis sich
durch EMF bedroht fühlen, so resultiert dies nicht so sehr daraus, daß eine 'reale'
Gefahr gesehen wird, sondern liegt in erster Linie daran, daß diese Gefährdung nicht
ausgeschlossen werden kann. Charakteristisch für die meisten Fokusgruppenteilneh-
mer ist also die Unsicherheit bei der Risikoeinschätzung.
Gefahrenmodell: Die wenigsten Personen haben eine klare Vorstellung, wie eine
schädigende Wirkung von EMF erklärt werden könnte. Eine solche klare Vorstellung ist
für die meisten Personen allerdings auch unwesentlich; bedeutsam ist, daß eine
Schädigung durch EMF nicht ausgeschlossen werden kann. Einzelne Personen rekur-
rieren bei ihrer Erklärung auf physikalische oder biologische Erklärungen, andere
verweisen auf psychische Einflußfaktoren. Weitgehende Einigkeit besteht allerdings bei
allen Personen, daß es in bezug auf EMF bestimmte sensible Lebensbereiche (das
Schlafzimmer), besonders vulnerable Personen (Kinder) und empfindliche Organe (das
Auge) gibt, die als besonders schützenswert, empfindlich oder prekär charakterisiert
werden. Als Randbedingungen, von denen eine mögliche Schädigung durch EMF
abhängen kann, werden genannt: Nähe bzw. Abstand zur EMF-Quelle, Sendeleistung
und Benutzungsdauer. Es wird auch geäußert, daß die Gefährdung durch EMF nicht so
sehr in deren singulärem Gefährdungspotential liege, sondern vielmehr im Zu-
sammenwirken mit anderen Umweltrisiken, also in der Akkummulation von Um-
weltrisiken.
Umgang mit der EMF-Problematik
Der individuelle Umgang mit der EMF-Problematik ist im wesentlichen durch die
eigene Risikoeinschätzung und eine Kosten-Nutzen-Abwägung in bezug auf Schutz-
maßnahmen bestimmt. Diejenigen Personen, die eine hohe Risikoeinschätzung haben
(z.B. Elektrosensible) haben auch in teilweise sehr großem Umfang Schutzmaßnahmen
gegen EMF ergriffen (bspw. besondere Abschirmung elektrischer Leitung usw.).
Umgekehrt haben diejenigen Personen, die in EMF kein Risiko sehen, auch keine
Schutzmaßnahmen ergriffen. Bei den Personen, die sich in ihrer Risikoeinschätzung
unsicher sind, findet sich ein weites Spektrum von Vorsichts- und Schutzmaßnahmen;
z.B. wird das Mobilfunktelefon so wenig wie möglich genutzt oder es werden elek-
67
trische Geräte aus dem Schlafzimmer entfernt. Es ist aber offensichtlich, daß solche
Schutzmaßnahmen von diesen Personen nur dann ergriffen werden, wenn sie ohne
großen Aufwand zu realisieren sind.
In bezug auf den gesellschaftlichen bzw. institutionellen Umgang mit der EMF-
Problematik sind im wesentlichen zwei Meinungen zu hören: Einige Personen vertreten
die Meinung, man könne nicht nur wegen vager Hinweise auf Gefahren auf neue
Technologien und damit auf Fortschritt verzichten. Die überwiegende Mehrheit
allerdings vertritt eine in bezug auf mögliche Risiken eher 'konservative' Haltung, d.h.
sie fordert, vor der Einführung einer Technologie sicherzustellen, daß diese keine
Gefahren birgt, selbst wenn dadurch die Einführung einer Technologie verzögert wird
und Unternehmen ggf. Gewinneinbußen erleiden.
Dort, wo eine konkrete EMF-Quelle als Ursache für Gesundheitsschäden oder -
beeinträchtigungen ausgemacht wird, wie etwa im Fall der Hochspannungsleitung oder
der Mobilfunksendemasten, wird gefordert, diese EMF-Quelle aus Wohngebieten zu
entfernen.
Grenzwerte sind bei der staatlichen Regulierung von Risiken von besonderer Be-
deutung. Es zeigt sich allerdings, daß es bei Grenzwerten Verständnisprobleme gibt und
sie mit Skepsis betrachtet werden, z.B. weil die Setzung von Grenzwerten als willkürlich
empfunden wird oder sie nicht aussagekräftig für besonders gefährdete Personengruppen
wie Kinder oder alte Menschen angesehen werden.
Informationsquellen und Bewertungsressourcen
Die wesentliche Informationsquelle in bezug auf die EMF-Problematik sind die
Massenmedien (Printmedien, Rundfunk und Fernsehen). Lediglich für diejenigen
Personen, die sich im Selbsthilfeverein 'Elektrosensible' oder in der Bürgerinitiative
gegen die Hochspannungsleitung organisiert haben, sind diese Organisationen die
Hauptinformationsquelle.
Alle anderen Personen rezipieren zwar (in mehr oder weniger großem Ausmaß)
Information zur EMF-Problematik, wenn darüber in den Massenmedien berichtet wird,
68
suchen aber von sich aus nicht aktiv nach Information. Die zum Thema EMF in der
Öffentlichkeit verfügbare Information wird in weiten Teilen für unglaubwürdig
gehalten. Diese Einschätzung beschränkt sich nicht nur auf die Massenmedien, sondern
auch auf Information, die von Behörden, Unternehmen oder Wissenschaftlern gegeben
wird. Aber auch Naturschutzverbände werden nicht ohne weiteres als vertrauenswürdige
Informationsquellen eingestuft.
In der Kommunikation über das EMF-Thema wird auf drei Bewertungsressourcen zu-
rückgegriffen:
• Die Medien liefern im wesentlichen den Rahmen für das, was als negative (oder posi-
tive) Effekte von EMF in der Öffentlichkeit für möglich gehalten wird. Mit
eingängigen Begriffen wie z.B. 'Elektrosmog' schaffen sie eine begriffliche
Klammer, unter welche die vielfältigen Aspekte von EMF zusammengefaßt werden
können.
• Persönliche Erfahrung spielt - mit Ausnahme derjenigen Personen, die sich unmittel-
bar durch EMF geschädigt (Elektrosensible) oder durch eine spezifische EMF-
Quelle (z.B. Hochspannungsleitung) bedroht fühlen - nur eine untergeordnete Rolle.
Lediglich wenn mit dem Nutzen von EMF-Geräten (z.B. Handies) argumentiert
wird, verweisen Personen auf ihre diesbezüglichen Erfahrungen.
• Alltagsweisheiten und Allgemeinplätze bekommen in Situationen, in denen 'objektive
Standards' (z.B. allgemein akzeptierte wissenschaftliche Befunde) fehlen, eine
besondere Bedeutung. Sie bieten eine allgemein geteilte Grundlage, auf die man sich
bei der Bewertung, z.B. von EMF, beziehen kann. Auch Analogien - als eine
spezielle Variante von Alltagsweisheiten - werden bemüht, um Wissen und
Bewertungen aus Bereichen, die als bekannt unterstellt werden, auf EMF zu
übertragen.
Bewertungsprobleme
In allen Fokusgruppen wurden direkt oder indirekt Themen angesprochen, die sich in
grundlegender Weise mit den Schwierigkeiten einer sicheren Einschätzung von EMF-
Risiken befassen. Vor allem wurden drei Problemfelder diskutiert:
• Herkömmliche Wissenschaftsmodelle und -methoden wurden kritisiert, vor allem von
Personen, die EMF für in hohem Maße gefährlich halten und diese Einschätzung in
69
der 'etablierten' Wissenschaft nicht bestätigt finden.
• Alternative Wahrnehmungs- und Beurteilungsmöglichkeiten von EMF, wie sie z.B.
von Baubiologen vertreten werden, werden vorgeschlagen.
• Es wird nach neuen Erkenntniskriterien gesucht, die zur Bewertung der Risiken von
EMF herangezogen werden können. Allerdings findet diese Suche nur im Sinne
einer Aussonderung von traditionell als gültig erachteten Kriterien (z.B. sinnliche
Wahrnehmbarkeit von Risiken) statt und nicht als Ausweisen neuer und
brauchbarerer Kriterien.
3.2 Interaktiver Aspekt der Bedeutungskonstitution
3.2.1 AusgangslageDie Diskussion um EMF befindet sich gegenwärtig noch in einem Frühstadium der Aus-
einandersetzung: Es gibt einen stark expandierenden Wirtschaftszweig, der mit dem
Thema EMF assoziiert ist (Mobilfunk). Es gibt lokal organisierten Widerstand gegen
einzelne Objekte, die mit EMF in Zusammenhang gebracht werden, und es gibt
uneinheitliche, punktuelle Berichterstattung über Gesundheitsgefahren durch EMF.
Bei der Betrachtung einer solchen Phase gewinnen Prozesse, in denen sich die Mei-
nungsbildung über EMF vollzieht, besondere Bedeutung. Wir gehen davon aus, daß
solche Prozesse der Meinungsbildung nicht nur das Äußern von festgefügten Positionen
und Ansichten beinhalten, sondern, daß sie geprägt sind von zufälligen Begegnungen,
aufgeschnappten Informationen, eindrucksvollen Schilderungen, unklaren Deutungen
eigener Erfahrungen, von subjektiven Präferenzen für bestimmte Nachrichtenquellen,
von Sympathien für Berichterstatter, persönlichen Solidaritäten mit Anderen in
Gruppensituationen etc.
Prozesse der Meinungsbildung sind mithin in der zur Debatte stehenden Phase der
Auseinandersetzung um EMF in hohem Maße von den kommunikativen und sozialen
Ereignissen geprägt, in denen und anhand derer sie sich vollziehen.
Wer sich ein Bild von der gegenwärtigen Diskussionslage über EMF in der Öffent-
70
lichkeit machen möchte, tut gut daran, den sozialen Prozessen, in denen sich die
Meinung Einzelner zum Thema EMF entwickelt und ggf. kristallisiert, sein Augenmerk
zu schenken. Es muß dann methodisch darum gehen, Situationen zu simulieren, in denen
solche Prozesse der Meinungsbildung beobachtbar werden. Dies gelingt mit Hilfe von
Fokusgruppen (siehe Kap. 2.1).
Als Ausgangspunkte bei der Interaktionsanalyse der Meinungsbildung in Fokusgruppen
zu EMF dienten Erfahrungen aus der Diskussion in anderen Bereichen
gesellschaftspolitischer Diskussionen um technologische Themenkreise, z.B. der
Diskussion um die Ansiedlung von Müllverbrennungsanlagen (vgl. NOTHDURFT
1992).
3.2.3 Ablauf der MeinungsbildungFokusgruppengespräche über EMF sind, wie alle natürlichen Gespräche, nicht als
Abfolge von Aussagen einzelner Teilnehmer organisiert, geschweige denn als logische
Abfolge zentraler Statements zum Thema. Vielmehr wird in diesen Interaktionen der
Gegenstand, das Thema, von den Beteiligten erst allmählich hergestellt, es werden Auf-
fassungen formuliert, bestritten, bestätigt, oder es werden einzelne Begriffe eingebracht
und diskutiert. Im Laufe der Gespräche können sich die gerade von den Beteiligten
mühsam erarbeiteten Auffassungen auch wieder verschieben und auflösen. Oder sie
werden unmerklich von anderen Auffassungen abgelöst oder gar durch ein Bewußtsein
von Ungewißheit ersetzt. Betrachtet man solche Gesprächsverläufe der
Meinungsbildung in ihrer Gesamtheit, so lassen sich drei Gesprächstypen unterscheiden:
• Gesprächstyp I umfaßt die in Gruppen wie Bürgerinitiativen oder Selbsthilfevereinen
organisierten Gegner eines unbeschränkten Umgangs mit EMF. Personen, die diesen
Gruppen angehören, haben aufgrund ihrer institutionellen Organisiertheit
Verpflichtungen hinsichtlich ihres Standpunktes (Standpunktverpflichtete
Personen).
• Gesprächstyp II umfaßt von der Diskussion um EMF nicht betroffene Bürger und
Gruppen von Nutzern von Funktelefonbenutzern sowie nichtorganisierte Anwohner
71
von Mobilfunksendemasten. Personen dieser Gruppen haben keine institutio-
nalisierten Standpunktverpflichtungen (Nichtbetroffene).
• Gesprächstyp III umfaßt nicht organisierte professionelle Nutzer von Geräten mit
elektromagnetischen Feldern (z.B. Funkgerätebenutzer bei Polizei und Feuerwehr
etc.). Personen dieser Gruppen haben aufgrund ihrer professionellen Kenntnisse
stabile, selbstbestätigende Auffassungen (professionelle Nutzer).
Typischer Gesprächsverlauf bei Standpunktverpflichteten (Typ I)
Das Gespräch beginnt damit, daß die Teilnehmer nacheinander und einander ergänzend
Beschwerden schildern, die sie durch die Auswirkungen von EMF meinen erfahren zu
haben. Von diesen Berichten leiten sie dazu über, die Beweggründe der Gründung ihrer
Vereinigung bzw. ihres Beitritts zu dieser Vereinigung und die organisatorischen
Aspekte der Gründung darzustellen. Diese Beweggründe liegen meist in
Schlüsselerlebnissen der Art, daß sie eigene Beschwerden oder Häufungen kritischer
Erlebnisse in ihrer unmittelbaren sozialen Umgebung mit den Auswirkungen von EMF
in Verbindung gebracht haben.
Ihre Position zur Frage, ob EMF schädlich sei, ist bei all diesen Schilderungen schlicht
vorausgesetzt: EMF ist schädlich. Für diesen Standpunkt werden in regelmäßigen Ab-
ständen Belege vorgebracht. Die Belege sind dabei von vielfältiger Herkunft:
• Es werden kritische Stimmen aus Wissenschaft und Technik zitiert,
• es werden technologiefreundliche Forschungsergebnisse ad absurdum zu führen ge-
sucht,
• es werden Analogien zu anderen Technologien sowie zu katastrophalen Ereignissen
bei anderen Technologien hergestellt und
• es werden generell gültige wissenschaftliche Denk- und Vorgehensweisen problemati-
siert und alternative Konzeptionen herangezogen.
Im Zuge dieser gemeinschaftlichen Argumentationen unterstützen sich die Gesprächs-
teilnehmer wechselseitig. Sie ergänzen sich, helfen einander bei Formulierungen und
Argumentationsweisen. Die Argumente der verschiedenen Teilnehmer werden mitein-
72
ander verknüpft. Und sie werden durch das gesamte Gespräch hindurch mit einer
inneren, linearen Logik versehen. Ein wichtiges Merkmal dieser Logik ist ihre Un-
erschöpflichkeit: die Teilnehmer könnten, wenn das Gespräch nicht vom Fokusgrup-
penmoderator beendet würde, immer weiter über dieses, sie bedrängende Thema reden.
Typischer Gesprächsverlauf bei Nichtbetroffenen ( Typ II)
Ein Gespräch Nichtbetroffener beginnt damit, daß die Teilnehmer auf Aufforderung des
Versuchsleiters hin ihre persönliche Einstellung zum Themenkomplex EMF
wiedergeben. Die Teilnehmer formulieren ihre Einstellung als 'Position', d.h. als
feststehende Auffassung bzw. Standpunkt. Sie kennzeichnen gesundheitliche Ge-
fährdungen durch EMF entweder als ausgeschlossen, gering, möglich, als wahrschein-
lich oder als sicher. Die Darstellungen dieser Standpunkte werden abgeschlossen mit
nachdrücklichen Formulierungen (z.B. "das ist meine Meinung"; "so ist das"). Als Beleg
der jeweiligen Auffassung werden vielfach medienvermitteltes Wissen oder auch Allge-
meinplätze, in einzelnen Fällen auch persönliche Erfahrungen wiedergegeben.
Bereits in der zweiten Runde des Gesprächs jedoch beginnt sich die vermeintliche
Sicherheit der jeweiligen Standpunkte aufzulösen. Da bereits die Darstellungen der
ersten Runde wechselseitig Widersprüche aufweisen, müssen diese Widersprüche
behandelt werden. Die Teilnehmer versuchen Konfliktpunkte zu meiden und auf andere
Themen bzw. Themenaspekte auszuweichen. Wo sie dennoch Widersprüche behandeln,
reden sie oft an der jeweiligen Stelle eines Gesprächs gegen eine andere geäußerte
Auffassung. Sie halten aber im weiteren Verlauf des Gesprächs weder den Kritikpunkt,
noch ihre konträre Auffassung konsistent aufrecht - auch diese Positionen lösen sich also
auf.
Ein zentraler Punkt, um den das Gespräch immer wieder kreist, ist die Frage danach, wie
man mögliche Gefährdungen durch EMF überhaupt wahrnehmen und (wissenschaftlich-
technisch) beweisen kann. Die Beteiligten kommen im Verlauf ihrer Ausführungen
immer wieder darauf zu sprechen, wie unsicher die Aussagen zu EMF sind. Sie
kritisieren Wissenschaft und Technik allgemein und verweisen auf ihnen bekannte
alternative Wahrnehmungs- und Erkenntnismöglichkeiten.
73
Bei all diesen Diskussionspunkten laufen die jeweils angesprochenen Themen und
Themenaspekte sehr schnell auseinander. Die Beteiligten werfen in kurzer Folge neue
Aspekte ins Gespräch, die ohne längerfristigen inneren Zusammenhang sind. Die
Argumente verschiedener Teilnehmer bleiben unverknüpft und gehen ins Beliebige.
Dadurch ergeben sich auch viele Flauten im Gespräch. Die Bemühungen der Teil-
nehmer, solche Flauten zu überwinden, werden mit der Zeit immer weniger und das
Gespräch erschöpft sich nach und nach.
Typischer Gesprächsverlauf bei professionellen Nutzern (Typ III)
Auch professionelle Nutzer beginnen das Gespräch, indem sie ihren jeweiligen
Standpunkt vortragen. Dieser Standpunkt wird in der Regel von allen Teilnehmern
einhellig geteilt: Gefahren durch EMF sind, bei vernünftigem Umgang, aufgrund der
physikalischen Eigenschaften nicht zu befürchten. Dabei bedeutet 'vernünftiger
Umgang', daß man sich nicht extremen Situationen aussetzen sollte (also z.B. sich
stundenlang unmittelbar vor einem Mobilfunksendemast aufhalten).
Im folgenden entwickeln sich Diskussionen anhand minimaler Auffassungsunterschiede
was einzelne Aspekte anlangt, wie z.B. Dauer und Häufigkeit von Aufenthalten bei
EMF-Quellen, Nähe und Empfänglichkeit, etc. Die Auffassungsunterschiede bleiben oft
bestehen, werden aber als marginal gekennzeichnet.
Auch hier, wie bei den Betroffenengruppen, sind die Themenaspekte durch eine lineare
Logik verbunden, die sich durch das gesamte Gespräch hindurchzieht, die Sachbeiträge
sind sowohl am Ort ihrer Äußerung als auch übergreifend kohärent mit den Beiträgen
des jeweiligen Redners und denen seiner Partner verknüpft. Die Sicherheit des
Standpunktes zum Themenkomplex EMF sorgt in diesem Fall jedoch dafür, daß sich die
Teilnehmer bald zu fragen beginnen, was denn noch gesagt werden könne, das Gespräch
gerät in eine Flaute und endet schließlich damit, daß keiner der Teilnehmer über das
hinaus, was bereits gesagt worden ist, meint, noch sinnvolle Beiträge machen zu können.
74
3.2.4 Umgang mit Positionen und Positionsentwicklung bei den
NichtbetroffenenDadurch, daß im weiteren Verlauf der Fokusgruppen auch grundsätzlich unterschiedli-
che Auffassungen aufeinandertreffen, werden alle Positionen jeweils durch andere
geäußerte Standpunkte wechselseitig problematisiert, d.h. in ihrer Geltung in Frage
gestellt. Es gibt zu Beginn keine feste, gemeinsame Gruppenauffassung2. Es gilt daher
zunächst, die Standpunkttoleranzgrenzen der jeweils anderen Teilnehmer auszuloten.
Und es gilt, die eigenen Standpunkte zu kritischen Standpunkten in ein angemessenes
Verhältnis zu setzen. Es geht darum,
• den eigenen Standpunkt zu stützen,
• den eigenen Standpunkt zu prüfen und ggf. zu modifizieren,
• abweichende Standpunkte einzubeziehen.
So entsteht eine 'standpunktoffene' Situation. Nach der ersten Phase von Meinungs-
äußerungen erfolgt die weitere Themenentwicklung in zwei unterschiedlichen Formen,
als Diffusion von Positionen oder als Aushandlung der Bedeutung der Positionen.
Diffusion von Positionen
'Diffusion von Positionen' bedeutet, daß die Beteiligten wesentlich darauf hinwirken, ge-
gen geäußerte Auffassungen zum Thema Einwände vorzubringen, Bedenken anzu-
melden und Zweifel zu signalisieren. Charakteristischerweise führt dies nicht zu einer
Neuformulierung einer Auffassung oder Meinung auf nun gesichertem Niveau.
Vielmehr passiert nun wieder das Gleiche. So bleibt es bei der Gegenüberstellung von
Position und Einwand, etc., so daß Unsicherheit und Zweifel an der Geltung jeder
Positionen offenbar wird.
Eine wesentliche Rolle für Diffusionsprozesse spielen Selbstkorrekturen und Selbst-
2 Aus diesem Grund werden auch die später dargestellten gesprächsdynamischen Prozesse besonders
wichtig: einander i.d.R. nicht bekannte Personen müssen darauf achten, die jeweiligen Integritätsgrenzender anderen nicht zu verletzen.
75
einschränkungen d.h. Formulierungen, mit denen die Teilnehmer geäußerte Positionen
wieder zurücknehmen bzw. 'aufweichen':
"Ich verbinde das mit der Vorstellung ... - wobei ich kein guter Physiker war in der Schule muß ich dazusagen"
"Aber muß halt irgendwo son Eichmaß setzen wo man sagt das ist für mich persönlich noch annehmbar -aber wer kann das für sich sagen"
"Es muß erreicht werden daß die breite Öffentlichkeit die Möglichkeit hat sich über diese Dinge zuinformieren - aber wo soll man hingehen mit dieser Fragestellung"
"Warum wird man nicht sensibler dafür, wenn also in Norddeutschland, wie heißt dieses Kraftwerk dort, woden Kindern die Haare ausfallen und die Kinder Leukämie kriegen - es ist ja immer noch nichtnachgewiesen, daß es von dem Kraftwerk kommt, aber trotzdem müssen Leute in dieser Region lebenoder bleiben dort; warum wird da nichts unternommen"
Solche Diffusionsprozesse führen im Gespräch, das ja durch Bemühen der Beteiligten
um Beseitigung von Unklarheit angeleitet ist, zum Gegenteil. Es entwickelt sich eine
zunehmende Unklarheit der Sachlage und Unsicherheit der Auffassungen. Das Ende ist
Konfusion.
Diffusionsprozesse scheinen immer dann aufzutreten, wenn sich zwischen den Teilneh-
mern eine Art Beziehungsrivalität (s.u.) entwickelt. In solchen Fällen attackieren sie ge-
äußerte Positionen, was unter Randbedingungen allgemeiner Unsicherheit immer
möglich ist, um über solche Attacken sich persönlich zu profilieren.
Aushandlung der Bedeutung von Positionen
Während bei der Diffusion von Positionen eine Auffassung gleichsam zerredet wird,
kommt es bei der 'Aushandlung von Bedeutung' zu einer von den Teilnehmern
gemeinsam hergestellten wechselseitigen Bestätigung, Unterstützung, Präzisierung und
Sicherung einer geäußerten Auffassung. Solche Prozesse sind dadurch geprägt, daß die
Teilnehmer im Duktus von (Selbst-)Sicherheit sprechen oder ihren Standpunkt mit Hilfe
anderer Teilnehmer präzisieren. Dabei kann es leicht zu Verschiebungen auf andere
Themenaspekte kommen.
76
Beispiel:A: "und deswegen bin ich mir nicht so sicher obwohl ich natürlich schon also hm also ne Vermutung habe daß es
gesundheitsschädlich sein könnte"B: "Vermutung"A: "ja"B: "daß es dein Wohlbefinden irgendwie beeinflußt so"A: "jaha"B: "dein Unterbewußtsein"A: "ja mehr unterbew- ja genau"C: "aber kann es da nicht sein daß es gerade in Streßsituationen ... dann vielleicht"A: "ja hm"C: "intensiver"B: "Abwehrmechanismen durch den Streß irgendwie bißchen herabgesetzt"C: "überhaupt die Abwehrkräfte sind ja unter Streß sowieso niedriger auch"A: "ja"
Fokusgruppen der Typen I und III (standpunktverpflichtete) sind wesentlich durch
solche Aushandlungen der Bedeutung von Positionen gekennzeichnet. Sie kommen aber
auch, wenngleich sie hier nicht prägend sind, im Gesprächstyp II vor. Auffälligerweise
erfolgen solche Aushandlungsprozesse v.a. um Positionen, in denen die Gefahr EMF
verneint oder gering eingeschätzt wird oder in Fällen, in denen einer der Teilnehmer die
Gefahr EMF globalisiert hatte.
3.2.5 TeilnehmerbeziehungDie thematische Entwicklung in den Fokusgruppen und die Meinungsbildung der
einzelnen Teilnehmer hängt ganz wesentlich von der personellen Zusammensetzung der
Gruppen und vor allem von den sich entwickelnden Sozialbeziehungen der Teilnehmer
ab. Die Sozialbeziehung bestimmt insbesondere, wie die Teilnehmer thematisch
aufeinander eingehen.
In Fällen, in denen die Teilnehmer sich untereinander bereits kannten, spielten Vorver-
ständigung und gegenseitige Rücksichtnahme ein wesentliche Rolle dafür, wie die Teil-
nehmer mit den Positionen der anderen umgingen. Bei institutionalisierten Gruppen ist
der Korpsgeist sehr hoch und verpflichtet die Gruppenmitglieder zur wechselseitigen
Zustimmung. Bei der Gruppe der Elektrosensiblen geht das z.B. so weit, daß sie sich
sogar eklatant divergierende Darstellungen bestätigen: auf die Frage, wieviel Prozent der
77
Bevölkerung der BRD elektrosensibel seien, reichte der Antwortbereich von 5% bis
80% - alle Angaben wurden dennoch von den jeweils anderen zustimmend ratifiziert.
Standpunktverpflichtete Gesprächsteilnehmer (also die Kritiker aus den Gruppen der
Elektrosensiblen bzw. der Bürgerinitiative (Gesprächstyp I) sowie die professionellen
Nutzer (Gesprächstyp III)) neigen zur gemeinsamen, einseitigen, sich bestätigenden
Anhäufung von Darstellungsinhalten in beinahe chorischer Qualität (s.u. Solidaritäten).
Bei den Nichtbetroffenen (Gesprächstyp II) scheint es dagegen zunächst einmal darum
zu gehen, eine gemeinsame Basis erst einmal auszuarbeiten. Kontrastierungen und Über-
trumpfungen dienen dazu, die Grenzen der Gesprächspartner auszuloten. Nicht-
betroffene neigen dazu, ihre Auffassungen stärker gegenüberzustellen, oder versuchen,
sich gegenseitig zu übertrumpfen (s.u. Rivalitäten). In der Summe ergibt dieses
Gesprächsverhalten jedoch eher einen Brei, den die Nichtbetroffenen anrühren (Im
Unterschied dazu häufen standpunktverpflichtete Gruppen ihre Argumente auf). Eine
abschließende Meinungsbildung ist bei Nichtbetroffenen in Bezug auf die EMF-
Problematik nicht so leicht möglich. Es gibt nicht den 'eigentümlich zwanglosen Zwang
des besseren Arguments'.
Solidaritäten
Bestehen zwischen den Mitgliedern einer Fokusgruppe überdauernde Sozialbezie-
hungen, so wirkt sich dies auf den Umgang der Teilnehmer mit geäußerten Meinungen
zum Thema EMF aus wie auch auf die Dynamik der Themenentwicklung. Der Umgang
miteinander ist durch starke gegenseitige Unterstützung, Bestätigung und Bekräftigung
gekennzeichnet. Wir sprechen deshalb von einem 'solidarischen' Umgang. Dies gilt
insbesondere für jene Fokusgruppen, deren Teilnehmern eine hohe
Standpunktverpflichtung gemein ist (Gesprächstyp I).
Der solidarische Umgang miteinander prägt insbesondere die Art und Weise, in der die
Beteiligten aneinander anschließen und die Rahmungen, mit denen sie ihre Beiträge ver-
sehen. Deutlich wird dies in den Einleitungspassagen ihrer Beiträge.
Beispiel:
78
• "Ne, kann ich da gleich anknüpfen ..."
• "Das kann ich bekräftigen"
• "Es ist ja auch so ..."
Eigene Redebeiträge werden als Illustration dessen, was ein Vorredner gesagt hatte, ge-
rahmt, als Belege, als Ergänzungen, als bestätigende eigene Erfahrungen, es wird über
unterstützende Studien berichtet. Auffällig ist, daß solche Äußerungen eigens in ihrer
unterstützenden Funktion auch explizit thematisiert werden. Es kommt insgesamt zu
einer differenzierten, aspektreichen Darstellung des Themas EMF, zu der die
verschiedenen Mitglieder der Fokusgruppe wie in einem konzertierten Zusammenspiel
beitragen. An diesem Zusammenspiel sind fast alle Mitglieder der Fokusgruppe in
gleichem Ausmaß beteiligt.
Rivalitäten
'Widersprechen' kommt in Gesprächen des Gesprächstyps II nicht so sehr aufgrund ver-
schiedener inhaltlicher Auffassungen bzw. kontroverser Positionen zustande. Vielmehr
ist es Ausdruck von Rivalitäten um einen exponierten Status in der jeweiligen
Fokusgruppe, aufgrund von Gereiztheit über Darstellungsweise oder -länge des gerade
aktuellen Sprechers, Verletzung über eine Bemerkung, oder auch aufgrund des
'Widersprechens um jeden Preis'. Es gibt Fälle von Rivalitäten, in denen der Rivale eines
Sprechers sich ganz offenbar nur deshalb zu Wort meldet, um die Äußerung seines
Rivalen nicht unkommentiert zu lassen.
Beispiel:
Ein Elektromeister präsentiert als Kriterium für die (Un-)Gefährlichkeit die Beurteilung
durch die Berufsgenossenschaft.
"Ich glaube, daß die Berufsgenossenschaft, wenn dieses Gerät gefährlich wäre, für ihre Leute dieses Gerätverbieten würde"
Er grenzt sich dann ab gegen die neben ihm sitzende Teilnehmerin, die "als Hausfrau
und Mutter, die gerne kocht", solche Kenntnisse nicht habe. Diese protestiert gegen diese
79
Rollenbeschreibung und formuliert im Zuge ihres Protestes ein Gegenargument gegen
sein als sicher dargestelltes Beurteilungskriterium:
"Blutplasma war schädlich und ist auch in Umlauf gekommen, und viele Leute haben jetzt Aids, das wußtendie, die haben das in Umlauf gebracht"
Der allgemeine Effekt von Rivalitäten ist, daß thematisch randständige Aspekte, z.B.
einzelne Veranschaulichungen oder Beispiele, ein thematisches Eigengewicht bekom-
men. Sie führen zu einem Zerreden des eigentlichen Themas und zu Konfusion.
3.2.6 Meinungsführerschaft und RollenprofilierungDie Gespräche in den Fokusgruppen sind soziale Ereignisse, die in ihrem Ablauf und
Gehalt wesentlich auch davon bestimmt sind, wie die Beteiligten sich in Bezug auf das
Thema EMF verstehen und welche Rolle sie einzunehmen suchen: die des Experten,
des kritischen Mahners, des blutigen Laien, etc.. Von diesem Selbst- bzw. Rollenver-
ständnis (Profilierung) hängt ab,
• in welcher Weise sie sich an einem Gespräch beteiligen,
• wie ihre Beiträge auf andere wirken und
• wie sie die Beiträge der anderen verarbeiten.
Das Rollenverständnis ist somit in mehrfacher Hinsicht für die Prozesse der Meinungs-
bildung in den Fokusgruppen wesentlich. Von besonderer Relevanz für Prozesse der
Meinungsbildung sind Rollen, die mit Meinungsführerschaft verbunden sind. Es zeigt
sich bei unseren Analysen allerdings, daß es offenbar keinen Typus der Themen-
behandlung und Selbstdarstellung gibt, der durchgängig über alle Gruppen hinweg
bestimmend für die Meinungsbildung in einer Gruppe (oder auch nur für Einzelne) ist.
Dafür, daß Meinungsführerschaft nur in geringem Maße festgestellt werden konnte,
lassen sich drei Ursachen angeben:
• Es gibt offenbar bei den Beteiligten kein soweit ausgebautes verstärktes Interesse am
Thema EMF, daß sie auf eine ihren Interessen-Horizont übersteigende Darstellung
'anspringen' würden.
80
• Das Thema EMF wird so ausdifferenziert bzw. diffus diskutiert, daß eine Profilierung
allein nicht alle thematischen Aspekte abdecken könnte.
• Es bildet sich keine homogene 'Gefolgschaft' heraus, die auf einen Typ Meinungsfüh-
rung besonders hört.
Aus diesen Gründen ist es notwendig, bei der Beschreibung von Meinungsführerschaft
stets mitanzugeben, unter welchen Rahmenbedingungen sich diese einstellen kann.
Rollentypen
Es zeigt sich, daß den verschiedenen Rollen je spezifische Thematisierungsweisen des
Sachverhalts EMF entsprechen. Die Rollenspezifizierung erfolgt gerade über die Art
und Weise der Themenbehandlung. Solche charakteristischen Weisen der Themenbe-
handlung sind nur teilweise über Verbatim-Protokolle wiederzugeben. Wesentlich für
sie ist gerade die intonatorische Ausgestaltung des Sprechens - der besorgte Tonfall des
'Zuständigen', das lässige Dahin-Gesprochen-Werden des 'Hedonisten', die morali-
sierende Sprechweise der 'Mutter-mit-Kind'. Gleichwohl können Verbatim-Protokolle
die in den Daten beobachteten Profilierungen in gewissem Maße veranschaulichen:
• Da gibt es den Pragmatiker, der EMF wesentlich unter Kosten-Nutzen-Gesichts-
punkten sieht und für individuelle Abwägung der Vorteile gegenüber möglichen
Risiken plädiert. Meist handelt es sich um Menschen, die Mobilfunktelefone für
geschäftliche Zwecke benutzen.
"Die Sache mit den Mobilfunktelefonen da muß man halt einfach abwägen die Gefahr mitBewußtsein das heißt also daß irgendwo Leute versuchen Kausalzusammenhänge zwischen diesenSendern und Tumoren hinters Ohr zu setzen und zu sagen wenn ich erreichbar sein will muß ichdas irgendwo machen und ich hol mir son Teil."
Im folgenden Beispiel nimmt der Pragmatiker geradezu in Anspruch, aufgrund seiner
abwägenden Haltung gegen mögliche Gesundheitsgefahren gefeit zu sein:
"Damit umzugehen da ist ne Gefahr aber ich entscheide mich aus den und den Gründen näh es doch
81
zu tun und die Gefahr insofern miteinzugehen aber es dadurch auch nicht gefährlich werden zulassen indem man es bewußt miteinnimmt."
Eine solche Haltung kann sich in Gruppen/Situationen durchsetzen, die durch ein
Fehlen von Moralisierung gekennzeichnet sind. Tritt Moralisierung auf, hat der
Pragmatiker mit dem Vorwurf von egozentrischem, an finanziellen Interessen
ausgerichtetem Handeln zu kämpfen.
• Da gibt es den (jugendlichen) Hedonisten, der die Bequemlichkeit schnurloser
Telefone betont und für den ein Handy wesentlicher Bestandteil seines Lebens-
gefühls darstellt. Er ignoriert aus einer Haltung akzentuierter Leichtlebigkeit das
Risikothema.
"... ich mir jetzt vor nem halben Jahr selber son Schnurloses angeschafft hab für meine Wohnung
weils mir mit dem Kabel so hin und her ziemlich stressig gewesen ist."
"Also ich find da wir das sehr brauchen also das Telefon ich telefonier auch relativ viel damit auchprivat mit dem D2 Telefon auch ich muß ja nicht bezahlen (Lachen) ich weiß es hat äh daß eswahrscheinlich irgendwelche Gesundheitsschäden gibt aber im Endeffekt ist es doch ziemlichbequem damit zu telefonieren."
Diese Haltung wird nur im Kreise Gleichgesinnter führungsgeeignet sein. In allen
anderen Situationen, insbesondere in solchen, in denen ethische Themenaspekte
(Moralisierung) dominant sind, trifft der Hedonist auf wenig Akzeptanz.
• Da gibt es den Laien, der die Unkenntnis über das Thema eigens hervorhebt und
dieses geradezu zum positiven Bestandteil des eigenen Selbstverständnisses erhebt
"... als Geisteswissenschaftlerin kümmere ich mich nicht um Technik."
Auch als Laie hat man unter geeigneten Kontextbedingungen die Chance zur Mei-
nungsführerschaft. Dann nämlich, wenn es gelingt, stellvertretend für Andere
bohrende Fragen zu stellen. Trifft man jedoch auf Gruppenteilnehmer, die für sich
den Status eines Sachkundigen in Anspruch nehmen, und diesen aktiv ausspielen,
gerät man fast automatisch in die Position des zu Belehrenden und damit in eine
untergeordnete Rolle.
82
• Da gibt es den Zuständigen, der sich das Thema gleichsam persönlich zu eigen
macht, der Zuständigkeit für das Thema reklamiert ("ich als angehender Naturwis-
senschaftler sehe das eigentlich ..."). Damit zugleich beansprucht der Zuständige
Sachkompetenz. Im folgenden Beispiel demonstriert er diese durch seine Ver-
wendung des Ausdrucks "Verbraucher", die von der üblichen Verwendungsweise
abweicht und damit 'Beherrschung von Fachwortschatz' signalisiert, ferner durch
Aussagen darüber, was "der Normalfall" ist und durch Verwendung von Fachaus-
drücken ("emittieren"):
"vielleicht muß man sich mal bewußt werden, daß alle elektrischen Verbraucher die wir mit denenwir uns umgeben und die mit normalem Wechselstrom betrieben werden was also der Normalfallist alle diese elektrischen Verbraucher emittieren elektromagnetische Strahlung.."
In den weiteren Ausschnitten brilliert der Zuständige dadurch, daß er weiß, daß etwas
'nichts anderes ist als':
"Elektromagnetische Strahlen das ist ja eigentlich nichts anderes als ..."
"Es ist nur so man weiß halt nicht was los ist wenn man es rational betrachtet ist es eigentlich nichtsanderes als der Mittelwellensender soundso.."
Der Verantwortliche beansprucht auch die Kompetenz, die Diskussion zum Thema zu
steuern:
"Trotzdem müssen wir Techniker dafür sorgen daß die Bevölkerung aufgeklärt wird."
In diese Rolle ist der Anspruch auf Meinungsführerschaft gleichsam miteingebaut
bzw. notwendig mitverbunden. In dem Maße jedoch, in dem auch von anderen
Gruppenteilnehmern auch Sachkompetenz (auf der Basis eigener Erfahrungen, siehe
3.1.4) - und vor allem Moralkompetenz beansprucht wird, gerät der Anspruch auf
Meinungsführerschaft ins Abseits. Man kann in eine Position geraten, (auch persön-
lich) für angenommene Gesundheitsschädigungen mitverantwortlich gemacht zu
werden. Meinungsführerschaft kann sich bei dieser Profilierung also nur dann sicher
einstellen, wenn die anderen Teilnehmer die Rolle der Laien übernehmen.
83
• Da gibt es die Mutter(-mit-Kind), die aufgrund ihrer Verantwortung für ihre Kinder
ihrer Stimme ein besonderes Gewicht zugebilligt erhalten möchte:
"ist vielleicht auch ne zusätzliche Sensibilisierung wenn man Kinder hat ich glaub schon daß daseiniges zu denken insgesamt gibt also wenn man nur in Anführungsstrichen für sich selbst verant-wortlich ist weil ich denk dann eben halt auch für die Kinder und man macht sich dann irgendwodoch Sorgen".
Diese Rolle kann Meinungsführerschaft aufgrund des besonderen Gewichts des The-
mas 'Kind' in der EMF-Diskussion beanspruchen. Diesem in Form moralisierenden
Redens vorgebrachten Gesichtspunkt wird in den Fokusgruppen denn auch kein
anderer Themenaspekt entgegengestellt. Aber die Rolle 'Mutter-mit-Kind' ist gerade
nicht mit spezifischem Fachwissen verbunden. Darüber hinaus ist diese Rolle mit
zurückhaltender Gesprächsbeteiligung verknüpft, so daß ihr eher die Qualität einer
'Mahnerin' als die von Meinungsführerschaft zukommen wird.
3.2.7 Schlußfolgerungen1. Die Meinungsbildung über EMF hat man sich keineswegs als stringenten bzw. argu-
mentativen Prozeß vorzustellen. Zunächst ist festzuhalten, daß die Meinungsbildung
sehr unterschiedlich verläuft in Abhängigkeit von der Gruppenzusammensetzung.
Die standpunktverpflichteten Gruppen I und III (Gegner und professionelle Nutzer)
haben konsequente Auffassungen. Sie diskutieren strukturiert und verwenden
ausgebaute Konzepte und Wissensinhalte bei der Darstellung von Pro oder Contra
der Gesundheitsgefahren.
2. In der Gruppe II (Nichtbetroffene), zu denen auch die Mehrzahl der von uns befragten
Mobilfunknutzer gehört, ist die Diskussion heterogen. Dort wird erst Sicherheit für
einen eigenen Standpunkt im Gespräch gesucht. Festzustellen ist, daß das ihnen
nicht gelingt. Sie 'zerreden' das Thema EMF charakteristischerweise (Themendiffu-
sion). Das Reden selbst bringt Unsicherheit und Diffusion.
3. Auch Gefahrenwahrnehmungen, die in den Diskussionen der Nichtbetroffenen zum
Ausdruck kommen, bilden keine Kristallisationspunkte für eine Klärung des Pro
84
oder Contra von EMF. Die Meinungsbildung kommt nicht zum Abschluß.
4. In Gruppen mit ohnehin festen Standpunkten (Gesprächstypen I und III) werden die
inhaltlichen Gemeinsamkeiten durch solidarisches Gesprächshandeln noch verstärkt.
Dagegen entwickeln die Teilnehmer in Nichtbetroffenengruppen (Typ II) eher kon-
kurrierende Verhaltensmuster. Hier verstärken die ständig wechselnden personalen
Konkurrenzen und Koalitionen der Teilnehmer die Diffusität.
5. In den verschiedenen Fokusgruppengesprächen entwickeln sich bei den Diskussionen
um das Thema EMF verschiedene soziale Rollen. Darin spiegelt sich die Vielfalt
und Heterogenität der mit EMF zusammenhängenden Themenaspekte wider. Keine
dieser Rollen ist jedoch per se zur Meinungsführerschaft qualifiziert.
6. Die Meinungsführerschaft hängt von der jeweiligen Zusammensetzung der Gruppe ab.
Diese bestimmt, welche Rolle sich gegenüber anderen durchsetzen kann und welche
Themenaspekte damit dominant werden. Meinungsführerschaft ist daher in Bezug
auf die EMF-Diskussion sinnvollerweise nicht als stabile Eigenschaft zu verstehen,
sondern nur in Abhängigkeit von jeweiligen Gruppenkonstellationen zu erkennen.
7. Im Unterschied zu anderen Risiko-Themen wie Kernkraft, Gentechnik, Abfallproble-
matik wird die Diskussion von EMF-Risiken bei Nichtbetroffenen viel stärker von
sozialen Einflußfaktoren bestimmt. Das heißt durch Beziehungsrivalitäten zwischen
einzelnen Teilnehmern und Rollenprofilierungen. Diesen Faktoren muß ein
wesentliches Gewicht für die Meinungsbildung zugemessen werden.
8. Abschließend ist festzuhalten, daß auch bei den Nichtbetroffenen die ganze
Bandbreite ökologisch einschlägiger Argumente auftaucht. Aber keine einzelne
Argumentationsfigur kann sich diskussionsbestimmend und meinungsbildend
durchsetzen. Die Auswertungen lagen nahe, daß es bislang keinen Kristallisations-
punkt gibt, der für die weitere gesamtgesellschaftliche Debatte des Themas
dominant ist.
85
Teil II:
Expertenstreit um EMF-Gefahren
und
Konflikte um Mobilfunksendeanlagen
1. Forschungsansatz und DatenerhebungZur Untersuchung des Expertenstreits um EMF-Gefahren und der Konflikte um Mobil-
funksendeanlagen wurden mit Mitarbeitern von Behörden, Unternehmen, privaten und
öffentlichen Forschungseinrichtungen sowie mit Vertretern von Bürgergruppen
qualitative Einzelinterviews durchgeführt. Wie bei der Untersuchung der Einschätzung
von EMF-Gefahren in den Fokusgruppen wurde bei diesen Interviews auf die Ver-
wendung eines standardisierten Fragebogens verzichtet, um den Gesprächspartnern
soviel Raum wie möglich für die Darstellung ihrer Einschätzung von EMF-Gefahren zu
lassen. Die Gesprächsführung stützte sich auf einen Gesprächsleitfaden, in dem die
Themen, die während des Interviews angesprochen werden sollten, aufgelistet waren. In
welcher Reihenfolge und auf welche Weise diese Themen vom Interviewer ange-
sprochen wurden, richtete sich jedoch nach dem Gesprächsverlauf. Die Gesprächs-
leitfaden, die für die verschiedenen Interviews verwendet wurden, stimmten weitgehend
überein. Sie unterschieden sich nur durch einzelne Zusatzfragen, die auf spezielle
Kenntnisse des jeweiligen Gesprächspartners eingingen.
Kasten 1: Beispiel eines Gesprächsleitfadens für ein Einzelinterview mit einem Experten:
Biographie des Gesprächspartners (seit wann und auf welche Weise Beschäftigung mit Thema EMF-Gefahren)
Risikowahrnehmung•EMF-Gefahren (akut/chronisch, psychisch/physisch)•eigene Erfahrungen mit schädigender EMF-Wirkung•Gefährdungsmechanismen (thermisch/athermisch)•besonders gefährdete Personen? (z.B. Kinder, Elektrosensible)•Gefährlichkeit von verschiedenen EMF-Quellen•Sicherheit des Kenntnisstandes zu EMF-Gefahren•Beweis für vorhandene/fehlende Gefahr•Forschungsbedarf•Vergleich mit anderen Umweltgefahren/Relevanz von EMF-Gefahren
Risikoinformation
86
• Bewertung bisheriger Informationen zu EMF-Gefahren• Informationsbedarf der Öffentlichkeit/Über was soll informiert werden?• Auf welche Weise soll informiert werden? (Informationsquellen, Ausmaß von Infos)• Welche Verständnisprobleme haben Bürger bzgl. Infos über EMF-Gefahren?
Risikomanagement• Bewertung des Risikomanagements von EMF-Gefahren (Grenzwerte, Forschung)• Umgang mit Risiken (Vorsorge, Sicherheitsphilosophie, Risiko und Nutzen)• eigene Schutzmaßnahmen
Wahrnehmung der EMF-Kontroverse• Begriff 'Elektrosmog'• Ursache von öffentlicher Diskussion über EMF-Gefahren• Ursache von Protesten gegen Hochspannungsleitungen/Mobilfunksendemaste• Expertenstreit über EMF-Gefahren: Warum Streit? Worüber wird gestritten? Wer ist Experte? (Baubiologen?)• Einschätzung der Akteure der Kontroverse um EMF-Gefahren (Unternehmen, Behörden, Grenzwertkommissio-
nen, Bürgerinitiativen, Medien)
Konfliktaustragung• Beilegung des Expertenstreits• Zusammenarbeit zwischen Akteuren: Forschungsförderung, Beurteilung von Forschungsergebnissen, Gestaltung
von Risikomanagement/-information
Die Interviewpartner wurden zunächst schriftlich um ein Interview gebeten. In einem
nachfolgenden Telefongespräch wurden Fragen zum Interview und zum Forschungs-
projekt beantwortet, und der Termin für das Interview wurde abgesprochen. Die
Interviews fanden dann in der Regel am Arbeitsplatz der interviewten Personen statt, in
Ausnahmefällen in der Privatwohnung oder in Gaststätten. Die Interviews dauerten
durchschnittlich 1 1/2 Stunden (mindestens 1 Stunde, maximal 3 Stunden) und wurden
mit einem Tonbandgerät aufgezeichnet. Auf eine wörtliche Verschriftung der Interviews
wurde verzichtet, weil eine große Anzahl von Interviews durchgeführt wurde und weil
für die Auswertung der Einzelinterviews allein die inhaltlichen Aussagen der
Gesprächspartner relevant waren und nicht deren sprachliche Formulierung. Von der
Tonbandaufzeichnung wurde ein Verlaufsprotokoll angefertigt, in dem die Äußerungen
des Gesprächspartners zusammengefaßt wurden und das die Grundlage für die Aus-
wertung des Einzelinterviews bildete.
2. Expertenstreit um EMF-Gefahren
2.1 InterviewpartnerIm Rahmen der öffentlichen Diskussion über mögliche Gesundheits- und Umwelt-
gefahren elektromagnetischer Felder wird auch unter Fachleuten kontrovers diskutiert,
87
welche Auswirkungen EMF auf biologische Systeme haben und wie die Relevanz dieser
Auswirkungen für Gesundheit und Umwelt zu bewerten ist.
Dieser Expertenstreit wird einmal in einem kleineren Kreis unter Wissenschaftlern
ausgetragen, die selbst Untersuchungen zu EMF-Gefahren durchführen und von anderen
Wissenschaftlern als seriöses Mitglied ihres Fachgebiets anerkannt werden. Dabei
werden die in der Wissenschaft üblichen Kommunikationswege benutzt:
Veröffentlichungen in wissenschaftlichen Fachzeitschriften sowie Vorträge und
Diskussionen auf wissenschaftlichen Fachtagungen. In den Massenmedien und damit
auch in der Öffentlichkeit findet dieser Expertenstreit im engeren Sinne aufgrund seiner
starken Spezialisierung jedoch nur wenig Beachtung. Nur wenn spektakuläre
Untersuchungsergebnisse veröffentlicht werden - vor allem, wenn sie Beweise oder
Indizien für das Bestehen einer Gesundheitsgefahr enthalten -, wird ihnen von den
Massenmedien größere Aufmerksamkeit geschenkt.
Der Expertenstreit um mögliche EMF-Gefahren wird aber auch in Foren ausgetragen,
die den Massenmedien und einzelnen Bürgern besser zugänglich sind und denen die
Öffentlichkeit infolgedessen größere Aufmerksamkeit schenkt: Expertenanhörungen vor
politischen Gremien, überregional ausgerichtete Kongresse und Hearings, regional
ausgerichtete Informationsveranstaltungen und Podiumsdiskussionen sowie vor allem
direkte Auftritte von Experten in den Massenmedien - z.B. durch die persönliche
Teilnahme an Fernseh- und Rundfunksendungen oder durch Interviewbeiträge. Neben
anerkannten Fachwissenschaftlern nehmen an diesem Expertenstreit aber auch eine
Reihe von anderen Personengruppen teil. Diese werden zwar innerhalb wissenschaftli-
cher Kreise nicht unbedingt als Experten anerkannt, werden als solche aber von den
Medien oder der Bevölkerung angesehen. Bei der Diskussion über EMF-Gefahren
gehören hierzu folgende Gruppen:
• Mitarbeiter von Behörden, Unternehmen und Forschungseinrichtungen, die sich allein
mit der Bewertung von wissenschaftlichen Untersuchungen zu EMF-Gefahren
beschäftigen und dazu Literaturrecherchen durchführen. Ihre Arbeit dient zur
Vorbereitung von politischen und unternehmerischen Entscheidungen und zur
Information und Beratung von Bürgern.
• Wissenschaftler, die auf diesem Forschungsgebiet eher eine Außenseiterposition ein-
88
nehmen und deren Untersuchungen zu EMF-Gefahren methodische Mängel
vorgeworfen werden. Aufgrund ihrer Untersuchungen und der daraus gezogenen
Folgerungen haben sie in den Medien jedoch teilweise große Beachtung gefunden.
• Baubiologen und Wünschelrutengänger. Sie kommen zwar aufgrund von Methoden,
die wissenschaftlich nicht anerkannt sind, zu Aussagen über EMF-Gefahren, werden
aber von Teilen der Bevölkerung dennoch als Experten für diese Gefahren
angesehen und zu Rate gezogen.
Im Rahmen dieses Forschungsprojekts sollte der Einfluß des Expertenstreits auf die Ein-
schätzung von EMF-Gefahren in der allgemeinen Bevölkerung bestimmt werden.
Deshalb wurden zur Untersuchung des Expertenstreits Personen interviewt, die zu dem
Kreis der Experten im weiteren Sinne gehören und die teilweise bereits öfters auf
öffentlichen Veranstaltungen zum Thema EMF-Gefahren oder in den Medien aufge-
treten sind. Die Auswahl der Gesprächspartner richtete sich dabei jedoch nicht danach,
ein möglichst repräsentatives Abbild dieses weiter gefaßten Expertenstreits zu erhalten,
sondern danach, die volle Bandbreite der unterschiedlichen Positionen zu erfassen, die
bei diesem Streit vertreten werden.
Alle kontaktierten Personen waren zu einem Interview bereit und wurden interviewt. Bei
manchen Interviews zeigt sich jedoch im nachhinein, daß sie keine oder nur geringe Er-
kenntnisse erbrachten, die für die Zielsetzung des Forschungsprojekts relevant waren.
Deshalb wurden diese Interviews nicht oder nur teilweise bei der Auswertung
berücksichtigt. Im einzelnen wurden folgende Personen interviewt:
• Hr. Ahne, Neckarwerke Elektrizitätsversorgungs-AG, Esslingen
• Prof. Dr. Jürgen Bernhardt, Institut für Strahlenhygiene, München
• Dr. Ute Boikat, Behörde für Arbeit, Gesundheit und Soziales der Hansestadt Hamburg
• Dr. Hauke Brüggemeyer, Niedersächsisches Landesamt für Ökologie, Hannover
• Dipl.-Phys. Martin Dahme, Institut für Rundfunktechnik GmbH, München
• Prof. Dr.med. Eduard David, Universität Witten/Herdecke
• Manfred Fritsch, Baubiologe, Fellbach
• Prof. Dr. Günter Käs, Universität der Bundeswehr München
• Prof. Dr. Herbert König, Technische Universität München (emeritiert)
• Dipl.-Ing. Norbert Krause, Berufsgenossenschaft der Feinmechanik und Elektrotech-
89
nik, Köln
• Dr. Hans-Peter Neitzke, ECOLOG - Institut für sozial-ökologische Forschung und
Bildung, Hannover
• Wulf-Dietrich Rose, Baubiologe, Going, Österreich
• Hr. Schomburg, Hamburger Electricitäts-Werke AG
• Dr. Andrá Varga, ehemaliger Mitarbeiter des Hygiene-Instituts der Universität Heidel-
berg
2.2 ErgebnisseBeim Expertenstreit um mögliche EMF-Gefahren geht es nicht um die Frage, ob EMF
überhaupt eine Gefahr für die Gesundheit darstellen. Es ist unstrittig, daß EMF bei
hohen Feldstärken Menschen schädigen können - z.B. durch Reizung von Nerven- oder
Muskelzellen im niederfrequenten Bereich oder durch übermäßige Erwärmung im
hochfrequenten Bereich. Es besteht auch Übereinstimmung darüber, daß das Auftreten
dieser Schädigungen durch die Einhaltung der bestehenden Grenzwerte ausgeschlossen
wird. Diskutiert wird dagegen, ob weitere, bisher unbekannte Gefahren durch EMF
bestehen, die bei Feldstärken unterhalb der bestehenden Grenzwerte auftreten.
Weiterhin wird in der Diskussion über EMF-Gefahren unterschieden zwischen Auswir-
kungen von EMF auf biologische Systeme und der Bewertung der gesundheitlichen
Relevanz dieser Auswirkungen. Es besteht Übereinstimmung darüber, daß es Beweise
oder zumindest Indizien für solche Auswirkungen bei Feldstärken unterhalb der
bestehenden Grenzwerte gibt. Kontrovers diskutiert wird nun, ob diese nachgewiesenen
oder vermuteten Auswirkungen eine Schädigung oder Beeinträchtigung der Gesundheit
hervorrufen können und inwieweit sie bei der Festsetzung von Grenzwerten oder der
Empfehlung von Schutzmaßnahmen berücksichtigt werden sollen.
Gefahreneinschätzung und Handlungsempfehlungen
Bei den befragten Experten kann man drei unterschiedliche Gruppen ausmachen, die
sich hinsichtlich ihrer Gefahreneinschätzung und der daraus abzuleitenden Handlungs-
empfehlungen unterscheiden (siehe Tabelle 2):
90
Experten-gruppe Ausbildung
Gefahrenein-schätzung
Bewertungs-dimensionen
Handlungsempfeh-lungen Begründung
(1) technisches,naturwissen-schaftliches,
keine Gefahren Gesundheit,Ökonomie
keine Reduzierungvon EMF-Expositionerforderlich
Stand der Wis-senschaft
(2)
medizinischesHochschulstudi-um
mögliche Gefah-ren
Gesundheit,Ökonomie
Reduzierung vonEMF-Exposition,falls Aufwandgering(bei NF-Feldern)
Vorsorge
(3) Baubiologengroße Gefahren Gesundheit,
Umwelt
hohe Reduzierungvon EMF-Exposition(bei NF-Feldern)
Erfahrungen mitHausmessungen
Tabelle 2: Expertengruppen
1. Keine EMF-Gefahren: Es gibt keinen Beweis für EMF-Gefahren bei Feldstärken
unterhalb der bestehenden Grenzwerte. Die derzeit bei diesen Feldstärken bekannten
oder vermuteten Auswirkungen auf biologische Systeme rechtfertigen nicht die
Reduzierung von EMF-Expositionen unterhalb der bestehenden Grenzwerte unter
Vorsorgegesichtspunkten.
2. Mögliche EMF-Gefahren: Es gibt zwar keinen Beweis für EMF-Gefahren bei Feld-
stärken unterhalb der bestehenden Grenzwerte, aber viele Indizien. Deshalb sollten
EMF-Expositionen - zumindest bei niederfrequenten EMF - auch unterhalb der
bestehenden Grenzwerte unter Vorsorgegesichtspunkten reduziert werden, falls die
dazu erforderlichen Maßnahmen nicht zu aufwendig sind.
3. Große EMF-Gefahren: Auch bei Feldstärken, die sehr weit unterhalb der bestehenden
Grenzwerte liegen, werden durch EMF - vor allem durch niederfrequente EMF -
Gesundheitsschädigungen und -beeinträchtigungen hervorgerufen. Deshalb müssen
die bestehenden Grenzwerte sehr stark heruntergesetzt werden.
Die Experten, die diese unterschiedlichen Gefahreneinschätzungen vertreten, unter-
scheiden sich auch hinsichtlich ihrer Ausbildung, ihrer beruflichen Tätigkeit und ihrer
Teilnahme am Expertenstreit: Die Experten, die den beiden ersten Gruppen angehören,
haben entweder ein technisches, naturwissenschaftliches oder medizinisches Hoch-
schulstudium absolviert und arbeiten in Behörden, Unternehmen oder Forschungsein-
richtungen. Sie erforschen biologische Auswirkungen von EMF oder beschäftigen sich
91
allein mit der Bewertung von durchgeführten Untersuchungen. Sie nehmen vor allem am
überregional ausgetragenen Expertenstreit teil, treten aber auch bei lokalen Podiums-
diskussionen oder Informationsveranstaltungen auf.
Die dritte Gruppe wird von Baubiologen gebildet, die gelegentlich auch als Geo- oder
Elektrobiologen bezeichnet werden und zu deren Umfeld auch Wünschelrutengänger zu
zählen sind. Die Baubiologie ist eine Bewegung, deren Hauptanliegen der Bau von Häu-
sern nach biologischen und ökologischen Gesichtspunkten ist, was durch den Einsatz
möglichst naturnaher Materialien verwirklicht werden soll. Neben vom Menschen
hergestellten Materialien und Stoffen werden auch künstlich erzeugte EMF als Ursache
von Gesundheitsschädigungen und -beeinträchtigungen angesehen. Einige Baubiologen
haben sich auf EMF spezialisiert und führen Messungen der EMF-Exposition in Woh-
nungen durch. Auf Grundlage dieser Messungen schlagen sie Maßnahmen vor, die zur
Verminderung der in der Wohnung vorhandenen EMF durchgeführt werden können. Da
es sich nicht um eine geschützte Berufsbezeichnung handelt, verfügen die Personen, die
sich als Baubiologen bezeichnen, über die unterschiedlichsten Ausbildungen. Am
häufigsten sind unter ihnen Architekten vertreten; in der Regel verfügen Baubiologen je-
doch nicht über eine technisch-naturwissenschaftliche Ausbildung. Baubiologen sind
kaum am überregional ausgetragenen Expertenstreit beteiligt. Sie wirken in der Regel
nur in einem lokal begrenzten Bereich und treten höchstens in diesem Bereich auf Podi-
umsdiskussionen oder Informationsveranstaltungen auf. Nur einige wenige Baubiologen
haben durch Buchpublikationen einen über ihren lokalen Bereich hinausgehenden
Bekanntheitsgrad erhalten.
Begründung von Gefahreneinschätzung und Handlungsempfehlungen
1. Keine EMF-Gefahren: Die Einschätzung, daß keine Notwendigkeit für eine Reduzie-
rung von EMF-Expositionen unterhalb der bestehenden Grenzwerte gegeben ist,
wird zum einen damit begründet, daß diese Grenzwerte alle relevanten wissen-
schaftlichen Kenntnisse zu EMF-Gefahren berücksichtigen. Zum anderen wird dar-
auf hingewiesen, daß eine Herabsetzung der Grenzwerte, die nicht durch wissen-
schaftliche Untersuchungsergebnisse abgesichert ist, einen Präzedenzfall darstellen
würde. Dies könnte dazu führen, daß Grenzwerte allein aufgrund von vermuteten
Gesundheitsgefahren beliebig weit heruntergesetzt würden, so daß die Nutzung von
92
EMF überhaupt nicht mehr oder nur unter hohen betriebs- und volkswirtschaftlichen
Kosten möglich wäre. Die Experten, die dieser Gruppe angehören, fordern in der
Regel weitere Forschung, um die gesundheitliche Relevanz von verschiedenen
derzeit bekannten oder vermuteten Effekten besser beurteilen zu können. Einige
wehren sich jedoch gegen die Vorstellung, daß auf diesem Gebiet noch großer
Forschungsbedarf besteht. Nach ihrer Ansicht sind die Auswirkungen von EMF auf
biologische Systeme - abgesehen von einzelnen Effekten - schon recht gut erforscht
und im wesentlichen bekannt.
2. Mögliche EMF-Gefahren: Die Empfehlung der Reduzierung von EMF-Expositionen
auch unterhalb bestehender Grenzwerte wird damit begründet, daß es noch einige
Jahre dauern kann, bis es sich herausstellt, ob durch die derzeit bekannten und ver-
muteten Effekte eine Gesundheitsgefahr besteht. Während dieser Zeit sollte man
sich bereits auf die Möglichkeit, daß eine Gesundheitsgefahr besteht, vorbereiten. Es
wird aber angenommen, daß mögliche Gesundheitsgefahren durch EMF gering sind
im Vergleich zu anderen Gesundheitsgefahren, denen man im alltäglichen Leben
ausgesetzt ist. Weil aber nicht sicher ist, ob wirklich eine Gefahr besteht, sollen
EMF-Expositionen nur dann reduziert werden, wenn der dazu notwendige Aufwand
nicht zu groß ist. So werden bei neu zu errichtenden Hochspannungsleitungen grö-
ßere Sicherheitsabstände zur Wohnbebauung gefordert, als nach den bestehenden
Grenzwerten notwendig sind, nicht jedoch bei bereits bestehenden Hochspannungs-
leitungen. Die Experten dieser Gruppe fordern wesentlich vehementer als die Exper-
ten der ersten Gruppe, daß die Einflüsse von EMF auf biologische Systeme besser
erforscht werden sollen und sehen noch einen großen Forschungsbedarf.
Die Experten, die der zweiten Gruppe angehören, vertreten jedoch übereinstimmend
die Auffassung, daß es bei niederfrequenten EMF wesentlich mehr Hinweise auf
mögliche Gesundheitsgefahren gibt als bei hochfrequenten EMF: Bei niederfrequen-
ten Feldern sind wesentlich mehr Effekte bekannt, deren gesundheitliche Relevanz
zudem als schwerwiegender eingeschätzt wird. Bei niederfrequenten EMF besteht
zusätzlich noch das Problem der Bewertung von epidemiologischen Studien. Diese
enthalten unter anderem Hinweise auf eine mögliche Erhöhung der Leukämierate
bei Kindern, die in der Nähe von Hochspannungsleitungen wohnen.
93
Aus diesen Gründen beziehen sich Empfehlungen zur Herabsetzung von bestehenden
Grenzwerten in der Regel nur auf niederfrequente EMF. Dabei bestehen unter-
schiedliche Auffassungen darüber, wie weit die bestehenden Grenzwerte herabge-
setzt werden sollen. Experten, die in Bundes- oder Landesbehörden mit der Bewer-
tung von EMF-Gefahren beschäftigt sind, sehen eine Angleichung der bestehenden
Grenzwerte an die Empfehlungen der International Radiation Protection Association
(IRPA) als ausreichend an. Deshalb sehen sie nur noch bei den niederfrequenten
EMF Handlungsbedarf, da bei hochfrequenten EMF die bestehenden Grenzwerte
bereits mit den IRPA-Empfehlungen übereinstimmen. Experten, die privaten For-
schungseinrichtungen angehören, die im Rahmen der Umweltschutzbewegung ent-
standen sind, fordern dagegen sowohl bei nieder- als bei hochfrequenten EMF
Grenzwerte, die noch unterhalb der IRPA-Empfehlungen liegen. Ihre Grenzwert-
empfehlungen weichen jedoch bei hochfrequenten Feldern nicht so stark von den
bestehenden Grenzwerten ab wie bei niederfrequenten Feldern.
Bei hochfrequenten EMF werden mögliche Gefahrenquellen einerseits in den End-
geräten der Mobilfunknetze gesehen und andererseits in der niederfrequent gepuls-
ten Strahlung, die bei den D-Mobilfunknetzen verwendet wird. Bei Endgeräten der
Mobilfunknetze wird befürchtet, daß die bestehenden Grenzwerte in unmittelbarer
Nähe der Antennen dieser Endgeräte überschritten werden. In diesem Fall könnten
Schädigungen durch thermische Effekte hervorgerufen werden, wenn sich das An-
tennenteil direkt am Körper befindet. Bei Einhaltung der von der Strahlenschutz-
kommission empfohlenen Sicherheitsabstände wird das Auftreten solcher Schädi-
gungen aber ausgeschlossen. Untersuchungen, in denen Veränderungen des Elek-
troenzephalogramms (EEG) festgestellt wurden, weisen auf eine mögliche Gefähr-
dung durch die Strahlung hin, die bei den D-Mobilfunknetzen verwendet wird. Es
besteht aber Unklarheit darüber, ob dieser Effekt wirklich vorhanden ist und unter
welchen Bedingungen er auftritt, da der technische Aufbau dieser Untersuchungen
bemängelt wird. Zudem ist man noch weit davon entfernt, die gesundheitliche Rele-
vanz dieses Effektes bewerten zu können. Keiner der Experten der zweiten Gruppe
hält es deshalb für gerechtfertigt, aufgrund dieser Untersuchungen eine Stillegung
der D-Mobilfunknetze zu fordern, wie dies Bürgerinitiativen tun.
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3. Große EMF-Gefahren: Für Baubiologen ist die Verursachung von Gesundheitsschä-
digungen und -beeinträchtigungen durch EMF bei Feldstärken weit unterhalb der
bestehenden Grenzwerte eindeutig bewiesen. Sie stützen ihre Gefahreneinschätzung
dabei im wesentlichen auf Beobachtungen, die sie bei Messungen der EMF-Exposi-
tion in Wohnungen gemacht haben: Bei vielen Personen, die über unspezifische
Gesundheitsleiden geklagt hatten, verschwanden diese Leiden nach der Durchfüh-
rung von Maßnahmen zur Reduzierung der EMF-Exposition teilweise oder voll-
ständig. Schädliche Wirkungen werden vor allem niederfrequenten EMF mit einer
Frequenz von 50 Hz zugeschrieben, die bei der Nutzung von elektrischem Strom
auftreten und auf deren Messung sich die meisten Baubiologen auch beschränken.
Für diese Frequenz empfehlen Baubiologen Grenzwerte, die um mehrere Größen-
ordnungen unterhalb der bestehenden Grenzwerte liegen. Einige Baubiologen
schreiben solche Wirkungen aber auch hochfreqenten EMF zu, wobei für diesen
Frequenzbereich jedoch keine genauen Grenzwertempfehlungen gegeben werden.
Von den übrigen Experten werden Baubiologen jedoch nicht als Fachleute für EMF-
Gefahren angesehen. Zum einen wird den meisten Baubiologen vorgeworfen, daß
sie EMF-Messungen nicht korrekt durchführen sowie emissionsmindernde
Maßnahmen empfehlen oder strahlenabschirmende Objekte verkaufen, die diesen
Zweck nicht erfüllen. Zum anderen werden die von Baubiologen gemachten Be-
obachtungen nicht als wissenschaftlicher Beweis für EMF-Gefahren angesehen: Es
wird kritisiert, daß Baubiologen nur Einzelbeobachtungen machen und keine syste-
matische, wissenschaftliche Untersuchung der von ihnen behaupteten EMF-Gefah-
ren durchführen, um den Einfluß anderer Faktoren auszuschließen. Die von Baubio-
logen beobachteten Veränderungen des Gesundheitszustandes werden auf Plaze-
boeffekte zurückgeführt.
Die Bemühungen der Forschungsgemeinschaft Funk, Forschung zu EMF-Gefahren zu
fördern, werden von den Experten, die den ersten beiden Gruppen angehören, einhellig
begrüßt. Vereinzelt wird jedoch kritisiert, daß der Kreis der Mitglieder der FG Funk sehr
exklusiv ist und fast nur Industrieunternehmen umfaßt, daß bei der FG Funk eine
Tendenz besteht, nur solche Experten zu Rate zu ziehen, die Hinweisen auf mögliche
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EMF-Gefahren sehr reserviert gegenüberstehen, und daß die FG Funk ihre For-
schungsförderung kaum mit anderen Förderungsinstitutionen koordiniert. Vor allem
wird befürchtet, daß von der FG Funk geförderte Forschungsarbeiten auf große
Glaubwürdigkeitsprobleme in der Bevölkerung stoßen werden. Dabei teilen die
Experten nicht den in den Fokusgruppen oft geäußerten Verdacht, daß Wissenschaftler,
deren Forschung von der Industrie finanziert wird, bestehende Gesundheitsgefahren
leugnen oder verharmlosen könnten. Außerdem meinen sie, die Qualität solcher
Forschung selbst beurteilen zu können. Sie räumen aber ein, daß dies der allgemeinen
Bevölkerung nicht möglich ist.
Bezüglich hochfrequenter EMF fordern die Experten der beiden ersten Gruppen vor
allem die Erforschung von möglichen Einwirkungen der niederfrequent gepulsten HF-
Strahlung, die bei den D-Netzen verwendet wird, auf die menschlichen Hirnströme.
Hinsichtlich der Erforschung weiterer sogenannter nichtthermischer Effekte sind die
befragten Experten jedoch geteilter Meinung. Während einige die Erforschung von
diesen Effekten für sehr wichtig halten, bezweifeln andere, daß es solche Effekte
überhaupt gibt. Einen weiteren wichtigen Forschungsschwerpunkt sehen Experten aber
in der Messung und Berechnung von Leistungsintensitäten im Nahfeld von Mobilfunk-
telefonen, um zu erfahren, ab welchen Abständen die bestehenden Grenzwerte einge-
halten werden.
3. Konflikte um Mobilfunksendeanlagen
3.1 InterviewpartnerZur Untersuchung der Konflikte, die lokal aufgrund der Errichtung und Inbetriebnahme
von Sendeanlagen der D-Mobilfunknetze entstanden sind, wurden ebenfalls qualitative
Einzelinterviews durchgeführt. Dabei sollte bestimmt werden, wodurch die Proteste der
Anwohner gegen die Sendeanlage ausgelöst wurden, welches die Ursachen dieser
Proteste waren und aufgrund welcher Ereignisse oder Aktivitäten der Konfliktparteien
die Konflikte eskalierten oder beigelegt wurden. Interviews wurden durchgeführt mit
Mitarbeitern der beiden Betreiberfirmen der D-Mobilfunknetze und mit Mitgliedern von
Bürgerinitiativen, die sich gegen diese Sendeanlagen zur Wehr setzen. Im Einzelnen
wurden folgende Personen interviewt:
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• Hr. Stockmann, Mannesmann Mobilfunk, Düsseldorf
• Hr. Horn, Hr. Krassel, DeTeMobil, Niederlassung Frankfurt
• Dr. Angelika Daniel, Bürgerinitiative Sendeturm Büdingen/Pfaffenwald e.V., Büdin-
gen
• Ulrich Hast, 'Bürger gegen Basisstation D2-Mobilfunk Thienhausen', Haan
Die Kontaktaufnahme mit Bürgerinitiativen gestaltete sich jedoch äußerst schwierig.
Mehrere Bürgerinitiativen lehnten ein Gespräch rundheraus ab. Mit anderen Mitgliedern
von Bürgerinitiativen konnte nur telefonisch ein Gespräch geführt werden, da ein
persönliches Interview abgelehnt wurde. Dabei wurden Bedenken sowohl gegenüber
dem Ziel des Forschungsprojekts als auch gegenüber der Forschungsgemeinschaft Funk
als Geldgeber des Forschungsprojekts geäußert.
Die Bürgerinitiativen sehen zum einen keinen Sinn in einem Forschungsprojekt, das
allein das Ziel hat zu untersuchen, wie die Bevölkerung das Thema EMF-Gefahren
einschätzt. Für die Bürgerinitiativen ist einzig die Frage relevant, ob EMF-Gefahren
bestehen. Dementprechend ist für sie nur solche Forschung sinnvoll, die diese Frage
untersucht. Außerdem vermuten die Bürgerinitiativen, daß das Ziel des Forschungs-
projekts allein darin besteht herauszufinden, wie man der Bevölkerung Bedenken ge-
genüber der Benutzung von Mobilfunkgeräten ausreden kann.
Zum anderen wird der FG Funk unterstellt, daß sie nur zeigen will, daß keine Gefahren
durch Mobilfunksendeanlagen und -geräte bestehen. Gleichzeitig wird kritisiert, daß die
FG Funk ihre Zielsetzung, Forschung zu EMF-Gefahren zu fördern und in einen Dialog
mit Bürgerinitiativen zu treten, bisher nicht erfüllt hat. Einerseits ist den
Bürgerinitiativen nicht bekannt, welche Forschungsarbeiten die FG Funk bisher ei-
gentlich gefördert hat, und andererseits erfolgte bisher auch noch keine Kontakt-
aufnahme mit Bürgerinitiativen seitens der FG Funk.
3.2 ErgebnisseErste Konflikte um Mobilfunksendeanlagen entstanden mit Beginn des Aufbaus der
beiden D-Mobilfunknetze im Jahr 1991. Die Anzahl solcher Konflikte stieg dann
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sprunghaft an, wobei die Konfliktorte jedoch nicht gleichmäßig über das Bundesgebiet
verteilt waren. Häufungen von Konflikten traten vor allem in Hessen, Niedersachsen
und Schleswig-Holstein auf. Viele dieser Konflikte mündeten in eine Klage gegen Er-
richtung und Betrieb der Mobilfunksendeanlage. Diese Klagen führten in einigen Fällen
im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes zur Verhängung eines Baustopps, der jedoch
fast immer in der nächst höheren Instanz wieder aufgehoben wurde. Zu Beginn des
Aufbaus der Mobilfunknetze richteten sich Proteste fast ausschließlich gegen die
Errichtung von Betontürmen, auf denen Mobilfunksendeanlagen aufgestellt werden
sollten. Konfliktorte lagen vor allem in ländlichen Gebieten, wo auch verstärkt solche
Betontürme errichtet wurden. Im weiteren Verlauf der Diskussion über mögliche Ge-
sundheitsgefahren durch Mobilfunk entstanden Konflikte jedoch auch um
Mobilfunksendeanlagen, die auf hohen Gebäuden errichtet wurden. Die Anzahl solcher
Konflikte blieb jedoch klein im Vergleich zu den Konflikten um Betontürme.
Die ersten Konflikte um Betontürme wurden durch zwei Umstände ausgelöst:
• Die Errichtung eines weithin sichtbaren Turms in oder am Rande von Wohngebieten:
Zum einen wurde der Anblick eines solchen Turms vor allem in ländlichen Gebieten
als störend empfunden, und zum anderen wurde befürchtet, daß von den Sendeanla-
gen, die auf diesem Turm aufgestellt werden sollten, Gesundheitsgefahren ausgehen
könnten.
• Die Art und Weise, wie diese Türme errichtet wurden: Viele Betontürme des D1-Net-
zes wurden sehr schnell und ohne Information von Anwohnern oder lokalen politi-
schen Gremien errichtet. Dies löste bei vielen Anwohnern den Verdacht aus, daß der
Betrieb solcher Sendeanlagen nicht unproblematisch sei und daß der Turm auf diese
Weise errichtet worden war, um so wenig Aufmerksamkeit wie möglich zu erregen.
Im weiteren Verlauf der Diskussion über Mobilfunk war dann aber allein schon die Er-
richtung einer Mobilfunksendeanlage - egal, ob es sich um einen Betonturm handelte
oder um eine Sendeanlage, die auf einem hohen Gebäude aufgestellt wurde - Anlaß für
Proteste.
Es ist nicht verwunderlich, daß überhaupt Konflikte um die Sendeanlagen entstanden
98
sind, die im Rahmen des Aufbaus der D-Mobilfunknetze neu errichtet wurden. Zum
einen ist die Öffentlichkeit heutzutage sehr sensibel gegenüber Gesundheits- und
Umweltgefahren, die mit der Nutzung von Technologien verbunden sein können. Zum
anderen sind Bürger auch sehr viel mehr als früher dazu bereit, sich gegen die
Errichtung von technischen Anlagen in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft zur Wehr zu
setzen.
An der großen Anzahl der Konflikte, die um Mobilfunksendeanlagen entstanden sind,
und an dem Verlauf, den viele dieser Konflikte genommen haben, haben aber auch die
Betreiberfirmen der beiden D-Mobilfunknetze Mitschuld. Sie haben es versäumt,
angemessen auf die ersten Konflikte um Mobilfunksendeanlagen zu reagieren, und
haben so zu einer Eskalation dieser Konflikte beigetragen. Zum einen wurde unzurei-
chend über die technischen Details der zu errichtenden Sendeanlagen und über den
Kenntnisstand zu möglichen Gesundheitsgefahren informiert. Anwohner hatten
teilweise große Probleme - vor allem bei Mobilfunksendeanlagen des D1-Netzes -,
überhaupt einen Ansprechpartner zu finden, der ihnen zu diesen Punkten Auskunft
erteilte. Wenn Anwohner Informationen erhielten, waren diese aber entweder wider-
sprüchlich, zu wenig detailliert oder sogar fehlerhaft. Durch diese unzureichende
Information wurden Befürchtungen der Anwohner, daß von den Sendeanlagen Ge-
sundheitsgefahren ausgehen, nur verstärkt. Zum anderen hat vor allem die Telekom
unter Ausnutzung ihrer hoheitlichen Rechte lokale politische Entscheidungsgremien
oder Behörden bei vielen Standortentscheidungen nicht mit einbezogen oder gar
informiert. Sie war oft auch nicht bereit, bei umstrittenen Standorten über eine Stand-
ortverlegung zu verhandeln. Diese unflexible Haltung führte zu einer Verhärtung der
Fronten zwischen Betreiber und protestierenden Anwohnern.
Aufgrund dieser ersten Konflikte bildeten sich einige sehr engagierte Bürgerinitiativen,
deren Aktivitäten großen Anteil daran hatten, daß wie ein Lauffeuer weitere Konflikte
um Mobilfunksendeanlagen entstanden. Zum einen haben diese Bürgerinitiativen die
Bildung anderer Bürgerinitiativen - vor allem in ihrem regionalen Umfeld - tatkräftig
unterstützt. (Dadurch erklärt sich auch die Anhäufung von Konflikten in bestimmten
Regionen). Zum anderen wurden sie aufgrund des - zumindest zeitweiligen - Erfolges
ihrer Aktivitäten zum Vorbild für protestierende Anwohner im ganzen Bundesgebiet.
99
Die von ihnen erwirkten Baustopps hatten großen Anteil daran, daß an anderen Orten
ebenfalls gegen Mobilfunksendeanlagen protestiert wurde. Auf der einen Seite zeigten
die verhängten Baustopps, daß Proteste gegen Mobilfunksendemasten Erfolg haben
können. Auf der anderen Seite sind die Baustopps von vielen Anwohnern als Beweis
dafür interpretiert worden, daß von Mobilfunksendeanlagen in der Tat eine Gesund-
heitsgefahr ausgeht.
Die Anwohner haben für ihre Proteste gegen Mobilfunksendeanlagen drei wichtige
Motive:
1. Mögliche Gesundheitsgefahren: Die Anwohner befürchten, daß langfristig Schädigun-
gen durch nichtthermische Effekte hervorgerufen werden können, wenn man der
Strahlung der Sendeanlage über einen langen Zeitraum andauernd ausgesetzt ist.
Dabei räumen selbst Mitglieder von Bürgerinitiativen ein, daß es noch nicht bewie-
sen ist, ob solche Gesundheitsgefahren wirklich bestehen. Sie sind davon aber sehr
stark überzeugt.
2. Mangelnde Kontrollierbarkeit: Die Anwohner sehen sich nicht in der Lage, die Sen-
deanlage persönlich kontrollieren zu können. Dies bezieht sich sowohl auf das Aus-
maß an Strahlung, dem die Anwohner ausgesetzt sind, als auch auf Art und Anzahl
der Sendeanlagen, die an diesem Standort in Zukunft aufgestellt werden. Sie
bezweifeln auch, daß eine angemessene Kontrolle der Sendeanlage (z.B. in bezug
auf die Einhaltung der bestehenden Grenzwerte) durch gesellschaftliche In-
stitutionen gewährleistet ist. Dies scheint zum einen ein Gefühl des Ausgeliefertsein
zu erzeugen, daß indirekt die Befürchtungen, daß Gesundheitsgefahren bestehen,
noch verstärkt. Zum anderen erzeugt die mangelnde Kontrollierbarkeit ein Gefühl
von Empörung darüber, daß die Betreiber der Mobilfunknetze ihre Sendeanlagen
aufstellen können, ohne daß die Anwohner darauf Einfluß nehmen können.
3. Unausgewogene Kosten-Nutzen-Verteilung: Die Anwohner empfinden die Verteilung
von Kosten und Nutzen, die mit der Sendeanlage verbunden sind, als unaus-
gewogen: Sie allein haben die Kosten der Mobilfunksendeanlage in Form von mög-
lichen Gesundheitsgefahren zu tragen, während sie keinen Nutzen davon haben, da
sie kein Mobilfunktelefon benutzen. Sie bezweifeln auch allgemein den Nutzen von
Mobilfunktelefonen und vermuten, daß Besitzer von Mobilfunktelefonen diese nur
wegen seines Prestiges benutzen und nicht, weil sie es wirklich brauchen. Es wird
100
weiterhin vermutet, daß die Nutzer von Mobilfunktelefonen eher besser gestellten
sozialen Schichten angehören. Infolgedessen besteht bei den Anwohnern keine
Bereitschaft, mögliche Gesundheitsgefahren durch Mobilfunksendeanlagen zu
ertragen, damit Personen ein Mobilfunktelefon benutzen können, die sowieso schon
sozial besser gestellt sind als die Anwohner selbst.
Aus diesen Gründen fordern die Bürgerinitiativen einen völligen Gefahrenausschluß: Es
reicht ihnen nicht aus, daß bisher nicht nachgewiesen wurde, daß von Mobilfunksende-
anlagen Gesundheitsgefahren ausgehen. Sie fordern, daß die Betreiber dieser
Sendeanlagen beweisen müssen, daß von diesen auch in Zukunft keinerlei Gesund-
heitsgefahren für die Anwohner ausgehen werden. Erst dann sollen diese Sendeanlagen
betrieben werden können. Nach Ansicht der Bürgerinitiativen gibt es zur Zeit zahlreiche
Hinweise auf mögliche Gesundheitsgefahren. Deshalb fordern sie die sofortige Ab-
schaltung der Sendeanlagen, bis die gesundheitliche Relevanz dieser Hinweise durch
gründliche und unabhängige Untersuchungen geprüft worden ist.
Die Betreiber der Mobilfunknetze entgegnen jedoch, daß sie einen Gefahrenausschluß
nicht zusichern können, da es prinzipiell unmöglich ist, ein für allemal jede Gesundheits-
gefahr auszuschließen. Entsprechende Forderungen werden als unrealistischer Wunsch
nach einem Nullrisiko angesehen. Sie betonen im Gegenzug, daß es bei jeder
Technologie ein Restrisiko gibt, das man in Kauf nehmen muß, wenn man den
technischen Fortschritt nutzen will.
Bezüglich hochfrequenter EMF fordern Bürgerinitiativen vor allem die Erforschung von
möglichen Einwirkungen der niederfrequent gepulsten HF-Strahlung, die bei den D-
Netzen verwendet wird, auf die menschlichen Hirnströme. Als weiterer Forschungs-
schwerpunkt wird die Untersuchung von anderen sogenannten nichtthermischen
Effekten (z.B. Einfluß von EMF auf den Transport von Calziumionen durch Zell-
membranen hindurch) gefordert. Dabei wird die Erforschung möglicher Schäden, die
durch eine lang andauernde Exposition von - wenn auch schwacher - HF-Strahlung
verursacht werden können, für besonders wichtig gehalten. Denn eine solche Exposition
liegt bei Anwohnern von Mobilfunksendeanlagen vor. Bürgerinitiativen fordern jedoch
eine unabhängige Forschung, die nur durch staatliche Stellen gefördert werden soll. Sie
101
lehnen eine Forschungsförderung durch Industrieunternehmen ab, weil sie befürchten,
daß eine solcherart geförderte Forschung auf die Interessen ihrer Geldgeber Rücksicht
nehmen wird.
Die Bereitschaft von Bürgerinitiativen, mit den Betreibern der Mobilfunknetze oder der
Forschungsgemeinschaft Funk einen Dialog einzugehen, um den Umgang mit EMF-
Gefahren zu diskutieren, ist sehr gering. Dies wird schon allein aus der Tatsache
deutlich, daß mehrere Bürgerinitiativen es ablehnten, im Rahmen dieses Forschungs-
projekts mit Mitarbeitern der Programmgruppe MUT zu sprechen. Teilweise wird als
Voraussetzung für das Eingehen eines Dialogs die Abschaltung der D-Mobilfunknetze
gefordert. Für die geringe Dialogbereitschaft der Bürgerinitiativen gibt es im wesentli-
chen drei Gründe:
1. Ein Dialog wird für sinnlos gehalten, da den Betreibern der Mobilfunknetze die
Forderungen der Bürgerinitiativen - Abschaltung der Mobilfunknetze und gründ-
liche, unabhängige Forschungen zu möglichen Gesundheitsgefahren durch hoch-
frequente EMF - bekannt seien und die Bürgerinitiativen auf der Erfüllung dieser
Forderungen bestehen.
2. Viele Bürgerinitiativen haben aus ihrer Sicht sehr schlechte Erfahrungen mit den
Betreibern der Mobilfunknetze gemacht. Sie fühlen sich von diesen schlecht infor-
miert, übergangen und nicht ernstgenommen. Wenn überhaupt Gespräche zwischen
Mitarbeitern der Betreiberfirmen und Vertretern von Bürgerinitiativen stattfanden,
wurde in diesen nie auf die Forderungen der Bürgerinitiativen eingegangen, sondern
nur versucht, Bedenken gegenüber Mobilfunk auszureden.
3. Es wird unterstellt, daß die Betreiberunternehmen oder die Forschungsgemeinschaft
Funk sowieso nur zeigen wollen, daß durch Mobilfunk keine Gesundheitsgefahren
bestehen.
102
Teil III: Szenario-Konstruktion
'Entwicklung der EMF-Risikokontroverse'
1. EinführungDie bisherige Analyse (Teil 1) zeigt, daß die nichtstandpunktverpflichteten Gruppen -
und damit die Mehrheit - gegenüber EMF-Risiken ambivalent eingestellt sind. Das
Wissen über EMF ist undeutlich und damit auch die Risikowahrnehmung. Im Unter-
schied zu anderen Risikoquellen wie Gentechnik oder Kerntechnik sind bei der
nichtinvolvierten Öffentlichkeit keine fest fixierten Einstellungen anzutreffen. Die
vorhandenen Einstellungen sind flüchtig; vielfach werden die Bewertungen der EMF-
Risiken ad hoc konstruiert und bleiben vage. Dabei spielt der Gesprächskontext eine
wichtige Rolle: Die unmittelbar vorgetragenen Argumente und Auffassungen wirken auf
die vorhandene Bewertung ein. Letztlich dominieren Vermutungen und die vorhandenen
Unsicherheiten lösen sich nicht auf. Das macht auch die relative Bewertung von EMF
gegenüber anderen Risikoquellen schwierig.
Diese kognitiven und interaktiven Besonderheiten der gegenwärtigen Risikodiskussion
über EMF weist darauf hin, daß die künftige Entwicklung der Risikokontroverse um
EMF wesentlich von externen Umständen und Vorfällen abhängig ist. Deshalb wird im
weiteren versucht, solche externen Ereignisse schrittweise zu konkretisieren und in
Szenarien zu fassen. Auf diese Weise soll für kritische Bedingungen und Umstände, die
die weitere Entwicklung der EMF-Debatte beeinflussen können, sensibilisiert werden.
Die Szenariokonstruktion zu der weiteren Risiko-Diskussion über EMF in Deutschland
zielt auf die Beantwortung der folgenden Fragen ab:
• Welche gesellschaftlichen Entwicklungen werden in Zukunft den Rahmen für die Dis-
kussion von EMF-Risiken bilden?
• Wie wird die Risikowahrnehmung im Rahmen des Trend-Szenarios aussehen: (1) Für
Technik im allgemeinen und (2) für den EMF-Bereich im besonderen?
• Welche externen Themen und Probleme bedürfen zukünftig besonderer Beachtung?
103
2. Methode der SzenariokonstruktionSzenarien sind Analysewerkzeuge, mit denen mögliche Zukünfte beschrieben werden
können (VON REIBNITZ 1987). Im Gegensatz zu herkömmlichen Prognoseverfahren
spezifizieren sie Rand- und Rahmenbedingungen für mögliche Entwicklungen und
plausibilisieren diese. Sie basieren auf Expertenwissen, Schätzungen und Annahmen.
Szenarien sind theoretisch geleitete Spekulationen. Das Merkmal, das sie von Prognosen
unterscheidet, ist ihr hypothetischer Charakter. Im Regelfall werden mehrere Zukünfte
ausgewiesen: zwei Extremszenarien und ein Trendszenario.
• Szenarien haben einen hypothetischen Charakter, d.h. sie beschreiben mögliche
zukünftige Entwicklungen oder Zustände.
• Szenarien beschreiben einen Ausgangszustand, der in der Regel in der Gegenwart
liegt, und einen Endzustand für einen gewählten Zeitraum.
• Szenarien bestehen aus Elementen, die - konditional oder kausal verknüpft - zeigen
wie sich aus dem Ausgangszustand der Endzustand ergibt.
• Szenarien haben keinen Wahrheitswert, sondern in erster Linie einen Anregungswert.
Sie dienen der Sensibilisierung für mögliche Zukünfte und der Ableitung von
Gestaltungsaufgaben.
Die Szenariokonstruktion beginnt mit der Beschreibung der Ausgangssituation und der
Ermittlung der relevanten Einflußfaktoren auf eine Zielgröße, zum Beispiel die künftige
Diskussion von Risiken. Im Anschluß daran sind die Trends in Bezug auf die
Einflußfaktoren zu bestimmen und zu projektieren, wie sie die Entwicklung der
Zielgröße beeinflussen können. Schließlich geht es um die Erkundung von zusätzlichen
kritischen Ereignissen, die die Entwicklung der Zielgröße zu beeinflussen vermögen.
Bei der Konstruktion von Szenarien wird hier in vier Schritten vorgegangen. Ausgangs-
punkt bildet dabei die in Teil I beschriebene gegenwärtige Diskussion um EMF-Risiken:
(1) Im ersten Schritt werden die relevanten Einflußfaktoren festgehalten, die den
weiteren Rahmen der gesellschaftlichen Entwikung bilden und die die Auswahl und
Focussierung von Leitthemen der gesellschaftlichen Diskussion beeinflussen
werden. Dabei wird vor allem auf entsprechender soziologischer und politologischer
104
Literatur aufgebaut, die den ablaufenden Umbau unserer Gesellschaft betreffen (z.B.
BECK 1986, LÜBBE 1990, SCHULZE 1992, HORX 1993, STEPHAN 1993).
Dabei werden auch Trends spezifiziert, die die Aufmerksamkeit auf bestimmte Risi-
kothemen lenken. D.h., ob damit eher die Aufmerksamkeit für technische, soziale
oder politische Risiken verstärkt wird. Hierzu wird die Kulturtheorie des Risikos
herangezogen (siehe dazu RAYNER 1993, WILDAVSKY 1993) und drei Szenarien
spezifiziert: Zwei Extremszenarien und ein Trendszenario. Das Trendszenario ist
aus subjektiver Sicht der Autoren der plausibelste Entwicklungspfad.
(2) Der zweite Schritt besteht in der detaillierten Beschreibung des Trendszenarios. Es
geht um die Ermittlung der Auswirkungen des Trendszenarios auf die Wahrneh-
mung und Bewertung von sozialen, politischen und technischen Risiken. Basis ist
die oben genannte Literatur.
(3) Im dritten Schritt wird gezeigt, welche Faktoren die Risikowahrnehmung im Tech-
nik- und speziell im EMF-Bereich - beeinflussen. Dieser Schritt beruht auf der
psychometrischen Risikoforschung (siehe dazu JUNGERMANN & SLOVIC 1993;
WIEDEMANN 1993). Dabei geht es um die Auswirkungen der 'qualitativen' Risi-
kofaktoren auf die Wahrnehmung und Bewertung von Risiken. Diese Faktoren sind
von der psychologischen Risikoforschung ausgewiesen und zeigen, auf was sich
Laien bei der Risikowahrnehmung stützen3. Die qualitativen Risikofaktoren sind
Zuschreibungen zu Risikoquellen, die sich mit der Zeit auch verändern können.
Gesellschaftliche Trends - wie z.B. der Wertewandel - wirken dabei auf die Stärke
der einzelnen qualitativen Risikofaktoren ein.
(4) Schließlich werden im vierten Schritt externe Verstärker ermittelt, die die Wahrneh-
mung und Risikobewertung speziell von EMF erhöhen. Hier handelt es sich um Kri-
senanlässe, die zu einer drastischen Zunahme der Risikowahrnehmung führen 3 Ein Beispiel mag dies verdeutlichen: Autofahrer fürchten das Risiko, Benzoldämpfe beim Tanken ihrer
Fahrzeuge einzuatmen und dadurch Krebs zu bekommen, stärker als das Risiko, beim Fahren zuverunglücken. Und das, obwohl das Unfallrisiko weit höher ist. Zum einen spielt dabei der Faktor'Schrecklichkeit' - eben die Assoziation mit einer Krebserkrankung - eine Rolle. Zum anderen spielen dieFaktoren 'Freiwilligkeit' der Risikoübernahme und der Faktor 'Kontrollierbarkeit' eine Rolle, die in Bezugdas Risiko des Autofahrens angenommen werden.
105
können. Dieser Schritt beruht auf systematisch gelenkter Intuition.
3. Szenarien im ÜberblickBei der Analyse von Trends, die sich auf die Risikodiskussion in Deutschland auswirken
können, werden 7 Einflußfaktoren betrachtet: Werte, Medien, Soziales, Demographie,
Politischer Kontext, Wissenschaft und Technik sowie Wirtschaft. Diese Einflußfaktoren
werden nachstehend in 2 Grundszenarien (Extremszenarien) und einem Trend-Szenario
zusammengefaßt. Dabei wird auch ausgewiesen, welche Risiken gesellschaftlich in den
Vordergrund geraten.
Wirtschaft: Die wirtschaftliche Leistungskraft einer Gesellschaft bestimmt den Risiko-
katalog der öffentlichen Diskussion. Nur reiche Gesellschaften haben die Ressourcen,
um hypothetische Risiken angehen zu können.
Wissenschaft und Technik: Das Innovationstempo von Wissenschaft und Technik
beeinflußt das Sicherheits- und Orientierungswissen einer Gesellschaft. Ein hohes
Tempo führt dazu, daß das vorhandene Wissen immer schneller entwertet wird. Damit
schrumpft auch die Zukunftsgewißheit; anders ausgedrückt: Zukunftsängste nehmen zu.
Andererseits bildet aber Wissenschaft und Technik die Basis der wirtschaftlichen Lei-
stungskraft einer Gesellschaft. Über beide 'Pfade' beeinflussen Wissenschaft und
Technik Risikodiskussionen.
Soziales: Soziale Entwicklungen, Umbrüche und Veränderungen beeinflussen Werte
und Problemsichten in einer Gesellschaft. Mit Anwachsen des Nord-Süd-Konfliktes und
des Zusammenbruchs des Ostblocks ergeben sich neue Konfliktkonturen und Risiko-
sichten.
Demographie: Immer mehr Ältere leben in unserer Gesellschaft. Insbesondere die Zahl
der Hochbetagten (über 80 Jahre) wird weiter zunehmen. Ende 1986 waren bereits 2,1
Mio. Menschen 80 Jahre und älter. Dieser Trend setzt sich fort. Damit entstehen neue
Ansprüche und Forderungen in der gesellschaftlichen Diskussion, ebenso wie neue Kon-
fliktlagen.
106
Politischer Kontext: Die Rolle des Staates und seine Bewertung in der Öffentlichkeit
ist ein wesentlicher Faktor bei und für die gesellschaftliche Diskussion von Risiko-
themen. Ob der Staat als Garant einer ausgleichenden Risikoregulation tätig ist und als
solcher auch wahrgenommen wird, strukturiert die öffentliche Debatte über Risiken in
einer Gesellschaft.
Werte: Der Wertewandel oder besser die Wertepluralisierung ist ein wichtiger, immer
wieder beschriebener Trend in unserer Gesellschaft. In der Gesellschaft zeigt sich eine
Tendenz zur Pluralisierung von Werten. Verschiedene Wertesysteme koexistieren dabei
nebeneinander; Convenience-Orientierung, Anspruchsgesellschaft sowie der Trend zur
aktiven und kritischen Gesellschaft (Umweltbewußtsein und Partizipationsstreben).
Diese Wertetrends beeinflussen die gesellschaftliche Risikodiskussion maßgeblich.
Medien: Die Entwicklung zur Mediengesellschaft ist evident. Die Welt rückt immer nä-
her, wenn auch in einer besonderen medialen Aufbereitung. Die Medialisierung der
Wirklichkeit schreitet fort (POSTMAN 1988). Damit einher geht ein Erfahrungs-
schwund sowie ein Umbau unseres Wirklichkeitssinns.
107
Faktor GrundszenarioTechnikangst-Gesellschaft
GrundszenarioZitadellengesellschaft
Trendszenario Multiple
Risikogesellschaft
Wirtschaft Wirtschaft entwickeltsich positiv
Wirtschaft entwickeltsich negativ
Gewinner und Verlierer-Split
Wissenschaft undTechnik
hohes Entwicklungs-tempo
niedrigesEntwicklungstempo
hohes Entwicklungs-tempo
Soziales Umweltwerte und Erle-bensstille bestimmen ge-sellschaftliche Gruppie-rungen
Einwanderungsland,Kulturelle Spannungen
Spannungen in derTransfergesellschaft überVerteilung des gesell.Einkommens
Demographie Trend zur Überalterung Konflikte zwischen Altund Jung, ZwischenProduktiven und Nicht-produktiven
Trend zur Überalterung
Politischer Kontext Vertrauensverlust in Staattrotz Ausbau des Öko-Staates
Soziale und politischeKonflikte führen zumSicherheitsstaat
Protest und Widerstandist ein charakteristischerZug der Gesellschaft
Werte Gesellschaft bleibt risiko-sensibel für Technik
Rückzug ins Private Wertedissens in derGesellschaft wächst
Medien Infotainment führt zuweiterer Dramatisierungvon technischen Risiken
Medien konzentrierensich auf Ökonomie undWohlfahrtsversagen
Infotainment führt zurVerstärkung vorhandenerVorbehalte und Ein-stellungen
Tabelle 1: Grundszenarien und Trendszenario
Grundszenario A: 'Technikangst-Gesellschaft'
Die weitere wirtschaftliche Entwicklung ermöglicht eine stärkere oder zumindest gleich-
bleibende Gewichtung von Umwelt- und Gesundheitsproblemen. Damit bleibt die
Risikodiskussion virulent. Technologien wie Gentechnik und Kernkraft, aber auch
andere Felder (Chemie, Pharmazie) stehen im Mittelpunkt der Risikodebatte. Das
Diskussionsfeld weitet sich aus: Textilien, Tourismusindustrie, Versicherungswirtschaft
und Lebensmittelbranche geraten immer stärker in die Risikodebatte. Die Medien setzen
weiterhin auf Dramatisierung - Risikokommunikation bleibt ein bestimmender Diskus-
sionsstrang in der Öffentlichkeit. Schon geringe Anlässe genügen, um Produkte, Produk-
tionsanlagen und Unternehmen in 'negative' Schlagzeilen zu bringen. Der Branchen-
transfer von Risikokontroversen entwickelt sich weiter.
108
Die 'Me First'-Orientierung (d.h. der gesellschaftliche Egoismus), die Dominanz von
Umweltbewußtsein und die Entwicklung zur kritischen Gesellschaft führen dazu, daß
technische Anlagen nur noch gegen Widerstände durchzusetzen sind. Die Ansprüche
gegenüber Unternehmen weiten sich aus. Dies drückt sich vor allem in der Verantwor-
tungszuschreibung aus. Was traditionell in der Verantwortlichkeit des Bürgers war (z.B.
Konsumgütergebrauch oder auch die Verkehrsmittelwahl) wird immer öfter der
Verantwortlichkeit der Unternehmen zugerechnet. Der Staat schafft immer neue
Rahmenbedingungen, die Unternehmen zusätzliche Verpflichtungen auferlegen.
Umwelt-Gesetze und Auflagen verschärfen sich (Öko-Staat). Dabei werden neben Ge-
sundheits- und Umweltrisiken auch Sozialverträglichkeitsrisiken thematisiert. Nicht nur
Qualität und Quantität von umwelt- und technikbezogenen Ansprüchen ändern sich,
sondern auch deren Materialität: Die Art und Weise, wie diese vorgetragen, eingeklagt
oder durchgesetzt werden, vollzieht sich auf neue Weise: Ansprüche werden immer
mehr zu Forderungen. Moral wird zur Waffe. Gegenüber diesen Forderungen bleibt die
staatliche Umweltpolitik immer zurück. Damit verliert der Staat als Regelungsinstanz an
Bedeutung. Das Vertrauen in ihn schwindet. Außerdem machen der wachsende Wissen-
schaftsskeptizismus und das schwindende Vertrauen Aufklärung und das Berufen auf
die 'richtigen' Experten immer schwerer.
Grundszenario B: 'Zitadellengesellschaft'
Die internationale Arbeitsteilung schreitet fort. Schwellenländer drängen mit Erfolg
auch in den High Tech Bereich. Damit gehen in Deutschland immer mehr Arbeitsplätze
verloren. Die wirtschaftliche Situation in Deutschland verschlechtert sich. Ar-
beitsplatzsicherheit wird zum Thema Nr. 1. Außerdem kommt es zu einer Verschärfung
von Gegensätzen zwischen den 'produktiven' und den 'unproduktiven' Teilen der Gesell-
schaft. Dieser Konflikt, der sich als Verteilungskampf äußert, wird von kulturellen
Spannungen und Konflikten im Einwanderungsland Deutschland überlagert, die seitens
des Staates nicht mehr bewältigt werden. Der Umbau zum Sicherheitsstaat schreitet
voran. Die Medien widmen sich stärker den sozialen und politischen Spannungen. Nicht
mehr technische, sondern soziale und politische Risiken stehen im Mittelpunkt der Auf-
merksamkeit: Es geht um Kriminalität, organisiertes Verbrechen, Armut versus Reich-
tum, ethnische Konflikte sowie Konflikte zwischen Alt und Jung. Die Technikdiskus-
sion verändert sich von der Risikodiskussion hin zur Diskussion der Sicherung der Lei-
109
stungsfähigkeit des Sozial- und Wohlfahrtsstaates. Technik erscheint dabei nicht mehr
nur als Risiko, sondern auch als Chance. An die Stelle des gesellschaftlichen
Engagements tritt der Rückzug in das Private.
Trendszenario: 'Multiple Risikogesellschaft'
Die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland splittet sich. Es gibt sowohl Gewinner
als auch Verlierer-Branchen. Die Kostenproblematik des Standortes Deutschland und
die Internationalisierung der Konkurrenz schlägt durch. Die permanente Verschlankung
der Unternehmen koppelt Teile der produktiven Bevölkerung vom Arbeitsmarkt und
damit vom Erwerbsleben ab. Damit verändert sich der klassische Wohlfahrtsstaat: Der
Gesellschaftsvertrag des 'Immer mehr' und 'Immer Besser' wird brüchig. Die Bevölke-
rungsgruppen, die weiter am Erwerbsleben teilhaben und die Produktivität der
Gesellschaft bestimmen, unterscheiden sich immer stärker von den Transferempfängern
in der Gesellschaft. Die Auseinandersetzung um den Transfer von den 'Produktiven' hin
zu den 'Nichtproduktiven' ist der dominante gesellschaftliche Konflikt. Damit steht auch
das Gut 'innere Sicherheit' beziehungsweise 'innerer Friede' im Mittelpunkt der
gesellschaftlichen Auseinandersetzung.
In den produktiven Teilen der Gesellschaft, die am Erwerbsleben teilhaben, wachsen die
Ansprüche weiter. Hier dominieren Sicherheits- und Besitzdenken. Materielle Werte
paaren sich hier mit Fortschritts- und Wissenschaftsskeptizismus. Eskapistische
Tendenzen, New Age und Esoterik gewinnen an Bedeutung.
Die aus dem produktiven Sektor ausgegrenzten Teile der Bevölkerung fallen weitgehend
aus dem öffentlichen Bewußtsein (genauer: veröffentlichtes Bewußtsein) heraus. Sie
finden kaum Beachtung. Die Entsolidarisierung in der Gesellschaft wächst. Das
Bewußtsein der ausgegrenzten Bevölkerungsgruppen wechselt zwischen Fatalismus und
Aggressivität. Zielscheibe sind sowohl der Staat, der soziale Gleichheit bzw. Ausgleich
nicht mehr garantieren kann, als auch alle, die im produktiven Teil der Gesellschaft
verblieben sind. Damit bleiben auch Unternehmen Projektionsfläche von Kritik und
Protest.
Allerdings bleibt in produktiven Teilen der Gesellschaft die Frage der Umwelt- und Ge-
110
sundheitsrisiken relevant. Andere Gruppierungen der Gesellschaft nutzen diese
Diskussion immer dann, wenn sie damit eigene Ziele (etwa nach finanziellen Kom-
pensationen) befördern können (siehe dazu genauer im nächsten Absatz).
4. Risikowahrnehmung von Technik im Trendszenario 'Multiple
Risikogesellschaft'
Die 'Multiple Risikogesellschaft' richtet ihre Aufmerksamkeit auf eine Vielzahl von
Risiken: Sowohl soziale, politische als auch technische Risiken sind Gegenstand der
öffentlichen Aufmerksamkeit (siehe Tabelle 2). Das Risikobewußtsein 'vagabundiert' auf
dem Hintergrund einer allgemeinen Bedrohungs- und Gefährdungswahrnehmung.
'Nervöse Spannungen' kennzeichnen die Einstellung des Einzelnen zu seiner Umwelt.
Vor allem aber ist das Risikobewußtsein uneinheitlich: Stärker als heute finden sich
beträchtliche Unterschiede zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen. Nur
durch Überspitzung und Dramatisierung vermögen die Medien noch gesellschaftliche
Aufmerksamkeit zu binden.
111
Einflußfaktor Trend Auswirkung aufRisikowahrnehmung
Wirtschaft Split zwischen Gewinnern und Verlierern heterogenes Risikobewußtsein in derGesellschaft
Wissenschaft undTechnik
Erfahrungsverlust der Öffentlichkeit auf-grund des hohen Entwicklungstempos
heterogenes Risikobewußtsein in derGesellschaft
Politischer Kontext Protest und Widerstand ist ein charakte-ristischer Zug der Gesellschaft
Konflikt um Transfer zwischen Produktivenund den von der Produktivität Aus-gegrenzten ist bestimmend.
Konflikte um Risiken werden ag-gressiver ausgetragen
Demographie Zuwanderung nimmt zu, Überalterung,Single-Haushalte sind dominant
Abschwächung der Risikowahrnehmungvon Technik zugunsten der sozialen undkulturellen Risiken
.Soziales Soziale Spannungen zwischen den verschie-denen Teilen der Gesellschaft wachsen
Der dominante ökonomische Transfer-konflikt verstärkt die Wahrnehmungsozialer und politischer Risiken
Werte Wertedissens in der Gesellschaft wächst'Me first'-Einstellung und Konsumorien-tiertes Genußstreben bei den 'Produktiven'
Fatalismus und Aggressivität bei den ausdem Erwerbsleben Ausgegrenzten
Technische Risiken werden fokussiert,wenn eigene Betroffenheit vorliegt
Medien Konkurrenz unter den Medien führt zu einerstärkeren Infotainment-Ausrichtung
Interaktive und selektive Mediennutzungsetzt sich durch, damit verstärken Medienzunehmend bereits bestehende Auf-fassungen und Überzeugungen
Verstärkung der Risikowahrnehmungwegen der Dramatisierung von Risikendurch die Medien
Tabelle 2: Risikowahrnehmung im Szenario 'Multiple-Risikogesellschaft'
Technische Risiken werden vor allem dann thematisiert, wenn sie das soziale Un-
gleichgewicht in der Gesellschaft verstärken (z.B. Job-Killer-Argument). Und sie
gewinnen dann an Bedeutung, wenn sie die 'Produktiven' treffen, d.h. die, die über
Arbeit, Kapital und Einkommen verfügen. Treffen solche technischen Risikopotentiale,
auch wenn sie nur vermutet werden (hypothetische Risiken), die produktiven Bevölke-
rungsschichten, so gewinnen sie an medialer und gesellschaftlicher Aufmerksamkeit.
Im Kampf um die knappe Ressource 'mediale und gesellschaftliche Aufmerksamkeit'
112
bestimmen nicht gesellschaftliche Anspruchsgruppen klassischer Prägung, sondern
kleine schlagkräftige Lobbies, die an die Werte und Interessen der produktiven Eliten
anknüpfen, öffentliche Debatten und Kontroversen.
Das Vertrauen in den Staat als Risikoregulator bzw. Sicherheitsgarant sinkt weiter.
Naturwissenschaft als Lösungsgarant von Risikokonflikten verliert an Bedeutung. Zum
einen wird die Kluft zwischen Naturwissenschaft und Alltagswissen immer größer. Zum
anderen verliert das naturwissenschaftliche Paradigma an Akzeptanz in der Bevölkerung
(Trend zu Esoterik, New Age und Wissenschaftsskeptizismus). Die Öffentlichkeit
versteht die Wissenschaft nicht mehr.
5. Selektive Verstärkung von qualitativen Risikofaktoren bei der
Risikowahrnehmung und -bewertung von TechnikWie bereits angemerkt (siehe Fußnote 3, Teil III) bewerten Laien Risiken nach einer
anderen Logik. Während Experten gleichgewichtig Schadenshöhe und Schadens-
wahrscheinlichkeit betrachten, gehen Laien gemäß ihres 'intuitiven Risikokonzepts' vor
(vgl. JUNGERMANN & SLOVIC 1993). Sie orientieren sich neben dem Schaden und
der Wahrscheinlichkeit auch an der Schadensverteilung sowie an Eigenschaften der
Risikoquelle, des Risikomanagements und der vom Risiko Betroffenen. Die wichtigsten
dieser qualitativen Risikofaktoren sind Freiwilligkeit, Kontrollierbarkeit, Katastrophen-
potential, Schrecklichkeit, Betroffenheit, Wahrnehmbarkeit, Bekanntheit/Vertrautheit
und Nutzen.
113
qualitative Faktoren der Ri-sikobewertung bei Technik
Wirkung: Risiko hoch, wenn zukünftige Bedeutung desFaktors für die Risikowahr-nehmung
Freiwilligkeit Risikoübernahme unfreiwillig bleibt relevant
Kontrollierbarkeit geringe Kontrollierbarkeit der Risi-koquelle
Bedeutung nimmt bei denProduktiven zu
Katastrophenpotential Katastrophenpotential hoch bleibt relevant
Vertrautheit geringe Vertrautheit mit der Risiko-quelle
bleibt relevant
(Un)Bekanntheit kein Wissen über Risiko vorhanden bleibt relevant
Furchterregung Mögliche bzw. angenommene Ver-ursachung von Krebs
bleibt relevant
Vermeidbarkeit/Reduzierbarkeit
technisches Potential zur Risikore-duktion nicht ausgeschöpft
Bedeutung nimmt bei Pro-duktiven zu
Betroffenheit wenn eigene Betroffenheit vorliegt Bedeutung nimmt bei Pro-duktiven zu
Risiko-Nutzen-Verteilung Risiko trifft (auch) andere Personen nimmt ab
Tabelle 3: Qualitative Risikofaktoren
Die Bedeutung von Kontrolle/Kontrollierbarkeit bei den Produktiven macht zudem für
Risiken, die als auferlegt empfunden werden, besonders sensibel. Denn Eigeninitiative
und ein aktiver Gestaltungswille sind wichtige Voraussetzungen, um einen Platz in dem
produktiven Bevölkerungsteil zu finden. Die Vermutung, daß es im Prinzip technische
Mittel gibt, um Risikopotentiale entweder einzugrenzen oder ganz zu eleminieren
(risikofreie Substitute mit den gleichen Nutzeneigenschaften) wächst angesichts der
technischen Entwicklung.
Die 'Me first'-Orientierung verstärkt die Betroffenheit und läßt die Forderung nach der
Null-Risiko-Forderung (jedenfalls für sich und seinesgleichen) zunehmen. Insbesondere
dann, wenn produktive Teile der Bevölkerung sich von möglichen Risikopotentialen be-
troffen sehen, gewinnen Bedenken, Einsprüche und Proteste an Boden. Die Unverständ-
lichkeit technischer Risiken verstärkt die Risikowahrnehmung. Der durch die weitere
schnelle technologische Entwicklung bedingte Erfahrungsverlust führt zu Gefühlen des
Ausgeliefertseins. Persönliche Erfahrungen und Alltagsweisheiten verlieren gegenüber
medienvermitteltem Wissen und Einstellungen an Einfluß bei der Risikoabschätzung.
114
Zudem agieren Medien vielfach nicht als Berichterstatter oder Vermittler technischer
und wissenschaftlicher Informationen, sondern dramatisieren und konstruieren
zunehmend Skandale.
Für den EMF-Bereich Mobilfunk heißt das:
• Die bestehende Unsicherheit in der Öffentlichkeit bleibt. Und sie bleibt ein kritischer
Faktor. Die Unsicherheit in der Öffentlichkeit über das Risikopotential von EMF
läßt sich weder durch Wissenschaft noch durch staatliche Grenzwert-Verordnungen
und Festlegungen auflösen. Paradoxerweise können gerade solche Verordnungen als
(vorläufiger) Beweis für das Risikopotential gewertet werden.
• Die besondere Relevanz von Kontrolle bzw. Kontrollierbarkeit stellt neue technische
Anforderungen an die Mobilfunkgeräte. Gefordert werden 'risikoärmere' Betriebs-
weisen, die zudem dem Nutzer mehr Kontrollmöglichkeiten über Risiko-relevante
Parameter geben (z.B. Feldstärke des Gerätes).
• Der Faktor 'Freiwilligkeit' ist zwar in Bezug auf Mobilfunkgeräte - Stichwort Konsu-
mentensouveränität - gegeben. Jeder kann sich zumindest gegen den Kauf eines sol-
chen Gerätes entscheiden. In erster Näherung ist deshalb 'Unfreiwilligkeit' nur ein
Problem bei der Standortwahl für Sendeanlagen. Hier wird dieser Risikofaktor
weiter greifen, wenn neue Sendeanlagen gebaut werden müssen. Aus der bisherigen
Diskussion um Risiken in anderen Branchen (z.B. Auto, Lebensmittel, Pharmazeuti-
ka) muß jedoch der Schluß gezogen werden, daß die Risikozumutung über die
Kaufentscheidung den Faktor 'Freiwilligkeit' nicht völlig aufhebt. Immer dann,
wenn der Eindruck entsteht, man hätte es nicht gewußt, sei nicht ausreichend infor-
miert worden etc., kommt dieser Faktor wieder ins Spiel. Gerade die Krisen in an-
deren Branchen4 zeugen davon. Hier ist ein Feld für Risikokommunikation: Hin-
weise, Labels etc. (siehe WIEDEMANN & SCHÜTZ 1994).
• Der Faktor Betroffenheit ist insbesondere im Zusammenhang mit der Veränderung der
Alterspyramide und des Einsatzes von mikrotechnischen Implantaten bei Menschen
4 Siehe hier die jüngste Diskussion um die Gesundheitsrisiken von Babynahrung aufgrund von Pestizid-
Rückständen.
115
von Bedeutung. Bereits heute gibt es etwa 200 000 Personen mit Herz-
schrittmachern. Andere Einsatzgebiete für mikrotechnische Implantate bei Alters-
leiden und Funktionsschwächen werden kommen. Damit wird die elektromagneti-
sche Verträglichkeit eine Frage der persönlichen Betroffenheit.
• Das Katastrophenpotential wird bei der Risikodiskussion von Mobilfunk keine
entscheidende Rolle spielen, trotz der Allgegenwertigkeit von EMF. Zu berücksich-
tigen sind jedoch kritische Ereignisse, die ähnlich wie bei der Asbestdiskussion zu
Forderungen nach Sanierungen, Risikoeindämmung und Null-Risiko etc. führen
können.
• Im Hinblick auf den Nutzen-Faktor ist im EMF Bereich gerade die Gleichsetzung
'High Tech = High Prestige' von Bedeutung. Gerade die Teile der Bevölkerung, die
als Transferempfänger von der Nutzung von Mobilfunk ausgegrenzt sind, werden
soziale Aversionen gegen den Prestigeträger 'Mobiltelefon' entwickeln.
• Eine verstärkte Verbindung von Mobilfunk und Yuppie-Kultur in den Medien kann zu
einer Ausgrenzung und Stigmatisierung von Mobilfunkgeräten in Teilen der Bevöl-
kerung führen. Werden Mobilfunkgeräte als unnötiger Luxus angesehen, schwächt
das die Nutzenbewertung und führt damit auch zu einer verstärkten Risi-
kobetrachtung.
6. Kritische Ereignisse für die EMF-RisikodiskussionNicht nur Trends und langfristige Veränderungen der Gesellschaft können die Risikodis-
kussion um EMF beeinflussen. Es sind auch Ereignisse und einzelne Vorfälle, die zu
einer Verstärkung oder Abschwächung der hier beschriebenen künftigen Wahrnehmung
von EMF-Risikopotentialen führen können.
Im Rahmen der 'Multiplen Risikogesellschaft' können folgende Ereignisse die The-
matisierung von EMF-Risiken verstärken. Ihnen sollte deshalb besondere Beachtung
zukommen:
116
• Spektakuläre Schadensfälle: Das Bekanntwerden von Einzelfällen, wo Erkrankungen
oder Umweltschäden auf Mobilfunk zurückgeführt werden. Aber auch
Schadensereignisse im niederfrequenten Bereich schlagen auf den Mobilfunkbereich
durch. Gerade die Unkenntnis über EMF und damit die mangelnde Differen-
zierungsfähigkeit bewirkt, daß auch Schadensfälle aus dem 50 Hz Bereich die
Aufmerksamkeit für Risiken des Mobilfunks wachsen lassen.
• Wissenschaftliche Studien: Hier dominiert besonders das Feststellen des Krebsrisikos,
auch wenn es sich um Dosen handelt, die weit ab vom Normalbetrieb des
Mobilfunks liegen. Gleiches gilt für Studien über Langzeitrisiken der Nutzung des
Mobilfunks mit nichtkanzerogenen Effekten. Sie lenken die Aufmerksamkeit auf
das Risikopotential und werden als Risikobeweis gesehen, unabhängig von den
Expositionsbedingungen. Einmal Risiko immer Risiko. Umgekehrt finden Studien
mit 'No Effect' keine besondere Beachtung.
• Gesetze und Verordnungen: Verordnungen und Maßnahmen im Rahmen der
Gesetzgebung, wie z.B. die Umkehr der Beweislast bei der Haftpflicht, verpflichten
Unternehmen auch bei hypothetischen Risiken zu ökonomisch nicht mehr tragbaren
Vorsorgeleistungen im Rahmen des Risikomanagements. Das kann auch auf den
Mobilfunk hin ausgelegt werden.
• Branchentransfer: In einer Branche, die bislang immer darauf hingewiesen hat, daß
keine Risiken bestehen, muß dann doch zugegeben werden, daß Risiken vorhanden
sind. Dieser Umstand wird auf den EMF Bereich übertragen. Hierbei können auch
Effekte aus fremden Branchen (z.B. der Textilindustrie durchschlagen). Es werden
Alltagsweisheiten und Vorstellungen geprägt, nach dem Motto 'Da sieht man es wie-
der, es ist doch gefährlich.' und 'Was hier möglich war, kann auch beim Mobilfunk
der Fall sein'.
• Semantische Analogien: Besonders kritisch wäre eine Übertragung des Strahlen-
Begriffs auf den EMF-Bereich. Damit würde dann der Weg für die Analogie mit der
Radioaktivität gebahnt und alle Ängste, die gegenüber der Kernkraft vorhanden
sind, übertragen.
117
VI. Empfehlungen und Ausblick
1. EmpfehlungenIm weiteren werden erste Empfehlungen für die Kommunikation zum Thema 'Risikopo-
tentiale von EMF' gegeben. Diese beruhen einerseits auf der vorliegenden Studie, ande-
rerseits auf der in der Programmgruppe MUT vorhandenen allgemeinen Experten-
wissens zur Risikokommunikation5 (z.B. WIEDEMANN 1991, WIEDEMANN 1993,
CLAUS & WIEDEMANN 1994, WIEDEMANN & SCHÜTZ 1994).
Die aufgeführten Kommunikationsempfehlungen sind vorläufig. Sie ermöglichen zwar
eine Orientierung, bedürfen aber der weiteren Abklärung ihrer Voraussetzungen durch
eine repräsentative Untersuchung, die es ermöglicht, die Besonderheiten der Risiko-
wahrnehmung der verschiedenen Zielgruppen genauer zu bestimmen. Außerdem sind
die Empfehlungen im einzelnen noch auszuarbeiten. Auch dazu sind entsprechende
F&E-Projekte durchzuführen.
Bei der Planung von Risikokommunikation ist vor allem die grundsätzliche Differenz
gegenüber der Werbung anzuerkennen. Risikokommunikation hat andere Voraus-
setzungen und Ziele sowie eine andere Logik:
• Risikokommunikation bezieht sich in der Regel auf Themen, die in der Öffentlichkeit
entweder negativ besetzt sind, wo Ängste vorherrschen oder undeutliche
Befürchtungen. Bei der Werbung geht es dagegen eher um die Verstärkung einer an
sich positiven Sicht.
• Risikokommunikation klärt auf und erklärt: Sie bietet Verstehenshilfen für die
Einschätzung von Risiken und bietet Bewertungsperspektiven für Risiken. Im Ver-
gleich dazu versucht Werbung, die Aufmerksamkeit für ein Produkt, die positive
Einstellung zu einem Produkt und die Kaufabsicht der Konsumenten zu verstärken.
• Risikokommunikation ist extrem abhängig von Vertrauen und Glaubwürdigkeit sowie 5 Als Risikokommunikation wird der Austausch von Information über Risiken verstanden. Eingeschlossen
sind alle Aktivitäten des Aufweisens, der Bewertung und des Umgangs mit Risiken.
118
von Vorannahmen über den Sender und über die Absichten, die dem Sender
unterstellt werden. Diese sind im Falle von Werbung meistens keine kritischen
Variablen.
• Risikokommunikation trifft häufig auf ausgeprägte kognitive Differenzen von Sender
und Empfänger. Auf der einen Seite steht die technisch-wissenschaftliche Sicht von
Experten, auf der anderen Seite die intuitive Rationalität von Laien bei der
Wahrnehmung und Beurteilung von Risiken. Solche Rationalitätsunterschiede
spielen bei der Werbung keine Rolle.
• Risikokommunikation kann immer konterkariert werden. Es gibt viele Quellen, die zu
einem Risikothema auch verschiedene und kontroverse Auffassungen verbreiten.
Bei der Werbung ist Verbreitung 'schlechter' oder gegenteiliger Auffassungen nicht
oder kaum der Fall.
Kommunikation über Risiken erfolgt in verschiedenen Situationen bzw. Zusammen-
hängen und mit unterschiedlichen Zielsetzungen. Im wesentlichen lassen sich unter-
scheiden (siehe auch COVELLO et al. 1986 sowie PLOUGH und KRIMSKY 1987 und
RENN 1991, WIEDEMANN und SCHÜTZ 1994):
• Risiko-Information mit dem Ziel, Wissen zu vermitteln und Einstellungen oder Ver-
halten zu Risikoquellen zu verändern;
• Bewertungsperspektiven zur Bezugsetzung von Risiko und Nutzen (bzw. Chancen) zu
offerieren;
• im Schadensfall (bei Katastrophen, Störfällen etc.) zu alarmieren und Verhaltensre-
geln zum Selbstschutz zu vermitteln;
• Konfliktlösungen bei einem Dissens über Risiken zu organisieren.
Risiko-Kommunikation ist jedoch nicht nur auf inhaltliche Ziele ausgerichtet. Wie bei
aller Kommunikation läßt sich auch bei Risikokommunikation neben dem Inhaltsaspekt
immer ein Beziehungsaspekt (d.h. die Rollen der an der Kommunikation Beteiligten)
und ein Handlungsaspekt (d.h. die Handlungen, die mit der Kommunikation vollzogen
werden) sowie ein Selbstdarstellungsaspekt unterscheiden.
119
Probleme auf der Inhaltsebene: Risiko-Information ist wissenschaftliche Information.
Sie trifft deshalb oft auf Verstehensbarrieren. Sie erfordert die Anerkennung von Unge-
wißheiten, ein Denken in Wahrscheinlichkeiten sowie die Beachtung komplexer Zusam-
menhänge.
Beispiel: Mitunter vermuten Menschen, daß elektromagnetische Felder Stimmungen
und Gefühle von Menschen beeinflussen können. Und sie wissen in der Regel
nicht, wie sich elektrische Felder abschirmen lassen (MORGAN et al. 1990). -
Oder es wird angenommen, daß Röntgenstrahlen auch nach Abschalten des
Röntgengerätes weiter wirksam sind (KEREN & EIJKELHOF 1991).
Probleme auf der Beziehungsebene: Risiko-Information trifft außerdem auf strategi-
sche Zielstellungen und Ausgangslagen sowie unterschiedliche Interessen. Was für den
einen relevant ist, hat für den anderen keine Bedeutung. Und: Vorurteile, Stereotype,
aber auch reale negative Erfahrungen können das Bild vom Kommunikator beim Emp-
fänger prägen. Er kann z.B. versteckte Eigeninteressen, Manipulationsabsichten und
strategische Kommunikation vermuten. Risiko-Information kann so auf Ablehnung,
Mißtrauen oder auf Abwehr stoßen.
Beispiel: Bürger wehren sich u.a gegen die Errichtung von Funksendeanlagen und
gehen dabei davon aus, daß die Planer bzw. künftigen Betreiber mit allen Mitteln
versuchen werden, ihre Anlagen zu errichten. Damit wird in der Aus-
einandersetzung ein Feindbild aufgebaut. Umgekehrt unterstellen Planer oft den
Bürgern eine Irrationalität und Feindseligkeit.
Probleme auf der Handlungsebene: Zweck der Information über Risiken ist die Beein-
flussung von Menschen. Es geht um die Modifikation von Einstellungen, Wissen oder
Verhalten. Ob dies erfolgreich ist, hängt nicht allein vom Kommunikator ab, sondern
auch vom Empfänger: So kann eine Alarmierung in den Wind geschlagen werden; das
Bemühen um Akzeptanz kann zu Ablehnung führen und Entwarnungen im Hinblick auf
vermeintliche Risiken beruhigen nicht, sondern verängstigen.
120
Beispiel: Der Versuch etwa, Elektrosensible davon zu überzeugen, daß sie ihre Be-
findlichkeitsstörungen zu Unrecht mit EMF in Verbindung bringen, hat - un-
abhängig davon, ob dies begründet ist oder nicht - von vornherein wenig Chan-
cen, weil hier subjektiv überzeugende und stabile Kausalattributionen vorliegen.
Probleme auf der Selbstdarstellungsebene: Jeder Risikokommunikator steht vor dem
Problem, seine Botschaften glaubwürdig zu gestalten. Denn davon hängt ab, ob die In-
formationen beim Empfänger Beachtung finden und weiter verarbeitet werden.
Beispiel: In einer Broschüre über die Risiken elektromagnetischer Felder sah es der
Autor als seine Aufgabe an, nicht nur seine Fachkompetenz darzustellen, sondern
auch auf seine Unabhängigkeit von Elektrizitätsunternehmen hinzuweisen. Auf
diese Weise sollte das Bild des glaubhaften Wissenschaftlers vermittelt werden
(MORGAN 1989).
Für die Risikokommunikation im EMF-Bereich stehen inhaltlich vor allem (1) Risiko-
Information, (2) die Bewertungsperspektive zur Bezugsetzung von Risiko und Nutzen
sowie (3) die Organisation von Konfliktlösungen im Vordergrund. Dabei ist davon
auszugehen, daß das EMF-Thema für die Mehrheit der Bevölkerung derzeit kein 'high-
involvement'-Thema ist. Vielmehr ist Unsicherheit über die Risiken das dominierende
Moment. Es gibt jedoch spezifische Gruppen, für die das Thema eine hohe Relevanz hat.
Diese Differenzen sind zu beachten. Weiterhin sind Vertrauens- und Glaubwürdig-
keitsfragen von herausragender Bedeutung. - Denn den Mobilfunk-Unternehmen wird in
der Öffentlichkeit eher Mißtrauen entgegengebracht.
Kommunikative Probleme, die es vorrangig anzugehen gilt, sind:
• das Yuppie-Image von Mobiltelefonen in der Öffentlichkeit,
• die Unkenntnis über EMV6 und EMUV7 bei Betroffenen und Mobilfunkbenutzern,
6 EMV = Elektromagnetische Verträglichkeit. Sie betrifft Störungen von technischen Geräten untereinander
aufgrund der Emission von elektromagnetischen Feldern.
7 EMUV = Elekromagnetische Umweltverträglichkeit. Sie bezeichnet Gesundheitsgefahren, die durch diedirekte Einwirkung von elektromagnetischen Feldern auf den Menschen hervorgerufen werden.
121
• die Konflikte bei der Standortsuche für Mobilfunksendeanlagen,
• der Expertenstreit.
Tabelle 1 zeigt zielgruppenspezifisch, welcher Fokus und welche Kommunikations-
strategie bei der Bearbeitung dieser Probleme zu wählen sind.
Zielgruppe Problemlage Fokus Strategie
breite Öffentlichkeit Yuppie-Image von Mo-biltelefonen.Mobiltelefone werden alsLuxusprodukt gesehen.
Funktionsnutzen deutli-cher für verschiedeneNutzergruppen beschrei-ben. Imagekampagne al-lein ist negativ
Gebrauchswertwerbungfür verschiedene Gruppenherausstellen
Mobilfunknutzer Unkenntnis von EMV-und EMUV-Fragen - Pro-dukthaftungsrecht
Hinweise auf EMV- undEMUV-Probleme
Aufklärung: Produkt-information wie Bei-packzettel bei Medika-menten
Ärzte Risikopotentiale bei Per-sonen mit Herz-schrittmachern und ande-ren mikrotechnischen Im-plantaten
Information über dasEMV- und EMVU-Thema
Fachinformation
Anwohner von geplantenMobilfunksendeanlagen
Konflikte bei der Stand-ortsuche für Mobil-funksendeanlagen
Beziehungsgestaltung beiGenehmigungs-verfahren
Kooperationsangebote
Experten Expertenstreit Konsense und Dissenseabklären
Plattform für Diskus-sionen bieten
Tabelle 1: Kommunikationsraster
Aus Untersuchungen zur Wahrnehmung von Produktrisiken (WIEDEMANN &
SCHÜTZ 1994a) ist bekannt, daß die Akzeptanz von Produkten vom Nettorisiko
abhängt, d.h. von der Differenz vom wahrgenommenen Nutzen und Risiko. In den
Fokusgruppen hatte sich gezeigt, daß der Nutzen von Mobiltelefonen bei den Nicht-
mobiltelefonbesitzern eher als gering eingestuft wird. Es ist deshalb ratsam anstelle von
Imagekampagnen für das Mobiltelefon, klare gruppenspezifische Nutzenbotschaften zu
bringen. Dabei sollte jedoch kein überzogenes Bild vermittelt werden.8 Zum Thema
Risikopotentiale von EMF sollte passiv, d.h. auf Nachfrage informiert werden. 8 Ein Beispiel dafür bietet die Mannesmann Mobilfunk GmbH mit einer Broschüre zu Mobilfunk und Umwelt.
Hier heißt es: "Oder zum Beispiel im Straßenverkehr: "Hier kann durch Stauwarnung der Verkehr sicherer,flüssiger und somit (durch geringen Benzinverbrauch) umweltfreundlicher gemacht werden."
122
Mobilfunknutzer sollten in Grundzügen über EMV und EMUV aufgeklärt werden. Das
Problem betrifft dabei vor allem die Produkthaftpflicht. Danach hat der Hersteller die
Pflicht, in vollem Umfang auf mögliche Risiken seines Produktes hinzuweisen. Miß-
brauchsgefahren sind dabei zu berücksichtigen. Ein Beipackzettel, wie sie bei Arznei-
mittel verwendet werden, wäre hier angezeigt.
Ärzte stellen eine weitere wichtige Zielgruppe dar. Hier geht es sowohl um Personen,
die ihre Beschwerden EMF zuschreiben, als auch potentiell gefährdete Personen mit
elektrotechnischen Körperimplantaten, die bei Ärzten Rat und Hilfe suchen. Dafür sollte
diese Berufsgruppe mit Fachinformationen versorgt werden. Der Aufbau einer Hot-Line,
das Sponsering von Kongressen oder der Aufbau Btx-zugänglicher Datenbanken wären
hierzu geeignete Mittel.
Bei der Planung von Mobilfunksendeanlagen sollte versucht werden, die bestehenden
Konflikte mit den Anwohnern kooperativ zu lösen. Dazu bieten sich Verfahren wie die
Mediation oder andere Formen der Konfliktmittlung und des Bürgerdialogs an. Für
solche Verfahren sind entsprechende Informationsgrundlagen bei den Planern zu
schaffen. Darüber hinaus gilt es, Trainingsmöglichkeiten zu bieten.
Schließlich sollte der Expertenstreit um die Risikopotentiale von EMF und das Risi-
komanagement angegangen werden. Hier empfiehlt sich eine offene und aktive Kom-
munikationsstrategie. Es gilt eine Plattform für Diskussionen und Erörterungen zu
schaffen. Aufgabe wäre es, die Dissense und Konsense im Problemfeld EMF-Risiko-
potentiale klarer zu konturieren und konsensfähige Bewertungskriterien für die Bewer-
tung von Risiken zu erarbeiten.
2. AusblickDie hier vorliegende Studie gibt Einblick in die gegenwärtige Risikodiskussion und -
wahrnehmung im EMF-Bereich. Und sie zeigt auf, welche Trends und welche externen
Ereignisse die weitere Entwicklung der EMF-Risikodiskussion beeinflussen. D.h. sie be-
antwortet im ersten Teil die Fragen: Wie relevant ist das Thema EMF-Risiken in der
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Öffentlichkeit? Was denken Menschen über EMF-Risiken? Welche Einstellungen sind
anzutreffen? Wie verlaufen Meinungsbildungsprozesse? Im zweiten Teil geht es um
Expertensichten und Streitpunkte unter Experten sowie um die speziellen
Konfliktstrukturen bei der Suche für Standorte von Mobilfunksendeanlagen. Im dritten
Teil steht schließlich die Frage im Vordergrund, welche Entwicklung die Ausein-
andersetzung um EMF-Risiken nehmen kann und welche kritischen Ereignisse diese
Entwicklung beeinflussen können. Daraus werden dann erste Konsequenzen für die
Kommunikation mit der Öffentlichkeit abgeleitet. Um jedoch fundierte Kommunika-
tionsstrategien entwikeln und umsetzen zu können, ist eine weitere Absicherung und
Vertiefung der vorliegenden Ergebnisse durch eine repräsentative Studie notwendig.
Auch die Beantwortung der Fragen nach dem zukünftigen Forschungsbedarf aus Sicht
der Gesellschaft ist weiter zu vertiefen. Der von uns vorgeschlagene 'Runde Tisch EMF-
Forschungsfragen' wäre ein geeignetes Instrument, um die Bedingungen, unter denen die
EMF-Forschung in der Öffentlichkeit als glaubwürdig angesehen wird, und die Akzep-
tanz von Grundsätzen des Risikomanagements im EMF-Bereich zu erfassen.
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