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Programmgruppe Mensch, Umwelt, Technik (MUT) Forschungszentrum Jülich Programmgruppe Mensch, Umwelt, Technik (MUT), Forschungszentrum Jülich GmbH, D-52425 Jülich („http://www.fz-juelich.de/mut“) Elektrosmog - Ein Risiko? Bedeutungskonstitution von Risiken hochfrequenter elektromagnetischer Felder Peter M. Wiedemann Alexander Bobis-Seidenschwanz Holger Schütz ARBEITEN ZUR RISIKO-KOMMUNIKATION Heft 44 Jülich, August 1994

Elektrosmog - Ein Risiko? Bedeutungskonstitution von Risiken hochfrequenter elektromagnetischer Felder

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ProgrammgruppeMensch, Umwelt, Technik (MUT)

Forschungszentrum Jülich

Programmgruppe Mensch

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AR

Hef

Elektrosmog - Ein Risiko?deutungskonstitution von Risikenequenter elektromagnetischer Felder

Peter M. Wiedemann

Alexander Bobis-Seidenschwanz

Holger Schütz

BEITEN ZUR RISIKO-KOMMUNIKATION

t 44 Jülich, August 1994

, Umwelt, Technik (MUT), Forschungszentrum Jülich GmbH, D-52425 Jülich(„http://www.fz-juelich.de/mut“)

Elektrosmog - Ein Risiko?

Bedeutungskonstitution von Risiken

hochfrequenter elektromagnetischer Felder*

Peter M. Wiedemann

Alexander Bobis-Seidenschwanz

Holger Schütz

Programmgruppe Mensch, Umwelt, Technik

Forschungszentrum Jülich GmbH

unter Mitarbeit von

Werner Nothdurft, Bonn und

Thomas Spranz-Fogasy, Heidelberg

*Die vorliegende Arbeit wurde von der Forschungsgemeinschaft Funk e.V., Bonn Center,Bundeskanzlerplatz, 53113 Bonn finanziell gefördert

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Inhaltsverzeichnis

Zusammenfassung für den eiligen Leser................................................................... 5

Einleitung..................................................................................................................... 10

Teil I: Diskussion von EMF-Risiken in der Öffentlichkeit .................................... 12

1. Problemlage....................................................................................................... 12

2. Forschungsansatz und Datenerhebung .............................................................. 13

2.1 Der Fokusgruppenansatz ................................................................................... 14

2.2 Planung und Durchführung der Fokusgruppen ................................................. 17

2.2.1 Inhaltliche Vorüberlegungen ............................................................................. 17

2.2.2 Rekrutierung von Fokusgruppen-Teilnehmern ................................................. 18

2.2.3 Rekrutierungsergebnisse und Motive für die Nicht-Teilnahme ........................ 19

2.3 Übersicht zu den durchgeführten Fokusgruppen............................................... 20

3. Ergebnisse.......................................................................................................... 21

3.1 Kognitiver Aspekt der Bedeutungskonstitution ................................................ 21

3.1.1 Betroffenheit vom EMF-Thema ........................................................................ 23

3.1.2 Subjektive Gefahreneinschätzung und Gefahrenmodelle für EMF .................. 27

3.1.3 Nutzeneinschätzung von Mobilfunk.................................................................. 42

3.1.4 Umgang mit der EMF-Problematik................................................................... 43

3.1.5 Informationsquellen und Bewertungsressourcen .............................................. 51

3.1.6 Semantische Kennzeichnung - Schlüsselbegriffe für EMF-Risiken ................. 58

3.1.7 Bewertungsprobleme......................................................................................... 59

3

3.1.8 Zusammenfassung und Schlußfolgerungen....................................................... 64

3.2 Interaktiver Aspekt der Bedeutungskonstitution ............................................... 68

3.2.1 Ausgangslage..................................................................................................... 68

3.2.3 Ablauf der Meinungsbildung............................................................................. 69

3.2.4 Umgang mit Positionen und Positionsentwicklung bei den Nichtbetroffe-nen ..................................................................................................................... 73

3.2.5 Teilnehmerbeziehung ........................................................................................ 75

3.2.6 Meinungsführerschaft und Rollenprofilierung.................................................. 78

3.2.7 Schlußfolgerungen............................................................................................. 82

Teil II: Expertenstreit um EMF-Gefahren undKonflikte um Mobilfunksendeanlagen..................................................................... 84

1. Forschungsansatz und Datenerhebung .............................................................. 84

2. Expertenstreit um EMF-Gefahren ..................................................................... 85

2.1 Interviewpartner ................................................................................................ 85

2.2 Ergebnisse.......................................................................................................... 88

3. Konflikte um Mobilfunksendeanlagen .............................................................. 94

3.1 Interviewpartner ................................................................................................ 94

3.2 Ergebnisse.......................................................................................................... 95

Teil III: Szenario-Konstruktion'Entwicklung der EMF-Risikokontroverse' ...........................................................101

1. Einführung........................................................................................................101

2. Methode der Szenariokonstruktion...................................................................102

3. Szenarien im Überblick ....................................................................................104

4

4. Risikowahrnehmung von Technik im Trendszenario 'Multiple Risikoge-sellschaft' ..........................................................................................................109

5. Selektive Verstärkung von qualitativen Risikofaktoren bei der Risiko-wahrnehmung und -bewertung von Technik....................................................111

6. Kritische Ereignisse für die EMF-Risikodiskussion ........................................114

VI. Empfehlungen und Ausblick .............................................................................116

1. Empfehlungen...................................................................................................116

2. Ausblick............................................................................................................121

Literatur.......................................................................................................................123

5

Zusammenfassung für den eiligen Leser

In den letzten beiden Jahren hat die Medienberichterstattung über und damit die

öffentliche Aufmerksamkeit für die Risikopotentiale von elektromagnetischen Feldern

(EMF) zugenommen. Eine weitere Zuspitzung dieser Diskussion kann für die Mobil-

funk-Unternehmen gravierende Auswirkungen haben. Die Frage ist, in welcher Weise

sich die Risikodiskussion um EMF weiter entwickeln wird?

Die Programmgruppe Mensch, Umwelt, Technik (MUT) ist dieser Frage in ihrer

Untersuchung zur Bedeutungskonstitution von EMF-Risiken nachgegangen. Untersucht

wurde: (1) Wie werden gegenwärtig in der Öffentlichkeit EMF-Risikopotentiale

wahrgenommen und diskutiert? (2) Was kennzeichnet den Expertenstreit über EMF-

Risikopotentiale? und (3) Wie kann sich die Risikodiskussion weiterentwickeln und

welche kritischen Ereignisse und Bedingungen sind dabei besonders zu beachten?

Die Untersuchung von MUT beruht auf einem qualitativen Ansatz. Dieser Ansatz er-

möglicht eine genaue und vor allem verzerrungsfreie Analyse der subjektiven Wahrneh-

mung und Beurteilung von EMF-Risikopotentialen. Die Grenzen des Ansatzes liegen in

der Einschränkung der Repräsentativität der Ergebnisse. Eine weitere repräsentative

quantitative Untersuchung wird deshalb nachdrücklich empfohlen.

EMF-Risiken sind für die allgemeine Öffentlichkeit kein 'high-involvement'-Thema. Nur

für unmittelbar Betroffene, d.h. Personen, die ihre Befindlichkeitsstörungen EMF

zuschreiben, und solche, die befürchten, durch eine EMF-Quelle (hier: Mobilfunk-

sendeanlage) geschädigt zu werden, hat dieses Thema in besonderem Maße Relevanz.

Für diese Gruppe besteht Gewißheit, daß von EMF hohe Gesundheitsrisiken ausgehen.

In der allgemeinen Öffentlichkeit ist dagegen die Risikoeinschätzung heterogen. Feste

Einstellungen und Überzeugungen sind selten. Das charakteristische Merkmal besteht in

der Unsicherheit der Risikobewertung. Wenn Bedrohungen wahrgenommen werden, so

resultiert dies nicht daraus, daß 'reale' Gefahren gesehen werden. Die wahrgenommene

Bedrohung ist vielmehr die Folge davon, daß Gefährdungen - nach Meinung der Befrag-

ten - nicht ausgeschlossen werden können.

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Diese Unsicherheit hat zur Folge, daß soziale Einflüsse die Risikobewertung prägen.

Meinungsführerschaften, Rivalitäten und andere Beziehungsmerkmale führen zu In-

stabilität, Orientierungsverlust und Diffusität der Diskussion. Das unterscheidet die

EMF-Risikodiskussion deutlich von anderen technikbezogenen Risikokontroversen. Ein

weiteres spezifisches Merkmal der öffentlichen Debatte um die Risikopotentiale von

EMF ist die vergleichsweise niedrige Polarisierung der Öffentlichkeit in Gegner und

Befürworter.

Professionelle Nutzer sehen keine entscheidenden Risiken. Sie betonen den Nutzen und

die Notwendigkeit des Einsatzes von Mobilfunk für ihre Arbeit. Private Nutzer von

Funktelefonen stehen in ihrer Nutzeneinschätzung den professionellen Nutzern nahe. In

Bezug auf die Risikobewertung unterscheiden sie sich jedoch von ihnen. Ihre

Risikobewertung ist, wie bei der allgemeinen Öffentlichkeit, durch Unsicherheiten

geprägt.

Wenn die Risikobewertung im einzelnen hinterfragt wird, zeigen sich beträchtliche

Kenntnis- und Wissenslücken. Zwischen hoch- und niederfrequenten EMF werden keine

Unterschiede gemacht. Als Quellen von EMF-Risiken werden einige wenige, typische

Geräte und Anlagen genannt (Mobilfunk, Hochspannungsleitung, Babyphon, Radiowe-

ker). Expositionspfade und Wirkmechanismen sind unbekannt. Schädigungen werden

vor allem im Hinblick auf das Auge (generell den Kopf) vermutet.

Gleichzeitig ist aber die Risiko- und Gefahrenbewertung von Laien in einem hohen

Maße ausdifferenziert: Es werden so Synergieeffekte mit anderen Umweltbelastungen

erwartet, tageszeitliche Schwankungen der eigenen Verletzlichkeit angenommen und be-

sondere 'lokale' Wirkungsbereiche (z.B. das Schlafzimmer) befürchtet.

Hinsichtlich der Risikowahrnehmung sind Geräte und Produkte (Güter für den Endver-

braucher) klar von der Bewertung von Sendeanlagen zu unterscheiden. Während bei

Gütern individueller Nutzen gegenüber dem Risikopotential 'aufgerechnet' wird bzw.

werden kann, wird eine solche Abwägung bei Mobilfunksendeanlagen nicht vorgenom-

men. Generell werden solche Anlagen als Zumutung empfunden, auch von denen, die

den Mobilfunk für nützlich halten.

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Die Risikodiskussion über EMF ist auch eine Experten- und Vertrauens- bzw. Glaub-

würdigkeitsdiskussion. Es werden Zweifel an dem wissenschaftlichen Erkenntnismodell

vorgebracht. Für jeden Experten läßt sich ein Gegenexperte finden - so lassen sich die

vorhandenen Einschätzungen pointiert zusammenfassen. Mißtrauen besteht vor allem

gegenüber Grenzwerten, aber auch in bezug auf das vermutete 'Herunterspielen' von

Gefahren - eine Strategie, die vielfach Unternehmen unterstellt wird.

Bei der Diskussion über EMF-Risiken wird auf drei Bewertungsressourcen zurück-

gegriffen. Die Medien lenken die Aufmerksamkeit auf das EMF-Risikothema und

schließen es an bestehende Diskussionen über Technik und ihre Risiken an. Dabei spielt

der Begriff des 'Elektrosmogs' eine wichtige Rolle. Persönliche Erfahrungen sind bislang

von untergeordneter Bedeutung; ausgenommen sind dabei diejenigen Personen, die sich

durch EMF geschädigt sehen. Vor allem sind es Alltagsweisheiten und Allgemeinplätze,

auf die bei der Beurteilung von EMF-Risiken zurückgegriffen wird. Solche Common-

Sense-Kompetenz ist vor allem dann von Bedeutung, wenn Wissens- und

Erfahrungsbestände nicht ausreichen, um komplexe Sachverhalte zu erfassen.

Im Hinblick auf Experten lassen sich drei Gruppierungen erkennen. Diese unterscheiden

sich in ihrer Gefahrenabschätzung von EMF aufgrund verschiedener Bewertungsdimen-

sionen, unterschiedlicher Gewichtungen vorhandener Wissensbasen und dem Stellen-

wert wissenschaftlicher Erkenntnisse. Die erste Expertengruppe, die sich der wissen-

schaftlichen Community verpflichtet fühlt, betrachtet neben den Risikopotentialen vor

allem auch Kosten-Nutzen-Relationen von zusätzlichen möglichen Risikovor-

sorgemaßnahmen. Sie sieht keinen Anlaß für weitere verschärfte Vorsorgemaßnahmen,

wenn die bestehenden Grenzwerte eingehalten werden. Eine zweite, ebenfalls der

wissenschaftlichen Community verpflichtete Expertengruppe empfiehlt Vorsorgemaß-

nahmen, die die EMF-Expositionen auch noch unterhalb der bestehenden Grenzwerte

reduzieren, solange der Aufwand vertretbar ist. Die dritte Gruppierung besteht aus Per-

sonen, die als Baubiologen traditionelle wissenschaftliche Standards als unzureichend

erachten. Sie setzen im wesentlichen auf ihre persönlichen Beratungserfahrungen und

die damit verbundenen anekdotischen Evidenzen. Sie verlangen eine starke Reduzierung

von EMF-Expositionen auch unterhalb der bestehenden Grenzwerte, die sie als unzurei-

chend ansehen.

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Trotz ihrer unterschiedlichen Sichtweisen begrüßen alle drei Gruppierungen eine weitere

Erforschung von EMF-Risikopotentialen und zeigen Interesse an Diskussionsforen zur

Bestimmung von Forschungsfragen und -problemen. Dieser Konsens darf aber nicht

darüber hinwegtäuschen, daß bei Ermessens- und Wertfragen, die auch bei wissen-

schaftlichen Diskussionen unvermeidlich sind, beträchtliche Konflikte auftreten können.

Hier bestehen eben auch stärkere weltanschauliche und erkenntnistheoretische Diver-

genzen zwischen den genannten Expertengruppen.

Die künftige Entwicklung der EMF-Risikodiskussion wurde mittels des Szenario-

ansatzes erkundet. Kritisch für die Entwicklung sind zum einen globale gesellschaftliche

Trends und zum anderen EMF-bezogene Ereignisse. Von den globalen Trends ist

abhängig, inwieweit andere als technische Risiken in den Mittelpunkt der öffenlichen

Aufmerksamkeit rücken: politische, kulturelle oder soziale Risiken. Für wahrscheinlich

wird das Szenario der 'multiplen Risikogesellschaft' erachtet. Hier verlieren zwar

technische Risiken in der öffentlichen Diskussion ihre herausragende Rolle, sie bleiben

aber dennoch ein Fokus der gesellschaftlichen Kontroverse über Risiken. Dabei sind die

qualitativen Risikobeurteilungsfaktoren wie Kontrollierbarkeit, Betroffenheit sowie die

angenommene technisch mögliche, aber faktisch nicht umgesetzte Risikoreduktion von

besonderer Bedeutung. Weiterhin können Ereignisse wie spektakuläre Schadensfälle

(die auf Mobilfunk zurückgeführt werden), wissenschaftliche Studien, die Risiken von

EMF nachweisen sowie verschärfte Gesetze und Verordnungen (z.B. Vorsorgepflicht

auch bei hypothetischen Risiken, umgekehrte Beweislastpflicht) die Aufmerksamkeit für

EMF-Risikopotentiale verstärken. Beachtet werden müssen außerdem Branchentransfer-

Effekte sowie die Durchsetzung von semantischen Schlüsselbegriffen und Analogien,

die in der öffentlichen Diskussion EMF als Teil der Strahlenbelastungsdiskussion

thematisieren.

Schlußfolgerungen für die Risikokommunikation lassen sich zwar vorläufig ziehen,

bedürfen aber noch der weiteren Abklärung ihrer Voraussetzungen durch eine re-

präsentative Untersuchung sowie einer detaillierten Ausarbeitung. Beides kann nur im

Rahmen eigener F&E Projekte geleistet werden.

Essentials für die weitere Kommunikationsplanung sind:

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• Vorrangig ist Risikokommunikation. Aber Risikokommunikation kann und darf nicht

entlang der den Unternehmen vertrauten Kommunikationsschiene von Werbung und

PR konzipiert werden.

• Auch die Risikokommunikation im EMF-Bereich hat sich auf die Bedingungen der

Kommunikation über Risiken, wie sie sich in unserer Gesellschaft herausgebildet ha-

ben, einzustellen. Das heißt vor allem anzuerkennen, daß sowohl die Popularisierung

von Wissenschaft als auch die Aufklärung als Mittel zur Angstminderung nur von sehr

begrenzter Wirksamkeit sind.

• Die unterschiedlichen Problemlagen und die damit verbundenen unterschiedlichen

Zielgruppen verlangen differenzierte Kommunikationsstrategien. Das Yuppie-Image

von Mobilfunktelefonen in der Öffentlichkeit ist das erste Problem. Das zweite Pro-

blem ist die Unkenntnis über elektromagnetische Verträglichkeit (EMV) und

elektromagnetische Umweltverträglichkeit (EMUV) bei potentiell vulnerablen

Personen und Mobilfunknutzern. Ein weiteres Problemfeld sind die Konflikte um

Standorte für Mobilfunksendeanlagen. Schließlich ist auch der Expertenstreit ein

eigenständiger Problembereich für die Risikokommunikation.

• Kommunikationsstrategien und Instrumente sind auf diese Problemkreise und die

damit verbundenen Personengruppen bzw. Netzwerke abzustimmen. Das erfordert

allerdings auch von den Mobilfunkunternehmen die Bereitschaft zur Umstellung und

Veränderung ihrer Kommunikationsgewohnheiten.

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EinleitungDas Problem bei der Einschätzung und Bewertung von Risiken ist der Umgang mit

Unsicherheit. Das ist auch das Schlüsselproblem bei der Frage, ob elektromagnetische

Felder (EMF) Risiken für Gesundheit und Umwelt darstellen oder nicht. Die Gefahr

solcher Ungewißheitssituationen ist die Entwicklung von Extrempositionen. Es wird

schwarz oder weiß gemalt. Die einen behaupten dann, alles sei o.k., und die anderen

malen den Teufel an die Wand. Das Sachproblem wird damit zu einem Problem der ge-

sellschaftlichen Kommunikation. Wie aber in der Öffentlichkeit über EMF kom-

muniziert wird, entscheidet mit über die Zukunft der Telekommunikation in Deutsch-

land. Deshalb ist die Untersuchung der Kommunikation über EMF-Risiken ein wich-

tiges Forschungsfeld.

Die Programmgruppe 'Mensch Umwelt Technik' (MUT) hat hierzu vom November 1993

bis April 1994 ein Forschungsprojekt für die Forschungsgemeinschaft Funk durch-

geführt. Ziel des Projektes 'Bedeutungskonstitution' ist es, die jetzige Diskussion um die

möglichen Gefahren elektromagnetischer Felder zu erfassen und Szenarien zum künfti-

gen Diskussionsverlauf zu entwickeln.

Unter 'Bedeutungskonstitution' wird dabei der Prozeß verstanden, wie Menschen sich

ein Bild von Sachverhalten machen, von denen sie in der Regel keine eigenen Erfahrun-

gen besitzen. Bei ihren Bewertungen und Einschätzungen greifen Menschen auf Alltags-

weisheiten, Medienwissen und in Teilen auf Erfahrungen zurück. Aus der Vielzahl von

Informationsquellen konstruieren sie auf dem Hintergrund ihrer Einstellungen und Wert-

haltungen ein für sich selbst passendes Bild. Sie konstruieren dieses Bild immer auch in

der Auseinandersetzung mit Bekannten, Freunden und anderen Menschen, denn Bedeu-

tungen entstehen interaktiv. Bedeutungskonstitution ist somit immer zweifach bestimmt:

Einmal kognitiv, d.h. dadurch, was die Menschen wissen (bzw. nicht wissen), welche

Einschätzungen und Bewertungen sie vornehmen, und zum anderen interaktiv, d.h. wie

sie sich untereinander austauschen und wem sie dabei Glauben schenken.

Die kognitive und die interaktive Seite der Bedeutungskonstitution werden genauer

untersucht und dienen als Basis für die Konstruktion der Szenarien über den weiteren

gesellschaftlichen Diskussionsverlauf zu EMF-Risiken. Die Analyse von Expertenein-

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schätzungen zur EMF-Problematik ist eine weitere Quelle für die Szenariokonstruktion.

Hier werden z.T. die kommenden Auseinandersetzungen um EMF vorgeformt, die dann

von den Medien aufgegriffen und an die Öffentlichkeit gebracht werden.

MUT weist bereits jetzt darauf hin, daß neben der Kenntnis der Risikokontroverse, zu

der hier ein wichtiger Baustein geliefert wird, die richtige Strategie für den Umgang mit

der Risikokontroverse gewählt werden muß. Diese läßt sich nicht allein aus der

folgenden empirischen Analyse ableiten, sondern ist auch eine Wertentscheidung. MUT

empfiehlt, hier eine kooperative Strategie der Risikokommunikation umzusetzen (siehe

WIEDEMANN 1991, CLAUS & WIEDEMANN 1994).

Die Prozesse und Stufen der Bedeutungskonstitution bei der Risikobewertung von EMF

werden im folgenden Teil 1 dargestellt. In Teil 2 wird der Expertenstreit erörtert und auf

die Konflikte um Mobilfunksendeanlagen eingegangen. In Teil 3 werden die Szenarien

konstruiert.

Abb. 1: Mögliche Verläufe der gesellschaftlichen EMF-Diskussion

12

Teil 1: Diskussion von EMF-Risiken in der Öffentlichkeit

1. ProblemlageIn den westlichen Industriestaaten kamen mit Beginn der 80er Jahren durch die zuneh-

mende Verwendung von Computerbildschirmen und Mikrowellenkochgeräten Befürch-

tungen über eine mögliche Gesundheitsgefährdung, durch die von diesen Geräten ausge-

hende elektromagnetische Strahlung, auf. Seit Ende der 80er Jahre hat die Medienbe-

richterstattung zu der Frage möglicher Gesundheitsgefährdungen durch nieder- und

hochfrequente elektromagnetische Felder zugenommen. Dabei wurde in der Presse über

Hochspannungsleitungen, Stromleitungen im Haus und elektrische Haushaltsgeräte als

mögliche Risikoquellen berichtet. Seit 1991 sind Mobilfunksendemasten und Mobil-

funkhandgeräte in den Mittelpunkt der Medienaufmerksamkeit gerückt. Seitdem hat sich

auch der Begriff 'Elektrosmog' für das Thema eingebürgert. Der medialen Aufmerksam-

keit steht gegenwärtig eine eher verhaltene Risikobewertung seitens der allgemeinen

Bevölkerung gegenüber. In (Ost-) Deutschland werden Handies und schnurlose

Haustelefone als vergleichsweise niedriges Risiko eingestuft (siehe Abbildung 1).

Auch in der von SCHÜTZ & WIEDEMANN (in Vorb.) durchgeführten Befragung wur-

den die Risiken von Mikrowellengeräten und Überlandstarkstromleitungen zu den

geringsten der angegebenen Risiken gezählt.

Aus der Issue-Forschung (COATES et al. 1986) wissen wir jedoch, daß die Entwicklung

von Risiko-Kontroversen in Randbereichen und bei Randgruppen beginnt. Hier erfolgen

die 'Prägungen' des Themas. Aus einem Thema wird eine Meinung, d.h. sie wird mit

Wertungen verknüpft. Später greifen die Medien ein: Sie popularisieren, verstärken und

dramatisieren. Und in vielen Fällen zieht die Öffentlichkeit dann im Sinne einer Anglei-

chung von Wahrnehmung und Bewertung nach (BECKER 1993). Für Unternehmen ent-

wickeln sich damit auch Akzeptanz- und Absatzkrisen. Beispiele finden sich in vielen

Branchen (siehe JUNGERMANN, ROHRMANN & WIEDEMANN 1991, WIEDE-

MANN 1994).

Eine solche Issue-Eskalation deutet sich auch im EMF-Bereich an. In den letzten beiden

Jahren hat die Medienberichterstattung zum Thema Elektrosmog zugenommen.

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Meldungen über kritische Ereignisse und

Vorfälle (z.B. der Gerichtsfall in den USA

wegen einer Krebserkrankung im Zusam-

menhang mit der Nutzung eines Handies)

haben eine große Resonanz. Gesellschaft-

liche Anspruchsgruppen und Bürgerinitiati-

ven beziehen sich aktiv auf das Elektrosmog-

Thema. Gerade bei der Genehmigung von

Sendemasten und -anlagen für den Mobil-

funk nehmen lokale Proteste zu, die oft in

Gerichtsverfahren münden. Es ist nicht

auszuschließen, daß sich diese Entwicklung

fortsetzt und verschärft, sowie auf andere zur

Zeit noch kaum thematisierte Funkanlagen -

z.B. Radiostationen, Fernsehtürme,

militärische und zivile Radaranlagen - über-

greift.

Eine erhöhte Aufmerksamkeit und eine

genaue Analyse der beginnenden Elek-

trosmog-Risikodebatte empfiehlt auch das

damit verbundene unternehmerische Risiko.

Hier geht es nicht nur um die soziale bzw. ges

nehmen. Auch aus rein betriebswirtschaftlic

Telekommunikation alles tun, um die verschie

kontroverse um EMF genauer zu verstehen. Di

setzung für die Entwicklung einer proaktiven K

2. Forschungsansatz und DatenerheDie inhaltliche Zielstellung der Studie: die Bed

untersuchen, erfordert ein Vorgehen, welches m

flußnahmen der Forscher das erfaßt, was Mensc

den. Es sollen die tatsächlichen argume

Abbildung 1: Risiko- und Nutzen-Beurteilungen

von Produkten (aus Wiedemann und Schütz

1994a)

ellschaftliche Verantwortung von Unter-

hen Gründen sollten Unternehmen der

denen inhaltlichen Facetten der Risiko-

ese Analyse ist eine notwendige Voraus-

ommunikationsstrategie.

bungeutungskonstitution von EMF-Risiken zu

öglichst frei von Vorannahmen und Ein-

hen tatsächlich mit EMF-Risiken verbin-

ntativen Zusammenhänge aufgedeckt

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werden, in die dieses Thema für die Menschen eingebettet ist. Damit verbieten sich in

dieser Phase der Untersuchung quantitative Vorgehensweisen empirischer Sozialfor-

schung, wie zum Beispiel standardisierte Fragebogenuntersuchungen. Erforderlich sind

Untersuchungstechniken, welche die Untersuchungsteilnehmer möglichst uneinge-

schränkt selbst zu Wort kommen lassen und die ein flexibles Eingehen auf ihre Argu-

mente ermöglichen. Die Diskussion um EMF befindet sich gegenwärtig gesamtgesell-

schaftlich noch in einem typischen Frühstadium ökologischer Auseinandersetzung: Es

gibt einen stark expandierenden Wirtschaftszweig, der mit dem Thema EMF assoziiert

ist (Mobilfunk), es gibt lokal organisierten Widerstand gegen einzelne Objekte, die mit

EMF in Zusammenhang gebracht werden (Mobilfunksendeanlagen), und es gibt eine

uneinheitliche, punktuelle Berichterstattung über Gesundheitsgefahren durch EMF.

Um eine solche Phase der Auseinandersetzung angemessen beobachten zu können und

Prognosen über mögliche Weiterentwicklungen der Debatte ausarbeiten zu können, ist

es wichtig, sich die gegenwärtige Unübersichtlichkeit der Meinungslage und das Fehlen

gesamtgesellschaftlicher Orientierungsgrößen vor Augen zu halten. Bei der Betrachtung

einer solchen Phase gewinnen Prozesse, in denen sich die Meinungsbildung über EMF

vollzieht, besondere Bedeutung.

Solche Prozesse der Meinungsbildung lassen sich gut mit Hilfe sogenannter Fokus-

gruppen untersuchen.

2.1 Der FokusgruppenansatzFokusgruppen sind kleine Diskussionsrunden aus in der Regel sieben bis zehn Teilneh-

mern und dauern ca. 2 Stunden. Die Auswahl der Diskussionsteilnehmer erfolgt - je

nach Forschungsinteresse - entweder gezielt oder zufällig. Unter der Moderation eines

Diskussionsleiters diskutieren die Teilnehmer ein bestimmtes Thema oder einen

Themenkomplex. Der Diskussionsleiter kann dabei einerseits den Teilnehmern viel

Freiraum zur Darstellung ihrer Meinungen zum Thema, zur Kritik anderer Ansichten

und zur Rechtfertigung des eigenen Standpunktes geben. Andererseits kann er ver-

suchen, durch gezielte Nachfragen bestimmte forschungsrelevante Aspekte zu präzi-

sieren oder zu vertiefen. Dieser Untersuchungsansatz ermöglicht in ökonomischer Weise

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eine in die Tiefe gehende Exploration des Themas, wobei zusätzlich noch die

gruppendynamischen Effekte in der Diskussion genutzt werden können. Die Diskussion

wird in der Regel mit Hilfe eines Videorecorders oder Tonbandgerätes aufgezeichnet.

Diese Aufzeichnung bildet die Datenbasis für die Auswertung. Fokusgruppen-

Diskussionen haben sich z.B. in der Marktforschung, vor allem im angelsächsischen

Sprachraum, als Instrument der Erkundung von Denk- und Argumentationsmustern zu

einem bestimmten Thema bewährt (vgl. MORGAN 1988; KRUEGER 1988). Auch zur

Untersuchung von Problemen der Risikokommunikation werden Fokusgruppen erfolg-

reich eingesetzt (vgl. DESVOUSGES & SMITH 1988).

Für die Strukturierung der einzelnen Fokusgruppendiskussionen wurde jeweils ein

kurzer Leitfaden erstellt. Kasten 1 gibt ein Beispiel für einen Fokusgruppen-Leitfaden.

Als Einstieg in die Diskussion diente die Frage nach dem Kenntnisstand in bezug auf

EMF-Gefahren. Jeder Diskussionsteilnehmer wurde gebeten, hierzu kurz seine Meinung

zu sagen. Die anderen Fragen wurden nicht systematisch abgehandelt, sondern zwanglos

im Rahmen der laufenden Diskussion gestellt, wenn dies inhaltlich angemessen

erschien. Einige Fragen mußten gar nicht explizit angesprochen werden, da die Diskus-

sionsteilnehmer sie selber thematisierten. Der Diskussionsleiter hat versucht, nur dann

steuernd in die Diskussion einzugreifen, wenn diese deutlich vom Thema abkam, oder

wenn einzelne Diskussionsteilnehmer zu dominant waren und dadurch andere Teil-

nehmer in den Hintergrund gedrängt wurden. Durch diese offene Diskussionsführung

sollte den Fokusgruppen-Teilnehmern Raum gelassen werden, ihre eigene Problemsicht

zu entfalten.

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Kasten 1: Beispiel für einen Gesprächsleitfaden - 6. Fokusgruppe (Funktelefonbenutzer)

EINLEITUNG:• Begrüßung, Danksagung, Vorstellung der MUT-Mitarbeiter• Thema der Diskussion:

1) Einschätzung der Gesundheitsgefahren elektromagnetischer Felder2) Umgang mit dieser Problematik (Nutzung von elektr. Geräten und Funktelefonen)

• Ziele des Forschungsprojekts: unterschiedliche Beurteilung von EMF-Gefahren verstehen• Aufnahme der Diskussion nur für Auswertung; Diskussionsteilnehmer bleiben anomym• Erstattung der Fahrtkosten nach Abschluß der Diskussion• Fragen?• Vorstellungsrunde (Person, Nutzung von Funktelefon)

GESPRÄCHSTHEMEN:Anfangsrunde: Was wissen Sie zum Thema 'Gesundheitsgefahren elektromagnetischer Felder'?

EMF-Gefahren• Gesundheits- und Umweltgefahren• Gefahrenmerkmale: Woran kann man (schädigende) Wirkung von EMF erkennen? Unter welchen Umständen

sind EMF gefährlich? (Quellen, Benutzungsdauer, Benutzungszeitpunkt, besonders gefährdete Orte undPersonen, Leistung/Feldstärke, Empfangen vs. Senden, Nähe von Antenne)

• Gefährlichkeit von EMF-Quellen: Handgerät vs. Sendemast, Richtfunkstrecke, Umweltbelastung durchFunksender

• Schädigungsmechanismen• Gefahreneinschätzung: Sicherheit, Quellen, Rolle von Wissenschaft• Beweis für vorhandene/nicht vorhandene Gefahr• Bei welchem Anlaß Beschäftigung mit EMF-Gefahren?• Runde: Was sagt Ihnen der Begriff 'Elektrosmog'?

Umgang mit EMF-Gefahren• eigene Schutzmaßnahmen/Nutzung von elektrischen Geräten und Funktelefon• Risiko und Nutzen von EMF-Quellen• Relevanz von EMF-Gefahren/Vergleich mit anderen Gefahren• Informationsbedarf/Forderungen an Behörden und Unternehmen

Endrunde: Hat sich Einschätzung von EMF-Gesundheitsgefahren geändert?

Die Auswertung der Fokusgruppendiskussionen wurde durch die oben formulierten For-

schungsfragen geleitet. Da das erhobene Datenmaterial in Form von Videoaufzeichnun-

gen zu umfangreich war (insgesamt ca. 23 Stunden), um in dem für das Projekt zur

Verfügung stehenden Zeitraum verschriftet zu werden, wurde ein gemischtes Auswer-

tungsverfahren gewählt. Zunächst wurde von jeder Fokusgruppe ein Verlaufsprotokoll

erstellt, in dem die wesentlichen Argumente der Fokusgruppenteilnehmer teils

zusammengefaßt, teils wörtlich festgehalten wurden. Dieses Protokoll ermöglicht es, die

Diskussion inhaltlich zu überschauen, und so Äußerungen zu einer bestimmten Frage-

stellung zu analysieren, auch wenn sie zu ganz unterschiedlichen Zeitpunkten während

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der Diskussion gemacht wurden. Anhand der Videoaufzeichnungen kann wiederum die

Dynamik der Diskussion betrachtet und gegebenenfalls auf Details der Diskussion

zurückgegriffen werden.

Die Auswertungen selbst erfolgten in mehreren Stufen, als gesprächsübergreifende

Materialsichtung, als fallbezogene Hypothesengenerierung, als systematischer, fallüber-

greifender Hypothesenvergleich sowie als fallbezogene und übergreifende Schwer-

punktanalyse von Gesprächsausschnitten. Die Videoanalysen erfolgten in unterschiedli-

cher Differenzierungstiefe (a) direkt am Bildschirm (on-line-Videoanalyse) und (b)

anhand von differenzierten Transkripten (Mikroanalyse).

2.2 Planung und Durchführung der Fokusgruppen

2.2.1 Inhaltliche VorüberlegungenAusgangspunkt für die Zusammenstellung der Fokusgruppen war die Überlegung, daß

es für die Untersuchung der Bedeutungskonstitution sinnvoll ist, die einzelnen Fokus-

gruppen möglichst homogen in bezug auf ihre Vorerfahrungen mit der EMF-Problema-

tik zu halten. Deshalb wurden zunächst zwei Gruppen von Personen unterschieden:

solche, die bisher keine persönlichen Erfahrungen mit EMF gemacht hatten ('Unbetei-

ligte'), und solche, die schon Erfahrungen gemacht hatten. Bei dieser letzten Gruppe

wurden Personen mit verschiedenen Formen von Vorerfahrungen berücksichtigt:

• Anwohner einer Hochspannungsleitung bzw. Mitglieder einer Bürgerinitiative, die

sich gegen eine Hochspannungsleitung gegründet hat;

• Anwohner einer Mobilfunksendeanlage;

• Nutzer von Funktelefonen (schnurlosen Haustelefonen und Mobilfunktelefonen);

• Personen, die beruflich mit Funkgeräten umgehen;

• Personen, die sich durch EMF in ihrer Gesundheit beeinträchtigt oder geschädigt

fühlen ('Elektrosensible').

Auf die Homogenität der Fokusgruppen wurde lediglich bei einer Gruppe bewußt

verzichtet. In der vorletzten Gruppendiskussion (Fokusgruppe 10) wurden Anwohner

18

einer Mobilfunksendeanlage und Nutzer von Funktelefonen zusammengefaßt. Bei dieser

Fokusgruppe ging es vor allem um die Konfrontation von Personen, die sich in

gleichsam entgegengesetzter Weise von Mobilfunk betroffen fühlen, zum einen diejeni-

gen, die als Anwohner einer Sendeanlage die Lasten dieser Technologie zu tragen

meinen, und zum anderen diejenigen, die als Benutzer von Funktelefonen von dieser

Technologie profitieren.

Der Teilnehmerkreis der Fokusgruppen wurde damit so gewählt, daß möglichst die

gesamte Bandbreite von Einstellungen zu und Erfahrungen mit EMF berücksichtigt

wurde. Das heißt allerdings nicht - und dies muß hier betont werden - daß die Ergebnisse

dieser Studie ohne weiteres zu verallgemeinern wären. Dazu sind sowohl die Fallzahlen

der Untersuchung zu gering als auch der nicht auf Repräsentativität zielende

Fokusgruppenansatz ungeeignet. Man darf aber annehmen, daß die wesentlichen

Aspekte, welche die Bedeutung von EMF und insbesondere von EMF-Risiken in der

Öffentlichkeit konstituieren, in der vorliegenden Studie erfaßt wurden.

2.2.2 Rekrutierung von Fokusgruppen-TeilnehmernDie Rekrutierung der Fokusgruppen-Teilnehmer erfolgte entweder über Kontaktperso-

nen oder durch ein Zufallsverfahren. Über Kontaktpersonen - die Vorsitzende eines

Selbsthilfevereins für Elektrosensible, den Sprecher einer Bürgerinitiative sowie einen

am Forschungsprojekt beteiligten Wissenschaftler - wurden die Teilnehmer zu den

Fokusgruppen 1, 3 und 11 (Elektrosensible, Bürgerinitiative 'Hochspannungsleitung',

Unbeteiligte 3) eingeladen. Für die Rekrutierung der 7. Fokusgruppe (FG 7) (Funkge-

rätebenutzer) wurde (telefonisch und schriftlich) Kontakt aufgenommen mit Institutio-

nen, deren Mitarbeiter bei ihrer beruflichen Tätigkeit Funkgeräte benutzen, und um die

Entsendung von Mitarbeitern zu einer Gruppendiskussion zum Thema 'Elektromagneti-

sche Felder' gebeten. Die Personen, die zur Teilnahme an den Fokusgruppen mit

Anwohnern von Mobilfunksendeanlagen eingeladen wurden, wurden aufgrund der Nähe

ihres Wohnsitzes zur Sendeanlage ausgewählt. Für die Fokusgruppe 9 wurden Personen

angerufen, die maximal 300 Meter von dem Betonturm, auf dem die Mobil-

funksendeanlage angebracht ist, entfernt wohnen. Für die Fokusgruppe 10 wurden alle

Bewohner des Hauses angeschrieben, auf dem die Mobilfunksendeanlage aufgestellt ist.

19

Um sicherzugehen, daß sich die Anwohner der Mobilfunksendeanlage deren Existenz

auch bewußt sind, wurden für die beiden Fokusgruppen solche Sendeanlagen

ausgewählt, gegen deren Errichtung bereits Bürgerinitiativen protestiert hatten, so daß

über diese Anlagen in den entsprechenden lokalen Zeitungen bereits mehrmals berichtet

worden war.

Die Zusammenstellung der anderen Fokusgruppen erfolgte durch ein Zufallsverfahren:

Per Zufall wurden aus dem Telefonbuch Personen ausgewählt, angerufen und zur

Teilnahme an einer Gruppendiskussion zum Thema 'Elektromagnetische Felder' einge-

laden. Falls Interesse an der Teilnahme bekundet wurde, wurde näheres Informa-

tionsmaterial zugeschickt. Danach erfolgte eine zweite telefonische Kontaktaufnahme,

um weitere Fragen zur Gruppendiskussion beantworten zu können und um eine Zusage

zur Teilnahme zu erhalten. Gleichzeitig wurde nach der Benutzung von Funktelefonen

gefragt (insbesondere von schnurlosen Haustelefonen). Die Benutzer von

Mobilfunktelefonen wurden anhand der speziell für das C-Netz und die beiden D-Netze

verwendeten Telefonnummern (Vorwahlen: 0161 ..., 0171 ..., 0172 ...) ausgewählt und

angerufen.

2.2.3 Rekrutierungsergebnisse und Motive für die

Nicht-TeilnahmeWährend die Rekrutierung von Diskussionsteilnehmern über Kontaktpersonen relativ

einfach war, erwies sich die Zusammenstellung von Fokusgruppen durch das Zufalls-

verfahren als sehr aufwendig. Grob geschätzt zeigte nur etwa ein Drittel der Ange-

sprochenen überhaupt Interesse an dem Thema. Insgesamt wurden bei dem Zufallsver-

fahren etwa 950 Personen angerufen. An den Fokusgruppen haben 85 Personen

teilgenommen. Diese Schwierigkeiten, zufällig ausgewählte Personen zur Teilnahme an

den Fokusgruppendiskussionen zu bewegen, ist in zweifacher Hinsicht bedeutsam: In

methodischer Hinsicht mahnt sie zur Vorsicht bei der Verallgemeinerung; das

Meinungsspektrum in bezug auf das Thema EMF wird zwar abgedeckt, aber es können

keine verläßlichen Angaben zur Häufigkeit bestimmter Meinungen gemacht werden.

Inhaltlich allerdings läßt sich gerade auch aus der Ablehnung und den dafür genannten

Gründen etwas über die Bedeutung des EMF-Themas in der Öffentlichkeit ableiten. Es

20

wurde deshalb von Anfang an versucht, auch bei Ablehnung der Teilnahme etwas über

die Motive für die Nicht-Teilnahme zu erfahren, und diese, wo das möglich war, zu

notieren. Neben den Schwierigkeiten, eine Zielperson überhaupt zu erreichen (z.B. nur

Anrufbeantworter, Person legt sofort wieder auf oder lehnt telefonische Kontakt-

aufnahme ab), lassen sich zwei Bündel von Ablehnungsgründen unterscheiden:

(1) Termin-Probleme: Die überwiegende Zahl der Angesprochen gab an, keine Zeit für

die Teilnahme an der Gruppendiskussion zu haben. In manchen Fällen bezog sich

dies nur auf den avisierten Termin, wenn zum Beispiel gesagt wurde, man habe zu

diesem Zeitpunkt gerade Urlaub. Aber in vielen Fällen wurde pauschal auf

Zeitmangel verwiesen. Es muß offen bleiben, inwieweit eine solche Begründung

nicht nur vorgeschoben wurde, um andere Gründe, wie etwa Mangel an Interesse,

zu verdecken.

(2) Desinteresse am EMF-Thema: Eine Reihe von Personen äußerten direkt, daß sie das

EMF-Thema nicht interessiere, andere sagten, sie hätten sich mit dem Thema noch

nicht beschäftigt. Einige wenige Personen gaben an, sie hielten EMF für

ungefährlich und sähen deshalb keinen Grund, an einer Fokusgruppe zu diesem

Thema teilzunehmen.

Insgesamt kann man feststellen, daß ein wesentlicher Grund für die geringe Aus-

schöpfung bei der Rekrutierung der Fokusgruppen das geringe Interesse der angespro-

chenen Personen am EMF-Thema verantwortlich war. Für die meisten angesprochenen

Personen war das EMF-Thema offenbar so unwichtig, daß es sich aus ihrer Sicht nicht

lohnte, einige Stunden am Abend zu 'opfern'.

2.3 Übersicht zu den durchgeführten FokusgruppenInsgesamt wurden 11 Fokusgruppen mit zusammen 85 Teilnehmern durchgeführt. Da

eine Auswertung der Fokusgruppen nach soziodemographischen Merkmalen für die

Zielsetzung dieser Studie und im Rahmen der dafür gewählten Methode keinen Sinn

macht, wurde darauf verzichtet, solche Merkmale systematisch zu erfassen. Lediglich

das Geschlecht und das (von uns geschätzte) Alter sowie der Beruf (soweit er von der

21

betreffenden Person in der Diskussion genannt wurde) wurden notiert. Tabelle 1 gibt

eine Übersicht zu den Fokusgruppen.

Zahl der Teilnehmer

Fokusgruppe insgesamt Frauen Männer Ort Datum

(1) 'Elektrosensible' 7 6 1 München 12.11.93

(2) 'Hochspannungsleitung' 12 5 7 Winterbach 04.12.93

(3) Unbeteiligte 1 7 4 3 Heidelberg 30.11.93

(4) Unbeteiligte 2 6 2 4 Aachen 10.12.93

(5) Funktelefon-Nutzer 1 8 1 7 Aachen 13.12.93

(6) Funktelefon-Nutzer 2 3 2 1 Aachen 26.01.94

(7) Nutzer von Funkgeräten 4 0 4 Aachen 31.01.94

(8) Funktelefon-Nutzer 3 5 3 2 Berlin 05.03.94

(9) Anwohner Sendeanlage 9 3 6 Lüneburg 04.03.94

(10) Anwohner & Nutzer 12 3 9 Haan 11.03.94

(11) Unbeteiligte 3 12 5 7 Köln 17.03.94

Σ 85 34 51

Tabelle 1: Übersicht zu den Fokusgruppen

3. ErgebnisseWie in der Einleitung dargestellt wurde, ist die 'Bedeutungskonstitution' der Risiken von

EMF zweifach bestimmt: zum einen kognitiv, d.h. durch das Wissen über und die Ein-

schätzungen sowie Beurteilungen von EMF, und zum anderen interaktiv, d.h. durch den

Prozeß, in dem Wissen und Meinungen zwischen Personen ausgetauscht werden. Diese

beiden Perspektiven sollen im folgenden getrennt dargestellt werden, wobei zunächst

der kognitive Aspekt und anschließend der interaktive Aspekt behandelt werden.

3.1 Kognitiver Aspekt der BedeutungskonstitutionWenn hier und im folgenden von dem kognitiven Aspekt der Bedeutungskonstitution die

Rede ist, so muß zunächst betont werden, daß dies nicht als eine Beschränkung auf (wie

22

auch immer zu definierende) rationale Einschätzungen und Urteile verstanden werden

soll - im Gegensatz zu emotionalen oder affektiven Einschätzungen und Urteilen. Denn

natürlich gehen in Einschätzungen und Urteile auch Emotionen ein. Einschätzungen

bzw. Urteile können selbst auch affektive Reaktionen (z.B. verbale Äußerungen der

Besorgtheit; s.u.) hervorrufen; und auch Wissen wird in der Regel nicht als 'reines' Sach-

wissen im Gedächtnis gespeichert, sondern als mehr oder weniger emotional 'gefärbtes'

Wissen. In bezug auf die Bedeutungskonstitution geht es aber nicht um das bloße Fest-

stellen solcher Emotionen oder Affekte, sondern um Wissen, Einschätzungen und

Urteile im Zusammenhang mit EMF-Risiken, in die auch Emotionen eingehen können

(aber nicht müssen). Und Wissen, Einschätzungen und Urteile sind Folge kognitiver

Prozesse, d.h. Ergebnis von Informationsverarbeitungsprozessen. Emotionen werden

deshalb im folgenden nicht gesondert, sondern als integraler Bestandteil des kognitiven

Aspekts von Bedeutungskonstitution behandelt. Der affektive Gehalt von Wissen,

Einschätzungen und Urteilen in bezug auf EMF-Risiken wird an vielen Stellen unmittel-

bar sichtbar werden.

Die Bedeutung, die EMF-Risiken für eine Person haben, kann zahlreiche Facetten

haben. Aus der sozialwissenschaftlichen Risikoforschung ist bekannt, daß zentrale

Aspekte hierbei die subjektive Betroffenheit von einem Risiko-Thema, die Kriterien für

die Gefahreneinschätzung, die Vorstellungen von dem Zustandekommen einer

Gefährdung oder Wirkungsweise einer Risikoquelle sowie die Bewältigungsmöglichkei-

ten sind, die in bezug auf ein Risiko gesehen werden (vgl. JUNGERMANN & SLOVIC

1993). Wichtig ist weiterhin, worauf eine Person ihre Einschätzung und Meinung grün-

det und welche Informationsquellen sie heranzieht. Die Auswertung erfolgte deshalb in

bezug auf die folgenden Leitfragen:

• Betroffenheit vom EMF-Thema; hier geht es um die Frage, welche Umstände bei einer

Person zur Beschäftigung mit dem EMF-Thema geführt haben und in welchem Aus-

maß das Thema von Bedeutung ist.

• Subjektive Gefahreneinschätzung und Gefahrenmodelle für EMF beziehen sich auf die

Art und Weise, wie Personen die Risiken von EMF einschätzen, welche Merkmale

von EMF sie dazu heranziehen, wie sie EMF-Risiken im Vergleich zu anderen Risi-

ken beurteilen und welches 'Wirkungsmodell' sie für mögliche Schädigungen durch

23

EMF benutzen.

• Umgang mit der EMF-Problematik; d.h. wie reagieren sie persönlich auf die EMF-

Problematik, welche persönlichen Schutzmaßnahmen ergreifen sie und welche in-

stitutionellen (z.B. behördlichen) Schutzmaßnahmen fordern sie.

• Bewertungsressourcen und Informationsquellen zielt auf die Frage, worauf Personen

ihre Einschätzungen und Beurteilungen der EMF-Problematik gründen.

Die Darstellung der Ergebnisse faßt die verschiedenen Fokusgruppen in bezug auf diese

inhaltlichen Fragen zusammen.

3.1.1 Betroffenheit vom EMF-Thema'Betroffenheit' soll hier in einem psychologischen Sinne als subjektive Betroffenheit (In-

volvement), d.h. als 'sich betroffen fühlen', als Relevanz-Zuschreibung in bezug auf das

EMF-Thema, verstanden werden und nicht als objektive Betroffenheit, zum Beispiel

durch Nutzung eines EMF-Gerätes oder durch Wohnen in der Nähe einer

Mobilfunksendeanlage. Subjektive und objektive Betroffenheit müssen nicht korres-

pondieren, denn schon bei der Rekrutierung der Diskussionsteilnehmer hatte sich ja ge-

zeigt, daß viele objektiv Betroffene sich subjektiv von dem EMF-Thema nicht betroffen

fühlen und mithin kein Interesse an der Teilnahme an einer Fokusgruppe hatten. Wer

sich dagegen zur Teilnahme an einer Fokusgruppe bereit erklärt hat, signalisiert damit

natürlich zumindest ein gewisses Interesse, wenn auch nicht unbedingt Betroffenheit. In

den verschiedenen Fokusgruppen wurden hinsichtlich der Betroffenheit deutliche

Unterschiede sichtbar.

Die Elektrosensiblen (FG 1) und die Anwohner der Hochspannungsleitung bzw. die

Mitglieder der Bürgerinitiative, die sich gegen diese Hochspannungsleitung zur Wehr

setzt (FG 2), fühlen sich von diesem Thema ganz offensichtlich sehr stark betroffen. Das

hohe Ausmaß an Betroffenheit ergibt sich bei diesem Personenkreis daraus, daß sie

EMF allgemein oder eine spezifische EMF-Quelle (z.B. Hochspannungsleitung) für

bestehende Gesundheitsprobleme verantwortlich machen bzw. Gesundheitsbeeinträchti-

gungen durch EMF befürchten. Eine hohe Betroffenheit besteht auch für die Anwohner

der Mobilfunksendemasten (FG 9 und 10). Auch hier leitet sich die Betroffenheit aus der

24

räumlichen Konfrontation mit einer EMF-Quelle - dem Mobilfunksendemast - und der

deswegen befürchteten Gesundheitsgefährdung her. Im Gegensatz zu den Anwohnern

der Hochspannungsleitung gab jedoch keiner der Anwohner der Mobilfunksendeanlagen

an, daß seine Gesundheit durch den Betrieb dieser Sendeanlagen bereits beeinträchtigt

oder geschädigt worden sei. Solche Beeinträchtigungen oder Schädigungen wurden auch

nicht sofort, sondern erst langfristig befürchtet. Gleichzeitig beklagten die Anwohner der

Mobilfunksendeanlagen auch, daß sie - wenn Gesundheitsschädigungen auftreten

würden - diese evtl. gar nicht auf die Sendeanlage zurückführen könnten, weil sie gar

nicht wüßten, was für Schädigungen die Sendeanlage überhaupt alle hervorrufen könnte.

"... ich bin kein Fachmann, aber ich denke, daß so etwas schädlich ist und daß man so einen Turm nicht in

eine Wohngegend wie hier hätte hinsetzen müssen." (FG 9)1

In den anderen Fokusgruppen (FG 3 bis 8 und 11) variiert die Betroffenheit, ist aber

generell deutlich geringer. Auch in diesen Fokusgruppen haben alle Teilnehmer gehört

oder gelesen, daß von bestimmten elektrischen Geräten, Funktelefonen, technischen An-

lagen der Elektrizitätsversorgung oder Sendeanlagen möglicherweise Gesundheits-

gefahren ausgehen sollen.

"Also ich konnte und kann mit dem Begriff Elektrosmog nur relativ wenig anfangen. Gehört habe ich denBegriff schon. Gefunden habe ich ihn die ganze Zeit eigentlich, als ich in diesem Zusammenhang hörte,nur mit Funktelefon. Da ich keins habe, habe ich intensiv gehört, daß dieser Begriff ja viel weiter gefaßtist, ist mir zum ersten Mal bewußt, daß man sich Gedanken macht, bisher habe ich es nicht getan." (FG3)

Die Informationsquellen sind Printmedien, Fernsehen oder der Verwandten-, Freundes-

und Bekanntenkreis. Es können zwei Anlässe unterschieden werden, die dazu führen,

daß sich jemand in einer Weise mit dem Thema EMF-Gefahren beschäftigt, die über

eine bloße Registrierung des Themas vor dem Hintergrund der alltäglich empfangenen

Informationen hinausführt: Der erste Anlaß ist die Konfrontation mit Geräten oder einer

technischen Anlage, von denen elektromagnetische Wellen ausgehen und die mögli-

cherweise eine Gesundheitsgefahr darstellen sollen. Dies kann z.B. der Fall sein, wenn

1 Lesehinweis: Die Äußerungen der Fokusgruppenteilnehmer sind hier wörtlich zitiert; solche Äußerungen

sind - gemessen an den Standards der Schriftsprache - meist 'ungrammatisch', für verbale Äußerungen inGesprächen jedoch der Regelfall.

25

man sich ein Gerät anschaffen will, von dem Gesundheitsgefahren ausgehen sollen,

wenn man erfährt, daß von Geräten, die man selber benutzt oder die von Personen

benutzt werden, die einem sehr nahe stehen (z.B. Kinder), Gesundheitsgefahren

ausgehen sollen, wenn man in die Nähe einer technischen Anlage ziehen will, von der

Gesundheitsgefahren ausgehen sollen, oder wenn man in der Nähe einer solchen Anlage

wohnen würde.

"Ja, als ich am betroffensten davon war, war, als ich umgezogen bin und ein Telefon anschaffen mußte undich haben dann zuerst auch immer davon geschwärmt, so ein schnurloses Telefon, ach kannste dich soschön in den Sessel setzen und so und dazwischen durch kam halt dann die Diskussion darüber auf unddann habe ich halt gedacht, man muß das Risiko ja nicht unbedingt eingehen, dann nimmst du dir halt einanderes schönes Telefon und insbesondere weil dann war da mal in irgendeinem Fernsehbericht von denLeuten die immer im Auto sitzen mit dem Mobiltelefon rumtelefonieren und die ganz kurze Antennehaben und die dann irgendwo in der Nähe vom Auge ist und die dann grauen Star auslösen soll oderirgendwie so was, naja dann wollte ich lieber sowas nicht heraufbeschwören, weil ich auch schon neBrille trage und habe mir gedacht, nimmst du halt ein anderes Telefon." (FG 4)

"Das erste Mal, als ich davon gehört habe, war über eine Bekannte, die Baugrundstücke suchte, also um zubauen, und das sie dann irgendwo raus in Richtung [...] gefahren war um sich ein Stück anzusehen, undkam zurück, sagt sie neh, bei den Hochspannungsleitungen da wird nicht gebaut, das kann man direktvergessen. Das war also das erste was ich davon hörte. Dann habe ich direkt geguckt, wie sieht das beiuns aus, wir haben also in [...] gebaut und da ist also nichts." (FG 4)

Der zweite Anlaß für die Beschäftigung mit dem Thema EMF-Gefahren ist eine gesund-

heitliche Beeinträchtigung oder Schädigung, die man selbst oder andere glaubwürdige

Personen auf EMF zurückführen. Eine erhöhte Aufmerksamkeit für das Thema EMF-

Gefahren ist bei Eltern von (kleinen) Kindern festzustellen, sei es, weil eine mögliche

Gesundheitsgefährdung vor allem Kinder treffen soll (Berichte über Leukämieverursa-

chung durch Hochspannungsleitungen bei Kindern) oder weil ein bestimmtes Gerät vor

allem Kinder betrifft (Babyphone).

"Das erste Mal als mir das so bewußt wurde, das war als ich unter Schlafstörungen litt, deswegen dann zumArzt gegangen bin und der so nichts feststellen konnte und dann hat der Arzt eben halt so ein bißchenweitergeforscht und meinte, ob ich meinen Radiowecker direkt neben meinem Bett stehen habe und ichsagte dann ja und dann wies er mich daraufhin, daß das je nachdem dies auch Schlafstörungenverursachen kann. Also die elektromagnetischen Strahlen. Die Schlafstörungen sind dann nachher, wasweiß ich, die sind vorbeigegangen und vielleicht war das irgendwie mal streßbedingt von der Arbeit herund ja ich habe dann natürlich auch öfters darüber nachgedacht." (FG 4)

26

"Ich denke so, einmal ist von Leukämiefällen geredet worden in den Gebieten und die andere Sache ist, istvielleicht auch eine zusätzliche Sensibilisierung wenn man Kinder hat. Ich glaube, daß das schon einigeszu denken insgesamt gibt, also wenn man nur für sich selber verantwortlich ist. Weil ich denke dann ebenhalt auch für die Kinder und man macht sich dann irgendwo dann doch Sorgen." (FG 4)

Aus den Aussagen der Fokusgruppenteilnehmer läßt sich ablesen, daß Massenmedien

eher eine Warnfunktion haben, indem sie auf mögliche Gefahren hinweisen. Berichte

über Gesundheitsgefahren führen aber nicht zwangsläufig dazu, daß die Rezipienten

dieser Berichte die darin vorgebrachte Gefahreneinschätzung übernehmen oder sich stär-

ker mit diesen Gefahren auseinandersetzen. Vielmehr werden solche Berichte als

Hintergrundinformationen aufgenommen, die erst bei bestimmten Anlässen wieder

stärker in das Bewußtsein rücken. Solche Anlässe sind dadurch gekennzeichnet, daß das

Thema 'EMF-Gefahren' durch den Eintritt bestimmter Lebensumstände plötzlich eine

größere persönliche Relevanz gewinnt. Erst dann beginnt man, sich mit diesen Gefahren

stärker auseinanderzusetzen, um zu einer Einschätzung des Gefahrenpotentials zu

kommen. Dabei werden jetzt aber nicht nur Informationen aus den Massenmedien,

sondern auch von anderen Informationsquellen (z.B. Bekannte) herangezogen. Wenn

jemand für den Schutz von besonders verletzlichen Personen (insbesondere Kindern)

verantwortlich ist bzw. sich für solche Personen verantwortlich fühlt, stellt dies keinen

unmittelbaren Anlaß dar, sich mit dem Thema 'EMF-Gefahren' stärker

auseinanderzusetzen. Es führt jedoch dazu, daß - wenn einer der beiden oben genannten

Anlässe vorliegt - eine erhöhte Sensibilität gegenüber dem Thema 'EMF-Gefahren'

besteht.

Die Betroffenheit durch das Thema EMF-Gefahren ist jedoch bei keinem der Teil-

nehmer dieses Kreises sehr groß, selbst bei denjenigen nicht, die Schutzmaßnahmen

gegen EMF ergriffen haben. Es gibt keinen, der sein Leben durch EMF bedroht sieht.

Teilweise wird direkt gesagt, daß man sich von dem Thema nicht betroffen fühlt bzw.

daß andere Themen wichtiger sind. Die geringe Betroffenheit kommt auch darin zum

Ausdruck, daß die meisten Teilnehmer sich bisher nicht ausführlich mit dem Thema

beschäftigt haben und einige angaben, daß sie auch in Zukunft nicht aktiv nach Infor-

mationen zu dem Thema suchen würden.

"... Weder erschrocken noch beunruhigt. Ich fange jetzt an, darüber nachzudenken, aber bin bisher relativbelastfrei. Also weder erschrocken noch beunruhigt, weil bisher habe ich noch nichts gespürt, aber ichhabe auch noch nie gehört, daß jemand großen Schaden davongetragen hätte. Bisher bewußt nicht tan-

27

giert. Ich bin auch jetzt nach dieser Diskussion nicht beunruhigt oder erschrocken, ich war es auch vorhernicht." (FG 3)

"Also ich bin bisher nicht auf irgendwelche Informationen gestoßen, suchen in irgendwelchen Fach-zeitschriften würde ich nicht. Es gibt also bestimmte Zeitschriften die wir zugeschickt bekommen und dastehen auch schon mal aktuelle Fälle drin, wenn da natürlich was drin stehen würde, liest man da jaautomatisch. Aber da irgendwie noch selber, würde ich eigentlich nicht." (FG 5)

Ein weiteres Indiz für die geringe Betroffenheit ist, daß beim Vergleich von EMF-

Gefahren mit anderen Umweltgefahren in der Regel EMF-Gefahren nur eine unterge-

ordnete Bedeutung zugesprochen wird.

"Ich denke eigenlich, andere Dinge sind wesentlich wichtiger, haben einen viel, viel größeren Einfluß, daherist es wichtiger, auf unser Wohlempfinden. Bei den anderen Dingen gibt es soviel zu tun, wenn wir dasalle mal geschafft haben, dann könnte man sich diesem Thema etwas näher widmen." (FG 3)

Die geringste Betroffenheit zeigen die Teilnehmer der Fokusgruppen 7 und 8, obwohl in

beiden Gruppen die meisten Teilnehmer persönlichen Umgang mit EMF-Geräten haben:

drei der vier Teilnehmer aus Fokusgruppe 7 haben beruflich mit Funkgeräten (und auch

privat als Funkamateure) zu tun und drei der fünf Teilnehmer aus Fokusgruppe 8 benut-

zen Mobilfunktelefone.

"Ich mache mir eigentlich schon Gedanken darüber, was gesund ist, was nicht gesund ist. Im Zusam-menhang aber mit elektrischen Geräten habe ich mir noch nie Gedanken darüber gemacht." (FG 8)

"Aber im Endeffekt, man nutzt diese Geräte, weil man sie auch braucht, weil sie auch hilfreich sind, weilwenn man halt berufstätig ist und wenig Zeit hat, also die Mikrowelle ist für mich sehr wichtig, ohne diewürde ich überhaupt nicht mehr auskommen, weil es ist das Gerät, was ich am meisten benutze und dieTelefone sind einfach praktisch und ideal, man kann es überall mit rumschleppen, man ist überall erreich-bar, für mich sehr wichtig. Durch unsere beiden Geschäfte, ich muß einfach immer erreichbar sein. Ichbrauche ein Telefon. Aber das ich mir darüber Gedanken gemacht habe, das das für meine Gesundheitschädlich ist, kann ich eigentlich auch nicht sagen." (FG 8)

Bei diesen Fokusgruppen wird besonders deutlich, daß objektive Konfrontation mit

EMF nicht unbedingt zu Betroffenheit führen muß. Wir werden auf die Gründe dafür in

den nächsten beiden Teilkapiteln genauer eingehen.

3.1.2 Subjektive Gefahreneinschätzung und Gefahrenmodelle für

28

EMFEine zentrale Frage für die Bedeutungskonstitution von EMF-Risiken ist: Wie hoch wird

das Risiko eingeschätzt, das von EMF ausgeht? Wie kommen Menschen zu ihrer Ein-

schätzung? Auf welche Merkmale von EMF rekurrieren sie dabei, welche Kriterien

benutzen sie? Welches Gefahrenmodell haben sie in bezug auf EMF, d.h. wie stellen sie

sich die schädigende Wirkung von EMF vor?

Bei der Gefahreneinschätzung können für die Fokusgruppenteilnehmer grob drei

qualitativ unterschiedliche Risikoeinschätzungen unterschieden werden. Eine Gruppe

von Teilnehmern ist sich sicher, daß von EMF große Gesundheitsgefahren ausgehen.

Eine zweite Gruppe ist in ihrer Risiko-Einschätzungen sehr heterogen; ihr charak-

teristisches Merkmal ist die Unsicherheit bei der Risikobewertung. Die dritte Gruppe

wiederum ist sich relativ sicher, daß von der (ordnungsgemäßen) Nutzung EMF-

Technik keine oder geringe Gefahren für die Gesundheit ausgehen.

Risikoeinschätzung: hoch

Diese Einschätzung, daß von EMF eine hohes Risiko ausgeht, vertreten uneingeschränkt

im wesentlichen nur die Teilnehmer der Fokusgruppe 'Elektrosensible' (FG 1) sowie die

Mitglieder der Bürgerinitiative gegen die Hochspannungsleitung und die Anwohner der

Hochspannungsleitung (FG 2). Die Gewißheit, mit der diese Risikoeinschätzung

vertreten wird, kann auf die spezifischen persönlichen Erfahrungen dieses

Personenkreises mit EMF zurückgeführt werden.

Bei den Teilnehmern der Fokusgruppe 'Elektrosensible' (FG 1) handelt es sich um Perso-

nen, die unter Gesundheitsbeeinträchtigungen leiden, die eher als unspezifisch zu

bezeichnen sind (z.B. Herzrasen, Schlafstörungen, Erschöpfungszustände, Konzen-

trationsschwächen etc.), d.h. die keiner bestimmten Krankheitsursache zugeordnet

werden können oder keinem eindeutigen und bekanntem Krankheitsbild entsprechen, die

aber andererseits Lebensqualität und -führung der Teilnehmer sehr stark beeinträchtigen.

Die Leiden traten in der Regel - zuweilen sehr plötzlich und stark - erst in der zweiten

Lebenshälfte der Teilnehmer auf. Die Teilnehmer sind dann bei verschiedenen Ärzten

unterschiedlicher Disziplinen gewesen, haben eine regelrechte Odysee durchgemacht,

29

wiewohl ihnen kein Arzt - abgesehen von Heilpraktikern oder Ärzte, die sog. na-

turheilkundliche Therapien anwenden - weiterhelfen konnte. Entweder konnte ihnen

keine Ursache für ihre Leiden genannt werden, oder es wurden Ursachen genannt, die

die Teilnehmer nicht befriedigten (bspw. Hormonstörungen aufgrund der Wechseljahre

bei älteren Frauen, psychische Probleme aufgrund von Kindheit oder Scheidung) oder

gegen die keine schützenden Maßnahmen ergriffen werden konnten. Gerade psychische

Ursachen für ihre Leiden weisen die Teilnehmer weit von sich. Bei diesen Arztbesuchen

machten die Teilnehmer - gerade Frauen - sehr oft die für sie demütigende Erfahrung,

daß ihre Leiden und sie selbst nicht ernst genommen wurden. Jetzt sind die Teilnehmer

davon überzeugt, daß sie elektrosensibel/-sensitiv/-fühlig/-geschädigt sind, d.h. daß ihre

Leiden durch elektromagnetische Felder (vor allem solche, die durch die Nutzung von

elektrischem Strom entstehen) oder durch sog. Erdstrahlen verursacht werden, wobei

zwischen diesen beiden Ursachen oft nicht klar unterschieden wird.

"So nach knapp 10 Jahren nicht ganz 8 Jahren fings plötzlich an mit nächtlichen Herzklopfen, so einHerzrasen und dann das erste Mal habe ich mich furchtbar erschroken und da bin ich zum Arzt gegangenund es hat sich dann langsam so gesteigert, daß ich jede Nacht zwei-dreimal aufgewacht bin also mitrichtigem Herzrasen und dann wurde ich krankgeschrieben, arbeitsunfähig und dann fängt halt so eineOdysee an von einem Arzt zum anderen und keiner kann einem richtig helfen und mit Beruhigungsmittel.Die Beruhigungsmittel merkwürdigerweise, die habens immer nur aufgestaut, dann bin ich eben nichtnach 3 Stunden aufgewacht, sondern erst nach 4 Stunden, es war ein ganz merkwürdiges Phänomen. Daszog sich so hin bis dann mein Arzt, der ist da sehr aufgeschlossen in der Richtung, gesagt hat, lassen Siedoch mal Ihr Haus untersuchen auf elektromagnetische Strahlung. Und dann habe ich den Herrn [...]kommen lassen und das war dann also wirklich das Schlüsselerlebnis, der hat seine Geräte aufgestellt undhat nach 5 Minuten schon gesagt, dies Haus ist unbewohnbar. Sie müssen dies Haus sofort verkaufen, Siemüssen ausziehen. Und dann hat sich herausgestellt, daß ist der technische Aufbau, das dasStarkstromkabel für eine Zeile von 6 Reihenhäusern unter den Häusern langgeht, man hat das aus Erspar-nisgründen gemacht, früher hat man die Kabel einzeln reingelegt in jedes Haus und hier ist es durch dieZeile durchgezogen worden und dadurch das wirs zweite Haus sind, haben wir eben für 4 andere Häuserauch noch den ganzen Starkstrom im Haus. ... Und den Netzfreischalter, halt so eine ganze MengeMaßnahmen, womit es dann zumindest erträglich ist, wenn ich umziehe, ist es vielleicht nicht daselektromagnetischer Felder, dann ist es durch die Radarstrahlen oder dann ist sonst wieder was. Frau [...]hat mich eigentlich auch immer drin bestärkt und gesagt, nun nicht gleich alles verkaufen und aufgeben.Und ich muß sagen, die Beschwerden sind dann auch wesentlich besser geworden, ich hab dann auch wiedie andere Dame gesagt hat, also versucht das man sonst den guten Zustand kommt und ich merke haltjetzt nur noch, wenn es mir mal ansich etwas schlechter geht, dann schlägt es noch mal wieder durch."(FG 1)

"Mir gings auch so 1989/90, als ich die erste Zeit am Computer gearbeitet hab, war ja, vorher nur dieSchreibmaschine, da gings mir gut immer und kurz nach der Computer hab ich gemerkt das meinImmunsystem schwächer wird, habe ich damals alles nicht mit in Verbindung gemacht, wußte nichtsdavon. Erst hatte ich immer Erkältungen und das hat sich dann gesteigert bis zur schwersten Bronchitisund dann schwerer Astma. .... das hängt ja auch mit Immun zusammen und das ist eine höllische Ange-legenheit, jahrelang schwerste Probleme gehabt hab und jetzt geheilt bin... Ich hab dann immer öfterErschöpfungszustände gekriegt ohne jeden Anlaß eigentlich, ich habe gar nicht so schwer gearbeitet, ich

30

war immer zutode erschöpft, müde, konnte aber sonst immer schlafen, und dann gings los mit sehrstarken Herz-Rhythmus-Störungen am Computer, und immer wenn ich in der Umgebung vom Computergesessen bin, wir hatten im Büro zwei Computer und einen Laser-Drucker stehen und ich war mittendrinvom ganzen und noch dazu kam, das die S-Bahn ganz nah an dem Gebäude da vorbeigegangen ist und soalle 2 Minuten eine S-Bahn und dann hat das Bild geflackert und das war wesentlich größer ... aber dieFirma hat nichts unternommen. Und dann habe ich Anfälle gekriegt und mein ganzer Körper hat ge-piepst, als ob ich am Strom angesteckt wär. Und dann habe ich gemerkt mit den Augen, daß die Augen soschlecht geworden sind, ich konnte weder mit Brille noch ohne Brille lesen und nachher hab ich erfahren,das hat ja mit den Augen gar nichts zu tun gehabt, die Augen sind noch gut und ich kann heute ohneBrille lesen und damals konnte ich mit Brille nicht mehr lesen weil die Durchblutung im Kopf, keineDurchblutung mehr, habe schwerste Konzentrationsstörungen und Gedächtnisstörungen gekriegt, so daßich mich wirklich schon selber..... Ich habe gedacht, ich habe die Alsheimer Krankheit, war wirklichschlimm, d.h. das habe ich heute auch noch, aber es ist besser. Aufgrund dessen habe ich dannDepressionen gekriegt, weil man von den Ärzten nicht ernstgenommen wird, sondern sehr demütigendbehandelt wird. Ich hab bestimmt 10.000,-DM ausgegeben - jetzt bin ich Pleite." (FG 1)

EMF bzw. Erdstrahlen erscheinen den Teilnehmern dieser Fokusgruppe als eine

plausible Ursache für ihre Leiden, obwohl sie wissen, daß dies im Rahmen der

'etablierten' Wissenschaften äußerst umstritten ist. Daß sie trotzdem bei ihrer Ein-

schätzung bleiben, dürfte unter anderem folgende Gründe haben:

• Ihnen wurde für ihre Leiden eine konkrete Ursache genannt (elektromagnetische Fel-

der und/oder Erdstrahlen) - etwas, das sie z.B. von den 'etablierten' Ärzten nicht

bekommen hatten. Vor allem dieses Wissen scheint für viele Teilnehmer eine große

Erleichterung bedeutet zu haben.

• Damit waren den Betroffenen zugleich Handlungsmöglichkeiten eröffnet, etwas

gegen ihre Leiden zu tun. Alle Teilnehmer haben solche Schutzmaßnahmen

ergriffen, die teilweise sehr drastisch und auch kostspielig sind. Allerdings haben

solche Schutzmaßnahmen, wie z.B. Herausdrehen der Sicherungen, Umzug in eine

andere, angeblich weniger strahlenbelastete Wohnung, verschiedene Abschirmmaß-

nahmen (Kupfermatte, Umwicklung von Kabeln mit einer speziellen Metallegierung

etc.), durchaus nicht immer den gewünschten Erfolg gezeigt. Zwar erfuhren einige

Personen durch diese Abschirmmaßnahmen eine wesentliche bis vollständige

Milderung ihrer Beschwerden, bei anderen jedoch stellte sich keine Besserung ein.

Dies führt aber offensichtlich nicht zu einer Revision der Risikoeinschätzung in

bezug auf EMF.

• In manchen Fällen wurde durch 'Ausmessen' der Wohnung nachgewiesen (mit elek-

31

trischen Meßgeräten oder mit Wünschelruten), daß da tatsächlich 'etwas' ist, was

nicht unmittelbar sinnlich erfahrbar ist, was aber doch Effekte, z.B. auf die

eingesetzten Instrumente, auslösen kann.

Im Gegensatz zur EMF-Exposition der Elektrosensiblen, die nur über ihre gesundheitli-

chen Effekte spürbar wird, haben die Anwohner der Hochspannungsleitung direkte sinn-

liche Erfahrungen mit EMF. Denn diese ist für sie optisch und akustisch wahrnehmbar.

Zu hören sind ein Summen, Knistern, Knacken und Brummen. Eine Teilnehmerin bei-

spielsweise berichtet von Menschen, die in ihrem Garten unter der Hochspannungs-

leitung gearbeitet und denen die Haare zu Berge gestanden haben. Eine andere Teil-

nehmerin erzählte, sie habe eine Neonröhre zum Fenster herausgehalten, die dann von

allein leuchtete.

Alle Teilnehmer, die nahe der Hochspannungsleitung wohnen, sind überzeugt davon,

daß die Beschwerden, die bei ihnen auftreten oder aufgetreten sind, von der Hoch-

spannungsleitung verursacht werden. Geklagt wird vor allem über eher unspezifische

Leiden wie Schlaf- und Konzentrationsstörungen, Herzprobleme, Müdigkeit, Mattigkeit:

"Dann hab ich festgestellt, daß ich, seit wir in [...] wohnen, unheimlich unkonzentriert bin, also mir fallenDinge aus der Hand oder ich will irgendwas machen und, bin ich total schusselig, was ich nie, in [...] niefestgestellt habe und, also auch unkonzentriert einfach, und, und nachts muß ich jetzt zwei-, dreimal aufdie Toilette, hab' ich in [...] nie müssen, also ich mußte nachts nie aufstehen, und, und das ist ja auchirgendwie vom Körper her irgenwie 'ne Reaktion, unruhig und, und, und ich bin unheimlich müde, alsowenn ich morgens, wenn ich, ich habe also 8 Stunden geschlafen oder 9 Stunden, dann, dann bin ichmüde, als ob ich nur 5 Stunden geschlafen hätte, bin unheimlich müde, wache überhaupt nicht auf, komm'nicht richtig zu mir, und dann hab' ich gesagt, wenn ich früher in [...], habe ich ein doppelt so großesHaus gehabt, hab' drei Söhne, große Söhne gehabt, und wenn ich die Arbeit und das Haus heute hätte, ichglaube, ich würde es überhaupt nicht schaffen, weil ich einfach die Energie nicht so aufbringe wie früher.Natürlich war dieses Jahr das Wetter oft ziemlich, sagen wir, schlechtes Wetter, wo man dann auch biß-chen draufdrücken tut vielleicht, wenn man ein bißchen wetterfühlig ist und so, obwohl ich da nicht so di-rekte Probleme hab', und ich bin auch sonst nicht allergisch oder irgendwas, und ich bin auch nichtirgendwo ein empfindlicher Mensch." (FG 2)

"Ich kann von meiner Person sagen, seit ich unter der Leitung wohne, geht mir's zwar nit ganz so drastisch,aber auch ähnlich. Schlafstörungen; Herz-Rhythmus-Störungen eigentlich weniger auch; Konzentrations-störungen treten schon auf." (FG 2)

Als ein wichtiges Indiz für das Bestehen von Gesundheitsrisiken durch die Hochspan-

nungsleitung wird angeführt, daß die Beschwerden abnahmen bzw. ganz verschwanden,

wenn die Betroffenen umgezogen sind oder wenn sie sich für einen bestimmten Zeit-

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raum an anderen Orten oder im Urlaub aufhielten. Auch von Personen, die die

Teilnehmer besuchten, wurden Gesundheitsbeschwerden (vor allem Schlafstörungen

oder Unwohlsein) berichtet, die beim Aufenthalt in deren Wohnungen aufgetreten sein

sollen. Außerdem wird darauf hingewiesen, daß die Zahl von Krebstoten in der Nähe der

Leitung sehr hoch sein soll (die Bürgerinitiative hat hierzu eine Befragung durchgeführt,

in der die Anzahl von Krebstoten im Ort, über den die Hochspannungsleitung ent-

langführt erfragt, aber nicht mit anderen Gebieten ohne Hochspannungsleitung ver-

glichen wurde), was ebenfalls auf die Hochspannungsleitung zurückgeführt wird.

Die Hochspannungsleitung wird im Vergleich zu elektrischen Haushaltsgeräten aus zwei

Gründen als besonders gefährlich angesehen: Zum einen, weil man sie nicht abstellen

oder beeinflussen kann. Dies wird von den Teilnehmern immer wieder betont und

scheint daher für sie ein zentrales Gefahrenmerkmal zu sein. Zum anderen wird die

Hochspannungsleitung als gefährlich eingeschätzt, weil man ihrem schädlichen Einfluß

nachts ausgesetzt ist und man nachts empfindlicher gegenüber einem solchen Einfluß

sein soll. Dies wird damit erklärt, daß man sich im Schlaf regeneriert und den EMF

nichts entgegensetzen kann, daß der Körper in einer Ruhephase empfänglicher ist, daß in

der Nacht das Immunsystem schwächer ist oder daß die Produktion eines bestimmten

Hormons (Melatonin), die nachts stattfindet, gestört wird. Ein drittes wichtiges Gefah-

renmerkmal ist die Dauer der EMF-Exposition: Je länger man der Strahlung ausgesetzt

ist, desto gefährlicher ist sie bzw. desto eher treten Gesundheitsschädigungen oder Be-

schwerden ein. Deshalb wird die Hochspannungsleitung im Vergleich zu elektrischen

Haushaltsgeräten als besonders gefährlich eingeschätzt, weil man ihrem Einfluß ständig

ausgesetzt ist, weil sie immer da ist. Weiterhin soll die Hochspannungsleitung auch

stärkere Felder als elektrische Haushaltsgeräte abgeben.

"Bei Elektrogeräten im Haushalt, die kann man ein- und ausschalten, man kann einen Stecker ziehen manweiß ganz genau, man kann das Ding ausschalten, das Problem ist nur, die Leitung kann man nichtausschalten, die ist immer da, wie ein Damokles-Schwert, und das ist eben auch ein Problem, imHaushalt kann man alles machen, vom Freischalter bis hin Geräte wieder abschrauben, wegstellen, woman meint das sie stören. Man hört sie ja auch. Das ist so ein Horror. Man hört es immer ständig." (FG 2)

Risikoeinschätzung: unsicher

Große Unsicherheit in bezug auf die Risikoeinschätzung besteht durchgängig bei den

Teilnehmern der 'Unbeteiligten'-Fokusgruppen (FG 3, 4 und 11), aber auch bei den

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Nutzern von Funktelefonen (FG 5 und 6) und den Anwohnern von Mobilfunksende-

masten (FG 9 und 10). Zwar hält keiner der Teilnehmer dieser Fokusgruppen Ge-

sundheitsschädigungen durch EMF für nachgewiesen, andererseits will auch keiner

völlig ausschließen, daß es zu solchen Gesundheitsschädigungen durch EMF kommen

kann.

"Solange man mir nicht beweist, das diese Strahlung wirklich unschädlich ist, halte ich das zunächst mal fürschädlich." (FG 6)

"Ich glaube, das Gefährliche ist nach meinem Gefühl, daß es gefährlich sein könnte, obwohl ich habekeinen Beweis, daß es gefährlich ist, aber ich habe auch keinen Beweis, daß es nicht gefährlich ist, ichglaube, daß das eher meine Einschätzung ist, und wie offen oder geschlossen ich dieser Sache überhauptgegenüberstehe, und ich sage mal, durch die Erfahrung in meiner Familie stehe ich dieser Sache eherskeptisch gegenüber, bis das ich vielleicht von 3 bis 4 Wissenschaftler irgendwann mal in 5 oder 10Jahren, die Dinger sind tatsächlich ungefährlich, aber solche Untersuchungen gibt es ja nicht, sind mirnicht bekannt." (FG 6)

Als Grund für die große Unsicherheit bei der Einschätzung von EMF-Risiken wird vor

allem angeführt, daß der derzeitige wissenschaftliche Kenntnisstand begrenzt ist und

man manche Gesundheitsgefahren möglicherweise erst in Zukunft herausfinden wird.

Diese Einschätzung wird durch Erfahrungen mit anderen gesundheitsgefährdenden

Stoffen (z.B. Asbest, Holzschutzmittel) gestützt, bei denen man auch zuerst annahm, daß

sie keine Gesundheitsgefahr darstellen würden, bis sich dann das Gegenteil herausstellte.

"Ich denke, daß dieses Zeug einen ziemlich schädlichen Einfluß hat. Also diese ganze Strahlung. Ich kanndann gleich gegenüber dem Herrn [...] sagen, ich finde das immer sehr komisch, dieses Argument, bisjetzt hat uns noch keiner bewiesen, daß das schädlich ist. Also Asbest hat auch etliche Jahre gebraucht,bis heraus kam, das es schädlich war." (FG 11)

Diejenigen, die stärker von einer möglichen Gesundheitsgefahr überzeugt sind, können

meist von Erfahrungen aus ihrem persönlichen Umfeld berichten, in denen sich eine

nachteilige Wirkung von EMF gezeigt hat bzw. Gesundheitsbeeinträchtigungen nach

dem Ergreifen von Schutzmaßnahmen gegen EMF (vor allem durch das Verstellen des

Bettes) aufhörten.

"Meine Kinder haben in einem Hochbett geschlafen 2 Kinder und die sind jede Nacht aufgestanden. DasBett wurde gekauft wurde an einen Platz gestellt und sind jede Nacht aufgestanden und zu unsgekommen. Und einer sagte mal, stell das Bett an eine andere Stelle. Warum denn das? Es könnte ja sein,das da eine Wasserader ist, oder das da so ein Strahlungskreuz ist, ich hatte damals überhaupt keineAhnung. Wir haben das Bett in den Raum reingestellt von dieser Wand weg, es ist wirklich wahr seit

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dieser Nacht schliefen diese Kinder in diesen Betten und sind niemehr nachts aufgestanden. Die Kinderhaben mit Sicherheit nicht, die fanden das toll, weil das Bett anders stand, weil da kann man von beidenSeiten runterspringen, für die war das, die haben nicht drüber nachgedacht, was das sollte, ich habe dasbewußt verstellt, das war ein durchschlagender Erfolg ab der ersten Nacht. Und danach habe ichangefangen, mich damit zu beschäftigen." (FG 6)

Auch die relative Gefahreneinschätzung unterschiedlicher Quellen von EMF ist

schwierig. EMF-Quellen, denen Gesundheitsgefahren zugeschrieben werden, sind bei

niederfrequenten Feldern elektrische Geräte allgemein, Babyphones, Fernseher,

Computerbildschirm sowie Hochspannungsleitungen, bei hochfrequenten Feldern

Mikrowellenkochgeräte, Funktelefone (schnurloses Haustelefon, Autotelefon, Handy,

portables Mobilfunktelefon) sowie Sendeanlagen (Fernsehtürme, Mobilfunksende-

anlagen). Bei technischen Anlagen wurden Hochspannungsleitungen häufiger als

gefährliche Quellen genannt als Sendeanlagen. Bei Quellen von niederfrequenten EMF

werden Hochspannungsleitungen (bzw. der Umstand, neben einer Hochspannungs-

leitung zu leben) immer als gefährlicher eingeschätzt als elektrische Geräte. Es gibt

eigentlich niemanden, der freiwillig neben einer Hochspannungsleitung leben würde.

Beim Vergleich der Gefährlichkeit von Mobilfunktelefon und Sendeanlage wird in der

Regel die Sendeanlage als gefährlicher eingeschätzt, weil sie eine größere Sendeleistung

hat und weil sie kontinuierlich strahlt. Aber auch das entgegengesetzte Urteil wird ge-

troffen, daß nämlich das Mobilfunktelefon gefährlicher sei, weil es als Sender sehr nah

am Körper ist.

Für keinen der Teilnehmer handelt es sich bei (nieder- und hochfrequenten) EMF und

bei ionisierender Strahlung (wobei die Teilnehmer dafür als Begriffe verwenden:

Strahlung von Atomkraftwerken, Atombombenexplosionen, Atomstrahlen oder

Strahlung von Tschernobyl) um das gleiche Phänomen. Selbst für diejenigen Teil-

nehmer, die häufig den Begriff der Strahlung benutzen, um EMF-Phänomene zu

beschreiben, handelt es sich bei EMF nur um eine Art von Strahlung, die sich von

anderen Arten der Strahlung - auch von ionisierender Strahlung - unterscheidet. Es ist

eher auffällig, wie wenig Bezug genommen wird auf Phänomene ionisierender

Strahlung und wie klar zwischen EMF und ionisierender Strahlung getrennt wird. Wenn

Bezug genommen wird auf ionisierende Strahlung, geschieht dies nur, um Parallelen

deutlich zu machen, die sich aber immer nur auf bestimmte Aspekte beschränken: z.B.

daß man EMF wie ionisierende Strahlung nicht riechen, hören, schmecken kann; daß

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EMF gefährlich sein kann, auch wenn es nicht sichtbar ist, weil dies auch für

ionisierende Strahlung gilt; daß die Gefahreneinschätzung bei EMF ähnlich unsicher ist

wie die Einschätzung der Strahlenbelastung, die von Tschernobyl herrührt. Wenn EMF

mit ionisierender Strahlung verglichen wird, wird aber - explizit oder implizit - deutlich,

daß ionisierende Strahlung als viel gefährlicher eingeschätzt wird.

"Also gut, ich glaube, daß ist das was immer so unterschwellig dann doch, auch wenn man sich sagt, machkeine Panik und ich gucke, das ich da möglichst aus dieser Zone oder auch in der Schlafzone z. B. keinedieser Geräte in der Nähe habe, aber gerade das Gefühl, wie es bei radioaktiven Strahlen ist, man sieht,hört und riecht es nicht und man weiß nicht, ob es in 20 Jahren vielleicht irgend wann mal Spätfolgen hatoder Folgen hat, die man in 20 Jahren sagt, wäre es damals oder hätten wir damals anders gemacht odernicht gemacht oder gleich daran gedacht, Häuser anders zu bauen oder irgendwie, das ist eigentlich, wasmich bei diesem Thema am meisten beunruhigt, das ist eigentlich das falsche Wort, aber bedenklichstimmt." (FG 3)

"Ja, man hat auch ein ganz unangenehmes Gefühl überhaupt bei Strahlen. Denn also so auch so mitAtomkraftwerken oder die Leuten die da in der Nähe wohnen oder irgendwie was, das sind ja Sachen, dieman nicht sofort merkt, wenn das irgendwie gesundheitsschädlich ist. Das kommt ja immer erst später.Und ich weiß nicht, mir ist das überhaupt unangenehm." (FG 10)

Aus den Äußerungen der Teilnehmer ohne technisch-naturwissenschaftliche Vorbildung

geht nicht immer klar hervor, ob sie zwischen EMF unterschiedlicher Frequenz unter-

scheiden (niederfrequente EMF bei elektrischem Strom, hochfrequente EMF bei

Funkanwendungen oder bei Mikrowelle). Einige Teilnehmer tun dies, andere machen

keine diesbezüglichen Aussagen, so daß zu vermuten ist, daß sie keine Unterscheidung

treffen (z.B. wenn allgemein von Strahlung geredet wird).

Für die meisten dieser Fokusgruppenteilnehmer ist das Charakteristische von EMF-

Gefahren im Vergleich zu anderen Umweltthemen gerade, daß es eine 'schwammige

Sache' ist, d.h. daß weder zweifelsfrei bewiesen wurde, daß Gefahren bestehen, noch

daß man hundertprozentig ausschließen kann, daß keine Gefahren bestehen, während bei

anderen Umwelt- oder Gesundheitsgefahren (z.B. Autoabgase oder Rauchen)

zweifelsfrei bewiesen ist, daß eine Gefahr besteht. Einige Teilnehmer halten sogar

sowohl negative als auch positive Effekte durch EMF für möglich.

Risikoeinschätzung: gering

Die Teilnehmer der Fokusgruppen 7 und 8 schätzen die Risiken von EMF fast durchweg

als gering ein und sie sind sich bei ihrer Einschätzung relativ sicher. Die professionellen

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Nutzer von Funkgeräten (FG 7) stimmen überein, daß Funkgeräte und Sendeanlagen im

normalen Alltag keine Gefahr darstellen. Eine für diese Gruppe typische Bewertung der

EMF-Problematik zeigt das folgende Zitat:

"Auch die Erwärmung durch Strahlen, das kennt man ja auch von hochfrequenten Geräten wie Mikrowelle,etc., daß da Wärme erzeugt wird und wenn man da mit so einem Handy bspw., das starke Leistung hätte,und die Antenne wirklich ganz nah am Kopf haben würde und das auf längere Sicht, wobei nicht jeder solange spricht, dann könnte ich mir vorstellen, daß es vielleicht eben welche Beeinflussungen haben könn-te. Dazu kann ich nichts erzählen, mir ist nichts bekannt, auch von anderen Funkamateuren nicht. Dennauch in Kreisen wird auch über dieses Thema viel gesprochen. Aber da geht der Hersteller ja das Themavor, Störung, elektromagnetischen Bereich wie auf den Nachbarn oder auf elektronische Geräte desNachbarn umzuräumen Störungen auswirken können, ist das Gespräch eher sehr nahe. Dasgesundheitliche Schädigungen der Funkamateure entstehen, ist auf diese Art und Weise ist momentaneher abgeebt. Eine Zeit lang war es im Gespräch und wohl auch sehr kontrovers aber nachdem es keinewissenschaftliche Belegung gibt, die das eine oder andere, hebt es das wieder ab." (FG 7)

Die Teilnehmer dieser Fokusgruppe stützen sich in ihrer Einschätzung stark auf wissen-

schaftlich-technische Argumente, vor allem auch darauf, daß trotz einer längeren

Diskussion keine Gefahren wissenschaftlich bewiesen sind: "Es hat noch niemand

nachweisen können, daß es gefährlich ist". Wenn überhaupt Probleme gesehen werden,

so liegen sie auf der technischen Ebene, z.B. die Störung von elektrischen Geräten oder

Sendegeräten untereinander.

Im Gegensatz zu der stark auf die Kenntnis technischer Zusammenhänge gestützten Ein-

schätzung von EMF durch die professionellen Funkgerätenutzer basiert die Ein-

schätzung der Teilnehmer der Fokusgruppe 8 eher auf einer sorglosen Grundeinstellung.

Für diesen Personenkreis steht deutlich der Nutzen von EMF-Geräten - insbesondere

Mobilfunktelefon - im Vordergrund; einige Teilnehmer sehen Mobilfunktelefone für

sich sogar als unverzichtbar an.

"Aber im Endeffekt, man nutzt diese Geräte, weil man sie auch braucht, weil sie auch hilfreich sind, weilwenn man halt berufstätig ist und wenig Zeit hat, also die Mikrowelle ist für mich sehr wichtig, ohne diewürde ich überhaupt nicht mehr auskommen, weil es ist das Gerät, was ich am meisten benutze und dieTelefone sind einfach praktisch und ideal, man kann es überall mit rumschleppen, man ist überall erreich-bar, für mich sehr wichtig. Durch unsere beiden Geschäfte, ich muß einfach immer erreichbar sein. Ichbrauche ein Telefon. Aber das ich mir darüber Gedanken gemacht habe, das das für meine Gesundheitschädlich ist, kann ich eigentlich auch nicht sagen." (FG 8)

Zwar werden auch in dieser Gruppe mögliche Gesundheitsgefahren durch EMF nicht

völlig ausgeschlossen, aber sie werden doch für vernachlässigbar gehalten oder im Ver-

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gleich zu anderen Risiken relativiert.

"Es gibt ganz andere Probleme, ich stürze mich jeden Tag in den Verkehr, in der Hauptverkehrszeit, fahrepermanent Auto, rauche, ich trinke, ich fliege mit einem Flugzeug, es gibt so viele Dinge wo man sichgefährdet, wenn man immer an die Gefahren und die Konsequenzen denken würde, da könnte man in derheutigen Zeit gar nicht mehr mit einem angemessenen Lebensstandard existieren." (FG 8)

Gefahrenmodell

Ein für alle Fokusgruppenteilnehmer gemeinsames Modell, das eine schädigende

Wirkung von EMF erklärt, ist nicht erkennbar. Für viele Fokusgruppenteilnehmer ist der

Aspekt der Wirkmechanismen, durch die EMF schädigen könnte, weitgehend

bedeutungslos. Die Fokusgruppenteilnehmer hatten in der Regel keine oder nur

ungenaue Vorstellungen darüber, auf welche Weise EMF den Körper schädigen oder

beeinträchtigen könnten. Wesentlich ist für diese Teilnehmer vielmehr, daß solche

schädlichen Einflüsse nicht ausgeschlossen werden können. Die prinzipielle Möglichkeit

einer Schädigung durch EMF reicht hier für die Bewertung von EMF als potentiell

gefährlich aus.

Einige Teilnehmer rekurrieren in ihren Vorstellungen auf biologische und physikalische

Erklärungen, wobei diese allerdings nur selten naturwissenschaftlich korrekt sind. Viel-

mehr wird auf biologische oder physikalische Vorgänge verwiesen, und diese werden

pauschal als Anknüpfungspunkt für einen Analogieschluß oder eine intuitiv plausible

Erklärung genommen.

"Mir ist auch die Tatsache bekannt, daß elektrische Geräte, elektrische Leitungen wo Strom fließt,Magnetfeld haben, das Magnetfelder miteinander, daß auch diese Magnetfelder auf die MenschenAuswirkungen haben können, haben sollen." (FG 3)

"Wenn man es betrachten, eigentlich den Körper betrachtet und die Funktionen im Gehirn, das läuft ja auchirgendwo über Synapsen ab, über Elektrolyte oder gewisse Enzyme und Leitungen ab. Ich denke das istschon möglich, daß EMF Gesundheitsschäden zur Folge haben können." (FG 3)

Andere halten psychische Einflußfaktoren für bedeutsam.

"Die Psyche hat einen großen Einfluß auf deinen eigenen Körper oder auch jeden Körper. Wenn es hiervom Kopf nicht richtig stimmt dann funktioniert mein Körper auch nicht. Wenn ich aber positiv in dieWelt raus gehe und auch positives Denken habe, kann man mit diesen Dingen auch ganz gut umgehenund dann ist man auch nicht so anfällig für Krankheiten. Man muß halt immer positiv denken und immer

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versuchen, das beste draus zu machen aus der jeweiligen Situation. Also Pessimismus ist für michsowieso eine Sache, die für mich nicht in Frage kommt." (FG 8)

Es ist auch hier bezeichnend für die Unsicherheit in bezug auf EMF, daß in den Diskus-

sionen solche sehr unterschiedlichen Vorstellungen fast immer unvermittelt

nebeneinander stehen bleiben und und nicht etwa von Teilnehmern mit anderen

Vorstellungen kritisiert werden. Dies mag daran liegen, daß tatsächlich die ganze Palette

von Einflußfaktoren für möglich gehalten wird oder aber daran, daß so wenig über die

Art und Weise, in der EMF schädigen könnte, bekannt ist, daß den Diskus-

sionsteilnehmern schlicht Argumente fehlen, um andere Vorstellungen angreifen zu

können.

Weitgehende Einigkeit bestand allerdings in allen Fokusgruppen hinsichtlich bestimmter

sensibler Lebensbereiche, besonders vulnerabler Personen und empfindlicher Organe,

die als besonders schützenswert, empfindlich oder prekär charakterisiert werden und die

über die einzelnen Diskussionen hinweg immer wieder auftraten:

(1) Das Auge taucht vor allem im thematischen Zusammenhang mit Mobilfunktelefonen

auf und gilt dort als besonders strahlungsgefährdetes Objekt - erstaunlicherweise im Ge-

gensatz zum Ohr, das ja physisch die größte Nähe zum Telefongerät aufweist: das Ohr

wird nirgends thematisiert. Ein weiterer Zusammenhang zwischen EMF und Auge wird

über die Erwärmung von Eiweiß gestiftet, z.B. in folgender Einschätzung der Strahlen

von Mobilfunktelefonen:

"das ist schon fast Mikrowellenbereich, und ich stell' mir immer so'n Ei in der Mikrowelle vor, dann machich das Ding an und schon platzt das Ei und so ähnlich siehts ja, denk ich mir, mit dem Eiweiß in mein'mAuge auch aus" (FG 5)

Ein Grund für die Qualifizierung des Auges als kostbares Gut in der EMF-Diskussion ist

sicherlich, daß das Auge generell als zentrales Wahrnehmungsorgan und als sehr ver-

letzliches Objekt gilt.

(2) Kindern wird eine erhöhte Sensibilität/Empfindlichkeit zugeschrieben, die teilweise

dadurch erklärt wird, daß Kinder "ja noch im Aufbau" sind, die häufig aber auch un-

expliziert stehengelassen wird.

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"Kinder sind glaube ich noch sensibler und empfindlicher als wir Erwachsenen." (FG 3)

Kinder gelten offenbar auch deshalb als besonders gefährdet, weil mögliche Gesund-

heitsschäden durch EMF als langfristig wirksam angesehen werden. Komplementär zu

Kindern wird die Relevanz von EMF für ältere Menschen als nicht so hoch eingeschätzt

("mich betrifft das nicht, aber meine Kinder und meine Enkel"). Es ist anzunehmen, daß

sich hier auch die gesamtgesellschaftlich hohe Wertung von Kindern auswirkt.

(3) Das Schlafzimmer gilt als besonders gefährdungsempfindlicher Ort. Teilweise wird

dies damit begründet, daß "der Mensch strahlungssensibler ist, wenn er schläft",

teilweise auch damit, daß man im Schlafzimmer "am ehesten auf diese Dinger verzichten

kann". Häufig wird die Herausstellung des Schlafzimmers aber auch ohne Erklärung

vorgenommen. Teilnehmer, die EMF-Geräte (z.B. Radiowecker) in ihrem Schlafzimmer

haben, betonen eigens die Zwangslage, aus der heraus sie dieses Arrangement vorge-

nommen haben. Das Schlafzimmer ist in der Vorstellung der Teilnehmer offenbar ein

Ort, an dem sie sich aufgrund ihres Schlafzustandes eher EMF ausgeliefert fühlen.

"Schlafzimmer ist für Ruhe zuständig für den nächsten Tag, da kann man es vielleicht auch eher aus-schalten, vielleicht ist man da auch im Schlaf in einer anderen, regenerativen Lage auch sensibler, dasmacht es vielleicht auch umweltbewußt, wenn man versucht das Gerät auszuschalten hat." (FG 3)

Im Hinblick auf die Frage, von welchen Randbedingungen eine mögliche Schädigung

durch EMF abhängen könnte, wurden vor allem die drei folgenden Aspekte genannt:

• Nähe bzw. Abstand zur EMF-Quelle: Je näher ein Gerät ist, von dem elektromagneti-

sche Felder ausgehen, umso gefährlicher wird es eingeschätzt. Dies gilt

insbesondere für die Antennen von Funktelefonen. So halten mehrere Teilnehmer

ein portables Mobilfunktelefon oder ein AT, bei denen die Antenne sich nicht im

Telefonhörer befindet, sondern an dem separaten Funkgerät angebracht sind, für

weniger gefährlich als ein Mobilfunktelefon-Handgerät, weil sich bei diesem die

Antenne direkt am Kopf befindet und somit die von ihr ausgehende Strahlung zuerst

den Kopf trifft. Zwei Teilnehmer benutzen beispielsweise wegen dieser Überlegung

in der Tat auch ein Autotelefon oder ein portables Mobilfunktelefon anstelle eines

Handies. Nähe wird dabei (gerade auch in Bezug auf ein Mobilfunktelefon) weniger

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als kontinuierliche Größe gesehen, sondern eher in die beiden Kategorien 'ganz nah

am Körper bzw. am Kopf' und 'einen bis mehrere Meter vom Körper weg' unterteilt.

Womöglich wird die Nähe eines Mobilfunktelefon-Handgerätes auch deshalb als

bedrohlich empfunden, weil sie den Kopf betrifft, der als besonders schützenswertes

oder empfindliches Körperteil angesehen wird.

• Sendeleistung: Weiterhin wird auch die Höhe der Sendeleistung als Gefahrenmerkmal

angesehen (je höher, desto gefährlicher), wobei auch von Dosierung oder Konzen-

tration gesprochen wird. Dabei wird teilweise betont, daß zwar alles

gesundheitsschädigend sei, es aber auf die Dosierung ankomme. Jedoch nicht alle

Teilnehmer, die die Nähe eines Sendegeräts als Gefahrenmerkmal nennen, führen

auch die Sendeleistung als Gefahrenmerkmal auf. Weiterhin wird von einigen

Teilnehmern anscheinend nicht beachtet, daß nur die Kombination von Abstand des

Senders und dessen Sendeleistung Aussagen über die Stärke der Strahlung

ermöglichen der man ausgesetzt ist. Einige Teilnehmer, vor allem wenn sie über

eine technisch-naturwissenschaftliche Ausbildung verfügen, sind mit diesem

Sachverhalt vertraut. Für andere scheint dagegen die Nähe des Sendegerätes das

wichtigere Gefahrenmerkmal zu sein, während die Sendeleistung erst dann eine

Rolle zu spielen scheint, wenn die Gefährlichkeit von Geräten verglichen wird, die

sich ähnlich weit weg vom Körper befinden.

• Benutzungsdauer: Beim Mobilfunktelefon wird auch öfters die Benutzungsdauer als

Gefahrenmerkmal angegeben (je länger man es benutzt, desto größer ist die Gefahr).

Entweder versucht man, das Mobilfunktelefon so wenig wie möglich zu benutzen,

oder man führt an, daß das Mobilfunktelefon einem nicht schaden wird, weil man es

nur kurz benutzt. Auch wenn von dem Fall der Frau in den USA berichtet wird, die

durch die Benutzung eines Mobilfunktelefons Krebs bzw. einen Tumor bekommen

haben soll, wird fast immer angemerkt, daß sie das Mobilfunktelefon sehr oft be-

nutzt haben soll:

"Es gibt Haushalte, wo also bewußt auf den Einsatz von Funktelefonen verzichtet wird, weil eben Ge-fahren. Es gab darüber auch ein Krebsfall in Amerika. Es ist ja auch bekannt, das die Funkwellendas Eiweiß im Auge erhitzen das es dann zu bleibenden Schädigungen kommt. Das hängt davonab, wie lange man damit telefoniert. Wenn Sie am Tag 10 Stunden damit telefonieren, kann dasschon der Fall sein." (FG 2)

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In den Fokusgruppendiskussionen wurde deutlich, daß eine ganze Reihe von Teil-

nehmern die EMF-Problematik nicht isoliert sehen, sondern in einen Zusammenhang mit

der (als gegeben angenommenen) Zunahme allgemeiner Umweltbelastungen sehen. D.h.

sie sehen eine Gefahr weniger in den EMF allein, die von einzelnen Geräten ausgehen,

sondern eher in dem Zusammenwirken von verschiedenen Strahlungen oder in dem Zu-

sammenwirken von EMF mit anderen Umweltbelastungen, denen man ausgesetzt ist.

Der folgende Wortwechsel in Fokusgruppe 6 zeigt dies beispielhaft:

"Wobei ich glaube, wenn eine Art von Strahlen so wie das früher hatte man nur die UKW-Anlage, dieUKW-Strahlen bekannt das macht jeder locker, der Körper schafft das, aber wenn alles dann so dichtkommt, sich konzentriert, Mikrowelle, Telefon, Radio, Fernsehen, Computer. Es gibt bestimmt noch vielmehr."

"Eben, und jeder hat das und es leben so viele Leute und"

"Und alle Geräte sind ständig an und in Bewegung, ich denke, das die Menge der ganzen Strahlen, was unsletztendlich einmal kaputt macht in irgendeiner Form, schädigen wird."

Gerade im Zusammenhang mit anderen Umweltgefahren kommt die Unsicherheit bei

der Einschätzung von EMF besonders zur Geltung; selbst wenn das Schadenspotential

von EMF für sich genommen vernachlässigbar sein mag, könnte es sein, daß es grade

der 'Tropfen ist, der das Faß zum Überlaufen bringt':

"Ich glaube also weiterhin, das es Einflüsse hat, elektrische, elektromagnetische Felder um Elektrogeräte,mit den Menschen. In wie weit die sind, ob die jetzt krankmachend sind, ob die fertig sind, kann ich auchweiterhin im Moment nicht sagen. Kann ich auch nicht als fühlbare Drohung jetzt empfinden, was seinkann, ist das einer von denen .... redet, Belastungen, Beschädigungen, Gefährdungen sind, die halt imVerein mit vielen anderen, dieser Tropfen sein kann, der das Faß zum Überlaufen bringt." (FG 3)

Zusätzlich zu einem Zusammenwirken von EMF-Gefahren mit anderen Umweltbe-

lastungen sehen viele Fokusgruppenteilnehmer EMF-Gefahren auch in einem all-

gemeineren Zusammenhang mit anderen, durch die Umwelt vermittelten Gesund-

heitsgefahren (z.B. Asbest, Holzschutzmittel, Autoabgase oder Amalgan-Plomben).

Dabei kann man jedoch zwei verschiedene Gruppen unterscheiden, die das Thema

'EMF-Gefahren' in einen unterschiedlichen Zusammenhang einordnen:

• Teilnehmer, die eher dazu neigen, nicht an das Vorhandensein von EMF-Gefahren zu

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glauben, beklagen sich darüber, daß man von allen möglichen Sachen hört, daß sie

gesundheitsgefährdend sein sollen, und daß EMF jetzt auch noch dazu gehört. Sie

fühlen sich überhäuft mit Meldungen über mögliche Gesundheitsgefahren und

bemerken, daß man solche Meldungen fast schon bewußt ignorieren muß, um

überhaupt noch etwas ohne Angst vor Gesundheitsgefahren tun zu können.

• Teilnehmer, die eher dazu neigen, an das Vorhandensein von EMF-Gefahren zu glau-

ben, betonen vor allem eine mögliche Analogie zu Asbest oder Holzschutzmitteln.

Bei diesen Stoffen wurde die Existenz von Gesundheitsgefahren von Unternehmen

und Behörden lange Zeit bestritten, bis sie dann doch nachgewiesen wurde. Diese

Teilnehmer befürchten, daß sich in Zukunft auch bei EMF herausstellen wird, daß

große Gesundheitsgefahren bestehen. Dann wäre jedoch aufgrund der ständig

steigenden Verbreitung von EMF-Quellen der Schaden umso größer.

Interessant sind auch die Vorstellungen, die in bezug auf die Frage, welche Funktion des

Mobilfunktelefons - das Senden oder das Empfangen von Funksignalen - gefährlicher

sei (bzw. bei welcher Funktion man einer stärkeren Strahlung ausgesetzt ist), vorhanden

sind. Hierzu gibt es bei den Teilnehmern neben der physikalisch zutreffenden Einschät-

zung, daß die empfangenen Felder wesentlich schwächer sind als diejenigen, die vom

Mobilfunktelefon gesendet werden) auch davon abweichende Einschätzungen. Zum

Beispiel:

"Ich stelle mir das, hier die Wellen kommen beim Empfangen an mein Ohr, wenn ich damit telefoniere undstelle ich mir jetzt gefährlicher vor als wenn ich etwas sende." (FG 6)

"Ich glaube sowohl als auch, es ist beides gleich gefährlich, ich glaube das das Empfangen und das Sendenauf jeden Fall gleich gefährlich ist, weil wie ich es mir das vorstelle, ist das was reinkommt, was rausgehtmuß die gleiche Stärke, die gleiche Intensität haben, damit überhaupt Kommunikation stattfinden kann."(FG 6)

3.1.3 Nutzeneinschätzung von MobilfunkDiejenigen Teilnehmer der Fokusgruppen, die privat oder beruflich schnurlose Hau-

stelefone oder Mobilfunktelefone verwenden, betonen in der Regel den hohen Nutzen,

den diese Geräte für sie haben. Bei schnurlosen Haustelefonen wird der Nutzen in der

größeren Bequemlichkeit des Telefonierens gesehen: Man kann von jeder Stelle in der

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Wohnung aus telefonieren, man kann sich während des Telefonierens in der Wohnung

bewegen, und man kann noch andere Aktivitäten während eines Telefongesprächs

durchführen. Beim Mobilfunktelefon, das fast ausschließlich für berufliche Zwecke

benutzt wird, wird der Nutzen darin gesehen, daß man jederzeit und an jedem Ort tele-

fonisch erreichbar ist und selber telefonieren kann. Vielfach wird aus beruflichen

Gründen die Benutzung von Mobilfunktelefonen sogar als unerläßlich angesehen.

Es wird jedoch vor allem auf den individuellen Nutzen von Mobilfunktelefonen hinge-

wiesen. Ein möglicher gesamtgesellschaftlicher Nutzen von Mobilfunk (z.B. die Schaf-

fung von Arbeitsplätzen durch die Telekommunikationsbranche) wird in keiner Fokus-

gruppe explizit vorgebracht. In einigen Fokusgruppen weisen Teilnehmer jedoch darauf

hin, daß die Einschränkung der Nutzung von Mobilfunk in Deutschland - z.B. um

erstmal gründlich zu untersuchen, ob durch Mobilfunk Gesundheitsgefahren bestehen -

gesamtgesellschaftliche Nachteile mit sich führen könnte, etwa durch die Verringerung

der Exportmöglichkeiten von deutschen Anbietern von Mobilfunktechnologie. Andere

Teilnehmer befürchten, daß eine von ihnen als übertrieben empfundene Vorsicht bei der

Einführung neuer Technologien jeglichen technischen Fortschritt verhindern würde.

Der Nutzen von Mobilfunktelefonen wurde in der Regel nur von denjenigen Teilneh-

mern der Fokusgruppen bezweifelt, die noch nie ein Mobilfunktelefon benutzt haben.

Dabei sehen diese Teilnehmer zum einen für sich selbst kein Nutzen durch Mobilfunkte-

lefone; zum anderen bestreiten sie auch oft, daß Mobilfunktelefone überhaupt einen

Nutzen haben können. Den Nutzern von Mobilfunktelefonen wird deshalb unterstellt,

mit diesen Geräten nur ihr sozialen Prestige erhöhen zu wollen, weil es 'schick' aussieht,

mit einem solchen Gerät in der Öffentlichkeit zu telefonieren. Allenfalls bei besonderen

Berufsgruppen (z.B. Ärzten oder Noteinsatzdiensten) wird die Benutzung von

Mobilfunktelefonen als sinnvoll angesehen.

3.1.4 Umgang mit der EMF-ProblematikIn bezug auf den Umgang mit der EMF-Problematik kann man zwei Aspekte unterschei-

den. Der erste betrifft den persönlichen Umgang einer Person mit EMF, d.h. ergreift sie

selbst Schutzmaßnahmen, und wenn, in welchem Umfang; sucht sie Information, um

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genaueren Aufschluß über das Gefährdungspotential von EMF zu bekommen usw. Der

zweite Aspekt betrifft die Frage, wie die Gesellschaft und besonders die verantwort-

lichen Institutionen mit der EMF-Problematik umgehen sollten.

Individueller Umgang

Trivialerweise werden Personen, die keinerlei Gefahren durch EMF befürchten, auch

keine Schutzmaßnahmen ergreifen. Tatsächlich findet sich auch in den beiden Fokus-

gruppen, in denen die Risikoeinschätzung in bezug auf EMF durchweg gering ist (FG 7

und 8), niemand, der zu Schutzmaßnahmen gegriffen, geschweige denn seine Lebens-

weise wegen EMF geändert hätte. Genau dies aber haben die meisten Teilnehmer der

Fokusgruppen 'Elektrosensible' (FG 1) und 'Hochspannungsleitung' (FG 2) getan.

Insbesondere die Elektrosensiblen haben zum Teil erhebliche Anstrengungen

unternommen, sich gegen EMF zu schützen. Dazu gehören das 'Ausmessen' von

Wohnungen durch einen Bau-/Elektro-/Geobiologen oder Wünschelrutengänger oder

(durchaus kostspielige) Abschirmmaßnahmen (Kupfermatte, Umwicklung von Kabeln

mit einer speziellen Metallegierung etc.) oder Umzug in eine andere, angeblich weniger

strahlenbelastete Wohnung. Aber auch die Teilnehmer der Fokusgruppe

'Hochspannungsleitung' (FG 2) haben zum Teil individuelle Schutzmaßnahmen gegen

EMF-Geräte im Haushalt ergriffen (Radiowecker vom Bett weggestellt, Nutzung von

Mikrowelle eingeschränkt etc.), obwohl ihr konkretes Problem ja die Hochspannungs-

leitung und nicht EMF generell ist (s.u.).

Ein wesentlicher Aspekt des Umgangs mit EMF ist für viele Teilnehmer dieser beiden

Fokusgruppen die Organisation im Selbsthilfeverein 'Elektrosensible' bzw. in der Bür-

gerinitiative gegen die Hochspannungsleitung. Für die Elektrosensiblen bietet der

Selbsthilfeverein die Möglichkeit, Leidenserfahrungen kundzutun und miteinander zu

teilen. Gerade in Hinblick auf die Außenwelt (vor allem Ärzte oder Gesundheitsämter),

von der sich die Elektrosensiblen nicht ernstgenommen fühlen, hat dieser Erfahrungs-

austausch für die Mitglieder eine erleichternde und entlastende Wirkung. Er dient auch

dem Austausch von Informationen über Schutzmöglichkeiten gegen EMF oder Erdstrah-

len und als Ort des Erfahrungsaustausches über die Wirksamkeit dieser Schutzmaßnah-

men. Zu solchen oder verwandten Themen werden regelmäßig Vorträge veranstaltet.

Die Mitglieder bekommen so einen großen Teil ihrer Informationen über den Selbst-

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hilfeverein. Auch für die Teilnehmer der Fokusgruppe 'Hochspannungsleitung' hat die

Bürgerinitiative neben ihrer Funktion als Instrument politischen Protests ganz wesentlich

eine Integrations- und Informationsfunktion, da ein Kern von sehr aktiven Mitgliedern

die anderen Mitglieder auf Versammlungen regelmäßig über verschiedene Aspekte der

Diskussion über EMF-Gefahren informiert.

In den anderen Fokusgruppen, in denen die Risikoeinschätzung sehr unsicher und

heterogen war, findet sich ein weites Spektrum an Umgangsweisen mit EMF. Mehrere

Teilnehmer haben im weitesten Sinne Schutzmaßnahmen gegen einen möglichen nach-

teiligen Einfluß von EMF ergriffen: zum Beispiel wird das Mobilfunktelefon so wenig

wie möglich benutzt; es werden, wenn möglich, nur solche Funktelefone benutzt, die

eine geringere Sendeleistung aufweisen bzw. bei denen sich die Antenne nicht direkt am

Kopf befindet; elektrische Geräte werden aus dem Schlafzimmer entfernt; das Bett wird

weiter weg von Stromleitungen in der Wand oder von Sicherungskästen und das Baby-

phone weiter weg vom schlafenden Kind gestellt; ein Netzfreischalter wird eingebaut;

elektrische Geräte werden nicht im Stand-By Modus betrieben usw.

Solche Schutzmaßnahmen sind weniger eine Reaktion auf eine als 'real' wahrge-

nommene Bedrohung durch EMF, sondern vielmehr eine Reaktion auf die Unsicherheit

in bezug auf EMF.

"... ich meine, solche Sachen kommen erst Jahre später erst raus. Und von daher empfinde ich das da schonauch, es ist wissenschaftlich noch nicht endgültig bewiesen, ob es nun schadet, wie stark es beeinflußt, istmein Stand des Wissens. Also ich empfinde das schon als Bedrohung. Auf Grund dessen treffe ich auchbestimmte Vorkehrungen, Stecker rausziehen vom Fernseher, z. B. nicht auf Stand by laufen lassen, dannlieber aus und der Steker auch noch raus, vorsichtshalber, so halt. So im kleinen versucht man, das halt zuumgehen. Es geht schon, aber ich finde es schon als irgendwie bedrohlich, weil man es halt nicht sogenau weiß, ist es jetzt gefährlich oder nicht." (FG 3)

"Selbst wenn ich es nicht genau weiß, selbst wenn ich nur eine, kann ich aber trotzdem sagen, ich weiß esnicht, ich nehm's halt einfach nicht, weil ich andere Möglichkeiten habe, wenn ich hier Funktelefon habeund daneben Telefon mit Schnur, dann nehme ich immer das was Schnur hat, in jedem Fall. Wenn ichmir eins aussuchen kann, nehme ich das mit Schnur." (FG 5)

"Also, ich muß ehrlich sagen, ich habe zwar schon einiges darüber gelesen, aber wieder viel vergessen. Ichweiß eigentlich nur, daß man nichts hundertprozentiges weiß und ein paar direkte Gesundheitsgefahren,also die durch Mobiltelefone, also Gesundheitsschäden die durch die Mobiltelefone hervorgerufenworden sind, ich selber würde sagen, ich gehe so mit dem Mobiltelefon um, also ich habe davon gelesen,seitdem benutzte ich das Mobiltelefon eigentlich so wenig wie möglich." (FG 5)

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Aus diesen Äußerungen wird beispielhaft auch deutlich, daß die Schutzmaßnahmen, die

ergriffen werden, solche sind, die ohne großen Aufwand realisiert werden können. Die

Betroffenen verzichten nicht auf das Funktelefon, sondern nutzen es nur so wenig wie

möglich, oder sie benutzen ein Telefon mit Schnur - wenn sie die Möglichkeit haben.

Eine ganze Reihe von Diskussionsteilnehmern sehen überhaupt keinen Grund für Ein-

schränkungen bei der Nutzung von EMF-Geräten. Die Begründung hierfür liegt

allerdings meist nicht in der Behauptung, es gebe keine Gefährdung durch EMF (obwohl

auch dieses vereinzelt behauptet wird), sondern es werden im wesentlichen drei andere

Argumentationsmuster verwendet. Zum einen wird auf den persönlichen Nutzen oder

gar die Notwendigkeit von EMF-Geräten (besonders Handies) verwiesen:

"Man braucht es. Es sind halt Dinge, die man so zum täglichen Leben einfach braucht und ich wäre ohne soein Telefon aufgeschmissen. Ich pendle also zwischen Wohnung und Betrieb und Kunden undLieferanten hin und her und wenn ich gerade unterwegs bin, dann brauchen die mich im Restaurant oderwollen etwas, dann muß ich erreichbar sein, ich brauche dieses Telefon, ich kann's nicht ändern. Ichwürde es auch weiterhin benutzen. Ich denke, wenn ich nach draußen gehe und diese Umwelt hier seheund was ich am Tag so einatme und mitmache und auch brauche, ist viel schlimmer als die elektrischenWellen die mir irgendwelchen Schaden zufügen könnten." (FG 8)

Das zweite Argumentationsmuster setzt EMF zu anderen Gesundheits- und Umweltpro-

blemen in Beziehung, bei denen die Risiken größer sein, und gegen die man auch nichts

unternehme.

"Wie gehe ich persönlich damit um? Irgendwo eine Frage der Verhältnismäßigkeit. In der ganzenDiskussion muß man halt fragen, was schädigt den Menschen, was macht Gesundheitsschädigung? Dasist halt ein Faktor. Ich meine, alle sind sich ja darüber einig, daß z. B. Autoverkehr, Luftverschmutzung,das schädigt definitiv, daß sind Sachen, die sind definitiv schlecht für den Menschen. Der Mensch rauchtund macht andere Sachen, nimmt Nahrung zu sich, die vollkommen Nährstoffentladen ist und so, daßsind Sachen, die liegen auf der Hand und die werden auch nicht geändert. Ich meine, man muß die Ver-hältnismäßigkeit sehen, wo kann ich überhaupt anfangen und was machen viele. Man kann jetzt in demBereich viel forschen und machen und gleichzeitig ist man Kettenraucher. Dann frage ich mich irgendwo,was ist hier los? Und das ist bei vielen Menschen so, daß muß man sehen." (FG 11)

Als drittes Argumentationsmuster wird vorgebracht, daß viele technische Produkte, die

man benutzt, oder Aktivitäten, die man ausübt, eine Gesundheitsgefahr darstellen sollen,

und daß man infolgedessen handlungsunfähig wäre, wollte man alles, was gesundheits-

schädlich sein soll, vermeiden.

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"Da sucht sich der Mensch das ja noch aus, ob er was machen kann, wir können es uns ja nicht mehr oderweniger, wir können es schon aussuchen, aber nicht ohne aus dem alltäglichen Leben auszuscheiden,wenn man 8 oder 10 Stunden erfolgreich arbeiten will und in der Gesellschaft überhaupt angesehen seinwill, mitreden will mit den anderen, da hat man eben nicht mehr die Zeit für gewissen Sachen genau zuprüfen, für mit sich selbst jede Sache genau abzustimmen. Man nimmt gewisse Sachen einfach in Kauf.Da hat man vielleicht einen Punkt, da sagt man mein Gott, da haben mir schon fünf Leute an der Thekegesagt, es ist schlecht für mich, jetzt lasse ich das mal sein, da ist für mich jetzt der Punkt jetzt lasse ichdas sein, dafür esse ich dann mehr Pralinen, für den anderen reicht dann der Artikel im Spiegel, der sagtdann, dann lasse ich es dann sein. Ich behaupte einfach mal in unserer Gesellschaft ist es nicht möglich,relativ, normal zu leben, wie es die Gesellschaft von einem verlangt, es gibt ja gewisse gesellschaftlicheNormen, ohne Sachen in Kauf zu nehmen, in der Lebensart die vielleicht schädlich für einen sein können.Also Lebensmittel, Mobiltelefon." (FG 5)

Man kann allerdings auch nicht ausschließen, daß in einzelnen Fällen der 'sorglose' Um-

gang mit EMF eine defensive Abwehr der für möglich gehaltenen Bedrohung durch

EMF ist. Dies klingt in einigen Äußerungen von Teilnehmern an:

"Aber es ist auch so bei mir, man hört hier was, man hört da was und also was alles gesundheitsschädlichist. Also ich finde, es bricht unheimlich viel im heutigen Zeitalter auf uns ein. Und manchmal denke ichmir, ja, du mußt dich auch etwas davor verschließen, sonst wird es einfach zu viel. Ja, sonst dürftest duüberhaupt nichts mehr machen." (FG 4)

Gesellschaftlicher und institutioneller Umgang

Bei den Elektrosensiblen (FG 1) bleiben wegen der Ubiquität von EMF die Forderung

nach staatlichen Maßnahmen zur EMF-Gefahrenkontrolle sehr pauschal. Wenn

Forderungen bezüglich allgemein zu ergreifender Maßnahmen erhoben werden, richten

diese sich vor allem an Ärzte und Behörden, die für Gesundheitsfragen zuständig sind

(Zusammenarbeit von Ärzten mit Heilpraktikern, Einrichtung von Beratungsstellen für

Elektrosensible). Diese Forderungen entspringen dabei den schlechten Erfahrungen, die

die Teilnehmer mit 'klassischen' Ärzten und Behörden gemacht haben.

Die Teilnehmer der Fokusgruppen 'Hochspannungsleitung' (FG 2) und 'Mobilfunksende-

anlagen' (FG 9 und 10) fordern die Entfernung der Hochspannungsleitung bzw. der

Sendeanlage aus ihrem Wohngebiet. Dies geht einher mit der Forderung, daß Hoch-

spannungsleitungen bzw. Mobilfunksendeanlagen grundsätzlich nicht in Wohngebieten

stehen sollten. Von Anwohnern der Mobilfunksendemasten wird in diesem Zusammen-

hang das Vorgehen der beteiligten Unternehmen und Behörden bei der Installation der

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Sendeanlagen kritisiert.

"Ich habe gehört und gelesen, daß es kontroverse Meinungen darüber gibt, daß es Professoren jeglicherCouleur sich nicht einig sind. Der eine sagt, das ist total positiv zu sehen und der andere, von eineranderen Universität sagt, also das ist schädlich. Und aus dem Grunde sind wir besonders verunsichertund wissen nicht, nach wem wir uns richten sollen. Und das ist eigentlich der Hauptpunkt bei dieserganzen Geschichte. Es ist fast zu vermuten, da diese Geschichte mit der Installation und dem Aufbau derAnlage bei uns auf dem Haus so klammheimlich ging, das der Betreiber, der Bauherr, da wohl befürchtenmuß, das da ein Aufstand gegen gemacht würde, denn sonst hätte man ja vorher uns, was sie sagten, Herr[...], mal einfach nur informieren können. Die Sache liegt so, wir beabsichtigen, das und das zu bauen,Leute macht euch keine Gedanken darüber, daß ist nur ein technisches Gerät. Fertig. Nein, das ist alsonicht erfolgt. Sondern, eines Tages, durch einen Nebensatz des Hausmeistervertreters, haben wir davongehört und nachgehakt und nachgefragt nochmal, was ist das, was wird das sein, und je mehr mannachfragt und je mehr man hört darüber, um so unsicherer wird man. Ich bin nicht Verbraucher, wir woh-nen nur darunter. Wir erleiden es, aus unserer Sicht jetzt, weil wir nicht wissen, weshalb es so eine Hau-ruck-Aktion war. Wenn es nicht so gewesen wäre, wären wir vielleicht ganz anderer Meinung darüber."(FG 10)

Zu der Frage, wie die Gesellschaft und die verantwortlichen Institutionen grundsätzlich

mit Situationen umgehen sollten, in denen die Gefährlichkeit einer Technologie noch

unklar ist und es deshalb verschiedene Einschätzungen in bezug auf deren Risiko gibt,

werden in den Fokusgruppen zwei verschiedene Positionen vertreten.

Einige Fokusgruppenteilnehmer - und dies sind insbesondere die Benutzer von

Funktelefonen bzw. Funkgeräten - vertreten die Meinung, man könne nicht nur wegen

vager Hinweise auf Gefahren auf neue Technologien und damit auf Fortschritt

verzichten.

"Das alles ist schwammig, es gibt ja viele, die sagen, so lange das nicht geklärt ist, lehne ich das kategorischab, wenn ich genau weiß, das ist unschädlich, kommt mir hier kein Sendemast ins Wohngebiet, wenn wirmit so einer Einstellung weiterleben dann kriegen wir nie eine technische Innovation. Denn bei einertechnischen Innovation kann man immer einbringen, ich weiß nicht, ob das gesundheitsschädlich ist,lassen wir das mal sein. Mit der Einstellung kommt man nämlich nicht weiter. Mit der Einstellung kriegtman keinen Fortschritt, und ich sage mal, im Kreis der Fortschritts ist häufig, daß man Gefahren, die auseiner Neuentwicklung entspringen, läßt, erst später erkennt, das ist das Prinzip, an dem Prinzip könnenwir nichts ändern, sonst, wenn wir präventiv sagen, näh solange das nicht geklärt ist, Finger fort, dannkommen wir nicht weiter." (FG 5)

Die Mehrzahl der Teilnehmer vertritt allerdings eine in bezug auf mögliche Risiken

'konservative' Haltung, wie sie in den folgenden Zitaten deutlich wird:

"Man muß zuerst mal prüfen, ob es gut ist, ob es wirklich fundiert ist, und dann kann ich es in die Weltsetzen und dann fortschrittlich anpreisen. Weil, bevor ich nicht zumindest, ein reines Gewissen sollte ich

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dabei haben, das ist vielleicht wichtig, man kann es nicht, ein Wissenschaftler kann es nie, selbst einWissenschaftler sind ja auch nur Menschen, der kann nicht ausschließen, daß er vielleicht über mancheSachen eben nicht nachgedacht hat, eben weil die Sache viel komplexer wird, er kann für sein Gewissen,mit bestem Gewissen und Wissen sagen, das ist eine gute Sache und dann müssen es andere Leute prüfenund andere Leute prüfen. Ich bezweifele manchmal, ob das wirklich noch so ist in unserer Gesellschaft,ob man nicht wirklich sagt, kommt wir geben das mal raus, wir wollen erst mal verdienen und dann sehenwir mal, ob das noch gut ist, das würde ich auch wenn ein Mobiltelefon. Ich bin zu wenig belesen, aberich kann mir schon vorstellen, daß man von der Forschung her auch hätte anders vorgehen können beiMobiltelefonen und daß man nicht, so lange sind die Geräte ja noch nicht auf dem Markt, daß man schonhätte sagen können, komm laß uns noch 2 Jahre Zeit." (FG 5)

"Man kann ja die technische Entwicklung mit dem Aspekt der Gesunderhaltung der Bevölkerung auchbetrachten. Ich bin nicht generell gegen eine technische Entwicklung oder so, aber das ist nicht immernur so Technik unter Profit und unter dem geringsten Aufwand. Sondern bitte schön, wenn schonTechnik, dann auch unter Berücksichtigung der Gesundheit der Leute, die da arbeiten müssen und die daauch wohnen müssen." (FG 11)

"Im Moment ist es wohl noch so, daß eben die Forschung darüber sehr in Kinderschuhen steckt, und das daeben hieb- und stichfeste Untersuchungen wohl noch sehr wenig vorhanden sind. Und von daher, denkeich, kann man da wie anderswo auch eben erstmal den Grundsatz verfolgen, daß man sich vor möglichenGefahren eben erstmal hüten soll. Ob dann hinterher tatsächlich die mögliche Gefahr auch als einewirklich Gefahr erhärtet wird, daß ist dann vielleicht nicht so wichtig." (FG 11)

In diesen Äußerungen wird nicht nur das 'Safety First' Prinzip als handlungsleitende

Maxime formuliert, sondern implizit wird auch gesagt, daß dieses 'Safety First' Prinzip

von den Unternehmen aus Profitinteresse verletzt wird. Solchen Äußerungen wird in den

Diskussionen nicht widersprochen, was darauf hindeutet, daß diese Einschätzung von

den anderen Diskussionsteilnehmern geteilt werden. Andererseits äußern einzelne

Teilnehmer explizit ihr Vertrauen in die Sorgfalt der Industrie bei der Entwicklung von

Technologien:

"Ich denke, also ich hoffe einfach, das die Industrie sich davon vorher schon ein paar Gedanken gemachthat und das doch irgendwo eine relative Sicherheit da ist. Genau mit Arzneimitteln das ja auchirgendwann in Versuchen getestet und dann zugelassen wird. Ich habe dann auch immer so die Hoffnung,das so ein gewisses Maß an Sicherheit da ist und das es mich dann nicht trifft." (FG 8)

"Ja, das Vertrauen in die Industrie habe ich eigentlich auch, daß die, bevor sie so etwas auf den freien Marktbringen, es ausgetestet haben." (FG 8)

Eine grundlegende Skepsis in bezug auf den Umgang von Wissenschaft und Technik

mit Risiken und insbesondere hinsichtlich der Auffassung, Schädigungen müßten erst

nachgewiesen werden, bevor es nötig sei, zu reagieren, läßt sich allerdings aus vielen

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Diskussionsbeiträgen heraushören.

"Das finde ich auch gerade das gefährliche an der Diskussion, daß man, solange man nichts Schädlichesbeweisen kann, ist es auch nicht da. Daß das so gesagt wird. Und das ist erstmal für die Leute, die etwassensibler sind, schwieriger, gegen eine solche Haltung anzukämpfen, und es erhöht dann auch vielleichtdie Hysterie auf der Seite der Leute, die meinen, beeinträchtigt zu werden. Ich habe im Radio mal leidernur kurz mitbekommen, daß Hochspannungsleitung evtl. die Gehirnströme beeinflussen können,verändern können. Die Sendung habe ich nur im Vorbeigehen gehört, aber das hat mich eigentlich auchauf das ganze Problem aufmerksam gemacht, dieser kurze Moment. Und ja, also das mag stimmen odernicht stimmen, das ist wohl noch in der Diskussion. Was mich dann wieder verschreckt, ist, wenn dannweiter mit der Technik so gedankenlos umgegangen wird. Also jeder baut sich seine Antenne auf denBalkon und hat sein Mobiltelefon. Jeder macht weiter wie bisher, solange bis die Bombe platzt oder auchnicht." (FG 11)

Grenzwerte

Grenzwerten kommt bei der staatlichen Regulierung von Risiken eine besondere Rolle

zu. In der Öffentlichkeit allerdings - dies hat sich schon in anderen Risikokontroversen

gezeigt - gibt es häufig Verständnisschwierigkeiten und Skepsis. Dieses Bild zeigt sich

auch in den Fokusgruppen. Von den Fokusgruppenteilnehmern selbst allerdings wurden

Grenzwerte kaum in die Diskussion gebracht. Wenn dieses Thema durch den

Diskussionsleiter angesprochen wurde, zeigten sich bei den meisten Teilnehmern

Verständnisschwierigkeiten sowie auch große Skepsis gegenüber Grenzwerten.

Eine Reihe von Teilnehmern geben an, daß sie mit Grenzwerten bzw. mit Meßwerten,

die in irgendeiner Höhe unterhalb der Grenzwerte liegen, nicht viel anfangen können.

Mehrere Personen wollen statt Grenzwerten einfache Angaben darüber, ob etwas

gefährlich ist oder nicht.

"Aber was bedeutet es auch inhaltlich, wenn es, du sagst 25, ist das dann ein bißchen gesundheitsge-fährdend oder ein bißchen mehr oder die Hälfte vom Ganzen oder ist es dann ganz gesund oder ist esschon schrecklich schädlich, also irgendwie fehlt die Aussage da auch. Also eigentlich könnte man dochnur sagen, dieses Produkt ist gesund oder diese Art und Weise zu leben oder das zu benutzen ist gesundund das ist ungesund, das wäre für mich mehr als dieses 0,6 oder 25 oder 7." (FG 8)

"Die Frage die sich mir stellt ist doch folgende, ich habe nicht genug Fachwissen, um eigentlich überhauptfür mich selber zu sagen, ob es jetzt der Smog oder irgendwelche Spurenelemente radioaktiver Strahlungim Essen oder was auch immer. Wenn da jetzt steht Grenzwert ist 100, was auch immer 100, wenn dasteht 200 bedeutet es für mich doch Original das gleiche. Also wer legt es fest und was vor allen Dingen,bedeuten die 100 Milligramm oder was auch immer. Ich habe keine Ahnung und wenn mir jetzt jemandsagt, Grenzwert ist 100 und ich verlasse mich darauf, Grenzwert ist 100, für wen ist das denn, für denDurchschnittsmenschen und ist der denn 1,80 m und kerngesund und 25 Jahre?" (FG 8)

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Für die meisten Diskussionsteilnehmer haben Grenzwerte praktisch keine Hand-

lungsrelevanz, einige wenige allerdings richten sich, z.B. wenn es um Überschreitung

von Grenzwerten für die Luftschadstoffbelastung geht, in ihrem Verhalten schon nach

Grenzwerten und den damit verbundenen Handlungsempfehlungen. Nur einige wenige

Teilnehmer haben eine positive Einstellung zu Grenzwerten und meinen, es müsse eine

Grenze, eine effektive Zahl geben, ab der keine Gefahr mehr besteht. Die konkreten

Werte sind den meisten Teilnehmern allerdings nicht bekannt. Für die Skepsis

gegenüber Grenzwerten sind die folgenden Argumente typisch:

• Grenzwerte werden von der Industrie festgelegt bzw. basierten auf wirtschaftlichen

Interessen:"In dem Moment, in dem ich mir Gedanken darüber mache, bin ich skeptisch. In der Pharmazie gibt

es auch Grenzwerte. Viele Arzneien haben Grenzwerte, aber sie sind dann doch schädlich und sodenke ich mir, ist das bei solchen Geschichten auch. Und da muß man ja immer gucken, wer legtsolche Grenzwerte fest. Das ist wohl letztlich die Industrie." (FG 8)

• Grenzwerte sind politische Daten, die willkürlich festgesetzt werden:"Das ist also ein ganz haarige Angelegenheit diese Grenzwerte. Das sind politische Daten. Die

werden willkürlich genommen." (FG 9)

"Ja gut, es gibt aber dann auch diese Grenzwerte bei der radioaktiven Belastung und wenn die radio-aktive Belastung gerade mal etwas höher ist, dann wird halt der Grenzwert ein bißchen raufgesetzt,damit das dann immer noch in diesem tolerierbaren Rahmen ist. Wenn man sich daran hält, dannist die Welt wunderbar und in Ordnung." (FG 9)

• Grenzwerte dienen lediglich der Beruhigung der Öffentlichkeit:"Deswegen halte ich diese Grenzwerte auch, die dienen zur Beruhigung der Bevölkerung, aber ich

halte davon nicht viel." (FG 8)

• Deutsche Grenzwerte sind zu hoch:"Da gibts ja Grenzwerte. Die sind in Schweden bestimmt sehr sehr niedrig angesetzt. Und in

Deutschland sind sie sehr sehr hoch. Ich habe mal gelesen, die Grenzwerte für Elektrisches, diewerden von den praktizierten Elektrikern oft gar nicht angetroffen, weil die da gar nichthinkommen. Aber die sind als Richtwerte oder als Grenzwerte noch angesetzt. So hoch sind die."(FG 11)

• Grenzwerte gelten nur für den Durchschnittsmenschen und bei der Grenzwertfestle-

gung werden nur gesunde Erwachsene als Maßstab genutzt und dabei höhere Emp-

findlichkeit von Kinder oder alten Menschen vernachlässigt:

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"Die MAK-Werte z. B. da wird ein strotzendes Mannsbild als Maß genommen, das 8 Stunden amArbeitsplatz belastet ist, aber wir haben hier auch Kinder und ältere Leute. Also es wird immer dergesundeste Mensch angenommen." (FG 9)

3.1.5 Informationsquellen und Bewertungsressourcen

Informationsquellen

Information zum Thema EMF haben die meisten Diskussionsteilnehmer aus den

Massenmedien (Printmedien, Rundfunk und Fernsehen) sowie in geringerem Maße aus

ihrem Bekanntenkreis. Eine Ausnahme bilden hier allerdings die Elektrosensiblen (FG

1) und die Teilnehmer der Fokusgruppe 'Hochspannungsleitung' (FG 2). Dieser

Personenkreis hat sich für das EMF-Thema einen institutionalisierten Rahmen ge-

schaffen: den Selbsthilfeverein bzw. die Bürgerinitiative. Der Selbsthilfeverein ist für

die meisten Mitglieder ganz offensichtlich der wesentliche Ort zur Information. Hier

werden Informationen gegeben über Schutzmöglichkeiten gegen EMF oder Erdstrahlen

und es werden Erfahrungen über die Wirksamkeit dieser Schutzmaßnahmen ausge-

tauscht. Auch die Teilnehmer der Fokusgruppe 'Hochspannungsleitung' erhalten ihre

Informationen im wesentlichen auf den Mitgliederversammlungen der Bürgerinitiative

gegen die Hochspannungsleitung.

Für alle anderen Fokusgruppenteilnehmer, denen diese institutionelle Einbettung zum

Thema EMF fehlt, sind die Massenmedien die Hauptinformationsquelle. Allerdings hat

keiner dieser Diskussionsteilnehmer bislang von sich aus nach Information über EMF-

Risiken gesucht. Die jeweils verfügbaren Medien werden also nur rezipiert und Informa-

tion über EMF gleichsam 'en passant' mitgenommen. Zu diesem passiven Informations-

verhalten im Widerspruch steht die in den Gruppendiskussionen immer wieder

geäußerte Unzufriedenheit mit der verfügbaren Information zu diesem Thema. Deren

tieferer Grund dürfte allerdings nicht in der Menge an verfügbarer Information liegen,

sondern in der Qualität dieser Information, die in weiten Teilen als unverständlich,

widersprüchlich oder wenig glaubwürdig wahrgenommen wird und evtl. auch darin, daß

keine klaren Aussagen darüber gemacht wurden, was gefährlich und was ungefährlich

ist.

Insbesondere die Unglaubwürdigkeit von Information ist offenbar ein Problem, denn sie

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bezieht sich nicht nur auf die Massenmedien. So bestehen bei den Fokusgruppenteilneh-

mern gegenüber Informationen von Unternehmen und Behörden große Vorbehalte. Un-

ternehmen wird unterstellt, Gesundheitsgefahren zu leugnen oder zu verharmlosen, wäh-

rend bei Behörden oft angenommen wird, daß sie mit Unternehmen unter einer Decke

stecken oder daß sie inkompetent und gleichgültig sind. Auf der anderen Seite sind auch

Bürgerinitiativen und Umweltschutzorganisationen nicht ohne weiteres glaubwürdig, da

ihnen eine Dramatisierung möglicher Gefahren unterstellt wird.

"Staatlichen Stellen würde ich auch nicht glauben, weil die ja irgendwo Interesse auch haben, wirt-schaftliche Interessen vertreten letztlich, die vertreten ja nicht uns, sondern die sind interessiert, daß dieWirtschaft funktioniert. Als Informationsquellen würde ich so Organisationen wie Greenpeace, die sichwirklich damit beschäftigen, die vielleicht dann wieder übertreiben, in eine andere Richtung übertreibenvielleicht, aber solche halte ich schon für glaubwürdig." (FG 8)

"Andere Möglichkeiten sind natürlich, sich Informationen zu holen von diesen Firmen, die in dieser Materiearbeiten, die natürlich/wahrscheinlich positiv gefärbt sind, in derem Sinne. Aber andererseits kann mandann als Contra-Punkt dazu ja hingehen und sich an, ich würde mich jetzt erstmal an den BUND wendenoder an einen Naturschutzbund oder an solche Firmen oder an Bürgerinitiativen so weit sie bekannt sindund mir dann von da noch Informationen holen und die muß man dann, die sind natürlich ein bißchenschwarz gefärbt und da muß man sich dann eine Essenz rausholen für sich selber. Hundertprozentig allesrauskriegen kann man ja nicht, weil jeder argumentiert ja in seine Richtung." (FG 9)

Dem Wunsch nach neutralen Informationsquellen steht die etwas resignative (und nicht

nur auf die EMF-Thematik beschränkte) Einschätzung gegenüber, daß es überhaupt

keine neutralen Informationsquellen gibt. Eine Reihe von Teilnehmern wollen sich in

dieser Situation auf ihre eigene Beurteilungskompetenz verlassen und sich anhand ver-

schiedener, gerade auch gegensätzlicher Meinung zu dem EMF-Thema ein Urteil zu bil-

den, sei es durch Besuch von Podiumsdiskussionen oder durch das Einholen schriftli-

chen Informationsmaterials von verschiedenen Akteuren der EMF-Kontroverse. Offen-

bar erhoffen sich diese Teilnehmer durch die Gegenüberstellung der verschiedenen,

interessengeleiteten Meinungen eine Ausbalancierung der unterschiedlichen Verzerrun-

gen, so daß eine angemessene Urteilsbildung möglich wird.

"Da gibt es nur eine Antwort. Drei Experten, vier Meinungen. Ich gehe hin und nehme halt die Daten undnehme dann für mich halt was, die Fakten die ich beurteilen kann, beurteile ich und die Sachen die ichnicht beurteilen kann, da höre ich mir mehrere Meinungen an und mach daraus Fakten und entscheideletztendlich nach dem Gefühl, welche Fakten für mich wichtig sind und welche nicht." (FG 4)

Natürlich gibt es von dieser generellen Charakterisierung Abweichungen. Beispiels-

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weise halten einige Teilnehmer solche Medien für seriös, denen man eine hohe

Fachkompetenz zutraut und von denen man deshalb eine angemessene Recherche

erwartet, wie etwa Fachzeitschriften oder technisch-naturwissenschaftliche Beilagen

großer Tageszeitungen. Eine solche Einschätzung wird zwar von anderen Fokus-

gruppenteilnehmern akzeptiert, gegenüber der Information in Fachzeitschriften (z.B.

Funkmagazine) wird aber geltend gemacht, daß diese von normalen Bürgern nicht

gelesen werden.

Ein besondere Rolle in der Kontroverse um EMF-Risiken spielen Experten. Zu besonde-

ren Personen oder Personengruppen, die eine hohe Glaubwürdigkeit besitzen würden

und an die man sich am ehesten wenden würde, um genauere Informationen über EMF-

Gefahren zu erhalten, werden nur in wenigen Fokusgruppen genauere Angaben

gemacht. Bei den Elektrosensiblen (FG 1), den Anwohnern der Hochspannungsleitung

(FG 2) sowie einigen anderen Fokusgruppenteilnehmern (in FG 3 und FG 11) werden

Baubiologen als solche Personen angesehen. In der FG 8 (Funktelefonbenutzer 3) nennt

eine Teilnehmerin Ärzte, insbesondere Hausärzte, als solche Personen, was bei den

übrigen Teilnehmern der Gruppe große Zustimmung findet. Nur ein Teilnehmer dieser

Gruppe würde sich bei seinem Hausarzt nicht über EMF-Gefahren informieren, weil er

davon ausgeht, daß dieser über zu geringe technische Kenntnisse verfügt. Mehrere

Fokusgruppenteilnehmer, die in handwerklichen Berufen arbeiten (in FG 5 und FG 11),

nennen ihre Berufsgenossenschaft als eine vertrauenswürdige Informationsquelle, worin

ihnen andere Teilnehmer jedoch auch widersprechen. Die geringen Nennungen von

besonders glaubwürdigen Personen, die man am ehesten nach Informationen über EMF-

Gefahren fragen würde, zeigt wiederum, daß für die meisten Fokusgruppenteilnehmer

die Massenmedien die wichtigste Informationsquelle sind, um zu einer Bewertung von

EMF-Gefahren zu kommen. Den Wissenschaftlern stehen viele Fokusgruppenteilneh-

mer skeptisch gegenüber. Es wird weiter geäußert, daß man Ergebnissen von wissen-

schaftlichen Studien nicht ohne weiteres trauen sollte, sei es, weil man aufgrund unter-

schiedlicher Sichtweisen bei solchen Studien zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen

kommen könne oder weil der Geldgeber der Studie das Ergebnis der Studie beeinflussen

könne.

"Nicht daß sie irren, weiß ich nicht, aber man ist so im Laufe der Jahre mit Erhebungen und Untersu-chungen so oft an der Nase herumgeführt worden." (FG 6)

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"... das sehr häufig Sachverständige eben auch zweckgerichtete Gutachten erstellen und da wäre vonvornherein auch eine große Skepsis da, da würde ich eben gucken, wofür arbeitet dieser Sachverständige,also einen wahrhaft neutralen Sachverständigen zu finden, finde ich unheimlich schwer, zumal erletztendlich für einen bestimmten Auftraggeber arbeitet, irgendwo auch die persönliche Einstellung eineRolle spielt, wenn man den Ansatz oder andere Dinge anguckt. Ich glaube, das neutral die allerwenigstensind." (FG 11)

Wissenschaftlichen Experten wird auch vorgehalten, daß ihre Information für Laien

unverständlich sei, selbst wenn sie an diese gerichtet sei. Demgegenüber genießen Ärzte

ein deutlich größeres Vertrauen. Viele Fokusgruppenteilnehmer halten den Hausarzt für

eine wichtige und vertrauenswürdige Informationsquelle, die sie bei Bedarf auch kon-

sultieren würden. Allerdings wird auch hier von einem Teilnehmer mit dem Argument

widersprochen, daß der Hausarzt nichts von Technik verstehe.

Bewertungsressourcen

Man kann drei wesentliche Ressourcen unterscheiden, auf die Menschen zurückgreifen,

wenn sie in der Kommunikation mit anderen Personen ihre Meinung vertreten (vgl.

GAMSON 1992):

• Medien;

• persönliche Erfahrungen;

• Alltagsweisheiten und Allgemeinplätze.

Medien, d.h. Printmedien, Rundfunk und Fernsehen, sind im Zusammenhang mit EMF

die wesentliche, tatsächlich genutzte Bewertungsressource. Die Unterschiedlichkeit der

in den Medien verbreiteten Information über die Risiken von EMF findet ihre Ent-

sprechung in der Bewertungsunsicherheit der meisten Fokusgruppenteilnehmer in bezug

auf EMF. Bezüglich des Medienwissens der Fokusgruppenteilnehmer fällt jedoch auf,

wie wenig detailliert dieses in den meisten Fällen ist. Namen von Personen, die am

Expertenstreit über EMF-Gefahren teilnehmen, sind überhaupt nicht bekannt. Es

bestehen höchstens bruchstückartige Kenntnisse zu möglichen schädlichen Quellen,

möglicherweise verursachten Gesundheitsschädigungen oder -beeinträchtigungen (z.B.

daß Gehirnströme aktiviert werden sollen) oder zu Schadensfällen und

Untersuchungsergebnisse, die in Rahmen der öffentlichen Diskussion über EMF-

Gefahren eine Rolle spielen (z.B. zum Gerichtsfall in den USA wegen der Frau, die

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durch die Benutzung eines Mobilfunkhandies Krebs gekriegt haben soll oder zur

schwedischen Studie über die Erhöhung der Leukämierate, die bei Kindern auftreten

soll, die in der Nähe von Hochspannungsleitungen wohnen). Eine Ausnahme sind hier

natürlich die Teilnehmer der Fokusgruppen 'Elektrosensible' und 'Hochspannungs-

leitung', die ja eine klare Einschätzung der EMF-Problematik haben. Man kann

annehmen, daß dieser Personenkreis Information über EMF-Risiken, die von der

eigenen Bewertung abweicht, sehr selektiv rezipiert und/oder bewertet. Für alle anderen

Diskussionsteilnehmer aber liefern die Mediendarstellungen über EMF nur den Rahmen

für das, was als negative (oder auch positive) Wirkungen von EMF für möglich gehalten

werden kann. Insofern ist die Bedeutung der Medien als Bewertungsressource eher un-

spezifisch. Allerdings wurde mit dem Terminus 'Elektrosmog' in den Medien ein eingän-

giger Begriff (Schlüsselkonzept) geprägt, der Eingang in den Sprachgebrauch vieler

Teilnehmer gefunden hat, und nun als begriffliche Klammer (mit negativer Konnotation)

dient, um die vielfältigen Aspekte von EMF zusammenzufassen. Auch die Nennung von

EMF emitierenden Geräten in den Medien wird häufig nur schlagwortartig registriert.

Ein Teilnehmer beispielsweise berichtet, was er über EMF weiß:

"Eigentlich nur aus den Medien, da sind mir dann höchstens so Schlagworte aufgefallen wie haltMobiltelefon, Babyphon und diese Hochspannungsleitungen über Wohnhäusern"

Die Vermutung liegt nahe, daß die häufige Nennung bestimmter EMF-Geräte wie z.B.

'Handy' oder 'Babyphon' im Zusammenhang mit 'Elektrosmog' zu negativen Assoziatio-

nen zu diesen Geräten führen kann.

Dagegen spielen die bisher in den Medien bekannt gewordenen spektakulären Schadens-

fälle, die EMF zugeschrieben werden, bislang offenbar keine ausschlaggebende Rolle

für die Einschätzung von EMF-Risiken. Der in verschiedenen Fokusgruppen von Teil-

nehmern angesprochene Fall der Frau (in den USA) beispielsweise, die durch telefo-

nieren mit einem Handy Krebs bekommen haben soll und daran gestorben ist, ist zwar

vielen Teilnehmern bekannt, wird aber als aussagekräftiger Beweis für die Gefähr-

lichkeit von EMF (oder speziell von Handies) meist stark relativiert. Es wird argumen-

tiert, daß diese Frau sehr häufig und sehr lange telefoniert habe und deshalb nicht

typisch sei.

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Auch die persönliche Erfahrung als Bewertungsressource ist für die meisten Fokus-

gruppenteilnehmer nur beschränkt von Bedeutung. Zwar berichten eine Reihe von

Teilnehmern über Vorsichtsmaßnahmen, die sie gegen mögliche Gesundheitsschäden

durch EMF ergriffen haben (Radiowecker vom Bett wegstellen etc.), persönliche

Erfahrungen mit EMF-Schäden oder auch nur EMF-Wirkungen sind aber selten. Eine

Ausnahme sind hier natürlich wiederum die Elektrosensiblen und die Anwohner der

Hochspannungsleitung bzw. die Mitglieder der Bürgerinitiative gegen die Hoch-

spannungsleitung, die tatsächlich auf eigene Erfahrung mit EMF verweisen können und

ihre Bewertung von EMF auch (aber nicht ausschließlich) darauf stützen.

Persönliche Erfahrung als Bewertungsressource wird teilweise auch von den Nutzern

von Funkgeräten und Funktelefonen angeführt. Diese verweisen darauf, daß sie solche

EMF-emittierenden Geräte (teilweise) schon seit Jahren benutzen und keinerlei

schädigende Wirkung festgestellt haben. Allerdings ist dieses Argument zur Entlastung

von EMF gegen den Risikovorwurf nur von beschränkter Brauchbarkeit, da das

tückische an der schädigenden Wirkungsweise - und hierauf weisen die Betreffenden

teilweise sogar selber hin - die schleichende und erst später sichtbar werdende Schädi-

gung sei.

In gewissem Umfang kann die direkte und sinnliche persönliche Erfahrung durch medial

vermittelte Erfahrung ersetzt werden, insbesondere durch visuelle Medien wie z.B. das

Fernsehen:

"Da war mal n Fernsehbericht von den Leuten, die immer im Auto sitzen, mit dem Mobiltelefonrumtelefonieren, die ne ganz kurze Antenne haben und die dann in der Nähe vom Auge ist und irgendwiedann grauen Star auslösen soll oder irgendwie sowas, und das will ich nicht grad das auf mich nehmen,weil ich schon ne Brille hab"

Solche Bilder, obwohl sie nicht der eigenen Erfahrung entstammen, machen Situationen

plausibel, für die man sich eine schädigende Wirkung von EMF vorstellen kann.

Alltagsweisheiten und Allgemeinplätze gewinnen in dem Maße für die Bewertung von

EMF an Bedeutung, in dem 'objektive' Standards zur Bewertung der EMF-Problematik

(z.B. allgemein akzeptierte wissenschaftliche Erkenntnis) und individuelle Erfahrung

fehlen. Solche Alltagsweisheiten und Allgemeinplätze können verschiedene Formen ha-

58

ben. Sie können Aussagen sein, die sich durch einen hohen Allgemeinheitsgrad aus-

zeichnen und die oft in Form von kurzen 'Sprüchen' vorgebracht werden. In ihnen wer-

den stabile Bestandteile des Alltagswissens der Allgemeinheit formuliert. Häufig sind es

Basisaussagen über die Welt, die das Thema in besonderer Weise rahmen und diese

Rahmung gleichzeitig rechtfertigen; z.B. für die Rahmung 'Technikfortschritt': "man

kann den Fortschritt nicht aufhalten". Solche Alltagsweisheiten und Allgemeinplätze

sind durch Erfahrungen nur schwer veränderbar, strukturieren aber ihrerseits die Erfah-

rungsbildung, z.B. "der eine sagt so, der andere sagt so", "die große Informationsflut",

"die Technik richtet viel Unheil an".

Eine spezielle Variante von Alltagsweisheiten sind Analogien, die genutzt werden, um

das EMF-Problem zu anderen, bekannten und (subjektiv) einschätzbaren Phänomenen

(Technikrisiken) in Beziehung zu setzen, für die unterstellt wird, daß sie den Teilneh-

mern bekannt bzw. geläufig sind:

"Die Gefahren kann ich eigentlich momentan noch gar nicht einschätzen, als vor hundert Jahren dieVerbrennungsmotoren eingeführt wurden, hielten das auch viele Leute für Teufelszeug"

"Da gibt es heutzutage unheimlich viele Sachen - da gibt es die E-Stoffe im Essen, Dioxan inWaschmitteln"

"Was man so hört, daß ist ungefähr so, wie wir alle vielleicht nicht so genau wissen, wieviel Strahlen ausTschernobyl rübergekommen sind; vielleicht kann mans so bezeichnen, keiner weiß ja genau, waswirklich Sache ist"

Auch durch den Rekurs auf Allgemeinplätze und Alltagsweisheiten und die Nutzung

von Analogien zur Bewertung von EMF können die vorhandenen Unsicherheiten nicht

beseitigt werden. Dies wird auch daran deutlich, daß alle Argumente, gleich auf welche

Ressourcen sie sich stützen, sehr vorsichtig formuliert werden ("sozusagen", "in

Anführungsstrichen", "irgendwie", "ich sag jetzt mal") und häufig mit 'Selbstkorrekturen',

d.h. Zurücknahmen gerade geäußerter Meinungen versehen werden:

"Und daß man sich nicht immer alles bewußt macht - also ich mein', klar man sollte sich das schon bewußtmachen"

3.1.6 Semantische Kennzeichnung - Schlüsselbegriffe für EMF-

59

RisikenIn den Fokusgruppen wurde das Thema 'EMF-Gefahren' (d.h. mögliche Gesundheitsge-

fahren durch die direkte Einwirkung von elektromagnetischen Feldern auf den Men-

schen) mit verschiedenen Oberbegriffen verbunden. Am häufigsten wurden dabei die

Begriffe 'Elektrosmog', 'Elektromagnetische Felder', 'Elektromagnetische Wellen' und

'Elektromagnetische Strahlung' genannt, wobei viele Teilnehmer diese Begriffe auch

nebeneinander verwandten. Sehr selten wurde dagegen der Begriff 'Funkwellen'

genannt. Die Häufigkeit der Nennung dieser Begriffe kann aber auch ein methodischer

Artefakt sein, da bei der Rekrutierung der Teilnehmer der Fokusgruppen und auch zu

Beginn der Diskussion in den Fokusgruppen das zu behandelnde Thema immer mit dem

Begriff 'Elektromagnetische Felder' eingeführt wurde. Die Tatsache, daß viele

Fokusgruppenteilnehmer mehrere Begriffe zur Benennung des Themas 'EMF-Gefahren'

verwandten, läßt aber vermuten, daß eine bestimmte Bedeutungskonstitution, d.h. eine

bestimmte Interpretation des Themas 'EMF-Gefahren' nicht unbedingt fest mit nur einem

bestimmten Oberbegriff zu diesem Thema verbunden sein muß.

In den meisten Fokusgruppen wurde explizit gefragt, was die Teilnehmer mit dem

Begriff 'Elektrosmog' verbinden und ob sie diesen Begriff für eine passende Be-

zeichnung des Themas 'EMF-Gefahren' halten. Diese Fragen wurden sehr unter-

schiedlich beantwortet. Für die Teilnehmer der 7. Fokusgruppe 'Funkgerätebenutzer' war

Elektrosmog ein von ihnen oft verwendeter Begriff, den sie aber nicht mit dem Thema

'EMF-Gefahren', sondern mit Störungen von technischen Geräten untereinander durch

die Emission von elektromagnetischen Feldern verbanden. Die Teilnehmer aller anderen

Gruppen verbanden diesen Begriff jedoch mit dem Thema 'EMF-Gefahren'.

Darüber, ob Elektrosmog eine passende Bezeichnung darstellt, gingen die Meinungen

aber weit auseinander. Für viele Teilnehmer implizierte dieser Begriff die Aussage, daß

EMF-Gefahren in der Tat vorliegen. Einige Teilnehmer hielten Elektrosmog nicht für

eine passende Bezeichnung des Themas 'EMF-Gefahren', weil für sie EMF und der

durch Luftschadstoffe verursachte Smog unterschiedliche Phänomene waren. Andere

Teilnehmer fanden den Begriff 'Elektrosmog' sehr passend, weil sie sich die Präsenz von

EMF so ähnlich wie die Präsenz von Smog vorstellten (d.h. wie eine graue Dunstglocke,

wenn man sie sehen könnte). Wiederum andere Teilnehmer empfanden den Begriff

60

'Elektrosmog' wegen der darin implizierten Analogie zum normalen Smog als zu

harmlos, da für sie EMF-Gefahren eine wesentlich größere Gefahr als Smog darstellen.

Sie zogen den Begriff 'Elektromagnetische Strahlung' wegen der darin implizierten

Analogie zu nichtionisierender Strahlung vor (obwohl sie damit nicht sagen wollten, daß

es sich um das gleiche Phänomen handelt), da nach ihrer Ansicht dieser Begriff eine

größere Bedrohung suggerieren würde als Elektrosmog.

3.1.7 BewertungsproblemeIn praktisch allen Fokusgruppen mit Ausnahme der Elektrosensiblen (FG 1) und der Fo-

kusgruppen 'Hochspannungsleitung' (FG2) sowie der Fokusgruppen 7 und 8 fallen

besonders die vielfältigen Verdeutlichungen bzw. auch die markierten Unsicherheiten

hinsichtlich der Erkennbarkeit bzw. Wahrnehmbarkeit von EMF und in bezug auf den

Umgang mit solchen Phänomenen auf. Es ist den Beteiligten offensichtlich unklar, auf

welchen Wegen die EMF-Problematik überhaupt (z.B. technisch-naturwissenschaftlich

oder leiblich) wahrgenommen, in diskutierbare Aspekte differenziert und in intersub-

jektiv mitteilbare Evidenzen überführt werden kann. Jedenfalls gelten die überkom-

menen Maßstäbe technischer oder wissenschaftlicher Provenienz nicht mehr oder nur

sehr eingeschränkt, um den Beteiligten einen für sie befriedigenden bzw. in ihren Augen

adäquaten Zugang zu dieser Problematik zu ermöglichen. Die Teilnehmer dieser

Fokusgruppen demonstrieren einander durch Einschränkungen, durch die Aus-

druckswahl oder durch andere Markierungen ihre Unsicherheit, Maßstäbe für die

Bewertung der EMF-Problematik ermitteln zu können. Es erfolgt eine permanente

Nebeneinanderstellung von Kriterien, allerdings ohne eine explizite Diskussion darüber.

Akzeptiert wird dadurch auch eine mehr oder weniger willkürliche Anwendung von Be-

wertungskriterien.

Für Teilnehmer der Fokusgruppen 'Elektrosensible' (FG 1) und 'Hochspannungsleitung'

(FG 2) dagegen gelten bereits andere, z.B. auf der eigenen Erfahrung beruhende, Bewer-

tungen von EMF als sicher und gegeben. Umgekehrt ist für die Teilnehmer der Fokus-

gruppen 7 und 8, die praktisch keine EMF-Risiken sehen, die Bewertung von EMF

ebenfalls unkontrovers, insofern die derzeit 'etablierten' Wissenschaftsstandards

weitgehend akzeptiert werden, nach denen keine EMF-Risiken anzunehmen sind.

61

In allen Fokusgruppen werden grundlegende Erkenntnisprobleme direkt oder indirekt

angesprochen. Dabei geht es vor allem um die drei folgenden Bereiche:

• Die Teilnehmer kritisieren herkömmliche Wissenschaftsmodelle und -methoden (z.B.

das kausalistische wissenschaftstheoretische Modell der Naturwissenschaften oder

Prüfmodelle der wissenschaftlichen Statistik); diese Kritik wird in den Gruppen mit

unsicherer Risikoeinschätzung (FG 3 bis 6 und 11) nach und nach deutlicher, in den

Gruppen mit hoher Risikoeinschätzung (FG 1 und 2) herrscht darüber bereits Kon-

sens, in den Gruppen mit geringer Risikoeinschätzung (FG 7 und 8) dagegen wird

Kritik allenfalls angedeutet und z.T. explizit zurückgewiesen.

• Die Teilnehmer bieten ihnen bekannte alternative Konzeptionen der Wahrnehmung,

der Überprüfung oder der Bildung von Handlungsorientierung an, entwickeln sie

oder deuten sie an; alternative Konzeptionen werden klarerweise von den Elek-

trosensiblen (FG 1) und den Teilnehmern der Fokusgruppe 'Hochspannungsleitung'

(FG 2) am prägnantesten formuliert.

• Schließlich entwickelt sich in den Gruppendiskussionen noch eine Suche nach Er-

kenntniskriterien, die den Teilnehmern eine gültige Orientierung gestatten könnte.

Kritik an Wissenschaftsmodellen

Die Darstellung der Standpunkte zum EMF-Komplex wurde vielfach verknüpft mit der

Bekanntgabe des eigenen Kenntnisstandes hinsichtlich wissenschaftlicher und techni-

scher Zusammenhänge. Darin wurde auch stets - außer in der Gruppe der professionel-

len Nutzer (FG 7) - die mangelnden eigenen Beurteilungsmöglichkeiten dieser Zusam-

menhänge angesprochen und die publizistisch verbreiteten kritischen Einwände

kolportiert bzw. zu eigenen gemacht. Dies wurde zu einem beherrschenden Thema der

Gespräche. In einem Gespräch (FG 6) formulieren die Teilnehmer beispielsweise in

kürzester Folge mehrere explizit wissenschaftskritische Einwände:

• Die Wissenschaft trifft Aussagen, die sie kurze Zeit später zurückzieht und ins Gegen-

teil verkehrt.

62

• Die Außendarstellung der Wissenschaft führt zu falschen bzw. verunsicherten Auffas-

sungen bei den Bürgern.

• Die Wissenschaft hat noch keine begründete Auffassung zur Gefährdung durch EMF;

dennoch werden Teilaussagen in die Öffentlichkeit getragen.

• Wissenschaftler werden hoch bewertet, sind aber auch nur Menschen (und deshalb

fehlbar); z.B. berücksichtigen sie oft das Zusammenwirken verschiedener potentiel-

ler Schadensursachen nicht.

• Wissenschaftliche Aussagen widersprechen sich oft diametral.

• Veröffentlichte Statistiken haben aufgrund der arbeitsteiligen Trennung von Wissen-

schaftlern und Statistikern oft keinen Erklärungswert.

• Es erscheinen aufgrund von Unachtsamkeiten falsche wissenschaftliche Ergebnisse in

der Öffentlichkeit und halten sich dort über lange Zeiträume.

In diesen Äußerungen zeigt sich eine grundsätzliche Skepsis an den herkömmlichen wis-

senschaftlichen und wissenschaftlich-technischen Modellen, an der praktischen wissen-

schaftlichen und wissenschaftlich-technischen Arbeit, am Verhältnis von Wissenschaft

und Technik auf der einen und Öffentlichkeit auf der anderen Seite sowie an der

Brauchbarkeit wissenschaftlicher und wissenschaftlich-technischer Aussagen für

gesellschaftspolitische und individuelle Handlungsorientierungen und

Entscheidungsvorgänge. Daraus ergibt sich auch das Interesse an der Diskussion

alternativer Konzeptionen und validerer Erkenntniskriterien.

Alternative Konzeptionen

Die Diskussion der Schwierigkeiten, über wissenschaftliche und technische Modell-

bildungen verläßliche Aussagen zum Gefährdungspotential von EMF zu erhalten, führte

in vielen Gruppen zu Überlegungen alternativer Wahrnehmungs- und Beur-

teilungsmöglichkeiten. In fast allen Fokusgruppen ist hierzu das Phänomen einer

besonderen Elektrosensibilität genannt worden (eine Ausnahme bilden die professio-

nellen Funkgeräte-Nutzer der Fokusgruppe 7).

In diesen Fokusgruppen wurde Elektrosensibilität für einen Teil der Bevölkerung konze-

diert, dies galt jedoch dort lediglich als besonderes Potential für die Entwicklung somati-

scher und psychosomatischer Beschwerden und Erkrankungen (bis hin zur Krebsanfäl-

63

ligkeit). In der Gruppe der Elektrosensiblen (FG 1) wurde dieses Phänomen jedoch

bereits für Wahrnehmung in Anschlag genommen: besonders sensible Personen (zu

denen alle Mitglieder des Selbsthilfevereins zählen) seien in der Lage, elektroma-

gnetische Felder zu orten (z.B. Flugzeuge im Anflug, Mobilfunksendemasten, Hoch-

spannungsleitungen, etc.).

Auch (psycho-)somatische Beschwerden selbst sowie elektrostatische Phänomene

(Haaraufrichtung, Summen von HSL, etc.) werden von diesem Personenkreis bereits als

valide Indikatoren fataler Auswirkungen von EMF dargestellt und behandelt. Weiter

sind dort auch häufig Beschreibungen faktischer Selbstversuche zu finden, d.h. Personen

setzen sich dem EMF-Einfluß aus bzw. vermeiden einen solchen Einfluß und

vergleichen beide Situationen. Solche Beschreibungen eigener Erfahrungen finden sich

auch vielfach in anderen Fokusgruppen.

Als ernstzunehmende Alternativen zu herkömmlichen wissenschaftlich-technischen Er-

kenntnisweisen werden von den Teilnehmern der Fokusgruppen 1 und 2 die Vorgehens-

weisen und Aussagen von Baubiologen angeführt, die verständlich argumentieren und

logische Beweise liefern würden.

Auffällig an der diskursiven Behandlung von Erkenntnisproblemen ist jedoch auch, daß

an den Stellen, an denen Aussagen aus herkömmlichen wissenschaftlichen und

technischen Konzeptionen für die eigene Position opportun sind, solche Aussagen auch

regelmäßig verwendet werden (das gilt auch für die Fokusgruppen 1 und 2, z.B. werden

in einer Bürgerinitiative statistische Risikoberechnungen aus der Versiche-

rungswirtschaft herangezogen oder amerikanische Studien zitiert).

Suche nach Erkenntniskriterien

Die Suche nach Erkenntniskriterien findet sich vor allem ex negativo, d.h. im Ausdruck

von Unsicherheit der Realität dieses Phänomens und seiner möglichen Folgen

gegenüber. Die Gefahr könne nicht richtig eingeschätzt werden; man wisse nicht, wo

man hingehen solle, um Informationen zu bekommen; es werde vermutet, daß EMF

gesundheitsschädlich sei; man könne nur wahrnehmen, was mit den Sinnesorganen

'nachempfunden' werden kann.

64

Gewünscht wird eine tiefergehende Diskussion in technischen Zusammenhängen, dabei

müsse jedoch erst der Ansatz gefunden werden, also klar sein, wo geforscht werden soll.

Eine gegenteilige Auffassung geht davon aus, daß sich aus einem Puzzle von

Informationen ein Untersuchungsansatz ergeben kann.

'Analogien' zu anderen technologischen oder zivilisatorischen Gefahren wie Atom-

energie, Gentechnologie, Rauchen, etc., die durch Analogiebildung Aufschluß über

Erkenntniskriterien geben sollen oder könnten, enden regelmäßig in einer Flaute. Das

liegt daran, daß andere Technologien oder zivilisatorische 'Errungenschaften' für die

Gesprächsteilnehmer einen anderen Realitätscharakter haben: Auswirkungen sind direkt

meßbar, Schäden können eindeutig antizipiert werden, es bestehen in der Gesellschaft

lediglich unterschiedliche Auffassungen hinsichtlich des Ausmaßes der erforderlichen

Sicherungs- bzw. Vorsorgemaßnahmen bzw. deren genereller Möglichkeiten, jedoch

keine größeren Divergenzen erkenntnistheoretischer Art.

3.1.8 Zusammenfassung und Schlußfolgerungen

Betroffenheit

Versteht man 'Betroffenheit' in einem psychologischen Sinne als 'sich subjektiv betrof-

fen fühlen', so lassen sich drei Gruppen von Personen unterscheiden, die in unter-

schiedlichem Ausmaß von dem EMF-Thema betroffen sind:

(a) In hohem Maße betroffen fühlen sich Personen, die bestehende gesundheitliche

Leiden auf EMF zurückführen (Bsp.: Elektrosensible) oder befürchten, durch eine

bestimmte EMF-Quelle geschädigt zu werden (Bsp.: Anwohner einer Hochspan-

nungsleitung oder einer Mobilfunksendeanlage).

(b) Auf der anderen Seite gibt es Personen, für die das Thema EMF persönlich

praktisch keine Bedeutung hat. Gerade unter diesen Personen befinden sich eine

ganze Reihe, die täglich aus beruflichen Gründen Mobilfunktelefone oder Funkgerä-

te benutzen. Hier wird deutlich, daß 'objektive' Betroffenheit durch EMF nicht mit

'subjektiver' Betroffenheit korrespondieren muß.

(c) Für die große Mehrheit der Fokusgruppenteilnehmer ist ein unterschiedliches

Ausmaß an Betroffenheit vom Thema EMF festzustellen, daß aber insgesamt nicht

65

hoch ist. Zwar ist auch diesem Personenkreis die EMF-Problematik bekannt

(Stichwort: Elektrosmog), aber für die meisten bedeutet dies nicht mehr, als daß da

'etwas möglicherweise Gefährliches' ist, ohne daß sie deswegen persönlich ernsthaft

beunruhigt wären. Dies zeigt sich auch darin, daß hier niemand von sich aus

versucht hat, genauere Information über EMF zu bekommen.

Subjektive Gefahreneinschätzung und Gefahrenmodelle für EMF

In bezug auf die Gefahreneinschätzung können drei qualitativ verschiedene Risiko-

einschätzungen unterschieden werden:

(a) Risikoeinschätzung hoch: Diese Risikoeinschätzung vertreten uneingeschränkt nur

die Teilnehmer der beiden Fokusgruppen 'Elektrosensible' und 'Hochspannungs-

leitung'. Die Sicherheit, mit der diese hohe Risikoeinschätzung vertreten wird,

resultiert wesentlich aus den persönlichen Erfahrungen mit EMF. Für die Elek-

trosensiblen bedeutet dies in erster Linie, daß EMF als plausible Ursache für

bestehende Gesundheitsbeschwerden erscheint. Die Anwohner der Hochspan-

nungsleitung berufen sich bei ihrer Risikoeinschätzung wesentlich auf ihre persön-

liche, sinnliche Erfahrung mit Effekten der Hochspannungsleitung (z.B. sichtbare

elektrostatische Aufladungen). Viele Personen aus diesen beiden Fokusgruppen

haben die Erfahrung gemacht, daß Gesundheitsbeschwerden verschwinden, wenn

man sich von der EMF-Quelle entfernt oder Schutzmaßnahmen ergreift. Diese

persönlichen Erfahrungen stärken offenbar die Bereitschaft, die als widersprüchlich

wahrgenommene wissenschaftliche Diskussion um EMF-Risiken als Hinweis auf

deren tatsächliches Vorhandensein zu werten und auch außerwissenschaftlichen

(z.B. esoterischen) Erklärungen zum Thema EMF Glauben zu schenken.

(b) Risikoeinschätzung gering: Dies sind zum einen Personen, die täglich aus be-

ruflichen Gründen mit Funkgeräten umgehen und die einen relativ hohen tech-

nischen Kenntnisstand haben, sowie zum anderen Personen, die zwar keine be-

sonderen Technikkenntnisse haben, die aber glauben, daß es beim Umgang mit

Risiken im wesentlichen auf die eigene, positive Einstellung zur Bewältigung

solcher Risiken ankommt. Typischerweise wird EMF hier auch in Relation zu

anderen Umweltrisiken (z.B. Luftverschmutzung) betrachtet, die deutlich höher

eingeschätzt werden.

(c) Risikoeinschätzung unsicher: Die große Mehrheit der Fokusgruppenteilnehmer - da-

66

runter auch Personen, die selbst ein Mobilfunktelefon benutzen - ist in ihrer Risiko-

einschätzung sehr heterogen und unsicher. Wenn Personen aus diesem Kreis sich

durch EMF bedroht fühlen, so resultiert dies nicht so sehr daraus, daß eine 'reale'

Gefahr gesehen wird, sondern liegt in erster Linie daran, daß diese Gefährdung nicht

ausgeschlossen werden kann. Charakteristisch für die meisten Fokusgruppenteilneh-

mer ist also die Unsicherheit bei der Risikoeinschätzung.

Gefahrenmodell: Die wenigsten Personen haben eine klare Vorstellung, wie eine

schädigende Wirkung von EMF erklärt werden könnte. Eine solche klare Vorstellung ist

für die meisten Personen allerdings auch unwesentlich; bedeutsam ist, daß eine

Schädigung durch EMF nicht ausgeschlossen werden kann. Einzelne Personen rekur-

rieren bei ihrer Erklärung auf physikalische oder biologische Erklärungen, andere

verweisen auf psychische Einflußfaktoren. Weitgehende Einigkeit besteht allerdings bei

allen Personen, daß es in bezug auf EMF bestimmte sensible Lebensbereiche (das

Schlafzimmer), besonders vulnerable Personen (Kinder) und empfindliche Organe (das

Auge) gibt, die als besonders schützenswert, empfindlich oder prekär charakterisiert

werden. Als Randbedingungen, von denen eine mögliche Schädigung durch EMF

abhängen kann, werden genannt: Nähe bzw. Abstand zur EMF-Quelle, Sendeleistung

und Benutzungsdauer. Es wird auch geäußert, daß die Gefährdung durch EMF nicht so

sehr in deren singulärem Gefährdungspotential liege, sondern vielmehr im Zu-

sammenwirken mit anderen Umweltrisiken, also in der Akkummulation von Um-

weltrisiken.

Umgang mit der EMF-Problematik

Der individuelle Umgang mit der EMF-Problematik ist im wesentlichen durch die

eigene Risikoeinschätzung und eine Kosten-Nutzen-Abwägung in bezug auf Schutz-

maßnahmen bestimmt. Diejenigen Personen, die eine hohe Risikoeinschätzung haben

(z.B. Elektrosensible) haben auch in teilweise sehr großem Umfang Schutzmaßnahmen

gegen EMF ergriffen (bspw. besondere Abschirmung elektrischer Leitung usw.).

Umgekehrt haben diejenigen Personen, die in EMF kein Risiko sehen, auch keine

Schutzmaßnahmen ergriffen. Bei den Personen, die sich in ihrer Risikoeinschätzung

unsicher sind, findet sich ein weites Spektrum von Vorsichts- und Schutzmaßnahmen;

z.B. wird das Mobilfunktelefon so wenig wie möglich genutzt oder es werden elek-

67

trische Geräte aus dem Schlafzimmer entfernt. Es ist aber offensichtlich, daß solche

Schutzmaßnahmen von diesen Personen nur dann ergriffen werden, wenn sie ohne

großen Aufwand zu realisieren sind.

In bezug auf den gesellschaftlichen bzw. institutionellen Umgang mit der EMF-

Problematik sind im wesentlichen zwei Meinungen zu hören: Einige Personen vertreten

die Meinung, man könne nicht nur wegen vager Hinweise auf Gefahren auf neue

Technologien und damit auf Fortschritt verzichten. Die überwiegende Mehrheit

allerdings vertritt eine in bezug auf mögliche Risiken eher 'konservative' Haltung, d.h.

sie fordert, vor der Einführung einer Technologie sicherzustellen, daß diese keine

Gefahren birgt, selbst wenn dadurch die Einführung einer Technologie verzögert wird

und Unternehmen ggf. Gewinneinbußen erleiden.

Dort, wo eine konkrete EMF-Quelle als Ursache für Gesundheitsschäden oder -

beeinträchtigungen ausgemacht wird, wie etwa im Fall der Hochspannungsleitung oder

der Mobilfunksendemasten, wird gefordert, diese EMF-Quelle aus Wohngebieten zu

entfernen.

Grenzwerte sind bei der staatlichen Regulierung von Risiken von besonderer Be-

deutung. Es zeigt sich allerdings, daß es bei Grenzwerten Verständnisprobleme gibt und

sie mit Skepsis betrachtet werden, z.B. weil die Setzung von Grenzwerten als willkürlich

empfunden wird oder sie nicht aussagekräftig für besonders gefährdete Personengruppen

wie Kinder oder alte Menschen angesehen werden.

Informationsquellen und Bewertungsressourcen

Die wesentliche Informationsquelle in bezug auf die EMF-Problematik sind die

Massenmedien (Printmedien, Rundfunk und Fernsehen). Lediglich für diejenigen

Personen, die sich im Selbsthilfeverein 'Elektrosensible' oder in der Bürgerinitiative

gegen die Hochspannungsleitung organisiert haben, sind diese Organisationen die

Hauptinformationsquelle.

Alle anderen Personen rezipieren zwar (in mehr oder weniger großem Ausmaß)

Information zur EMF-Problematik, wenn darüber in den Massenmedien berichtet wird,

68

suchen aber von sich aus nicht aktiv nach Information. Die zum Thema EMF in der

Öffentlichkeit verfügbare Information wird in weiten Teilen für unglaubwürdig

gehalten. Diese Einschätzung beschränkt sich nicht nur auf die Massenmedien, sondern

auch auf Information, die von Behörden, Unternehmen oder Wissenschaftlern gegeben

wird. Aber auch Naturschutzverbände werden nicht ohne weiteres als vertrauenswürdige

Informationsquellen eingestuft.

In der Kommunikation über das EMF-Thema wird auf drei Bewertungsressourcen zu-

rückgegriffen:

• Die Medien liefern im wesentlichen den Rahmen für das, was als negative (oder posi-

tive) Effekte von EMF in der Öffentlichkeit für möglich gehalten wird. Mit

eingängigen Begriffen wie z.B. 'Elektrosmog' schaffen sie eine begriffliche

Klammer, unter welche die vielfältigen Aspekte von EMF zusammengefaßt werden

können.

• Persönliche Erfahrung spielt - mit Ausnahme derjenigen Personen, die sich unmittel-

bar durch EMF geschädigt (Elektrosensible) oder durch eine spezifische EMF-

Quelle (z.B. Hochspannungsleitung) bedroht fühlen - nur eine untergeordnete Rolle.

Lediglich wenn mit dem Nutzen von EMF-Geräten (z.B. Handies) argumentiert

wird, verweisen Personen auf ihre diesbezüglichen Erfahrungen.

• Alltagsweisheiten und Allgemeinplätze bekommen in Situationen, in denen 'objektive

Standards' (z.B. allgemein akzeptierte wissenschaftliche Befunde) fehlen, eine

besondere Bedeutung. Sie bieten eine allgemein geteilte Grundlage, auf die man sich

bei der Bewertung, z.B. von EMF, beziehen kann. Auch Analogien - als eine

spezielle Variante von Alltagsweisheiten - werden bemüht, um Wissen und

Bewertungen aus Bereichen, die als bekannt unterstellt werden, auf EMF zu

übertragen.

Bewertungsprobleme

In allen Fokusgruppen wurden direkt oder indirekt Themen angesprochen, die sich in

grundlegender Weise mit den Schwierigkeiten einer sicheren Einschätzung von EMF-

Risiken befassen. Vor allem wurden drei Problemfelder diskutiert:

• Herkömmliche Wissenschaftsmodelle und -methoden wurden kritisiert, vor allem von

Personen, die EMF für in hohem Maße gefährlich halten und diese Einschätzung in

69

der 'etablierten' Wissenschaft nicht bestätigt finden.

• Alternative Wahrnehmungs- und Beurteilungsmöglichkeiten von EMF, wie sie z.B.

von Baubiologen vertreten werden, werden vorgeschlagen.

• Es wird nach neuen Erkenntniskriterien gesucht, die zur Bewertung der Risiken von

EMF herangezogen werden können. Allerdings findet diese Suche nur im Sinne

einer Aussonderung von traditionell als gültig erachteten Kriterien (z.B. sinnliche

Wahrnehmbarkeit von Risiken) statt und nicht als Ausweisen neuer und

brauchbarerer Kriterien.

3.2 Interaktiver Aspekt der Bedeutungskonstitution

3.2.1 AusgangslageDie Diskussion um EMF befindet sich gegenwärtig noch in einem Frühstadium der Aus-

einandersetzung: Es gibt einen stark expandierenden Wirtschaftszweig, der mit dem

Thema EMF assoziiert ist (Mobilfunk). Es gibt lokal organisierten Widerstand gegen

einzelne Objekte, die mit EMF in Zusammenhang gebracht werden, und es gibt

uneinheitliche, punktuelle Berichterstattung über Gesundheitsgefahren durch EMF.

Bei der Betrachtung einer solchen Phase gewinnen Prozesse, in denen sich die Mei-

nungsbildung über EMF vollzieht, besondere Bedeutung. Wir gehen davon aus, daß

solche Prozesse der Meinungsbildung nicht nur das Äußern von festgefügten Positionen

und Ansichten beinhalten, sondern, daß sie geprägt sind von zufälligen Begegnungen,

aufgeschnappten Informationen, eindrucksvollen Schilderungen, unklaren Deutungen

eigener Erfahrungen, von subjektiven Präferenzen für bestimmte Nachrichtenquellen,

von Sympathien für Berichterstatter, persönlichen Solidaritäten mit Anderen in

Gruppensituationen etc.

Prozesse der Meinungsbildung sind mithin in der zur Debatte stehenden Phase der

Auseinandersetzung um EMF in hohem Maße von den kommunikativen und sozialen

Ereignissen geprägt, in denen und anhand derer sie sich vollziehen.

Wer sich ein Bild von der gegenwärtigen Diskussionslage über EMF in der Öffent-

70

lichkeit machen möchte, tut gut daran, den sozialen Prozessen, in denen sich die

Meinung Einzelner zum Thema EMF entwickelt und ggf. kristallisiert, sein Augenmerk

zu schenken. Es muß dann methodisch darum gehen, Situationen zu simulieren, in denen

solche Prozesse der Meinungsbildung beobachtbar werden. Dies gelingt mit Hilfe von

Fokusgruppen (siehe Kap. 2.1).

Als Ausgangspunkte bei der Interaktionsanalyse der Meinungsbildung in Fokusgruppen

zu EMF dienten Erfahrungen aus der Diskussion in anderen Bereichen

gesellschaftspolitischer Diskussionen um technologische Themenkreise, z.B. der

Diskussion um die Ansiedlung von Müllverbrennungsanlagen (vgl. NOTHDURFT

1992).

3.2.3 Ablauf der MeinungsbildungFokusgruppengespräche über EMF sind, wie alle natürlichen Gespräche, nicht als

Abfolge von Aussagen einzelner Teilnehmer organisiert, geschweige denn als logische

Abfolge zentraler Statements zum Thema. Vielmehr wird in diesen Interaktionen der

Gegenstand, das Thema, von den Beteiligten erst allmählich hergestellt, es werden Auf-

fassungen formuliert, bestritten, bestätigt, oder es werden einzelne Begriffe eingebracht

und diskutiert. Im Laufe der Gespräche können sich die gerade von den Beteiligten

mühsam erarbeiteten Auffassungen auch wieder verschieben und auflösen. Oder sie

werden unmerklich von anderen Auffassungen abgelöst oder gar durch ein Bewußtsein

von Ungewißheit ersetzt. Betrachtet man solche Gesprächsverläufe der

Meinungsbildung in ihrer Gesamtheit, so lassen sich drei Gesprächstypen unterscheiden:

• Gesprächstyp I umfaßt die in Gruppen wie Bürgerinitiativen oder Selbsthilfevereinen

organisierten Gegner eines unbeschränkten Umgangs mit EMF. Personen, die diesen

Gruppen angehören, haben aufgrund ihrer institutionellen Organisiertheit

Verpflichtungen hinsichtlich ihres Standpunktes (Standpunktverpflichtete

Personen).

• Gesprächstyp II umfaßt von der Diskussion um EMF nicht betroffene Bürger und

Gruppen von Nutzern von Funktelefonbenutzern sowie nichtorganisierte Anwohner

71

von Mobilfunksendemasten. Personen dieser Gruppen haben keine institutio-

nalisierten Standpunktverpflichtungen (Nichtbetroffene).

• Gesprächstyp III umfaßt nicht organisierte professionelle Nutzer von Geräten mit

elektromagnetischen Feldern (z.B. Funkgerätebenutzer bei Polizei und Feuerwehr

etc.). Personen dieser Gruppen haben aufgrund ihrer professionellen Kenntnisse

stabile, selbstbestätigende Auffassungen (professionelle Nutzer).

Typischer Gesprächsverlauf bei Standpunktverpflichteten (Typ I)

Das Gespräch beginnt damit, daß die Teilnehmer nacheinander und einander ergänzend

Beschwerden schildern, die sie durch die Auswirkungen von EMF meinen erfahren zu

haben. Von diesen Berichten leiten sie dazu über, die Beweggründe der Gründung ihrer

Vereinigung bzw. ihres Beitritts zu dieser Vereinigung und die organisatorischen

Aspekte der Gründung darzustellen. Diese Beweggründe liegen meist in

Schlüsselerlebnissen der Art, daß sie eigene Beschwerden oder Häufungen kritischer

Erlebnisse in ihrer unmittelbaren sozialen Umgebung mit den Auswirkungen von EMF

in Verbindung gebracht haben.

Ihre Position zur Frage, ob EMF schädlich sei, ist bei all diesen Schilderungen schlicht

vorausgesetzt: EMF ist schädlich. Für diesen Standpunkt werden in regelmäßigen Ab-

ständen Belege vorgebracht. Die Belege sind dabei von vielfältiger Herkunft:

• Es werden kritische Stimmen aus Wissenschaft und Technik zitiert,

• es werden technologiefreundliche Forschungsergebnisse ad absurdum zu führen ge-

sucht,

• es werden Analogien zu anderen Technologien sowie zu katastrophalen Ereignissen

bei anderen Technologien hergestellt und

• es werden generell gültige wissenschaftliche Denk- und Vorgehensweisen problemati-

siert und alternative Konzeptionen herangezogen.

Im Zuge dieser gemeinschaftlichen Argumentationen unterstützen sich die Gesprächs-

teilnehmer wechselseitig. Sie ergänzen sich, helfen einander bei Formulierungen und

Argumentationsweisen. Die Argumente der verschiedenen Teilnehmer werden mitein-

72

ander verknüpft. Und sie werden durch das gesamte Gespräch hindurch mit einer

inneren, linearen Logik versehen. Ein wichtiges Merkmal dieser Logik ist ihre Un-

erschöpflichkeit: die Teilnehmer könnten, wenn das Gespräch nicht vom Fokusgrup-

penmoderator beendet würde, immer weiter über dieses, sie bedrängende Thema reden.

Typischer Gesprächsverlauf bei Nichtbetroffenen ( Typ II)

Ein Gespräch Nichtbetroffener beginnt damit, daß die Teilnehmer auf Aufforderung des

Versuchsleiters hin ihre persönliche Einstellung zum Themenkomplex EMF

wiedergeben. Die Teilnehmer formulieren ihre Einstellung als 'Position', d.h. als

feststehende Auffassung bzw. Standpunkt. Sie kennzeichnen gesundheitliche Ge-

fährdungen durch EMF entweder als ausgeschlossen, gering, möglich, als wahrschein-

lich oder als sicher. Die Darstellungen dieser Standpunkte werden abgeschlossen mit

nachdrücklichen Formulierungen (z.B. "das ist meine Meinung"; "so ist das"). Als Beleg

der jeweiligen Auffassung werden vielfach medienvermitteltes Wissen oder auch Allge-

meinplätze, in einzelnen Fällen auch persönliche Erfahrungen wiedergegeben.

Bereits in der zweiten Runde des Gesprächs jedoch beginnt sich die vermeintliche

Sicherheit der jeweiligen Standpunkte aufzulösen. Da bereits die Darstellungen der

ersten Runde wechselseitig Widersprüche aufweisen, müssen diese Widersprüche

behandelt werden. Die Teilnehmer versuchen Konfliktpunkte zu meiden und auf andere

Themen bzw. Themenaspekte auszuweichen. Wo sie dennoch Widersprüche behandeln,

reden sie oft an der jeweiligen Stelle eines Gesprächs gegen eine andere geäußerte

Auffassung. Sie halten aber im weiteren Verlauf des Gesprächs weder den Kritikpunkt,

noch ihre konträre Auffassung konsistent aufrecht - auch diese Positionen lösen sich also

auf.

Ein zentraler Punkt, um den das Gespräch immer wieder kreist, ist die Frage danach, wie

man mögliche Gefährdungen durch EMF überhaupt wahrnehmen und (wissenschaftlich-

technisch) beweisen kann. Die Beteiligten kommen im Verlauf ihrer Ausführungen

immer wieder darauf zu sprechen, wie unsicher die Aussagen zu EMF sind. Sie

kritisieren Wissenschaft und Technik allgemein und verweisen auf ihnen bekannte

alternative Wahrnehmungs- und Erkenntnismöglichkeiten.

73

Bei all diesen Diskussionspunkten laufen die jeweils angesprochenen Themen und

Themenaspekte sehr schnell auseinander. Die Beteiligten werfen in kurzer Folge neue

Aspekte ins Gespräch, die ohne längerfristigen inneren Zusammenhang sind. Die

Argumente verschiedener Teilnehmer bleiben unverknüpft und gehen ins Beliebige.

Dadurch ergeben sich auch viele Flauten im Gespräch. Die Bemühungen der Teil-

nehmer, solche Flauten zu überwinden, werden mit der Zeit immer weniger und das

Gespräch erschöpft sich nach und nach.

Typischer Gesprächsverlauf bei professionellen Nutzern (Typ III)

Auch professionelle Nutzer beginnen das Gespräch, indem sie ihren jeweiligen

Standpunkt vortragen. Dieser Standpunkt wird in der Regel von allen Teilnehmern

einhellig geteilt: Gefahren durch EMF sind, bei vernünftigem Umgang, aufgrund der

physikalischen Eigenschaften nicht zu befürchten. Dabei bedeutet 'vernünftiger

Umgang', daß man sich nicht extremen Situationen aussetzen sollte (also z.B. sich

stundenlang unmittelbar vor einem Mobilfunksendemast aufhalten).

Im folgenden entwickeln sich Diskussionen anhand minimaler Auffassungsunterschiede

was einzelne Aspekte anlangt, wie z.B. Dauer und Häufigkeit von Aufenthalten bei

EMF-Quellen, Nähe und Empfänglichkeit, etc. Die Auffassungsunterschiede bleiben oft

bestehen, werden aber als marginal gekennzeichnet.

Auch hier, wie bei den Betroffenengruppen, sind die Themenaspekte durch eine lineare

Logik verbunden, die sich durch das gesamte Gespräch hindurchzieht, die Sachbeiträge

sind sowohl am Ort ihrer Äußerung als auch übergreifend kohärent mit den Beiträgen

des jeweiligen Redners und denen seiner Partner verknüpft. Die Sicherheit des

Standpunktes zum Themenkomplex EMF sorgt in diesem Fall jedoch dafür, daß sich die

Teilnehmer bald zu fragen beginnen, was denn noch gesagt werden könne, das Gespräch

gerät in eine Flaute und endet schließlich damit, daß keiner der Teilnehmer über das

hinaus, was bereits gesagt worden ist, meint, noch sinnvolle Beiträge machen zu können.

74

3.2.4 Umgang mit Positionen und Positionsentwicklung bei den

NichtbetroffenenDadurch, daß im weiteren Verlauf der Fokusgruppen auch grundsätzlich unterschiedli-

che Auffassungen aufeinandertreffen, werden alle Positionen jeweils durch andere

geäußerte Standpunkte wechselseitig problematisiert, d.h. in ihrer Geltung in Frage

gestellt. Es gibt zu Beginn keine feste, gemeinsame Gruppenauffassung2. Es gilt daher

zunächst, die Standpunkttoleranzgrenzen der jeweils anderen Teilnehmer auszuloten.

Und es gilt, die eigenen Standpunkte zu kritischen Standpunkten in ein angemessenes

Verhältnis zu setzen. Es geht darum,

• den eigenen Standpunkt zu stützen,

• den eigenen Standpunkt zu prüfen und ggf. zu modifizieren,

• abweichende Standpunkte einzubeziehen.

So entsteht eine 'standpunktoffene' Situation. Nach der ersten Phase von Meinungs-

äußerungen erfolgt die weitere Themenentwicklung in zwei unterschiedlichen Formen,

als Diffusion von Positionen oder als Aushandlung der Bedeutung der Positionen.

Diffusion von Positionen

'Diffusion von Positionen' bedeutet, daß die Beteiligten wesentlich darauf hinwirken, ge-

gen geäußerte Auffassungen zum Thema Einwände vorzubringen, Bedenken anzu-

melden und Zweifel zu signalisieren. Charakteristischerweise führt dies nicht zu einer

Neuformulierung einer Auffassung oder Meinung auf nun gesichertem Niveau.

Vielmehr passiert nun wieder das Gleiche. So bleibt es bei der Gegenüberstellung von

Position und Einwand, etc., so daß Unsicherheit und Zweifel an der Geltung jeder

Positionen offenbar wird.

Eine wesentliche Rolle für Diffusionsprozesse spielen Selbstkorrekturen und Selbst-

2 Aus diesem Grund werden auch die später dargestellten gesprächsdynamischen Prozesse besonders

wichtig: einander i.d.R. nicht bekannte Personen müssen darauf achten, die jeweiligen Integritätsgrenzender anderen nicht zu verletzen.

75

einschränkungen d.h. Formulierungen, mit denen die Teilnehmer geäußerte Positionen

wieder zurücknehmen bzw. 'aufweichen':

"Ich verbinde das mit der Vorstellung ... - wobei ich kein guter Physiker war in der Schule muß ich dazusagen"

"Aber muß halt irgendwo son Eichmaß setzen wo man sagt das ist für mich persönlich noch annehmbar -aber wer kann das für sich sagen"

"Es muß erreicht werden daß die breite Öffentlichkeit die Möglichkeit hat sich über diese Dinge zuinformieren - aber wo soll man hingehen mit dieser Fragestellung"

"Warum wird man nicht sensibler dafür, wenn also in Norddeutschland, wie heißt dieses Kraftwerk dort, woden Kindern die Haare ausfallen und die Kinder Leukämie kriegen - es ist ja immer noch nichtnachgewiesen, daß es von dem Kraftwerk kommt, aber trotzdem müssen Leute in dieser Region lebenoder bleiben dort; warum wird da nichts unternommen"

Solche Diffusionsprozesse führen im Gespräch, das ja durch Bemühen der Beteiligten

um Beseitigung von Unklarheit angeleitet ist, zum Gegenteil. Es entwickelt sich eine

zunehmende Unklarheit der Sachlage und Unsicherheit der Auffassungen. Das Ende ist

Konfusion.

Diffusionsprozesse scheinen immer dann aufzutreten, wenn sich zwischen den Teilneh-

mern eine Art Beziehungsrivalität (s.u.) entwickelt. In solchen Fällen attackieren sie ge-

äußerte Positionen, was unter Randbedingungen allgemeiner Unsicherheit immer

möglich ist, um über solche Attacken sich persönlich zu profilieren.

Aushandlung der Bedeutung von Positionen

Während bei der Diffusion von Positionen eine Auffassung gleichsam zerredet wird,

kommt es bei der 'Aushandlung von Bedeutung' zu einer von den Teilnehmern

gemeinsam hergestellten wechselseitigen Bestätigung, Unterstützung, Präzisierung und

Sicherung einer geäußerten Auffassung. Solche Prozesse sind dadurch geprägt, daß die

Teilnehmer im Duktus von (Selbst-)Sicherheit sprechen oder ihren Standpunkt mit Hilfe

anderer Teilnehmer präzisieren. Dabei kann es leicht zu Verschiebungen auf andere

Themenaspekte kommen.

76

Beispiel:A: "und deswegen bin ich mir nicht so sicher obwohl ich natürlich schon also hm also ne Vermutung habe daß es

gesundheitsschädlich sein könnte"B: "Vermutung"A: "ja"B: "daß es dein Wohlbefinden irgendwie beeinflußt so"A: "jaha"B: "dein Unterbewußtsein"A: "ja mehr unterbew- ja genau"C: "aber kann es da nicht sein daß es gerade in Streßsituationen ... dann vielleicht"A: "ja hm"C: "intensiver"B: "Abwehrmechanismen durch den Streß irgendwie bißchen herabgesetzt"C: "überhaupt die Abwehrkräfte sind ja unter Streß sowieso niedriger auch"A: "ja"

Fokusgruppen der Typen I und III (standpunktverpflichtete) sind wesentlich durch

solche Aushandlungen der Bedeutung von Positionen gekennzeichnet. Sie kommen aber

auch, wenngleich sie hier nicht prägend sind, im Gesprächstyp II vor. Auffälligerweise

erfolgen solche Aushandlungsprozesse v.a. um Positionen, in denen die Gefahr EMF

verneint oder gering eingeschätzt wird oder in Fällen, in denen einer der Teilnehmer die

Gefahr EMF globalisiert hatte.

3.2.5 TeilnehmerbeziehungDie thematische Entwicklung in den Fokusgruppen und die Meinungsbildung der

einzelnen Teilnehmer hängt ganz wesentlich von der personellen Zusammensetzung der

Gruppen und vor allem von den sich entwickelnden Sozialbeziehungen der Teilnehmer

ab. Die Sozialbeziehung bestimmt insbesondere, wie die Teilnehmer thematisch

aufeinander eingehen.

In Fällen, in denen die Teilnehmer sich untereinander bereits kannten, spielten Vorver-

ständigung und gegenseitige Rücksichtnahme ein wesentliche Rolle dafür, wie die Teil-

nehmer mit den Positionen der anderen umgingen. Bei institutionalisierten Gruppen ist

der Korpsgeist sehr hoch und verpflichtet die Gruppenmitglieder zur wechselseitigen

Zustimmung. Bei der Gruppe der Elektrosensiblen geht das z.B. so weit, daß sie sich

sogar eklatant divergierende Darstellungen bestätigen: auf die Frage, wieviel Prozent der

77

Bevölkerung der BRD elektrosensibel seien, reichte der Antwortbereich von 5% bis

80% - alle Angaben wurden dennoch von den jeweils anderen zustimmend ratifiziert.

Standpunktverpflichtete Gesprächsteilnehmer (also die Kritiker aus den Gruppen der

Elektrosensiblen bzw. der Bürgerinitiative (Gesprächstyp I) sowie die professionellen

Nutzer (Gesprächstyp III)) neigen zur gemeinsamen, einseitigen, sich bestätigenden

Anhäufung von Darstellungsinhalten in beinahe chorischer Qualität (s.u. Solidaritäten).

Bei den Nichtbetroffenen (Gesprächstyp II) scheint es dagegen zunächst einmal darum

zu gehen, eine gemeinsame Basis erst einmal auszuarbeiten. Kontrastierungen und Über-

trumpfungen dienen dazu, die Grenzen der Gesprächspartner auszuloten. Nicht-

betroffene neigen dazu, ihre Auffassungen stärker gegenüberzustellen, oder versuchen,

sich gegenseitig zu übertrumpfen (s.u. Rivalitäten). In der Summe ergibt dieses

Gesprächsverhalten jedoch eher einen Brei, den die Nichtbetroffenen anrühren (Im

Unterschied dazu häufen standpunktverpflichtete Gruppen ihre Argumente auf). Eine

abschließende Meinungsbildung ist bei Nichtbetroffenen in Bezug auf die EMF-

Problematik nicht so leicht möglich. Es gibt nicht den 'eigentümlich zwanglosen Zwang

des besseren Arguments'.

Solidaritäten

Bestehen zwischen den Mitgliedern einer Fokusgruppe überdauernde Sozialbezie-

hungen, so wirkt sich dies auf den Umgang der Teilnehmer mit geäußerten Meinungen

zum Thema EMF aus wie auch auf die Dynamik der Themenentwicklung. Der Umgang

miteinander ist durch starke gegenseitige Unterstützung, Bestätigung und Bekräftigung

gekennzeichnet. Wir sprechen deshalb von einem 'solidarischen' Umgang. Dies gilt

insbesondere für jene Fokusgruppen, deren Teilnehmern eine hohe

Standpunktverpflichtung gemein ist (Gesprächstyp I).

Der solidarische Umgang miteinander prägt insbesondere die Art und Weise, in der die

Beteiligten aneinander anschließen und die Rahmungen, mit denen sie ihre Beiträge ver-

sehen. Deutlich wird dies in den Einleitungspassagen ihrer Beiträge.

Beispiel:

78

• "Ne, kann ich da gleich anknüpfen ..."

• "Das kann ich bekräftigen"

• "Es ist ja auch so ..."

Eigene Redebeiträge werden als Illustration dessen, was ein Vorredner gesagt hatte, ge-

rahmt, als Belege, als Ergänzungen, als bestätigende eigene Erfahrungen, es wird über

unterstützende Studien berichtet. Auffällig ist, daß solche Äußerungen eigens in ihrer

unterstützenden Funktion auch explizit thematisiert werden. Es kommt insgesamt zu

einer differenzierten, aspektreichen Darstellung des Themas EMF, zu der die

verschiedenen Mitglieder der Fokusgruppe wie in einem konzertierten Zusammenspiel

beitragen. An diesem Zusammenspiel sind fast alle Mitglieder der Fokusgruppe in

gleichem Ausmaß beteiligt.

Rivalitäten

'Widersprechen' kommt in Gesprächen des Gesprächstyps II nicht so sehr aufgrund ver-

schiedener inhaltlicher Auffassungen bzw. kontroverser Positionen zustande. Vielmehr

ist es Ausdruck von Rivalitäten um einen exponierten Status in der jeweiligen

Fokusgruppe, aufgrund von Gereiztheit über Darstellungsweise oder -länge des gerade

aktuellen Sprechers, Verletzung über eine Bemerkung, oder auch aufgrund des

'Widersprechens um jeden Preis'. Es gibt Fälle von Rivalitäten, in denen der Rivale eines

Sprechers sich ganz offenbar nur deshalb zu Wort meldet, um die Äußerung seines

Rivalen nicht unkommentiert zu lassen.

Beispiel:

Ein Elektromeister präsentiert als Kriterium für die (Un-)Gefährlichkeit die Beurteilung

durch die Berufsgenossenschaft.

"Ich glaube, daß die Berufsgenossenschaft, wenn dieses Gerät gefährlich wäre, für ihre Leute dieses Gerätverbieten würde"

Er grenzt sich dann ab gegen die neben ihm sitzende Teilnehmerin, die "als Hausfrau

und Mutter, die gerne kocht", solche Kenntnisse nicht habe. Diese protestiert gegen diese

79

Rollenbeschreibung und formuliert im Zuge ihres Protestes ein Gegenargument gegen

sein als sicher dargestelltes Beurteilungskriterium:

"Blutplasma war schädlich und ist auch in Umlauf gekommen, und viele Leute haben jetzt Aids, das wußtendie, die haben das in Umlauf gebracht"

Der allgemeine Effekt von Rivalitäten ist, daß thematisch randständige Aspekte, z.B.

einzelne Veranschaulichungen oder Beispiele, ein thematisches Eigengewicht bekom-

men. Sie führen zu einem Zerreden des eigentlichen Themas und zu Konfusion.

3.2.6 Meinungsführerschaft und RollenprofilierungDie Gespräche in den Fokusgruppen sind soziale Ereignisse, die in ihrem Ablauf und

Gehalt wesentlich auch davon bestimmt sind, wie die Beteiligten sich in Bezug auf das

Thema EMF verstehen und welche Rolle sie einzunehmen suchen: die des Experten,

des kritischen Mahners, des blutigen Laien, etc.. Von diesem Selbst- bzw. Rollenver-

ständnis (Profilierung) hängt ab,

• in welcher Weise sie sich an einem Gespräch beteiligen,

• wie ihre Beiträge auf andere wirken und

• wie sie die Beiträge der anderen verarbeiten.

Das Rollenverständnis ist somit in mehrfacher Hinsicht für die Prozesse der Meinungs-

bildung in den Fokusgruppen wesentlich. Von besonderer Relevanz für Prozesse der

Meinungsbildung sind Rollen, die mit Meinungsführerschaft verbunden sind. Es zeigt

sich bei unseren Analysen allerdings, daß es offenbar keinen Typus der Themen-

behandlung und Selbstdarstellung gibt, der durchgängig über alle Gruppen hinweg

bestimmend für die Meinungsbildung in einer Gruppe (oder auch nur für Einzelne) ist.

Dafür, daß Meinungsführerschaft nur in geringem Maße festgestellt werden konnte,

lassen sich drei Ursachen angeben:

• Es gibt offenbar bei den Beteiligten kein soweit ausgebautes verstärktes Interesse am

Thema EMF, daß sie auf eine ihren Interessen-Horizont übersteigende Darstellung

'anspringen' würden.

80

• Das Thema EMF wird so ausdifferenziert bzw. diffus diskutiert, daß eine Profilierung

allein nicht alle thematischen Aspekte abdecken könnte.

• Es bildet sich keine homogene 'Gefolgschaft' heraus, die auf einen Typ Meinungsfüh-

rung besonders hört.

Aus diesen Gründen ist es notwendig, bei der Beschreibung von Meinungsführerschaft

stets mitanzugeben, unter welchen Rahmenbedingungen sich diese einstellen kann.

Rollentypen

Es zeigt sich, daß den verschiedenen Rollen je spezifische Thematisierungsweisen des

Sachverhalts EMF entsprechen. Die Rollenspezifizierung erfolgt gerade über die Art

und Weise der Themenbehandlung. Solche charakteristischen Weisen der Themenbe-

handlung sind nur teilweise über Verbatim-Protokolle wiederzugeben. Wesentlich für

sie ist gerade die intonatorische Ausgestaltung des Sprechens - der besorgte Tonfall des

'Zuständigen', das lässige Dahin-Gesprochen-Werden des 'Hedonisten', die morali-

sierende Sprechweise der 'Mutter-mit-Kind'. Gleichwohl können Verbatim-Protokolle

die in den Daten beobachteten Profilierungen in gewissem Maße veranschaulichen:

• Da gibt es den Pragmatiker, der EMF wesentlich unter Kosten-Nutzen-Gesichts-

punkten sieht und für individuelle Abwägung der Vorteile gegenüber möglichen

Risiken plädiert. Meist handelt es sich um Menschen, die Mobilfunktelefone für

geschäftliche Zwecke benutzen.

"Die Sache mit den Mobilfunktelefonen da muß man halt einfach abwägen die Gefahr mitBewußtsein das heißt also daß irgendwo Leute versuchen Kausalzusammenhänge zwischen diesenSendern und Tumoren hinters Ohr zu setzen und zu sagen wenn ich erreichbar sein will muß ichdas irgendwo machen und ich hol mir son Teil."

Im folgenden Beispiel nimmt der Pragmatiker geradezu in Anspruch, aufgrund seiner

abwägenden Haltung gegen mögliche Gesundheitsgefahren gefeit zu sein:

"Damit umzugehen da ist ne Gefahr aber ich entscheide mich aus den und den Gründen näh es doch

81

zu tun und die Gefahr insofern miteinzugehen aber es dadurch auch nicht gefährlich werden zulassen indem man es bewußt miteinnimmt."

Eine solche Haltung kann sich in Gruppen/Situationen durchsetzen, die durch ein

Fehlen von Moralisierung gekennzeichnet sind. Tritt Moralisierung auf, hat der

Pragmatiker mit dem Vorwurf von egozentrischem, an finanziellen Interessen

ausgerichtetem Handeln zu kämpfen.

• Da gibt es den (jugendlichen) Hedonisten, der die Bequemlichkeit schnurloser

Telefone betont und für den ein Handy wesentlicher Bestandteil seines Lebens-

gefühls darstellt. Er ignoriert aus einer Haltung akzentuierter Leichtlebigkeit das

Risikothema.

"... ich mir jetzt vor nem halben Jahr selber son Schnurloses angeschafft hab für meine Wohnung

weils mir mit dem Kabel so hin und her ziemlich stressig gewesen ist."

"Also ich find da wir das sehr brauchen also das Telefon ich telefonier auch relativ viel damit auchprivat mit dem D2 Telefon auch ich muß ja nicht bezahlen (Lachen) ich weiß es hat äh daß eswahrscheinlich irgendwelche Gesundheitsschäden gibt aber im Endeffekt ist es doch ziemlichbequem damit zu telefonieren."

Diese Haltung wird nur im Kreise Gleichgesinnter führungsgeeignet sein. In allen

anderen Situationen, insbesondere in solchen, in denen ethische Themenaspekte

(Moralisierung) dominant sind, trifft der Hedonist auf wenig Akzeptanz.

• Da gibt es den Laien, der die Unkenntnis über das Thema eigens hervorhebt und

dieses geradezu zum positiven Bestandteil des eigenen Selbstverständnisses erhebt

"... als Geisteswissenschaftlerin kümmere ich mich nicht um Technik."

Auch als Laie hat man unter geeigneten Kontextbedingungen die Chance zur Mei-

nungsführerschaft. Dann nämlich, wenn es gelingt, stellvertretend für Andere

bohrende Fragen zu stellen. Trifft man jedoch auf Gruppenteilnehmer, die für sich

den Status eines Sachkundigen in Anspruch nehmen, und diesen aktiv ausspielen,

gerät man fast automatisch in die Position des zu Belehrenden und damit in eine

untergeordnete Rolle.

82

• Da gibt es den Zuständigen, der sich das Thema gleichsam persönlich zu eigen

macht, der Zuständigkeit für das Thema reklamiert ("ich als angehender Naturwis-

senschaftler sehe das eigentlich ..."). Damit zugleich beansprucht der Zuständige

Sachkompetenz. Im folgenden Beispiel demonstriert er diese durch seine Ver-

wendung des Ausdrucks "Verbraucher", die von der üblichen Verwendungsweise

abweicht und damit 'Beherrschung von Fachwortschatz' signalisiert, ferner durch

Aussagen darüber, was "der Normalfall" ist und durch Verwendung von Fachaus-

drücken ("emittieren"):

"vielleicht muß man sich mal bewußt werden, daß alle elektrischen Verbraucher die wir mit denenwir uns umgeben und die mit normalem Wechselstrom betrieben werden was also der Normalfallist alle diese elektrischen Verbraucher emittieren elektromagnetische Strahlung.."

In den weiteren Ausschnitten brilliert der Zuständige dadurch, daß er weiß, daß etwas

'nichts anderes ist als':

"Elektromagnetische Strahlen das ist ja eigentlich nichts anderes als ..."

"Es ist nur so man weiß halt nicht was los ist wenn man es rational betrachtet ist es eigentlich nichtsanderes als der Mittelwellensender soundso.."

Der Verantwortliche beansprucht auch die Kompetenz, die Diskussion zum Thema zu

steuern:

"Trotzdem müssen wir Techniker dafür sorgen daß die Bevölkerung aufgeklärt wird."

In diese Rolle ist der Anspruch auf Meinungsführerschaft gleichsam miteingebaut

bzw. notwendig mitverbunden. In dem Maße jedoch, in dem auch von anderen

Gruppenteilnehmern auch Sachkompetenz (auf der Basis eigener Erfahrungen, siehe

3.1.4) - und vor allem Moralkompetenz beansprucht wird, gerät der Anspruch auf

Meinungsführerschaft ins Abseits. Man kann in eine Position geraten, (auch persön-

lich) für angenommene Gesundheitsschädigungen mitverantwortlich gemacht zu

werden. Meinungsführerschaft kann sich bei dieser Profilierung also nur dann sicher

einstellen, wenn die anderen Teilnehmer die Rolle der Laien übernehmen.

83

• Da gibt es die Mutter(-mit-Kind), die aufgrund ihrer Verantwortung für ihre Kinder

ihrer Stimme ein besonderes Gewicht zugebilligt erhalten möchte:

"ist vielleicht auch ne zusätzliche Sensibilisierung wenn man Kinder hat ich glaub schon daß daseiniges zu denken insgesamt gibt also wenn man nur in Anführungsstrichen für sich selbst verant-wortlich ist weil ich denk dann eben halt auch für die Kinder und man macht sich dann irgendwodoch Sorgen".

Diese Rolle kann Meinungsführerschaft aufgrund des besonderen Gewichts des The-

mas 'Kind' in der EMF-Diskussion beanspruchen. Diesem in Form moralisierenden

Redens vorgebrachten Gesichtspunkt wird in den Fokusgruppen denn auch kein

anderer Themenaspekt entgegengestellt. Aber die Rolle 'Mutter-mit-Kind' ist gerade

nicht mit spezifischem Fachwissen verbunden. Darüber hinaus ist diese Rolle mit

zurückhaltender Gesprächsbeteiligung verknüpft, so daß ihr eher die Qualität einer

'Mahnerin' als die von Meinungsführerschaft zukommen wird.

3.2.7 Schlußfolgerungen1. Die Meinungsbildung über EMF hat man sich keineswegs als stringenten bzw. argu-

mentativen Prozeß vorzustellen. Zunächst ist festzuhalten, daß die Meinungsbildung

sehr unterschiedlich verläuft in Abhängigkeit von der Gruppenzusammensetzung.

Die standpunktverpflichteten Gruppen I und III (Gegner und professionelle Nutzer)

haben konsequente Auffassungen. Sie diskutieren strukturiert und verwenden

ausgebaute Konzepte und Wissensinhalte bei der Darstellung von Pro oder Contra

der Gesundheitsgefahren.

2. In der Gruppe II (Nichtbetroffene), zu denen auch die Mehrzahl der von uns befragten

Mobilfunknutzer gehört, ist die Diskussion heterogen. Dort wird erst Sicherheit für

einen eigenen Standpunkt im Gespräch gesucht. Festzustellen ist, daß das ihnen

nicht gelingt. Sie 'zerreden' das Thema EMF charakteristischerweise (Themendiffu-

sion). Das Reden selbst bringt Unsicherheit und Diffusion.

3. Auch Gefahrenwahrnehmungen, die in den Diskussionen der Nichtbetroffenen zum

Ausdruck kommen, bilden keine Kristallisationspunkte für eine Klärung des Pro

84

oder Contra von EMF. Die Meinungsbildung kommt nicht zum Abschluß.

4. In Gruppen mit ohnehin festen Standpunkten (Gesprächstypen I und III) werden die

inhaltlichen Gemeinsamkeiten durch solidarisches Gesprächshandeln noch verstärkt.

Dagegen entwickeln die Teilnehmer in Nichtbetroffenengruppen (Typ II) eher kon-

kurrierende Verhaltensmuster. Hier verstärken die ständig wechselnden personalen

Konkurrenzen und Koalitionen der Teilnehmer die Diffusität.

5. In den verschiedenen Fokusgruppengesprächen entwickeln sich bei den Diskussionen

um das Thema EMF verschiedene soziale Rollen. Darin spiegelt sich die Vielfalt

und Heterogenität der mit EMF zusammenhängenden Themenaspekte wider. Keine

dieser Rollen ist jedoch per se zur Meinungsführerschaft qualifiziert.

6. Die Meinungsführerschaft hängt von der jeweiligen Zusammensetzung der Gruppe ab.

Diese bestimmt, welche Rolle sich gegenüber anderen durchsetzen kann und welche

Themenaspekte damit dominant werden. Meinungsführerschaft ist daher in Bezug

auf die EMF-Diskussion sinnvollerweise nicht als stabile Eigenschaft zu verstehen,

sondern nur in Abhängigkeit von jeweiligen Gruppenkonstellationen zu erkennen.

7. Im Unterschied zu anderen Risiko-Themen wie Kernkraft, Gentechnik, Abfallproble-

matik wird die Diskussion von EMF-Risiken bei Nichtbetroffenen viel stärker von

sozialen Einflußfaktoren bestimmt. Das heißt durch Beziehungsrivalitäten zwischen

einzelnen Teilnehmern und Rollenprofilierungen. Diesen Faktoren muß ein

wesentliches Gewicht für die Meinungsbildung zugemessen werden.

8. Abschließend ist festzuhalten, daß auch bei den Nichtbetroffenen die ganze

Bandbreite ökologisch einschlägiger Argumente auftaucht. Aber keine einzelne

Argumentationsfigur kann sich diskussionsbestimmend und meinungsbildend

durchsetzen. Die Auswertungen lagen nahe, daß es bislang keinen Kristallisations-

punkt gibt, der für die weitere gesamtgesellschaftliche Debatte des Themas

dominant ist.

85

Teil II:

Expertenstreit um EMF-Gefahren

und

Konflikte um Mobilfunksendeanlagen

1. Forschungsansatz und DatenerhebungZur Untersuchung des Expertenstreits um EMF-Gefahren und der Konflikte um Mobil-

funksendeanlagen wurden mit Mitarbeitern von Behörden, Unternehmen, privaten und

öffentlichen Forschungseinrichtungen sowie mit Vertretern von Bürgergruppen

qualitative Einzelinterviews durchgeführt. Wie bei der Untersuchung der Einschätzung

von EMF-Gefahren in den Fokusgruppen wurde bei diesen Interviews auf die Ver-

wendung eines standardisierten Fragebogens verzichtet, um den Gesprächspartnern

soviel Raum wie möglich für die Darstellung ihrer Einschätzung von EMF-Gefahren zu

lassen. Die Gesprächsführung stützte sich auf einen Gesprächsleitfaden, in dem die

Themen, die während des Interviews angesprochen werden sollten, aufgelistet waren. In

welcher Reihenfolge und auf welche Weise diese Themen vom Interviewer ange-

sprochen wurden, richtete sich jedoch nach dem Gesprächsverlauf. Die Gesprächs-

leitfaden, die für die verschiedenen Interviews verwendet wurden, stimmten weitgehend

überein. Sie unterschieden sich nur durch einzelne Zusatzfragen, die auf spezielle

Kenntnisse des jeweiligen Gesprächspartners eingingen.

Kasten 1: Beispiel eines Gesprächsleitfadens für ein Einzelinterview mit einem Experten:

Biographie des Gesprächspartners (seit wann und auf welche Weise Beschäftigung mit Thema EMF-Gefahren)

Risikowahrnehmung•EMF-Gefahren (akut/chronisch, psychisch/physisch)•eigene Erfahrungen mit schädigender EMF-Wirkung•Gefährdungsmechanismen (thermisch/athermisch)•besonders gefährdete Personen? (z.B. Kinder, Elektrosensible)•Gefährlichkeit von verschiedenen EMF-Quellen•Sicherheit des Kenntnisstandes zu EMF-Gefahren•Beweis für vorhandene/fehlende Gefahr•Forschungsbedarf•Vergleich mit anderen Umweltgefahren/Relevanz von EMF-Gefahren

Risikoinformation

86

• Bewertung bisheriger Informationen zu EMF-Gefahren• Informationsbedarf der Öffentlichkeit/Über was soll informiert werden?• Auf welche Weise soll informiert werden? (Informationsquellen, Ausmaß von Infos)• Welche Verständnisprobleme haben Bürger bzgl. Infos über EMF-Gefahren?

Risikomanagement• Bewertung des Risikomanagements von EMF-Gefahren (Grenzwerte, Forschung)• Umgang mit Risiken (Vorsorge, Sicherheitsphilosophie, Risiko und Nutzen)• eigene Schutzmaßnahmen

Wahrnehmung der EMF-Kontroverse• Begriff 'Elektrosmog'• Ursache von öffentlicher Diskussion über EMF-Gefahren• Ursache von Protesten gegen Hochspannungsleitungen/Mobilfunksendemaste• Expertenstreit über EMF-Gefahren: Warum Streit? Worüber wird gestritten? Wer ist Experte? (Baubiologen?)• Einschätzung der Akteure der Kontroverse um EMF-Gefahren (Unternehmen, Behörden, Grenzwertkommissio-

nen, Bürgerinitiativen, Medien)

Konfliktaustragung• Beilegung des Expertenstreits• Zusammenarbeit zwischen Akteuren: Forschungsförderung, Beurteilung von Forschungsergebnissen, Gestaltung

von Risikomanagement/-information

Die Interviewpartner wurden zunächst schriftlich um ein Interview gebeten. In einem

nachfolgenden Telefongespräch wurden Fragen zum Interview und zum Forschungs-

projekt beantwortet, und der Termin für das Interview wurde abgesprochen. Die

Interviews fanden dann in der Regel am Arbeitsplatz der interviewten Personen statt, in

Ausnahmefällen in der Privatwohnung oder in Gaststätten. Die Interviews dauerten

durchschnittlich 1 1/2 Stunden (mindestens 1 Stunde, maximal 3 Stunden) und wurden

mit einem Tonbandgerät aufgezeichnet. Auf eine wörtliche Verschriftung der Interviews

wurde verzichtet, weil eine große Anzahl von Interviews durchgeführt wurde und weil

für die Auswertung der Einzelinterviews allein die inhaltlichen Aussagen der

Gesprächspartner relevant waren und nicht deren sprachliche Formulierung. Von der

Tonbandaufzeichnung wurde ein Verlaufsprotokoll angefertigt, in dem die Äußerungen

des Gesprächspartners zusammengefaßt wurden und das die Grundlage für die Aus-

wertung des Einzelinterviews bildete.

2. Expertenstreit um EMF-Gefahren

2.1 InterviewpartnerIm Rahmen der öffentlichen Diskussion über mögliche Gesundheits- und Umwelt-

gefahren elektromagnetischer Felder wird auch unter Fachleuten kontrovers diskutiert,

87

welche Auswirkungen EMF auf biologische Systeme haben und wie die Relevanz dieser

Auswirkungen für Gesundheit und Umwelt zu bewerten ist.

Dieser Expertenstreit wird einmal in einem kleineren Kreis unter Wissenschaftlern

ausgetragen, die selbst Untersuchungen zu EMF-Gefahren durchführen und von anderen

Wissenschaftlern als seriöses Mitglied ihres Fachgebiets anerkannt werden. Dabei

werden die in der Wissenschaft üblichen Kommunikationswege benutzt:

Veröffentlichungen in wissenschaftlichen Fachzeitschriften sowie Vorträge und

Diskussionen auf wissenschaftlichen Fachtagungen. In den Massenmedien und damit

auch in der Öffentlichkeit findet dieser Expertenstreit im engeren Sinne aufgrund seiner

starken Spezialisierung jedoch nur wenig Beachtung. Nur wenn spektakuläre

Untersuchungsergebnisse veröffentlicht werden - vor allem, wenn sie Beweise oder

Indizien für das Bestehen einer Gesundheitsgefahr enthalten -, wird ihnen von den

Massenmedien größere Aufmerksamkeit geschenkt.

Der Expertenstreit um mögliche EMF-Gefahren wird aber auch in Foren ausgetragen,

die den Massenmedien und einzelnen Bürgern besser zugänglich sind und denen die

Öffentlichkeit infolgedessen größere Aufmerksamkeit schenkt: Expertenanhörungen vor

politischen Gremien, überregional ausgerichtete Kongresse und Hearings, regional

ausgerichtete Informationsveranstaltungen und Podiumsdiskussionen sowie vor allem

direkte Auftritte von Experten in den Massenmedien - z.B. durch die persönliche

Teilnahme an Fernseh- und Rundfunksendungen oder durch Interviewbeiträge. Neben

anerkannten Fachwissenschaftlern nehmen an diesem Expertenstreit aber auch eine

Reihe von anderen Personengruppen teil. Diese werden zwar innerhalb wissenschaftli-

cher Kreise nicht unbedingt als Experten anerkannt, werden als solche aber von den

Medien oder der Bevölkerung angesehen. Bei der Diskussion über EMF-Gefahren

gehören hierzu folgende Gruppen:

• Mitarbeiter von Behörden, Unternehmen und Forschungseinrichtungen, die sich allein

mit der Bewertung von wissenschaftlichen Untersuchungen zu EMF-Gefahren

beschäftigen und dazu Literaturrecherchen durchführen. Ihre Arbeit dient zur

Vorbereitung von politischen und unternehmerischen Entscheidungen und zur

Information und Beratung von Bürgern.

• Wissenschaftler, die auf diesem Forschungsgebiet eher eine Außenseiterposition ein-

88

nehmen und deren Untersuchungen zu EMF-Gefahren methodische Mängel

vorgeworfen werden. Aufgrund ihrer Untersuchungen und der daraus gezogenen

Folgerungen haben sie in den Medien jedoch teilweise große Beachtung gefunden.

• Baubiologen und Wünschelrutengänger. Sie kommen zwar aufgrund von Methoden,

die wissenschaftlich nicht anerkannt sind, zu Aussagen über EMF-Gefahren, werden

aber von Teilen der Bevölkerung dennoch als Experten für diese Gefahren

angesehen und zu Rate gezogen.

Im Rahmen dieses Forschungsprojekts sollte der Einfluß des Expertenstreits auf die Ein-

schätzung von EMF-Gefahren in der allgemeinen Bevölkerung bestimmt werden.

Deshalb wurden zur Untersuchung des Expertenstreits Personen interviewt, die zu dem

Kreis der Experten im weiteren Sinne gehören und die teilweise bereits öfters auf

öffentlichen Veranstaltungen zum Thema EMF-Gefahren oder in den Medien aufge-

treten sind. Die Auswahl der Gesprächspartner richtete sich dabei jedoch nicht danach,

ein möglichst repräsentatives Abbild dieses weiter gefaßten Expertenstreits zu erhalten,

sondern danach, die volle Bandbreite der unterschiedlichen Positionen zu erfassen, die

bei diesem Streit vertreten werden.

Alle kontaktierten Personen waren zu einem Interview bereit und wurden interviewt. Bei

manchen Interviews zeigt sich jedoch im nachhinein, daß sie keine oder nur geringe Er-

kenntnisse erbrachten, die für die Zielsetzung des Forschungsprojekts relevant waren.

Deshalb wurden diese Interviews nicht oder nur teilweise bei der Auswertung

berücksichtigt. Im einzelnen wurden folgende Personen interviewt:

• Hr. Ahne, Neckarwerke Elektrizitätsversorgungs-AG, Esslingen

• Prof. Dr. Jürgen Bernhardt, Institut für Strahlenhygiene, München

• Dr. Ute Boikat, Behörde für Arbeit, Gesundheit und Soziales der Hansestadt Hamburg

• Dr. Hauke Brüggemeyer, Niedersächsisches Landesamt für Ökologie, Hannover

• Dipl.-Phys. Martin Dahme, Institut für Rundfunktechnik GmbH, München

• Prof. Dr.med. Eduard David, Universität Witten/Herdecke

• Manfred Fritsch, Baubiologe, Fellbach

• Prof. Dr. Günter Käs, Universität der Bundeswehr München

• Prof. Dr. Herbert König, Technische Universität München (emeritiert)

• Dipl.-Ing. Norbert Krause, Berufsgenossenschaft der Feinmechanik und Elektrotech-

89

nik, Köln

• Dr. Hans-Peter Neitzke, ECOLOG - Institut für sozial-ökologische Forschung und

Bildung, Hannover

• Wulf-Dietrich Rose, Baubiologe, Going, Österreich

• Hr. Schomburg, Hamburger Electricitäts-Werke AG

• Dr. Andrá Varga, ehemaliger Mitarbeiter des Hygiene-Instituts der Universität Heidel-

berg

2.2 ErgebnisseBeim Expertenstreit um mögliche EMF-Gefahren geht es nicht um die Frage, ob EMF

überhaupt eine Gefahr für die Gesundheit darstellen. Es ist unstrittig, daß EMF bei

hohen Feldstärken Menschen schädigen können - z.B. durch Reizung von Nerven- oder

Muskelzellen im niederfrequenten Bereich oder durch übermäßige Erwärmung im

hochfrequenten Bereich. Es besteht auch Übereinstimmung darüber, daß das Auftreten

dieser Schädigungen durch die Einhaltung der bestehenden Grenzwerte ausgeschlossen

wird. Diskutiert wird dagegen, ob weitere, bisher unbekannte Gefahren durch EMF

bestehen, die bei Feldstärken unterhalb der bestehenden Grenzwerte auftreten.

Weiterhin wird in der Diskussion über EMF-Gefahren unterschieden zwischen Auswir-

kungen von EMF auf biologische Systeme und der Bewertung der gesundheitlichen

Relevanz dieser Auswirkungen. Es besteht Übereinstimmung darüber, daß es Beweise

oder zumindest Indizien für solche Auswirkungen bei Feldstärken unterhalb der

bestehenden Grenzwerte gibt. Kontrovers diskutiert wird nun, ob diese nachgewiesenen

oder vermuteten Auswirkungen eine Schädigung oder Beeinträchtigung der Gesundheit

hervorrufen können und inwieweit sie bei der Festsetzung von Grenzwerten oder der

Empfehlung von Schutzmaßnahmen berücksichtigt werden sollen.

Gefahreneinschätzung und Handlungsempfehlungen

Bei den befragten Experten kann man drei unterschiedliche Gruppen ausmachen, die

sich hinsichtlich ihrer Gefahreneinschätzung und der daraus abzuleitenden Handlungs-

empfehlungen unterscheiden (siehe Tabelle 2):

90

Experten-gruppe Ausbildung

Gefahrenein-schätzung

Bewertungs-dimensionen

Handlungsempfeh-lungen Begründung

(1) technisches,naturwissen-schaftliches,

keine Gefahren Gesundheit,Ökonomie

keine Reduzierungvon EMF-Expositionerforderlich

Stand der Wis-senschaft

(2)

medizinischesHochschulstudi-um

mögliche Gefah-ren

Gesundheit,Ökonomie

Reduzierung vonEMF-Exposition,falls Aufwandgering(bei NF-Feldern)

Vorsorge

(3) Baubiologengroße Gefahren Gesundheit,

Umwelt

hohe Reduzierungvon EMF-Exposition(bei NF-Feldern)

Erfahrungen mitHausmessungen

Tabelle 2: Expertengruppen

1. Keine EMF-Gefahren: Es gibt keinen Beweis für EMF-Gefahren bei Feldstärken

unterhalb der bestehenden Grenzwerte. Die derzeit bei diesen Feldstärken bekannten

oder vermuteten Auswirkungen auf biologische Systeme rechtfertigen nicht die

Reduzierung von EMF-Expositionen unterhalb der bestehenden Grenzwerte unter

Vorsorgegesichtspunkten.

2. Mögliche EMF-Gefahren: Es gibt zwar keinen Beweis für EMF-Gefahren bei Feld-

stärken unterhalb der bestehenden Grenzwerte, aber viele Indizien. Deshalb sollten

EMF-Expositionen - zumindest bei niederfrequenten EMF - auch unterhalb der

bestehenden Grenzwerte unter Vorsorgegesichtspunkten reduziert werden, falls die

dazu erforderlichen Maßnahmen nicht zu aufwendig sind.

3. Große EMF-Gefahren: Auch bei Feldstärken, die sehr weit unterhalb der bestehenden

Grenzwerte liegen, werden durch EMF - vor allem durch niederfrequente EMF -

Gesundheitsschädigungen und -beeinträchtigungen hervorgerufen. Deshalb müssen

die bestehenden Grenzwerte sehr stark heruntergesetzt werden.

Die Experten, die diese unterschiedlichen Gefahreneinschätzungen vertreten, unter-

scheiden sich auch hinsichtlich ihrer Ausbildung, ihrer beruflichen Tätigkeit und ihrer

Teilnahme am Expertenstreit: Die Experten, die den beiden ersten Gruppen angehören,

haben entweder ein technisches, naturwissenschaftliches oder medizinisches Hoch-

schulstudium absolviert und arbeiten in Behörden, Unternehmen oder Forschungsein-

richtungen. Sie erforschen biologische Auswirkungen von EMF oder beschäftigen sich

91

allein mit der Bewertung von durchgeführten Untersuchungen. Sie nehmen vor allem am

überregional ausgetragenen Expertenstreit teil, treten aber auch bei lokalen Podiums-

diskussionen oder Informationsveranstaltungen auf.

Die dritte Gruppe wird von Baubiologen gebildet, die gelegentlich auch als Geo- oder

Elektrobiologen bezeichnet werden und zu deren Umfeld auch Wünschelrutengänger zu

zählen sind. Die Baubiologie ist eine Bewegung, deren Hauptanliegen der Bau von Häu-

sern nach biologischen und ökologischen Gesichtspunkten ist, was durch den Einsatz

möglichst naturnaher Materialien verwirklicht werden soll. Neben vom Menschen

hergestellten Materialien und Stoffen werden auch künstlich erzeugte EMF als Ursache

von Gesundheitsschädigungen und -beeinträchtigungen angesehen. Einige Baubiologen

haben sich auf EMF spezialisiert und führen Messungen der EMF-Exposition in Woh-

nungen durch. Auf Grundlage dieser Messungen schlagen sie Maßnahmen vor, die zur

Verminderung der in der Wohnung vorhandenen EMF durchgeführt werden können. Da

es sich nicht um eine geschützte Berufsbezeichnung handelt, verfügen die Personen, die

sich als Baubiologen bezeichnen, über die unterschiedlichsten Ausbildungen. Am

häufigsten sind unter ihnen Architekten vertreten; in der Regel verfügen Baubiologen je-

doch nicht über eine technisch-naturwissenschaftliche Ausbildung. Baubiologen sind

kaum am überregional ausgetragenen Expertenstreit beteiligt. Sie wirken in der Regel

nur in einem lokal begrenzten Bereich und treten höchstens in diesem Bereich auf Podi-

umsdiskussionen oder Informationsveranstaltungen auf. Nur einige wenige Baubiologen

haben durch Buchpublikationen einen über ihren lokalen Bereich hinausgehenden

Bekanntheitsgrad erhalten.

Begründung von Gefahreneinschätzung und Handlungsempfehlungen

1. Keine EMF-Gefahren: Die Einschätzung, daß keine Notwendigkeit für eine Reduzie-

rung von EMF-Expositionen unterhalb der bestehenden Grenzwerte gegeben ist,

wird zum einen damit begründet, daß diese Grenzwerte alle relevanten wissen-

schaftlichen Kenntnisse zu EMF-Gefahren berücksichtigen. Zum anderen wird dar-

auf hingewiesen, daß eine Herabsetzung der Grenzwerte, die nicht durch wissen-

schaftliche Untersuchungsergebnisse abgesichert ist, einen Präzedenzfall darstellen

würde. Dies könnte dazu führen, daß Grenzwerte allein aufgrund von vermuteten

Gesundheitsgefahren beliebig weit heruntergesetzt würden, so daß die Nutzung von

92

EMF überhaupt nicht mehr oder nur unter hohen betriebs- und volkswirtschaftlichen

Kosten möglich wäre. Die Experten, die dieser Gruppe angehören, fordern in der

Regel weitere Forschung, um die gesundheitliche Relevanz von verschiedenen

derzeit bekannten oder vermuteten Effekten besser beurteilen zu können. Einige

wehren sich jedoch gegen die Vorstellung, daß auf diesem Gebiet noch großer

Forschungsbedarf besteht. Nach ihrer Ansicht sind die Auswirkungen von EMF auf

biologische Systeme - abgesehen von einzelnen Effekten - schon recht gut erforscht

und im wesentlichen bekannt.

2. Mögliche EMF-Gefahren: Die Empfehlung der Reduzierung von EMF-Expositionen

auch unterhalb bestehender Grenzwerte wird damit begründet, daß es noch einige

Jahre dauern kann, bis es sich herausstellt, ob durch die derzeit bekannten und ver-

muteten Effekte eine Gesundheitsgefahr besteht. Während dieser Zeit sollte man

sich bereits auf die Möglichkeit, daß eine Gesundheitsgefahr besteht, vorbereiten. Es

wird aber angenommen, daß mögliche Gesundheitsgefahren durch EMF gering sind

im Vergleich zu anderen Gesundheitsgefahren, denen man im alltäglichen Leben

ausgesetzt ist. Weil aber nicht sicher ist, ob wirklich eine Gefahr besteht, sollen

EMF-Expositionen nur dann reduziert werden, wenn der dazu notwendige Aufwand

nicht zu groß ist. So werden bei neu zu errichtenden Hochspannungsleitungen grö-

ßere Sicherheitsabstände zur Wohnbebauung gefordert, als nach den bestehenden

Grenzwerten notwendig sind, nicht jedoch bei bereits bestehenden Hochspannungs-

leitungen. Die Experten dieser Gruppe fordern wesentlich vehementer als die Exper-

ten der ersten Gruppe, daß die Einflüsse von EMF auf biologische Systeme besser

erforscht werden sollen und sehen noch einen großen Forschungsbedarf.

Die Experten, die der zweiten Gruppe angehören, vertreten jedoch übereinstimmend

die Auffassung, daß es bei niederfrequenten EMF wesentlich mehr Hinweise auf

mögliche Gesundheitsgefahren gibt als bei hochfrequenten EMF: Bei niederfrequen-

ten Feldern sind wesentlich mehr Effekte bekannt, deren gesundheitliche Relevanz

zudem als schwerwiegender eingeschätzt wird. Bei niederfrequenten EMF besteht

zusätzlich noch das Problem der Bewertung von epidemiologischen Studien. Diese

enthalten unter anderem Hinweise auf eine mögliche Erhöhung der Leukämierate

bei Kindern, die in der Nähe von Hochspannungsleitungen wohnen.

93

Aus diesen Gründen beziehen sich Empfehlungen zur Herabsetzung von bestehenden

Grenzwerten in der Regel nur auf niederfrequente EMF. Dabei bestehen unter-

schiedliche Auffassungen darüber, wie weit die bestehenden Grenzwerte herabge-

setzt werden sollen. Experten, die in Bundes- oder Landesbehörden mit der Bewer-

tung von EMF-Gefahren beschäftigt sind, sehen eine Angleichung der bestehenden

Grenzwerte an die Empfehlungen der International Radiation Protection Association

(IRPA) als ausreichend an. Deshalb sehen sie nur noch bei den niederfrequenten

EMF Handlungsbedarf, da bei hochfrequenten EMF die bestehenden Grenzwerte

bereits mit den IRPA-Empfehlungen übereinstimmen. Experten, die privaten For-

schungseinrichtungen angehören, die im Rahmen der Umweltschutzbewegung ent-

standen sind, fordern dagegen sowohl bei nieder- als bei hochfrequenten EMF

Grenzwerte, die noch unterhalb der IRPA-Empfehlungen liegen. Ihre Grenzwert-

empfehlungen weichen jedoch bei hochfrequenten Feldern nicht so stark von den

bestehenden Grenzwerten ab wie bei niederfrequenten Feldern.

Bei hochfrequenten EMF werden mögliche Gefahrenquellen einerseits in den End-

geräten der Mobilfunknetze gesehen und andererseits in der niederfrequent gepuls-

ten Strahlung, die bei den D-Mobilfunknetzen verwendet wird. Bei Endgeräten der

Mobilfunknetze wird befürchtet, daß die bestehenden Grenzwerte in unmittelbarer

Nähe der Antennen dieser Endgeräte überschritten werden. In diesem Fall könnten

Schädigungen durch thermische Effekte hervorgerufen werden, wenn sich das An-

tennenteil direkt am Körper befindet. Bei Einhaltung der von der Strahlenschutz-

kommission empfohlenen Sicherheitsabstände wird das Auftreten solcher Schädi-

gungen aber ausgeschlossen. Untersuchungen, in denen Veränderungen des Elek-

troenzephalogramms (EEG) festgestellt wurden, weisen auf eine mögliche Gefähr-

dung durch die Strahlung hin, die bei den D-Mobilfunknetzen verwendet wird. Es

besteht aber Unklarheit darüber, ob dieser Effekt wirklich vorhanden ist und unter

welchen Bedingungen er auftritt, da der technische Aufbau dieser Untersuchungen

bemängelt wird. Zudem ist man noch weit davon entfernt, die gesundheitliche Rele-

vanz dieses Effektes bewerten zu können. Keiner der Experten der zweiten Gruppe

hält es deshalb für gerechtfertigt, aufgrund dieser Untersuchungen eine Stillegung

der D-Mobilfunknetze zu fordern, wie dies Bürgerinitiativen tun.

94

3. Große EMF-Gefahren: Für Baubiologen ist die Verursachung von Gesundheitsschä-

digungen und -beeinträchtigungen durch EMF bei Feldstärken weit unterhalb der

bestehenden Grenzwerte eindeutig bewiesen. Sie stützen ihre Gefahreneinschätzung

dabei im wesentlichen auf Beobachtungen, die sie bei Messungen der EMF-Exposi-

tion in Wohnungen gemacht haben: Bei vielen Personen, die über unspezifische

Gesundheitsleiden geklagt hatten, verschwanden diese Leiden nach der Durchfüh-

rung von Maßnahmen zur Reduzierung der EMF-Exposition teilweise oder voll-

ständig. Schädliche Wirkungen werden vor allem niederfrequenten EMF mit einer

Frequenz von 50 Hz zugeschrieben, die bei der Nutzung von elektrischem Strom

auftreten und auf deren Messung sich die meisten Baubiologen auch beschränken.

Für diese Frequenz empfehlen Baubiologen Grenzwerte, die um mehrere Größen-

ordnungen unterhalb der bestehenden Grenzwerte liegen. Einige Baubiologen

schreiben solche Wirkungen aber auch hochfreqenten EMF zu, wobei für diesen

Frequenzbereich jedoch keine genauen Grenzwertempfehlungen gegeben werden.

Von den übrigen Experten werden Baubiologen jedoch nicht als Fachleute für EMF-

Gefahren angesehen. Zum einen wird den meisten Baubiologen vorgeworfen, daß

sie EMF-Messungen nicht korrekt durchführen sowie emissionsmindernde

Maßnahmen empfehlen oder strahlenabschirmende Objekte verkaufen, die diesen

Zweck nicht erfüllen. Zum anderen werden die von Baubiologen gemachten Be-

obachtungen nicht als wissenschaftlicher Beweis für EMF-Gefahren angesehen: Es

wird kritisiert, daß Baubiologen nur Einzelbeobachtungen machen und keine syste-

matische, wissenschaftliche Untersuchung der von ihnen behaupteten EMF-Gefah-

ren durchführen, um den Einfluß anderer Faktoren auszuschließen. Die von Baubio-

logen beobachteten Veränderungen des Gesundheitszustandes werden auf Plaze-

boeffekte zurückgeführt.

Die Bemühungen der Forschungsgemeinschaft Funk, Forschung zu EMF-Gefahren zu

fördern, werden von den Experten, die den ersten beiden Gruppen angehören, einhellig

begrüßt. Vereinzelt wird jedoch kritisiert, daß der Kreis der Mitglieder der FG Funk sehr

exklusiv ist und fast nur Industrieunternehmen umfaßt, daß bei der FG Funk eine

Tendenz besteht, nur solche Experten zu Rate zu ziehen, die Hinweisen auf mögliche

95

EMF-Gefahren sehr reserviert gegenüberstehen, und daß die FG Funk ihre For-

schungsförderung kaum mit anderen Förderungsinstitutionen koordiniert. Vor allem

wird befürchtet, daß von der FG Funk geförderte Forschungsarbeiten auf große

Glaubwürdigkeitsprobleme in der Bevölkerung stoßen werden. Dabei teilen die

Experten nicht den in den Fokusgruppen oft geäußerten Verdacht, daß Wissenschaftler,

deren Forschung von der Industrie finanziert wird, bestehende Gesundheitsgefahren

leugnen oder verharmlosen könnten. Außerdem meinen sie, die Qualität solcher

Forschung selbst beurteilen zu können. Sie räumen aber ein, daß dies der allgemeinen

Bevölkerung nicht möglich ist.

Bezüglich hochfrequenter EMF fordern die Experten der beiden ersten Gruppen vor

allem die Erforschung von möglichen Einwirkungen der niederfrequent gepulsten HF-

Strahlung, die bei den D-Netzen verwendet wird, auf die menschlichen Hirnströme.

Hinsichtlich der Erforschung weiterer sogenannter nichtthermischer Effekte sind die

befragten Experten jedoch geteilter Meinung. Während einige die Erforschung von

diesen Effekten für sehr wichtig halten, bezweifeln andere, daß es solche Effekte

überhaupt gibt. Einen weiteren wichtigen Forschungsschwerpunkt sehen Experten aber

in der Messung und Berechnung von Leistungsintensitäten im Nahfeld von Mobilfunk-

telefonen, um zu erfahren, ab welchen Abständen die bestehenden Grenzwerte einge-

halten werden.

3. Konflikte um Mobilfunksendeanlagen

3.1 InterviewpartnerZur Untersuchung der Konflikte, die lokal aufgrund der Errichtung und Inbetriebnahme

von Sendeanlagen der D-Mobilfunknetze entstanden sind, wurden ebenfalls qualitative

Einzelinterviews durchgeführt. Dabei sollte bestimmt werden, wodurch die Proteste der

Anwohner gegen die Sendeanlage ausgelöst wurden, welches die Ursachen dieser

Proteste waren und aufgrund welcher Ereignisse oder Aktivitäten der Konfliktparteien

die Konflikte eskalierten oder beigelegt wurden. Interviews wurden durchgeführt mit

Mitarbeitern der beiden Betreiberfirmen der D-Mobilfunknetze und mit Mitgliedern von

Bürgerinitiativen, die sich gegen diese Sendeanlagen zur Wehr setzen. Im Einzelnen

wurden folgende Personen interviewt:

96

• Hr. Stockmann, Mannesmann Mobilfunk, Düsseldorf

• Hr. Horn, Hr. Krassel, DeTeMobil, Niederlassung Frankfurt

• Dr. Angelika Daniel, Bürgerinitiative Sendeturm Büdingen/Pfaffenwald e.V., Büdin-

gen

• Ulrich Hast, 'Bürger gegen Basisstation D2-Mobilfunk Thienhausen', Haan

Die Kontaktaufnahme mit Bürgerinitiativen gestaltete sich jedoch äußerst schwierig.

Mehrere Bürgerinitiativen lehnten ein Gespräch rundheraus ab. Mit anderen Mitgliedern

von Bürgerinitiativen konnte nur telefonisch ein Gespräch geführt werden, da ein

persönliches Interview abgelehnt wurde. Dabei wurden Bedenken sowohl gegenüber

dem Ziel des Forschungsprojekts als auch gegenüber der Forschungsgemeinschaft Funk

als Geldgeber des Forschungsprojekts geäußert.

Die Bürgerinitiativen sehen zum einen keinen Sinn in einem Forschungsprojekt, das

allein das Ziel hat zu untersuchen, wie die Bevölkerung das Thema EMF-Gefahren

einschätzt. Für die Bürgerinitiativen ist einzig die Frage relevant, ob EMF-Gefahren

bestehen. Dementprechend ist für sie nur solche Forschung sinnvoll, die diese Frage

untersucht. Außerdem vermuten die Bürgerinitiativen, daß das Ziel des Forschungs-

projekts allein darin besteht herauszufinden, wie man der Bevölkerung Bedenken ge-

genüber der Benutzung von Mobilfunkgeräten ausreden kann.

Zum anderen wird der FG Funk unterstellt, daß sie nur zeigen will, daß keine Gefahren

durch Mobilfunksendeanlagen und -geräte bestehen. Gleichzeitig wird kritisiert, daß die

FG Funk ihre Zielsetzung, Forschung zu EMF-Gefahren zu fördern und in einen Dialog

mit Bürgerinitiativen zu treten, bisher nicht erfüllt hat. Einerseits ist den

Bürgerinitiativen nicht bekannt, welche Forschungsarbeiten die FG Funk bisher ei-

gentlich gefördert hat, und andererseits erfolgte bisher auch noch keine Kontakt-

aufnahme mit Bürgerinitiativen seitens der FG Funk.

3.2 ErgebnisseErste Konflikte um Mobilfunksendeanlagen entstanden mit Beginn des Aufbaus der

beiden D-Mobilfunknetze im Jahr 1991. Die Anzahl solcher Konflikte stieg dann

97

sprunghaft an, wobei die Konfliktorte jedoch nicht gleichmäßig über das Bundesgebiet

verteilt waren. Häufungen von Konflikten traten vor allem in Hessen, Niedersachsen

und Schleswig-Holstein auf. Viele dieser Konflikte mündeten in eine Klage gegen Er-

richtung und Betrieb der Mobilfunksendeanlage. Diese Klagen führten in einigen Fällen

im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes zur Verhängung eines Baustopps, der jedoch

fast immer in der nächst höheren Instanz wieder aufgehoben wurde. Zu Beginn des

Aufbaus der Mobilfunknetze richteten sich Proteste fast ausschließlich gegen die

Errichtung von Betontürmen, auf denen Mobilfunksendeanlagen aufgestellt werden

sollten. Konfliktorte lagen vor allem in ländlichen Gebieten, wo auch verstärkt solche

Betontürme errichtet wurden. Im weiteren Verlauf der Diskussion über mögliche Ge-

sundheitsgefahren durch Mobilfunk entstanden Konflikte jedoch auch um

Mobilfunksendeanlagen, die auf hohen Gebäuden errichtet wurden. Die Anzahl solcher

Konflikte blieb jedoch klein im Vergleich zu den Konflikten um Betontürme.

Die ersten Konflikte um Betontürme wurden durch zwei Umstände ausgelöst:

• Die Errichtung eines weithin sichtbaren Turms in oder am Rande von Wohngebieten:

Zum einen wurde der Anblick eines solchen Turms vor allem in ländlichen Gebieten

als störend empfunden, und zum anderen wurde befürchtet, daß von den Sendeanla-

gen, die auf diesem Turm aufgestellt werden sollten, Gesundheitsgefahren ausgehen

könnten.

• Die Art und Weise, wie diese Türme errichtet wurden: Viele Betontürme des D1-Net-

zes wurden sehr schnell und ohne Information von Anwohnern oder lokalen politi-

schen Gremien errichtet. Dies löste bei vielen Anwohnern den Verdacht aus, daß der

Betrieb solcher Sendeanlagen nicht unproblematisch sei und daß der Turm auf diese

Weise errichtet worden war, um so wenig Aufmerksamkeit wie möglich zu erregen.

Im weiteren Verlauf der Diskussion über Mobilfunk war dann aber allein schon die Er-

richtung einer Mobilfunksendeanlage - egal, ob es sich um einen Betonturm handelte

oder um eine Sendeanlage, die auf einem hohen Gebäude aufgestellt wurde - Anlaß für

Proteste.

Es ist nicht verwunderlich, daß überhaupt Konflikte um die Sendeanlagen entstanden

98

sind, die im Rahmen des Aufbaus der D-Mobilfunknetze neu errichtet wurden. Zum

einen ist die Öffentlichkeit heutzutage sehr sensibel gegenüber Gesundheits- und

Umweltgefahren, die mit der Nutzung von Technologien verbunden sein können. Zum

anderen sind Bürger auch sehr viel mehr als früher dazu bereit, sich gegen die

Errichtung von technischen Anlagen in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft zur Wehr zu

setzen.

An der großen Anzahl der Konflikte, die um Mobilfunksendeanlagen entstanden sind,

und an dem Verlauf, den viele dieser Konflikte genommen haben, haben aber auch die

Betreiberfirmen der beiden D-Mobilfunknetze Mitschuld. Sie haben es versäumt,

angemessen auf die ersten Konflikte um Mobilfunksendeanlagen zu reagieren, und

haben so zu einer Eskalation dieser Konflikte beigetragen. Zum einen wurde unzurei-

chend über die technischen Details der zu errichtenden Sendeanlagen und über den

Kenntnisstand zu möglichen Gesundheitsgefahren informiert. Anwohner hatten

teilweise große Probleme - vor allem bei Mobilfunksendeanlagen des D1-Netzes -,

überhaupt einen Ansprechpartner zu finden, der ihnen zu diesen Punkten Auskunft

erteilte. Wenn Anwohner Informationen erhielten, waren diese aber entweder wider-

sprüchlich, zu wenig detailliert oder sogar fehlerhaft. Durch diese unzureichende

Information wurden Befürchtungen der Anwohner, daß von den Sendeanlagen Ge-

sundheitsgefahren ausgehen, nur verstärkt. Zum anderen hat vor allem die Telekom

unter Ausnutzung ihrer hoheitlichen Rechte lokale politische Entscheidungsgremien

oder Behörden bei vielen Standortentscheidungen nicht mit einbezogen oder gar

informiert. Sie war oft auch nicht bereit, bei umstrittenen Standorten über eine Stand-

ortverlegung zu verhandeln. Diese unflexible Haltung führte zu einer Verhärtung der

Fronten zwischen Betreiber und protestierenden Anwohnern.

Aufgrund dieser ersten Konflikte bildeten sich einige sehr engagierte Bürgerinitiativen,

deren Aktivitäten großen Anteil daran hatten, daß wie ein Lauffeuer weitere Konflikte

um Mobilfunksendeanlagen entstanden. Zum einen haben diese Bürgerinitiativen die

Bildung anderer Bürgerinitiativen - vor allem in ihrem regionalen Umfeld - tatkräftig

unterstützt. (Dadurch erklärt sich auch die Anhäufung von Konflikten in bestimmten

Regionen). Zum anderen wurden sie aufgrund des - zumindest zeitweiligen - Erfolges

ihrer Aktivitäten zum Vorbild für protestierende Anwohner im ganzen Bundesgebiet.

99

Die von ihnen erwirkten Baustopps hatten großen Anteil daran, daß an anderen Orten

ebenfalls gegen Mobilfunksendeanlagen protestiert wurde. Auf der einen Seite zeigten

die verhängten Baustopps, daß Proteste gegen Mobilfunksendemasten Erfolg haben

können. Auf der anderen Seite sind die Baustopps von vielen Anwohnern als Beweis

dafür interpretiert worden, daß von Mobilfunksendeanlagen in der Tat eine Gesund-

heitsgefahr ausgeht.

Die Anwohner haben für ihre Proteste gegen Mobilfunksendeanlagen drei wichtige

Motive:

1. Mögliche Gesundheitsgefahren: Die Anwohner befürchten, daß langfristig Schädigun-

gen durch nichtthermische Effekte hervorgerufen werden können, wenn man der

Strahlung der Sendeanlage über einen langen Zeitraum andauernd ausgesetzt ist.

Dabei räumen selbst Mitglieder von Bürgerinitiativen ein, daß es noch nicht bewie-

sen ist, ob solche Gesundheitsgefahren wirklich bestehen. Sie sind davon aber sehr

stark überzeugt.

2. Mangelnde Kontrollierbarkeit: Die Anwohner sehen sich nicht in der Lage, die Sen-

deanlage persönlich kontrollieren zu können. Dies bezieht sich sowohl auf das Aus-

maß an Strahlung, dem die Anwohner ausgesetzt sind, als auch auf Art und Anzahl

der Sendeanlagen, die an diesem Standort in Zukunft aufgestellt werden. Sie

bezweifeln auch, daß eine angemessene Kontrolle der Sendeanlage (z.B. in bezug

auf die Einhaltung der bestehenden Grenzwerte) durch gesellschaftliche In-

stitutionen gewährleistet ist. Dies scheint zum einen ein Gefühl des Ausgeliefertsein

zu erzeugen, daß indirekt die Befürchtungen, daß Gesundheitsgefahren bestehen,

noch verstärkt. Zum anderen erzeugt die mangelnde Kontrollierbarkeit ein Gefühl

von Empörung darüber, daß die Betreiber der Mobilfunknetze ihre Sendeanlagen

aufstellen können, ohne daß die Anwohner darauf Einfluß nehmen können.

3. Unausgewogene Kosten-Nutzen-Verteilung: Die Anwohner empfinden die Verteilung

von Kosten und Nutzen, die mit der Sendeanlage verbunden sind, als unaus-

gewogen: Sie allein haben die Kosten der Mobilfunksendeanlage in Form von mög-

lichen Gesundheitsgefahren zu tragen, während sie keinen Nutzen davon haben, da

sie kein Mobilfunktelefon benutzen. Sie bezweifeln auch allgemein den Nutzen von

Mobilfunktelefonen und vermuten, daß Besitzer von Mobilfunktelefonen diese nur

wegen seines Prestiges benutzen und nicht, weil sie es wirklich brauchen. Es wird

100

weiterhin vermutet, daß die Nutzer von Mobilfunktelefonen eher besser gestellten

sozialen Schichten angehören. Infolgedessen besteht bei den Anwohnern keine

Bereitschaft, mögliche Gesundheitsgefahren durch Mobilfunksendeanlagen zu

ertragen, damit Personen ein Mobilfunktelefon benutzen können, die sowieso schon

sozial besser gestellt sind als die Anwohner selbst.

Aus diesen Gründen fordern die Bürgerinitiativen einen völligen Gefahrenausschluß: Es

reicht ihnen nicht aus, daß bisher nicht nachgewiesen wurde, daß von Mobilfunksende-

anlagen Gesundheitsgefahren ausgehen. Sie fordern, daß die Betreiber dieser

Sendeanlagen beweisen müssen, daß von diesen auch in Zukunft keinerlei Gesund-

heitsgefahren für die Anwohner ausgehen werden. Erst dann sollen diese Sendeanlagen

betrieben werden können. Nach Ansicht der Bürgerinitiativen gibt es zur Zeit zahlreiche

Hinweise auf mögliche Gesundheitsgefahren. Deshalb fordern sie die sofortige Ab-

schaltung der Sendeanlagen, bis die gesundheitliche Relevanz dieser Hinweise durch

gründliche und unabhängige Untersuchungen geprüft worden ist.

Die Betreiber der Mobilfunknetze entgegnen jedoch, daß sie einen Gefahrenausschluß

nicht zusichern können, da es prinzipiell unmöglich ist, ein für allemal jede Gesundheits-

gefahr auszuschließen. Entsprechende Forderungen werden als unrealistischer Wunsch

nach einem Nullrisiko angesehen. Sie betonen im Gegenzug, daß es bei jeder

Technologie ein Restrisiko gibt, das man in Kauf nehmen muß, wenn man den

technischen Fortschritt nutzen will.

Bezüglich hochfrequenter EMF fordern Bürgerinitiativen vor allem die Erforschung von

möglichen Einwirkungen der niederfrequent gepulsten HF-Strahlung, die bei den D-

Netzen verwendet wird, auf die menschlichen Hirnströme. Als weiterer Forschungs-

schwerpunkt wird die Untersuchung von anderen sogenannten nichtthermischen

Effekten (z.B. Einfluß von EMF auf den Transport von Calziumionen durch Zell-

membranen hindurch) gefordert. Dabei wird die Erforschung möglicher Schäden, die

durch eine lang andauernde Exposition von - wenn auch schwacher - HF-Strahlung

verursacht werden können, für besonders wichtig gehalten. Denn eine solche Exposition

liegt bei Anwohnern von Mobilfunksendeanlagen vor. Bürgerinitiativen fordern jedoch

eine unabhängige Forschung, die nur durch staatliche Stellen gefördert werden soll. Sie

101

lehnen eine Forschungsförderung durch Industrieunternehmen ab, weil sie befürchten,

daß eine solcherart geförderte Forschung auf die Interessen ihrer Geldgeber Rücksicht

nehmen wird.

Die Bereitschaft von Bürgerinitiativen, mit den Betreibern der Mobilfunknetze oder der

Forschungsgemeinschaft Funk einen Dialog einzugehen, um den Umgang mit EMF-

Gefahren zu diskutieren, ist sehr gering. Dies wird schon allein aus der Tatsache

deutlich, daß mehrere Bürgerinitiativen es ablehnten, im Rahmen dieses Forschungs-

projekts mit Mitarbeitern der Programmgruppe MUT zu sprechen. Teilweise wird als

Voraussetzung für das Eingehen eines Dialogs die Abschaltung der D-Mobilfunknetze

gefordert. Für die geringe Dialogbereitschaft der Bürgerinitiativen gibt es im wesentli-

chen drei Gründe:

1. Ein Dialog wird für sinnlos gehalten, da den Betreibern der Mobilfunknetze die

Forderungen der Bürgerinitiativen - Abschaltung der Mobilfunknetze und gründ-

liche, unabhängige Forschungen zu möglichen Gesundheitsgefahren durch hoch-

frequente EMF - bekannt seien und die Bürgerinitiativen auf der Erfüllung dieser

Forderungen bestehen.

2. Viele Bürgerinitiativen haben aus ihrer Sicht sehr schlechte Erfahrungen mit den

Betreibern der Mobilfunknetze gemacht. Sie fühlen sich von diesen schlecht infor-

miert, übergangen und nicht ernstgenommen. Wenn überhaupt Gespräche zwischen

Mitarbeitern der Betreiberfirmen und Vertretern von Bürgerinitiativen stattfanden,

wurde in diesen nie auf die Forderungen der Bürgerinitiativen eingegangen, sondern

nur versucht, Bedenken gegenüber Mobilfunk auszureden.

3. Es wird unterstellt, daß die Betreiberunternehmen oder die Forschungsgemeinschaft

Funk sowieso nur zeigen wollen, daß durch Mobilfunk keine Gesundheitsgefahren

bestehen.

102

Teil III: Szenario-Konstruktion

'Entwicklung der EMF-Risikokontroverse'

1. EinführungDie bisherige Analyse (Teil 1) zeigt, daß die nichtstandpunktverpflichteten Gruppen -

und damit die Mehrheit - gegenüber EMF-Risiken ambivalent eingestellt sind. Das

Wissen über EMF ist undeutlich und damit auch die Risikowahrnehmung. Im Unter-

schied zu anderen Risikoquellen wie Gentechnik oder Kerntechnik sind bei der

nichtinvolvierten Öffentlichkeit keine fest fixierten Einstellungen anzutreffen. Die

vorhandenen Einstellungen sind flüchtig; vielfach werden die Bewertungen der EMF-

Risiken ad hoc konstruiert und bleiben vage. Dabei spielt der Gesprächskontext eine

wichtige Rolle: Die unmittelbar vorgetragenen Argumente und Auffassungen wirken auf

die vorhandene Bewertung ein. Letztlich dominieren Vermutungen und die vorhandenen

Unsicherheiten lösen sich nicht auf. Das macht auch die relative Bewertung von EMF

gegenüber anderen Risikoquellen schwierig.

Diese kognitiven und interaktiven Besonderheiten der gegenwärtigen Risikodiskussion

über EMF weist darauf hin, daß die künftige Entwicklung der Risikokontroverse um

EMF wesentlich von externen Umständen und Vorfällen abhängig ist. Deshalb wird im

weiteren versucht, solche externen Ereignisse schrittweise zu konkretisieren und in

Szenarien zu fassen. Auf diese Weise soll für kritische Bedingungen und Umstände, die

die weitere Entwicklung der EMF-Debatte beeinflussen können, sensibilisiert werden.

Die Szenariokonstruktion zu der weiteren Risiko-Diskussion über EMF in Deutschland

zielt auf die Beantwortung der folgenden Fragen ab:

• Welche gesellschaftlichen Entwicklungen werden in Zukunft den Rahmen für die Dis-

kussion von EMF-Risiken bilden?

• Wie wird die Risikowahrnehmung im Rahmen des Trend-Szenarios aussehen: (1) Für

Technik im allgemeinen und (2) für den EMF-Bereich im besonderen?

• Welche externen Themen und Probleme bedürfen zukünftig besonderer Beachtung?

103

2. Methode der SzenariokonstruktionSzenarien sind Analysewerkzeuge, mit denen mögliche Zukünfte beschrieben werden

können (VON REIBNITZ 1987). Im Gegensatz zu herkömmlichen Prognoseverfahren

spezifizieren sie Rand- und Rahmenbedingungen für mögliche Entwicklungen und

plausibilisieren diese. Sie basieren auf Expertenwissen, Schätzungen und Annahmen.

Szenarien sind theoretisch geleitete Spekulationen. Das Merkmal, das sie von Prognosen

unterscheidet, ist ihr hypothetischer Charakter. Im Regelfall werden mehrere Zukünfte

ausgewiesen: zwei Extremszenarien und ein Trendszenario.

• Szenarien haben einen hypothetischen Charakter, d.h. sie beschreiben mögliche

zukünftige Entwicklungen oder Zustände.

• Szenarien beschreiben einen Ausgangszustand, der in der Regel in der Gegenwart

liegt, und einen Endzustand für einen gewählten Zeitraum.

• Szenarien bestehen aus Elementen, die - konditional oder kausal verknüpft - zeigen

wie sich aus dem Ausgangszustand der Endzustand ergibt.

• Szenarien haben keinen Wahrheitswert, sondern in erster Linie einen Anregungswert.

Sie dienen der Sensibilisierung für mögliche Zukünfte und der Ableitung von

Gestaltungsaufgaben.

Die Szenariokonstruktion beginnt mit der Beschreibung der Ausgangssituation und der

Ermittlung der relevanten Einflußfaktoren auf eine Zielgröße, zum Beispiel die künftige

Diskussion von Risiken. Im Anschluß daran sind die Trends in Bezug auf die

Einflußfaktoren zu bestimmen und zu projektieren, wie sie die Entwicklung der

Zielgröße beeinflussen können. Schließlich geht es um die Erkundung von zusätzlichen

kritischen Ereignissen, die die Entwicklung der Zielgröße zu beeinflussen vermögen.

Bei der Konstruktion von Szenarien wird hier in vier Schritten vorgegangen. Ausgangs-

punkt bildet dabei die in Teil I beschriebene gegenwärtige Diskussion um EMF-Risiken:

(1) Im ersten Schritt werden die relevanten Einflußfaktoren festgehalten, die den

weiteren Rahmen der gesellschaftlichen Entwikung bilden und die die Auswahl und

Focussierung von Leitthemen der gesellschaftlichen Diskussion beeinflussen

werden. Dabei wird vor allem auf entsprechender soziologischer und politologischer

104

Literatur aufgebaut, die den ablaufenden Umbau unserer Gesellschaft betreffen (z.B.

BECK 1986, LÜBBE 1990, SCHULZE 1992, HORX 1993, STEPHAN 1993).

Dabei werden auch Trends spezifiziert, die die Aufmerksamkeit auf bestimmte Risi-

kothemen lenken. D.h., ob damit eher die Aufmerksamkeit für technische, soziale

oder politische Risiken verstärkt wird. Hierzu wird die Kulturtheorie des Risikos

herangezogen (siehe dazu RAYNER 1993, WILDAVSKY 1993) und drei Szenarien

spezifiziert: Zwei Extremszenarien und ein Trendszenario. Das Trendszenario ist

aus subjektiver Sicht der Autoren der plausibelste Entwicklungspfad.

(2) Der zweite Schritt besteht in der detaillierten Beschreibung des Trendszenarios. Es

geht um die Ermittlung der Auswirkungen des Trendszenarios auf die Wahrneh-

mung und Bewertung von sozialen, politischen und technischen Risiken. Basis ist

die oben genannte Literatur.

(3) Im dritten Schritt wird gezeigt, welche Faktoren die Risikowahrnehmung im Tech-

nik- und speziell im EMF-Bereich - beeinflussen. Dieser Schritt beruht auf der

psychometrischen Risikoforschung (siehe dazu JUNGERMANN & SLOVIC 1993;

WIEDEMANN 1993). Dabei geht es um die Auswirkungen der 'qualitativen' Risi-

kofaktoren auf die Wahrnehmung und Bewertung von Risiken. Diese Faktoren sind

von der psychologischen Risikoforschung ausgewiesen und zeigen, auf was sich

Laien bei der Risikowahrnehmung stützen3. Die qualitativen Risikofaktoren sind

Zuschreibungen zu Risikoquellen, die sich mit der Zeit auch verändern können.

Gesellschaftliche Trends - wie z.B. der Wertewandel - wirken dabei auf die Stärke

der einzelnen qualitativen Risikofaktoren ein.

(4) Schließlich werden im vierten Schritt externe Verstärker ermittelt, die die Wahrneh-

mung und Risikobewertung speziell von EMF erhöhen. Hier handelt es sich um Kri-

senanlässe, die zu einer drastischen Zunahme der Risikowahrnehmung führen 3 Ein Beispiel mag dies verdeutlichen: Autofahrer fürchten das Risiko, Benzoldämpfe beim Tanken ihrer

Fahrzeuge einzuatmen und dadurch Krebs zu bekommen, stärker als das Risiko, beim Fahren zuverunglücken. Und das, obwohl das Unfallrisiko weit höher ist. Zum einen spielt dabei der Faktor'Schrecklichkeit' - eben die Assoziation mit einer Krebserkrankung - eine Rolle. Zum anderen spielen dieFaktoren 'Freiwilligkeit' der Risikoübernahme und der Faktor 'Kontrollierbarkeit' eine Rolle, die in Bezugdas Risiko des Autofahrens angenommen werden.

105

können. Dieser Schritt beruht auf systematisch gelenkter Intuition.

3. Szenarien im ÜberblickBei der Analyse von Trends, die sich auf die Risikodiskussion in Deutschland auswirken

können, werden 7 Einflußfaktoren betrachtet: Werte, Medien, Soziales, Demographie,

Politischer Kontext, Wissenschaft und Technik sowie Wirtschaft. Diese Einflußfaktoren

werden nachstehend in 2 Grundszenarien (Extremszenarien) und einem Trend-Szenario

zusammengefaßt. Dabei wird auch ausgewiesen, welche Risiken gesellschaftlich in den

Vordergrund geraten.

Wirtschaft: Die wirtschaftliche Leistungskraft einer Gesellschaft bestimmt den Risiko-

katalog der öffentlichen Diskussion. Nur reiche Gesellschaften haben die Ressourcen,

um hypothetische Risiken angehen zu können.

Wissenschaft und Technik: Das Innovationstempo von Wissenschaft und Technik

beeinflußt das Sicherheits- und Orientierungswissen einer Gesellschaft. Ein hohes

Tempo führt dazu, daß das vorhandene Wissen immer schneller entwertet wird. Damit

schrumpft auch die Zukunftsgewißheit; anders ausgedrückt: Zukunftsängste nehmen zu.

Andererseits bildet aber Wissenschaft und Technik die Basis der wirtschaftlichen Lei-

stungskraft einer Gesellschaft. Über beide 'Pfade' beeinflussen Wissenschaft und

Technik Risikodiskussionen.

Soziales: Soziale Entwicklungen, Umbrüche und Veränderungen beeinflussen Werte

und Problemsichten in einer Gesellschaft. Mit Anwachsen des Nord-Süd-Konfliktes und

des Zusammenbruchs des Ostblocks ergeben sich neue Konfliktkonturen und Risiko-

sichten.

Demographie: Immer mehr Ältere leben in unserer Gesellschaft. Insbesondere die Zahl

der Hochbetagten (über 80 Jahre) wird weiter zunehmen. Ende 1986 waren bereits 2,1

Mio. Menschen 80 Jahre und älter. Dieser Trend setzt sich fort. Damit entstehen neue

Ansprüche und Forderungen in der gesellschaftlichen Diskussion, ebenso wie neue Kon-

fliktlagen.

106

Politischer Kontext: Die Rolle des Staates und seine Bewertung in der Öffentlichkeit

ist ein wesentlicher Faktor bei und für die gesellschaftliche Diskussion von Risiko-

themen. Ob der Staat als Garant einer ausgleichenden Risikoregulation tätig ist und als

solcher auch wahrgenommen wird, strukturiert die öffentliche Debatte über Risiken in

einer Gesellschaft.

Werte: Der Wertewandel oder besser die Wertepluralisierung ist ein wichtiger, immer

wieder beschriebener Trend in unserer Gesellschaft. In der Gesellschaft zeigt sich eine

Tendenz zur Pluralisierung von Werten. Verschiedene Wertesysteme koexistieren dabei

nebeneinander; Convenience-Orientierung, Anspruchsgesellschaft sowie der Trend zur

aktiven und kritischen Gesellschaft (Umweltbewußtsein und Partizipationsstreben).

Diese Wertetrends beeinflussen die gesellschaftliche Risikodiskussion maßgeblich.

Medien: Die Entwicklung zur Mediengesellschaft ist evident. Die Welt rückt immer nä-

her, wenn auch in einer besonderen medialen Aufbereitung. Die Medialisierung der

Wirklichkeit schreitet fort (POSTMAN 1988). Damit einher geht ein Erfahrungs-

schwund sowie ein Umbau unseres Wirklichkeitssinns.

107

Faktor GrundszenarioTechnikangst-Gesellschaft

GrundszenarioZitadellengesellschaft

Trendszenario Multiple

Risikogesellschaft

Wirtschaft Wirtschaft entwickeltsich positiv

Wirtschaft entwickeltsich negativ

Gewinner und Verlierer-Split

Wissenschaft undTechnik

hohes Entwicklungs-tempo

niedrigesEntwicklungstempo

hohes Entwicklungs-tempo

Soziales Umweltwerte und Erle-bensstille bestimmen ge-sellschaftliche Gruppie-rungen

Einwanderungsland,Kulturelle Spannungen

Spannungen in derTransfergesellschaft überVerteilung des gesell.Einkommens

Demographie Trend zur Überalterung Konflikte zwischen Altund Jung, ZwischenProduktiven und Nicht-produktiven

Trend zur Überalterung

Politischer Kontext Vertrauensverlust in Staattrotz Ausbau des Öko-Staates

Soziale und politischeKonflikte führen zumSicherheitsstaat

Protest und Widerstandist ein charakteristischerZug der Gesellschaft

Werte Gesellschaft bleibt risiko-sensibel für Technik

Rückzug ins Private Wertedissens in derGesellschaft wächst

Medien Infotainment führt zuweiterer Dramatisierungvon technischen Risiken

Medien konzentrierensich auf Ökonomie undWohlfahrtsversagen

Infotainment führt zurVerstärkung vorhandenerVorbehalte und Ein-stellungen

Tabelle 1: Grundszenarien und Trendszenario

Grundszenario A: 'Technikangst-Gesellschaft'

Die weitere wirtschaftliche Entwicklung ermöglicht eine stärkere oder zumindest gleich-

bleibende Gewichtung von Umwelt- und Gesundheitsproblemen. Damit bleibt die

Risikodiskussion virulent. Technologien wie Gentechnik und Kernkraft, aber auch

andere Felder (Chemie, Pharmazie) stehen im Mittelpunkt der Risikodebatte. Das

Diskussionsfeld weitet sich aus: Textilien, Tourismusindustrie, Versicherungswirtschaft

und Lebensmittelbranche geraten immer stärker in die Risikodebatte. Die Medien setzen

weiterhin auf Dramatisierung - Risikokommunikation bleibt ein bestimmender Diskus-

sionsstrang in der Öffentlichkeit. Schon geringe Anlässe genügen, um Produkte, Produk-

tionsanlagen und Unternehmen in 'negative' Schlagzeilen zu bringen. Der Branchen-

transfer von Risikokontroversen entwickelt sich weiter.

108

Die 'Me First'-Orientierung (d.h. der gesellschaftliche Egoismus), die Dominanz von

Umweltbewußtsein und die Entwicklung zur kritischen Gesellschaft führen dazu, daß

technische Anlagen nur noch gegen Widerstände durchzusetzen sind. Die Ansprüche

gegenüber Unternehmen weiten sich aus. Dies drückt sich vor allem in der Verantwor-

tungszuschreibung aus. Was traditionell in der Verantwortlichkeit des Bürgers war (z.B.

Konsumgütergebrauch oder auch die Verkehrsmittelwahl) wird immer öfter der

Verantwortlichkeit der Unternehmen zugerechnet. Der Staat schafft immer neue

Rahmenbedingungen, die Unternehmen zusätzliche Verpflichtungen auferlegen.

Umwelt-Gesetze und Auflagen verschärfen sich (Öko-Staat). Dabei werden neben Ge-

sundheits- und Umweltrisiken auch Sozialverträglichkeitsrisiken thematisiert. Nicht nur

Qualität und Quantität von umwelt- und technikbezogenen Ansprüchen ändern sich,

sondern auch deren Materialität: Die Art und Weise, wie diese vorgetragen, eingeklagt

oder durchgesetzt werden, vollzieht sich auf neue Weise: Ansprüche werden immer

mehr zu Forderungen. Moral wird zur Waffe. Gegenüber diesen Forderungen bleibt die

staatliche Umweltpolitik immer zurück. Damit verliert der Staat als Regelungsinstanz an

Bedeutung. Das Vertrauen in ihn schwindet. Außerdem machen der wachsende Wissen-

schaftsskeptizismus und das schwindende Vertrauen Aufklärung und das Berufen auf

die 'richtigen' Experten immer schwerer.

Grundszenario B: 'Zitadellengesellschaft'

Die internationale Arbeitsteilung schreitet fort. Schwellenländer drängen mit Erfolg

auch in den High Tech Bereich. Damit gehen in Deutschland immer mehr Arbeitsplätze

verloren. Die wirtschaftliche Situation in Deutschland verschlechtert sich. Ar-

beitsplatzsicherheit wird zum Thema Nr. 1. Außerdem kommt es zu einer Verschärfung

von Gegensätzen zwischen den 'produktiven' und den 'unproduktiven' Teilen der Gesell-

schaft. Dieser Konflikt, der sich als Verteilungskampf äußert, wird von kulturellen

Spannungen und Konflikten im Einwanderungsland Deutschland überlagert, die seitens

des Staates nicht mehr bewältigt werden. Der Umbau zum Sicherheitsstaat schreitet

voran. Die Medien widmen sich stärker den sozialen und politischen Spannungen. Nicht

mehr technische, sondern soziale und politische Risiken stehen im Mittelpunkt der Auf-

merksamkeit: Es geht um Kriminalität, organisiertes Verbrechen, Armut versus Reich-

tum, ethnische Konflikte sowie Konflikte zwischen Alt und Jung. Die Technikdiskus-

sion verändert sich von der Risikodiskussion hin zur Diskussion der Sicherung der Lei-

109

stungsfähigkeit des Sozial- und Wohlfahrtsstaates. Technik erscheint dabei nicht mehr

nur als Risiko, sondern auch als Chance. An die Stelle des gesellschaftlichen

Engagements tritt der Rückzug in das Private.

Trendszenario: 'Multiple Risikogesellschaft'

Die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland splittet sich. Es gibt sowohl Gewinner

als auch Verlierer-Branchen. Die Kostenproblematik des Standortes Deutschland und

die Internationalisierung der Konkurrenz schlägt durch. Die permanente Verschlankung

der Unternehmen koppelt Teile der produktiven Bevölkerung vom Arbeitsmarkt und

damit vom Erwerbsleben ab. Damit verändert sich der klassische Wohlfahrtsstaat: Der

Gesellschaftsvertrag des 'Immer mehr' und 'Immer Besser' wird brüchig. Die Bevölke-

rungsgruppen, die weiter am Erwerbsleben teilhaben und die Produktivität der

Gesellschaft bestimmen, unterscheiden sich immer stärker von den Transferempfängern

in der Gesellschaft. Die Auseinandersetzung um den Transfer von den 'Produktiven' hin

zu den 'Nichtproduktiven' ist der dominante gesellschaftliche Konflikt. Damit steht auch

das Gut 'innere Sicherheit' beziehungsweise 'innerer Friede' im Mittelpunkt der

gesellschaftlichen Auseinandersetzung.

In den produktiven Teilen der Gesellschaft, die am Erwerbsleben teilhaben, wachsen die

Ansprüche weiter. Hier dominieren Sicherheits- und Besitzdenken. Materielle Werte

paaren sich hier mit Fortschritts- und Wissenschaftsskeptizismus. Eskapistische

Tendenzen, New Age und Esoterik gewinnen an Bedeutung.

Die aus dem produktiven Sektor ausgegrenzten Teile der Bevölkerung fallen weitgehend

aus dem öffentlichen Bewußtsein (genauer: veröffentlichtes Bewußtsein) heraus. Sie

finden kaum Beachtung. Die Entsolidarisierung in der Gesellschaft wächst. Das

Bewußtsein der ausgegrenzten Bevölkerungsgruppen wechselt zwischen Fatalismus und

Aggressivität. Zielscheibe sind sowohl der Staat, der soziale Gleichheit bzw. Ausgleich

nicht mehr garantieren kann, als auch alle, die im produktiven Teil der Gesellschaft

verblieben sind. Damit bleiben auch Unternehmen Projektionsfläche von Kritik und

Protest.

Allerdings bleibt in produktiven Teilen der Gesellschaft die Frage der Umwelt- und Ge-

110

sundheitsrisiken relevant. Andere Gruppierungen der Gesellschaft nutzen diese

Diskussion immer dann, wenn sie damit eigene Ziele (etwa nach finanziellen Kom-

pensationen) befördern können (siehe dazu genauer im nächsten Absatz).

4. Risikowahrnehmung von Technik im Trendszenario 'Multiple

Risikogesellschaft'

Die 'Multiple Risikogesellschaft' richtet ihre Aufmerksamkeit auf eine Vielzahl von

Risiken: Sowohl soziale, politische als auch technische Risiken sind Gegenstand der

öffentlichen Aufmerksamkeit (siehe Tabelle 2). Das Risikobewußtsein 'vagabundiert' auf

dem Hintergrund einer allgemeinen Bedrohungs- und Gefährdungswahrnehmung.

'Nervöse Spannungen' kennzeichnen die Einstellung des Einzelnen zu seiner Umwelt.

Vor allem aber ist das Risikobewußtsein uneinheitlich: Stärker als heute finden sich

beträchtliche Unterschiede zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen. Nur

durch Überspitzung und Dramatisierung vermögen die Medien noch gesellschaftliche

Aufmerksamkeit zu binden.

111

Einflußfaktor Trend Auswirkung aufRisikowahrnehmung

Wirtschaft Split zwischen Gewinnern und Verlierern heterogenes Risikobewußtsein in derGesellschaft

Wissenschaft undTechnik

Erfahrungsverlust der Öffentlichkeit auf-grund des hohen Entwicklungstempos

heterogenes Risikobewußtsein in derGesellschaft

Politischer Kontext Protest und Widerstand ist ein charakte-ristischer Zug der Gesellschaft

Konflikt um Transfer zwischen Produktivenund den von der Produktivität Aus-gegrenzten ist bestimmend.

Konflikte um Risiken werden ag-gressiver ausgetragen

Demographie Zuwanderung nimmt zu, Überalterung,Single-Haushalte sind dominant

Abschwächung der Risikowahrnehmungvon Technik zugunsten der sozialen undkulturellen Risiken

.Soziales Soziale Spannungen zwischen den verschie-denen Teilen der Gesellschaft wachsen

Der dominante ökonomische Transfer-konflikt verstärkt die Wahrnehmungsozialer und politischer Risiken

Werte Wertedissens in der Gesellschaft wächst'Me first'-Einstellung und Konsumorien-tiertes Genußstreben bei den 'Produktiven'

Fatalismus und Aggressivität bei den ausdem Erwerbsleben Ausgegrenzten

Technische Risiken werden fokussiert,wenn eigene Betroffenheit vorliegt

Medien Konkurrenz unter den Medien führt zu einerstärkeren Infotainment-Ausrichtung

Interaktive und selektive Mediennutzungsetzt sich durch, damit verstärken Medienzunehmend bereits bestehende Auf-fassungen und Überzeugungen

Verstärkung der Risikowahrnehmungwegen der Dramatisierung von Risikendurch die Medien

Tabelle 2: Risikowahrnehmung im Szenario 'Multiple-Risikogesellschaft'

Technische Risiken werden vor allem dann thematisiert, wenn sie das soziale Un-

gleichgewicht in der Gesellschaft verstärken (z.B. Job-Killer-Argument). Und sie

gewinnen dann an Bedeutung, wenn sie die 'Produktiven' treffen, d.h. die, die über

Arbeit, Kapital und Einkommen verfügen. Treffen solche technischen Risikopotentiale,

auch wenn sie nur vermutet werden (hypothetische Risiken), die produktiven Bevölke-

rungsschichten, so gewinnen sie an medialer und gesellschaftlicher Aufmerksamkeit.

Im Kampf um die knappe Ressource 'mediale und gesellschaftliche Aufmerksamkeit'

112

bestimmen nicht gesellschaftliche Anspruchsgruppen klassischer Prägung, sondern

kleine schlagkräftige Lobbies, die an die Werte und Interessen der produktiven Eliten

anknüpfen, öffentliche Debatten und Kontroversen.

Das Vertrauen in den Staat als Risikoregulator bzw. Sicherheitsgarant sinkt weiter.

Naturwissenschaft als Lösungsgarant von Risikokonflikten verliert an Bedeutung. Zum

einen wird die Kluft zwischen Naturwissenschaft und Alltagswissen immer größer. Zum

anderen verliert das naturwissenschaftliche Paradigma an Akzeptanz in der Bevölkerung

(Trend zu Esoterik, New Age und Wissenschaftsskeptizismus). Die Öffentlichkeit

versteht die Wissenschaft nicht mehr.

5. Selektive Verstärkung von qualitativen Risikofaktoren bei der

Risikowahrnehmung und -bewertung von TechnikWie bereits angemerkt (siehe Fußnote 3, Teil III) bewerten Laien Risiken nach einer

anderen Logik. Während Experten gleichgewichtig Schadenshöhe und Schadens-

wahrscheinlichkeit betrachten, gehen Laien gemäß ihres 'intuitiven Risikokonzepts' vor

(vgl. JUNGERMANN & SLOVIC 1993). Sie orientieren sich neben dem Schaden und

der Wahrscheinlichkeit auch an der Schadensverteilung sowie an Eigenschaften der

Risikoquelle, des Risikomanagements und der vom Risiko Betroffenen. Die wichtigsten

dieser qualitativen Risikofaktoren sind Freiwilligkeit, Kontrollierbarkeit, Katastrophen-

potential, Schrecklichkeit, Betroffenheit, Wahrnehmbarkeit, Bekanntheit/Vertrautheit

und Nutzen.

113

qualitative Faktoren der Ri-sikobewertung bei Technik

Wirkung: Risiko hoch, wenn zukünftige Bedeutung desFaktors für die Risikowahr-nehmung

Freiwilligkeit Risikoübernahme unfreiwillig bleibt relevant

Kontrollierbarkeit geringe Kontrollierbarkeit der Risi-koquelle

Bedeutung nimmt bei denProduktiven zu

Katastrophenpotential Katastrophenpotential hoch bleibt relevant

Vertrautheit geringe Vertrautheit mit der Risiko-quelle

bleibt relevant

(Un)Bekanntheit kein Wissen über Risiko vorhanden bleibt relevant

Furchterregung Mögliche bzw. angenommene Ver-ursachung von Krebs

bleibt relevant

Vermeidbarkeit/Reduzierbarkeit

technisches Potential zur Risikore-duktion nicht ausgeschöpft

Bedeutung nimmt bei Pro-duktiven zu

Betroffenheit wenn eigene Betroffenheit vorliegt Bedeutung nimmt bei Pro-duktiven zu

Risiko-Nutzen-Verteilung Risiko trifft (auch) andere Personen nimmt ab

Tabelle 3: Qualitative Risikofaktoren

Die Bedeutung von Kontrolle/Kontrollierbarkeit bei den Produktiven macht zudem für

Risiken, die als auferlegt empfunden werden, besonders sensibel. Denn Eigeninitiative

und ein aktiver Gestaltungswille sind wichtige Voraussetzungen, um einen Platz in dem

produktiven Bevölkerungsteil zu finden. Die Vermutung, daß es im Prinzip technische

Mittel gibt, um Risikopotentiale entweder einzugrenzen oder ganz zu eleminieren

(risikofreie Substitute mit den gleichen Nutzeneigenschaften) wächst angesichts der

technischen Entwicklung.

Die 'Me first'-Orientierung verstärkt die Betroffenheit und läßt die Forderung nach der

Null-Risiko-Forderung (jedenfalls für sich und seinesgleichen) zunehmen. Insbesondere

dann, wenn produktive Teile der Bevölkerung sich von möglichen Risikopotentialen be-

troffen sehen, gewinnen Bedenken, Einsprüche und Proteste an Boden. Die Unverständ-

lichkeit technischer Risiken verstärkt die Risikowahrnehmung. Der durch die weitere

schnelle technologische Entwicklung bedingte Erfahrungsverlust führt zu Gefühlen des

Ausgeliefertseins. Persönliche Erfahrungen und Alltagsweisheiten verlieren gegenüber

medienvermitteltem Wissen und Einstellungen an Einfluß bei der Risikoabschätzung.

114

Zudem agieren Medien vielfach nicht als Berichterstatter oder Vermittler technischer

und wissenschaftlicher Informationen, sondern dramatisieren und konstruieren

zunehmend Skandale.

Für den EMF-Bereich Mobilfunk heißt das:

• Die bestehende Unsicherheit in der Öffentlichkeit bleibt. Und sie bleibt ein kritischer

Faktor. Die Unsicherheit in der Öffentlichkeit über das Risikopotential von EMF

läßt sich weder durch Wissenschaft noch durch staatliche Grenzwert-Verordnungen

und Festlegungen auflösen. Paradoxerweise können gerade solche Verordnungen als

(vorläufiger) Beweis für das Risikopotential gewertet werden.

• Die besondere Relevanz von Kontrolle bzw. Kontrollierbarkeit stellt neue technische

Anforderungen an die Mobilfunkgeräte. Gefordert werden 'risikoärmere' Betriebs-

weisen, die zudem dem Nutzer mehr Kontrollmöglichkeiten über Risiko-relevante

Parameter geben (z.B. Feldstärke des Gerätes).

• Der Faktor 'Freiwilligkeit' ist zwar in Bezug auf Mobilfunkgeräte - Stichwort Konsu-

mentensouveränität - gegeben. Jeder kann sich zumindest gegen den Kauf eines sol-

chen Gerätes entscheiden. In erster Näherung ist deshalb 'Unfreiwilligkeit' nur ein

Problem bei der Standortwahl für Sendeanlagen. Hier wird dieser Risikofaktor

weiter greifen, wenn neue Sendeanlagen gebaut werden müssen. Aus der bisherigen

Diskussion um Risiken in anderen Branchen (z.B. Auto, Lebensmittel, Pharmazeuti-

ka) muß jedoch der Schluß gezogen werden, daß die Risikozumutung über die

Kaufentscheidung den Faktor 'Freiwilligkeit' nicht völlig aufhebt. Immer dann,

wenn der Eindruck entsteht, man hätte es nicht gewußt, sei nicht ausreichend infor-

miert worden etc., kommt dieser Faktor wieder ins Spiel. Gerade die Krisen in an-

deren Branchen4 zeugen davon. Hier ist ein Feld für Risikokommunikation: Hin-

weise, Labels etc. (siehe WIEDEMANN & SCHÜTZ 1994).

• Der Faktor Betroffenheit ist insbesondere im Zusammenhang mit der Veränderung der

Alterspyramide und des Einsatzes von mikrotechnischen Implantaten bei Menschen

4 Siehe hier die jüngste Diskussion um die Gesundheitsrisiken von Babynahrung aufgrund von Pestizid-

Rückständen.

115

von Bedeutung. Bereits heute gibt es etwa 200 000 Personen mit Herz-

schrittmachern. Andere Einsatzgebiete für mikrotechnische Implantate bei Alters-

leiden und Funktionsschwächen werden kommen. Damit wird die elektromagneti-

sche Verträglichkeit eine Frage der persönlichen Betroffenheit.

• Das Katastrophenpotential wird bei der Risikodiskussion von Mobilfunk keine

entscheidende Rolle spielen, trotz der Allgegenwertigkeit von EMF. Zu berücksich-

tigen sind jedoch kritische Ereignisse, die ähnlich wie bei der Asbestdiskussion zu

Forderungen nach Sanierungen, Risikoeindämmung und Null-Risiko etc. führen

können.

• Im Hinblick auf den Nutzen-Faktor ist im EMF Bereich gerade die Gleichsetzung

'High Tech = High Prestige' von Bedeutung. Gerade die Teile der Bevölkerung, die

als Transferempfänger von der Nutzung von Mobilfunk ausgegrenzt sind, werden

soziale Aversionen gegen den Prestigeträger 'Mobiltelefon' entwickeln.

• Eine verstärkte Verbindung von Mobilfunk und Yuppie-Kultur in den Medien kann zu

einer Ausgrenzung und Stigmatisierung von Mobilfunkgeräten in Teilen der Bevöl-

kerung führen. Werden Mobilfunkgeräte als unnötiger Luxus angesehen, schwächt

das die Nutzenbewertung und führt damit auch zu einer verstärkten Risi-

kobetrachtung.

6. Kritische Ereignisse für die EMF-RisikodiskussionNicht nur Trends und langfristige Veränderungen der Gesellschaft können die Risikodis-

kussion um EMF beeinflussen. Es sind auch Ereignisse und einzelne Vorfälle, die zu

einer Verstärkung oder Abschwächung der hier beschriebenen künftigen Wahrnehmung

von EMF-Risikopotentialen führen können.

Im Rahmen der 'Multiplen Risikogesellschaft' können folgende Ereignisse die The-

matisierung von EMF-Risiken verstärken. Ihnen sollte deshalb besondere Beachtung

zukommen:

116

• Spektakuläre Schadensfälle: Das Bekanntwerden von Einzelfällen, wo Erkrankungen

oder Umweltschäden auf Mobilfunk zurückgeführt werden. Aber auch

Schadensereignisse im niederfrequenten Bereich schlagen auf den Mobilfunkbereich

durch. Gerade die Unkenntnis über EMF und damit die mangelnde Differen-

zierungsfähigkeit bewirkt, daß auch Schadensfälle aus dem 50 Hz Bereich die

Aufmerksamkeit für Risiken des Mobilfunks wachsen lassen.

• Wissenschaftliche Studien: Hier dominiert besonders das Feststellen des Krebsrisikos,

auch wenn es sich um Dosen handelt, die weit ab vom Normalbetrieb des

Mobilfunks liegen. Gleiches gilt für Studien über Langzeitrisiken der Nutzung des

Mobilfunks mit nichtkanzerogenen Effekten. Sie lenken die Aufmerksamkeit auf

das Risikopotential und werden als Risikobeweis gesehen, unabhängig von den

Expositionsbedingungen. Einmal Risiko immer Risiko. Umgekehrt finden Studien

mit 'No Effect' keine besondere Beachtung.

• Gesetze und Verordnungen: Verordnungen und Maßnahmen im Rahmen der

Gesetzgebung, wie z.B. die Umkehr der Beweislast bei der Haftpflicht, verpflichten

Unternehmen auch bei hypothetischen Risiken zu ökonomisch nicht mehr tragbaren

Vorsorgeleistungen im Rahmen des Risikomanagements. Das kann auch auf den

Mobilfunk hin ausgelegt werden.

• Branchentransfer: In einer Branche, die bislang immer darauf hingewiesen hat, daß

keine Risiken bestehen, muß dann doch zugegeben werden, daß Risiken vorhanden

sind. Dieser Umstand wird auf den EMF Bereich übertragen. Hierbei können auch

Effekte aus fremden Branchen (z.B. der Textilindustrie durchschlagen). Es werden

Alltagsweisheiten und Vorstellungen geprägt, nach dem Motto 'Da sieht man es wie-

der, es ist doch gefährlich.' und 'Was hier möglich war, kann auch beim Mobilfunk

der Fall sein'.

• Semantische Analogien: Besonders kritisch wäre eine Übertragung des Strahlen-

Begriffs auf den EMF-Bereich. Damit würde dann der Weg für die Analogie mit der

Radioaktivität gebahnt und alle Ängste, die gegenüber der Kernkraft vorhanden

sind, übertragen.

117

VI. Empfehlungen und Ausblick

1. EmpfehlungenIm weiteren werden erste Empfehlungen für die Kommunikation zum Thema 'Risikopo-

tentiale von EMF' gegeben. Diese beruhen einerseits auf der vorliegenden Studie, ande-

rerseits auf der in der Programmgruppe MUT vorhandenen allgemeinen Experten-

wissens zur Risikokommunikation5 (z.B. WIEDEMANN 1991, WIEDEMANN 1993,

CLAUS & WIEDEMANN 1994, WIEDEMANN & SCHÜTZ 1994).

Die aufgeführten Kommunikationsempfehlungen sind vorläufig. Sie ermöglichen zwar

eine Orientierung, bedürfen aber der weiteren Abklärung ihrer Voraussetzungen durch

eine repräsentative Untersuchung, die es ermöglicht, die Besonderheiten der Risiko-

wahrnehmung der verschiedenen Zielgruppen genauer zu bestimmen. Außerdem sind

die Empfehlungen im einzelnen noch auszuarbeiten. Auch dazu sind entsprechende

F&E-Projekte durchzuführen.

Bei der Planung von Risikokommunikation ist vor allem die grundsätzliche Differenz

gegenüber der Werbung anzuerkennen. Risikokommunikation hat andere Voraus-

setzungen und Ziele sowie eine andere Logik:

• Risikokommunikation bezieht sich in der Regel auf Themen, die in der Öffentlichkeit

entweder negativ besetzt sind, wo Ängste vorherrschen oder undeutliche

Befürchtungen. Bei der Werbung geht es dagegen eher um die Verstärkung einer an

sich positiven Sicht.

• Risikokommunikation klärt auf und erklärt: Sie bietet Verstehenshilfen für die

Einschätzung von Risiken und bietet Bewertungsperspektiven für Risiken. Im Ver-

gleich dazu versucht Werbung, die Aufmerksamkeit für ein Produkt, die positive

Einstellung zu einem Produkt und die Kaufabsicht der Konsumenten zu verstärken.

• Risikokommunikation ist extrem abhängig von Vertrauen und Glaubwürdigkeit sowie 5 Als Risikokommunikation wird der Austausch von Information über Risiken verstanden. Eingeschlossen

sind alle Aktivitäten des Aufweisens, der Bewertung und des Umgangs mit Risiken.

118

von Vorannahmen über den Sender und über die Absichten, die dem Sender

unterstellt werden. Diese sind im Falle von Werbung meistens keine kritischen

Variablen.

• Risikokommunikation trifft häufig auf ausgeprägte kognitive Differenzen von Sender

und Empfänger. Auf der einen Seite steht die technisch-wissenschaftliche Sicht von

Experten, auf der anderen Seite die intuitive Rationalität von Laien bei der

Wahrnehmung und Beurteilung von Risiken. Solche Rationalitätsunterschiede

spielen bei der Werbung keine Rolle.

• Risikokommunikation kann immer konterkariert werden. Es gibt viele Quellen, die zu

einem Risikothema auch verschiedene und kontroverse Auffassungen verbreiten.

Bei der Werbung ist Verbreitung 'schlechter' oder gegenteiliger Auffassungen nicht

oder kaum der Fall.

Kommunikation über Risiken erfolgt in verschiedenen Situationen bzw. Zusammen-

hängen und mit unterschiedlichen Zielsetzungen. Im wesentlichen lassen sich unter-

scheiden (siehe auch COVELLO et al. 1986 sowie PLOUGH und KRIMSKY 1987 und

RENN 1991, WIEDEMANN und SCHÜTZ 1994):

• Risiko-Information mit dem Ziel, Wissen zu vermitteln und Einstellungen oder Ver-

halten zu Risikoquellen zu verändern;

• Bewertungsperspektiven zur Bezugsetzung von Risiko und Nutzen (bzw. Chancen) zu

offerieren;

• im Schadensfall (bei Katastrophen, Störfällen etc.) zu alarmieren und Verhaltensre-

geln zum Selbstschutz zu vermitteln;

• Konfliktlösungen bei einem Dissens über Risiken zu organisieren.

Risiko-Kommunikation ist jedoch nicht nur auf inhaltliche Ziele ausgerichtet. Wie bei

aller Kommunikation läßt sich auch bei Risikokommunikation neben dem Inhaltsaspekt

immer ein Beziehungsaspekt (d.h. die Rollen der an der Kommunikation Beteiligten)

und ein Handlungsaspekt (d.h. die Handlungen, die mit der Kommunikation vollzogen

werden) sowie ein Selbstdarstellungsaspekt unterscheiden.

119

Probleme auf der Inhaltsebene: Risiko-Information ist wissenschaftliche Information.

Sie trifft deshalb oft auf Verstehensbarrieren. Sie erfordert die Anerkennung von Unge-

wißheiten, ein Denken in Wahrscheinlichkeiten sowie die Beachtung komplexer Zusam-

menhänge.

Beispiel: Mitunter vermuten Menschen, daß elektromagnetische Felder Stimmungen

und Gefühle von Menschen beeinflussen können. Und sie wissen in der Regel

nicht, wie sich elektrische Felder abschirmen lassen (MORGAN et al. 1990). -

Oder es wird angenommen, daß Röntgenstrahlen auch nach Abschalten des

Röntgengerätes weiter wirksam sind (KEREN & EIJKELHOF 1991).

Probleme auf der Beziehungsebene: Risiko-Information trifft außerdem auf strategi-

sche Zielstellungen und Ausgangslagen sowie unterschiedliche Interessen. Was für den

einen relevant ist, hat für den anderen keine Bedeutung. Und: Vorurteile, Stereotype,

aber auch reale negative Erfahrungen können das Bild vom Kommunikator beim Emp-

fänger prägen. Er kann z.B. versteckte Eigeninteressen, Manipulationsabsichten und

strategische Kommunikation vermuten. Risiko-Information kann so auf Ablehnung,

Mißtrauen oder auf Abwehr stoßen.

Beispiel: Bürger wehren sich u.a gegen die Errichtung von Funksendeanlagen und

gehen dabei davon aus, daß die Planer bzw. künftigen Betreiber mit allen Mitteln

versuchen werden, ihre Anlagen zu errichten. Damit wird in der Aus-

einandersetzung ein Feindbild aufgebaut. Umgekehrt unterstellen Planer oft den

Bürgern eine Irrationalität und Feindseligkeit.

Probleme auf der Handlungsebene: Zweck der Information über Risiken ist die Beein-

flussung von Menschen. Es geht um die Modifikation von Einstellungen, Wissen oder

Verhalten. Ob dies erfolgreich ist, hängt nicht allein vom Kommunikator ab, sondern

auch vom Empfänger: So kann eine Alarmierung in den Wind geschlagen werden; das

Bemühen um Akzeptanz kann zu Ablehnung führen und Entwarnungen im Hinblick auf

vermeintliche Risiken beruhigen nicht, sondern verängstigen.

120

Beispiel: Der Versuch etwa, Elektrosensible davon zu überzeugen, daß sie ihre Be-

findlichkeitsstörungen zu Unrecht mit EMF in Verbindung bringen, hat - un-

abhängig davon, ob dies begründet ist oder nicht - von vornherein wenig Chan-

cen, weil hier subjektiv überzeugende und stabile Kausalattributionen vorliegen.

Probleme auf der Selbstdarstellungsebene: Jeder Risikokommunikator steht vor dem

Problem, seine Botschaften glaubwürdig zu gestalten. Denn davon hängt ab, ob die In-

formationen beim Empfänger Beachtung finden und weiter verarbeitet werden.

Beispiel: In einer Broschüre über die Risiken elektromagnetischer Felder sah es der

Autor als seine Aufgabe an, nicht nur seine Fachkompetenz darzustellen, sondern

auch auf seine Unabhängigkeit von Elektrizitätsunternehmen hinzuweisen. Auf

diese Weise sollte das Bild des glaubhaften Wissenschaftlers vermittelt werden

(MORGAN 1989).

Für die Risikokommunikation im EMF-Bereich stehen inhaltlich vor allem (1) Risiko-

Information, (2) die Bewertungsperspektive zur Bezugsetzung von Risiko und Nutzen

sowie (3) die Organisation von Konfliktlösungen im Vordergrund. Dabei ist davon

auszugehen, daß das EMF-Thema für die Mehrheit der Bevölkerung derzeit kein 'high-

involvement'-Thema ist. Vielmehr ist Unsicherheit über die Risiken das dominierende

Moment. Es gibt jedoch spezifische Gruppen, für die das Thema eine hohe Relevanz hat.

Diese Differenzen sind zu beachten. Weiterhin sind Vertrauens- und Glaubwürdig-

keitsfragen von herausragender Bedeutung. - Denn den Mobilfunk-Unternehmen wird in

der Öffentlichkeit eher Mißtrauen entgegengebracht.

Kommunikative Probleme, die es vorrangig anzugehen gilt, sind:

• das Yuppie-Image von Mobiltelefonen in der Öffentlichkeit,

• die Unkenntnis über EMV6 und EMUV7 bei Betroffenen und Mobilfunkbenutzern,

6 EMV = Elektromagnetische Verträglichkeit. Sie betrifft Störungen von technischen Geräten untereinander

aufgrund der Emission von elektromagnetischen Feldern.

7 EMUV = Elekromagnetische Umweltverträglichkeit. Sie bezeichnet Gesundheitsgefahren, die durch diedirekte Einwirkung von elektromagnetischen Feldern auf den Menschen hervorgerufen werden.

121

• die Konflikte bei der Standortsuche für Mobilfunksendeanlagen,

• der Expertenstreit.

Tabelle 1 zeigt zielgruppenspezifisch, welcher Fokus und welche Kommunikations-

strategie bei der Bearbeitung dieser Probleme zu wählen sind.

Zielgruppe Problemlage Fokus Strategie

breite Öffentlichkeit Yuppie-Image von Mo-biltelefonen.Mobiltelefone werden alsLuxusprodukt gesehen.

Funktionsnutzen deutli-cher für verschiedeneNutzergruppen beschrei-ben. Imagekampagne al-lein ist negativ

Gebrauchswertwerbungfür verschiedene Gruppenherausstellen

Mobilfunknutzer Unkenntnis von EMV-und EMUV-Fragen - Pro-dukthaftungsrecht

Hinweise auf EMV- undEMUV-Probleme

Aufklärung: Produkt-information wie Bei-packzettel bei Medika-menten

Ärzte Risikopotentiale bei Per-sonen mit Herz-schrittmachern und ande-ren mikrotechnischen Im-plantaten

Information über dasEMV- und EMVU-Thema

Fachinformation

Anwohner von geplantenMobilfunksendeanlagen

Konflikte bei der Stand-ortsuche für Mobil-funksendeanlagen

Beziehungsgestaltung beiGenehmigungs-verfahren

Kooperationsangebote

Experten Expertenstreit Konsense und Dissenseabklären

Plattform für Diskus-sionen bieten

Tabelle 1: Kommunikationsraster

Aus Untersuchungen zur Wahrnehmung von Produktrisiken (WIEDEMANN &

SCHÜTZ 1994a) ist bekannt, daß die Akzeptanz von Produkten vom Nettorisiko

abhängt, d.h. von der Differenz vom wahrgenommenen Nutzen und Risiko. In den

Fokusgruppen hatte sich gezeigt, daß der Nutzen von Mobiltelefonen bei den Nicht-

mobiltelefonbesitzern eher als gering eingestuft wird. Es ist deshalb ratsam anstelle von

Imagekampagnen für das Mobiltelefon, klare gruppenspezifische Nutzenbotschaften zu

bringen. Dabei sollte jedoch kein überzogenes Bild vermittelt werden.8 Zum Thema

Risikopotentiale von EMF sollte passiv, d.h. auf Nachfrage informiert werden. 8 Ein Beispiel dafür bietet die Mannesmann Mobilfunk GmbH mit einer Broschüre zu Mobilfunk und Umwelt.

Hier heißt es: "Oder zum Beispiel im Straßenverkehr: "Hier kann durch Stauwarnung der Verkehr sicherer,flüssiger und somit (durch geringen Benzinverbrauch) umweltfreundlicher gemacht werden."

122

Mobilfunknutzer sollten in Grundzügen über EMV und EMUV aufgeklärt werden. Das

Problem betrifft dabei vor allem die Produkthaftpflicht. Danach hat der Hersteller die

Pflicht, in vollem Umfang auf mögliche Risiken seines Produktes hinzuweisen. Miß-

brauchsgefahren sind dabei zu berücksichtigen. Ein Beipackzettel, wie sie bei Arznei-

mittel verwendet werden, wäre hier angezeigt.

Ärzte stellen eine weitere wichtige Zielgruppe dar. Hier geht es sowohl um Personen,

die ihre Beschwerden EMF zuschreiben, als auch potentiell gefährdete Personen mit

elektrotechnischen Körperimplantaten, die bei Ärzten Rat und Hilfe suchen. Dafür sollte

diese Berufsgruppe mit Fachinformationen versorgt werden. Der Aufbau einer Hot-Line,

das Sponsering von Kongressen oder der Aufbau Btx-zugänglicher Datenbanken wären

hierzu geeignete Mittel.

Bei der Planung von Mobilfunksendeanlagen sollte versucht werden, die bestehenden

Konflikte mit den Anwohnern kooperativ zu lösen. Dazu bieten sich Verfahren wie die

Mediation oder andere Formen der Konfliktmittlung und des Bürgerdialogs an. Für

solche Verfahren sind entsprechende Informationsgrundlagen bei den Planern zu

schaffen. Darüber hinaus gilt es, Trainingsmöglichkeiten zu bieten.

Schließlich sollte der Expertenstreit um die Risikopotentiale von EMF und das Risi-

komanagement angegangen werden. Hier empfiehlt sich eine offene und aktive Kom-

munikationsstrategie. Es gilt eine Plattform für Diskussionen und Erörterungen zu

schaffen. Aufgabe wäre es, die Dissense und Konsense im Problemfeld EMF-Risiko-

potentiale klarer zu konturieren und konsensfähige Bewertungskriterien für die Bewer-

tung von Risiken zu erarbeiten.

2. AusblickDie hier vorliegende Studie gibt Einblick in die gegenwärtige Risikodiskussion und -

wahrnehmung im EMF-Bereich. Und sie zeigt auf, welche Trends und welche externen

Ereignisse die weitere Entwicklung der EMF-Risikodiskussion beeinflussen. D.h. sie be-

antwortet im ersten Teil die Fragen: Wie relevant ist das Thema EMF-Risiken in der

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Öffentlichkeit? Was denken Menschen über EMF-Risiken? Welche Einstellungen sind

anzutreffen? Wie verlaufen Meinungsbildungsprozesse? Im zweiten Teil geht es um

Expertensichten und Streitpunkte unter Experten sowie um die speziellen

Konfliktstrukturen bei der Suche für Standorte von Mobilfunksendeanlagen. Im dritten

Teil steht schließlich die Frage im Vordergrund, welche Entwicklung die Ausein-

andersetzung um EMF-Risiken nehmen kann und welche kritischen Ereignisse diese

Entwicklung beeinflussen können. Daraus werden dann erste Konsequenzen für die

Kommunikation mit der Öffentlichkeit abgeleitet. Um jedoch fundierte Kommunika-

tionsstrategien entwikeln und umsetzen zu können, ist eine weitere Absicherung und

Vertiefung der vorliegenden Ergebnisse durch eine repräsentative Studie notwendig.

Auch die Beantwortung der Fragen nach dem zukünftigen Forschungsbedarf aus Sicht

der Gesellschaft ist weiter zu vertiefen. Der von uns vorgeschlagene 'Runde Tisch EMF-

Forschungsfragen' wäre ein geeignetes Instrument, um die Bedingungen, unter denen die

EMF-Forschung in der Öffentlichkeit als glaubwürdig angesehen wird, und die Akzep-

tanz von Grundsätzen des Risikomanagements im EMF-Bereich zu erfassen.

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