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Zeitschrift für Gerontologie und Geriatrie Konflikte, Unmöglichkeiten, Rückzug - Interaktionsmuster psychosomatischer Patienten in stationär-geriatrischer Behandlung --Manuscript Draft-- Manuscript Number: Full Title: Konflikte, Unmöglichkeiten, Rückzug - Interaktionsmuster psychosomatischer Patienten in stationär-geriatrischer Behandlung Article Type: Originalien Section/Category: Sektion II / Geriatrische Medizin Keywords: Alterspsychosomatik, Interaktionsmuster, Szenisches Verstehen, Verstehende Typenbildung, Idealtypen Corresponding Author: Reinhard Lindner, M.D. Medizinisch-Geriatrische Klinik Albertinen-Haus Hamburg, GERMANY Corresponding Author Secondary Information: Corresponding Author's Institution: Medizinisch-Geriatrische Klinik Albertinen-Haus Corresponding Author's Secondary Institution: First Author: Reinhard Lindner, M.D. First Author Secondary Information: All Authors: Reinhard Lindner, M.D. Ronald Foerster, Dipl. Psych. Wolfgang von Renteln-Kruse, Prof. Dr. med. All Authors Secondary Information: Abstract: Hintergrund: Die Zusammenarbeit zwischen Psychosomatik und Geriatrie ist immer noch sporadisch und institutionell selten integriert. Dabei haben beinahe die Hälfte aller klinisch-geriatrischen Patienten psychopathologische Symptome von Krankheitswert. Interaktionsmuster von Patienten und Professionellen des geriatrischen Teams, die zur Hinzuziehung eines psychosomatischen Konsiliars führen, sind immer noch wenig bekannt. Ziel der Arbeit ist die Identifikation derartiger Beziehungsmuster, die sich dann auch in der Interaktion mit dem Psychosomatiker wiederholen können. Material und Methoden: Die Konsilprotokolle von 76 klinisch-geriatrischen Patienten, die im Laufe eines Jahres psychosomatisch behandelt wurden, dienen als Basisdaten für die Entwicklung von Interaktionstypen. mittels der systematischen, qualitativen Methode der Verstehenden Typenbildung. Ergebnisse: Drei Gruppen von insgesamt 11 Interaktionstypen konnten gebildet werden: (1) „Konflikthaftes Miteinander" mit Patienten, die ihre innere Konfliktlage (z.B. um Autonomie oder Macht und Unterwerfung) inszenieren, (2) „Das Problem kann nicht verhandelt werden" mit Patienten, die das psychische Problem vergessen, verleugnen oder anderweitig verdrängen und (3) „Kontaktvermeidung" mit Patienten, die sich in verschiedenen Formen des psychosozialen Rückzugs befinden. Schlussfolgerung: Die differenzierte Wahrnehmung von psychischen Problemen geriatrischer Patienten im Kontakt mit den Professionellen ermöglicht die Kontaktaufnahme eines psychosomatischen Konsiliars zu weiterer Diagnostik und Behandlung. Suggested Reviewers: Martin Teising, Prof. Dr. phil. University Professor [email protected] Führender Kenner alterspsychotherapeutischer und alterspsychosomatischer Themen, einschließlich psychoanalytischer Psychotherapie Älterer und der angewandten Powered by Editorial Manager® and Preprint Manager® from Aries Systems Corporation

Interaction patterns psychosomatic patients in geriatric medicine

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Zeitschrift für Gerontologie und Geriatrie

Konflikte, Unmöglichkeiten, Rückzug - Interaktionsmuster psychosomatischerPatienten in stationär-geriatrischer Behandlung

--Manuscript Draft--

Manuscript Number:

Full Title: Konflikte, Unmöglichkeiten, Rückzug - Interaktionsmuster psychosomatischerPatienten in stationär-geriatrischer Behandlung

Article Type: Originalien

Section/Category: Sektion II / Geriatrische Medizin

Keywords: Alterspsychosomatik, Interaktionsmuster, Szenisches Verstehen, VerstehendeTypenbildung, Idealtypen

Corresponding Author: Reinhard Lindner, M.D.Medizinisch-Geriatrische Klinik Albertinen-HausHamburg, GERMANY

Corresponding Author SecondaryInformation:

Corresponding Author's Institution: Medizinisch-Geriatrische Klinik Albertinen-Haus

Corresponding Author's SecondaryInstitution:

First Author: Reinhard Lindner, M.D.

First Author Secondary Information:

All Authors: Reinhard Lindner, M.D.

Ronald Foerster, Dipl. Psych.

Wolfgang von Renteln-Kruse, Prof. Dr. med.

All Authors Secondary Information:

Abstract: Hintergrund: Die Zusammenarbeit zwischen Psychosomatik und Geriatrie ist immernoch sporadisch und institutionell selten integriert. Dabei haben beinahe die Hälftealler klinisch-geriatrischen Patienten psychopathologische Symptome vonKrankheitswert. Interaktionsmuster von Patienten und Professionellen desgeriatrischen Teams, die zur Hinzuziehung eines psychosomatischen Konsiliarsführen, sind immer noch wenig bekannt. Ziel der Arbeit ist die Identifikation derartigerBeziehungsmuster, die sich dann auch in der Interaktion mit dem Psychosomatikerwiederholen können.Material und Methoden: Die Konsilprotokolle von 76 klinisch-geriatrischen Patienten,die im Laufe eines Jahres psychosomatisch behandelt wurden, dienen als Basisdatenfür die Entwicklung von Interaktionstypen. mittels der systematischen, qualitativenMethode der Verstehenden Typenbildung.Ergebnisse: Drei Gruppen von insgesamt 11 Interaktionstypen konnten gebildetwerden: (1) „Konflikthaftes Miteinander" mit Patienten, die ihre innere Konfliktlage (z.B.um Autonomie oder Macht und Unterwerfung) inszenieren, (2) „Das Problem kannnicht verhandelt werden" mit Patienten, die das psychische Problem vergessen,verleugnen oder anderweitig verdrängen und (3) „Kontaktvermeidung" mit Patienten,die sich in verschiedenen Formen des psychosozialen Rückzugs befinden.Schlussfolgerung: Die differenzierte Wahrnehmung von psychischen Problemengeriatrischer Patienten im Kontakt mit den Professionellen ermöglicht dieKontaktaufnahme eines psychosomatischen Konsiliars zu weiterer Diagnostik undBehandlung.

Suggested Reviewers: Martin Teising, Prof. Dr. phil.University [email protected]ührender Kenner alterspsychotherapeutischer und alterspsychosomatischer Themen,einschließlich psychoanalytischer Psychotherapie Älterer und der angewandten

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einschließlich psychoanalytischer Psychotherapie Älterer und der angewandtenMethodik

Rolf Dieter [email protected]. Beirat ZGG. Psychogeriater und Gerontopsychiater

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Konflikte, Unmöglichkeiten, Rückzug - Interaktionsmuster psychosomatischer Patienten in stationär-geriatrischer Behandlung.

Conflicts, Impossibilities, Retreat – Interaction Patterns of Psychosomatic Patients in

geriatric inpatient treatment

Reinhard Lindner (1,2), Ronald Foerster (1,2), Wolfgang von Renteln-Kruse (2,3)

Korrespondenzautor PD Dr. med. Reinhard Lindner (1) Medizinisch-Geriatrische Klinik, Albertinen-Haus, Zentrum für Geriatrie und Gerontologie, Wissenschaftliche einrichtung an der Universität Hamburg Sellhopsweg 18-22 20257 Hamburg Tel.: 040 4481 4855 (2) Therapie-Zentrum für Suizidgefährdete Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf Martinistr. 52 20246 Hamburg Tel.: 040 741054112 Fax: 040 741054949 Email: [email protected] (3) Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf Martinistr. 52 20246 Hamburg

*Title Page

Patienten (N=76) (%)

Geschlecht Männlich 14 (18,4)

Weiblich 62 (81,6)

Alter 60 - 69 9 (11,8)

70 - 79 31 (40,8)

80 - 89 32 (42,1)

> 90 4 (5,3)

Familienstand verheiratet 23 (30,3)

ledig 7 (9,2)

geschieden 9 (11,8)

verwitwet 37 (48,7)

Wohnung allein 33 (43,4)

Mit Angehörigen/Partner 27 (35,5)

Heim/betr. Wohnen 11 (14,5)

Haupterkrankung (Mehrf.) Herz 14 (18,4)

Magen/Darm 5 (6,6)

Lunge 11 (11,5)

Hirn 9 (11,5)

Unfall 28 (36,8)

Schmerz 38 (50,0)

Anderes 20 (29,0)

Suizidalität/Lebensmüdigkeit Lebensmüde 6 (7,9)

Distanziert 1 (1,3)

Latent 7 (9,2)

Akut 0 (0)

Nicht gefragt 3 (3,9)

Barthel-Index Anfang Mittel 46,3

Entlassung Mittel 62,8

Timed-up-and-go Anfang Mittel 27,0

Entlassung Mittel 28,9

Mini-Mental-State Entlassung Mittel 26,0

Pflegestufe keine 48 (63,2)

1 18 (23,7)

2 9 (11,8)

3 1 (1,3)

Empfehlung im Konsil im Arztbrief

Medikamente 45 (59,2) 34 (44,7)

Umgang 30 (39,5) 4 (5,3)

Table

Psychotherapie/Beratung ambulant

33 (43,4) 22 (28,9)

Psychotherapie stationär 4 (5,3) 3 (3,9)

Psychotherapie durchgeführt

5 (6,6)

Tab. 1. Psychosoziale Basisdaten der Untersuchungsgruppe

Idealtypische Gruppe Idealtypen Anzahl der Patienten

Konflikthaftes Miteinander Aus mir kommt was raus, halte mich aus, rette mich

15

Mach mich schnell gesund, ich darf nicht schwach sein

2

Kontrolle der Anderen, um nicht hilflos zu sein

5

Ich brauche Andere, aber ich kann die Auslieferung an sie nicht ertragen

12

Das Problem kann nicht verhandelt werden

Ich schreie um Hilfe, aber Hilfe wird mir wieder schaden

5

Mir geht es doch gut 2 Wer hat denn hier ein

psychisches Problem? 8

Kontaktvermeidung Verloren 4 Die Patientin passt hier nicht

her 3

Überforderung bewirkt ärgerliche Reaktion

7

Enttäuschung im Kontakt 10 Nicht zuzuordnen 1

Tab. 2. Häufigkeit der Idealtypen in der Stichprobe (Mehrfachzuordnung möglich)

Table

Zusammenfassung Hintergrund: Die Zusammenarbeit zwischen Psychosomatik und Geriatrie ist immer noch sporadisch und institutionell selten integriert. Dabei haben beinahe die Hälfte aller klinisch-geriatrischen Patienten psychopathologische Symptome von Krankheitswert. Interaktionsmuster von Patienten und Professionellen des geriatrischen Teams, die zur Hinzuziehung eines psychosomatischen Konsiliars führen, sind immer noch wenig bekannt. Ziel der Arbeit ist die Identifikation derartiger Beziehungsmuster, die sich dann auch in der Interaktion mit dem Psychosomatiker wiederholen können. Material und Methoden: Die Konsilprotokolle von 76 klinisch-geriatrischen Patienten, die im Laufe eines Jahres psychosomatisch behandelt wurden, dienen als Basisdaten für die Entwicklung von Interaktionstypen. mittels der systematischen, qualitativen Methode der Verstehenden Typenbildung. Ergebnisse: Drei Gruppen von insgesamt 11 Interaktionstypen konnten gebildet werden: (1) „Konflikthaftes Miteinander“ mit Patienten, die ihre innere Konfliktlage (z.B. um Autonomie oder Macht und Unterwerfung) inszenieren, (2) „Das Problem kann nicht verhandelt werden“ mit Patienten, die das psychische Problem vergessen, verleugnen oder anderweitig verdrängen und (3) „Kontaktvermeidung“ mit Patienten, die sich in verschiedenen Formen des psychosozialen Rückzugs befinden. Schlussfolgerung: Die differenzierte Wahrnehmung von psychischen Problemen geriatrischer Patienten im Kontakt mit den Professionellen ermöglicht die Kontaktaufnahme eines psychosomatischen Konsiliars zu weiterer Diagnostik und Behandlung. Schlüsselwörter: Alterspsychosomatik, Interaktionsmuster, Szenisches Verstehen, Verstehende Typenbildung, Idealtypen Abstract Background: Cooperation between psychosomatic and geriatric medicine is still sporadic and rarely institutionally integrated. Rather nearly half of the clinical-geriatric in patients suffer from psychopathological symptoms of clinical relevance. Patterns of interactions between patients and professionals of the geriatric team, which lead to the involvement of a psychosomatic consultant are still rarely known. The aim of this paper is to identify such relational patterns, which re-enact in the interaction with the psychosomatic. Material and methods: Protocols from the consultation sessions of 76 clinically geriatric patients, treated during one year are the basic data for the development of interactional patterns with the systematic qualitative method of forming types by understanding. Results: Three groups of totally 11 interactional patterns could be developed: (1) “Conflictuous Interaction” with patients, re-enact their inner conflicts (e.g. autonomy or conflicts on power and subjugation, (2) “The problem can not be dealt with” with patients, who forget, deny or repress their mental problems in other ways and (3) “Avoiding contact” with patients with different forms of psychosocial retreat. Conclusion: The differentiated perception of mental problems in geriatric patients in their contact with the professionals allow the start of diagnostics and treatment by a psychosomatic consultation-/liaison-service. key words: geriatric psychosomatics, interactional patterns, scenic understanding, forming types by understanding, ideal types

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Psychosomatik in der Geriatrie Psychische Störungen nehmen einen wichtigen Faktor bei Prozessen des Alterns, wie auch beim Erleben und Verarbeiten körperlicher Erkrankungen im Alter ein. Über 50 % der über 70jährigen leiden unter psychopathologischen Symptomen [5]. 30 – 44 % aller klinisch-geriatrischen Patienten haben eine psychosomatische/psychiatrische Komorbidität [4, 25, 28]. Obwohl die Europäische Union ein integratives Behandlungsmodell spezifischer Interventionen für psychische und körperliche Störungen im Alter fordert [8], sind geriatrische und psychosomatische Kooperationen noch immer sehr selten. Dies betrifft besonders die Diagnostik und Behandlung affektiver Störungen (einschließlich der Suizidalität), der pathologischen Trauer, der posttraumatischen und somatoformen Störungen sowie interpersoneller Konflikte und Krankheitsverarbeitungsstörungen (besonders bei Schmerzen und Multimorbidität) [22, 26]. Dabei ist bekannt, dass psychische Störungen bei geriatrischen Patienten zu längeren stationären Liegezeiten, [4], schlechteren Behandlungsergebnissen [20], höherer Morbidität und gesteigerten Ausgaben führen [12, 21]. Psychiatrische und psychosomatische Konsil-/Liaisondienste in geriatrischen Kliniken fördern die psychischen Funktionen und die poststationäre Unabhängigkeit [2], sie reduzieren die Verweildauer und die stationären Behandlungskosten [10, 19]. Interaktion im geriatrischen Kontext Die Geriatrie ist einem multikausalen Krankheitsverständnis und einem mehrdimensionalem Behandlungsansatz verpflichtet [24], welche nur in Teams unterschiedlicher Professionen, d.h. interdisziplinär gewährleistet werden können. Die Patienten treffen im geriatrischen Krankenhaus auf miteinander vernetzte Professionelle. In diesen Beziehungen und mit ihren Mitpatienten erleben die Patienten auch ihre Befindlichkeiten und gestalten ihre psychischen Konflikte. Einflussfaktoren sind die Primärpersönlichkeiten der Beteiligten, das je individuelle Erleben der Erkrankungen und des Behandlungsprozesses und dabei besonders das Erleben von Einschränkung, Hilflosigkeit und Abhängigkeit. Um den Einfluss psychischer Faktoren auf Krankheit, Behandlung und Heilung zu erfassen, bedarf es einer Phänomenologie ihres Auftauchens im Kontext von Diagnostik und Behandlung im Stationsalltag. So kann die Sensibilität der Professionellen für derartige Probleme, die oftmals Ausdruck psychischer und psychosomatischer Störungen sind, gesteigert werden. Ziel dieser Arbeit ist, unabhängig von einer Nosologie, Muster zu finden, in denen sich psychische Probleme der Patienten im geriatrischen Stationsalltag und in den psychosomatischen Gesprächskontakten zeigen, d.h. „in Szene setzen“. Der psychosomatische Konsil-/Liaisondienst in einer geriatrischen Klinik Der Konsil-/Liaisondienst umfasst

die Diagnostik und psychodynamisch orientierte Psychotherapie psychisch auffälliger Patienten, ausgenommen neuropsychologische Diagnostik der Demenzen sowie entsprechende psychotherapeutische und psychopharmakologische Behandlungen,

Empfehlungen und Anbahnung von weiteren psychiatrischen, psychosomatischen und psychotherapeutischen Behandlungen nach Entlassung,

intensive pflege- und praxis-orientierte Beratung der Pflege, der Therapeuten und anderer Mitarbeiter des geriatrischen Teams sowie

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aktive Teilnahme an der wöchentlichen Teamkonferenz. Die Kontaktaufnahme erfolgt in der Regel nach einem recht einheitlichen, dem Stationsalltag angepassten Schema: der Patient wird vom Besuch des Konsiliars durch den Stationsarzt informiert, der Konsiliar begibt sich zum Patienten, stellt sich vor (z.B. als „Fachmann für psychische Probleme auf dieser Station“) und bittet den Patienten zu einem Gespräch unter vier Augen in einem Raum der Station. Das Konzept des szenischen Verstehens Das theoretische Grundkonzept der Analyse von Interaktionen zwischen Patient und Professionellen beruht auf dem psychoanalytischen Konzept des szenischen Verstehens. Die „Szene“ ist eine „nicht durch Worte, sondern durch Darstellung, Auf- oder Vorführung erfolgende Mitteilung des Patienten. ... Die sich in der Behandlungssituation darbietende Szene ist ein Splitter einer ihr zugrunde liegenden wichtigen unbewussten Beziehungssituation des Patienten“ [11, S. 348f, 1, 17]. Hierin zeigen sich die unbewussten Konfliktmuster, als Wiederholungen von in der Kindheit gebildeten Konfliktsituationen in bedeutsamen Beziehungen. Der Therapeut muss zum einen derartige Muster überhaupt erkennen und zum anderen diese Muster vor dem Hintergrund des biografischen Materials verstehen. Die Szene entwickelt sich im geriatrischen Kontext meist nicht in einer Zweierbeziehung, wie in einer Psychotherapie, sondern im Interaktionsgeflecht zwischen Patient (und Mitpatienten) und den Mitgliedern des geriatrischen Teams, die auch untereinander im Austausch über die Patienten sind. Der zweite Aspekt der Szene findet dann im Kontakt zwischen Patient und psychosomatischem Konsiliar statt, in dem sich das je spezifische Interaktionsmuster in der Regel im Zweierkontakt noch einmal wiederholt. Methode Verstehende Typenbildung Basierend auf dem von Max Weber [29] entwickelten Begriff des „Idealtyps“ verfolgt die Methode der verstehenden Typenbildung in der vorliegenden Arbeit in vier aufeinander folgenden Teilschritten systematisch den Prozess der Entwicklung einer Taxonomie vom Einzelfall hin zu allgemein glaubwürdigen und übertragbaren, d.h. über die Stichprobe hinausweisenden klinisch-theoretischen Erkenntnissen. Diese führen in ihrer Evidenz über die psychoanalytische Einzelfallkasuistik hinaus.

Die Fallrekonstruktion ging von den Konsilberichten des psychosomatischen Konsilliars (RL) aus, die er nach jedem Gespräch mit dem Patienten erstellt hatte. Für jeden Patienten verfasste der Therapeut einen Fallbericht mit drei inhaltlichen Aspekten: (1) Zum Gespräch führende Interaktion mit Mitgliedern des Teams und Interaktion im Patient-Therapeut-Kontakt, (2) Angaben zu psychischen Problemen und Symptomen sowie zur zentralen körperlichen Störung und (3) Angaben zur Lebensgeschichte.

Der Fallvergleich mit Identifikation prototypischer Fälle fand über mehrere Tage statt, in dem im Wechsel zwischen dem erinnernden Nachdenken über das Fallmaterial und dessen bedeutsamen, charakterisierenden Kriterien übergeordnete thematische Cluster zu den zentralen Interaktionsmustern erstellt wurden. Aufgrund der vergleichsweise hohen Zahl von Fällen (N=76) ergaben

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sich drei Formen der Zuordnung: (1) Eröffnung eines gänzlich neuen szenischen Aspektes, (2) Eröffnung einer Unterszene, zugehörig zu einer bereits bestehenden und (3) Einfügung eines zusätzlichen Aspektes in die bereits beschriebene Szene. Die Zusammenfassung zu übergeordneten Themen und Formulierung idealtypischer, d.h. gedachter Szenen führte dann zur Formulierung der idealtypischen Interaktionsszenen. Der Fall, welcher den Inhalt des Clusters jeweils am besten illustriert, wurde als Prototyp ausgewählt.

Die nachfolgende Strukturanalyse führte, in Rückgriff auf das Material der Fallberichte, zur Untersuchung bestimmter Aspekte der Idealtypen (Alter, Geschlecht, typische Familienkonstellationen, Suizidalität und Suizidversuche).

Die qualitative Triangulierung fand im Rahmen einer kommunikativen Validierung statt [3, 13]. Diese Expertenworkshops sind bei Lindner [15] beschrieben.

Patienten 76 stationär-geriatrische Patienten wurden im vom 15.05.09 bis 14.05.2010 durch den psychosomatischen Konsiliar untersucht und behandelt. Innerhalb weniger Tage nach Konsilanforderung erfolgte das Erstgespräch. Die Gespräche dauerten zwischen 30 und 60 Minuten. Die geriatrische Station Die geriatrische Station ist mit 28 Betten Teil einer akutgeriatrischen Klinik mit fünf Stationen und einer Tagesklinik. Durchschnittlich werden pro Station ca. 350 Patienten im Jahr behandelt. Das geriatrische Team besteht aus Ärzten, Gesundheits- und Krankenpflegern, Altenpflegekräften, Physio- und Ergotherapeuten, Masseuren, Logopäden und Neuropsychologen, sowie Sozialpädagogen. Ergebnisse Patienten Von den 76 Patienten waren 62 Frauen (81,6 %) und 14 Männer (18,4%), 63 Patienten (82,9 %)waren zwischen 70 und 89 Jahren alt. Für die weiteren psychosozialen und geriatrischen Basisdaten s. Tab.1. Folgende Interaktionstypen psychosomatischer Patienten in der Geriatrie wurden systematisch entwickelt: Gruppe: KONFLIKTHAFTES MITEINANDER, 1. „Aus mir kommt was raus, halte mich aus, rette mich“ - Die Stationsärztin, die Therapeuten und die Pflege erleben die Patientin als ängstlich, traurig, aufgeregt, bedürftig, dabei aber überwiegend angenehm und positiv und schalten den Psychotherapeuten ein. Die Patientin wirkt so, als gäbe sie sich selbst auf, ist verzweifelt, ganz in Trauer um einen realen oder chronischen Verlust. Sie hat das Bedürfnis nach bestätigender Beruhigung, zum Beispiel durch Rückversicherung, durch Solidarität gegenüber der feindlichen Außenwelt (der Mitpatientinnen) oder in der Angst vor dem eigenen Tod. Der Therapeut fühlt sich auf besondere Weise ins Vertrauen gezogen, gerät damit auch leicht unter Druck, z.B. „das Richtige“ sagen zu müssen. Es gibt zwei Entwicklungen: Entweder es entsteht ein Kontakt und das vertrauensvolle Gespräch

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über die Belastungen kann entlastend wirken, Schwäche kann etwas anerkannt und Verluste partiell betrauert werden oder aber die Hilflosigkeit und Ratlosigkeit vermittelt sich auch dem Therapeuten, der keine haltende, entlastende, „neue“ Erfahrung vermitteln kann. 2. „Mach mich schnell gesund, ich darf nicht schwach sein“: Auf Station wird deutlich, diese Patientin steht sehr unter Druck, fordert von sich und vom geriatrischen Team Höchstleistungen. Es soll schnell voran gehen und sie selbst wieder ganz gut und heil werden. Im Hintergrund stehen Ängste, Aufgaben in der Familie nicht erfüllen zu können oder aber Unabhängigkeit, Macht und Einfluss zu verlieren . 3. „Kontrolle der Anderen, um nicht hilflos zu sein“: Hier werden einerseits Kontrollwünsche gelebt, andererseits Ohmacht erlebt: In der Pflege muss alles so laufen, wie gewünscht, dann ist die Krankenschwester wunderbar – wenn nicht, ist die Enttäuschung groß und wird effektiv auch ausgedrückt. Im Umgang mit sich selbst neigt der Patient dazu seine psychischen Probleme, Unsicherheiten und Ängste medizinisch zu rationalisieren. In Beziehungen geht es auch deutlich um die Frage, wer z.B. in einer langen Ehe, genau wie in der Beziehung zu den Professionellen das Sagen hat. Dieses Beziehungsgefüge ist durch die Erkrankung aus dem Lot geraten. Im therapeutischen Gespräch geht es um den Versuch, jenseits von Recht- oder Unrecht-Haben auf die tiefe Verunsicherung zu sprechen zu kommen, die die körperliche Erkrankung bewirkt hat. 3. „Ich brauche andere, aber ich kann die Auslieferung an sie nicht ertragen“: Die Patientin erscheint der Ärztin als depressiv, verzweifelt, suizidal, aber auch schwer zugänglich. Im Gesprächskontakt wird dann die große Ambivalenz deutlich zwischen dem Wunsch, sich zu entlasten, zu reden, über sich in Ruhe nachzudenken und der Angst, es nicht allein zu schaffen, die Autonomie zu verlieren („ich bin eine widerspenstige Frau“), hilflos, beschämt, ausgeliefert, wertlos und ohnmächtig zu sein. Der Körper und seine Einschränkungen sind dabei ein zunächst destabilisierender Faktor der leistungs- und pflichtbetonten Abwehr. Bei zunehmendem Behandlungserfolg und Zugewinn an körperlicher Funktionsfähigkeit kann es dann aber doch gelingen, durch Benennen dieser Konfliktlage etwas Stabilisierung zu erreichen. Gruppe DAS PROBLEM KANN NICHT VERHANDELT WERDEN, mit 4. „Ich schreie nach Hilfe, aber Hilfe wird mir wieder schaden“: Die Patientin öffnet sich den Schwestern mit ihren Schwierigkeiten in der Familie und ihren Ängsten bezüglich ihrer Krankheit. Allerdings werden dann das Gespräch selber, aber auch abgesprochene weitere Be-Handlungen wieder ungut, zerstörerisch und unbefriedigend erlebt, so dass der Eindruck entsteht, dass Entwicklung und Lösung nur erneut mit Zerstörung und Verletzung verbunden wird. 5. „Mir geht es doch gut“: In den Therapien wird deutlich, wie sehr der Patient die Realität der Erkrankung verleugnet und damit auch die Behandlung nicht zielgerichtet mitmachen kann. Im therapeutischen Kontakt scheint es eine männliche und eine weibliche Variante zu geben: Der Patient inszeniert einen Wettbewerb, wer Recht behalten wird: Er, der glaubt, in wenigen Monaten sei alles wieder gut oder der pessimistische Therapeut. Die Patientin spricht über ihre erotisch-beziehungsorientierten Wünsche, die kaum erfüllbar erscheinen. Abgewehrt werden

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(traumatische) Gefühle des Allein-Gelassen-Bleibens, der Angst und Trauer und des Ungeliebt-Seins. 6. „Wer hat denn hier ein psychisches Problem?“: Die Pflege empfindet die Patientin als unkompliziert und nett, oder aber sie verweist, wenig beteiligt „etwas Psychisches“ an den Fachmann. Die Patientin nimmt selbst gar kein Problem wahr. Zwar gibt es Hinweise, wie Konflikte im Patientenzimmer, Verwahrlosung, somatopsychische Beschwerden (z.B. Pruritus) oder den Wunsch von Verwandten nach psychotherapeutischer Behandlung der Patientin. Im Kontakt aber ist die Patientin guter Dinge, freundlich, humorvoll. vermeidend und bagatellisierend. Dies kann Ausdruck einer Haltung sein: „immer lustig und vergnügt“, „reiß Dich zusammen“, alles ist doch „in Ordnung“. So kann dahinter eine verleugnende Abwehr, eine Amnesie oder eine psychosomatisch abgewehrte Konfliktlage stehen, welche in wenigen Gesprächen auch nicht ansprechbar ist. Gruppe KONTAKTVERMEIDUNG, mit 7. „Verloren“: Die Patientin ist sowohl in der Pflege und den Therapien als auch im psychotherapeutischen Gesprächskontakt passiv, leise und zurückgezogen. Man kann sie allenfalls nur kurzfristig erreichen, der Kontakt hält dann aber nicht. 8. „Die Patientin passt hier nicht her“: Die allgemeine Reaktion auf Station ist, dass man eine derartige Patientin hier nicht haben möchte. Sie ist irgendwie unpassend, hat etwas an sich, was man nicht mag. Dies zeigt sich in Überlegungen, die Patientin möglichst schnell zu entlassen, da sie „zu psychiatrisch“ sei. Auch der psychosomatische Konsiliar schreibt recht distanziert und scheinbar abgegrenzt-sachlich in seinem Konsil über die Patientin. 9. „Überforderung bewirkt ärgerliche Reaktion“: Die Patientin strebt immer schnell aus den Therapien weg, verstrickt sich mit dem Personal in ärgerliche Auseinandersetzungen, so dass ihre Befürchtung, keiner wolle ihr helfen, auf einer emotionalen Ebene auch einen Realitätsgehalt bekommt. Auch im psychotherapeutischen Gespräch dominiert das Klagen, der Ärger und besonders das Misstrauen den Kontakt. „Klappsmühlenreif“ bösartigen Einflüssen ausgeliefert zu sein und Anforderungen nicht erfüllen zu können sind die dominierenden Gefühle. Von einem helfenden, psychotherapeutischen Kontakt wird nur Schlechtes, nur das Aufdecken eigener Schwächen erwartet. Sie weckt im Therapeuten erheblichen Ärger der sich auch z.B. darin zeigen kann, einen Termin mit der Patientin zu vergessen. 10. „Enttäuschung im Kontakt“: Die Patientin fällt auf Station auf, da sie sich wenig motiviert zurück zieht, dabei jedoch ansprüchlich, („sie möchte die Füße massiert haben“) ärgerlich und enttäuscht wirkt. Man hält sie durchaus zu mehr Aktivität im Rahmen der Behandlung in der Lage, als sie dies von sich selbst annimmt. Die Patientin verlangt reale Wunscherfüllung; wenn dies nicht möglich ist, dann gerät sie in Ablehnung und Ärger, der sich sehr schnell, i.S. einer Projektion auf die Behandler überträgt. Im therapeutischen Gespräch wird Angst vor den aufkommenden Gefühlen der Abhängigkeit, der Ablehnung und der Selbstwertzweifel, auch der Angst, Allein-Gelassen zu sterben offenkundig. Weitergehende Psychotherapie wird auch aus Angst vor diesem Erleben abgelehnt.

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11. Nicht zuzuordnen, weil keine Angaben zur Interaktion auf Station mit Therapeut oder mit Angehörigen vorliegen. Die drei häufigsten Idealtypen innerhalb der Stichprobe sind „aus mir kommt was raus, rette mich“ (N=15), Ich brauche Andere, aber ich kann die Auslieferung an sie nicht ertragen (N=12) und „Enttäuschung im Kontakt“ (N=10) wobei Mehrfachzuordnungen möglich waren (s. Tab. 2.) Diskussion Ziel der vorgelegten Typologie ist es, mit Hilfe dieser systematisch entwickelten Interaktionsmuster gerade geriatrische Kliniker darin zu unterstützen, sich der Dimension des Psychischen in ihrer Arbeit zu erinnern und gegebenenfalls zu handeln So kann die Kenntnis der Interaktionstypen dazu beitragen, bei bestimmten Beziehungssituationen im klinischen Alltag an die Möglichkeit zu denken, den psychosomatischen oder psychiatrischen Konsildienst zu nutzen oder aber die eigene Gestaltung der professionellen Beziehung vor dem Hintergrund der Schwierigkeiten der Patienten zu reflektieren. Auch wenn die Methodik nicht den Standard an Generalisierbarkeit, Valididät und Reliabilität erfüllt, so ist ihr Evidenzgehalt für geriatrische Stationen doch höher als bei Einzelfalldarstellungen [17]. Die idealtypische Gruppe „Konflikthaftes Miteinander“ zeigt besonders deutlich, wie lebenslang wirksame, jedoch unter den funktionell-körperlichen Prozessen verstärkte Konflikte um Macht und Ohnmacht und um Abhängigkeit und Autonomie das Erleben von Krankheit und Einschränkung wie auch der geriatrischen Behandlung beeinflussen. Diese Sichtweise basiert auf dem Konzept vom Körper als „Organisator des Psychischen“, bei dem psychische Entwicklungsprozesse gerade im Alter von Veränderungen des Körpers „getriggert“ werden [7, 16]. Von Bedeutung ist gerade in dieser konfliktreich agierenden Gruppe, dass die psychotherapeutischen Kontakte vom Therapeuten häufiger als gewinnbringend eingeschätzt wurden als in den anderen Gruppen. In der Gruppe „Das Problem kann nicht verhandelt werden“ finden sich, mit den Idealtypen „Ich schreie nach Hilfe, aber Hilfe wird mir wieder schaden“ und „Mir geht es doch gut“, Patienten mit Kriegtraumatisierungen (z.B. eigene oder beobachtete Vergewaltungserfahrung). Verleugnet werden nicht nur die Traumatisierungen, sondern auch die damit verbundenen Verlusterfahrungen, die sich in Müdigkeit, Depressivität, Angst und Panik ausdrücken, wie auch in funktionellen Beschwerden und der Leugnung körperlicher Beeinträchtigung und Bedrohung durch Krankheiten, Bindungs- und Identitätsstörungen und „bestimmte Selbst- und Idealbilder – insbesondere bei Männern – die keinen brauchbaren, geschweige denn einen befriedigenden Umgang mit dem eigenen Körper erlauben“ [23, S. 227]. So kann dann auch Hilfe nur als erneute Bedrohung oder als überhaupt nicht notwendig erlebt werden. Die Angst, im Hilfsangebot erneut entsetzlichen Zerstörungs- und Verlusterfahrungen zu begegnen war bereits in einer qualitativen Typenbildung von suizidalen alten Patienten, die sich nicht in Behandlung begeben wollen, beschrieben worden [16]. Als organisches „Äquivalent“ zur Verdrängung könnte man das „Vergessen“ in der Demenz verstehen, in der auch „das Problem“ selbst ins „Ungewusste“ verschwinden kann. Dabei können Verdrängungsprozesse, wie bei Jens [9] beschrieben, in die Entstehung einer dementiellen Entwicklung eingewoben sein.

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Die Gruppe „Kontaktvermeidung“ beschreibt psychosoziale Rückzugsphänomene, wie sie sowohl mit dem „narzisstischen Rückzug“ [6] als auch, aus einer spezifischen psychoanalytischen Perspektive des „psychic retreat“ von Steiner [27] beschrieben wurden. Hier können intrapsychische Rückzüge von unerträglichem Material als auch interpersonell erlebte Rückzüge stattfinden, die auch auf Mitglieder des geriatrischen Teams projiziert werden können, z.B. in Form von Ausstoßungsphantasien, „der Patient gehöre nicht hierher“. Fazit für die Praxis

Man kann einen Menschen besser untersuchen, behandeln und pflegen, wenn man seine Eigenarten, besonders die interaktionell wirksamen, angstfrei verstehen kann.

Drei Interaktionsmuster zwischen geriatrischen Patienten und Professionellen führen zur Inanspruchnahme eines psychosomatischen Konsil-/Liaisondienstes: (1) Interpersonelle Konflikte um Abhängigkeit und Autonomie, sowie um Macht und Unterwerfung, teilweise mit deutlicher depressiv-ängstlicher und suizidaler Psychopathologie, (2) Das Erleben von Zerstörung und Verletzung, Allein-Gelassen-Werden und Vergessen und Verleugnen, sowie (3) Rückzug und Ablehnung, passiv-leise, enttäuscht oder ausgrenzend, auch auf Seiten der Professionellen.

Können die Konflikte erkannt, benannt und lebensgeschichtlich verstanden werden, so fördert dies die geriatrische Behandlung.

Förderung Die Arbeit wurde durch ein Stipendium des Forschungskollegs Geriatrie der Robert Bosch Stiftung gefördert. Literatur 1. Argelander, H (1970) Das Erstinterview in der Psychotherapie. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt (1992) 2. Cole MG, Fenton FR, Engelsmann F, Mansouri I (1991): Effectiveness of geriatric psychiatry consultation in an acute care hospital: a randomized clinical trial. J Am Geriatr Soc; 39:1183-1188. 3. Flick, U. (1995). Triangulation. In Flick, U., v. Kardorff, E., Keupp, H., v. Rosenstiel, L., Wolff, S. (Hrsg.). Handbuch der qualitativen Sozialforschung: Grundlagen, Konzepte, Methoden und Anwendungen (S. 432 – 434). Weinheim: Psychologie-Verl. Union. 4. Fulop G, Strain JJ, Fahs MC, Schmeidler J, Snyder S (1998): A prospective study of the impact of psychiatric comorbidity on length of stay of elderly medical-surgical inpatients. Psychosomatics; 39:273-280.

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