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Handbuch interkulturelle Kommunikation und Kompetenz Grundbegriffe - Theorien - Anwendungsfelder Herausgegeben von Jürgen Straub, Arne Weidemann und Doris Weidemann mit 20 Grafiken und Tabellen Verlag J. B. Metzler Stuttgart Weimar

Kulturpsychologie und indigene Psychologie [Cultural and indigenous psychology]

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Handbuch interkulturelle Kommunikation und Kompetenz

Grundbegriffe - Theorien - Anwendungsfelder

Herausgegeben von Jürgen Straub, Arne Weidemann und Doris Weidemann

mit 20 Grafiken und Tabellen

Verlag J. B. Metzler Stuttgart Weimar

Die Herausgeber Jürgen Straub (geb. 1958) ist Professor für Interkulturelle Kommunikation an der TU Chemnitz und Leite1 eines Graduiertenkollegs zum Thema »Interkulturelle Kommunikation und Kompetenz«. Arne Weidemann (geb. 1966) ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur für Interkulturelle Kommuni- kation an der TU Chemnitz. Doris Weidemann (geb. 1966) ist Professorin fiir Interkulturelles Training mit dem Schwerpunkt chinesisch- sprachiger Kulturraum und International Business Administration an der Westsächsischen Hochschule Zwickau.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detail- lierte bibliografische Daten sind im Internet über <http:lldnb.d-nb.de> abrufbar.

Gedruckt auf säure- und chlorfreiem, alterungsbeständigem Papier

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der en- gen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt ins- besondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbei- tung in elektronischen Systemen.

O 2007 J. B. Metzler'sche Verlagsbuchhandlung und Carl Ernst Poeschel Verlag GmbH in Stuttgart www.metzlerverlag.de [email protected] Einbandgestaltung: Willy Löffelhardt Satz: Grafik-Design Fischer e. K., Weimar Druck und Bindung: Ebner & Spiegel GmbH, Ulm

Printed in Germany September 2007

Verlag J. B. Metzler Stuttgart . Weimar

Inhalt

Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1 . Grundbegriffe

1.1 Kultur (Jürgen Straub) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Kommunikation (Werner Nothdurft) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Kompetenz (Jürgen Straub) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4 Identität (Hartmut Rosa) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . 1.5 Differenz: Verschiedenheit - Andersheit - Fremdheit (Norbert RickenINicole Balzer) 1.6 Stereotyp und Vorurteil (Klaus JonasIMarianne Schmid Mast) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.7 Verstehen (Hans-Herbert Kögler) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.8 Obersetzen (Mary Snell-Hornby) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.9 Vergleichen (Gabriele Cappai) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.10 Repräsentation (Martin Fuchs) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.11 Anerkennung (Werner Nothdurft) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.12 Konflikt und Gewalt (Thorsten BonackerILars Schmitt) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

2 . Disziplinäre und theoretische Zugänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Sprachpragmatische AnsätzeILinguistik (Jochen Rehbein)

. . . . . . . . . . . . . 2.2 Interkulturelle Germanistikund Literaturwissenschaft (Ortrud Gutjahr) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Interkulturelle Fremdsprachendidaktik (Birgit Apfelbaum)

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Interkulturelle Romanistik (Hans- Jürgen Lüsebrink) . . . . . . . . . . . . 2.5 Interkulturelle Anglistik und Amerikanistik (Astrid ErllIMarion Gyrnnich)

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.6 Interkulturelle Medienwissenschaft (Stefan Rieger) . . . . . . 2.7 Ethnografische, ethnologische und kulturanthropologische Ansätze (Heidrun Friese)

2.8 Kultursoziologie (Andreas Reckwitz) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.9 Interkulturelle Geschichtswissenschaft (Jörn Rüsen)

. . . . . . . . . . . . . . . . . 2.10 Sozialpsychologische Ansätze (Rudolf MillerIAlexandra Babioch) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 1 Kulturvergleichende Psychologie (Wolfgang Friedlmeier)

. . . . . . . . . . . . . . . . 2.12 Kulturpsychologie und indigene Psychologie (Pradeep Chakkarath) . . . . . . 2.13 Ethnopsychoanalyse und Tiefenhermeneutik (Johannes ReichmayrIKlaus Ottomeyer)

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.14 Interkulturelle Pädagogik (Walter HerzogIElena Makarova) 2.15 Interkulturelle Philosophie (Thomas Göller) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.16 Interkulturelle Theologie (Georg Essen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . 2.17 Vergleichende Länderstudien: Potenziale und Grenzen (Daniela KlausIBernhard Nauck) 2.18 Interkulturelle Kommunikation und Kompetenz - Nicht-westliche Perspektiven (Jürgen Henze)

Methoden Feldforschung (Bettina Beer) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beobachtung (Alexander Kochinka) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Interviews (Bettina Beer) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gruppendiskussion (Carlos Kölbl) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fragebögen (Torsten Kühlmann) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Experimente (Hede Helfrich-Hölter) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Strukturlegeverfahren (Doris Weidemann) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Interkultureller Sprachvergleich (Bernd Spillner) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Kulturpsychologie und indigene Psychologie 237

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2.12 Kulturpsychologie und indigene Psychologie

Pradeep Chakkarath

Innerhalb der psychologischen Untersuchung des Zu- sammenhangs von menschlichem Denken, Erleben und Verhalten mit so genannten )kulturellen( Phäno- menen lassen sich heute hinsichtlich ihrer historischen Entwicklungslinien, ihrer theoretischen Grundannah- men und ihrer jeweils präferierten Untersuchungs- methoden unterschiedliche Subdisziplinen unter- scheiden, die in ihrer Gesamtheit das ausmachen, was im Englischen als xulture inclusive psychology< be-

238 Disziplinäre und theoretische Zugänge

zeichnet wird. Zu den historisch einflussreichsten und gemessen an der Anzahl ihrer Vertreter wichtigeren Disziplinen lassen sich die folgenden zählen: die >Psychologische Anthropologie< (engl. psychological anthropology), die >Kulturvergleichende Psychologie< (engl. cross-cultural psychology), die >kulturhistorische Psychologie< (engl. cultural-historical psychology), die >Kulturpsychologie< (engl. cultural psychology) und die >Indigene Psychologie< (engl. indigenous psychology) . Der historischen, wissenschaftstheoretischen und me- thodologischen Porträtierung der Kulturpsychologie und der Indigenen Psychologie gilt dieses Kapitel.

Anmerkungen zur psychologiehistorischen Rolle der Kulturpsychologie

Die bisherige Historiographie der Psychologie, insbe- sondere soweit sie von westlichen Psychologen ge- schrieben wird, zeichnet weitgehend das Bild einer ver- gleichsweise jungen, da erst im späten 19. Jahrhundert institutionalisierten und von anderen wissenschaft- lichen Disziplinen abgegrenzten Spezialdisziplin mit universalem Anspruch. Diesem Bild liegt ein Psycho- logieverständnis zugrunde, das sich nicht primär an den vielfältigen Forschungsfragen und Themen der Psychologie festmacht, sondern an ihren mathema- tisch-naturwissenschaftlich orientierten Untersu- chungsmethoden, die ihr Vorbild vor allem in Isaac Newtons Grundlegung exakter Wissenschaft hatten. Entsprechend gilt der Mainstream-Historiographie das Jahr 1879, in dem Wilhelm Wundt an der Universität Leipzig das erste »Institut für experimentelle Psycho- logie« mitsamt Laboratorium etablierte, als Grün- dungsdatum einer empirisch und streng wissenschaft- lich, entlang des Ideals der Physik verfahrenden Psychologie. Wundt selbst hatte das Fach allerdings weit weniger reduktionistisch angelegt und eine )du- ale<, multimethodale Psychologie vorgeschlagen, die dem Menschen nicht ausschließlich als einem Natur- Wesen, sondern auch als einem Kulturwesen gerecht wird. Seine Konzeption spiegelt damit auch weit an- gemessener als die geläufige Historiographie es dar- stellt, die Vielfältigkeit der Themen und Ansätze wi- der, die selbst im 19. Jahrhundert die neu etablierte Psychologie prägte (Wundt 1900-1920).

Für die Geschichte derjenigen psychologischen Sub- disziplinen, die heute die Untersuchung der Rolle von Kultur in den Fokus ihrer Untersuchungen stellen, ist besonders bemerkenswert, dass das vom Mainstream der Geschichtsschreibung viel beschworene 19. Jahr- hundert dem >Gegenstand Kultur< durch alle sozial- und humanwissenschaftlichen Disziplinen hinweg eine Aufmerksamkeit zukommen ließ, die das Thema vielleicht erst heute wieder in ähnlicher Weise ge-

nießt. Die kulturalistische Perspektive zeigte sich bei- spielsweise in der Philologie, Philosophie, Anthropo- logie, Soziologie, in den Religionswissenschaften, in den Denkfiguren eines sozialwissenschaftlich gewen- deten Evolutionismus und eben auch in der Psycho- logie: Als Wundt seine späten Schriften zur so genann- ' .

ten »Völkerpsychologie« verfasst, greift er - zumindest terminologisch - auf geistes- und sozialwissenschaft- lich orientierte Ansätze zurück, die ihren vielleicht greifbarsten Ausdruck in der bereits 1860 von Moritz Lazarus und Heyrnann Steinthal gegründeten Zeit- schrift für Völkerpsychologie und Sprachwissenschaft gefunden hatte, das als interdisziplinäres Diskussions- forum für Psychologen, Linguisten, Anthropologen, Ethnologen und Historiker diente. In der darin doku- mentierten Untersuchung von unterschiedlichen Spra- chen, Mythen und Einrichtungen, Diffusionsprozes- Sen, Denk- und Kommunikationsstilen, Unterschieden in Erziehungsvorstellungen, in der personellen und interpersonellen Wahrnehmung wie auch der dyna- mischen Wechselwirkung all dieser Phänomene wer- den weit frühere Themen und Erträge aufgegriffen, die beispielsweise auf Johann Gottfried von Herder und Wilhelrn von Humboldt zurück verweisen. So- wohl Herder wie auch Humboldt stehen ihrerseits in einer psychologiegeschichtlich hoch bedeutsamen Geis- testradition, die einem mechanistischen Welt- und Menschenbild skeptisch gegenübersteht und zu Be- ginn des 18. Jahrhunderts in den Arbeiten von Gio- vanni Battista Vico ihre zumindest für Europa wahr- scheinlich früheste systematisierte und ausgearbeitete Fassung gefunden hat (Vico 17251 1990). Vico plä- dierte für eine Erforschung des Menschen, die sich nicht auf naturwissenschaftliche Methoden beschränkt. Diese werden dem Untersuchungsgegenstand seiner Meinung nach nicht gerecht, da Menschen zur höchs- ten Form der Sprache und der Kultur befähigt seien und dank dieser Befähigungen auch ihre eigene Ge- schichte zu beeinflussen und ihr eigenes Tun zu re- flektieren vermögen. Die Unterstellung kausal-physi- kalischer Naturgesetzlichkeiten fur die Sphäre des Humanen verkenne den Menschen in seinem wich- tigsten Wesenszug: als einen sich seiner selbst bewuss- ten und intentionalen Selbsterzeuger kultureller Be- deutungs- und Syrnbolsysteme. Vico kritisierte damit die mertragung von Newtons Wissenschaftspro- gramm auf die Humanwissenschaften, da darin ge- nau all das keine Beachtung finde, was den Menschen als Menschen allererst ausmache: Geschichte, Religion, Mythen, Politik, Ökonomie, Recht, Kunst, Sprache und Etymologie, etc. Wahre Erkenntnis über den Menschen bestehe im Wissen über die Art und Weise, in der er selbst Wissen erlange, etwa über die Entste- hung der Dinge, vor allem all dessen, was er selbst hervorbringe. Indem Vico damit das Verstehen des

Kulturpsychologie und indigene Psychologie 239

Menschen vom Verstehen seiner erzeugenden Akti- vitäten und der sie begleitenden psychischen Aspekte abhängig macht und indem er zugleich die naturwis- senschaftliche Methode für untauglich erklärt, dieses Verständnis zu erlangen, ist er im heutigen Rückblick nicht nur ein Vorreiter der geisteswissenschaftlich orientierten (und von Wilhelm Dilthey und Eduard Spranger auch als »kulturpsychologisch« etikettier- ten) Psychologie des 19. Jahrhunderts, sondern auch der kulturpsychologischen Konzeptionen etwa psycho- analytischer Provenienz wie auch der kulturhistori- schen Schule Wygotskis, Lurijas und Leontjews (s. Wygotski 1978) und schließlich der kulturpsycholo- gischen Forschung unserer Zeit. Darüber hinaus ist sein Werk in vielfacher Weise exemplarisch geeignet, Korrekturen an der Mainstream-Historiographie zu motivieren: Erstens lassen sich als psychologische For- schung kenntliche Bemühungen historisch weit frü- her identifizieren und würdigen, wenn nicht das na- turwissenschaftliche Paradigma des 19. Jahrhunderts zum zentralen Identifikationskriterium für ebensol- che Forschung erklärt wird. Wie jüngere historiogra- phische Arbeiten (z. B. Chakkarath 2003; Straub 2007) zeigen, lassen sich unter einer entsprechend verän- derten Perspektive auch vielfältige theoretische und empirische Ergebnisse, die seit der Antike erbracht wurden, in ihrer psychologie- und sozialwissenschafts- geschichtlichen Bedeutung einordnen bzw. lassen sich heutige Positionen und Ergebnisse in ihrer Ge- nese genauer rekonstruieren. Es zeigt sich dann auch, dass psychologische und kultunvissenschaftliche For- schung seit den frühesten Anfängen und in historisch ungebrochener Kontinuität in enger Verbindung stan- den und dass kulturpsychologische Ansätze nicht etwa - wie die Mainstream-Historiographie es häufig sug- geriert - erst als Reaktion auf die naturwissenschaft- lich und universalistisch ausgerichtete Psychologie, auch nicht auf die in ihren Anfängen vornehmlich daran orientierte Kulturvergleichende Psychologie ent- standen, sondern diesen jüngeren Ausrichtungen vor- angingen. Sie prägten auch Untersuchungsfragen, the- oretische Positionen und methodische Zugänge vor, die zunächst in anderen Kulturwissenschaften (vor al- lem Kulturanthropologie, aber auch der psychoanaly- tischen Kulturforschung und der Ethnolinguistik) Beachtung fanden, denen sich aber auch die Kultur- vergleichende Psychologie mittlerweile immer mehr öffnet (s. 2.1 1).

Wie die obigen Anmerkungen trotz ihrer Skizzen- haftigkeit zeigen mögen, ist aus einer kulturpsycholo- gischen Sicht von besonderem Interesse, inwieweit in Historiographien jeglicher Art Mythifizierungen und weltanschaulich vorstrukturierte Welt- und Men- schenbilder bzw. dazugehörige Idealvorstellungen eingehen. Eine entsprechend kulturpsychologisch

verfahrende Rekonstruktion der Wissenschaftsge- schichte der Psychologie und ihrer kulturintegrieren- den Subdisziplinen als ihrerseits kulturellen Erzeug- nissen wäre wünschenswert, steht aber noch aus.

Theoretische und methodologische Merkmale der Kulturpsychologie

Die kennzeichnenden Unterschiede der Kulturpsy- chologie zur Kulturvergleichenden Psychologie liegen im Wesentlichen in ihren Auffassungen davon, was unter )Kultur< überhaupt zu verstehen ist, und in ih- ren Annahmen darüber, wie man Kultur unter psycho- logischer Perspektive angemessen erforscht (s. a. 1.1). Nachfolgend soll auf einige der wichtigsten dieser kennzeichnenden Merkmale kulturpsychologischer Überzeugungen hingewiesen werden, doch sei voraus- geschickt, dass die folgende Darstellung primär zur Konturierung dieser Überzeugungen dient, ohne ig- norieren zu wollen, dass ursprünglich kulturpsycho- logische Ansätze mittlerweile auch zunehmend in der Kulturvergleichenden Psychologie Berücksichtigung finden (s. 2.11; BoeschIStraub 2007; Miller 1997). ,

Unter der Perspektive einer naturwissenschaftlich, insbesondere experimentell und universalistisch aus- gerichteten Psychologie erscheint >Kultur< quasi als >Störvariable<, die kontrolliert werden muss, um den Nachweis der Universalität der untersuchten psychi- schen Phänomene nicht zu gefährden. >Kultur< wird dabei modellhaft als ein auflerhalb des Individuums zu lokalisierender und von ihm unabhängiger Satz von Variablen behandelt, der auf individuelle Denk-, Erlebens- und Verhaltensweisen Einfluss nimmt. Ziel der klassischen kulturvergleichenden Psychologie ist es in diesem Konzept unter anderem, zur Entdeckung universeller Gesetzmäßigkeiten beizutragen, indem sie sich bei der Aufstellung allgemeingültiger Gesetze nicht auf die Untersuchung von Subjekten aus der ei- genen Kultur beschränkt, da diese Beschränkung den etwaigen Einfluss der kulturellen Variablen ignorie- ren würde. Eines der bekannteren Beispiele für den Versuch, )Kultur< dabei als Störvariable zu kontrollie- ren, ist die Bemühung um Entwicklung von so genann- ten >kulturunabhängigen< (engl. )culture fair0 Tests zur Intelligenzmessung. Mit solchen Tests, die versuchen, Testaufgaben zum Beispiel weitgehend sprachfrei zu vermitteln, will man dem Problem gerecht werden, dass bestimmte Personen mit den jeweiligen Testinhal- ten aufgrund ihrer Sozialisation in einer ganz bestimm- ten Kultur besser vertraut sind als andere. Ausgehend von diesem Beispiel lassen sich einige wesentliche Grundzüge der Kulturpsychologie aufzeigen.

In Anlehnung an Vico ist die Kulturpsychologie von der Überzeugung getragen, dass Menschen in ihrem

240 Disziplinäre und theoretische Zugänge

Denken, Erleben, Fühlen, Wollen und Handeln - ebenso wie die daraus resultierenden materiellen und immateriellen Erzeugnisse - in einer bestimmten Be- ziehung zu kulturellen Wissens-, Glaubens-, Einstel- lungs- und Orientierungssystemen stehen, die iden- titätsstiftende Funktion für ganze Kollektive haben und ihrem Dasein und Tun sowohl Sinn als auch Be- deutung verleihen, von Individuen allerdings auch sehr individuell und in diesem Sinne unabhängig von ihren Bezugsgruppen ausgelegt werden können (Boesch 1991; Bruner 1991; s. a. 1.4). Kultur ist in diesem Rahmen folglich nicht als externales und unabhängiges Variablenset zu betrachten, sondern als integraler Bestandteil der menschlichen Psyche, eine Auffassung, die gelegentlich auch mit dem Ausdruck >culture-in-mind< beschrieben wird und auf die wech- selseitige Konstitution von Kultur und Psyche hinweist (vgl. Cole 1996). Der Mensch erscheint hier nicht pri- mär als determiniertes Natur-, sondern als agierendes Kultunvesen, mit der Folge, dass alle Psychologie im- mer auch Kulturpsychologie sein muss, da sie psychi- sche Phänomene ohne die Untersuchung des kultu- rellen Kontextes als eines historisch gewachsenen und sich wandelnden Bedeutungszusammenhangs nicht zu fassen vermag. Kulturpsychologisch orientierte Kul- turdefinitionen betonen denn auch die Rolle von Kultur als einem >Handlungsfeld<, dessen Inhalte von Menschen geschaffen undloder genutzt werden und z. B. Institutionen, Ideen, Mythen, Uberzeugungen mit einschließen. Als Handlungsfeld bietet Kultur Hand- lungsmöglichkeiten und stellt zugleich Handlungsbe- dingungen, indem sie einerseits Ziele anbietet, die mit bestimmten Mitteln realisierbar sind, andererseits aber zugleich Grenzen des Möglichen oder >richtigen< Handelns setzt. Das Individuum steht in diesem Feld immer in einer zwiespältigen Beziehung: Es fügt sich ein, passt sich an, genießt auch manche der gebotenen Vorzüge, doch versucht es immer auch Grenzen nach seinen Wünschen zu erweitern und Gegebenheiten zu transformieren (s. Boesch 1980, 17).

Vor dem Hintergrund dieser Auffassung wird klar, dass die Untersuchung psychologischer Phänomene oder Konstrukte wie z. B. >Intelligenz<, angefangen bei der Operationalisierung von >Intelligenz< und der Auswahl der Verfahren, über den Prozess der Daten- erhebung bis hin zur Datenauswertung und Interpre- tation der Befunde in Abhängigkeit von ganz bestimm- ten kollektiv und individuell kulturell tief eingebetteten Praktiken steht, die das Einfallstor für ethnozentri- sche und diesbezüglich wissenschaftlich unreflektierte Untersuchungen sein können. Die Annahme, dass Tests, Fragebögen oder auch andere Instrumente und Verfahren >kulturfrei< sein könnten, übersieht bei- spielsweise, dass schon das bloße Befragen und Testen mittels solcher Verfahren in manchen Kulturen bzw.

für manche Individuen gang und gäbe, anderen aber unvertraut sein können (s. a. 3.3; 3.5). Auch die >Sprachfreiheit< von Tests, die eine vermeintlich kul- turunabhängige Untersuchung gewährleisten soll, ist selbstverständlich eine Fiktion, die auf einem un- angemessen engen Begriff von Sprache und Kom- munikation wie auch einer Fehleinschätzung der Untersuchungssituation als eines sprach- und da- mit kulturfreien Interaktionskontextes beruht. Ebenso ist das Herantragen einer lediglich unter kulturell ge- wachsenen Verständnissen der Eigenkultur plausi- blen Operationalisierung von >Intelligenz< an eine Fremdkultur aus kulturpsychologischer Sicht höchst fragwürdig, da kognitive Fähigkeiten unter anderem davon abhängen, inwieweit ihre Entwicklung in einer bestimmten Kultur gewünscht und entsprechend ge- fördert oder aber gehemmt wird. Zudem engen insbe- sondere quantitative Verfahren und die darin (etwa durch vorgegebene Antwortmöglichkeiten) festgeleg- ten Vorannahmen den Ausschnitt ein, der für die Untersuchung von Interesse ist. Durch diese Vor- strukturierung der zu untersuchenden >Realität< wird bereits im Vorhinein die Einsicht in eventuell kulturspezifische Aspekte des Untersuchungsgegen- standes erschwert. Die hier von der Kulturpsycholo- gie eingeforderte möglichst weitgehende Perspekti- venübernahme zum Zwecke einer angemessenen, d. h. wissenschaftlich und interkulturell kompetenten Her- angehensweise an die zu untersuchende Fremdkultur und ihre Angehörigen, wird häufig auch als >emische< (engl. >emic<) Perspektive von einer >etischen< (engl. >etic<) Perspektive unterschieden, die bemüht ist, den Standpunkt eines von außen tätigen vermeintlich objektiven Beobachters einzunehmen. In der tatsäch- lichen Forschungspraxis lassen sich beide Perspek- tiven kaum voneinander trennen, doch legt die Kultur- psychologie sehr viel Bemühung in die Gewinnung einer emischen und in den Aufweis der Unmöglich- keit einer rein etischen Perspektive (Greenfield 1997). Die Gewinnung einer emischen Perspektive sieht sich allerdings vor die Schwierigkeit gestellt, dass keines- wegs evident ist, wessen Perspektive der emisch orien- tierte Forscher genau einzunehmen hat. Da gemäß der kulturpsychologischen Auffassung von >Kultur< verschiedene Gruppen und Individuen historisch ge- wachsene Sinn-, Bedeutungs- und Orientierungszu- sammenhänge sehr virtuos und voneinander abwei- chend auslegen, internalisieren oder in Frage stellen können, bedarf es einer klaren Eingrenzung dessen, was jeweils als eine bestimmte Kultur gelten und ge- gebenenfalls von einer anderen unterschieden werden soll. Die Kulturpsychologie wendet sich somit deut- lich gegen die allzu schlichte Gleichsetzung von Na- tionen oder Staatsangehörigkeiten mit Kulturen, eine Gleichsetzung, die nur auf der Grundlage eines ver-

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gleichsweise statischen und in starkem Maße geogra- phisch-regionalen Kulturbegriffs möglich ist, der nach wie vor zahlreiche kulturvergleichende Studien nicht nur der Psychologie prägt.

Um den hier genannten kulturpsychologischen Grundpositionen auch in der empirischen Forschung gerecht zu werden, werden von Kulturpsychologen qualitative Verfahren bevorzugt, die darauf abzielen, ethnozentrische Voreingenommenheiten einzudäm- men, Perspektivenübernahmen zu erleichtern und In- dividuen als kulturell geprägte Erzeuger von Kultur weitest möglich zu Wort kommen zu lassen. Die em- pirisch fundierte Begriffs- und Theoriebildung von Barney G. Glaser und Anselm L. Strauss, die unter der Bezeichnung »Grounded Theory« bekannt wurde, hat in diesem Zusammenhang große Bedeutung, da sie die paradigmatische methodologische Umorientie- rung von der quantitativen zur qualitativen For- schung in den Kulturwissenschaften einleitete. In ih- rem Ansatz einer die gesamten Untersuchungsphasen durchziehenden kontinuierlichen Einzelschrittüber- prüfung von Beobachtung durch Theorie und von Theorie durch Beobachtung (GlaserIStrauss 1967; s. a. 3.1 1) findet die kulturpsychologische Auffassung von Kultur und kulturellen Prozessen als einer stän- digen intrinsischen und reziproken Beziehung zwi- schen Kultur und Psyche ihre Umsetzung auf wissen- schaftlich-empirischem Terrain. Zugleich eröffnet der Grounded Theory-Ansatz die Möglichkeit, der durch quantitative Verfahren häufig bereits vorstrukturier- ten Einengung des Untersuchungsgegenstands durch das Ideal der )Offenheit< gegenüber dem Fremden, wie sie sich methodisch in offenen Fragen und nicht- standardisierten Interviews zeigt (s. a. 3.3), entgegen- zuwirken. Die hieran anschlieflenden und aktuell am häufigsten untersuchungsleitenden Theorien und Ver- fahren sowie einige der wichtigsten Vertreter der Disziplin,seien hier in aller Kürze genannt (für wei- tergehende Hinweise s. BoeschIStraub 2007, deren Auf- zählung die nachfolgende Liste im Wesentlichen folgt): * Boeschs »Symbolische Handlungstheorie und Kul-

turpsychologie« (1980, 1991), die mit Blick auf ihre Fortführung durch Eckensberger und Krewer gele- gentlich auch als »Saarbrücker Schule« bezeichnet wird; Bruners (1987, 1991) anthropologisch sowie hand- lungs- und erzähltheoretisch fundierte Kulturpsy- chologie; Coles (1996,2005) Ansatz, der an die tätigkeitsthe- oretische bzw. kulturhistorische Tradition der rus- sischen Psychologie (Wygotski, Lurija, Leontjew) anknüpft;

* die ebenso der russischen kulturhistorischen Tradi- tion sowie Bakhtins Literaturtheorie verpflichteten Arbeiten von Wertsch (199 1, 1998);

* die ebenfalls an die kulturhistorische Tradition an- knüpfende entwicklungspsychologische Konzeption von Valsiner (2000; Valsinerlvan der Veer 2000);

* Shweders (1990,2000) Entwurf einer in besonderer Weise dem Wissenschaftsprogramm der Romantik verpflichteten Kulturpsychologie;

* Straubs (1999,2006) an Werbik anknüpfende, text- wissenschaftliche und hermeneutische Handlungs- und Kulturpsychologie; Arbeiten der Nijmegen Cultural Psychology Group (NCPG) zum dialogischen Selbst und anderen kul- turpsychologischen Themen (s. z. B. HermanslKem- pen 1993);

* Primär kognitionspsychologisch orientierte Unter- suchungen zu kulturell variierenden Wahrneh- mungs- und Bewertungsstilen und ihrer Bedeutung für das Selbst wie sie von Markus und Kitayama (MarkuslKitayama 199 1; MarkuslMullallylKita- yama 1997) sowie Peng und Nisbett (NisbettIPengl ChoiINorenzayan 2001) durchgefiihrt werden; Ratners (1997) methodologische Beiträge zur qua- litativen Forschung in der Kulturpsychologie; Lorenzers und Königs Wiederanknüpfung an psychoanalytische Kulturanalysen und Interpreta- tionsverfahren (s. 2.13; s. Chakkarath 2006b; König 2006; Lorenzer 1988); Die U. a. von Parin, Devereux und Erdheim vertre- tene Ethnopsychoanalyse, die auf kulturelle Diffe- renz-, Alteritäts- und Fremdheitserfahrungen fo- kussiert (s. 2.13; Erdheim 2000; Devereux 1973; ParinIMorgenthalerlParin-Matthey 196312006); Jahodas (1992,1996,1999) historiographische, sys- tematische und empirische Studien zur Kulturver- gleichenden Psychologie und zur Kulturpsychologie.

Unter den Methoden und Verfahren, die von diesen und anderen Forschern eingesetzt werden, finden sich die dokumentarische Methode der Interpretation (Bohnsack 2000; 3.1 l) , darauf gründende Verfahren einer textwissenschaftlichen Handlungs- und Kultur- psychologie (Straub 1999,2006), Methoden des auto- biographisch-narrativen Interviews sowie der Biogra- fie- und Erzählanalyse (Bruner 1973; Schütze 1983), konversationsanalytische Verfahren (Bergmann 1997; 3.12) und Diskursanalyse (Valsiner 1999), Meta- phernanalyse (Buchholz 1993), unterschiedliche Ver- fahren der qualitativen, mitunter auch computerge- stützt durchgeführten Inhaltsanalyse (Mayring 2000), Konnotationsanalyse (Boesch 1976), tiefenherme- neutische Text- und Filmanalyse (Lorenzer 1988, Kö- nig 2006), aber auch quasiexperimentelle Beobach- tungsstudien (Cole 2005) sowie ethnographische und experimentelle Verfahren in Anlehnung an Wygotski und Lurija (MarkuslKitayama 199 1; Nisbett et al. 2001). Ziel all dieser Verfahren, die häufig auch in Kombination eingesetzt werden, ist die möglichst

242 Disziplinäre und theoretische Zugänge

unvoreingenommene Untersuchung der Verflochtenheit von Kultur und Psyche und der Arten und Weisen der Kulturhervorbringung, bevorzugt im Augenblick ih- res aktuellen Vollzugs, wie das etwa in den unter- schiedlichen qualitativen Interviewverfahren und der in ihnen rekonstruierbaren narrativen Produktion kultureller Selbstverständnisse möglich ist. Der Ein- satz von Text-, Film- und anderen Artefaktanalysen (3.9; 3.12; 3.14) wie auch die Integration beispiels- weise literaturwissenschaftlicher Ansätze deutet dar- auf hin, dass die Kulturpsychologie hinsichtlich der Datenerhebung mehr Quellen heranzieht als bei- spielsweise die vornehmlich quantitativ ausgerichtete Kulturvergleichende Psychologie und darin ihren his- torisch interdisziplinären Anfängen weiterhin ver- bunden ist.

Die wichtigsten Zeitschriften für die Dokumenta- tion der vorangehend beschriebenen kulturpsycholo- gischen Forschungsperspektiven und Verfahren sind das 1991 erstmals erschienene Theory & Psychology, das 1994 aus dem Quarterly Newsletter of the Labora- tory of Comparative Human Cognition hervorgegan- gene Mind, Culture, and Activity, sowie das von Jaan Valsiner 1995 als Alternative zum Journal of Cross- cultural Psychology begründete Culture & Psychology; in deutscher Sprache erscheint Handlung, Kultur, Interpretation. Zeitschrifi für Sozial- und Kulturwissen- schafien. Das thematisch wichtigste Online- Journal ist das Forum Qualitative Sozialforschung/Forum Qua- litative Social Research (FQS) (www.qua1itative- research.net/fqs/fqs.htm); eine weitere wichtige On- line-Informationsquelle ist die offizielle Website der Nijmegen Cultural Psychology Group (www.cult- psy.com). Institutionell organisiert haben sich deutsch- sprachige Kulturpsychologen in der 1986 gegründe- ten Gesellschaft für Kulturpsychologie e. V.

Das Programm der lndigenen Psychologie

Mit der Bezeichnung >Indigene Psychologie< wird eine neuere Strömung innerhalb der kulturintegrie- renden Psychologie bezeichnet, die mittlerweile den Anspruch auf eine selbständige Subdisziplin erhebt. Historisch führt sie sich auf die Anfänge einer kriti- schen Auseinandersetzung mit westlichen Theorien und Forschungsrnethoden durch zunächst vor allem westliche (z. B. Bruner, Boesch, Holzkamp), verein- zelt auch asiatische (Sinha) Psychologen seit den 1960er Jahren zurück. Zeitgleich begann die Wieder- entdeckung des Themas >Kultur< in der Psychologie, und im selben Zuge begann man die kulturellen Be- dingtheiten sozialwissenschaftlicher Forschung wie auch den Hegemonialanspruch westlicher Konzepte und Wissenschaftsverständnisse zu hinterfragen. Wenn sich auch die Bezeichnung >indigen< zur Charakterisie-

rung kulturspezifischer Psychologietraditionen erst in den 1980er Jahren mit dem Buch Indigenouspsycholo- gies der Kulturanthropologen Heelas und Lock (1981) etablieren sollte, tauchen schon ein Jahrzehnt früher die ersten Fachpublikationen auf, die von »nationa- len«, z. B. der kanadischen oder mexikanischen Psycho- logie (Berry 1974; Diaz-Guerrero 1977) sprechen. Zugleich erscheinen Arbeiten, die Grundannahmen einiger zentraler westlicher Theorien in Frage stellen. Die darunter wahrscheinlich bekannteste Abhand- lung ist diejenige des japanischen Psychoanalytikers Takeo Doi (1973), der behauptete, dass das Konzept von >amae< eine auf Japan beschränkte Form der in- terpersonalen Verhaltens- und Erlebensweise sei, für dessen Beschreibung und Erklärung auch nur das Ja- panische die sprachlichen Mittel zur Verfügung habe. Annähernd könne man es als gegenseitiges Bedürfnis nach »Freiheit in Geborgenheit und Abhängigkeit« übersetzen, womit ein zentraler Aspekt in der Bezie- hung zwischen Mutter und Kind gemeint sei. Die Mutter begegne ihrem Kind dabei mit einem Höchst- maß an Nachsicht und Fürsorge, womit es dem Kind möglich werde, sich gerade unter den Bedingungen des Angewiesenseins auf mütterliche Fürsorge wei- testgehend frei zu entwickeln. Zugleich erlebe sich die Mutter nicht als überbehütend in einem westlichen Sinn, sondern als Gewährleisterin von Freiheit. Doi betrachtet diese seiner Meinung nach spezifisch japa- nische Form von Freiheit als ein Kernelement des ja- panischen Selbst und seiner mitunter pathologischen Züge. Gestützt auf seine Analysen zum Konzept des >amae< stellte er in Frage, dass die im Westen konzi- pierte Bindungstheorie und die darin vorgenommenen Charakterisierungen sicherer bzw. unsicherer Typen der Mutter-Kind-Bindung auf den japanischen Kontext übertragbar seien (für eine empirisch begründete kriti- sche Evaluation von Dois Thesen aus indigenpsycholo- gischer Perspektive s. Yamaguchi/Ariizurni 2006).

Ähnliche Ansprüche auf die Kulturspezifizität be- stimmter psychologischer Phänomene wurden mitt- lerweile vielfach erhoben, z. B. von Triandis (1972) für das griechische >philotimo< (eine zugleich freundliche, tugendhafte, zuverlässige und stolze Person), von Pande und Naidu (1992) für das indische >anasakti< (Nicht-Bindung), von Enriquez (1993) für das philip- pinische >kapwa< (die mit einem anderen geteilte Identität) oder auch von Choi, Kim und Choi (1993) für das koreanische >jung< (tiefe Bindung und Zunei- gung) und von Choi und Kim (2002) für das koreani- sche >shim-cheong< (Zuneigung des Gemüts).

Zusammen genommen erwecken all die exempla- risch genannten Publikationen den Eindruck, dass die Indigene Psychologie einem radikalen Kulturrelati- vismus das Wort rede, doch gilt das keineswegs für alle, vielleicht sogar nur für eine Minderheit der Au-

Kulturpsychologie und indigene Psychologie 243

toren. Alles in allem lässt sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt jedoch nur feststellen, dass die Indigene Psychologie im Stadium einer Selbstfindung und Identitätsbestimmung ist' wie sich U. a. in den sehr vielfältigen Beiträgen zeigt, die sich in ihrem derzeit wichtigsten Publikationsorgan, dem Asian Journal of Social Psychology finden lassen, dem Publikationsfo- rum der 1995 gegründeten Asian Association of Social Psychology (AASP). Ein im Jahr 2000 erschienenes Sonderheft des Journals dokumentiert die histori- schen, wissenschaftstheoretischen und methodologi- schen Debatten, die bis heute anhalten (s. z. B. Green- field 2000; Shweder 2000; Yang 2000; zusätzlich Moghaddam 1987; Sinha 1998; Kim 1990, 2001; KirnIParMPark 2000; Jing/Fu 2001; Shams 2002; s. auch das Special issue des International Journal of Psychology 2006). Die derzeit wichtigsten Sammel- bände zum Thema wurden von Kim und Berry (1993) sowie Kim, Yang und Hwang (2006) heraus- gegeben. Vor dem Hintergrund der in diesen Arbeiten geführten Debatten versuchen Kim, Yang und Hwang (ebd.) in folgenden 10 Punkten zusammen zu fassen, was unter )Indigener Psychologie< zu verstehen und was ihr Anliegen sei:

1. Indigene Psychologie betont die Notwendigkeit der Untersuchung psychologischer Phänomene in ih- rem ökologischen, historischen und kulturellen Kon- text.

2. Sie zielt nicht auf die Untersuchung )exotischer< Völker, sondern grundsätzlich aller kulturellen Grup- pen und Ethnien.

3. Sie propagiert den Einsatz multimethodaler Un- tersuchungsverfahren.

4. Sie plädiert für die Einbeziehung sowohl von )In- sidern< als auch )Outsidern<, wie allen weiteren mög- lichen Perspektiven, so dass ein integratives Verständ- nis der untersuchten Phänomene möglich wird.

5. Die Mainstream-Psychologie testet ihre eigenen vorgefertigten analytischen Annahmen an Angehöri- gen fremder Kulturen, untersucht also die Psychologie von Psychologen. Indigene Psychologie anerkennt, dass Menschen in allen Kulturen ein komplexes und entwickeltes Verständnis von sich selbst haben, aber nicht zwangsläufig den analytischen Sachverstand, die diesem Verständnis zugrunde liegenden Strukturen und Prozesse zu beschreiben. Es ist daher Aufgabe der indigenen Psychologie, das episodische Wissen der untersuchten Personen in angemessener Weise analy- tisch so aufzubereiten, dass daran anknüpfende Unter- suchungen und Überprüfungen möglich werden.

6. Indigene Psychologie propagiert die Integration mannigfaltiger Perspektiven, jedoch keinen Kultur- relativismus. Ihre Bemühungen sind darauf gerichtet, die Suche nach Universalien einer härteren Oberprü- fung auszusetzen, so dass die daraus resultierende

Aufstellung universell gültiger Aussagen von größerer Qualität ist.

7. Einige indigene Psychologen bemühen philo- sophische, religiöse oder andere weltanschauliche Texte, um indigene psychologische Phänomene zu er- klären. Indigene Psychologie ist jedoch nicht gleichzu- setzen mit jeglicher indigenen Denktradition. Erst wenn die entsprechenden Inhalte dieser Traditionen in psychologische Begrifflichkeiten übersetzt und em- pirisch auf ihre psychologische Relevanz getestet sind, kommen sie für die Entwicklung einer indigenen Psychologie in Betracht.

8. Menschen sind Agenten ihrer Kultur, die zu- gleich von ihrer Kultur geprägt werden, sie aber auch verändern können. Sie sind sowohl Subjekte als auch Objekte der Untersuchung, die nicht nur subjektive Einblicke in ihre Welt haben, sondern diese auch kom- munizieren. Um dieser Komplexität gerecht zu wer- den, reicht die unbeteiligte Beobachterposition des Dritten nicht aus, sondern sie muss durch die beiden Perspektiven des Individuums komplettiert und durch angemessene, z. B. diskursanalytische Verfahren unter- sucht werden.

9. Indigene Psychologie plädiert für eine interdiszi- plinäre Untersuchung psychologischer Phänomene, die sozialwissenschaftliche Kompetenzen mit geis- teswissenschaftlichen Kompetenzen, beispielsweise aus Philosophie, Philologie, Religions-, Geschichts- und Literaturwissenschaft verbindet.

10. Indigene Psychologie vertritt die Auffassung, dass Indigenisierung )von außen( wissenschaftlich eben- so fruchtbar sein kann und notwendig ist wie Indi- genisierung )von innen<. Erstere meint das Anpassen westlicher Konzepte an nicht-westliche Untersuchungs- kontexte, letztere meint das Entwickeln indigener Kon- zepte in und aus der Kultur selbst.

Es soll hier nicht darum gehen, die Klarheit der Ab- grenzungen der verschiedenen Punkte oder die Plau- sibilität jedes einzelnen der Punkte zu diskutieren, obwohl es dafür sicher Anlass gäbe. Im vorliegenden Kontext wollen wir aber versuchen, das hier skizzierte Selbstverständnis der Indigenen Psychologie in Abhe- bung von der Kulturpsychologie zu verstehen.

Vergleichen wir diese programmatischen Aussagen mit unserer vorangegangenen Charakterisierung zen- traler Grundanliegen der Kulturpsychologie, so fällt es nicht leicht, genuin eigenständige Positionen und Anliegen der Indigenen Psychologie zu erkennen. In fast jeder Hinsicht scheint sie die kulturpsychologi- sche Kritik an der Mainstream-Psychologie zu teilen, auch wenn die Autoren des obigen Programms in kulturrelativistischen Perspektiven und der Skepsis gegenüber durchgängigen Universalansprüchen grö- Gere Probleme sehen .mögen als die Kulturpsycholo- gie. Es stellt sich angesichts so vieler Ähnlichkeiten die

244 Disziplinäre und th ieoretische Zugänge

Frage, was genau zur Entwicklung der mittlerweile an Zulauf gewinnenden Indigenen Psychologie geführt hat. Ohne diese Frage hier erschöpfend beantworten zu können, seien doch einige vielleicht hilfreiche Be- obachtungen angeführt.

Zunächst lässt sich festhalten, dass die seit den 1960er Jahren intensiver geführte Diskussion um die Kulturabhängigkeit psychologischer Phänomene wie auch ihrer wissenschaftlichen Untersuchung primär von den Protagonisten der Forschung selbst geführt wurde, also von westlichen Psychologen. Man hätte er- warten können, dass die Kulturpsychologie, die noch in ihren aktuellen Diskussionen viele Themen der da- maligen Zeit verhandelt, energischer daran gegangen wäre, die westliche intellektuelle Dominanz in kultur- psychologischen Fragen dadurch zu beenden, dass sie selbst viele nichtwestliche Kulturpsychologen ausbil- det und außerdem ihre eigenen interkulturellen Kom- petenzen verbessert. Was den ersten Punkt anbetrifft, so lässt sich schwer bemessen, wie groß die Anstren- gungen der westlichen Kulturpsychologie waren, nichtwestliche Kollegen auszubilden oder mit ihnen einen intensiven intellektuellen Austausch zu begin- nen. Die Zahl der prominenten nichtwestlichen Kul- turpsychologen ist jedenfalls überschaubar und deut- lich kleiner als die Zahl ihrer westlichen Pendants. Man sollte jedenfalls nicht voreilig darauf schließen, dass die Kulturpsychologie in dieser Hinsicht bessere Arbeit geleistet haben müsste als etwa die Kulturver- gleichende Psychologie, der hin und wieder ja durch- aus kolonialistische Züge vorgeworfen werden (z. B. Bhatia 2002; Holdstock 2000; Howitt/Owusu-Bem- pah 1994; Jahoda 1999; Said 1995). Was heißt es aber, dass man als, Kulturpsychologe seine interkulturellen Kompetenzen verbessert und inwiefern hat sich in die- ser Hinsicht etwas getan? Ein Blick auf den ersten Teil dieses Kapitels macht deutlich, dass die meistzitierten Vertreter der Kulturpsychologie zum überwiegenden Teil Europäer und Amerikaner sind und dass die wis- senschaftlichen und intellektuellen Traditionen, in de- nen sie sozialisiert und ausgebildet wurden und in de- nen sie »zuhause« sind, fast ausschließlich westlicher Provenienz sind. Ihre Diskurse, die durchaus interdis- ziplinär sein mögen, kreisen im Wesentlichen um wis- senschaftliche Texte und Resultate, die im Westen ver- fasst bzw. erzielt wurden, und sie werden weitgehend auf Englisch, in Deutschland immerhin auf Englisch und Deutsch geführt. Diese gerade an kulturpsycholo- gischen Ansprüchen gemessen ernüchternde Situa- tion wird noch befremdlicher, wenn man sich klar macht, dass westliche Kulturpsychologen sich nichts- destoweniger davon abhalten lassen, ihre Untersu- chungen auch in Kulturen durchzuführen, deren intel- lektuelle und wissenschaftliche Traditionen ihnen nicht vertraut sind und deren Vertreter in ihren Ar-

beiten auch höchst selten zu Wort kommen. Häufig scheitert die Möglichkeit einer Aneignung entspre- chender Kompetenzen schon daran, dass die sprach- lichen Kompetenzen fehlen, um eventuell psycholo- gisch relevante Texte wissenschaftlich angemessen zur Kenntnis zu nehmen.

Diese zugegebenermaßen provokanten Bemerkun- gen sollen nicht in erster Linie provozieren, sondern einen Anhaltspunkt dafür liefern, wie sich die Lage der Kulturpsychologie aus Sicht derjenigen Psycholo- gen zeigt, deren Ausbildung in großem Maße die An- eignung westlicher intellektueller Kompetenzen und Bildungsinhalte umfasste, die aber auf der Gegenseite meist Defizite feststellen müssen, wenn es um ver- gleichbares Wissen über fremde Kulturen geht. Nimmt man diese Anmerkungen ernst, so zeigt sich bei nochmaligem Durchgehen der oben stehenden pro- grammatischen Darstellung des Anliegens Indigener Psychologie, dass fast jedem der aufgeführten Punkte angemessen nur bei vorhandenen kulturellen (indi- genen) und interkulturellen Kompetenzen entspro- chen werden kann.

Buddhistische Psychologie als lndigene Psychologie

Abschließend soll exemplarisch ein Beispiel für eine indigene Psychologie vorgestellt werden, das ausge- wählt wurde, um einerseits zumindest ansatzweise zu zeigen, dass auch nichtwestliche intellektuelle Diskurse psychologisch relevant sein und zur Erweiterung inter- kultureller Kompetenzen im Rahmen kulturpsycholo- gischer Forschung motivieren können; andererseits soll gezeigt werden, dass die psychologische Skepsis gegenüber der disziplinären Relevanz weltanschaulich verankerter Denksysteme, wie sie offenbar auch irn La- ger der Indigenen Psychologie verbreitet ist, nicht vor- eilig generalisiert werden sollte. Das Beispiel ist nicht ganz willkürlich gewählt, da der Buddhismus die heute in Asien am weitesten verbreitete philosophische Welt- anschauung darstellt und zugleich einige der ältesten und nach wie vor einflussreichsten Denksysteme her- vorgebracht hat. Die Darstellung folgt inhaltlich und in den theoretischen Annahmen zur kulturpsychologi- schen Relevanz weltanschaulicher Uberzeugungs- und Orientierungssysteme weitgehend Chakkarath (2007).

Der Buddhismus entstand im 6. vorchristlichen Jahrhundert und hat in jahrhunderte langer Ausein- andersetzung mit den philosophischen Systemen des Hinduismus eigenständige Positionen entwickelt. Die zentralen buddhistischen Schriften sind im so genann- ten Pali-Kanon niedergelegt, der etwa im 5. Jahrhun- dert n. Chr. vollendet wurde und in vielen asiatischen und europäischen Ubersetzungen vorliegt, wobei die

Kulturpsychologie und indigene Psychologie 245

Zahl der Kommentare und Lehrbücher aus den unter- schiedlichen buddhistischen Schulen nahezu unüber- schaubar ist. Nachfolgend werden in knapper Form einige zentrale und schulübergreifende psychologisch relevante Aspekte skizziert, ohne auf die teilweise er- heblichen Unterschiede zwischen den Schulen einge- hen zu können.

Mit dem Hinduismus teilt der Buddhismus die für das klassische indische Denken prägenden Oberzeu- gungen, dass Leben primär Leiden bedeute, dass das Leiden aus kausal determinierten Vorgängen und ih- ren Bewertungen resultiert, denen auch die mensch- lichen Wahrnehmungen, Emotionen und Wünsche unterworfen sind, und dass diese Vorgänge einen vom individuellen karma abhängigen Kreislauf von Wieder- geburten in Gang halten. Geteilt wird auch die Auffas- sung, dass diese existentielle Leidenssituation nur durch disziplinierte Kontrolle körperlicher und geisti- ger Prozesse überwunden werden kann (Chakkarath 2005). Niedergelegt sind diese Auffassungen in den )vier edlen Wahrheiten<, die der historische Buddha nach seiner Erleuchtung seinen Schülern verkündete, obwohl er das Befreiungserlebnis für sprachlich un- einholbar erklärte (Lamotte 2000). Die erste Wahr- heit besagt, dass alle menschliche Erfahrung letztlich leidvolle Erfahrung sei. Kurzfristige Glückserfahrun- gen werden damit nicht geleugnet, doch wird erklärt, dass wahres Glück von nichts anderem als sich selbst abhängen und auch nicht wandelbar sein darf. In der Welt aber sei nichts und niemand unabhängig und al- les und jeder sei dem ständigen Wandel unterworfen. Die zweite Wahrheit handelt von der Entstehung des Leidens, die den Durst, die Lust und die Gier als Ursa- chen für die zyklische Wiederkehr des Leidens im jet- zigen Leben und im weiteren Kreislauf der Wieder- geburten identifiziert. Es sind insbesondere der Durst nach Lustbefriedigung, nach Dasein und nach Neuem, der die kognitiven, emotionalen und motivationalen Prozesse wie auch die daraus resultierenden Hand- lungen leite. Die dritte Wahrheit handelt von der Aus- löschung des Leidens, die besagt, dass die restlose Ver- nichtung von Unwissenheit, Durst, Gier, Lust, Hass und Verblendung das Denken und Handeln aus sei- nen Bedingtheiten befreit. Somit kann kein negatives karma mehr geschaffen werden und das Rad der Wiedergeburten kommt zum Stillstand. Die vierte Wahrheit beschreibt den rechten Weg, der zum Ver- gehen des Leidens führt und der auch als >edler acht- facher Pfad bezeichnet< wird. Darin sind die zentralen ethischen Anforderungen an einen Menschen mar- kiert, der Erlösung erlangen will. Unterschieden wer- den die drei Abschnitte der Sittlichkeit (sila), der me- ditativen Sammlung (samadhi) und der Weisheit (panna). Von den acht Gliedern des Pfades sind drei (rechte Rede, rechtes Tun und rechter Lebensunter-

halt) der Sittlichkeit, drei (rechte Anstrengung, rechte Achtsamkeit, rechte Konzentration) der meditativen Sammlung und zwei (rechte Gesinnung und rechtes Verstehen) der Weisheit zugeordnet. Entsprechend der Auffassung, dass alles mit allem verbunden ist und einander bedingt, sind auch die auf dem achtfa- chen Pfad zu verwirklichenden Einstellungen nicht nacheinander, sondern in gleichzeitiger und kontinu- ierlicher Achtsamkeit auf alle acht Glieder zu realisie- ren. Die Grundhaltung, die ein frommer Buddhist sich aneignen muss, lautet >Behutsame Achtsamkeit< in allen Dingen. Diese Grundhaltung ist auf die stetige empirische Oberprüfung der vier Wahrheiten gerich- tet, wie z. B. auf die aufmerksame Beobachtung auch vermeintlich unbedeutender Handlungs- und Ent- scheidungsvollzüge zum Zwecke der Analyse ihrer psychologischen und physiologischen Bedingtheiten. Darüber hinaus lehrt sie, über das Selbstverstehen auch die Situation anderer in ihren Bedingtheiten zu begrei- fen, dadurch zu respektieren und darauf zu achten, ihr Leiden nicht unnötig zu mehren. Aus dieser Be- trachtung zog der Buddhismus die gesellschaftlich si- cherlich folgenreichste Konsequenz: er lehnte das hin- duistische Kastensystem und die darin seiner Meinung nach manifestierte Ungleichheit der Menschen ab.

Die conditio humana in ihrer Komplexität zu durchschauen und die daraus erwachsenden Konse- quenzen zu ziehen, ist das Ziel, zu dem der achtfache Pfad führen soll. Dieses Grundgerüst der buddhisti- schen Lehre ist daher von detaillierten Analysen zur psycho-physischen Verfassung des Menschen begleitet, die jedermann durch gezielte und beständige Intro- spektion und Meditation empirisch überprüfen kann und muss (De Silva 1993). Inhaltlich wie auch in ihrer empirischen Fundierung, ihrem Abstraktions- und Systematisierungsniveau zählen diese Analysen zu den wichtigsten psychologischen Beiträgen Asiens (vgl. Lamotte 2000) und können hier nur äußerst gestrafft wiedergegeben werden. Gemäß der Analysen konstitu- iert sich der Mensch bzw. sein Ich-Bewusstsein aus dem Wechselspiel von fünf Daseinsgruppen (skandha): (1) die Gruppe der Körperlichkeit (rupa) mit den vier Grundelemente Erde (Festes), Wasser (Flüssiges und Bindendes), Hitze (Temperatur) und Wind (Beweg- tes); (2) die Gruppe der Empfindungen (vedana), die unangenehm, angenehm oder neutral sein können und durch den Kontakt der sechs inneren Sinnesor- gane (Augen, Nase, Ohren, Zunge, Körper und Geist) mit den komplementären äußeren Sinnesobjekten (Aussehen, Geruch, Ton, Geschmack, Berührung und Geistobjekt) hervorgerufen werden; (3) die Gruppe der Wahrnehmungen (sanna), d. h. die Wahrnehmung von Aussehen, Geruch, Ton, Geschmack, Körperlich- keit und Geist; (4) die Gruppe der Geistesformationen (sankhara), welche die sechs Willensäußerungen be-

246 Disziplinäre und theoretische Zugänge

Abb. 1: Samsdra-Modell des zyklischen Werdens und Vergehens.

dingen, die sich auf alle Arten der Sinneseindrücke und der Wahrnehmungen richten können; (5) die Gruppe der Bewusstseinsarten (vinnana), bestehend aus dem Bewusstsein von den sechs Sinnesorganen und den ihnen entsprechenden Sinnesobjekten.

Diese Analyse zeichnet den Menschen als ein im Fluss befindliches und zeitlich limitiertes Aggregat von unterschiedlichen sich gegenseitig bedingenden Faktoren (vgl. Lamotte 2000). Beispielsweise werden die sechs Sinnesorgane und die sechs Sinnesobjekte als die zwölf Grundlagen des Bewusstseins bezeichnet, die gemeinsam mit den sechs Formen des Bewusst- seins als die >18 Elemente< (dhatu) zusammengefasst werden. Jeder geistige Vorgang, wie auch jedes beglei- tende, vorangehende oder nachfolgende geistige Phä- nomen kann so, unter Berücksichtigung der jeweils vorliegenden Körperfaktoren, als spezifische Kombi- nation dieser Elemente untereinander und mit den von ihnen erzeugten Wahrnehmungs- und Willens- phänomenen beschrieben werden. Im Samsara-Modell des zyklischen Werdens und Vergehens (s. Abb. I), das sowohl makrokosmische als auch mikrokosmische und in der meditativen Introspektion beobachtbare psychologische Prozesse beschreibt, zeigt sich, wel- che psychischen Vorgänge aus anderen psychischen Faktoren hervorgehen und selbst wieder andere Vor- gänge bedingen, die aufgrund von Bewertungen, Prä- ferenzsetzungen und Erwartungen das Einfallstor für Glücks- oder Leiderfahrungen werden und schließ- lich dazu führen, dass man die Gelassenheit verliert, sich verstrickt, dadurch psychologisch unheilsamen Handlungsorientierungen verfällt, negatives karma ansammelt und dem leidvollen Kreislauf der Wieder-

geburten daher nicht entkommt. Dass U. a. auch Dä- monen, Geister und Götter diesen Gesetzmäßigkeiten unterworfen sind, unterstreicht den säkularen An- spruch der ursprünglichen buddhistischen Theo- rien, die davon ausgingen, dass der Glaube an Götter dem Menschen in seinen Problemlösungen nicht zur Seite stehen könne, da diese ganz ähnlichen Proble- men wie die Menschen ausgesetzt seien.

Eines der wichtigsten Ergebnisse dieser Analyse ist, dass über den so rekonstruierbaren und stets im Pro- zess befindlichen Bedingungskomplex die Illusion er- zeugt wird, es müsse bei aller Vergänglichkeit doch ein >Selbst< geben, das all diese Vorgänge schließlich bezeugt. Das ist deshalb eine Illusion, da es sich auch bei diesem >Selbst< nur um das Resultat eines konti- nuierlichen Erzeugungs- und Vergehensprozesses han- delt. Geleugnet wird damit auch das Verständnis ei- ner zeitlich überdauernden personalen Identität (vgl. 1.4). Hier stellt sich zwangsläufig die Frage, was der Buddhismus unter Wiedergeburt versteht, wenn er eine zeitlich überdauernde Identität desjenigen Indi- viduums leugnet, das aufgrund seines negativen kar- mas im Kreislauf des Werdens und Vergehens ver- bleibt. Diese Frage ist eine der meistdiskutierten Fragen der buddhistischen Metaphysik. Eine halb- wegs nachvollziehbare Antwort findet sich in einem Gleichnis aus dem Milindapanha, einem nichtkano- nischen Text, in dem ein indischer buddhistischer Mönch versucht, einem griechischen Fürsten den Vor- gang der identitätslosen Wiedergeburt zu veran- schaulichen: Die Wiedergeburt ohne Seele gleiche der Flamme eines Öldochtes, der mit der Flamme eines an- deren Öldochtes entzündet wurde; die zweite Flamme entstand zweifellos in Abhängigkeit von der ersten und lebt fort, wenn die erste erlischt. Aber ist die zweite Flamme mit der ersten Flamme identisch?

Dieser kurze Ausschnitt aus Reflexionen und Unter- suchungen des Buddhismus zu psychologisch relevan- ten Fragen mag hier genügen, um einige abschließende Bemerkungen anzufügen.

Kulturpsychologie und lndigene Psychologie: Ein Fazit

Dieses Kapitel begann mit der Darstellung histori- scher Aspekte und charakteristischer Merkmale der Kulturpsychologie, um im Anschluss daran das Anlie- gen derjenigen Positionen, die sich unter der Bezeich- nung >Indigene Psychologie< identifizieren lassen, da- mit zu kontrastieren. Zum Ende des Kapitels sei nun ein kurzer Blick aus diesen Positionen auf die Kultur- psychologie geworfen.

Das hier nur in aller Kürze vorgestellte begriffliche, theoretische und therapeutische Repertoire buddhis-

1 Kulturpsychologie und indigene Psychologie 247 I

tischer Untersuchungen zu Fragen der Kognition, Emotion, Motivation, methodischer Beobachtung und Introspektion, zu Selbstkonzept, Independenz, Indivi- dualität und Identität erfüllt einige der Ansprüche an moderne wissenschaftliche psychologische Theorien (Chakkarath 2006a; Paranjpe 1984, 1998). Sie könn- ten und müssten für die westliche Psychologie, auch für die westliche Kulturpsychologie, alleine schon deshalb von einigem Interesse sein, doch finden sie in die entsprechenden Diskurse nahezu keinen Eingang. Es scheint auch kein reiner Zufall zu sein, dass nicht- westliche Theorien, wenn sie zumal in Weltanschau- ungen eingebettet sind, in der allgemeinen westlichen Wahrnehmung als >religiös< oder )metaphysisch< eti- kettiert und als )hinduistische<, )islamische<, >konfu- zianische< oder )buddhistische< Denksysteme bezeich- net werden. Damit wird ihnen eine wissenschaftliche Qualität im säkularisierten westlichen Sinne quasi ab- gesprochen, wobei allerdings übersehen wird, dass westlich geprägte Vorverständnisse von )Religion< oder )Metaphysik< nicht zwangsläufig zu einem ange- messenen Verständnis darüber verhelfen, mit was für Uberzeugungs- und Orientierungssystemen man es bei Hinduismus, Islam, Konfuzianismus oder Buddhis- mus zu tun hat (s. a. Ho 1995; Koslowski 2001; 4.8) und welche Rolle darin angelegte Analysen von Fragen ha- ben, die der westlichen Wissenschaft als wissenschaft- liche Fragen gelten (s. SaraswathiIGanapathy 2002; s. a. 5.1 1). Wie diese Themen zu besprechen sind und welche Theorien dafür Relevanz haben, machen west- liche Kulturpsychologen praktisch im Alleingang un- ter sich selbst aus. Die Indigene Psychologie weiß sich der Kulturpsychologie in vielen akademischen Uber- Zeugungen verbunden, fordert aber mit diversen Hin- weisen auf untersuchenswerte Fragen und Phänomene die Einlösung einiger von der Kulturpsychologie selbst erhobener Ansprüche. Man denke hier etwa an das >Prinzip der Offenheit<, die Bemühung um die Gewin- nung einer emischen Perspektive, die Bedeutung von interkulturellen Kompetenzen (1.3) auch und gerade in den Kultunvissenschaften sowie die darauf gestützte Absicherung der Angemessenheit von kulturpsycholo- gischen Verfahren (s. z. B. Guanzon-LapeiiaIChurchl CarlotaIKatigbak 1998). Zum gegenwärtigen Zeitpunkt zeigt sich die Indigene Psychologie in dieser Hinsicht gewissermaßen als ein Korrektiv der Kulturpsycholo- gie und bietet zugleich unentbehrliche Kompetenzen für die konsequentere Umsetzung des kulturpsycho- logischen Forschungsprogramms an. Damit zielen die Vertreter der Indigenen Psychologie nicht zuletzt auf wissenschaftspolitische Umstrukturierungen, die den stetigen Forderungen nach institutionalisierter Inter- disziplinarität ebenso gerecht werden sollten wie der Notwendigkeit möglichst weitgehender Internationa- lität. In dieser Korrektiv-Funktion können die Vertre-

ter der Indigenen Psychologie seitens der Kulturpsy- chologie nur wohlwollend als wachsendes, anregendes Potential begrüßt werden, das auszuschöpfen aller- dings einiges an interkultureller Kompetenz erfor- dert.

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2.13 Ethnopsychoanalyse und Tiefenhermeneutik

Johannes Reichmayr und Haus Ottomeyer

Drei von der Ethnopsychoanalyse eröffnete Perspek- tiven zur Erfassung der Bedeutung von kulturellen Unterschieden sollen hier hervorgehoben werden:

Der Forschungsprozess und die interkulturelle psychoanalytische Praxis, die zur Wahrnehmung und Anerkennung der Bedeutung von kulturellen Unterschieden führen, beinhalten eine Pendelbewe- gung zwischen der eigenen und der fremden Kultur, einschlieBlich der Reflexion dieser Bewegung.

= Die psychoanalytische Gesprächstechnik und ein sich entwickelnder psychoanalytischer Prozess bil- den die meist in Fallgeschichten dokumentierte Ba- sis der Forschung und Praxis.

* Die Berücksichtigung von Daten und Beobachtun- gen zur Subjektivität des Forschers und seiner Uber- tragungen, einschließlich der Reflexion seiner eigenen Migrationserfahrungen, bilden einen grundlegenden Teil des Forschungs- und Thera- pieprozesses.

Im Folgenden sollen zunächst die historisch mitein- ander verbundenen Bereiche der psychoanalytischen Ethnologie, Ethnopsychoanalyse und interkulturellen psychoanalytischen Therapie untersucht und die da- bei zu Tage tretenden praktischen, methodologischen und theoretischen Unterschiede dargestellt werden. AnschlieDend widmen wir uns dem Ansatz der Tie- fenhermeneutik.

Psychoanalytische Ethnologie

Seit dem Beginn der psychoanalytischen Bewegung wurden psychoanalytische Ideen und Erkenntnisse für ein Verständnis kultureller Phänomene eingesetzt. In einer ersten Phase der psychoanalytischen Ethno- logie, in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg, finden wir eine Fülle von Untersuchungen zu Mythen, Ritualen und Symbolen, zu Märchen und Folklore, zur Reli- gion und Kunst (R6heim 1921). Den Höhepunkt bil- dete Sigrnund Freuds Versuch, in seiner Arbeit Totem und Tabu (1912113) einen umfassenden Entwurf einer Kulturtheorie vorzulegen, in dem das Unbewusste in Gestalt des Odipuskomplexes als determinierende Kraft hervortritt. Freuds Vorgehen ist vergleichend- spekulativ. Zur Datengewinnung benutzte er nicht sein therapeutisches Verfahren zur Untersuchung des Unbewussten. Er führte kein psychoanalytisches Ge- spräch mit einem Angehörigen einer fremden Kultur. Die Pendelbewegung zwischen der eigenen und der