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Sonderdruck aus: Sönke Lorenz und Peter Rückert (Hg.) Landnutzung und Landschaftsentwicklung im deutschen Südwesten Zur Umweltgeschichte im späten Mittelalter und in der frühen Neuzeit 2009 W. KOHLHAMMER VERLAG STUTTGART

Neue Pollenanalysen aus dem Schönbuch bei Stuttgart

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Sonderdruck aus:

Sönke Lorenz und Peter Rückert (Hg.)

Landnutzung und Landschaftsentwicklung

im deutschen Südwesten

Zur Umweltgeschichte im späten Mittelalter und in der frühen Neuzeit

2009

W. KOHLHAMMER VERLAG STUTTGART

• Neue Pollenanalysen aus dem Schönbuch bei Stuttgart

von Jutta Lechterbeck und Manfred Rösch

Einleitung

Schriftliche Quellen sowie Baubefunde und botanische Makroreste aus Häusern standen zunächst im Mittelpunkt des Projektes "Haus und Umwelt".1 Anband die­ser Quellen sollte die Nutzungsgeschichte des Schönbuchs rekonstruiert werden. Im Zuge einer zweiten Projektphase wurden diese "on-site-Daten" durch pollen­analytische Untersuchungen komplementiert. Sie können Informationen über den Naturraum liefern, die nicht durch menschliche Selektionsprozesse überlagert sind.

Material

Naturarchive der Vegetationsgeschichte sind Seen oder Feuchtgebiete, die über einen langen Zeitraum bestehen und in deren Ablagerungen die Pollen über viele Jahrhunderte erhalten geblieben sind. Solche Archive sind außerhalb der Alpen und höheren Mittelgebirge sehr selten. Das gilt besonders für die warm getönten Gäulandschaften im Arbeitsgebiet. Etwas günstiger sind die Voraussetzungen im Schönbuch. Hier konnten drei derartige Archive gefunden werden: der Bebenhäu­ser Klosterweiher, die Entenlache bei Hildrizhausen und der Birkensee im zentra­len Schön buch.

Der Bebenhäuser Klosterweiher existiert heute nur noch als ein kleines Restge­wässer. Ursprünglich handelte es sich um ein System von drei Fischteichen, also um künstliche Stillgewässer. Die untersuchten tonigen Ablagerungen stammten aus dem Bereich des ehemaligen Teichsystems. Die Pollenerhaltung in diesen Ab­lagerungen erwies sich insgesamt als zu schlecht, um aussagekräftige Ergebnisse liefern zu können. Zwar waren in einigen Proben Pollenkörner vorhanden, aber insgesamt war die Konzentration an Pollen im Sediment zu gering für tragfähige Aussagen hinsichtlich früherer Landnutzung. Darüber hinaus waren vor allem gut erhaltungsfähige Pollenkörner überliefert, so dass von einer selektiven Zersetzung ausgegangen werden kann. Diese Bedingungen machten den Klosterweiher für weiter gehende paläoökologische Untersuchungen ungeeignet. Aus diesem Grund wurden nur die beiden anderen Archive weiter gehend untersucht.

Der Birkensee ist entgegen seinem Namen kein See, sondern ein Moor. Er liegt im zentralen Teil des Schönbuchs nördlich des Goldersbachtals auf 563 Metern

1 Siehe den Beitrag von Elske FrsCHER I Manfred RöscH in diesem Band.

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Abb. 2: Pollendiagramm des Birkensees. Aufgetragen sind die prozentualen Anteile der häufigsten Taxa gegen die Zeit.

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Abb. 3: Pollendiagramm der Entenlache. Aufgetragen sind die prozentualen Anteile der häufigsten Taxa gegen ~:lie Zeit.

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über Normalnull und wurde bereits früher pollenanalytisch untersucht.2 Die er­bohrte Mächtigkeit der Ablagerungen beträgt etwa 60 Zentimeter, die Pollenerhal­tung ist in allen Bereichen als gut bis sehr gut zu bezeichnen. Insgesamt wurden 74

Probenhorizonte untersucht, wobei die Probendicke maximal einen Zentimeter betrug. Aufgrund der Wässrigkeit des Torfes war eine durchgehende Beprobung in 0,5-Zentimeter-Abständen nicht möglich.

Die Entenlache ist ein kleines Moor von etwa 100 Metern Länge und 50 Metern Breite auf 521 Metern über Normalnull im Wald zwischen Rohrau und Hildriz­hausen, vermutlich entstanden in einer Gipskeuperdoline. Auch hier wurden be­reits früher Pollenanalysen durchgeführt. 3 Hier konnten zirka 60 Zentimeter Ab­lagerungen erbohrt werden, wobei der unterhalb von 30 Zentimetern Tiefe anste­hende Ton keine auswertbaren Pollen enthielt. Darüber besteht das Sediment aus einem Sphagnum-Radizellen-Torf, in dem die Pollenerhaltung durchweg gut war.

Methoden

Die Ergebnisse wurden in je einem prozentualen Pollendiagramm zusammen­gefasst (Abb. 2, 3). Für die Erstellung der Pollendiagramme wurden die Daten als Prozente standardisiert. Dabei wurden als Grundsumme Gehölze, Nichtbaum­pollen und Kulturzeiger addiert. Nicht in die Grundsumme ein gingen Sporen, Wasserpflanzenpollen, Holzkohlepartikel sowie als lokale Elemente Birke, Erle, Mädesüß und Sauergräser. Ebenfalls ausgeschlossen wurden im Entenlacheprofil die Rötegewächse (Rubiaceae), da sie hier ganz offensichtlich ein lokales Vorkom­men bilden und ihre Einbeziehung in die Grundsumme das Bild des pollenanaly­tischen Befundes verfälschen würden. Die Pollendiagramme enthalten also die prozentualen Anteile eines jeden Pollentyps, aufgetragen gegen die Tiefe oder die Zeit. Um das Profil zu gliedern, wird es in Zonen unterteilt. Eine Zone ist eine stratigraphische Einheit mit einem mehr oder weniger einheitlichen Fossilgehalt - hier die Zusammensetzung der jeweiligen Pollenspektren. Eine Pollenzone ist also eine Phase mit einem mehr oder weniger gleichförmigen Zustand der Vege­tation während der Dauer dieser Phase, während größere Veränderungen mit Zo­nengrenzen zusammenfallen.

Neben den Prozentwerten wurden auch Pollenkonzentrationen berechnet. Vor der Aufbereitung wurde das Gewicht der Proben festgehalten. Den Proben wurde eine bestimmte Menge an Bärlappsporen als Standard zugefügt. Die bei der Unter­suchung ermittelte Zahl der registrierten Bärlappsporen gibt an, welcher Bruchteil

2 Kar! BERTSCH, Blütenstaubuntersuchungen im württembergischen Neckargebiet, in: Jahreshefte des Vereins für Vaterländische Naturkunde in Württemberg 85 (1929), 5.1-42.

3 Richard HAUFF, Nachwärmezeitliche Pollenprofile aus baden-württembergischen Forst­bezirken IV. Folge, in: Mitteilungen des Vereins für Forstliche Standortkunde und Forst­pflanzenzüchtung 19 (1969), S. 9-48.

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0.0·107

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.. Gehoelze

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Pollenkonzentrationen Birkensee in Pollenkörner/g Sediment

Abb. 4: Pollenkonzentrationen Birkensee. Aufgetragen sind die Konzentrationen charakte­ristischer Pollensummen bezogen auf einen zugegebenen Standard von Lycopodien­sporen.

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Kulturzeiger lokale Elemente Summe

25,000 50,000 0·10' 1-10' 2·10' 3·10' 4·10' 5·106 6·10'0.0·107 0.4·107 0.8·107

BIRS

BIR4

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BIR2

BIR 1

0 25,000 50,000 0·10' 1-10' 2·10' 3·106 4·10' 5·10' 6·10'0.0·107 0.4·107 0.8·107

104 .. Gehoelze Nichtbaumpollen

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Pollenkonzentrationen Entenlache in Pollenkörner/g Sediment

Abb. 5: Pollenkonzentrationen Entenlache. Aufgetragen sind die Konzentrationen charakte­ristischer Pollensummen bezogen auf einen zugegebenen Standard von Lycopodien­sporen.

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Kulturzeiger lokale Elemente Summe

0 2,500 5,000 7,500 0·106 1-106 2·106 3·105 o-106 HO' 2·10' 3·106 4·10' Zone

ENTS

ENT4

ENT3

ENT2

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2,500 5,000 7,500 0·106 1-106 2·106 3·106 0·106 1-106 2·106 3·106 4·106

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der gesamten Probe untersucht wurde. Die Zahl der zugefügten Bärlappsporen er­laubt den Rückschluss auf die Gesamtheit des in der Probe enthaltenen Pollens. Das wird normiert in Stück pro Gramm Torf ausgedrückt und kann für die Ge­samtpollensummen, für Teilsummen oder auch für einzelne Taxa angegeben wer­den. Die Pollenkonzentrationen sind unabhängige Werte und liefern wichtige Zu­satzinformationen; so kann man an den Konzentrationen beispielsweise ablesen, ob eine Art A tatsächlich zurückgeht oder ob ihr Anteil gleich bleibt, aber eine andere Art B häufiger wird, so dass es im Prozentdiagramm so aussieht, als würde Art A weniger werden.

In den Abbildungen 4 und 5 ist die Pollenkonzentration im Torf, als tiefenline­ares Diagramm für die Gehölzsumme, die Nichtbaumpollensumme, die Kultur­zeigersumme, die Summe der lokalen Elemente und die Gesamtpollensumme an­gegeben.

Um eine zeitliche Einordnung der vegetationsgeschichtlichen Befunde zu er­möglichen, wurden aus den Profilen jeweils vier 14C-Daten erhoben. Leider erwie­sen sich beim Birkensee nur zwei Daten als aussagekräftig, bei der Entenlache nur ein einziges Datum (Tab.l).

Tab. 1: Radiokarbondatierungen der Schönbuchprofile. Die Datierungen wurden an der Universität Uppsala im Institut für Ionenphysik gemacht. Die Daten wurden mit Oxcal v3.9 kalibriert.

Profil Tiefe "C-Datum unkalibriert kalibriertes Datum (2 aigma)

Entenlache 27-28cm 1910 +/-40 70~130 AD

Birkensee 20,5-21 cm 500 +I-50 1380-1490 AD

Birkensee 28-28,5cm 875 +/-45 1030-1260 AD

Pollenzonen

Das Profil Birkensee konnte in fünf Pollenzonen unterteilt werden (Abb. 2). Die Zonen BIRl und BIR2 zeichnen sich vor allem durch die starke Dominanz der Hasel (Corylus) aus. Die Zone BIR2 unterscheidet sich von BIRl durch einen deutlichen Rückgang der Sauergräser (Cyperaceae) und der Torfmoossporen (Sphagnum) . Hinzu kommen noch minimale Anzeichen für Auflichtung. Die Zone BIRJ ist dann durch die gemeinsame Dominanz von Hasel und Eiche (Quer­cus) geprägt. Als weitere Baumart ist noch Buche (Fagus) vorhanden. Besonders deutlich ist hier der Anstieg der Artemisia-Kurve (Wermut, Beifuß), einem Anzei­ger vor allem für gestörte Standorte, Ruderalsteilen und Brache. Die lokalen Sauer­gräser und Torfmoose steigen wieder deutlich an, ebenso die Holzkohlekurve. Für die Zone BIR4 bleiben die Dominanzverhältnisse bei den Baumpollen erhalten, gleichzeitig steigen aber die Nichtbaumpollen deutlich an. Die Zone BIRS ist ge­prägt durch den Rückgang der Eiche, Hasel und Buche und den Anstieg von Fichte

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(Picea), Kiefer (Pinus), Nichtbaumpollen und Birke (Betula). Die Kulturzeiger ge­hen in dieser Zone allgemein zurück.

Das Profil Entenlache kann ebenfalls in fünf Zonen unterteilt werden (Abb. 3). Die Zone ENTl ist geprägt durch die Kodominanz von Hasel und Eiche. In der Zone ENT2 gehen beide Kurven zurück, hinzu kommen Fichte und Kiefer, auch die Nichtbaumpollen steigen deutlich an. Die lokale Vegetation gewinnt stärkeren Einfluss. Sauergräserpollen und Sphagnumsporen belegen die Entwicklung der heutigen lokalen Moorvegetation. Auch in der Sedimentologie wird dieser Wechsel deutlich: Der fette Ton, der in Zone ENTl vorherrschte, wird nun von einem Torf abgelöst - damit beginnt die Entwicklung des Moores. In der Zone ENT3 gehen Corylus und Quercus noch weiter zurück, die Fichtenkurve steigt stark an. Zone ENT4 ist vor allem durch einen Einbruch in der Fichtenkurve geprägt. Am Ende der Zone hat die Fichtenkurve nochmals einen Gipfel, in Zone ENTS geht die Fichtenkurve jedoch deutlich zugunsten der Kiefernkurve zurück.

Aufgrund der Pollengehalte ist es möglich, beide Pollenprofile zu korrelieren, wobei davon ausgegangen wird, dass gleichartige Ereignisse in der Pollenüberliefe­rung auch gleichzeitig sind. In Tabelle 2 ist die Korrelation der Pollenzonen von Entenlache und Birkensee angegeben.

Tab. 2: Korrelation der Pollenzonen von Entenlache und Birkensee sowie die Datierungen des Beginns der jeweiligen Pollenzone.

Zonen Birkensee Zonen Entenlache

ENT5

BIR5 ENT4

ENT3

BIR4 ENT2

BIR3

BIR2 ENTl

BIRl

Pollenkonzentrationen

Die Pollenkonzentrationen werden in den Abbildungen 4 und 5 summarisch für verschiedene Pollengruppen angegeben. Auffällig sind die weitgehende Gleichläu­figkeit der Kurven und die stark unterschiedlichen Werte in den einzelnen Pollen­zonen. Diese Kurvenverläufe legen nahe, dass das Torfwachstum über die Zeit nicht gleichmäßig erfolgte, sondern starken Schwankungen unterworfen war. So­gar Wachstumsstillstände sind nicht auszuschließen.

Die Pollenkonzentration ist eine Funktion des Pollenniederschlags pro Oberflä­che und des Torfwachstums: Nimmt bei gleichbleibendem Polleneintrag das Torf­wachstum zu, so sinkt die Pollenkonzentration, weil ein Torfkörper einer be-

108 .. stimmten Mächtigkeit dann weniger Jahresniederschläge enthält. Sinkt das Torfwachstum, so steigt die Konzentration. Nun kann sich natürlich auch der Pol­leneintrag ändern und zu Änderungen der Pollenkonzentration führen, doch ist es unwahrscheinlich, dass dies bei allen Pollentypen und ökologischen Gruppen gleichgerichtet erfolgt: Wird beispielsweise Wald gerodet, so ist ein Rückgang des Baumpolleneintrags zu erwarten, aber auch eine Zunahme des Nichtbaumpollen­eintrags. Demnach müsste im Profil Birkensee die meiste Zeit in den Zonen BIR2 und BIR3 stecken und am wenigsten Zeit in den Zonen BIR1 und BIRS. Im Profil Entenlache steckt die meiste Zeit in der Zone ENTL

Zeitvorstellungen

Die Konstruktion eines Zeitmodells für die Vegetationsgeschichte des Schön­buchs gestaltet sich schwierig. Die HC-Daten liefern einige wenige Zeitmarken. Da das Torfwachstum aber nicht linear erfolgte, wie die Konzentrationsdiagramme zeigen, kann von diesen Zeitmarken aus nicht linear interpoliert werden. Darüber hinaus sind es auch zu wenige Daten, um ein verlässliches, konsistentes Bild zu geben.

Jedoch zeigt das Datum an der Basis des Profils Entenlache, das zwischen 70 und 130 AD datiert, dass beide Profile einen Zeitraum von beinahe 2000 Jahren umfas­sen. Die spätantike, mittelalterliche und neuzeitliche Vegetationsgeschichte wird also abgedeckt, entsprechend den Zonen IX und X nach Franz Firbas.4

Relativ genau lässt sich auch die Grenze zwischen den Zonen BIR3 und BIR4 festlegen- hier ist eine lineare Interpolation zwischen den HC-Daten möglich, da auch die Pollenkonzentrationen keine nennenswerten Schwankungen im Torf­wachstum nahelegen. Diese Grenze läge demnach etwa bei 1300 AD, so dass auch die Zone ENT2 um dieses Datum datiert.

Weitere Hinweise zur Datierung liefern externe Quellen, etwa historische. So ist der Anstieg der Kieferkurve durch die Aufforstung brachliegender Flächen mit der schnell wachsenden Kiefer zu erklären. Im Schönbuch ist das etwa ab 1800 AD der Fall. 5 Fasst man alle Daten und Hinweise zur Datierung zusammen, so kann man ein zeitliches Raster festlegen, innerhalb dessen die vegetationsgeschichtlichen Er­eignisse beschrieben werden können.

Demnach beginnt die pollenanalytische Überlieferung in beiden Profilen etwa vor 1900 Jahren, beim Birkensee könnte sie sogar noch ein wenig länger zurück reichen. Tabelle 3 enthält die gewonnenen zeitlichen Vorstellungen für die Pollen­zonen. Bewusst wurde hierbei weitgehend auf die Angabe absoluter Datierungen

4 Franz FIRBAS, Spät- und nacheiszeitliche Waldgeschichte Mitteleuropas nördlich der Al­pen, Bd.1,Jena 1949.

5 Max ZEYHER, Der Schönbuch. Waldwirtschaftsgeschichte eines alten Reichsforstes (Darstellungen aus der Württembergischen Geschichte, Bd. 30), Stuttgart 1938, S. 63.

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verzichtet, da den Autoren das beim gegenwärtigen Forschungsstand unmöglich erscheint.

Tab. 3: Zeitvorstellungen für die Profile Birkensee und Entenlache aus dem Schönbuch.

Zonen Birkensee

BIRS

BIR4

BIR3

BIR2

BIRl

Zonen Entenlache

ENTS

ENT4

ENT3

ENT2

ENTl

Vegetationsgeschichte

Zeitvorstellungen

Neuzeit

Neuzeit, etwa ab 1800

Neuzeit

Neuzeit, Hoch- und Spätmittelalter

Hoch- und Spätmittelalter

Frühmittelalter, V ölkerwanderungszeit, Spätantike

Spätantike

Die Pollenspektren aus dem Birkensee und der Entenlache sind durchgehend stark durch die lokale Vegetation geprägt, vertreten durch die Pollentypen Birke, Erle, Mädesüß, Sauergräser, Torfmoos, um die wichtigsten zu nennen. Sie stam­men von Pflanzen, die auf dem Moor selbst und an seinen Rändern wuchsen. Für die Waldgeschichte des Schönbuchs liefern sie keine Aussage, weshalb sie hier nicht mehr zur Argumentation herangezogen werden.

Beide Profile zeigen an ihrer Basis eine starke Dominanz der Hasel, in der Enten­lache gemeinsam mit der Eiche. Die Hasel ist ein Pioniergehölz, das sich auf offenen Flächen schnell ausbreitet, daher belegt die Haseldominanz, dass der Schönbuch bereits in spätantiker Zeit kein "Urwald" mehr war. Schon in römischer Zeit muss das Waldgebiet intensiv genutzt worden sein. Zahlreiche offene Flächen und Wald­ränder konnten so von der Hasel besiedelt werden. Eine großflächige Niederwald­nutzung ist keineswegs auszuschließen. 6 Der Wald zu jener Zeit war sehr licht. Ne­ben dem Pioniergehölz HaseF kommen noch Buche (Fagus), Eiche (Quercus), Linde (Tilia), Ahorn (Acer) und Esche (Fraxinus) sowie vereinzelt Ulme (Ulmus) vor. Nadelbäume spielen zu dieser Zeit überhaupt keine Rolle, lediglich die Kiefer

6 Bei einer Niederwaldwirtschaft mit verhältnismäßig kurzen Umtriebszeiten könnte die besonders ausschlagfreudige und früh blühfähige Hasel ein besonders deutliches Signal im Pollenniederschlag hinterlassen, einfach deshalb, weil andere Holzarten zwar im Be­stand noch präsent sind, aber nicht mehr zur Blüte kommen. Dies sollte jedoch bei Abso­lutanalyse durch entsprechend geringen Polleneintrag fassbar sein.

7 Sicherlich wuchs auch die Birke teilweise als Pionier im Waldbestand und nicht nur auf dem Moor, doch ist das methodisch nicht differenzierbar.

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hat an der Basis des Profils Birkensee einen kleinen Gipfel, der möglicherweise auf Fernflug zurückzuführen ist. Anthropogene Einflüsse sind spärlich. Einzelne Ge­treidepollen, darunter Roggen ( Secale cereale), belegen jedoch nahen Ackerbau. Im randliehen Bereich des Schönbuchs- hier repräsentiert durch das Profil Entenlache -könnte Mittelwaldwirtschaft betrieben worden sein, da in der Entenlache die Ei­che neben der Hasel eine bedeutende Rolle einnimmt. Im zentralen Teil dagegen scheint Niederwaldwirtschaft vorherrschend gewesen zu sein, belegt durch die ho­hen Haselwerte. Dies kö.I?-nte ein Hinweis darauf sein, dass im Frühmittelalter die Bauholzversorgung noch in Siedlungsnähe möglich war, weshalb im siedlungsfer­nen zentralen Schönbuch kein Bauholz erzeugt wurde.

In der Folge (BIR2) steigen die Buchenwerte leicht an, während die Nichtbaum­pollen zurückgehen, insbesondere die Süßgräser, aber auch Getreidepollen und andere Kräuterpollen, die auf Offenland hinweisen. Auch der Eintrag von Kiefern­pollen geht deutlich zurück. Dieser Befund spricht für eine moderate Wiederbe­waldung. Da jedoch während vier Jahrhunderten keine Entwicklung (Sukzession) von lichten Gebüschen zu von Schatthölzern wie der Rotbuche dominierten Wäl­dern stattfand, kann man vermuten, dass der Status quo durch fortgesetzten menschlichen Eingriff erhalten blieb. Mit anderen Worten, auch im Frühmittelal­ter wurde der Schönbuch mehr oder weniger flächendeckend niederwaldartig be­wirtschaftet. Diese moderate Wiederbewaldung ist im Profil Entenlache aufgrund der geringen Probendichte nicht nachweisbar.

Das starke Absinken der Haselwerte und auch der Einbruch der Buchenkurve am Anfang von BIR3 und ENT2 sind ein deutlicher Hinweis für eine Rodungs­phase im frühen bis hohen Mittelalter. In der Folge zeigen beide Pr6file unruhige Verläufe von Hasel- und Eichenkurve, die eine Mittelwaldwirtschaft mit Eichen als Überhältern bezeugen. Mit der Rodungsphase kann sich auch erstmals die Hainbuche ausbreiten. Die Hainbuche als Schattholz ist in diesen Mittelwäldern Bestandteil der zweiten Baumschicht, in der mit kurzer Umtriebszeit Brennholz erzeugt wird. Das verhältnismäßig späte Erreichen der Blühfähigkeit der Hainbu­che8 erklärt die niedrigen Pollenwerte. Deutlich steigen auch die Kulturzeiger an, und die Holzkohlewerte sind ebenfalls hoch. Ab etwa 1300 AD belegen erhöhte Süßgraswerte die Entwicklung von offenen Weiden und Wiesen. Dagegen bleiben die Buchen- und Eichenwerte stabil, die Haselwerte gehen zurück. Anscheinend wurden zu dieser Zeit Flächen, die bisher als Mittelwald genutzt wurden, in ge­hölzfreie Weideflächen umgewandelt. Ähnliche Entwicklungen sind auch im En­tenlacheprofil sichtbar, lassen sich aber zeitlich kaum differenzieren. Insgesamt ist diese Phase durch wachsenden anthropogenen Einfluss geprägt. Andere Verände­rungen sind der Anstieg der Fichte (Picea), des Torfmooses und der Sauergräser. Die Rodungen führten zu einem verstärkten Eintrag von Fernflugpollen der Fichte und der Kiefer, weil bei einer Beseitigung des Waldes um ein Becken der Pollense­dimentation, zum Beispiel ein Moor, die aerodynamisch relevante Beckengröße

8 FrRBAS, Waldgeschichte (wie Anm. 4).

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und damit der Fernfluganteil zunimmt.9 Im randliehen Bereich des Schönbuchs scheint dieser Fernflugeintrag bedeutsamer gewesen zu sein als im zentralen Be­reich, da die Nadelgehölzpollen in der Entenlache wesentlich deutlicher ansteigen als im Birkensee.

Im Birkenseeprofil steigen erst in der frühen Neuzeit die Fichten- und die Kie­fernwerte sehr stark an, ebenso die Nichtbaumpollen. Gleichzeitig gehen die Bu­chenwerte zurück. Auch im Entenlacheprofil sind die stark ansteigenden Fichten­werte auffällig. Diese hohen Werte sind nicht mehr allein durch Fernflug zu erklären. Anscheinend breitet sich die Fichte auf den offenen Flächen jetzt als Pio­niergehölz aus. Gleichzeitig ist ein starker Rückgang bei den anderen Waldbäumen zu verzeichnen. Die Buche spielt - obwohl sie die standortsgemäße Baumart ist und vorherrschen sollte- praktisch keine Rolle. Auch Eiche und Hasel gehen zu­rück: Möglicherweise wurden Mittelwälder in Weideflächen umgewandelt, wie der gleichzeitige Anstieg der Süßgräser nahelegt. Auf den nun freien Flächen können sich vor allem Fichten ausbreiten. Als säuretolerante Rohhumuskeimer werden sie von den schlechten Bodenverhältnissen begünstigt.10

Auffällig ist der starke Anstieg der Rubiaceae (Rötegewächse) in ENT3. In un­seren Breiten sind ausschließlich krautige Rubiaceae verbreitet, vor allem Labkräu­ter, die alle insektenbestäubt sind und deren Pollenkörner sich daher nicht weit verbreiten. Im starken Anstieg dieser Kurve drückt sich demnach eine lokale Aus­breitung dieser Gewächse aus. Da die Pollenkörner nicht nach Arten differenziert wurden, ist es nicht möglich, zu sagen, um welche Arten es sich im Einzelnen ge­handelt hat. In Frage kämen etwa das Sumpf-Labkraut (Galium palustre) oder das Moor-Labkraut (Galium uliginosum).

Die Verhältnisse aus ENT3 setzen sich auch in ENT4 fort, die Nadelgehölze sind vorherrschend. Die pollenanalytische Überlieferung ab 1800 ist unserer Ansicht nach nur im Profil Entenlache erhalten. Diese Zeit ist vor allem durch den starken Anstieg der Kiefer und den moderaten Anstieg der Eichen- und Buchenwerte ge­kennzeichnet; die Fichtenwerte hingegen gehen zurück.

Zusammenfassung

Anhand der beiden untersuchten Archive lässt sich eine Vegetationsgeschichte für den Schönbuch schreiben: Die beiden Profile zeigen viele gemeinsame Ten­denzen.

Sie erfassen den größten Teil des Subatlantikums (Zonen IX und X nach Franz Firbas), in kulturhistorischer Sichtweise die Spätantike, das Mittelalter und die

9 Henrik TAUBER, Differentialpollendispersion and the interpretation of pollen diagrams (Danmarks Geologiske Undersegelse 11/89), Kopenhagen 1965.

10 Dieaufgrund der geologischeM Voraussetzungen, vor allem Keupersandsteine, von vorn­herein basenarmen Böden waren durch ständigen Stoffentzug durch Waldweide, Holz­und Streunutzung usw. weiter verarmt.

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Neuzeit. Bis in das frühe Mittelalter hinein ist in beiden Profilen eine relativ gleich­förmige Vegetationsentwicklung zu beobachten. Das Waldbild ist bereits zu Be­ginn der pollenanalytischen Überlieferung stark anthropogen überprägt. Also ist auch aus pollenanalytischer Sicht eine intensive Nutzung des Schönbuchs bereits in römischer und eventuell vorrömischer Zeit anzunehmen, wie sie auch durch zahl­reiche archäologische Funde aus verschiedenen Zeiten belegt ist. 11

Ab dem Hochmittelalter ändert sich die Vegetation: Es kommt zu ausgedehnten Rodungen, belegt durch die Zunahme der Nichtbaumpollen. In der Folge wird der Schönbuch als Mittelwald für Holzgewinnung und Waldweide genutzt. Man muss sich den Wald als einen lichten, parkartigen Bestand vorstellen.

Besonders fällt in der frühen Neuzeit die starke Ausbreitung der Fichte auf. An­scheinend breitete sie sich auf den offenen Flächen als Pioniergehölz aus. Gleich­zeitig ist ein starker Rückgang bei den anderen Waldbäumen zu verzeichnen. Auch Eiche und Hasel gehen zurück: Möglicherweise wurden Mittelwälder in Weideflä­chen umgewandelt.

Zu einer neuerlichen Veränderung des Waldbildes kommt es etwa im 16. Jahr­hundert: Offensichtlich wurden die Eichen nun endgültig gerodet und die Flächen in offene Weiden umgewandelt. Der Schönbuch scheint zwischen dem Beginn der Neuzeit und zirka 1800 weitgehend entwaldet oder doch zumindest nur locker mit Bäumen bestanden gewesen zu sein. Ab etwa 1800 sind die Auswirkungen moder­ner Forstwirtschaft sichtbar: Bestehende öde - das heißt baumlose - Waldgebiete wurden mit schnell wachsenden Nadelbäumen aufgeforstet. Gleichzeitig erholen sich aber auch die Buchen- und Eichenbestände, so dass der Schönbuch sich zu dem Forstgebiet wandelt, das wir heute kennen.

Ausblick

Um vor allem die frühere Vegetationsentwicklung des Schönbuchs zu beleuch­ten, sind neue Bohrungen und weitere pollenanalytische Untersuchungen geplant. Weiter gehende Arbeiten umfassen vor allem statistische Analysen mittels der Hauptkomponentenanalyse und Korrespondenzanalyse.U Diese Arbeit dient zur Herausarbeitung gemeinsamer Trends. Hinzu kommen Korrelationen mit histo­rischen Karten zum Bewuchs sowie den baugeschichtlichen Aufnahmen der Bau­hölzerY Insgesamt ist das Potential der natürlichen Umweltarchive des Schön­buchs für die Vegetations- und Besiedlungsgeschichte noch nicht ausgeschöpft.

11 Christoph MoRRISSEY, Die vor- und frühgeschichtliche Besiedlung des Schönbuchs (Schriften zur südwestdeutschen Landeskunde, Bd. 34), Leinfelden-Echterdingen 2001.

12 Zur Methode: Tim KERIG I Jutta LECHTERBECK, Laminated Sediments, Human Impact, and a Multivariate Approach: A case study in linking palynology and archaeology (Lake Steisslingen, South-West Germany), in: Quaternary International113 (2004), S.19-39.

13 Vgl. den Beitrag von Tilmann MARSTALLER in diesem Band.