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3 np 1/2007 Mark Schrödter Soziale Arbeit als Gerechtigkeitsprofession Zur Gewährleistung von Verwirklichungschancen Einleitung Warum gibt es keine Gegenstandsbestimmug Sozialer Arbeit, die in der Disziplin einhellig geteilt wird und sich als selbstverständliches Moment des professionel- len Habitus im alltäglichen sozialpädagogischen Handeln Ausdruck verschafft? 1 Warum besteht nicht einmal Einigkeit über die Geltungsreichweite, die eine Be- stimmung Sozialer Arbeit für sich beanspruchen darf? Eine mögliche Erklärung wäre, dass Soziale Arbeit nicht im Modell der »old established professions« zu begreifen sei. Als Vorläuferin für Entwicklungen von Professionen in der Moder- ne kann Soziale Arbeit als eine »bescheidene Profession« (Schütze, 1992) be- trachtet werden. Sie wäre dann Vorläuferin im Zuge eines Diffundierungspro- zesses, der die Alteingesessenen über kurz oder lang ebenfalls ereilen wird – vielleicht deshalb, weil die Form der Profession langfristig durch die Sozialform der Organisation ersetzt werden wird (vgl. Stichweh, 2005: 41 f.). Es kann eine »diffuse Allzuständigkeit« oder die konstitutive »Eigenschaftslosigkeit« von So- zialer Arbeit reklamiert werden, womit meist behauptet wird, dass der betreffen- de Gegenstandsbereich angesichts der »Komplexität« der sozialen Wirklichkeit nicht so einfach einzugrenzen und daher etwa Sozialpädagogik nur als offenes diskursives Konzept zu fassen sei (vgl. Winkler, 2006). 2 Es stellt sich die Frage, ob hier aus der professionalisierungstheoretischen Not eine professionspolitische Tugend gemacht wird und damit die Suche nach der Einheit der Sozialen Arbeit, sowie der Einheit der Professionen vorschnell aufgegeben wird. Die folgenden Ausführungen gründen auf der Annahme, dass eine solche Einheit im Rahmen einer revidierten Professionalisierungstheorie (vgl. Oevermann, 1996) systematisch ausgewiesen werden kann. Diese Revision besteht bekanntlich darin, Kleinert, Soziale Arbeit im Bereich der Justiz np 1/2007 Beiträge 1 Für hilfreiche Kommentare danke ich vor allem den Teilnehmern des Forschungskolloquiums Soziale Arbeit vom 17.05.2005 an der Universität Bielefeld, vor denen ich eine erste Fassung dieses Textes vortragen durfte, sowie zwei anonymen Gutachtern. Für weiterführende wertvolle Diskussionen seien vor allem Christof Beckmann, David Hartwich, Hans-Uwe Otto und Holger Ziegler gedankt. 2 Aus dieser Perspektive wäre auch die im folgenden vertretene Bestimmung von Sozialer Arbeit als Gerechtigkeitsprofession nichts weiter als ein Beitrag in den »diskursiven Kämpfen« zur Fixierung eines »diskursiven Knotens« (vgl. Winkler, 2006: 57). Freilich beansprucht dieser Text mehr, nämlich zu begründen, welche Tätigkeiten ihrer inneren Strukturlogik nach überhaupt als Knoten durch »diskursive Praxen« fixiert werden dürfen und wie sie fixiert werden sollten, so dass sich auch Kriterien für fragwürdige, kritikabele Fixierungen angeben lassen. Dieser Text beansprucht allerdings auch weniger insofern er lediglich den analytischen und normativen Kern der Professionalisierungstheorie Sozialer Arbeit expliziert und damit vor allem nicht an spezifische ethische Handlungsnormen, eine spezifische Zeitdiagnose oder gesellschafts- theoretische Bestimmung der Bedingungen sozialer Probleme gebunden ist (für solche Entwür- fe vgl. etwa Winkler, 2006; Böhnisch/Schröer/Thiersch, 2005; Galuske, 2002). Was ist das Proprium Sozialer Arbeit?

Soziale Arbeit als Gerechtigkeitsprofession Zur Gewährleistung von Verwirklichungschancen

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np1/2007

Mark Schrödter

Soziale Arbeit als GerechtigkeitsprofessionZur Gewährleistung von Verwirklichungschancen

EinleitungWarum gibt es keine Gegenstandsbestimmug Sozialer Arbeit, die in der Disziplineinhellig geteilt wird und sich als selbstverständliches Moment des professionel-len Habitus im alltäglichen sozialpädagogischen Handeln Ausdruck verschafft?1

Warum besteht nicht einmal Einigkeit über die Geltungsreichweite, die eine Be-stimmung Sozialer Arbeit für sich beanspruchen darf? Eine mögliche Erklärungwäre, dass Soziale Arbeit nicht im Modell der »old established professions« zubegreifen sei. Als Vorläuferin für Entwicklungen von Professionen in der Moder-ne kann Soziale Arbeit als eine »bescheidene Profession« (Schütze, 1992) be-trachtet werden. Sie wäre dann Vorläuferin im Zuge eines Diffundierungspro-zesses, der die Alteingesessenen über kurz oder lang ebenfalls ereilen wird –vielleicht deshalb, weil die Form der Profession langfristig durch die Sozialformder Organisation ersetzt werden wird (vgl. Stichweh, 2005: 41 f.). Es kann eine»diffuse Allzuständigkeit« oder die konstitutive »Eigenschaftslosigkeit« von So-zialer Arbeit reklamiert werden, womit meist behauptet wird, dass der betreffen-de Gegenstandsbereich angesichts der »Komplexität« der sozialen Wirklichkeitnicht so einfach einzugrenzen und daher etwa Sozialpädagogik nur als offenesdiskursives Konzept zu fassen sei (vgl. Winkler, 2006).2 Es stellt sich die Frage, obhier aus der professionalisierungstheoretischen Not eine professionspolitischeTugend gemacht wird und damit die Suche nach der Einheit der Sozialen Arbeit,sowie der Einheit der Professionen vorschnell aufgegeben wird.Die folgenden Ausführungen gründen auf der Annahme, dass eine solche Einheitim Rahmen einer revidierten Professionalisierungstheorie (vgl. Oevermann, 1996)systematisch ausgewiesen werden kann. Diese Revision besteht bekanntlich darin,

Kleinert, Soziale Arbeit im Bereich der Justiznp1/2007Beiträge

1 Für hilfreiche Kommentare danke ich vor allem den Teilnehmern des ForschungskolloquiumsSoziale Arbeit vom 17.05.2005 an der Universität Bielefeld, vor denen ich eine erste Fassungdieses Textes vortragen durfte, sowie zwei anonymen Gutachtern. Für weiterführende wertvolleDiskussionen seien vor allem Christof Beckmann, David Hartwich, Hans-Uwe Otto und HolgerZiegler gedankt.

2 Aus dieser Perspektive wäre auch die im folgenden vertretene Bestimmung von Sozialer Arbeitals Gerechtigkeitsprofession nichts weiter als ein Beitrag in den »diskursiven Kämpfen« zurFixierung eines »diskursiven Knotens« (vgl. Winkler, 2006: 57). Freilich beansprucht dieser Textmehr, nämlich zu begründen, welche Tätigkeiten ihrer inneren Strukturlogik nach überhauptals Knoten durch »diskursive Praxen« fixiert werden dürfen und wie sie fixiert werden sollten,so dass sich auch Kriterien für fragwürdige, kritikabele Fixierungen angeben lassen. Dieser Textbeansprucht allerdings auch weniger insofern er lediglich den analytischen und normativenKern der Professionalisierungstheorie Sozialer Arbeit expliziert und damit vor allem nicht anspezifische ethische Handlungsnormen, eine spezifische Zeitdiagnose oder gesellschafts-theoretische Bestimmung der Bedingungen sozialer Probleme gebunden ist (für solche Entwür-fe vgl. etwa Winkler, 2006; Böhnisch/Schröer/Thiersch, 2005; Galuske, 2002).

Was ist dasPropriumSozialerArbeit?

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die funktionalistische Erklärung von isolierten Eigenschaften von Professionenaufzugeben, nach der Professionen durch bestimmte Formen der Mitgliedschafts-regelungen, der Organisation der professionellen Selbstkontrolle, etc. gekenn-zeichnet seien (vgl. Dewe/Otto, 1984). Professionen erscheinen so als historischkontingente Sozialformen, die wesentlich durch Status-, Prestige- und Zuständig-keitsfragen im System der Arbeitsteilung bestimmt sind (vgl. Abbott, 1988; Larson,1977) und somit durch andere Sozialformen ersetzbar sind (vgl. Stichweh, 2005:1994).3 Entsprechend interessiert man sich in diesen machtkritischen Zugängenfür »Professionalismus« im Sinne kollektiv wirksamer und sich historisch wan-delnder Deutungsmuster und Habitusformationen. Die Stärke dieses macht-kritischen Zugangs besteht darin, Aufstieg und Fall des »Professionalismus« inder Verflechtung mit gesamtgesellschaftlich einflussreichen Ideologien nachzeich-nen zu können. Beispiele für solche Deutungsmuster sind verkörpert in der Figurder reflexiven Fachkraft, des Klinikers, der politischen Aktivistin, etc. Das be-deutsame »Konstrukt« der reflexiven Fachkraft wird derzeit vor allem in angel-sächsischen Ländern durch die »what-works«-Agenda infrage gestellt – was höchstproblematisch ist (vgl. Otto/Ziegler, 2006b).Strukturtheoretische Zugänge untersuchen dagegen erst nachrangig kollektivenBewusstseinsformationen und zuvorderst die materiale Strukturlogik der diesenBewusstseinsformationen korrespondierenden Praxisformen (vgl. Dewe/Otto,2001; Helsper/Krüger/Rabe-Kleberg, 2000).4 Demnach sind die Eigenschaften vonhistorisch vorfindbaren Professionen nicht ihre Bestimmungsmomente, sondernlediglich abgeleitet aus der inneren Strukturlogik professionalisierungsbedürftigenHandelns.5 Aus dieser Perspektive ist beispielsweise nicht die standesförmigeOrganisation oder die Selbstkontrolle von Professionen an sich ideologisch. Erstwenn nicht-professionalisierungsbedürftige Berufe Merkmale aufweisen, die ei-gentlich für professionalisierungsbedürftige Tätigkeiten notwendig sind, wie das

3 Wenn man Tätigkeiten subsumtionslogisch daraufhin untersucht, ob sie die Merkmale von Pro-fessionen erfüllen, bekommt man das Proprium der Profession als gesellschaftlichen Struktur-typus nicht zu fassen: »Was die professionelle Arbeit von anderen beruflichen Tätigkeiten un-terscheidet, ist, daß sie eine Form anerkannter kultureller Realitätskonstitution ist und daß mitdieser Sinnstiftung die Berechtigung für die Bearbeitung der definierten Wirklichkeit verbun-den ist (Richardson, 1985; 1987). Während auch andere Berufsgruppen technische Problem-lösungskapazitäten besitzen (z.B. Automechaniker), während jede Berufsgruppe sich lizenzie-ren lassen (z.B. Taxifahrer) oder einen Ethikcode (z.B. Makler) zulegen kann, schafft und erhältnur die Verfügung über ein abstraktes Wissenssystem die Möglichkeit eines gesellschaftlichenMandats zur exklusiven Bearbeitung von Problemen« (Klatetzki, 2005: 263). In dieser Bestim-mung erscheint Professionalisierung als Verwissenschaftlichung im Sinne der ideologischen,weil auf eigenen Machterhalt hinauslaufenden Monopolisierung des Wissens. Angesichts derzunehmenden Verfügbarkeit des Wissens etwa über das Internet, kommt man dann zu der Dia-gnose des »Autoritätsverlusts« von Professionen in der »Wissensgesellschaft«. Es scheint alswürde ein Theoriefehler den nächsten nach sich ziehen.

4 Zur Untersuchung von »Professionalismus« im Gegensatz zur »Profession« siehe Freidson (1984:18 f.), zum Unterschied zwischen dem machtanalytischen und strukturtheoretischen Ansatz,den man auch als einen zwischen »idealistischen« und »materialistischen« Ansätzen bezeich-nen könnte, siehe Schrödter (2004: 69 ff.).

5 Hiermit wird natürlich nicht einem naiv-kausalen Ableitungsfeteschismus das Wort geredet.Vielmehr gilt es ja gerade zwischen angemessenen und ideologischen Respräsentationen vonPraxis zu unterscheiden.

Macht-theoretische

Frage nach»Professiona-

lismus«

Struktur-theoretische

Frage nach»Professiona-

lisierung«

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6 Der Lesbarkeit halber wird das klassische generische Maskulinum beibehalten. Der patriarchalenTendenz, bei welcher Frauen lediglich »mitgemeint« und daher nicht notwendig »mitgedacht«werden, wird in der Singularform – sofern nicht durch die Sachthematik vorentschieden – durchunsystematische Variation des Maskulinums und Femininums entgegengetreten.

zum Teil bei den Ingenieursberufen der Fall ist, haben wir es mit bloßen Status-kämpfen und Ideologie zu tun.

Als ein wesentliches Merkmal von Professionen gilt die Zuständigkeit für ei-nen zentralen gesellschaftlichen Bereich. Demnach verwalten Professionen ei-nen Wissenskorpus, sind für einen gesellschaftlichen Zentralwert zuständig, bear-beiten ein zentrales gesellschaftliches Problem oder erfüllen eine zentrale Funk-tion für die Gesellschaft. Darin liegt ihr Gemeinwohlbezug, worin sie sich vorallem von Sphären wirtschaftlichen Handelns unterscheiden (vgl. Freidson, 2001).Für welches Wissen, welchen Wert oder welches Problem ist nun Soziale Arbeitzuständig?

Die Integrations- oder Kontrollfunktion ist nichtdas Proprium Sozialer ArbeitFunktionalistische Professionstheorien haben oftmals in Anlehnung an das Par-sonsche AGIL-Schema recht schematisch Professionen den vier zentralen gesell-schaftlichen Funktionen zugeordnet. Die Medizin gilt dann als zuständig für dasbiologische System, die Psychotherapie für die Persönlichkeitssystem, die Juris-terei für das soziale System und die Theologie für das kulturelle System. Da dievier Felder nun schon »besetzt« sind, wird der Sozialen Arbeit dann die Rolle der»Brokerin« zugewiesen, die zwischen den Feldern vermittelt (vgl. kritisch dazuAbbott, 1995).

Funktionalis-tisch: SozialeArbeit alsVermittlerin?

System-theoretisch:SozialeArbeit wiederalsVermittlerin?

In neueren systemtheoretischen Überlegungenzur Frage, ob Soziale Hilfe ein Funktionssystemder Gesellschaft und damit eine eigenständigeProfession sei, kehrt diese Figur der Brokerinwieder. So heißt es bei Rudolf Stichweh (1996:369), Soziale Arbeit sei deshalb nicht professi-onalisiert, weil sie nicht die exklusive Verwal-tung der Wissensbestände für ein Funktions-system übernimmt. Michael Bommes und AlbertScherr (1996; 2000) und Willfried Ferchhoff undThomas Kurz (1998: 14) schließen sich mit derFeststellung an, Soziale Arbeit partizipiere anden Problemen anderer Funktionssysteme undvermittele zwischen diesen.Freilich haben andere Systemtheoretiker6 ver-sucht, die Existenz eines eigenständigen Sys-tems Sozialer Hilfe nachzuweisen. Soziale Hil-fe, so heißt es etwa bei Dirk Baecker (1994),betreut »in der Gesellschaft und stellvertretendfür die Gesellschaft Inklusionsprobleme derBevölkerung« (S. 93), »die von anderen Funk-tionssystemen nicht mehr aufgegriffen werden

und von der Politik alleine, also wohlfahrt-staatlich, nicht mehr betreut werden können«(S. 95). Diese Bestimmung findet Resonanz inder klassischen Bestimmung von Sozialer Arbeitals Instanz zur Integration in die Gesellschaft(vgl. auch Merten, 1997), wie sie Klaus Mollen-hauer (1964: 147) bereits vorgelegt hat, wobeihier wenigstens noch von der »Integration in denbürgerlich-ökonomischen Verwertungszusam-menhang« die Rede war, den es selbst zu ver-ändern gelte.Thomas Olk betont in Anschluss an JohannesBerger und Claus Offe (1980) diesen doppeltenCharakter von Sozialer Arbeit, der es zum einenum die »Gewährleistung durchschnittlich erwart-barer Identitätsstrukturen« (Olk, 1986: 12), alsoum die Normalisierung von Abweichung gehtund zum anderen um die Transformation der ge-sellschaftlichen »Formalstrukturen, Verkehrs-formen und kulturellen Rahmenbedingungen«selbst, dessen Instandhaltung Dienstleistungs-arbeit dient (vgl. Berger/Offe, 1980: 233).

Soziale Arbeit versucht nicht nur den Einzelnen in die Gesellschaft zu reinteg-rieren, sondern versucht auch immer die sozialen Verhältnisse selbst zu verän-

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SozialeArbeit teilt

die Kontroll-funktion mit

anderenProfessionen

Selbst-gesetzter

Zweck kannvon Funktion

abweichen

dern, die die Exklusion marginalisierter Bevölkerungsgruppen überhaupt erst er-zeugt. Damit ist das therapeutische und das politische Moment Sozialer Arbeit the-matisch.

Mit dieser Bestimmung Sozialer Arbeit durch ein therapeutisches und ein poli-tisches Moment ist aber das Proprium Sozialer Arbeit keineswegs bestimmt. Un-beantwortet bleibt die Frage, worin sich Soziale Arbeit von Psychotherapie undPolitik unterscheidet. Nicht einmal von der Medizin lässt sie sich so abgrenzen,denn die Reproduktion und Innovation von Formalstrukturen der Gesellschaftdurch Aufbau von Identitätsstrukturen findet auch hier statt.So hat gerade Parsons die medizinische Profes-sion als eine Instanz sozialer Kontrolle gefasst.Er beschrieb die Medizin als Vertreterin des Ge-sundheitsinteresses der Gesellschaft, in derenNamen sie soziale Kontrolle ausübt. Insofern derGesellschaft die psychische Krankheit als »Un-fähigkeit zur Rollenerfüllung« bzw. die somati-sche Krankheit als »Unfähigkeit zur Aufgaben-erfüllung« gilt (Parsons, 1964: 329), besteht diegesellschaftliche Funktion der Medizin in derKontrolle von Krankheit als einem Typus abwei-chenden Verhaltens. Dieses Kontrollproblemstellt sich vor allem für psychische Krankheiten,denn während der somatisch Kranke lediglichin seiner Fähigkeit beeinträchtigt ist, bestimm-te physische Tätigkeiten effektiv auszuführen,

stellt die Beeinträchtigung des psychisch Kran-ken bei der Erfüllung sozialer Rollenerwartun-gen ein größeres gesellschaftliches Problem dar.Daher wird Kranken die gesellschaftliche Kran-kenrolle zugewiesen. Die Krankenrolle ist mit derPflicht verbunden, einen Arzt aufzusuchen, wo-mit verhindert wird, dass Kranke sich unterein-ander austauschen, eine »Subkultur« formieren,in der der medizinisch als krank diagnostizierteZustand möglicherweise als unproblematischoder sogar als wünschenswert betrachtet wird.Die Zuweisung der Krankenrolle dient der Isola-tion der Kranken von den Gesunden, so dass diesubversive Wirkung von Kranken, die aus »Be-quemlichkeit« nicht gesunden wollen, verhin-dert wird (vgl. Parsons, 1975).

Nun wird man aber das Proprium der Medizin nicht in der Kontrolle von Kran-ken sehen wollen. Dieses wird vielmehr in dem Charakter der Medizin als heilen-de Profession zu finden sein. Ist dies nun bloße Ideologie? Spricht hier das blan-ke Statusinteresse einer etablierten Profession? Ist die Medizin nicht vielmehr –ebenso wie die Soziale Arbeit – durch einen doppelten Zweck gekennzeichnet,dem der Hilfe und dem der Kontrolle?

Es müssen zwei Bedeutungen des Zweckbegriffs unterschieden werden. Manspricht einerseits vom »Erreichen« oder »Verfolgen« eines Zweckes und ande-rerseits vom »Erfüllen« eines Zweckes. Nur ein Subjekt kann Zwecke verfolgenund nur ein Ding, Organismus oder ein Ereignis kann einen Zweck erfüllen. Des-halb sagt man auch, dass jemand einen Zweck verfolgen will und etwas einenZweck erfüllen soll. Mit anderen Worten: Der Begriff des Zweckes verweist ent-weder auf einen intentional gesetzten Auftrag oder eine von Intentionen unab-hängige Funktion. Einen Zweck erreichen wollen, setzt voraus, ein Bewusstseindavon zu haben, dass man genau diesen Zweck erreichen will. Dagegen benötigtjemand, der einen Zweck erfüllen soll, kein Bewusstsein davon, dass er diesenZweck erfüllen soll (vgl. Ebert, 1977: 26).

Wenn wir auf der Ebene der objektiven Praxis die Frage nach der Einheit derSozialpädagogik stellen, wenn wir auf der Ebene der subjektiven Selbstsicht dieFrage nach der kognitiven Identität der Sozialpädagogik als Profession stellen, sofragen wir nach dem gesellschaftlichen Auftrag, nach dem selbstgesetzten Zweckvon Sozialpädagogik. Es ist diese (kollektiv-)intentionale Zwecksetzung im Sin-ne eines gesellschaftlichen Auftrags, auf den die Frage nach dem Proprium vonProfessionen zielt. Ebenso gilt für die Soziale Arbeit: sie erfüllt zwar die Funk-tion, Abweichung zu normalisieren und gesellschaftliche Konflikte zu befrieden,aber das ist nicht ihr selbstgesetzter Zweck (vgl. Wakefield, 1994: 444). Die Sozia-

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7 Die Kontrollaufgabe der Polizei ist, wie Lehne (1992) zeigt, auch noch enthalten in der Formelvon der Polizei als »Schutzmacht im Alltag«, die oftmals als »positive Alternative gegenübereiner obrigkeisstaatlich am Staatsschutz orientierten Polizei« (S. 44) inszeniert wird.

8 Das gilt per definitionem. Sonst wäre Soziale Arbeit ja überflüssig und würde in Polizei aufge-hen. Dagegen wäre prinzipiell nichts einzuwenden, aber dann sollte man eben die Bezeich-nung »Soziale Arbeit« vermeiden und auch die entsprechenden Studiengänge umbenennen.

9 Nicht zufällig haben Berger und Offe eine allgemeine Bestimmung von Dienstleistungs-tätigkeiten vorgelegt, ohne zunächst einzelne Dienstleistungsberufe analytisch zu differenzie-

MöglicheGegen-läufigkeit vonZwecksetzungundFunktionser-füllung

UmfassenderMachtbegriffkannPropriumnichtexplizieren

le Arbeit mag also viele Funktionen erfüllen, die nicht ihrem gesellschaftlichenAuftrag entsprechen. Soziale Arbeit mag viele Funktionen erfüllen, ohne diese alsZwecke zu verfolgen.

Mit dieser Unterscheidung zwischen Funktion und Zweck kann beispielsweiseauch die Gegenläufigkeit von Zwecksetzung und Funktionserfüllung, die sichhäufig zwischen Soziale Arbeit und Polizei einstellt, wenn der gesellschaftlicheAuftrag missverstanden wird, gefasst werden. Die Polizei erfüllt die Funktion derAufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung und das ist auch ihrgesellschaftlicher Auftrag. Gleichzeitig verstehen sich einzelne Polizisten manch-mal als »Freund und Helfer«. Sie setzen sich dann von ihrem gesellschaftlichenAuftrag abweichende Zwecke. In dieser Diskrepanz von individuell-subjektiverZwecksetzung und objektiv-gesellschaftlichem Auftrag liegt gerade der ideolo-gisch-verschleiernde oder strategisch-irreführende Charakter dieser Äußerung,wenn sie etwa auf Demonstrationen fällt. Diese Zwecksetzung ist rein subjektiv,sie entspricht nicht der objektiven, durch ein gesellschaftliches Mandat gestütz-ten Zwecksetzung dieses Berufsstandes. Zwar mag die Tätigkeit der Polizei denEffekt haben, anderen zu helfen, dies ist aber nicht ihr Auftrag. Entsprechendihrem gesellschaftlichen Auftrag verfolgt die Polizei den Zweck der Ord-nungsstiftung, der (manchmal) die Funktion der Hilfe erfüllt.7 Soziale Arbeitdagegen erfüllt (oftmals) den Zweck der Ordnungsstiftung, den sie aber nichtqua gesellschaftlichem Auftrag verfolgt.8

Nun mag eingewendet werden, dass die Dicho-tomie von Hilfe und Kontrolle wenig zweckmä-ßig, ja sogar irreführend sei und dass SozialeArbeit eher mit umfassenden Begriffen vonMacht (und vielleicht auch: Herrschaft?) be-stimmt werden müsse. Solche Bestimmungs-versuche mögen für disziplinäre Teilfragen erhel-lend sein, tragen jedoch nichts zu der Frage nach

dem Wesen Sozialer Arbeit bei. Sie sind unge-eignet, das Proprium Sozialer Arbeit herauszu-präparieren, weil jeder umfassende Begriff vonHilfe, Kontrolle, Macht oder Herrschaft, der zurBestimmung der Funktion Sozialer Arbeit heran-geführt wird, stets auch auf die angrenzendenProfessionen der Medizin, Psychotherapie, derSeelsorge und auch der Juristerei zutreffen.

Über die gesellschaftliche Funktion kann das Proprium von Professionen nichtbestimmt werden, weil eine bestimmte Funktion von verschiedenen sozialen Sys-temen erfüllt sein kann. Medizin ebenso wie Pädagogik und Soziale Arbeit kön-nen der Steigerung des Wohlbefindens, der Wiederherstellung der Fähigkeit zurRollenerfüllung oder allgemeiner: der Restitution der Autonomie der Lebens-praxis dienen. Alle diese Professionen können Menschen dazu verhelfen, ihreVorstellung vom guten Leben zu verwirklichen und Glückseligkeit zu finden. Aufder anderen Seite dienen auch Psychotherapie, Medizin und Schule der ordnungs-stiftenden Befriedung der Bevölkerung, der Aufrechterhaltung einer Reserve-armee für den Arbeitsmarkt, der Kontrolle von Abweichung oder der Aufrechter-haltung und Innovation der Formalstrukturen der Gesellschaft und bewältigenderen Reproduktionsprobleme.9

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ren. Das gleiche gilt etwa auch für die Bestimmung von Professionen als Instanzen stellvertre-tender Krisenbewältigung bei Oevermann. Unter diesen Allgemeinbegriff fällt selbst die Juris-terei, die eine Krise stellvertretend für die Rechtsgemeinschaft bearbeitet oder die Wissen-schaft, die eine Geltungskrise für »die Gesellschaft« bzw. für die Gemeinschaft der an Fragender methodischen Geltung interessierten bearbeitet.

10 Dass am Gittertor des KZ Buchenwald »Jedem das Seine« geschrieben steht, verweist entwe-der auf blanken Zynismus oder darauf, daß auch in der NS-Zeit eine Legitimation im Namender (rassistisch fundierten) Gerechtigkeit als notwendig erachtet wurde (vgl. zur Begriffs-geschichte: Klenner, 2002).

Zentralwertals Proprium

suum cuique:Jedem das

Seine

Das Prädikat»gerecht« giltzunächst nurfür Handlun-gen

Das Unterscheidungsmerkmal muss daher in dem selbstgesetzten Zweck, indem gesellschaftlichen Auftrag, der Mission der Profession gesehen werden. Psy-chotherapie und Medizin zielen auf die Wiederherstellung von Gesundheit, Päd-agogik (vor allem am Ort der Schule) zielt auf Bildung im Sinne der Vermittlungvon Kultur, worauf zielt aber Soziale Arbeit? Was ist der Zentralwert SozialerArbeit? Im Anschluss an Jerome Wakefield (2003; 1998; 1988a; 1988b) gehe ichim Folgenden davon aus, dass der gesellschaftliche Auftrag Sozialer Arbeit in derHerstellung von sozialer Gerechtigkeit liegt. Soziale Arbeit tut alles, was derHerstellung von sozialer Gerechtigkeit dient.

Nun handelt es sich bei dem Begriff der sozialen Gerechtigkeit um einen um-kämpften und überdies auch um einen verhältnismäßig jungen Begriff. Wie kannsich Soziale Arbeit auf einen solchen »wackeligen« und ungreifbaren Zentral-wert stützen? Offensichtlich muss die Behauptung, Soziale Arbeit bezöge sichauf den Zentralwert der »sozialen Gerechtigkeit«, durch eine gerechtigkeits-theoretische Fundierung Sozialer Arbeit begründet werden.

Worauf beziehen sich Gerechtigkeitsurteile?Was bedeutet »soziale Gerechtigkeit«? Gehen wir zunächst von der allgemeins-ten Bedeutung des Begriffs der »Gerechtigkeit« aus. Es lässt sich ein universeller,ahistorisch gültiger Begriff von Gerechtigkeit postulieren, wenn er rein formaldefiniert wird, ohne spezifische Gerechtigkeitsnormen zu implizieren. Gerech-tigkeit verlangt, jedem das zu geben, was ihm zukommt (vgl. Koller, 2003: 238;Gosepath, 2001: 407; Rawls, 1971: 348). In der Formel: »suum cuique« wird dieseBestimmung auf Ulpians Dreiheit der Gebote des Naturrechts zurückgeführt (vgl.Tschentscher, 2000: 45 f.).10 Umstritten ist lediglich, was wem zukommt, also wasdas Zukommende ist und wem es aufgrund welcher Maßstäbe zukommt. Geläu-fige Vorstellungen sind: Jedem gemäß seinen Verdiensten, Werken, Bedürfnissenoder gemäß seinem Rang (vgl. Perelman, 1945: 16).

Gerecht sein können zunächst nur Handlungen, denn Gerechtigkeitsurteile ge-ben Antworten auf die Grundfrage der praktischen Philosophie: »Was soll ichtun?« (Tschentscher, 2000: 51). Handlungen gehen auf eine mit Subjektivität aus-gestattete Instanz zurück, der wir Verantwortung zuschreiben. Eine gerechteHandlung ist eine »richtige« Handlung, gemessen an allgemeinverbindlichenmoralischen Standards für den Umgang bei Interessenkonflikten (vgl. Lumer,1999: 464). Insofern Menschen Handlungsdispositionen aufweisen, können wirauch von einer »gerechten Person« sprechen, wenn sie zu gerechten Handlungendisponiert ist. In diesem übertragenen, verallgemeinernden Sinne kann man auchsagen, ein Vertrag, eine Institution oder eine gesamtgesellschaftliche Ordnung seigerecht. Übertragend ist diese Rede, insofern Institutionen lediglich die Mittel

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11 Einer der Väter des Neoliberalismus, Friedrich August von Hayek, hat sich – vor allem in demWerk »Recht, Gesetz und Freiheit« (vgl. von Hayek, 1982) vehement gegen diese übertragendeAnwendung des Prädikats »gerecht« auf gesellschaftliche Ordnungen gewendet. Es ist hiernicht der Ort, nachzuweisen, daß Hayeks elaboriertes Plädoyer für »Chancengleichheit« sichangesichts der Tradierung sozialer Ungleichheit insbesondere durch die Familie zwangsläufigin Aporien verstrickt, die – im Rahmen seines Modells – letztlich zur Forderung nach einergrundsätzlichen Transformation der Institution des Privateigentums führen muss.

12 Alle diese Charakterisierungen von Sozialer Arbeit beanspruchen keine Originalität. Darumgeht es hier auch gar nicht. Es bedarf gar keiner »neuen« Bestimmung der Aufgabe SozialerArbeit, sondern lediglich der Einsicht in die Erkenntnis, daß das Wesen von Professionen inder Orientierung auf ihren Zentralwert und das Proprium von Sozialer Arbeit in ihrer Orientie-rung auf den Zentralwert der sozialen Gerechtigkeit besteht. Erst in einem zweiten Schritt kön-nen wir von der Integrations- oder Vermittlungsfunktion, der Funktion zur Aufrechterhaltungder Ware Arbeitskraft, der Funktion der Exklusionsverwaltung, der staatlichen Wächteramts-funktion, der Bedeutung von Sozialer Arbeit für das Heranwachsen von Jugendlichen in öffent-licher Verantwortung, der Präventionsfunktion, etc. sprechen.

SozialeGerechtigkeitder gesell-schaftlichenGrund-struktur

Zur Geltungs-quelle vonGerechtig-keitsurteilen

sind, derer sich Menschen bedienen, um ihre kollektiven Ziele zu erreichen (vgl.Murphy, 1998: 253). Da wir Institutionen keine Verantwortung zuschreiben kön-nen, sondern immer nur den Menschen, die diese Institutionen geschaffen haben,können Institutionen nur im mittelbaren Sinne gerecht oder ungerecht sein (vgl.Gosepath, 2001: 409 f.; Tschentscher, 2000: 48 ff.).11

In diesem übertragenden Sinne, kann die Grundstruktur einer Gesellschaft zumGegenstand von Gerechtigkeitserwägungen werden. Die Grundstruktur ist derRahmen, der die Verteilung gesellschaftlicher Leistungen regelt. Erst wenn die»Fairness des Rahmens« gewährleistet ist, ist die sich ergebende Verteilung unterallen Umständen gerecht (vgl. Rawls, 1971: 307; 1989: 121). »Gerechtigkeit ist dieerste Tugend sozialer Institutionen, so wie die Wahrheit bei Gedankensystemen«(Rawls, 1971: 20). Soziale Arbeit als soziale Institution ist beauftragt mit der Her-stellung sozialer Gerechtigkeit. Unter den Bedingungen einer ungerechten Grund-struktur kompensiert sie die »unfaire« Verteilung gesellschaftlicher Leistungen.In diesem Sinne handelt sie stellvertretend für die primäre Praxis der politischenVergemeinschaftung (vgl. Oevermann, 2000). Soziale Arbeit als Nachsorge ist keine»volle« Sozialität, die Hilfe ist nicht wirklich das »Soziale«, sondern soll die Teil-nahme am »Sozialen« für die exkludierte Bevölkerung ermöglichen (vgl. Baecker,2000), indem sie zentrale gesellschaftlich ungerecht verteilte Leistungen jenengibt, denen sie zukommen.12 Die zentrale Frage ist nun, was als das (für die Sozi-ale Arbeit relevante) zu verteilende »Zukommende« bestimmt wird.

In Situationen der Ressourcenknappheit muss das Kollektiv entscheiden, wasprioritär gefördert werden soll (Sen, 2004b: 335). Diesem Problem widmen sichGerechtigkeitstheorien. Eine Theorie der Gerechtigkeit ist eine (normative) The-orie kollektiver Entscheidungen (social choice theory, Sozialwahl-Theorie). Sieenthält implizite Annahmen darüber, was überhaupt verteilt werden soll. Sie ent-hält Annahmen darüber, was als relevante »Informationsbasis« (vgl. Sen, 1999:74 f.) gelten soll, auf die sich Gerechtigkeitsurteile gründen.

Gerechtigkeitsurteile treffen Aussagen darüber, ob es gerechtfertigt ist, dassPerson A gegenüber Person B im Vorteil ist. Gerechtigkeitsurteile sind Aussagenzur Legitimität von Statusunterschieden zwischen Personen, also Rechtfertigun-gen interpersonaler Vergleiche. Sie basieren auf Annahmen darüber, was über-haupt als relevanter Statusunterschied zu gelten hat. So gilt im klassischen Uti-

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np1/2007 Schrödter, Soziale Arbeit als Gerechtigkeitsprofession

13 Theorien objektiven Wohlbefindens (vgl. Kahneman, 1999) grenzen sich davon ab. Sie konzi-pieren das Wohlbefinden unabhängig von subjektiven Meinungen, etwa als das intersubjektivgültige, wohlüberlegte Gute (prudential goodness). Hier wird versucht, die Präferenzen »durchdie Vernunft zu reinigen«, etwa indem asoziale, sadistische Wünsche begrifflich ausgeschlos-sen werden. Solche Versuche der Objektivierung von Wünschen verfehlen die Natur des Wun-sches. Der Wunsch ist konstitutiv gebunden an die konkrete Praxisperspektivität und lässtsich nicht ablösen von der Lebenspraxis, die ihn hervorgebracht hat, ohne dass er seinen Cha-rakter als Wunsch schon verloren hätte (vgl. Sen, 1985: 191; vgl. auch Taylor, 1977).

Referenz-rahmen von

Gerechtigkeits-urteilen

litarismus eine Entscheidung bei Ressourcenkonflikten dann als gerecht, wennsie (für möglichst viele Akteure) Glück maximiert. Der Utilitarismus ist also aufDaten über die psychischen Glückszustände der Individuen angewiesen. Im radi-kalen Liberalismus gilt eine Entscheidung dann als gerecht, wenn bei der Ent-scheidung bestimmte Regeln der Freiheit und des Richtigen befolgt worden sind.Zur Beurteilung der Gerechtigkeit von Entscheidungen werden also Informatio-nen darüber benötigt, welche Verfahren angewandt wurden.

Die verschiedenen theoretischen Referenzrahmen von Gerechtigkeitsurteilenlassen sich unterscheiden nach der Orientierung am Nutzen, an Gütern und an denFähigkeiten (vgl. auch Pereira, 2006: 55 ff.; Sen, 1999: 71 f.). Amartya Sen (1999:71 f.) illustriert die Tragweite der jeweils für relevant erachteten Informationsbasisfür stellvertretende Entscheidungen an einem Beispiel, in dem eine Frau einenGärtner anstellen will und zwischen drei gleichermaßen kompetenten Bewerbernentscheiden muss. Alle drei Bewerber sind arm. Aber der erste Bewerber ist derÄrmste, der zweite Bewerber ist der Unglückliste, da er erst kürzlich verarmt ist(und sich noch gut an seinen Wohlstand erinnern kann) und der dritte leidet mitstoischer Heiterkeit an einer schrecklichen Krankheit. Würde die Arbeitgeberindanach entscheiden wollen, wer von den Bewerbern am wenigsten mit Grundgüternversorgt ist, müsste sie dem ersten Bewerber den Job geben. Würde sie nun nachdem utilitaristischen Entscheidungskriterium der Steigerung des Glücks entschei-den, müsste sie dem zweiten Bewerber den Job geben, da damit dem subjektivenWohlbefinden am stärksten Rechnung getragen werden würde. Die Entscheidungnach dem Kriterium der Fähigkeiten erfordert dagegen, den Job dem dritten Be-werber zu geben, da dieser aufgrund der Krankheit am stärksten in der Chance zurVerwirklichung seiner (basalen) Fähigkeiten eingeschränkt ist.

Dieses Beispiel erhellt, dass diese drei Grundformen von Informationsbasenunterschiedliche Formen von Sozialpolitik fundieren können. Im Folgenden sol-len sie als mögliche Kandidaten für eine gerechtigkeitstheoretische FundierungSozialer Arbeit diskutiert werden.

Nutzen und WohlbefindenGerechtigkeitsurteile können sich am subjektiven Wohlbefinden, d.h. an der Be-friedigung subjektiver Bedürfnisse orientieren.13 Eine Gesellschaftsordnung giltetwa dann als sozial gerecht, wenn die subjektiv artikulierten Bedürfnisse derBürger befriedigt sind.

Eine solche Orientierung am subjektiven Wohlbefinden kommt auch in jünge-ren Versuchen zum Ausdruck, eine »nutzerorientierte« Forschung und Praxis So-zialer Arbeit zu begründen (vgl. Oelerich/Schaarschuch, 2005). Wenn »[d]as, wasdie Nutzerinnen und Nutzer von der Sozialen Arbeit ›haben‹, ihr Gebrauchswert,[...] zum Kriterium professionellen sozialpädagogischen Handelns« (Oelerich/

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14 Dabei muss nicht notwendig das utilitaristische Wohlfahrtskriterium übernommen werden,welches den Kreis der Adressaten oder den Umfang der Bedürfnisbefriedigung einschränktund fordert, dass die Bedürfnisse möglichst vieler Bürger in möglichst hohem Maße befriedigtwerden sollen. Gemäß dieser klassischen utilitaristischen Formel ist »jede Entscheidung anhandder Gesamtmenge des von ihr erzeugten Nutzens zu beurteilen« (Sen, 1999: 77). Die neueForderung einer »Nutzerorientierung« ist sicherlich nicht in diesem Sinne der Orientierung amGesamtnutzen eines Aggregats utilitaristisch. Meines Erachtens schwankt die Programmatikzur Stärkung der Nutzerperspektive in Forschung und Praxis der Sozialen Arbeit noch zwischender Betonung des subjektiv wahrgenommenen Nutzens – was höchst problematisch ist – undeinem Nutzen, der über das hinausgeht, was der Klient aktual artikuliert bzw. zu artikulierenfähig ist – womit dann aber unklar wäre, was die Nutzerforschung von der Professionsforschungunterscheidet. Diese Ambivalenz wird vor allem darin deutlich, wenn der Gebrauchswert imSinne von »gelingenden Aneignungsprozessen« bestimmt wird (vgl. Oelerich/Schaarschuch,2006: 187), damit also ein Kriterium des Gelingens implizit argumentativ in Anspruch genom-men wird, welches mehr ist als das subjektive Wohlbefinden des Klienten.

15 Allerdings wird etwa von Uwe Uhlendorff ein solcher Ausschlichkeitsanspruch gar nicht erho-ben. Es geht vielmehr um die Ergänzung bestehender (auch: psychologischer) Diagnose-verfahren (vgl. Uhlendorff/Cinkl/Marthaler, 2006: 13).

KostspieligeVorliebenund ange-passteWünsche

Schaarschuch, 2006: 187, Herv. i.O.) wird, wäre Soziale Arbeit utilitaristisch fun-diert.14 »Potentiell so wichtige Dinge wie individuelle Freiheit, die Einhaltungoder Verletzung anerkannter Rechte, Aspekte der Lebensqualität, die sich ja nichtadäquat in einer Statistik der Lust spiegeln, können einer normativen Wertung indieser utilitaristischen Struktur nicht unmittelbar eine andere Wendung geben.Doch können sie mittelbar durch ihre Wirkungen auf die Nutzengröße eine Rollespielen, d.h., insofern als sie sich auf die psychische Zufriedenheit, die innere Freu-de oder das empfundene Glück auswirken« (Sen, 1999: 74). Wenn sich ein Ju-gendlicher nicht in seinen Freiheitsrechten verletzt fühlt, nicht durch Sozialpäda-gogen bevormundet fühlt oder sich in einer betreuten Wohngruppe umfassendversorgt fühlt, gilt dies als hinreichendes Qualitätskriterium professionalisierterPraxis. Ähnlich problematisch ist es, wenn eine sozialpädagogische Diagnostiksich ausschließlich als Diagnose von »Selbstdeutungsmuster« (vgl. Mollenhauer/Uhlendorff, 1995) verstehen würde. Die Gelassenheit der Mutter, die sich imFrauenhaus von den Schlägen ihres Ehemannes erholt und sich auf die Rückkehrfreut, kann mit den diesen konzeptionellen Bordmitteln15 nicht kritisiert werden,solange sie keinen Nutzen von der Freiheit beziehen kann, den die Fachkräfte ihrim Frauenhaus ermöglichen. Das utilitaristische Kriterium des Nutzen ist instru-mentalistisch.

Die Orientierung stellvertretender Entscheidungen an den subjektiven Deutun-gen der Betroffenen ist problematisch, weil dann das subjektive (Un-)Zufrieden-heitsniveau lediglich affirmiert wird, aber keine Möglichkeit besteht, diese sub-jektiven Präferenzen begründet zu kritisieren. Für die Soziale Arbeit wäre dasfatal, weil sie dann das Problem der kostspieligen Vorlieben und das Phänomender angepassten Wünsche ignoriert. Das Problem der kostspieligen Vorlieben (ex-pensive tastes) ergibt sich zwangsläufig aus dem subjektivistischen Utilitarismus.Wenn das Wohlbefinden der Einen davon abhängt, dass sie regelmäßig mit einerLuxus-Yacht durch die Karibik düst, während das Wohlbefinden des Zweiten al-lein schon mit ein Paar Turnschuhen für das morgendliche Jogging zu steigern ist,während das Wohlbefinden des Dritten sich bereits ins Unermessliche steigert,wenn er eine warme Mahlzeit erhält, erscheinen diese Präferenzen gerechtig-keitstheoretisch gleichermaßen relevant. Kehrseitig dazu wird das Problem der

Instrumen-telleBewertungvon Werten

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Orientierungam

subjektivenNutzen

unzureichend

FaireVerteilung

gesellschaft-licher

Grundgüter

angepassten Wünsche (adaptive preferences, vgl. Nussbaum, 1990: 40 ff.; 1988:120 f.; Sen, 1985: 191 f.) ignoriert. Damit ist das Phänomen gemeint, dass Men-schen, die unter deprivierten Bedingungen leben bzw. unter deprivierten Bedin-gungen aufgewachsen sind, häufig gar keine Wünsche artikulieren können, dieüber ihre Situation hinausweist. Das kann darin begründet liegen, dass sie keinenVergleichsmaßstab zu ihrer eigenen miserablen Lebenssituation haben, oder weilsie restringierende Wertvorstellungen, also herrschaftsstabilisierende Ideologienso stark internalisiert haben, dass sie ihre eigene Lebenslage sogar als angemes-sen erleben. In der Sozialphilosophie ist dies als das sogenannte Problem des»glücklichen Sklaven« bekannt, in der feministischen Theoriebildung als das Pro-blem der »gezähmten Hausfrau« (vgl. Herzog, 1989).

So verstößt beispielsweise die Knechtschaft inder indischen Landbevölkerung gegen das mo-ralische Empfinden vieler Menschen. In ihrerökonomischen Not sind die Arbeiter gezwungen,Kredite bei den Landbesitzern aufzunehmenund diese unter martialischen Bedingungen derVersklavung bei ihnen abzuarbeiten. Dabei wer-den die Landbesitzer häufig als diejenigen an-

gesehen, die die Arbeiter und ihre ebenso ver-sklavten Familien vor dem Hungertod gerettethaben. Das System der Sklaverei gilt ihnen alsAusdruck sozialer Fürsorge. Die Internalisierungder herrschenden Ideologie führt dazu, dass siemit den unmenschlichen Bedingungen zufrie-den sind.

Eine am subjektiven Nutzen orientierte Soziale Arbeit würde über diese sub-jektive Zufriedenheit nicht hinausgehen können. Soziale Arbeit sollte daher nichtutilitaristisch fundiert werden. Dagegen würde Soziale Arbeit auf Basis einer»stark-vagen« (Nussbaum, 1990: 70) Vorstellung dessen, was es ausmacht, Menschzu sein, fragen, »was sie sich wünschen würden, wenn ihre Erziehung und ihrWissen um Alternativen die Stufe erreicht hätten, auf der sie gemäß der prakti-schen Vernunft und in freier Entscheidung handeln könnten« (Nussbaum, 1990:40, Fn 48). Dies entspricht dem Prinzip der Bemündigung in einer advokatorischenEthik (vgl. Brumlik, 1992). Diese Fragen lassen sich nur im Rahmen einer Grund-güter- und einer Fähigkeitenkonzeption stellen.

Güter und RessourcenDas Problem des Instrumentalismus und der angepassten Wünsche stellt sich nichtmehr, wenn Gerechtigkeitsurteile sich an den Mitteln, die Menschen zur Verfü-gung stehen, orientieren. Eine Gesellschaftsordnung gilt etwa dann als sozial ge-recht, wenn gewährleistet ist, dass jeder Bürgerin unabhängig von ihren individu-ellen Bedürfnissen ein gewisses Maß an Mitteln zur Verfügung steht. Völlig unab-hängig von dem subjektiven Meinen und Wollen gewährleistet die Gesellschaftihren Bürgern etwa Grundrechte und Grundfreiheiten, Freizügigkeit und freieBerufswahl, Befugnisse und Zugangsrechte zu Ämtern und Positionen, ein ge-wisses Einkommen und Besitz und die sozialen Grundlagen der Selbstachtung(vgl. Rawls, 1993). Diese Mittel betrachtet John Rawls, der diesen Ansatz wesent-lich entwickelt hat, als gesellschaftliche Grundgüter. Rawls unterscheidet zwi-schen natürlichen und gesellschaftlichen Grundgütern. Natürliche Güter sind etwaGesundheit, Lebenskraft, Intelligenz und Fantasie, weil diese von der Grund-struktur der Gesellschaft nur mittelbar beeinflusst werden. Darum hat niemand

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16 Dies schließt nicht aus, für ein Recht auf Gesundheitsversorgung zu argumentieren (vgl.Buchanan, 1984; vgl. auch Nussbaum, 2003). Vor allem aber schließt es nicht aus, die Unter-schiede in der Ausstattung mit natürlichen Gütern zu Gerechtigkeitserwägungen zu machen.So stellen die Rawlschen Bürger einer Gesellschaft der fairen Kooperation ihre natürlichenAnlagen durch Ausbildung und Pflege in den Dienst des Gemeinwohls. Insofern die Bürgereiner demokratischen Gesellschaft zur Explikation ihres Gerechtigkeitsempfindens auf dasModell des Urzustandes zurückgreifen, also hinsichtlich Verteilungsfragen von den besonde-ren Eigenschaften der Personen absehen und sich auf das Differenzprinzip einigen, haben siefaktisch die Verteilung der individuellen Talentunterschiede als gemeinschaftliches Guthabenbetrachtet, deren Ertrag es gerecht zu verteilen gilt (vgl. Rawls, 1989: 124 f.).

17 Dies ist der klassische Einwand gegen Rawls (1971), wie ihn vor allem Sen (1980) und Nuss-baum (1992) vorgebracht haben. Rawls stimmt dem zu (vgl. Rawls, 1993: 278) entgegnet aberfreilich, daß die Grundgüter gar nicht als eine Explikation des Guten intendiert sind, also kei-ne spezifischen moralischen Werte enthalten sollen. Vielmehr sollen die Grundgüter die Grund-struktur der Gesellschaft fundieren, während spezifische Vorstellungen des Guten auf der Ebeneder demokratischer Willensbildung verhandelt werden sollen (vgl. Rawls, 1988: 258 f.). Nuss-baum wiederum kritisiert die Rawlsche Unterscheidung zwischen der Grundstruktur der Ge-sellschaft und der Gesetzgebung, weil damit eine tiefgreifende normative Bestimmungen desMenschseins nicht mehr als Fundament von Gesellschaft betrachtet werde und damit auchnicht mehr explizit zur Disposition gestellt werden könne (vgl. Nussbaum, 1990: 64).

Um-wandlungs-faktorenbleibenunberück-sichtigt

hat ein Recht auf Gesundheit.16 Gesellschaftliche Grundgüter werden in sozialerKooperation gesteigert, akkumuliert und verteilt. So werden Grundrechte gesell-schaftlich gewährt, deren soziale Geltung kann aber in Hinblick auf verschiedenesoziale Gruppen (etwa entlang der Merkmale Ethnizität und Geschlecht) ebensounterschiedlich gesellschaftlich verteilt sein wie der Zugang zu bestimmten Äm-tern oder die Höhe des finanziellen Einkommens.

Bei dem Grundgüteransatz stellt sich das Problem der Verwirklichungsmöglich-keiten (conversion factors). Denn Menschen haben unterschiedliche Möglichkei-ten, die ihnen zur Verfügung stehenden Mittel zur Verwirklichung ihrer Bedürf-nisse zu nutzen. Diese Verwirklichungsmöglichkeiten werden zum einen durchgroße Unterschiede in der körperlichen und geistigen Konstitution bestimmt, dieetwa durch Behinderungen, eine besondere gesundheitliche Vulnerabilität oderspezifische Begabungen bedingt sein kann und zum anderen können die jeweili-gen natürlichen und sozialen Umweltbedingungen die Verwirklichungsmöglich-keiten beeinflussen, etwa in Form von klimatischen Bedingungen, epidemischenKrankheiten, einer hohen lokalen Kriminalitätsrate oder in Form spezifischerlokal vorherrschender sozialer Bindungen (vgl. Sen, 1999: 89 ff.; 1980: 198 f.). DieseVariation ist der Normalfall, nicht der Ausnahmefall. So benötigt eine Frau in derSchwangerschaft ein Mehr an bestimmten Nahrungsmitteln als sonst. Auch Men-schen mit Behinderungen, Kranke, Kinder oder Alte brauchen ebenfalls ein Mehran bestimmten Gütern, um ein gewisses Maß an Autonomie zu realisieren. Siebrauchen etwa ein höheres Einkommen, um Transportmittel, Medikamente odersoziale Betreuungsleistungen finanzieren zu können. Weil es sich bei Krankheit,Behinderung, Alter um Zustände handelt, die jeden betreffen, ist der »normal-funktionierender Bürger«, auf den die Verteilung von Gütern zugeschnitten ist,eine Konstruktion, die günstigenfalls auf nur kurze Zeitspannen im Leben weni-ger Menschen zutrifft (vgl. Nussbaum, 2002: 424 ff.). Das Kriterium der Gleich-verteilung von Mitteln allein kann also zu starken Ungleichheiten führen, diesich mitunter als strukturelle Diskriminierung bezeichnen lassen.17 Der Grund

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18 Nussbaum hat an verschiedenen Stellen diese Liste begründet und weiterentwickelt (vgl. etwaNussbaum, 2003: 41 f.; 2002: 455 ff., 500 ff.; 1990: 49 ff.). Nussbaum hat immer wieder AmartyaSen kritisiert, daß er gegen das Aufstellen von Capabilitiy-Listen sei, gleichzeitig aber implizitmit solchen Listen arbeite (vgl. etwa Nussbaum, 2003: 46). Und tatsächlich äußert sich Sen invielen Texten kritisch gegenüber Capability-Listen. Gleichzeitig räumt Sen ein, selbst mit ver-schiedenen Listen gearbeitet zu haben (etwa in: Drèze/Sen, 1989) und Nussbaums Liste fürpolitisch sinnvoll zu halten (vgl. Sen, 2004a: 79). Es scheint hier also eine kleine Scheindebattezwischen den beiden inszeniert zu werden. Letztlich sind sie sich doch darin einig, dass eineListe niemals vollständig sein kann, keine allgemeingültigen Rangfolgen zwischen den Fähig-keiten festlegen darf, dass sie immer in Hinblick auf ein spezifisches wissenschaftliches, pro-fessionelles oder politisches Interessen konzipiert werden und vor allem, daß sie durch öf-fentliche Debatten konkretisiert werden muss.

19 Ebensowenig darf der Fähigkeitenansatz als Alternative zur Rawlschen Gerechtigkeitstheorieverstanden werden (etwas mißverständlich in dieser Hinsicht: Böhnisch/Schröer/Thiersch,2005; vgl. dazu: Steckmann, 2006). Zur Verteilungsfrage trifft der Capability-Approach garkeine Aussagen und ist in diesem Sinne gar keine vollständige Gerechtigkeitstheorie (vgl.Nussbaum, 2000b: 75; Sen, 2004b: 337). Die wichtigen Korrekturen betreffen vor allem dieKonzeption der Rawlschen Grundgüter als zentralem Element seiner Gerechtigkeitstheorie, dieAmartya Sen durch die Konzeption der Verwirklichungschancen erweitern will. In einem Inter-view sagt Sen: »ich glaube, dass die Fähigkeitenperspektive in mancher Hinsicht Rawls’ eige-nem Anliegen, wie es in den allgemeineren Teilen seiner Theorie der ›Gerechtigkeit als Fairneß‹formuliert ist, recht nahe kommt (vielleicht sogar näher, würde ich kühnerweise behaupten,

Fähigkeitenals sozialeGrundgüter?

dafür liegt in der Grundtatsache humaner Diversität, der nur ein multidimensio-naler Referenzrahmen für Gerechtigkeitsurteile gerecht werden kann. Wären dieMenschen alle gleich, würde die Gleichheit in einem Raum (z. B. Einkommenoder Kompetenzen) zur Gleichheit in anderen Räumen führen (z. B. Gesund-heit, Wohlbefinden, Glück). Aber aufgrund der Diversität führen Gleichheiten inder einen Sphäre in der Regel zu Ungleichheiten in einer anderen (vgl. Sen, 1992:20). Der Grundgüteransatz bedarf daher der Erweiterung durch einen Fähigkeiten-ansatz.

Fähigkeiten und VerwirklichungschancenDas Problem der strukturellen Diskriminierung bei Gleichverteilung von Grund-gütern stellt sich nicht mehr, wenn Gerechtigkeitsurteile sich an den Chancen zurAusbildung bestimmter Fähigkeiten, also an den Verwirklichungschancen derBürger orientieren. Eine Gesellschaftsordnung gilt etwa dann als sozial gerecht,wenn sie gewährleistet, dass jeder Bürger bestimmte Fähigkeiten ausbilden kann,die als wesentlich für den Menschen angesehen werden können. Diese Perspekti-ve wird vor allem durch den sogenannten Capability-Approach von Amartya Senund Martha Nussbaum vertreten (vgl. Otto/Ziegler, 2006a; Ziegler, 2004). Ins-besondere Martha Nussbaum hat eine Liste von basalen Fähigkeiten vorgeschla-gen, die als Voraussetzung für ein Leben in Würde gelten können. Darin benenntsie vor allem die Fähigkeit zur Entwicklung und verbindlichen Übernahme einerVorstellung des Guten, die Liebes-, Genuss- und Empathiefähigkeit, das Vermö-gen zur Expression der eigenen Emotion, die Selbstachtung und die politischeMitbestimmungsfähigkeit.18

Der Fähigkeitenansatz stellt keine Konkurrenz, sondern eine wichtige Erwei-terung des Grundgüteransatzes dar.19 Fähigkeiten sind soziale gesellschaftlicheGrundgüter dann, wenn sie nicht auf natürliche Begabung zurückzuführen son-

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als Rawls’ ›Grundgüter‹). Rawls’ Analyse der ›Gerechtigkeit als Fairness‹ führt (m.E. ganz selbst-verständlich) dazu, daß die realen Freiheiten der Menschen und nicht nur ihr materieller Be-sitz bzw. ihre Ressourcen (wie es die Grundgüter sind) untersucht werden« (Sen, 2000: 212).»In meinen ehrgeizigeren Augenblicken denke ich sogar, daß ich versuche, Rawls’ Analyse zuerweitern, um das spezifisch ›Rawlssche‹ stärker herauszuarbeiten« (ebd.: 220).

20 Rawls betont, seine Liste von Grundgütern sei offen für Erweiterungen, allerdings sollten die-se vor allem dem pragmatischen Kriterium genügen, für die Bürger in der politischen Öffent-lichkeit anwendbar zu sein (vgl. Rawls, 1993: 276). Daher sprengt Nussbaum (2002: 439f.)zufolge der Fähigkeitenansatz den Rawlschen Rahmen. Der Versuch, Präferenzen jenseits desökonomischen Wohlstandes zu konzipieren, also etwa Wohlergehen in Begriffen von Funktions-fähigkeiten zu fassen, würde die Berücksichtigung einer Pluralität von Präferenzordnungenerfordern. Rawls hat dagegen für den Urzustand eine recht einfache Präferenzordnung kon-struiert (im Sinne von mehr oder weniger Ressourcen haben) und scheue davor zurück, einekomplexere Ordnung zuzulassen, weil dies die völlige Reformulierung des Differenzprinzipserfordern würde und damit die von ihm angestrebte Forderung nach Einfachheit seiner Theorieaufgegeben werden müsste. Rawls verlagere solche Fragen daher in die Sphäre praktischerpolitischer Entscheidungen über das Gute und hält sich damit den Kern seiner Gerechtigkeits-theorie frei von solchen Überlegungen. Wenn man Nussbaums Rekonstruktion der RawlschenTheoriearchitektonik folgt, scheint die Inkompatibilität des Fähigkeitenansatzes lediglich vonder Akzeptanz des Verfahrens der Einnahme des Urzustandes abzuhängen. Nun kann manaber auch der Rawlschen Gerechtigkeitstheorie folgen, ohne den Urzustand zu akzeptieren.Denn der Urzustand ist ein Modell, »ein Mittel der Darstellung« (Rawls, 1989: 139), das wir inAnspruch nehmen können, um unsere Gerechtigkeitsurteile bei der Gestaltung der Grund-struktur einer Gesellschaft methodisch zu reflektieren – nicht mehr, aber auch nicht weniger(vgl. Rawls, 1989: 21 ff.). Rawls Gerechtigkeitskonzeption beansprucht nicht ahistorische Gel-tung. Seine spezifische Konzeption von Gerechtigkeit als Fairness steht beispielsweise miteinigen Naturrechtslehren oder Varianten des Utilitarismus im Widerspruch. Sie bedarf daher

Differenzie-rung derRawls’schen»Selbstach-tung«

dern sozial erzeugt sind, und mehr noch: wenn diese Fähigkeiten in sozialer Koo-peration gesteigert, akkumuliert und verteilt werden. Die soziale Gerechtigkeitfordert, dass diese Fähigkeiten als soziale Güter ebenso fair verteilt werden müs-sen wie ökonomische Güter oder Grundfreiheiten, um den Bedingungen einerminimal gerechten Gesellschaft genügen zu können.

Anhand des gesellschaftlichen Grundgutes der»Selbstachtung«, von dem Rawls behauptet,dass es »vielleicht das wichtigste Grundgut ist«(Rawls, 1971: 479) lässt sich zeigen, das es dieRawlsche Konzeption der Grundgüter bereitsimmanent auf »Fähigkeiten« verweist. So kannJerome Wakefields (1988b) Versuch einer kon-zeptionellen Ausdifferenzierung des RawlschenBegriffs der Selbstachtung als eine Explikationder Idee von »Fähigkeiten als soziale Grund-güter« betrachtet werden.20 Wakefield (1988b:361 ff.) nennt erstens die Selbstachtung (self-respect) als Fähigkeit sich selbst als ein morali-sches Subjekt zu betrachten, dem Würde zu-kommt und dessen Wünsche, Pläne und Werteebenso bedeutsam sind, wie die der anderenMitglieder der Gemeinschaft der moralischenSubjekte, als dessen Teil man sich versteht.Selbstachtung verbietet es, sich selbst als blo-ßes Mittel für die Zwecke anderer zu begreifen,so wie es gerade Angehörigen der unteren

Schichten sozialstrukturell vermittelt wird. Alszweites gesellschaftliches Grundgut nenntWakefield das Selbstwertgefühl (self-esteem),womit die Wertschätzung der eigenen Fähigkei-ten gemeint ist. Man kann Selbstachtung habenohne Selbstwertgefühl, wenn man nämlichglaubt, es gäbe keinen Aspekt an der eigenenPerson, der es Wert wäre, von anderen geschätztzu werden. Das Selek-tionsprinzip der Schuleund die hierarchische Schichtung der kapitalis-tischen Gesellschaft systematisch die Selbst-achtung und den Selbstwert der unteren Schich-ten. Die Ideologie des »Fördern und Fordern«verursacht systematisch das Gefühl, an dereigenen Arbeitslosigkeit selbst schuld und ent-sprechend für sozialstaatliche Leistungenunwürdig zu sein. Diese gesellschaftlichen Ide-ologien werden etwa durch politische Maßnah-men wie Harz IV erzeugt. Als dritte sozial ver-teilte Eigenschaft nennt Wakefield das Selbst-vertrauen (self-confidence), welches die

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der Zustimmung. Daher lassen sich auch eine Reihe alternativer Verteilungskriterien zumDifferenzprinzip formulieren, die ebenso unserer moralischen Intuition genügen mögen.

21 Diese egalitäre Variante des Perfektionismus unterscheidet sich vom elitären Verständnis desPerfektionismus (vgl. Arneson, 2000: Abs. 2). Der elitäre Perfektionismus versucht, einigewenige Genies zu Höchstleistungen in Kunst, Wissenschaft und Kultur zu führen. Wäre eineGesellschaft ausschließlich auf die Steigerung von Höchstleistungen aus, würde sie nicht nurjenen, die nicht zu den wertgeschätzten Höchstleistungen in der Lage sind, die Würde abspre-chen. Sie würde insgesamt die Bürger nur noch als Mittel für die Leistungsanforderungen derGesellschaft betrachten. Ihnen käme Wert nur insofern zu, als sie für das Wohl dieser Über-menschen arbeiten. Von diesem stark elitären Perfektionismus läßt sich noch eine schwäche-re Variante unterscheiden, die als Korrektiv egalitärer Maßnahmen dient (vgl. Rawls, 1971:360 f.). So könnte man argumentieren, daß die öffentliche Förderung bestimmter Kulturwertezuungunsten der Förderung der Befriedigung niederer Freuden auch dann gerechtfertigt ist,wenn letztere den weniger Begünstigten zugute kommt. Um solche Fragen geht es etwa beidem Konflikt, ob ein neues Theater oder ein neues Fußballstadium gebaut werden soll. Manargumentiert dann mit einem größeren inneren Wert dieser Kulturwerte, deren öffentliche För-derung ein bestimmtes Perfektionsideal verfolgt.

22 Diese Behauptung führt zwingend zur Frage nach den Verwirklichungschancen von Menschenmit Behinderungen, der sich Martha Nussbaum ausführlich gewidmet hat (vgl. Nussbaum,2002; 2006). Ansprüche auf die Förderung von Verwirklichungschancen begründet sie auf derEbene der (humanen und non-humanen) Gattungen, die über eine hinreichende Komplexitätdes Schmerzempfindens verfügen. Demnach trägt eine gerechte Gesellschaft dem Anspruchjedes dieser Lebewesen auf die Realisierung des gattungsspezifischen Verwirklichungs-potentials Rechnung (vgl. Nussbaum, 2002: 494 ff.).

DasPerfektionis-musproblem

istvermeidbar

Überzeugung bezeichnet, dass man seine Zieleverwirklichen kann. Dies bezieht sich selbstver-ständlich ausschließlich auf Ziele, deren Ver-wirklichung innerhalb der eigenen Kontrolleliegt. Dafür muss man ein Wissen von den eige-nen Fähigkeiten haben (self-knowledge), manbenötigt entsprechende Problemlösungsfähig-keiten (problem-solving skills) und eine gewis-se selbst-charismatisierende Bestimmtheit inder Aufgabendurchführung (assertiveness). Sosehr diese Fähigkeiten auch durch natürlicheAnlagen grundgelegt werden mögen, so entwi-ckeln sie sich häufig erst in pädagogisch ange-messenen Lernsituationen, deren Verteilung Ge-genstand von Gerechtigkeitserwägungen sein

muss. Für die Verfolgung seiner Handlungsplänereicht häufig Selbstachtung, Selbstwertgefühlund Selbstvertrauen nicht aus, wenn dem etwainnere Impulse entgegenstehen. Dies äußertsich häufig in der Form: »Ich würde ja gern x tun,ich weiß auch, dass ich die Fä-higkeiten dazuhabe, aber immer wenn ich dieses Ziel anstre-be, dann habe ich die Tendenz y zu tun«. Esbraucht daher soetwas wie der inneren Selbst-organisation (self-organization, self-control,self-discipline) der psychodynamischen Struk-tur, so etwas wie Selbstdisziplin oder Selbstkon-trolle, um sein Lebensglück verwirklichen zukönnen.

Sobald die Liste Grundgüter derart um Fähigkeiten erweitert wird, wie wir diesWakefields Entwurf entnehmen können, stellt sich das Problem des Perfektionis-mus, sofern die maximal mögliche Realisierung relevanter Fähigkeiten gefordertwird. Dieser Perfektionismus impliziert, dass man unabhängig vom unmittelbarartikulierten Meinen und Wollen eines Menschen sagen kann, was gut ist für ihn,dass es ein Ideal gibt, das er mehr oder minder erfüllen kann und letztlich dasMaß seiner eigenen Erfüllung darstellt (vgl. Arneson, 2000: Abs. 3).21 Die Fähig-keiten-Liste von Martha Nussbaum ist lediglich in dem schwachen Sinne perfek-tionistisch, als dass sie auf der Annahme gründet, dass der Mensch kein Menschsondern nur noch ein Tier ist, wenn er nicht bestimmte elementare Fähigkeitenzu verwirklichen in der Lage ist (vgl. Nussbaum, 2000a: 129).22 Freilich stellt sichhier sogleich die Frage, wie diese Fähigkeiten zu gewichten sind. Soll nämlichSoziale Arbeit die gleiche Verteilung von Verwirklichungschancen garantieren,

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MöglicheKonfliktezwischenErgebnis- undVerfahrens-gerechtigkeit

also die gleiche Verteilung von Möglichkeiten der Ausbildung von Fähigkeiten,dann ist sie auch hier mit den Problem der kostspieligen Fähigkeiten konfron-tiert. Die Gleichheit von Fähigkeiten ist offensichtlich wichtig, wenn es um dieFähigkeit zur Wahrnehmung des Wahlrechtes geht oder um die Fähigkeit zur freienReligionswahl. Dagegen erscheint uns die Forderung nach der Gleichverteilungvon Fähigkeiten, die zum Basketballspielen notwendig sind, unsinnig. In der Lagezu sein, Basketball zu spielen ist einfach weniger wichtig, als in der Lage zu sein,seine Meinung kritisch und reflexiv äußern zu können (vgl. Nussbaum, 2003: 36,Fn. 5).

Die Lösung dieses Problems liegt auf der Hand: Fragen der sozialen Gerechtig-keit im Sinne der Gleichverteilung von Verwirklichungschancen müssen unterRückgriff auf ein Kriterium von minimal notwendig erachteten Verwirklichungs-chancen beantwortet werden. Die konkrete Verortung des sozialen Minimums istGegenstand politischer Kämpfe, jedoch lässt sich die Grenze nicht beliebig nachunten verschieben. Eine Gesellschaftsstruktur, die das Prädikat »gerecht« ver-dient, muss prozeduralen Gerechtigkeitskriterien genügen (vgl. auch Nussbaum,2000a: 126).

Prozedurale Gerechtigkeitskriterien sind deshalb nötig, weil in Situationen derGüterknappheit von der politischen Vergemeinschaftung entschieden werden muss(Sozialwahl), welche Grundgüter und welche Fähigkeiten prioritär gefördertwerden sollen. Es kann nämlich zu Konflikten zwischen Ergebnis- und Verfahrens-gerechtigkeit kommen, bei denen gegebenenfalls einem Prinzip der Vorrang ein-geräumt werden, das heißt mitunter auch, die Capability-Perspektive aufgegebenwerden muss. Würde man beispielsweise aus der Tatsache, dass unter gleichenUmständen Frauen im Durchschnitt länger leben als Männer, folgern, dass dieGesundheitsversorgung von Frauen zugunsten der Männer vernachlässigt wer-den könnte, um die Verwirklichungschancen von Männern auszubalancieren,würde man gegen das Kriterium prozeduraler Gleichheit verstoßen, dem hiergegenüber dem Ergebniskriterium – und damit auch gegenüber dem Kriteriumder Gleichheit der Fähigkeiten (capability equality) – der Vorrang zu geben wäre(vgl. Sen, 2004b: 336).

Im Fähigkeiten-Ansatz geht es also um das Ergebnis kollektiven Entscheidens(Nussbaum, 2002: 472). Hier betont er vor allem, dass für Fragen der Gerechtig-keit weniger wichtig ist, was ein Mensch tatsächlich (etwa: an Grundgütern) be-sitzt, sondern was ihm (etwa: an Grundgütern) zu besitzen erlaubt ist (vgl. Sen,2004b: 335). Es geht um die Verwirklichungschancen, weniger um den Besitz. In-sofern es hier um die Frage nach dem zu Verteilenden geht, kann man sagen, dassder Fähigkeiten-Ansatz die Grundlagen für die Erweiterung der Informations-grundlage kollektiver Entscheidungen zur Verfügung stellt und somit eine Alter-native zu dem am utilitaristischen Rationalitätsbegriff verhafteten Kriterium derMaximierung des Eigeninteresses formuliert (vgl. Sen, 2005). Mit dem Fähigkei-ten-Ansatz kommen die vielfältigen Ziele, Motive und Werte des Menschen in denBlick, die in der utilitaristischen Perspektive auf Eigennutz reduziert werden.

Die Frage nach der Verfahrensgerechtigkeit, nach den normativen Prozedurenkollektiver Entscheidungen, überschreitet also den Geltungsbereich des Fähigkei-ten-Ansatzes. Er trifft keine Aussagen zu Verfahren kollektiven Entscheidens, alsodarüber, wie Fähigkeiten zu verteilen sind und welche Fähigkeiten gegenüber an-deren Vorrang genießen dürfen. Solche Verfahren liegen etwa mit dem RawlschenDifferenzprinzip vor (als Ergänzung zu Kriterien allokativer Effizienz, wie dem

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23 Dies gilt unabhängig davon, ob es sich um eine formale oder materiale Gerechtigkeitstheoriehandelt, ob es also schwerpunktmäßig um die Begründung von formalen Prozeduren geht (etwa:utilitaristische rationale Abwägung, Habermasscher Diskurs, Rawlscher Unparteilichkeitstest)oder verstärkt um die Begründung materialer Tatbestände (etwa: universale moralische Re-geln bei Bernhard Gert, anthropologische Grundtatsachen bei Herbert L.A. Hart oder MarthaNussbaum).

Autonomiegegenüberder Politik

Autonomiegegenüber

der Theorie

Pareto Optimum, vgl. Sen, 1993: 521). Aber mit solchen abstrakten Verfahrens-regeln ist es nicht getan. Wie John Rawls betont auch Amartya Sen, dass es darüberhinaus vor allem auf demokratische Prozesse der Entscheidungsfindung ankommt,in denen Fragen der Güterverteilung verhandelt werden sollen.

Zur Autonomie der Sozialen ArbeitWenn das soziale Minimum letztlich im politischen Diskurs der Bürger bestimmtwird, so bedeutet dies nicht, Soziale Arbeit als Profession sei abhängig von diesemDiskurs. Auch die Standards der medizinischen Grundversorgung werden im poli-tischen Diskurs verhandelt. Aber deshalb ist die Medizin als Profession nicht ab-hängig von diesem Diskurs. Natürlich kämpfen Sozialpädagogen für eine Bemes-sung des sozialen Minimums, welches dem Gerechtigkeitsempfinden von Sozialpä-dagogen als Bürgern der politischen Vergemeinschaftung entspricht. Natürlichkämpfen Mediziner als Bürger dafür, dass die öffentliche Gesundheitsfürsorge überdas lediglich medizinisch Nötige hinausreicht, so dass das medizinisch Möglichenicht nur den oberen Schichten vergönnt bleibt. Auch Sozialpädagogen kämpfendafür, das sozialpädagogisch Mögliche, also die möglichst umfassende und weitrei-chende Gewährleistung von Verwirklichungschancen, allen Bürgern zu eröffnen.Aber das bedeutet nicht, dass Soziale Arbeit im Falle des Scheiterns solcher politi-schen Kämpfe (was ja die Regel ist), ihre eigenen Standards vom sozialpädago-gisch Möglichen dem hegemonialen politischen Diskurs angleicht.

Darüberhinaus ist Soziale Arbeit als Profession aber auch autonom gegenüberder Theorie. Sie ist nicht abhängig von einer bestimmten Gerechtigkeitstheorie(vgl. Wakefield, 1988a).23 Dies gilt insbesondere für die in Gerechtigkeitstheorienenthaltenen materialen Gerechtigkeitsnormen. Gerechtigkeitstheorien sind Aus-sagensysteme, die die (traditionale, charismatische, legale) Gültigkeit von Gerech-tigkeitsnormen begründen (vgl. Tschentscher, 2000: 76 f.). Gerechtigkeitsnormensind Imperative bzw. präskriptive, deontische Sätze (»es soll der Fall sein, dass p«).Man kann Gerechtigkeitsnormen methodisch begründen bzw. kritisieren oder sol-che Normen praktisch vertreten. Die methodische Normativität argumentiert mitGründen für die Gültigkeit einer Gerechtigkeitsnorm (vgl. Tschentscher, 2000: 74 ff.).Die praktische Normativität wird im Modus des Forderns, Über-zeugens, Befehlensund Warnens vollzogen, für den die Ja/Nein-Stellungnahme konstitutiv ist (vgl.Oevermann, 2003: 184; kritisch dazu etwa: Rorty, 2000). Aussagen im Modus prakti-scher Normativität haben dagegen keinen Wahrheitswert, sie sind heuristische »Mit-tel zur effizienten Zielerreichung anderweitig begründeter Ziele« (Tschentscher, 2000:88). Soziale Arbeit als normative Praxis muss konkrete Methoden und Verfahrenin Anschlag bringen und muss lebenspraktisch folgenreiche Entscheidungen tref-fen, um Verwirklichungschancen zu gewährleisten. In diesem praktischen Handelnnimmt sie schon immer bestimmte Gerechtigkeitsnormen in Anspruch. Beispiels-weise beansprucht sie, dass mit ihren diagnostischen Verfahren in der Hilfeplanung

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24 Daher ist es bermerkenswert, dass die Normen, in der internationalen Erklärung zur Ethik inder Sozialen Arbeit (IFSW/IASSW, 2004) kaum über jene hinausreichen, die in den Menschen-und Bürgerrechten verankert sind. Der Kodex ist mit den allgemeinen moralischen Verpflich-tungen der Bürgerin eines politischen Gemeinwesens demokratisch verfaßter Gesellschaftendeckungsgleich und in diesem Sinne redundant (vgl. dazu die erhellende Interpretation die-ses Dokuments von Becker/Müller, 2005).

25 Das wäre auch wagemutig, angesichts des vorsichtigen Geltungsanspruches zeitgenössischertheoretischer Entwürfe. So behauptet Rawls beispielsweise, dass die politische Philosophiein der politischen Praxis dienlich ist, um unsere Konzeptionen des Guten und Gerechten zu re-flektieren. Er schließt auch nicht aus, dass es eine wahre Globaltheorie der Gerechtigkeit mit-samt der besten Konzeption des Guten geben möge. Jedoch würden wir uns niemals endgültigauf eine Rekonstruktion davon einigen können (vgl. Rawls, 1989: 137 f.).

Einheit derSozialenArbeit nichtabhängigvom KonsensüberGerechtig-keitsnorm

oder mit Methoden der Beteiligung an kommunalen Gestaltungsprozessen, dassdie Betreffenden das bekommen, was ihnen zu steht (und nur das). Indem siedamit Gerechtigkeitsmaßstäbe praktisch in Anspruch nimmt, ist die sozialpäda-gogische Praxis stets auf jene Begründung von Gerechtigkeitsurteilen angewie-sen, die Soziale Arbeit als normative Disziplin methodisch vollzieht.24 In diesemSinne wird etwa in diesem Beitrag der Capability Approach als eine Begründungsozialer Gerechtigkeit für die Soziale Arbeit gegen konkurrierende Ansätze me-thodisch verteidigt. Sollte sich aber ein anderer Ansatz gegenüber dem CapabilityApproach als überlegen bewähren, wird damit nicht die Bestimmung von Sozia-ler Arbeit als Gerechtigkeitsprofession hinfällig.

Soziale Arbeit als Profession ist dem gesellschaftlichen Zentralwert der sozia-len Gerechtigkeit verpflichtet, muss aber nicht notwendig eine konkrete Gerechtig-keitsnorm einhellig vertreten.25 So mögen Sozialpädagogen unterschiedliche,gleichermaßen gut begründete Vorstellungen davon vertreten, wie Soziale Arbeitgerechtigkeitstheoretisch zu fundieren sei und welche GerechtigkeitsnormenSoziale Arbeit zu vertreten habe. Aber mit dieser besonderen Begründung stehtund fällt nicht die Bestimmung von Sozialer Arbeit als eine Profession, die derGewährleistung sozialer Gerechtigkeit dient. Ebensowenig steht und fällt dieBestimmung der Medizin als eine auf Wiederherstellung von Gesundheit betrau-te Profession mit der Begründung eines spezifischen Gesundheitsbegriffes. Auchformuliert die Professionalisierungstheorie für die Medizin keine Norm von Ge-sundheit. Professionen überleben disziplinäre Debatten, selbst solche, die um ihreGrundbegriffe kreisen.

Die Unabhängigkeit der Profession von einer besonderen Gegenstandstheoriebedeutet also nicht völlige Beliebigkeit der Theorie. Die Profession ist von ihrerBegründungspflicht nicht entlastet. Analoges gilt für den Stellenwert von Theori-en und Methoden in der Wissenschaftspraxis. Natürlich ist es nicht beliebig, vonwelchen Theorien und Methoden eine Wissenschaft Gebrauch macht. Im Gegen-teil, jede Theorie und Methode muss zwingend mit dem Anspruch auftreten, diebeste für ihren Geltungsbereich zu sein. Würde man behaupten: »Ich greife aufTheorie X zurück, obwohl ich davon überzeugt bin, dass Theorie Y eine höhereDeutungs- und Erklärungskraft aufweist«, wäre das irrational und obendrein –sofern es sich bei der unbegründet verwendeten Theorie X um die eigene handelt– in pathologischer Weise narzistisch. In Wissenschaft muss also ebenso um dieÜberlegenheit von Theorien und Methoden gestritten werden wie in der Diszi-plin der Sozialen Arbeit um die Überlegenheit einer Begründung der Profession.

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26 In diesem Sinne ist auch die Suche nach spezifisch sozialpädagogischen Forschungs- oderEvaluationsmethoden aussichtslos und nur als standespolitische Distinktion verständlich.

27 Wakefield (1988a) spricht von der »social work as the safety net profession«, Staub-Bernasconi(1995) von der »Sozialen Arbeit als Menschenrechtsprofession«, Finn und Jacobson (2003)von »social work as social justice work«, Ziegler (2004) spricht von der »Jugendhilfe alsGrundrechtshilfe«.

AutonomiegegenüberMethoden

Aber die reale Wissenschaftspraxis steht und fällt ebensowenig mit der Geltungeiner Theorie oder Methode, wie die professionalisierte Praxis der Sozialen Ar-beit mit dem Scheitern einer Gerechtigkeitstheorie zusammenbricht. Konstitutivfür die Wissenschaftspraxis ist, dass überhaupt Theorien und Methoden verwandtwerden und über ihre Geltung (in Hinblick auf den Zentralwert der Wahrheit)gestritten wird. Konstitutiv für die Praxis der Sozialen Arbeit ist, dass in der ge-meinsamen Ausrichtung auf den Zentralwert sozialer Gerechtigkeit um die Über-legenheit bestimmter Gerechtigkeitsnormen gestritten wird.

In der hier vertretenen Konzeption bleibt Soziale Arbeit auch dann SozialeArbeit, wenn sie auf psychotherapeutische Methoden zurückgreift – solange diesder Herstellung von sozialer Gerechtigkeit dient. Eine Profession kann ihre Ein-heit nicht über bestimmte Techniken, Methoden oder Wissensdomänen herstel-len. Während sich eine wissenschaftliche Disziplin über einen Wissensbereich kon-stituiert, sind Professionen nicht an spezifisches Wissen gebunden. Wissen, Tech-niken, Theorien können sich im Laufe der Zeit radikal wandeln, ohne dass dieProfession ihre kognitive Identität verliert (vgl. Wakefield, 2003: 296; 1988a: 190).Die Geschichte der Psychotherapie und vor allem der Medizin belegt dies ein-drücklich (vgl. Hofmann, 2001; Murdock, 1980). Daher ist der jeweilige Wissens-korpus, den eine Profession verwaltet, nicht konstitutiv für die Profession. Dasbedeutet auch, dass sich Professionen nicht durch spezifisches Wissen, Theorien,Kompetenzen oder Techniken voneinander abgrenzen, auch wenn dies profes-sionspolitisch häufig eine Rolle spielt. Eine Profession kann nämlich nicht exklu-siv über bestimmte Techniken verfügen und faktisch gelingt dies auch keiner Pro-fession (vgl. Wakefield, 1988b: 357; 1996: 5). So wie die Markt- und Meinungsfor-schung sich der Methoden der empirischen Sozialforschung bedient ohne dadurchWissenschaft zu werden, so nutzen die Unternehmensberaterin im Beratungs-prozess, die Immobilienmaklerin im Verkauf, der Marketingchef in der Werbung,der Polizist im Verhör, der Folterknecht bei der Misshandlung psychologischeTechniken ohne deshalb Psychotherapie zu betreiben. Animateure im Clubhotel,Mickeymäuse in Disneyland, der Personalchef beim Human-Relations-Manage-ment können sozialpädagogische Techniken nutzen ohne Sozialpädagogik zusein.26 Zu psychotherapeutischen bzw. sozialpädagogischen Prozessen werden diedort verwendeten Methoden erst durch den Bezug auf den Zentralwert. Professi-onen tun nämlich alles, was der Verfolgung ihres Zentralwertes dient. SozialeArbeit verfolgt den Zentralwert der sozialen Gerechtigkeit.

Soziale Arbeit gewährleistet VerwirklichungschancenGemäß der hier vertretenen gerechtigkeitstheoretischen Fundierung, gewährleistetSoziale Arbeit ihren Klienten ein soziales Minimum an Verwirklichungschancen.In diesem Sinne ist sie eine »Gerechtigkeitsprofession«.27 Soziale Arbeit mag erstin der therapeutischen Dimension sozialpädagogischen Handelns professionalisie-

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SozialeArbeit verhilftnicht zurPerfektion

28 Dies gilt unabhängig von ihrer disziplinären Verortung in der Erziehungswissenschaft, welchedarin begründet liegt, daß ihre Intervention eine pädagogische ist.

29 Bezeichnenderweise kommt auch Dirk Baecker (1994: 97, Fußnote 10) mit der Frage, wie dasSystem Sozialer Hilfe entscheide, wann nicht mehr geholfen werde auf die sogenannte»Kontingenzformel« der »Gerechtigkeit«.

30 Auf gar keinen Fall lehnt Soziale Arbeit Motivationstechniken prinzipiell als »neoliberaleAktivierung« ab. Zur neoliberalen Aktivierung werden Motivationstechniken schließlich erst,wenn sie in den Dienst einer Ideologie gestellt werden, wenn etwa – wie im Zuge der soge-nannten Hartz IV-Reformen – Erwerbslose unter den Bedingungen struktureller Arbeitslosig-keit mit dem Generalverdacht der Faulheit systematisch öffentlich entwürdigt werden (vgl. etwaClement, 2005).

SozialeArbeit hilftnicht beiausreichen-denKonversions-faktoren

rungsbedürftig sein und in diesem Sinne – ebenso wie die Pädagogik – dem gesell-schaftlichen Fokus der »Therapie« zugerechnet werden (vgl. Oevermann, 1996;zur Diskussion vgl. Schrödter, 2004: 68 ff.). Sie ist aber keine Gesundheitspro-fession, auch keine Profession des Bildungswesens (vgl. Winkler, 2006: 78). AlsTeil des Sozialwesens ist sie eine Gerechtigkeitsprofession.28

Das soziale Minimum muss Soziale Arbeit nicht notwendigerweise ausbuchsta-bieren, um handlungsfähig zu sein. Zur Vergewisserung ihres professionellen Auf-trags genügt die stark-vage Vorstellung eines sozialen Minimums von Verwirkli-chungschancen. Und die stark-vage Vorstellung eines sozialen Minimums reichtals Stoppregel sozialpädagogischer Intervention und damit als Lösung des Per-fektionismusproblems völlig aus.29

So hilft Soziale Arbeit beispielsweise nichtMarcus Beyer. Marcus Beyer ist Berufsboxer undhatte für Schlagzeilen gesorgt, weil er die Hilfeeines Psychologen in Anspruch genommen hat-te, um für einen bevorstehenden Kampf genü-gend »Biss« zu entwickeln. Dass Soziale ArbeitMarcus Beyer nicht hilft, liegt nicht darin begrün-det, dass sie nicht über die nötigen Motivations-techniken verfügen würde oder gar Motivations-techniken als »psychologistisch« ablehnen wür-de.30 Wie oben argumentiert, konstituiert sicheine Profession nicht über spezifische Metho-den. Vielmehr greifen Professionen auf sämtli-che Methoden zurück, die der Verfolgung ihresZentralwertes dienen. Daher würde Soziale Ar-beit durchaus Jugendlichen in der Jugendberufs-hilfe den nötigen »Biss« vermitteln, um mit dergesellschaftlichen Stigmatisierung als »Jugend-hilfeklientel« umgehen zu können – sei es fürden Einstig in einen Beruf oder auch für ein Le-ben jenseits der Erwerbstätigkeit. Bei MarcusBeyer dagegen liegt ein sozialpädagogischerInterventionsbedarf deshalb nicht vor, weil erkeinen gesellschaftlich legitimen Anspruch aufdie Perfektion seiner Boxkünste reklamierenkann. Dabei muss nicht argumentiert werden,dass Boxen keine Fähigkeit sei, deren gesell-schaftliche Förderungswürdigkeit allgemein ge-sellschaftlich anerkannt wäre. Für den FallMarcus Beyer reicht die Feststellung aus, dasssich gesellschaftliche Förderungen von Höchst-leistungen grundsätzlich nicht auf die Minimal-

norm einer sozialen Gerechtigkeit berufen kön-nen.Darüber hinaus verfügt Marcus Beyer als Top-Berufsboxer bereits über genügend finanzielleRessourcen, die es ihm ermöglichen, für die Mit-tel zur Verwirklichung sämtlicher Fähigkeitenselbst aufzukommen. Das Gleiche gilt für denManager mit Flugangst (vgl. Wakefield, 1988b).Auch er kann sich nicht darauf berufen, in sei-nen Chancen zur Verwirklichung des Traums zurExpansion seines Geschäftsimperiums behin-dert zu werden und deshalb DienstleistungenSozialer Arbeit in Anspruch nehmen zu können.Ein Psychologe wird sich ihm unter der Perspek-tive der Restitution seiner psychischen Gesund-heit oder psychischen Integrität gerne anneh-men.Auch Paris Hilton, deren Berufsbezeichnung inden Medien für gewöhnlich mit »Hotelerbin undPartyluder« vermerkt wird, wird keine Hilfe durchdie Soziale Arbeit erhalten, weil sie unfähig ist,»selbstständig« einen Haushalt zu führen. So-ziale Arbeit verhilft Jugendlichen in Wohn-gruppen zur »Verselbstständigung«, d.h. sie gibtihnen die Möglichkeit, Fähigkeiten herauszubil-den, um sich selbst einen angemessenen Wohn-raum zu beschaffen und einzurichten und sievermittelt die Fähigkeit, »einfache und komple-xe Mahlzeiten für sich selbst und andere zu pla-nen, zu organisieren, zu kochen und anzurich-ten« oder die Fähigkeit Hausarbeiten zu erledi-gen, also »einen Haushalt zu handhaben durch

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31 Aktivieren muss man eine Maschine, die still steht und noch nicht läuft. Entsprechend präsup-poniert die Rede von der »Aktivierung« in der Sozialen Arbeit, dass die Klienten in Lethargieverharren, obwohl sie prinzipiell über entsprechende Ressourcen und Fähigkeiten verfügen(diese irreführende Rhetorik findet sich etwa bei Gehrmann, 2005, obwohl er letztlich techno-kratisches Handeln vermeiden will). Professionaliertes sozialpädagogisches Handeln ist abermäeutisches Handeln (vgl. Schrödter, 2006) und das ist etwas kategorial anderes als»Aktivierung«. Würde der Arzt von der Unterstützung des Geburtsvorgang als Aktivierung spre-chen, wäre das unsittlich. Eine Geburtsmaschine muss man anschalten, aktivieren. Einegebährende Frau dagegen benötigt lediglich die mäeutische Unterstützung durch den Geburts-helfer. Der Arzt, der der Gebärenden nach Ende seiner Mittagspause eine geburtseinleitendeSpritze gibt, um schließlich das Kind per Kaiserschnitt zu entnehmen, mag die Mutter wie eineGebärmaschine betrachten. Aber das entspricht nicht dem Modus professionalisiertenHandelns, sondern dem des bloß ingenieuralen Handelns (vgl. Oevermann, 1996). Ich dankeChristof Beckmann für die klärende Diskussion dieses Aspektes.

SozialeArbeit hilft

bei sozialerDeprivation

Reinigen des Hauses, Waschen von Kleidung,Benutzung von Haushaltsgeräten, Lagerung vonLebensmitteln, Entsorgung von Müll, wie fegen,moppen, Tische, Wände und andere Oberflä-chen reinigen; Haushaltsmüll zu sammeln undzu entsorgen; Zimmer, Toiletten und Schubladenin Ordnung zu halten; schmutzige Kleidung zusammeln, zu waschen, zu trocknen, zusammen-zulegen und zu bügeln; Schuhwerk zu reinigen;Besen, Bürsten und Staubsauger, Waschma-schinen, Trockner und Bügeleisen zu benutzen«,usw. (vgl. WHO, 2001: d610–d640; vgl. auchSchrödter/Ziegler, 2006). Wahrscheinlich istParis Hilton zu all dem unfähig. Da sie aber nichtnur über das entsprechende Personal an Ein-richtungsberatern, Innenarchitekten, Köchenund Reinigungskräften, sondern vor allem auchüber die entsprechenden (hier vor allem: finan-ziellen) Konversationsfaktoren, also (vor allem:

externe) Verwirklichungsmöglichkeiten verfügt,um sich gegebenenfalls diese Fähigkeiten au-tonom oder mit psychologischer Unterstützunganzueignen, wird sie von der Sozialen Arbeit kei-ne Hilfe erfahren. Aus dem selben Grunde hilftSoziale Arbeit auch nicht anderen sozial devian-ten Bessergestellten, wie Prinz Harry oder ErnstAugust Prinz von Hannover, die sich mit ihrenDrogenproblemen und Gewalteskapaden regel-mäßig massenmedial in Szene setzen. SozialeArbeit befähigt Paris Hilton, Prinz Harry oderErnst August Prinz von Hannover weder zu einerselbstständigen Haushaltsführung oder zu ei-ner drogen- und gewaltfreien Lebensführung,noch hilft sie ihnen bei der gelungenen kultur-industriellen Selbstinszenierung als »Party-luder« oder »Partyhengst« oder bei der Bewäl-tigung der psychischen Spätfolgen dieser selbst-gewählten Inszenierung.

Soziale Arbeit hilft unter Bedingungen sozialer Deprivation. Sie gewährleistetVerwirklichungschancen für Kinder, in dem sie sicherstellt, dass auch Kinder derexkludierten Schichten in einer förderlichen Sozialisationsumgebung aufwach-sen, sei es durch die Restitution einer sich in der Krise befindlichen Familie, durchdie Unterstützung vermittelst öffentlicher Angebote oder durch die sorgfältigbegleitete Auflösung und Substitution dieser Familie (zu den Fallstricken vgl.Richter, 2004; Parker, 2003). Soziale Arbeit sorgt hier für eine gerechte Vertei-lung von Sozialisationsumgebungen. Sie vermittelt – wie keine andere Profession– im Sinne der Mill’schen soziologischen Imagination (vgl. Mills, 1959) öffentli-che Fragen mit privaten Problemen (vgl. Ferguson/Lavalette, 2006: 315). Damitwerden scheinbar private, individuelle Probleme als Produkte gesamtgesellschaft-licher Strukturbedingungen und als Gelegenheiten zu politischer Aktion erfahrbar.So setzt Gemeinwesenarbeit nicht bei der neoliberalen »Aktivierung« von ver-meindlich »verschütteten« Selbsthilfepotentialen der Bewohner im Sinne eines»Münchhausenprojektes« (Winkler, 2006: 78) an.31 Vielmehr gestaltet SozialeArbeit benachteiligte Sozialräume in der Hoffnung, soziale »Brücken« zu neuensozialen Netzwerken zu bauen, die die Verwirklichungschanchen der Bewohnererweitern (zu den Fallstricken vgl. Kessl/Otto/Ziegler, 2002). Vielleicht kann mansagen, dass Soziale Arbeit sich hier um die gerechte Verteilung sozialer Bezie-

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hungen bemüht. Ebenso gilt: Soziale Arbeit in der Berufshilfe versucht nicht, Ju-gendliche zu etwas zu »aktivieren«, zu dem sie strukturell nicht in der Lage sindund damit strukturelle Erwerbslosigkeit auf selbstverschuldete Arbeitsunfähig-keit zu reduzieren (vgl. kritisch: Polutta, 2005). Vielmehr versucht Soziale Arbeitprimär die Verwirklichungschancen der Jugendlichen zu erweitern – auch jen-seits von Erwerbstätigkeit (vgl. Galuske, 2002). Hier steht die gerechte Vertei-lung von Möglichkeiten selbstbestimmter Selbstverwirklichung zur Disposition(vgl. Oevermann, 1983: 18 f.). Kurz: Soziale Arbeit tut das, was sie tut unter demFokus der sozialen Gerechtigkeit.

Dass sozialpädagogisches Handeln unter dem Fokus sozialer Gerechtigkeit steht,bedeutet nicht lediglich, dass ihr Handeln der Gerechtigkeit dient. Dies wäre einefunktionale Bestimmung Sozialer Arbeit. Die Beispiele sollten vielmehr deutlichmachen, dass sozialpädagogisches Handeln in der Sozialen Arbeit Vollzug vonsozialer Gerechtigkeit ist. Entsprechend muss zwischen einer gerechten Hand-lung, die einem konkreten Menschen widerfährt einerseits und der Herbeiführunggerechter Zustände andererseits unterschieden werden.32 Eine gerechte Hand-lung impliziert notwendigerweise einen Gleichheitsbezug (der natürlich auf sehrunterschiedliche Maßstäbe gründen kann, vgl. Sen, 1992): Ein Gerechtigkeitsurteilschließt die Frage ein, »ob die Behandlung des Einen angemessen ist, wenn mansie mit der Behandlung des Anderen vergleicht« (Tschentscher, 2000). Nach klas-sischem Aristotelischem Verständnis, in der die suum cuique-Formel aufgehobenist, müssen Gleiche proportional Gleiches erhalten. Ist nun im sozialpädagogi-schen Handeln ein solcher Gleichheitsbezug vorhanden?

Wenn Bürgern das vorenthalten wird, was ihnen entsprechend dem für die po-litische Vergemeinschaftung verbindlichen Gerechtigkeitsentwurfes zukommt,wird dies häufig damit begründet, dass dies dem Gemeinwohl (etwa: »StandortDeutschland«) diene. Gerade im Zuge des Umbaus des Wohlfahrtsstaates wer-den so Beschneidungen von Gerechtigkeitsansprüchen begründet (vgl. Pelton,2001: 433 f.). Insofern Soziale Arbeit Ressourcen der politischen Vergemeinschaf-tung stellvertretend im Dienste der Klienten verwaltet, sie also immer die Ent-scheidung zwischen »helfen« und »nicht-helfen« zu treffen hat (vgl. Baecker, 1994),ist für sie der interpersonelle Vergleich konstitutiv. Dabei muss sie sich von Gerech-tigkeitserwägungen leiten lassen.

Nun wird der Einwand naheliegen, dass nicht alles, was Sozialpädagogen tun,als Vollzug von sozialer Gerechtigkeit verstanden werden kann. In vergleichba-rer Weise beschäftigen sich auch Mediziner und Rechtsanwälte mit Aufgaben, dienicht selbst Herstellung von Gesundheit oder Recht sind. Das gilt in besonderemMaße für den Schönheitschirurg oder die Firmenanwaltin. Wakefield (1988b)schlägt daher vor, zwischen wesentlichen und abgeleiteten Aufgaben einer Pro-fession zu unterscheiden. Wesentliche Aufgaben werden einer Profession quagesellschaftlichem Auftrag zugewiesen, um sicherzustellen, dass ein bestimmterZentralwert verfolgt wird. Abgeleitete Aufgaben werden einer Profession zuge-wiesen, weil diese Profession über die Kompetenzen, die für diese Aufgabe erfor-derlich sind, verfügt. Diese Aufgaben sind also von ihren Kompetenzen abgelei-tet, nicht von ihrem Auftrag. Mediziner können operieren, daher überträgt man

32 Ich danke David Hartwich für den Hinweis auf die aristotelische Entelechie-Lehre, nach der esin diesem Zusammenhang zwischen erster und zweiter Wirklichkeit zu unterscheiden gilt.

Herstellungvon Gerech-tigkeit alsVollzug undals Funktion

WesentlicheundabgeleiteteAufgaben

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ihnen die Lizenz zur Durchführung von Schönheitsoperationen – eine Tätigkeitmit tendenziell deprofessionalisierender Wirkung für die Profession als Ganze.Das gleiche gilt für Firmenanwälte, die »Rechtslücken« suchen. Auch Sozialpäd-agogen bearbeiten oftmals abgeleitete Aufgaben, etwa wenn sie in der Kranken-haussozialarbeit unabhängig von der sozialen Lage für alle Patienten zuständigsind – eine Tätigkeit, die allerdings deshalb nicht deprofessionalisierend ist, weilhier der professionelle Auftrag der Aufrechterhaltung Gerechtigkeit wenigstensnicht kontakariert wird. Daher ist dies professionspolitisch unproblematisch. Dennselbst wenn ein hoher Anteil der Fachkräfte innerhalb einer Profession abgelei-tete Aufgaben übernehmen, ändert dies nichts an der Tatsache, dass Professionensich nicht über diese Tätigkeiten begründen. Die hier vertretene These ist, dassfür die Soziale Arbeit als Profession die Herstellung von sozialer Gerechtigkeitkonstitutiv ist. Soziale Arbeit gibt Bedürftigen das, was ihnen zukommt.

Erfolgskriterium sozialpädagogischen HandelnsDamit ist bereits das Erfolgskriterium sozialpädagogischen Handelns expliziert,das wir mit den Erfolgskriterien anderer Formen professionalisierten Handelnsvergleichen können. Wenn der Arzt, die Anwältin oder der Sozialpädagoge nacheinem schweren Arbeitstag nach Hause kommt, unter welchen Bedingungen wirder Zufriedenheit verspüren?

Die Ärztin oder die Psychotherapeutin werden zufrieden sein, wenn sie dazubeitragen konnten, dass der Patient oder Klient gesundet oder auch, wenn sieihm dazu verhelfen konnten, seinen besonderes Ideal von psychosomatischerIntegrität zu erkunden, zu entwickeln und diesem Ideal ein Stück näher zu kom-men. Die Wissenschaftlerin wird zufrieden sein, wenn sie zur wahren Erkenntnisbeitragen konnte, also etwa eine neue Lösung für ein theoretisches Problem ent-wickelt oder dieses Problem in einer Weise reformuliert hat, die neue Lösungenaussichtsreich erscheinen lässt oder wenn sie ein empirisches Phänomen sachhaltigaufgeschlossen hat. Der Anwalt, die Staatsanwältin oder die Richterin werdenzufrieden sein, wenn sie dazu beitragen konnten, dass Recht wiederhergestelltwurde, wenn also der Anwalt dem formalen Recht, die Staatsanwältin dem mate-rialen Recht Geltung verschafft und wenn der Richter dem Geiste des Gesetzge-bers entsprochen hat. Bemerkenswert dabei ist, dass es ihnen um das Recht alssolches geht, zunächst unabhängig von den konkreten Personen, die an dem kon-kreten Rechtsverfahren beteiligt sind, also unabhängig davon, ob der Angeklagtenun freigesprochen oder verurteilt wird. Die deprofessionalisierte Abweichungdavon ist der Star-Anwalt, dem es darum geht, das Beste für seinen Mandanten»herauszuschlagen« oder die verknöcherte Staatsanwältin, die sich eher als Staats-schutz, denn als Stimme der materialen Gerechtigkeit versteht. Der Lehrer oderder Erzieher wird zufrieden sein, wenn er dem Schüler oder dem Kind dazu ver-helfen konnte, sich Wissen anzueignen oder sein allgemeines Verhältnis zu sichselbst oder zur sozialen bzw. materiellen Welt auf einer (nicht-trivial-)höherenStufe zu transformieren. Die Geistliche wird zufrieden sein, wenn sie dem Ge-meindemitglied dazu verholfen hat, seinen Weg zu Gott zu finden, bzw. ihn darinbestärkt hat, diesen Weg weiterhin zu beschreiten. Unter welchen Bedingungenist nun der Sozialpädagoge zufrieden? Der bloß wohltätig Handelnde ist zufrie-

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33 Damit ist nichts gegen Wohltätigkeit als eine förderungswürdige Tugend gesagt, sondernlediglich, dass für sozialpädagogisches Handeln nicht die Wohltätigkeit konstitutiv ist, auchwenn sie mit guten Gründen eine starke motivationale Quelle hergibt (vgl. Wakefield, 1993).

den, wenn er einem Menschen Gutes widerfahren lassen konnte.33 Der Sozialpä-dagoge aber wird zufrieden sein, wenn er dazu beigetragen hat, dass seinem Kli-enten das zukommt, was ihm zusteht, wenn er also sein Wohl maximiert hat oderihm Zugang zu Grundgütern verschafft hat, die ihm bisher vorenthalten warenoder – das hier favorisierte Kriterium – wenn er ihm Möglichkeiten zur Verwirk-lichung eines Minimums an zentralen Fähigkeiten geben konnte.

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Verf.: Dr. Mark Schrödter, Universität Bielefeld, Fakultät für Pädagogik/AG 8,Bielefeld Center for Education and Capability Research,Postfach 10 01 31, 33501 BielefeldE-Mail: [email protected]