10
Z. Slav,. 37 (1992) 1, 50 59 Gerd Hentschel Verwendungshäufigkeit und Innovation im Flexionssystem - Beobachtungen zum morphologischen Wandel im Russischen und Polnischen* In Sprachen mit Flexionsmorphologie sind es bekanntetweise §(örter mit hoher Verwendungs- häufigkeit, die sich durch einen höheren Grad an Irregularität oder vorsichtiger gesagt Diversität in ihrer flexionsmorphologischen Ausdrucksform auszeichnen. Frequente \Mörter, so ist die geltende Lehrmeinung, wehren sich besonders erfolgreich gegen Regulatisierungen ver- schiedenster Art. Derartige Irregularitäten, derartige Diversifizierungen können sowohl die Aus- drucksform des Stammes als auch die der Endungen betreffen. Für den Stamm ist zu verweisen auf Phänomene wie Suppletion, Älternationen phonologischer Segmente sowie derivative Bildungen von Teilparadigmen. Aber auch archaische Endungen scheinen sich besonders gut bei frequenten §üörtern zu halten. Im Polnischen hat bekanntlich im D. Sg. der Maskulina die Endung -owi a:us der kleinen Klasse der altet ä-Stämme die alte Endung -u der o- und/-Stämme weitestgehend verdrängt. Aber in §7örtern wie ajciec, brat, pan, 'Yatet, Bruder, Herr'1, also sehr häufig verwen- deten, hält sich hartnäckig die alte Endung. Meine Äusführuflgen werden sich im folgenden auf den rein grammatischen Teil von §(/ortformen konzentr.ieren. Diskutiert wetden sollen diverse Phänomene des flexionsmorphologischen §Tandels im Sinne des Übergangs von einer alten Endung zu einer neuen oder des Äufkommens einer neuen neben einer a1ten. \ü7eit verbreitet ist die Ansicht, daß morphologischer \ilandel bzw. genauer gesagt, nicht lautlich konditionierter morphologischer §7ande1, erst die infrequenten 1ü/örter erfaßt, phonetischer \ü/an- del hingegen zunächst bei frequenten §7örtern zu beobachten ist (vg1. Hoopet 1976, S. 104). Det polnische Romanist und Slavist §Titoid Mahczak führt die vermeintlich offensichtliche Resistenz frequenter lWörter gegen morphologische Neuerungen auf die einfache Fotmel zurück: \X/as oft gehört und gesagt wird, prägt sich ein (Maitczak 1980, S. 37)2. Oft jedoch bleiben Arbeiten mit derartigen Aussagen statistisch abgesichertes Material schuldig. Ich möchte in diesem Aufsatz versuchen, den zitierten Standpunkt auf statistisch solider Materialgrundlage zu hinterfragen, und zw:,r ^fl einigen Beispielen zum flexionsmorphologischen rX/ande1 im modernen Russisch und im Polnisch des 16. Jahrhunderts. Die Daten zur Flexion im Russischen basieren auf Zaliz\aks «fpauuarravecKr{ü cnoBapr, pyccKoro ,36IKa» (1977). Die Frequenzdaten sind dem Häufig- keitswörterbuch von Zasorina (1977) efltriommen. Für das Polnische wurden die 18 bisher erschie- nen Bände des ,,Slownik polszczyzny XVI wieku" (SpXVI) ausge§/ettet3. x Det vorliegende Aufsatz ist eine übetatbeitete Version eines Vortrages für den V. Deutschen Slavistentag, Betlin, 9. - 12. Oktobet 1990. 1 Das letztgeflannte det dtei Substantive erreicht eine hohe Häufigkeit nicht zuletzt aufgrund det Tatsache, daß es neben seiner ,,appellativischen Vetwendung" quasi a1s Ptonomen der höflichen Anrede für männliche Personen dient. 'z Best (1973, S. 72) verweist aufdie lange Tradition derartiger, üblicherweise nicht hintedragter Annahmen. 3 Es handelt sich hier aiso nicht um eine eigentlich wünschenswette Zufallsstichprobe aus det Gesamtpopula- tion. Die erschienenen Bände umfassen grob die Hälfte der zu erwartenden substantivischen Lemmata, die alle berücksichtigt wurden, sofern sie zu den untersuchten Deklinationsklassen (bzw. -teilklassen gehöten) und füt die untersuchten I{asus-Numerus-Kombinationen Belege bieten. Da bishet jeglicher Hinweis auf eine Ausvrirkung des §ilortanlauts, welcher der Gliederung des §üöterbuchs zugtunde liegt, auf die Flexionsmorphologie fehlt, kann von einet hohen Stabilität der im folgenden ermittelten Trends ausgegan- gen wetden.

Verwendungshäufigkeit und Innovation im Flexionssystem. Beobachtungen zum morphologischen Wandel im Russischen und Polnischen. In: Zeitschrift für Slawistik 37 (1992) 1, 50-59

Embed Size (px)

Citation preview

Z. Slav,. 37 (1992) 1, 50 59

Gerd Hentschel

Verwendungshäufigkeit und Innovation im Flexionssystem -Beobachtungen zum morphologischen Wandel im Russischenund Polnischen*

In Sprachen mit Flexionsmorphologie sind es bekanntetweise §(örter mit hoher Verwendungs-

häufigkeit, die sich durch einen höheren Grad an Irregularität oder vorsichtiger gesagt

Diversität in ihrer flexionsmorphologischen Ausdrucksform auszeichnen. Frequente \Mörter, so

ist die geltende Lehrmeinung, wehren sich besonders erfolgreich gegen Regulatisierungen ver-

schiedenster Art. Derartige Irregularitäten, derartige Diversifizierungen können sowohl die Aus-

drucksform des Stammes als auch die der Endungen betreffen. Für den Stamm ist zu verweisen auf

Phänomene wie Suppletion, Älternationen phonologischer Segmente sowie derivative Bildungen

von Teilparadigmen. Aber auch archaische Endungen scheinen sich besonders gut bei frequenten

§üörtern zu halten. Im Polnischen hat bekanntlich im D. Sg. der Maskulina die Endung -owi a:us

der kleinen Klasse der altet ä-Stämme die alte Endung -u der o- und/-Stämme weitestgehend

verdrängt. Aber in §7örtern wie ajciec, brat, pan, 'Yatet, Bruder, Herr'1, also sehr häufig verwen-

deten, hält sich hartnäckig die alte Endung. Meine Äusführuflgen werden sich im folgenden auf

den rein grammatischen Teil von §(/ortformen konzentr.ieren. Diskutiert wetden sollen diverse

Phänomene des flexionsmorphologischen §Tandels im Sinne des Übergangs von einer alten

Endung zu einer neuen oder des Äufkommens einer neuen neben einer a1ten.\ü7eit verbreitet ist die Ansicht, daß morphologischer \ilandel bzw. genauer gesagt, nicht lautlichkonditionierter morphologischer §7ande1, erst die infrequenten 1ü/örter erfaßt, phonetischer \ü/an-

del hingegen zunächst bei frequenten §7örtern zu beobachten ist (vg1. Hoopet 1976, S. 104). Detpolnische Romanist und Slavist §Titoid Mahczak führt die vermeintlich offensichtliche Resistenz

frequenter lWörter gegen morphologische Neuerungen auf die einfache Fotmel zurück: \X/as oftgehört und gesagt wird, prägt sich ein (Maitczak 1980, S. 37)2. Oft jedoch bleiben Arbeiten mitderartigen Aussagen statistisch abgesichertes Material schuldig. Ich möchte in diesem Aufsatz

versuchen, den zitierten Standpunkt auf statistisch solider Materialgrundlage zu hinterfragen, und

zw:,r ^fl

einigen Beispielen zum flexionsmorphologischen rX/ande1 im modernen Russisch und imPolnisch des 16. Jahrhunderts. Die Daten zur Flexion im Russischen basieren auf Zaliz\aks«fpauuarravecKr{ü cnoBapr, pyccKoro ,36IKa» (1977). Die Frequenzdaten sind dem Häufig-keitswörterbuch von Zasorina (1977) efltriommen. Für das Polnische wurden die 18 bisher erschie-

nen Bände des ,,Slownik polszczyzny XVI wieku" (SpXVI) ausge§/ettet3.

x Det vorliegende Aufsatz ist eine übetatbeitete Version eines Vortrages für den V. Deutschen Slavistentag,

Betlin, 9. - 12. Oktobet 1990.1 Das letztgeflannte det dtei Substantive erreicht eine hohe Häufigkeit nicht zuletzt aufgrund det Tatsache, daß

es neben seiner ,,appellativischen Vetwendung" quasi a1s Ptonomen der höflichen Anrede für männlichePersonen dient.

'z Best (1973, S. 72) verweist aufdie lange Tradition derartiger, üblicherweise nicht hintedragter Annahmen.3 Es handelt sich hier aiso nicht um eine eigentlich wünschenswette Zufallsstichprobe aus det Gesamtpopula-

tion. Die erschienenen Bände umfassen grob die Hälfte der zu erwartenden substantivischen Lemmata, die

alle berücksichtigt wurden, sofern sie zu den untersuchten Deklinationsklassen (bzw. -teilklassen gehöten)und füt die untersuchten I{asus-Numerus-Kombinationen Belege bieten. Da bishet jeglicher Hinweis aufeine Ausvrirkung des §ilortanlauts, welcher der Gliederung des §üöterbuchs zugtunde liegt, auf die

Flexionsmorphologie fehlt, kann von einet hohen Stabilität der im folgenden ermittelten Trends ausgegan-

gen wetden.

G. HsNrscsnr,, Zum morphologischen §üandel im Russischen und Polnischen

Die Phänomene, die diskutiert werden sollen, lassen sich in zwei Gruppen aufteilen. Für die erste

Gruppe ist kennzeichnend, daß der rüflandel bereits weit fortgeschritten ist. Die alte Endung ist die

seltenere. Sollten sich hier signifikante Unterschiede ermitteln lassen, so {ände die zitierte Mailczaksche These eine Bestätigung. In der anderen Gruppe hingegen ist der rWandel noch in einer

früheren Phase. Die alte Endung dominiert noch und die neue ist die seltenere. Dieses ist mehr als

eine Gegenprobe zur Analyse der ersten Gruppe. In traditionellen synchronen wie diachronenDarstellungen der russischen Flexionsmorphologie wie Isaöenko (1975) und Kiparsky (1967)bei-spielweise finden wir manchen kurzen, eher beiläufigen Hinweis darauf, daß gewisse Innovationenin der substantivistischen Deklination gerade bei häufig verwendeten Substantiven zu beobachten

sind. Ein evidentes Beispiel ist der N. Pl. auf betontem l-al bei den Maskulina. Wir können also zurMaäczakschen These eine Antithese aufstellen: §(as oft gehört wird, nutzt sich ab und wirdefsetzt.

Beginnen wir mit den Beispielen für einen weit oder auch sehr rr/eit fortgeschrittenen Wandel. Dieneue Endung dominiert also bereits.

(1) Der Genitiv Plural der russischen Maskuhna: Zs Beginn dieses Jahrtausends war der Standard-

marker des G. P1. mask. die sog. O-Efldung. Im modernen Russisch finden wir sie jedoch nur nochbei relativ wenigen Substantiven, welche zu einem nicht unerheblichen Teil semantisch und pho-nologisch alszugrenzen sinda. Zaliznjak weist ca. 120 der knapp 20000 Maskulina mit dieser En-dung aus. Gliedern wir diese für verschiedene Häufigkeitsbereiche auf, so stellen wir fest, daß der

Anteil dieser Substantive mit der Frequenz steigt:

von den z häufigsten Anteil in %

51

19

190

1 900

19000

5,3

2,6

1,0

0,6

Tab. 1: Anteile der @-Endung im G. P1. der russischenMaskulinainverschiede-nen Häufigkeitsbereichens

Die durchschnittliche Ftequenz liegt bei den Substantiven mit 0-Endung um das Fünffache überderjenigen der Substantive mit Nicht-0-Endungen 1n:1106, i:23,63, -r-:118,70 vs. x:4,36,s-:18,32, U-Test: Q:2,0232> 7.,i,:7,9599, a:0.05) '. Die 0-Endung bleibt also bevorzugt bei

hoher Frequenz erhalten.

(2) Der Dativ Singular der polnischen Maskulina: Im heutigen Polnisch herscht hier bekanntlich

o Dieses sind Bezeichnungen von Nationalitäten und Truppengattungen m.it Stammauslatt a:uf -n, -r, oder -t.

Vgl. I{iparsky (1967, S. 53).

'Hier wie in a11en folgendenauf Zasotina (1977) basierenden Frequenzdaten wurden Homonyme von derAuswertung ausgeschlossen, da dieses Frequenzwörterbuch Homonymie nicht auflöst. Ohne die homony-men Einttäge beziffetn sich die Maskulina in Ziliznjak (1977) zff ca. 19000. (,,a-stämmige" Maskulina,indeklinable, genusvariable und Pluraliatantum wurden nicht berücksichtigt,) Die Frequenzbereiche entspre-chen also einem Promille, einem, zehn bzw. 100 Prozent.

u Für die diskotierten Phänomene des Russischen wurde jeweils die Gesamtpopulation der Substantive, welchedie von der Norm abweichende Endung aufweisen, gegen eine gleich große Zufallsstichprobe aus det Mengederjenigen Substantive getestet, die diese Endung nicht annehmen. Das a ist als jeweils gleich für beideGruppen.

' Die Prüfong der Differenzen in der mittleren Frequenz erfolgt nach dem U-Test von §7ilcoxon, Mann und'§(hitney nach Sachs (1979, S. 230f, Fotmeln 3.48 und 3.52.

4*

52 Z. SIzw. 37 (1992) 1.

die Endung f -ov'il vor, die aus der sog. ü-Deklinatton stammt, welche zumZeitprnkt der einzel-

sprachlichen Aufgliederung des Slavischen nur seht wenige Substantive umfaßte. Der alte Marker

f -r.f tritt heute nur noch bei einer kleinen Zahl vor' Maskulina auf. Im 16. Jahrhundert war dieser

§flandel schon weit fortgeschritten. Bei ca. 95Prozent der Substantive ist /ov'i/ (bzw. auch noch

/ev'i/) bereits zu beobachten. Nur knapp ein Viertel der Maskulina zeigt noch die alte Endung /-u/.Für etwas mehr als 400 (nicht r-stämmige) Maskulina bietet das SpXVI Belege im D. Sg. Auchdiese teilen wir in verschiedene Häufigkeitszonen auf und kontrollieren den Anteil der /-u/-En-dungen:

von den n häultgsten Anteil in %l-"1 /-ov'i, -ev'i/

4

42

420

100

76

23

100

95

95

Tab. 2: Anteile der Endungen /-u/ und /-ovi, -ev'i/ im D. Sg. der polnischen

Maskulina (16. Jh.) in verschiedenen Häufigkeitsbereichen

Deutlich zeigt die Tabelle 2, daßbei hoher Frequetzauch die Tendenz ausgeprägt ist, die alte

Endung beizubehalten. Hingegen bleibt der Anteil der neuen, bereits dominierenden Endung inetwa gleich (vgl. die rechte Kolumne). Auch der Vergleich der mittleren Frequenzen bestätigt

diese Tendenz: Bei Maskulina, welche das /-u/ (zum Teil neben der anderen Endung) noch auf-

weisen, liegt diese signifikant, und z§/ar um das Achtfache über derjenigen der Substantive, bei

welchen wir die Endung nicht mehr beobachten: (mit /-u/: n:97, *:1'91'6,14, so:4407,59 vs.

ohne /-u/: n:323, x:238,94, r,:734,23, U-Test: i:10,2762>q.,,:2,5758, a:0,01).(3) Der Genitiv Singular der unbelebten Maskulina im Polnischen: Für den G. Sg. der (im N. Sg.

endungslosen) polnischen Maskulina liegen heute bekanntlich zwei Endungen vor: l-al und l'ul .

Diese formale Differenzierung geht weitgehend mit der semantischen von belebten und unbe-

lebten Substantiven einher, indem letztgenannte überwiegend die Endung f -:uf zeigen. Auch im16. Jahrhundert dominiert das /-u/ bereits. Für fast 80 Prozent der insgesamt etwa 500 erfaßten

unbelebten Maskulina ist es belegt. Das l-al des alten Genitivs stellen wir nur noch bei etwas mehr

a1s einem Drittel der entsprechenden Substantive fest. Für die verschiedenen Frequenzbereiche

ergibt sich folgendes Bild:

von den a häufigsten Anteil in %

l-^l

5

52

527

60

51

37

75

85

78

Tab. 3: Anteile der Endungen l-al ur,d llul im G. Sg. der unbelebten polnischen

Maskulina (16. Jh.) in verschiedenen Häufigkeitsbereichen

Auch hier fillt der Anteil der alten Endung in den niedrig frequenten Bereichen, derjenige der

neuen ist wiederum relativ konstant. Die Maskulina, welche die alte Endung noch annehmen,

haben erneut eine signifikant höhere mittlere Frequenz, als diejenigen, welche sie aufgegeben

G. HrNrscrtr,, Zum morphologischen Wandel im Russischen und Polnischen

haben: (mit l-al: n:197, i:419,04, t-:1336,48 vs. ohrle l-al: n:330, fr:198,17, r-:1068,50,U-Test: Q: 4,4956 > q.,i: 2,57 58, 0 : 0,01 ).Diese drei Beispiele sollen zur lllustration der Resistenz frequenter §flörter ifl eiflem fortgeschritte-nen Stadium des morphologischen \X/andels gerrügen. Sie bestätigen schlicht die bisherige Lehr-meinung. \ilie verhalten sich aber frequente §7örter in einer frühen oder früheren Phase des

Übergangs? Hier seien fünf Phänomene analysiert.

(4) Der Nominativ Plural der russischen Maskulina: Det Standatdmarket ist hier die Endung /-i/.Das betonte /-a/ als Marker des N. Pl. russischer Maskulina ist eine relativ neue Erscheinung. Sie

tritt bis heute auch nur be.i einem verhältnismäßig kleinen Teil der Maskulina auf, ohne daß - trotzmancher Präferenzen und Restriktioflen - ein deterministischer Zusammenhang zwischen demAuftreten dieser Endung und den phonologischen und/oder semafltischen Eigenschaften der

betroffenen Substantive hergestellt werden könnte. ln Zaliznyak (1977) sind ca. 230 Maskulinanachgewiesen, welche diese Endung obligatorisch oder fakultativ haben. Aber rotz normativerAbwehr verbreitet sich die Endung f

-al bekanntlich weiter, gerade ifl Fachsprachen und Berufs-jargons. Tabelle 4 zeigt deutlich, daß es bevorzugt die hochfrequenten maskulinen Substantive

sind, welche die Endung l-al, d. h. hier die neue, annehmen:

von den a häufigsten Anteil in %

53

19

190

1 900

19000

26,3

10,5

3,6

0,9

Tab. 4: Anteile der Endung l-al im N. Pl. der russischen Maskulina inverschiedenen Häufi gkeitsbereichen

\Vährend die Maskulina mit obligatorischem oder fakultativem N. Pl. l-al eine durchschnitt-liche Frequenz von *:56,49 haben, finden wir bei denjenigen mit obligatorischem N. Pl. /-i/den vielfach kleineren \X/ert von 5,09 (n:179, sr:208,47 vs. tr:25,57, U-Test:

1:7,3811) 7.,.,:2,5758, CI:0,01). Mit anderen §florten, dlese Innovation des Russischen ist also

eindeutig bevorzugt bei den hochfrequenten Maskulina zu beobachten.(5) Der Lokatil' Singular oder Präpositiv, der russischen Maskulina: Im Gegensatz zum N. Pl.mask. auf f -af haben wir es bei diesem Phänomen, d. h. der betonten Endung /-u/ der Maskulina imP, mit einer unstrittig konzeptuellen Motivation

^)turr, was schließlich wieder erlaubt von einem

Lokativ i.e.S. zu sprechen. Andererseits haben wir es äber wie beim N. Pl. mask. aü l-al auch miteiner Innovation in der Deklination des Russischefl zu tun. Einen Lokativ i.w.S. auf f -:uf hatte ja

nur die bereits angesprochene kleine maskulite ä-Deklination. Das Grammatikwörterbuch vonZaliznjak weist für das moderne Russische immerhin ca. 1,20 Maskulina mit P, aus. Schauen wiruns die Frequenzverhältnisse an, so bekommen wr ein ganz ähnliches Biid wie beim N. Pl. aü l-af :

Mit fallender Frequenz sinkt auch der Anteii der Lokativa auf betontem /-u/. C Teb.§ S. f f )Entsprechend verhalten sich die Daten der jeweiligen durchschnittlichen Häu{igkeiten: Bei denMaskulina mit spezieller Lokativendung liegt der §ilert um das Zwanzigfache über dem der-jenigen ohne sie: (n:78, *:85,12, s -:277 ,61. vs. x:4,06, sr:16,87, U-Test:

i:8,2717>7.,k:2,5758, a:0,01). Auch hier sind es die frequenten §(örter, welche besondersemp{änglich für die Innovationen sind.(6) Der Genitiv aof l-:ul bei russischen Maskulina: Anders als in den beiden zuvor besprochenenFäl1en haben wir es beim G. Sg. der Maskulina aü l-tl mit einem Phänomen zu tufl, welches im

54 Z. Slaw. 37 (1.992) 1

von den n häu{tgsten Anteil in %

19

190

1 900

19000

10,5

5,3

2,8

0,4

Tab. 5: Änteile der Substantive mit P, in verschiedenen Häufigkeitsbereichen det

russischen Maskulina

modernen Russisch eher zum Abbau tendiert. Dennoch weist Zalizniak (1,977) noch knapp 400

maskuline Substantive aus, die (neben dem Standardmarker l-al) diese Endung annehmen. Be-

kanntlich ist das in aller Regel bei partitiver Bedeutung oder im I(ontext quafltifizierter Nomi-nalphrasen der Fall8. Im Vergleich zlrm Zrrst^nd vor der einzelsprachlichen Differenzierung ist

aber auch hier von einer Innovation auszugehen, denn ein Genitiv a:uf -u war ja auch nut den

wenigen /-Stämmen zu eigen. Die Frequenzdaten bieten auch hier ein verttautes Bild:

von den z häufigsten Anteil in %

19

190

1 900

19000

10,5

6,3

4,7

1,8

Tab. 6: Anteile der Endung l-:ul im G, der russischen Maskulina in verschiedenen

Häufigkeitsbereichen

Auch die durchschnittliche Frequenz der Maskulina mit G. Sg. auf /-u/ ist knapp viermal so

hoch wie bei den übrigen: (x:1'6,01, i*:69,13 vs. *:4,11, s;:19,75, U-Test:

(:8,8695 > <,,i,:2,5758, 0:0,01).(7) Der Äkkusativ Plural bei maskulin-personalen Substantiven des Polnischen: Im Gegensatz zu

den ostslavischen Sprachen, in denen im A. Pl. durchgehend in allen Genera zwischen belebten

und unbelebten Substantivefl uflterschieden wird, hat das Polnische bekanntlich eine analoge

formale Unterscheiduflg l1ur innerhalb der Maskulina entwickelt, und zwar zwischen personalen

und nicht-personalen Substantiven. Im 16. Jahrhundert beobachten wir eine Frühphase dieses\Wandels: Nur knapp ein Viertel der in Frage kommenden Substantive zeigt eine Endung, die die

Personalität signalisiert. Für fast alle Substantive beobachten wir aber gleichzeitig noch die alten

Endungen, welche indifferent gegenüber der Personalität sind. \üiederum sind es frequente Mas-

kulina, die bevorzugt die Form des G. Pl. annehmen (s. Tab.7 S. 55 oben).

Entsprechend ist auch die mittlere Frequenz det ntr Innovation tendierenden Substantive signifi-kant höher als die der übrigen, und zwar um den Faktot 15: (+pers: n:57, x:1923,05t*:5272,05 vs. 0-pers: n:207, x:129,54, s-:316,64, U-Test: i:6,5399>lctk:2,5758,0:0,01).(8) Der Instrumental Plurai der polnischen Maskulina: Maskulina und Neutra der sog. a- und

7a-Deklination haben lange Zeit die Endung l-il LmI. Pl. bewahrt, bevor es zur heute einheitlichen

vgl. Za\iznlak (1977, S. 70) zu Frage, unter welchen Bedingungen dieses §(/öttetbuch die Endung /-u/ imG. Sg. angibt.

G. HBNrscnrr,, Zum morphologischen Wandel im Russischen und Polnischen

von den a häufigsten Anteil in %o

* Pers 0-pers

55

3

26

264

100

77

22

100

100

97

Tab.7: Anteile der Personalendung (: G. P1.) und der alten, gegenüber derPersonalität indifferenten im A. Pl. der polnischen Maskulina (16. Jh.) inverschiedenen Häufi gkeitsbereichen

Markierung durch den Marker l-am'if kam. In allen anderen Paradigmen lag eine Endung vor,welche die Phonemse quenz f m'if eflthielt. Das Polnische des 16. Jahthunderts offenbart bereits einfortgeschrittenes Eindringen der Endungen /-am'i/ und l-m'il in die Maskulina.Letztere treten bei64ProzentderuntersuchtenSubstantiveauf,diealteEndung l-ilber69 Prozent.rü/irbeobachtendie beiden neuen und die alte Endung somit bei etwa gleich großen Mengen von Y/ ö r t e r n miteiner relativ großen Durchschnittsmenge von Substantiven, welche beide Endungen zeigen.KontrollierenwiraberdieBelegefürdenL P1., d. h. dieVorkommenshäufigkeitder\X/ortf or-m e rI , so stellen wir noch ein deutliches Übergewicht der alten Endungvonzweizu eins fest. Auchhier kontrollieren wir das Auftreten der konkurrierenden Endungen in verschiedenen Frequenz-bereichen und stellen wiederum eine Abnahme des Anteils der neuen Endung bei niedriger Fre-quenz fest.

von den n häafrgsten Anteil in %l'@)m'il I -il

5

50

502

100

92

64

80

78

69

Tab. 8: Anteile der Endungen l-@)n;,'il und l-il im I. Pl. der polnischen Maskulina(1 6. Jh.) in verschiedenen Häufigkeitsbereichen

Der feinere Vergieich der mittleren Frequenzen ergibt wiederum, daß die rX/örter, die die neuenEndungen bereits angenommen haben (und sei es neben der alten), signifikant frequenter sind als

diejenigen, die noch ausschließlich die alte haben: (mit l-@)m'il n:320, *:710,64, sr:2578,87vs. ohne l-@)m'il: n:182, x:117,35,s-:245,9},U-Test: Q:6,5391)7.,,,:2,5758,o:0,01).Die quantitativen Daten der letzten fünf Phänomene weisen eindeutig darauf hin, daß frequente§flörter auch Vorreiter von Neuetungen sein können, diese sozusagen ins Rollen bringen. Dieersten drei diskutierten Phänomene hingegen bekräftigen offenbar die traditionelle Ansicht, fre-quente §7örter seien relativ resistent gegen flexionsmorphologische Neuerungen. Diesen schein-baren §Tiderspruch gilt es zu deuten und möglichst aufzulösen.Ursache des \X/iderspruchs ist u. E. eine Fehlannahme, eine implizite Fehlannahme bisherigerUntersuchungen. Diese hat mit der Teilmenge der sog. frequenten §flörter zn tvrt. Es geht dabeidurchaus nicht um ihre Abgrenzung gegenüber den infrequenten. Es ist klar, daß wir es nicht mitzwei diskreten Mengen zu tun haben, sondern mit einem I(ontinuum. Das Problem liegt darin, daßin der Litetatur und bis hierhin bewußt auch in diesem Atfsatz, immer von den frequenten\X/örtern gesprochen wird, als hätten wir es mit einer homogenen Menge zu run. Alle acht disku-tierten Phänomene, sowohl die erste als auch die zweite Gruppe, geben aber ganz deutlich zu

56 Z. Slaw. 37 (1992) 1

erkennen, daß dem nicht so ist. Bei Phänomenen des fortgeschrittenen \il/andels gibt es sowohl

frequente \ü/örter, die dem \X/andel nicht unterliegen, a1s auch solche, die von ihm erfaßt werden.

Entsprechend sind bei Phänomenen des rX/andels in einer früheten Phase sowohl frequente \üflörter

gegeben, welche daran beteiligt sind, a1s auch solche, die nicht tangiert werden. Dieses sei am Bild

eines I(egels illustriert:

frequent

infrequent

Der Bereich Ä sei derjenige der frequenten, B derjenige der inftequenten §(/örter. Der Ubergang

ist fließend, was durch die durchbrochene Linie angedeutet sei. Die Menge A ist unterteilt in zwei

Untermengen, wovon eine am §7andel teilnimmt, die andere nicht. Das heißt weiterhin, daß sich

eine der Teilmengen von A wie B verhäIt, oder besser gesagt, wie die überwältigende Mehtheit der

Elemente von B. Es stellt sich die Frage, ob es Faktoren gibt, welche A, und A, voneinander

abgrenzen. \X/ir können diese Frage hier mit Sicherheit nicht erschöpfend beantworten und wollennur Beobachtungen mitteilen, die sich an den acht diskutierten Phänomenen anstellen lassen.

(Ä) Es können Faktoren recht heterogener Art sein: Für den N. Pl. der russischen Maskulina auf -a

hat \ü7orth (1983) z. B. darauf verwiesen, daß sehr viele dieser Maskulina eine Vollaut- oder

vollautähnliche Struktur aufweisen: nicht nur solche wie das alte topoÄ, mit welchem die Ent-wicklung wohl begann, sondern auch neue, z. T. entlehnte wie upolor, rreJleHr, TopMo3,

AoKTop etc. lü/eiterhin finden wir verschiedene Substantive, die semantisch mit der Paarigkeit zu

assoziieren sind: nicht nur alte wie 6eper und pyran, sondern auch neuere wie o6runat, 6opt,IIreHKeJrb. §feiterhin muß ein bestimmtes Betonungsmuster vorliegen. Abgesehen von wenigenAusnahmen darf der G. Sg. nicht endungsbetont sein (vg1. Shapiro, 1985)e. Beim G. Sg. der

unbelebten polnischen Maskulina im 16. Jahrhundert ist es ein Auslaut auf /-ik, -ek/, der insignifikantem Maße das Verbleiben bei der alten Endung f -af fördert.(B) Die Zusammenhänge, die sich zwischen diesen Kriterien und der Distribution einer alten undeiner neuen Endung herstellen lassen, sind nicht deterministischer Att, sondern probabilistischer.Es gibt selbstverständlich auch Vollaut- oder vollautähnliche Maskulina, die bisher im N. Pl. bei

der Endung /-i/ bleiben: BoJIoc, HopoB, rIoJIor, crroco6 etc. Und es gibt im Polnischen des 16. Jh.

e Für eine von der bisherigen Tradition abweichende Interptetation der Ausweitung des betonten /-a/ im N. pimask. vg1. Hentschel (1989;1991).

Abb. 1: Frequente §(örter im morphologischen §(andel

G. HnNrscHnr,, Zum morphologischen §(andel im Russischen und Polnischen

auch unbelebte Substantive mit dem Derivationssuffix /-ik, -ek/, welche die neue Endung /-u/ imG. Sg. zeigen.

(C) Diese Zusammenhänge können sich überlagern, wie am zitiefiefl Beispiel des N. Pl. mask. imRussischen zu sehen war. Sie können sich weiterhin ausdehnen in den Bereich der infrequenten\t/örter. Je stärker das der Fall ist, desto mehr tritt natürlich die Verwendungshäufigkeit in denHintergrund. Einige Beispiele: (a) In der Umverteilung der Endungen im G. Sg. des Polnischenz. B. sind es nicht nur die belebten Substantive und tendenziell die Diminutive, die beim l-albleiben, sondern bevorzugt auch Bezeichnungen für I(leidungsstücke, Instrumente, Geschirr unddie Monate. (b) Der endungslose G. P1. beim maskulinen Substantiv des Russischen umfaßt einegroße Zahl von Bezeichnungen für Angehörige von ethnischen Gruppen und Truppenteilen,sofern sie auf fr, n, t/ auslauten. (c) Beim L P1. der polnischen Maskulina im 16. Jh. haben wirbisher nicht zwischen den hartstämmigen und den weich- bzw. funktionalweichstämmigen unter-schieden. Letztete haben im Gegensatz zu erstgenannten den rX/echsel zur freuen Endung bereitsfast vollständig vollzogen. (d) §flährend ,,rü/eichstämmigkeit" sich beim I. Pl. sozusagen beschleu-nigend auf die Annahme der neuen Endungen auswirkt, ist beim A. Pl. der personalen Maskulinadas Gegenteil der Fall. \üTeichstämmige haben hier signifikant häufiger die alte A.-Endung, die mitder N.-Endung zusammenfällt. - Rechnen wir derartige Teilmengen heraus, die sich semantischund/oder phonologisch abgrenzen lassen, so wird die \X/irkung der Frequenz noch wesentlichdeutlicher.Hinsichtlich der Heterogenität dieser Faktoren ist zu uflterstreichen, daß weder sie noch dieFrequenz die primäre Motivation für den \il/andel sind. Flexionsmorphologische Strukturen natür-licher Sprachen sind sekundär, im Vergleich zu syntaktischen, semantischen oder phonologischen.Es gibt keine natütlichen Sprachen ohne §(/ortsemantik und Phonologie, kein Zeichensystem ohneInhalt und Ausdruck. Zum Ausdruck komplexer Zusammenhänge ist eine Kombinationssyste-matik der primären Zeichen unabdingbar: sprich die Syntax. Sprachen ohne oder zumindest mitextrem eingeschränkter Flexionsmorphologie sind hingegen gut bekannt. Flexionsmorphologieist also ein Hilfsinsttument der syntakto-semantischen Komponente von Sprachen. Unterschied-liches flexionsmorphoiogisches Verhalten von Wörtern in denselben syntaktischen Kontextentendieren dazu, an primären sprachlichen Strukturen von Phonologie und \ilortsemantik fest-gemacht zu werden. So ist die Verteilung der beiden (nicht-0)Endungen des G. Pl. der russischenMaskulina, l-of, -ejl, phonologisch bedingt. Die Verteilung der Endungen /-a/ und /-u/ im G. Sg.

bei den polnischen Maskulina ist wie gesagt weitgehend über die Opposition * belebt geregelt. InSprachen wie dem Tschechischen und Ukranischen spielt dieses Merkmal auch eine Rolle bei derDistribution von alternativen Endungen im Dativ und Lokativ/Präpositiv. Im Prozeß einer kon-kreten flexionsmorphologischen Veränderung kommt es zunächst nt einet Konkurrenzsituationzwischen einer in einem gewissen paradigmatischen Kontext alten und einer neuen Endung.Dieses kann unterschiedliche Ursachen haben. Die Konkurrenz zwischen l-al wd /-u/ im G. Sg.

(nicht nur des Polnischen) resultiert bekanntlich aus dem Verschmeizen von o- und /-Deklination.Die Differenzierung dieser Flexionsklassefl war zum Zeitpunkt der einzelsprachlichen Aufgliede-rung im Slavischen weder lautlich noch semantisch motiviert und wurde aufgegeben, was eben iavielen Kasus-Numerus-Kombinationen zur I{onkurrenz zwischen Endungen aus diesen beidenFlexionsklassen führte. Anders liegt der Fall im I. P1. mask. Im Russischen und im Polnischen istder alte L Pl. mask. auf /-i/ durch die Endung f -arn'if verdrangt worden. Dieses ist prinzipiell durchzwei Faktoren bedingt: erstens, durch den in allen Paradigmen unübiichen Synkretismus zwischendem A. P1. und I. Pl. (im Russischen sicher stärker als im Polnischen, womit /-e/ in sog. weichstäm-migen bzw. funktional-weichstämmigen Maskulina ein komplementärer Marker im A. P1. gege-ben war) und, zweitens, durch die in anderen Paradigmen sehr verbreitete Inhalt-Ausdruck-Re1a-

57

5B Z. Slaw. 37 (1.992) 1

tion zwischen dem Instrumental ufld dem /-m-/ als Segment seiner Endungen. Dieses sind die

entscheidenden Impulse für den Übergang, der sich als Prozeß über Generationen erstreckt unddabei durchaus nicht völ1ig unregelmäßig oder zu{ä1lig verläuft1o. Die Sprecher der folgenden

Generationen, also die Lernenden, versuchen im Spracherwerb natürlich Hypothesen aufzustel-

Ien, wann die eine und wann die andere Endung zu wählen ist. Dabei kann es za eir,er garzen Reihe

von sekundären Motivationen, Übergangsmotivationen für die beiden konkurrierenden Endun-gen kommen, die absolut nichts mit der oder den ursprünglichen zu tun haben müssen, wie an

den skizzierten Beispielen zu sehen war. Diese sekundären interagieren nun wieder mit dem

Frequenzkriterium: \X/örter, die von einer Veränderung in ihrer Anfangsphase erfaßt wurden,können mit ihren phonologischen oder semantischen Eigenschaften eine Sogwirkung auf andere

mit denselben oder ähnlichen Qualitäten ausüben, wobei tendenziell wiederum frequente §ilörterzunächst erfaßt werdefl. So hat z. B. die Entwicklung des N. PL mask. auf betontem l-al imRussischen offenbar mit dem Vollautsubstafltiv ropoÄ begonnen (Kiparsky, 1967,5.45). Wieoben bereits erwähnt, haben sehr viele der im weiteren Verlauf der Ausdehnung dieses \X/andels

erfaßtefl Maskulina eine ähnliche Struktur. Für weitere Schlüsse wären wesentlich mehr Phäno-

mene einer detaillierten Analyse zu unterziehen.

Grundsätzlich ist zur Rolle der Frequenz von \ilörtern im morphologischen §7ande1 folgendes zu

sagen: Ist der \ü/andel weit fortgeschritten, so werden wir in der Restmenge der §förter mit der

alten Endung einen relativ hohen Anteil von frequenten vorfinden. Ist der \X/andel noch in einer

frühen Phase, so können wir hier unter den §(/örtern, welche die neue Endung bereits zeigen,

wiederum einen hohen Anteil von frequenten feststellen, wiederum mit gewissen Tendenzen zu

phonologischen und/oder semantischefl Gemeinsamkeiten. Zurickzuführen ist dieses scheinbar

widersprüchliche Phänomen auf die prinzipielle Tendenz frequenter \ü/örter, sich auf dem

Ausdrucksplan von der Masse der aflderen \Wörter abzuheben. Dieses kann sich entweder in der

konservativen Spielat in der späten Phase eines \Xlandels im Verharren bei der alten Endung

niederschlagen oder, als innovative Spielart, in der Frühphase des Aufkommens einer neuen

Endung. Der eingangs zitserten pauschalen These, morphologischer \X/andel betreffe zunächst

infrequente und dann erst frequente, widersprechen unsere Daten eindeutig. Vielmehr scheinen

frequente lW'örter sowohl Vorhut a1s auch Nachhut morphologischer Bewegungen sein zu kön-nen, mit der Masse der infrequenten in der chronologischen Mitte des \X/andels.

Die Gründe des Strebens von frequenten §7örtern zur formalen Differenzierung und spezifischem

Verhalten sind in Perzeptionsmechanismen zu suchen, wenn wit Sprache a1s selbstregulierendes

System zur Übertragrrng von Information verstehen . Letztere verhält sich bekanntlich umgekehrt

proportioflal zur Häufigkeit des Signalsll.Georg von der Gabelentz hat schon am Ende des letzten Jahrhunderts herausgestellt, daß gerade

Vertrautes, Nahes und Häufiges oft nach einem,,drastischen" Ausdruck verlangt (1901,5.241).So mancher spricht auch dem N. Pl. auf /-a/ bei vielen det betreffenden russischen Maskulina eine

vulgäre Nuancierung zu (Kiparsky, 1,967 ,5.45). Auch der polnische Grammatiker Sto jeÄski (PiotrStatorius) hat seine Zeitgenossen der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts vor der neuen Endung

l-am'il im I. Pl. mask. als Vulgarismus gewarflt12. Dieser Beigeschmack vergeht mit derZeit,worauf ebenso von der Gabelerrtz (ebenda) verwiesen hat, und zwar in einem bemerkenswertenVergleich sprachlicher Innovationen mit Staatsdienern:

10 vgi. die Diskussion zu G. Sg. und I. Pl. des Russischen in Hentschel (1991).11 vgl. die Diskussion derartiger Perzeptionsmechanismen in Hentschel (1990) am Beispiel des fixen oder

mobilen S7'ortakzents in russischen Flexionsparadigmen.'' zn. nach Klemensiewicz er alii (1955, 283).

G. HnNrscrmr,, Zum morphologischen rVandel im Russischen und Polnischen

§7as erst neu ufld selten $,ar, witd dann alltäglich, und damit vediert es an Kraft, verblasst,rückt schließlich wohl gar ifl die Reihe jener abstracten Bestandtheile der Rede, die es hatteverbessernd und verstärkend ergänzen sollen, und die es am Ende wohl gar verdrängte ufldersetzte, E,s ist wie im Staatsdienste: es wird angestellt, befördert, auf \Vartegeld gesetzt,und schließlich wohl ganz pensioniert; und draußen harrt eine Schar Bewerber.

Literatur

K.-H. Best, Probleme det Analogieforschung, München 1973.G. von der Gabelentz, Die Sprachwissenschaft, München (2. Aufl.) 1901.G. Hent s chel, Systemzwänge im motphologischen §7andel. Der Nominativ Plural der russischen Maskulina

aff f-af aus neuer Sicht, in: U. Klenk, K.-H. Kötner, W. Thümmel (Hrsg.), Variatio Linguarum.Beiträge zu Sprachvetgleich und Sptachentwicklung. Festschrift ztm 60, Geburtstag von G. Ineichen,Stuttgart 1989, S. 85 101.

G. Hentschel, Natürlichkeit vs. Frequenz. Übetlegungen zu betonungsabhängiger Allomotphie in derDeklination russischer Substantive, in: J. M. Dosuna & C. Pensado (eds.), Naturalists at Krems. Papersfrom the §0otkshop on Natural Phonology and Natural Morphology. (Ktems, 1. 7 JuJy 1988), Salamanca1990, S. 65-76.

G. Hentschel, Po;n cxelr $opuanuroü Alr$$epeuqr.rarlr4rr B rrcropr{qecKoM pasBrtrvtl Slexrrarnoücr4creM6r pyccKoro cyrqecrBr4Tenr,Horo, in: Russian Linguistics 1,5 (i.991), S. 31-51.

J. B. Hooper, An introduction to natural generative phtrnoiogy, New York 1976.A. V. Isaöenko, Die russische Sptache der Gegenwart. Formenlehre, München 1975.V. Kiparsky, Russische histotische Grammatik. II: Die Entwicklung des Fotmensystems, Heidelberg 1967.Z. Klemenslewicz, T. Leht-Splawiirski, S. Urbai czyk, Gramatyka historyczna iqzyka polskiego,

Warszawa 1955.

§il. Maäczak, Ftequenz und Sprachwandel, in: H. Lüdtke, (Hrsg.), Kommunikationstheoretische Grund-lagen des Sprachwandels, Berlin 1980.

L. Sachs, Angewandte Statistik. Statische Methoden und ihre Anwendung, Berlin 1978.M. Shapiro, Russian masculine plural fotms in -a revisited, in: Russian Linguistics 9 (1935), S. 173-1.79.SpXVI:S. B2k et alii (ted.), Slownik polszczyzny XVI wieku. T. 1-18, §7roclaw 1966ff.D. S. §7orth, Conditions on a-plural fotmation in Russian, in: $Tienet Slawistischer Almanach 11 (1983),

s. 257 2.62.

A. A. 3a:rprgnrK, fpaMMarr.rqecxrrü cJroBapb pyccroro f3brr(a, MocKBa 1977.,lL H. 3acoplrua (peg.), r{acrornrrü crroBapb pyccroro ,3brxa, MocKBa 1977.

59