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1. Problemstellung und Gang der€¦ · Die einzelnen Unter-nehmen sind für über zwei Drittel der gesamtwirtschaftlichen F&E-Ausgaben verantwortlich.4 Da die F&E-Ausgaben der einzelnen

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1. Problemstellung und Gang der Untersuchung

Auf Grund des „Wandel[s] von der produktions- zur wissensbasierten Gesellschaft“1 nimmt die Bedeutung von Forschung und Entwicklung (im Folgenden F&E) stetig zu. So stieg die F&E-Intensität (gemessen als Quotient der gesamtwirtschaftlichen F&E-Ausgaben und des Bruttoinlandsprodukts) in Deutschland im Zeitraum von 2001 bis 2011 kontinuierlich von 2,5% auf 2,9% an.2 Auch auf gesamteuropäi-scher Ebene ist in den kommenden Jahren von einer deutlichen Zunahme der F&E- Aktivitäten auszugehen, da sich die EU-Mitgliedstaaten in der Lissabon-Strategie und der Strategie Europa 2020 auf eine Erhöhung der EU-weiten F&E-Intensität auf 3,0% im Jahr 2020 (F&E-Intensität 2011: 2,0%) verständigt haben.3 Treibende Innovationskraft ist in Deutschland der Wirtschaftssektor. Die einzelnen Unter-nehmen sind für über zwei Drittel der gesamtwirtschaftlichen F&E-Ausgaben verantwortlich.4 Da die F&E-Ausgaben der einzelnen Unternehmen stetig zuneh-men, kommt auch deren bilanzieller Abbildung ein immer größerer Stellenwert zu.

Vor diesem Hintergrund verfolgt die vorliegende Arbeit die Zielsetzung, zu einem besseren Verständnis der F&E-spezifischen Informationen, die im handels-rechtlichen oder nach internationalen Rechnungslegungsvorschriften erstellten Jahresabschluss bereitgestellt werden, beizutragen. Ferner sollen die empirischen Ergebnisse dieser Arbeit eine Hilfestellung für den Standardsetzer für die Weiter-entwicklung sowohl des IAS 38 als auch anderer Standards mit vergleichbaren (faktischen) Wahlrechten darstellen.

Im Einzelnen werden folgende übergeordnete Forschungsfragen (mit folgender Methodik) untersucht:

F.1.: Welche abschlusspolitischen Gestaltungsspielräume bestehen bei der bilan-ziellen Abbildung von F&E-Aktivitäten nach internationalen und handels-rechtlichen Rechnungslegungsvorschriften? (Normendeskriptive Analyse)

1 BilMoG-RefE, S. 97; BilMoG-RegE, S. 49.2 Vgl. Statistisches Bundesamt (2013). Zur zunehmenden Bedeutung der Immateriel-

len Vermögenswerte in Folge des Wandels von der Industrie- zur Informationsgesell-schaft vgl. bereits ausführlich Lev (2001) S. 7 ff.

3 Vgl. hierzu ausführlich Gemeinsame Wissenschaftskonferenz (2013), S. 3 ff.4 Im Jahr 2011 kamen der Wirtschaftssektor für 67,7%, der Hochschulsektor für 17,9%

und der Staatssektor für 14,4% der gesamtwirtschaftlichen F&E-Ausgaben auf. Vgl. Statistisches Bundesamt (2013).

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F.2.: Wie wird in der deutschen Rechnungslegungspraxis mit dem faktischen Akti-vierungswahlrecht von Entwicklungskosten nach IAS 38 und den damit ein-hergehenden Angabepflichten umgegangen? (deskriptiv-empirische Studie)

F.3.: Was sind die Determinanten des F&E-spezifischen Aktivierungs- und Of-fenlegungsverhaltens in der deutschen Rechnungslegungspraxis? (positiv- theoretisch fundierte multivariate Regressionsanalyse)

In Abschnitt 2 werden die internationalen und handelsrechtlichen Rechnungsle-gungsvorschriften zur bilanziellen Abbildung von F&E-Aktivitäten analysiert. Dabei wird gezeigt, dass trotz beachtlicher Regelungsdichte nach beiden Rech-nungslegungswerken erhebliche abschlusspolitische Gestaltungsspielräume bestehen. Diese resultieren nach IAS 38 hauptsächlich aus der Verwendung un-bestimmter Rechtsbegriffe (faktische Wahlrechte), die durch den singulären Charakter von F&E-Aktivitäten verschärft werden. Nach handelsrechtlichen Vorschriften sind die abschlusspolitischen Gestaltungsspielräume in erster Linie auf explizite Ansatz- und Bewertungswahlrechte zurückzuführen. Letztlich kön-nen Unternehmen, die eigenständige F&E betreiben, deren bilanzielle Abbildung nach beiden Rechnungslegungswerken trotz vermeintlicher Regelungsdichte stark beeinflussen.

Im Rahmen der handelsrechtlichen Normenanalyse wird zudem gezeigt, dass die Kodifizierung des Aktivierungswahlrechts für selbst erstellte immaterielle Ver-mögensgegenstände de facto zu einer Neuinterpretation der GoB geführt hat. Auf Grund der impliziten Unterstellung eines Schuldendeckungspotentials von ausschließlich für den internen Gebrauch generierten Gütern, ist der Vermögens-gegenstandsbegriff nach BilMoG-Einführung nicht mehr an die individuelle Schuldendeckungsfähigkeit im Zerschlagungsfall geknüpft. Nunmehr ist auch für die Beurteilung der abstrakten Aktivierungsfähigkeit die Unternehmensfortfüh-rungsprämisse relevant.

Die handelsrechtliche Normenanalyse stellt einen eigenen Beitrag zur deut-schen kommentierenden Literatur dar. Sie legt die abschlusspolitischen Gestal-tungsspielräume bei der bilanziellen Abbildung von F&E-Aktivitäten dezidiert dar und begründet sachlogisch die Neuinterpretation des Vermögensgegenstands-begriffs im Zuge der Einführung des Aktivierungswahlrechts für selbst erstellte immaterielle Vermögensgegenstände. Daher ist die handelsrechtliche Normen-analyse wesentlicher Bestandteil dieser Arbeit, obwohl sich die dem Normen-teil anschließenden empirischen Studien auf IFRS-Abschlüsse beschränken. Diese Beschränkung wird aus zwei Gründen vorgenommen. Erstens sind nach handelsrechtlichen Rechnungslegungsvorschriften bei einer aufwandswirksamen Erfassung der F&E-Ausgaben keinerlei Angabepflichten erforderlich. Daher kann

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aus HGB-Abschlüssen, denen keinerlei Angaben zu F&E-Aktivitäten entnehm-bar sind, nicht geschlussfolgert werden, ob das betroffene Unternehmen gar keine eigenständige F&E betreibt oder ob es einfach keine Informationen dazu offen-legen will. Zweitens konzentriert sich das zweistufige Enforcement-Verfahren, dessen Einfluss auf das F&E-Bilanzierungsverhalten einen wesentlichen Untersu-chungsgegenstand der empirischen Studien darstellt, auf IFRS-Abschlüsse.

In Abschnitt 3 wird mittels deskriptiver Statistik untersucht, welche Bedeutung F&E in der deutschen Rechnungslegungspraxis hat und wie mit den abschlusspo-litischen Gestaltungsspielräumen des IAS 38 umgegangen wird. Die Stichprobe beinhaltet sämtliche Unternehmen, deren Aktien im Zeitraum von 2003 bis 2009 an der Frankfurter Wertpapierbörse gehandelt werden, deren Daten in der von Thomson- Financial betriebenen Datenbank „Worldscope“ erhältlich sind und die eigen-ständige F&E-Aktivitäten betreiben (1.722 Beobachtungen). Als erstes wird die Bedeutung von F&E und deren Entwicklung während des Betrachtungszeitraums untersucht. Dabei wird gesondert auf Unterschiede in der F&E-Intensität einzelner Branchen und auf die Verteilung der F&E-Ausgaben unter den einzelnen Unterneh-men eingegangen. In einem zweiten Schritt wird das Aktivierungsverhalten analy-siert. Im Gegensatz zu den bisherigen empirischen Studien5 werden erstmals die Aktivierungsentscheidung und die Aktivierungsquote getrennt voneinander ana-lysiert und auf Unterschiede im Aktivierungsverhalten zwischen freiwilligen und verpflichtenden IFRS-Anwendern eingegangen. Hinsichtlich der Aktivierungsent-scheidung wird untersucht, inwiefern es sich um eine einmalig getroffene strate-gische Entscheidung handelt, die während des Betrachtungszeitraums konstant beibehalten wird. Bei Unternehmen, die ihre Aktivierungsentscheidung öfter revi-dieren, werden die Aktivierungsmuster analysiert und nach Gemeinsamkeiten mit anderen Unternehmen gesucht. Schließlich wird auf Zeittrends und branchenspe-zifische Unterschiede im Aktivierungsverhalten eingegangen und untersucht, in-wiefern ein Zusammenhang zwischen der F&E-Intensität einer Branche und de-ren Aktivierungsverhalten besteht. In einem dritten Schritt werden ein Einblick in die Folgebewertung aktivierter Entwicklungskosten – insbesondere die zu Grunde gelegte Abschreibungsmethode und Nutzungsdauer – gewährt und branchenspe-zifische Unterschiede im durchschnittlichen Produktlebenszyklus hervorgehoben. In einem vierten Schritt wird untersucht, inwiefern den gesetzlich geforderten, F&E-spezifischen Angabepflichten in der deutschen Rechnungslegungspraxis

5 Vgl. Fülbier et al. (2000), Von Keitz (2005), Leibfried/Pfanzelt (2004), Hager/Hitz (2007), Wulf (2008), Küting (2008), Möller/Piwinger (2009). Zu einem ausführlichen Literaturüberblick vgl. Abschnitt 3.2.

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nachgekommen wird. Da der Umfang der Angabepflichten je nach getroffener Aktivierungsentscheidung erheblich variiert, wird die Diclosure Compliance der Aktivierer und der Nicht-Aktivierer separat untersucht. Dabei wird gesondert auf branchenspezifische Unterschiede und auf Unterschiede in der Disclosure Compli-ance zwischen Freiwilligen und Verpflichtenden IFRS-Anwendern eingegangen. Ferner werden Zeittrends im Angabeverhalten und der Einfluss der Tätigkeiten der Deutschen Prüfstelle für Rechnungslegung (im Folgenden DPR) auf die Disclosu-re Compliance untersucht. Neben einer quantitativen Auswertung der häufigsten Fehlerquellen wird qualitativ untersucht, an welcher Stelle im Jahresabschluss und in welcher Form die geforderten Angaben getätigt werden und wie die Abgrenzung zwischen Forschungs- und Entwicklungsphase in der Praxis erfolgt. Anhand von Geschäftsberichtsauszügen wird geprüft, inwiefern sich Unternehmen mit einer wortgetreuen Wiedergabe von Teilen des IAS 38 begnügen und wo die Grenze zwischen Ermessensausübung und Regelverstoß verläuft.

Die empirischen Ergebnisse legen nahe, dass die Bedeutung von F&E je nach Betrachtungsebene sehr unterschiedlich ist. Während auf gesamtwirt-schaftlicher Ebene die größten fünf Automobilkonzerne für knapp zwei Drittel der gesamten F&E-Ausgaben verantwortlich sind, ist auf Einzelunternehmense-bene die F&E-Intensität vor allem bei jungen Wachstumsunternehmen der Phar-mabranche, die nominell zu den Gesamtforschungsausgaben naturgemäß nicht nennenswert beitragen, um ein Vielfaches höher. Die empirischen Ergebnisse liefern Anhaltspunkte dafür, dass die Aktivierungsentscheidung eine einmalig getroffene, strategische Entscheidung des Managements darstellt. Sowohl bei der Aktivierungsentscheidung als auch bei der Aktivierungsquote werden deut-liche branchenspezifische Unterschiede festgestellt, die allerdings nicht mit der branchenspezifischen Bedeutung von F&E im Zusammenhang stehen. Zeit-trends im Aktivierungsverhalten sind nicht erkennbar. Den geforderten Angabepflichten kam nahezu ein Viertel aller Unternehmen nicht vollumfänglich nach. Eine signifikante Verbesserung der Disclosure Compliance wurde nach erstmaliger ausführlicher DPR-Berichterstattung über häufig identifizierte, F&E-spezifische Problemfelder beobachtet. Die Anhangsauswertung zeigte, dass die derzeitige Ausgestaltung des IAS 38 in einigen Fällen zu unkonkreten Aussagen über die F&E-Tätigkeiten eines Unternehmens führt. Die meisten Unternehmen begnügen sich bei ihrer F&E-Berichterstattung auf ein (fast) wortgetreues Zitieren des IAS 38. Informationen zu individuellen F&E-Tätigkeiten sind meist nicht vorhanden.

In Abschnitt 4 werden die Determinanten des F&E-spezifischen Aktivie-rungs- und Offenlegungsverhalten in der deutschen Rechnungslegungspraxis untersucht. Dabei wird eine positive Aktivierungsentscheidung als Signal über

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das Erfolgsversprechen der F&E-Aktivitäten interpretiert. Dieses Signal ver-ursacht Kosten, da eine Entwicklungskostenaktivierung viel umfangreichere Angabepflichten mit sich zieht als eine aufwandswirksame Erfassung aller F&E-Ausgaben. Die höheren Kosten resultieren zum einen aus dem Informati-onsaufbereitungsaufwand und zum anderen aus etwaigen negativen Konkurrenz-effekten. Ausgehend von den bestehenden Informationsasymmetrien zwischen Eignern und Managern werden als erstes anhand der Prinzipal-Agenten-Theorie die Anreize zu einem opportunistischen F&E-Bilanzierungsverhalten der Ma-nager systematisch dargestellt. Anschließend werden die Hypothesen für jeden einzelnen Entscheidungsschritt bei der bilanziellen Abbildung von F&E-Aktivi-täten (1. Aktivierungsentscheidung, 2. Festlegung der Aktivierungsquote, 3. Wahl des Offenlegungsverhaltens) getrennt hergeleitet und empirisch mittels multiva-riater Regressionsanalysen getestet. Auf Grund der Interdependenz der einzelnen Entscheidungsschritte erfolgt auch eine aggregierte Betrachtung der Ergebnisse.

Die Studie liefert empirische Anhaltspunkte dafür, dass das Aktivierungsver-halten (aggregierte Betrachtung von Aktivierungsentscheidung und Aktivierungs-quote) mit verschiedenen Anreizen verbunden ist. Erstens ist ein deutlicher Einfluss des vertragsinduzierten Anreizes, eine Verletzung von Kreditvertragsklauseln zu vermeiden, beobachtbar. Ferner wird das Aktivierungsverhalten durch den Anreiz, negative Konsequenzen aus dem als Sanktionsmechanismus wirkenden Enforcement-Verfahren zu vermeiden, beeinflusst. Vor allem deuten die empirischen Ergebnisse darauf hin, dass das Aktivierungsverhalten mit dem Anreiz, eine negative Reputation bzw. negative Auswirkungen auf den Humankapitalwert zu vermeiden, verbunden ist. Im Fall einer positiven Aktivierungsentscheidung wird bei späterer Erfolglosigkeit eines F&E-Projektes durch die dann zu erfassende Wertminderung ein negatives Signal an den Kapitalmarkt gesendet. Dieses Signal ist umso stärker, je größer die Bedeutung von F&E für ein Unternehmen ist. Die Risikoaversion des Managers führt dazu, dass die Entwicklungskostenaktivierung mit zunehmender F&E-Intensität abnimmt. Allerdings ist die Risikoaversion bei den meisten Mana-gern nicht so stark ausgeprägt, dass – um dem Risiko eines Reputationsverlustes vollständig zu entgehen – gänzlich auf eine Entwicklungskostenaktivierung verzich-tet wird. Der Großteil der Manager entscheidet sich vielmehr für eine Entwicklungs-kostenaktivierung bei gleichzeitiger Wahl einer sehr geringen Aktivierungsquote. Somit sendet er durch die positive Aktivierungsentscheidung ein Signal über das Erfolgsversprechen der F&E-Aktivitäten an den Kapitalmarkt und stellt durch die Wahl einer geringen Aktivierungsquote gleichzeitig sicher, dass im Fall einer späte-ren Erfolgslosigkeit des F&E-Projektes der zu erfassende Wertminderungsaufwand und gleichsam das Risiko eines Reputationsverlustes von untergeordneter Bedeutung

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sind. Der Anreiz zur Vermeidung einer negativen Reputation und die Risikoaversion des Managers könnten auch die erfolgswirksame Erfassung der F&E-Ausgaben in regulierten Branchen erklären. Ein Manager, der sich vor behördlicher Zulassung zur Entwicklungskostenaktivierung entscheidet, geht nämlich ein hohes Risiko ein, im Fall des späteren Versagens der Zulassung ein negatives Signal über den Erfolg seines Handelns zu senden. Dieser Umstand führt bei derzeitiger Ausgestaltung des IAS 38 letztlich dazu, dass gerade Unternehmen, bei denen F&E einen zentralen Stellenwert einnimmt, auf Grund ihrer negativen Aktivierungsentscheidung so gut wie keine F&E-spezifischen Informationen offenlegen (müssen).

Die empirischen Ergebnisse legen nahe, dass auch das Offenlegungsverhal-ten mit dem Anreiz, eine negative Reputation bzw. negative Auswirkungen auf den Humankapitalwert zu vermeiden, verbunden ist. Daneben wirken noch folgende weitere Anreize: der Anreiz, negative Konsequenzen aus dem als Sank-tionsmechanismus wirkenden Enforcement-Verfahren zu vermeiden, der Anreiz zur Erzielung möglichst geringer Kapitalkosten, der Anreiz zur Vermeidung von Kosten, die aus Informationsasymmetrien entstehen und der Anreiz zur Vermeidung negativer Konkurrenzeffekte.

Die vorliegende Arbeit ergänzt die bestehende Forschungsliteratur in folgender Hinsicht:

1. Es handelt sich um die erste Hypothesen testende empirische Studie, die das F&E-Bilanzierungsverhalten von Unternehmen, die in Deutschland börsenno-tiert sind, analysiert. Durch die Fokussierung auf die in Deutschland vorherr-schenden institutionellen Rahmenbedingungen kann erstmals der Einfluss des Enforcement-Verfahrens sowie des regulatorischen Umfeldes auf das F&E- Bilanzierungsverhalten untersucht werden.

2. Erstmals wird die bilanzielle Abbildung der F&E-Ausgaben als dreistufiger Entscheidungsprozess (1. Aktivierungsentscheidung, 2. Festlegung der Akti-vierungsquote, 3. Wahl des Offenlegungsverhaltens) dargestellt und die in den einzelnen Entscheidungsschritten wirkenden Anreize empirisch sowohl einzeln als auch aggregiert getestet.

3. Im Gegensatz zu den Vorgängerstudien6 wird gezeigt, dass der bilanzielle Abbildungsprozess von F&E-Aktivitäten vor allem durch die Angst des Mana-gers vor einem Reputationsverlust und dem als Sanktionsmechanismus wirken-den Enforcement-Verfahren (negative Anreize) determiniert ist.

6 Vgl. Daley/Vigeland (1983), Abbody/Lev (1998), Inoue/Thomas (1996), Landra/Calli-maci (2003), Wyatt (2005), Oswald (2008), Markarian et al. (2008). Zu einer kritischen Würdigung der bisherigen F&E-spezifischen Determinantenstudien vgl. Abschnitt 4.3.4.

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4. Eine empirische Untersuchung der Determinanten der Disclosure Compliance im Zusammenhang mit der bilanziellen Abbildung von F&E-Aktivitäten nach IAS 38 existiert nach Kenntnis des Autors noch nicht.7 Daher blieb in der bis-herigen Rechnungslegungsforschung ein wesentlicher Teil des bilanziellen Abbildungsprozesses von F&E-Aktivitäten unberücksichtigt. Dies ist umso erstaunlicher, als die Informationsvermittlung mittels Anhangsangaben für die Funktionsweise eines effizienten Kapitalmarkts von zentraler Bedeutung ist, da die bereitgestellten Informationen entscheidend zum Abbau von Information-sasymmetrien und Agentenkonflikten beitragen.8 Die Studie leistet einen Bei-trag zur Schließung dieser Forschungslücke. Ein weiterer Beitrag der Studie besteht – unabhängig von den F&E-Spezifika – darin, dass die Determinanten der Compliance mit den verpflichtend vorzunehmenden Angabepflichten untersucht werden. Die bisherigen Determinantenstudien zur Anhangsberichterstattung be-fassen sich im Gegensatz dazu mit den freiwilligen Zusatzangaben.9

7 Die einzige dem Autor bekannte empirische Studie, die sich mit den Determinanten der F&E-spezifischen Anhangsberichterstattung auseinandersetzt, stammt von Percy (2000). Allerdings umfasst ihre Stichprobe nicht nach IFRS, sondern nach Australian GAAP bilanzierenden Unternehmen und die Autorin untersucht nicht die gesetzlich geforderten, sondern die freiwilligen Zusatzangaben. Die Autorin kommt zu dem Ergebnis, dass die F&E-Intensität und die Finanzierungsform der F&E-Aktivitäten einen signifikanten Einfluss auf das Angabeverhalten haben. Bei den übrigen Studi-en ist bemerkenswert, dass selbst bei Verwendung des Begriffs „disclosure“ nur auf die Wahl zwischen einer aufwandswirksamen Erfassung oder einer Aktivierung der F&E-Ausgaben eingegangen wird. Vgl. bspw. Lev (1999), S. 23. I.A. existieren nur wenige empirische Studien, in denen die Determinanten der verpflichtenden Disclo-sure Compliance untersucht werden, wie z.B. Glaum et al. (2012) im Zusammenhang mit den nach IFRS 3 und IAS 36 geforderten Angabepflichten und Bischof et al. (2012) im Zusammenhang mit den nach IFRS 7 geforderten Angabepflichten.

8 Vgl. Healy/Palepu (2001), S. 406. Zur Frage, ob Informationen, die in der Bilanz oder in der GuV veröffentlicht werden, eine höhere Relevanz zukommt als Informationen, die im Anhang oder im Lagebericht offengelegt werden, existieren gemischte empiri-sche Ergebnisse. Zu einem Überblick der bisherigen einschlägigen Studien siehe Al Jifri/Citron (2009), S. 123 ff. Zu aktuellen Erkenntnissen aus dem US-amerikanischen bzw. dem europäischen Umfeld siehe die empirischen Studien von Michels (2012) bzw. Müller et al. (2012).

9 Dabei werden als vertragsinduzierte Determinanten der Offenlegungsentscheidung vor allem die Managemententlohnung, Kreditvertragsklauseln und politische Kosten untersucht und deren Einfluss auf das Offenlegungsverhalten mehrheitlich empirisch bestätigt. Vgl. Healy/Palepu (2001), S. 419 ff. Zu einem Überblick der Disclosure Literatur vgl. Core (2001) und Healy/Palepu (2001).