34
1 Schizophrenie - Schizophrenie - schizophrene schizophrene Psychosen Psychosen Prof. Dr. Peter Keel Klinik für Psychiatrie & Psychosomatik Bethesda-Spital, 4020 Basel Vorlesungen ZM/ FHS 2010

1 Schizophrenie - schizophrene Psychosen Prof. Dr. Peter Keel Klinik für Psychiatrie & Psychosomatik Bethesda-Spital, 4020 Basel Vorlesungen ZM/ FHS 2010

Embed Size (px)

Citation preview

1

Schizophrenie - Schizophrenie - schizophrene schizophrene

PsychosenPsychosen

Prof. Dr. Peter KeelKlinik für Psychiatrie & Psychosomatik

Bethesda-Spital, 4020 Basel

Vorlesungen ZM/ FHS 2010

2

Schizophrenie

schizophren?schizophren?

Kopf einer Holzfigur (ca. 1600) der Rapanui auf den Osterinseln (Südpazifik), Musée d‘archéologie et d‘histoire (Pointe à Caillère), Montreal

3

Schizophrenie

Wahn & SchizophrenieWahn & SchizophrenieWahnentwicklungen (F 22): anhaltender

Wahn (Paranoia, Eigengeruch, Dysmorphophobie, Eifersucht u.a.), ohne produktive Symptome oder Persönlichkeitsveränderungen

Schizophrenie (F 20): Wahn, Halluzinationen, katatone Symptome als akzessorische Symptome, daneben Grundsymptome: Störungen des Denkens (formal), der Affekte und der Person (Ich-Störung, Autismus)

4

Schizophrenie

Krankheitsbild der Krankheitsbild der SchizophrenieSchizophrenie

Grundsymptome: Trias von1.Formale Denkstörungen2.Störungen der Affektivität3. Ich-Störungen (Person)

5

Schizophrenie

Grundsymptome (Bleuler)Grundsymptome (Bleuler)

1. Formale Denkstörungen:• Störung der Assoziationen,

Zerfahrenheit, Begriffszerfall, Kontamination, Begriffsverschiebung, Sperrung des Denkens oder Gedankenabreissen

6

Schizophrenie

Grundsymptome (Bleuler)Grundsymptome (Bleuler)

2. Störungen der Affektivität: • Inadäquat, Ambivalenz, Instabile

Stimmungslage, mangelnder Kontakt, affektive Steifigkeit, Verlust der Schwingungsfähigkeit, Ratlosigkeit, Gefühlsverarmung, depressive Verstimmungen oder Ekstase

7

Schizophrenie

Grundsymptome (Bleuler)Grundsymptome (Bleuler)3. Ich-Störungen: •Desintegration von Denken,

Fühlen, Wollen, Handeln. Autismus, Entfremdungs-erlebnisse, Verlust des Ich-Gefühls und der Ich-Grenzen (Gefühl der Beeinflussung von Denken, Fühlen, Wollen)

8

Schizophrenie

Akzessorische Symptome Akzessorische Symptome (Bleuler)(Bleuler)

•Wahn (Verfolgung, Beeinträchtigung, Kontrolle, Berufung etc.)

•Halluzinationen (Stimmen)•Katatone Symptome (Motorik,

Antrieb)

9

Schizophrenie

Basisstörungen (Residual- Basisstörungen (Residual- oder Negativsymptome)oder Negativsymptome)

• Konzentration, Denken, Gedächtnis• Erschöpfbarkeit: körperlich, psychisch• Erregbarkeit, Beeindruckbarkeit• Belastbarkeit (Stress), Ausdauer• Antriebsmangel, Gefühlsverarmung• Freudlosigkeit• sozialer Rückzug sind auch Frühsymptome

nach Süllwold,1986

10

Schizophrenie

Unterformen Unterformen schizophrener Psychosenschizophrener Psychosen

• Paranoid-halluzinatorische Schizophrenie (Wahnideen)

• Katatonie (Erstarren, Erregung)• Hebephrenie (läppische Gestimmtheit,

Rückzug)• Schizophrenia simplex (symptomarm)• Schizophrenes Residuum

(Negativsymptome)• Koenästhetische Form

(Leibgefühlsstörungen)

11

SchizophrenieFallbeispiel: 26-jähriger Fallbeispiel: 26-jähriger

BuchbinderBuchbinderHeredität (erbliche Belastung),

Kindheit: • Mutter litt an manisch-depressiver

Psychose, Suizid durch Selbstverbrennung als Pat. 13 Jahre alt war

• Vater unbekannt; ev. aus Indien• wuchs bei Grosseltern auf, Mutter lebte

in gleichem Haushalt, oft in Klinik

12

Schizophrenie

Lebensgeschichte: Ausbildung, Beziehungen

• unauffällige Kindheitsentwicklung• Primar-, Sekundarschule, Berufslehre,

Arbeit bei Lehrfirma, gute Leistungen• Freundin seit einigen Jahren• Hobbies: Fussball („Pelé“), Ping-Pong

(Nationalkader), Musik (eigene Band: Country Music „Johnny Cash“), Videofilme

Fallbeispiel: 26-jähriger Fallbeispiel: 26-jähriger BuchbinderBuchbinder

13

Schizophrenie

Krankheitsgeschichte: erster Schub• 23-jährig Selbstmordversuch durch

Selbstverbrennung „aus heiterem Himmel“

• vorgängig hektische Tätigkeit mit Videofilm über Fussball (Montage von echten Fussballszenen mit „Pelé“ und eigenen Aufnahmen), Tonbandaufnahmen mit Band

Fallbeispiel: 26-jähriger Fallbeispiel: 26-jähriger BuchbinderBuchbinder

14

Schizophrenie

Krankheitsgeschichte: Verlauf erster Schub

• Somatische Intensivbehandlung wegen schweren Verbrennungen an Oberkörper, Behandlung mit Neuroleptika, anschliessend Hospitalisation in PUK

• ambulante Weiterbehandlung, lebt weiter bei alter Grossmutter

• Wiederaufnahme der Arbeit scheitert an Konzentrationsstörungen, Verlangsamung, auch Sport nicht mehr möglich

Fallbeispiel: 26-jähriger Fallbeispiel: 26-jähriger BuchbinderBuchbinder

15

Schizophrenie

Krankheitsgeschichte (Fortsetzung):• bleibt angetrieben und sprunghaft, sucht

nach Selbstverwirklichung in Musik und Religion (Bibel)

• weitere Hospitalisationen wegen psychotischen Schüben nach Absetzen der Medikamente (fehlende Krankheitseinsicht)

• starke Gewichtszunahme unter Neuroleptika

• aktuelle Hospitalisation wegen Bahnfahrt nach Zürich ohne Billet in psychotischem Zustand

Fallbeispiel: 26-jähriger Fallbeispiel: 26-jähriger BuchbinderBuchbinder

16

Schizophrenie

Fallbeispiel: 26-jähriger Fallbeispiel: 26-jähriger BuchbinderBuchbinder

• wünscht während Klinikaufenthalt Gespräch mit Psychiater, der ihn ambulant betreut

Videoaufnahme (01:41:48)

? Welche psychopathologischen Phänomene können beobachtet werden ? Notieren Sie diese.

17

SchizophrenieMultifaktorielle Genese, biopsychosoziale Sicht Multifaktorielle Genese, biopsychosoziale Sicht ::

18

Schizophrenie

Stressoren - ProtektorenStressoren - Protektoren

belastend:• lebensverändernde

Ereignisse• unbekannte

Situationen• Reizüberflutung• Rigidität

schützend:• gute soziale

Integration• soziale

Unterstützung• Lebenserfahrung• Flexibilität

19

Schizophrenie

Rolle der VererbungRolle der Vererbung

Erkrankung in Familie • keine Belastung bekannt• ein Grosselternteil• ein Elternteil• ein Geschwister• Zwilling (konkord.)• Zwilling (diskord.)• beide Eltern• adoptierte Kinder (auch

Zwillinge)

Risiko der Erkrankung• knapp 1%• 1-2%• 14% (5-10%)• 16% (8-15%)• 30-80%• 20%• 38-68% (50%)• ähnlich wie in

Ursprungsfamilie

Süllwold,1986/Dilling,Reimer, Arolt 2001

20

Schizophrenie

Verlauf und PrognoseVerlauf und Prognose• Schubweiser Verlauf• Prodromalstadium (Früherfassung!)• Folgenlose Abheilung: ca. 30%• Mit Rückfällen und leichtem

Residuum: ca. 30%• Beträchtliches Residuum bis schwere

Defekte: ca. 30%• Suizidrate: ca. 5% (über gesamten

Verlauf)

21

Schizophrenie

BehandlungsmöglichkeitenBehandlungsmöglichkeitenMedikamente: • Neuroleptika gegen Erregung und Wahn,

Sedation, Rückfallprophylaxe– klassische Neuroleptika – "atypische" Neuroleptika

Psychotherapie: • Stress- und Krankheitsbewältigung,

Kommunikations- und Sozialtraining, Rehabilitation

• Einzel-, Gruppen-, Sozial- (Milieu-), Familientherapie

22

SchizophrenieKlassischeKlassische Neuroleptika: Eigenschaften Neuroleptika: Eigenschaften

und Nebenwirkungen und Nebenwirkungen (Auswahl)(Auswahl)

Präparate: Phenotiazine z.B. Dapotum; Thioxantene z.B. Fluanxol; Butyrophenone, z.B. Haldol

• Haldol, Fluanxol, Dapotum: auch als Depotspritze• Clopixol, Entumin: stark sedierend• Semap: als Depottablette (1 x wöchentlich)

Nebenwirkungen: Dämpfung, Müdigkeit, motorische (extrapyramidale) Störungen:– Frühdyskinesie (Schlundkrämpfe, Opistotonus)– Parkinsonsyndrom (med. bedingt, wie echt)– Akathisie (Unruhe, Tänzeln") – Spätdyskinesie (Bewegungsunruhe, rhytmische

Bewegungen von Zunge/Mund, Hände, Füsse)

23

SchizophrenieModerne (atypische)Moderne (atypische) Neuroleptika: Neuroleptika:

Eigenschaften und Nebenwirkungen Eigenschaften und Nebenwirkungen (Auswahl)(Auswahl)

Vorteile: kaum bis keine extrapyramidale Störungen, wirksam gegen Minussymptome (Passivität)

Präparate: Clozapin (Leponex), Olanzapin (Zyprexa), Risperidon (Risperdal), Amisulpirid (Solian), Quetiapin (Seroquel), Aripiprazol (Abilify) u.a.

• Risperdal als Depotspritze

Nebenwirkungen:• Dämpfung, Müdigkeit, Gewichtszunahme, selten

epileptische Anfälle• Leponex: Gefahr der schweren Agranulozytose

24

Schizophrenie

RückfallprophylaxeRückfallprophylaxe• Effizienz der Depot-Neuroleptika erwiesen:

40% statt 80% Rückfälle innerhalb 3 Jahren Notwendigkeit einer konstanten Langzeitbetreuung

• Negativer Einfluss der eines ungünstigen Familienklimas belegt: 50% Rückfälle gegenüber 21% bei günstigem Klima Einbezug der Angehörigen, Psychoeduka-tion

• Kognitive und soziale Defizite nachgewiesen Trainingsprogramme angezeigt: Kognitive Therapie, soziales Kompetenz-training

25

FallbeispiFallbeispielel

24-jährige Bäckerin

Schizophrenie

26

SchizophrenieFallbeispiel: 24-jährige Fallbeispiel: 24-jährige

BäckerinBäckerinHeredität (erbliche Belastung): • Tante ms. soll an Depression gelitten

haben; Mutter aus Italien, bei Geburt der Pat. 25 Jahre alt, wirkt sehr impulsiv und zwiespältig in ihrem Verhalten der Pat. gegenüber; Vater ebenfalls aus Italien, 10 Jahre älter als Mutter, angeblich arbeitsscheu, habe Familie verlassen als Pat. 8 Monate war.

27

Schizophrenie

Lebensgeschichte: Kindheit• In Basel vorerst in Kinderheimen (Wechsel mit

8 Monaten), dann ab 4-jährig in Tagesheim. Mutter arbeitet als Putzfrau in Spital.

• Als Pat. 7-jährig Geburt einer Schwester aus neuer Partnerschaft der Mutter. Freund stammt aus Spanien, keine Heirat aber gemeinsame Wohnung. Sprachprobleme, da Mutter italienisch oder mit Freund spanisch sprach, Pat. aber deutschsprechend aufgewachsen war. Mutter wirkte fremd für sie. Pat. fühlte sich Schwester gegenüber benachteiligt.

Fallbeispiel: 24-jährige Fallbeispiel: 24-jährige BäckerinBäckerin

28

Schizophrenie

Lebensgeschichte: Ausbildung, Beziehungen• Je 4 J. Primar-, Sekundarschule in Basel, 1 J. BWK• 16-j. erste Beziehung zu 10 J. älterem Mann,

Cannabiskonsum• Lehre als Bäckerin/Konditorin (Abschluss). Fristlose

Kündigung an Arbeitsstelle wegen Unkonzentriertheit.• 19-j. Freundschaft mit aus Spanien stammendem

Koch, ab 20-j. gemeinsame Wohnung; anfänglich enge Beziehung zu "Schwiegereltern" und gute Akzeptanz bei Mutter, dann zunehmende Spannungen und totale Ablehnung durch Mutter ("hat Tochter krank gemacht").

Fallbeispiel: 24-jährige Fallbeispiel: 24-jährige BäckerinBäckerin

29

Schizophrenie

Krankheitsgeschichte: erste Krise (Schub)• 20-jährig nach Autodiebstahl in Ferien

zunehmend ängstlich, nervös, unkonzentriert.

• Ca. 6 Monate später rasche Zunahme der Störungen: Pat. erregt, schlägt Kopf gegen Wand, aggressiv, angetrieben, perseverierend, teils läppisch lächelnd; isst und schläft kaum; glaubt schwanger zu sein, meint alle redeten und lachten über sie, hört Stimmen, Wahnideen (glaubt durch Handbewegung Einfluss auf Welt der Heiligen nehmen zu können).

Fallbeispiel: 24-jährige Fallbeispiel: 24-jährige BäckerinBäckerin

30

Schizophrenie

Krankheitsgeschichte: erste Krise (Schub)• Nach kurzer ambulanter Behandlung mit

Neuroleptika, Hospitalisation in Kriseninterventionsstation nach Suizidversuch durch Tabletten-Intoxikation

• Besserung unter höher dosierter Medikation, Stabilisierung im Verlauf der nächsten 6 Monate

• Abbruch der Behandlung nach Arztwechsel

Fallbeispiel: 24-jährige Fallbeispiel: 24-jährige BäckerinBäckerin

31

Schizophrenie

Krankheitsgeschichte (Fortsetzung):• 22-jährig erneute Krise mit ähnlichen Symptomen,

nach Entlassung an Arbeitsplatz wegen Unzuverlässigkeit

• Wiederaufnahme der neuroleptischen Behandlung• 2. Hospitalisation in Krisenstation; Gespräche mit

Pat., Freund, Mutter: Ambivalenzkonflikt (zwischen Freund und Mutter hin- und hergerissen)

• 3. Hospitalisation in Psych. Klinik für 4 Monate (freiwilliger Eintritt), kehrt zu Freund zurück

• Arbeitsversuch in freier Wirtschaft scheitert an Verlangsamung der Patientin

• starke Gewichtszunahme, pflegt sich weniger.

Fallbeispiel: 24-jährige Fallbeispiel: 24-jährige BäckerinBäckerin

32

Schizophrenie

Weiterer Krankheitsverlauf, Behandlung:• Sozialpsychiatrische Betreuung einschl.

Gruppentraining (Wahrnehmung, Kommunikation, soziale Kompetenz) und Familiengespräche, weiter Depot-Neuroleptika

• berufliche Eingliederung via IV an geschütztem Arbeitsplatz

• Trennung von Freund, wohnt wieder bei Eltern und Schwester: starke Spannungen, da Pat. als faul und unfair und nicht als krank erlebt wird.

Fallbeispiel: 24-jährige Fallbeispiel: 24-jährige BäckerinBäckerin

33

Schizophrenie

Weiterer Krankheitsverlauf, Behandlungsabbruch:• 24-jährig: Stabilisierung, Depot-Medikamente

abgesetzt, sporadische Einnahme p.o., schwankende Leistungen ("Löcher") an befristetem geschütztem Arbeitsplatz.

• Auszug von zu Hause in Übergangswohnheim, später eigene Wohnung.

• Wird arbeitslos, sucht Stelle in freier Wirtschaft. Behandlung abgebrochen.

• Taucht 10 Jahre später zufällig auf wegen Krise an Arbeitsplatz, hat inzwischen 2 Kinder (geschieden)

• Stabilisierung mit Neuroleptika, findet neue Stelle.

Fallbeispiel: 24-jährige Fallbeispiel: 24-jährige BäckerinBäckerin

34

Schizophrenie

EndeEnde