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PRAKTISCHE ASPEKTE FÜR DEN KLINISCHEN ALLTAG
LANDESVERBAND HESSEN
PRO FAMILIA HESSEN · FACHTAG MIFEGYNE 2010
DOKUMENTATIONZUM FACHTAG MIFEGYNE
10 JAHRE MIFEGYNE
2 3
IMPRESSUM
VERANSTALTER/HERAUSGEBER:pro familia Landesverband HessenPalmengartenstr.1460325 Frankfurt am MainTel.: +49 (0)69-44 70 61Fax: +49 (0)69-49 36 12Mail: [email protected]/hessen
REDAKTION:Helga BrenneisRuth GottwaldKatharina RohmertHannelore Sonnleitner-DollBettina Witte de Galbassini
DOKUMENTATION: Dr. phil. Claudia Caesar, Lektorin
REFERENT/-IN:Dr. med. Dr. phil. Christian FialaDr. med. B. Kothé
LAYOUTSATZ:Birgit Stähling-Stach, Darmstadt
DRUCK: DruckhausDiesbach GmbH, Weinheim
Veranstaltung und Publikation wurden von derHessischen Fördervereinigung der pro familiaund Kessel Marketing & Vertriebs GmbH unterstützt.
pro familia Landesverband Hessen,Frankfurt am Main, 2010
INHALT
4 Vorwort
6 Medikamentöser Schwangerschaftsabbruch bis zum
63. Zyklustag – aktueller Stand und Anwendungsmöglichkeiten
in der Praxis Christian Fiala
13 Vorgehen beim medikamentösen Schwangerschaftsabbruch
jenseits des ersten Trimenons: Status quo und Empfehlungen
B. Kothé
20 Zusammenfassung der Statements zu: „Quo vadis
Mifegyne – wie soll es weitergehen, was kann verbessert werden?“
24 Resümee: Was ist beim medikamentösen Schwangerschaftsabbruch
im Sinne der betroffenen Frauen zu beachten?
26 ReferentInnen
27 AnsprechpartnerInnen/Links/Hinweise
INHALT
DOKUMENTATIONpro familia Hessen:
Fachtag Mifegyne im Februar 2010
4 5
Der pro familia Landesverband Hessen hat
anlässlich des zehnten Jahrestages der Ein-
führung von Mifegyne® in Deutschland ei-
nen Fachtag zum medikamentösen Schwan-
gerschaftsabbruch organisiert, dessen
Ergebnisse nun veröffentlicht werden. Die-
ser Fachtag sollte den Status quo im Umgang
mit Mifegyne® und den wissenschaftlichen
Forschungsstand darstellen, aber auch zum
gemeinsamen Nachdenken und zur Bildung
von Netzwerken anregen. TeilnehmerInnen
waren niedergelassene ÄrztInnen, Fachper-
sonal aus Kliniken sowie Ärztinnen aus pro
familia Beratungsstellen.
Im Vergleich mit anderen Methoden wird der medikamentöse Abbruch in Deutschland bis-
lang noch wenig praktiziert: Der Anteil von medikamentösen Abbrüchen an allen durchge-
führten Schwangerschaftsabbrüchen beträgt bei uns nur ca. 14 %, in anderen europäischen
Ländern liegt der Anteil hingegen deutlich höher (in Schweden sogar bei ca. 70 %). Auf-
grund dieser Situation scheint es sinnvoll, sich näher mit der internationalen Forschung
und der praktischen Umsetzung dieser Methode in Deutschland zu beschäftigen und etwai-
ge Informationsdefizite zu beheben.
Die Bereitstellung aktueller Fachinformationen ist umso wichtiger als in Deutschland auf-
grund des im § 219 a festgelegten Werbeverbots für Schwangerschaftsabbrüche Informatio-
nen zu den angebotenen Therapien von den Institutionen selbst nicht öffentlich zugänglich
gemacht werden dürfen.
In ihren Vorträgen beleuchteten Dr. Christian Fiala und Dr. B. Kothé das Vorgehen beim
medikamentösen Abbruch bis zum 63. Tag bzw. jenseits des ersten Trimenons und skiz-
zierten die aktuelle Forschungslage. Sie stellten evidenzbasierte Empfehlungen für das
Therapieschema beim medikamentösen Schwangerschaftsabbruch vor, basierend auf einer
Kombinationstherapie aus Mifepriston (Mifegyne®) und Misoprostol (Cytotec®). Dass Cyto-
tec® für den medikamentösen Schwangerschaftsabbruch in Deutschland nicht zugelassen
ist (sogenannter Off-Label-Use), hat dabei, wenn eine Aufklärung nachweisbar erfolgt ist,
aufgrund der eindeutigen Forschungslage keine Konsequenzen für die behandelnden Ärz-
tInnen. Außerdem sprachen die ReferentInnen unter anderem folgende wichtige Fragen an:
Welche Erfahrungen gibt es mit der Einnahme von Cytotec® zu Hause? Ab wann und bis zu
welchem Zeitpunkt der Schwangerschaft ist der medikamentöse Abbruch ratsam? Wie lässt
sich der Erfolg des medikamentösen Abbruchs kontrollieren? Wann ist eine Nachkürettage
nötig? Wie lässt sich der medikamentöse Abbruch im zweiten Trimenon in einer Klinik or-
ganisieren? Welche zusätzlichen Informationen benötigen die Patientinnen?
An die Fachvorträge schloss sich eine Diskussion zur Frage „Quo vadis Mifegyne“ an. Eine
Zusammenfassung der wichtigsten Statements aus dieser Diskussion findet sich in der vor-
liegenden Dokumentation.
Die Arbeitsergebnisse der Fachtagung haben pro familia-Ärztinnen im Anschluss an die Ver-
anstaltung zu einer Liste praktischer Hinweise und offener Fragen beim medikamentösen
Abbruch zusammengefasst. Dieses Resümee bildet den Abschluss der Dokumentation.
Grundlage und ethischer Bezugsrahmen für pro familia ist die Charta der sexuellen Rechte
der International Planned Parenthood Federation (IPPF). Aus den hier formulierten sexu-
ellen Rechten, die Menschenrechte sind, folgt auch das Recht der Frauen auf Zugang zu
den unterschiedlichen Methoden des Schwangerschaftsabbruchs auf dem jeweils aktuellen
medizinischen Stand, so dass sie frei und selbstbestimmt zwischen diesen Methoden wählen
können. pro familia sieht sich in der Verantwortung, dass dies auch für den medikamentö-
sen Schwangerschaftsabbruch gewährleistet wird.
Wir danken den ReferentInnen für ihre Beiträge, den TeilnehmerInnen für die engagierte
Diskussion und der Hessischen Fördervereinigung der pro familia sowie der Kessel Marke-
ting & Vertriebs GmbH für die finanzielle Unterstützung, ohne die der Fachtag in dieser
Form nicht hätte stattfinden können.
DR. CAROLIN HORNACK
VORSTAND PRO FAMIL IA
LANDESVERBAND HESSEN
VORWORTD R . C A R O L I N H O R N A C K
6 7
DIE SITUATION IN ÖSTERREICH
In Österreich gibt es seit 1975 eine Fristenlö-
sung für den Schwangerschaftsabbruch.
Nach § 97 StGB ist ein Abbruch bis zum drit-
ten Monat nach Beginn der Schwangerschaft
straffrei, wenn er nach vorheriger Beratung
von einem Arzt durchgeführt wird. Da der
Gesetzgeber den Beginn der Schwanger-
schaft mit abgeschlossener Einnistung defi-
niert, sind Schwangerschaftsabbrüche in
Österreich bis zur 16. Woche nach dem ers-
ten Tag der letzten Regelblutung (Amenor-
rhoe) straffrei. De facto werden sie aber nur
bis zur 12. bis 14. Woche durchgeführt. Form
und Umfang der Beratung sind im Gesetz
nicht näher definiert, so dass unter der ge-
setzlichen Beratung das ärztliche Gespräch
verstanden wird. Der Schwangerschaftsab-
bruch ist insgesamt deutlich weniger reglementiert und dadurch einfacher zu erreichen als
in Deutschland, weswegen auch immer wieder deutsche Frauen für einen Abbruch nach
Österreich kommen. Allerdings werden in Österreich die Kosten eines Abbruchs nicht über-
nommen und es gibt auch keine Preisregelungen. Für den medikamentösen Abbruch gilt
zudem, dass Mifepriston nur an Krankenanstalten abgegeben werden darf. Da Schwanger-
schaftsabbrüche aber in Österreich fast nur im niedergelassenen Bereich durchgeführt wer-
den, gehören das von mir gegründete Gynmed Ambulatorium in Wien und die Gynmed
Ambulanz an der Salzburger Landesklinik zu den wenigen Orte in Österreich, an denen
medikamentöse Abbrüche durchgeführt werden. 1
EINIGE HISTORISCHE ASPEKTE ZUM MEDIKAMENTÖSEN ABBRUCH
Vor drei Jahren habe ich in Wien ein Museum für Verhütung und Schwangerschaftsabbruch
eingerichtet, welches auf großes Interesse sowohl bei Jugendlichen als auch bei Fachkräften
stößt. Pro Monat kommen etwa 20 bis 30 Schulklassen für eine Führung, zudem haben wir
1.200 Besucher (unterschiedliche IP Adressen) täglich auf unserer Homepage (www.muvs.org).
Das Museum illustriert anhand von rund 700 Objekten und 300 Büchern die Entwicklung
der Geburtenkontrolle über Jahrhunderte hinweg, die ich im Folgenden unter dem Aspekt
des medikamentösen Abbruchs kurz anreißen möchte.
Die Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen mit Hilfe unterschiedlichster Substan-
zen, wie zum Beispiel Karbolsäure oder Zyankali, hat eine lange und eher traurige Tradition.
Im besten Fall waren diese Substanzen unwirksam, einige gefährdeten das Leben der betrof-
fenen Frauen und oft waren sie beides, unwirksam als Abortivum, aber gefährlich für die
Gesundheit oder das Leben der Frau. Die wirksameren Stoffe lösten zumeist in der schon
fortgeschrittenen Schwangerschaft eine Entzündungsreaktion in der Gebärmutter aus und
führten dadurch zum Blasensprung. Der erste Film über das Problem des illegalen Abbruchs
„Frauennot – Frauenglück“ wurde 1929 in der Schweiz unter der Regie von Sergej Eisenstein
und Grigori Alexandrov gedreht und berichtet von zwei Millionen Schwangerschaftsabbrü-
chen im damaligen Europa. In den 1920er Jahren gab es bereits eine Bewegung für die Le-
galisierung des Schwangerschaftsabbruchs, besonders aktiv waren die beiden Ärzte Friedrich
Wolf und Else Kienle in Berlin. Diese Bewegung fand allerdings in Deutschland mit dem
Faschismus ein brutales und lang andauerndes Ende.
Ein neuer Schub kam in die Forschung zum medikamentösen Abbruch, als in den 1980er
Jahren die Hoechst-Tochter Roussel Uclaf Mifegyne® (mit dem Wirkstoff Mifepriston) ent-
wickelte, damit allerdings nur eine Quote von 60 bis 80 % erfolgreicher Abbrüche erreichte.
Etwa gleichzeitig forschten Mark Bygdeman und Marja-Liisa Swahn am Karolinska Institu-
tet in Stockholm an Prostaglandinen und erzielten durch die Kombination von Mifepriston
und Prostaglandinen eine Erfolgsquote von über 90 %. Bereits 1988 wurde Mifegyne® in
Frankreich zugelassen, 1991/92 in England und Schweden und schließlich 1999/2000 in
den meisten anderen westeuropäischen Ländern.2 2005 übernahm die WHO Mifepriston in
die Essential Medicines-List, was die Wichtigkeit des Wirkstoffs unterstreicht. 2007 erwei-
terte die EU die Zulassung bis zum 63. Tag, was bis dahin lediglich in England und Schweden
zugelassen war. Der medikamentöse Abbruch setzte sich nach der Zulassung allerdings recht
langsam durch; es dauerte in den meisten Ländern etwa zehn Jahre, bis ungefähr die Hälfte
(+/- 10 %) der Abbrüche medikamentös durchgeführt wurden. Eine Ausnahme bildet dabei
Deutschland, wo der Anteil 2009 immer noch bei nur 14 % lag.3
WIRKUNGSWEISE DER KOMBINATIONSTHERAPIE MIFEPRISTON/MISOPROSTOL
Mifepriston blockiert die Rezeptoren für Progesteron kompetitiv und reversibel und führt
damit zu einer artifiziellen Corpus Luteum-Insuffizienz.
Im normalen Zyklus führt das Absinken des Progesteronspiegels zur Regelblutung (Hormon-
entzugsblutung), weswegen sich auch beim künstlich herbeigeführten Progesteronmangel
die Gebärmutterschleimhäute und der Fruchtsack von der Gebärmutterwand lösen, die Ge-
bärmutterwand für Prostaglandine sensibilisiert wird und der Muttermund sich öffnet.
Aufgrund dieser Wirkung lässt sich Mifegyne® auch sehr gut zum Cervix-Priming vor einem
chirurgischen Abbruch einsetzen. Frauen, die zwischen der 11. und 14. Woche zum chirur-
gischen Abbruch zu uns kommen, bekommen einen Tag vor dem Eingriff Mifegyne®, was
den Abbruch deutlich beschleunigt und sicherer macht.
Der medikamentöse Abbruch mit Mifegyne® ist von einem Spontanabort (Corpus Luteum-
Insuffizienz) klinisch nicht zu unterscheiden, da er den natürlichen Vorgang des Mangels
an Progesteron durch die Gabe von Mifepriston simuliert. Diese Information ist beispiels-
weise für Patientinnen wichtig, die aus einem Land kommen, in dem der Schwangerschafts-
abbruch noch unter Strafe gestellt ist.
Wenn dann 36 bis 48 Stunden nach der Einnahme von Mifepriston ein Prostaglandin ge-
geben wird, löst dieses in der schon vorbereiteten Gebärmutter und bei geöffnetem Mutter-
mund sehr wirksame Uteruskontraktionen aus.
MEDIKAMENTÖSER SCHWANGERSCHAFTSABBRUCH BISZUM 63. ZYKLUSTAG – AKTUELLER STANDUND ANWENDUNGSMÖGLICHKEITEN IN DER PRAXIS
DR. CHR IST IAN F IALA , G Y N M E D A M B U L AT O R I U M W I E N - S A L Z B U R G
1 Die Internetseite mit näheren Informationen: www.gynmed.at.
2 Allerdings erst 2007 in Portugal, direkt nach der Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs, und 2010 in Italien.3 Statistisches Bundesamt, Wiesbaden 2010.
VORTRAGD R . C H R I S T I A N F I A L A
8 9
Bei Anwendung dieser Kombinationstherapie ist es sehr wichtig, den Frauen zu erklären,
dass bereits mit der Einnahme von Mifegyne® der „point of no return“ erreicht ist. Die
Folgen eines Behandlungsabbruchs nach Einnahme von Mifegyne® sind schlecht erforscht
bzw. erforschbar. Da die Behandlung sehr wirksam ist, gibt es nur sehr wenige Frauen, die
nach einem versuchten medikamentösen Abbruch immer noch schwanger waren und diese
Schwangerschaft auch ausgetragen haben. Soweit man anhand der wenigen Fälle eine Aus-
sage machen kann, scheint das Risiko für Fehlbildungen bei persistierender Schwangerschaft
nicht erhöht.
Der genaue Verlauf des Abbruchs ist individuell sehr verschieden. Die Ausstoßung des Frucht-
sacks erfolgt bei 5 % der Frauen schon vor der Einnahme des Prostaglandins, bei 60 bis 70 %
in den ersten fünf bis sechs Stunden nach Einnahme und bei 25 % sogar erst am darauf
folgenden Tag.
Der medikamentöse Abbruch mit dieser Therapie wirkt während der gesamten Schwanger-
schaft, sobald der Schwangerschaftstest positiv ist bis zur Einleitung einer Geburt.
THERAPIESCHEMA UND WIRKSAMKEIT
Sowohl Mifepriston (Mifegyne®) als auch das beim medikamentösen Abbruch gegebene
Prostaglandin Misoprostol (Cytotec®) weisen eine sehr schnelle orale Resorption auf. Bei
Cytotec® ist der maximale Plasmaspiegel bereits nach 12 Minuten erreicht, bei Mifegyne®
nach 1,3 Stunden. Bei Erbrechen mehr als eine Stunde nach Einnahme von Mifegyne® ist
also keine erneute Einnahme nötig. Die Pharmakokinetik ist hingegen sehr different: Mife-
gyne® hat eine terminale Halbwertszeit von 90 Stunden, Cytotec® hingegen von nur 20 bis
40 Minuten, kann also, wenn nötig, nach ca. 3 Stunden erneut gegeben werden, ohne dass
es zu einer Kumulierung kommt.
Bei oraler Misoprostolgabe steigt der Plasmaspiegel sehr schnell auf ein Maximum an und
fällt dann ebenso rasch wieder ab, was schmerzhafte, aber nicht sehr wirksame Uteruskon-
traktionen hervorruft, die für den Schwangerschaftsabbruch bis zur siebten Woche bei re-
lativ kleinem Fruchtsack und in geringerer Dosierung ausreichen. Die vaginale Gabe hinge-
gen kennt keinen so steilen initialen Anstieg, erreicht dafür einen relativ lange konstanten
Plasmaspiegel und dadurch wirksamere und länger anhaltende Uteruskontraktionen, wes-
wegen man diesen Applikationsweg für einen Abbruch zwischen siebter und neunter Schwan-
gerschaftswoche verwendet. 4
Die überarbeitete Zulassung durch die Europäische Arzneimittelagentur EMEA vom 23. März
2007 verlängerte die Anwendung von Mifegyne® bei Schwangerschaftsabbrüchen, die bis-
her nur bis zum 49. Tag Amenorrhoedauer zugelassen war, auf den 63. Tag (9. Woche) und
strich die vorher bestehende Kontraindikation bei Raucherinnen und Frauen über 35 Jahren.
Dabei basiert die Zulassung bis zum 63. Tag aus formaljuristischen Gründen auf der Kom-
binationstherapie von Mifepriston mit 1 mg Gemeprost (Cergem®) vaginal als Prostaglandin,
da der Hersteller von Cytotec® für die vaginale Gabe von Misoprostol keine Zulassung be-
antragt hat. In zahlreichen Studien konnte jedoch zweifelsfrei nachgewiesen werden, dass
die vaginale Gabe von Misoprostol gegenüber Gemeprost deutlich nebenwirkungsärmer und
günstiger ist. Die vaginale Gabe von Cytotec® für diese Indikation erfolgt außerhalb der
Zulassung, ein sogenannter Off-Label-Use, was aber aufgrund der eindeutigen Studienlage
unproblematisch für die behandelnden ÄrztInnen ist, die primär an die medizinische Evi-
denz gebunden sind.
Zusammenfassend ist folgendes Einnahmeschema zu empfehlen: bei Schwangerschaften bis
zum 49. Tag 600 mg Mifepriston in Kombination mit 400 µg Misoprostol oral (= 2 Tabletten)
und nach dem 49. bis zum 63. Tag die Gabe von 600 mg Mifepriston in Kombination mit
800 µg Misoprostol vaginal (= 4 Tabletten). Die Misoprostoldosis muss also nach dem 49.
Tag verdoppelt und vaginal gegeben werden.
Da Mifegyne® deutlich teurer als Cytotec® ist, wurden eine Verringerung der Mifepristondosis
und eine Erhöhung des Prostaglandins in mehreren Studien untersucht. Wenn beispielsweise
das stärker wirksame Prostaglandin Gemeprost verwendet wird, wie in der Zulassung der EMEA
vorgesehen, kann die Mifepristondosis bei Schwangerschaften bis zum 49. Tag p. m. nach-
weislich von 600 mg auf 200 mg herabgesetzt werden. Allerdings geht die Gabe eines poten-
teren Prostaglandins wie auch die Erhöhung der Misoprostoldosis auf Kosten der Patientinnen,
da dadurch auch die Nebenwirkungen und vor allem die Schmerzen verstärkt werden. Bislang
gibt es keine Studien darüber, wie weit sich die Prostaglandindosis in der siebten bis neunten
Woche absenken lässt, obgleich dies die Nebenwirkungen für die Patientinnen senken könn-
te, weil der Fokus der Forschung immer auf der finanziellen Einsparung lag.
Bezüglich des Vorgehens bei fortbestehender Schwangerschaft gibt es leider noch keine Stu-
dien. Aufgrund eigener Erfahrung kann das normale Einnahmeschema wiederholt werden,
sofern die Patientin nicht über der neunten Woche ist. Die wiederholte Gabe von Cytotec®
alleine ist jedoch nicht sehr wirksam.
Die Wirksamkeit der beim medikamentösen Abbruch angewandten Kombinationstherapie
aus Mifepriston und einem Prostaglandin hängt also von folgenden Faktoren ab:
• der Dosis der beiden Wirkstoffe,
• der Wahl des Prostaglandins,
• der Applikationsart des Prostaglandins (oral oder vaginal),
• dem Intervall zwischen der Einnahme der beiden Medikamente (Wirkungsverlust
bei zu starker Verkürzung des Intervalls <24 Stunden),
• dem Gestationsalter,
• der Erfahrung der behandelnden ÄrztInnen und
• den Kriterien für eine Nachkürettage.
Insgesamt sollte die Erfolgsquote des medikamentösen Abbruchs bei 95 % oder mehr liegen.
Man muss mit 1 bis 4 % unvollständigen Aborten, 1 % starken Blutungen und unter 1 %
fortbestehenden Schwangerschaften rechnen.
DIE THERAPIE HAT FOLGENDE NEBENWIRKUNGEN:
• Schmerzen treten bei ca. 80 % der Frauen nach der Prostaglandingabe auf, vergleichbar
mit normalen Regelschmerzen, 30 % der Frauen benötigen leichte Schmerzmittel,
wir geben Ibuprofen und gelegentlich 50 mg Codein.
• Blutungen, die etwa einen halben Tag stärker als Regelblutungen sind, und dann
zwei Wochen leichte Blutungen (durchschnittlich 9 Tage), 0,4 bis 1 % haben schwere
Blutungen, die behandelt werden müssen (Kürettage).
• Übelkeit: Diese ist meist schwangerschaftsbedingt und wird von 50 % der Frauen
berichtet, 17 % berichten von Erbrechen.
Zudem wird routinemäßig die Blutgruppe der Patientin ermittelt und bei Rh-negativen
Frauen eine Rhesusprophylaxe durchgeführt, obwohl bislang nicht nachgewiesen ist, ob
überhaupt ein Risiko für eine Rhesusimmunisierung in der frühen Schwangerschaft be-
steht. Hier gibt es Forschungsbedarf.4 Tang et al. 2002.
MEDIKAMENTÖSER SCHWANGERSCHAFTSABBRUCH B IS ZUM 63 . ZYKLUSTAG
AKTUELLER STAND UND ANWENDUNGSMÖGL ICHKE ITEN IN DER PRAXIS
D R . C H R I S T I A N F I A L A , G Y N M E D A M B U L ATO R I U M W I E N - S A L Z B U R G
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THERAPIEKONTROLLE
Wir machen am Gynmed Ambulatorium routinemäßig bei jeder Patientin zur Abklärung
der Schwangerschaft einen abdominalen Ultraschall. Bei etwa 95 % der Frauen ist damit
eine verlässliche Aussage möglich. Wenn bei diesem Ultraschall der Fetus oder der Dot-
tersack sichtbar sind, lässt sich durch einen Kontrollultraschall etwa eine Woche nach der
Behandlung der Erfolg der Therapie verlässlich evaluieren. Wenn der Dottersack ausgesto-
ßen wurde, war die Behandlung erfolgreich und eine Kürettage ist meist nicht nötig, auch
wenn das Endometrium erhöht ist. In einer von uns durchgeführten Untersuchung hatte
das Endometrium nach erfolgreichem medikamentösem Abbruch bei 213 Frauen durch-
schnittlich noch eine Höhe von 10 mm, bei manchen Frauen war es aber auch noch 20 mm
hoch, ohne dass eine Kürettage nötig gewesen wäre.5 Der Ultraschallbefund zwingt nur bei
evolutiver Schwangerschaft oder Missed Abortion zur Intervention – hier müssen wir als
Gynäkologen sicherlich einen Lernprozess durchmachen. Wenn der Befund unklar ist (s.
als Beispiel Abb. 1), lässt sich durch eine Entzugsblutung – durch Abbruch der Pillenein-
nahme oder alternativ mit Hilfe eines Gestagenpräparats – eine Kürettage in vielen Fällen
umgehen, dies kann auch bei einer Missed Abortion (s. Abb. 2) funktionieren.
T 1: SSL 6 mm, hCG 104.900 T 10: E 20 mm, hCG 16.841 T 28: hCG 100
T 3: OC begonnen T 17: OC ex
T 21: Entzugsblutung
T 1: FS + DS,hCG 13.300
T 9: missed AB,hCG 10.819
T 19: E 8 mm,hCG 718
T 3: OC begonnen T 16: OC ex
T 18: Entzugsblutung
Zum Trainieren der Ultraschalluntersuchung gibt es einige Lernhilfen, so den Sonotrainer
von Sonofit (www.sonofit.com) und eine sehr empfehlenswerte, interaktive Übungs-CD aus
den USA. 6
Wenn die Schwangerschaft im Ultraschall nicht sichtbar ist, also bei sehr frühen Schwan-
gerschaften, erfolgt die Therapiekontrolle durch Messung des hCG-Wertes im Serum oder
Harn. Dieser Wert sinkt nach dem Schwangerschaftsabbruch zunächst relativ rasch ab,
bleibt dann aber lange auf niedrigem Niveau positiv, so dass ein empfindlicher, handelsüb-
licher Schwangerschaftstest noch bis vier Wochen nach dem Abbruch positiv sein kann.
Die hCG-Werte sind individuell sehr unterschiedlich, so dass nur die individuelle Verän-
derung des Wertes vor der Einnahme von Mifegyne® und nach Abschluss des medikamen-
tösen Abbruchs relevant ist. Gemäß einer von uns durchgeführten Auswertung von 217
Behandlungen sank der hCG-Wert ca. acht bis zehn Tage nach Mifegyne® durchschnittlich
auf 3,8 % des ursprünglichen Wertes (zwischen 0,1 und 44 %). Da bei nur drei Frauen mit
erfolgreichem Abbruch hCG-Werte über 20 % des Ausgangswerts gemessen wurden, kann
man bei einem Wert von unter 20 % von einem erfolgreichen Abbruch ausgehen. Zwei
Fälle einer Missed Abortion führten zu einem Wert von 91 bzw. 159 % und eine evolutive
Schwangerschaft hatte einen Anstieg von 7900 % zur Folge. 7
MEDIKAMENTÖSER ABBRUCH IN DER FRÜHSCHWANGERSCHAFT
Es gibt kein unteres Gestationslimit für einen medikamentösen Abbruch. Die Richtlinien
der WHO und RCOG empfehlen den medikamentösen Abbruch, sobald der Schwanger-
schaftstest positiv ist. Gemäß meiner Erfahrung kommen Frauen in den letzten Jahren
immer früher in der Schwangerschaft und sind zu einem Abbruch entschieden. Es ist si-
cherlich nicht sinnvoll, diese Frauen nach Hause zu schicken und zu warten, bis man die
Schwangerschaft im Ultraschall sehen kann, da die Risiken und Nebenwirkungen geringer
sind, je früher der Eingriff vorgenommen wird. Die recht seltene Möglichkeit einer ex-
trauterinen Schwangerschaft muss dabei allerdings bedacht und der Frau kommuniziert
werden. Ich lasse bei Frauen, die sich in der Frühschwangerschaft für einen Abbruch ent-
scheiden, immer den hCG-Wert im Serum bestimmen, um einen Ausgangswert zu haben.
Über die Kontrolle des hCG-Wertes lässt sich nach dem medikamentösen Abbruch mit gro-
ßer Sicherheit und recht einfach feststellen, ob die Schwangerschaft abgeschlossen ist oder
fortbesteht und weitere Maßnahmen nötig sind. Für die Kontrolluntersuchung verwende
ich in der Praxis einen speziellen Harntest mit zwei Grenzwerten, den ich Frauen, die aus
dem Ausland kommen, auch mitgeben kann. 8 Wenn das Ergebnis nicht eindeutig ausfällt,
erfolgt ein Bluttest zur Kontrolle, ich habe ja den Vergleichswert aus der initialen Blutun-
tersuchung. Wichtig ist bei diesen frühen medikamentösen Abbrüchen eine engmaschige
Ultraschallkontrolle, damit im Falle einer extrauterinen Schwangerschaft die Behandlung
ohne Verzögerung beginnen kann, denn Mifepriston und Misoprostol wirken nur auf die
Gebärmutter und haben weder eine positive noch negative Auswirkung auf eine extraute-
rine Schwangerschaft.
CYTOTEC® ZU HAUSE
Der medikamentöse Abbruch ist, wie oben dargestellt, ein Prozess, kein punktueller Ein-
griff, dennoch ist die Einnahme von Mifegyne® der entscheidende Auslöser, während
die Gabe des Prostaglandins nur die Ausstoßung einleitet. Dies ist in Ländern besonders
wichtig, in denen gesetzlich festgelegt ist, dass der Abbruch in einer Institution stattfinden
muss, so beispielsweise in Frankreich, England und Schweden. Hier genügt die Einnahme
von Mifegyne® als Beginn des Prozesses unter ärztlicher Aufsicht. Cytotec® können die
Abb. 1. Medikamentöser Abbruch in der sechsten
Woche mit unklarem Ultraschallbefund bei der
Kontrolle
Abb. 2. Medikamentöser Abbruch in der fünften
Woche mit missed-AB bei der Kontrolle
5 Fiala et al. 2003.6 „Ultasound in Abortion Care“, zu bestellen bei: [email protected]
7 Fiala et al. 2003.8 hCG-DUO Schnelltest der französischen Firma VEDA-LAB: www.vedalab.com.
MEDIKAMENTÖSER SCHWANGERSCHAFTSABBRUCH B IS ZUM 63 . ZYKLUSTAG
AKTUELLER STAND UND ANWENDUNGSMÖGL ICHKE ITEN IN DER PRAXIS
D R . C H R I S T I A N F I A L A , G Y N M E D A M B U L ATO R I U M W I E N - S A L Z B U R G
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VORGEHEN BEIM MEDIKAMENTÖSEN SCHWANGER-SCHAFTSABBRUCH JENSEITS DES ERSTEN TRIMENONS:STATUS QUO UND EMPFEHLUNGEN
DR. B . KOTHÉ , O B E R Ä R Z T I N A M V I VA N T E S H U M B O L D T- K L I N I K U M , B E R L I N
JURISTISCHE RAHMENBEDINGUNGEN
Nach geltendem Recht in Deutschland dürfen Schwangerschaften, die über zwölf Wochen
nach der Befruchtung (d. h. 14 Wochen nach dem ersten Tag der letzten Regelblutung) be-
stehen, nur nach medizinischer Indikationsstellung durch einen Arzt abgebrochen werden.
§ 218 a (2) des Strafgesetzbuches stellt einen Schwangerschaftsabbruch jenseits der zwölften
Woche straffrei, wenn er nach ärztlichen Erkenntnissen „angezeigt ist, um eine Gefahr für
das Leben oder die Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des körperlichen oder
seelischen Gesundheitszustandes der Schwangeren abzuwenden, und die Gefahr nicht auf
eine andere für sie zumutbare Weise abgewendet werden kann.“ Unter diese Regelung fallen
auch Frauen, bei denen die Austragung der Schwangerschaft aufgrund einer durch prä-
nataldiagnostische Maßnahmen festgestellten erheblichen gesundheitlichen Beeinträchti-
gung des Embryos zu schwerwiegenden psychischen Problemen bei der Frau führen würde
oder Frauen, die das Zeitfenster der 14. Schwangerschaftswoche überschritten haben, aber
ungewollt schwanger sind, und für die die Austragung der Schwangerschaft eine erhebliche
psychische und emotionale Beeinträchtigung bedeuten würde. Die Rahmenbedingungen
beim Schwangerschaftsabbruch regelt das Schwangerschaftskonfliktgesetz im Einzelnen,
insbesondere auch mit seiner am 01. Januar 2010 in Kraft getretenen letzten Änderung.
Zudem sind spezielle Regelungen beim Zugang zu und im Umgang mit den jeweiligen für
Schwangerschaftsabbrüche zugelassenen Medikamenten zu beachten, hier besonders der
§ 47 a des Arzneimittelgesetzes mit speziellen Vertriebswegen und Nachweispflichten und
die Zulassung der einzelnen Medikamente. Das medizinische Handeln sollte sich allerdings
unter Kenntnis der Vorschriften von diesen nicht primär leiten lassen, sondern beispiels-
weise auch Off-Label-Optionen ergreifen, wenn neue Erkenntnisse mit hohem Evidenzgrad
und umfangreiche internationale Studien vorliegen.
DER MEDIKAMENTÖSE ABBRUCH IM ZWEITEN TRIMENON: EIN ÜBERBLICK
Es ist möglich, auch jenseits des ersten Trimenons sowohl einen chirurgischen als auch
einen medikamentösen Schwangerschaftsabbruch durchzuführen, wobei operative Metho-
den bei fortgeschrittenem Schwangerschaftsalter an die Qualifikation und Ausbildung des
behandelnden Arztes/der Ärztin entsprechend höhere Anforderungen stellen. Für den me-
dikamentösen Abbruch wurde in Studien sichergestellt, dass er bis zur neunten, nach neu-
esten Studien sogar bis zur zehnten Schwangerschaftswoche im gleichen Regime möglich
ist, darüber hinaus sind allerdings wiederholte Prostaglandingaben nötig entsprechend der
Regime des zweiten Trimenons.
Dabei ist es jenseits des ersten Trimenons ebenso wichtig, einen wissenschaftlichen und
evidenzbasierten Ansatz zu verfolgen. Denn von den weltweit ca. 46 Millionen Schwanger-
schaftsabbrüchen werden ca. 10 bis 15 % im zweiten Trimenon vorgenommen, dennoch ent-
fallen zwei Drittel der schweren Komplikationen auf Abbrüche in dieser Schwangerschafts-
phase und machen damit global betrachtet einen Großteil der maternalen Mortalität aus.
Patientinnen dann selbständig zu Hause einnehmen. Am Gynmed können Frauen seit 2004
bei Schwangerschaftsabbrüchen bis zur siebten Woche wählen, wo sie Cytotec® einnehmen
möchten, und 95 % entscheiden sich für die Einnahme zu Hause. Mit diesem Vorgehen
haben wir eine hohe Akzeptanz erzielt und insgesamt sehr gute Erfahrungen gemacht, die
auch in zahlreichen internationalen Untersuchungen bestätigt werden. Nach einer neuesten
Studie ist der Home-Use von Cytotec® auch zwischen der siebten und neunten Woche sicher
und führte zu einer hohen Zufriedenheit und Akzeptanz. 9 Hier ließe sich also auch für die
Zukunft noch einiges in den Abläufen für die Patientinnen verbessern und vereinfachen.
VORTRAGD R . B . KO T H É
LITERATUR
Fiala C, Safar P, Bygedeman M, Gemzell-Danielsson K. 2003. Verifying the Effectiveness of Medical Ab-ortion; Ultrasound versus hCG Testing. Eur J Obstet Gynecol, 109(2): 190–5
Kopp Kallner H, Fiala C, Stephasson O, Gemzell-Danielsson K. 2010. Home Self-administration of Vaginal Misoprostol for Medical Abortion at 50–63 Days Compared with Gestation of below 50 Days. Hum. Reprod., 25(5): 1153–7
Tang OS, Schweer H, Seyberth HW, Lee S, Ho PC. 2002. Pharmacokinetics of Different Routes of Administration of Misoprostol. Hum. Reprod., 17(2): 332–6
9 Kopp Kallner et al. 2010.
D R . C H R I S T I A N F I A L A , G Y N M E D A M B U L ATO R I U M W I E N - S A L Z B U R G
14 15
In den letzten Jahrzehnten wurden die Methoden des medikamentösen Abbruchs im Sinne
der Effektivität, der technisch vereinfachten Durchführung, der Akzeptanz und der Re-
duktion von Nebenwirkungen optimiert. Dabei waren sicherlich die Einführung der Pros-
taglandine 1968 und von Mifepriston im Jahr 1982 Meilensteine in der Entwicklung. Die
kombinierte Anwendung von Mifepriston und Misoprostol hat sich als die schonendste Me-
thode herausgestellt (deswegen auch auf der List of Essential Medicines der WHO vermerkt)
und sich letztendlich auch für Schwangerschaftsabbrüche jenseits des ersten Trimenons
durchgesetzt. Leider wurde aufgrund dieser positiven Entwicklung der operative Abbruch
für diese Schwangerschaftsphase in einigen Regionen Europas nicht weiterentwickelt, was
die Freiheit der Methodenwahl für die Frauen beeinträchtigt. Einen operativen Eingriff im
zweiten Trimenon kann eine Frau mit Mühe maximal bis zur 18. Schwangerschaftswoche
in Deutschland durchführen lassen, bis zur 24. Woche kann sie innerhalb Europas nach
Großbritanien, Spanien und in die Niederlande ausweichen, darüber hinaus müsste sie in
die USA reisen. Entsprechend der Erkenntnisse von Hemmerling für das erste Trimenon
lässt sich auch für höhere Schwangerschaftswochen zeigen, dass der Verarbeitungsprozess
von der Methodenwahl abhängig ist.
Prostaglandine sind während des gesamten Schwangerschaftsverlaufs entscheidend für die
Regulierung der Uteruskontraktilität und die Erweichung des Gebärmutterhalses, weswegen
sich die Erfahrungen aus Abbrüchen im ersten Trimenon prinzipiell auf weiter fortgeschrit-
tene Schwangerschaften übertragen lassen. Allerdings muss im zeitlichen Ablauf und in
der Dosis der beiden Medikamente auf Veränderungen einer fortgeschrittenen Schwanger-
schaft, wie die Größe des Uterus und die höhere Myometriumsensitivität, reagiert werden.
Obgleich nachgewiesen ist, dass die E1-Prostaglandine die nebenwirkungsärmsten Prosta-
glandine sind und insbesondere Misoprostol die Vorteile hat, gut dosierbar und auf unter-
schiedliche Arten applizierbar zu sein, finden in Deutschland noch immer verschiedene
andere Wirkstoffe (wie Nalador®, Cergem®, intraamniale Instillation verschiedenster Lösun-
gen) Verwendung. 1 Misoprostol ist als Cytotec® seit 1985 auf dem globalen Markt erhältlich
und auch für den medikamentösen Schwangerschaftsabbruch nach dem ersten Trimenon
unter Berücksichtigung der aktuellen Forschungslage als Mittel der Wahl zu empfehlen.
In einigen Ländern ist Mifegyne® nicht erhältlich, weswegen dort auch in höheren Schwan-
gerschaftswochen nur Misoprostol zum medikamentösen Abbruch verabreicht wird. 2 Die-
ses Vorgehen ist allerdings deutlich weniger effektiv als die kombinierte Gabe von Mifepris-
ton und Misoprostol (73 bis 81 % versus 97 % in 24 Stunden) und auch die Induktionszeit,
also die Zeit nach Gabe von Misoprostol bis zum Ausstoß des Fetus, verkürzt sich bei einer
vorherigen Einnahme von Mifegyne® signifikant (5 bis 7 h versus 15 bis 24 h). 3 Die einlei-
tende Gabe von Mifegyne® erhöht die Uteruskontraktilität, bereitet die Gebärmuttermus-
kulatur auf die Prostaglandinwirkung vor. Die Induktionszeit hängt bei einer vorherigen
Einnahme von Mifegyne® individuell von der Zahl der bisherigen Geburten, dem Alter
der Mutter und der Schwangerschaftswoche ab und ist damit kalkulierbarer für die Frau
und das Personal. Eine Reduzierung der Induktionszeit ist bei einem Abbruch jenseits des
ersten Trimenons besonders wichtig, da es hier zu einer mit starken Schmerzen verbunde-
nen Wehentätigkeit kommt. Außerdem handelt es sich bei vielen Frauen, die in höheren
Schwangerschaftswochen einen Abbruch vornehmen, um gewollte Schwangerschaften.
Diese Frauen befinden sich ohnehin schon in einer Schocksituation, gerade hier scheint
eine Verkürzung des Abbruchprozesses wichtig. Auch verringern sich die Gesamtdosis der
Prostaglandine und damit auch die Nebenwirkungen für die Patientinnen. So können diese
länger in einem häuslichen Setting bleiben und benötigen weniger Analgetika, was wie-
derum den Ablauf für die Patientinnen insgesamt erleichtert und nebenbei die Kosten im
Krankenhaus senkt.
ZUR FORSCHUNGSLAGE
Es gibt eine Fülle internationaler Studien zum medikamentösen Abbruch jenseits des ersten
Trimenons. Schon 1990 zeigte eine doppelblind randomisierte Studie mit 100 Frauen in der
12. bis 18. Schwangerschaftswoche bei kombinierter Gabe von Mifegyne® versus Placebo
und Gemeprost eine Halbierung der Induktionszeit auf 6,8 Stunden und eine deutliche Er-
höhung der Erfolgsrate auf 94 %. 4 Diese Ergebnisse bestätigten weitere Studien, wobei ins-
besondere Dosierung und Applikationswege von Misoprostol untersucht wurden. Je nach
Applikationsweg (oral, vaginal, sublingual, frgl. buccal) unterscheiden sich die Plasmaspiegel
und Nebenwirkungen. Eine annähernd evidenzbasierte Empfehlung für die Medikation bei
medikamentösen Abbrüchen im zweiten Trimenon sieht eine kombinierte Gabe von 200 mg
Mifepriston und im Abstand von 36 bis 48 Stunden 800 µg Misoprostol vaginal mit anschlie-
ßenden Gaben von 400 µg oral alle drei Stunden vor.5 Für manche Frauen kann die sublin-
guale oder buccale Applikation eine Alternative zur vaginalen Gabe darstellen. Eine 2009
veröffentlichte Studie an 141 Frauen in der 12. bis 22. Schwangerschaftswoche hat unter-
sucht, ob sich die Zeit zwischen der Gabe von Mifepriston und Misoprostol verkürzen lässt,
bei simultaner Gabe jedoch bei Induktionszeit und Abortrate deutlich schlechtere Ergebnisse
erzielt. 6 Bei einer Gabe von Misoprostol 36 bis 38 Stunden nach Mifepriston hat sich bei die-
ser Studie eine sehr kurze mittlere Induktionszeit von 4,9 Stunden ergeben, was evtl. auf die
durchweg vaginale Gabe von Misoprostol zurückzuführen ist. Bei der Art der Einnahme und
der Dosierung beider synergistisch wirkender Medikamente ist in der Forschung also noch
einiges hoffentlich im Fluss, vor allem bezüglich der Dosierung von Mifepriston.
Obgleich die internationale Studienlage zum medikamentösen Abbruch jenseits des ersten
Trimenons die kombinierte Gabe von Mifepriston und Misoprostol schon seit mindestens
zehn Jahren klar favorisiert, wird dies in Deutschland immer noch anders praktiziert. 2005
wurde am DRK Klinikum Westend in Berlin eine Anwendungsstudie durchgeführt. 7 Bisher
bekamen die Patientinnen bei einem Schwangerschaftsabbruch jenseits des ersten Trime-
nons in dieser Klinik alle drei Stunden 400 µg Cytotec® oral. Eine zusätzliche Gabe von
600 mg Mifegyne® 36 bis 48 Stunden vorher (prästationär) wurde 2005 eingeführt und ein
retrospektiver Vergleich mit der vorherigen Praxis erstellt. Der Induktionszeitraum reduzierte
sich bei den Frauen, die zusätzlich Mifegyne® einnahmen, um 63 % auf 9 Stunden versus
4 Rodger und Baird 1990.5 Die Empfehlungen des Royal College of Gynecology in Großbritannien für die Medikation bei medikamentösen Abbrüchen im zweiten Trimenon stützen sich vorrangig auf zwei wichtige Studien aus Schottland, in denen jeweils ca. 1000 Frauen untersucht wurden (Tang et al. 2001; Ashok und Templeton 1999, Ashok et al. 2004).6 Chai et al. 2009.7 Kothé und Kentenich 2007.
1 So z. B. Sulproston (Nalador®) i.v./ i.m., das schwere kardiovaskuläre Nebenwirkungen inkl. Myokardinfarkt nach sich ziehen kann oder auch Gemeprost (Cergem®), das nur vaginal applizierbar ist, im Kühlschrank gelagert werden muss und nur in einer Dosierung erhältlich ist. Misoprostol (Cytotec®) hat hingegen die Vorteile, dass es sich bei Raumtemperatur lagern lässt und lange haltbar bleibt (allerdings nur bei intakter Aluverpackung), preiswert ist, verschiedene Applikationswege erlaubt (vaginal/oral/sublingual/buccal), kaum an Bronchien und Gefäßen wirkt und auch insgesamt je nach Dosis sehr wenig Nebenwirkungen aufweist.2 Beim „Misoprostol alone“ Schema empfiehlt die FIGO folgende Dosierung: bis zur 22. Schwangerschaftswoche 400µg vaginal (2 Tabl. Cytotec®) alle drei Stunden (max. 5x/24 h), bei Frauen mit vorangegangener Sectio Verringerung der Einzeldosis um die Hälfte. Bei vaginaler Applikation reduziert sich allerdings die Wirksamkeit, falls es zu einer Blutung kommt.3 Wong et al. 1998, 2000; Tang et al. 2004.
DR. B . KOTHÉ , O B E R Ä R Z T I N A M V I VA N T E S H U M B O L D T- K L I N I K U M , B E R L I N VORGEHEN BE IM MEDIKAMENTÖSEN SCHWANGERSCHAFTSABBRUCH
JENSE ITS DES ERSTEN TR IMENONS : STATUS QUO UND EMPFEHLUNGEN
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25 Stunden bei der Vergleichsgruppe. Bestätigt wurde durch diese Studie auch, dass bei einer
Vorbehandlung mit Mifegyne® der Abbruch bei Frauen, die schon eine Geburt hinter sich
hatten oder die in einer niedrigeren Schwangerschaftswoche waren, signifikant schneller er-
folgte. Der durchschnittliche Induktionszeitraum bei der kombinierten Therapie betrug 9,25
Stunden und war damit im Vergleich mit den internationalen Studien relativ hoch. Dies lag
einerseits an einigen Besonderheiten im Patientenkollektiv der Klinik: Das durchschnittli-
che Alter in beiden Vergleichsgruppen war mit 32 bzw. 33 Jahren relativ hoch, ebenso die
Schwangerschaftsdauer mit 18 Wochen und der Anteil der Frauen, die bislang keine Geburt
hatten. Zudem wurden bei der Gabe von Cytotec® keine Veränderungen gegenüber der vor-
herigen Praxis vorgenommen, um eine Vergleichbarkeit zu gewährleisten. Dies war beson-
ders wichtig, da vom Klinikpersonal anfangs gegen das neue Setting Widerstände bestanden,
die dann aber aufgrund der guten Ergebnisse schnell überwunden werden konnten.
Einige Besonderheiten müssen in höheren Schwangerschaftswochen und bei Zustand nach
Uterusoperationen berücksichtigt werden. Bei Abbrüchen jenseits der 24. Schwangerschafts-
woche, für die es sehr wenige Daten gibt, muss die Prostaglandindosis auf eine Tablette Cy-
totec® reduziert werden, da die Gebärmutter wesentlich sensitiver auf die Prostaglandine
reagiert, nach der 34. Woche sogar, wenn möglich, auf eine halbe. 8 Ob spätestens hier die Mi-
fepristondosis grundsätzlich angehoben werden sollte, muss noch weiter untersucht werden.
Auch zu dem Vorgehen bei Frauen, die bereits eine Gebärmutteroperation oder einen Kai-
serschnitt hatten, gibt es kaum Studien. 9 Das Rupturrisiko verdoppelt sich bei diesen Frauen
nach momentaner Studienlage auf 0,4 %, weswegen allgemein empfohlen wird, die Misop-
rostoldosis zu reduzieren (200 µg vaginal).
EMPFEHLUNGEN FÜR DIE MEDIKATION
Zusammenfassend lässt sich also folgendes Vorgehen bezüglich der Medikation bei Schwan-
gerschaftsabbrüchen jenseits des ersten Trimenons empfehlen (vgl. Empfehlungen der
RCOG): Der Einnahme von 200 mg Mifegyne® folgt nach 36 bis 48 Stunden die Gabe von
800 µg Cytotec® vaginal (alternativ 600 µg Cytotec® sublingual), anschließend werden alle
drei Stunden 400 µg Cytotec® oral (4x/24 h) eingenommen. Wenn nach 24 Stunden der
Abbruch noch nicht stattgefunden hat, ist eine Wiederholung des kompletten Einnahme-
schemas zu empfehlen und am zweiten Tag, nach einer erneuten Mifegyneeinnahme, eine
Gabe von 1 mg Cergem® alle drei Stunden, maximal fünfmal am Tag.
Dabei ist der individuelle Einsatz einer Nachkürettage zu erwägen, der aber nur bei unvoll-
ständiger Plazenta oder stärkerer Blutung erfolgen und dabei als Richtwert 5 bis 6 % der
Abbrüche nicht überschreiten sollte.
Der Einsatz von Opiaten zur Schmerzbehandlung sollte möglichst gering gehalten werden, da
diese häufig für viele Frauen unerwünschte Nebenwirkungen wie Müdigkeit und Wahrneh-
mungsveränderungen hervorrufen. Die Gabe eines Schmerzmittels aus der Gruppe der nicht-
steroidalen Antirheumatika (NSAR) 10, vor allem Diclofenac oder Ibuprofen, zusammen mit
dem ersten Prostaglandin ist zu empfehlen, zumal dies bei Frauen, die bislang keine Geburten
hatten, scheinbar die Induktionszeit verkürzt. Eine PDA sollte jederzeit angeboten werden.
Ab der 16. Schwangerschaftswoche sollten die Patientinnen sich entscheiden, ob sie medika-
mentös – hier ist 1 mg Cabergolin zu empfehlen – oder physikalisch abstillen möchten.
Zudem muss bei höherer Schwangerschaftsdauer, ab der 24. Schwangerschaftswoche, auch
das schwierige Thema des Fetozids mit der Patientin besprochen und eine Methode gewählt
werden.
EMPFEHLUNGEN ZU ORGANISATION UND ABLAUF IN DER KLINIK
Die Rahmenbedingungen für den medikamentösen Abbruch müssen in der Klinik grundle-
gend festgelegt, aber auch fortlaufend im Team diskutiert werden. Auch eine Abstimmung
mit niedergelassenen PränataldiagnostikerInnen aus der näheren Umgebung sollte initiiert
werden. Zudem muss geklärt werden, unter welchen Umständen den Patientinnen welche
Behandlungen angeboten werden, so beispielsweise ab wann und durch wen ein Fetozid
vorgenommen wird. Auch die Bestellung von Mifegyne, für das im Arzneimittelgesetz § 47 a
ein Sondervertriebsweg festgelegt wurde, muss in dieses Organisationsschema aufgenom-
men werden. 11
In der Praxis hat sich erwiesen, dass eine strukturierte Dokumentation des medikamentösen
Abbruchs in einer Klinik sehr wichtig ist, weil sich der Prozess über zwei bis drei Tage hin-
zieht und mehrere Personen daran beteiligt sind. Hier kann eine Checkliste hilfreich sein,
damit Fragen und Beratungen nicht mehrfach geführt oder vergessen werden.
Im Vorfeld sollte geklärt werden, welches Netzwerk im Umfeld für die Betreuung nach dem
Klinikaufenthalt zur Verfügung steht, also Adressen von Beratungsstellen und Selbsthilfe-
gruppen, spezielle Informationsmaterialien für den Trauerprozess etc. 12 Auch die Bestat-
tungsmöglichkeiten sollten geklärt werden. Es empfiehlt sich, einen speziellen Kreißsaalord-
ner anzulegen, in dem diese Informationen den Betroffenen zur Verfügung gestellt werden.
Das Anlegen einer individuellen Mappe für die Eltern mit Fotos des Babys, anderen Erinne-
rungen sowie den wichtigsten Daten zum Kind kann den Eltern im Trauerprozess helfen. 13
Zudem sollte die Klinik ein Informationsblatt entwerfen, das den Ablauf eines medikamen-
tösen Abbruchs, aber auch die Unterstützungsmöglichkeiten zusammenfasst und das evtl.
bereits von kooperierenden ÄrztInnen und Beratungsstellen an die Patientinnen weiterge-
geben wird.
Hier ein beispielhafter Ablauf eines medikamentösen Abbruchs in einer Klinik: Wenn eine
Patientin sich persönlich in der Klinik vorstellt, muss die aufnehmende Ärztin/der Arzt die
Indikation überprüfen und entscheiden, ob weitere Beratungen sinnvoll sind. Während
der prästationären Aufnahme sollten dann die Vorstellungen der Patientin bezüglich Ab-
schiednahme, hier stellt sich beispielsweise die Frage, ob die Frau den Fetus sehen möchte,
Obduktion und Bestattung besprochen und psychologische und seelsorgerische Unterstüt-
zungsmöglichkeiten vorgestellt werden. Basierend auf dem oben genannten Informations-
blatt erfolgt die Aufklärung der Patientin über den Ablauf in der Klinik und anschließend
eine körperliche und gynäkologische Untersuchung. 14 Schließlich nimmt die Patientin eine
11 Zu bestellen bei Nordic Pharma GmbH (s. Ansprechpartner/Links/Hinweise am Ende der Dokumentation).12 Hier einige Adressen aus unserem regionalen Netzwerk in Berlin für eine Betreuung nach dem Klinikaufenthalt: (Nach-)betreuende Hebammen Bund Deutscher Hebammen: www.bdh.de; Rückbildungskurse für verwaiste Mütter/ Rückbildungsgymnastik nach Totgeburt: www.tabea-ev.de; Gesprächsgruppen der Initiative Regenbogen „Glücklose Schwangerschaft“ e.V.: www.initiative-regenbogen.de; Ver-waiste Eltern Berlin e.V.: www.vegb.de; Wir Eltern in Europa: www.wireltern.eu; EFEU e.V. „Alter St.-Matthäus-Kirchhof“ „Garten der Sternenkinder“ Berlin-Schöneberg: www.efeu-ev.de/sternk2.html.13 z. B. erhältlich über Initiative REGENBOGEN „Glücklose Schwangerschaft“ e.V.14 Eine vaginale Untersuchung mit Sonographie, Festlegung der SSW und Tag, Plazentasitz, Ausgangs-Hb. Abstriche E+R und Chla-mydien meist von ambulant vorliegend, bei Unsicherheit Prophylaxe (1x1g Metronidazol vaginal (Arilin Rapid) oder 2g p.o. und 1x1g Azithromycin oral). Bei Plazenta prävia ist Fetozid zu diskutieren. Aufklärung über Kürettage, Diskussion der Anästhesievorstellungen.
8 Eine der wenigen Studien für Abbrüche nach der 24. SSW: Wagaarachchi et al. 2002. Das Ergebnis war eine durchschnittliche Induktionszeit von 8,5 h bei folgendem Regime: 200 mg Mifepriston, nach 24–48 h 200 µg Misoprostol vaginal, 3-stündlich 200 µg oral (100 µg für > 34. SSW).9 Goyal 2009; Berghella et. al 2009.10 Prophylaktisch können z. B. direkt 50–100 mg Diclofenac (supp.) oder 600 mg Ibuprofen p.o. gegeben werden und als Bedarfsme-dikation alle 6–8 h Perfalgan, Dipidolor/Codein i. v. Fiala et al. 2005.
DR. B . KOTHÉ , O B E R Ä R Z T I N A M V I VA N T E S H U M B O L D T- K L I N I K U M , B E R L I N VORGEHEN BE IM MEDIKAMENTÖSEN SCHWANGERSCHAFTSABBRUCH
JENSE ITS DES ERSTEN TR IMENONS : STATUS QUO UND EMPFEHLUNGEN
18 19
angebot nicht kontrolliert werden kann.
FrauenärztInnen werden zudem weder während ihres Studiums noch während der Facharzt-
ausbildung auf dieses Themenfeld ausreichend vorbereitet und nicht einmal innerhalb der
Spezialisierungen auf Reproduktionsmedizin oder Perinatalmedizin spielt der Schwanger-
schaftsabbruch eine Rolle.
Unter ökonomischen Aspekten führt das Angebot von Schwangerschaftsabbrüchen für eine
Klinik eher zu einem Imageverlust, was beim operativen Eingriff aufgrund der finanziel-
len Anreize vielleicht noch ausgeglichen werden kann, nicht aber beim finanziell deutlich
schlechter gestellten medikamentösen Eingriff.
Am momentanen Stand der Dinge scheint es nur möglich, auf regionaler Ebene zu beginnen
und dort Strukturen und Netzwerke zu schaffen, innerhalb derer der medikamentöse Ab-
bruch zumindest an einzelnen Institutionen entsprechend dem aktuellen Forschungsstand
durchgeführt werden kann. Mittelfristig sollte dieses Vorgehen allerdings institutionalisiert
werden. Wichtig wäre hier die Entwicklung von Leitlinien, um einen professionellen Umgang
mit dem medikamentösen Schwangerschaftsabbruch flächendeckend zu gewährleisten.
Tablette Mifegyne® unter ärztlicher Aufsicht und wird nach Hause entlassen. Idealerweise
erfolgt die prästationäre Aufnahme mit Mifegyneeinnahme um die Mittagszeit und die Wie-
dervorstellung am übernächsten Morgen zur stationären Aufnahme (im Einzelzimmer oder
Kreißsaal, evtl. mit Begleitperson) mit dem oben bereits dargelegten medikamentösen Proce-
dere. Hebammen oder speziell geschultes Pflegepersonal und ein Arzt/eine Ärztin begleiten
die Geburt und Abschiednahme.
Nach dem Schwangerschaftsabbruch sollte die Patientin Hilfestellung für die Trauerarbeit
erfahren und nochmals über die psychosoziale Beratung und Selbsthilfegruppen außerhalb
des Krankenhauses sowie die Bestattungsmöglichkeiten informiert werden. Vor der zumeist
ambulanten Entlassung sollte die Patientin auch noch über weitere Verhütungsstrategien
aufgeklärt werden. 15
AUSBLICK
Frauen sind weltweit damit konfrontiert, dass ihr Zugang zum Schwangerschaftsabbruch
durch Gesetze und Zulassungsbestimmungen geregelt, aber auch durch fraglich qualifizier-
tes Personal weiter eingeschränkt wird. In Deutschland ist der Schwangerschaftsabbruch
über die §§ 218 und 219 des Strafgesetzbuches und das Schwangerschaftskonfliktgesetz so-
wie die Zulassungsgesetze und die Haltung der Ärzteschaft geregelt. Die letzte Änderung
des Schwangerschaftskonfliktgesetzes trat zum 01. Januar 2010 in Kraft und schreibt bei
der medizinischen Indikation eine dreitägige Wartefrist zwischen Indikationsstellung und
Diagnose sowie einen verbindlichen Hinweis durch die Ärztin/den Arzt auf die Möglichkeit
einer psychosozialen Beratung vor. Diese neuen Regelungen haben bei der Ärzteschaft einer-
seits zu Verunsicherungen, auch aufgrund juristischer Unklarheiten, geführt, andererseits
einen enormen verwaltungstechnischen Aufwand erzeugt – es sollen beispielsweise mehrere
Formulare gemeinsam mit der Patientin in einer extrem sensiblen Situation unterschrieben
werden. Ein positiver Effekt dieser neuen Regelungen wäre sicherlich, wenn eine Intensivie-
rung der psychosozialen Beratung gerade bei pränataldiagnostischem Befund in Gang käme.
Allerdings sind die Ausbildungscurricula für eine gute Beratung in diesem Feld sehr lang, sie
umfassen in Berlin zum Beispiel immerhin zweieinhalb Jahre, und eine Vergütung dieser zu-
sätzlichen Qualifizierung ist im Gesetz nicht vorgesehen. Dieses Gesetz könnte andererseits
auch dazu führen, dass die Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen nach dem ersten
Trimenon in Deutschland künftig zusätzlich erschwert wird und sich mehr und mehr Frau-
en gezwungen sehen, für einen Abbruch nach der 14. Woche ins Ausland zu gehen. Schon
heute reisen laut holländischer Statistik 1.200 deutsche Frauen jährlich in die Niederlande. 16
Der Anteil der Abbrüche jenseits der 13. Schwangerschaftswoche an allen Schwangerschafts-
abbrüchen, der in Deutschland bei nur 1,9 % liegt, im übrigen Europa hingegen bei 3 bis 6 %
und weltweit sogar bei ca. 10 bis 15 %, ist also realiter deutlich nach oben zu korrigieren.
Probleme ergeben sich zudem aus dem in § 219 a festgelegten Werbeverbot für Schwanger-
schaftsabbrüche, wodurch auch wichtige Informationen zu den an den einzelnen Institutio-
nen angebotenen Therapien nicht öffentlich zugänglich gemacht werden können, was eine
freie Therapiewahl der Patientinnen behindert.
Auch das individuelle Recht der Ärztin/des Arztes auf Verweigerung des Schwangerschafts-
abbruchs erschwert den Zugang, da es keine Übersicht über die Anzahl der ÄrztInnen gibt,
die regional einen Abbruch durchführen, und demnach auch das regionale Dienstleistungs-
LITERATUR
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15 Der Zeitpunkt des nächsten Eisprungs differiert stark (10 Tage bis mehrere Wochen nach dem Abbruch). Das Legen eines IUP ist je nach SSW im Intervall möglich.16 Willems 2001.
DR. B . KOTHÉ , O B E R Ä R Z T I N A M V I VA N T E S H U M B O L D T- K L I N I K U M , B E R L I N VORGEHEN BE IM MEDIKAMENTÖSEN SCHWANGERSCHAFTSABBRUCH
JENSE ITS DES ERSTEN TR IMENONS : STATUS QUO UND EMPFEHLUNGEN
20 21
DR . B . KOTHÉ , Vivantes Humboldt-Klinikum,
Berlin: „Es gibt noch immer große Kliniken
in staatlicher Trägerschaft, die Mifegyne®
nicht anwenden, obwohl dies Teil ihres Ver-
sorgungsauftrags sein sollte. Hier wünsche
ich mir für die Zukunft eine deutliche Ver-
besserung. Ein großes Problem stellt auch
die Ignoranz der Pränataldiagnostik gegen-
über der professionellen Durchführung von
Schwangerschaftsabbrüchen dar. Bei den
Abbrüchen jenseits des ersten Trimenons
kommt es auch deswegen häufig zu Abwan-
derungen ins Ausland.
In der Praxis sollte die Vernetzung zwischen
BeraterInnen und ÄrztInnen vorangetrieben
werden, um Informationen über die unter-
schiedlichen Therapien und Therapieange-
bote in der Region auszutauschen. Die Bil-
dung eines Netzwerks bekommt auch durch
eine Veranstaltung wie der heutigen positive
Impulse. Außerdem sind der individuelle
Einsatz der BeraterInnen, die Kontaktauf-
nahme und -pflege zu den regional in die-
sem Bereich tätigen ÄrztInnen und Kliniken
wichtige Bausteine für eine Verbesserung
des Zugangs zum Schwangerschaftsabbruch,
insbesondere auch bei Abbrüchen jenseits
der 14. Woche. Von ärztlicher Seite aus soll-
te eine Standardisierung der Therapie über
Leitlinien und die Anpassung der Ausbil-
dungscurricula angestrebt werden.
Problematisch ist der Umgang mit einem
Abbruch im zweiten Trimenon bei ungewoll-
ten Schwangerschaften, also beispielsweise
bei jungen Mädchen, die eine Schwanger-
schaft erst jenseits der 14. Woche bemer-
ken, oder bei Frauen mit psychosozialen
Konflikten. Diese Frauen werden, wenn sie
einen Schwangerschaftsabbruch wünschen,
von ihren ÄrztInnen zumeist bestenfalls aufs
Ausland verwiesen. In den wenigen Fällen,
in denen Frauen dann mit einer so begründe-
ten medizinischen Indikation zum Abbruch
in eine Klinik in Deutschland kommen, sind
die Kliniken schlecht auf die spezielle emoti-
onale Lage dieser Frauen vorbereitet. Zudem
bietet keine Klinik in Deutschland operative
Eingriffe für den Schwangerschaftsabbruch
im zweiten Trimenon an.“
LILIA RJASANOW, Ärztin, pro familia Mainz:
„Bei uns in Mainz setzt sich Mifegyne® lei-
der nur sehr langsam und schlecht durch.
Wir bieten den medikamentösen Abbruch
nun seit zehn Jahren an und bei ca. 1000
Abbrüchen im Jahr ist der Anteil der medi-
kamentösen Therapie von 2 % im Jahr 2000
auf nur 3,6 % 2009 gestiegen. Für mich ist
Mifegyne weder besser noch schlechter
als eine andere Methode zum Schwanger-
schaftsabbruch, aber sie sollte den Frauen
auf alle Fälle angeboten werden. Ich habe
den Eindruck, dass viele Frauen Mifegyne®
ablehnen, weil der Zeitaufwand höher ist.“
DR. CHRISTIAN FIALA , Gynmed Ambulato-
rium, Wien und Salzburg: „Es gibt noch immer
viele Hürden für die Durchsetzung des me-
dikamentösen Schwangerschaftsabbruchs.
Dies wird deutlich, wenn man beispielswei-
se die Markteinführung eines Präparats wie
Viagra betrachtet, die von einem enormen
Interesse in Forschung wie Öffentlichkeit
begleitet wurde, während Mifegyne®, ein
Medikament mit extrem großem Potential,
nur schleichend Anerkennung findet. Es
gibt auch wenige wissenschaftliche Studien
zu Mifegyne®, so muss ich selbst für meine
Forschungen nach Stockholm fahren. Die
größte Hürde, nicht nur in Deutschland,
sondern weltweit, ist eine in unserer Gesell-
schaft offensichtlich noch weit verbreitete
Denkweise, die den Frauen eine selbständige
Entscheidung über ihre Fruchtbarkeit ver-
wehrt. Auch die Änderungen zum Schwan-
gerschaftskonfliktgesetz in Deutschland sind
Ausdruck dieser Bevormundung, denn im
Grunde – dies zeigten auch die Diskussionen
rund um die Einführung der Gesetzesno-
velle – geht es auch dort nicht um ein Mehr
an Beratung, sondern um ein Mehr an ge-
sellschaftlicher Kontrolle über die Entschei-
dung der betroffenen Frauen.
Aus dieser Situation folgt als ein zentrales
Ziel für die Zukunft, Mifegyne für Frauen
frei verfügbar zu machen, um ihnen so ihre
Selbstbestimmung in einer Entscheidung,
die ausschließlich ihren Körper angeht, zu-
rückzugeben.
Für Deutschland – und meines Wissens nach
nur dort – besteht noch eine zusätzliche
Hürde: Aufgrund des Werbeverbots können
Informationen zum Schwangerschaftsab-
bruch nur sehr begrenzt öffentlich zugäng-
lich gemacht werden. So werden Frauen
wichtige Informationen vorenthalten und
ihre Wahlmöglichkeiten dadurch faktisch
stark beschnitten. Um dieses Defizit abzu-
mildern, stellen wir auf der Homepage von
Gynmed sowie auf einer speziellen Homepa-
ge zum Abbruch (www.abtreibung.at) auch
Deutschland und die Schweiz betreffende
Informationen zur Verfügung. Hier bin ich
für Feedback und Anregungen dankbar.“
MARTIN KESSEL , Geschäftsführer Contragest
Gmbh, Mörfelden-Walldorf: „Insgesamt haben
wir in den letzten 30 Jahren viele unserer
Ziele erreicht: Der Schwangerschaftsabbruch
ist in Deutschland eine praktikable Opti-
on geworden und in gewisser Weise gesell-
schaftliche „Normalität“.
Den medikamentösen Abbruch gibt es in
Deutschland nun seit zehn Jahren, wobei
er sich bei uns weniger schnell durchgesetzt
hat als in anderen Ländern: Die Rate der
medikamentösen Abbrüche mit Mifegyne®
in Deutschland lag im vergangenen Jahr bei
12 bis 15 %. Laut Statistischem Bundesamt
hatten wir 2009 in Deutschland ca. 110.700
gemeldete Schwangerschaftsabbrüche, da-
von ca. 15.500, also 14 %, mit Mifegyne®,
was mit unseren Zahlen von 17.888 im Jahr
2009 verkauften Packungen ungefähr über-
einstimmt.
Ca. 800 ÄrztInnen beziehen das Medika-
ment bundesweit und damit eine recht be-
trächtliche Anzahl von Nutzern. Dabei feh-
len beispielsweise Geburtsabteilungen von
Krankenhäusern, die Mifegyne für bestimm-
te Indikationen, so für den fetalen Tod, ein-
setzen könnten, noch völlig. Hier scheinen
noch Tabus zu herrschen, die nichts mit
evidenzbasiertem Handeln zu tun haben.
Daran muss, denke ich, gearbeitet werden.
Frauen mit einem abgestorbenen Fetus im
zweiten Trimenon im Leib müssten dann
weniger unnötig leiden. Zu den seelischen
Leiden gibt es vermeidbare körperliche Qua-
len bei den betroffenen Frauen.
Herstellung und Vertrieb von Mifegyne sind
ein gesellschaftlich stark umstrittenes The-
ma, weswegen alle großen Pharmakonzerne,
wie Hoechst, Gedeon Richter und Hexal,
sich sehr schnell daraus zurückgezogen ha-
ben oder erst gar nicht in den Vertrieb ge-
gangen sind. Weltweit haben kleine Firmen
den Vertrieb von Mifegyne übernommen,
in Deutschland die Firma Contragest. Über
zehn Jahre hinweg haben wir bei Contragest
die Versorgung mit Mifegyne sichergestellt.
So haben wir in den vergangenen zehn Jah-
ren den Vertrieb von Mifegyne in einer ak-
zeptablen Form gewährleist und damit auch
eine gesellschaftspolitische Aufgabe erfüllt.
Ab Ende April 2010 wird es allerdings zu ei-
ner Änderung kommen, da die französische
Herstellerfirma von Mifegyne, Exelgyn, be-
schlossen hat, den Vertrieb des Produktes
in Deutschland in die eigene Firmengruppe
zu re-integrieren und an Nordic Pharma
GmbH zu übergeben. Wir werden unsere
Nachfolgerfirma noch in das recht spezielle
und komplizierte Vorgehen bei der Abgabe
dieses Medikaments einarbeiten. Ich hoffe,
dass trotz dieser Änderung die Versorgung in
Zukunft weiter in gewohnter Art gewährleis-
tet bleibt.
ZUSAMMENFASSUNG DER STATEMENTS ZU:„QUO VADIS MIFEGYNE – WIE SOLL ES WEITER-GEHEN, WAS KANN VERBESSERT WERDEN?“
„QUO VADIS MIFEGYNE – WIE SOLL ES WE ITER -
GEHEN , WAS KANN VERBESSERT WERDEN?“
ZUSAMMENFASSUNG DER STATEMENTS
22 23
Was die künftige Entwicklung angeht, wer-
den voraussichtlich in den nächsten zehn
Jahren Generika zu Mifegyne® auf den eu-
ropäischen Markt kommen. Das Patent ist
längst frei und in Indien und China gibt es
bereits Generika. Der medikamentöse Ab-
bruch mit Mifegyne wird also wahrschein-
lich in Zukunft finanziell günstiger werden,
dies auch im Vergleich zum chirurgischen
Abbruch.
Die Durchsetzung der Methode des medika-
mentösen Abbruchs in Westeuropa deutet
auf eine Stabilisierung und Normalisierung
im Umgang mit diesem Vorgehen hin. Den-
noch ist weiteres Engagement in diesem
Bereich nötig, um die staatlichen Kontroll-
möglichkeiten auf das nötigste Maß der Arz-
neimittelsicherheit zu begrenzen und ganz
konkret beispielsweise die Einführung von
Generika auf dem europäischen Markt zu
beschleunigen.“
DR. INES THONKE , Bundesverband pro
familia, Frankfurt: „pro familia befasst sich
jetzt seit fast 25 Jahren mit dem medika-
mentösen Schwangerschaftsabbruch. Schon
1992 fand im Verband die erste große in-
ternationale Fachdebatte zu diesem Thema
statt. Seit dieser Zeit hat sich pro familia mit
unterschiedlichen Veranstaltungen und Pu-
blikationen für die Einführung von Mifegy-
ne und zusätzliche vertiefende Forschungen
eingesetzt. Wesentliche Triebfedern dabei
waren zum einen die Forderung nach einer
Versorgung, die internationalen Standards
entspricht, zum anderen die Umsetzung der
Wahlfreiheit zwischen instrumenteller und
medikamentöser Abbruchmethode. Als Mi-
fepriston 1999 in Deutschland zugelassen
wurde, haben wir die Einführung mit einem
Modellprojekt begleitet, um Fachkräfte in
Fortbildungen für die Anwendung der neu-
en Methode zu schulen. Seit der Zulassung
von Mifegyne konnte einiges bewegt und
verbessert werden. So wurde die Vergütung
des medikamentösen Abbruchs angehoben;
das war wichtig, damit die Entscheidung für
eine Methode unabhängig von finanziellen
Erwägungen getroffen werden kann – von
ÄrztInnen wie Frauen. Außerdem konnte
eindeutig geklärt werden, dass ein Off-Label-
Use von Cytotec für die ÄrztInnen bei do-
kumentierter Aufklärung keine rechtlichen
Risiken birgt, da die medizinischen Vorteile
für die Anwendung dieses Wirkstoffs beim
medikamentösen Abbruch in zahlreichen
Studien erwiesen sind, was auch in internati-
onale evidenzbasierte Leitlinien aufgenom-
men wurde.
Allerdings gibt es vor allem in ländlichen
Gebieten noch immer Versorgungsengpässe.
Diese gilt es, zu beheben. Unser Ziel ist nicht,
den medikamentösen Abbruch gegenüber
anderen Methoden zu favorisieren, sondern
die freie Methodenwahl für die Patientinnen
bundesweit durchzusetzen. In Deutschland
ist die Akzeptanz des medikamentösen Ab-
bruchs im europäischen Vergleich relativ ge-
ring, das haben wir heute mehrfach gehört.
Der Beitrag, den wir zu einer höheren Akzep-
tanz leisten können, ist die Bereitstellung von
Informationen, die Beseitigung von Hürden
und die Aufrechterhaltung und Vernetzung
der kontinuierlichen Fachdebatte. Dabei
müssen wir insbesondere auch bei den Gy-
näkologInnen ansetzen, da viele Frauen den
Empfehlungen ihrer ÄrztInnen folgen. Der
Zugang zu Informationen ist essentiell für
ratsuchende Frauen und für Professionelle
im Dienstleistungssektor Schwangerschafts-
abbruch. Die gesetzlichen Regelungen zum
Werbeverbot für den Schwangerschaftsab-
bruch durch den § 219a StGB haben allge-
mein zu starken Verunsicherungen geführt,
ob und welche Informationen zum Abbruch
bereitgestellt werden dürfen. pro familia hat
hier einen besonderen Auftrag.
Für die nahe Zukunft sehe ich als wichtige
Aufgabe zudem, die Anwendung von Cyto-
tec im häuslichen Umfeld, also ohne ärztli-
che Aufsicht, trotz juristischer Probleme in
Deutschland zu ermöglichen. Umfassende
internationale Erfahrungen und Studien be-
legen die Sicherheit und die hohe Akzeptanz
eines solchen Vorgehens, so dass es auch in
Deutschland Standard werden sollte, Frauen
zwischen der Einnahme in einer medizini-
schen Einrichtung und im häuslichen Um-
feld wählen zu lassen.
Zum Schwangerschaftsabbruch im zweiten
Trimenon möchte ich auf die vielschichti-
ge gesellschaftliche Diskussion hinweisen:
Menschen mit Behinderung sehen ihre
Rechte durch die Möglichkeiten der vorge-
burtlichen Diagnostik und ihrer Implika-
tionen unmittelbar bedroht. Behinderten-
verbände und Selbsthilfegruppen haben
sich insbesondere bei der Gesetzesnovelle
zum Schwangerschaftskonfliktgesetz enga-
giert und werden auch bei der in Zukunft
anstehenden Umsetzung zu diesen wichti-
gen Themen sensibilisieren. Unsere Aufgabe
liegt darin, klarzustellen, dass es auch beim
Schwangerschaftsabbruch in der fortge-
schrittenen Schwangerschaft nicht um eine
Diskriminierung von Menschen mit Behin-
derung geht, sondern um die Wahrung der
Rechte und der gesundheitlichen Integrität
der einzelnen Frau.“
„QUO VADIS MIFEGYNE – WIE SOLL ES WE ITER -
GEHEN , WAS KANN VERBESSERT WERDEN?“
ZUSAMMENFASSUNG DER STATEMENTS
24 25
ZUDEM WURDEN FOLGENDE EMPFEHLUN-
GEN AUSGESPROCHEN:
• Die Entwicklung von Netzwerken zwi-
schen ÄrztInnen und BeraterInnen sollte
gefördert werden, um den Patientinnen
möglichst umfassende und aktuelle Infor-
mationen zur Verfügung zu stellen.
• Die Entwicklung von evidenzbasierten
Leitlinien zum medikamentösen Schwan-
gerschaftsabbruch sollte vorangetrieben
werden.
• Der medikamentöse Schwangerschaftsab-
bruch sollte Teil der medizinischen Ausbil-
dungscurricula werden.
• Der komplikationslose Vertriebsweg von
Mifegyne®, der ab April 2010 in Deutsch-
land nicht mehr Contragest sondern Nordic
Pharma obliegt, muss gewährleistet blei-
ben.
• Die Versorgung der Frauen beim Schwan-
gerschaftsabbruch bei medizinischer Indi-
kation nach der 14. Schwangerschaftswoche
kann durch den Einsatz von Mifepriston
wesentlich verbessert werden. Es sollten
auch für diesen Eingriff Leitlinien erarbei-
tet werden, die die neuesten Erkenntnisse in
diesem Bereich berücksichtigen.
FORSCHUNGS- UND KLÄRUNGSBEDARF
BESTEHT IM ZUSAMMENHANG MIT DEM
MEDIKAMENTÖSEN ABBRUCH IN FOLGEN-
DEN PUNKTEN:
• Muss die Mifegynegabe bei Erbrechen in-
nerhalb einer Stunde wiederholt werden?
• Rechtliche Klärung der Anwendung von
Cytotec® zu Hause.
• Sind Immunglobulingaben bei Rh-negati-
ven Frauen beim frühen Schwangerschafts-
abbruch notwendig?
• Weitere Anwendungsmöglichkeiten von
Mifegyne.
DIE KOMBINATIONSTHERAPIE MIT MIFE-
PRISTON (MIFEGYNE®) UND MISOPROS-
TOL (CYTOTEC®) IST FÜR MEDIKAMENTÖ-
SE ABBRÜCHE DIE BESTE THERAPIE – DIES
WURDE IN ZAHLREICHEN INTERNATIONA-
LEN STUDIEN BELEGT.
DABEI SIND BEI DER ANWENDUNG DIESER
THERAPIE FOLGENDE PUNKTE ZU BEACH-
TEN:
• Misoprostol (Cytotec®) ist unter den
Prostaglandinen beim medikamentösen
Schwangerschaftsabbruch das Mittel der
Wahl und aufgrund seiner geringeren Ne-
benwirkungen auch Gemeprost (Cergem®)
vorzuziehen. Die Zulassung von Mifegyne®
in Kombination mit Cergem® in der EU be-
ruht auf rein formaljuristischen Gründen,
weil der Hersteller von Cytotec® für diese
Indikation keine Zulassung beantragt.
• Die Zulässigkeit des Off-Label-Use von
Misoprostol (Cytotec®) beim medikamen-
tösen Abbruch in Deutschland ist eindeutig
geklärt – wenn ÄrztInnen ihre Patientinnen
über den Off-Label-Use aufgeklärt und die-
se eingewilligt haben, „sind nach aktueller
juristischer Einschätzung keine Auswirkun-
gen auf den Deckungsschutz der Berufshaft-
pflichtversicherung des Arztes/der Ärztin zu
befürchten, da Cytotec® nach gesicherten
wissenschaftlichen Erkenntnissen angewen-
det wird“ (Thonke I. 2008, siehe Ansprech-
partner/Links/Hinweise am Ende der Doku-
mentation).
• Zahlreiche Studien und Anwendungsbei-
spiele belegen, dass die Einnahme von Cyto-
tec® zu Hause (Home-Use) bis zur neunten
Woche sicher ist und eine hohe Akzeptanz
bei Frauen erzielt.
• Das Alter der Frau und Rauchen sind nach
der Zulassung von Mifegyne® bis zum 63.
Tag p. m. durch die EMEA von 2007 keine
Kontraindikationen mehr.
• Niedrigere Dosierungen von Mifegyne®
beim medikamentösen Abbruch sind zwar
preiswerter, erfordern aber ggf. höhere Do-
sen Prostaglandine, die mit mehr Nebenwir-
kungen verbunden sind, sind also nicht zu
empfehlen.
• Es gibt kein unteres Gestationslimit für
den medikamentösen Schwangerschaftsab-
bruch.
• Eine zum Schwangerschaftsabbruch ent-
schiedene Frau, bei der die Schwangerschaft
im Ultraschall noch nicht sichtbar, aber über
den hCG-Wert nachweisbar ist, sollte um-
gehend nach § 219 beraten werden, da ein
medikamentöser Abbruch unkomplizierter
verläuft, je früher er vorgenommen wird.
• Der medikamentöse Abbruch mit Mife-
gyne® ist von einem Spontanabort nicht zu
unterscheiden (wichtig für Patientinnen aus
Ländern, in denen der Schwangerschaftsab-
bruch noch unter Strafe gestellt ist).
• Mifegyne® kann sehr erfolgreich für das
Cervix-Priming vor einem chirurgischen
Schwangerschaftsabbruch in der 11. bis 14.
Woche eingesetzt werden.
RESÜMEE: WAS IST BEIM MEDIKAMENTÖSENSCHWANGERSCHAFTSABBRUCH IM SINNE DERBETROFFENEN FRAUEN ZU BEACHTEN?
Die Zusammenfassung wurde basierend auf den Ergebnissen
des Fachtages erarbeitet von den pro familia-Ärztinnen
Helga Brenneis, Ruth Gottwald, Katharina Rohmert,
Hannelore Sonnleitner-Doll, Bettina Witte de Galbassini
WAS I ST BE IM MEDIKAMENTÖSEN SCHWANGERSCHAFTSAB-
BRUCH IM S INNE DER BETROFFENEN FRAUEN ZU BEACHTEN?
RESÜMEE
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Dr. med. Dr. phil. Christian Fiala
Gynmed Ambulatorium
Mariahilfergürtel 37
A-1150 Wien
Tel. +43 (0)699-15 97 31 90
Mail: [email protected]
www.gynmed.at / www.abtreibung.at
Herr Dr. Fiala, geboren 1959, ist Arzt für Allgemeinmedizin und Facharzt für Frauenheil-
kunde und Geburtshilfe mit internationalen Berufserfahrungen. Bereits seit seinem Medi-
zinstudium in Innsbruck engagierte er sich in der Familienplanung, sowohl in Österreich
als auch international. Sein beruflicher Schwerpunkt liegt seit 2002 auf der Betreuung und
Behandlung von Frauen mit einer ungewollten Schwangerschaft. Seit 2003 ist er ärztlicher
Leiter des Gynmed Ambulatoriums in Wien, seit 2005 leitet er auch eine Gynmed Ambu-
lanz an den Salzburger Landeskliniken. 2005 promovierte er an der Universitätsklinik Ka-
rolinska Stockholm über das Thema: „Improving medical abortion“ (PhD). 2007 gründete
er das Museum für Verhütung und Schwangerschaftsabbruch in Wien, das er seither leitet
(www.muvs.org). Von 2002 bis 2008 war er Vorsitzender der Internationalen Vereinigung
von Fachkräften und Verbänden zu Schwangerschaftsabbruch und Kontrazeption, FIAPAC
(www.fiapac.org). Er arbeitet im “Special Programme of Research, Development and Re-
search Training in Human Reproduction” der WHO in Genf mit. Zudem engagiert er sich
mit zahlreichen Veröffentlichungen zu Verhütung und Schwangerschaftsabbruch in nati-
onalen und internationalen Medien und Fachpublikationen und ist auf Kongressen und
Fachtagen präsent.
Dr. med. B. Kothé
Oberärztin Klinik für Gynäkologie und Geburtsmedizin
Babyfreundliches Krankenhaus der WHO/UNICEF
Schwerpunkt Gynäkologische Onkologie
Endometriosezentrum Berlin Stufe III
Vivantes Humboldt-Klinikum
Am Nordgraben 2, 13509 Berlin
Tel: +49 (0)30-130 12 1261 / Fax: +49 (0)30-130 12 1262
Frau Dr. Kothé, Jahrgang 1974, ist seit 2009 Oberärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe
am Vivantes Humboldt-Klinikum in Berlin. Zuvor war sie an anderen Kliniken in Deutsch-
land und den Niederlanden tätig. Sie ist beim Berliner Runden Tisch zu FGM und zur „Pille
danach“ engagiert, ebenso in der Arbeitsgemeinschaft gynäkologische Onkologie und dem
Arbeitskreis Pränataldiagnostik in Berlin, der Arbeitsgemeinschaft für Zervixpathologie
und Kolposkopie und der Deutschen Krebsgesellschaft. 2008 gehörte sie dem Organisati-
onsteam für den FIAPAC-Kongress in Berlin an. Sie hat zahlreiche Fachpublikationen im
Themenfeld Gynäkologie und Geburtshilfe verfasst und hält immer wieder Vorträge in
ihrem Fachgebiet
Anregungen und Feedback zum Thema sind erwünscht!!
AnsprechpartnerInnen:
Brigitte Ott, pro familia Landesverband Hessen
Mail: [email protected]
Dr. Christian Fiala, Gynmed Ambulatorium Wien-Salzburg
Mail: [email protected]
Spezialinformationen im Internet:
www.profamilia.de
www.abtreibung.at
www.misoprostol.org
www.abortionfilms.org
pro familia-Expertise von Dr. Christian Fiala 2008: Schwangerschaftsabbruch mit Mifepris-
ton und Misoprostol. Fachinformationen für FrauenärztInnen und BeraterInnen
(URL: http://www.profamilia.de/shop/download/263.pdf (01.11.2010))
Thonke I. 2008. Zulassungsänderung für Mifegyne. Immer noch unbefriedigende Situation
für Ärzte und betroffene Frauen. Frauenarzt 49(9): 796–9
(URL: http://www.frauenarzt.de/1/2008PDF/08-09/2008-09-thonke.pdf (01.11.2010))
Bestelladresse für Mifegyne®:
Nordic Pharma GmbH
Dr. Thomas Müller, Produktspezialist
Fraunhoferstraße 4
85737 Ismaning
Tel.: +49 (0)89-88 96 90 68-41
Fax: +49 (0)89-88 96 90 68-91
Mobil: +49 (0)151-27 54 45 95
Mail: [email protected]
REFERENT/REFERENTIN ANSPRECHPARTNER/LINKS/HINWEISE
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pro familia Landesverband HessenPalmengartenstraße 1460325 Frankfurt am MainTel.: +49 (0)69-44 70 61Fax: +49 (0)69-49 36 [email protected]/hessen
Her
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