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19.05.2008D.1 Theorien über Entwicklungs- und
Lernprozesse und ihre Beeinträchtigungen
Themenblock III:Ausgewählte Beeinträchtigungen und Möglichkeiten ihrer Beobachtung und Dokumentation
Autismus und Autismusdiagnostik
Das Autismus-SpektrumSchematische Darstellung
Das Autismus-Spektrum In der klinischen Praxis werden meist die folgenden
Formen von Autismus unterschieden: Frühkindlicher Autismus (niedrig- vs. hochfunktional) Atypischer Autismus Asperger-Syndrom
Gemeinsamkeiten eingeschränkte soziale Interaktion, eingeschränkte Kommunikation (v.a. nonverbal), repetitive Verhaltensmuster (Stereotypien). Je nach Intensität der Ausprägung werden betroffene
Personen innerhalb dieses Spektrums eingeordnet.
Inselbegabung ca. 10% „Savants“
Asperger-Syndrom vs. Frühkindlicher Autismus
Frühkindlicher Autismus (Kanner-Syndrom)
Asperger-Syndrom
erste Auffälligkeiten meist in den ersten Lebensmonaten
markante Auffälligkeiten etwa vom 3. Lebensjahr an
Blickkontakt zunächst oft fehlend, später selten, flüchtig, ausweichend
selten, flüchtig
Sprache
später Sprachbeginn, häufig sogar Ausbleiben einer Sprachentwicklung (etwa 50%)
stark verzögerte Sprachentwicklung
früher Sprachbeginn
rasche Entwicklung einer grammatischen und stilistischen hoch stehenden
Sprache
Sprache die Sprache hat anfänglich keine kommunikative Funktion
Die Sprache hat immer eine
kommunikative Funktion, die allerdings gestört ist (Spontanrede)
Intelligenz meist erhebliche eingeschränkte intellektuelle Leistungen, charakteristische Intelligenzstruktur
gute bis überdurchschnittliche intellektuelle Leistungen, Intelligenzschwäche selten
Motorik keine Einschränkungen, sofern nicht eine zusätzliche Erkrankung vorliegt
Auffällige Motorik: Motorische Ungeschicktheit, grob- und feinmotorische Koordinationsstörungen, ungelenke und linkische Motorik
Asperger-Syndrom vs. Frühkindlicher Autismus
Das Autismus-SpektrumUnterscheidung der Autismusformen
Frühkindlicher Autismus (hoch-funktional) Ausprägungsgrade für Laien nur schwer von der Normalität
unterscheidbar, normale bis hohe Intelligenz, tw. Hochbegabung, häufig motorische Störungen (Koordination), Probleme beim Verstehen von Metaphern.
Asperger-Syndrom normale bis hohe Intelligenz, tw. Hochbegabung extreme Ichbezogenheit eingegrenzte Interessen repetitive Routinen nonverbale Kommunikationsprobleme motorische Unbeholfenheit.
Epidemiologie und Prävalenz
Frühkindlicher Autismus: 0,5% 4:1-Verhältnis von Jungen und Mädchen
Asperger-Syndrom: ca. 1,5% der Bevölkerung 4:1- bis 8:1-Verhältnis zuungunsten der Jungen
Keine systematischen Studien zur Häufung von atypischem Autismus.
PrognoseLangzeitverlauf
Autistische Störungen gehören nach dem Schwerbehindertenrecht zur Gruppe der psychischen Störungen
Grad der Behinderung: 50-80% beim Typ Asperger oder hoch-funktionalen A. 100% beim niedrig-funktionalen und atypischen A.
Besserung des Symptombilds ca. 10-15% der Menschen mit frühkindlichem Autismus
erreichen eine eigenständige Lebensführung Entwicklungsprozess von Menschen mit Asperger-Syndrom
wird mit der Erstellung eines Puzzles verglichen „Rätsel des Sozialverhaltens“ kann gelöst werden.
PrognoseLangzeitverlauf
Beschulung richtet sich nach Intelligenz, Sprachentwicklung und dem Ausprägungsgrad
Bei normaler Intelligenz- und Sprachentwicklung: Regelbeschulung, reguläre Berufsausbildung/Studium, Problem: hohe soziale Anforderungen der heutigen
Arbeitswelt
Bei geringer Intelligenz und Sprachentwicklungsstörungen: Lernhilfe-Schule Werkstatt für Menschen mit Behinderungen
Diagnostik bei Verdacht auf Autismus-Spektrum-Störungen (ASS)
Besteht eine autistische Störung? Auffälligkeiten im Sozialverhalten Auffälligkeiten in der Kommunikation/Sprache Auffälligkeiten in Stereotypien und Wunsch nach Gleichem
Wie ist der Entwicklungsstand und die Intelligenz? normal oder verzögert Spezielle Defizite und Fähigkeiten Intelligenzprofil
Diagnostik bei Verdacht auf Autismus-Spektrum-Störungen (ASS) Welche Zusatzprobleme bestehen?
Organische Auffälligkeiten, z.B. Hören und Sehen Schlafprobleme, Essprobleme etc. Aufmerksamkeitsstörungen Sensorische und motorische Auffälligkeiten
Welche frühen Anzeichen gibt es? Warnzeichen Fähigkeiten und Defizite
Wie ist das soziale Umfeld? Familiengeschichte Geschwisterposition Erziehungsstil
Diagnoseinstrumente Diagnosekriterien nach ICD-10 und DSM-IV
Beobachtungsbögen + Fragebogenerhebungen Checklist for Autism in Toddlers, CHAT (Baron-Cohen, 1992) Erhebungsbogen zur Beurteilung der Ausprägung des
Autismus-Syndroms (Childhood Autism Rating Scale, CARS, Steinhausen, 1996)
Beobachtungsbogen I + II von Kalde (1992)
Autismus-Diagnose-Interview (Autism Diagnostic Interview Schedule, ADI-R, dt. Fassung Bölte & Poustka, im Druck)
Autism Diagnostic Observation Schedule (ADOS-G, dt. Fassung Rühl et al., 2004)
DiagnoseinstrumentePEP-R (Psychoeducational Profile)
Verhaltens- und Kompetenzinventar
Entwicklungsorientierter Ansatz in der Förderdiagnostik von Kindern mit Autismus und verwandten Entwicklungsbehinderungen
Grundlage für die Erstellung von Individuellen Entwicklungsplänen (IEP)
Konzeption im Rahmen des TEACCH-Programms
(Schopler et al., 1990; dt. Übersetzung von Häußler, 2000)
DiagnoseinstrumentePEP-R (Psychoeducational Profile)
7 Entwicklungsbereiche Imitation, Wahrnehmung, Fein- und Grobmotorik, Auge-Hand-Koordination, Kognitive Leistungen, Sprachliche Leistungen.
4 Verhaltensbereiche Soziale Bezogenheit, Affektivität, Spiel und Interesse an Materialien, Sensorische Reaktionen und Sprache.
(Schopler et al., 1990; dt. Übersetzung von Häußler, 2000)
DiagnoseinstrumentePEP-R (Psychoeducational Profile)
Aufgaben Imitation: 16 Items wichtige soziale Lernvoraussetzung
grobmotorische Bewegungen, Nachahmung von Materialgebrauch, Imitation von Lauten und Wörtern
Wahrnehmung: 13 Items Basis allen Lernens z.B. Verfolgen von Seifenblasen mit den Augen, Anschauen von
Bildern in einem Buch, Orientierung nach Geräuschquellen. z.B. Diskrimination von Formen, Größen und Farben;
Objektpermanenz. Fein- und Grobmotorik: 16 Items bzw. 18 Items
z.B. Aufdrehen eines Schraubverschlusses, Schneider mit einer Schere, Auffädeln von Perlen.
z.B. selbstständiges Laufen, Treppensteigen, Balancieren auf einem Bein, Fangen eines Balles.
(Schopler et al., 1990; dt. Übersetzung von Häußler, 2000)
DiagnoseinstrumentePEP-R (Psychoeducational Profile)
Aufgaben Auge-Hand-Koordination: 15 Items
Kompetenzen, die für das Schreiben und Zeichnen notwendig sind, z.B. Kritzeln auf Papier, Ausmalen von Flächen, Nachfahren und
Abzeichnen von Formen, Stapeln von Bauklötzen.
Kognitive Leistungen: 26 Items z.B. Zeigen auf benannte Körperteile, Finden eines versteckten
Gegenstandes.
Verbale Leistungen: 27 Items z.B. Zählen, Benennen von Buchstaben und Zahlen, Nachsprechen
von Sätzen, Vorlesen
(Schopler et al., 1990; dt. Übersetzung von Häußler, 2000)
DiagnoseinstrumentePEP-R (Psychoeducational Profile)
Gütekriterien Reliabilität
Inter-Rater-Reliabilität: r = .92
Validität Inhaltliche Validität Ableitung aus dem CARS Konvergente Validität
(Schopler et al., 1990; dt. Übersetzung von Häußler, 2000)
Entwicklungstests r
Bayley Scales of Infant Development (BSID) .77
Vineland Social Maturity Scale .84
Wechsler Intelligence Scale for Children (WISC-R) .47
Differentialdiagnostik Schizophrenie
Halluzinationen und Wahn treten beim Autismus nicht auf!
Schizoide Persönlichkeitsstörung Im Gegensatz zum atypischen und frühkindlichem Autismus
keine Intelligenzminderung!
Autistisches Verhalten (z.B. bei Hospitalismus, Kindesmisshandlung)
Autismus tritt primär, d.h. von Geburt an auf!
Zwangsstörungen Sozial- und Kommunikationsfähigkeit normal ausgeprägt!
Differentialdiagnostik
Bindungsstörung Sprachvermögen intakt, Abgrenzung zum Asperger und hoch-funktionalen Autismus
schwierig (deshalb: Anamnese, neuropsychologische Tests)
Fragiles-X-Syndrom Genetischer Defekt Chromosomenanalyse
Essstörungen (Magersucht) Rigide Essgewohnheiten und soziale Isolation sind nur zeitlich
begrenzt und verschwinden, wenn die Ursache behoben ist.
Komorbide Störungen
Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätsstörung
Epilepsie
Nonverbale Lernstörung
Gesichtsblindheit (Prosopagnosie)
Bleibt die autistische Störung länger unbehandelt Depressionen, Psychosen, Phobien, Zwangs-, Ess- und
Schlafstörungen, posttraumatische Belastungsstörungen
Literaturempfehlungen
Bernard-Opitz, V. (2003). Kinder mit Autismus-Spektrum-Störungen (ASS) (2. Aufl.). Stuttgart: Kohlhammer.
Häußler, A. (2000). Dt. Übersetzung von Schopler, E., Reichler, R.J., Bashford, A., Lansing, M.D. & Marcus, L.M. (1990). PEP-R. Entwicklungs- und Verhaltensprofil. Dortmund: verlag modernes lernen.
Rollett, B. & Kastner-Koller, U. (2007). Praxisbuch Autismus für Eltern, Erzieher, Lehrer und Therapeuten (3. Aufl.). München: Elsevier.