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Langenbecks Arch. Chir. 347 (Kongregbericht1978) Langenbecks Amhiv ffirChirurgie © by Springer-Verlag 1978 2. Mamma-Carcinom: Fragen und Kontroversen Walter J. Pories Department of Surgery, East Carolina University School of Medicine, Greenville, North Carolina 27834, USA Mammary Carcinoma Summary. The new discoveries concerning mammary carcinoma promise hope and offer surgeons a demanding challenge. Many more opportunities can now be offered to patients suffering from this dreaded disease, including new diagnostic methods, a wide range of operations, various adjuvant applications of radiotherapy and chemotherapy, a wholly new armamentarium of hormonal and chemical approaches to advanced disease, cosmetic reconstructuction, and gende terminal care. Some of the new findings are true breakthroughs, others remain mirages. Especially in the choice of the type of mastectomy, surgeons must be cautious: The new is not necessarily the best. Key words: Carcinoma, mammary - Mestectomy. Zusammenfassung. Neue Entdeckungen fiber Brustkrebs sind zwar vielverspre- chend, stellen aber auch hohe Ansprfiche an die F/ihigkeiten der Chirurgen. Zu dem nunmehr M6glichen geh6ren neue Diagnose-Methoden, zahlreiche Opera- tionsm6glichkeiten, ein ganz neues Armament von Hormon-, R6ntgen- und chemotherapeutischen Behandlungen bei Krebs im Frtih- und im vorgeschritte- nen Stadium, kosmetische Rekonstruktion und behutsame Menschenfiihrung bei unheilbaren F/illen. W/ihrend manche dieser Neuerungen einen echten Durchbruch darstellen, bleiben andere noch Wunschtr~iume. Besondere Sorg- falt ist bei der Wahl der Art von Mamma-Amputation geboten. Das Neueste ist nicht unbedingt das Beste. Sehliisselwiirter: Mamma-Carcinom - Mamma-Amputation. Es ist mir ein Vergntigen und eine Ehre, Ihnen hier in Mfinchen, einem der /iltesten und angesehensten Zentren der Medizin, Grtil3e vonder jfingsten und neuesten medizinischen Fakult/it in den Vereinigten Staaten zu iJberbringen. Man wfirde mich einer Unterlassungssfinde zeihen, wenn ich Sie nicht kurz mit der Medizinischen Fakult/it der East Carolina in Greenville in North Carolina bekanntmachen wfirde. 0023-8236/78/0347/0053/$1.40

2. Mamma-Carcinom: Fragen und Kontroversen

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Langenbecks Arch. Chir. 347 (Kongregbericht 1978) Langenbecks Amhiv ffir Chirurgie © by Springer-Verlag 1978

2. Mamma-Carcinom: Fragen und Kontroversen

Walter J. Pories

Department of Surgery, East Carolina University School of Medicine, Greenville, North Carolina 27834, USA

Mammary Carcinoma

Summary. The new discoveries concerning mammary carcinoma promise hope and offer surgeons a demanding challenge. Many more opportunities can now be offered to patients suffering from this dreaded disease, including new diagnostic methods, a wide range of operations, various adjuvant applications of radiotherapy and chemotherapy, a wholly new armamentarium of hormonal and chemical approaches to advanced disease, cosmetic reconstructuction, and gende terminal care. Some of the new findings are true breakthroughs, others remain mirages. Especially in the choice of the type of mastectomy, surgeons must be cautious: The new is not necessarily the best.

Key words: Carcinoma, mammary - Mestectomy.

Zusammenfassung. Neue Entdeckungen fiber Brustkrebs sind zwar vielverspre- chend, stellen aber auch hohe Ansprfiche an die F/ihigkeiten der Chirurgen. Zu dem nunmehr M6glichen geh6ren neue Diagnose-Methoden, zahlreiche Opera- tionsm6glichkeiten, ein ganz neues Armament von Hormon-, R6ntgen- und chemotherapeutischen Behandlungen bei Krebs im Frtih- und im vorgeschritte- nen Stadium, kosmetische Rekonstruktion und behutsame Menschenfiihrung bei unheilbaren F/illen. W/ihrend manche dieser Neuerungen einen echten Durchbruch darstellen, bleiben andere noch Wunschtr~iume. Besondere Sorg- falt ist bei der Wahl der Art von Mamma-Amputation geboten. Das Neueste ist nicht unbedingt das Beste.

Sehliisselwiirter: Mamma-Carcinom - Mamma-Amputation.

Es ist mir ein Vergntigen und eine Ehre, Ihnen hier in Mfinchen, einem der /iltesten und angesehensten Zentren der Medizin, Grtil3e v o n d e r jfingsten und neuesten medizinischen Fakult/it in den Vereinigten Staaten zu iJberbringen. Man wfirde mich einer Unterlassungssfinde zeihen, wenn ich Sie nicht kurz mit der Medizinischen Fakult/it der East Carolina in Greenville in North Carolina bekanntmachen wfirde.

0023-8236/78/0347/0053/$1.40

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Etwa zw61ftausend Studenten studieren an der East Carolina University, die in das System der hoch angesehenen Staats-Universit~ten eingegliedert ist. Greenville ist unweit der Ostkfiste gelegen, in einer landschaftlich sehr reizvollen Gegend. Die Bev61kerung des Ostteils des Staates betrfigt zur Zeit 1,2 Millionen und w~ichst j~hrlich um 6 ~o. Landwirtschaftlich sind besonders Tabak, Sojabohnen, Erdnfisse und Mais yon Bedeutung.

Die medizinische Fakult~t ist vom Staat grof3zfigig mit finanziellen Mitteln ausgestattet worden. Unser erster Jahrgang yon achtundzwanzig Studenten nahm das Studium im September letzten Jahres auf, und das v611ig neue und vorzfiglich ausgestattete Krankenhaus 6ffnete vor gerade 8 Monaten seine Tore.

Bitte besuchen Sie uns bei Gelegenheit einmal, und geniel3en Sie gleichzeitig sch6ne Ferien in North Carolina.

Aber nun zurfick zum Thema. Von allen Tumoren, die heute morgen zur Diskussion stehen, ist keiner mehr umstritten als das Mamma-Carcinom. In der Tat scheint keine Obereinstimmung darfiber zu herrschen, wie diese schreckliche Krankheit anzugreifen sei, vonder jede siebzehnte Frau in den USA betroffen ist [2 3]. Bitte bedenken Sie: jede siebzehnte, und die Hfiufigkeit nimmt noch weiter zu!

Es ist wichtig, dab wir uns im Interesse der bestm6glichen Behandlung unserer Patientinnen mit den Kontroversen und den Argumenten auf beiden Seiten vertraut machen. Zwar wollen wir heute morgen unsere Aufmerksamkeit auf die Meinungsverschiedenheiten konzentrieren, die zum Beispiel darfiber bestehen, ob ein radikaler Eingriff das Beste ist oder nicht, oder welche Operationsmethode vorzuziehen ist, doch lohnt es sich, dab wir uns einen kurzen Oberblick fiber die Hauptkontroversen verschaffen, um zu, betonen, dab dem Chirurgen auf jedem dieser Gebiete Verantwortung zukommt. Der chirurgische Eingriff daft nicht in einem Vakuum erfolgen: die Patientin und ihre Angeh6rigen bedfirfen in dieser schwierigen Situation ~rztlicher Ffihrung.

Wie gesagt, praktisch alle Aspekte dieser Krankheit sind umstritten. Wodurch entsteht das Carcinom, welche Rolle spielen Vererbung, Viren, Hormoneinflfisse und Ern~hrung ? Sind Reihenuntersuchungen nfitzlich, sicher und kostenwirksam ? Wie verl~il31ich sind Mammographie und Thermographie als diagnostische Unter- suchungen?

Selbst bei der relativ einfachen Frage der Biopsien bestehen Zweifel: soll man in 6rtlicher oder in Vollnarkose operieren, soll die Patientin stationfir oder ambulant behandelt werden, soll lediglich eine Incision in die Geschwulst oder vielmehr eine totale Excision bei der Biopsie vorgenommen werden ? Bei welchem Verfahren ist die Wahrscheinlichkeit der Verschleppung des Tumors gr6f3er? Genfigen Gefrier- schnitte ffir eine exakte Diagnose, und in welchen F~illen sollte auch die andere Brust biopsiert werden?

Die gr6Bte Kontroverse fiber Mamma-Carcinome betrifft die Art der Mastek- tomie. Welches Verfahren ist das beste? Crile's partielle Mastektomie, [2] die einfache Entfernung der Brust [10], die modifizierte Mastektomie mit Ausrfiumung der Axilla [7], die klassische Radikaloperation nach Halsted u. Hagensen [5], die uns allen gelehrt wurde, oder aber das supraradikale Verfahren von Urban [12] mit Mammasubsternale- und supraclaviculfirer Dissektion?

Zunehmend werden weiterhin der Nutzen und der richtige Zeitpunkt der adjuvanten Therapie diskutiert, d.h. jener Behandlung, die entweder gleichzeitig

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oder kurz nach der chirurgischen Entfernung des Tumors in Form der Chemo-, Radio- oder Hormontherapie erfolgt. Die M6glichkeit zur Bestimmung von Oestrogen-Bindungen hat erhebliche Fortschritte gebracht, dennoch bestehen weiterhin Entscheidungsschwierigkeiten. Soll im fortgeschrittenen Stadium mit starker Oestrogen-Bindung die Ovarektomie vorgenommen werden ? Welches sind die Vor- und Nachteile der postoperativen Bestrahlungstherapie? Sollte eine Chemotherapie mit einem oder aber mehreren Medikamenten wfihrend der ersten Wochen nach der Operation durchgeffihrt werden, wenn ja, mit welchen Chemo- therapeutica? Bei stark fortgeschrittenem Krebs gibt es leider wesentlich weniger offene Fragen, obwohl es sich bei diesen Patientinnen um die Mehrzahl aller Frauen mit Brustkrebs handelt. Bedenken Sie bitte, dab nahezu 2/3 dieser Patientinnen nicht geheilt werden k6nnen! Gerade diese Frauen bedfirfen der gr613ten Hilfe.

Hier mul3 noch sehr viel Arbeit geleistet werden, insbesondere um die bestm6gliche Anwendung der Strahlen- und Chemotherapie zu finden, patholo- gische Frakturen zu versorgen und die wirksamste Art der Schmerzbek~mpfung zu erreichen.

Mit der Einrichtung von Nachsorgekliniken ist man in den Vereinigten Staaten noch ziemlich am Anfang; aufgrund der ausgezeichneten Erfahrungen in England besteht jedoch kein Zweifel darfiber, dab Einheiten mit etwa 25 - 50 Betten ben6tigt werden, in denen die Patientinnen in den letzten Monaten und Wochen ihres Lebens in einer Atmosph/ire der pers6nlichen Ffirsorge und menschlichen W~rme behandelt und gepflegt werden.

Viele von uns Chirurgen tun sich schwer, diese letzte und grausamste Phase des Krebses zu meistern, jedoch f'~illt uns Chirurgen diese Aufgabe eindeutig zu, wir k6nnen uns ihr nicht entziehen.

Dann ist da schliel31ich noch das neue und vielversprechende Feld der kosmetischen Rekonstruktion nach Brustamputation zu besprechen. Obwohl kein Zweifel darfiber bestehen darf, dab unser vordringlichstes Ziel immer in der Heilung des Krebses bestehen mug, mfissen wir auch an die Lebensqualit/it der Patientin und ihrer Angeh6rigen denken. Durch Rekonstruktionsoperationen nach Brustamputation k6nnen heute ausgezeichnete Ergebnisse erzielt werden.

Selbst dieser kurze fSberblick macht deutlich, dab die Versorgung von Patienten mit Mamma-Carcinom zunehmend komplexer und damit schwieriger wird. Soweit ich orientiert bin, werden Operationen beim Mamma-Carcinom in Deutschland in zunehmendem Mage von Gyn/ikologen, sozusagen nebenbei, durchgeftihrt. In den USA bewegen wir uns genau in die entgegengesetzte Richtung. Die Chirurgie der Brust wird heute ganz klar als Spezialit~it der allgemeinen Chirurgie betrachtet und in unseren grogen St/idten gibt es Allgemeinchirurgen, die sich ausschlieBlich auf dieses sich st~indig erweiternde Gebiet spezialisieren, um alle M6glichkeiten zu beherrschen. Ich halte dies ffir eine gute Entwicklung. Die Chirurgie des Brustkreb- ses ist kein Betfitigungsfeld ffir einen Chirurgen, der nur hin und wieder operiert.

Die gr613ten Kontroversen bestanden von jeher beztiglich der Art der Mastekto- mie. Es mag sehr viele Grtinde daffir geben, aber ich bin fiberzeugt, dab nicht allein kiihle wissenschaftliche f_)berlegungen ftir die oft hitzigen Debatten verantwortlich waren. Wir Chirurgen sind gegenfiber den emotionellen Belastungen, die die chirurgische Versttimmelung eines Sexualorgans mit einer unglficklicherweise hohen Versagerquote ebensowenig immun wie die betroffene Offentlichkeit. Es ist

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Teilweise (Crile)

Modifizierte Radikale (Handley) (Haagensen)

Abb. 1

Einfache (McWhirter)

Supraradikale (Dahl-Iversen)

W. J. Pories

daher von groBer Bedeutung, dab unsere Entscheidungen auf harten Fakten beruhen und dab wir bew/ihrte Methoden nicht zugunsten eines Verfahrens aufgeben, welches emotional ansprechbar ist. In Abbildung 1 sind die ffinf wichtigsten Operationsverfahren schematisch dargestellt. Das erste ist die partielle Mastektomie, welche von Crile besonders f/Jr das friihe Stadium I der Krankheit empfohlen wurde. Ich betone das frtihe Stadium I, denn die Cleveland Klinik und Dr. Crile sind ziemlich stark kritisiert und nicht immer verstanden worden. Diese Methode ist nicht ihr alleiniges Operationsverfahren, in der Mehrzahl der F/ille nehmen sie einen wesentlich umfangreicheren Eingriff vor. Bei der einfachen Mastektomie wird die gesamte Brust zusammen mit dem Schwanz yon Spence, jedoch kein lymphknotenhaltiges Gewebe entfernt. In der bekannten Untersu- chungsserie yon McWhirter wurde anschliegend an diese Operation eine Bestrah- lung des axillfiren und substernalen Lymphknoten durchgeftihrt. Die modifizierte Mastektomie stellt den klassischen chirurgischen Eingriff beim Krebs dar. Sie besteht in der Entfernung des yon der Geschwulst befallenen Organs, sowie aller mit Wahrscheinlichkeit vom Tumor befallenen Lymphknoten. Der Unterschied zur traditionellen radikalen Mastektomie besteht darin, dab sowohl der Pectoralis major als auch der minor erhalten bleiben. Operationstechnisch ist diese Methode anspruchsvoller, da die Erhaltung der Brustmuskeln die Freilegung erschwert. Bei entsprechender Sorgfalt und steriler Abdeckung des Armes, so dab er w/ihrend der Operation bewegt werden kann, ist eine hervorragende und vollst/indige Entfer- nung des Krebses m6glich. Diese Art der Operation kommt natfirlich nur in Frage, wenn der Tumor die Pectoralisfascie noch nicht erreicht hat. Der groBe Vorteil der modifizierten Mastektomie besteht darin, dab die beiden Pectoralismuskeln erhalten bleiben, die Heilung erleichtert, sowohl kosmetisch als auch funktionell

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bessere Resultate erzielt werden als nach der fiblichen Radikaloperation. Die radikale Mastektomie war seit dem 19. Jahrhundert die Hauptoperation, mit ihr sind so illustre Namen wie Volkmann, Billroth, Heidenhain, Halsted, Meyer und Hagssen verbunden. Die Radikaloperation umfagt die en bloc-Entfernung der Mamma, der axill/iren Lymphknoten und der beiden Brustmuskeln. Zuletzt m6chte ich die supra-radikale Mastektomie von Urban erw/ihnen; hierbei wird die Standardmastektomie dadurch erweitert, dab auch die substernalen und supracla- vicul/iren Lymphknoten entfernt werden. Dieses Verfahren wird zwar dem Anspruch nach Radikalit/it gerecht, es wird jedoch - wenn fiberhaupt - sehr selten angewandt. Man sollte nun annehmen, dab die Wahl des bestgeeignetsten Operationsverfahrens leicht fallen mtisse. Keinesfalls, denn welche Methode bringt die besten Heilungserfolge? In der Tat, Erfolgsstatistiken sind von zahhlreichen Autoren mit den verschiedenen Verfahren publiziert worden. Warum sollte man daher nicht die Operation wfihlen, bei welcher die h6chste f,)berlebensrate und die geringste Zahl von Komplikationen gefunden wurde? Leider ist die Sache jedoch nicht so einfach! Mit Ausnahme der hervorragenden Untersuchungen von Bernhard Fischer und seines National Surgical Adjuvant Breast Project [3, 4] gibt es nur wenige Untersuchungsserien, in welchen die Patientinnen hinsichtlich Fami- lienanamnese, sozial-6konomischem Status, Krankenhausanamnese sowie der vielen anderen Faktoren, die den Brustkrebs beeinflussen, vergleichbar sind. Obwohl es unz/ihlige Publikationen mit unterschiedlichsten klinischen Studien gibt, halten nur wenige einer kritischen Prfifung stand. Den besten Vergleich fiir die verschiedenen Verfahren erlaubt heute die internationale 10-Jahres- Gemeinschaftsstudie [5]. Tabelle 1 zeigt die 10-Jahres-fJberlebensraten der jeweils ffihrenden Vertreter ffir die einzelnen Operationsverfahren. Ein exakter statisti- scherVergleich ist jedoch auch hier nicht m6glich, da Unterschiede hinsichtlich der Zahl der Patientinnen, Art des Krankenhauses, Bev61kerungsdichte und andere Faktoren bestehen; ich bin jedoch der Meinung, dab diese Vergleichsstudie zeigt, dab im Stadium A diejenigen Radikaloperationen, bei denen die Brust und das axill/ire Gewebe entfernt werden, generell bessere Resultate bringen als Operatio- nen, bei denen nur die Brust allein bzw. Teile der Brust entfernt werden.

Meine n/ichste Frage ist: Welche Radikaloperation ist die ideale? Ich k6nnte Ihnen hier eine ganze Reihe von Arbeiten zitieren, in denen verschiedene Methoden miteinander verglichen werden; offensichtlich bestehen zwischen den verschiede- nen Verfahren hinsichtlich der Ergebnisse jedoch nur kleine Unterschiede. Man kann gr613ere Unterschiede eigentlich auch nicht erwarten, so lange bei sorgffilti- gem und methodischem Vorgehen die Brust en bloc mit dem gesamten Inhalt der

Tabelle 1. lO-Jahres-f]berlebensraten bei Mamma-Carcinom

Columbia Partielle Einfache Modifizierte Radkkale Supraradikale Klassifikation Mastektomie Mastektomie Mastektomie Mastektomie Mastektomie

A 45~o 40~ 61 ~ 69~ 57~ B 26~ 25~ 37~ 24~

Peters Miller Handley Haagensen Dahl-Iversen

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Axilla entfernt wird. Seit Madden [7] gezeigt hat, dab die sterile Abdeckung des Armes zur intraoperativen Lagerung erlaubt, die beiden Brustmuskeln zu erhalten, haben die meisten der amerikanischen Chirurgen die modifizierte, radikale Mastektomie als Methode der Wahl akzeptiert und sie betrachten die weniger eingreifenden Verfahren mit erheblicher Skepsis! Die Radikaloperation 1/igt die Entfernung des Prim/irtumors und seiner Aussaat in die Axilla zu, die Lymphkno- ten k6nnen untersucht werden, um diejenigen Patientinnen auszusondern, welchen eine adjuvante Therapie helfen kann. Aul3erdem lfiBt die Radikaloperation sp/iter eine kosmetische Rekonstruktion zu. Dieser letztere Gesichtspunkt, n/imlich dab die modifizierte radikale Mastektomie eine kosmetisch bessere Rekonstruktion erm6glicht, sollte nicht unterbewertet werden!

Zusammenfassend ist festzustellen, dab das Mamma-Carcinom nach wie vor eine noch immer wachsende Geisel der hochentwickelten Industrienationen darstellt. Im gleichen MaBe, wie unsere Kenntnisse fiber die Krankheit zunehmen, wird die Behandlung komplizierter; als Chirurgen haben wir daher die Verpflich- tung, uns stets mit den neuesten Aspekten dieses Problemes vertraut zu machen. Dies ist sicher nicht leicht: Immer wieder werden uns andere Operationsarten empfohlen, wit mfissen daher sehr wachsam sein, und diirfen keinen falschen G6ttern folgen. Die radikale Mastektomie mit Entfernung der gesamten Brust und sorgf~iltiger Ausr/iumung der Axilla bleibt in jeder Hinsicht die Methode der Wahl mit den besten statistischen Ergebnissen. Es ist wahrscheinlich belanglos, ob die Muskeln geschont oder entfernt werden; da heute jedoch eine Erhaltung der Pectoralmuskeln m6glich ist ohne die vollstfindige Ausr/iumung der Axilla zu beeintr~ichtigen, sollte man die Muskulatur erhalten, dies um so mehr als die Ergebnisse mit oder ohne Entfernung beider Pectoralmuskeln statistisch nicht unterschiedlich sind. Es bleibt noch viel zu tun und zu lernen. So war das in der Chirurgie vonjeher und wird es hoffentlich immer bleiben. Zum Schlul3 m6chte ich Ihnen nochmals ftir Ihre groBziigige Einladung danken und Ihnen versichern, dab wir Sie sehr gerne in North Carolina begrfigen wfirden, damit Sie mit der berfihmten Gastfreundschaft des Stidens Bekanntschaft machen k6nnen.

Addendum

Es w~re unfair, diese rhetorischen Fragen zu stellen, ohne zumindest einige Antworten zu geben, die die gegenwfirtige Meinung der Vereinigten Staaten widerspiegeln. Die ~,tiologie des Brustkrebses bleibt ungeklfirt, jedoch sind Vererbung, Virus- und hormonelle Einflfisse sowie Ernfihrung von Bedeutung. Vorsorgeuntersuchungen zur Diagnose von Brustkrebs mittels Mammographie sind nfitzlich; hierdurch k6nnen kleine, weitgehend heilbare Verfinderungen frfih- zeitig erkannt werden; die Methode ist jedoch nur kosteneffektiv, wenn sie auf die Bev61kerungsgruppen mit erh6htem Risiko beschrfinkt wird. Die hohen Strahlen- dosen bei Mammographie und deren m6gliche Kanzerogenitfit haben zur Ent- wicklung sicherer Mammographieeinrichtungen mit geringerer Strahlen- belastung geffihrt; allein diese sollten angewandt werden. Die Thermographie hat die in sie gesetzten Erwartungen nicht erffillt.

Die Heilungsrate ist unabhfingig davon, ob Mammabiopsien in Lokal- oder Allgemeinanaesthesie vorgenommen werden, dennoch wird in den USA in den

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meisten F~illen die Allgemeinanaesthesie bevorzugt. Die Excision des Herdes mit einem Rand yon 1 cm gesundem Gewebe ist die Methode der Wahl, es sei denn, der Herd ist ausgedehnt. In der Mehrzahl der Ffille sind Gefrierschnitte ausreichend, bei fraglichem Befund sind Paraffinschnitte hilfreich. Wie im Referat ausgeffihrt, bevorzugen die meisten amerikanischen Chirurgen heute die modifizierte radikale Mastektomie; bei positivem Lymphknotenbefund wird allgemein eine adjuvante Radiotherapie vorgenommen. Durch die adjuvante Chemotherapie, die kurz nach der Mastektomie einsetzt, konnte eine Verlhngerung des symptomfreien Intervalls erzielt werden, vielleicht erbringt dies auch Langzeitheilungen.

Die Bestimmung der Oestrogen-Bindungsstellen ist heute nahezu Routine geworden. Vorhandensein oder Fehlen dieser Bindungsstellen hat sich ffir die Planung der Therapie als/iuBerst hilfreich erwiesen. In der Regel sind Hormon- gaben bzw. Hormonentzug oder Tomoxaphen nur bei Patientinnen mit positiver Oestrogen-Bindung effektiv. Sind in fortgeschrittenen Fhllen die hormonellen Therapiem6glichkeiten ersch6pft oder kann keine Oestrogenbindung nachgewie- sen werden, k6nnen mit der Kombination von Endoxan, Adriamycin und 5- Fluorouracil hfiufig Langzeitemissionen erzielt werden. Pathologische Frakturen werden in der Regel unmittelbar nach der Diagnose durch interne Fixation versorgt; metastatisch ver/~nderte Knochen werden oft vor der Radiotherapie mit N/igeln stabilisiert. Die Rekonstruktion der Brust ist noch keine allgemein fibliche Methode, sie wird jedoch mehr und mehr angewandt.

Literatur

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