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2010 die indian im indianerland

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mit einer neuen indian vintage auf dem blue ridge parkway, der in diesem jahr 75 jahre alt wurde

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Samstag, 23. Oktober 2010 DIE WELT Seite A5Auto Welt

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Von Matthias J. Müncheberg

Shenandoah, Tochter derSterne, nannten die Shaw-nee-Indianer das Tal zwi-schen den amerikanischen

Blue Ridge Mountains im Ostenund den Allegheny Mountains imWesten North Carolinas. Doch derbläuliche Hochnebel, der häufigmorgens und abends über denBergwäldern hängt, sollte dem Ge-birgszug seinen endgültigen Na-men geben: Blue Ridge. Mitten hin-durch führt seit dem Baubeginn am11. September 1935 der gleichnami-ge Parkway. Er gilt aufgrund seinerLänge von 755 Kilometern, seinersanften Kurven und seiner faszinie-renden Aussichten als Eldorado fürMotorradfahrer.

„Der Parkway wurde vor 75 Jah-ren in den kargen Zeiten der Gro-ßen Depression als Arbeitsbeschaf-fungsmaßnahme in Auftrag gege-ben“, erklärt Motorrad-Guide BillKniegge von Bluestradatours. „Erbeginnt am nördlichen Ende amRockfish Gap in Virginia undschließt dort an den Skyline Drivean, der durch den Shenandoah-Na-

tionalpark führt. Er endet 469 Mei-len in südlicher Richtung im Gebietdes Great Smoky Mountains Natio-nal Park und der Indianer-Reserva-tion der Cherokee.“

Was liegt also näher, als den fürden gewerblichen Kraftverkehrkomplett gesperrten Parkway ent-lang des alten Indianer-Territori-ums mit einer nagelneuen Indianabzufahren? Seit 2009 liefert dasvor vier Jahren in Kings Mountain,North Carolina, neu gegründeteMotorradunternehmen wiederBikes aus mit Namen wie ChiefDark Horse, Bomber oder Vintage.

„Allen gemein ist das selbst ent-wickelte, neue Powerplus-Trieb-werk“, erklärt Manager Chris Ber-nauer, der mit nur 39 weiteren Kol-legen die gesamte Produktion in ei-ner umgebauten Lagerhalle in derNähe von Charlotte stemmt.

Indian, 1901 in Springfield gegrün-det, galt einst als der härteste Kon-kurrent von Harley-Davidson, dieerst seit 1903 Motorräder bauten.Als die Army Anfang der 50er-Jahreallerdings einen Riesenauftrag nichtan Indian, sondern an die konkurrie-rende Motorradschmiede in Mil-

waukee vergab, begann das Ende derMarke mit dem stilisierten Indianer-kopf auf dem Tank.

Der erste Versuch, die Marke mitden typischen geschwungenenSchutzblechen und der großenFrontlampe wiederzubeleben,scheiterte 2003 grandios: „Im kali-fornischen Gilroy wurden Motorenaus dem Zubehörhandel verbaut –das musste schiefgehen“, erklärtMark Moses, einer der Eigentümerund Manager der neuen Firma.

Der neue, luftgekühlte und leichtlanghubige Motor leistet nun zwarvergleichsweise magere 70 PS, hataber mit 135 Nm Drehmoment soviel Dampf im Keller wie auch dieElectra Glide Ultra Limited, das

drehmomentstärkste Motorrad vonHarley-Davidson.

Solches Drehmoment wird auchbenötigt im Tail of the Dragon amsüdwestlichen Ende des Blue RidgeParkway, wohin jährlich TausendeBiker aus allen Teilen der Welt pil-gern: „318 teilweise enge Kurven auf20 Kilometern entlang atemberau-bender Natur – wo gibt es das sonstschon?“, fragt Bill Kniegge.

Dass im Tail of the Dragon nichtalle Motorradfahrer ihr Bike auchwirklich beherrschen, davon legtder Tree of Shame – Baum derSchande – in Deals Gap an der Kur-venstrecke beredtes Zeugnis ab. Anihm sind Hunderte von aufgesam-melten Teilen verunfallter Zweirä-

der, zerrissene Jacken, Hosen undSchuhe mahnend aufgehängt.

Wer das korrekte Kurvenfahrenmit schweren Motorrädern nochnicht beherrscht, der erlernt es spä-testens hier. Oder scheitert eben. Mitder neuen Chief Vintage, dem Indi-an-Vorzeigemodell der aktuellen Ge-neration, sind schnelle Kurvenfahr-ten jedoch ohnehin nicht möglich:Sprühende Funken von auf dem As-phalt schleifendem Metall erinnernmehrmals schmerzlich daran, dassdie Bodenfreiheit bei diesem über300 Kilogramm schweren Big Twindurch die nach vorn verlegten Tritt-bretter stark eingeschränkt ist.

Macht nichts, wer zum Rasenhierher kommt, ist selber schuld.

Nur wer Zeit mitbringt, hat Gele-genheit, etwas von der atemberau-benden Natur an der Wegstrecke zugenießen. Schließlich sind im Park-way selbst ohnehin nur 45 Meilenpro Stunde (etwa 85 km/h) erlaubt.Cruisen ist angesagt. Perfektes Ter-rain für das Indianer-Eisen. 38 145Euro muss ein Interessent zurzeitnoch lockermachen, um das Topmo-dell zu besitzen. Kein wirklichesSchnäppchen. Zumal die ebenfallsnicht billige Harley Electra Glide Ul-tra Limited selbst mit der teuerstenFarboption noch immer deutlich un-ter 30 000 Euro (28 925 Euro) liegt.

So sind es zurzeit vor allem zah-lungskräftige Russen und Sammler,die die exklusive und wieder neuaufgelegte Marke ordern. Doch diePreise sollen spätestens zum nächs-ten Modelljahr fallen, versprichtManager Bernauer.

Wie alles begann mit der India-nerkopf-Marke, kann auf der US-Road 19 am südlichen Parkway im„Wheels through Time“, einemMotorradmuseum, besichtigt wer-den: „28 amerikanische Motorrad-marken sind hier vertreten, insge-samt sind das 320 Bikes aus denletzten hundert Jahren, darunterviele Raritäten, Unikate und ersteSeriennummern, unter anderemvon Indian und Harley-Davidson“,erklärt Matt Walkster bei einemRundgang durch die liebevoll ar-rangierte Ausstellung.

In der Luft schwebt der Duft vonBenzin, Farbe, Reinigungsmitteln –und ein Hauch von Freiheit. DasBeste aber sei, so der passionierteBastler und Sammler: „99 Prozentaller hier ausgestellten Maschinensind noch immer fahrbereit.“ Ge-sagt, getan: Schon tritt Matt, derzum Transport seiner Teile ein Flat-

head-Trike aus dem Jahre 1948 be-nutzt, eine alte Harley an. Diestammt aus dem Jahr 1915 und knat-tert, dass es eine wahre Freude ist.

Zurück auf dem Parkway locktnach einem Abstecher ins Indianer-Reservat der Cherokees in nördli-cher Richtung die direkt am Park-way liegende, Diamondback ge-nannte Straße nach Little Switzer-land, einer einhundert Jahre altenSiedlung ehemaliger Auswandereraus der Schweiz.

Auch sie zieht viele Motorradfah-rer aus aller Welt an: Schlangen-gleich windet sich der sauber as-phaltierte Weg durch dichten, grü-nen, sonnendurchfluteten Wald.Und: Überall zieht die neue, auf altgetrimmte Indian mit der cremefar-benen Lackierung, dem Sitz undden Satteltaschen aus Naturlederund dem reichlichen Chrom die Bli-cke vieler auf sich: Wie alt denn dasBike sei, lautet eine Standardfrage.Ungläubiges Staunen jedes Mal beider Antwort, es sei „brandnew“.

Kurze Rast an einer der Aus-sichtsplattformen am Parkway. Tiefdurchatmen. Die Weite der tatsäch-lich bläulich schimmernden, nebel-verhangenen Wälder, die teppich-gleich das umliegende Riesengebir-ge bedecken, genießen.

Dann wird wieder die Zündungeingeschaltet, die Benzinpumpe an-gestellt und der Startknopf ge-drückt. Grummelnd erwacht derV-Twin mit 105 „cubic inches“, waseinem Hubraum von 1721 Kubikzen-timetern entspricht, zu neuem Le-ben. Er schüttelt sich kurz heftig,dann macht es krachend klack, dererste Gang ist eingelegt.

Weiter geht es den s-förmig ge-schwungenen Linn Cove Viaductam Grandfather Mountain entlang.Meilen fressen mit einer neuen In-dian auf dem Blue Ridge Parkway –dem Pfad, den einst die letzten derhier ansässigen Indianer auf ihremsogenannten Treck der Tränen inRichtung Reservat gehen mussten.

Auch das sollte bedenken, werheute den Komfort des motorisier-ten Reisens auf diesem Weg ge-nießt: Denn vor nicht allzu langerZeit waren die Blue Ridge Moun-tains noch reines Indianerland, wo-von heute lediglich Namen wieNantahala, Swannanoa und Shen-andoah zeugen.

Die Indian imIndianerland

Der Blue Ridge Parkway in den USAwurde vor 75 Jahren angelegt. Die

Faszination der blauen Berge erschließtsich am besten vom Motorrad aus

Ein Caspar David Friedrich des 21. Jahrhunderts: Der Autor und eine Indian Chief Vintage vor den Blue Ridge Mountains

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