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SEITE A6 DIE WELT SAMSTAG, 11. DEZEMBER 2010 MOTOR T Beim Spielen mit den Modellbooten werden aus Erwachsenen wieder Kinder MATTHIAS J. MÜNCHEBERG D ick eingepackt stehe ich an dem eiskalten Winterwo- chenende an den Stegen der Baltischen Seglerverei- nigung (BaltSV). Neben mir ein knappes Dutzend Männer mit ei- nem Band um den Hals, das einen Kas- ten trägt. Auf diesem werden hoch kon- zentriert Hebel in Bewegung gesetzt, während die Blicke stur aufs Wasser ge- richtet sind. Männer und ihre Spielzeu- ge: Ich bin zu Besuch bei der 7. Berliner Nikolaus-Regatta der Modellbootklasse Micro Magic. „Papa, das sind ja alles erwachsene Männer, die da spielen“, entfährt es mei- nem 14-jährigen Sohn beim Anblick der Vermummten, die von uns keine Notiz zu nehmen scheinen. Dann, die dritte Wettfahrt ist soeben beendet, tritt ein Graubart mit Mütze und Sonnenbrille auf uns zu: Achim, knapp 57, pro- movierter Elektroinge- nieur. Er arbeitet bei der Fraunhofer-Gesellschaft und leitet dort die Ge- schäftsstelle des Insti- tutsverbunds Mikroelek- tronik, erfahren wir. Joa- chim Pelka, so sein kompletter Name, ist Mitglied der BaltSV und Ausrichter der Niko- laus-Regatta. Wie kommt so je- mand dazu, wie ein Kind mit Modellen auf dem Wasser zu spielen? „Angefangen hat alles mit einer Provision mei- nes Segelmachers“, sagt Pelka. Diese habe aus ei- ner Kyosho Fortune 612 bestanden – „ein ferti- ges, gut aussehendes, aber schlecht segelndes Fertigmodell“, sagt der Ingenieur. Über dieses Modell und das Internetforum „rc-network“ habe er Kontakt zu Tho- mas Dreyer aus Stuttgart bekommen, dem Konstrukteur der Micro Magic, die alle hier nur MM nennen. Dreyer ist in der Szene kein Unbekannter: Immerhin war er schon Weltmeister in der 1-Me- ter-Klasse – und er war früher Mitglied der BaltSV Berlin. Und Dreyer war es auch, der Pelkas Begeisterung für MM geweckt hat. Eine Begeisterung, die er gern an andere weitergibt. „Probier doch mal selbst“, fordert mich Achim auf – und schon bewege ich mit meinen froststarren Fingern kleine Hebel hin und her: Mit dem linken lasse ich die Schoten nach oder hole die Segel dicht, und über den rechten wird das Ruder bewegt. Meinem Sohn ist das peinlich, automatisch nimmt er ein paar Meter Abstand. Das gut einen halben Meter lange Bötchen se- gelt, und es tut tatsächlich, was ich will. Nach einigen unbeholfenen Schlenkern bringe ich es dazu, ein pas- sables Dreieck abzufahren und ein ande- res Boot dabei sogar zu überholen. Der Vorteil des Modellbootsegelns be- stehe vor allem darin, die Winterzeit zu überbrücken, wenn die „richtigen“ Yach- ten (die Modellsegler nennen die echten Segelboote „Großyachten“) trocken an Land stehen. „Auch erfahrene Segler fin- den oftmals Gefallen daran. Denn das Boot segelt durchaus anspruchsvoll und erfordert einiges an Geschick und gutem Reaktionsvermögen, um das Beste aus ihm heraussegeln zu können“, sagt Pel- ka. Er selbst bietet den besten Beweis für diese Behauptung, denn bevor er mit der Modellsegelei begann, war auch er ein „Großsegler“ – seit 1970 auf einem Piraten, dann folgte ein 420er und ein 15-Quadratmeter-Jollenkreuzer. „Heute besitze ich eine Dehler 22“, sagt Pelka, der bis vor einigen Jahren auch an Yard- stick-Regatten und Wettfahrten auf Sportbooten teilgenommen hat. Dann kamen die Modelle. 2004 traute er sich an den Bau einer MM: „Die Kosten lagen da- mals mit Fernsteuerung bei etwa 250 Euro. Dabei war die Steuerung das Teuerste.“ Die Bauzeit betrage etwa drei Mo- nate, es gehe aber auch an zwei Wo- chenenden. Lediglich drei Schritte sei- en es bis zum ersten Regattaeinsatz: Man gehe in ein Modellbaufachgeschäft und kaufe sich einen Bausatz mit Fertig- teilen, eine Fernsteuerung und einen zu- sätzlichen Servo für die Segelverstellung für die Normalausführung. Oder für die Racing-Version einen Microservo für die Ruderverstellung, einen Satz Akkus samt Ladegerät, Klebstoff, etwas Werkzeug und Lacke, die auch ruhig aus dem Bau- markt kommen dürften. „Deutschlandweit ist fast jedes Wo- chenende irgendwo eine Regatta“, sagt Achim Pelka. Fünf Ausschreibungen für Berlin und Brandenburg habe es in die- sem Jahr gegeben. Einer der wichtigsten Unterschiede zum „richtigen“ Segeln sei die Geschwindigkeit: „Die MMs sind kleine Zicken, unheimlich lebendig, und alles geht rasend schnell“, sagt Pelka. Stimmt, kaum dass ich mit meiner MM um die Leetonne herumgesegelt bin, heißt es die Segel auffieren, dabei den Kurs und in dem Gewimmel die Übersicht behalten. Als Problem stellt sich für mich heraus, dass man die Ge- samtsituation nur von außen beobach- ten und beeinflussen kann. Aber das ge- hört dazu. Dafür gibt es auch erheblich weniger Bruch als bei den Großen. Wei- terer Vorteil: „Es gibt keine Verbandsab- hängigkeit, alles organisiert sich spon- tan übers Internet, wo auch basisde- mokratisch die Klassenregeln verhan- delt werden“, sagt Achim. Spricht’s und verschwindet mit seiner selbst gebauten weißen MM. Er nimmt mir die Steuer- einheit und seine blaue „Mini Mum“ mit der Segel-Nummer 253 ab, reguliert die Hebelchen und segelt zur Startlinie. „Cool“, entfährt es meinem Sohn. Wenn er wüsste, dass er unter dem Weihnachtsbaum in diesem Jahr einen MM-Modellbausatz finden wird. Ich freue mich schon jetzt wie ein Kind da- rauf, es mit ihm zusammen aufzubau- en – und das Boot zu segeln. Wenn er mich denn auch einmal an die Kon- sole lässt … Nächste Termine: 2.1.2011 Jahres- Auftakt in Caputh (Klassen RG und IOM), 5./6.3.2011 (MM). Internet: www.MM-sailing.de. Ein Band um den Hals, das die Fern- steuerung vor dem Bauch hält. Ein „Micro-Magic-Modell- boot“. Und eisfreies Wasser: Viel mehr zum Glück brauchen die Segler von Minia- turschiffen nicht MATTHIAS J. MÜNCHEBERG Regatten mit Micro-Magic-Modellbooten sind ein guter Zeitvertreib für die segelfreie Zeit. Ein Selbstversuch am winterlichen Wannsee Wenn der Skipper zur Landratte wird ANZEIGE „Auch erfahrene Segler finden oftmals Gefallen am Umgang mit den Modellbooten“ Joachim Pelka, Ausrichter der Nikolaus-Regatta

2010 micro magic 1

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S E I T E A 6 D I E W E LT S A M S TA G , 11 . D E Z E M B E R 2 010

MOTOR

T Beim Spielen mit denModellbooten werden ausErwachsenen wieder Kinder

MATTHIAS J. MÜNCHEBERG

D ick eingepackt stehe ich andem eiskalten Winterwo-chenende an den Stegender Baltischen Seglerverei-nigung (BaltSV). Neben

mir ein knappes Dutzend Männer mit ei-nem Band um den Hals, das einen Kas-ten trägt. Auf diesem werden hoch kon-zentriert Hebel in Bewegung gesetzt,während die Blicke stur aufs Wasser ge-richtet sind. Männer und ihre Spielzeu-ge: Ich bin zu Besuch bei der 7. BerlinerNikolaus-Regatta der ModellbootklasseMicro Magic.

„Papa, das sind ja alles erwachseneMänner, die da spielen“, entfährt es mei-nem 14-jährigen Sohn beim Anblick derVermummten, die von uns keine Notizzu nehmen scheinen. Dann, die dritteWettfahrt ist soeben beendet,tritt ein Graubart mit Mützeund Sonnenbrille auf unszu: Achim, knapp 57, pro-movierter Elektroinge-nieur. Er arbeitet bei derFraunhofer-Gesellschaftund leitet dort die Ge-schäftsstelle des Insti-tutsverbunds Mikroelek-tronik, erfahren wir. Joa-chim Pelka, so seinkompletter Name, istMitglied der BaltSV undAusrichter der Niko-laus-Regatta.

Wie kommt so je-mand dazu, wie einKind mit Modellen aufdem Wasser zu spielen?„Angefangen hat allesmit einer Provision mei-nes Segelmachers“, sagtPelka. Diese habe aus ei-ner Kyosho Fortune 612bestanden – „ein ferti-ges, gut aussehendes,aber schlecht segelndes

Fertigmodell“, sagt der Ingenieur. Überdieses Modell und das Internetforum„rc-network“ habe er Kontakt zu Tho-mas Dreyer aus Stuttgart bekommen,dem Konstrukteur der Micro Magic, diealle hier nur MM nennen. Dreyer ist inder Szene kein Unbekannter: Immerhinwar er schon Weltmeister in der 1-Me-ter-Klasse – und er war früher Mitgliedder BaltSV Berlin. Und Dreyer war esauch, der Pelkas Begeisterung für MMgeweckt hat. Eine Begeisterung, die ergern an andere weitergibt. „Probier dochmal selbst“, fordert mich Achim auf –

und schon bewege ich mit meinenfroststarren Fingern kleine Hebel hin

und her: Mit dem linken lasse ich dieSchoten nach oder hole die Segel

dicht, und über den rechten wirddas Ruder bewegt.

Meinem Sohn ist das peinlich,automatisch nimmt er ein paar

Meter Abstand. Das gut einenhalben Meter lange Bötchen se-

gelt, und es tut tatsächlich,

was ich will. Nach einigen unbeholfenenSchlenkern bringe ich es dazu, ein pas-sables Dreieck abzufahren und ein ande-res Boot dabei sogar zu überholen.

Der Vorteil des Modellbootsegelns be-stehe vor allem darin, die Winterzeit zuüberbrücken, wenn die „richtigen“ Yach-ten (die Modellsegler nennen die echtenSegelboote „Großyachten“) trocken anLand stehen. „Auch erfahrene Segler fin-den oftmals Gefallen daran. Denn dasBoot segelt durchaus anspruchsvoll underfordert einiges an Geschick und gutemReaktionsvermögen, um das Beste ausihm heraussegeln zu können“, sagt Pel-ka. Er selbst bietet den besten Beweisfür diese Behauptung, denn bevor er mitder Modellsegelei begann, war auch erein „Großsegler“ – seit 1970 auf einemPiraten, dann folgte ein 420er und ein15-Quadratmeter-Jollenkreuzer. „Heutebesitze ich eine Dehler 22“, sagt Pelka,der bis vor einigen Jahren auch an Yard-stick-Regatten und Wettfahrten aufSportbooten teilgenommen hat.

Dann kamendie Modelle.2004 traute er sichan den Bau einer MM:„Die Kosten lagen da-mals mit Fernsteuerungbei etwa 250 Euro. Dabei wardie Steuerung das Teuerste.“Die Bauzeit betrage etwa drei Mo-nate, es gehe aber auch an zwei Wo-chenenden. Lediglich drei Schritte sei-en es bis zum ersten Regattaeinsatz:Man gehe in ein Modellbaufachgeschäftund kaufe sich einen Bausatz mit Fertig-teilen, eine Fernsteuerung und einen zu-sätzlichen Servo für die Segelverstellungfür die Normalausführung. Oder für dieRacing-Version einen Microservo für dieRuderverstellung, einen Satz Akkus samtLadegerät, Klebstoff, etwas Werkzeugund Lacke, die auch ruhig aus dem Bau-markt kommen dürften.

„Deutschlandweit ist fast jedes Wo-chenende irgendwo eine Regatta“, sagtAchim Pelka. Fünf Ausschreibungen fürBerlin und Brandenburg habe es in die-sem Jahr gegeben. Einer der wichtigstenUnterschiede zum „richtigen“ Segeln seidie Geschwindigkeit: „Die MMs sindkleine Zicken, unheimlich lebendig, undalles geht rasend schnell“, sagt Pelka.

Stimmt, kaum dass ich mit meinerMM um die Leetonne herumgesegeltbin, heißt es die Segel auffieren, dabeiden Kurs und in dem Gewimmel die

Übersicht behalten. Als Problem stelltsich für mich heraus, dass man die Ge-samtsituation nur von außen beobach-ten und beeinflussen kann. Aber das ge-hört dazu. Dafür gibt es auch erheblichweniger Bruch als bei den Großen. Wei-terer Vorteil: „Es gibt keine Verbandsab-hängigkeit, alles organisiert sich spon-tan übers Internet, wo auch basisde-mokratisch die Klassenregeln verhan-delt werden“, sagt Achim. Spricht’s undverschwindet mit seiner selbst gebautenweißen MM. Er nimmt mir die Steuer-einheit und seine blaue „Mini Mum“ mitder Segel-Nummer 253 ab, reguliert dieHebelchen und segelt zur Startlinie.

„Cool“, entfährt es meinem Sohn.Wenn er wüsste, dass er unter demWeihnachtsbaum in diesem Jahr einenMM-Modellbausatz finden wird. Ichfreue mich schon jetzt wie ein Kind da-rauf, es mit ihm zusammen aufzubau-en – und das Boot zu segeln. Wenn ermich denn auch einmal an die Kon-sole lässt …Nächste Termine: 2.1.2011 Jahres-Auftakt in Caputh (Klassen RGund IOM), 5./6.3.2011 (MM).

Internet: www.MM-sailing.de.

Ein Band um denHals, das die Fern-steuerung vor demBauch hält. Ein „Micro-Magic-Modell-boot“. Und eisfreiesWasser: Viel mehrzum Glück brauchendie Segler von Minia-turschiffen nicht

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Regatten mit Micro-Magic-Modellbooten sindein guter Zeitvertreib für die segelfreie Zeit. Ein Selbstversuch am winterlichen Wannsee

Wenn der Skipper zur Landratte wird

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