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Wenn das Blut in den Adern stockt –von Angst- und anderen StörungenSee-Symposium, 25.10.18, Horgen
Katja Cattapan
Angst hat verschiedene Dimensionen:Affektiv – physiologisch – kognitiv – motivational / behavioral
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Quelle: www.doku.berufsbildung.ch
Bsp.:
Unterschied Angst / Furcht
• Furcht («Realangst»): bezieht sich auf eine konkrete Bedrohungssituation, Furcht ist notwendig, um schnell und adäquat auf Bedrohungen zu reagieren– Motivation, um Energie zu mobilisieren und um vorsichtig und klug zu handeln
• Angst: ungerichteter Gefühlzustand– Die bedrohende Situation liegt nicht momentan vor bzw. ist nicht konkret– Charakteristisch ist das Gefühl der eigenen Schwäche und Hilflosigkeit
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Angst im Rahmen psychiatrischer Erkrankungen
• Angststörungen• Generalisierte Angststörung• Soziale Phobie• Panikstörung mit / ohne Agoraphobie• Spezifische Phobien
• Akute Belastungsreaktion, Posttraumatische Belastungsstörung• Ängstliche Persönlichkeitszüge / -störungen
• Länger dauernde, in der Jugend beginnende Persönlichkeitseigenschaft; die Auslöser sind sehr unkonkret
• Angst als eines von mehreren Hauptsymptomen:• Depression, Anpassungsstörung• Zwangsstörungen
• Angst als Begleitsymptom folgender psychiatrischer Erkrankungen:• Psychose / Schizophrenie• Demenz
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Verminderte Ängstlichkeit
• Angstlosigkeit - jede Gefahr wird ignoriert
• Angstlust - Gefahr wirkt belebend (Sensation Seeker; Sensation Seeking Scale, Zukerman Questionnaire)
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Akute ANGST-STRESS-ReaktionAnpassungsfähigkeit auf eine unberechenbare Umwelt
6Flight or Fight (or Freeze) Folie: Dr. A. Orosz
Zusammenhang Angstsymptome / chron. Stress
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Frühe DeprivationTiermodell für chronischen Stress und erhöhte Ängstlichkeit
• Ratten werden vom Muttertier getrennt (frühe Deprivation); dies führt langfristig zu erhöhten Stresshormonspiegeln (Cortisol,
ACTH)
stärker ausgeprägter Sensitivität gegenüber Stressoren
vermehrter Ängstlichkeit und erhöhter motorischer Aktivität in angstauslösenden Situationen
strukturellen Hirnveränderungen
(Pryce et al., 2005)
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Bild: PLOS
Frühe StresserfahrungenDas genetisch determinierte Stress-Verarbeitungssystem reift in den ersten Lebensjahren aus
• Frühe Stresserfahrungen («childhood adversities»)• Eingeschränkte Funktion des Stressverarbeitungssystems• Lebenslang dysfunktionale Stressverarbeitung
• Familiäre Gewalt• Körperlich• Verbal• Sexueller Missbrauch
• Emotionale Vernachlässigung• Chronisch krankes Elternteil• Eltern psychisch krank / Sucht• Krankes Geschwister• Rollenumkehr / Parentefizierung• Ein-Eltern-Familie
• Schlechte sozioökonomische Beziehungen
9Adaptiert nach U. Egle, 2015
Primäre Angsterkrankungen
• Panikstörung mit / ohne Agoraphobie
• Generalisierte Angststörung
• Soziale Phobie
• Einfache (oder spezifische) Phobie
Versorgung
• 45% aller Angststörungen werden in der Primärversorgung nicht erkannt (Europa; Wittchen & Jacobi, 2005)
• Patienten geben oft als primäres Symptom nicht Angst, sondern Schmerzen oder Schlafstörungen an
• Bei einer bestehenden Depression wird oft eine komorbideAngststörung nicht erkannt und mitbehandelt
• Gute Behandelbarkeit
• Bei Nichtbehandlung Tendenz zur Chronifizierung
1. Schritt
• «Dran denken»
• Somatische und psychiatrische Diagnostik
• Psychoedukation, Informationen über• Symptomatologie
• Ätiologie
• Behandlung
Panikstörung (mit / ohne Agoraphobie)
Lebenszeitprävalenz: 6 %; Frauen / Männer : 2 / 1Erkrankungsalter: 24 J.
Panikstörung - Entstehung
1. Schlüsselerlebnis – panikartige vegetative Entgleisung, häufig multifaktoriell bedingt
2. Wahrnehmung führt zu Angst und konsekutiver Verstärkung der Symptomatik (Panikerleben)
3. Erhöhte vegetative Vulnerabilität + verstärkte ängstliche Selbstbeobachtung (oft erster ärztlicher Kontakt)
4. Phobophobie (Erwartungsangst)
5. Konditionierte Angstreaktion (durch externe Stimuli oder Kognitionen)
6. Meideverhalten
7. Negative Verstärkung (je mehr Meidung, desto höher die Angst)
8. Anpassung wichtiger Lebensbereiche
www.ivah.de
Panikstörung - Behandlungsziele
• Veränderung der ängstlichen Selbstbeobachtung und Fehlinterpretation vegetativer Reaktionen
• Reduktion der vegetativen Reaktionsbereitschaft
• Durchbrechen des Meideverhaltens
• Veränderung der Lebenssituation (Wiederherstellen von Sozialkontakten, berufliche Entwicklung, Klärung von Lebenszielen)
Panikstörung - Behandlung
• Kognitive Verhaltenstherapie, Wirksamkeit 80%
1. Beschreibung des Panikzustandes
- Reaktionsexpositionen:
- willentliche Herbeiführung des Panikzustandes, Beobachtung automatischer Gedanken – kognitives Reframing
- Willentliche Herbeiführung des Panikzustandes durch eigene Gedanken – kognitives Rehearsal
2. Veränderung der Angst provozierenden Kognitionen durch internen Dialog oder Gedankenstopp, Reaktionsexpositionen «im Feld»
3. Behandlung der Sekundärfolgen (v.a. Meideverhalten)
4. Erlernen von Entspannungsverfahren (z.B. Progressive Relaxation)
Panikstörung – Komplikationen
• Komorbidität: Depression
• Komorbidität: Sucht
• Bei vorhandenem körperlichen Erkrankungen
• Aufrechterhaltende Funktion, z.B. in der Beziehung
• Schlafstörungen
• Soziale Einschränkungen
Panikstörung - Behandlung
• Akute Panikattacke: Alprazolam (0.5 – 2mg; Lorazepam 1 – 2.5 mg) – nicht während der Expositionsbehandlungen!
• Erhaltungstherapie (Latenz der Wirkung 2-4 Wochen)
• SSRI• Citalopram (20 – 40 mg)
• Escitalopram (10 – 20 mg)
• Paroxetin (20 – 60 mg)
• Sertralin (50 – 150 mg)
• SNRI• Venlafaxin (75 – 225 mg)
• Off-label: Quetiapin (12.5 bis 50 mg)
Soziale Phobie
• Lebenszeitprävalenz: 12 %, Frauen / Männer : 1.5 / 1
• Ersterkrankungsalter: 13 J.
• Oft zurückhaltende Menschen; erkennbar, wenn Betroffene sich exponieren sollen
• «Blickphobie»: Unfähigkeit, Blickkontakt aufzunehmen oder zu halten
www.ivah.de
Soziale Phobie - Behandlung
• Kognitive Verhaltenstherapie
1. Erarbeitung eines Angstmodells (internale vs. externaleAngstattribution) – kognitive Situations- und Problemumdeutung
2. Expositionsübungen (v.a. in Bezug auf das Blickverhalten)
3. Ergänzende Entspannungsübungen
4. Training sozialer Kompetenzen
Soziale Phobie – Komplikationen
• Einsicht für die Therapieindikation
• Komorbidität: Depression
• Komorbidität: Sucht
• Schlafstörungen
• Somatoforme Schmerzstörungen
Soziale Phobie - Behandlung
• Erhaltungstherapie (Latenz der Wirkung 2-4 Wochen)
• SSRI• Escitalopram (10 – 20 mg)
• Paroxetin (20 – 50 mg)
• Sertralin (50 – 150 mg)
• SNRI• Venlafaxin (75 – 225 mg)
Generalisierte Angststörung
Generalisierte Angststörung
• Lebenszeitprävalenz: 6% (Frauen / Männer: 1.5 / 1)
• Erkrankungsalter: 31 J.
• Komorbidität mit Depression 40 – 67 %
• DD (resp. Folgeerkrankung): somatoforme Störung
• Symptome
• Sich sorgen («worrying»)
• Mechanismus
• Negativer Aufmerksamkeits- und Verarbeitungsbias
• «Problemlöseversuch», Vermeidung von unangenehmen bildlichen Vorstellungen und negativen vegetativen Erregungen
• Unsicherheitsintoleranz
General. Angststörung - Behandlungsziele
• Unterscheidung zwischen «Sorgen haben» und «sich Sorgen machen»
• Konkretisierung der Sorgen und Aenderung der kognitiven Verzerrungen
• Unterbrechung von fortlaufenden katastrophisierenden Assoziationen
• Aenderung der Aufmerksamkeitsfokussierung auf potentiell bedrohliche Reize
• Abbau des Vermeidungs- und Rücksicherungsverhaltens
• Aufbau von Problemlöse- und Verhaltensfertigkeiten
• Reduktion von vegetativer Übererregbarkeit
• Abbau von mit Angst inkompatiblen Aktivitäten
Generalisierte Angststörung - Behandlung
• Kognitive Verhaltenstherapie
• Verhaltensanalyse (insbesondere Wahrnehmung von Bedrohungen)
• Geleitetes Entdecken, Selbstbeobachtungsaufgaben
• Kognitive Umstrukturierung (Problem sind Bedrohungswahrnehmungen und –verarbeitung, nicht –inhalte).
• Umgang mit Angstgefühlen (Sorgenexposition)
• Problemlösetraining
• Ressourcenaktivierung
• Entspannungstraining
Generalisierte Angststörung - Behandlung
• SNRI• Venlafaxin 75 – 225 mg
• Duloxetin 60 - 120 mg
• SSRI• Paroxetin 20 - 50 mg
• Escitalopram 10 – 20 mg
• Pregabalin (150 – 600 mg)
• Symptomatische Behandlung der Schlafstörungen
Spezifische Phobie
• Lebenszeitprävalenz: 12.5% (Frauen / Männer: 2.3 / 1)
• Erkrankungsalter: 7 J.
• Meist ohne grosse funktionelle Einschränkungen
• Expositionstherapie
Benzodiazepine bei Angststörungen
• Möglichst nur in der Akuttherapie oder als Reservemedikament
• Abhängigkeitsrisiko (Abhängigkeit bei 1/3 der Pat. nach 4 – 8 Monate regelmässiger Einnahme)
• Kontraindiziert in Zusammenhang mit Expositionstherapie
• Fähigkeit zum Autofahren ist unter Benzodiazepinen nicht gegeben
• Off-label: Ersatz durch sedierende Antipsychotika (z.B. Quetiapin)
Take-Home-Message
• Angststörungen sind gut behandelbar, werden aber zu selten diagnostiziert und spezifisch behandelt
• Angstpatienten entwickeln häufig Depressionen, somatoforme Schmerzstörungen, Suchterkrankungen und / oder Schlafstörungen
• Medikamente und Psychotherapie (kognitive Verhaltenstherapie) sind wirksam, am Besten und Nachhaltigsten wirkt die Kombination
• Benzodiazepine haben ein hohes Abhängigkeitsrisiko
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit
Kompetenzzentrum für Psychiatrie und Psychotherapie am Zürichsee
Kontaktangaben der Referentin:[email protected] www.symbalance.ch