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DerSchmerz (1995) 9:259-263 Springer-Verlag 1995 H. GObel Aktuelle Schmerzprobleme in der Neurologie 1. Arbeitstagung der Arbeitsgemeinschaft Schnlerz in der Deutschen Gesellschaft fiir Neurologie, Kiel, 17.-18. Februar 1995 Eingegangen: 10.Mai 1995 Angenommen: 4. Juli 1995 H. G6bel Klinik ftir Neurologie Universit/~tKiel, Niemannsweg 147 D-24105Kiel Die Arbeitsgemeinschaft Schmerz in der Deutschen Gesellschaft ftk Neurologie veranstaltete vom 17. bis 18.Februar 1995 in Kiel eine wissenschaftliche Tagung und ein Intensivrepetitorium zum Thema ,,Aktuelle Schmerzprobleme in der Neurologie". Tagungspr~si- dent der Veranstaltung war der Sprecher der Arbeitsge- meinschaft, Prof. Dr. med. Dieter Soyka. Die wissen- schaftliche und organisatorische Leitung ft~hrte Priv.- Doz. Dr. Hartmut G6bel durch. An der zweit~igigen Konferenz nahmen insgesamt 420 Arzte teil. Neben Ple- narvortr/~gen wurden Seminare zu praktischen schmerz- therapeutischen Themen angeboten. Einfiihrung: Neurologische Schmerztherapie (Prof. Dr. reed. D. Soyka) Prof. Soyka gab eine kurze Einft~hrung in die Systema- tik der Schmerzsyndrome und deren Behandlung. Schmerzen k6nnen sowohl peripher als auch in zentra- len Bereichen des Nervensystems entstehen. Bei Schmerzen im peripheren Nervensystem unterscheidet man zwischen neuropathischen (z. B. Polyneuropathie) und neuralgieformen Schmerzen (z. B. Trigeminusneur- algie). Als Beispiele fiir zentral bedingte Schmerzen wurden traumatisch bedingte L~isionen des Rt~ckenmar- kes, die Syringomyelie, der Phantomschmerz nach Am- putationen, der Thalamusschmerz und Schmerzen bei suprathalamischen L/~sionen der ZNS er6rtert. Prof. Soyka wies auf die Notwendigkeit einer einheitlichen Definition, Klassifikation, Diagnostik, Therapie und In- stitutionalisierung der spezialisierten neurologischen Schmerztherapie bin. Plenarvortrag: Schmerzdiagnostik- und Analyse, (Priv.-Doz. Dr. med. W6rz) Einleitend er6rterte Priv.-Doz. W6rz Schmerzdefinitio- nen. Schmerz sei ein Symptom plus ein mit dem Schmerz zusammenh/ingendes Agens, im Sinne einer fiir den Schmerz urs~chlichen k6rperlichen Ver/inde- rung. Daraufhin unterschied er zwischen akuten, chro- nischen (> 3 Monate anhaltende) und intermittierende Schmerzen. Das diagnostische Vorgehen mug auf das Erfassen der Ursachen des Schmerzes ausgerichtet sein. Bei der Anamnese kann ph~nomenologisch vorge- gangen werden und der Schmerz in Zeit und Raum so- wie in seiner Qualit~it, seiner Intensit/~t und durch seine modulierenden Faktoren eingeordnet werden. Das Ftih- ren eines Schmerzkalenders durch den Patienten kann ftir die Diagnose von entscheidender Wichtigkeit sein. Ebenso wichtig ist eine genaue Lokalisation des Schmerzes. In seinen weiteren Ausftihrungen ging WiSrz auf die verschiedenen Erscheinungsformen des Schmerzes ein, von denen die Quadrantensyndrome, die Hyperpathien, der Phantomschmerz, die Kausal- gien, der Thalamusschmerz, der tabische Schmerz, un- gekl/~rte Schmerzempfindungen bei coen~isthetischer Schizophrenie und psychogener Schmerz sowie die Triggerpunktsyndrome genannt seien.

Aktuelle schmerzprobleme in der neurologie

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Page 1: Aktuelle schmerzprobleme in der neurologie

Der Schmerz (1995) 9:259-263 �9 Springer-Verlag 1995

H. GObel Aktuelle Schmerzprobleme in der Neurologie

1. Arbeitstagung der Arbeitsgemeinschaft Schnlerz in der Deutschen Gesellschaft fiir Neurologie, Kiel, 17.-18. Februar 1995

Eingegangen: 10.Mai 1995 Angenommen: 4. Juli 1995

H. G6bel Klinik ftir Neurologie Universit/~t Kiel, Niemannsweg 147 D-24105 Kiel

Die Arbeitsgemeinschaft Schmerz in der Deutschen Gesellschaft ftk Neurologie veranstaltete vom 17. bis 18.Februar 1995 in Kiel eine wissenschaftliche Tagung und ein Intensivrepetitorium zum Thema ,,Aktuelle Schmerzprobleme in der Neurologie". Tagungspr~si- dent der Veranstaltung war der Sprecher der Arbeitsge- meinschaft, Prof. Dr. med. Dieter Soyka. Die wissen- schaftliche und organisatorische Leitung ft~hrte Priv.- Doz. Dr. Hartmut G6bel durch. An der zweit~igigen Konferenz nahmen insgesamt 420 Arzte teil. Neben Ple- narvortr/~gen wurden Seminare zu praktischen schmerz- therapeutischen Themen angeboten.

Einfiihrung: Neurologische Schmerztherapie (Prof. Dr. reed. D. Soyka)

Prof. Soyka gab eine kurze Einft~hrung in die Systema- tik der Schmerzsyndrome und deren Behandlung. Schmerzen k6nnen sowohl peripher als auch in zentra- len Bereichen des Nervensystems entstehen. Bei Schmerzen im peripheren Nervensystem unterscheidet man zwischen neuropathischen (z. B. Polyneuropathie) und neuralgieformen Schmerzen (z. B. Trigeminusneur- algie). Als Beispiele fiir zentral bedingte Schmerzen wurden traumatisch bedingte L~isionen des Rt~ckenmar- kes, die Syringomyelie, der Phantomschmerz nach Am- putationen, der Thalamusschmerz und Schmerzen bei suprathalamischen L/~sionen der ZNS er6rtert. Prof.

Soyka wies auf die Notwendigkeit einer einheitlichen Definition, Klassifikation, Diagnostik, Therapie und In- stitutionalisierung der spezialisierten neurologischen Schmerztherapie bin.

Plenarvortrag: Schmerzdiagnostik- und Analyse, (Priv.-Doz. Dr. med. W6rz)

Einleitend er6rterte Priv.-Doz. W6rz Schmerzdefinitio- nen. Schmerz sei ein Symptom plus ein mit dem Schmerz zusammenh/ingendes Agens, im Sinne einer fiir den Schmerz urs~chlichen k6rperlichen Ver/inde- rung. Daraufhin unterschied er zwischen akuten, chro- nischen (> 3 Monate anhaltende) und intermittierende Schmerzen. Das diagnostische Vorgehen mug auf das Erfassen der Ursachen des Schmerzes ausgerichtet sein. Bei der Anamnese kann ph~nomenologisch vorge- gangen werden und der Schmerz in Zeit und Raum so- wie in seiner Qualit~it, seiner Intensit/~t und durch seine modulierenden Faktoren eingeordnet werden. Das Ftih- ren eines Schmerzkalenders durch den Patienten kann ftir die Diagnose von entscheidender Wichtigkeit sein. Ebenso wichtig ist eine genaue Lokalisation des Schmerzes. In seinen weiteren Ausftihrungen ging WiSrz auf die verschiedenen Erscheinungsformen des Schmerzes ein, von denen die Quadrantensyndrome, die Hyperpathien, der Phantomschmerz, die Kausal- gien, der Thalamusschmerz, der tabische Schmerz, un- gekl/~rte Schmerzempfindungen bei coen~isthetischer Schizophrenie und psychogener Schmerz sowie die Triggerpunktsyndrome genannt seien.

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Plenarvortrag: Schmerztherapie in der Praxis: Kritik und Visionen (Prof. Dr. med. Krainick)

Prof. Krainick erlfiuterte einffhrend die Funktionen der unterschiedlichen Schmerzformen. So habe akuter Schmerz eine Signal- und Warnfunktion. Chronische Schmerzen sprechen for eine anhaltende Sch~idigung des Organismus. Chronifizierte Schmerzen dagegen sind Schmerzen, die nach Beseitigung der eigentlichen Noxe persistieren, wobei sich der eigentliche Schmerz verselbst~indigt hat und vornehmlich soziale Funktio- nen einnimmt, wobei gerade die Patienten mit chroni- schen und chronifizierten Schmerzen die eigentliche Zielgruppe der Schmerztherapeuten darstellen. Weiter- hin sind Schmerzen in kausal behandelbare, kausal nicht behandelbare und kausal scheinbar nicht behan- delbare Schmerzen (hier viele Fehldiagnosen) unterteil- bar. Bisher seien die Richtlinien far die Schmerzthera- pie hinsichtlich Weiterbildung und Praxisausstattung auf anfisthesiologische Sichtweise zugeschnitten. Bei dieser Begrenzung wiirden jedoch nicht alle diagnosti- schen und therapeutischen Aspekte ausreichend be- rfcksichtigt. Notwendig sei daher eine Schwerpunktbil- dung in der Schmerztherapie auf den Gebieten der Neu- rologie, Psychiatrie, Neurochirurgie und Orthop~idie. Diese Disziplinen wt~rden diagnostisches und therapeu- tisches Inventar zur Verffgung stellen, das fiir die hfiu- figsten Schmerzerkrankungen erforderlich sei. Ab- schliel3end stellte Krainick die interdisziplin~ire Zusam- menarbeit verschiedener Fachrichtungen in der Schmerztherapie als Notwendigkeit dar.

Plenarvortrag: Zur Klinik und Myopathologie von Muskelschmerzen (Prof. Dr. reed. Pongratz)

Prof. Pongratz erlfiuterte in einem Kurzrepititorium die anatomischen und physiologischen Grundlagen zur Funktion der Skelettmuskulatur. 121berleitend wurde die Pathophysiologie der Muskelschmerzen erkl~irt, die meist entweder als mesenchymale Muskelschmerzen, z. B. in Form eines Muskelkaters oder als Sehnenansatz- schmerz, in Erscheinung treten. Der weitere Vortrag er- 6rterte mit Schmerz assoziierte Muskelerkrankungen. Dabei wurden heredit~ire (z. B. Duchenne Muskeldys- trophie) und erworbene Myopathien unterschieden, wobei die erworbenen Muskeldystrophien in entziindli- che (erreger- oder immunvermittett), toxische (z.B. durch Lipidsenker oder ~ithyltoxisch bedingte), vasku- l~ire (Kompartmentsyndrom oder embolisch bedingte), mechanische (z. B. bei Muskelrig) Myopathien und den Weichteilrheumatismus unterteilt werden. Zum Ab- schlul3 ging Pongratz auf neue Erkenntnisse in der Pa- thophysiologie des Muskelkaters ein, der nicht wie bis- her angenommen durch anaerobe Stoffwechselbedin- gungen mit Laktatanh~iufung entsteht, sondern durch

Mikrotraumen der roten Muskelfasern, die zur Migra- tion yon Histiozyten ins Muskelgewebe ftihren und freie Nervenendigungen erregen.

Plenarvortrag: Riickenschmerzen (Prof. Dr. reed. Deuschl]

Prof. Deuschl wies zu Beginn seines Vortrages auf die grol3e sozialmedizinische Bedeutung yon Rfcken. schmerzen hin, da 25 % aller Arbeitsausfalle in der Bun- desrepublik durch Wirbelsfiulenschmerzen bedingt sind. Daraufhin folgten Ausffhrungen fiber die Pathophysi0- logie yon Riickenschmerzen. Es wurde u.a. die nor- male Funktion und altersphysiologische Verfinderun- gen des Bandscheibenapparates erl~iutert, auf die typi- sche Altersverteilung von Patienten mit Rfcken- schmerzen eingegangen (35.-55.Lebensjahr) und die tragenden und belasteten Strukturen der Wirbelsaule (Bandscheibe und kleine Wirbelgelenke) und die schmerzleitenden Strukturen der Wirbels~iule (Band- scheibenring, hinteres L~ingsband und Facette) darge- stellt. Im weiteren erl~iuterte der Referent die Klinik der Riickenschmerzen, die sich unterschiedlich bei ei- nem lumbalen oder zervikalen Lokalsyndrom, einem klassischen Wurzelschmerz, einem Facettensyndrom und einer spinalen Enge darstellen kann. Als Differenti- aldiagnose kommen u.a. ein Bandscheibenvorfall, eine Diszitis, eine Spondylitis, Raumforderungen im Be- reich der Wirbelsaule, ein Herpes zoster, ein Thoracic outlet Syndrom, ein Pancoast Tumor, eine neuralgische Schulteramyotrophie und eine Borreliose in Betracht. Zur Therapie der Riickenschmerzen kOnnen neben operativen Verfahren, nichtsteroidale Antirheumatika, Analgetika, muskelrelaxierende Therapeutika, Opioi- de, eine konsequente Rtickenschulung, Krankengymna- stik und Entspannungstraining eingesetzt werden. Zum Schlul3 ging Prof. Deuschl auf neue Erkenntnisse beim sog. Post-Dissektomie-Syndrom und dem Bild einer Schulteramyotrophie bei traumatischer Dissektion der A. vertebralis ein.

Plenarvortrag: Schmerz bei Erkrankungen des vegetativen Nervensystems (Dr. Baron)

Die sympathische Reflexdystrophie ist eine Form von Schmerzen, die durch eine Aktivierung des Sympathi- kus hervorgerufen wird. Sie kann sich in einem Spon- tanschmerz, der meist als brennend beschrieben wird, einer kalten Haut im betroffenen Bezirk, einer Dyshi- drosis, einem Odem der Haut, einer Hypertrichosis und einer Knochenentkalkung auBern. Fiir die Entste- hung der Schmerzen unter dem EinfluB des Sympathi- kus gibt es unterschiedliche Theorien. Es ist m6glich, dab es sich um eine ephaptische l]bertragung (Kurz- schlug) zwischen afferenten und efferenten sympathi-

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schen Fasern in der Peripherie oder im Bereich des Spi- nalganglions handelt, bei dem sich sympathische Fa- sern bildlich gesprochen um afferente Fasern ranken. Strukturelle Analoga zu dieser Theorie wurden bisher nicht gefunden. Man nimmt heute an, dab ein Kontakt zwischen sympathischen Fasern und prim~iren Afferen- zen auf der Basis einer Interaktion tiber eine Mikrozir- kulation bzw. durch ein gemeinsames Mikromilieu der Schmerzfasern zustandekommt. Sympathikusblocka- den k6nnen eine Besserung der Symptome einer sympa- thischen Reflexdystrophie erzeugen, ftir eine l~ingerfri- stige Therapie sind sie jedoch von untergeordneter Be- deutung. Gleiches gilt ftir die Durchtrennung sympathi- scher Fasern, da die Durchblutung der Haut einem Ei- genrhythmus der Gef/il3e unterliegt und diese therapeu- tische Intervention eher von diagnostischer Bedeutung ist. Eine zufriedenstellende Therapie der sympathi- schen Reflexdystrophie konnte bisher nicht gefunden werden.

Plenarvortrag: Zentrale Schmerzsyndrome (Prof. Dr. med. Einh~iupl, Berlin)

L~isionen verschiedener Art k6nnen zu zentral beding- ten Schmerzen ftihren, so z. B. Infarkte, A-V-Malforma- tionen, Aneurysmen, Blutungen, Syringobulbie, Multi- ple Sklerose, Tuberkulome der Pons oder Thalamusab- szesse. Die Latenz vom Zeitpunkt der L~ision bis zum Auftreten der Schmerzen kann Wochen bis Jahre betra- gen. Charakteristisch an zentralen Schmerzen ist, dab sie sowohl spontan auftreten, als auch evozierbar sind und in der Intensit~it acceleriert verlaufen. Die Schmer- zen werden h~iufig diffus im K6rper verteilt wahrgenom- men und haben oft einen brennenden Charakter. Wei- terhin typisch ist, dab diese Schmerzen nicht oder nur schlecht auf Opioide ansprechen. Die eigentliche Pa- thophysiologie zentral bedingter Schmerzen ist weitge- hend unklar, einige Mechanismen, wie ein Synapsenver- lust, eine Synapsen-Neogenese mit Sprouting und ephaptische Verbindungen zwischen Nervenfasern und eine Disinhibition im schmerzverarbeitenden Systemen scheinen dabei jedoch eine wichtige Rolle zu spielen. Zentrale Schmerzen werden nicht ausschlieglich durch Lasion des Thalamus generiert. Es bestehen Hinweise, dab auch St6rungen in anderen Bereichen des ZNS zu zentralen Schmerzen ftihren k6nnen. Abschliel3end wurde ein Einblick in den derzeitigen Stand der Thera- pie zentraler Schmerzen gegeben, wobei Prof. Ein- h~iupl betonte, dab eine Behandlung mit neuro- und psychotropen Substanzen, wie z.B. Antidepressiva, sti- mulierenden und destruierenden Ma/3nahmen meist vorzuziehen seien.

Plenarvortrag: Schmerzen bei Polyneuropathien (Prof. Dr. med. NeundSrfer, Erlangen)

Bei peripheren Neuropathien kommen Schmerzen meist in 2 Hauptformen vor, zum einen als dys~istheti- scher Schmerz (z.B. bei Diabetes mellitus und beim Burning-Feet-Syndrom), der h~iufig als oberfl~ichlicher, brennend-prickelnder Schmerz beschrieben wird, sich distal im Verlauf eines peripheren Nerven findet und sich bei k6rperlicher Aktivitgt verschlechtert. Als zwei- te Hauptform der Schmerzen peripher-neuropathischer Ursache findet ein sog. Nervenstammschmerz (z. B. bei Nervenwurzellgsion S 1, oder die neuralgische Schulter- amyotrophie), der als bohrender Tiefenschmerz be- schrieben wird, wie z. B. beim Zahnschmerz. Daraufhin ging Prof. Neund6rfer kurz auf die verschiedenen Theo- rien zur Pathophysiologie yon Schmerzen bei periphe- ren Neuropathien ein. So erl~iuterte er Vorstellungen der Gate-Control-Theorie, die M6glichkeit einer Ausl/3- sung der Schmerzen durch ektopische Impulsentste- hung, oder eine Stimulation durch nervi nervorum. Hfiufig sind neben peripheren Mechanismen zentralner- vOse Mechanismen bei der Genese peripherer Schmer- zen involviert (z.B. Karpaltunnelsyndrom). In seinen Ausffihrungen ging Prof. NeundOrfer auf die mit Schmerzen verbundenen peripheren Neuropathien ein: das Guillain-Barr6-Syndrom, M.Bannwarth, vaskuli- tische Polyneuropathien (z. B. Churg-Strauss-Syndrom) und toxische Neuropathien (z. B. ~thyltoxisch, Diabe- tes mellitus) sowie Paraprotein~mie und Meningeosis carcinomatosa. Zur medikament0sen Therapie peri- pher-neuropathisch bedingter Schmerzen kommt bei Polyneuropathen meist alph-Lipons~iure, Amitriptylin, Mexilitin sowie lokal Capsaicin Salbe zur Anwendung.

Plenarvortrag: Schmerzen bei peripheren Nervenliisionen (Prof. Dr. reed. StShr, Augsburg)

Prof. St/3hr zeigte anhand einiger Fallbeispiele, wie dra- matisch sich Fehldiagnosen in der Behandlung von Schmerzen ffir die betroffenen Patienten auswirken k6nnen, wenn unnOtig aggressive Methoden zur Be- handlung angewendet werden, ohne dab vorher eine korrekte Diagnose gestellt werden konnte. Prof. St/Shr betonte, dab der Ort, an dem die Schmerzen wahrge- nommen werden, nicht immer gleichzeitig der Ort der L~sion sein mug. Daraufhin ginger auf die Differential- diagnosen peripherer Nervenlfisionen ein und veran- schaulichte das praktische Vorgehen. Wichtige Erkran- kungen, die differenziert werden mtissen sind u.a. das Thoracic-outlet-Syndrom, das Neurinom, der Pancoast- Tumor, das Kompartmentsyndrom und der akute Ver- schluB eines Blutgefhf3es. Zur Basisbehandlung yon Nervenverletzungen geh6rt in erster Linie die Vermei- dung yon Sekundfirschgden, z.B. durch F6rderung der

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Nervenregeneration, Erlernen yon Ersatzbewegungen und falls erforderlich auch berufliche Umschulungen. Als gesicherte Magnahme zur F6rderung der Nervenre- generation gilt die aktive Ubungsbehandlung unter An- leitung yon Krankengymnasten. Operative Behand- lungsm6glichkeiten sind die Nervennaht, die Nerven- verlagerung, die Nerventransplantation, der Nerven- transfer und die Neurolyse.

Plenarvertrag:. Taiglich auftretende Kopfschmerzen {Priv. Doz. Dr. reed. G6bel, Kiel)

Mit aktuellen epidemiologischen Daten zur nationalen und internationalen Verbreitung von chronischen Kopf- schmerzen zeigte der Referent die groge Hfiufigkeit t~iglich auftretender Kopfschmerzen auf. Der Kopf- schmerz vom Spannungstyp ist hfiufigste Ursache yon t~iglich auftretenden Kopfschmerzen, 3 % der Bev61ke- rung sind davon betroffen. Als Ursachen werden oro- mandibul~ire Dysfunktionen, muskul~irer Streg, Medi- kamentenmigbrauch und psychische St6rungen verant- wortlich gemacht. Es gilt im Einzelfall, die jeweiligen Bedingungen herauszufinden. Dies wird oft durch das Vorhandensein mehrerer Ursachen und verschiedener Kopfschmerzentit~iten erschwert. Folge ist h~iufig ein medikamenteninduzierter Dauerkopfschmerz. Vor je- dem Therapieansatz gilt es deshalb, einzelnen Kopf- schmerzarten entsprechend den Kriterien der Interna- tional Headache Society (IHS) gegeneinander abzu- grenzen und eine exakte Diagnose zu stellen. Nur so lfigt sich erreichen, dab dem Patienten ein langer Weg erfolgloser Therapieversuche erspart bleibt und ande- rerseits eine ad~iquate, dem einzelnen Kopfschmerzpro- blem angepagte Therapie eingeleitet wird. In diesem Zusammenhang erweist es sich als sehr wichtig, den Pa- tienten genau fiber die Ursachen und die Behandlungs- m6glichkeiten des jeweiligen Kopfschmerzleidens zu beraten, ihn fiber zu erwartende Wirkungen und Neben- wirkung medikament6ser und nichtmedikament6ser Therapien genau aufzuklfiren.

Plenarvortrag: Migriine (Dr. reed. W. P611mann, Berg)

Der Vortrag yon Dr. P611mann war in 3 Abschnitte ge- gliedert. In der Einleitung ginger auf die Beeintrgchti- gung der Lebensqualitat durch Kopfschmerzerkrankun- gen sowie deren sozio6konomische Folgen ein. Die Dia- gnostik betreffend wies er auf die Bedeutung der IHS- Kriterien und der genauen neurologischen Befunderhe- bung und Untersuchung hin. Der zweite Abschnitt war der Pathophysiologie der Migraine gewidmet. Neben der Bedeutung einzelner Hirnstamm- und Mittelhirn- Kerngebiete als wichtige Komponenten des antinozi- zeptiven Systems wies er auf die Rolle des noradrener-

gen und des trigeminovaskul~iren Systems im Zusam- menhang mit der Pathophysiologie der Migraine hin. Anschliel3end ging Dr. P611mann fiber zu den derzeiti- gen therapeutischen Prinzipien in der Migr~inebehand- lung. Hier ging er genauer ein auf medikament6se Akuttherapien und Prophylaxen sowie auf etablierte nichtmedikament6se Therapieformen. Insbesondere wurde der Stellenwert yon Sumatriptan als neuestes therapeutisches Prinzip dargestellt. Das Medikament ist in der Lage, den Leidensdruck bei schwer betroffe- nen Patienten zuverl~issig zu reduzieren. Hinsichtlich der Nebenwirkungen ergibt sich ein deutlich besseres Profil im Vergleich zu den Ergotalkaloiden. Der Ein- satz erfordert eine eingehende Beratung und Verlaufs- kontrollen.

Pienarvortrag: Neuraigien (Prof. Dr. med. O. Soyka, Kiel

Die Definition des Begriffs ,,Neuralgie" stellte Prof. Soyka an den Anfang seines Vortrags. Die Untertei- lung in idiopathische und symptomatische Neuralgien sei entbehrlich, da mittlerweile bekannt sei, dab den Neuralgien strukturelle L~isionen zugrunde liegen, wenn auch h~iufig nur diskret und schlecht definierbar. Deswegen miJsse die Diagnostik generell umfassend sein. Den Hauptteil seines Vortrags widmete Prof. Soy- ka exemplarisch der Trigeminusneuralgie. Zun~ichst fiihrte er Eckdaten zur Epidemiologie, Inzidenz und Pa- thophysiologie an, um daraufhin gezielt auf die Thera- pie einzugehen. Die Operation nach Janetta stellte dem- nach den ersten kausalen Therapieansatz bei der sog. idiopathischen Trigeminusneuralgie dar. Vergleichbare invasive Verfahren sind die Thermokoagulation des Ganglion trigeminale oder die Glycerolinjektion. Auf- grund der nicht zu vernachl~issigenden Nebenwirkun- gen unter diesen Therapien, wie Anaesthesia dolorosa, Hyp- oder Dysaesthesien oder Hirnnervenl~isionen, ist in jedem Fall zun~ichst der medikament6se Therapiean- satz zu w~ihlen. Nach wie vor gilt hier Carbamazepin als Mittel der ersten Wahl. Im Gegensatz dazu haben sich bei der postherpetischen Neuralgie trizyklische An- tidepressiva durchgesetzt.

Plenarvortrag: Psychische Aspekte neurologischer Schmerzerkrankungen (Prof. Dr. med. H.C. Diener, Essen)

Gemfig der alten WHO-Definition des Schmerzes wur- de dieser prim~ir mit dem Begriff ,,Psyche" verbunden. Daraus resultiert h~iufig der Fehler, dab Schmerzen als psychisch bedingt verkannt oder als Symptom einer psy- chischen Erkrankung angesehen werden. Kritisch wur- de daher vom Vortragenden der Begriff des ,,psycho- genen Schmerzes" gewertet. Es gilt einerseits, dem Schmerzproblem gezielt nachzugehen, um organische

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Ursachen aufzudecken, andererseits, eine zugrundelie- gende psychische Erkrankung zu erkennen und um die ttgufigkeit der Koinzidenz solcher Erkrankungen mit Schmerzen zu wissen. Als Beispiele ft~hrte Prof. Diener das Auftreten von Schmerzen bei der endogenen, bei der neurotisch-reaktiven und bei der larvierten Depres- sion an. Hiervon abzugrenzen sind die psychische Reak- tion auf chronische Schmerzen und die reaktiv depres- sive Verstimmung v.a. bei der postherpetischen Neural- gie und bei Phantomschmerzen. Die aus dem Anglo- amerikanischen stammende Bezeichnung ,,idiopathi- sches Schmerzsyndrom" ist eine hfiufig gestellte Dia- gnose bei hypochondrischen Patienten, deren Wunsch nach eingreifenden Maf3nahmen leider viel zu oft ent- sprochen wird. Ahnlich erfolglos bleiben Schmerzthera- pien bei coenaesthetischen Schmerzen. Ferner fiihrte Prof. Diener die Koinzidenz von Depressionen mit Rtickenschmerzen, episodischem Kopfschmerz vom Spannungstyp, Malignomschmerzen und diffusen Kopf- schmerzen (,,atypischer Gesichtssehmerz") an. Ft~r die Verbindung von Migrgne mit Angsterkrankungen scheint eine genetische Disposition mit verantwortlich zu sein. Bezt~glich der Therapie der hier angesproche- nen Schmerzsyndrome wird man symptomatisch in al- ler Regel mit trizyklischen Antidepressiva in langsam aufsteigender Dosierung behandeln. Im Vordergrund mug immer auch eine ausgiebige neurologische Explo- ration der Schmerzen und eventueller psyehischer Be- gleiterkrankungen stehen.

Festvortrag

Der Festvortrag auf dem Festabend im Schleswig-Hol- steinischen Freilichtmuseum wurde von Prof. Dr. Dr. b.c. Manfred Zimmermann (Heidelberg), Pr~isident

der Deutschen Gesellschaft zum Studium des Schmer- zes zum Thema ,,Der Schmerz in Forschung und Praxis: Integration ~iber das Nervensystem" gehalten. Prof. Dr. Gerber (Kiel), Pr~isident der Deutschen Migrfine- und Kopfschmerzgesellschaft sprach ein Gruf3wort.

Praktische Kurse, Falldemonstrationen und Visiten:

Neben den Plenarvortrfigen wurden folgende Kurse in Kleingruppen in Form yon Frahstticks- und Abendsemi- naren veranstaltet: �9 Schmerzanalyse. Gestaltung der Schmerzanamnese,

Einsatz standardisierter Tests und Praxiscomputer �9 Apparative neurologische Schmerzdiagnostik. Prakti-

sche Ubungen zum Einsatz yon EMG, evozierten Po- tentialen, Dopplersonographie etc.

�9 Neuropathische Schmerzen, radikul~ire und zentrale Schmerzsyndrome. Diagnostische und therapeuti- sche Ubungen an Fallbeispielen aus der Praxis und der Klinik

�9 Psychische Mechanismen bei neurologischen Schmerzsyndromen. Praktische Ubungen zu verhal- tensmedizinischen Techniken, Entspannungsverfah- ren etc.

�9 Diagnostische und therapeutische Nervenblockaden �9 Aktuelle Standards far die sichere Handhabung der

Kopfschmerzdiagnostik �9 Unkonventionelle medizinische Richtungen. Augen-

seitermethoden stehen hoch im Kurs, aber - was ist verantwortbar?

�9 Abrechnungsprobleme bei neurologischer Schmerz- therapie

�9 Klinische Visiten auf der neurologischen Station mit Patientendemonstrationen