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Alte Musik in der neuen Musik Studien zur Rezeption der Musik um 1600 bei Salvatore Sciarrino und Klaus Huber Lovorka Ivanković Betreuer: Univ. Prof. Dr. phil. Christian Utz September 2013 Masterarbeit der Studienrichtung Musiktheorie (V 066 702) Am Institut für Komposition, Musiktheorie, Musikgeschichte und Dirigieren Kunstuniversität Graz

Alte Musik in der neuen Musik - musiktheorie.kug.ac.at · Sciarrino und Klaus Huber bzw. ihre Werke 12 Madrigali von Lamentationes sacrae et profanae ad Responsoria Iesualdi waren

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Alte Musik in der neuen Musik

Studien zur Rezeption der Musik um 1600 bei Salvatore Sciarrino und Klaus

Huber

Lovorka Ivanković

Betreuer: Univ. Prof. Dr. phil. Christian Utz

September 2013

Masterarbeit der Studienrichtung Musiktheorie (V 066 702)

Am Institut für Komposition, Musiktheorie, Musikgeschichte und Dirigieren

Kunstuniversität Graz

2

Inhaltsverzeichnis

Vorwort.............................................................................................................................. 4

1. Einleitung................................................................................................................... 5

1.1. Rezeption der alten Musik in der neuen Musik................................................. 5

1.2. Gesualdo in der Neue Musik........................................................................... 10

2. Salvatore Sciarrino Madrigali.................................................................................. 15

2.1. Zur Kompositionsästhetik Sciarrinos.............................................................. 15

2.2. Sciarrino und Traditionen............................................................................... 17

2.2.1. Sciarrinos Vokalstil......................................................................... 20

2.2.2. Sciarrinos Gesualdo–Rezeption...................................................... 22

2.2.3. Das Madrigal bei Sciarrino............................................................. 25

2.3. Der Zyklus 12 Madrigali................................................................................ 26

2.3.1. Form................................................ ............................................... 26

2.3.2. Textbehandlung in den Madrigali Nr. 1, Nr. 7, Nr. 2 und Nr. 8...... 27

2.4. Madrigal Nr. 1 Quante isole! / Wie viele Inseln! und Nr. 7 Quante isole!..... 30

2.4.1. Madrigal Nr. 1 Quante isole! Analyse............................................. 32

2.4.2. Madrigal Nr. 7 Quante isole! Analyse............................................. 42

2.5. Madrigal Nr. 2 Ecco mormorar l'onde / Hier das Murmeln der Wellen und Nr.

8 Ecco mormorar l'onde...................................................................................................... 45

2.5.1. Madrigal Nr. 2 Ecco mormorar l'onde, Analyse.............................. 46

2.5.2. Madrigal Nr. 8 Ecco mormorar l'onde, Analyse.............................. 51

2.6. Zusammenfassung.......................................................................................... 54

3. Klaus Hubers Lamentationes sacrae et profanae........................................................... 55

3.1. Oszillieren zwischen Politik, Mystik und Polykulturalität.............................. 55

3.2. Dritteltönigkeit und die arabische Musik........................................................ 57

3.3. Zu Hubers Kompositionsweise........................................................................ 60

3.4. Huber und Traditionen.................................................................................... 62

3.4.1. Aspekte von Hubers Gesualdo-Rezeption............................. 64

3.5. Lamentationes sacrae et profanae ad responsoria Iesualdi.............................. 67

3.5.1. Lamentationes sacrae et profanae ad responsoria Iesualdi, Analyse 69

3.5.2. Textbehandlung................................................................................ 74

3.5.3. Formübersicht................................................................................... 77

3.5.4. Harmonik und Intervallik.................................................................. 83

3

4. Zusammenfassung...................................................................................................... 92

5. Bibliografie................................................................................................................. 93

4

Vorwort

Die Frage, ob man sich mit der Tradition heutzutage noch auseinandersetzen soll oder

nicht, war bzw. ist eine der meistgestellten Fragen des 20. und 21. Jahrhunderts. Grob

gesagt könnte man in diesem Kontext über zwei Strömungen reden. Eine Strömung sind

die Komponisten und Musikwissenschaftler bzw. Musiktheoretiker, die irgendeine

Beziehung mit der Tradition als Rückgang betrachten. Sie streben nach neuen

Entdeckungen und befürworten den Bruch mit der Vergangenheit. Die andere Strömung

sind jene, die in der Tradition eine unerschöpfbare Quelle sehen. Im Rahmen der

Vorlesungen während meines Masterstudiums wurde oft über dieses Thema gesprochen.

Ich hatte die Gelegenheit, verschiedene Ansätze - sowohl von Musikwissenschaftlern als

auch von Komponisten - kennenzulernen. Dadurch wurde mein Interesse geweckt, mich

selbst mit diesem Bereich näher zu beschäftigen. Vor allem wollte ich die Werke, die an

die alte Musik anknüpfen, analysieren, um zu sehen, wie die Auseinandersetzung von der

Gegenwart und Vergangenheit in der Praxis funktionert. Die Komponisten Salvatore

Sciarrino und Klaus Huber bzw. ihre Werke 12 Madrigali von Lamentationes sacrae et

profanae ad Responsoria Iesualdi waren im Zentrum meiner Erforschung.

Mein besonderer Dank gilt Univ. Prof. Dr. Christian Utz für seine Betreuung und

Unterstützung während des Studiums und während der Erstellung der vorliegenden Arbeit.

Mein Dank gilt auch dem Univ. Prof. Clemens Gadenstätter für seine hilfreichen

Anregungen und seine konstruktive Kritik bei der Arbeit an meinem Projekt. Schließlich

bedanke ich mich bei dem gesamten Institut für Komposition, Musiktheorie,

Musikgeschichte und Dirigieren der Kunstuniversität Graz für das gute Feedback während

des Studiums. Es war eine große Ehre für mich, hier studieren zu können.

5

1. Einleitung

1.1. Rezeption der alten Musik in der neuen Musik

Jörn Peter Hiekel unterscheidet vier Kategorien der Auseinandersetzung mit der

Musikgeschichte in der Musik des 20. Jahrhunderts:

a) Die erste Kategorie charakterisiert „die weitgehende Vermeidung oder Ausblendung

von Traditionsbezügen, wie man sie, auf der Suche nach einer unabhängigen eigenen

Sprache“1 finden kann. Diese Kategorie sieht Hiekel im Serialismus der frühen 1950er

Jahre verwirklicht.

b) Die zweite Kategorie umfasst die oft polemisch als „postmodern“ bezeichnete

„unbekümmert mit Traditionsbeständen jonglierende oder sie verklärende Form des

Umgangs mit Traditionen“.2

c) Die dritte Kategorie „steht im breiten Feld zwischen den beiden: sie ist das bewusste

Gegen-den-Strich-Lesen der Musikgeschichte.“3 Als Vertreter dieser Kategorie nennt

Hiekel Komponisten wie Nicolaus A. Huber und Rolf Riehm: „Riehm spricht selbst vom

Fehllesen, vom absichtlichen Missverstehen mit dem Ziel, gerade so ungeahnte Potenziale

eines älteren Werks zu entbinden.“4

d) Die vierte Kategorie umfasst „eine Form des kreativen Weiterdenkens, weit jenseits

von Monumentalisierung und Verklärung, dafür aber mit dem Ziel, das Sperrige vielleicht

sogar Provozierende eines vorgefundenen Elements erfahrbar zu machen.“ Zu dieser

Kategorie gehören „mit jeweils unterschiedlichen Ansätzen“ Salvatore Sciarrino, György

Kurtág, Hans Zender und Klaus Huber.5

Die letzte Kategorie steht im Zentrum der vorliegenden Arbeit. Am Beispiel der

ausgewählten Werke 12 Madrigali von Salvatore Sciarrino und Lamentationes sacrae et

profanae ad Responsoria Iesualdi von Klaus Huber wird versucht, den persönlichen

Zugang zur Tradition dieser beiden Komponisten zu zeigen. Jeder dieser beiden Künstler

knüpft auf eine andere Weise an die Tradition an, aber für beide ist die Musikgeschichte

1 Hiekel, Transformationen, S. 9.

2 Ebda.

3 Ebda., S. 10.

4 Ebda.

5 Ebda.

6

ungleich mehr als nur „tote“ Vergangenheit, aus der man keinen Nutzen mehr ziehen kann.

Sie betrachten sie als etwas Lebendiges, als etwas, was noch heute aktuell sein kann. Sie

greifen Elemente aus alten Werken auf und bauen damit ihre eigenen Werke. Die dabei

angewandten Verfahren reichen von Zitaten bis zu völlig modifizierten Passagen, in denen

man das Original nicht mehr erkennen kann.

Drei von vier Hiekels Kategorien umfassen die Komponisten, die sich mit Tradition

nicht beschäftigen möchten. Er teilt diese Komponisten stilistisch nach drei Gruppen bzw.

Kategorien. Nur die Letzte umfasst jene Komponisten, die in der Tradition das

unerschöpfbare Potenzial sehen. Nach Hiekels Aufteilung könnte man annehmen, dass er

im 20sten Jahrhundert eher die Abneigung zur Musikgeschichte sieht. Bei Cloot et al. sieht

man eine andere Denkweise. Sie sind fokussiert an diese Strömungen, die sich mit

Musiktradition intensiv beschäftigen.

Die Auseinandersetzung von Komponisten der neuen Musik mit älteren Stilen und

Kompositionsweisen wurde systematisch am Institut für zeitgenössische Musik der

Frankfurter Hochschule für Musik und darstellende Kunst erforscht. Das Institut wurde

2005 gegründet, seit diesem Zeitpunkt existiert die Reihe Rückspiegel – Zeitgenössische

Musik im Dialog, die nun durch eine gleichnamige Aufsatzsammlung ergänzt wurde. Es

handelt sich um Veranstaltungen wie Vorträge und Konzerte, wobei der Fokus auf den

Einfluss der alten Musik auf die neue Musik gerichtet wird:

Der Blick in den musikgeschichtlichen Rückspiegel beim Suchen und Erfinden neuer Klänge und das

Rückspiegeln der eigenen Arbeit durch den Dialog mit älterer Musik ist zu einem produktiven

kompositorischen Ansatz geworden, der quer durch das Spektrum neuer Musik an Anziehungskraft

gewonnen hat – nicht nur für Komponisten, sondern auch für Interpreten und Hörer.6

Es wurde beschlossen dabei für die Herausgeber des Bandes Rückspiegel deutlich, dass

man im 20. Jahrhundert zwei Haupttendenzen in der Auseinandersetzung mit der alten

Musik finden kann. Eine bestand bis zu den 1950er Jahren, wobei „die Intention im

Vordergrund stand, strukturelle Eigenheiten des Originals zu verdeutlichen und

herauszuarbeiten“.7 Die zweite Tendenz findet sich gehäuft in der gegenwärtigen Musik,

wo „eher die Neigung der Komponierenden zu beobachten [ist], durch Bearbeitung,

6 Cloot, Saxer, Thorau, Vorwärtsgewandtes Rückspiegeln, S. 7.

7 Ebda., S. 11.

7

Rückgriff und Bezug niederzulegen, wie sie überlieferte Werke wahrnehmen, was die

Musik ihnen bedeutet und wie sie sie im buchstäblichen Sinne hören.“8 Hier wurden

Komponisten wie Hans Zender, Claus Kühnl, Johannes Schöllhorn, Heinz Holliger, Brice

Pauset, Salvatore Sciarrino, Chaya Czernowin und Rolf Riehm genannt. Sie alle

beschäftigen sich mit der Musikgeschichte auf verschiedene Weise, aber bei jedem von

ihnen „handelt es sich um ein Bewusstmachen notwendig subjektiver Anteile im

Kompositionsprozess und nicht um die bloße Restauration kompositorischer

Subjektivität.“9 Im Bezug auf dieses Thema entwickelte sich ein Projekt des Freiburger

Ensemble Recherche unter dem Titel In Nomine. Das Ensemble Recherche schlug vor, eine

Gregorianische Choralmelodie als Ausgangspunkt für die Auseinandersetzung mit der

alten Musik zu verwenden. Die Komponisten konnten diese Melodie auf ihre eigene,

persönliche Weise bearbeiten und dadurch ihren Zugang zur Musikgeschichte darzustellen.

Die erste Folge von In Nomine-Kompositionen entstand 1999 im Rahmen der Wittener

Tage für neue Kammermusik und war Harry Vogt, dem Festivalleiter, gewidmet. Über 50

Komponisten beschäftigten sich die folgenden zehn Jahre über mit diesem Thema und in

dieser Periode entstanden zahlreiche kurze Stücke, die aus dem gleichen Kern

herausgewachsen sind.

Ein ähnliches Projekt wie In Nomine entstand im Mozartjahr 2006. Das Frankfurter

Ensemble Modern kam auf die Idee, ein Konzertprojekt unter dem Titel Multipler Mozart

zu realisieren. Ausgangspunkt war die Auseinandersetzung mit Vergangenheit und

Gegenwart Transfers zwischen der Musik Mozarts und der zeitgenössischen Musik. Die

Aufgabe war, Kompositionen zu schreiben, die sich direkt auf Mozart beziehen. Drei auf

Mozart bezogene Werke wurden in zwei Konzerten in Berlin und Frankfurt aufgeführt: das

Ensemblestück Terzenseele (2006) von Arnulf Herrmann, Accanto. Musik für einen

Klarinettisten mit Orchester (1975) von Helmut Lachenmann und das Kammerkonzert

Intarsi (1994) von Klaus Huber. In Lachenmanns Accanto kommen die Zitate aus Mozarts

Klarinettenkonzert KV 622 vor. Es handelt sich um kurze Einschübe, die von einem

Tonband gespielt werden. Diese Einschübe treten unerwartet auf, verbinden sich aber

kompakt mit dem Ensembleklang, sodass sie letztlich doch nicht als Fremdmaterial

klingen: „Lachenmann behandelt das Tonband mithin wie eine Klangquelle mit

spezifischen Eigenschaften, analog zum restlichen Instrumentarium.“10

In das Material des

8 Ebda.

9 Ebda.

10 Böggemann, Steinbruch und stille Liebe, S. 104.

8

Ensembles integriert Lachenmann Elemente, die typisch für Mozarts Stil sind wie z. B.

Skalenbewegungen, gebrochene Dreiklänge oder „durchgehende, metrisch regelmäßige

Pulsationen.“11

Hermann nähert sich noch mehr der Tradition. Das Formprinzip, das

Hermann in seinem Stück verwendet, übernimmt er von Mozart. Es handelt sich um die

Methode, aus kleinsten Einheiten größere Abschnitte zu bauen:

Berührungspunkte ergeben sich dabei weit eher auf einer abstrakten konzeptionellen Ebene, als dass sich von

einer umstandslosen Übernahme Mozart’scher Verfahren sprechen ließe. Vielmehr verhält es sich so, dass

die Problemstellung, wie sich Großform und Detailebene unter Wahrung größtmöglicher

Entscheidungsfreiheit miteinander vermitteln lassen, bei Mozart Lösungsätze findet, die als Möglichkeiten

heutigen kompositorischen Handelns aktualisiert werden können.12

Historische Vorläufer von Sciarrinos und Hubers Umgang mit der Tradition findet man

vor allem in Kompositionen ab den späten 1960er Jahren. Luciano Berio ist ein

Komponist, dr hier genannt werden muss. In seiner Sinfonia (1968/69) zitiert er Johann

Sebastian Bach, Debussy, Richard Strauss, Mahler, Ravel, Hindemith, Boulez,

Stockhausen und andere.13

Seine Verarbeitung des Scherzos aus Mahlers Zweiter

Symphonie im 3. Satz der Sinfonia beschreibt Berio mit folgenden Sätzen:

Wenn ich beschreiben sollte, auf welche Weise das Scherzo von Mahler in meiner Sinfonia gegenwärtig ist,

so käme mir spontan das Bild eines Flusses in den Sinn, der eine beständig wechselnde Landschaft

durchläuft, manchmal in ein unterirdisches Bett versinkt und an einem ganz anderen Ort wieder ans

Tageslicht dringt, bisweilen in seinem Lauf klar vor uns liegt, mitunter vollkommen verschwindet,

gegenwärtig ist als völlig überschaubare Form oder auch als schmales Rinnsal, das sich in der vielfältigen

Umgebung musikalischer Erscheinungen verliert.14

Die Musikzitate werden mit Textfragmenten von Samuel Beckett, Claude Lévi-Strauss,

James Joyce und anderen Autoren überlagert:

Die Idee der musikalischen Collage und Montage lag damals in der Luft. Der Purismus der 1950er Jahre

hatte sich überholt. Die Abkehr von den sklavischen Systemzwängen der Avantgarde musste offensichtlich

sein, um musikalisch überhaupt noch etwas Anderes, etwas Neues sagen zu können. Und Berio war einer der

11 Ebda., S. 106.

12 Böggenmann, Rückspiegel, S. 115.

13 Fricke, Labyrinth Musik: Luciano Berio, S. 4.

14 Berio, Sinfonia (author's note), S. 3.

9

ersten, der dies tat – mit großem Erfolg. Seine Sinfonia markiert einen wichtigen Wendepunkt in der

Musikgeschichte – ein Meisterwerk.15

Bernd Alois Zimmermann trennte die alte von der neuen Musik nie voneinander. Er

glaubte an eine Kugelgestalt der Zeit. Für ihn waren Vergangenheit, Gegenwart und

Zukunft eins. Einen entsprechenden Ansatz verfolgte Zimmermann im Umgang mit

Elementen unterschiedlicher Traditionen: „Er griff nicht nur die serielle Musik und [die]

Strenge der Darmstädter Avantgarde auf, sondern kombinierte diese Einflüsse in

einzigartiger Weise mit Jazz-Elementen und Zitaten historischer Kompositionen.“16

Für

Hans Zender war Zimmermann „der erste namhafte Komponist, der bewusst und explizit

Geschichte in sein Werk eingehen“17

ließ.

In der Nachkriegszeit war die Beschäftigung der Komponisten mit alter Musik mit

Skepsis betrachtet worden. Das Bedürfnis nach Entwicklung neuen Materials war stark

ausgeprägt und die Verknüpfungen mit dem Material früherer Zeiten erweckte bei einigen

Komponisten Misstrauen gegenüber potenzieller Regression in tonale Idiome. Es wurden

damals umfassende Diskussionen zu dieser Problematik geführt. Viele Werke, die mit

musikalischen Tradition verbunden sind, haben seither allerdings bewiesen, dass man aus

schon bekanntem Material sehr wohl etwas Neues erzeugen kann:

Heute, da sich die polemischen Wogen längst geglättet haben, weiß man, wie sehr auch

Transformationen ihre höchst kreative, nicht-akademische und auch nicht bloß spielerische

Seite haben können und sogar im Sinne eines generativen Prozesses verstanden werden

können.18

Wenn Hiekel über generative Prozesse schreibt, denkt er wahrscheinlich an die

Äußerung von Stockhausen über Zimmermann. Stockhausen hatte Zimmermann als

Transformator und sich selbst als Generator beschrieben: In dieser Äußerung klingen jene

oft dargestellten – und in mancher Hinsicht heiklen – Diskussionen zum Materialfortschritt

und zur Innovation an, die in den ersten Nachkriegsjahrzehnten mit einiger Polemik

geführt wurden.19

15 Fricke, Labyrinth Musik: Luciano Berio, S. 4.

16 Autor unbekannt, Bernd Alois Zimmermann, S.1.

17 Zender zit. nach Hiekel, Transformationen, S. 10.

18 Ebda.

19 Ebda.

10

1.2. Gesualdo in der neuen Musik

Ein spezieller Schwerpunkt dieser Arbeit liegt auf der Gesualdo-Rezeption im 20.

Jahrhundert. Bezüglich der Rolle Gesualdos in der Musikgeschichte waren

Musikwissenschaftler und Komponisten oft unterschiedlicher Meinung. Während die

Musikwissenschaft Gesualdos Musik „entweder als äußersten Entwicklungsstand der noch

aus dem späten Mittelalter kommenden prima pratica oder als Endpunkt einer Sackgasse

des Manierismus“20

betrachtete, erkannten viele Komponisten „in Gesualdo ein

wirkungsfähiges Modell“.21

Für sie ist Gesualdo sowohl als Künstler, der einen ganz

spezifischen Stil entwickelte, welcher unter seinen Zeitgenossen nicht akzeptabel war, als

auch als Person interessant. Doch Gesualdos Musik ist heute im Musikleben immer noch

relativ wenig präsent. Im Vorwort zu Glenn Watkins 1973 erschienener Biografie

Gesualdo. The Man and His Music befasste sich Igor Strawinski mit dieser Problematik. Er

meint, dass die Musiker noch keinen rechten Zutritt zu Gesualdo gefunden hätten:

„Musicians may yet save Gesualdo from musicologists, but certainly the latter have had the

best of it until now. Even now he is academically unrespectable, still the crank of

chromaticism, still rarely sung.”22

Den wichtigsten Gesualdo-Forscher erblickte Strawinski

in Watkins: „Further and finally, Professor Watkins newly maps the composer among the

peaks of Mannerism, and concludes this first sensible study of him with a fully

documented history of the misunderstandings of his music down to c. 1970.”23

Strawinski

beschäftigte sich ausführlich mit der Musik Gesualdos. Das Resultat seiner Analysen sieht

man im Werk Monumentum pro Gesualdo di Venosa (1960), in dem Strawinski drei

Madrigale von Gesualdo für Orchester rekomponierte:

Ich fand drei Stücke, die ich mir in instrumentaler Fassung zumindest vorstellen konnte. Ich kam bald zu der

Einsicht, daß gewisse Typen melodischer Figuren dem Charakter einer instrumentalen Bearbeitung

widersprachen, zum Beispiel Gruppen von schnellen Sechzehntelnoten. Da ich aber die Kontur der Musik

nicht verändern wollte, habe ich Madrigale dieser Art ausgeschlossen. In gewissem Sinne könnten meine

20 Zenck, Gesualdissimo, S. 78.

21 Ebda.

22 Strawinsky, Gesualdo di Venosa: New Perspectives, S. 4.

23 Ebda.

11

Instrumentationen deshalb als ein Versuch angesehen werden, den Begriff instrumental im Unterschied zu

vokal zu umreißen.24

Vor diese Bearbeitung hatte Strawinski auch drei Madrigale Gesualdos ergänzt (1957-

1959). Beide Bearbeitungen haben entscheidend zur „Gesualdo-Renaissance“25

beigetragen. Neben Strawinski muss man in diesem Kontext unbedingt auch Komponisten

wie Alfred Schnittke, Ernst Křenek, Salvatore Sciarrino und Klaus Huber nennen. In der

Oper Gesualdo (1993) verarbeitete Schnittke Gesualdos Mordakt an seiner Gattin und

ihrem Liebhaber. Das gleiche Thema war der Ausgangspunkt für Sciarrinos Oper Luci mie

traditrici (1996-98), in der der Name Gesualdo nicht direkt erwähnt wird – die Personen

tragen andere Namen, aber die Geschichte basiert auf diesem Ereignis. Ernst Křenek und

Klaus Huber setzten sich mit Gesualdo als Komponist auseinander. Beide komponierten

Lamentationes, die an Gesualdos Ästhetik anknüpfen. Křenek kombiniert in seinem

Lamentationes Jeremiae Prophetae (1941-42) die Zwölftonigkeit mit dem modalem

Kontrapunkt der Renaissance. Dieses Werk war eine der Inspirationen für Hubers

Lamentationes sacrae et profanae ad responsoria Iesualdi:

Diese Lamentationen stehen zum einen in der aktualisierenden Tradition der Renaissance im mittleren 20.

Jahrhundert, in einem ausdrücklichen Zusammenhang mit Ernst Křeneks Lamentationes Jeremiae Prophetae

und in einem zweifachen Kontext mit Igor Strawinsky, mit dessen Threni einerseits, mit dessen bereits

transepochaler Auseinandersetzung mit Gesualdo andererseits.26

Die Auseinandersetzung mit Gesualdo in Hubers Lamentationes könnte man von zwei

Seiten bzw. im zweifachen Kontext beobachten. Einerseits nimmt Huber originale Stücke

von Gesualdo, die Responsorien, die er in seinen Zyklus integriert und andererseits knüpft

er direkt an Gesualdos Kontrapunktik und Harmonik an und entwickelt daraus neues

Material für seine Lamentationes. Einen ähnlichen Zugang zur Tradition zeigt Mathias

Spahlinger in seinem Werk Adieu m’amour (1982/83) für Violine und Violoncello mit dem

Untertitel Hommage à Guillaume Dufay. Obwohl das Werk auf dem gleichnamigen

Rondeau Adieu m’amour von Dufay basiert, „geht es Mathias Spahlinger in seinem Adieu

m’amour weder um Transkription, Bearbeitung oder Instrumentierung [...] Auch möchte er

weder der Künstlerpersönlichkeit Dufays huldigen noch die Erneuerung vermeintlich guter

24 Strawinsky, Monumentum pro Gesualdo di Venosa ad CD annum, S. 20.

25 Niedermüller, Gesualdo, Sp. 843.

26 Zenck, Gesualdissimo, S. 81.

12

alter Zustände beschwören.“27

Doch das ganze Tonmaterial nimmt Spahlinger von Dufay:

„Es gibt in dem Stück, was dann mein Stück ist, keinen einzigen Ton, der nicht von Dufay

stammt.“28

Der Fauxbourdonsatz „in Kombination mit einer durchbrochenen Satztechnik“

zerfällt in isolierte Einzeltöne, „die, obwohl sie von Dufay sind, nicht mehr als Dufay

gehört werden können.“29

Die Transformation im Bereich des Tonmaterials erstreckt sich

auch auf andere Ebenen. Michael Reudenbach differenziert drei Kategorien:

1. Die Transformation des Konzertraumes durch die Trennung der Instrumente.

2. Die Transformation der akustisch-mechanischen Eigenschaften der Instrumente

mittels eines anderen Saitenmaterials und einer Scordatura.

3. Die Transformation von Klängen und Klangfarben mittels ungewöhnlicher Griff-

und Bogentechniken.30

Durch alle drei Kategorien wird das Material stark modifiziert; sodass Dufay in den

Hintergrund tritt. Es sind nur noch die Umrisse des Originalstückes präsent: Eine überstaubte,

durchlöcherte, aufgesplitterte, in verschiedenen Zeitproportionen gesetzte Textur, geräuschhafte Restspuren,

eine wie aus weiter Ferne herüberklingende, sehr leise und zu Punkten erstarrte Musik, die in einzelnen

Passagen asynchron vorzutragen ist, erlaubt nur eine ver-rückte, merkwürdig verwackelte Sicht auf das

Dufay’sche Original. 31

Die Akustik des Raums bzw. die Transformation des Konzertraumes (siehe S. 9) spielt

auch bei Luigi Nono eine wichtige Rolle. In seiner „Hörtragödie“ Prometeo (1979-86)

knüpft er an die venezianische Schule der Mehrchörigkeit (ca. 1530-1630) an, wodurch der

Gattungsbegriff des Musiktheaters eine signifikante Erweiterung erfuhr:

Die Reflexion des Historischen als eines immer schon Vermittelten, das über verschiedene Formen der

Repräsentation in die Gegenwart hineinreicht, rührt indes auch an die zentrale Problematik von Prometeo als

radikale Infragestellung musiktheatraler Darstellung.32

27 Reudenbach, Die Zukunft von der Vergangenheit befreien? Die Vergangenheit von der Zukunft

befreien?, S. 28.

28 Ebda., S. 30.

29 Ebda., S. 32.

30 Ebda., S. 34.

31 Ebda.

32 Elzenheimer, Dramaturigie des Raumes, S. 35.

13

Eines der Hauptmerkmale dieser Schule ist die Verräumlichung des Klangs:

Die Besonderheit der Weiterführung des mittelalterlichen antiphonalen Gesangs in der Entwicklung der

Coro-spezzato-Technik (also der Verwendung geteilter Chöre) durch Adrian Willaert, vor allem in seinen

Salmi spezzati (1550), und deren Weiterentwicklung zum mehrchörigen Concerto bei Andrea und Giovanni

Gabrieli besteht in der räumlich getrennten Aufstellung, zunächst der vokalen und später auch der

instrumentalen Gruppen.33

Die Kompositionen, die in dieser Tradition entstanden sind, beziehen sich stark auf den

Raum der venezianischen Kirche San Marco. Die eigentümlichen Klangfarben, die in

diesem Raum entstehen, haben Nono neue Ideen gegeben und zahlreiche Möglichkeiten

eröffnet:

Nono zeigte sich beeindruckt und inspiriert von den musikalischen Differenzierungsmöglichkeiten und den

räumlichen Differenzbildungen, die durch die konkrete Einbeziehung des Aufführungsraumes und seiner

akustischen Besonderheiten in die Komposition ermöglicht werden.34

Nach dem Vorbild von San Marco verband Nono die Akustik seines Werkes mit der

Raumwirkung in der venezianischen Kirche San Lorenzo: „Er spricht davon, wie sich die

Entstehung des Stückes in seinem Kopf mit dem Hören des architektonischen Raumes so

verzahnt habe, dass sich die Richtung dieser imaginären Klangprojektion quasi aufhebe.“35

Das komplexe Verhältnis von Solo-Stimmen zur Chor- und Elektronikstimmen entwickelte

Nono dabei entscheidend weiter:

Die Verstärkung und Ausgestaltung dieses Konfliktpotentials gegenüber dem rein architektonischen Raum,

also die kompositorische Aktualisierung der Raumdynamik, die Nono von der Venezianischen

Mehrchörigkeit übernommen und komplex modifiziert hat, wird im Prometeo auf verschiedenen Ebenen

wirksam: zum einen in der räumlichen Aufstellung der Musiker- und Sängergruppen, zum anderen in der

komplexen Nutzung der Live-Elektronik, die Nono in Zusammenarbeit mit dem Freiburger

Experimentalstudio der Heinrich-Strobel-Stiftung entwickelt hat.36

*

33 Ebda., S. 37.

34 Ebda., S. 38.

35 Ebda.,, S. 39.

36 Elzenheimer, Rückspiegel, S. 43.

14

Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, auf der Grundlage der zwei Werke 12 Madrigali von

Salvatore Sciarrino und Lamentationes sacrae et profanae ad responsoria Iesualdi von

Klaus Huber zu zeigen, wie alte Musik in zeitgenössische Musik transformiert werden

kann. In den Kapiteln 2.4. Der Zyklus der 12 Madrigali und 3.5. Lamentationes sacrae et

profanae ad responsoria Iesualdi wird detailliert dargestellt, wie sich jeder der

Komponisten insbesondere dem Modell Gesualdos – bewusst oder unbewusst – annähert.

Beide Komponisten beschäftigten sich aber auch viel auch mit anderen Komponisten und

Stilrichtungen der älteren Musik. In den Kapiteln 2.2. Sciarrino und Traditionen und 3.4.

Huber und Traditionen versuchte ich, diesen weiteren Bereich und die darin entstandenen

Werke zu umschreiben und einen kurzen Überblick über die kompositorischen Strategien,

die darin angewendet sind, zu bieten. Für die Analysen habe ich außer der Textform auch

Tabellen und graphische Modelle herangezogen.

15

2. Salvatore Sciarrinos Madrigali

2.1. Zur Kompositionsästhetik Sciarrinos

Sciarrinos Beschäftigung mit bildender Kunst seit seiner Jugend reflektiert sich in der

Art und Weise, wie er seine Kompositionen anlegt. Er ist sensibel gegenüber den Farben in

seiner Umgebung und versucht, sie in seiner Musik darzustellen: „Sciarrino selbst spricht

vom elfenbeinfarbenen Licht in Palermo, das sich aus dem Schatten der Berge und dem

Reflex vom Meer her ergebe, doch er fügt an, dass ihm die Atmosphäre im Winter ohne

die grelle Sonneneinstrahlung lieber sei.“37

Für Sciarrino ist diese Verbindung mit

bildender Kunst nicht nur für die Bühnengestaltung szenisch-räumliche Konzeption seiner

Werke wichtig, sondern auch für seine musikalischen Kompositionen. Der Umgang mit

Raum bzw. Raumgefühl wird in seinen Werke deutlich: „Seine Werke sind

architektonisch-räumlich konzipiert, wobei der Begriff des Raums sich bei ihm weniger

auf die äußeren Gegebenheiten der Aufführung bezieht als auf den inneren, imaginären

Raum der Musik.“38

Oft sind die Handlungen seiner Bühnenwerke stark mit Geschehnissen

auf der Bühne verbunden, so z. B. in Infinito Nero (1998) der Austausch von schwarzem

und weißem Licht: „Diese Veränderungen sind enorm wichtig, denn auch das Stück ist so

gemacht. Es sind parallele Diskurse. Das Wichtigste dabei ist, daß die Idee der

Übereinstimmung der Gegensätze wiedergegeben wird.“39

Ein weiterer wichtiger Aspekt von Sciarrinos Musik ist die Stille: „Ökologie des Klangs

heißt sicher Rückkehr zur Stille, aber ganz besonders auch die Wiedergewinnung eines

Ausdrucks ohne Gefühlskälte und ohne Rhetorik. Wenn sich die Stimme dem Schweigen

anvertraut hat, bleiben nur noch Mund, Mundhöhle und Speichel. Die sich öffnenden

Lippen, Grenze zu einer dunklen Leere, zum Durst und zum Hunger.“40

Die Stille ist nicht

nur die bloße Abwesenheit des Klangs: Sie ist eine Welt für sich, voll von zahlreichen

Möglichkeiten. Für Sciarrino sind Stille und Klang zwei gleichberechtigte Komponenten

der Musik: „Ihn interessiert beim Komponieren, was nicht erklingt genauso sehr wie das,

was erklingt. Er ist ein Erforscher der musikalischen Antimaterie.“41

Ihn interessieren die

37 Nyffeler, Der Klang aus der Stille der Nacht, S. 3.

38 Ebda., S. 4.

39 Sciarrino/Vogt, Zu Salvatore Sciarrino, S. 22.

40 Sciarrino zit. nach Nyffeler, Das Meer, der Klang, der Spiegel, S. 7.

41 Spahn, Klang – in den Labyrinthen des Schweigens, S. 1.

16

Hörgrenzen und die feinen Übergange zwischen Schweigen und Klingen. Sein Umgang

mit dem Tonmaterial könnte man auch als Ökonomie des Klangs bezeichnen. Wenige

Elemente reichen aus, um eine Idee auszudrücken. Sciarrino beschäftigt sich geduldig mit

jedem Detail, jedem Ton: „Der Ton wird nicht als eine unspaltbare Einheit aufgefaßt, die

erst in Verbindung mit anderen Einheiten zu einer sinnfälligen Figur zusammengefaßt

wird. Er erscheint vielmehr als bewegliche Substanz, die ihr Obertonspektrum

miteinbezieht und die Grenzen zu den Nachbartönen immer wieder sprengt.“42

Ein für

diesen Ansatz repräsentatives Werk ist das Musiktheater Infinito Nero, in dem die Stille

eine wichtige Rolle spielt. Im Mittelpunkt dieses Stücks steht die Mystikerin Maria

Maddalena de’ Pazzi aus der Zeit um 1600, die starke Visionen erlebt. Von ihr selbst

entstanden keine Texte, aber die acht Nonnen, die bei diesen beängstigenden Ekstasen

anwesend waren, haben einige ihrer Worte notiert. Ihr Sprechen war, laut dieser

Überlieferung, ganz schnell und abrupt, die Worte folgten rasch aufeinander, ohne eine

bestimmte Logik. Auf einmal hörte sie mit dem Sprechen auf und es entstand ein langes

Schweigen. Diese Stille erzeugte eine hohe Spannung, die Nonnen wussten nicht, wann sie

wieder beginnen würde und jeder Moment ist geprägt von der intensiven Erwartung neuer

Wörter bzw. Klänge. Sciarrino selbst spricht von einem Wandel seines kompositorischen

Schaffens, das mit diesem Werk einsetzt:

Die Visionen der Mystikerin Maria Maddalena sieht Sciarrino an der Grenze zwischen Gut und Böse. Diese

Grenze kann man bei ihr nicht klar ziehen: „Im Endeffekt hätte „Infinito nero“ genauso gut „Infinito bianco“

(„das unendliche Weiß“) heißen können. Das ist kein Paradox: Wenn ich das Weiße oder das Schwarze für

eine Weile anschaue, sehe ich das Gleiche.43

Die ständige Veränderung des Materials in Sciarrinos Werken könnte man mit einem

Kaleidoskop vergleichen. Gleiche Elemente werden auf verschiedene Weisen kombiniert.

Dieser Prozess entwickelt sich langsam und dabei entstehen immer neue Bilder bzw.

Klangereignise. Diese Klangveränderungen bzw. Variationen sind ganz fein und

unmerklich:

Das ist vielleicht auch die Achse, um die sich mein ganzes Werk dreht, und wohl auch der Grund, dass meine

Stücke manchmal auch so schwierig aufzuführen sind. […] Die Schwierigkeit liegt […] darin, die lebendige

42 Borio, Der italienische Komponist Salvatore Sciarrino, S. 35.

43 Sciarrino/Vogt, Zu Salvatore Sciarrino, S. 22.

17

Logik dieser kleinen, kontinuierlichen Veränderungen zu verstehen und interpretatorisch deutlich zu

machen.44

2.2. Sciarrino und Traditionen

In den 1960er Jahren beginnt Sciarrinos Beschäftigung mit verschiedenen

Musiktraditionen, angefangen von Machaut, Gesualdo und Bach über Mozart, Beethoven

und Ravel bis hin zur populären Musik des 20. Jahrhunderts. In diesem Bereich entstanden

verschiedene Werke: von Bearbeitungen (z.B. Dodici canzoni da battello 1977, Rose Liz

1984, Le voci sottovetro 1999, Canzoniere da Scarlatti 1998) bis zu völlig neuen

Kompositionen, bei denen man nur noch „assoziative Bezüge“45

finden kann. In jedem

dieser Werke versucht Sciarrino die Traditionen wieder aufleben zu lassen. Ihn interessiert

wie man Altes und Neues verbinden kann: „Was bleibt uns von den alten Stimmen? Sehen

wir sie nur noch transparent oder können wir einen Bodensatz wahrnehmen, so winzig er

auch sein mag, der noch nicht aus dem Gefäß entwichen ist?“46

Obwohl sich Sciarrino Traditionen nähert, möchte er nicht „strukturelle Eigenheiten des

Originals transparent […] machen“.47

Für Sciarrino dagegen muss es um das Erkennen und kompositorische Herausdestillieren jenes Bodensatzes

musikalischer Erfahrung, von dem er gesprochen hat, gehen. Es gilt, diesen Bodensatz einem

zeitgenössischen Publikum wieder zugänglich zu machen.48

Es ist deutlich, dass Sciarrino die Werke der Vergangenheit als unerschöpfliche Quelle

betrachtet. Er sieht in diesem Material noch viel ungenutztes Material, welches er

transformiert und aus dem er neue Werke schafft: „Erklingendes [wird] addiert oder

verkürzt, mit anderen Elementen überlagert, durch neues Material ergänzt oder

interpoliert.“49

Das Klavierstück Anamorfosi (1981) ist eine Synthese von zwei Werken

Ravels: Jeux d’eaux (1901) und Une barque sur l’océan (1905) und dem Refrain aus

44 Sciarrino zit. nach Nyffeler, „Es gibt zwei Arten von Fantasie“, S. 2.

45 Drees, Bearbeitung, Transformation, Allusion, S. 22.

46 Sciarrino zit. nach Saxer, Dekonstruktion und Konstruktion zugleich, S. 57.

47 Ebda., S. 58.

48 Ebda.

49 Drees, Salvatore Sciarrino, S. 42.

18

Singin’ in the rain (1929) von Nacio Herb Brown und Arthur Freed. Sciarrino legt hier alle

drei Stücke übereinander: Singin’ in the rain und Jeux d’eaux verlaufen gleichzeitig. In der

Oberstimme hört man die Melodie aus Singin’ in the rain und in der Begleitung ist das

Material von Jeux d’eaux präsent. Am Anfang klingt das Stück wie eine Parodie. Langsam

geht die Textur aber in etwas Neues über, man erkennt plötzlich das Zitat aus Une barque

sur l’océan. Man kann nicht genau sagen, wo dieses Zitat einsetzt. Es beginnt sich zu

entwickeln, noch während die Melodie aus Singin’ in the rain hörbar ist.

Auf ähnliche Weise greift Sciarrino historisches Material in zwei anderen seiner

Werken auf: Blue Dream. L’età d’oro delle canzone (Blue Dream. Das goldene Zeitalter

des Lieds für Sopran und Klavier, 1981) und Nove canzoni del XX secolo (Neue Lieder des

20. Jahrhunderts) für Stimme und Orchester (1991).50

Das Bühnenwerk Vanitas. Natura

morta in un atto (Leere. Stilleben in einem Akt) für Mezzosopran, Violoncello und Klavier

(1980/81) beruht auf dem Lied Star Dust von Mitchel Parish und Hoagy Carmichael

(1927/29), das Sciarrino mit Fragmenten aus Werken anderer Komponisten (Giovan Leone

Sempronio, Giovan Battista Marino, Robert Blair, Jean De Sponde, Martin Opitz, Johann

Christian Günther u.a.) und Textfragmenten aus Barockgedichten in mehreren Sprachen

kombiniert. Der Titel Vanitas bezieht sich auf die Leere des Bühnenraums, welche sich

zwischen den drei weit voneinander entfernten Musikern erstreckt. Die Stimme, begleitet

von Klavier, bringt eine Melodie, die aus mehreren kurzen Phrasen besteht, ähnlich einem

Rezitativ. Im Violoncello erscheint das Material des Gesangs und wirkt hier als Echo. Das

Klavier bringt Elemente aus Star Dust, nämlich die sechsstimmigen Akkorde, auf denen

dieses Lied basiert:

Sciarrino gestaltet die formale Architektur auf fast minimalistisch zu nennende Weise aus diesem

Ausgangspunkt, dessen Vorgaben immer wieder variiert und zu reicheren Figuren oder Arpeggien erweitert

werden. Doch trotz dieses augenscheinlichen materialen Zusammenhangs stehen die einzelnen Komponenten

der Musik nahezu beziehungslos nebeneinander.51

Im Stück Storie di altre storie für Akkordeon und Orchester (2005) bringt Sciarrino eine

Mozart-Bearbeitung mit Werken von Guillaume de Machaut und Domenico Scarlatti

zusammen. Die Abschnitte ergeben eine Einheit aus ganz kontrastierenden Teilen. Mozart

ist ein wichtiger Komponist für Sciarrino. Er tritt an Mozarts Werke als Komponist und

auch als Musikwissenschaftler heran. Das beweisen die zahlreichen Bearbeitungen von

50 Ebda., S. 10.

51 Ebda., S. 13.

19

Mozart-Kadenzen, zusammengefasst im Stück Cadenzario für Orchester mit Solisten

(1982/91), sowie zum Adagio KV 356 (617a) für fünf Instrumente (1994). In Cadenzario

sind beide Seiten von Sciarrinos Annäherung zur Traditionen präsent; sowohl die

Bearbeitung als auch die Transformation. Allmählich entfernt er sich von Mozarts Musik

und in den Vordergrund tritt Sciarrinos „eigenes“ Idiom:

Die Musik entfernt sich hier [Flötensolo, T. 149] motivisch gänzlich vom Vorbild Mozart, verbleibt aber

durch ihre zwischen den Perkussionsinstrumenten aufleuchtenden Klarheit in einer gestischen Nähe, in der

sich die geistige Verwandschaft beider Komponisten offenbart.52

Auch in Sciarrinos Bühnenwerken ist Mozarts Musik präsent; in der Oper Macbeth

(2001/02) erscheinen kurz die Zitate aus Don Giovanni. Unter den Bühnenwerken finden

sich einige, die in engem Bezug auf Traditionen entstanden sind. Neben Luci mie traditrici

und Infinito nero betrifft dies vor allem die Oper Macbeth. Tre atti senza nome (Macbeth.

Drei namenlose Akte), welchem der Text von William Shakespeare zugrunde liegt, die

Oper Lohengrin für Solistin, Instrumente und Stimme (1982/83; 1984) und die Oper

Perseo e Andromeda (1990), beide entstanden auf Grundlage von Texten des französischen

Symbolisten Jules Laforgue (1860-1887). Das Libretto für Macbeth hat Sciarrino selbst

verfasst. Er ist eng an Shakespeares Original angelehnt, reduziert dieses aber aufs

Äußerste: „Die alten Formen, Stoffe und literarischen Vorlagen verlieren unter seinem

künstlerischen Zugriff jede historisierende Aura und offenbaren in neuer Gestalt ihren

zeitlos aktuellen Charakter.“53

Das, was bei Shakespeare in sieben und bei Verdi in acht

Szenen entwickelt wird, komprimiert Sciarrino zu einem einzigen Bild. Dabei spielt die

Schlachtenerzählung, die Verdi überhaupt nicht verwendet, in Sciarrinos Fassung eine

wichtige Rolle. Der Fokus liegt auf der Innenwelt der Protagonistin (Lady Macbeth), alles

andere ist der Erzeugung der inneren Dramatik dieser Figur untergeordnet. Lohengrin

könnte man im gleichen Sinn als „Drama der geistigen Zerrüttetheit“54

der Protagonistin

Elsa beschreiben. Ihre seelischen Zustände äußern sich durch die expressive

Instrumentalmusik. Die Instrumente sind gleichberechtigt mit der Sängerin; sie nehmen an

der Entstehung der Dramatik teil. Dieses Verfahren, „eine antinaturalistische Aufspaltung

52 Ebda., S. 11.

53 Nyffeler, Der Geruch von Blut-Salvatore Sciarrinos „Machbeth“, S. 1.

54 Drees, Salvatore Sciarrino, S. 13.

20

der Darstellungsebenen“55

, entwickelte Sciarrino erstmals in Vanitas, hier entwickelte

dieses Prinzip in den Werken der 1990er Jahre konsequent weiter. Fast in jeder seiner

Opern stehen die Frauen im Zentrum des Geschehens, „hoch empfindsame, somnabul

visionierende Hysterikerinnen, deren Stimme wie Seismografen funktionieren: Über lange

Passagen hinweg schlagen sie nur schwach aus, um urplötzlich ihrer inneren Erregung in

verdichteten, expressiv gezackten Linien Ausdruck zu verleihen.“56

2.2.1. Sciarrinos Vokalstil

Für Sciarrino ist die Stimme eine sehr wichtige Komponente der Musik, die aber in

breiten Teilen der zeitgenössischen Musik eher beiläufig eingesetzt worden sei:

Abgesehen von Nonos vocalità […] oder ein paar anderen besonders gut gelungenen Kompositionen von

Boulez – der sich nie mit Theater beschäftigte, jedoch die Entwicklung der Vokaltechnik beeinflusst hat –

sind die Beiträge in diesem Sinne sehr gering. Der Gebrauch einer Stimme, die ihr gesamtes Potential

ausschöpft, ist in der zeitgenössischen Musik vermieden worden.57

Sciarrino schrieb sein erstes Werk mit Singstimmen Aka Aka to I, II, III für Sopran und

12 Instrumente schon 1968. Seither formierte sich langsam sein Vokalstil sillabazione

scivolata (gleitende Silbenartikulation), den er in den späten 1970er Jahren entwickelte.58

Das Hauptelement dieses Stil ist eine zweiteilige Figur, die mit der Leichtigkeit des

alltäglichen Sprechens ausgeführt werden soll. Sie besteht aus einem lange liegenden Ton

„der unvermittelt in eine schnelle, oftmals barock formelhaft anmutende Figuration

übergeht.“59

Diese Figur wird sukzessiv variiert bzw. modifiziert. So entstehen zahlreiche

Gesangsmodule, die Sciarrino als Bausteine für seine Vokalkompositionen verwendet.

Sciarrino knüpft dabei an die Stimmästhetik des frühbarocken Gesangs an. Giulio Caccini

hat diese Stimmästhetik mit dem Begriff sprezzatura umschrieben:

55 Vinay, Sciarrino, Salvatore, Sp. 458.

56 Spahn, Nachts allein, S. 2.

57 “Se si eccettuano la vocalità di Nono […] o un paio di composizioni particolarmente azzeccate di

Boulez – che non ha mai fatto teatro ma ha influenzato lo sviluppo della tecnica vocale – i contribuiti in

questo senso sono molti poche. L'utilizzo della voce al pieno delle sue potenzialità nella musica

contemporanea è stato evitato.“ Sciarrino/Filotei, Un' idea fissa Riformare il teatro musicale, S. 1.

58 Saxer, Vokalstil und Kanonbildung, S. 482.

59 Ebda., S. 476.

21

Sprezzatura ist jene Leichtigkeit, die man dem Gesang dadurch verleiht, daß man ihn mit vielen Achteln und

Sechzehnteln über verschiedene Töne des Basses hinwegeilen läßt und daß man so, wenn es zur rechten Zeit

geschieht, dem Gesang eine gewisse Enge und Trockenheit nimmt und ihn angenehm gelöst und luftig

macht.60

Sciarrino hat ähnliche Anweisungen für die gesprochenen Teile in seiner Werken

gegeben und dabei den Begriff scioltezza verwendet: „Die rhythmische Notation der

gesprochenen Passagen gibt den Tonfall vor; es ist aber insgesamt notwendig, auch die

Leichtigkeit [scioltezza] des alltäglichen Sprechens zu erreichen.“61

Das Prinzip der

scioltezza benutzt Sciarrino aber auch für die gesungenen Abschnitte. Dabei kann die

Intonation zugunsten der Sprechgestik vernachlässigt werden. Das Ziel ist es, den

Charakter der handelnden Personen auszudrücken:

Die notierten Rhythmen müssen nicht genauestens ausgeführt werden, aber sie sind wichtig für das

Verständnis des Zögerns, der Sprechgeschwindigkeit und daher der emotionalen Reaktion der sprechenden

Personen oder für das Gewicht der Antwort in einigen Dialogen, was auch sehr stark durch die Zeit

wiedergegeben wird, die zwischen einer Dialogzeile und der Replik darauf verstreicht. Manche Dialoge

weisen ein ungeheueres Vakuum auf.62

Die Stimme muss sehr beweglich, und ohne Vibrato eingesetzt werden. Die Ausführung

von Sciarrinos Vokalparts verlangt eine hohe Konzentration, besonders wegen der feinen

dynamischen Unterschiede zwischen piano, pianissimo und ppp, die hörbar werden

müssen. Typisch für Sciarrino ist zudem, dass er an die Belcantotechnik messa di voce

anknüpft. Es handelt sich um einen crescendierenden, lang ausgehaltenen Ton, der

dynamisch sehr leise beginnt, sich allmählich bis ins piano, mezzoforte oder forte steigert

und wieder ins pianissimo zurückkehrt. Die Tonhöhe bleibt hierbei unverändert. Für

manche Komponisten wie z. B. Giuseppe Tartini (1692-1770) war es unvorstellbar, messa

di voce mit Vibrato zu verbinden, jedoch war ein Triller erwünscht.63

Bei Sciarrino gibt es

hingegen keine Verzierungen auf der langen Note:

60 Caccini, Nuove musiche e nuova maniera di scribere (1614), Vorrede, zit. nach Palisca, Italienische

Musiktheorie im 16. und 17. Jahrhundert (= Geschichte der Musiktheorie, Bd. 7), S. 304

61 Sciarrino, Luci mie traditrici, S. X

62 Salvatore Sciarrino im Gespräch, S.38 in: Utz Sog der Zeit, S. 46.

63 Zaminer, Messa di voce, S. 563.

22

Er integriert bestimmte Züge des Belcanto in seinen Gesangsstil und „bearbeitet“ sie, um eine neue

Ausdrucksqualität des Gesangs zu erzielen. Was als crescendierende Vorbereitung einer ausgreifenden

cantablen Melodielinie anhebt, wird nicht – wie erwartet – weitergeführt. Es bleibt bei diesem einen Ton, der

übergangslos in eine schnell artikulierte, zum Teil koloraturhaft arabeske Figuration mündet, der es jedoch an

der Brillianz der traditionellen Koloraturen mangelt, da sie zu rasch zum Ende kommt. Es ist ein ‚noch nicht‘

und ein „nicht mehr“, aus dem sich die Gesangsphrasen zusammensetzen.64

2.2.2. Sciarrinos Gesualdo-Rezeption

Für Sciarrino ist Carlo Gesualdo eine der zentralen Personen der Musikgeschichte.

Sciarrino sieht in Gesualdos Schaffen die Essenz vieler späterer Entwicklungen

verweggenommen:

Der kultivierte Hörer fühlt sich von ihm [Gesualdo] in besonderer Weise angezogen: eine Unmenge an

Klangassoziationen mit den modernsten Komponisten stürzen auf ihn ein. Wir finden bei Gesualdo die

Extravaganzen von Vivaldi und Domenico Scarlatti, von Schubert oder sogar vom späten Beethoven, wir

finden den Duft der Spätromantik oder das Frankreich zu Beginn unseres Jahrhunderts, die Atmosphäre des

Expressionismus.65

Sciarrino näherte sich Gesualdo von zwei Seiten einerseits dem zukunftsweisenden

Komponisten, andererseits beschäftigte er sich mit Gesualdo als Mensch und Mörder

seiner Ehefrau Maria d’Avalos. Dieser Racheakt hat Gesualdos Leben wesentlich

beeinflusst, auch wurde dieses Geschehnis mehrmals sowohl in der Literatur als auch in

der Musik verarbeitet. Auch Gesualdos Spätstil – der sich durch eine extreme Form der

Chromatik auszeichnet – wurde bisweilen als Konsequenz dieser Tat betrachtet. Im Jahr

1999 schrieb Sciarrino ein szenisches Stück für Mezzosopran, Saxophonquartett und

Schlagzeug: Terribile e spaventosa storia del Principe da Venosa et della bella Maria in

der Tradition ds sizilianischen Marionettentheaters. Die Komposition wird durch eine

Bearbeitung von Gesualdos Madrigal Tu m’uccidi o crudele (Libro quinto, 1611) eröffnet.

Neben der Madrigaltradition integriert Sciarrino auch den italienischen Volkstanz

Tarantella, welcher ebenfalls in transformierter Form erscheint. Im gleichen Jahr (1999)

64 Saxer, Vokalstil und Kanonbildung, S. 478.

65 Sciarrino/Maurer, Le Voci Sottovetro, S. 4.

23

entstand ein weiteres Werk, das direkt an Gesualdos Schaffen anknüpft: Le voci sottovetro

für Stimme und Ensemble. Ausgangspunkt dieser Komposition sind Transkriptionen von

vier instrumentalen und vokalen Werken Gesualdos. Hier erscheinen das Madrigal Moro,

lasso (4. Satz) und eine weitere Bearbeitung von Tu m’uccidi o crudele (2. Satz). Der

Werktitel „Die Stimmen hinter Glas“ bezieht sich auf den akustischen Raum, in dem sich

die Stimme befindet:

Worauf der Titel Le voci sottovetro anspielt? Eine Stimme, die lebendige Essenz, in eine Flasche

einzusperren, das läßt einem an die Genien denken, die von Salomon eingefangen und ins Meer geworfen

wurden. Die islamische Phantasieliteratur wimmelt nur von solchen Legenden. Es kann einem auch die

barocke Lust am Monströsen und Spektakulären einfallen, die bekanntermaßen mit der Wissenschaft und

dem Bedürfnis, das unterbrochene und anatomisch sezierte Leben auszustellen, einhergeht.66

Beide Komponenten Gesualdos – das Kompositorische und das Persönliche, an die

Sciarrino Interesse zeigt – bringt er in seine Oper Luci mie traditrici (1996-98). Der Text

basiert an den Mord Gesualdos an seiner Gattin und ihrem Liebhaber, das in der barocken

Tragödie Il tradimento per l’onore (1664) von Giacinto Andreas Cicognini verarbeitet ist.

Durch die Instrumentation werden die psychischen Zustände der Protagonisten dargestellt.

Die nervösen Figurationen der Streicher und Atemgeräusche der Bläser spiegeln die

Spannung der Protagonisten. Durch die äußerlichen/sichtbaren Elemente Musik,

Bewegung und Gesang werden die innerlichen/unsichtbaren Veränderungen präsentiert.

Auch wenn jemand ohne Kenntnis der Handlung der Oper zuhört, kann man schon von der

ersten Szene an vermuten, dass etwas Schlimmes passieren wird. Die hohe Expressivität

steht im Zentrum dieses Werks: „Sciarrinos Ästhetik ist eine Ästhetik des Unsichtbaren.“67

Das Modifikationsprinzip ist auf allen Ebenen vorhanden, sowohl in den Gesangsfiguren

als auch in den instrumentalen Intermezzi.

Die Oper beginnt mit der Elegie Qu’est devenu ce bel œuil (1608) von Claude Le Jeune

(1530-1600), einem franko-flämischen Komponist der Spätrenaissance. Ihre zwei zentralen

Gedanken – „Verlust der Geliebten und Vergänglichkeit des Lebens“68

– stellt Sciarrino in

den Mittelpunkt der Oper. Die Elegie dient aber auch als Unterlage für die drei

instrumentalen Intermezzi, die kontinuierlich transformiert werden, bis im letzten

66 Sciarrino, Le Voci Sottovetro, S. 4.

67 Borio, Der italienische Komponist Salvatore Sciarrino, S. 36.

68 Drees, Bearbeitung, Transformation, Allusion, S. 23.

24

Intermezzo Tonhöhen fast vollständig durch Geräusche ersetzt werden. Die Person, die im

Prolog diese Melodie a capella vorsingt, ist nicht sichtbar.

Damit wird die Klage um den Verlust nicht bloß dargestellt oder repräsentiert, sondern dieses Fehlen, der

Mangel wird zum realen Erfahrungsanteil für die Rezipienten. Der Bühnenraum ist nicht mehr reiner

Darstellungsraum. Das Bühnengeschehen enthält vielmehr Momente, die zur Auflösung der ästhetischen

Distanz tendieren.69

Im ersten Intermezzo ist die Elegie deutlich hörbar, es handelt sich um eine

Bearbeitung, um eine Instrumentation des originalen Textes. Im zweiten Intermezzo geht

Sciarrino einen Schritt weiter, er fügt Geräuschklänge hinzu und verzerrt das Material

durch schnelle Figurationen. Im letzten Intermezzo ist die Melodie überhaupt nicht mehr

vorhanden. Das einzige Element, das Assoziationen an die Elegie weckt, ist der

rhythmische Gestus bzw. die charakteristische Taktbetonung, die auf den Prolog

zurückverweist. Am Ende überwiegen aber die Geräusche, „in denen sich das tragische

Ende der Geschichte andeutet.“70

Während dieses Umwandlungsprozesses ändert sich auch

die Funktionder Intermezzi. Noch das erste Intermezzo könnte man als „Zwischenmusik“71

beschreiben, aber ab dem zweiten Intermezzo ist deutlich, dass diese instrumentalen

Abschnitte „ganz in den semantischen Raum des Dramas eingefügt“72

sind. Die

Transformationen in den Gesangsfiguren entwickeln sich parallel mit diesen im

Instrumentalenteil. Sie werden immer weniger gesungen und mehr ausgesprochen: „Die

Zerklüftung der Gesangsfiguren durch Pausen, in den ersten vier Szenen bereits angelegt,

nimmt zu, die Stimmartikulation geht immer mehr ins Sprechen über bis hin zum fast

tonlos gesprochenen Dialog am Beginn der Schlußszene.“73

Hier zeigt Sciarrino seiner

Tendenz nach die Verknüpfung von Altem und Neuem auf eine Weise, mit der er das

historische Material integriert, ihm seinen persönlichen Eindruck gibt und dadurch etwas

Neues entwickelt. In den Intermezzi entwickelt sich der Weg „vom historischen zum

zeitgenössischen Klangbild“.74

Dieser Prozess ständiger Modifikation, „Dekonstruktion

69 Saxer, Dekonstruktion und Konstruktion zugleich, S. 57.

70 Drees, Bearbeitung, Transformation, Allusion, S. 23.

71 Saxer, Dekonstruktion und Konstruktion zugleich, S. 58.

72 Ebda., S. 59.

73 Utz, Statische Allegorie und „Sog der Zeit“, S. 40.

74 Saxer, Dekonstruktion und Konstruktion zugleich, S. 60.

25

und Konstruktion“75

führt zur Anamorphose bzw. Umformung. Der Begriff

„Anamorphose“ kommt aus der Malerei des 16. Jahrhunderts. Es bezeichnet verzerrte

Bilder, „die nur unter einem bestimmten Blickwinkel (Längenanamorphose) bzw. mittels

eines speziellen Spiegels oder Prismensystems (katoptrische Anamorphosen) erkennbar

sind“.76

2.2.3. Das Madrigal bei Sciarrino

Der Zyklus 12 Madrigali (2007) ist nicht Sciarrinos erste Begegnung mit der

Madrigalkunst. In seiner Sammlung Le voci sottovetro (Stimme hinter Glas)77

aus dem Jahr

1999 verarbeitete er einige instrumentale und vokale Kompositionen Gesualdos. Die

hauptsächlich verwendete kompositorische Technik in diesem Werk ist die Reduktion. Die

fünfstimmigen Madrigale werden so stark reduziert, dass nur der Mezzosopran als

Vokallinie übrigbleibt, während alle anderen ursprünglichen Gesangsstimmen von

Instrumenten übernommen werden. Die Solo-Stimme übernimmt so eigentlich die Rolle

des Instruments im Rennaissancemadrigal. Text kommt nur in Fragmenten vor, wobei der

tragende Gedanke (Nähe von Liebe und Tod) deutlich hervorgehoben ist. Es handelt sich

also nicht um eine bloße Verarbeitung sondern um ein neukomponiertes Stück, das auf

Gesualdos Musik basiert. „Sciarrino zufolge ist die spezifische Aufgabe des

‚künstlerischen Gedächtnisses‘, die verdrängte Vergangenheit dem Vergessen zu entreißen

und sie aus der Perspektive der Gegenwart wiederzubeleben.“78

Da seine Musik über ein

hohes emotionales Ausdruckspotenzial verfügt, konnte Sciarrino mithilfe dieser Technik

gut an die frühbarocke Madrigal-Tradition anknüpfen. Schließlich sind Gestik und

lautmalerisch dargestellte Klänge einige der Hauptmerkmale des historischen Madrigals.

Bei Sciarrino kommt diese Komponente noch stärker zum Ausdruck.

75 Ebda.

76 Drees, Salvatore Sciarrino, S. 10.

77 Drees, Bearbeitung, Transformation, Allusion, S. 23.

78 Vinay, Scarrino, Salvatore, Sp. 457.

26

2.3. Der Zyklus der 12 Madrigali

Obwohl die Tradition generell ein sehr wichtiges Element in Sciarrinos Schaffen ist,

bezieht er seine Madrigale nicht direkt auf historische Modelle:

Tatsächlich suche ich keine Verbindung mit der Tradition, sondern mit einer neuen Form des Schaffens.

Mein Blick richtet sich nicht auf die Vergangenheit, sondern auf die Zukunft. Stücke dieses Genres kann man

jedoch nur Madrigale nennen.79

Die 12 Madrigali sind ein Zyklus von zwölf Vokalstücken, die auf sechs Haikus des

japanischen Dichters Matsuo Bashō (1644-1694) basieren. Bereits die Auswahl von Haiku-

Poesie zeigt Sciarrinos Streben nach Reduktion: wenige Worte, wenige Töne. Die

Madrigale evozieren die Natur des Mediterranen und stellen dabei immer wieder Klänge

lautmalerisch dar. Sciarrino will mit diesem Werk auch eine bestimmte Sichtweise des

Komponierens im Allgemeinen vermitteln:

In der westlichen Kultur soll die künstlerische Sprache die Subjektivität des Künstlers zum Ausdruck

bringen. Er sagt: „Dies ist, was ich empfinde, und diese Empfindungen gebe ich an dich weiter.“ Aber ich

sehe das anders. Ich sage nicht: „Das sind meine Klänge, die ich aufregend finde. Und du, was geschieht mit

dir?“ Meine Klänge sind nicht einfach Klänge, sondern Signale. Es sind Signale der Kommunikation

zwischen den Menschen, sie beziehen sich auf die Umwelt, die menschliche Aktivität, den Tag und noch

mehr die Nacht – auf die Wirklichkeit ganz allgemein.80

2.3.1. Form

In Sciarrinos 12 Madrigali ist jedes der sechs ausgewählten Haiku zweimal vertont,

aber jeweils auf eine andere Weise. Es handelt sich nicht um Wiederholungen, sondern um

ähnliche Elemente (Figuren, Motive, Text, u.a.), die Paare bilden. Jedes Paar trägt den

gleichen Titel (z.B. Nr. 1 und Nr. 7 Quante isole!, Nr. 2 und Nr. 8 Ecco mormorar l’onde

79 “In realtà io non cerco un rapporto con la tradizione, ma con una nuova forma da creare. Non ho lo

sguardo rivolto al passato, ma al futuro. Pezzi di questo genere, però, non possono che chiamarsi madrigali.“

Marcello Filotei, Un'idea fissa Riformare il teatro musicale, S. 2.

80 Sciarrino zit. nach Nyffeler, Das Meer, der Klang, der Spiegel, S. 6.

27

usw.) bzw. liegt ihnen der gleiche Text zugrunde, aber das Madrigal ist in der zweiten

Version auf eine andere Weise gearbeitet. Die Paare stehen sich gegenüber wie „ungenaue

Spiegel“ („a specchio infedele“81

). Die ersten sechs Madrigale „spiegeln“ sich in ihrem

jeweiligen Gegenstück, aber nicht exakt. So bemerkt man z.B. im Vergleich der Madrigale

Nr. 1 und Nr. 7 sofort eine Asymmetrie. Fast das ganze Material des Madrigals Nr. 7

besteht aus Elementen des Madrigals Nr. 1, diese Elemente treten aber nicht in derselben

Reihenfolge und in den gleichen Stimmen auf wie im Madrigal Nr. 1. Dennoch kann man

die Elemente über den gesamten Verlauf von Anfang bis Ende nachfolgen bzw.

wiederfinden. Man könnte es mit einem Bausteinsystem vergleichen. Die gleichen Steine

werden anders konfiguriert und so entstehen zwei unterschiedliche Häuser bzw. Formen.

Auch im zweiten Madrigalpaar (die Madrigale Nr. 2 und Nr. 8) bemerkt man eine

Asymmetrie zwischen den beiden Stücken: Das Madrigal Nr. 2 beginnt polyphon; die

Stimmen schließen imitatorisch aneinander an, darauf folgt ein kurzer homophoner

Moment. Die Dynamik ist durchweg leise, im piano-Bereich gehalten. Im Madrigal Nr. 8

ist es umgekehrt; der Beginn ist energisch, die Männerstimmen und Sopran 1 singen

Unisono und in lauter Dynamik eine schnelle Figuration, Mezzosopran und Sopran 2

setzen kurz danach nacheinander im pianissimo ein. Die Anzahl der Stimmen ist in meisten

Madrigale asymmetrisch; z. B. sind Madrigal Nr. 1 und Nr. 3 sechsstimmig gesetzt und

ihre Paare, Madrigal Nr. 7 bzw. Nr. 9, fünfstimmig.

2.3.2. Textbehandlung in den Madrigali Nr. 1, Nr. 7, Nr. 2 und Nr. 8

Jedes dieser vier Madrigale enthält drei Haiku-Zeilen, deren Inhalt lautmalerisch

dargestellt wird. Daneben prägen bestimmte „mediterrane“ Naturlaute (z. B. Zikaden,

Zirpen, Möwe, Wind) die Atmosphäre. Dieses Verfahren der Lautmalerei erinnert an die

Figuren- und Affektenlehre82

, die in der Musik des Barock eine sehr wichtige Rolle

spielten. Die Denkweise, dass sich Emotionen bzw. Affekte durch Musik ausdrücken

lassen und dass die Musik emotionale Zustände hervorrufen kann, geht bis in die Antike

zurück. In der antiken Musiktheorie stimmten bestimmte Modi mit bestimmten

Gemütslagen überein. Auf ähnliche Weise haben sich die Komponisten in Renaissance und

81 Nyffeler, Das Meer, der Klang, der Spiegel, S. 8.

82 Thieme, Die Affektenlehre im philosophischen und musikalischen Denken des Barock, S. 37.

28

Barock, so auch Gesualdo, mit diesem Thema beschäftigt. So ist z.B. bei Gesualdo die

Chromatik Symbol für Trauer, Schmerz und Tod und Diatonik ein Synonym für Liebe,

Freude und Leben.

Für Sciarrino sind Klang und Wort zwei untrennbare Komponenten; der eine geht in das

andere über, die Grenze zwischen ihnen kann man nicht klar definieren: „Was den Gesang

betrifft, in meinen Unterlagen habe ich das folgende Schriftstück gefunden: Die

geheimnisvolle und kräftige Einheit von Klang und Wort. Wort und Klang, Klang und

Wort: Das ist Singen.“83

In Sciarrinos Madrigalen aber ist der Text der Musik

untergeordnet; ganz im Gegensatz zur textbestimmten Musik des historischen Madrigals.

Es gibt fünf verschiedene Arten, auf die Sciarrino Musik und Text kombiniert:

1) Oft endet eine Phrase und kurz vor dem Ende des decrescendo setzt eine neuer

Textlaut ein (z. B. Madrigal Nr. 1, T. 5-7, Frauenstimmen, Bsp. 1).

Bsp. 1

2) Manchmal wird eine einzige Silbe melismatisch auf mehreren Tönen gesungen (z. B.

Madrigal Nr. 7, T. 40-41, Frauenstimmen, Bsp.2).

Bsp. 2

83 „Fra le mie carte ho trovato, a proposito di canto, lo scritto seguente. L’unione misteriosa e potente fra

il suono e la parola. Parola e suono, suono e parola: questo è cantare.“ Sciarrino, 12 Madrigali, Vorrede, S. 3.

29

3) Die Worte kommen nicht in derselben Reihenfolge, in der sie im Haiku erscheinen

und damit ändert sich die Bedeutung:

Der verbale Geistesblitz der Haiku, der in musikalische Werke von größerem Ausmaß eingeführt wurde,

führt dazu, dass sich die Verse um sich selber drehen und den Sinn auf den Kopf stellen. In der Tat tritt jedes

einzelne Wort in Kontakt mit den anderen, auch entfernten und findet dadurch neue Bilder und

Assoziationen.84

4) Manchmal ist nur ein Wort auf zwei Phrasen aufgeteilt (z. B. Madrigal Nr. 1, T. 1-3,

Frauenstimmen, Bsp. 3)

Bsp. 3

5) Manchmal ist eine ganze Gedichtzeile in einer Figur verdichtet (Madrigal Nr. 1, T.

24-25, Bsp. 4). Solch ein Umgang mit dem Text ist auch eines der Merkmale von

Gesualdos Spätstil:

Im Normalfall stand die musikalische Form in direktem Bezug zur Textform; sowohl gab es eine

Entsprechung zwischen Vers und Phrase als auch zwischen Textsyntax und Kadenz. Gesualdo hielt sich in

den ersten zwei Madrigalbänden im wesentlichen [sic!] an diese Einteilungen, erlaubte sich in späteren

Madrigalen beträchtliche Freiheiten besonders bei der Gestaltung der zweiten Halbverse, die oft stark

kontrastierend vertont wurden; teilweise mit so ausgedehnter musikalischer Wortausgestaltung etwa bei

Moro, moro, e mentre sospiro oder Non t’amo, dass eher ein Wort/Phrase-Zusammenhang entsteht.85

84 „La folgorazione verbale degli haiku, immessa in brani musicali di meno esili proporzioni, lascia che i

versi ruotino su se stessi e il senso si capovolga. Ogni parola entra infatti in contatto con l'altra, anche

lontana, trovando nuove immagini, cortocircuiti.“ Sciarrino, Partitur 12 Madrigali, S. 4.

85 Blume, Gesualdo, S. 49.

30

Bsp. 4, T. 24-25

2.4. Madrigal Nr. 1 Quante isole! / Wie viele Inseln!86

und Nr. 7 Quante isole!

Sciarrino ist vor allem ein kompositorischer Vertreter des minimalistischen

Musiktheaters. Ihm ist bekannt, wie man mit ganz wenigen Elementen eine Atmosphäre

erzeugen kann. In Madrigal Nr. 1/7 entsteht eine Atmosphäre, die an sommerliche Hitze

am Meer erinnert. Die unendliche Bläue bleibt ruhig wie ein Spiegel („lo specchio del

Mare“ / „der Spiegel des Meeres“87

), manchmal berührt von einer kleinen Welle oder einer

Brise (glissandi, kurze Fragmente usw.). Hauptträger dieser Atmosphäre ist eine

symmetrische Figur (Figur 1). Ihr lang ausgehaltener Ton wirkt wie eine Fläche, die

plötzlich berührt wird (kurzes Glissando), aber danach weiter ruhig bleibt.

Diese Konstellation breitet sich durch das ganze Madrigal aus. Die Übergänge von einer

Variante zur anderen sind unmerklich. Die Natur ist die Inspiration für Sciarrinos

Variationstechnik:

Dieses Prinzip der variierenden Wiederholung einzelner klar definierter Elemente gibt es auch in der

Natur. Die Tage zum Beispiel sind sich alle gleich und doch ist jeder anders, und das gilt auch für die

86 Nyffeler, Das Meer, der Klang, der Spiegel, S. 8.

87 Bashō, Partitur 12 Madrigali, Vorwort

31

Lebewesen oder die einzelnen Zellen: Sie sind gleich und doch verschieden. Darin liegt für mich die Idee der

Kreativität, überhaupt der Schöpfung.88

Diese Atmosphäre erweckt den Eindruck langsamer, kontinuierlicher Veränderung.

Trotz der fortgesetzten Veränderung von Tonhöhe und Rhythmus hat der Hörer das

Gefühl, als ob alles stillstehen würde. Sciarrinos Musik ist Bewegung und Stillstand

zugleich, sie verfolgt ein zyklisch-statisches Prinzip.89

Die Reduktion in der Besetzung des Madrigals Nr. 7 spiegelt ist auch in seiner Länge.

.wider (Tab. 1)

Tab. 1

Madrigalnummer: Besetzung: Taktanzahl: Tempo:

Madrigal Nr. 1 S. Ms. C. T. Br. Bs. 70 Takte Tempo d’altro

spazio

Madrigal Nr. 7 Ms. C. T. Br. Bs. 63 Takte Tempo d’altro mare

In der graphischen Analyse von Madrigali Nr. 1 (S. 41) und Nr. 7 (S. 44) ist sichtbar,

wie die Stimmen aufeinander reagieren bzw. wie sich das Material entwickelt und

modifiziert. Mit verschiedenen Linien habe ich versucht, die Konturen bzw.

Bewegungsrichtungen der Stimmen zu präsentieren. Sichtbar ist Anzahl der beteiligten

Stimmen und der Auftritt der bestimmten Elemente wie z. B. liegende Töne, Figuren,

kurze Motive u. a. Die zwei Symbole, die aus keinen Linien bestehen, sind Kringeln und

Sechzehnteln. Die Ersten bezeichnen das Atemgeräusch vom Madrigal Nr. 7, während die

Sechzehnteln die Einzeltöne darstellen. Da das Material äußerst reduziert ist, gibt es keine

Tonhöhen oder dynamischen und agogischen Zeichen, die Spiegelform, welche zwischen

den beiden Madrigalen entsteht, ist leichter auffällig. Man merkt deutlich den Prozess der

kontinuierlichen Veränderung der Figuren (Madrigal Nr. 1, Frauenstimmen, T. 1), die

imitatorischen Momente, die zwischen den Stimmen geschehen (siehe Madrigal Nr. 1, Br.

und B., T. 9 - 13) bzw. die homophonen Abschnitte (Madrigal Nr. 7, Männerstimmen). Ein

Überblick über den Austausch von Elementen, welcher zwischen den Stimmen entsteht, ist

88 Sciarrino in: Nyffeler, „Es gibt zwei Arten von Fantasie“, S. 2.

89 Utz, Statische Allegorie und „Sog der Zeit“, S. 51.

32

- wegen der schon erwähnten Reduktion - anhand einer solchen Analyse übersichtlicher

als im klassischen Notentext.

2.4.1. Madrigal Nr. 1 Quante isole!, Analyse

Bevor ich mit der Analyse beginne, möchte ich die fünf wichtigsten Elemente bzw.

Bausteine dieses Madrigals darstellen: Die Figuren 1-4, die dem Prinzip der sillabazione

scivolata folgen (Bsp. 5) und die Fragment-Gruppe.

Bsp. 5

a) Figur 1, T. 1-3 S.

b) Figur 2, T. 44-46 T.

c) Figur 3, T. 10-12, Frauenstimmen

33

d) Figur 4, T. 22 B., sillabazione scivolata

e) Fragment-Gruppe, T. 1 T.

Figur 1 besteht aus einem langliegenden Ton h, der kurz durch ein Glissando verlassen

wird und dann wieder nach h zurückkehrt. Von Figur 1 gibt es zwei Varianten: Figur 1a

bewegt sich beim Glissando-Teil nach oben und ihre Variante Figur 1b bewegt sich nach

unten. Die Figur 1 wechselt mit Figur 2 ab, die sich von Figur 1 durch den Anfangston

(Ton b) unterscheidet. Figur 2 besitzt ebenfalls zwei Varianten, die sich in der

Bewegungsrichtung unterscheiden. Figur 3 kann man als Koppelung von Figur 1 und Figur

2 betrachten. Sie beginnt von h oder b, aber wenn sich die Linie nach dem Glissando Teil

senkt bzw. aufhebt und wenn der Anfangston h oder b wieder erreicht wird, bleibt er nicht

liegen, sondern entwickelt sich durch Glissando weiter (siehe Bsp. 5c). Vor allem Figur 4

repräsentiert die oben erwähnte sillabazione scivolata, die in verschiedenen Formen

auftritt. Der zweite Teil (rasche mehrtönige Figuration) wird immer variiert, durch weitere

Töne ergänzt oder auf ein Glissando reduziert. Alle diese Figuren erfahren während der

Entwicklung des Madrigals ständige Modifikationen. Die letzte Elementengruppe besteht

aus Fragmenten. Diese Fragmente könnte man noch nach kleineren Gruppen unterteilen.

Sie erscheinen entweder als Einzeltöne oder als kurze Motive. Manchmal sind sie Teil

einer Phrase (Bsp. 6), manchmal sind nur isolierte Signale (Bsp. 5e) und manchmal

verdichten sie sich zu einer Fläche, indem sie gehäuft nach- und übereinander auftreten

(Bsp. 8f). Es entsteht hier eine kompakte Einheit; auf einmal wird der Satz ganz dicht.

34

Bsp. 6 T. 34-35, T.

Da die Fragmente verschiedenartig kombiniert werden, ist es manchmal nicht leicht,

eine Grenze zu ziehen und zu sagen, welcher Gruppe man bestimmte Fragmente zuordnen

soll. Die Figur 1 ist jedenfalls das Hauptelement, aus dem sich das ganze Material

entwickelt. Das kann man gut am Beispiel der Glissando-Variante der sillabazione

scivolata (Figur 4) merken: Das Glissando-Element ist schon in der Figur 1 vorhanden.

Dort ist er nur ein kurzer Teil der ganzen Figur. In der Glissando-Variante von Figur 4

wird das Glissando dann zum Hauptelement und dabei deutlich ausgedehnt (Bsp. 7).

Bsp. 7

a) T. 9-11, Br.

b) T. 18-19, Br.

c) T. 22-23, B.

35

Danach folgen mehrere Varianten der sillabazione scivolata, die diesen Prozess

weiterentwickeln. Anstatt eines Glissandos treten hier nun immer bestimmte Tonhöhen

auf. Die Anzahl dieser Töne steigt allmählich (Bsp. 7b und c). Die Figur 1 wird immer von

mehreren Stimmen gesungen, die im Unisono einsetzen, sich dann beim Glissando

voneinander trennen und wieder zum Ausgangston zurückkehren.

Obwohl Sciarrino andeutet, dass er in seinen Madrigalen nicht vom Renaissance-

Madrigale ausgeht, kann man doch einige Elemente bemerken, die an die traditionelle

Madrigal-Form erinnern. Insbesondere betrifft dies den Wechsel von homophonen und

kontrapunktischen Teilen. Dabei sollte man Homophonie und Kontrapunkt nicht im engen

historischen Sinn, sondern als Beispiel für den Gegensatz strukturell fester und lockerer

Formteile verstehen. Da sich die „homophonen“ und „kontrapunktischen“ Teile in vielen

Madrigalen überlappen, kann man oft keine klare Grenze zwischen den beiden Satztypen

ziehen. In Gesualdos Ecco, morirò dunque beginnen Stimmen in einem klaren akkordisch-

homophonen Satz, bereits im 3. Takt findet aber eine Auflockerung in Richtung einer

kontrapunktischen Satzweise statt (Bsp. 8).

Bsp. 8

a) Gesualdo, Ecco, morirò dunque (4. Madrigalbuch, )

Bei Sciarrino beginnen die Stimmen mit einem gemeinsamen Ton (h), und der so

eröffnete „homophone“ Teil dauert 30 Takte. Die Entwicklung ist langsamer als bei

Gesualdo, weil die Satztechnik der gewünschten Atmosphäre bzw. Fläche (das Meer)

untergeordnet ist.

36

Sciarrinos Disposition der Stimmen unterscheidet hauptsächlich zwei Stimmengruppen:

Frauen- und Männerstimmen, die ständig miteinander kommunizieren und sich

aufeinander beziehen. Es gibt dabei immer eine Verbindung, ein Bindeglied zwischen

diesen beiden Gruppen. Das kann man schon in den ersten Takten hören. Die

Frauenstimmen sind bis T. 44 als Einheit, fast unisono (mit geringen Abweichungen)

geführt und singen Figur 1, der Tenor singt mit ihnen nur ein kurzes Fragment – den

Anfangston von Figur 1.

Der Tenor markiert sozusagen die Eckpunkte der Phrase der Frauenstimmen (Quante

isole) durch lange Pausen zerhackt, fragmentarisiert. Während der „Homophonie“ in den

Frauenstimmen entwickelt sich durch diese Fragmentierung in den Männerstimmen

langsam eine Art Kontrapunkt, zum Tenor treten dabei Bariton und Bass hinzu (Bsp. 9).

Bsp. 9, T. 21-23

Neben den Fragmenten bringen die Männerstimmen eine neue Figur, die Glissando-

Variante der sillabazione scivolata (Bsp. 9, Bariton). Langsam entwickelt sich dieses neue

Material vom Einzelton über die Glissando Figur bis zur vollständigen sillabazione

scivolata, die in weiterer Folge imitatorisch fortgeführt wird (Bsp.10).

37

Bsp. 10

a) T. 24-25

In den imitatorischen Figuren wird der Charakter der sillabazione scivolata (lange

liegender Ton und schnelle Figuration) übernommen, die abschließende Figuration bzw.

deren Tonhöhen werden aber stets verändert. Die Fläche der Frauenstimmen bleibt

währenddessen konstant und entfaltet sich durch kleine, fast unmerkliche Progressionen.

Ab T. 30 tritt im Text ein neuer Text auf (in frantumi), den der Tenor schon im T. 26

vorwegnimmt. In T. 30 setzen die Frauenstimmen nun nicht mehr synchron ein, sondern

sukzessiv.

In den Männerstimmen entwickelt sich hier nun eine „unproportionale“ Imitation; in

einer Stimme erstreckt sich eine Phrase über zwei Takte und die andere Stimme wiederholt

dieses Material verdichtet als ein kurzes Motiv (T. 31-33).

Diesen Abschnitt (T. 30-37) könnte man als „polyphon“ beschreiben. Es gibt im

Vergleich zum Beginn mehr Interaktion sowohl zwischen den Stimmen einer Gruppe als

auch zwischen den beiden Stimmengruppen. Auch das Material entwickelt sich schneller,

intensiver. Die Musik scheint sich zu „entwickeln“, kehrt dann in T. 38 aber plötzlich

wieder zum Anfangsmaterial zurück (11, vgl. Bsp. 12).

38

Bsp. 11 T. 37-39

Es handelt sich allerdings nicht um eine Wiederholung des Beginns, schon nach ein

paar Takten merkt man, dass sich die Musik im Sinne einer „Polarität von Ruhe und

Bewegung“90

ständig weiterentwickelt. Eigentlich ist schon die erste Phrase (Bsp. 11)

leicht verändert; wenn die Glissando-Linie zurück zum Anfangston kehrt, bleibt dieser Ton

nicht liegen, sondern steigt durch ein weiteres Glissando langsam einen Halbton hinauf (T.

38-40).

Die Entwicklung des Materials ist spiralförmig, nicht linear: Sciarrino bringt etwas

Neues, dann fügt er dazwischen wieder etwas schon Bekanntes ein, dann folgt wieder

Neues und auf diese Weise verläuft der Prozess kontinuierlich weiter. Dieser Vorgang wird

vor allem durch die graphische Analyse des gesamten Verlaufs gut erkennbar (siehe S. 44).

Der gleiche Vorgang findet sich auch auf kleineren Ebenen. Z. B. wird die Figur 1 in den

Frauenstimmen fortgesetzt variiert, übernimmt dann aber plötzlich Elemente einer früheren

Variante. Dieser Vorgang ist fraktalartig: das, was auf einer übergeordneten Ebene

geschieht, ist schon auf kleineren Ebenen vorhanden.

90 Nyffeler, Das Meer, der Klang, der Spiegel, S. 10.

39

Auch der Tonraum verbreitet sich allmählich. Zuerst singen nur die Frauenstimmen und

der Tenor, langsam schalten sich dann auch Bariton und Bass ein, zunächst mit

Fragmenten und der Glissando-Figur, aus welchen sich dann die sillabazione scivolata

artikuliert. Oft werden die gleichen Textzeilen gleichzeitig in unterschiedlicher Weise

gesungen. Z. B. erstreckt sich eine Textzeile in einer Stimme oft über mehrere Takte, und

während sie sich in dieser Stimme noch entwickelt, wird sie in einer anderen Stimme

schon vollständig gebracht.

Was die Form betrifft, steht dieses Madrigal „im Spiegel“ nicht nur mit seinem

korrespondierenden Stück (Madrigal Nr. 7), sondern ist auch in sich selbst spiegelförmig.

Das sieht man in T. 44, wo die Figuren 1 und 2 von den Männerstimmen aufgenommen

werden und die Fragment-Phrasen durch die Frauenstimmen übernommen werden (vgl.

dazu auch die graphische Analyse, S. 44). Den Formverlauf könnte man also in zwei große

Teile gliedern: Der erste Teil umfasst die ersten 43 Takte und der zweite Teil die restlichen

27 Takte. Im T. 31 und später dann wieder in T. 55 setzen die Frauenstimmen sukzessiv

ein. Der Abschnitt T. 30-37 ist „polyphoner“, hier sind alle drei Gedichtzeilen bzw. das

gesamte Textmaterial des Haiku vorhanden, die Aktivität der Interaktion zwischen den

Stimmen ist hoch; die Motive gehen von einer in die andere Stimme über, ebenso wie die

Text-Fragmente bzw. ganze Gedichtzeilen. Im T. 37 singen zum ersten Mal alle sechs

Stimmen zusammen das gleiche Motiv (Bsp. 11). Dies erzeugt eine Zäsur; es entsteht das

Gefühl, dass jetzt ein Abschluss erreicht ist bzw. etwas Neues folgen müsste, aber gerade

das passiert nicht.

Im zweiten Teil des Madrigals ist wieder lange Zeit nur die Gedichtzeile Quante isole!

präsent. Die anderen zwei Zeilen in frantumi und lo specchio del mare treten erst ein paar

Takte vor Schluß auf.

Das Madrigal endet mit einem kurzen, dreitönigen Motiv, das homophon gesungen

wird, wobei der Bass echoartig verzögert einsetzt (Bsp. 12). Wegen der aufsteigenden

Gestik dieses Motivs und der überraschenden Imitation des Basses erzeugt diese

Konstellation keine Schlusswirkung., sodass ein offener Schluss zur „Unendlichkeit“ hin

entsteht.

40

Bsp. 12, T. 68-70, S., Ms., C., T., Br., B.

41

Madrigal Nr. 1

42

2.4.2. Madrigal Nr. 7 Quante isole!, Analyse

Im Madrigal Nr. 7 ist das gesamte Material von Madrigal Nr. 1 vorhanden, aber neu

angeordnet. Wenn man die beiden Partituren nebeneinander legt, kann man von Takt zu

Takt gehen und sämtliche Motive von Madrigal Nr. 1 im Madrigal Nr. 7 finden. Sie treten

hier jedoch nicht in derselben Reihenfolge und nicht im gleichen Zusammenhang wie im

Madrigal Nr. 1 auf, sodass eine neue „Geschichte“ entsteht. Was im ersten Madrigal z. B.

der Bariton singt, kann hier (in seiner Lage) im Mezzosopran stehen.

Diese Asymmetrie bzw. der „ungenaue Spiegel“ ist auf allen Ebenen bemerkbar. In

Madrigal Nr. 7 sind nur fünf Stimmen beteiligt, der Sopran fehlt, sodass auch der Tonraum

insgesamt etwas enger wird.

Die Figur 1 wird hier nun von Männerstimmen exponiert und zwar verkürzt; sie beginnt

außerdem mit dem Glissando-Element, ohne zuvor einen lange liegenden Ton h zu

bringen. Sonst sind die Töne identisch mit denen aus Madrigal Nr. 1 (Bsp. 13).

Bsp. 13, T. 1-4

Die Frauenstimmen bringen in der Folge fragmentierte Einwürfe (Glissando-Motive,

Einzeltöne, u. ä.), die ebenfalls aus Madrigal Nr. 1 übernommen sind.

43

Da hier nicht die Einzeltöne, sondern die Glissando-Phrase im Mezzosopran am Beginn

steht, hat man Gefühl, dass sich der Formprozess hier schneller verläuft. Tatsächlich

verläuft der Wechsel vom homophonen und polyphonen Teilen hier viel schneller; bereits

in T. 20 beginnen Imitationsstrukturen.

Die Imitation ist (wie in Madrigal Nr. 1) nicht streng, die Elemente werden nicht exakt

wiederholt, sondern werden immer leicht verändert. So z. B. wird im Vergleich von T. 21-

23 (Mezzosopran) deutlich, dass nur der Gestus der sillabazione scivolata beibehalten

wird: ein lange liegender Ton, der in eine absteigende Figuration mündet (Bsp. 14).

Bsp. 14

T. 21-23

Tonhöhen und Rhythmus vom Madrigal Nr. 7 sind gegenüber Madrigal Nr. 1 deutlich

verändert. Auf einer anderen Stelle (T. 19-20, B./C.) bleiben die gleichen Tonhöhen, aber

der Text wird ein bisschen variiert. Ein neues Element, welches zum ersten Mal in diesem

Madrigal vortritt, ist das Atemgeräusch. Es wird auf verschiedene Weise gesungen,

manchmal ganz zärtlich, als Hauch und manchmal mit voller Energie, als wenn die Wellen

an die Felsen schlagen.

44

Madrigal Nr. 7

45

2.5. Madrigal Nr. 2 Ecco mormorar l'onde / Hier das Murmeln der Wellen91

und Nr. 8

Ecco mormorar l'onde

Der Text dieses Madrigals spricht über die „Murmeln der Wellen“ (Ecco mormorar

l’onde), die der Rhythmus (è ritmo) des „duftenden Windes“ (vento profumato) sind. Mit

Ecco mormorar l’onde greift Sciarrino gewiss nicht zufällig den Titel eines Madrigals von

Claudio Monteverdi nach einem Gedicht von Torquato Tasso auf (2. Madrigalbuch, 1590).

Die Fläche bewegt sich, der Spiegel (lo specchio del mare) wird zerbrochen. Das merkt

man schon beim Hören. Die Stimmen sind unruhig, sie bewegen sich schneller als beim

vorigen Madrigalpaar (Nr. 1 und Nr. 7), schon beim kurzen Blick in die Partitur bemerkt

man eine Vielzahl an Linien und Figuren. Ein neues Element ist das Schnalzen mit den

Fingern, das als eine “naturalistische” Umsetzung des Wortes “ritmo” wirkt (Bsp. 15).

91 Nyffeler, Das Meer, der Klang, der Spiegel, S. 10.

46

Bsp. 15, T. 36-37

Im Hintergrund dieses schnellen Geschehens ist ein lange liegender Ton, der von einer

in die andere Stimme übergeht, fast durch das ganze Madrigal. Er setzt nicht gleich am

Anfang an, aber ab T. 7 erscheint er immer wieder. Dieser Ton beruhigt die schnellen

Bewegungen in anderen Stimmen, er ist eine Konstante wie das Meer.

Das Taktmetrum wird oftmals gewechselt, an einigen Stellen ändert sich dies von Takt

zu Takt. Dieser Wechsel asoziieren sich ebenso wie die schnellen Figurationen mit den

kleinen Wellen, die an der Meerfläche entstehen.

Im Unterschied zum ersten Madrigalpaar (Nr. 1 und Nr. 7), vergrößert sich hier die

Besetzung; im Madrigal Nr. 8 schließt noch ein Sopran dazu. (Tab. 2)

Tab. 2

Madrigalnummer: Besetzung: Taktanzahl: Tempo:

Madrigal Nr. 2 S. Ms. C. Ct. B. 53 Takte In attesa (non troppo lento)

Madrigal Nr. 8 S. S. Ms. Ct. T. B. 40 Takte Tempo d’attesa

2.5.1. Madrigal Nr. 2 Ecco mormorar l'onde, Analyse

Das Madrigal Nr. 2 ist fünfstimmig gesetzt (Sopran, Mezzosopran, Kontraalt,

Kontratenor und Bass); die Stimmen setzen nacheinander ein. Bei den ersten vierzehn

Takten ändert sich das Metrum fast in jedem Takt. Das Glissando Motiv, mit welchem der

Mezzosopran das Stück eröffnet, ist auch in der Phrase von Kontraalt (T. 1-2) vorhanden.

47

Das rasche zweitönige Fragment (e-f) von Kontraalt (T. 2) wird im Sopran, Kontratenor

und Bass knapp danach gesungen (T. 2). Alle drei Elemente beginnen mit Ton „e“ (Bsp.

16).

Bsp. 16, T. 1-2

In diesem Madrigal merkt man eine andere Art der Entwicklung. Im ersten Madrigal

war die Figur 1 das Zentrum, aus dem sich das ganze Material ergab und hier entwickelt

sich das Material kettenweise; die Figur 1 wird von anderen Stimmen übernommen und

allmählich weiterentwickelt. Es gibt hauptsächlich fünf Elemente, aus denen das Madrigal

Nr. 7 gebaut ist:

1) Figur 1 (T. 1, Mezzosopran, siehe Bsp. 16)

2) Figur 2 (T. 1-2, Kontraalt, siehe Bsp. 16)

3) Motiv 1 (T. 2, Sopran, Kontratenor und Bass)

4) lange liegender Ton (T. 13-16)

5) Schnalzen mit Fingern (siehe Bsp. 15)

Gemeinsam dem Madrigal Nr. 1 und Nr. 2 ist die Variationstechnik bzw. Modifikation

der Elemente, die Sciarrino in beiden Madrigalen anwendet. Die Figur 1 (siehe Bsp. 16,

48

Mezzosopran) kommt mehrmals vor, immer ein bisschen modifiziert. Entweder mit mehr

Text, oder mit kleinen Veränderungen von Tonhöhen, oder mit anderem Rhythmus.

Man bemerkt dasselbe Verfahren bei der Arbeit mit dem Material von Madrigal Nr. 1;

es kommt etwas Neues, danach wiederholt sich etwas Altes, dann erscheint wieder etwas

Neues. Die Figur 1 geht auch in die anderen Stimmen über und wird mit anderen Motiven

kombiniert.

Die Veränderungen von Tonhöhen sind gering; es wird immer nur ein Ton verändert

und zwar ein Halbton höher oder eineinhalb Ton tiefer.

Das gleiche Prinzip merkt man bei der Figur 2 von Kontraalt (siehe Bsp. 16); sie wird

mehrmals von verschiedenen Stimmen und in verschiedenen Varianten gesungen (Bsp. 17)

Bsp. 17, T. 28-29, C.

Das ganze Material könnte man in sechs Abschnitte gliedern (Tab. 3).

Tab. 3

Taktanzahl:

Abschnitt 1 T. 1-18

Abschnitt 2 T. 18-23

Abschnitt 3 T. 23-26

Abschnitt 4 T. 26-34

Abschnitt 5 T. 34-40

Abschnitt 6 T. 40-53

Die früher erwähnte kettenweise Entwicklung des Materials spiegelt sich in der

Bindung der Abschnitte wider. Gleichzeitig kommt ein Abschnitt zu Ende und die Phrase

des neuen Abschnittes beginnt. Alles fließt ineinander wie die Wellen, bei denen man nicht

sagen kann, wo eine endet und die andere beginnt.

49

Die Abschnitte unterscheiden sich durch die Elemente bzw. Motive und die

Textfragmente, die verschiedenartig kombiniert sind. So z. B. sind in Abschnitt 2 und 4

mehrere Haiku Zeilen vertont, während in Abschnitt 1 und 6 nur die erste Zeile erscheint.

Die Abschnitte 3 und 5 sind rhythmische Abschnitte, bei denen das Tonmaterial äußerst

reduziert ist. Im T. 23 tritt zum ersten Mal ein kurzer rhythmischer Einschub an, wo nur

Sopran einen lange liegender Ton a2 singt, der später in kurze Fragmente mündet (T. 23-

26).

Obwohl das Rhythmus-Element eine andere Ästhetik erzeugt, ist er nicht vom Rest des

Materials isoliert. Das Bindeglied ist der liegende Ton bzw. die hohe Lage von Sopran, die

auch später, wenn sich das Tonmaterial wieder einschließt, beibehalten wird.

Bei den Abschnitten, wo nur die erste Gedichtzeile (Ecco mormorar) vorkommt,

wechselt sich oft das Metrum, während die Rhythmus-Abschnitte immer in 4/4 Takt

bleiben.

Eine Überlappung von Formteilen, die Sciarrino bei sechs Abschnitten verwendet, nutzt

er auch auf Ebene der Satzstruktur. Manchmal ist das homophone Teil noch nicht fertig,

wenn schon das polyphone Teil einsetzt (Bsp. 18).

Bsp. 18, T. 12

Das Motiv, das beim homophonen Moment eintritt, erinnert an das Madrigal Nr. 1, wo

dieses Material zum ersten Mal erscheint (Bsp. 19).

50

Bsp. 39, Madrigal Nr. 2, T. 11

Während dies im ersten Madrigal nur einmal wiederholt wird, kommt es im Madrigal

Nr. 2 nach jeden paar Takten vor; es wirkt wie eine Zäsur am Ende einer Phrase. Das

zweite Motiv, das vom Madrigal Nr. 1 übergenommen ist, sind die Vogellaute, die von

Frauenstimmen gesungen werden.

Sciarrinos Umgang mit dem Text ist verschiedenartig. Die Gedichtzeilen kommen nicht

immer vollständig vor. Manchmal ändert sich die Reihenfolge der Wörter oder es

wiederholt sich mehrmals nur ein Wort.

Von drei Haiku Zeilen ist am meistens die Erste vertont. Die andere Zwei kommen

kaum zum Ausdruck. Eine ähnliche Variationstechnik merkt man auch in dem Bereich der

Motivik (Bsp. 20).

51

Bsp. 20, T. 14-16

Die Lage verbreitet sich schnell. Der Umfang vom kleinen Terz weitet sich plötzlich in

einem Takt zur Oktave aus. Dynamik bewegt sich vorwiegend im piano Bereich.

Manchmal setzt Sciarrino ein dreifaches piano und forte gleich nebeneinander.

Das Madrigal Nr. 2 endet fast auf die gleiche Weise wie das erste Madrigal. Beiden ist

der homophone Schluß gemeinsam. Der Unterschied ist, dass in diesem Madrigal alle

Stimmen teilnehmen, während im Madrigal Nr. 1 der Bass später vortritt. Obwohl hier alle

Stimmen in Unisono beteiligt sind, entsteht wegen der aufsteigenden Bewegung des letzten

Motives doch kein starker Eindruck vom Schluß.

2.5.2. Madrigal Nr. 8 Ecco mormorar l'onde, Analyse

Die sechsstimmige Besetzung des Madrigals 8 trägt zur Asymmetrie bei, die sich durch

den ganzen Zyklus erstreckt. Dieses Madrigal beginnt viel energischer und lauter von

seinem Madrigalpaar. Die Quintole-Figur, die am Anfang steht, wird von vier Stimmen

gesungen. Das Tonmaterial der Figur ist von Madrigal 2 übernommen; dort singt der

Mezzosopran die gleichen Töne (e, f, d), nur im größeren zeitlichen Abstand (siehe Bsp.

22)

Das Material von Mezzosopran bzw. Sopran 1 und 2 ist auch im zweiten Madrigal

vorhanden; es handelt sich um Figur 2, die Kontraalt singt. Hier kommt sie nicht

vollständig vor, es fehlen nämlich die letzten zwei Fragmente (siehe Bsp. 22).

52

Das dritte Bindeglied ist der langliegende Ton, der sich wie auch im zweiten Madrigal

durch mehrere Takte erstreckt und später dann in Glissando übergeht.

Am Ende des Satzes erscheinen auch zwei Elemente, die zum ersten Madrigalpaar

gehören; Atemgeräusch und Schluß-Gestus (Bsp. 21, T. 38-40).

Bsp. 21, T. 38-40

Die Form könnte man in vier Abschnitte teilen (Tab. 4).

Tab. 4

Taktanzahl:

Abschnitt 1 T. 1-11

Abschnitt 2 T. 11-21

Abschnitt 3 T. 21-33

Abschnitt 4 T. 34-40

53

Die Abschnitte 1 und 3 verbindet die erste Haiku Zeile - die in beiden Fällen vertont

wird - und die Motivik. In beiden Abschnitten verwendet Sciarrino fast identische Motive

bzw. Figuren, nur die Reihenfolge, in der sie auftreten, wird verändert. Es gibt Momente,

die auf dem ersten Blick als buchstäbliche Wiederholung erscheinen, aber dann bemerkt

man doch einige Abwandlungen.

Der Austausch von homophonen und kontrapunktischen Teilen ist viel schneller als im

Madrigal 2, fast in jedem Takt ändert sich die Satzstruktur (Bsp. 22).

Bsp. 22, T. 1-3

Ein ähnliches Verfahren findet man in Gesualdos Madrigale (siehe Bsp. 8).

Der Abschnitt 4 ist fast die identische Wiederholung vom Abschnitt 2. Alle Motive sind

vorhanden, sie treten auch in gleichen Stimmen wie im zweiten Abschnitt auf. Die

Veränderungen, die Sciarrino hier verwendet, sind gering wie z. B. ein kurzer Einschub in

der Mitte vom Abschnitt 2 oder der langliegende Ton, der zwanzig Takte lang langsam

senkt.

54

2.6. Zusammenfassung

Obwohl beide Madrigalpaare so gebaut sind, dass sich das Material vom einen im

anderen Madrigal widerspiegelt, verwendet Sciarrino nie zweimal die gleiche Technik. Bei

Madrigal Nr. 1 und Nr. 7 handelt es sich um eine asymmetrische Wiederholung, bei

Madrigal Nr. 2 und Nr. 8 eher um eine Weiterentwicklung. Es ist zwar deutlich, dass die

Motive des Madrigals Nr. 8 aus dem Madrigal Nr. 2 hervorgehen, aber im Unterschied

zum ersten Madrigalpaar (Nr. 1 und Nr. 7), wo man alle Motive unverändert finden kann,

erscheinen sie hier stark transformiert und einige von ihnen treten überhaupt nicht auf.

Im Madrigal Nr. 8 erscheint der „Rhythmus-Abschnitt“ des zweiten Madrigal nicht

mehr; überhaupt ist die zweite Gedichtzeile (è ritmo) in Nr. 8 kaum vertont, sie erscheint

nur zwei Mal. Die erste und dritte Zeile sind dagegen stark präsent, während in Madrigal

Nr. 2 deutlich die erste Zeile dominiert und mehr als die Hälfte des gesamten Madrigals

umfasst.

Gemeinsame Elemente findet man nicht nur zwischen den Madrigalpaaren, sondern

auch in allen vier Madrigalen. So z. B. der Austausch von homophonen und

kontrapunktischen Abschnitten oder das gleiche Schluß-Gestus tritt in jedem Madrigal vor.

Das Atemgeräusch von Madrigal Nr. 7 erscheint am Ende vom achten Madrigal, die

Vogellaute von Madrigal Nr. 1 findet man auch im Madrigal Nr. 2, der Text wird in allen

vier Madrigalen auf die gleiche Weise bearbeitet usw. Sciarrino pendelt zwischen Neuem

und Altem, Wiederholung und Entwicklung.

Obwohl Sciarrino behauptet, dass er in diesem Zyklus nicht an die Tradition anknüpft,

hat er sich doch - wenn auch unbewusst - zu Gesualdos Ästhetik angenähert. Die Auswahl

von Vokalstücken, die motivisch stark durchgearbeitet sind bzw. die Abhängigkeit von

Ton und Wort rufen die Assoziationen an die Madrigale der Renaissance hervor. Auch der

verschiedene Satzaufbau, der Austausch von kontrapunktischen und homophonen

Passagen, trägt zu diesem Eindruck bei.

55

3. Klaus Hubers Lamentationes sacrae et profanae

3.1. Oszillieren zwischen Politik, Mystik und Polykulturalität

Klaus Huber ist ein Komponist, den man als engagierten Künstler bezeichnen kann. Er

reagiert auf das Weltgeschehen, die Ungerechtigkeit berührt ihn tief. Eines seiner großen

Werke, das Oratorium Erniedrigt – Geknechtet – Verlassen – Verachtet ... (1975-82)

handelt von diesem Thema. Im Zentrum stehen die Bewohner der brasilianischen

Armenviertel Favelas, die täglich gegen Hunger, Durst und Gewalt kämpfen. Für Huber

muss Kunst eine neue Rolle in der Gesellschaft übernehmen.92

Sie muss auf aktuelle

Geschehnisse reagieren. Der Komponist sollte sich nicht nur in seiner eigenen Welt

verschließen, sondern sich mit seinen Kompositionen sozial-politisch engagieren. Huber

möchte durch sein Schaffen beim Zuhörer Empathie für diejenigen, die leiden, erwecken.

Jeder von uns soll in der Gesellschaft aktiv sein und auf lokale und globale Ereignisse

reagieren. Huber fordert dazu auf, Vorgänge in Politik und Gesellschaft kritisch zu

betrachten und nicht Informationen unhinterfragt zu akzeptieren: „Wenn der immer noch

medienmächtig propagierte Schwach-Sinn (im genauen Wortsinn!) weltweit zum

akzeptierten kleinsten gemeinsamen (gesellschaftlichen) Nenner werden sollte, dann ist die

Grundperspektive unserer Zukunft verloren.“93

Der Anfang von Hubers Beschäftigung mit der Musik anderer Kulturen setzte bereits im

Jahr 1942 ein, als er an einem Lehrerseminar in Küsnacht teilnahm, der aber ohne direkte

Konsequenzen blieb. Intensiver hat Huber sich erst in den frühen 1990er Jahren mit

anderen Kulturen beschäftigt. Er möchte „eindimensional eurozentrisches Denken

aufzuspüren und […] überwinden.“94

Seine Beschäftigung mit außereuropäischen

Traditionen ist immer eng mit Politik verbunden. Huber wählt Texte, die von

gesellschaftlichen bzw. politischen Problemen in bestimmten Ländern handeln wie z. B.

die Texte des palästinensischen Dichters Mahmoud Darwisch, der über die

Konfliktsituationen in seinem Land schreibt: „Es geht also um eine Bewusstmachung von

92 Nyffeler, Umsturz und Umkehr, S. 24.

93 Huber, Unterbrochene Zeichen, S. 31.

94 Hiekel, Transformationen, S. 14.

56

ästhetischen Qualitäten, die über das bloß Ästhetische hinaus auf eine bestimmte kulturelle

Identität deuten – welche dann in Korrespondenz zu bestimmten Texten stehen kann und

von bestimmten Assoziationen getragen wird.“95

Darwischs Gedicht Etat de siège hat

Huber in Die Seele muss vom Reittier steigen ... (2002) für Violoncello, Baryton,

Kontratenor und zwei Orchestergruppen als Ausgangspunkt genommen. Dies war das erste

Mal, dass Huber einen arabischen Text benutzte. Das Gedicht thematisiert die Leiden des

palästinensischen Volkes. Der Titel des Werkes ist Leitgedanke des Darwisch-Gedichts.

Neben dieser humanistischen Komponente ist für Huber auch die spirituelle Dimension

sehr wichtig: „Jene anderen, existenziellen Fragen – Wo stehe ich als Mensch und als

Künstler in der Welt? Welche Kräfte gibt es außerhalb von mir? Was passiert mit mir,

wenn ich komponiere? – bildeten immer den Kern seiner Überzeugungen.“96

Hubers

Spiritualität bezieht sich auf verschiedenste Traditionen vom Christentum über den Zen-

Buddhismus und Sufismus bis zum Islam. Wichtig ist es anzudeuten, „daß just die Mystik

zu einem zentralen Element für seine radikale Öffnung geworden ist, Mystik nun freilich

nicht mehr ausschließlich als Weg gegen innen verstanden, sondern gleichzeitig als Weg

nach außen, als aktive Teilhabe an Welt.“97

Balance zwischen Innerem und Äußerem,

zwischen Meditation und Aktion: „Zwischen diesen beiden Auffassungen, der

gesellschaftsbezogenen und der transzendenten, versucht er zu vermitteln.“98

Huber ist es

bewusst, dass man heutzutage unter dem Begriff „Spiritualität“ auch viele modische

Tendenzen fasst, die mit diesem Bereich eigentlich nichts zu tun haben: „Ich denke auch

an pseudospirituelle Tendenzen, in denen das Tiefe verfügbar ist, während bei den

Mystikern das Tiefste etwas Schmerzvolles ist, über das das Ich eben gerade nicht

verfügen kann.“99

Aus dieser Weltsicht entwickelt sich auch Hubers Zugang zur Musik.

Für ihn ist Musik nicht etwas homozentrisches, sie geht weit darüber hinaus. Solch eine

Darstellung der Musik ist in vielen Kulturen vorhanden: „Es gibt in den

unterschiedlichsten Kulturen Traditionen, die der Auffassung sind, daß die Musik ein

95 Hiekel, Transformationen, S. 14.

96 Wolfgang Rihm in Nyffeler / Rihm, Erziehung zur Eigenverantwortung, S. 23.

97 Keller, Klaus Huber und die arabische Musik, S. 180.

98 Nyffeler, Erziehung zur Eigenverantwortung, S. 25.

99 Huber, Von Zeit zu Zeit, S. 307.

57

Etwas ist, das widerspiegelt, was umfassend ist, etwa die Harmonie der Welt in der

griechischen Philosophie. Das reicht über den Menschen hinaus.“100

3.2. Dritteltönigkeit und die arabische Musik

Obwohl sich Huber mit verschiedenen nicht-europäischen Musikkulturen

auseinandergesetzt hat, beschäftigte er sich hauptsächlich mit der arabischen Musik. Einer

der Gründe war der Konflikt im Nahen Osten in den 1990er Jahren, genauer der erste

Golfkrieg: „Unmittelbar ausgelöst durch den Golfkrieg, dessen verheerende Auswirkungen

im Bewußtsein vor allem der jungen Generation ich mit Recht befürchte (umfassende

Remilitarisierung ihres Denkens und Fühlens) und der meine Kreativität beinahe zerbrach,

hatte ich das starke Bedürfnis, mich einer Kultur zuzuwenden, die in den Augen der Neuen

Weltordnung zur Vertreterin des Bösen schlechthin geworden war.“101

Huber erforschte

die klassische arabische Musik, besonders aus dem 9.-15. Jahrhundert. Er beschäftigte sich

mit den musiktheoretischen Werken von Al-Kindi, Al-Farabi, Ibn-Sina (Avicenna) und

Safi ad-Din al-Urmawi. Im Zentrum seiner Forschung stand die umfangreiche Studie La

musique arabe des Orientalisten und Musikforschers Rodolphe d’Erlanger (1872-1932).

Ihn faszinierte die Zusammenarbeit von islamischen, christlichen und jüdischen

Intellektuellen auf dem Gebiet des arabisch-mittelalterlichen Spaniens: „Die Christen

konnten Christen bleiben, die Juden Juden. In Spanien hat die Kultur lange in dieser

Toleranz überlebt. Und das hatte auch musikalische Auswirkungen auf Europa, nicht nur

über die Instrumente, sondern auch über die Musiktheorie.“102

Diese Verbindung von

verschiedenen Kulturen verarbeitet Huber in seinen Werken, in denen er Elemente aus den

arabischen Traditionen mit der westeuropäischen Tradition zusammenbringt.

Das untemperierte System der arabischen Musiktradition war eine völlig neue Welt für

Huber. Es eröffnete ihm viele Möglichkeiten, die das temperierte System ausschließt, vor

allem die Beschäftigung mit Mikrointervallen: „Das Ausspannen der arabischen

Intervallik, die als ein Grundelement die geteilte kleine Terz (Dreiviertelton) enthält, über

100 Ebda., S. 309.

101 Huber zit. nach Keller, Unterbrochene Zeichen, S. 181.

102 Meyer, „Ein Zeichen der Friedensmöglichkeit“, S. 54.

58

den ganzen Klangraum des modernen Orchesters brachte eine neue Art von Harmonik

hervor, in der sich das Verhältnis von Konsonanz und Dissonanz grundsätzlich neu stellt.

Und eben das durchzieht nun alle meine Stücke bis heute.“103

Sein erstes Werk in diesem

Bereich ist Die Erde bewegt sich auf den Hörnern eines Ochsen (1992/93), das für vier

arabische und zwei europäische Musiker und ein Tonband geschrieben ist. Das Werk

beruht auf dem Vortrag Der Sturz der Propheten (1992) des iranischen Schriftstellers

Mahmud Doulatabadi. In diesem Vortrag wurde die schwere Situation des iranischen

Volkes thematisiert: „Eingezwängt zwischen reaktionärem Fundamentalismus und neo-

imperialistischer ‚Neuer Weltordnung‘ bleibt der iranischen Kultur nur die Möglichkeit des

Verstummens.“104

Doulatabadi spricht über die hoffnungslosen Situationen, in denen sich

sein Volk durch die Geschichte hindurch befand. Verschiedene politische Systeme wollten

Iran für ihre Zwecke ausnutzen, auch wenn die Menschen stark unter den Konsequenzen

litten: „In solch einer Lage kann man jedem Volk jede Projektion aufzwingen.

Möglicherweise ist es für viele nicht von Bedeutung, daß unsere Menschen – und

Menschen wie unsere – gänzlich zerstört oder unter dem Druck der Hoffnungslosigkeit

verrückt werden.“105

Obwohl der Text voll von pessimistischen Aussagen ist, schließt

Doulatabadi mit hoffnungsvollen Gedanken:

Was kann nun unsere Hoffnung sein, wenn nicht die Wahrheitsliebe der Vernünftigen und das Weltgewissen

der Völker, deren Herzen – jenseits der Grenzen, Hautfarben und politischen Systeme – für Frieden,

Einigkeit und Liebe pochen? […] Trotz der Brutalität in unserer politischen Kultur ist Liebe in unserer

Sprache und unserem Denken ein großes Erbe. Unsere Sprache ist die klare Sprache der Gefühle in Geduld,

Bescheidenheit und Liebe.106

Der Titel Die Erde bewegt sich auf den Hörnern eines Ochsen ist ein Zitat aus

Doulatabadis Text: „Die Erde bewegt sich auf den Hörnern eines Ochsen. Was bei dieser

Bewegung gehört wird, ist das Geräusch vom Zermalmen eines Gleichgewichts und

gleichzeitig die Sehnsucht danach.“107

Die Auszüge des Textes sind außer auf Persisch

auch auf Arabisch, Deutsch und Französisch. Die Sätze werden gesprochen oder gesungen

und wurden zusammen mit Geräuschen und Klängen der arabischen Instrumente Quanun,

103 Huber, Von Zeit zu Zeit, S. 15.

104 Keller, Unterbrochene Zeichen, S. 182.

105 Doulatabadi, Unterbrochene Zeichen, S. 21.

106 Ebda., S. 23.

107 Ebda..

59

Ney, Riqq und Mazhar auf Tonband aufgenommen und anschließend elektronisch

verarbeitet. Zu diesem Tonband treten in einer Live-Aufführung die vier auf dem Tonband

zu hörenden arabischen Musiker noch sowie zwei europäische Instrumente hinzu: Viola

und Gitarre. Die Passagen der arabischen Musik sind dabei improvisatorisch ausgerichtet.

Huber bestimmt in der Partitur nur ihren Einsatzzeitpunkt sowie den Modus maqam und

den rhythmischen Zyklus wazn. Viola und Gitarre spielen ebenfalls verschiedene

maqāmāt; teilweise ist ihr Material in der Partitur fixiert und teilweise sollen sie auch

improvisatorisch reagieren. Gleichzeitig läuft im Hintergrund das Tonband, welches die

Basis für das ganze Geschehen ist: „Das Tonband bildet gleichsam den Klangraum und das

Zeitraster für die Live-Musik.“108

Der arabischen Musik liegen die komplexen Modi maqāmāt (Plural von maqam) und

die rhythmischen Zyklen auzan (Plural von wazn) zugrunde.109

Da die maqāmāt auf

untemperierten Stimmungen beruhen, sind sie in westlicher Notation zum Teil schwer

notierbar.

Jeder maqam wird außerdem „nicht nur durch seine Tonskala, sondern auch durch einen

semantischen Gehalt definiert, der allerdings regional etwas variieren kann.“110

Der maqam

saba drückt Schmerz und Trauer aus, der maqam hijaz Sehnsucht111

, „der maqam rast etwa

ruft ein Gefühl des Stolzes, der Macht, der geistigen Gesundheit und der Männlichkeit

hervor. Der maqam bayati bringt Lebenskraft, Freude und Weiblichkeit zum Ausdruck.“112

Die maqāmāt sind traditionell einstimmig, aber sie werden von Huber harmonisiert und

mehrstimmig verwendet. Hier kann man Hubers Neigung erkennen, aus etwas Bekanntem

neues Material zu schaffen: „Nicht die nachahmende traditionell-arabische Klanglichkeit

liegt in Hubers Interesse, sondern die kreative Inspiration aus dieser Tradition heraus zur

Entwicklung neuer Klänge.“113

Die maqāmāt, die Huber in seinen Kompositionen nutzt,

verarbeitet er durch vielfältige Transformationsprozesse.

108 Keller, Unterbrochene Zeichen, S. 184.

109 Ebda., S. 185.

110 Knipper, Tonsysteme im kompositorischen Schaffen von Klaus Huber, S. 186.

111 Keller, Unterbrochene Zeichen, S. 185.

112 Touma, Die Musik der Araber, S. 71.

113 Knipper, Transformationen, S. 187.

60

Die Dreivierteltönigkeit arabischer Musik sieht Huber nicht nur als eine weitere

Möglichkeit, neue Klangräume zu erzeugen, sondern sie ist auch die Vermittlung seines

Standpunktes. Claus-Steffen Mahnkopf fragte Huber in einem Interview, ob er die

Dreivierteltönigkeit in seiner Lamentationes sacrae et profanae ad responsoria Iesualdi als

„Ausdruck der Umkehr“114

versteht. Huber antwortete: „Eigentlich auch als einen Anruf an

den Menschen, genau das [die Umkehr] zu vollziehen. Ich als Komponist vollziehe es. Ich

möchte dies weitergeben.“115

3.3. Zu Hubers Kompositionsweise

Wenn ich eine Kompostiton beginne, liegt ihr immer schon ein Anfang voraus: die Initial-Idee. Sie wächst

zusammen aus verschiedensten, oft nur punktuellen Imaginationen, die ein Zentrum umkreisen, sich

vernetzen, Zukünftiges antizipieren, Vergangenes hereintragen in ein zündendes Jetzt. Habe ich mit der

Ausarbeitung begonnen, kommt die Initial-Idee immer wieder in Bedrängnis. Sie läuft Gefahr, aus dem

kreativen Bewußtsein verdrängt zu werden: durch eingeschliffene kompositorische Gewohnheiten, bequeme

Routine oder auch umgekehrt durch die Unfähigkeit, das Äußerste, das Neue, Unbekannte zu wagen.116

Es kann also passieren dass sich die Initial-Idee während des Schaffensprozeßes

verändert. Das Endresultat ist dann ein anderes Werk, daß aber auch als Ergebnis einer

anderen Idee zu betrachten ist: „Der Schaffensprozeß ist selber ein Zeitprozeß. Und

übrigens auch auf die Lebenszeit bezogen. Das sollten wir nie vergessen. [...] Was ich in

meiner Musik vermeiden möchte, ist, einfach zu produzieren, damit ich zu Produkten

komme. Die Routine möchte ich unbedingt vermeiden.“117

In Hubers Opera findet man viele Werke, die auf der Obertonreihe bzw. auf Drittel-

oder Vierteltöne beruhen. Die Obertöne sind Ausgangspunkt für alle anderen

Tonsystemen: „Die Obertonreihe erscheint immer in Verbindung mit einem der anderen

Tonsysteme, ist für Huber aber in seinem ganzen Schaffen stets eine wichtige Referenz

und wird wohl als Urbild aller verwendeten Tonsysteme erachtet.“118

114 Huber / Mahnkopf, Das Werk, S. 103.

115 Ebda.

116 Huber, Doppelpunkt: Eine Reflexion über das Beginnen, S. 27.

117 Huber / Mahnkopf, Aspekte, S. 132.

118 Knipper, Tonsysteme im kompositorischen Schaffen von Klaus Huber, S. 193.

61

Mit Dritteltönigkeit beschäftigte sich Huber seit den 1960er Jahren. Erstmals nutzte er

die Dritteltönigkeit in seinem Werk Alveare Vernat (1965) für Flöte und zwölf Solo-

Streicher. Die Beschäftigung mit mikrotonalen Systemen eröffnete sein Interesse für

Guillaume Costeleys (1531 - 1606) Stimmung (Teilung der Oktave in 19 Tonstufen) und

die Stimmungssysteme der arabischen Musik (Teilung der Oktave in 24 Tonstufen). Diese

Tonsysteme betrachtet Huber auch als Mittel, „um ängstliche, bedrohliche oder düstere

Gefühlslagen zu erzeugen oder darzustellen. Lediglich einmalig wurde das Mikrointervall

als Symbol für etwas sehr Kleines, eines Ursprungs eingesetzt [sic!].“119

Im Gegensatz zur

Betrachtung von Vierteltönen haben die Obertöne bei Huber auch positive Konnotationen:

„Inhaltlich werden in Hubers Musik Obertöne als Symbol für Freiheit bzw. Befreiung

(Schattenblätter, Protuberanzen), aber auch für das Alter und den Tod (Erinnere dich an G

..., Quod est pax? – Vers la raison du cœur...) verwendet.“120

Typisch für Huber ist es, dass

er oftmals zwei oder mehrere Tonsysteme oder Skalen gegenüberstellt. Er sucht die

Verbindung zwischen diesen Tonsystemen. In der Schlusskadenz des Streichquintetts Ecce

homines (1998) lässt Huber gleichzeitig fünf verschiedene maqāmāt mit verminderten

Akkorden aus Mozarts Streichquintett KV 516 zusammenlaufen. Diese Akkorde werden

zunächst als Zitate benutzt und dann transformiert bzw. drittel- und vierteltönig verarbeitet.

Die „maqamat werden nicht in ein halbtöniges oder mitteltöniges System verwandelt, was

auf Huber vielleicht anmaßend oder ‚kolonialistisch‘ gewirkt hätte“.121

In seiner Skizzenmappe für Ecce homines steht: „Interdependenzen im Mikro- wie im

Makrobereich. Anzustreben wäre, daß alles mit allem verknüpft ist, alles von allem

‚abhängig‘.“122

Die Bedeutung des Begriffs Interdependenz in seinem Schaffen erklärt

Huber am Beispiel seines Streichquintetts:

Mit der Interdependenz ist das folgende [sic!] gemeint: Wenn ich mich auf dieses oder jenes Motiv von

Mozart einlasse, etwa rhythmisch, was bedeutet das für alles Übrige? Ich konnte nicht wie in früheren

Werken das eine tun und dann das zweite, das dritte und das vierte. Statt dessen [sic!] entwickelte ich

generative Säulen oder Kolonnen von Varianten und fragte, welche von ihnen wann und warum auftreten –

und zwar hinsichtlich aller Parameter, nicht nur hinsichtlich der Intervallik. Ich arbeite hier – das war meine

Antwort auf Mozart – nicht mit einer abstrakten, intellektuellen Methodik, mittels deren sich das eine aus

119 Ebda., S. 183.

120 Ebda., S. 180.

121 Ebda., S. 191.

122 Huber / Mahnkopf, Aspekte, S. 140.

62

dem anderen berechnen ließe, sondern induktiv, wenn dieser Begriff für das, was ich gemacht habe,

überhaupt ausreicht.“ 123

Wenn sich Huber einem Werk der Musikgeschichte annäherte, beschäftigte er sich

immer detailliert mit allen relevanten Elementen. Er analysierte im Detail die Motivik,

Intervallik, Harmonik und andere Parameter des zugrunde liegenden Werks, um dadurch

seinen eigenen Weg zu diesem Material zu finden. Huber verarbeitet das andere Werk so

auf seine persönliche Weise und schuf aus Altem Neues: „Hubers Bekenntnis, beim

Komponieren‚ aus alten Wurzeln Neues sprießen lassen zu wollen“, ist für seinen Ansatz

schon seit Jahrzehnten von grundlegender Bedeutung und erstreckt sich auf fast alle

Facetten des ‚Transformativen‘ in seiner Ästhetik.“124

3.4. Huber und Traditionen

„Jedes kreative Tun muß eine innovative, schaffende Komponente haben, sonst

vermittelt es nicht eine Brücke zwischen der Vergangenheit und der Zukunft, sondern

beschränkt sich auf sich selber, ist eine Selbstbestätigung. Man kann dann nicht mehr von

„transmission“ (Vermittlung) sprechen.“125

Die Konfrontation mit historischen Werken ist bei Huber vielschichtig; er bezieht sich

auf Musik-, Bild- und Literaturtraditionen. Er ist immer auf der Suche nach Gerechtigkeit

und Frieden. Eben der Frieden war Ausgangspunkt für sein Werk Quod est pax? – Vers la

raison du cœur... für Orchester, fünf Solostimmen und arabische Perkussion (2007). Huber

fragte sich, wo man Frieden finden könne und eine von möglichen Antworten hat er in den

Fresken „Buon governo“ und „Mal governo“ von Ambrogio Lorenzetti (1290-1348)

gefunden. In der Mitte von „Buon governo“ steht die Pax. Sie ist die einzige Figur, die ihre

Aufmerksamkeit auf das Publikum hin richtet; für Huber ist dieses Detail äußerst wichtig;

die Figur Pax richtet ihr Ohr zum Publikum: „Sie hört auf die anderen.“126

Miserere hominibus für sieben Stimmen und sieben Instrumentalisten (2006) ist ein

Werk, in dem Huber den 51. Bußpsalm Miserere mei Deus aus dem Alten Testament

vertont hat; den gleichen Psalm vertonte auch Josquin Desprez in seinem Miserere.

123 Ebda., S. 141.

124 Hiekel, Transformationen, S. 17.

125 Huber / Mahnkopf, Musikästhetischer und musikethischer Horizont, S. 312.

126 Huber / Mahnkopf, Das Werk, S. 117.

63

Desprez wiederholt zwischen den Versen des Psalms immer wieder die Bitte „miserere mei

Deus“, Huber fügt dagegen weitere Textfragmente aus verschiedenen Quellen ein.

Während der Psalmtext hauptsächlich auf Lateinisch gesungen wird, beinhaltet das Werk

noch Texte in sechs weiteren Sprachen. Es handelt sich um Textausschnitte aus El cántaro

roto von Octavio Paz (spanisch), Murale von Mahmoud Darwisch (französisch und

arabisch), Global Exit von Carl Amery (deutsch), Nous? La raison du cœur von Jaques

Derrida (französisch) und den Satz „have mercy upon me“ aus der King James Bible

(englisch). Jeder der Texstschichten, die auf insgesamt elf Sätze aufgeteilt werden, liegt

eine eigene Kompositionstechnik zugrunde. So findet man z. B. den Umkehrungskanon

zum Text von Octavio Paz, eine „Polypulsation“ bzw. einen „Motus“127

zum Text von

Mahmoud Darwisch), eine Polyphonie „Note gegen Note“ zum Text von Carl Amery),

kombiniert mit arabischen maqāmāt und ihren Dreivierteltönen. Alle Instrumentalisten

spielen verschiedene Instrumente; so spielt der Flötist sowohl Alt- als auch Bassflöte, der

Klarinettist wechselt auch zur Bass- und Kontrabassklarinette, die Gitarre zur Theorbe und

die Viola zur (dritteltönig gestimmten) Viola d’amore. Dazu spielen die Sänger

verschiedene Schlagzeuginstrumente (Tom-Tom, Guiros, kleines Sizzle Cymbal u. a.).

Das Werk Agnus Dei cum recordatione für Contratenor, zwei Tenöre, Bassbariton,

Laute und zwei Fideln (1991) bezieht sich auf die Missa prolationum Johannes Ockeghems

bzw. auf die drei Agnus Dei aus dieser Messe. Beim Komponieren lehnte sich Huber

streng an Ockeghems Agnus Dei an. Wie Huber dies des Öfteren praktiziert, fügt er auch

hier einen anderen Text ein. Neue Elemente (in Bezug auf Ockeghems Zeit) sind auch die

Instrumente Laute und Fideln und der Baryton: „Ich polarisierte somit prima und seconda

prattica als Gegensatz.“128

Ockeghem schreibt bis zur Vierstimmigkeit, Huber erreicht mit

Instrumenten Fünf- bis Siebenstimmigkeit: „Es ist eine Vorstellung der historischen Zeit,

Zeit als Kugelgestalt mit dem Unabgegoltenen im Alten, das in eine Gegenwart Strahlen

werfen kann, aber auch über diese hinaus in die Zukunft.“129

In seinem Streichquintett Ecce homines (1998) bezieht sich Huber auf Mozarts Musik,

genauer an sein Streichquintett g-Moll KV 516: „Seit über zwanzig Jahren beschäftigt

mich die Idee, für diese Mozartische Besetzung zu komponieren, wobei sein Quintett in g-

127 Huber, Einzelwerke, S. 162.

128 Huber, Das Werk, S. 75.

129 Ebda.

64

Moll wie ein vom Föhn durchsichtig gewordenes Gebirge in äußerster Ferne steht.“130

Huber analysierte das g-Moll Quintett bis ins Detail und hat aus Mozarts Grundstrukturen

sein Material entwickelt. Doch wendet er kaum Zitate an: „Was ich hier mit Mozart mache,

ist nicht die gewohnte Zitattechnik. Ich komponiere nirgends ihn direkt, vielmehr

rekomponiere ich seine Musik im dem Sinne, daß meine Musik der Mozarts gleichen

möge.“131

Außer an Mozart knüpft Ecce homines noch an zwei von Hubers früheren Werken an:

an das zweite Streichquartett ...von Zeit zu Zeit... (1984/85) und das Streichtrio Des

Dichters Pflug (1989). Beide Kompositionen sind von zentraler Bedeutung für Hubers

Beschäftigung mit mikrotonalen Systemen. Während im Streichquartett seine Arbeit „mit

vierteltönigen Intervallstrukturen“132

einen Höhepunkt erreicht hat, steht das Trio am

Anfang seiner Beschäftigung mit Dritteltönigkeit: „Im Streichquintett bringe ich diese

beiden Welten nicht nur in unmittelbare gegenseitige Berührung, sondern löse damit auch

eine sanfte Konfrontation ihrer immanenten Konsequenzen aus.“133

Im viersätzigen Kammerkonzert Intarsi (1994) nähert sich Huber Mozarts Ästhetik auf

eine andere Weise. Er leitet das gesamte harmonische und kontrapunktische Material aus

Mozarts Stil ab und fügt hier auch einige Zitate ein. Im Werkkommentar schreibt Huber

zum zweiten Satz: „Das ständige Pulsieren der Klänge in sich überschichtenden

primzahligen Unterteilungen wird von zwei schattenhaft vorbeihuschenden Cadenze

contrappuntistiche unterbrochen, deren raffinierte Kontrapunktik ausnahmslos aus

Mozartschen Intervall- und Rhythmusmotiven entwickelt ist.“134

3.4.1. Aspekte von Hubers Gesualdo-Rezeption

Die Lamentationes sacrae et profanae ad responsoria Iesualdi (1993) sind das Werk

Hubers, in dem sich die Gesualdo-Rezeption am umfassendesten niederschlägt. Hubers

Beschäftigung mit der bzw. Annäherung an die Musik Gesualdos kann man von zwei

Perspektiven aus betrachten. Einerseits nähert er sich Gesualdos Kompositionstechniken

130 Huber, Miserere hominibus, S. 2.

131 Huber, Aspekte, S. 143.

132 Huber, Ecce homines, S. 1.

133 Ebda.

134 Huber, Intarsi, S. 1.

65

und versucht diesen intensiv nachzuspüren; andererseits integriert er Elemente aus

Gesualdos Musik und schafft dabei Neues, Eigentümliches:

Diese komplexe Verhältnis von Distanz und Nähe, die Trennung der Weltalter des Manierismus und der

Postmoderne und die unterschiedlichen Zugangsformen zu Gesualdo bis zur dichtesten Annäherung im

„Gesualdissimo“ erzeugt erst zusammen die Trans-Epochalität, eine Nähe und Verwandschaft nicht

kontinuerlich durch die Epochen hindurch, sondern übergreifend über sie hinweg.135

Da er sich Gesualdos Musik stärker annähern wollte, beschäftigte sich Huber mit dem

cembalo universale. Es handelt sich um ein historisches Instrument, das enharmonisch

gebaut ist. Dieses Instrument besitzt eine Taste für fis und eine andere für ges. Jede

schwarze Taste ist in sich unterteilt, zusätzlich gibt es auch jeweils eine schwarze Taste

zwischen h/c und e/f, insgesamt existieren also 19 Tasten pro Oktave. Da es sich um ein

experimentelles Instrument handelte und nicht um ein konzertantes, ist das cembalo

universale heute relativ unbekannt und nur in bestimmten Museen vorhanden. In den

1970er Jahren rekonstruierte der deutsche Organist und Musikwissenschaftler Harald

Vogel das Instrument. Dank der Beschäftigung mit diesem änderte sich Hubers Auffassung

der Enharmonik und verstärkte sich seine Sensibilität nach Differenzierung der

enharmonischen Töne: „Ich behandelte enharmonische Töne nicht mehr gleich, sondern

differenziert.“136

In Bezug auf die Beschäftigung mit cembalo universale äußerte sich

Huber folgendermaßen: „Daraus ergab sich ein ganz anderer Umgang mit dem Gesualdo-

Modell der Responsorien aus deren spiraliger Enharmonik, ich – wenn auch indirekt – die

Intervallik der Lamentationes sacrae et profanae ableitete. So kann ich sagen, dass sich die

gesamte motivisch-intervallische und damit die harmonische Welt des Werkes auf

Gesualdo bezieht.“137

Wenn man die Einflüsse von Gesualdos Musik an Huber studieren möchte, sollte man sich

– so Martin Zenck – mit folgenden Aspekten beschäftigen bzw. sie in Betracht ziehen:

„eine historisch-stilistische Zäsur/Ruptur“138

steht zwischen Gesualdos Responsorien und

Hubers Lamentationes sacrae et profanae ad responsoria Iesualdi (1993) und es besteht

135 Zenck, Transformationen, S. 85.

136 Huber / Mahnkopf, Von Zeit zu Zeit, S. 100.

137 Huber, Lamentationes sacrae et profanae ad responsoria Iesualdi, S. 9.

138 Zenck, Transformationen, S. 104.

66

„eine wechselseitige Beziehung von Antizipation und doch weiterführender

Realisierung“139

zwischen den beiden Werken. Zudem ist auf zwei weitere wichtige Werke

Hubers zu verweisen, die ebenfalls an die Musikgeschichte anknüpfen, in denen aber auch

Kritik am Weltzustand mitklingt: Lamentationes de fine vicesimi saeculi (1992-1994) und

die Oper Schwarzerde (1997-2001).140

In der Partitur von Schwarzerde finden sich mit

„Gesualdissimo“ bezeichnete Passagen, die auf eine bestimmte Gesualdo-bezogene

Klangästhetik hinweisen. Die Oper basiert u. a. auch auf arabischen Modi, wobei sich auf

der Drittel- und Dreivierteltönigkeit berühren. Diese untemperierte Musik ist das

Bindeglied zwischen Gesualdos Enharmonik und der arabischen Musik.141

In den

Gesängen der Knaben fügt Huber Akkorde ein, die anhand von Gesualdos Enharmonik

entwickelt wurden.142

Die Harmonik dieser Passage ist auch nach dem Vorbild Gesualdos

entstanden; am Anfang herrscht f-Moll, dann kommt Ges-Dur und Es-Moll bzw. Es-

Dur.143

Die Akkorde treten aber nicht nacheinander auf, sondern erscheinen bei

bestimmten Stellen innerhalb der Passage. In der Motivik ist ebenfalls Gesualdo erkennbar.

Vorhalt-Dissonanzen, homophone Momente (gleichzeitiger Eintritt aller Stimmen),

Kadenzbildungen in der Einzelstimme etc. Aber wie auch in der Lamentationes sacrae et

profanae ad responsoria Iesualdi möchte Huber auch hier Gesualdos Stil nicht kopieren:

„Eigentlich ist es [‚Gesualdissimo‛] durchgehend vorhanden, es ist nicht so, daß ich irgend

etwas zitieren oder einen Stil nachahmen würde.“144

139 Zenck, Transformationen, S. 104.

140 Zenck, Transformationen, S. 105.

141 Zenck, Klaus Huber, S. 95.

142 Huber / Haefeli, Unterbrochene Zeit, S. 49.

143 Zenck, Transformationen, S. 79.

144 Huber / Haefeli, Unterbrochene Zeit, S. 49.

67

3.5. Lamentationes sacrae et profanae ad responsoria Iesualdi

Das Bindeglied zwischen Sciarrinos 12 Madrigali und Klaus Hubers Lamentationes

sacrae et profanae ad responsoria iesualdi ist Gesualdos Musik. Im Gegensatz zu

Sciarrino spielt der historische Aspekt bei Hubers Werk eine deutlich prominentere Rolle.

Die Lamentationens sind eigentlich als eine „Ergänzung“ zu Gesualdos Responsorien

komponiert. Die Idee zu diesem Werk stammte von Rachid Safir, Begründer des

Ensembles Les Jeunes Solistes, mit dem Huber immer wieder zusammenarbeitete (z. B. in

Quod est pax? – Vers la raison du cœur..., Agnus Dei cum recordatione, Cantiones de

circulo gyrante, Miserere hominibus u. a.).

Huber knüpft in vieler Hinsicht direkt an Gesualdo an. Die Lamentationes sacrae et

profanae ad responsoria Iesualdi sind für die gleiche Besetzung (cantus, sextus, altus,

tenor, quintus und bassus bzw. Sopran, Mezzosopran, Kontratenor, zwei Tenöre und Bass)

geschrieben, wie sie sich in Gesualdos Responsorien findet. Die Responsorien sind ein

Zyklus von insgesamt 27 Stücken (3x9), die in der Karwoche gesungen werden. 1611

komponiert, wurden sie erst im 20. Jahrhundert wiederentdeckt. Drei dieser Stücke; Vines

mea, Tenebrae factae sunt, Caligaverunt; werden bei kombinierten Aufführungen durch

die fünf Sätze von Hubers Lamentationes (Exaudi vocem meam, Lectio prima, Lectio

secunda, Lectio tertia, Benedictus) ersetzt (Tab. 5).

Tab. 5 Formübersicht

Satznummer: Titel: Komponist:

1. Exaudi vocem meam Huber

2. Lectio prima Huber

3. Vines mea Gesualdo

4. Lectio secunda Huber

5. Tenebrae factae sunt Gesualdo

6. Lectio tertia Huber

7. Caligaverunt Gesualdo

8. Benedictus Huber

68

Auf den Vorschlag Safirs hin, ein Instrument zur Stützung der Intonation

hinzuzufügen145

setzte Huber zu Lectio prima nachträglich eine Theorbe bzw. eine Gitarre

sowie ein Bassethorn („als Melodieinstrument, um den Historismus zu brechen“146

) bzw.

eine Bassklarinette hinzu. Die instrumentale Begleitung ist hier aber nicht essentiell. Die

Sänger können frei entscheiden, ob sie mit oder ohne Begleitung singen möchten. In der

Lectio secunda dagegen spielen die Instrumente eine wichtigere Rolle. Sie übernehmen

teils die Aufgabe von Soloinstrumenten, teils spielen sie reine Begleitung. Bei diesem Satz

waren sie von vornherein Teil der Konzeption. Neben Gesualdo knüpft Huber an zwei

Klagelieder-Kompositionen des 20. Jahrhunderts an: Ernst Křeneks Lamentationes

Jeremiae Prophetae (1957) sowie Igor Strawinskis Threni (1957-58). „Beide Werke haben

meine kompositorischen Anfänge wesentlich mitgeprägt. Warum sollte ich mich im Alter

nicht dazu bekennen? Ansätze zu einer diatonischen Zwölftönigkeit, wie ich sie bei Krenek

und dann bei Strawinski finde, habe ich in enharmonischem Sinne weiterentwickelt.“147

Als Textunterlage wählte Huber auch hier mehrere Texte:

Meine Komposition basiert auf drei Textebenen. Grundlage bildet das Lateinische. Alle Aussagen, deren

Aktualität ich unterstreichen wollte, habe ich zusätzlich in französischer Übersetzung, der Sprache der

Interpreten, komponiert. In sie eingelassen ist die zeitgenössische Ebene. Bruchstücke aus Texten von

Ernesto Cardenal und Mahmud Doulatabadi stehen neben eigenen Textfragmenten, die die Klagelieder

infiltrieren und in ihrer Aktualität schärfen.148

Die modernen Texte sollen den Sinn von Hubers Lamentationes vermitteln: „Ich wollte

die Lamentationes auf die Gegenwart beziehen, auf die ich reagiere. Deshalb suchte ich

nach Lamentationes der Gegenwart, auch in der Poetik. In Doulatabadi und Cardenal gibt

es sie, beim letzteren als Protest.“149

Die Auswahl von verschiedenen Texten deutet auf

Hubers Überzeugung hin, dass jedes Volk in seiner Vergangenheit und auch in der

Gegenwart „erschreckenden Tatbestände“ vorfindet: „ein Sicher- und Auf-Dauer-Stellen

nicht nur des entsprechenden Sinns innerhalb der kulturellen Überlieferung, sondern der

Aufweis eines erschreckenden Tatbestands durch alle Kulturen und Sprachen hindurch.“150

145 Huber / Mahnkopf, Von Zeit zu Zeit, S. 100.

146 Huber / Mahnkopf, Von Zeit zu Zeit S. 100.

147 Ebda.

148 Ebda.

149 Huber / Mahnkopf, Das Werk, S. 102.

150 Zenck, Gesualdissimo, S. 88.

69

Hier kommt Hubers Auseinandersetzung mit aktuellen Geschehnissen in der Welt und

seine Empathie für diejenigen, die leiden, zum Ausdruck.

Insgesamt umschreiben Hubers Lamentationes also einen Prozess, der von der unmittelbaren Gegenwart

des Komponisten/Geschichtsschreibers ausgeht, um von dort einen vielfältigen, nicht geradlinigen Blick

zurück in die unerlöste Vergangenheit zu werfen, die immer wieder von schmerzenden und aggressiven

Versatzstücken durchwirkt wird. 151

3.5.1. Lamentationes sacrae et profanae ad responsoria iesualdi, Analyse

In seinem Lamentationes wollte Huber nicht Gesualdos Perspektive weiterführen: „Die

Lamentationes sacrae et profanae ad responsoria iesualdi gehen weit über das hinaus;

deren sechsstimmige Vokalpolyphonie hätte ich aber ohne diese ‚Vorarbeit‘ nicht leisten

können.“152

Die ‚Vorarbeit‘, über die Huber spricht, bezieht sich an seine ausführliche

Analyse von zwei Responsorien Gesualdos: Omnes amici mei und Vinea mea electa und

Gesualdos Vokalstücke überhaupt. Anhand dieser Studien hat Huber sein harmonisch–

intervallisches Material entwickelt. Nun, das ist nicht die einzige Ebene, auf die sich Huber

zu Gesualdo nähert; er macht das auch mit der Struktur einiger Abschnitte. Oft treten die

Stimmen nacheinander auf und so entwickelt sich die Kontrapunktik; wie in Madrigale.

Auch die dichten Abschnitte mit gleichem Rhythmus in allen Stimmen erinnern an die

homophonen Passagen bei Gesualdo. Martin Zenck spricht über die drei Arten, mit

welchen Huber zu Gesualdo zutritt: „a) als Gegensatz und Kommentar von originaler

Lectio und eigenständigem Responsorium Gesualdos, das zwischen den Lectiones zur

Aufführung gebracht wird; b) als intervallische ‚Contraffatura‘, welche verschlüsselt

Gesualdos enharmonisches Denken widerspiegelt und c) als ausdrucksmäßiges Zitat, das

über die Enharmonik sogar das Timbre einschließt.“153

Die Lectio prima beginnt vierstimmig, mit einer Einleitung, der der Text des Propheten

Jeremia De Lamentatione Jeremiae zugrunde liegt. Der Tenor singt eine Cantus-firmus-

Melodie, in der Tradition der Cantus-firmus-Messen. Sie ist im Ansatz rhythmisiert,

verläuft aber hauptsächlich in punktierten Vierteln (Bsp. 23).

151 Zenck, Politisches Denken und Transkulturalität in Klaus Hubers Oper Schwarzerde nach Ossip

Mandelstam, S. 98.

152 Hubert, Das Werk, S. 79.

153 Zenck, Gesualdissimo; S. 97.

70

Bsp. 23, Lectio prima, T. 1-2

Das Material der anderen drei Stimmen besteht aus einer Kombination großer Sprünge

(Oktav, None, Septim u.a.) mit Sekundschritten. Sie sind kontrapunktisch gesetzt und

treten mit ähnlicher Motivik nacheinander auf: der Septim- bzw. Nonsprung und

Sekundschritt aufwärts und der Sekundschritt nach oben (Bassus) bzw. nach unten (Altus,

Quintus). Man bemerkt einige Motive, die immer wiederkehren, z. B. ein dreitöniges

chromatisches Motiv, das verschiedenartig kombiniert wird. Dabei nutzt Huber größere

Sprünge bzw. geht in extreme Lagen, die die Sänger stark fordern. Nach einem eintaktigen

Einschub auf einen altfranzösischen Text folgt „eine harmonische Passage“154

, die an

homophone Abschnitte in Gesualdos Madrigalen erinnert. Es handelt sich um Akkorde,

welche voller Dissonanzen sind, es gibt kein tonales Zentrum. Am Ende dieser Passage

mündet dieser homophone Satz in g-Moll (Bsp. 24).

154 Huber / Mahnkopf, Das Werk, S. 99.

71

Bsp. 24, Lectio prima, T. 10

Danach folgt ein kontrapunktischer Teil mit Sprechgesang und zwei Sprachen:

Lateinisch und Französisch. Ab T. 33 setzen die Stimmen imitatorisch ein. Der Anfang

bleibt in der imitierenden Stimme unverändert und entwickelt sich in freier Kontrapunktik

weiter (Bsp. 25).

72

Bsp. 25, Lectio prima, T. 33

Bassetthorn und Theorbe sind hier im Unterschied zur Einleitung (Exaudi vocem meam)

nur als Stützstimme gedacht. Es gibt viele kleine Einheiten, die durch die Fermaten geteilt

sind; ähnlich wie die Phrasen in Gesualdos Madrigalen und Responsorien, die durch

Soggetti gegliedert sind (Bsp. 26).

Bsp. 26, Responsoria I, Gesualdo

73

In der Lectio secunda erscheint zum ersten Mal in diesem Zyklus ein arabisches

Schlagzeuginstrument, die Darabuka (T. 75). Es spielt ein Wazn in der Dauer von 19

Achtel. Dieser Rhythmus dominiert durch diesen Abschnitt; alles ist energisch und nach

dem Rhythmus orientiert.

Der Babylon Abschnitt ist im völligen Kontrast zum vorigen Rhythmus-Teil. Es fängt

sechsstimmig mit langliegenden Tönen im dreifachen piano an; es ist melismatisch, ruhig

Ab T. 106, wo sich die Instrumente dazu schließen, erschienen im Stimmenpart schnelle

Figurationen, die an arabische Arabesken erinnern (Bsp. 27).

Bsp. 27, Lectio secunda, T. 106

Den gleichen, ruhigen Charakter hat der Schlussteil von Lectio secunda, Jerusalem,

convertere. Alles mündet in f-Moll wie auch in der Lectio prima.

In der Lectio tertia kehrt Huber zurück zur Dritteltönigkeit. Es ist die komplexeste

Lectio; es gibt viele verschiedene Abschnitte. Zu Beginn spielt anstatt Theorbe die

dritteltönige Gitarre. Zu Stimmen und Bassklarinette kommen auch ab und zu die

Dritteltöne; die Kommunikation mit Gitarre. Das Stimmenmaterial sind hauptsächlich

Einzeltöne, die gesungen oder gesprochen werden.

. Wenn die Gitarre nicht mitspielt (T. 9 - T. 39), treten auch keine Dritteltöne vor. Der

Babylone Teil erscheint zweimal; sein Tonmaterial ist von Babylone der Lectio secunda

übergenommen. Hier kommt er das erste Mal um die kleine Sekund höher und das zweite

Mal um die große Sekund nach unten transponiert.

Der Teil Circumae dificavit (T. 72) und Conclusit vias meas (T. 99) erinnern an den

Anfang. Wieder spielt die Gitarre, das Tempo ist gleich (lentissimo) und es gibt

74

Sprechgesang, Einzeltöne und Dritteltönigkeit. Nun, hier ist der Satz dichter, alle Stimmen

nehmen teil.

Der Satz schließt mit Jerusalem, convertere, der genauso wie Lectio prima und Lectio

secunda mit f-Moll Dreiklang endet.

3.5.2. Textbehandlung

Die Textfragmente auf Französisch sind eng mit Jeremias Lamentationes verbunden.

Sie kommen in zwei Kontexten vor; entweder als Übersetzung des biblischen Textes oder

als Kommentar dieser Texte (Tab. 6); dabei gibt es unterschiedliche Möglichkeiten der

Textkombination:

Tab. 6

1. Französisch als Kommentar des

biblischen Textes

2. Französisch als Übersetzung des biblischen Textes

a) beide Texte verlaufen nacheinander

(Exaudi vocem meam T. 20)

a) Französisch erscheint gleichzeitig mit hebräischen

Buchstaben (Lectio tertia T. 7)

b) beide Texte verlaufen gleichzeitig

(Lectio secunda T. 11-23)

b) die Silben von beiden Texte vermischen sich in

einer Textphrase (Benedictus T. 31)

In der Einleitung (Hoquetus, T. 20) findet sich die erste Kategorie (Tab. 6, 1a).

Bsp. 28, Exaudi vocem meam, Hoquetus, T.20

75

Nach der erschütternden Beschreibung der Leiden Christi am Kreuz aus Psalm 21

Foderunt manus meas, et pedes meos (Sie haben meine Hände und Füße durchbohrt155

)

folgen Textfragmente aus Ernesto Cardenals Gedicht Por Qué Me Has Abandonado.

Beiden Texten ist die Klage über die unbegreifliche Aggression der Menschen gemeinsam.

In Cardenals Text wird über die Leiden der Juden im Zweiten Weltkrieg gesprochen: „Ils

m’ont conduit nu à la chambre à gaz“. Durch die Konfrontation von zwei historisch weit

entfernten Texten wollte Huber darlegen, dass sich Hass und Intoleranz durch die

Menschheitsgeschichte immer wieder wiederholen:

Da im Anfang, im biblischen Beginn bereits der Riss, die Gewalt in der Ursprungsgeschichte lokalisiert

wird, durchherrscht dieser auch mit zunehmender Brutalität die Historie bis in unsere Gegenwart hinein: den

„durchbohrten Händen und Füßen“ („Foderunt manus meas et pedes meos“) korrespondiert die Vernichtung

in der Gaskammer.156

Die Überlappung von zwei Textebenen (Tab. 6, 1b) ist mit verschiedenen

Gesangstechniken verbunden; daneben gibt es Passagen, in denen die Textebenen durch

Singen und Sprechen ausgeführt werden. In Lectio prima wird der französische Text

gesungen, während das Lateinische zwischen Singen und Sprechen pendelt. In Lectio

secunda gibt es nur eine mehrtextige Passage (T. 11-23). Dort spricht der Altus den

französischen Text, während die andere Stimmen im gleichen Rhythmus aus Jeremias’

Lamentationes singen.

In der dritten Lectio werden in mehrtextigen Passagen beide Textebenen gesprochen

(Tab. 6, 2.b). Dazu erscheinen ab und zu Einzeltöne, die auf Lateinisch gesungen werden.

Auf diese Weise differenziert Huber den historischen Text von den modernen, aber

gleichzeitig zeigt sich, wie die Geschehnisse der Vergangenheit und die der Gegenwart

nahe beieinander stehen.

Die Auskomponierung von hebräischen Buchstaben (Heth, Teth, Jod, Caph, u.a.) hat

Huber von Křenek und Stravinsky übernommen:

Ich hielt mich an die Tradition. Ich studierte Křeneks Lamentatio Jeremiae prophetae, die sich auch auf

diese Texte bezieht, und Threni von Strawinsky. In beiden Fällen, das hatte ich aus meinen jungen Jahren in

Erinnerung, werden die hebräischen Buchstaben gesungen.157

155 Zenck, Gesualdissimo, S. 87.

156 Ebda.

157 Huber / Mahnkopf, Das Werk, S. 99.

76

Am Anfang jeder Strophe in Jeremias Lamentationes steht ein hebräischer Buchstabe.

Wenn Huber (in jeder Lectio) einen hebräischen Buchstaben vertont, wird dieser immer

von vier bzw. zwei Stimmen (Lectio tertia) gesungen, bevor der lateinische Text beginnt.

Die Vertonugn der hebräischen Buchstaben dient also jeweils als kurze Einleitung.

Gleichzeitig wird in den zwei verbleibenden Stimmen die Übersetzung des ersten Satzes

des biblischen Lamentationes, der folgt, auf Französisch gesprochen. Die Ausnahme ist

Ghimel in Lectio tertia wo es keinen französischen Vorbereitungstext gibt.

Obwohl Huber sehr gut passende Texte zur Jeremias’ Lamentationes gefunden hat,

wollte er noch weitere aktuelle Lamentationes integrieren. Daher setzte er zwischen diese

Texte auch seine eigenen Lamentationes Le capitalisme, le péché accumulé / sa pierre

angulaire / c’est l’inégalité:

Da ich in der Sprache der Sänger komponieren wollte, also französisch, und keine modernen Lamentationes

in dieser Sprache fand, habe ich einen kleinen Text selber geschrieben. Leute meinten zu mir, er sei naiv. Ich

erwiderte, es wäre wunderbar, es wäre es. Leider ist es viel realer wahr, als es mir lieb ist.158

Hubers Text bezieht sich auf ein Gedicht Cardenals, welches die Ungleichheit zwischen

den Menschen kritisiert.

Mehrere Texte, in verschiedenen Sprachen und von verschiedenen Autoren, verlaufen

also gleichzeitig. Dieses Verfahren von Mehrtextigkeit ist aus der Manierismus-Tradition

übernommen:

Bereits in dieser Komplexität der Über- und Ineinanderschichtung von Texten [...] kann ein erstes

Zeichen für Manierismus gesehen werden. Statt einfacher und direkter Zuordnungen werden vielfältige

Zwischen- und Verbindungslinien, auch im Sinne einer Interlinearversion aufgesucht. Dabei kann in erster

oder auch letzter Instanz die Musik wiederum als eine grundierende oder auch

überschriebene/überschreibende Schicht verstanden werden.159

158 Ebda., S. 103.

159 Zenck, Gesualdissimo, S. 87.

77

3.5.3. Formübersicht

Tab. 7 Formübersicht

Exaudi

vocem meam

Lectio prima Lectio secunda Lectio tertia Benedictus

Exaudi

vocem meam

Que clamavi T. 1 Lamed

Hoquetus T. 1

Semitas meas T. 1 De

Cantico

Zacharie T. 1

Hoquetus Heth T. 5 Mem

Cui comparabo te? T. 22

Aleph

Ego vir videns T. 7

Sicut locutus

est T. 11

Exaudi

vocem meam

Elle pleura T. 11 Magna est enim T. 35 Babylone T. 33 Ad dandam

T. 26

Teth T. 14 Nun

- Prophetae tui T. 44

Puante ta suffisance

T. 37

Per viscera

misericordiae

T. 31

Jod T. 22 Samech T. 75 Beth

Vetustam fecit T. 40

Caph T. 32 Babylon T. 102 Aedigicavit T. 48

Jerusalem T. 46 Jerusalem T. 115 L’ hemisphere T. 66

Ghimel

Circumaedificavit T.

72

Babylon T. 82

Puante ta suffisance

T. 84

Meuretriers

tes mensonges! T. 87

Se ed cum clamavero

T. 91

Conclusit vias meas

T. 99

Tant que tu adores

T. 109

Détourne toi T. 129

Jerusalem T. 140

78

Obwohl jede Lectio eine kleine Einheit für sich ist, gibt es einige Elemente bzw.

Abschnitte, die sich durch alle drei Sätze ziehen. Ein von diesen ist der Schlussteil jeder

Lectio: Jerusalem, convertere ad dominum Deum tuum. Den ganzen Abschnitt hat Huber

nur einmal komponiert und dreimal angewendet. Das Tonmaterial des Jerusalem

convertere erscheint zum ersten Mal am Anfang von Lectio prima bzw. in der Tenor- und

Altusmelodie (Bsp. 29).

Bsp. 29, Lectio prima, T. 47

Abweichungen von den beiden vorangegangenen Jerusalem convertere finden sich am

Ende der Lectio tertia, wo die Altuslinie nach einem lange liegenden c2 noch eine

aufsteigende Quintolen-Figur singt. In der Lectio secunda wird zudem die Bassklarinette

zur Theorbe hinzugefügt. Alle drei Lectiones schließen mit einem f-Moll Dreiklang, der

unerwartet am Ende jeder Lectio erscheint.

Der zweite gemeinsame Abschnitt ist Babylon. Es handelt sich um einen kurzen

Einschub, der im Unterschied zu Jerusalem, convertere nicht identisch wiederholt wird,

sondern immer um eine Sekund tiefer bzw. höher transponiert wird. Das erste Babylon

erscheint in Lectio secunda und dann noch zweimal in Lectio tertia. Obwohl kurz, ist er

79

ganz wichtig für die weitere Entwicklung der Textebene: „Babylon bildet eine andere Art

Scharnier, einen Kreuzweg, von dort an laufen die Texte anders.“160

Nach den ersten

Babylone (Lectio secunda) folgt ein Einschub Puante ta suffisance! (Stinkend deine

Selbstgefälligkeit!) und Meurtriers tes mensonges!, die mehrmals wiederholt werden „wie

ein Rondell im Kreis, jedesmal weniger klangvoll, die Sprache tritt in den Vordergrund,

die Stimmen steigen aus, es wird eine Oktave tiefer gesungen, damit sie verblassen,

schließlich bis zur Zweistimmigkeit, immer dünner.“161

Mit diesen Verfahren hebt Huber

den unterliegenden Text Tens mensognes (Deine Lügen)162

hervor. Er möchte durch dieses

allmähliches Ausblassen des Materials seinen Standpunkt zeigen; die Lügen können nie

etwas Konstruktives erzeugen: „Das ist eine Aussage, nämlich, daß [sic!] die Lügen tödlich

sind.“163

Das ist ein spezifischer Einschub, welches nicht an das Material vor und nach ihn

anknüpft; es könnte auch ausgelassen sein.

Die Lectiones bestehen aus mehreren kleinen Teilen die oft harmonische bzw.

kontrapunktische Passagen enthalten. Jede Lectio beinhaltet bestimmte Momente, bei

denen man Gesualdo „erkennen“ kann. Ein Beispiel dafür ist gleich am Anfang: die

Zweistimmigkeit von Exaudi vocem meam ist kontrapunktisch komponiert. Die

Imitationsstimme wiederholt das Material in Umkehrung (Bsp. 30).

Bsp. 30, Exaudi vocem meam

T. 6

160 Huber / Mahnkopf, Das Werk, S. 103.

161 Ebda., S. 104.

162 Ebda.

163 Ebda.

80

Dabei wird entweder die Bewegungsrichtung verändert oder beibehalten, aber die

Intervalle verändert. Es gibt daneben auch Passagen im strengen Kontrapunkt bzw. Kanon,

so z. B. die Phrasen Deficerunt prae lacrimis oculi mei, Et fusum est in terra iecur meum

und Cum deficeret parvulus et lactens in Lectio prima oder Nec a periebant iniquitatem

tuam in Lectio secunda (Bsp. 31).

Bsp. 31

Lectio prima, Deficerunt prae lacrimis oculi mei, T. 33

Die Instrumente nehmen an dem Imitationsprinzip teil; entweder übernehmen sie nur

ein Element (Lectio secunda) oder die ganze Phrase (Lectio secunda) bzw. sind mit

Stimmen kanonisch gesetzt.

Homophone Teile sind oft mit forte und klaren Rhythmus verbunden. Ein Beispiel für

den homophonen Teil ist in Lectio prima, wo alle Stimmen mit gleichen Rhythmus

anfangen und sich weiter kompakt entwickeln; wie ein Marsch, energisch und laut. Im

letzten Takt mündet alles in g-Moll Dreiklang (Bsp. 32).

81

Bsp. 32, Lectio prima, T. 10

Noch strengere Homophonie findet man in Lectio secunda (T. 15), wo fast die ganze

Zeit der gleiche Rhythmus in allen Stimmen behalten wird. Lectio tertia, die Phrase

L’hemisphere sud s’enfonce (T. 66) und Tante que tu adores (T. 109) sind stark

homophonisch durchgearbeitet.

Die zwei Sätze, die den Zyklus umrahmen; Exaudi vocem meam und Benedictus,

unterscheiden sich von den drei Lectiones. Sie sind kürzer und von der Struktur her

einfachere Sätze. Exaudi vocem meam steht am Anfang vom Zyklus, als eine Einleitung.

Sie ist nachträglich; nach Lectio prima komponiert. Der Text von der Einleitung kommt

hauptsächlich aus dem Alten Testament, es umfasst die Psalmen 21 und 26, die über

Christi Leiden am Kreuz reden. Die französischen Textfragmente von Cardenals Gedicht

(Hoquetus) laufen gleichzeitig mit Psalm 21. Es gibt keine kleineren Einheiten, wie das in

Lectiones der Fall ist, sondern die ganze Form ist in drei große Abschnitte aufgeteilt (Tab.

8).

82

Tab. 8 Form

Titel: Exaudi vocem meam (T.1-

19)

Hoquetus (T. 20-41) Exaudi vocem meam

(T.42-46)

Abschn

itt:

A B A’

Text: Text aus Psalm 26 Text aus Ps 21 und

Fragmente aus Cardenals

Gedicht

Ps 26

Die Instrumente (Theorbe und Bassetthorn) sind hier keine Stütze, sondern nehmen teil

an der Kontrapunktik, die sich in Stimmen entwickelt und dadurch als Stimmen wirken:

„Das Bassetthorn ist teilweise richtig solistisch, es gibt auch zweistimmige Vokalsätze,

zusammen mit diesen beiden Instrumenten zu einem Quartett zu erweitert.“164

Die

Imitation ist nicht streng, manchmal wird die Tonhöhe oder Bewegungsrichtung verändert,

aber das Gestus der Figur bleibt gleich, das heißt, alles, was für diese Figur charakteristisch

ist (große Sprünge, Rhythmus, usw.), wird behalten.

Der Hoquetus von Lectiones ist dynamischer und dichter von Exaudi vocem meam; das

Material entwickelt sich schneller. Bei der Phrase Ils mont enlevé toute identité (T. 21)

verdoppelt sich die Anzahl der Stimmen; von Zweistimmigkeit entwickelt sich die

Vierstimmigkeit.

Benedictus ist ein a cappella-Satz, deren Musik an die Jerusalem, convertere ad

dominum Deum tuum zurückgeht. Dieser Satz ist das einzige, wo Huber nicht an Gesualdo

anknüpft: „In Absetzung vom obigen harmonischen Prozeß (der zu Gesualdo hin- und

dann wieder wegführt) habe ich hier bereits von Gesualdo entfernt begonnen und mich

dann in sozusagen noch weitere Ferne begeben.“165

In Bezug auf die vorigen Sätze ist das

ganze Material vereinfacht bzw. reduziert. Ein ruhiger Satz, in dem der Text aus dem

Lukasevangelium Der Lobgesang des Zacharias betont wird, schließt den gesamten

Zyklus im heiteren Ton. Zacharias bedankt sich bei Gott für die Geburt seines Sohns;

Johannes der Täufer. Er spricht über ihm als jemanden, der dem Herrn vorangehen wird: Et

tu puer, propheta Altissimi vocaberis: praeibis enim ante faciem Domini parare vias ejus /

Und du, Kindlein, wirst ein Prophet des Höchsten heißen. Denn du wirst dem Herrn

164 Ebda., S. 100.

165 Ebda., S. 105.

83

vorangehen, dass du seinen Weg bereitest. Diese Sätze sind hoffnungsvoll, es kommt

jemand, der dem Volk die Erlösung bringen wird: Per viscera misericordiae Dei nostri, in

quibus visitavit nos, oriens ex alto: illuminare his qui in tenebris et in umbra mortis sedent:

ad dirigendos pedes nostros in viam pacis. / Durch die herzliche Barmherzigkeit unseres

Gottes, durch die uns besuchen wird das aufgehende Licht aus der Höhe, damit es

erscheine denen, die sitzen in Finsternis und Schatten des Todes, und richte unsere Füße

auf den Weg des Friedens.

3.5.4. Harmonik und Intervallik

Den Abschnitt Magna est enim. Velut mare contritia tua (Bsp.33) in Lectio secunda

bezeichnete Huber selbst als Gesualdissimo:

Ich übernahm eine enharmonisch-chromatische Passage von Gesualdo, eine Akkordsequenz von vier, fünf

Akkorden, in ihrer Superchromatik, behandelte sie durch Transposition und Rotation und entwickelte daraus

einen Akkordprozeß, der an einer Stelle zu Gesualdo wird, davor und danach ist er ganz anders.166

166 Huber / Mahnkopf, Von Zeit zu Zeit, S. 100.

84

Bsp. 33, Lectio secunda, Magna est enim. Velut mare contritia tua, T. 35-43

Außer der harmonischen Ebene erinnert auch die kontrapunktische Struktur, die sich da

entwickelt, an Gesualdo. Die Stimmen setzten nacheinander, aber über die Imitation kann

man nicht reden. Es gibt keine Elemente, die sich identisch wiederholen; das Material

besteht hauptsächlich aus liegenden Tönen, die in ihrer Dauer variieren. Am Ende dieses

Abschnitts erscheinen die Dreiklänge b-Moll, f-Moll, F-Dur, Es-Dur: „Das harmonische

85

Wendung am Ende mit f-Moll und Es-Dur ist von Gesualdo. Ich wollte das gleichsam

aufleuchten lassen, wobei es metrisch, rhythmisch und agogisch gesehen nicht Gesualdo

ist, aber nach ihm klingt.“167

An solche Momente denkt Zenck, wenn er über

„ausdrucksmäßigen Zitat“ und „Timbre“ schreibt (siehe Kapitel 3.4.1.). Den gleichen

Prozess hat Huber auch in Jerusalem convertere angewendet. Die Conductus-Linie es-d-

des (cis)-b-c-h, ist „aus dem systematisch zusammengefassten Tonmaterial“168

einer

enharmonisch-chromatischen Passage von Gesualdos ersten Responsorium der Feria VI

entstanden. Er transponiert und rotiert ein paar Akkorde von dieser Passage und macht eine

Akkordreihe, die einerseits an Gesualdo erinnert und andererseits weg von ihm geht: „Ich

möchte, wie schon im Zusammenhang mit Senfkorn ausgeführt, eine andere Erscheinung,

nicht eine Reminiszenz, sondern eine andere Dimension.“169

Ab und zu treten durch die

Lectioni die Dreiklänge am Ende eines Abschnittes hervor (Bsp. 34,).

Bsp. 34

Lectio prima T. 4

Diese Harmonien sind völlig unerwartet, sie haben keine Verbindung mit dem Material,

das sie umkreist. Nach solchen Momenten entwickelt sich das Material fern von Gesualdo,

167 Ebda., S. 101.

168 Zenck, Gesualdissimo, S. 96.

169 Huber / Mahnkopf, Das Werk, S. 102.

86

bis es wieder in einige Abschnitte - durch die unerwarteten Dreiklänge, Kontrapunktik

oder bestimmten Intervallfolgen - zurück zu Gesualdo kommt:

Dieses komplexe Verhältnis von Distanz und Nähe, die Trennung der Weltalter des Manierismus und der

Postmoderne und die unterschiedlichen Zugangsformen zu Gesualdo bis zur dichtesten Annäherung im

Gesualdissimo erzeugt erst zusammen die Trans-Epochalität, eine Nähe und Verwandtschaft nicht

kontinuierlich durch die Epochen hindurch, sondern übergreifend über sie hinweg.170

Neben den Abschnitten gibt es auch die Melodie, die von einer in die andere Lectio

übergeht. In Lectio prima, wenn der erste hebräische Buchstabe vorkommt, singt Cantus

eine diatonische Phrase, die als ein Leitmotiv durch alle drei Lectioni, immer wenn ein

neuer Buchstabe erscheint, vortritt. Sie geht immer von einem anderen Ton aus, aber die

Intervallik wird beibehalten. Diese Melodie ist ein kurzer Ausschnitt von Tenorus vom

Anfang der gleiche Lectio (Bsp. 35)

Bsp. 35, Lectio prima, T. 3-4

Es handelt sich um die Phrase, die in punktierten Vierteln ausgesungen wird. Ihre

Struktur (gleichmäßiger Rhythmus, Diatonik, Bewegung in Sekunden und kleiner Umfang)

erinnert an das Soggetto In sidi antes mihi aus Gesualdos Responsoria Omnes amici mei

(Bsp. 36).

Bsp. 36, Omnes amici mei, In sidi antes mihi, T. 8-14

Der Prozess von Transformation und Rotation nutzt Huber auch an der Intervallik –

Ebene. Wenn man die Huber-Skizze zu Gesualdos Responsorien Omnes amici mei ansieht

170 Zenck, Gesualdissimo, S. 85.

87

(Bsp. 37), merkt man eine Linie, die er von Gesualdo übernommen und danach

transponiert hat.

Bsp. 37, Transformationen, S. 99

Es handelt sich um ein Motiv, welches aus zwei Intervallen - die große Sekund und das

kleine Terz - besteht. Dieses Motiv durchzieht sich durch alle fünf Sätze von Hubers

Lamentationes. Er hat das Motiv auf verschiedene Weise modifiziert und durch die

verschiedenen Möglichkeiten das Material erweitert (Bsp. 38)

In Prophetae tui von Lectio secunda entsteht zwischen der Stimmen ein Kanon „der mit

den Tönen c-h-as und seinen Transpositionen zwar eindeutig, aber auch verdeckt auf

Gesualdo [...] anspielt“.171

In diesem Kontext kommt er noch deutlicher zum Ausdruck, er

tritt als Kopfmotiv auf und wird im engen Raum noch dreimal wiederholt (Bsp. 83).

171 Zenck, Gesualdissimo, S. 97.

88

Bsp. 38, Lectio secunda, T. 46-48

Die Form des Imitationsverfahrens, das in Hubers Lamentationes am häufigsten auftritt,

kann man in zwei Gruppen teilen:

1) strenge Imitation

a) Imitation als Verdoppelung; die Intervalle und Tonhöhen bleiben

unverändert (Bsp. 39)

b) Transposition (Bsp. 39)

89

Bsp. 39

a) Exaudi vocem meam, T. 16

b) Lectio secunda, T. 55

2) variierte Imitation - Manchmal rotiert Huber die Tonhöhen oder Intervalle in der

Imitation einer Figur, sie treten umgekehrt ein (Bsp. 40), manchmal ändert sich nur ein

Ton, Bewegungsrichtung oder Intervall. Es gibt auch die Phrasen, wo nur die

Rhythmusfiguren behalten werden und die Intervalle werden modifiziert, man könnte es

als Rhythmus Kanon bezeichnen (Bsp. 41).

90

Bsp. 40, Exaudi, T.13

Bsp. 41, Lectio Secunda, T.24

Ein weiterer Aspekt der Musik Gesualdos ist die Enharmonik.

Bei der Interpretation der enharmonischen Töne müssen die Sänger darauf achten, dass

sie sie korrekt absingen. Die Anweisung dafür schreibt Huber gleich auf der ersten Seite

von Exaudi vocem meam (NB: tons le ь plus haut que les #). Das wird deutlich an den

Stellen, wo nebeneinander z. B. fes und e steht (Bsp. 42) oder bei Imitationen, wo ein Ton

enharmonisch verändert wird (Bsp. 42)Exaudi, T. 5 und 16, L. Prima T. 43 Quintus). Bei

solchen Momenten ist klar, dass Huber diese Differenzierung ganz wichtig ist.

91

Bsp. 42

Lectio secunda, T. 15

Exaudi vocem meam, T. 5

In Lamentationes integriert Huber auch einige Elemente der arabischen Musiktradition.

Der arabischen Bechertrommel Darabuka und der Rahmentrommel Mazhar werden in der

Lectio secunda bzw. Lectio tertia ein ganzer Abschnitt gewidmet. Einer der Sänger spielt

auf der Trommel das bestimmte Wazn, das sich gegen das Metrum verschiebt. Analog mit

Rhythmusverschiebung ändert sich in Stimmen die Achtelgruppierung; fast von Takt zu

Takt ändert sich das Metrum.

Die Verzierungen, die in Stimmen im Abschnitt Détourne toi vorkommen, erinnern an

die arabischen Arabesken. Sie variieren zwischen einfachen bis zu ganz virtuosen

Modellen (siehe Bsp. Altus und Quintus).

Die Basis für Lectio tertia ist die Dritteltönigkeit, die sowohl Stimmen als auch

Instrumente umfasst. Wegen der Intonations- bzw. Interpretationsschwierigkeiten spielt

hier anstatt Theorbe die dritteltönige Gitarre. Die Dritteltöne werden mit Diatonik,

Chromatik und Enharmonik kombiniert.

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4. Zusammenfassung

Die Rezeption von Gesualdos Musik ist bei Sciarrino und Huber unterschiedlich

akzentuiert. In dieser Arbeit versuchte ich diese beiden verschiedene Zugänge zur

Tradition anhand von Sciarrinos 12 Madrigali und Hubers Lamentationes sacrae et

profanae ad responsoria iesualdi im Detail darzustellen. Sciarrino nähert sich vor allem

über einen Wechsel kontrastierender Satztechniken (homophone vs. kontrapunktische

Texturen) sowie über eine affektbetonte Textausdeutung an Gesualdo an, wobei er selbst

jeglichen Bezug auf die Tradition dementiert. Die Analyse hat gezeigt, auf welche Weise

die Elemente, aus welchen Sciarrinos Madrigale aufgebaut sind, in bestimmten Kontexten

die Ästhetik der Madrigale der Renaissance erzeugen. Das ist besonders bei der Änderung

der Satzdichte, die den Austausch von homophonen und kontrapunktischen Passagen der

historischen Madrigale „nachahmen“, zu sehen.

Auf der anderen Seite steht Hubers emphatischer Bezug auf Gesualdos Musik und

Kompositionstechniken, die so weit geht, dass Huber einige Stellen in seinem Werk als

„Gesualdissimo“ bezeichnet. Er knüpft dabei direkt an die Harmonik bzw. harmonischen

Wendungen Gesualdos an. Das belegen Hubers zahlreichen analytischen und historischen

Studien zu Gesualdo sowie die Intervallik und Harmonik, die Huber von Gesualdo

übernommen hat. Außer dem letzten Satz von Lamentationes; Benedictus verwendet Huber

konsequent durch die Einleitung und die drei Lectiones die Elemente der Musik Gesualdos.

Da er die Intervalle ständig modifiziert, kann man sie nicht so gut wie die Harmonik bzw.

die harmonischen Passagen mit Gesualdo verbinden. Huber pendelt ständig zwischen zwei

Polen: ein Pol ist sein persönlicher Stil und der Andere ist Gesualdo.

Auf Grundlage der beiden Werke kann man gut beobachten, wie Elemente der Tradition in

einem anderen Kontext sich klanglich nicht zwangsläufig als „Abweichung“ oder gar

„Fremdkörper“ manifestieren müssen. Ein anderer Blick auf die Vergangenheit; befreit

von Vorurteilen, dass man von der Tradition nicht mehr viel nutzen kann, eröffnet

zahlreiche Möglichkeiten für die Komponisten. Sie geben der alten Musik; durch ihre

Integration in eigenen Werken, eine völlig neue Bedeutung.

93

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