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Analysis 3 Vorlesungsskript Wintersemester 2011/12 Bernd Schmidt * Version vom 16. Februar 2012 * Institut f¨ ur Mathematik, Universit¨ at Augsburg, Universit¨ atsstr. 14, 86135 Augs- burg, [email protected] 1

Analysis 3 - math.uni-augsburg.de · Analysis 3 Vorlesungsskript Wintersemester 2011/12 Bernd Schmidt Version vom 16. Februar 2012 Institut f ur Mathematik, Universit at Augsburg,

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Analysis 3

Vorlesungsskript

Wintersemester 2011/12

Bernd Schmidt∗

Version vom 16. Februar 2012

∗ Institut fur Mathematik, Universitat Augsburg, Universitatsstr. 14, 86135 Augs-burg, [email protected]

1

Inhaltsverzeichnis

Inhaltsverzeichnis 2

1 Einleitung 4

2 Grundlagen der Maßtheorie 62.1 Maße . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72.2 Fortsetzung von Maßen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142.3 Messbare Mengen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23

3 Integrationstheorie 273.1 Messbare Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273.2 Das Integral . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313.3 Die Konvergenzsatze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 403.4 Maße und Integrale auf Produkten . . . . . . . . . . . . . . . . . 453.5 Bildmaße und Transformationsformel . . . . . . . . . . . . . . . . 55

4 Ausgewahlte Anwendungen 664.1 Lp-Raume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 664.2 Faltung und Glattungskerne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 754.3 Fourier-Transformation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81

5 Mannigfaltigkeiten 915.1 Definition und Charakterisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 915.2 Tangential- und Normalraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1015.3 Ausblick: Allgemeine Mannigfaltigkeiten . . . . . . . . . . . . . . 105

6 Oberflachenintegrale 1086.1 Die Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1086.2 Beispiele & Anwendungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114

7 Orientierung und Teilmengen mit Rand 1207.1 Orientierte Mannigfaltigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1207.2 Teilmengen mit glattem Rand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124

2

8 Die klassischen Integralsatze 1308.1 Vektorfelder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1308.2 Integrabilitat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1328.3 Der Integralsatz von Gauß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1368.4 Anwendungen des Gaußschen Satzes . . . . . . . . . . . . . . . . 1428.5 Der Integralsatz von Stokes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145

A Differentialformen 150A.1 Multilineare Algebra . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150A.2 Differentialformen im Rn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154A.3 Integration von Differentialformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159A.4 Der allgemeine Satz von Stokes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161

B Das Auswahlaxiom 164B.1 Auswahlaxiom, Zornsches Lemma und Wohlordnungssatz . . . . . 164B.2 Die Machtigkeit von Mengen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169B.3 Die Machtigkeit der Borelmengen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171

Literaturverzeichnis 175

3

Kapitel 1

Einleitung

Die Vorlesung Analysis 3 schließt den grundlegenden Analysiszyklus ab. In denersten beiden Kapiteln behandeln wir die Grundzuge der Maß- und Integrations-theorie fur allgemeine Maßraume und fuhren dadurch einen Integralbegriff ein,der nicht nur aus analytischer Sicht besonders allgemein und gutartig ist sondernauch fur die Stochastik grundlegend ist. Als Anwendung diskutieren wir danndie Lp-Funktionenraume, Glattungen und die Fouriertransformation. Nach einemeinfuhrenden Kapitel uber Mannigfaltigkeiten (eigtl. Untermannigfaltigkeiten desRn) erweitern wir unsere Lebesguesche Integrationstheorie auf die Integration vonFunktionen, die auf solchen “gekrummten niederdimensionalen Mengen” definiertsind und beweisen die Hauptresultate der klassischen klassischen Vektoranalysis:Die Integralsatze von Gauß und Stokes. In den zwei Kapiteln des Anhangs, dienicht Teil der Vorlesung sind, geben wir ein kurze Einfuhrung in die Theorie derDifferentialformen mit Beweis den allgemeinen Satz von Stokes und stellen dasAuswahlaxiom mit einigen seiner Konsequenzen vor.

Vorkenntnisse: Notige Vorkenntnisse sind der Stoff der Vorlesungen Analysis1, Analysis 2 und Lineare Algebra 1.

Literatur: Die Kapitel 2 und 3 folgen dem klassischen maßtheoretischen Zu-gang zur Integrationstheorie. Diesen Stoff (und vieles mehr) findet man etwa beiBauer [Bau] und Elstrodt [El]. Neuere Darstellungen, die sich im Wesentlichenauf Grundlagen der Maß- und Integrationstheorie beschranken, gibt es in denBuchern von Brokate und Kersting [BK] sowie Ambrosio, DaPrato und Men-nucci [ADPM]. Ein sehr guter konziser Zugang, der in etwa das abdeckt, waswir auch hier in dieser Vorlesung uber Maßtheorie behandeln, steht in KapitelIII des Wahrscheinlichkeitstheoriebuches von Bandelow [Ban]. Einen direkterenWeg, allerdings nur fur das Lebesgue-Maß auf dem Rn, gibt das Analysisbuchvon Konigsberger [Ko] an. Das Analysisbuch [For] von Forster schließlich enthalteinen aquivalenten, doch ganzlich verschiedenen, eher topologischen Zugang zumLebesgue-Integral auf dem Rn.

4

Die in Kapitel 3 diskutierten Ergebnisse uber Lp-Raume und Faltung findetman auch in den oben angegebenen Referenzen zu Maßtheorie. Was wir anschlie-ßend uber Glattungskerne und die die Fourier-Transformation behandeln werden,steht dagegen in den meisten Analysislehrbuchern, z.B. in [Ko] oder [For].

Die folgenden Kapitel, in denen die Vektoranalysis im Rn behandelt wird, fin-den Sie in vielen allgemeinen Lehrbuchern zur Analysis, wobei hier wieder [For]und [Ko] empfehlenswert sind. Das Skript [Br] von Brokate entwickelt außerdemeine mehrdimensionale Riemannsche Integrationstheorie und eignet sich daherbesonders, wenn Sie die Vektoranalysis unabhangig von der Lebesgueschen Inte-grationstheorie verstehen mochten. Das ausgezeichnete weiterfuhrende Buch [Ja]von Janich schließlich bietet eine Einfuhrung in die moderne Vektoranalysis imDifferentialformenkalkul.

Fehler: Bitte teilen Sie mir evtl. Tipp- oder auch andere Fehler in diesem Skriptper E-Mail mit.

Vielen Dank an alle, die mich auf Fehler in fruheren Versionen dieses Skriptsaufmerksam gemacht haben, insbesondere an Frau Anne Grunzig.

5

Kapitel 2

Grundlagen der Maßtheorie

In den ersten beiden Kapiteln fuhren wir das Lebesgue-Integral ein. Unser Haupt-augenmerk liegt dabei auf Funktionen f : Ω → R, wobei Ω eine Teilmenge vonRn ist. Fur gutartige Funktionen lasst sich zwar das Riemann-Integral auch inmehreren Dimensionen definieren, doch der Begriff des Lebesgue-Integrals erlaubtes, wesentlich allgemeinere Funktionen als die Riemann-integrierbaren Funktio-nen zu integrieren. Die Konstruktion ist zwar um einiges aufwandiger als dieDefinition des Riemann-Integrals, doch ist das Lebesgue-Integral erst einmal ein-gefuhrt, stellt es sich als sehr flexibel und daher einfacher zu handhaben heraus.Die Fruchte der Arbeit werden wir ernten konnen, wenn wir in der Lage sind,sehr starke Konvergenzsatze fur Integrale zu beweisen.

Allgemeiner untersuchen wir auch Funktionen f : Ω→ R, wenn Ω die Grund-menge eines allgemeinen Maßraums ist. Ein solcher Maßraum erfullt nur die aller-notwendigsten Bedingungen, um Funktionen integrieren zu konnen. Das ist einer-seits in vielen Anwendungen, etwa in der Wahrscheinlichkeitstheorie, interessant.Andererseits fuhrt es auch zu mehr Klarheit, wenn man sich auf die wesentlichenEigenschaften konzentriert. In diesem Sinne stellen die beiden folgenden Kapiteleine Einfuhrung in die allgemeine Maß- und Integrationtheorie dar.

Zur Motivation des Lebesgue-Integrals betrachten wir eine Funktion f : [a, b]→R. In der Riemannschen Integrationstheorie konstruiert man ein Integral

∫ baf(x) dx,

indem man die Grundmenge [a, b] durch eine Zerlegung a = x1 < x2 < . . . < xN =b in feine Intevalle unterteilt und dann mit Ober- und Untersummen approximiert.Die Strategie in der Lebesgueschen Theorie dagegen ist es, zunachst den Wertebe-reich R von f durch eine feine Zerlegung, etwa durch . . . < − 1

n< 0 < 1

n< 2

n< . . .

zu unterteilen. Wenn man nun den Urbildern

An,k = f−1

([k

n,k + 1

n

)), k ∈ Z,

eine “Lange” λ(An,k) zuordnen kann und schließlich n→∞ gehen lasst, versucht

6

man ∫ b

a

f(x) dx := limn→∞

∑k∈Z

k

nλ(An,k)

zu definieren.Das große Problem ist nun naturlich, die Große λ(A), also in einer Dimension

eine Lange, in zwei Dimensionen eine Flache und allgemein ein n-dimensionalesVolumen, fur recht allgemeine Mengen A ⊂ Ω anzugeben. Dies fuhrt dazu, dasswir zuallererst ein Maß auf der Menge Ω angeben mussen, das eben genau diesleistet.

2.1 Maße

Im Folgenden sei Ω eine Menge und A ein System von Teilmengen von Ω, alsoA ⊂ P(Ω) eine Teilmenge der Potenzmenge P(Ω) von Ω. Wir mochten dann denMengen A ∈ A ein “Maß” zuordnen. Aus technischen Grunden, auf die wir spatereingehen werden, kann man dies unter wunschenswerten Zusatzannahmen leideroft nicht fur alle Teilmengen von Ω machen, so dass man sich auf ein moglichstgroßes System gutartiger Teilmengen beschranken muss. Wir definieren daher:

Definition 2.1 Ein Mengensystem A von Teilmengen von Ω heißt σ-Algebra,wenn gilt

(i) ∅ ∈ A,

(ii) A ∈ A =⇒ Ac ∈ A und

(iii) A1, A2, . . . ∈ A =⇒⋃∞i=1 Ai ∈ A.

(Ω,A) heißt dann ein messbarer Raum.

(Ac = Ω \ A bezeichnet das Komplement einer Menge A ⊂ Ω.)

Bemerkung: Ist A eine σ-Algebra, so ist mit A1, A2, . . . ∈ A, N ∈ N auch

• A1 ∪ . . . ∪ AN ∈ A, denn A1 ∪ . . . ∪ AN = A1 ∪ . . . ∪ AN ∪ ∅ ∪ ∅ ∪ . . .,

• A1 ∩ . . . ∩ AN ∈ A, denn A1 ∩ . . . ∩ AN = (Ac1 ∪ . . . ∪ AcN)c,

• A1 \ A2 ∈ A, denn A1 \ A2 = A1 ∩ Ac2 und

•⋂∞i=1Ai ∈ A, denn

⋂∞i=1 Ai = (

⋃∞i=1A

ci)c.

Etwas heuristisch lasst sich formulieren: In σ-Algebren sind alle abzahlbaren Men-genoperationen erlaubt, in dem Sinne, dass die Verknupfung von abzahlbar vielenOperationen mit Mengen aus A nicht aus A herausfuhrt.

7

Definition 2.2 Es sei Ω eine Menge und A eine σ-Algebra auf Ω. Eine Abbil-dung µ : A → [0,∞] heißt ein Maß, wenn gilt

(i) µ(∅) = 0 und

(ii) fur paarweise disjunkte A1, A2, . . . ∈ A ist

µ

(∞⋃i=1

Ai

)=∞∑i=1

µ(Ai).

(Ω,A, µ) heißt dann ein Maßraum.

Die letzte Eigenschaft nennt man auch die σ-Additivitat eines Maßes. Beachte,dass µ den Wert ∞ annehmen darf. Fur das Rechnen auf R ∪ ∞ vereinbarenwir die Rechenregeln

x+∞ =∞ fur alle x ∈ R,x · ∞ =∞ fur alle x ∈ (0,∞] und

0 · ∞ = 0.

Beispiele:

1. Auf jeder Menge Ω sind ∅,Ω und P(Ω) σ-Algebren.

2. ∅,R, (−∞, 5], (5,∞) ist eine σ-Algebra auf R. Durch

µ(∅) = 0, µ((−∞, 5]) = 2, µ([5,∞)) = 7 und µ(R) = 9

wird hierauf ein Maß definiert.

3. Auf jeder Menge Ω ist die Menge der (co-)abzahlbaren Mengen

A = A ⊂ Ω : A oder Ac abzahlbar

eine σ-Algebra.Ubung: Zeigen Sie dies!

4. Weder das System der offenen noch das System der abgeschlossenen Teil-mengen bildet eine σ-Algebra auf R. (Warum?)

5. Ist Ω eine Menge, A eine σ-Algebra auf Ω und x ∈ Ω, so definiert

δx(A) =

1, falls x ∈ A,0, falls x /∈ A

fur A ∈ A ein Maß auf Ω, das sogenannte Dirac-Maß bei x.

8

6. Ist (Ai)i∈I eine Familie von σ-Algebren, so ist auch A =⋂i∈I Ai eine σ-

Algebra.Ubung: Zeigen Sie dies!

7. Ist A eine σ-Algebra auf Ω und M ⊂ Ω eine beliebige Teilmenge, so ist

AM = A ∩M : A ∈ A

eine σ-Algebra auf M . Man nennt sie die Spur-σ-Algebra von A auf M .

Speziell fur M ∈ A ergibt sich AM = A ∈ A : A ⊂M.Ist µ ein Maß auf (Ω,A) und M ∈ A, so lasst sich µ auf AM einschranken,indem man definiert

(µbM)(A) := µ(A) ∀A ∈ AM .

Man nennt µbM (= µ|AM ) die Einschrankung von µ auf M .Ubung: Zeigen Sie dies!

Das vorige Beispiel 6 erlaubt es nun, zu einem beliebigen Mengensystem C diekleinste C enthaltende σ-Algebra zu assoziieren:

Definition 2.3 Es seien Ω eine Menge und C ⊂ P(Ω) ein Mengensystem auf Ω.Die von C erzeugte σ-Algebra ist das Mengensystem

σ(C) =⋂A ⊂ P(Ω) : A ist σ-Algebra und C ⊂ A.

Beispiel 6 zeigt, dass σ(C) tatsachlich eine σ-Algebra ist. Offensichtlich ist sie diekleinste C enthaltende σ-Algebra.

Ubung: Bestimmen Sie die von C = x : x ∈ Ω erzeugte σ-Algebra.

Insbesondere das Lebesgue-Maß, auf dessen Konstruktion wir ja zusteuern,wird sich nun nicht so einfach explizit angeben lassen. Wir schranken uns daherzunachst auf ein kleineres Mengensystem ein, das allerdings keine σ-Algebra mehrist. Dazu definieren wir zunachst:

Definition 2.4 Ein Mengensystem A von Teilmengen von Ω heißt Ring, wenngilt

(i) ∅ ∈ A,

(ii) A1, A2 ∈ A =⇒ A1 \ A2 ∈ A und

(iii) A1, A2 ∈ A =⇒ A1 ∪ A2 ∈ A.

9

Bemerkung: Im Gegensatz zur σ-Algebra kann man in einem Mengenring alsoi.A. nur endliche Vereinigungen (Induktion!) und relative Komplemente bilden.Auch endliche Schnitte sind wieder zugelassen, da ja mit A1, A2 ∈ A auch

A1 ∩ A2 = A1 \ (A1 \ A2) ∈ A

gilt.

Entsprechend definiert man:

Definition 2.5 Es sei Ω eine Menge und A ein Ring auf Ω. Eine Abbildungµ : A → [0,∞] heißt ein Inhalt, wenn gilt

(i) µ(∅) = 0 und

(ii) fur disjunkte A1, A2 ∈ A ist

µ (A1 ∪ A2) = µ(A1) + µ(A2).

Mit vollstandiger Induktion erhalt man dann auch

µ

(N⋃i=1

Ai

)=

N∑i=1

µ(Ai)

fur (endlich viele!) paarweise disjunkte A1, A2, . . . , AN ∈ A.

Ubung: Es sei µ ein Inhalt auf dem RingA auf Ω. Zeigen Sie, dass fur A1, A2 ∈ A

(i) µ(A1 ∪ A2) + µ(A1 ∩ A2) = µ(A1) + µ(A2) und

(ii) A1 ⊂ A2 =⇒ µ(A1) ≤ µ(A2)

gilt.

Beispiele:

1. Jede σ-Algebra ist ein Ring und jedes Maß ist ein Inhalt.

2. Auf jeder Menge Ω ist die Menge der endlichen Mengen

A = A ⊂ Ω : A ist endich

ein Ring. Fur #Ω =∞ ist dies jedoch keine σ-Algebra.

Ein besonders wichtiges Beispiel ist gegeben durch das System von Vereinigun-gen halboffener Quader. Dabei nennen wir eine Menge Q ⊂ Rn einen halboffenenQuader, wenn es a1 ≤ b1, a2 ≤ b2, . . . , an ≤ bn mit

Q = [a1, b1)× . . .× [an, bn)

gibt.

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Proposition 2.6 Das Mengensystem

F = A ⊂ Rn : es gibt halboffene Quader Q1, . . . QN mit A = Q1 ∪ . . . ∪QN.

ist ein Ring auf Rn.

Die Elemente von F bezeichnet man auch als Figuren.

Dem Beweis schicken wir ein sehr nutzliches technisches Hilfsresultat voraus,wobei wir Figuren durch achsenparallele Hyperebenen der Form H = x ∈ Rn :xk = c fur ein k ∈ 1, . . . , n und c ∈ R zerschneiden. Bezeichnet man fur einesolche Hyperebene den ‘linken’ und ‘rechten’ Halbraum mit

H− = x ∈ Rn : xk < c bzw. H+ = x ∈ Rn : xk ≥ c,

so zerschneidet man eine Menge M ⊂ Rn durch H, indem man M als disjunkteVereinigung

M = (M ∩H−)∪(M ∩H+)

schreibt. Durch weitere Hyperebenen lassen sich diese Teile von M dann sukzes-sive weiter zerschneiden.

Lemma 2.7 Es seien Q1, . . . , QN halboffene Quader, Qj = [a(j)1 , b

(j)1 ) × . . . ×

[a(j)n , b

(j)n ). Zerschneidet man Q1 ∪ . . .∪QN sukzessive entlang aller Hyperflachen

H(a)j,k = x : xk = a

(j)k und H

(b)j,k = x : xk = b

(j)k ,

k = 1, . . . , n, j = 1, . . . , N , so ergeben sich endlich viele disjunkte halboffeneQuader Qi, i ∈ I, so dass

Q1 ∪ . . . ∪QN =⋃i∈I

Qi

gilt und jeder der ursprunglichen Quader Qj selbst die disjunkte Vereinigung

Qj =⋃

i:Qi⊂Qj

Qi

ist.

Beweis. Das ergibt sich unmittelbar aus der Konstruktion: Es bezeichne Qi, i ∈I, die endliche Familie disjunkter Mengen die durch die sukzessive Zerlegungdurch die angegebenen Hyperebenen entsteht. Da jeder Quader Qj durch dieHyperebenen

H(a)j,k = x : xk = a

(j)k und H

(b)j,k = x : xk = b

(j)k ,

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k = 1, . . . , n von seinem Komplement getrennt wird, ist jedes Qi ganz in einemQj enthalten und es ist

Qj =⋃

i:Qi⊂Qj

Qi.

Fur festes j entstehen die Qi mit Qi ⊂ Qj dabei dadurch, dass der Quader Qj ent-lang der achsenparallelen Hyperebenen, die das Innere von Qj schneiden, zerlegtwird. Da aber bei einem solchen Zerschneiden eines halboffenen Quaders wie-der nur halboffene Quader entstehen, sind die Qi tatschlich alle selbst halboffeneQuader.

Beweis von Proposition 2.6. Mit a1 = b1 und a2, . . . , an, b2, . . . , bn beliebig siehtman

∅ = [a1, b1)× . . .× [an, bn) ∈ F .Auch die Abgeschlossenheit bezuglich Vereinigungen ist klar: A1, A2 ∈ F =⇒A1 ∪ A2 ∈ F . Nur dass in A relative Komplemente gebildet werden konnen, istnicht trivial.

Fur A = Q1 ∪ . . . ∪ QN ∈ F und A′ = Q′1 ∪ . . . ∪ Q′N ′ ∈ F erhalten wir mitLemma 2.7 paarweise disjunkte halboffene Quader Qi, i ∈ I, mit

A ∪ A′ =⋃i∈I

Qi

und

A′ =N ′⋃j=1

Q′j =N ′⋃j=1

⋃i:Qi⊂Q′j

Qi =⋃

i:Qi⊂A′

Qi.

Damit aber istA \ A′ =

⋃i:Qi 6⊂A′

Qi ∈ F .

Der erste Schritt zur Konstruktion des Lebesgue-Maßes ist es nun, auf F einenInhalt zu definieren.

Lemma und Definition 2.8 Ist Q = [a1, b1) × . . . × [an, bn) ein halboffenerQuader, so definieren wir

λ(Q) := (b1 − a1) · . . . · (bn − an).

Ist allgemein A =⋃Nj=1Qj ∈ F mit paarweise disjunkten Qj, so setzen wir

λ(A) :=N∑j=1

λ(Qj).

λ ist ein Inhalt auf F , der sogenannte Elementarinhalt auf Rn.

12

Beweis. Da sich nach Lemma 2.7 jedes A ∈ F als disjunkte Vereinigung halboffe-ner Quader schreiben lasst, diese Darstellung jedoch nicht eindeutig ist, mussenwir uns zunachst uberlegen, dass λ wohldefiniert ist: Ist etwa

A =N⋃j=1

Qj =N ′⋃j=1

Q′j

mit paarweise disjunkten Qj bzw. Q′j, so konnen wir mit Lemma 2.7, angewandtauf Q1, . . . QN , Q

′1, . . . , Q

′N ′ , die Figur A derart durch achsenparallele Hyperebe-

nen in disjunkte Quader Qi, i ∈ I, zerschneiden, dass jedes Qj und jedes Q′j′durch diese Hyperebenen in Quader

Qj =⋃

i:Qi⊂Qj

Qi bzw. Q′j′ =⋃

i:Qi⊂Q′j

Qi

zerlegt werden.Nun ist leicht zu sehen, dass fur die Zerlegung eines Quader Q durch eine

achsenparallele Hyperebene H gilt

λ(Q) = λ(Q ∩H−) + λ(Q ∩H+).

Induktiv ergibt sich damit

λ(Qj) =∑

i:Qi⊂Qj

λ(Qi) bzw. λ(Q′j′) =∑

i:Qi⊂Q′j

λ(Qi).

Dann aber ist tatsachlich

N∑j=1

λ(Qj) =N∑j=1

∑i:Qi⊂Qj

λ(Qi) =∑i∈I

λ(Qi) =N ′∑j=1

∑i:Qi⊂Qj

λ(Qi) =N ′∑j=1

λ(Q′j).

Der Nachweis, dass λ ein Inhalt ist, ist nun einfach. Einerseits gilt

λ(∅) = λ([0, 0)× . . .× [0, 0)) = 0.

Sind andererseits A =⋃Nj=1 Qj und A′ =

⋃N ′

j=1Q′j disjunkt mit paarweise disjunk-

ten Qj bzw. Q′j, so sind auch alle Q1, . . . , QN , Q′1, . . . , Q

′N ′ paarweise disjunkt und

λ(A ∪ A′) = λ(Q1) + . . .+ λ(QN) + λ(Q′1) + . . .+ λ(Q′N ′) = λ(A) + λ(A′).

13

2.2 Fortsetzung von Maßen

Wahrend Inhalte auf Ringen leichter anzugeben sind als Maße auf σ-Algebren,lasst sich nur mit letzteren eine reichhaltige Theorie aufbauen. Unser Ziel indiesem Abschnitt ist es daher, einen Inhalt auf einem Ring zu einem Maß aufeine den Ring enthaltende σ-Algebra zu erweitern. Allerdings lasst sich nichtjeder Inhalt zu einem Maß fortsetzen. Eine offensichtlich notwendige Bedingunghierfur ist, dass der Inhalt nicht nur additiv, sondern sogar σ-additiv ist. Diesbekommt einen eigenen Namen:

Definition 2.9 Es sei Ω eine Menge und A ein Ring auf Ω. Eine Abbildungµ : A → [0,∞] heißt ein Pramaß, wenn gilt

(i) µ(∅) = 0 und

(ii) fur paarweise disjunkte A1, A2, . . . ∈ A mit A1 ∪ A2 ∪ . . . ∈ A ist

µ

(∞⋃i=1

Ai

)=∞∑i=1

µ(Ai).

Erstaunlich ist nun, dass diese Bedingung sogar hinreichend ist.

Satz 2.10 (Fortsetzungssatz) Jedes Pramaß auf einem Ring A kann zu einemMaß auf die erzeugte σ-Algebra σ(A) fortgesetzt werden.

Fur viele wichtige Beispiele ist diese Fortsetzung sogar eindeutig.

Definition 2.11 Es sei µ ein Inhalt auf einem Ring A auf Ω. Gibt es eine Folgevon Mengen A1, A2, . . . ∈ A mit A1 ∪ A2 ∪ . . . = Ω und µ(Aj) < ∞ fur jedes j,so nennt man µ σ-endlich.

Satz 2.12 (Fortsetzungs- und Eindeutigkeitssatz) Jedes σ-endliche Pramaßauf einem Ring A kann auf genau eine Weise zu einem Maß auf σ(A) fortgesetztwerden.

Fur den Beweis von Satz 2.10, der im Wesentlichen auf Caratheodory zuruck-geht, brauchen wir noch ein paar Vorbereitungen. Die Idee besteht darin, einPramaß µ zunachst zu einer Abbildung µ∗, die auf ganz P(Ω) definiert ist, fort-zusetzen. Dieses µ∗ ist dann i.A. kein Maß. Doch lasst sich zeigen, dass eineEinschrankung auf eine geschickt gewahlte A enthaltende σ-Algebra tatsachlichalle Maßeigenschaften erfullt.

Definition 2.13 Es sei Ω eine Menge. Eine Abbildung ν : P(Ω)→ [0,∞] heißtaußeres Maß, wenn gilt

14

(i) ν(∅) = 0,

(ii) fur A1 ⊂ A2 ⊂ Ω ist ν(A1) ≤ ν(A2) und

(iii) fur A1, A2, . . . ∈ P(Ω) ist ν(⋃∞j=1 Aj) ≤

∑∞j=1 ν(Aj).

Die letzte Eigenschaft bezeichnet man auch als σ-Subadditivitat. Endliche Subad-ditivitat, also ν(A1∪ . . .∪AN) ≤ ν(A1)+ . . .+ν(AN) fur A1, . . . , AN , N ∈ N, giltdann naturlich auch. (Erganze zu einer Folge durch AN+1 = AN+2 = . . . = ∅.)

Jeder Inhalt erzeugt ein zugehoriges außeres Maß durch die folgende Kon-struktion.

Lemma 2.14 Es seien Ω eine Menge, A ein Ring auf Ω und µ ein Inhalt auf(Ω,A). Dann wird durch

µ∗(M) := inf

∞∑j=1

µ(Aj) : A1, A2, . . . ∈ A mit M ⊂∞⋃j=1

Aj

fur jedes M ⊂ Ω ein außeres Maß auf Ω definiert.

Beweis. (i) Offensichtlich ist µ∗ ≥ 0 und µ∗(∅) ≤∑∞

j=1 µ(∅) = 0.(ii) Ist M1 ⊂ M2 ⊂ Ω, so ergibt sich µ∗(M1) ≤ µ∗(M2) direkt aus der Kon-

struktion, da jede Folge von Mengen, die M2 uberdeckt, auch M1 uberdeckt.(iii) Seien M1,M2, . . . ⊂ Ω, ε > 0 beliebig und o.B.d.A. µ∗(Mi) < ∞ fur alle

i. Zu Mi wahle A(i)1 , A

(i)2 , . . . ∈ A mit

Mi ⊂∞⋃j=1

A(i)j und

∞∑j=1

µ(A(i)j ) ≤ µ∗(Mi) + 2−iε.

Wegen⋃∞j=1Mj ⊂

⋃∞i,j=1 A

(i)j ist dann

µ∗

(∞⋃i=1

Mi

)≤

∞∑i,j=1

µ(A(i)j ) ≤

∞∑i=1

(µ∗(Mi) + 2−iε) = ε+∞∑i=1

µ∗(Mj).

Da ε > 0 beliebig war, folgt die Behauptung.

Wir konstruieren nun diejenigen Mengen, auf denen sich ein außeres Maßbesonders gut verhalt (und auf die wir im Beweis des Fortsetzungssatzes wiedereinschranken werden).

Definition 2.15 Es sei Ω eine Menge und ν ein außeres Maß auf Ω. Dann heißtA ⊂ Ω ν-messbar, falls fur alle M ⊂ Ω

ν(M) = ν(M ∩ A) + ν(M ∩ Ac)

gilt. Die Menge der ν-messbaren Mengen bezeichnen wir mit Aν.

15

Satz 2.16 (Satz von Caratheodory) Es sei ν ein außeres Maß auf einer Men-ge Ω. Dann ist Aν eine σ-Algebra und die Einschrankung ν|Aν von ν auf Aν istein Maß.

Beweis. Der Beweis erfolgt in mehreren Schritten.1. Wegen ν(∅) = 0 folgt ∅ ∈ Aν . Des Weiteren ist offensichtlich A ∈ Aν genau

dann, wenn Ac ∈ Aν ist.2. Seien A1, A2 messbar. Wir zeigen, dass dann auch A1 ∪ A2 messbar ist.

Beachte, dass wegen 1. dann auch A1 \ A2 = (A1 ∩ Ac2) = (Ac1 ∪ A2)c ∈ Aν ist.Aus der Messbarkeit von A1 und A2 ergibt sich zunachst

ν(M) = ν(M ∩ A1) + ν(M ∩ Ac1)

= ν(M ∩ A1 ∩ A2) + ν(M ∩ A1 ∩ Ac2) + ν(M ∩ Ac1 ∩ A2) + ν(M ∩ Ac1 ∩ Ac2)

fur jedes M ⊂ Ω. Diese Gleichheit gilt dann auch, wenn man M durch M ∩ (A1∪A2) ersetzt, wobei M ∩ (A1 ∪ A2) ∩ Ac1 ∩ Ac2 = ∅ ist, so dass man

ν(M ∩ (A1 ∪ A2)) = ν(M ∩ A1 ∩ A2) + ν(M ∩ A1 ∩ Ac2) + ν(M ∩ Ac1 ∩ A2)

erhalt. Aus diesen beiden Gleichungen folgt nun

ν(M) = ν(M ∩ (A1 ∪ A2)) + ν(M ∩ Ac1 ∩ Ac2)

= ν(M ∩ (A1 ∪ A2)) + ν(M ∩ (A1 ∪ A2)c).

3. Um zu zeigen, dass mit A1, A2, . . . ∈ Aν auch A1 ∪ A2 ∪ . . . ∈ Aν ist,durfen wir o.B.d.A. annehmen, dass die Aj paarweise disjunkt sind: Dies siehtman, indem man

B1 := A1 und Bj = Aj \ (B1 ∪ . . . ∪Bj−1), j = 2, 3, . . . ,

setzt. Wegen 2. ergibt sich induktiv, dass alle Bj in Aν liegen. Außerdem sind dieBj offensichtlich disjunkt und es ist

A1 ∪ A2 ∪ . . . = B1 ∪B2 ∪ . . . .

4. Wir schließen nun den Beweis, dass Aν eine σ-Algebra ist ab und zeigendabei auch gleich noch, dass µ ein Maß auf Aν ist.

Es seien A1, A2, . . . ∈ Aν paarweise disjunkt. Dann hat man fur jedes M ⊂ Ωund N ∈ N

ν(M) =N∑j=1

ν(M ∩ Aj) + ν

(M ∩

N⋂j=1

Acj

).

Dies zeigt man induktiv: Fur N = 1 ist dies nichts anderes als die Messbarkeitvon A1. Ist die Gleichung fur N schon gezeigt, so folgt aus der Messbarkeit von

16

AN+1 und aus Aj ∩ AN+1 = ∅ fur j = 1, . . . N

ν(M) =N∑j=1

ν(M ∩ Aj) + ν

(M ∩

N⋂j=1

Acj ∩ AN+1︸ ︷︷ ︸=AN+1

)+ ν

(M ∩

N⋂j=1

Acj ∩ AcN+1

)

=N+1∑j=1

ν(M ∩ Aj) + ν

(M ∩

N+1⋂j=1

Acj

).

Aus der Monotonie von ν erhalten wir dann

ν(M) ≥N∑j=1

ν(M ∩ Aj) + ν

(M ∩

∞⋂j=1

Acj

)

=N∑j=1

ν(M ∩ Aj) + ν

(M ∩

(∞⋃j=1

Aj

)c ).

Im Limes N → ∞ bekommen wir mit Hilfe der σ-Subadditivitat von ν, indemwir A =

⋃∞j=1 Aj setzen, schließlich

ν(M) ≥∞∑j=1

ν(M ∩ Aj) + ν (M ∩ Ac) ≥ ν (M ∩ A) + ν (M ∩ Ac) . (2.1)

Umgekehrt folgt aus der Subadditivitat auch

ν(M) ≤ ν (M ∩ A) + ν (M ∩ Ac) .

Dies zeigt, dass A messbar ist.Wahlt man speziell M = A, so liefert (2.1)

ν(A) ≥∞∑j=1

ν(Aj).

Die umgekehrte Ungleichung folgt wieder aus der σ-Subadditivitat, so dass sichin der Tat

ν(A) =∞∑j=1

ν(Aj).

ergibt.

Wir konnen nun den Fortsetzungssatz beweisen:

Beweis von Satz 2.10. Es sei µ ein Pramaß auf einem Ring A auf Ω. Nach Lemma2.14 ist µ∗ ein außeres Maß auf Ω. Nach Satz 2.16 genugt es zu zeigen, dass jedes

17

A ∈ A µ∗-messbar ist und µ∗(A) = µ(A) erfullt. Fur ersteres wiederum genugtes wegen

µ∗(M) ≤ µ∗(M ∩ A) + µ∗(A ∩ Ac)

(Subadditivitat) nachzuweisen, dass auch

µ∗(M) ≥ µ∗(M ∩ A) + µ∗(A ∩ Ac)

gilt.Es sei also A ∈ A. Fur µ∗(M) =∞ ist die Behauptung klar. Fur µ∗(M) <∞

lassen sich zu jedem ε > 0 Elemente A1, A2, . . . ∈ A finden, so dass

µ∗(M) + ε ≥∞∑j=1

µ(Aj) =∞∑j=1

µ(Aj ∩ A) +∞∑j=1

µ(Aj ∩ Ac)

ist. Hiebei haben wir ausgenutzt, dass A ein Ring ist und µ(Aj) = µ(Aj ∩ A) +µ(Aj ∩ Ac) fur jedes j gilt. Nach Konstruktion von µ∗ ist dann wegen M ∩ A ⊂⋃∞j=1(Aj ∩ A) und M ∩ Ac ⊂

⋃∞j=1(Aj ∩ Ac) aber

µ∗(M) + ε ≥ µ∗(M ∩ A) + µ∗(M ∩ Ac).

Da ε beliebig war, folgt die Behauptung.Es bleibt zu zeigen, dass µ∗(A) = µ(A) ist. Mit A1 = A und A2 = A3 = . . . = ∅

ersieht man unmittelbar aus der Definition von µ∗, dass

µ∗(A) ≤ µ(A) + µ(∅) + µ(∅) + . . . = µ(A)

ist. Um die umgekehrte Ungleichung einzusehen, beachte, dass fur jede FolgeA1, A2, . . . ∈ A mit A ⊂ A1 ∪ A2 ∪ . . . wegen der σ-Additivitat von µ auf A gilt

µ(A) =∞∑j=1

µ(Aj ∩ A) ≤∞∑j=1

µ(Aj),

so dass auch µ(A) ≤ µ∗(A) sein muss.

Fur den Beweis von Satz 2.12 benotigen wir die in den Ubungaufgaben be-reitgestellten Tatsachen uber Dynkin-Systeme.

Beweis von Satz 2.12 . Nach Satz 2.10 bleibt zu zeigen, dass µ∗ durch seine Werteauf A auf ganz σ(A) eindeutig festgelegt ist. Es sei dazu µ′ ein weiteres Maß aufσ(A) mit µ∗(A) = µ′(A) fur alle A ∈ A. Da µ σ-endlich ist, gibt es MengenB1, B2, . . . ∈ A mit µ(Bj) < ∞ fur alle j und B1 ∪ B2 ∪ . . . = Ω. Wie in Teil 3des Beweises von Satz 2.16 sieht man, dass diese Bj o.B.d.A. disjunkt gewahltwerden konnen

Zu jedem Bj definieren wir ein ‘System der guten Mengen’

Gj := A ⊂ Ω : µ∗(A ∩Bj) = µ′(A ∩Bj).

18

Aus den Maßeigenschaften von µ∗ und µ′ ergibt sich, dass jedes Gj ein Dynkin-System ist: Erstens ist offenbar ∅ ∈ Gj. Zweitens gilt fur A ∈ Gj auch

µ∗(Ac ∩Bj) = µ∗(Bj)− µ∗(A ∩Bj) = µ′(Bj)− µ′(A ∩Bj) = µ′(Ac ∩Bj),

denn µ∗(Bj) = µ(Bj) = µ′(Bj), und somit Ac ∈ Gj. Drittens schließlich ist furpaarweise disjunkte A1, A2, . . . ∈ G

µ∗

(Bj ∩

∞⋃i=1

Ai

)=∞∑i=1

µ∗(Ai ∩Bj) =∞∑i=1

µ′(Ai ∩Bj) = µ′

(Bj ∩

∞⋃i=1

Ai

)und also A1 ∪ A2 ∪ . . . ∈ Gj.

Da fur jedes j offenbar A ⊂ Gj ist und A mit je zwei Mengen auch derenSchnitt enthalt, folgt mit Aufgabe 4 von Blatt 1 nun

σ(A) = δ(A) ⊂ Gj.

Mit anderen Worten: Fur jedes j und jedes A ∈ σ(A) ist µ∗(A∩Bj) = µ′(A∩Bj).Summation uber alle j ergibt dann

µ∗(A) = µ′(A).

Bemerkung. Eine Inspektion dieses Beweises zeigt, dass wir das folgende Ein-deutigkeitsresultat fur Maße bewiesen haben: Ist (Ω,A) ein messbarer Raum, aufdem zwei Maße µ1 und µ2 gegeben sind, und ist C ⊂ A ein Mengensystem mit

µ1(C) = µ2(C) ∀C ∈ C und σ(C) = A,

das erstens mit je zwei Mengen auch deren Schnitt enthalt und in dem zweitenseine Folge B1, B2, . . . mit

⋃∞j=1 Bj = Ω und µ1(Bj) = µ2(Bj) < ∞ fur alle j

existiert, so folgt µ1 = µ2.

Um das Lebesgue-Maß zu konstruieren, bleibt nach diesen theoretischen Vor-bereitungen nur noch ein letzter Schritt:

Lemma 2.17 Der Elementarinhalt ist sogar ein Pramaß.

Beweis. Es seien A1, A2, . . . ∈ F mit⋃j Aj = A ∈ F . Fur alle N ∈ N ist dann

A ⊃ A1 ∪ . . . ∪ AN und daher

λ(A) ≥ λ

(N⋃j=1

Aj

)=

N∑j=1

λ(Aj).

Mit N →∞ folgt daher

λ(A) ≥∞∑j=1

λ(Aj).

19

Um die umgekehrte Ungleichung zu zeigen zerschneiden wir gemaß Lemma2.7 A und jedes Aj in endlich viele disjunkte halboffene Quader Qi, i ∈ I, bzw.Qji, i ∈ Ij, mit

A =⋃i∈I

Qi bzw. Aj =⋃i∈Ij

Qji.

Zu ε > 0 kann ein jeder Quader Q = [a1, b1)× . . .× [an, bn) von innen durcheinen Quader

Qin(ε) = [a1, b1 − ε)× . . .× [an, bn − ε)

und von außen durch einen Quader

Qau(ε) = [a1 − ε, b1)× . . .× [an − ε, bn)

approximiert werden, so dass

Qin(ε) ⊂ Q ⊂ (Qin(ε))

gilt. Dabei ist offenbar

limε0

λ(Qin(ε)) = limε0

λ(Qin(ε))) = λ(Q).

Es gilt dann

⋃i∈I

Qini (ε) ⊂ A =

∞⋃j=1

⋃i∈Ij

Qji ⊂∞⋃j=1

⋃i∈Ij

(Qauji (ε)).

Da nun aber der erste Term als endliche Vereinigung kompakter Mengen wiederkompakt ist, gibt es eine endliche Indexmenge J mit⋃

i∈I

Qini (ε) ⊂

⋃(i,j)∈J

(Qauji (ε)).

Erst recht gilt also ⋃i∈I

Qini (ε) ⊂

⋃(i,j)∈J

Qauji (ε).

Aus der endlichen Additivitat und der Monotonie des Inhalts λ folgt damit∑i∈I

λ(Qini (ε)) ≤

∑(i,j)∈J

λ(Qauji (ε)).

Lasst man in dieser Ungleichung ε→ 0 gehen, bekommt man schließlich

λ(A) =∑i∈I

λ(Qi) ≤∑

(i,j)∈J

λ(Qji) ≤∞∑j=1

∑i∈Ij

λ(Qji) =∞∑i=1

λ(Aj).

20

Bemerkung. λ ist auf F sogar σ-endlich, denn es ist ja z.B. fur Aj = [−j, j)n

∞⋃j=1

Aj = Rn und λ(Aj) = (2j)n <∞.

Mit Satz 2.12 konnen wir nun λ eindeutig auf σ(F) fortsetzen.

Definition 2.18 Man nennt B := σ(F) die σ-Algebra der Borel-Mengen, ihreElemente auch Borel-messbar. Der Elementarinhalt lasst sich eindeutig zu einemMaß λ auf B fortsetzen, das wir das Lebesgue-Borel-Maß auf (Rn,B) nennen.

Um die Dimension des zugrunde liegenden Raumes Rn hervorzuheben, schrei-ben wir gelegentlich auch λn bzw. Bn.

Tatsachlich ist die σ-Algebra Aλ∗ , die sich aus dem Fortsetzungssatz ergibt,sogar großer als das System der Borel-Mengen.

Definition 2.19 Man nennt L := Aλ∗ die σ-Algebra der Lebesgue-Mengen, ihreElemente auch Lebesgue-messbar. Das Maß λ∗|L auf L heißt Lebesgue-Maß aufRn und wird oft auch einfach wieder mit λ bezeichnet.

Wieder schreiben wir gelegentlich auch λn bzw. Ln.

In den Ubungsaufgaben werden wir eine Lebesgue-Menge konstruieren, dienicht mehr Borel-messbar ist. Man kann sogar zeigen, dass es wesentlich mehrLebesgue-Mengen als Borel-Mengen gibt: B hat die gleiche Machtigkeit wie R,wahrend L die gleiche Machtigkeit wie P(R) hat.

Es sei noch bemerkt, dass sich das Lebesgue-Borel-Maß und das Lebesgue-Maß nach Beispiel 7 von Seite 9 auf beliebige Borel- bzw. Lebesgue-messbareMengen A einschranken lassen. Wenn keine Verwechslungen entstehen konnen,bezeichnet man die Einschrankungen λbA oft auch wieder mit λ.

Es stellt sich heraus, dass das Lebesgue-Maß gerade die Vervollstandigung desLebesgue-Borel-Maßes ist:

Lemma und Definition 2.20 Ist (Ω,A, µ) ein Maßraum, so ist

A := A ∪N : A ∈ A und ∃B ∈ A mit N ⊂ B und µ(B) = 0

wieder eine σ-Algebra. µ lasst sich durch

µ(A ∪N) := µ(A),

eindeutig zu einem Maß µ auf A fortsetzen. Man nennt µ die Vervollstandigungvon µ.

21

Beweis. Ubung!

In der Tat ist es manchmal nutzlich, auf diese Weise die Klasse der zulassi-gen Mengen noch um die Teilmengen derjenigen Mengen zu vergroßern, derenMaß verschwindet. Andererseits muss man beim Arbeiten mit mehreren Maßenbeachten, dass die in der Vervollstandigung konstruierte σ-Algebra explizit vondem zugrunde liegenden Maß abhangt.

Dass nun das Lebesgue-Maß wirklich die Vervollstandigung des Lebesgue-Borel-Maßes ist, ergibt sich aus dem folgenden Satz, den wir hier allerdings nichtbeweisen.

Satz 2.21 Es sei µ ein σ-endliches Pramaß auf einem Ring A auf Ω. Dann istµ∗|Aµ∗ die Vervollstandigung von µ∗|σ(A).

Beweis. Freiwillige Ubung. (S. etwa [El, Satz 2.6.4]).

Bemerkung. Der Satz zeigt, dass das Lebesgue-Maß die einzige Fortsetzung desElementarinhalts auf die Lebesgue-messbaren Mengen ist, da fur jede Fortsetzungµ und jede Lebesgue-Menge A ∪N , wobei A ∈ B und N ⊂ B ∈ B mit λ(B) = 0ist, gilt

λ(A) = µ(A) ≤ µ(A ∪N) ≤ µ(A ∪B) = λ(A ∪B) = λ(A),

also µ(A ∪N) = λ(A).

Abschließend halten wir noch eine wichtige Eigenschaft des Lebesgue-Maßesfest:

Satz 2.22 (i) Das Lebesgue-Maß λ ist translationsinvariant, d.h. fur jedes x ∈Rn und jedes Lebesgue-messbare A ist auch x+ A messbar und es gilt

λ(A) = λ(x+ A).

(ii) λ ist das einzige translationsinvariante Maß auf L, das dem Einheitswurfel[0, 1)n das Maß 1 zuweist.

Beweis. (i) Es ist leicht zu sehen, dass der Elementarinhalt diese Eigenschafterfullt und damit nach Konstruktion dann auch λ∗.

(ii) Naturlich ist λ([0, 1)n) = 1. Es sei µ ein weiteres translationsinvariantesMaß auf Rn mit µ([0, 1)n) = 1. Fur p ∈ N0 und q ∈ N kann man den Wurfel[0, p)n sowohl in pn disjunkte Translationen von [0, 1)n als auch in qn disjunkteTranslationen von [0, pq−1)n zerlegen. Es folgt

pn = pnµ([0, 1)n) = µ([0, p)n) = qnµ([0, pq−1))

und damit µ([0, r)) = rn fur alle r ∈ Q+. (Da µ von unten stetig ist, gilt dannsogar µ([0, r)) = rn ∀ r ∈ R+).

22

Ist nun Q = [0, b1)× . . .× [0, bn), r > 0 und 0 ≤ ρj < r, so dass⌊bjr

⌋r + ρj = bj, j = 1, . . . , n

ist, so gibt es∏

jbbjrc disjunkte Translationen von [0, r)n, die ganz in Q liegen

und∏

jb(bjrc+ 1) disjunkte Translationen von [0, r)n, die ganz in Q uberdecken.

Also folgt∏j

(⌊bjr

⌋r

)= rn

∏j

⌊bjr

⌋≤ µ(Q) ≤ rn

∏j

(⌊bjr

⌋+ 1

)=∏j

((⌊bjr

⌋+ 1

)r

).

Mit r → 0 ergibt sich b bjrcr → bj und somit

µ(Q) =∏j

bj = λ(Q).

Wegen der Translationsinvarianz von µ und λ ist dann λ(Q) = µ(Q) fur allehalboffenen Quader und dann auch λ = µ auf F nach Lemma 2.7, also λ = µ aufB nach Satz 2.12 und schließlich λ = µ auf L nach Lemma und Definition 2.20.

2.3 Messbare Mengen

Die zum Ende des vorigen Abschnitts betrachteten Mengen vom Maß Null spieleneine spezielle Rolle in der Maßtheorie, so dass sie einen eigenen Namen bekommen.

Definition 2.23 Es sei (Ω,A, µ) ein Maßraum.

(i) Eine Menge N ∈ A mit µ(N) = 0 heißt Nullmenge.

(ii) Enthalt A mit jeder Nullmenge auch alle ihre Teilmengen, so nennt man(Ω,A, µ) vollstandig.

Beispiele:

1. Jede abzahlbare Teilmenge des Rn ist eine Borelsche Nullmenge. Allgemei-ner ist jede abzahlbare Vereinigung von Nullmengen wieder eine Nullmenge.

2. Ist n ≥ 2 und f : Rn−1 → R stetig, so ist

graph f = x ∈ Rn : xn = f(x1, . . . , xn−1)

eine Nullmenge in Rn.

23

Es genugt zu begrunden, dass der Graph graph f |Q der Einschrankung aufeinen beliebigen halboffenen Quader Q der Seitenlange 1 eine Nullmengeist, denn mit Qz = [z1, z1 + 1)× . . .× [zn−1, zn−1 + 1) fur z ∈ Zn−1 ist dann

graph f =⋃

z∈Zn−1

graph f |Qz

als abzahlbare Vereinigung von Nullmengen wieder eine Nullmenge. Da fauf Q aber gleichmaßig stetig ist (Q ist kompakt), gibt es zu jedem ε > 0ein N ∈ N mit

|x− x′|∞ ≤ N−1 =⇒ |f(x)− f(x′)| < ε.

Zerlegt manQ also inNn−1 disjunkte halboffene Quader Qi, i = 1, . . . , Nn−1,der Seitenlange N−1 und setzt ai = infQi f , so ist

graph f |Q ⊂Nn−1⋃i=1

Qi × [ai, ai + ε].

Dabei ist aber

λ

(Nn−1⋃i=1

Qi × [ai, ai + ε]

)= Nn−1 · (N−1)N−1 · ε = ε.

Mit ε → 0 folgt, dass graph f eine Lebesguesche Nullmenge ist. (graph fist als abgeschlossene Menge sogar eine Borel-Menge.)

3. Das Lebesgue-Maß ist (wie naturlich jede Vervollstandigung) vollstandig.Man kann zeigen, dass das Borel-Maß nicht vollstandig ist, d.h. dass B ( Lgilt, vgl. die Ubungsaufgaben.

Unser nachstes Ziel ist es, moglichst viele Mengen als Borel-messbar zu er-kennen.

Satz 2.24 Es sei O das System der offenen Mengen, C das System der abge-schlossenen Mengen und K das System der kompakten Mengen auf Rn. Danngilt

B = σ(O) = σ(C) = σ(K).

Insbesondere sind also alle offenen und abgeschlossenen Mengen Borel-messbar.

Bemerkung. In allgemeinen topologischen Raumen definiert man die σ-Algebrader Borel-Mengen durch B := σ(O). Offenbar gilt dann

B = σ(O) = σ(C) ⊃ σ(K).

24

I.A. ist aber B 6= σ(K).

Ubung: Bestimmen Sie B = σ(O) und σ(K) auf einer Menge Ω, die mit derdiskreten Metrik versehen ist.

Beweis. Jede offene Menge lasst sich als abzahlbare Vereinigung halboffener ach-senparalleler Quader schreiben: Ist U ⊂ Rn offen und x ∈ U , so gibt es einenhalboffenen Quader Q ⊂ U mit x ∈ Q, so dass Q nur rationale Eckpunkte hat,d.h. es ist

Q = [a1, b1)× . . .× [an, bn) mit a1, . . . , an, b1, . . . , bn ∈ Q.

Dies zeigt, dass die (abzahlbare) Vereinigung aller in U liegenden halboffenenQuader mit rationalen Eckpunkten ganz U ist.

Somit gilt O ⊂ B und durch Komplementbildung auch K ⊂ C ⊂ B. Also:

σ(O), σ(C), σ(K) ⊂ B.

Umgekehrt lasst sich jeder halboffene Quader Q = [a1, b1) × . . . × [an, bn)als abzahlbarer Schnitt von offenen Mengen und als abzahlbare Vereinigung vonabgeschlossenen (sogar kompakten) Mengen schreiben:

Q =∞⋂j=1

(a1− j−1, b1)× . . .× (an− j−1, bn) =∞⋃j=1

[a1, b1− j−1]× . . .× [an, bn− j−1],

so dass auchB ⊂ σ(O), σ(C), σ(K)

ist.

Beispiel: Die Cantormenge (oder auch das ‘Cantorsche Diskontinuum’) C istwie folgt definiert: Aus dem Intervall [0, 1] entfernt man das offene Intervall A1,1

mit dem gleichen Mittelpunkt und einem Drittel an Lange, also A1,1 = (13, 2

3),

so dass zwei Intervalle der Lange 13

ubrigbleiben. Aus jedem dieser entfernt mannun jeweils ein offenes Intervall A2,1 bzw. A2,2 mit dem gleichen Mittelpunktund einem Drittel an Lange, also A2,1 = (1

9, 2

9) bzw. A2,2 = (7

9, 8

9), so dass vier

Intervalle der Lange 19

zuruckbleiben. So fortfahrend entfernt man in der k-tenIteration 2k−1 Intervalle Ak,1, . . . , Ak,2k−1 jeweils der Lange 1

3k. Schließlich setzt

man

C = [0, 1] \∞⋃k=1

2k−1⋃i=1

Ak,i.

Da alle Ak,i offen sind, ist C abgeschlossen (sogar kompakt) und damit Borel-messbar. C ist eine Nullmenge:

λ(C) = 1−∞∑k=1

2k−1∑i=1

λ(Ak,i) = 1−∞∑k=1

2k−1∑i=1

3−k = 1− 1

3

∞∑k=0

(2

3

)k= 1− 1

3

1

1− 23

= 0.

25

Mengentheoretisch ist C jedoch genauso groß wie R:

Ubung: #C = #R.Tipp: Zeigen Sie, dass C =

∑∞k=1

ai3k

: ai ∈ 0, 2

gilt, d.h. dass die Menge Cgerade aus denjengen Punkten in [0, 1] besteht, die sich im triadischen Systemohne Verwendung der Ziffer 1 darstellen lassen.

Bemerkung: Ohne Beweis erwahnen wir noch, dass das Borel-Maß λ von innenund außen regular ist: Fur jede Borel-Menge A gilt

λ(A) = supλ(K) : K ⊂ A ist kompakt = infλ(U) : U ⊃ A ist offen.

So gut wie alle Mengen, die man vernunftigerweise betrachtet, sind Lebesgue-messbar. Mit Hilfe des Auswahlaxioms lasst sich jedoch auch eine nicht-LebesguescheTeilmenge von R finden:

Beispiel: Auf [0, 1] definiere man eine Aquivalenzrelation x ∼ y durch

x ∼ y :⇐⇒ x− y ∈ Q.

(Das ist tatsachlich eine Aquivalenzrelation!) Aus jeder Aquivalenzklasse wahlenwir einen Reprasentanten und definieren V ⊂ [0, 1] als die Menge dieser Re-prasentanten. Fur q, r ∈ Q mit q 6= r ist dann

(q + V ) ∩ (r + V ) = ∅,

denn gabe es a, b ∈ V mit q + a = r + b, so waren a und b wegen a − b =r − q aquivalent aber verschieden, was der Konstruktion von V widerspricht.Andererseits ist

[0, 1] ⊂⋃

q∈Q∩[−1,1]

(q + V ) ⊂ [−1, 2],

denn zu jedem x ∈ [0, 1] gibt es ein a ∈ V mit x ∼ a, also x − a ∈ Q, wobei|x− a| ≤ 1 ist, und aus −1 ≤ q ≤ 1, 0 ≤ a ≤ 1 folgt q + a ∈ [−1, 2].

Ware nun V messbar, so musste wegen der Translationsinvarianz des Lebesgue-Maßes

1 = λ([0, 1]) ≤∑

q∈Q∩[−1,1]

λ(q + V ) ≤ λ([−1, 2]) = 3

gelten, wobei λ(q + V ) = λ(V ) fur alle q ist. Sowohl fur λ(V ) = 0 als auchfur λ(V ) > 0 fuhrt dies zu einem Widerspruch. (Man nennt V auch eine Vitali-Menge.)

Dieses Beispiel zeigt insbesondere, dass sich λ nicht zu einem translations-invarianten Maß auf ganz P(R) fortsetzen lasst, was die schon zu Beginn desAbschnitts 2.1 gemachte Bemerkung begrundet, dass Maße im Allgemeinen nichtauf ganz P(Ω) zu betrachten sind.

26

Kapitel 3

Integrationstheorie

Wir fuhren nun das zu Beginn von Kapitel 2 vorgestellte Programm weiter, indemwir nun versuchen, moglichst allgemeinen Funktionen f : Ω → R (oder sogarf : Ω→ R ∪ −∞,∞) ein Integral “uber Ω bezuglich µ” zuzuordnen.

3.1 Messbare Funktionen

Ist (Ω,A, µ) mit (wie ublich) A 6= P(Ω), so ist es nicht moglich, beliebige f :Ω → R zu integrieren. Wir mussen voraussetzen, dass f mit den σ-Algebren Aund B vertraglich ist. Allgemein definiert man:

Definition 3.1 Es seien (Ω,A), (Ω′,A′) messbare Raume.

(i) Eine Abbildung f : Ω→ Ω′ heißt A-A′-messbar, wenn gilt

f−1(A′) ∈ A ∀A′ ∈ A′.

(ii) Ist (Ω′,A′) = (R,B), so nennt man eine A-B-messbare Abbildung aucheinfach A-messbar.

(iii) Ist (Ω,A) = (Rn,L) und (Ω′,A′) = (R,B), so nennt man eine L-B-messbare Abbildung auch einfach messbar.

Insbesondere werden wir fur Funktionen f : Ω → R den Bildraum R immer mitder σ-Algebra der Borel-Mengen B versehen.

Es ist in der Integrationstheorie oft praktisch, auch die Funktionswerte ±∞zuzulassen, d.h. f : Ω → R = R ∪ −∞ ∪ ∞ zu betrachten. Dazu kann maneinfach B zur σ-Algebra B fortsetzen, die aus allen Mengen der Form

B, B ∪ −∞, B ∪ ∞ und B ∪ −∞,∞

mit B ∈ B besteht. (Dies ist wirklich eine σ-Algebra!)

27

Definition 3.2 Ist (Ω,A) ein messbarer Raum, so nennt man eine A-B-messbareFunktion f : Ω→ R eine A-messbare numerische Funktion.

Reellwertige A-messbare numerische Funktionen sind naturlich A-messbar.Ein Kriterium, das die Uberprufung der Messbarkeit von Funktionen sehr

vereinfacht ist das folgende:

Satz 3.3 Es seien (Ω,A), (Ω′,A′) messbare Raume, C ⊂ A′ mit σ(C) = A′.f : Ω→ Ω′ ist genau dann A-A′-messbar, wenn

f−1(C) ∈ A ∀C ∈ C

gilt.

Beweis. Es ist leicht nachzuprufen, dass das ‘System der guten Mengen’

A′ ∈ A′ : f−1(A′) ∈ A

eine σ-Algebra ist. Da es C enthalt, muss es auch σ(C) = A enthalten, so dassdie angegebene Bedingung hinreichend ist. Die Notwendigkeit ist klar.

Korollar 3.4 Eine Funktion f : Rn → Rm ist Borel-messbar (d.h. Bn-Bm-messbar) genau dann, wenn f−1(U) ⊂ Rn fur jede offene Menge U ⊂ Rm Borel-messbar ist.

Insbesondere sind alle stetigen Funktionen f : Rn → Rm Borel-messbar.

Beweis. Klar.

Korollar 3.5 Es sei (Ω,A) ein messbarer Raum und f : Ω→ R eine Abbildung.Dann sind aquivalent:

(i) f ist eine A-messbare numerische Funktion.

(ii) f−1([−∞, a)) ∈ A fur alle a ∈ Q.

(iii) f−1([−∞, a]) ∈ A fur alle a ∈ Q.

(iv) f−1((a,∞]) ∈ A fur alle a ∈ Q.

(v) f−1([a,∞]) ∈ A fur alle a ∈ Q.

Abkurzend schreibt man die Mengen aus (ii) auch als f < a := x : f(x) <a = f−1((−∞, a)) und entspechend f ≤ a, f > a, f ≥ a in (iii), (iv)bzw. (v).

28

Beweis. Es ist klar, dass fur messbares f und jedes a ∈ R all die Mengen f < a,f ≤ a, f > a und f ≥ a in A liegen. Um etwa (ii) =⇒ (i) zu zeigen,genugt es nach Satz 3.3 zu begrunden, dass

C = (−∞, a) : a ∈ Q

die σ-Algebra B erzeugt. Das aber sieht man so: Zunachst ergibt sich der Reihenach, dass

−∞ =⋂k∈N

[−∞,−k), R =⋃k∈N

[−∞, k) \ −∞,

∞ = R \ (R ∪ −∞) und −∞,∞

in σ(C) liegen.Weiter kann man fur a, b ∈ R Folgen ak a und bk b mit ak, bk ∈ Q

wahlen, so dass gilt

[a, b) = [−∞, b) \ [−∞, a) =

(⋃k

[−∞, bk)

)\

(⋃k

[−∞, bk)

)∈ σ(C),

was zeigt, dass σ(C)|R = B ∩ R : B ∈ σ(C) = B ist.Zusammengefasst folgt

B, B ∪ −∞, B ∪ ∞ und B ∪ −∞,∞ ∈ B

fur alle B ∈ B.

Ubung: Zeigen Sie die noch nicht bewiesenen Implikationen.

Proposition 3.6 Sind (Ω,A), (Ω′,A′), (Ω′′,A′′) messbare Raume und f : Ω →Ω′ A-A′-messbar, g : Ω′ → Ω′′ A′-A′′-messbar, so ist g f : Ω → Ω′′ A-A′′-messbar.

Beweis. Klar: Fur A ∈ A′′ ist g−1(A) ∈ A′ und daher f−1(g−1(A)) ∈ A.

Achtung! Sind f, g : R→ R messbar gemaß Definition 3.1, also L-B-messbar,so muss g f nicht messbar sein. Proposition 3.6 garantiert dies nur, wenn fL-B-messbar und g B-B-messbar oder wenn f L-L-messbar und g L-B-messbarist. In den Ubungsaufgaben werden wir sehen, dass es eine stetige (und damitL-B-messbare) Funktion f gibt, die aber nicht L-L messbar ist. Es gibt also einA ∈ L mit f−1(A) /∈ L. Verknupft mit der messbaren Funktion g = χA ist dannaber

(g f)−1(1) = f−1(g−1(1)) = f−1(A) /∈ L.

Wir zeigen nun, dass sich aus messbaren Funktionen viele weitere messbareFunktionen ergeben.

29

Proposition 3.7 Es seien f, g, f1, f2, . . . A-messbare numerische Funktionen aufeinem messbaren Raum (Ω,A), t ∈ R, p > 0. Dann sind auch

(i) |f |p, (ii) tf, (iii) f+, (iv) f−,

(v) maxf, g, (vi) minf, g, (vii) f + g, (viii) f · g,(ix) sup

k∈Nfk, (x) inf

k∈Nfk, (xi) lim sup

k→∞fk, (xii) lim inf

k→∞fk,

(xiii) limk→∞

fk

(in (vii) falls uberall definiert, d.h. fur kein x ∈ Ω der Fall f(x), g(x) =−∞,∞ auftritt, und in (xiii) falls existent) A-messbare numerische Funktio-nen.

Beweis. Wir zeigen exemplarisch (i), (vii), (viii), (ix) und (xi). Die ubrigen Aus-sagen ergeben sich direkt aus diesen oder sind einfach.

(i) Das folgt aus Korollar 3.5, denn fur jedes a ∈ R ist

|f |p < a =

∅ ∈ A fur a < 0,

f > −a1/p ∩ f < a1/p ∈ A fur a ≥ 0.

(vii) Das folgt wieder aus Korollar 3.5, denn fur jedes a ∈ R ist

f + g < a = f < a− g =⋃q∈Q

f < q ∩ q < a− g

=⋃q∈Q

f < q ∩ g < a− q ∈ A.

(viii) Wegen fg = f+g+− f−g+− f+g−+ f−g− darf man nach (ii), (iii), (iv)und (vii) o.B.d.A. f, g ≥ 0 annehmen. Fur alle a ≤ 0 ist dann fg < a = ∅ ∈ Aund auch fur a > 0 ist

fg < a =

(f <

a

g

∩ g > 0

)∪ g = 0

=

⋃q∈Q∩(0,∞)

f < q ∩q <

a

g

∩ g > 0

∪ g = 0

=

⋃q∈Q∩(0,∞)

f < q ∩g <

a

q

∩ g > 0

∪ g ≤ 0 ∩ g ≥ 0) ∈ A.

(ix) Auch das folgt aus Korollar 3.5, denn fur jedes a ∈ R ist

supkfk ≤ a =

⋂k

fk ≤ a ∈ A.

30

(xi) Nach (ix) und (x) ist lim supk fk = infk∈N supm≥k fm eine A-messbarenumerische Funktion.

Ubung: Zeigen Sie die ubrigen Aussagen!

Die Messbarkeit vektorwertiger Abbildungen ergibt sich in einfacher Weiseaus der Messbarkeit der Komponentenfunktionen.

Proposition 3.8 Es sei (Ω,A) ein messbarer Raum und f = (f1, . . . , fm) : Ω→Rm. Dann ist f A-Bm-messbar genau dann, wenn alle fj A-B1 messbar sind.

Beweis. Das folgt direkt aus Satz 3.3: Sind die fj A-messbar, so gilt fur allea1, . . . , an, b1, . . . , bn ∈ R

f−1([a1, b1)× . . .× [an, bn)) = x : a1 ≤ f1(x) < b1, . . . , an ≤ f1(x) < bn, = f−1([a1, b1)) ∩ . . . ∩ f−1([an, bn)) ∈ A,

was zeigt, dass f A-Bm-messbar ist. Ist umgekehrt f als A-Bm-messbar voraus-gesetzt, so folgt

f−1j ([a, b)) = f−1(R× . . .× R︸ ︷︷ ︸

(j − 1)-mal

×[a, b)× (R× . . .× R︸ ︷︷ ︸(n− j − 1)-mal

) ∈ A,

fur jedes j ∈ 1, . . . ,m und alle a, b ∈ R, weshalb alle fj A-messbar sind.

3.2 Das Integral

Das Integral fur einfache Funktionen

Das Pendant zu den (nicht-negativen) Treppenfunktionen sind in der Lebesgue-schen Theorie die einfachen Funktionen:

Definition 3.9 Ist (Ω,A) ein messbarer Raum, so heißt jede Funktion f : Ω→ Rvon der Form

f =N∑j=1

ajχAj , A1, . . . , AN ∈ A, a1, . . . , aN ∈ R+, N ∈ N,

einfach.

Bemerkung. Die einfachen Funktionen sind also gerade diejenigen nicht-negativenA-messbaren Funktionen, die nur endlich viele Werte annehmen. Dabei lassen sichdie Aj immer als paarweise disjunkt wahlen, indem man fur f(Ω) = a1, . . . , aNdie Aj als Aj = f−1(aj) wahlt. Offensichtlich sind mit f, g einfach und a ≥ 0auch

f + g und af

einfach.

31

Definition 3.10 Es sei (Ω,A, µ) ein Maßraum und f =∑N

j=1 ajχAj eine ein-fache Funktion mit paarweise disjunkten A1, . . . , AN ∈ A, N ∈ N. Dann setztman ∫

Ω

f dµ :=N∑j=1

ajµ(Aj)

und nennt diesen Wert das Integral von f uber Ω bezuglich µ.

Das folgende Lemma zeigt, dass dieser Begriff wohldefiniert ist:

Lemma 3.11 Es sei f einfach mit

f =N∑j=1

ajχAj =N ′∑j=1

a′jχA′j

fur paarweise disjunkte A1, . . . , AN ∈ A und paarweise disjunkte A′1, . . . , A′N ′ ∈

A, N,N ′ ∈ N. Dann gilt

N∑j=1

ajµ(Aj) =N ′∑j=1

a′jµ(A′j).

Beweis. Indem wir gegebenenfalls 0 · χΩ\⋃j Aj

bzw. 0 · χΩ\⋃j A′j

addieren, konnenwir o.B.d.A.

A1 ∪ . . . ∪ AN = A′1 ∪ . . . ∪ A′N ′ = Ω

annehmen. Es gilt dann∑i,j

aiχAi∩Aj =∑i

aiχAi = f =∑j

a′jχA′j =∑i,j

a′jχAi∩A′j .

Da die Mengen Ai ∩ A′j paarweise disjunkt sind, muss fur jedes Indexpaar (i, j)mit Ai ∩ A′j 6= ∅ daher ai = a′j gelten. Dann aber ist∑

i

aiµ(Ai) =∑i,j

aiµ(Ai ∩ Aj) =∑i,j

a′jµ(Ai ∩ A′j) =∑j

a′jµ(A′j).

Beispiel: Schon jetzt konnen wir Funktionen integrieren, die nicht Riemann-integrierbar sind: Da [0, 1] ∩ Q eine Borel-Menge ist, ist χ[0,1]∩Q einfach. Dabeiist ∫

Rχ[0,1]∩Q dλ = λ([0, 1] ∩Q) = 0,

da [0, 1] ∩Q abzahlbar ist.

32

Lemma 3.12 Sind f, g einfache Funktionen auf einem Maßraum (Ω,A, µ) unda ≥ 0, so ist

(i)∫

Ωaf dµ = a

∫Ωf dµ,

(ii)∫

Ωf + g dµ =

∫Ωf dµ+

∫Ωg dµ und

(iii) f ≤ g =⇒∫

Ωf dµ ≤

∫Ωg dµ.

Beweis. (i) ist klar.(ii) Es seien

f =N∑j=1

ajχAj und g =N ′∑j=1

a′jχA′j

mit paarweise disjunktenA1, . . . , AN ∈ A und paarweisen disjunktenA′1, . . . , A′N ′ ∈

A, N,N ′ ∈ N, deren jeweilige Vereinigung wieder o.B.d.A. ganz Ω sei. Dann ist

f =∑i,j

aiχAi∩A′j und g =∑i,j

a′jχAi∩A′j ,

wobei die Ai ∩ A′j paarweise disjunkt sind, so dass sich∫Ω

(f + g) dµ =∑i,j

(ai + a′j)µ(Ai ∩ A′j)

=∑i,j

aiµ(Ai ∩ A′j) +∑i,j

a′jµ(Ai ∩ A′j)

=∑i

aiµ(Ai) +∑j

a′jµ(A′j)

=

∫Ω

f dµ+

∫Ω

g dµ

ergibt.(iii) Mit den Bezeichnungen aus (ii) erhalten wir aus∑

i,j

aiχAi∩A′j = f ≤ g =∑i,j

a′jχAi∩A′j ,

dass ai ≤ a′j gilt, wann immer Ai ∩ A′j 6= ∅ ist, und somit∫Ω

f dµ =∑i,j

aiµ(Ai ∩ A′j) ≤∑i,j

a′jµ(Ai ∩ A′j) =

∫Ω

g dµ.

33

Das Integral fur nicht-negative messbare Funktionen

Das Integral fur allgemeine nicht-negative messbare numerische Funktionen wol-len wir durch Approximation mit einfachen Funktionen definieren. Dazu benoti-gen wir die folgenden Vorbereitungen.

Lemma 3.13 Es seien f1 ≤ f2 ≤ . . . und f einfache Funktionen auf einemMaßraum (Ω,A, µ) mit f ≤ limk→∞ fk. Dann gilt∫

Ω

f dµ ≤ limk→∞

∫Ω

fk dµ.

(Beachte, dass wegen der Monotonie der Folge (fk) der punktweise Grenzwertlimk→∞ fk und der Limes limk→∞

∫Ωfk dµ in [0,∞] exstieren.)

Beweis. Es sei 0 ≤ t < 1. Dann ist fur jedes k ∈ N

Bk := fk ≥ tf = fk − tf ≥ 0 ∈ A.

Nach Voraussetzung ist dabei B1 ⊂ B2 ⊂ . . . und⋃k Bk = Ω. Wahle aj ≥ 0,

Aj ∈ A, j = 1, . . . , N , mit

f =N∑j=1

ajχAj .

Da µ stetig von unten ist (vgl. die Ubungsaufgaben), folgt damit

t

∫f dµ = t

N∑j=1

ajµ(Aj) = t limk→∞

N∑j=1

ajµ(Aj ∩Bk)

= limk→∞

∫tfχBk dµ ≤ lim

k→∞

∫fkχBk dµ ≤ lim

k→∞

∫fk dµ.

t ∈ [0, 1) war aber beliebig, so dass die Behauptung folgt.

Korollar 3.14 Es seien f1 ≤ f2 ≤ . . . und g1 ≤ g2 ≤ . . . einfache Funktionenauf einem Maßraum (Ω,A, µ) mit limk→∞ fk = limk→∞ gk. Dann gilt

limk→∞

∫Ω

fk dµ = limk→∞

∫Ω

gk dµ.

Beweis. Fur jedes m ∈ N ist fm ≤ limk→∞ fk = limk→∞ gk und daher nachLemma 3.13 ∫

fm dµ ≤ limk→∞

∫gk dµ.

Mit m→∞ zeigt dies

limm→∞

∫fm dµ ≤ lim

k→∞

∫gk dµ.

Die umgekehrte Ungleichung folgt analog.

Als letzte Vorbereitung zeigen wir:

34

Lemma 3.15 Es sei (Ω,A) ein messbarer Raum. Eine Funktion f : Ω → R istgenau dann eine nicht-negative A-messbare numerische Funktion f , wenn es einemonoton wachsende Folge einfacher Funktionen (ϕk) mit ϕk → f gibt.

Beweis. Nach Proposition 3.7 ist jeder Limes einer Folge einfacher Funktioneneine nicht-negative A-messbare numerische Funktion. Die Umkehrung ergibt sich,indem man etwa

ϕk =k2k∑j=1

j − 1

2jχAk,j , Ak,j = f−1

([j − 1

2k,j

2k

)).

setzt.

Nach all diesen Vorbereitungen konnen wir definieren:

Definition 3.16 Fur eine nicht-negative A-messbare numerische Funktion f aufeinem Maßraum (Ω,A, µ) definiert man∫

Ω

f dµ = limk→∞

∫Ω

ϕk dµ,

wobei ϕk eine monoton steigend gegen f konvergente Folge von einfachen Funktio-nen ist, und nennt diesen Wert (∈ [0,∞]) das Integral von f uber Ω bezuglich µ.

Unsere Voruberlegungen zeigen, dass dies wohldefiniert ist. Indem man fur einfa-che Funktionen f alle ϕk = f setzt, sieht man auch, dass dies mit dem Integral-begriff fur f aus Definition 3.10 ubereinstimmt.

Lemma 3.17 Sind f, g nicht-negative A-messbare numerische Funktionen aufeinem Maßraum (Ω,A, µ), a ≥ 0, so gilt dies auch fur af und f + g und es ist

(i)∫

Ωaf dµ = a

∫Ωf dµ,

(ii)∫

Ωf + g dµ =

∫Ωf dµ+

∫Ωg dµ und

(iii) f ≤ g =⇒∫

Ωf dµ ≤

∫Ωg dµ.

Beweis. Nach Proposition 3.7 sind af und f + g nicht-negative A-messbare nu-merische Funktionen.

(i) und (ii) ergeben sich unmittelbar aus den entsprechenden Punkten in Lem-ma 3.12.

Um (ii) einzusehen, wahle einfache Funktionen ϕk f und ψk g undbeachte, dass fur jedes m ∈ N ϕm ≤ f ≤ g = limk→∞ ψk gilt, so dass aus Lemma3.13 ∫

ϕm ≤ limk→∞

∫ψk =

∫g

folgt. Die Behauptung ergibt sich nun mit m→∞.

35

Das Integral

Das allgemeine Integral erklart man durch Zerlegung in Positiv- und Negativteil.

Definition 3.18 Eine A-messbare numerische Funktion f auf einem Maßraum(Ω,A, µ) heißt integrierbar, wenn

∫Ωf+ dµ und

∫Ωf− dµ endlich sind. In diesem

Fall setzt man ∫Ω

f dµ =

∫Ω

f+ dµ−∫

Ω

f− dµ

und nennt diesen Wert (∈ R) das Integral von f uber Ω bezuglich µ.Die Menge der integrierbaren Funktionen wird mit L 1(Ω,A, µ) bezeichnet.

Bemerkung.

1. Diese Definition ist moglich, da nach Proposition 3.7 ja auch f+ und f−

A-messbare numerische Funktionen sind.

2. Beachte: Fur f ≥ 0 ist f− = 0, so dass diese Definition mit Definition 3.16vertraglich ist. Nur diejenigen f ≥ 0, nennt man aber integrierbar, fur die∫

Ωf dµ endlich ist.

3. Wenn keine Verwirrungen zu befurchten sind, schreibt man oft auch nur∫f oder

∫f dµ fur

∫Ωf dµ. Auch die Schreibweisen

∫Ωf(x) dµ(x) und∫

Ωf(x)µ(dx) sind gebrauchlich. Speziell fur das Lebesgue-Maß benutzt man

auch wieder die Notation∫f dλ =

∫f(x) dx.

Satz 3.19 Sind f, g ∈ L 1(Ω,A, µ), a ∈ R, so ist auch af , f + g (wenn uberalldefiniert) und |f | ∈ L 1(Ω,A, µ) und es gilt

(i)∫

Ωaf dµ = a

∫Ωf dµ,

(ii)∫

Ωf + g dµ =

∫Ωf dµ+

∫Ωg dµ,

(iii) f ≤ g =⇒∫

Ωf dµ ≤

∫Ωg dµ und

(iv) |∫

Ωf dµ| ≤

∫Ω|f | dµ.

Das Integral ist also eine monotone lineare Abbildung auf dem Vektorraum derintegrierbaren Funktionen mit Werten in R.

Beweis. Nach Proposition 3.7 sind af , f + g und |f | A-messbare numerischeFunktionen.

(i) Wegen

(af)+ =

af+ fur a ≥ 0,

−af− fur a ≤ 0und (af)− =

af− fur a ≥ 0,

−af+ fur a ≤ 0

36

sind sowohl∫

(af)+ als auch∫

(af)− endlich mit∫af =

∫(af)+ −

∫(af)− =

a∫f+ − a

∫f− = a

∫f fur a ≥ 0,

−a∫f− + a

∫f+ = a

∫f fur a ≤ 0.

(ii) (f + g)+, f+ und g+ sind nicht-negative A-messbare numerische Funktio-nen mit (f + g)+ ≤ f+ + g+, so dass nach Lemma 3.17(iii) und (ii)∫

(f + g)+ ≤∫f+ + g+ =

∫f+ +

∫g+ <∞

ist. Eine analoge Abschatzung gilt fur die Negativteile. Dies zeigt, dass f + gintegrierbar ist.

Mit (f + g)+ − (f + g)− = f + g = f+ − f− + g+ − g− folgt dann wieder ausLemma 3.17(ii)∫

(f + g)+ +

∫f− +

∫g− =

∫(f + g)− +

∫f+ +

∫g+

und damit ∫(f + g) =

∫(f + g)+ −

∫(f + g)− =

∫f +

∫g.

(iii) Das folgt aus Lemma 3.17(iii) wegen f ≤ g =⇒ f+ ≤ g+ und f− ≥ g−.(iv) ergibt sich nun aus (iii) und (i), da f,−f ≤ |f | ist.

Wir konnen nun Funktionen auch uber Teilmengen von Ω integrieren.

Definition 3.20 Ist (Ω,A, µ) ein Maßraum, M ∈ A und f eine nicht-negativeA-messbare numerische Funktion oder f ∈ L 1(Ω,A, µ), so setzen wir∫

M

f dµ :=

∫Ω

fχM dµ.

Ubung: Uberlegen Sie sich, dass dieser Wert gerade∫M

f |M d(µbM)

(vgl. Beispiel 7 von Seite 9) ist.

Speziell fur Nullmengen gilt:

Lemma 3.21 Ist N eine Nullmenge im Maßraum (Ω,A, µ) und f eine nicht-negative A-messbare numerische Funktion oder f ∈ L 1(Ω,A, µ), so gilt∫

N

f dµ = 0.

37

Beweis. Es genugt den Fall, dass f eine nicht-negative A-messbare numerischeFunktion ist, zu betrachten. Dazu sei

g(x) =∞ · χN =

∞ fur x ∈ N,0 fur x /∈ N.

Da die Folge der einfachen Funktionen ϕk = kχM monoton steigend gegen gkonvergiert, gilt ∫

Ω

g dµ = limk→∞

ϕk = limk→∞

0 · kµ(N) = 0.

Andererseits ist sicherlich f ≤ g, so dass die Behauptung aus Lemma 3.17(iii)folgt.

Ubung: Zeigen Sie, dass fur eine A-messbare numerische Funktion f mit f > 0die Umkehrung gilt: Ist ∫

N

f dµ = 0,

so muss N eine Nullmenge sein.

Ubung: Es sei [a, b] ein Intervall. Zeigen Sie dass jede Riemann-integrierbareFunktion auf [a, b] auch Lebesgue-integrierbar ist und dass ihr Riemann-Integralmit dem Lebesgue-Integral ubereinstimmt.

Definition 3.22 Man sagt, dass eine Aussage uber die Punkte x ∈ Ω eines Maß-raums (Ω,A, µ) µ-fast-uberall gilt (abgekurzt: µ-f.u.), wenn es eine Nullmenge Ngibt, so dass diese Aussage auf alle x ∈ Ω \N zutrifft.

Insbesondere sagt man also, dass zwei Funktionen f und g µ-f.u. gleich sind,wenn sie außerhalb einer Nullmenge ubereinstimmen. Als Korollar zu Lemma3.21 und Satz 3.19 ergibt sich dann:

Korollar 3.23 Es seien f, g : Ω → R A-messbare numerische Funktionen mitf = g µ-f.u.

(i) Sind f und g nicht-negativ, so gilt∫

Ωf dµ =

∫Ωg dµ.

(ii) Ist f integrierbar, so ist auch g integrierbar und es gilt∫

Ωf dµ =

∫Ωg dµ.

Beweis. (i) Nach Voraussetzung ist f 6= g (= f − g ≤ 0 ∩ f − g ≥ 0 ∈ A)eine Nullmenge und daher∫

Ω

f dµ =

∫Nc

f dµ+ 0 =

∫Nc

g dµ+ 0 =

∫Ω

g dµ.

(ii) Mit f = g f.u. ist auch f+ = g+ f.u. und f− = g− f.u. und daher nach (i)∫Ω

g+ dµ =

∫Ω

f+ dµ (∈ R) und

∫Ω

g− dµ =

∫Ω

f− dµ (∈ R).

38

Daraus folgt die Behauptung.

Zum Ende dieses Abschnitts bemerken wir noch den folgenden elementarenZusammenhang: Ist Ω eine Menge, auf der zwei σ-Algebren A ⊂ A und zweiMaße µ, µ auf A bzw. A gegeben sind, so dass µ durch µ fortgesetzt wird, sogilt fur jede A-messbare nicht-negative numerische oder integrierbare Funktionf , die dann ja auch A-messbar ist,∫

Ω

f dµ =

∫Ω

f dµ.

Ubung: Uberlegen Sie sich das!

Ist insbesondere µ = µ auf A = A die Vervollstandigung von µ auf A (vgl.Lemma und Definition 2.20), so ist umgekehrt jede A-messbare Funktion f nachgeeigneter Abanderung auf einer Nullmenge schon A-messbar. (Zu jedem a ∈ Qgibt es eine NullmengeNa ∈ Amit f ≤ a\Na ∈ A. Dann ist auchN =

⋃a∈QNa

eine Nullmenge und die Funktion f ′ = fχΩ\N +∞ · χN erfullt wegen

f ′ ≤ a = f ≤ a \N = (f ≤ a \Na) \N ∈ A ∀a ∈ Q

nach Korollar 3.5 die gewunschten Eigenschaften.) Aus Korollar 3.23 folgt dann∫Ω

f ′ dµ =

∫Ω

f dµ.

Speziell in Bezug auf die Integration bezuglich des Lebesguemaßes und desLebesgue-Borel-Maßes heißt das also, dass man bei Borel-messbaren Funktionennicht darauf achten muss, bezuglich welches dieser Maße integriert wird, unddass bei Lebesgue-messbaren Funktionen – ggf. nach Abanderung auf einer furdie Integration irrelevanten Nullmenge – auch immer das Lebesgue-Borel-Maßzugrunde gelegt werden kann.

Vektorwertige und komplexe Integrale

Nach Proposition 3.8 ist eine vektorwertige Funktion f = (f1, . . . , fm) : Ω→ Rm

auf einem Maßraum (Ω,A, µ) genau dann A-Bm-messbar, wenn ihre Komponen-tenfunktionen fj A-messbar sind. Wir definieren daher:

Definition 3.24 eine vektorwertige A-Bm-messbare Funktion f = (f1, . . . , fm) :Ω→ Rm auf einem Maßraum (Ω,A, µ) heißt integrierbar, wenn alle fj integrier-bar sind. In diesem Fall setzt man∫

Ω

f dµ =

(∫Ω

f1 dµ, . . . ,

∫Ω

fm dµ

)und nennt diesen Wert (∈ Rm) das Integral von f uber Ω bezuglich µ.

Die Menge der integrierbaren Funktionen wird mit L 1(Ω,A, µ;Rm) bezeich-net.

39

Dies kollidiert nicht mit unserer fruheren Definition fur m = 1. Speziell furm = 2 konnen wir R2 mit C identifizieren und erhalten so fur komplexwertigeFunktionen f ∈ L 1(Ω,A, µ;C) genau dann wenn Real- und Imaginarteil inte-grierbar sind mit ∫

Ω

f dµ =

∫Ω

Re f dµ+ i

∫Ω

Im f dµ.

Offenbar ist eine A-Bm-messbare Funktion f genau dann integrierbar, wennalle Integrale

∫Ω|fj| dµ endlich sind, also genau dann, wenn∫

Ω

‖f‖ dµ <∞

fur eine Norm ‖ · ‖ (und dann alle Normen) auf dem Rm gilt.

Bemerkung. Es ist dann ∥∥∥∥∫Ω

f dµ

∥∥∥∥ ≤ ∫Ω

‖f‖ dµ.

Wir werden diese Abschatzung im Weiteren nicht benotigen und verzichten daherauf den Beweis.

Freiwillige Ubung: Beweisen Sie diese Abschatzung.Tipp: Approximieren Sie allgemeine Funktionen in L 1(Ω,A, µ;Rm) durch Funk-tionen der Form

∑Nj=1 aj χAj , A1, . . . , AN ∈ A.

3.3 Die Konvergenzsatze

Der große Vorteil des Lebesgue-Integrals im Vergleich etwa zum Riemann-Integralliegt nun nicht nur darin, dass eine wesentlich großere Klasse von Funktionenintegriert werden kann. Es gelten vor allem auch sehr starke Konvergenzsatzeuber die Vertauschung von Integral und Limes bei Funktionenfolgen. Diese Satzesind von grundlegender Bedeutung in der Analysis.

Wir untersuchen in diesem Abschnitt Funktionenfolgen (fk) auf einem Maß-raum (Ω,A, µ), die fast uberall gegen eine Grenzfunktion f konvergieren (vgl. De-finition 3.22): fk → f µ-f.u., d.h. es gibt eine Nullmenge N ∈ A mit fk(x)→ f(x)fur alle x ∈ Ω \N .

Satz 3.25 (Satz von der monotonen Konvergenz / Satz von Beppo Levi)Es seien f, f1, f2, . . . : Ω→ R A-messbar mit fk f µ-f.u.

(i) Ist fk ≥ 0 fur alle k, so gilt

limk→∞

∫Ω

fk dµ =

∫Ω

f dµ (∈ [0,∞]).

40

(ii) Sind alle fk integrierbar, so ist f genau dann integrierbar, wenn limk→∞∫

Ωfk dµ <

∞ ist. In diesem Fall gilt

limk→∞

∫Ω

fk dµ =

∫Ω

f dµ.

Bemerkungen.

1. Naturlich gilt ein ensprechendes Resultat in (ii) fur fk f .

2. Ist der Maßraum (Ω,A, µ) vollstandig, so folgt die Messbarkeit von f ausder Messbarkeit der fk.

Beweis. Indem wir f, f1, f2, . . . auf einer geeigneten Nullmenge N abandern, in-dem wir etwa zu χNcf, χNcf1, χNcf2, . . . ubergehen, was die auftretenden Integralenicht verandert, durfen wir o.B.d.A. annehmen, dass fk f sogar punktweisegilt.

(i) Es gibt einfache Funktionen ϕk,m fk fur m→∞. Setzt man

ψk = maxϕ1,k, . . . , ϕk,k,

so ist erstens ψk wieder einfach, zweitens

ψk = maxϕ1,k, . . . , ϕk,k ≤ maxϕ1,k+1, . . . , ϕk,k+1≤ maxϕ1,k+1, . . . , ϕk,k+1, ϕk+1,k+1 = ψk+1

fur alle k, drittens

ψk = maxϕ1,k, . . . , ϕk,k ≤ maxf1, . . . fk = fk ≤ f

und viertens auchlimk→∞

ψk ≥ limk→∞

ϕm,k = fm

fur jedes m. Zusammengefasst: (ψk) ist eine monoton wachsende Folge einfacherFunktionen mit ψk ≤ fk fur jedes k und ψk → f . Es folgt∫

Ω

f dµ = limk→∞

∫Ω

ψk dµ ≤ limk→∞

∫Ω

fk dµ ≤∫

Ω

f dµ,

was

limk→∞

∫Ω

fk dµ =

∫Ω

f dµ

zeigt.(ii) Setze gk = fk − f1 ∈ L 1(Ω,A, µ), so dass 0 = g1 ≤ g2 ≤ . . . und

gk → g = f − f1 gilt. Nach (i) ist dann

limk→∞

∫Ω

fk dµ−∫

Ω

f1 dµ = limk→∞

∫Ω

gk dµ =

∫Ω

g dµ.

41

g ist genau dann integrierbar, wenn dieser Ausdruck endlich ist, womit f genaudann integrierbar ist, wenn limk→∞

∫Ωfk <∞ ist. In diesem Fall folgt dann wegen∫

g =∫f −

∫f1 auch

limk→∞

∫Ω

fk dµ =

∫Ω

f dµ.

Beispiel: Fur jede nicht-negative A-messbare numerische Funktion ist durch

µ′(A) =

∫A

f dµ

ein Maß auf (Ω,A) definiert. Denn offenbar ist∫∅ f dµ = 0 und fur paarweise

disjunkte A1, A2, . . . ∈ A gilt

µ′

(⋃j

Aj

)=

∫⋃j Aj

f dµ =

∫Ω

∑j

χAjf dµ =∑j

∫Ω

χAjf dµ =∑j

µ′(Aj)

nach dem Satz von der monotonen Konvergenz.

Bemerkung. Man sagt in diesem Fall, dass µ′ die Dichte f bezuglich µ hat. NachLemma 3.21 ist dann jede µ-Nullmenge auch eine µ′-Nullmenge. Der bemerkens-werte Satz von Radon-Nikodym, den wir hier allerdings nicht beweisen werden,besagt, dass die Umkehrung auch richtig ist, genauer: Ist jede µ′-Nullmenge aucheine µ-Nullmenge und µ σ-endlich, so besitzt µ′ eine Dichte bezuglich µ, vgl.[Bau].

Satz 3.26 (Lemma von Fatou) Fur jede Folge (fk) nicht-negativer A-messbarernumerischer Funktionen gilt∫

Ω

lim infk→∞

fk dµ ≤ lim infk→∞

∫Ω

fk dµ.

Beweis. Setze gk = infm≥k fm, so dass gk lim infk→∞ fk gilt. Wegen fk ≥ gkfolgt aus dem Satz von der monotonen Konvergenz dann

lim infk→∞

∫Ω

fk dµ ≥ limk→∞

∫Ω

gk dµ =

∫Ω

lim infk→∞

fk dµ.

Satz 3.27 (Satz von der majorisierten Konvergenz / Satz von Lebesgue)Es seien f1, f2, . . . A-messbare numerische Funktionen auf einem Maßraum (Ω,A, µ)mit fk → f punktweise µ-f.u. Des Weiteren gebe es eine integrierbare Funktiong ∈ L 1(Ω,A, µ) mit |fk| ≤ g fur alle k. Dann sind die auch die Funktionenf, f1, f2, . . . integrierbar und es gilt

limk→∞

∫Ω

fk dµ =

∫Ω

f dµ.

42

Man nennt g eine integrierbare Majorante.

Beweis. Wieder durfen wir o.B.d.A. fk → f punktweise annehmen. Mit |fk| ≤ gfur alle k ist auch |f | ≤ g und damit f, f1, f2, . . . integrierbar. Nach dem Lemmavon Fatou ist nun einerseits

lim infk→∞

∫fk +

∫g = lim inf

k→∞

∫(fk + g) ≥

∫lim infk→∞

(fk + g) =

∫(f + g)

und andererseits∫g − lim sup

k→∞

∫fk = lim inf

k→∞

∫(g − fk) ≥

∫lim infk→∞

(g − fk) =

∫(g − f).

Es folgt

lim infk→∞

∫fk ≥

∫f ≥ lim sup

k→∞

∫f

und daraus die Behauptung.

Beispiel: Ganz ohne weitere Voraussetzung darf man punktweise Limites nichtmit der Integration vertauschen, wie das Beispiel fk = kχ(0,1/k) auf R mit demLebesgue-Maß zeigt: Einerseits gilt fk → 0 pnktweise, andererseits ist

∫fk = 1 6=

0 =∫

0 fur alle k.

Anwendung: Parameter-abhangige Integrale

Wie in der Analysis 2 betrachten wir Integrale, die von einem Parameter abhangen.Fur Lebesgue-Integrale lassen sich hier nun wesentlich starkere Aussagen uber dieStetigkeit und Differenzierbarkeit bezuglich dieses Parameters zeigen.

Satz 3.28 Es seien (X, d) ein metrischer Raum, x0 ∈ X, (Ω,A, µ) ein Maßraumund f : Ω×X → R eine Funktion, die den folgenden Bedingungen genugt:

(i) ω 7→ f(ω, x) ist integrierbar fur alle x ∈ X.

(ii) x 7→ f(ω, x) ist stetig bei x0 fur alle ω ∈ Ω.

(iii) Es existiert eine integrierbare Funktion g auf Ω mit

|f(ω, x)| ≤ g(ω) ∀ω ∈ Ω, x ∈ X.

Dann ist die Abbildung F : X → R, gegeben durch

F (x) =

∫Ω

f(ω, x)µ(dω),

stetig.

43

Beweis. Ist (xk) eine Folge aus X mit xk → x0, so setze

fk : Ω→ R, fk(ω) = f(ω, xk).

Aus dem Satz von der majorisierten Konvergenz folgt dann

limk→∞

F (xk) = limk→∞

∫Ω

fk(ω)µ(dω) =

∫Ω

f(ω, x)µ(dω) = F (x0).

Satz 3.29 Es seien U ⊂ Rn offen, (Ω,A, µ) ein Maßraum und f : Ω × U → Reine Funktion, die den folgenden Bedingungen genugt:

(i) ω 7→ f(ω, x) ist integrierbar fur alle x ∈ U .

(ii) x 7→ f(ω, x) ist partiell nach xi differenzierbar fur alle ω ∈ Ω.

(iii) Es existiert eine integrierbare Funktion g auf Ω mit

|∂xif(ω, x)| ≤ g(ω) ∀ω ∈ Ω, x ∈ U.

Dann ist die Abbildung F : U → R, gegeben durch

F (x) =

∫Ω

f(ω, x)µ(dω),

partiell nach xi differenzierbar mit

∂xiF (x) =

∫Ω

∂xif(ω, x)µ(dω).

Beweis. Es sei x ∈ U . Fur hk ∈ R mit hk → 0 ist dann fur hinreichend großes kauch x+ hkei ∈ U und es gilt

fk(ω) :=f(ω, x+ hkei)− f(ω, x)

h→ ∂xif(ω, x) ∀ω

sowie nach dem Mittelwertsatz mit geeigneten ξω,k ∈ U

|fk(ω)| = |∂xif(ω, ξω,k)| ≤ g(ω).

Es folgt

limk→∞

F (x+ hkei)− F (x)

h= lim

k→∞

∫Ω

fkµ(dω) =

∫Ω

∂xif(ω, x)µ(dω)

aus dem Satz von der majorisierten Konvergenz.

Bemerkung. In den beiden vorangehenden Satzen wurde es genugen, die Ste-tigkeit bei x0 bzw. die Differenzierbarkeit von x 7→ f(ω, x) nur fur fast alle ωzu fordern. Indem man diese Resultate auf Bε(x0) (als Teilmenge von X mitder induzierten Metrik bzw. von U) anwendet, sieht man, dass es fur die Stetig-keit bei x0 bzw. die partielle Differenzierbarkeit bei x0 ausreicht, entsprechendeMajoranten nur fur x ∈ Bε(x0), ε > 0 beliebig klein, zu finden.

44

3.4 Maße und Integrale auf Produkten

In diesem Abschnitt untersuchen wir sogenannte Produktmaße und die Inte-gration bezuglich dieser Maße auf Produktraumen. Insbesondere stellt sich dasLebesgue-Borel-Maß auf dem Rn gerade als n-faches Produkt des eindimensiona-len Lebesgue-Borel-Maßes heraus. Dies wird es uns letztlich gestatten, Integraleim Rn durch iterierte eindimensionale Integrale auszurechnen.

Definition 3.30 Sind (Ω1,A1), . . . , (ΩN ,AN) messbare Raume, N ∈ N, so defi-niert man die Produkt-σ-Algebra A1 ⊗ . . .⊗AN auf Ω1 × . . .× ΩN durch

A1 ⊗ . . .⊗AN := σ(A1 × . . .× AN : Aj ∈ Aj ∀ j).

Bemerkung. A1 ⊗ . . . ⊗ AN ist die kleinste σ-Algebra auf dem Produkt Ω1 ×. . .× ΩN , so dass alle Projektionen πj : Ω1 × . . .× ΩN → Ωj, (x1, . . . , xN) 7→ xj,j = 1, . . . , N messbar sind. (Warum?)

Beispiel: Ist m,n ∈ N mit m ≤ n, so gilt fur die σ-Algebren der Borel-Mengenauf Rn, Rm und Rn−m

Bn = Bm ⊗ Bn−m.

Begrundung: Da fur je zwei halboffene Quader Q1 = [a1, b1)× . . .× [am, bm) ⊂ Rm

und Q2 = [am+1, bm+1)× . . .× [an, bn) ⊂ Rn−m das Produkt

[a1, b1)× . . .× [am, bn) = Q1 ×Q2

in Bm⊗Bn−m liegt und diese n-dimensionalen Quader die σ-Algebra Bn erzeugen,folgt Bn ⊂ Bm ⊗ Bn−m.

Um die umgekehrte Inklusion zu zeigen, genugt es nachzuweisen, dass alleMengen der Form A×B mit A ∈ Bm und B ∈ Bn−m in Bn liegen. Dazu betrachtenwir zunachst fur einen halboffenen Quader Q ⊂ Rm

C1 := B ∈ Bn−m : Q×B ∈ Bn.

Es ist nicht schwer zu sehen, dass C1 eine σ-Algebra auf Rn−m ist:

• ∅ ∈ C1 (klar),

• B ∈ C1 =⇒ Q×B ∈ Bn =⇒ Q×Bc = (Q×Rn−m) \ (Q×B) ∈ Bn =⇒Bc ∈ C1 (beachte Q× Rn−m =

⋃∞k=1Q× [−k, k)n−m ∈ Bn) und

• B1, B2, . . . ∈ C1 =⇒ Q×⋃j Bj =

⋃j(Q×Bj) ∈ Bn =⇒

⋃j Bj ∈ C1.

Da sie alle halboffenen Quader enthalt, ist sogar C1 = Bn−m. Genauso zeigt man,dass fur jedes B ∈ Bn−m das System

C2 := A ∈ Bm : A×B ∈ Bn

45

eine σ-Algebra auf R ist. (Beachte hierbei, dass nach dem schon Gezeigten Rm×B =

⋃∞k=1[−k, k)m ×B ∈ Bn gilt.)

Wegen Bn−m ⊂ C1 liegt dabei insbesondere jeder halboffene Quader Q ⊂ Rm

in C2. Es ist also auch C2 = Bm. Das aber heißt nichts Anderes, als dass mit jedemA in Bm und B in Bn−m das Produkt A×B in Bn liegt.

Um Maße und Integrale auf Produktraumen zu untersuchen, beschranken wiruns im Wesentlichen auf zwei Faktoren, da man den allgemeinen Fall endlich vielerFaktoren induktiv hierauf zuruckfuhren kann, was wir am Ende dieses Abschnittskurz erlautern werden. Es seien im Folgenden also (Ω1,A1) und (Ω2,A2) messbareRaume.

Definition 3.31 Ist M ⊂ Ω1 × Ω2, so definieren wir fur jedes x1 ∈ Ω1 denx1-Schnitt Mx1 ⊂ Ω2 durch

Mx1 := x2 ∈ Ω2 : (x1, x2) ∈M

und analog fur jedes x2 ∈ Ω2 den x2-Schnitt Mx2 ⊂ Ω1 durch

Mx2 := x1 ∈ Ω1 : (x1, x2) ∈M.

Beachte, dass diese Notation nicht eindeutig ist, wenn Ω1 ∩ Ω2 6= ∅ ist. (Furx ∈ Ω1 ∩ Ω2 bezeichnet dann Ωx zwei verschiedene Mengen, je nachdem, ob xals Element von Ω1 oder von Ω2 aufgefasst ist. Im Kontext wird aber immer klarsein, welche Menge gemeint ist.)

Lemma 3.32 Ist A ∈ A1 ⊗A2, so ist

Ax1 ∈ A2 ∀x1 ∈ Ω1 und Ax2 ∈ A1 ∀x2 ∈ Ω2.

Beweis. Wir beweisen nur die erste Aussage, die zweite zeigt man ganz analog.Es sei x1 ∈ Ω1 beliebig und Cx1 = A ∈ A1 ⊗ A2 : Ax1 ∈ A2. Erstens ist dannCx1 eine σ-Algebra, denn es gilt

• ∅x1 = ∅ ∈ A2 =⇒ ∅ ∈ Cx1 ,

• A ∈ Cx1 =⇒ Ax1 ∈ A2 =⇒ (Ω \A)x1 = Ω2 \Ax1 ∈ A2 =⇒ Ac ∈ Cx1 und

• A1, A2, . . . ∈ Cx1 =⇒ (Aj)x1 ∈ Cx1 ∀ j =⇒ (⋃j Aj)x1 =

⋃j(Aj)x1 ∈ A2

=⇒⋃j Aj ∈ Cx1 .

Zweitens liegt jedes Produkt A1 × A2 mit A1 ∈ A1, A2 ∈ A2 in Cx1 , da ja

(A1 × A2)x1 = x2 ∈ Ω2 : x1 ∈ A1, x2 ∈ A2 =

A2 ∈ A2 fur x1 ∈ A1,

∅ ∈ A2 fur x1 /∈ A1

46

gilt. Zusammen ergibt sich damit Cx1 = A1 ⊗ A2, was gerade die Behauptungwar.

Beispiel: Fur das Produkt nur Lebesgue-messbarer Mengen gilt ein den Borel-Mengen entsprechendes Resultat nicht! Es sei V die Vitali-Menge aus dem Bei-spiel von Seite 26. Dann ist V × 0 als Teilmenge der zweidimensionalen Borel-schen Nullmenge R× 0 eine Lebesgue-Menge. Fur x2 = 0 ist aber

(V × 0)x2 = V

nicht Lebesgue-messbar. Daher ist L1 ⊗ L1 6= L2.Dieses Beispiel zeigt auch, dass eine so einfache Funktion wie f : R → R2,

f(x) = (x, 0) nicht L1-L2 messbar ist, da ja f−1(V × 0) = V ist. Andererseitsist f als stetige Funktion naturlich Borel-messbar.

Es seien nun µi σ-endliche Maße auf (Ωi,Ai), i = 1, 2. Unser Ziel ist es, einMaß µ auf Ω1×Ω2 zu finden, das Produktmengen gerade das Produkt der Maßeihrer Faktoren zuordnet:

Satz 3.33 Sind (Ω1,A1, µ1) und (Ω2,A2, µ2) zwei σ-endliche Maßraume, so gibtes genau ein Maß µ auf Ω1 × Ω2 mit

µ(A1 × A2) = µ1(A1)µ2(A2) ∀A1 ∈ A1, A2 ∈ A2.

Definition 3.34 Dieses Maß wird das Produktmaß von µ1 und µ2 genannt undauch mit µ1 ⊗ µ2 bezeichnet. Fur den Produktraum (Ω1 × Ω2,A1 ⊗ A2, µ1 ⊗ µ2)schreibt man auch (Ω1,A1, µ1)⊗ (Ω2,A2, µ2).

Die wesentliche Idee bei der Konstruktion dieses Maßes ist es, fur A ∈ A1⊗A2

die Schnitte Ax1 mit µ2 zu messen und die Ergebnisse gemaß µ1 aufzuintegrieren– oder umgekehrt, um

µ(A) =

∫Ω1

µ2(Ax1)µ1(dx1) =

∫Ω2

µ1(Ax2)µ2(dx2)

zu erhalten. Um dies rigoros umzusetzen, bedarf es einiger Vorbereitung:

Lemma 3.35 Sind (Ω1,A1, µ1) und (Ω2,A2, µ2) zwei σ-endliche Maßraume, A ∈A1 ⊗A2, so sind fur i = 1, 2 die Abbildungen

Ω1 → [0,∞], x1 7→ µ2(Ax1) und Ω2 → [0,∞], x2 7→ µ1(Ax2)

A1- bzw. A2-messbare numerische Funktionen.

Beweis. Da µ2 σ-additiv ist, gibt es B1, B2, . . . ∈ A2 mit⋃j Bj = Ω2 und µ2(Bj) <

∞ fur alle j. O.B.d.A. durfen wir die Bj als paarweise disjunkt annehmen. Wirfixieren j ∈ N und setzen

f(j)A : Ω1 → [0, µ2(Bj)], x1 7→ µ2(Ax1 ∩Bj)

47

fur A ⊂ Ω1 × Ω2. Wieder betrachten wir das System der guten Mengen

C = A ∈ A1 ⊗A2 : f(j)A ist A1-messbar.

Erstens ist dann C ein Dynkin-System, denn

• f (j)∅ ≡ 0 ist A1-messbar,

• A ∈ C =⇒ f(j)A ist A1-messbar =⇒ f

(j)Ac = µ2(Bj) − f (j)

A ist A1-messbarund

• A1, A2, . . . ∈ C paarweise disjunkt =⇒ f(j)⋃i Ai

=∑

i f(j)Ai

ist A1-messbar.

Zweitens liegt mit A1 ∈ A1 und A2 ∈ A2 wegen

f(j)A1×A2

= µ2(A2 ∩Bj)χA1

auch A1 × A2 in C. Da nun der Schnitt zweier solcher Produkte wieder eineProduktmenge ist ((A1×A2)∩ (A′1×A′2) = (A1 ∩A′1)× (A2 ∩A′2)), ist aber (vgl.die Hausaufgaben) das von diesen Mengen erzeugte Dynkin-System gleich dererzeugten σ-Algebra, also A1 ⊗A2. Dann aber folgt C = A1 ⊗A2, was bedeutet,dass fur jedes A ∈ A1 ⊗A2, j ∈ N die Abbildung f

(j)A A1-messbar ist.

Nach Voraussetzung an die Mengen Bj gilt nun fur jedes A ∈ A1 ⊗A2

x1 7→ µ2(Ax1) =∑j

µ2(Ax1 ∩Bj) =∑j

f(j)A (x1),

weshalb auch diese Abbildung A1-messbar ist.Die A2-Messbarkeit von x2 7→ µ1(Ax2) ergibt sich analog.

Nun sind die oben schon erwahnten Integrale∫

Ω1µ2(Ax1)µ1(dx1) und∫

Ω2µ1(Ax2)µ2(dx2) erklart und wir konnen Satz 3.33 beweisen.

Beweis von Satz 3.33. Definiere µ : A1 ⊗A2 → [0,∞] durch

µ(A) =

∫Ω1

µ2(Ax1)µ1(dx1) ∀A ∈ A1 ⊗A2.

µ ist ein Maß, denn µ(∅) =∫

Ω10µ1(dx1) = 0 und fur paarweise disjunkte

A1, A2, . . . ∈ A1 ⊗A2 gilt

µ

(⋃j

Aj

)=

∫Ω1

µ2

(⋃j

(Aj)x1

)µ1(dx1) =

∫Ω1

∑j

µ2((Aj)x1)µ1(dx1)

=∑j

∫Ω1

µ2((Aj)x1)µ1(dx1) =∑j

µ(Aj),

wobei der vorletzte Schritt aus dem Satz von der monotonen Konvergenz folgte.

48

Fur alle A1 ∈ A1 und A2 ∈ A2 ist außerdem

µ(A1 × A2) =

∫Ω1

µ2(A2)χA1(x1)µ1(dx1) = µ1(A1)µ2(A2).

Ganz analog ergibt sich nun, dass auch µ′ : A1⊗A2 → [0,∞], definiert durch

µ′(A) =

∫Ω2

µ1(Ax2)µ2(dx2) ∀A ∈ A1 ⊗A2,

ein Maß mit

µ′(A1 × A2) = µ1(A1)µ2(A2) ∀A1 ∈ A1, A2 ∈ A2

ist.Es bleibt zu zeigen, dass es hochstens ein Produktmaß auf Ω1×Ω2 geben kann.

Denn dann ist auch notwendigerweise µ = µ′ und der Beweis aller Aussagen ausSatz 3.33 abgeschlossen.

Es seien also µ, µ′ zwei Maße auf A1 ⊗A2, die auf den Produktmengen uber-einstimmen. Wahle Folgen B

(i)1 , B

(i)2 , . . . in Ai mit µi(B

(i)j ) < ∞ fur alle j und⋃

j B(i)j = Ωj, i = 1, 2. Das System C der Produktmengen erzeugt A1⊗A2, enthalt

mit je zwei Mengen auch deren Schnitt und die Mengen B(1)j ×B

(2)k mit

µ(B(1)j ×B

(2)k ) = µ′(B

(1)j ×B

(2)k ) = µ1(B

(1)j )µ2(B

(2)k ) <∞,

fur die⋃j,k(B

(1)j × B

(2)k ) = Ω1 × Ω2 gilt. Aus der Bemerkung nach dem Beweis

des Eindeutigkeitssatzes 2.12 von Seite 19 folgt nun, dass µ = µ′ sein muss.

Beispiel: Ist m,n ∈ N, m ≤ n, so gilt fur das Lebesgue-Borel-Maß

λn = λm ⊗ λn−m.

Wir hatten ja schon gesehen, dass Bn = Bm⊗Bn−m gilt. Die Gleichheit der Maßefolgt, da

λn([a1, b1)× . . .× [an, bn)) = (b1 − a1) · . . . · (bn − an)

= λm([a1, b1)× . . .× [am, bm)) λn−m([am+1, bm+1)× . . .× [an, bn))

fur alle halboffenen Quader [a1, b1)× . . .× [an, bn) ist.

Als nachstes wollen wir nun naturlich Funktionen auf Produktraumen nachProduktmaßen integrieren. Wie beim Aufbau der Integrationstheorie behandelnwir zunachst nicht-negative numerische Funktionen.

Wieder benotigen wir ein vorbereitendes Messbarkeitsresultat.

49

Lemma 3.36 Es seien (Ω1,A1) und (Ω2,A2) messbare Raume und f : Ω1×Ω2 →R eine A1 ⊗A2-messbare Funktion. Dann ist fur jedes x2 ∈ Ω2 die Funktion

Ω1 3 x1 7→ f(x1, x2) A1-messbar

sowie fur jedes x1 ∈ Ω1 die Funktion

Ω2 3 x2 7→ f(x1, x2) A2-messbar.

Beweis. Es genugt wieder, die erste Aussage zu beweisen. Fur jedes x2 ∈ Ω2 folgtdie aber direkt aus

x1 : f(x1, x2) ∈ B = (f−1(B))x2 ∈ A1 ∀B ∈ B

nach Lemma 3.32.

Wir konnen nun das erste Hauptresultat formulieren:

Satz 3.37 (Satz von Tonelli) Es seien (Ω1,A1, µ1) und (Ω2,A2, µ2) σ-endlicheMaßraume und f : Ω1 × Ω2 → [0,∞] eine nicht-negative A1 ⊗ A2-messbare nu-merische Funktion. Dann sind die Funktionen

x1 7→∫

Ω2

f(x1, x2)µ2(dx2) und x2 7→∫

Ω1

f(x1, x2)µ1(dx1)

nicht-negative A1- bzw. A2-messbare Funktionen auf Ω1 bzw. Ω2 und es gilt∫Ω1×Ω2

f(x)µ1 ⊗ µ2(dx) =

∫Ω1

∫Ω2

f(x1, x2)µ2(dx2)µ1(dx1)

=

∫Ω2

∫Ω1

f(x1, x2)µ1(dx1)µ2(dx2).

Beweis. Es genugt wieder, die erste Aussage uber die Messbarkeit und die ersteGleichung zu beweisen.

1. Ist f eine einfache Funktion, etwa f =∑N

j=1 ajχAj , so ist fur jedes x1 ∈ Ω1

x2 7→ f(x1, x2) =N∑j=1

ajχAj(x1, x2) =N∑j=1

ajχ(Aj)x1(x2)

nach Lemma 3.32 eine einfache Funktion auf Ω2. Dann ist

x1 7→∫

Ω2

f(x1, x2)µ2(dx2) =N∑j=1

ajµ2((Aj)x1)

50

A1-messbar nach Lemma 3.35 und nach der Konstruktion des Produktmaßes imBeweis von Satz 3.33∫

Ω1

∫Ω2

f(x1, x2)µ2(dx2)µ1(dx1) =N∑j=1

aj

∫Ω1

µ2((Aj)x1)µ1(dx1)

=N∑j=1

ajµ1 ⊗ µ2(Aj) =

∫Ω1×Ω2

f(x)µ1 ⊗ µ2(dx).

2. Ist nun allgemein f eine nicht-negative numerische Funktion, so gibt eseine Folge einfacher Funktionen (ϕk) mit ϕk f . Wie eben in 1. gesehen, sinddann die Funktionen ϕk(x1, ·) einfache Funktionen auf Ω2 und es gilt naturlichϕk(x1, ·) f(x1, ·) fur jedes x1 ∈ Ω1. Nach dem Satz von der monotonen Kon-vergenz (oder eigtl. der Konstruktion des Integrals) ist nun

x1 7→∫

Ω2

f(x1, x2)µ2(dx2) = limk→∞

∫Ω2

ϕk(x1, x2)µ2(dx2)

als Limes A1-messbarer Funktionen wieder A1-messbar. (Die Messbarkeit desIntegrals einfacher Funktionen hatten wir ja schon oben in 1. gezeigt.)

Nach dem Satz von der monotonen Konvergenz und 1. folgt weiter:∫Ω1

∫Ω2

f(x1, x2)µ2(dx2)µ1(dx1) =

∫Ω1

limk→∞

∫Ω2

ϕk(x1, x2)µ2(dx2)µ1(dx1)

= limk→∞

∫Ω1

∫Ω2

ϕk(x1, x2)µ2(dx2)µ1(dx1)

= limk→∞

∫Ω×Ω2

ϕk(x)µ1 ⊗ µ2(dx)

=

∫Ω×Ω2

f(x)µ1 ⊗ µ2(dx).

Das zweite Hauptresultat ist die Version fur integrierbare Funktionen desletzten Satzes. Naturlicherweise treten hier nur fast uberall auf einem Maßraum(Ω,A, µ) definierte numerische Funktionen auf, also Abbildungen g : Ω → R, sodass Ω \ Ω ⊂ N fur eine geeignete µ-Nullmenge N ist. Man nennt eine solcheFunktion integrierbar, wenn g|Ω\N durch 0 auf N zu g fortgesetzt integrierbar istund setzt ∫

Ω

g dµ =

∫Ω

g dµ.

(Das ist nach Lemma 3.21 unabhangig von der Wahl von N und das gleiche wie∫Ω\N g|Ω\N d(µb(Ω \N)).)

51

Satz 3.38 (Satz von Fubini) Es seien (Ω1,A1, µ1) und (Ω2,A2, µ2) σ-endlicheMaßraume und f ∈ L 1(Ω1 × Ω2,A1 ⊗A2, µ1 ⊗ µ2). Dann ist

f(x1, ·) ∈ L 1(Ω2,A2, µ2) fur µ1-fast alle x1 ∈ Ω1 und

f(·, x2) ∈ L 1(Ω1,A1, µ1) fur µ2-fast alle x2 ∈ Ω2.

Die fur fast alle x1 bzw. x2 definierten Funktionen

x1 7→∫

Ω2

f(x1, x2)µ2(dx2) und x2 7→∫

Ω1

f(x1, x2)µ1(dx1)

sind integrierbar auf Ω1 bzw. Ω2 und es gilt∫Ω1×Ω2

f(x)µ1 ⊗ µ2(dx) =

∫Ω1

∫Ω2

f(x1, x2)µ2(dx2)µ1(dx1)

=

∫Ω2

∫Ω1

f(x1, x2)µ1(dx1)µ2(dx2).

Beweis. Nach dem Satz von Tonelli ist∫Ω1

∫Ω2

f+(x1, x2)µ2(dx2)µ1(dx1) =

∫Ω1×Ω2

f+(x)µ1 ⊗ µ2(dx) <∞.

Dies zeigt, dass die nicht-negative A1-messbare numerische Funktion

x1 7→∫

Ω2

f+(x1, x2)µ2(dx2)

integrierbar ist und damit auch fur fast alle x1, etwa fur alle x außerhalb derµ1-Nullmenge N+, ∫

Ω2

f+(x1, x2)µ2(dx2) <∞

also f+(x1, ·) µ2-integrierbar ist fur x1 ∈ Ω1 \ N+. (Beachte, dass diese Funk-tionen nach Satz 3.37 A2-messbar sind.) Entsprechende Aussagen gelten fur f−

außerhalb einer µ1-Nullmenge N−. Dann aber ist fur fast alle x1, namlich fur allex1 /∈ N := N+ ∪N−, die Funktion f(x1, ·) integrierbar mit∫

Ω2

f(x1, x2)µ2(dx2) =

∫Ω2

f+(x1, x2)µ2(dx2)−∫

Ω2

f−(x1, x2)µ2(dx2).

Wie eben gesehen sind die Abbildungen

x1 7→∫

Ω2

f+(x1, x2)µ2(dx2) und x1 7→∫

Ω2

f−(x1, x2)µ2(dx2),

nachdem man die Werte aufN zu 0 abandert, R-wertige integrierbare Funktionen,also auch ihre Differenz, womit gezeigt ist, dass die fast uberall definierte Funktion

52

x1 7→∫

Ω2f(x1, x2)µ2(dx2) integrierbar ist. Fur diese Funktion gilt nach dem oben

Gezeigten dann∫Ω1

∫Ω2

f(x1, x2)µ2(dx2)µ1(dx1)

=

∫Ω1\N

∫Ω2

f+(x1, x2)µ2(dx2)µ1(dx1)−∫

Ω1\N

∫Ω2

f−(x1, x2)µ2(dx2)µ1(dx1)

=

∫Ω1×Ω2

f+(x1, x2)µ1 ⊗ µ2(dx)−∫

Ω1×Ω2

f−(x1, x2)µ1 ⊗ µ2(dx)

=

∫Ω1×Ω2

f(x1, x2)µ1 ⊗ µ2(dx).

Die noch nicht gezeigten Aussagen ergeben sich nun wieder analog.

Bemerkung. Aus dem Satz von Tonelli erhalten wir, dass jede der Bedingungen

•∫

Ω1×Ω2|f(x)|µ1 ⊗ µ2(dx) <∞,

•∫

Ω1

∫Ω2|f(x1, x2)|µ2(dx2)µ1(dx1) <∞ und

•∫

Ω2

∫Ω1|f(x1, x2)|µ1(dx1)µ2(dx2) <∞

dazu aquivalent ist, dass f integrierbar ist.

Beispiele:

1. Es gilt ∫[0,1]2

x1x2 dx =

∫ 1

0

∫ 1

0

x1x2 dx1 dx2

=

∫ 1

0

x2

∫ 1

0

x1 dx1 dx2 =1

2

∫ 1

0

x1 dx1 =1

4.

2. Man kann im Satz von Fubini i.A. leider nicht auf die Ausnahmenullmengenverzichten: Die Funktion f : R2 → R, f(x1, x2) = x2χ0(x1) ist Lebesgue-integrierbar, da f.u. gleich 0, doch

x2 7→ f(x1, x2) =

x2 fur x1 = 0,

0 sonst

ist fur x1 = 0 nicht integrierbar.

Sind nun allgemeiner N σ-endliche Maßraume (Ω1,A1, µ1), . . . (ΩN ,AN , µN)gegeben, so wird das N -fache Produktmaß auf (Ω1 × . . .ΩN ,A1 ⊗ . . . ⊗ AN)induktiv durch

µ1 ⊗ . . .⊗ µN := (µ1 ⊗ . . .⊗ µN−1)⊗ µN

53

definiert. Es ist das einzige Maß mit

(µ1 ⊗ . . .⊗ µN)(A1 × . . .× AN) = µ1(A1) · . . . · µN(AN)

fur alle Aj ∈ Aj, j = 1, . . . , N . (Die Eindeutigkeit sieht man ganz analog zumFall zweier Faktoren.) Insbesondere gilt fur das Lebesgue-Borel-Maß

λn = λ1 ⊗ . . .⊗ λ1.

Das N -fache Produkt der Maßraume wird dann auch als⊗N

j=1(Ωj,Aj, µj)geschrieben. Induktiv ergibt sich fur integrierbare oder nicht-negative messbarenumerische Funktionen auf diesem Raum∫

Ω1×...×ΩN

f dµ1 ⊗ . . .⊗ µN =

∫Ω1

· · ·∫

ΩN

f(x1, . . . , xN)µ1(dx1) . . . µN(dxN).

Beispiele:

1. Insbesondere bei der Berechnung von Lebesgue-Integralen auf dem Rn durfenwir also einfach sukkzessive integrieren: Fur f ∈ L 1(Rn) oder f ≥ 0messbar ist∫

Rnf(x) dx =

∫ ∞−∞· · ·∫ ∞−∞

f(x1, . . . , xn) dx1 . . . dxn.

2. Das Prinzip von Cavalieri: Fur M ⊂ Rn bezeichne Mx1 den x1-SchnittMx1 = x′ ∈ Rn−1 : (x1, x

′) ∈ A. Das Cavalierische Prinzip besagt dann,dass zwei Mengen A,B ⊂ Bn das gleiche Maß haben, wenn

λn−1(Ax1) = λn−1(Bx1)

fur alle x1 ∈ R gilt.

Ubung: Beweisen Sie dies!

Ubung: Zeigen Sie, dass der Rotationskorper

A = x ∈ R3 : a ≤ x1 ≤ b, x22 + x2

3 ≤ (f(x1))2,

wobei −∞ < a < b < ∞ und f : [a, b] → [0,∞) eine stetige Funktion ist,das Volumen

λ(A) = π

∫ b

a

(f(t))2 dt

hat. (Sie durfen verwenden, dass ein Kreis vom Radius r das zweidimensio-nale Lebesgue-Maß (also die Flache) πr2 hat. Das werden wir im nachstenAbschnitt zeigen.)

54

3.5 Bildmaße und Transformationsformel

In vielen Anwendungen und insbesondere, wenn wir spater Integrale uber “ge-krummte Oberflachen” betrachten, ist es wichtig zu verstehen, wie sich Inte-grale unter Koordinatenwechseln, also Diffeomorphismen des Definitionsbereichs,transformieren. Das wird durch die allgemeine Transformationsformel beschrie-ben, die wir in diesem Abschnitt beweisen werden. Sie ist das n-dimensionalePendant zur Substitutionsformel.

Sind ganz allgemein (Ω,A) und (Ω′,A′) messbare Raume, µ ein Maß auf(Ω,A) und f : Ω → Ω′ eine A-A′-messbare Abbildung, so kann man µ durch fauf Ω′ ‘transportieren’, indem man

µ′(A) := µ(f−1(A′)) ∀A′ ∈ A′

setzt. Offenbar ist µ′ ein Maß auf (Ω′,A′).

Definition 3.39 Dieses Maß heißt das Bildmaß von µ unter f . Es wird mit f(µ)bezeichnet.

Beispiel: Ist a ∈ Rn und τa : Rn → Rn die Translationsabbildung τa(x) = x+ a,so gilt

τa(λ) = λ,

denn fur alle A′ ∈ L ist τa(λ)(A′) = λ(τ−1a (A′)) = λ(A′ − a) = λ(A′) wegen der

Translationsinvarianz des Lebesgue-Maßes.

Wir untersuchen zunachst das Transformationsverhalten von λ unter affinenAbbildung. Wegen der Translationsinvarianz, genugt es hier, lineare Abbildungenzu betrachten. Da sich jeder Diffeomorphismus lokal wie eine affine Abbildungverhalt, ist das schon der erste Schritt zur allgemeinen Transformationsformel.

Lemma 3.40 Fur jede Borel-Menge A und jedes nicht-singulare M ∈ Rn×n gilt

λ(MA) = | detM |λ(A).

Das heißt also, dass fur detM 6= 0 das Bildmaß Mλ von λ unter der linearenAbbildung x 7→Mx durch

Mλ =1

| detM |λ

gegeben ist.

Beweis. Zunachst stellen wir fest, dass mit A ∈ B auch MA ∈ B ist. Dies folgt ausMA = (M−1)−1(A) und der Stetigkeit von x 7→M−1x. Da mit je zwei Matrizen,fur die die fragliche Gleichung fur alle A gilt, auch deren Produkt die Behauptung

55

erfullt, genugt es, den Beweis fur Diagonalmatrizen und orthogonale Matrizen zufuhren.1

Wegen der Translationsinvarianz von λ (s. Satz 2.22(i)) ist auch die AbbildungA 7→ λ(MA) ein translationsinvariantes Maß, so dass es nach Satz 2.22(ii) einc > 0 gibt mit

λ(MA) = cλ(A).

Um die Konstante c zu bestimmen verwenden wir Quader und Kugeln: Ist M =diag(m1, . . . ,mn) diagonal, so ist

λ(M [0, 1)n) = λ(I1 × . . .× In), Ij =

[0,mj), mj > 0,

(mj, 0], mj < 0,

alsoλ(M [0, 1)n)) = |m1| · . . . · |mn| = | detM |λ([0, 1)n).

Ist M orthogonal, so gilt MB1(0) = B1(0) und daher wegen detM = ±1

λ(MB1(0)) = λ(B1(0)) = | detM |λ(B1(0)).

Beachtet man noch, dass λ([0, 1)n) = 1 > 0 und λ(B1(0)) > λ([0, n−1/2)n) =n−n/2 > 0 gilt, so folgt c = detM .

Beispiel: Ist f : Rn → Rn gegeben durch f(x) = Mx + c fur eine orthogonaleMatrix M ∈ Rn×n und ein c ∈ Rn, so ist fλ = λ: Zwei kongruente Mengenbesitzen das gleiche Maß. Man sagt daher auch, dass das Lebesgue-Maß bewe-gungsinvariant ist.

Die wesentliche Arbeit beim Beweis der Transformationsformel, auf den wirja zusteuern, steckt in den folgenden beiden Hilfsresultaten:

Lemma 3.41 Es seien U, V ⊂ Rn offen, ϕ : U → V ein Diffeomorphismus undQ ⊂ U ein kompakter Quader. Dann ist ϕ(Q) eine Borel-Menge und es gilt

λ(ϕ(Q)) ≤ maxx∈Q| detDϕ(x)|λ(Q).

Beweis.2 Als kompakte Menge liegt ϕ(Q) in B. Wir nehmen zuerst an, dass Qsogar ein Hyperwurfel ist, d.h. dass alle Seitenlangen l gleich lang sind, und l > 0

1Nach dem Satz uber die Singularwertzerlegung aus der linearen Algebra lasst sich jedeMatrix M ∈ Rn×n als Produkt M = QDR mit orthogonalen Q und R und diagonalemD schreiben: Da MTM symmetrisch ist, gibt es eine Orthonormalbasis aus Eigenvektorenv1, . . . , vn. Wegen (Mvi) · (Mvj) = (MTMvi) · vj = |Mvi|2δij sind die Mvi orthogonal. Wirsetzen wi = |Mvi|−1Mvi, wann immer Mvi 6= 0 ist, und erganzen dies zu einer weiterenOrthonormalbasis (wi). Durch Rvi = ei, Qei = wi, Dei = |Mvi|ei und lineare Fortsetzungwerden dann die orthogonalen Matrizen R und Q und die Diagonalmatrix D definiert. Es giltQTMRT ei = QTMvi = |Mvi|QTwi = |Mvi|ei = Dei. D.h. QTMRT = D, also M = QDR.

2Dieser Beweis wurde in der Vorlesung weggelassen.

56

ist. Angenommen, die Behauptung ware falsch, dann gabe es einen Quader Q0

und ein t > maxx∈Q0 | detDϕ(x)| mit

λ(ϕ(Q0)) ≥ tλ(Q0).

Zerlegen wir Q0 durch 2n Translationen Q1, . . . , Q2n von 12Q, also Wurfel der

halben Seitenlange l2, die sich nur an den Randern uberschneiden, so muss min-

destens einer dieser Wurfel, den wir mit Q1 bezeichnen, die gleiche Ungleichungλ(ϕ(Q1)) ≥ tλ(Q1) erfullen, da nach Summation uber i sonst

tλ(Q0) ≤ λ(ϕ(Q0)) = λ

(⋃i

Qi

))≤∑i

λ(ϕ(Qi)) < t∑i

λ(Qi) = tλ(Q0)

ware. Indem wir nun Q1 derart zerteilen, erhalten wir ein Q2 ⊂ Q1 ⊂ Q0 mit wie-derum halbierter Seitenlange und λ(ϕ(Q2)) ≥ tλ(Q2). So fortfahrend bekommenwir eine Folge von Wurfeln Q0 ⊃ Q1 ⊂ . . ., wobei Qk die Seitenlange l

2khat.

Wegen der Translationsinvarianz des Lebesgue-Maßes durfen wir vorausset-zen, dass der Punkt, der in allen Qk liegt, gerade der Ursprung 0 ist und dassϕ(0) = 0 gilt. Es bezeichne M die invertierbare Matrix Dϕ(0). Durch

‖x‖M := |M−1x|∞

definieren wir eine Norm auf Rn. Da auf Rn alle Normen aquivalent sind, gibt eseine Konstante C > 0 mit ‖x‖M ≤ C|x|∞ fur alle x ∈ Rn. Beachte, dass fur jedesr > 0 gilt

x : ‖x‖M ≤ r = x : |M−1x|∞ ≤ r = My : |y|∞ ≤ r = M [−r, r]n.

Zu jedem ε > 0 existiert nun (nach der Definition der Ableitung) ein δ > 0mit

‖ϕ(x)−Dϕ(0)x‖M ≤ ε‖x‖M ∀x ∈ Bδ(0).

Fur hinreichend großes k ist Qk = ck + [− l2k+1 ,

l2k+1 ]n ⊂ Bδ(0) ist damit wegen

‖ϕ(x)−Mck‖M − ‖Mck −Mxk‖M ≤ ‖ϕ(x)−Mxk‖M

‖ϕ(x)−Mck‖M ≤ ‖M(x− ck)‖M + ε‖x‖M

≤ |x− ck|∞ + Cε|x|∞ ≤ (1 + Cε)l

2k+1

fur alle x ∈ Qk, also ϕ(Qk) ⊂Mck +M [− (1+Cε)l2k+1 , (1+Cε)l

2k+1 ]n.Aus Lemma 3.40 erhalten wir damit

λ(ϕ(Qk)) ≤ | detM |(

(1 + Cε)l

2k

)n= | detM |(1 + Cε)nλ(Qk)

57

und daraus wegen tλ(Qk) ≤ λ(ϕ(Qk)), die im Limes ε → 0 zum Widerspruchfuhrende Ungleichung

| detDϕ(0)| ≤ supx∈Qk| detDϕ(x)| < t ≤ | detDϕ(0)|(1 + Cε)n.

Damit ist nun die Behauptung fur Hyperwurfel mit positiver Seitenlange gezeigt.Ist nun Q ein kompakter Quader mit positiver Seitenlange, so konnen wir

Q = c+MQ als affines Bild eines Hyperwurfels Q ⊂ Q mit positiven Seitenlangenschreiben und erhalten

λ(ϕ(Q)) = λ(ϕ(c+MQ)) ≤ supx∈Q| det(Dϕ(c+Mx)M)|λ(Q)

= supy∈Q| detDϕ(y)| det |M |λ(Q) = sup

y∈Q| detDϕ(y)|λ(Q).

nach Lemma 3.40.Ist schließlich Q = [a1, b1] × . . . × [an, bn] ein allgemeiner kompakter Quader

in U , so liegt fur hinreichend kleine ε > 0 auch Qε = [a1, b1 + ε]× . . .× [an, bn+ ε]in U und es folgt

λ(ϕ(Q)) ≤ λ(ϕ(Qε)) ≤ supx∈Qε| detDϕ(x)|λ(Qε).

Da aber Dϕ auf jedem Qε0 fur festes, hinreichend kleines ε0 > 0 gleichmaßigstetig ist, ergibt sich im Limes ε→ 0

λ(ϕ(Q)) ≤ supx∈Q| detDϕ(x)|λ(Q)

Lemma 3.42 Es seien U, V ⊂ Rn offen, ϕ : U → V ein Diffeomorphismusund A ⊂ U eine Borel-Menge (oder Lebesgue-Menge). Dann ist auch ϕ(A) eineBorel-Menge (bzw. Lebesgue-Menge) und es gilt

infx∈A| detDϕ(x)|λ(A) ≤ λ(ϕ(A)) ≤ sup

x∈A| detDϕ(x)|λ(A).

Beweis.3 1. Fur jede Borel-Menge A ⊂ U ist das Bild ϕ(A) ⊂ V (als Urbild vonA unter der Borel-messbaren Funktion ϕ−1) wieder Borel-messbar.4

2. Es sei nun A eine beliebige Borel-messbare Menge, so dass A ⊂ U kompaktist. Beachte, dass dann auch die ε-Umgebung von A

Aε = x ∈ Rn : ∃ a ∈ A mit |x− a| < ε3Dieser Beweis wurde in der Vorlesung weggelassen.4Achtung: Fur Lebesgue-Mengen darf man so nicht schließen: Wie in den Hausafgaben gese-

hen, gibt es Homoomorphismen, die nicht L-L-messbar sind. Wir werden hierfur also tatsachlichdie Differenzierbarkeit von ϕ ausnutzen mussen, s. unten.

58

kompakten Abschluss hat und fur hinreichend kleine ε > 0 ganz in U liegt. (Dieerste Behauptung ist klar, da A und damit Aε beschrankt ist. Die zweite folgt so:Gabe es zu jedem k ∈ N ein xk ∈ A1/k ∩U c, so hatten wir auch eine Folge ak ∈ Amit |xk−ak| < 1

k. Fur eine Teilfolge akm galte dann akm → a ∈ A und damit auch

xkm → a ∈ A ⊂ U . Da U c abgeschlossen ist, musste aber auch a = limm xkm ∈ U c

sein. Widerspruch.)Nach Konstruktion des Lebesgue-Maßes durch das außere Maß λ∗ gibt es zu

jedem ε > 0 eine Folge (Qj) halboffener Quader mit A ⊂⋃j Qj und

λ(A) ≥∑j

λ(Qj)− ε.

Indem wir diese Quader ggf. in kleinere Quader zerlegen, durfen wir annehmen,dass jedes Qj einen Durchmesser kleiner als ε hat. Dann aber konnen wir o.B.d.A.auch alle Qj weglassen, die nicht ganz in Aε liegen, denn solche Qj konnen ja keinStuck von A uberdecken. Wegen ϕ(A) ⊂

⋃j ϕ(Qj) ergibt sich daraus nun nach

Lemma 3.41

λ(ϕ(A)) ≤∑j

λ(ϕ(Qj)) ≤∑j

supx∈Qj| detDϕ(x)|λ(Qj)

≤ supx∈Aε| detDϕ(x)|

∑j

λ(Qj) ≤ supx∈Aε| detDϕ(x)|(λ(Q) + ε).

Lassen wir nun ε → 0 gehen, so folgt aus der gleichmaßigen Stetigkeit von Dϕauf Aε0 ⊂ U fur ein fixes hinreichend kleines ε0

λ(ϕ(A)) ≤ supx∈A| detDϕ(x)|λ(Q).

3. Ist nun A ⊂ U eine allgemeine Borel-Menge, so betrachten wir die Mengen

Um = Bm(0) ∩x ∈ U : dist(x, ∂U) >

1

m

.

Diese Mengen sind offen, da die Abbildung x 7→ dist(x,M) = infy∈M |x − y| furjede Menge M ⊂ Rn stetig ist. Offenbar ist dann A ∩ Um fur jedes m eine Borel-Menge mit A ∩ Um ⊂ U beschrankt. Da zudem U1 ⊂ U2 ⊂ . . . mit

⋃m Um = U

(U ist offen) gilt, folgt aus der Stetigkeit des Lebesgue-Maßes von unten undSchritt 2 nun

λ(ϕ(A)) =∑m

λ(ϕ(A ∩ Um)) ≤∑m

supx∈A∩Um

| detDϕ(x)|λ(A ∩ Um)

≤ supx∈A| detDϕ(x)|

∑m

λ(A ∩ Um) = supx∈A| detDϕ(x)|λ(A).

4. Es sei nun A ⊂ U noch allgemeiner eine Lebesgue-messbare Menge. Danngibt es eine Borelsche Nullmenge N und eine Borel-Menge B mit B ⊂ A ⊂

59

B ∪N und daher auch ϕ(B) ⊂ ϕ(A) ⊂ ϕ(B ∪N). Nach 3. ist nun λ(ϕ(N)) = 0(auch wenn supx∈N | det(Dϕ)(x)| =∞ ist!) und damit auch ϕ(B ∪N) \ ϕ(B) ⊂ϕ(N) eine Nullmenge, woraus folgt, dass ϕ(A) Lebesgue-messbar mit λ(ϕ(A)) =λ(ϕ(B)) ist. Wieder aus 3. ergibt sich dann auch

λ(ϕ(A)) = λ(ϕ(B)) ≤ supx∈B| det(Dϕ)(x)|λ(B) ≤ sup

x∈A| det(Dϕ)(x)|λ(A).

5. Der Beweis der unteren Schranke folgt nun einfach, indem man Schritt 5auf ϕ−1 und die Lebesgue-Menge ϕ(A) anwendet. Demnach ist

λ(A) = λ(ϕ−1(ϕ(A))

)≤ sup

y∈ϕ(A)

| detD(ϕ−1)(y)|λ(ϕ(A))

= supy∈ϕ(A)

| det(Dϕ)−1(ϕ−1(y))|λ(ϕ(A)) = supx∈A| det(Dϕ)−1(x)|λ(ϕ(A))

=1

infx∈A | det(Dϕ)(x)|λ(ϕ(A))

(o.B.d.A. ist infx∈A | det(Dϕ)(x)| > 0, sonst ist nichts zu zeigen) und damit

infx∈A| det(Dϕ)(x)|λ(A) ≤ λ(ϕ(A)).

Wir konnen nun das Transformationsverhalten des (Borel-)Lebesgue-Maßesunter Diffeomorphismen beschreiben.

Satz 3.43 Es seien U, V ⊂ Rn offene Mengen und ϕ : U → V ein Diffeomor-phismus. Eine Menge A ⊂ U ist genau dann Borel-messbar (Lebesgue-messbar),wenn ϕ(A) ⊂ V Borel-messbar (bzw. Lebesgue-messbar) ist. In diesem Fall gilt

λ(ϕ(A)) =

∫A

| detDϕ(x)| dx.

Angewandt auf ϕ−1 heißt das gerade, dass das Bildmaß ϕ(λ) von λ auf V furA ⊂ V aus L gegeben ist durch

ϕ(λ)(A) = λ(ϕ−1(A)) =

∫A

| detDϕ−1(x)| dx =

∫A

1

| detDϕ(ϕ−1(x))|dx.

M.a.W.: ϕ(λ) ist das Maß mit der Dichte 1|detDϕ(ϕ−1(x))| bezuglich λ auf V .

Beweis. Die Messbarkeitsaussagen folgen aus Lemma 3.42 angewandt auf ϕ undϕ−1.

Fur eine Lebesgue-Menge A ⊂ U und m ∈ N sowie k = 0, . . . ,m2m − 1 setze

Am,k = A ∩ [−m,m]n ∩k

2m≤ | detDϕ| < k + 1

2m

, Am =

m2m−1⋃k=0

Am,k.

60

Da x 7→ | detDϕ(x)| stetig ist, sind die Am,k und Am Lebesgue-messbar. Es giltdann A1 ⊂ A2 ⊂ . . . und

⋃mAm = A, also auch ϕ(A1) ⊂ ϕ(A2) ⊂ . . . und⋃

m ϕ(Am) = ϕ(A). Daruberhinaus konvergiert die Folge der einfachen Funktio-nen fm mit

fm =m2m−1∑k=0

k

2mχAm,k

monoton wachsend gegen | detDϕ|χA.Mit Lemma 3.42 folgt nun

λ(ϕ(Am)) =∑k

λ(ϕ(Am,k)) ≤∑k

k + 1

2mλ(Am,k) =

∫fm dx+

1

2mλ(Am),

wobei 12mλ(Am) ≤ 1

2mλ([−m,m]n) = 2nmn

2mist, und

λ(ϕ(Am)) =∑k

λ(ϕ(Am,k)) ≥∑k

k

2mλ(Am,k) =

∫fm dx.

Die Stetigkeit des Lebesgue-Maßes von unten und der Satz von der monotonenKonvergenz liefern im Limes m→∞ schließlich

λ(ϕ(A)) =

∫A

| detDϕ(x)| dx.

Endlich konnen wir nun die allgemeine Transformationsformel fur Lebesgue-Integrale beweisen. Da es in der Praxis manchmal nutzlich ist, die Diffeomor-phismuseigenschaft nur bis auf Nullmengen zu fordern, formulieren wir gleicheine leichte Verallgemeinerung mit.

Satz 3.44 Es seien U, V ⊂ Rn offene Mengen, ϕ : U → ϕ(U) = V ein Dif-feomorphismus und f : V → R eine Funktion. f ist genau dann messbar, wennf ϕ · | detDϕ| : U → R messbar ist. In diesem Falle gelten:

(i) Ist f ≥ 0, so gilt∫V

f(x) dx =

∫U

f(ϕ(x))| detDϕ(x)| dx (∈ [0,∞]).

(ii) f ist genau dann auf V integrierbar, wenn f ϕ·| detDϕ| auf U integrierbarist. Ist diese Bedingung erfullt, so gilt wieder∫

V

f(x) dx =

∫U

f(ϕ(x))| detDϕ(x)| dx.

61

Ist daruberhinaus f : V → R definiert, V ⊃ V und ϕ : U → V (beliebig) aufU ⊃ U fortgesetzt, so dass V \ V und U \ U Nullmengen sind, so gelten dieseBehauptungen auch noch, wenn man U durch U und V durch V ersetzt.

Beweis. 1. Aus Proposition 3.6, Proposition 3.7 und Lemma 3.42 ergibt sich:Ist f messbar, so auch f ϕ · | detDϕ|, da ϕ L-L-messbar ist. Ist umgekehrtf ϕ · | detDϕ| als messbar vorausgesetzt, so ist auch f ϕ messbar und damitauch f = f ϕ ϕ−1, da ϕ−1 L-L-messbar ist.

2. Die Behauptung (i) gilt fur einfache Funktionen f =∑N

j=1 ajχAj , denndann ist nach Satz 3.43 ja∫ϕ(U)

f(x) dx =∑j

ajλ(ϕ(ϕ−1(Aj))) =∑j

∫ϕ−1(Aj)

aj| detDϕ(x)| dx

=∑j

∫ϕ−1(Aj)

f(ϕ(x))| detDϕ(x)| dx =

∫U

f(ϕ(x))| detDϕ(x)| dx.

Fur allgemeine f ≥ 0 konnen wir eine Folge einfacher Funktionen (ψk) mit ψk f wahlen, fur die nach dem Satz von der monotonen Konvergenz und dem ebenGezeigten∫

ϕ(U)

f(x) dx = limk→∞

∫ϕ(U)

ψk(x) dx = limk→∞

∫U

ψk(ϕ(x))| detDϕ(x)| dx

=

∫U

f(ϕ(x))| detDϕ(x)| dx

ist, denn es gilt ja dann auch ψk ϕ| detDϕ| f ϕ| detDϕ|. Dies zeigt (i).

3. (ii) folgt nun unmittelbar aus (i) angewandt auf den Positiv- und denNegativteil von f . Beachte dabei, dass (f ϕ| detDϕ|)± = f± ϕ| detDϕ| ist.

4. Der Zusatz ergibt sich nun unmittelbar aus dem schon Gezeigten, wennman beachtet, dass f und f ϕ · | detDϕ| genau dann auf V bzw. U messbarsind, wenn sie auf V bzw. U messbar sind, und eine analoge Aussage fur dieIntegrierbarkeit gilt. Bei der Integrationsformel schließlich darf man die MengenV \ V und U \ U vernachlassigen. All das folgt daraus, dass V \ V und U \ UNullmengen sind.

Beispiele:

1. Es sei a ∈ Rn, r ≥ 0 und V = rU + a, U ⊂ Rn offen. Ist dann f : V → Rmessbar und nicht-negativ oder integrierbar, so gilt∫

V

f(x) dx = rn∫U

f(rx+ a) dx,

denn fur den Diffeomorphismus ϕ : U → V , ϕ(x) = rx+ a gilt ja detDϕ =det(r Id) = rn.

62

2. Zweidimensionale Polarkoordinaten. Die Abbildung ϕ : (0,∞)× (0, 2π)→R2 \ ([0,∞) × 0), ϕ(r, φ) = (r cosφ, r sinφ) ist ein Diffeomorphismus, s.Analysis 2. Fur nicht-negative messbare oder integrierbare f gilt also (nachFubini) ∫

R2

f(x) dx =

∫ ∞0

∫ 2π

0

rf(r cosφ, r sinφ) dφ dr,

denn detDϕ = det

(cosφ −r sinφsinφ r cosφ

)= r.

Speziell fur f = χB1(0) erhalten wir die Flache der Einheitskreisscheibe:

λ2(B1(0)) =

∫ 1

0

∫ 2π

0

r dφ dr = 2π · r2

2

∣∣∣∣10

= π.

Als weitere Anwendung konnen wir nun das Gauß-Integral∫ ∞−∞

e−x2

dx

mit einem Trick berechnen. Nach Fubini gilt(∫ ∞−∞

e−x2

dx

)2

=

∫ ∞−∞

∫ ∞−∞

e−x21 dx1 e

−x22 dx2 =

∫R2

e−|x|2

dx

=

∫ ∞0

∫ 2π

0

e−r2

dφ r dr = 2π

∫ ∞0

e−r2

r dr

= −πe−r2∣∣∣∞0

= π,

also ∫ ∞−∞

e−x2

dx =√π.

In n Dimensionen folgt daraus fur beliebige a > 0 wegen e−ax2

=∏n

i=1 e−ax2i∫

Rne−ax

2

dx =

(∫Re−at

2

dt

)n=

(1√a

∫Re−s

2

ds

)n=(πa

)n2.

3. Dreidimensionale Polarkoordinaten. Die Abbildung ϕ : (0,∞) × (0, 2π) ×(0, π)→ R3\([0,∞)×0×R), ϕ(r, φ, θ) = (r sin θ cosφ, r sin θ sinφ, r cos θ)ist ein Diffeomorphismus, s. Analysis 2. Fur nicht-negative messbare oderintegrierbare f gilt also (nach Fubini)∫

R3

f(x) dx

=

∫ ∞0

∫ 2π

0

∫ π

0

f(r sin θ cosφ, r sin θ sinφ, r cos θ) r2 sin θ dθ dφ dr,

63

denn detDϕ = r2 sin θ.

Als Anwendung berechnen wir das Volumen der dreidimensionalen KugelB = B1(0):

λ(B) =

∫RnχB(x) dx =

∫ ∞0

∫ 2π

0

∫ π

0

χ[0,1)(r)r2 sin θ dθ dφ dr

= 2π

∫ π

0

sin θ dθ

∫ 1

0

r2 dr = 2π · 2 · 1

3=

3.

4. Das Volumen der n-dimensionalen Kugel: Es sei B(n)r die n-dimensionale

Vollkugel vom Radius r um 0. Dann gilt

λn(B(n)r ) =

π(n−1)/22(n+1)/2rn

1·3·...·n fur ungerade n,

πn/22n/2rn

2·4·...·n fur gerade n.

Die Behauptung ergibt sich z.B. durch Induktion nach n: Zunachst ist (s.o.)

λ1(B(1)r ) = 2r, λ2(B(2)

r ) = πr2,

was die Falle n = 1 und n = 2 liefert. Weiter gilt

λn(B(n)r ) =

∫Rnχx21+...+x2n<r

2(x) dx

=

∫B

(2)r

(∫Rn−2

χx23+...+x2n<r2−x21−x22(x) dx3 . . . dxn

)dx1 dx2

=

∫B

(2)r

λn−2

(B

(n−2)√r2−x21−x22

)dx1 dx2

=

∫B

(2)r

(r2 − x2

1 − x22

)n−22 dx1 dx2 λ

n−2(B

(n−2)1

)fur n ≥ 3, wobei wir den Satz 3.38 von Fubini und die Skalierungseigenschaftaus Lemma 3.40 ausgenutzt haben. Das hier auftretende zweidimensionaleIntegral lasst sich mit Polarkoordinaten explizit berechnen und wir erhalten

λn(B(n)r ) =

∫ r

0

∫ 2π

0

(r2 − s2)n−22 dθ s dsλn−2

(B

(n−2)1

)= −2π · 1

n(r2 − s2)

n2

∣∣∣∣s=rs=0

λn−2(B

(n−2)1

)=

2πrn

nλn−2

(B

(n−2)1

)=

2πr2

nλn−2

(B(n−2)r

),

64

wobei wir noch einmal die Skalierungseigenschaft von λn−2 ausgenutzt ha-ben. Hieraus ergibt sich die gewunschte Formel nun fur n, wenn sie in n−2Dimensionen schon etabliert ist.

Naturlich kann man das Ergebnis offenbar auch in der Form

λn(B(n)r ) =

π(n−1)/22n+1(n+1

2)!rn

(n+1)!fur ungerade n,

πn/2rn

(n2

)!fur gerade n.

schreiben. Wirklich hubscher lasst sich diese Formel allerdings mit Hilfe derGamma-Funktion5 darstellen:

λn(B(n)r ) =

πn/2rn

Γ(1 + n2).

Dazu bemerken wir zunachst, dass die Substitution t = s2 nach Beispiel 2den Wert Γ(1

2) =

∫∞0t−1/2 e−t dt = 2

∫∞0e−s

2ds =

√π liefert, so dass

Γ(

1 +n

2

)=n

2Γ(n

2

)=n

2

(n2− 1)

Γ(n

2− 1)

= . . .

=

n2· n−2

2· . . . · 2

2Γ(1) = n(n−2)·...·1

2n/2

n2· n−2

2· . . . · 1

2Γ(1

2) = n(n−2)·...·1

2(n+1)/2

√π

folgt, was die Behauptung zeigt.

5Erinnerung an Analysis 2: Γ : (0,∞) → R, x 7→∫∞0tx−1 e−t dt interpoliert die Fakultaten

naturlicher Zahlen und erfullt die Funktionalgleichung xΓ(x) = Γ(x+ 1) mit Γ(1) = 1.

65

Kapitel 4

Ausgewahlte Anwendungen

4.1 Lp-Raume

In diesem Abschnitt behandeln wir eine in der Analysis wichtige Klasse von Funk-tionen. Diejenige namlich, fur die geeignete Potenzen integrierbar sind. Im Fol-genden sei (Ω,A, µ) ein Maßraum.

Definition 4.1 Fur 1 ≤ p <∞ und f : Ω→ R A-messbar setzt man

‖f‖p :=

(∫Ω

|f |p dµ) 1

p

(∈ [0,∞])

undL p(Ω,A, µ) := f : Ω→ R : f ist A-messbar und ‖f‖p <∞

Ist speziell Ω ⊂ Rn messbar, A = LΩ und µ das Lebesgue-Maß, so schreiben wirauch einfach L p(Ω).

Die Definition ware auch fur p < 1 moglich, doch weisen die Raume L p(Ω,A, µ)dann nicht mehr so schone Eigenschaften auf, wie wir Sie unten beweisen wer-den. Beachte außerdem, dass die Definition konsistent mit unserer schon fruhereingefuhrten Notation L 1(Ω,A, µ) ist.

Beispiel:

1. Es sei Ω = [0, 1], f(x) = |x|α. Dann ist

f ∈ L p(Ω) ⇐⇒∫ 1

0

|x|αp <∞ ⇐⇒ αp > −1 ⇐⇒ α > −1

p.

2. Ist Ω = [1,∞), g(x) = |x|α. Dann ist

f ∈ L p(Ω) ⇐⇒∫ ∞

1

|x|αp <∞ ⇐⇒ αp < −1 ⇐⇒ α < −1

p.

66

Definition 4.2 Eine A-messbare Funktion f : Ω→ R heißt wesentlich beschrankt,wenn es eine wesentliche obere Schranke c, also ein c ≥ 0 mit

|f(x)| ≤ c µ-fast uberall

gibt. Die kleinste wesentliche oberere Schranke nennt man das essentielle Supremumvon |f | und schreibt:

‖f‖∞ := ess sup|f | := infc ≥ 0 : |f(x)| ≤ c µ-fast uberall.

Die Menge der wesentlich beschrankten Funktionen bezeichnen wir mit L∞(Ω,A, µ)(oder einfach L∞(Ω) fur das Lebesgue-Maß auf messbaren Ω ⊂ Rn).

Beachte, dass ‖f‖∞ selbst eine wesentliche obere Schranke fur |f | ist, denngilt etwa

|f(x)| ≤ ‖f‖∞ +1

k∀x /∈ Nk, µ(Nk) = 0, k = 1, 2, . . . ,

so ist

|f(x)| ≤ ‖f‖∞ ∀x /∈⋃k

Nk, µ

(⋃k

Nk

)= 0.

Achtung! Obwohl genauso bezeichnet, ist ‖ · ‖∞ i.A. nicht die Supremumsnorm.Z.B. ist ‖χQ‖∞ = 0 in L∞(Rn).

Ubung: Es sei f ∈ L p(Ω,A, µ) fur alle 1 ≤ p ≤ ∞. Zeigen Sie

limp→∞‖f‖p = ‖f‖∞.

Wir konnen nun die Ungleichungen von Holder und von Minkowski in einemsehr allgemeinen Rahmen formulieren.

Satz 4.3 (Die Holdersche Ungleichung) Es seien 1 ≤ p, q ≤ ∞ mit 1p

+ 1q

=

1 (wobei 1∞ := 0). Sind f, g A-messbare numerische Funktionen auf Ω, so gilt

‖fg‖1 ≤ ‖f‖p‖g‖q.

Insbesondere impliziert f ∈ L p(Ω) und g ∈ L q(Ω), dass fg ∈ L 1(Ω) gilt.

Beweis. Sei zunachst 1 < p, q < ∞. Wir gehen aus von der elementaren Unglei-chung

ab ≤ ap

p+bq

q∀a, b ∈ [0,∞].

Die sieht man z.B. so: O.B.d.A. ist 0 < a, b <∞. Da (0,∞) 3 x 7→ log x konkav

ist (wegen x 7→ log′′(x) = − 1x2< 0), gilt 1

plog(ap) + 1

qlog(bq) ≤ log

(1pap + 1

qbq)

,

woraus die fragliche Ungleichung mach Anwenden der Exponentialfunktion folgt.

67

O.B.d.A. sei nun ‖f‖p, ‖g‖q > 0. (Ansonsten ware |f |p oder |g|p fast uberall

0 und damit fg = 0 f.u. Dann aber ist ‖fg‖1 = 0.) Speziell fur a = |f |‖f‖p und

b = |g|‖g‖q ergibt sich nun aus obiger Ungleichung

‖fg‖1

‖f‖p‖g‖q=

∫Ω

|f |‖f‖p

· |g|‖g‖q

dµ ≤∫

Ω

(|f |p

p‖f‖pp+|g|q

q‖g‖qq

)dµ =

1

p+

1

q= 1,

was zu zeigen war.Gilt nun p, q = 1,∞, etwa o.B.d.A. p = 1 und q = ∞, so gibt es eine

Nullmenge N mit |g(x)| ≤ ‖g‖∞ fur alle x /∈ N . Es folgt∫Ω

|fg| dµ =

∫Ω\N|fg| dµ ≤ ‖g‖∞

∫Ω\N|f | dµ = ‖g‖∞‖f‖1.

Satz 4.4 (Die Minkowski-Ungleichung) Es seien 1 ≤ p ≤ ∞ und f, g A-messbare numerische Funktionen auf Ω. Dann gilt (falls f + g uberall definiertist)

‖f + g‖p ≤ ‖f‖p + ‖g‖p.Insbesondere ist damit f + g ∈ L p(Ω,A, µ), wenn f, g ∈ L p(Ω,A, µ) gilt.

Beweis. O.B.d.A. sei f, g ∈ L p(Ω,A, µ). Es sei wieder zunachst 1 < p < ∞.Offenbar ist

‖f + g‖pp =

∫Ω

|f + g| · |f + g|p−1 dµ

≤∫

Ω

|f | · |f + g|p−1 dµ+

∫Ω

|g| · |f + g|p−1 dµ

und damit nach der Holderschen Ungleichung

‖f + g‖pp ≤ ‖f‖p‖|f + g|p−1‖q + ‖g‖p‖|f + g|p−1‖q

mit 1p

+ 1q

= 1, also q = pp−1

, wobei

‖|f + g|p−1‖q =

(∫Ω

|f + g|(p−1) pp−1

) p−1p

= ‖f + g‖p−1p

ist. Zusammengefasst ergibt sich

‖f + g‖pp ≤ (‖f‖p + ‖g‖p) ‖f + g‖p−1p

und daraus nach Division durch ‖f+g‖p−1p die Behauptung, wenn wir garantieren

konnen, dass ‖f + g‖p <∞ ist. Das aber folgt aus |f + g|p ≤ (2 max|f |, |g|)p ≤2p|f |p + 2p|g|p.

68

Fur p = 1 folgt direkt

‖f + g‖1 =

∫Ω

|f + g| dµ ≤∫

Ω

|f | dµ+

∫Ω

|g| dµ = ‖f‖1 + ‖g‖1.

Fur p = ∞ schließlich erhalt man die Behauptung, da mit |f | ≤ ‖f‖∞ f.u.und |g| ≤ ‖g‖∞ f.u. auch |f + g| ≤ ‖f‖∞ + ‖g‖∞ f.u. ist.

Bemerkung. Fur ein Intervall [a, b] erhalt man die aus der Riemannschen Inte-grationstheorie bekannten Versionen dieser Ungleichungen zuruck. Aber auch dieVersionen fur Vektoren und fur Folgen ergeben sich sofort aus Theorem 4.3 und4.4, indem man 1, . . . , N bzw. N mit dem Zahlmaß betrachtet.

Beispiele:

1. Ist µ ein endliches Maß, also µ(Ω) < ∞, (wie etwa das Lebesgue-Maß aufeiner beschrankten Menge), so gilt

p ≤ p′ =⇒ L p(Ω,A, µ) ⊃ L p′(Ω,A, µ).

Begrundung: Fur f ∈ L p′(Ω,A, µ) ist mit 1γ

+ pp′

= 1

‖f‖pp = ‖|f |p‖1 ≤ ‖1‖γ‖|f |p‖p′/p = (µ(Ω))1γ ·(∫|f |p′ dµ

) pp′

<∞.

2. Ist µ das Zahlmaß auf N, also µ(A) = #A, so schreibt man auch L p(Ω,A, µ) =:lp. Hier gelten die umgekehrten Inklusionen (Uberlegen Sie sich das!):

p ≤ p′ =⇒ lp ⊂ lp′.

3. Ist µ = λ das Lebesgue-Maß auf R, so gilt fur zwei verschiedene p und p′

keine dieser Inklusionen:

p 6= p′ =⇒ L p(R) 6⊂ L p′(R)

fur alle p, p′ ∈ [1,∞].

Ubung: Zeigen Sie dies.

Die Notation ‖ · ‖p wird durch das folgende Korollar (fast) gerechtfertigt:

Korollar 4.5 Es seien 1 ≤ p ≤ ∞, f, g ∈ L p(Ω,A, µ) und λ ∈ R. Dann sindauch λf und f + g (falls uberall definiert) in L p(Ω,A, µ) und es gilt

(i) ‖λf‖p = |λ|‖f‖p,

(ii) ‖f + g‖p ≤ ‖f‖p + ‖g‖p und

69

(iii) ‖f‖p = 0 ⇐⇒ f = 0 f.u.

Beweis. (i) ist klar, (ii) ist gerade die Minkowskische Ungleichung und (iii) folgtaus Lemma 3.21.

‖·‖p ist also fast eine Norm auf L p(Ω,A, µ). (Da zur Norm nur die Implikation‖f‖p = 0 =⇒ f = 0 fehlt, spricht man auch von einer Pseudonorm.) Insbe-sondere kann man die Konverenz von Funktionenfolgen fk → f in L p(Ω,A, µ)bezuglich ‖ · ‖p untersuchen. Dabei ist nur zu beachten, dass

fk → f in L p(Ω,A, µ) :⇐⇒ ‖fk − f‖p → 0

die Limesfunktion nur fast uberall festlegt. Cauchy-Folgen (fk) bzgl. ‖ · ‖p sindnaturlich durch

∀ ε > 0 ∃N ∈ N : ‖fk − fm‖p < ε ∀ k,m ≥ N

charakterisiert und es ist klar, dass jede konvergente Folge eine Cauchy-Folge ist.Wegen |‖fk‖p − ‖f‖p| ≤ ‖fk − f‖p nach Minkowski ist auch

fk → f in L p(Ω,A, µ) =⇒ ‖fk‖p → ‖f‖p

offensichtlich.Ganz wesentlich fur die L p-Raume ist nun der folgende Vollstandigkeitssatz:

Satz 4.6 Jede Cauchy-Folge (fk) aus L p(Ω,A, µ) konvergiert gegen ein f ∈L p(Ω,A, µ). Daruberhinaus gibt es eine Teilfolge (fkm), so dass fkm → f punkt-weise fast uberall gilt.

Beweis.1 1. Wir definieren uns k1 < k2 < . . . induktiv, so dass

‖fkm+1 − fkm‖p ≤ 2−m

gilt. Dazu wahlen wir induktiv km > km−1 zu ε = 2−m einfach so groß, dass‖fi − fkm‖ < 2−m fur alle i ≥ km ist. Setze nun

gm = fkm+1 − fkm und g =∞∑m=1

|gm| (∈ [0,∞]).

Nach der Minkowski-Ungleichung ist dann∥∥∥∥∥N∑m=1

|gm|

∥∥∥∥∥p

≤N∑m=1

‖fkm+1 − fkm‖p ≤ 1 ∀N ∈ N

1Dieser Beweis wurde in der Vorlesung weggelassen.

70

und daher auch ‖g‖p ≤ 1: Fur 1 ≤ p < ∞ folgt dies aus∑N

m=1 |gm|p gp unddem Satz von der monotonen Konvergenz. Fur p = ∞ ergibt sich das daraus,dass mit

∑Nm=1 |gm| ≤ 1 f.u. und

∑Nm=1 |gm| → g auch g ≤ 1 f.u. ist.

Dann aber ist g fast uberall endlich und die Summe∑∞

m=1 gm fast uberallabsolut konvergent. Wegen

∑mi=1 gi = fkm − fk1 konvergiert die Teilfolge (fkm)

fast uberall gegen ein A-messbares f (= fk1 +∑∞

i=1 gi).2. Es sei nun zunachst 1 ≤ p <∞. Fur jedes m ist

|f − fkm|p =

∣∣∣∣∣∞∑

i=m+1

gi

∣∣∣∣∣p

≤ gp f.u.

Da aber gp integrierbar ist und |f − fkm|p f.u. gegen 0 konvergiert, folgt aus demSatz von der majorisierten Konvergenz

‖f − fkm‖p =

(∫|f − fkm |p

) 1p

→ 0.

Dann aber konvergiert schon die ganze Folge bezuglich ‖ · ‖p, denn zu ε > 0 gibtes ein N ∈ N und dazu ein km ≥ N mit

‖fi − fj‖ < ε ∀ i, j ≥ N und ‖f − fkm‖ < ε

und somit‖fi − f‖p < 2ε ∀ i ≥ N.

3. Fur p = ∞ gilt sogar eine starkere Aussage. Fur jedes Indexpaar i, j gibtes eine Nullmenge Nij mit

supΩ\N|fi − fj| = ‖fi − fj‖∞

Das zeigt, dass (fk) auf Ω\N , N =⋃i,j Nij sogar bezuglich der Supremumsnorm,

also im vollstandigen Raum B(Ω \N ; | · |∞), eine Cauchy-Folge bildet, wobei Nimmer noch eine Nullmenge ist. Nach einem Satz aus der Analysis 2 konvergiertdann fk → f (und nicht nur eine Teilfolge) sogar gleichmaßig auf Ω \ N , erstrecht punktweise fast uberall auf Ω.

Wir diskutieren nun noch ein Dichtheitsresultat fur die Raume L p(Rn). Dabeinennen wir eine Funktion f : Rn → R eine Treppenfunktion, wenn es halboffeneQuader Q1, . . . , QN und reelle Zahlen a1, . . . , aN , N ∈ N, derart gibt, dass f (evtl.auch nur fast uberall) von der Form

f =N∑j=1

ajχQj

ist.

71

Satz 4.7 Die Menge der Treppenfunktionen ist dicht in L p(Rn) fur 1 ≤ p <∞.

Beweis.2 1. Wir uberlegen uns zuerst, dass die Menge von Funktionen der Form

N∑j=1

ajχAj , mit Ai ∈ L und λ(Ai) <∞ fur i = 1, . . . , N

dicht in L 1 liegt.Es seien ϕk und ψk einfache Funktionen mit ϕk f+ und ψk f−. Indem

wir ϕk und ψk ggf. durch χBk(0)ϕk bzw. χBk(0)ψk ersetzen, durfen wir anneh-men, dass ϕk und ψk als Linearkombinationen von charakteristischen Funktionenbeschrankter Mengen gegeben sind. Nach dem Satz von der majorisierten Kon-vergenz (mit Majorante |f |p) gilt nun

limk→∞‖f − (ϕk − ψk)‖p = lim

k→∞

(∫Rn|f − (ϕk − ψk)|p dx

) 1p

= 0,

denn |f − (ϕk − ψk)| = |f+ − ϕk − (f− − ψk)| ≤ f+ + f− = |f |.2. Nach 1. genugt es zu begrunden, dass fur jede Lebesgue-Menge A von

endlichem Maß die charakteristische Funktion χA in L p approximiert werdenkann. Sei also ε > 0. Wir konnen eine Folge Q1, Q2, . . . halboffener Quader Qj

wahlen, so dass A ⊂⋃j Qj und λ(A)+ε >

∑j λ(Qj) gilt. Fur hinreichend großes

N ist dann mit F =⋃Nj=1 Qj

λ(A \ F ) ≤∞∑

j=N+1

λ(Qj) < ε

und

λ(F \ A) ≤∞∑j=1

λ(Qj)− λ(A) < ε

und damit fur die Treppenfunktion χF (beachte, dass nach Lemma 2.7 F alsdisjunkte Vereinigung halboffener Quader geschrieben werden kann)

‖χA − χF‖p =

(∫A\F

dµ+

∫F\A

) 1p

< (2ε)1p .

Als Korollar erhalten wir:

Korollar 4.8 Die Menge der stetigen Funktionen mit kompaktem Trager istdicht in L p(Rn) fur 1 ≤ p <∞.

2Dieser Beweis wurde in der Vorlesung weggelassen.

72

Hierbei ist der Trager (engl.: support) einer Funktion f : Rn → R definiertdurch

supp f = x : f(x) 6= 0.

Beweis.3 Nach Satz 4.7 mussen wir nur zeigen, dass jede Treppenfunktion durcheine stetige Funktion mit kompaktem Trager approximiert werden kann, unddazu wiederum reicht es zu zeigen, dass jede charakteristische Funktion χQ eineshalboffenen Quaders approximiert werden kann. Das gelingt, indem man zu k ∈ Netwa fk(x) = max1− k dist(x,Q), 0 setzt. Denn dann ist

‖χQ − fk‖p ≤(∫x:dist(x,Q)≤k−1

dx

) 1p

≤ Ck−1p .

Leider ist L p(Ω,A, µ) selbst kein normierter Vektorraum, da ‖ · ‖p nur einePseudonorm ist und nicht alle Summen von Funktionen erklart sind. (Immerdann namlich, wenn Ausdrucke der Form ∞−∞ auftreten.) Andererseits habenwir ja schon festgestellt, dass sich in der Integrationstheorie Funktionen, die fastuberall gleich sind, im Wesentlichen gleich verhalten. Um nun einen normiertenRaum zu definieren, identifiziert man solche Funktionen daher und geht wie folgtvor: Auf der Menge der A-messbaren numerischen Funktionen definieren wir eineAquivalenzrelation durch

f ∼ g :⇐⇒ f = g µ-fast uberall.

Die Aquivalenzklasse einer Funktionen f bezeichnen wir mit [f ] und setzen

Lp(Ω,A, µ) := [f ] : f ∈ L p(Ω,A, µ).

Durch λ[f ] = [λf ] und [f ] + [g] = [f + g] fur λ ∈ R, f, g ∈ L p(Ω,A, µ) ist– in wohldefinierter Art und Weise – eine Vektorraumstruktur auf Lp(Ω,A, µ)gegeben. Beachte, dass jede Funktion aus L p(Ω,A, µ) hochstens auf einer Null-menge die Werte ±∞ annehmen kann, so dass jede Aquivalenzklasse Vertretermit Werten aus R hat. Auch

‖[f ]‖p := ‖f‖ ∀ f ∈ L p(Ω,A, µ)

ist wohldefiniert. Hierduch wird Lp(Ω,A, µ) nun tatsachlich zu einem normiertenRaum, wie sich unmittelbar aus Korollar 4.5 ergibt, und es gilt [fk] → [f ] inLp(Ω,A, µ) genau dann, wenn fk → f in L p(Ω,A, µ) gilt. Auch das Konzept derpunktweisen Konvergenz µ-fast uberall lasst sich ubertragen, indem wir sagen,

3Dieser Beweis war eine Ubungsaufgabe und wurde in der Vorlesung weggelassen.

73

dass [fk] → [f ] µ-fast uberall gilt, wenn fk → f µ-fast uberall erfullt ist. Auchdas hangt ja nicht von der Auswahl der Reprasentanten aus [fk] oder [f ] ab.

Es ist nun ublich, nicht ganz so genau zwischen f und der Aquivalenzklasse[f ] von f zu unterscheiden. Solange die betrachteten Funktionen unter einemIntegral auftreten, ist das ja auch nicht so schlimm. Man muss dabei allerdingsvorsichtig sein: Ein Ausdruck der Form [f ](x) allein macht i.A. keinen Sinn. Eskann ja f(x) 6= f ′(x) fur f ∼ f ′ vorkommen. Man sagt also etwa, dass nach derHolderschen Ungleichung

‖fg‖1 ≤ ‖f‖p‖g‖q ∀f, g ∈ L1(Ω,A, µ)

gilt, 1p

+ 1q

= 1, meint aber, dass dies fur alle Vertreter der Klassen [f ] und [g] derFall ist, ahnlich fur die Minkowski-Ungleichung.

Satz 4.6, Satz 4.7 und Korollar 4.8 lasst sich nun so zusammenfassen:

Satz 4.9 Lp(Ω,A, µ) ist ein Banachraum fur 1 ≤ p ≤ ∞. Jede konvergenteFolge in diesem Raum besitzt eine fast uberall konvergente Teilfolge. Sowohl dieMenge der Treppenfunktionen als auch die Menge der stetigen Funktionen mitkompaktem Trager liegen dicht in Lp(Rn) fur 1 ≤ p <∞.

In der letzten Aussage sind hierbei naturlich die Aquivalenzklassen, die eineTreppenfunktion als Reprasentanten bzw. einen stetigen Reprasentanten besit-zen, gemeint.

Wir werden dieser Konvention im Weiteren folgen und daher immer von Funk-tionen in Lp(Ω,A, µ) sprechen, wo doch eigentlich deren Aquivalenzklassen oderFunktionen in L p(Ω,A, µ) gemeint sind.

Bemerkungen.

1. Indem wir die Ergebnisse dieses Abschnitts komponentenweise anwenden,erhalten wir zu den Aussagen aus Satz 4.9 analoge Aussagen fur die Raumevektorwertiger Funktionen (eigtl.: Aquivalenzklassen vektorwertiger Funk-tionen) Lp(Ω,A, µ;Rm).

2. Die Raume L2(Ω,A, µ) sind sogar Hilbertraume, also Vektorraume mit ei-nem Skalarprodukt, die bezuglich der induzierten Norm vollstandig sind.Das Skalarprodukt auf L2(Ω,A, µ) ist hierbei gegeben durch

(f, g) 7→ 〈f, g〉 :=

∫Ω

fg dµ.

Analoges gilt fur komplexwertige Funktionen, wobei das Skalarprodukt aufL2(Ω,A, µ;C) dann durch

(f, g) 7→ 〈f, g〉 :=

∫Ω

fg dµ

definiert ist.

74

4.2 Faltung und Glattungskerne

Im Folgenden betrachten wir speziell das Lebegue-Maß auf dem Rn und die Funk-tionenraume Lp := Lp(Rn) := Lp(Rn,L, λ).

Definition 4.10 Sind f und g nicht negative messbare numerische Funktionenoder integrierbare Funktionen, so definiert man die Faltung f ∗ g : Rn → R vonf und g durch

f ∗ g(x) :=

∫Rnf(x− y)g(y) dy.

Fur f, g ≥ 0 ist dies (als Element von [0,∞]) offenbar immer definiert. Dasgilt aber auch fur integrierbare f und g, denn wegen∫

Rn

∫Rn|f(x− y)g(y)| dy dx =

∫Rn

∫Rn|f(x− y)| dx |g(y)| dy = ‖f‖1‖g‖1 <∞,

nach dem Satz von Tonelli ist (x, y) 7→ f(x−y)g(y) auf Rn×Rn integrierbar unddamit nach Fubini

x 7→∫Rnf(x− y)g(y) dy

eine (f.u. definierte) integrierbare Funktion.

Proposition 4.11 Sind f, g : Rn → R integrierbar, so sind auch f ∗ g und g ∗ fintegrierbar und es gilt

‖f ∗ g‖1 ≤ ‖f‖1‖g‖1 sowie f ∗ g = g ∗ f.

Beweis. Die Rechnung von oben zeigt

‖f ∗ g‖1 =

∫Rn|f ∗ g(x)| dx ≤

∫Rn

∫Rn|f(x− y)g(y)| dy dx = ‖f‖1‖g‖1.

Eine analoge Abschatzung gilt fur g∗f . Die Kommutativitat folgt aus dem Trans-formationssatz mit der Substitution z = x− y. (Genauer: Mit der Transformati-onsformel fur den Diffeomorphismus y 7→ x− y.) Demnach ist

f ∗ g(x) =

∫Rnf(x− y)g(y) dy =

∫Rnf(z)g(z − x) dz = g ∗ f(x).

Da mit f = f ′ f.u. und g = g′ f.u. offenbar auch f ∗ g = f ′ ∗ g′ f.u. ist, konnenwir die Faltung auch als eine Abbildung

L1(Rn)× L1(Rn)→ L1(Rn), (f, g) 7→ f ∗ g

75

auffassen, die offenbar bilinear ist. Proposition 4.11 besagt dann insbesondere,dass diese Faltungsabbildung stetig ist, denn fk → f und gk → g in L1 impliziert

‖fk ∗ gk − f ∗ g‖1 ≤ ‖(fk − f) ∗ gk‖1 + ‖f ∗ (gk − g)‖1

≤ ‖(fk − f)‖1‖gk‖1 + ‖f‖1‖gk − g‖1 → 0,

da ‖gk‖1 als konvergente Folge beschrankt ist.

Zusammengefasst lauten die Ergebnisse von oben dann:

Satz 4.12 Die Faltungsabbildung L1(Rn)× L1(Rn)→ L1(Rn), (f, g) 7→ f ∗ g istbilinear und kommutativ und stetig mit

‖f ∗ g‖1 ≤ ‖f‖1‖g‖1.

Beweis. Klar.

Die Faltung ist auch dann noch sinnvoll definiert, wenn einer der Faktoren inL1 und der andere in Lp fur beliebiges 1 ≤ p ≤ ∞ liegt:

Satz 4.13 Fur f ∈ L1(Rn) und g ∈ Lp(Rn), 1 ≤ p ≤ ∞ definiert

f ∗ g(x) =

∫Rnf(x− y)g(y) dy

eine stetige bilineare Abbildung L1(Rn)× Lp(Rn)→ Lp(Rn) mit

‖f ∗ g‖p ≤ ‖f‖1‖g‖p.

Die letzte Abschatzung heißt auch die Youngsche Ungleichung.

Beweis.4 Fur p = 1 ist das schon gezeigt und fur p = ∞ ist |f(x − y)g(y)| ≤‖g‖∞|f(x− y)| fur fast alle y, also integrierbar mit

|f ∗ g(x)| ≤∫Rn|f(x− y)g(y)| dy ≤ ‖g‖∞

∫Rn|f(x− y)| dy = ‖g‖∞‖f‖1.

fur alle x.Sei nun 1 < p < ∞. Zunachst gilt fur f, g ≥ 0 mit 1

p+ 1

q= 1 nach der

Holderschen Ungleichung

f ∗ g(x) =

∫Rnf 1/q(x− y)f 1/p(x− y)g(y) dy

≤(∫

Rn|f 1/q|q dy

) 1q(∫

Rn|f 1/p(x− y)g(y)|p dy

) 1p

= ‖f‖1/q1

(∫Rnf(x− y)gp(y) dy

) 1p

.

4Dieser Beweis wurde in der Vorlesung weggelassen.

76

Potenzieren mit p und Integration nach x liefert wegen q = pp−1

nach dem Satzvon Tonelli ∫

Rn(f ∗ g)p dx ≤ ‖f‖p−1

1

∫Rn

∫Rnf(x− y)gp(y) dy dx

= ‖f‖p−11

∫Rn

∫Rnf(x− y) dx gp(y) dy

= ‖f‖p−11

∫Rn‖f‖1 g

p(y) dy = ‖f‖p1‖g‖pp,

d.h. es ist (∫Rn

(∫Rnf(x− y)g(y) dy

)pdx

) 1p

≤ ‖f‖1‖g‖p.

Fur f ∈ L1(Rn) und g ∈ Lp(Rn) zeigt die Rechnung angewandt auf |f | und|g|, dass y 7→ f(x− y)g(y) fur fast alle x integrierbar ist mit(∫

Rn

∣∣∣∣∫Rnf(x− y)g(y) dy

∣∣∣∣p dx) 1p

≤(∫

Rn

(∫Rn|f(x− y)||g(y)| dy

)pdx

) 1p

≤ ‖f‖1‖g‖p,

was zu zeigen war. Die Stetigkeit der Faltungsabbildung folgt ganz analog zumFall q = 1.

Bemerkung.5 Man kann auch zwei Maße µ und µ′ auf B falten, indem man

µ ∗ µ′(A) :=

∫Rnµ(A− x)µ′(dx)

setzt. Wahlt man zu A ∈ Bn die Menge SA = (x, y) ∈ Rn ×Rn : x+ y ∈ A, sozeigt

µ⊗ µ′(SA) =

∫Rn

∫RnχSA(x, y)µ(dy)µ′(dx)

=

∫Rn

∫RnχA−x(y)µ(dy)µ′(dx) =

∫Rnµ(A− x)µ′(dx),

dass µ∗µ′ gerade das Bildmaß des Produktmaßes unter der Bildung der Summender Komponenten ist. In wahrscheinlichkeitstheoretischer Interpretation zeigt die-ser Zusammenhang, dass die Verteilung der Summe unabhangiger Zufallsvaria-blen gerade durch die Faltung der Verteilungen der Summanden gegeben ist.

5Diese Bemerkung kann getrost ubersprungen werden.

77

Der Zusammenhang zu L1-Funktionen ergibt sich, wenn µ und µ′ durch Dich-ten (vgl. die Bemerkung von Seite 42) f bzw. f ′ bezuglich des Lebesgue-Maßesgegeben sind. Dann ist namlich

µ ∗ µ′(A) =

∫Ω

∫A−x

f(y) dy f ′(x) dx =

∫Ω

∫A

f(y − x) dy f ′(x) dx

=

∫A

∫Ω

f(y − x) f ′(x) dx dy =

∫A

f ∗ f ′(y) dy,

also f ∗ f ′ gerade die Dichte von µ ∗ µ′.Eine fur die Analysis bedeutende Anwendung ist die Approximation von rauen

durch glatte Funktionen, die sich aus den nachsten beiden Satzen ergibt.

Satz 4.14 Es seien f ∈ Ck(Rn), k ∈ N0, mit kompaktem Trager und g ∈ Lp(Rn),1 ≤ p ≤ ∞. Dann ist auch f ∗ g ∈ Ck(Rn) und es gilt

∂α(f ∗ g) = (∂αf) ∗ g

fur alle Multiindizes α mit |α| ≤ k.

Beweis. Wahlt man R so groß, dass supp f ⊂ BR(0) und damit auch supp ∂αf ⊂BR(0) fur jedes α ist, so folgt fur jedes r > 0

∂αf(x− y) = 0 ∀x ∈ Br(0), y ∈ BcR+r(0).

da fur diese x, y ja |x− y| ≥ |y| − |x| ≥ R gilt. Damit ist aber fur x ∈ Br(0)

|∂αf(x− y)g(y)| ≤ CχBR+r(0)(y)g(y)

fur eine Konstante C > max|α|≤k supz∈Rn |∂αf(z)|. (Ein solches C existiert, dajedes ∂αf kompakten Trager hat.) Auf der rechten Seite der letzten Ungleichungsteht aber eine integrierbare Funktion, denn nach Holder ist

‖χBR+r(0)g‖1 ≤ ‖χBR+r(0)‖q‖g‖p = (λ(BR+r(0)))1/q ‖g‖p <∞

mit 1p

+ 1q

= 1.

Die Stetigkeit von f ∗g in Br(0) folgt nun direkt aus Satz 3.28. Da r > 0 aberbeliebig war, ist damit der Fall k = 0 gezeigt. Die Differenzierbarkeitsaussage folgtnun induktiv mit Satz 3.29: Ist sie fur f ∈ Ck schon gezeigt und nun f ∈ Ck+1,so gilt fur |α| = k mit αi > 0 ja

∂α−ei(f ∗ g) =

∫Rn∂α−eix f(x− y)g(y) dy,

wobei die Ableitung ∂xi∂α−eix f(x − y)g(y) des Integranden fur x ∈ Br(0) durch

eine integrierbare Funktion majorisiert wird. Wir durfen also unter dem Integral

78

differenzieren und erhalten, da r beliebig war, eine nach dem Fall k = 0 stetigeFunktion

∂α(f ∗ g) = (∂αf) ∗ g.

Bemerkung. Der Beweis zeigt, dass eine schwachere Annahme als supp f kom-pakt ausgereicht hatte: Es genugt etwa, dass zu jedem r > 0 und Multiindex αeine Lq-Funktion F , 1

p+ 1

q= 1, gefunden werden kann mit

supx∈Br(0)

|∂αf(x− y)| ≤ F (y).

Ein wichtiges Beispiel einer solchen Funktion ist f(x) = e−x2.

Definition 4.15 Eine Folge nichtnegativer Funktionen (ϕk) ∈ L1(Rn) heißt eineDirac-Folge, wenn gilt

limk→∞

∫Rnϕk = 1 und lim

k→∞

∫Rn\Br(0)

ϕk = 0 ∀ r > 0.

Satz 4.16 Es sei (ϕk) eine Diracfolge auf Rn, f ∈ Lp(Rn), 1 ≤ p ≤ ∞. Setzefk := ϕk ∗ f . Dann gilt:

(i) Ist f ∈ Lp(Rn) mit 1 ≤ p <∞, so folgt fk → f in Lp.

(ii) Ist f ∈ Cb(Rn) := L∞(Rn) ∩ C(Rn), so folgt fk → f gleichmaßig auf jederkompakten Teilmenge von Rn.

Bemerkung. Anschaulich (und in einem gewissen Sinne sogar rigoros) approxi-miert eine solche Dirac-Folge das Dirac-Maß δ0 mit

δ0(A) = 1 ⇐⇒ 0 ∈ A

fur A ∈ L. Fasst man f ∈ L1 als Maß A 7→∫Af(x) dx mit Dichte f auf, so gilt

δ0 ∗ f(A) =

∫Rnδ0(A− x)f(x) dx =

∫RnχA(x)f(x) dx =

∫A

f(x) dx.

M.a.W.: δ ∗ f = f . Satz 4.16 liefert also mit geeigneten Approximationen ϕk anδ0 Approximationen ϕk ∗ f an δ0 ∗ f = f .

Beweis von Satz 4.16. Wir zeigen zunachst (ii). Sei K ⊂ Rn kompakt. Zu ε > 0konnen wir wegen der gleichmaßigen Stetigkeit von f auf beschrankten Mengen0 < r < 1 so klein wahlen, dass

supx∈K

supy∈Br(x)

|f(x)− f(y)| ≤ ε

79

gilt. Fur hinreichend große k ist∫Rn\Br(0)

ϕk ≤ ε und |1 −∫Rn ϕk| ≤ ε und wir

erhalten

|fk(x)− f(x)|

=

∣∣∣∣∫Rnϕk(x− y) (f(y)− f(x)) dy −

(1−

∫Rnϕk(x− y) dy

)f(x)

∣∣∣∣≤∫Br(x)

ϕk(x− y) |f(y)− f(x)| dy +

∫Rn\Br(x)

ϕk(x− y) |f(y)− f(x)| dy

+

∣∣∣∣1− ∫Rnϕk(x− y) dy

∣∣∣∣ |f(x)|

≤ ε

∫Br(x)

ϕk(x− y) dy + 2‖f‖∞∫Rn\Br(x)

ϕk(x− y) dy + ‖f‖L∞ε

≤ ε(1 + ε) + 3‖f‖∞ε

fur alle x ∈ K. Daraus folgt die Behauptung.(i) ergibt sich nun aus (ii) mit Hilfe der Youngschen Ungleichung und der

Dichtheit von f ∈ C : supp f ist kompakt in Lp. Nach der Youngschen Unglei-chung gilt

‖ϕk ∗ f − (χB1(0)ϕk) ∗ f‖p ≤∫Rn\B1(0)

ϕk dx ‖f‖p → 0.

Wir durfen also, indem wir ggf. zu (χB1(0)ϕk), was wieder eine Diracfolge ist,ubergehen, annehmen, dass suppϕk ⊂ B1(0) fur alle k gilt.

Zu ε > 0 wahle g stetig mit kompaktem Trager, etwa supp g ⊂ BR(0), so dass‖f − g‖p ≤ ε ist, vgl. Satz 4.9. Da dann aber

ϕk(x− y)g(y) = 0 ∀x /∈ BR+1(0), y ∈ Rn, k ∈ N

und damit supp(ϕk ∗ g) ⊂ BR+1(0) ist, folgt aus (ii) fur k genugend groß

‖fk − f‖p ≤ ‖ϕk ∗ f − ϕk ∗ g‖p + ‖ϕk ∗ g − g‖p + ‖g − f‖p

≤ ‖ϕk‖1‖g − f‖p +

(∫BR+1(0)

|ϕk ∗ g − g|p) 1

p

+ ‖f − g‖p

≤ (1 + ‖ϕk‖1)ε+ |BR+1(0)|1p supBR+1(0)

|ϕk ∗ g − g| ≤ 3ε.

Beispiel: Es sei ϕ : Rn → R nicht negativ und integrierbar mit∫Rn ϕ(x) dx = 1.

Fur ε > 0 setze ϕε(x) = ε−nϕ(xε). Dann ist (ϕε) fur ε→ 0 (genauer: (ϕεk)k∈N fur

εk → 0) eine Dirac-Folge.

80

Begrundung: Nach der Transformationsformel ist (mit der Substitution y = ε−1x)∫Rnϕε(x) dx =

∫Rnε−nϕ(ε−1x) dx =

∫Rnϕ(y) dy = 1

fur alle ε und ∫Rn\Br(0)

ϕε(x) dx =

∫Rn\Br/ε(0)

ϕ(y) dy → 0

mit ε→ 0 nach dem Satz von der majorisierten Konvergenz.Dies gilt insbesondere fur die Funktion

ϕ(x) =

Ce− 1

1−x2 fur |x| < 1,

0 fur |x| ≥ 1,

wobei C > 0 so gewahlt ist, dass∫ϕ(x) dx = 1 ist. Dieses ϕ ist unendlich

oft differenzierbar. (Beachte, dass die Funktion t 7→ e− 1

1−t2 auf R C∞-glattist. Das folgt daraus, dass deren k-te Ableitung auf (−1, 1) von der Form t 7→pk(t)(1 − t2)−2ke

− 11−t2 fur geeignete Polynome pk ist, wie man durch Induktion

sieht. Uberlegen Sie sich das!) Man nennt diese Funktion ϕ auch den Standard-Glattungskern (engl.: standard mollifier).

Korollar 4.17 Die Menge C∞c (Rn) der beliebig oft differenzierbaren Funktionenmit kompaktem Trager ist dicht in Lp(Rn) fur 1 ≤ p <∞.

Bemerkung. Beachte, dass der folgende Beweis zeigt, dass die C∞c (Rn)-Approxi-mationen an f ∈ Lp unabhangig von p gewahlt werden konnen.

Beweis. Es sei ϕ der Standard-Glattungskern aus dem vorigen Beispiel und ϕε =ε−nϕ( ·

ε) die zugehorige Dirac-Folge. Ist f ∈ Lp und η > 0, so ist nach dem Satz

von der majorisierten Konvergenz fur g = χBR(0)f ∈ Lp ‖f − g‖p < η fur Rhinreichend groß. Nach Satz 4.14 ist nun ϕε ∗ g C∞-glatt und nach Satz 4.16 gilt‖ϕε ∗ g− g‖p ≤ η fur hinreichend kleine ε > 0, also ‖ϕ ∗ g− f‖p < 2η. Schließlichist ϕε(x − y)g(y) = 0 fur alle y ∈ Rn, wenn x /∈ BR+ε(0) ist, weshalb ϕε ∗ gkompakten Trager hat.

(Naturlich gilt auch ϕε ∗ f ∈ C∞ und ϕε ∗ f → f mit ε → 0. Doch dieseFunktionen haben i.A. nicht kompakten Trager.)

4.3 Fourier-Transformation

In Analysis 2 hatten wir gesehen, das sich periodische Funktionen in eine Fourier-Reihe entwickeln lassen, sich also als Uberlagerung der komplexen Exponential-funktionen x 7→ eikx, k ∈ Z, darstellen lassen. Wir wenden uns nun dem Problemzu, allgemeine Funktionen f : Rn → C in dieser Weise zu beschreiben. Lasst man

81

die Periodizitatsbedingung fallen, stellt sich heraus, dass (gutartige) Funktionenf immer noch durch eine “kontinuierliche Uberlagerung” der “ebenen Wellen”x 7→ eiξ·x, ξ ∈ Rn, gegeben sind:

f(x) =1

(2π)n/2

∫Rneix·ξf(ξ) dξ.

Die f(ξ), ξ ∈ Rn, spielen hier die Rolle der Fourier-Koeffizienten im periodischenFall. Nun brauchen wir allerdings fur jedes ξ ∈ Rn einen solchen Koeffizientenund nicht mehr nur abzahlbar viele wie bei den Fourier-Reihen. Die Abbildungξ → f(ξ) nennt man die Fourier-Transformierte von f .

Naturlicherweise betrachten wir in diesem Abschnitt komplexwertige Funk-tionen, schreiben aber oft nur kurz Lp oder Lp(Rn) fur Lp(Rn;C).

Definition 4.18 Es sei f ∈ L1(Rn;C). Dann ist die Fourier-Transformierte von

f als die Funktion f : Rn → C mit

Ff(ξ) := f(ξ) :=1

(2π)n/2

∫Rne−ix·ξf(x) dx

definiert.

Da die Funktionen x 7→ eix·ξ (durch 1) beschrankt sind, existieren diese Integralewirklich. Offensichtlich stimmen sie fur fast uberall gleiche Funktionen uberein.

Bemerkungen.

1. In der Literatur sind auch leicht abweichende Definitionen gebrauchlich,wobei es immer darum geht, den Faktor 2π an unterschiedlichen Stellenunterzubringen. Insbesondere findet man auch oft

∫Rn e

−ix·ξf(x) dx als De-finition fur die Fourier-Transformation (wobei 2π dann in der unten dis-kutierten inversen Fourier-Transformation auftritt). Jede Version hat ihreVor- und Nachteile.

2. Man kann durch Fµ(ξ) := µ(ξ) := 1(2π)n/2

∫Rn e

−ix·ξ µ(dx) die Fourier-Trans-

formation auch fur endliche Maße auf dem Rn erklaren. Das werden wir hieraber nicht weiter verfolgen.

Beispiele:

1. Es sei f = χ(−R,R) : R → R die charakeristische Funktion des Intervalls(−R,R). Dann ist (Ubung!)

f(ξ) =

√2

π

sin(Rξ)

ξ.

82

2. Es sei nun f : R→ R die Gaußsche Glockenkurve f(x) = 1√2πe−x

2/2. Dannist

f(ξ) =1

∫ ∞−∞

e−ix·ξe−x2

2 dx =1

∫ ∞−∞

e−12

(x+iξ)2 dx e−ξ2

2 .

Um das letzte Integral, ohne Anleihen aus der Funktionentheorie nehmenzu mussen, zu berechnen, bemerken wir, dass nach Satz 3.29

d

∫ ∞−∞

e−12

(x+iξ)2 dx = −i∫ ∞−∞

(x+ iξ)e−12

(x+iξ)2 dx = ie−12

(x+iξ)2∣∣∣x=∞

x=−∞= 0

gilt, denn fur jedes R > 0 ist wegen |e− 12

(x+iξ)2 | = e−12

(x2−ξ2) die Ableitungdes Integranden durch∣∣∣(x+ iξ)e−

12

(x+iξ)2∣∣∣ ≤ (|x|+R)e−

12

(x2−R2) ∀ξ ∈ BR(0)

majorisiert. Da das Integral fur ξ = 0 nach Beispiel 2 von Seite 63 den Wert∫∞−∞ e

−x2/2 dx =√

2π annimmt, erhalten wir zusamenfassend:

f(ξ) =1

2π·√

2π · e−ξ2

2 = f(ξ).

f ist also seine eigene Fourier-Transformierte.

Wir untersuchen nun zunachst einige elementare Eigenschaften der Fourier-Transformation.

Satz 4.19 (Elementare Eigenschaften der Fourier-Transformation) Es sei-en f, g ∈ L1(Rn), λ ∈ C. Die Fourier-Transformation erfullt die folgenden Eigen-schaften:

(i) f + g = f + g und λf = λf .

(ii) f ist stetig und beschrankt mit ‖f‖∞ ≤ 1(2π)n/2

‖f‖1.

(iii) Fur die Fourier-Transformierte der komplex-konjugierten Funktion gilt

f(ξ) = f(−ξ) ∀ ξ ∈ Rn.

(iv) Bezeichnet τaf fur a ∈ Rn die um a translatierte Funktion f(· − a), so gilt

τaf(ξ) = e−ia·ξf(ξ) ∀ ξ ∈ Rn.

(v) Ist λ ∈ R \0 und bezeichnet fλ die gestreckte Funktion fλ(x) = f(λx), soist

fλ(ξ) =1

|λ|nf

λ

)∀ ξ ∈ Rn.

83

(vi) f g und fg liegen in L1 und es gilt∫Rnf(x)g(x) dx =

∫Rnf(x)g(x) dx.

Beweis. (i) Klar.(ii) Die Stetigkeit von f folgt direkt aus Satz 3.28 und |eix·ξf(x)| = |f(x)|.

Des Weiteren ist |f(ξ)| ≤ 1(2π)n/2

∫Rn |e

−ix·ξf(x)| dx = 1(2π)n/2

‖f‖1 fur alle ξ.

(iii) Dies folgt aus

f(ξ) =1

(2π)n/2

∫Rne−ix·ξf(x) dx =

1

(2π)n/2

∫Rne+ix·ξf(x) dx = f(−ξ).

(iv) Offenbar ist τaf ∈ L1 und die Substitution y = x− a ergibt

1

(2π)n/2

∫Rne−ix·ξf(x− a) dx =

1

(2π)n/2

∫Rne−ia·ξe−iy·ξf(y) dy = eia·ξf(ξ).

(v) Offenbar ist fλ ∈ L1 und die Substitution y = λx ergibt nach der Trans-formationsformel

1

(2π)n/2

∫Rne−ix·ξf(λx) dx =

1

(2π)n/2

∫Rne−iy·

ξλf(y)

1

|λ|ndy =

1

|λ|nf

λ

).

(vi) Wegen (ii) ist f , g ∈ L∞ und daher nach der Holderschen Ungleichungf g, f g ∈ L1. Mit dem Satz von Fubini ergibt sich∫

Rnf(x)g(x) dx =

1

(2π)n/2

∫Rn

∫Rne−iy·xf(y) dy g(x) dx

=1

(2π)n/2

∫Rn

∫Rne−iy·xg(x) dx f(y) dy =

∫Rng(y)f(y) dx.

(Beachte, dass (x, y) 7→ e−iy·xf(y)g(x), vom Betrag kleiner oder gleich |f(x)||g(y)|,nach dem Satz von Tonelli integrierbar ist.)

Bemerkung. (i) und (ii) besagen, dass die Fourier-Transformation eine stetigelineare Abbildung F : L1 → L∞ ist, deren Bild sogar in Cb = L∞ ∩ C liegt. Wirwerden diese Aussage weiter unten noch verstarken.

Wir begrunden nun die eingangs erwahnte Darstellungsformel fur f durchseine Fourier-Transformierte.

Satz 4.20 (Umkehrformel) Es seien f und f ∈ L1. Dann gilt fur fast alle x

f(x) =1

(2π)n/2

∫Rneix·ξf(ξ) dξ.

84

Fur eine Funktion g ∈ L1 schreibt man daher auch

F−1g(ξ) :=1

(2π)n/2

∫Rneix·ξg(x) dx,

also F−1g(ξ) = Fg(−ξ) und nennt diese Operation die inverse Fourier-Transfor-mation.

Beweis. Zu ϕ(x) = 1(2π)n/2

e−x2

2 definieren wir

ϕε(x) = ϕ(εx) und ψε(x) = ε−nϕ(xε

)fur ε > 0. Nach Satz 4.19(v) und Beispiel 2 von Seite 83 gilt dann

ϕε(ξ) = ψε(x).

Nach Satz 4.19(iv) und (vi) ist daher (mit y = −ξ)∫eix·ξf(ξ)ϕε(ξ) dξ =

∫τ−xf(ξ)ϕε(ξ) dξ =

∫τ−xf(ξ)ϕε(ξ) dξ

=

∫f(x+ ξ)ψε(ξ) dξ =

∫f(x− y)ψε(y) dy = (f ∗ ψε)(x),

weil ψε gerade ist.Nun ist nach dem Beispiel von Seite 80 (ψ)εk fur εk → 0 eine Dirac-Folge,

denn es gilt ja∫ψ1(x) dx = 1 nach Beispiel 2 von Seite 83. Damit gibt es nach

den Satzen 4.16(i) und 4.6 eine Teilfolge, so dass f ∗ ψεkm fast uberall gegen fkonvergiert. Andererseits gilt offenbar ϕεk → 1

(2π)n/2und damit wegen

|eix·ξf(ξ)ϕε(ξ)| ≤1

(2π)n/2|f(ξ)|

nach dem Satz von der majorisierten Konvergenz∫eix·ξf(ξ)ϕεk(ξ) dξ →

1

(2π)n/2

∫eix·ξf(ξ) dξ

fur alle x. Es folgt tatsachlich

f(x) =1

(2π)n/2

∫eix·ξf(ξ) dξ fur f.a. x.

Korollar 4.21 Ist f, f ∈ L1, so giltˆf(x) = f(−x) und insbesondere F4f = f .

85

Beweis. f(−x) = F−1Ff(−x) = F2f(x). Insbesondere ist mit f, f ∈ L1 auchˆf ∈ L1 und damit induktiv Fkf ∈ L1 fur alle k.

Besonders wichtig ist nun, dass die Fourier-Transformation Ableitungen inProdukte verwandelt(!).

Satz 4.22 (Fourier-Transformation und Differentiation) Es seien f ∈ L1(Rn)und j ∈ 1, . . . , n.

(i) Ist f ∈ C1(Rn) und ∂jf ∈ L1 fur ein j ∈ 1, . . . , n, so ist

∂jf(ξ) = iξj f(ξ) ∀ ξ ∈ Rn.

(ii) Ist umgekehrt xjf (genauer: x 7→ xjf(x)) eine L1-Funktion, so ist f nachξj partiell differenzierbar mit

∂j f = −ixjf.

Beweis. (i) Wegen f ∈ L1 gibt es nach dem Satz von Fubini fur (λn−1-)fast alle(x1, . . . , xj−1, xj+1, . . . , xn) Folgen ak → −∞, bk →∞ mit

f(x1, . . . , xj−1, ak, xj+1, . . . , xn), f(x1, . . . , xj−1, bk, xj+1, . . . , xn)→ 0,

da sonst ja∫|f(x)| dxj nicht konvergieren wurde. Andererseits ist fur −∞ < a <

b <∞ nach partieller Integration∫ b

−ae−ixjξj∂jf(x) dxj = e−ixjξjf(x)

∣∣xj=bxj=a

+ iξj

∫ b

−ae−ixjξjf(x) dxj.

Angewandt auf a = ak und b = bk ergibt sich im Limes k →∞ mit majorisierterKonvergenz ∫

Re−ixjξj∂jf(x) dxj = iξj

∫Re−ixjξjf(x) dxj.

Wiederum mit dem Satz von Fubini folgt daher nun

∂jf(ξ)

=

∫ ∞−∞· · ·∫ ∞−∞

∏k 6=j

e−ixkξk(∫ ∞−∞

e−ixjξj∂jf(x) dxj

)dx1 . . . dxj−1 dxj+1 . . . dxn

= iξj

∫ ∞−∞· · ·∫ ∞−∞

e−ix·ξf(x) dx1 . . . dxn,

also die Behauptung.

86

(ii) Dies folgt aus Satz 3.29, da ξj 7→ e−ix·ξf(x) differenzierbar ist und

|∂je−ix·ξf(x)| = | − ixje−ix·ξf(x)| = |xjf(x)|

gilt.

Beispiel: Fur jedes f ∈ C∞c und jedes p ∈ [1,∞] ist f ∈ Lp.Begrundung: Nach Satz 4.19(ii) ist f ∈ L∞. Sei also p <∞. Fur jeden Multiindexα ist auch ∂αf ∈ C∞c ⊂ L1 und

|ξαf(ξ)| = |∂αf(ξ)| ≤ 1

(2π)n/2‖∂αf‖1

nach Satz 4.22 und Satz 4.19(ii). Daher gibt es eine nur von f und k ∈ N0

abhangige Konstante C > 0 mit

|(1 + |ξ|2k)f(ξ)| ≤ C ∀ ξ ∈ Rn.

Setzt man Bj = Bj+1(0)\Bj(0) und wahlt k mit 2k−n ≥ 2, so folgt aus Beispiel4 von Seite 64∫

|f(ξ)|p ≤∫

Cp

(1 + |ξ|2k)p=∞∑j=0

∫Bj

(· · · )

≤ Cpλ(B1(0)) + Cp

∞∑j=1

j−2kpλ(Bj) ≤Cpπn/2

Γ(1 + n2)

∞∑j=0

j−2k+n <∞.

Daher ist f integrierbar.

Wir konnen nun unsere Folgerung aus Satz 4.19(ii) verstarken:

Satz 4.23 (‘Lemma’ von Riemann-Lebesgue) Es sei f ∈ L1(Rn). Dann gilt

lim|ξ|→∞

f(ξ) = 0.

Beweis. Es sei zunachst f ∈ C1 mit kompaktem Trager. Dann ist fur ξ mit ξj 6= 0nach den Satzen 4.22(i) und 4.19(ii)

|f(ξ)| =∣∣∣∣− i

ξj∂jf(ξ)

∣∣∣∣ ≤ ‖∂jf‖1

(2π)n/2|ξj|

und damit

|f(ξ)| ≤ minj

‖∂jf‖1

(2π)n/2|ξj|≤ maxj ‖∂jf‖1

(2π)n/2 maxj |ξj|→ 0

mit |ξ| → ∞.

87

Es sei nun allgemein f ∈ L1. Zu gegebenem ε > 0 gibt es eine stetig differen-zierbare Funktion mit kompaktem Trager und ‖f −g‖1 < ε, s. Korollar 4.17. Fur|ξ| hinreichend groß ist dann aber

|f(ξ)| ≤ |f(ξ)− g(ξ)|+ |g(ξ)| ≤ ‖f − g‖∞ + ε ≤ ‖f − g‖1 + ε ≤ 2ε.

Schließlich beweisen wir noch die wichtige Eigenschaft der Fourier-Transfor-mation, Faltungen in Produkte zu uberfuhren.

Satz 4.24 (Fourier-Transformation und Faltung) Es seien f, g ∈ L1.

(i) Dann ist auch f ∗ g ∈ L1 und es gilt

f ∗ g = (2π)n/2f g.

(ii) Sind zusatzlich f , g ∈ L1, so ist auch fg ∈ L1 mit

f g =1

(2π)n/2f ∗ g.

Beweis. (i) Nach der Youngschen Ungleichung (s. Satz 4.13) ist f ∗ g in L1. MitFubini und der Substitution z = x− y folgt

f ∗ g(ξ) =1

(2π)n/2

∫e−ix·ξ

∫f(y)g(x− y) dy dx

=1

(2π)n/2

∫e−iy·ξf(y)

∫e−i(x−y)·ξg(x− y) dx dy

= (2π)n/21

(2π)n/2

∫e−iy·ξf(y)

1

(2π)n/2

∫e−iz·ξg(z) dz dy

= (2π)n/2f(ξ)g(ξ).

(ii) Wegen f(x) =ˆf(−x) ist f ∈ L∞ nach Satz 4.19(ii) und somit fg ∈ L1.

Weiter ist nach (i)

F(ˆf ˆg) =

1

(2π)n/2F((2π)n/2FFf · FFg

)=

1

(2π)n/2F2 (Ff ∗ Fg)

und damit (beachte (ˆf ˆg)(x) = fg(−x) =

fg(x))

F(fg) = F3(ˆf ˆg) =

1

(2π)n/2Ff ∗ Fg.

88

Die Fourier-Transformation kann auch auf dem Raum L2(Rn;C) erklart wer-den und hat dann besonders schone Abbildungseigenschaften: F : L2 → L2 isteine Isometrie. Da das Integral aus der Definition der Fourier-Transformation furf ∈ L2 \ L1 nicht mehr definiert ist (denn x 7→ |e−ix·ξf(x)| = |f(x)| ist nichtintegrierbar), mussen wir hier anders vorgehen: Wir setzen F von L1 ∩ L2 stetigauf L2 fort:

Satz 4.25 (Fourier-Transformation auf L2) Es gibt genau eine stetige Ab-bildung L2 → L2, f 7→ f , die auf L1 ∩ L2 mit der Fourier-Transformation uber-einstimmt (und wieder mit F bezeichnet wird).F ist linear und besitzt eine Inverse F−1, die auf L1 ∩ L2 mit der inversen

Fourier-Transformation auf L1 ∩ L2 ubereinstimmt.Es gilt die Formel von Plancherel:∫

f(ξ)g(ξ) dξ =

∫f(x)g(x) dx ∀ f, g ∈ L2.

F : L2 → L2 ist also ein Vektorraumisomorphismus, der das L2-Skalarprodukterhalt: 〈Ff,Fg〉 = 〈f, g〉. Man sagt daher auch, F sei unitar. Insbesondere ergibtsich fur f = g

‖f‖2 = ‖f‖2,

weshalb man auch von einer Isometrie spricht.

Beweis. Nach Lemma 4.19(vi), (iii) und Korollar 4.21 ist fur f, g ∈ L1 mit f , g ∈L1 ∫

f(x)g(x) dx =

∫f(x)ˆg(x) dx =

∫f(x)ˆg(−x) dx =

∫f(x)g(x) dx.

Nach dem Beispiel von Seite 87 ist insbesondere fur jedes f ∈ C∞c die Fourier-Transformierte f in L2 mit ‖f‖2 = ‖f‖2.

Nun liegt nach Korollar 4.17 C∞c dicht in L2, so dass wir zu jedem f ∈ L2

eine Folge fk ∈ C∞c mit fk → f in L2 wahlen konnen. Wie nach diesem Korollarbemerkt konnen wir, falls f außerdem in L1 liegt, die fk so wahlen, dass auchfk → f in L1 gilt.

Es gilt dann ‖fk − fm‖2 = ‖fk − fm‖2, weshalb fk eine Cauchyfolge ist undwir eine Abbildung T : L2 → L2,

T (f) = limk→∞

fk (in L2)

definieren konnen. Diese Definition ist unabhangig von der Auswahl der Folge fk,denn ist gk eine weitere Folge mit gk → f , so ist ja ‖fk − gk‖2 ≤ ‖fk − gk‖2 → 0,also limk→∞ gk = limk→∞ fk. Insbesondere ist Tf = f fur f ∈ C∞c , was man ausder Wahl fk = f fur alle k ersieht.

89

Des Weiteren ist mit C∞c 3 fk → f und C∞c 3 gk → g

|〈fk, gk〉 − 〈f, g〉| = |〈fk − f, gk〉+ 〈f, gk − g〉|≤ ‖fk − f‖2‖gk‖2 + ‖f‖2‖gk − g‖2 → 0

und genauso wegen fk → T (f) und gk → T (g)∣∣∣〈fk, gk〉 − 〈T (f), T (g)〉∣∣∣→ 0,

also〈f, g〉 = 〈T (f), T (g)〉.

Fur λ ∈ C ergibt sich außerdem

T (f + λg) = limkF(fk + λgk) = T (f) + λT (g),

so dass T linear ist. T ist auch stetig, da gilt

‖Tf − Tg‖2 = ‖f − g‖2 ∀ f, g ∈ L2.

Schließlich gilt fur f ∈ L1 ∩ L2

‖fk − f‖∞ ≤1

(2π)n/2‖fk − f‖1 → 0,

also insbesondere fk → f punktweise. Andererseits gibt es nach Satz 4.6 eineTeilfolge fkm , so dass fkm punktweise fast uberall gegen Tf konvergiert. Dieszeigt, dass T = F auf L1 ∩ L2 ist. Wir konnen also F = T setzen.

Ganz analog lasst sich F−1 von L1∩L2 auf L2 mit Werten in L2 fortsetzen. MitC∞c 3 fk → f folgt dann aus der Stetigkeit von F und F−1 sowie Ffk,F−1fk ∈ L1

F−1Ff = limk→∞F−1Ffk = f = lim

k→∞FF−1fk = FF−1f.

90

Kapitel 5

Mannigfaltigkeiten

In den nachsten Kapiteln werden wir beschreiben, wie man Funktionen uber“gekrummte Flachen” integrieren kann. Diese Mannigfaltigkeiten sollen dahernun mathematisch sauber eingefuhrt werden. Wir werden in dieser Vorlesungnur Untermannigfaltigkeiten des Rn betrachten. Das ist technisch einfacher, daman in diesem Fall einen “umgebenden Raum” zur Verfugung hat. Im letztenAbschnitt dieses Kapitels werden wir allerdings kurz noch auf den allgemeinenMannigfaltigkeitsbegriff eingehen.

5.1 Definition und Charakterisierung

Es gibt verschiedene Moglichkeiten, Untermannigfaltigkeiten des Rn zu definie-ren; der Leitgedanke ist aber immer der gleiche: Wenn die “geraden”, “nichtgekrummten” Teilmengen, also die affinen Unterraume durch affine Funktionenbeschrieben werden konnen, so mussen wir die Mannigfaltigkeiten mit Hilfe nicht-linearer Funktionen beschreiben. Indem wir differenzierbare Funktionen betrach-ten, erhalten wir allgemeine Teilmengen, auf denen sich eine “differenzierbareStruktur” definieren lassen wird.

Im Wesentlichen gibt es drei aquivalente Charakterisierungen:

• durch außere Karten,

• als Losungsmenge von Gleichungen oder

• durch Parametrisierungen bzw. innere Karten.

Motiviert sind diese Darstellungen durch die Beschreibung von Unterraumen desRn: V ⊂ Rn ist ein k-dimensionaler Unterraum genau dann, wenn eine der dreifolgenden aquivalenten Bedingungen erfullt ist:

• Es gibt einen Isomorphismus Φ : Rn → Rn (eine “außere Karte”), so dassΦ(V ) = Rk × 0 ⊂ Rn ist.

91

• Es gibt eine lineare Abbildung f : Rn → Rn−k mit vollem Rang (alsoRang f = n− k), so dass V = Kern f = x ∈ Rn : f(x) = 0 gilt.

• Es gibt eine lineare Abbildung (eine “Parametrisierung”) Ψ : Rk → Rn mitRang Ψ = k und V = Bild Ψ = Ψ(Rk).

Fur Mannigfaltigkeiten werden wir die entsprechenden Eigenschaften nur lo-kal fordern, d.h. auf kleinen Umgebungen ihrer Punkte. Eine globale Parametri-sierung ist z.B. schon fur die schone runde Kugel nicht moglich, die sicherlicheines unserer Paradebeispiele einer Mannigfaltigkeit sein wird. Wir definieren al-so Objekte, die lokal wie ein verformter k-dimensionaler Teilraum im Rn liegen,k ∈ 0, 1, . . . , n.

Untermannigfaltigkeiten: Die Definition

Wir wahlen die Beschreibung als Losungsmenge nichtlinearer Gleichungen alsDefinition, da sie am schnellsten zu interessanten Beispielen fuhrt.

Definition 5.1 Es seien n, k ∈ N0, α ∈ N∪∞. M ⊂ Rn heißt k-dimensionaleCα-Untermannigfaltigkeit des Rn, wenn es zu jedem p ∈M eine offene Umgebung

U ⊂ Rn und eine Cα-glatte Funktion f : U → Rn−k mit RangDf(p) = n − kgibt, so dass

M ∩ U = x ∈ U : f(x) = 0

gilt.

Abbildung 5.1: M ∩ U als lokale Nullstellenmenge.

Die Bedingung an den Rang der Ableitung Df(p) (bzw. nach Wahl von Koor-dinaten deren Jacobimatrix) ist offenbar das Analogon zur Bedingung in Punkt 2im linearen Fall oben. Sie besagt, dass die lineare Abbildung Df(p) : Rn → Rn−k

92

surjektiv ist. Nach Verkleinerung von U kann man annehmen, dass diese Bedin-gung auf ganz U erfullt ist. (Eine solche Abbildung nennt man auch Submersion).Schreibt man f = (f1, . . . , fn−k), so ist sie aquivalent dazu, dass die n − k Gra-dienten

∇f1(p), . . . ,∇fn−k(p)

linear unabhangig sind. Im Falle k = n− 1 spricht man auch von Hyperflachen.Wir werden auch einfach nur von “Mannigfaltigkeiten” sprechen und α so-

wie k nicht extra erwahnen. Mit Ausnahme von Abschnitt 5.3 sind aber immerUntermannigfaltigkeien im Rn gemeint, wie eben definiert.

Beispiele:

1. Affine Unterraume sind C∞-Mannigfaltigkeiten.

2. Die n-dimensionale Sphare Sn = x ∈ Rn+1 : |x| = 1 ⊂ Rn+1 ist eine n-dimensionale C∞-Untermannigfaltigkeit des Rn+1, denn Sn = x ∈ Rn+1 :f(x) = 0 fur f(x) = |x|2 − 1 und ∇f(x) = 2x 6= 0 auf Sn.

3. Das Hyperboloid Hc := x ∈ R3 : x21 + x2

2 = x23 + c, c 6= 0, ist eine

zweidimensionale C∞-Mannigfaltigkeit im R3.

Ubung: Zeigen Sie dies sowie, dass Hc fur c = 0 keine Untermannigfaltig-keit des R3 ist. Welche geometrische Figur ist H0?

4. Wir bezeichnen mit Rn×n ∼= Rn2den Vektorraum der reellen n×n-Matrizen.

Die Menge der orthogonalen Matrizen

O(n) = A ∈ Rn×n : ATA = Id

(Id die Einheitsmatrix) ist eine n(n−1)2

-dimensionale C∞-Untermannigfaltig-keit des Rn×n.

Um das einzusehen, bemerken wir zunachst, dass O(n) = A ∈ Rn×n :f(A) = 0 fur f : Rn×n → Rn×n

sym mit f(A) = ATA−Id gilt, wobei Rn×nsym den

n(n+1)2

-dimensionalen Vektorraum der symmetrischen reellen n×n-Matrizenbezeichnet. Offensichtlich ist f C∞-glatt. Die Ableitung Df(A) ist gegebendurch

Df(A)H = limt→0

f(A+ tH)− f(A)

t

= limt→0

(A+ tH)T (A+ tH)− ATAt

= limt→0

HTA+ ATH + tHTH

= HTA+ ATH.

93

Tatsachlich ist Df(A) fur A ∈ O(n) surjektiv, denn zu gegebenem B ∈Rn×n

sym gilt Df(A)H = B etwa fur H := 12AB:

Df(A)H =1

2

((AB)TA+ ATAB

)=

1

2

(BTATA+ ATAB

)= B.

In all diesen Beispielen ergab sich die Mannigfaltigkeit sogar als Losungsmengex : f(x) = 0 einer einzigen Funktion f . Wir halten daher die folgende wichtigeBeobachtung, die sich direkt aus unserer Definition ergibt, fest:

Beobachtung: Ist U ⊂ Rn offen, f ∈ Cα(U ;Rn−k) und c ein regularer Wertvon f , also RangDf(p) = n − k fur alle p ∈ M := f−1(c), so ist M einek-dimensionale Cα-Untermannigfaltigkeit des Rn.

Außere Karten

Zur theoretischen Untersuchung ist es oft nutzlich, Untermannigfaltigkeiten imRn auf eine alternative Art und Weise mittels außerer Karten zu charakterisieren.Anschaulich besagt diese Charakterisierung, dass eine k-dimensionale Unterman-nigfaltigkeiten – bis auf eine glatte Koordinatentransformation – lokal genau soim Rn liegt wie der Rk ∼= x ∈ Rn : xk+1 = . . . xn = 0 im Rn. Diese Charakteri-sierung hat außerdem den Vorteil, dass sie in naturlicher Weise zum allgemeinenKonzept der Untermannigfaltigkeit einer Mannigfaltigkeit fuhrt.

Mit Rk × 0 bezeichnen wir den Unterraum x ∈ Rn : xk+1 = . . . = xn = 0des Rn. Ist f : U → V , U, V ⊂ Rn offen, bijektiv und sind sowohl f als auch f−1

Cα-glatt, α ∈ N ∪ ∞, so nennt man f einen Cα-Diffeomorphismus.

Satz 5.2 M ⊂ Rn ist genau dann eine k-dimensionale Cα-Mannigfaltigkeit,wenn es zu jedem p ∈ M eine offene Umgebung U ⊂ Rn, eine offene MengeV ⊂ Rn und einen Cα-Diffeomorphismus ϕ : U → V gibt, so dass

ϕ(M ∩ U) = (Rk × 0) ∩ V

gilt.

Eine solche Abbildung ϕ nennt man außere Karte oder manchmal auch einenFlachmacher, da sie die Mannigfaltigkeit in U in den linearen Raum Rk × 0“plattbugelt”, vgl. Abb. 5.2.

Beweis. “⇒”: Sei p ∈M , M k-dimensionale Mannigfaltigkeit. Wahle eine Umge-bung U von p und eine Funktion f ∈ Cα(U ;Rn−k) mit RangDf(p) = n− k undM ∩ U = x ∈ U : f(x) = 0. Durch Umnummerieren der Koordinaten konnenwir erreichen, dass die letzten n− k Spalten von Df(p) linear unabhangig sind.1

1Genauer: Sind die letzten n−k Spalten von Df(p) linear unabhangig, so verfahren wir wiebeschrieben. Der allgemeine Fall lasst sich durch Vorschalten einer linearen Abbildung, welchedurch eine geignete Permutationsmatrix gegeben ist, darauf zuruckfuhren.

94

Abbildung 5.2: Der Flachmacher.

Schreibt man x = (ξ, η), ξ ∈ Rk, η ∈ Rn−k, so ist also Dηf(p) invertierbar undder Satz uber implizite Funktionen liefert offene Mengen U1 und U2 in Rk bzw.Rn−k, so dass p ∈ U1 × U2 ⊂ U gilt, sowie ein ψ ∈ Cα(U1;Rn−k) existiert mit

M ∩ (U1 × U2) = (ξ, ψ(ξ)) : ξ ∈ U1.

Definiere nun ϕ : U := U1 × U2 → Rn durch

ϕ(ξ, η) := (ξ, η − ψ(ξ)).

Offenbar ist ϕ injektiv und Dϕ(ξ, η) =

(Idk 0−Dξψ Idn−k

)invertierbar, so dass nach

dem Satz uber inverse Funktionen ϕ ein Diffeomorphismus von U nach V := ϕ(U)ist. Außerdem ist naturlich

(ξ, η) ∈M ∩ U ⇐⇒ ϕ(ξ, η) ∈ (Rk × 0) ∩ V.

“⇐”: Sind nun umgekehrt p ∈M , eine offene Umgebung U ⊂ Rn, eine offeneMenge V ⊂ Rn und ein Cα-Diffeomorphismus ϕ : U → V gegeben, so dass

ϕ(M ∩ U) = (Rk × 0) ∩ V

gilt, so ist

M ∩ U = ϕ−1((Rk × 0) ∩ V ) = x ∈ U : ϕk+1(x) = . . . = ϕn(x) = 0.

Da Dϕ(x) fur jedes x ∈ U vollen Rang n hat, sind die ∇ϕk+1(x), . . . ,∇ϕn(x) inder Tat linear unabhangig.

Topologie

Da jede Mannigfaltigkeit im Rn insbesondere eine Teilmenge des Rn ist, “erbt”sie die Topologie des umgebenden Raums. Genauer: Durch Einschrankung der

95

ublichen Metrik des Rn auf eine beliebige Teilmenge M ⊂ Rn wird M zu einemmetrischen Raum. Fur Teilmengen von M sind also die Eigenschaften “offen”,“abgeschlossen” und “kompakt” wohldefiniert, wobei man – zumindest in denersten beiden Fallen – der Genauigkeit halber lieber “offen in M” bzw. “ab-geschlossen in M” sagen sollte, da dies nicht aquivalent dazu ist, dass sie alsTeilmengen des Rn offen bzw. abgeschlossen sind. Nun ist jedoch die vom Rn

geerbte Metrik oft nicht die “richtige” Metrik auf M . (Ein “besserer” Distanzbe-griff zwischen zwei Punkten auf M ware etwa durch die Lange eines minimalen,ganz in M verlaufenden Verbindungspfads gegeben.) Die topologischen Begriffewie “offen” und “abgeschlossen” ergeben sich jedoch auch direkt aus den entspre-chenden Begriffen im Rn ohne Ruckgriff auf die metrische Struktur.

Abstrakt definiert man:

Definition 5.3 Ist T eine Menge und τ ⊂ P(T ) ein System von Teilmengen vonT mit der Eigenschaft, dass

(i) beliebige Vereinigungen von Mengen aus τ wieder in τ liegen,

(ii) endliche Durchschnitte von Mengen aus τ wieder in τ liegen und

(iii) ∅, T ∈ τ sind,

so nennt man (T, τ) einen topologischen Raum. Jede Menge U ∈ τ nennt manoffen.

Indem man in einem metrischen Raum T die Menge der (bzgl. der Metrik)offenen Mengen mit τ bezeichnet, wird (T, τ) zu einem topologischen Raum.Das ergibt sich unmittelbar aus den bekannten Eigenschaften offener Mengen inmetrischen Raumen. Der Begriff des topologischen Raumes verallgemeinert denBegriff des metrischen Raumes also in naturlicher Weise, genauso, wie der Begriffdes metrischen Raumes eine naturliche Verallgemeinerung der normierten Raumedarstellt.

Definition 5.4 Eine Teilmenge Ω ⊂ M heißt offen/abgeschlossen in M , wenn

es eine offene/abgeschlossene Menge Ω ⊂ Rn gibt, so dass Ω = Ω ∩M ist.

Ubung: Uberlegen Sie sich, dass

(a) auf diese Weise M zu einem topologischen Raum wird und

(b) diese Topologie mit der von der ererbten Metrik induzierten ubereinstimmt.

Der Begriff der Stetigkeit ubertragt sich auf topologische Raume, indem maneine Abbildung zwischen zwei topologischen Raumen stetig nennt, wenn Urbil-der offener Mengen offen sind. Fur metrische Raume ist das ja eine bekannteaquivalente Charakterisierung der Stetigkeit.

96

Parametrisierungen

Wir geben noch eine weitere Charakterisierung von Mannigfaltigkeiten mittelsParametrisierungen bzw. inneren Karten an. Diese Beschreibung wird uns spaterden Weg weisen, wie allgemeine Mannigfaltigkeiten auch ohne einen umgebendenEuklidischen Raum zu definieren sind.

Man nennt eine Abbildung f zwischen metrischen Raumen (oder allgemeinertopologischen Raumen) einen Homoomorphismus, wenn sie bijektiv ist und wennsowohl f als auch f−1 stetig sind.2

Satz 5.5 M ⊂ Rn ist genau dann eine k-dimensionale Cα-Mannigfaltigkeit,wenn es zu jedem p ∈ M eine in M offene Umgebung U ⊂ M , eine offeneMenge V ⊂ Rk und einen Homoomorphismus Φ : V → U gibt, so dass

Φ ∈ Cα(V ;Rn) mit RangDΦ(x) = k ∀x ∈ V

gilt.

Eine solche Abbildung Φ nennt man auch eine lokale Parametrisierung odereine (innere) Karte3 von M . Abbildungen Ψ ∈ Cα(V ;Rn), V ⊂ Rk offen, mitRangDΨ = k auf V , d.h. DΨ(x) : Rk → Rn injektiv fur alle x ∈ V , nennt manImmersionen.

Beweis. “⇒”: Ist M eine k-dimensionale Mannigfaltigkeit, so gibt es nach Satz5.2 zu jedem p ∈ M eine Umgebung U ⊂ Rn, eine offene Menge V ⊂ Rn undeinen Cα-Diffeomorphismus ϕ : U → V , so dass

ϕ(M ∩ U) = (Rk × 0) ∩ V

gilt. Definieren wir nun V := ξ ∈ Rk : (ξ, 0) ∈ V und Φ : V → M ∩ U =: Udurch

Φ(ξ) = ϕ−1(ξ, 0),

so sind V und U offen in Rk bzw. M mit p ∈ U sowie Φ ein Cα-glatter Homoomor-phismus. Es gilt

DΦ(ξ) = Dϕ−1(ξ, 0)

(Idk0

)nach der Kettenregel fur Φ = ϕ−1 P mit P : Rk → Rn, P (ξ) = (ξ, 0). DaDϕ−1(ξ, 0) nicht singular ist, folgt RangDΦ(ξ) = Rang

(Idk0

)= k.

2Ein Homoomorphismus f : T1 → T2 zwischen zwei topologoischen Raumen induziert eineBijektion zwischen den offenen Mengen in T1 und T2. Vom topologischen Standpunkt sind dieseRaume nicht zu unterscheiden.

3Achtung: Diese Bezeichnung ist zwar fur Untermannigfaltigkeiten des Rn gebrauchlich. Inder allgemeinen Theorie der Mannigfaltigkeiten bezeichnet man jedoch meist die Inverse Φ−1,die von M in den Euklidischen Raum abbildet als Karte, s. Abschnitt 5.3.

97

“⇐”: Es seien p, U , V und Φ wie im Satz angegeben. Durch eventuellesUmnummerieren der Koordinaten durfen wir annehmen, dass die ersten k Zeilenvon DΦ(Φ−1(p)) linear unabhangig sind. Betrachten wir die Abbildung

Φ′ = (Φ1, . . . ,Φk) : V → Rk,

die sich durch Streichen der letzten n − k Eintrage aus Φ ergibt, so ist dannDΦ′(Φ−1(p)) nicht singular und nach dem Satz uber inverse Funktionen gibt eseine Umgebung V ′ von Φ−1(p) und eine offene Menge U ′ ⊂ Rk, so dass Φ′ : V ′ →U ′ ein Cα-Diffeomorphismus ist.

Definiere nun Ψ : V ′ × Rn−k → U ′ × Rn−k durch

Ψ(ξ, η) = Φ(ξ) + (0, η).

Abbildung 5.3: Φ, Φ′ und Ψ.

Ψ ist bijektiv, denn fur alle ξ, ξ ∈ V ′ und η, η ∈ Rn−k gilt

Ψ(ξ, η) = Ψ(ξ, η) ⇒ Φ′(ξ) = Φ′(ξ) ⇒ ξ = ξ ⇒ η = η

und fur (ξ′, η′) ∈ U ′ × Rn−k ist ξ = (Φ′)−1(ξ′) ∈ V ′ und

Ψ(ξ, η) = Φ(ξ) + (0, η) = (ξ′, η′)

fur ein geeignetes η ∈ Rn−k. Des Weiteren ist

DΨ(ξ, η) =

(DΦ′(ξ) 0∗ Idn−k

)

98

invertierbar und, weil Ψ außerdem Cα-glatt ist, ist Ψ nach dem Satz uber inverseFunktionen ein Cα-Diffeomorphismus.

Da Φ ein Homoomorphismus ist, ist Φ(V ′) offen in M . Wahlen wir U ⊂ Rn

offen mit Φ(V ′) = U ∩M und setzen U = (U ′ × Rn−k) ∩ U , so ist Ψ−1 : U →V := Ψ−1(U) ein Cα-Diffeomorphismus mit

Ψ(V ∩ (Rk × 0)) = Ψ(V ∩ (V ′ × Rn−k) ∩ (Rk × 0))= Ψ(V ∩ (V ′ × 0)) = Ψ(V ) ∩Ψ(V ′ × 0)= U ∩ Φ(V ′) = U ∩ U ∩M = U ∩M,

wobei wir V ⊂ (V ′×Rn−k), die Bijektivitat von Ψ und U ⊂ U ausgenutzt haben,und damit

V ∩ (Rk × 0) = Ψ−1(U ∩M).

Ψ−1 ist also ein Flachmacher fur M in der Nahe von p, so dass die Behauptungaus Satz 5.2 folgt.

Im Allgemeinen kann man eine Mannigfaltigkeit nicht mit einer einzigen Karteparametrisieren. Zur vollstandigen Beschreibung benotigt man daher eine Samm-lung von Karten, die ganz M uberdecken: einen Atlas also.

Definition 5.6 Eine Familie (Φj) von Karten Φj : Vj → Uj wie in Satz 5.5definiert heißt ein Atlas von M , wenn M ⊂

⋃j Uj gilt.

Bei der Untersuchung von Mannigfaltigkeiten mit Hilfe von Karten ist es wich-tig zu verstehen, inwiefern Eigenschaften der Mannigfaltigkeit von einer speziellgewahlten Karte abhangen.

Abbildung 5.4: Kartenwechsel.

99

Wir betrachten daher den Kartenwechsel

Φ−12 Φ1 : V ′1 := Φ−1

1 (U1 ∩ U2)→ V ′2 := Φ−12 (U1 ∩ U2) (5.1)

fur zwei sich uberlappende Karten Φj : Vj → Uj, j = 1, 2, mit U1 ∩ U2 6= ∅.

Satz 5.7 Sind Φ1, Φ2 zwei sich uberlappende Karten einer Cα-Mannigfaltigkeitwie in (5.1), so sind V ′1 und V ′2 offen in Rk und der Kartenwechsel Φ−1

2 Φ1 :V ′1 → V ′2 ist ein Cα-Diffeomorphismus.

Beweis. Da U1 und U2 und damit auch U1∩U2 offen in M und Φ1,Φ2 Homoomor-phismen sind, sind V ′1 und V ′2 offen. Offensichtlich ist Φ−1

2 Φ1 : V ′1 → V ′2 bijektiv.Es genugt also, noch Φ−1

2 Φ1 ∈ Cα(V ′1 ;V ′2) und (Φ−12 Φ1)−1 = Φ−1

1 Φ2 ∈Cα(V ′2 ;V ′1) zu zeigen.

Es sei p ∈ U1 ∩ U2. Nach Satz 5.2 gibt es offene Mengen U ⊂ U1 ∩ U2 und Vim Rn mit p ∈ U und einen Cα-Diffeomorphismus ϕ : U → V , so dass

ϕ(M ∩ U) = V ∩ (Rk × 0)

erfullt ist. Wie oben sieht man, dass die Mengen

Wj := Φ−1j (M ∩ U) ⊂ Rk, j = 1, 2,

offen sind.

Abbildung 5.5: Φ1, Φ2 und ϕ.

100

Die Bilder der Cα-glatten und bijektiven Abbildungen

ϕ Φj : Wj → ϕ(M ∩ U)

liegen in Rk × 0, so dass wir

ϕ Φj = (Ψj, 0) mit Ψj : Wj → Rk

schreiben konnen, vgl. Abb. 5.5. Wegen RangDϕ = n und RangDΦj = k istdabei RangDΨj = k. Der Satz uber inverse Funktionen zeigt nun, dass die

Ψj : Wj → Ψj(Wj) = ξ ∈ Rk : (ξ, 0) ∈ ϕ(M ∩ U)

Cα-Diffeomorphismen sind. Da nun

Φ−12 Φ1 = Ψ−1

2 Ψ1 und Φ−11 Φ2 = Ψ−1

1 Ψ2

auf W1 mit Φ−11 (p) ∈ W1 bzw. W2 mit Φ−1

2 (p) ∈ W2 gilt, wobei p ∈ U1 ∩ U2

beliebig war, folgt die Behauptung.

Beispiel: Ist γ : I → Rn, I ein Intervall, eine Cα-Kurve mit γ 6= 0, so dassγ : I → γ(I) ein Homoomorphismus ist, so ist γ(I) eine Mannigfaltigkeit mitParametrisierung γ.

Abbildung 5.6: Kurven im Rn.

5.2 Tangential- und Normalraum

Wie man in der Analysis Funktionen durch ihre Ableitung, also durch lokaleLinearisierungen, untersucht, werden wir nun k-dimensionale Mannigfaltigkeitenlokal durch k-dimensionale lineare Raume beschreiben. Die Grundidee ist hierbei,dass kleine Umgebungen U ⊂M von Punkten p ∈M bis auf kleine Fehler (“Ter-me hoherer Ordnung”) in einem k-dimensionalen affinen Raum p + TpM liegen,wobei TpM ein k-dimensionaler Unterraum, der sogenannte Tangentialraum ist.

101

p+ TpM liegt bei p tangential an M an. Mannigfaltigkeiten sind also “infinitesi-mal Euklidisch” und deshalb kann man Analysis auf ihnen betreiben. In diesemAbschnitt betrachten wir immer Mannigfaltigkeiten der Klasse C1.

Die wesentliche Idee zur Definition des Tangentialraums ist, dass eine jedeganz in M verlaufende differenzierbare Kurve γ nur an M tangentiale Ablei-tungsvektoren (“Geschwindigkeiten”) γ hat und umgekehrt jeder an M bei ptangentiale Vektor als ein solcher Geschwindigkeitsvektor einer geeigneten Kurvein M durch p entsteht.

Definition 5.8 Es sei M eine Mannigfaltigkeit im Rn und p ∈ M . Ein Vektorv ∈ Rn heißt Tangentialvektor an M im Punkt p, wenn es eine stetig differen-zierbare Kurve γ : (−ε, ε)→M fur ein geeignetes ε > 0 gibt, so dass

γ(0) = p und γ(0) = v

gilt. Die Gesamtheit der Tangentialvektoren wird der Tangentialraum an M bei pgenannt und mit TpM bezeichnet.

Abbildung 5.7: Der Tangentialraum.

Oft denkt man sich den Tangentialraum bei p ∈M angeheftet. Beachte aber,dass TpM ein Vektorraum ist. Die Bezeichnung “Tangentialraum” wird durchPunkt (i) des folgenden Satzes gerechtfertigt. Dieser Satz gibt außerdem eineCharakterisierung des Tangentialraums durch Karten und durch die Abbildung,als deren Nullstellenmenge M lokal beschrieben wird.

Satz 5.9 Es sei M eine Mannigfaltigkeit im Rn und p ∈M .

(i) TpM ist ein k-dimensionaler Unterraum des Rn.

(ii) Ist Φ : V → U eine (innere) Karte von M mit p ∈ U und a := Φ−1(p),dann gilt

TpM = BildDΦ(a).

102

Insbesondere bilden die Vektoren

∂1Φ(a), . . . , ∂kΦ(a)

(also die Spaltenvektoren von DΦ(a)) eine Basis von TpM .

(iii) Ist U ⊂ Rn eine Umgebung von p und f ∈ C1(U ;Rn−k) mit RangDf(p) =n− k, so dass

M ∩ U = x ∈ U : f(x) = 0gilt, so ist

TpM = KernDf(p).

(iv) Ist ϕ : U ′ → V ′ eine außere Karte von M mit p ∈ U ′, dann ist

TpM = (Dϕ(p))−1(Rk × 0).

Beweis. Wir werden

BildDΦ(a) ⊂ TpM ⊂ KernDf(p) (5.2)

zeigen. Aus

dim BildDΦ(a) = RangDΦ(a) = k = n− RangDf(p) = dim KernDf(p)

folgt dann, dass diese Mengen sogar gleich sind, was alle Behauptungen in (i),(ii) und (iii) beweist.

(iv) ergibt sich aus (ii), indem man wie im ersten Teil des Beweises von Satz5.5 bemerkt, dass durch Φ : V → M , Φ(ξ) = ϕ−1(ξ, 0) eine innere Karte aufV := ξ ∈ Rk : (ξ, 0) ∈ V ′ gegeben ist, fur die mit a = Φ−1(p)

TpM = DΦ(a)Rk =(Dϕ(ϕ−1(a, 0))

)−1(

Idk0

)Rk = (Dϕ(p))−1 (Rk × 0)

gilt.Es bleibt (5.2) zu begrunden. Sei also v ∈ BildDΦ(a), etwa v = DΦ(a)w,

w ∈ Rk. Fur hinreichend kleines ε ist dann

γ : (−ε, ε)→M, γ(t) = Φ(a+ tw)

eine stetig differenzierbar Kurve in M mit

γ(0) = Φ(a) = p und γ(0) = DΦ(a)w = v

(Kettenregel), was die erste Inklusion zeigt.Ist nun v ∈ TpM vorgelegt, so wahlen wir eine Kurve γ gemaß Definition 5.8.

Fur t genugend nahe bei 0 gilt dann γ(t) ∈ U und somit f(γ(t)) = 0. Darausergibt sich aber direkt

0 =d

dt

∣∣∣∣t=0

f(γ(t)) = Df(a)γ(0) = Df(a)v,

d.h. v ∈ KernDf(a).

103

Beispiele:

1. Es sei γ(I) die am Ende von Abschnitt 5.1 diskutierte eindimensionaleMannigfaltigkeit, die durch eine Cα-Kurve γ : I → Rn mit γ 6= 0 undγ : I → γ(I) ein Homoomorphismus entsteht. Dann ist Tpγ(I) = Rγ(a) furγ(a) = p.

2. Nach Abschnitt 5.1 ist die Mannigfaltigkeit der orthogonalen Matrizen O(n)durch O(n) = A ∈ Rn×n : f(A) = 0 mit f(A) = ATA−Id gegeben, wobei

Df(A)H = ATH +HTA

ist. Damit ist

TAO(n) = KernDf(A) = H ∈ Rn×n : HTA+ ATH = 0.

Speziell fur A = Id ergibt sich

TIdO(n) = H ∈ Rn×n : HT = −H =: Rn×nantisym.

Fur allgemeine A ∈ O(n) erhalt man gerade den entsprechend “gedrehtenRaum”:

TAO(n) = H ∈ Rn×n : (ATH)T = −ATH= H ∈ Rn×n : ATH ∈ Rn×n

antisym = ARn×nantisym.

Die Normalenvektoren am Punkte p sind naturlich genau diejenigen Vektorenin Rn, die senkrecht auf TpM stehen:

Definition 5.10 Es sei M eine Mannigfaltigkeit im Rn und p ∈ M . NpM :=(TpM)⊥ heißt der Normalenraum an M im Punkt p, seine Elemente Normalen-vektoren an M bei p.

Abbildung 5.8: Der Normalenraum.

Unmittelbar aus Satz 5.9 ergibt sich das folgende

104

Korollar 5.11 Es sei M eine k-dimensionale Mannigfaltigkeit im Rn und p ∈M . Ist U ⊂ Rn eine Umgebung von p und f ∈ C1(U ;Rn−k) mit RangDf(p) =n− k, so dass

M ∩ U = x ∈ U : f(x) = 0

gilt, so bilden die Vektoren

∇f1(p), . . . ,∇fn−k(p)

(also die Zeilenvektoren von Df(p)) eine Basis von NpM .

Beweis. Da TpM = KernDf(p) k-dimensional ist, genugt es zu bemerken, dassKernDf(p) = (span∇f1(p), . . . ,∇fn−k(p))⊥ gilt.

Beispiele:

1. Im letzten Abschnitt haben wir insbesondere gesehen, dass fur U ⊂ Rn

offen, f ∈ C1(U ;R) mit regularem Wert c, die Niveauflache M = f−1(c)eine C1-Hyperflache im Rn ist. Korollar 5.11 zeigt, dass in diesem Fall∇f(p)immer senkrecht auf TpM , p ∈M , steht.

2. Der Normalenraum an O(n) bei Id ist

NIdO(n) = (TIdO(n))⊥ =(Rn×n

antisym

)⊥= Rn×n

sym .

5.3 Ausblick: Allgemeine Mannigfaltigkeiten

Im letzten Abschnitt4 dieses Kapitels gehen wir kurz auf die allgemeine Definitioneiner Mannigfaltigkeit ein. Dies dient lediglich Ihrer Allgemeinbildung; wir werdendiesen allgemeinen Rahmen im Folgenden nicht weiter verwenden. Wir startenmit einem allgemeinen topologischen Raum M und nennen nun Homoomorphis-men von offenen Teilmengen von M auf offene Teilmengen des Rk Karten5. EineMenge von Karten, deren Definitionsgebiete ganz M uberdecken, nennt man wie-der einen Atlas.

Da wir nun aber keinen umgebenden Euklidischen Raum mehr voraussetzen,ist es zunachst nicht klar, wie man Differenzierbarkeit auf M definieren soll. Diewesentliche Idee hierzu ist nun, alles mittels Karten auf den Rk zuruckzuspielen.Dazu muss man jetzt allerdings voraussetzen, dass die Kartenwechsel differenzier-bar sind: Gilt fur je zwei uberlappende Karten Φ1 : U1 → V1, Φ2 : U2 → V2 mitUj offen in M , Vj offen in Rk, j = 1, 2, und U1 ∩ U2 6= ∅ eines Atlas, dass

Φ2 Φ−11 : Φ1(U1 ∩ U2)→ Φ2(U1 ∩ U2)

4Dieser Abschnitt wurde in der Vorlesung weggelassen.5Vgl. die Definition der inneren Karten zuvor, wo die Karten in die andere Richtung gehen.

105

ein Cα-Diffeomorphismus ist, so nennen wir den Atlas (Cα-)differenzierbar.Nun kann man zu jedem Atlas A all jene Karten hinzunehmen, die mit allen

Karten aus A differenzierbar wechseln. Die so gewonnene Menge von Kartenbezeichent man mitD(A). Sie ist in der Tat wieder ein Atlas, sogar ein maximaler,was man wie folgt einsieht: Sind Φ1 : U1 → V1,Φ2 : U2 → V2 uberlappende Kartenaus D(A), so kann man um jeden Punkt p ∈ U1 ∩U2 eine Karte Φ aus A finden,so dass

Φ2 Φ−11 = Φ2 Φ−1 Φ Φ−1

1 und Φ1 Φ−12 = Φ1 Φ−1 Φ Φ−1

2

in entsprechend kleinen Umgebungen von Φ1(p) bzw. Φ2(p) differenzierbar sind.Einen maximalen differenzierbaren Atlas D nennt man auch eine differenzierbareStruktur.

Um Pathologien auszuschließen verlangt man noch, dassM ein Hausdorffraummit einer abzahlbaren Basis der Topologie ist.6 Motiviert durch Satz 5.5 definierenwir nun:

Definition 5.12 Einen Hausdorffraum M , der dem zweiten Abzahlbarkeitsaxiomgenugt, zusammen mit einer differenzierbaren Struktur D nennt man eine k-dimensionale Mannigfaltigkeit.

Wie oben angedeutet werden nun typische Eigenschaften durch “Zuruckholenmittels Karten” definiert. So nennt man eine Abbildung f : M → N zwischenzwei Mannigfaltigkeiten differenzierbar, wenn die Abbildung

Ψ f Φ−1

fur Karten Φ von M und Ψ von N mit geeignetem Definitionsbereich differen-zierbar ist. (Beachte, dass dies unabhangig von der Wahl der Karten Φ und Ψist.)

Der Tangentialraum muss nun auch ohne einen gegebenen Raum definiertwerden. Eine Moglichkeit – in Anlehnung an Definition 5.8 – besteht darin, zugegebenem p ∈M alle Kurven

Cp(M) = γ ∈ C1((−ε, ε);M) fur ein ε > 0

zu betrachten und auf dieser Menge durch

γ1 ∼ γ2 ⇐⇒d

dt

∣∣∣∣t=0

Φ γ1 =d

dt

∣∣∣∣t=0

Φ γ2

6Ein topologischer Raum T heißt Hausdorffraum, wenn es zu je zwei verschiedenen Punktent, t′ ∈ T disjunkte offene Mengen U,U ′ mit t ∈ U und t′ ∈ U ′ gibt. Ein topologischer Raum Terfullt das zweite Abzahlbarkeitsaxiom, wenn es eine abzahlbare Familie B von offenen Mengengibt, so dass sich jede offene Menge als Vereinigung von Elementen aus B darstellen lasst.

106

fur eine Karte Φ um p eine Aquivalenzrelation einzufuhren. (Diese ist unabhangigvon der Wahl der Karte Φ.) Die Aquivalenzklassen [γ] ∈ Cp(M)/ ∼ nennt mannun Tangentialvektoren und deren Gesamtheit wird wieder der Tangentialrauman M bei p genannt und mit TpM bezeichnet. Mehr hierzu findet man etwa in[Ja].

Zum Schluss dieses Ausflugs in die allgemeine Theorie der Mannigfaltigkei-ten wollen wir noch zwei Punkte kurz anreißen. Erstens besagt der WhitneyscheEinbettungssatz, dass wir, selbst wenn wir nur Untermannigfaltigkeiten des Rn

betrachten, in gewisser Weise schon den allgemeinen Fall behandeln, denn jedek-dimensionale Mannigfaltigkeit M kann in den R2k+1 eingebettet werden: Esexistiert eine Abbildung f : M → R2k+1, so dass f(M) eine Untermannigfal-tigkeit von R2k+1 und f : M → f(M) ein Diffeomorphismus ist. Das soll nunjedoch nicht heißen, dass die Beschaftigung mit allgemeinen Mannigfaltigkeitenuberflussig ware. Allein schon deshalb, weil diese Einbettung nicht kanonisch ge-geben ist und viele Konzepte in der “einbettungsfreien” Darstellung transparenterbleiben.

Zweitens legt der topologische Raum M (in Dimensionen ≥ 4) die differen-zierbare Struktur nicht eindeutig fest. Fur Untermannigfaltigkeiten des Rn ergibtsich diese etwa durch die Differenzierbarkeit außerer Karten als Abbilung desumgebenden Euklidischen Raums. Im Allgemeinen kann es jedoch auf M ver-schiedene differenzierbare Strukturen geben, so dass zwei Mannigfaltigkeiten, dienicht diffeomorph sind, dennoch homoomorph sein konnen.

107

Kapitel 6

Oberflachenintegrale

In diesem Kapitel fuhren wir die Integration von Funktionen uber Mannigfal-tigkeiten ein. Dabei mussen wir uns insbesondere uberlegen, wie wir das k-dimensionale Volumen (die Oberflache) einer Mannigfaltigkeit zu messen haben.

6.1 Die Definition

Wir wollen Funktionen f uber C1-Mannigfaltigkeiten integrieren. Heuristischkann man sich dazu die Mannigfaltigkeit M in viele kleine “Maschen” Mi zerlegtdenken und versuchen, eine zugehorige Riemannsumme zu berechnen:∫

M

f ≈∑i∈I

f(pi)× k-dimensionales Volumen von Mi.

Ist z.B. M durch eine einzige Karte Φ : V →M parametrisiert, so konnte man Vdurch ein feines regulares Gitter partitionieren und erhielte auf diese Weise einePartitionierung von M aus den Bildern Mi von kleinen Quadern Qi in V unterΦ, vgl. Abb. 6.1.

Abbildung 6.1: Partitionierung von V und M .

108

Doch was ist das k-dimensionale Volumen Volk(Mi) von Mi? Fur immer fei-nere Zerteilungen ist ja Mi = Φ(Qi) bis auf Translation approximativ durchDΦ(Φ−1(pi))(Qi) gegeben und wir mussen das k-dimensionale Volumen eines so-genannten k-Spates bzw. k-dimensionalen Parallelotops bestimmen. Genauer:

Definition 6.1 Sind v1, . . . , vk ∈ Rn linear unabhangig, so heißt

P (v1, . . . , vk) := x ∈ Rn : ∃λ1, . . . , λk ∈ [0, 1] mit x = λ1v1 + . . .+ λkvk

(k-)Spat oder (k-)Parallelotop.

k Vektoren v1, . . . , vk ∈ Rn sind genau dann linear unabhangig, wenn die n× k-Matrix A = (v1, . . . , vk) vom Rang k ist. Offenbar ist

P (v1, . . . , vk) = A([0, 1]k).

Fur k = n ergibt sich daraus

Voln(P (v1, . . . , vn)) = Voln(A[0, 1]n) = | detA| =√

det(ATA).

Es sei nun k < n. Sind alle vi von der Form vi =(wi0

)∈ Rk×0, d.h. A =

(B0

)mit B = (w1, . . . , wk), so sollte sicherlich

Volk(P (v1, . . . , vk)) = Volk(P (w1, . . . , wk)) = | detB|

gelten. Hier ist| detB| =

√det(BTB) =

√det(ATA).

Im allgemeinen Fall betrachten wir eine orthogonale Matrix O ∈ Rn×n mit

O spanv1, . . . , vk ⊂ Rk × 0,

so dass OA von der Form(B0

)ist. (Erganze eine Orthonormalbasis (y1, . . . yk) von

spanv1, . . . , vk zu einer Orthonormalbasis (y1, . . . yn) des Rn und wahle O linearmit Oyj = ej, j = 1, . . . n.) Da eine orthogonale Matrix eine starre Bewegungbeschreibt, sollte eine solche Transformation das Volumen nicht andern und wirerhalten

Volk(P (v1, . . . , vk)) = Volk(A[0, 1]k) = Volk(OA[0, 1]k)

=√

det((OA)T (OA)) =√

det(ATA).

Diese Voruberlegungen fuhren zu folgender Definition.

Definition 6.2 Es seien v1, . . . , vk ∈ Rn. Das k-dimensionale Volumen des vonihnen aufgespannten Parallelotops ist

Volk(P (v1, . . . , vk)) :=√

det(ATA)

fur A = (v1, . . . , vk) ∈ Rn×k.

109

Beispiel: Fur k = 2 ist A = (v1, v2) und

det(ATA) = det

(v1 · v1 v1 · v2

v2 · v1 v2 · v2

)= |v1|2|v2|2 − (v1 · v2)2

= |v1|2|v2|2(

1− (v1 · v2)2

|v1|2|v2|2

)= |v1|2|v2|2

(1− cos2 <) (v1, v2)

)= |v1|2|v2|2 sin2 <) (v1, v2),

so dassVol2(P (v1, v2)) = |v1||v2| | sin <) (v1, v2)|

gilt. Ist zudem n = 3, so ergibt ist

Vol2(P (v1, v2)) = |v1 × v2|,

wie sich aus folgender Ubung ergibt. Hierbei ist das Vektorprodukt zweier Vektorena, b ∈ R3 erklart durch

a× b :=

a2b3 − a3b2

a3b1 − a1b3

a1b2 − a2b1

.

Ubung: Zeigen Sie, dass fur a, b, c ∈ R3, λ, µ ∈ R gilt:

(i) Bilinearitat:

(λa+ µb)× c = λa× c+ µb× c, a× (λb+ µc) = λa× b+ µa× c.

(ii) Antikommutativitat: a× b = −b× a.

(iii) Fur das sogenannte Spatprodukt (a× b) · c gilt

(a× b) · c = det(a, b, c).

Insbesondere durfen die Eintrage zyklisch vertauscht werden:

(a× b) · c = (c× a) · b

und es gilt die Formel det(a× b, a, b) = |a× b|2.

(iv) det

(a · a a · ba · b b · b

)= |a× b|2.

Definition 6.3 Es sei M ⊂ Rn eine k-dimensionale C1-Mannigfaltigkeit undΦ : V → U eine (innere) Karte. Wir definieren den Maßtensor (oder auchmetrischen Tensor) als die matrixwertige Abbildung

G = (gij) : V → Rk×k, G(x) = (DΦ(x))TDΦ(x).

Ihre Determinante detG(x) heißt die Gramsche Determinante und wird oft mitg(x) bezeichnet.

110

Beispiel: Ist M ⊂ R3 eine 2-dimensionale C1-Mannigfaltigkeit und Φ : V → Ueine Karte, so ist die zugehorige Gramsche Determinante durch

g(x) = |∂1Φ× ∂2Φ(x)|2

gegeben.

Ubung: Zeigen Sie dies!

Nach unseren Voruberlegungen ist nun die folgende Definition des Integralsuber einem Kartenbereich sinnvoll.

Definition 6.4 Es sei M ⊂ Rn eine k-dimensionale C1-Mannigfaltigkeit undΦ : V → U eine (innere) Karte. Ist f : M → R eine Funktion, so dass f aufM \ U verschwindet, so heißt f integrierbar, wenn die Abbildung

x 7→ f(Φ(x))√g(x)

in L1(V ) liegt. Man setzt dann∫M

f(x) dS(x) :=

∫V

f(Φ(x))√g(x) dx.

Hierbei steht dS(x) fur das infinitesimale Oberflachenelement (engl. surfaceelement), welches sich aus dem infinitesimalen Euklidischen Volumenelement dxgemaß dS(x) =

√g(x)dx ergibt. Dass dieses Integral wohldefiniert ist, ergibt sich

direkt aus dem folgenden Lemma. Offenbar hangt es zudem linear von f ab.

Lemma 6.5 (i) Positivitat: Die Gramsche Determinante g ist immer positiv.

(ii) Sind Φ1 : V1 → U1, Φ2 : V2 → U2 uberlappende Karten mit U1 ∩ U2 6= ∅und Gramscher Determinante g1 bzw. g2, so ist ϕ = Φ−1

2 Φ1 : V ′1 → V ′2 ,V ′j := Φ−1

j (U1 ∩ U2), j = 1, 2, ein Diffeomorphismus (vgl. Satz 5.7) und esgilt

g1(x) = (detDϕ(x))2 g2(ϕ(x))

fur x ∈ Φ−11 (U1 ∩ U2).

Sind also zwei Karten Φ1 : V1 → U1 und Φ2 : V2 → U2 gegeben, so dass f aufM \U1 und M \U2 verschwindet, so ist tatsachlich nach dem Transformationssatz3.44 mit f Φ2 ·

√g2 uber V ′2 auch

f Φ2 ϕ ·√g2 ϕ| detDϕ| = f Φ1 ·

√g1

uber V ′1 integrierbar und es gilt∫V2

f(Φ2(x))√g2(x) dx =

∫V1

f(Φ1(x))√g1(x) dx.

111

Beweis von Lemma 6.5. (i) Wahle orthogonale Matrizen O(x) ∈ Rn×n, so dassODΦ =

(B0

)fur die betrachtete Karte Φ gilt, wobei B ∈ Rk×k nicht singular ist,

da RangB = RangDΦ = k gilt. Dann ist

g = det((DΦ)TDΦ

)= det

((ODΦ)TODΦ

)= det

(BTB

)= (detB)2 > 0.

(ii) Dass ϕ ein Diffeomorphismus ist, haben wir schon in Satz 5.7 gesehen.Auf V ′1 gilt außerdem

g1(x) = det((DΦ1(x))TDΦ1(x)

)= det

((D(Φ2 ϕ)(x))TD(Φ2 ϕ)(x)

)= det

((Dϕ(x))T (DΦ2(ϕ(x)))TDΦ2(ϕ(x))Dϕ(x)

)= detDϕ(x) det

((DΦ2(ϕ(x)))TDΦ2(ϕ(x))

)detDϕ(x)

= (detDϕ(x))2 g2(ϕ(x)).

Wir wenden uns nun der Definition des Oberflachenintegrals auf Mannigfal-tigkeiten zu, die nicht notwendig durch eine einzige Karte parametrisiert werden.Dabei behandeln wir jedoch nicht den allgemeinsten Fall, sondern setzen voraus,dass es einen endlichen Atlas gibt. Das wird fur die meisten interessanten Bei-spiele genugen. Beachten Sie, dass insbesondere jede kompakte Mannigfaltigkeiteinen endlichen Atlas hat:

Beobachtung: Ist M eine kompakte Mannigfaltigkeit in Rn, so hat M einenendlichen Atlas. Ist namlich (Φj)j∈J , Φj : Vj → Uj, ein Atlas von M , so lasst sich

aus M =⋃j∈J Uj eine endliche Teiluberdeckung auswahlen, etwa M =

⋃Nm=1 Ujm ,

so dass also auch (Φjm)1≤m≤N ein Atlas ist.

Um die Beitrage verschiedener Kartenbereiche “zusammenzustuckeln” benoti-gen wir das folgende technische Hilfsmittel:

Definition 6.6 Es sei (Uj)j=1,...,N eine Uberdeckung von M ⊂ Rn, d.h. M =⋃Nj=1 Uj. Eine Familie (αj)j=1,...,N von Funktionen αj : M → R heißt eine

der Uberdeckung (Uj) untergeordnete Zerlegung (oder Teilung) der Eins, wenn

(i) 0 ≤ αj ≤ 1 fur j = 1, . . . , N ,

(ii) αj ≡ 0 auf M \ Uj fur j = 1, . . . , N und

(iii)∑N

j=1 αj ≡ 1 auf M gilt.

Es ist leicht zu sehen, dass fur einen endlichen Atlas (Φj : Vj → Uj) eineder Uberdeckung (Uj) untergeordnete Zerlegung der Eins (αj) existiert, so dassαj Φj messbar ist: Wahle etwa

α1 = χU1 , α2 = χU2\U1 , . . . , αj = χUj\(U1∪...∪Uj−1), . . . ,

112

wobei χW die charakteristische Funktion einer Menge W bezeichnet. Dann istαj Φj = χVj\Φ−1

j (U1∪...∪Uj−1).

Definition 6.7 Es sei M ⊂ Rn eine k-dimensionale C1-Mannigfaltigkeit mitendlichem Atlas (Φj : Vj → Uj)j=1,...,N . Eine Funktion f : M → R heißtintegrierbar, wenn χUjf im Sinne von Definition 6.4 integrierbar ist fur alle j.

Ist (αj) eine der Uberdeckung (Uj) untergeordnete Zerlegung der Eins, so dassαj Φj messbar ist, so wird das Integral von f uber M definiert durch∫

M

f(x) dS(x) :=N∑j=1

∫M

αj(x)f(x) dS(x),

wobei auf der rechten Seite die schon in Definition 6.4 erklarten Integrale stehen.

Es ist also∫M

f(x) dS(x) :=N∑j=1

∫Vj

αj(Φj(x))f(Φj(x))√g(x) dx.

Wir mussen rechtfertigen, dass dies wohldefniert ist: Zunachst ist klar, dasswegen 0 ≤ αj ≤ 1 mit χUjf auch αjf = αjχUjf integrierbar ist. Es seien nun(Φj : Vj → Uj)j=1,...,N und (Φ′j : V ′j → U ′j)j=1,...,N ′ Atlanten mit untergeord-neten Zerlegungen der Eins (αj) bzw. (α′j). Ist χUjf fur alle j integrierbar, soauch χU ′iαjf fur alle i, j. Nach Definition 6.4 ist dann auch χU ′if =

∑j χU ′iαjf

integrierbar und es gilt tatsachlich

N∑j=1

∫M

αj(x)f(x) dS(x) =N∑j=1

N ′∑i=1

∫M

α′i(x)αj(x)f(x) dS(x)

=N ′∑i=1

∫M

α′i(x)f(x) dS(x).

Damit lasst sich nun auch der Begriff des k-dimensionalen Volumens auf all-gemeine Mannigfaltigkeiten ubertragen:

Definition 6.8 Es sei M ⊂ Rn eine k-dimensionale C1-Mannigfaltigkeit mitendlichem Atlas. Ist A ⊂ M eine Teilmenge, so dass χA integrierbar ist, sonennen wir A selbst integrierbar und definieren das k-dimensionale Volumen vonA durch

Volk(A) :=

∫M

χA(x) dS(x).

Ist Volk(A) = 0, so nennt man A eine k-dimensionale Nullmenge.Eine Funktion f : A → R heißt uber A integrierbar, wenn χAf integrierbar

ist. In diesem Falle setzt man∫A

f(x) dS(x) :=

∫M

χA(x)f(x) dS(x).

113

Uberlegen Sie sich, dass fur A ⊂ M offen, wenn also A selbst eine Man-nigfaltigkeit ist, diese Definition mit dem Begriff der Integrierbarkeit uber dieMannigfaltigkeit A gemaß Definition 6.7 ubereinstimmt.

Wir schließen diesen Abschnitt mit der folgenden

Beobachtung: Es seien M ⊂ Rn eine k-dimensionale Mannigfaltigkeit mit endli-chem Atlas, f, f : M → R mit f ≡ f außerhalb einer k-dimensionalen Nullmenge.Ist f integrierbar, so ist auch f integrierbar und es gilt

∫Mf dS =

∫Mf dS.

Begrundung: Ist A ⊂ M eine k-dimensionale Nullmenge, so gilt fur jede KarteΦ : V → U mit Gramscher Determinante g

0 = Volk(A) ≥∫M

χA∩U dS =

∫V

χA(Φ(x))√g(x) dx =

∫Φ−1(A)∩V

√g(x) dx.

Da g nach Lemma 6.5 positiv ist, folgt daraus |V ∩Φ−1(A)| = 0. Fur jede KarteΦ ist also f Φ = f Φ fast uberall in V . Daraus folgt die Behauptung.

6.2 Beispiele & Anwendungen

Kurvenintegrale

Es sei M die eindimensionale Mannigfaltigkeit M = γ(I) fur eine Kurve γ mitγ 6= 0, die I homoomorph auf M abbildet. Wir haben schon gesehen, dass dann γselbst eine Parametrisierung von M ist. Die zugehorige Gramsche Determinanteist gegeben durch

g = det(γT γ) = γ · γ = |γ|2.

Fur eine integrierbare Funktion f : M → R ist hier∫M

f(x) dS(x) =

∫I

f(γ(t))|γ(t)| dt

ein Kurvenintegral.Ist I endlich und etwa γ beschrankt, so hat die Kurve die (endliche) Lange

Vol1(M) =

∫I

|γ(t)| dt.

Funktionsgraphen

Eine wichtige Klasse von Mannigfaltigkeiten sind Hyperflachen, die durch Funk-tionsgraphen gegeben sind. Ist U ⊂ Rn−1 offen und h ∈ Cα(U,R), so ist

M = Graphh = x ∈ Rn : x′ ∈ U, xn = h(x′),

114

wobei wir x′ = (x1, . . . , xn−1) abgekurzt haben, eine (n − 1)-dimensionale Cα-Mannigfaltigkeit im Rn mit Parametrisierung x′ 7→ (x′, h(x′)). Dies folgt daraus,

dass die Ableitung dieser Parametrisierung

(Idn−1∇h

)Rang n − 1 hat und die

Umkehrabbildung der Parametrisierung

M 3 x = (x′, xn) 7→ x′

offenbar auch stetig ist.Der zugehorige metrische Tensor ergibt sich zu

G =

(Idn−1

∇h

)T (Idn−1

∇h

)

=

1 0 · · · 0 ∂1h

0 1. . .

......

.... . . . . . 0

...0 · · · 0 1 ∂n−1h

1 0 · · · 0

0 1. . .

......

. . . . . . 00 · · · 0 1∂1h · · · · · · ∂n−1h

= (δij + ∂ih ∂jh)1≤i,j≤n−1 = Idn−1 +(∇h)T∇h.

Ist ∇h(x′) 6= 0, so hat diese Matrix den einfachen Eigenwert 1 + |∇h(x′)|2 (mitEigenvektor (∇h(x′))T ) und den (n − 1)-fachen Eigenwert 1 (mit Eigenraum(∇h(x′))T⊥). Die Gramsche Determinante ist somit

g(x′) = (1 + |∇h(x′)|2) · 1 · . . . · 1 = 1 + |∇h(x′)|2,

was auch fur ∇h(x′) = 0 richtig bleibt.Zusammengefasst zeigen diese Uberlegungen:

Proposition 6.9 Ist h ∈ C1(U,R), U ⊂ Rn−1 offen, und f eine integrierbareFunktion auf M = Graphh, so gilt∫

M

f(x) dS(x) =

∫U

f(x′, h(x′))√

1 + |∇h(x′)|2 dx′.

Skalierungen

Das Transformationsverhalten unter Reskalierungen und Verschiebungen einerMannigfaltigkeit ist besonders einfach (und wichtig).

Proposition 6.10 Es seien x0 ∈ Rn, r > 0 und M ⊂ Rn eine k-dimensionaleMannigfaltigkeit. Dann ist auch x0 + rM eine k-dimensionale Mannigfaltigkeit.Ist f : x0 + rM → R integrierbar, so ist x 7→ f(x0 + rx) auf M integrierbar undes gilt ∫

x0+rM

f(x) dS(x) = rk∫M

f(x0 + rx) dS(x).

115

Beweis. Ist (Φj : Vj → Uj) ein Atlas fur M , so ist (x0 + rΦj) ein Atlas furx0 + rM , womit diese Menge insbesondere eine Mannigfaltigkeit ist. Dabei istD(x0 + rΦj) = rDΦj und daher

g(r)j = det(r(DΦj)

T rDΦj) = r2k det((DΦj)TDΦj) = r2kgj

fur die Gramschen Determinanten gj und g(r)j bezuglich Φj bzw. x0+rΦj. Fur eine

(x0 + rUj) untergeordnete Zerlegung der Eins (αj) ersieht man die Behauptungnun leicht aus∫

x0+rM

f(x) dS(x) =∑j

∫x0+rM

αj(x)f(x) dS(x)

=∑j

∫Vj

αj(x0 + rΦj(x))f(x0 + rΦj(x))

√g

(r)j (x) dx

= rk∑j

∫Vj

αj(x0 + rΦj(x))f(x0 + rΦj(x))√gj(x) dx

= rk∑j

∫M

αj(x0 + rx)f(x0 + rx) dS(x)

= rk∫M

f(x0 + rx) dS(x),

denn (αj(x0 + r·)) ist eine (Uj) untergeordnete Teilung der Eins auf M .

Ist M integrierbar, so folgt aus Proposition 6.10 unmittelbar

Volk(x0 + rM) = rk Volk(M).

Dieses Transformationsverhalten sollten wir fur k-dimensionale Objekte ja aucherwarten.

Faserung in Kugelschalen

Ahnlich wie man beim Satz von Fubini den n-dimensionalen Raum durch affineUnterraume fasert und das Integral einer Funktion sukzessive berechnet, indemman zuerst uber diese Unterraume integriert, konnen wir den Rn nun durch Ku-gelschalen ausschopfen. Fur r > 0 bezeichnen wir mit Br(x) oder genauer B

(n)r (x)

die offene Kugel y ∈ Rn : |y − x| < r.

Satz 6.11 Ist f ∈ L1(Rn), so ist f fur fast alle r ∈ (0,∞) uber die Sphare∂Br(0) integrierbar. Es gilt∫

Rnf(x) dx =

∫ ∞0

∫∂Br(0)

f(x) dS(x) dr =

∫ ∞0

∫∂B1(0)

f(ry) dS(y) rn−1 dr.

116

Beweis. Wir berechnen zunachst das Integral uber den oberen Halbraum x ∈Rn : xn > 0, kurz xn > 0. Die Abbildung

ϕ : B(n−1)1 (0)× (0,∞)→ xn > 0, ϕ(x′, r) = (rx′, r

√1− |x′|2)

ist ein Diffeomorphismus: Sie ist injektiv, denn

(rx′, r√

1− |x′|2) = (rx′, r√

1− |x′|2)

impliziert, indem man das Quadrat der Normen vergleicht, zunachst

r2 = r2|x′|2 + r2(1− |x′|2) = r2|x′|2 + r2(1− |x′|2) = r2,

also r = r, und dann, indem man die ersten n − 1 Koordinaten vergleicht, auchx′ = x′. ϕ ist zudem surjektiv, denn zu gegebenem x = (x′, xn) mit xn > 0 ist

ϕ

(x′

|x|, |x|)

=

(|x| x

|x|, |x|

√1− |x

′|2|x|2

)= (x′,

√|x|2 − |x′|2) = (x′,

√x2n) = x.

ϕ ist glatt mit

Dϕ(x′, r) =

(r Idn−1 x′

r −(x′)T√1−|x′|2

√1− |x′|2

),

so dass

detDϕ(x′, r) =rn−1√

1− |x′|2det

1 0 · · · 0 x1

0 1. . .

......

.... . . . . . 0

...0 · · · 0 1 xn−1

−x1 · · · · · · −xn−1 1− |x′|2

ist. Diese Determinante kann man etwa dadurch bestimmen, dass man fur allei = 1, . . . , n− 1 das xi-fache der i-ten Zeile zur n-ten Zeile addiert, so dass sich

detDϕ(x′, r) =rn−1√

1− |x′|2det

1 0 · · · 0 x1

0 1. . .

......

.... . . . . . 0

...0 · · · 0 1 xn−1

0 · · · · · · 0 1

=rn−1√

1− |x′|26= 0

ergibt. Daraus folgt nun auch die Glattheit von ϕ−1 aus dem Satz uber die Um-kehrfunktion.

117

Der Transformationssatz 3.44 und der Satz 3.38 von Fubini liefern daher∫xn≥0

f(x) dx =

∫ϕ−1(xn≥0)

f(ϕ(x′, r))| detDϕ(x′, r)| d(x′, r)

=

∫B

(n−1)1 (0)×(0,∞)

f(rx′, r√

1− |x′|2)rn−1√

1− |x′|2d(x′, r)

=

∫ ∞0

(∫B

(n−1)1 (0)

f(rx′, r√

1− |x′|2)rn−1√

1− |x′|2dx′

)dr,

wobei das innere Integral fur fast alle r definiert ist. Nun ist jedoch der Funk-tionsgraph der Abbildung h : B

(n−1)1 (0) → R mit h(x′) =

√1− |x′|2 die obere

Halbsphare ∂B(n)1 (0) ∩ xn > 0 mit ∇h = −(x′)T√

1−|x′|2, also 1 + |∇h(x′)|2 = 1

1−|x′|2 ,

so dass nach Proposition 6.9 (angewendet auf y 7→ f(ry)rn−1 fur festes r)∫xn≥0

f(x) dx =

∫ ∞0

(∫∂B

(n)1 (0)∩xn>0

f(ry)rn−1 dS(y)

)dr

gilt. Fur die Mannigfaltigkeit ∂B(n)1 (0) ∩ xn > 0 folgt daraus mit Proposition

6.10 schließlich auch∫xn≥0

f(x) dx =

∫ ∞0

(∫∂B

(n)r (0)∩xn>0

f(x) dS(x)

)dr.

Ganz analog zeigt man die entsprechenden Gleichungen auf dem negativenHalbraum xn < 0.

Die Hyperebene xn = 0 ist eine Nullmenge im Rn. Genauso ist der Schnittxn = 0 ∩ ∂Br(0) fur alle r > 0 eine (n− 1)-dimensionale Nullmenge. Damit istnun tatsachlich∫

Rnf(x) dx =

∫ ∞0

∫∂Br(0)

f(x) dS(x) dr =

∫ ∞0

∫∂B1(0)

f(ry) dS(y) rn−1 dr

gezeigt, denn wir durfen, ohne den Wert der auftretenden Integrale zu verandern,f durch χxn>0f + χxn<0f oder – aquivalent dazu – Rn durch Rn \ xn = 0und die ∂Br(0) jeweils durch ∂Br(0) \ xn = 0 ersetzen.

Beispiele:

1. Dieser Satz ist naturlich vor allem bei der Integration rotationssymmetri-scher Funktionen hilfreich: Ist f ∈ L1(Rn) mit f(x) = f(r) fur r = |x|, sogilt ∫

Rnf(x) dx =

∫ ∞0

∫∂B1(0)

f(ry) dS(y) rn−1 dr

= Voln−1(∂B1(0))

∫ ∞0

rn−1f(r) dr.

118

Im nachsten Beispiel werden wir gleich sehen, wie man Voln−1(∂B1(0)) ex-plizit bestimmen kann.

2. Wir berechnen nun das (n− 1)-dimensionale Volumen der KugeloberflacheSn−1. Dazu erinnern wir zunachst an die Formel fur das Volumen einern-dimensionalen Kugel vom Radius r: Nach Beispiel 4 von Seite 64 gilt

Voln(B(n)r ) =

πn2 rn

Γ(1 + n2),

wobei Γ die Gamma-Funktion bezeichnet. Zur Berechnung der OberflacheVoln−1(Sn−1) bemerken nun, dass nach Satz 6.11

Voln(B(n)1 (0)) =

∫RnχB

(n)1 (0)

(x) dx

=

∫ 1

0

∫∂B

(n)1 (0)

dS(x) rn−1 dr

= Voln−1(∂B(n)1 (0))

∫ 1

0

rn−1 dr

=1

nVoln−1(Sn−1)

gilt, so dass

Voln−1(Sn−1) =nπ

n2

Γ(1 + n2)

=nπ

n2

n2Γ(n

2)

=2π

n2

Γ(n2)

ist. Nach Proposition 6.10 ist dann allgemein

Voln−1(rSn−1) =2π

n2 rn−1

Γ(n2).

119

Kapitel 7

Orientierung und Teilmengen mitRand

In diesem Kapitel untersuchen wir zunachst, wie auf Mannigfaltigkeiten der Be-griff einer Orientierung eingefuhrt werden kann, und wenden uns dann besondersgutartigen Teilmengen zu. Wir nehmen an, dass alle Mannigfaltigkeiten von derKlasse C1 sind und uberlegen uns ganz zum Schluss kurz, was fur eine allgemeineDifferenzierbarkeitsordnung Cα noch zu bedenken ist.

7.1 Orientierte Mannigfaltigkeiten

Oft ist es bei der Integration uber Mannigfaltigkeiten wichtig, eine Orientie-rung des Integrationsbereiches zu berucksichtigen. Das Phanomen ist aus derAnalysis 1 bekannt: Ein Integral

∫ baf(x) dx andert das Vorzeichen, wenn man a

und b vertauscht und damit den “Durchlaufsinn” des Integrationsbereichs um-kehrt. Die zweidimensionale Ebene kann man “gegen” oder “mit dem Uhrzeiger-sinn” orientieren und im dreidimensionalen Raum kann man eine Orientierungdurch “Rechts-” oder “Linkshandigkeit” festlegen. Allgemein lasst sich ein k-dimensionaler Raum, k ≥ 1, durch die Wahl einer Basis orientieren: Genauergesagt, definiert man zunachst, dass zwei Basen gleichorientiert sind, wenn dieMatrix des Basiswechsels positive Determinante hat. Dies ist eine Aquivalenz-relation mit zwei Aquivalenzklassen, die man dann die beiden Orientierungennennt. Im Rk nennt man die durch die kanonische Basis (e1, . . . , ek) gegebeneOrientierung positiv, die andere (etwa durch (−e1, e2, . . . , ek) induzierte) negativ.

Fur Mannigfaltigkeiten definieren wir:

Definition 7.1 Es sei M eine k-dimensionale Mannigfaltigkeit im Rn, k ≥ 1.

(i) Zwei Karten Φ1 : V1 → U1, Φ2 : V2 → U2 heißen gleich orientiert, wenn furU1 ∩ U2 6= ∅ der Kartenwechsel

ϕ = Φ−12 Φ1 : Φ−1

1 (U1 ∩ U2)→ Φ−12 (U1 ∩ U2)

120

die Bedingung detDϕ > 0 erfullt. (Man sagt dann ϕ sei orientierungstreu.)

(ii) M heißt orientierbar, wenn M einen Atlas A aus gleichorientierten Kartenbesitzt. A heißt dann orientiert.

Beispiel: Jede Mannigfaltigkeit, die durch eine einzige Karte parametrisiert wer-den kann, ist orientierbar. Insbesondere ist jede offene Menge im Rn orientierbar,da sie ja z.B. durch die identische Abbildung parametrisiert wird.

Die Wahl eines orientierten Atlas A legt nun eine Orientierung auf M fest.Genauer gesagt: Ist Do(A) die Menge aller Karten, die gleichorientiert zu allenKarten aus A sind, so ist Do(A) selbst ein orientierter Atlas, was man ahnlichwie in Abschnitt 5.3 einsieht: Sind Φ1 : V1 → U1,Φ2 : V2 → U2 uberlappendeKarten aus Do(A), so kann man um jeden Punkt p ∈ U1 ∩ U2 eine Karte Φ ausA finden, so dass

Φ−12 Φ1 = (Φ−1

2 Φ) (Φ−1 Φ1)

in einer entsprechend kleinen Umgebung von Φ−11 (p) gilt. Da Φ−1

2 Φ und Φ−1Φ1

orientierungstreu sind, folgt dies auch fur Φ−12 Φ1, denn aus der Kettenregel folgt,

dass die Verkettung orientierungstreuer Abbildungen wieder orientierungstreu ist.Do(A) ist der maximale A enthaltende orientierte Atlas. Wir konnen dann ganzexakt definieren:

Definition 7.2 Eine Orientierung auf einer orientierbaren Mannigfaltigkeit istein maximaler orientierter Atlas.

Bemerkungen:

1. Eine Orientierung auf M induziert auch eine Orientierung der Tangen-tialraume TpM : Ist M durch den Atlas A orientiert, so legt die Basis(∂1Φ(a), . . . , ∂kΦ(a)), a = Φ−1(p), (vgl. Satz 5.9) eine Orientierung aufTpM fest. Diese ist unabhangig von der Wahl von Φ ∈ A.

Ubung: Zeigen Sie dies.

Da umgekehrt zwei nicht gleichorientierte Karten an mindestens einemPunkt p unterschiedliche Orientierungen auf TpM induzieren, ist eine Ori-entierung von M eindeutig durch die induzierten Orientierungen von TpMgegeben.

2. Fur den nulldimensionalen Raum legt man +1 und −1 als seine beidenOrientierungen fest. Damit lassen sich allgemein nulldimensionale Mannig-faltigkeiten, die ja nichts anderes sind als eine diskrete Menge von Punktenim Rn, dadurch orientieren, dass man an jedem Punkt eine der beiden Ori-entierungen ±1 vorschreibt.

121

Beispiel: Es sei γ : I → Rn eine C1-Kurve mit γ 6= 0, so dass γ : I → γ(I)ein Homoomorphismus ist. Dann ist γ(I) eine Mannigfaltigkeit. γ induziert eineOrientierung auf γ(I), die eindeutig durch die induzierte Orietierung aller Tpγ(I)gegeben ist. Die Orientierung von Tpγ(I) ist dabei durch die eindimensionale

Basis γ(s) oder – aquivalent – durch den Tangenteneinheitsvektor t(p) := γ(s)|γ(s)| ,

s = γ−1(p), gegeben.

Fur den Fall von Mannigfaltigkeiten der Dimension n− 1, also Hyperflachen,gibt es ein nutzliches Kriterium fur die Orientierbarkeit:

Satz 7.3 Eine Hyperflache M ⊂ Rn ist genau dann orientierbar, wenn es auf Mein stetiges Einheitsnormalenfeld, also eine stetige Abbildung ν : M → Rn mitν(p) ∈ NpM und |ν(p)| = 1 fur alle p ∈M , gibt.

Beweis. “⇒”: Es sei M orientierbar und A ein orientierter Atlas. Ist Φ : V →U aus A und p ∈ U , so wahlen wir denjenigen Einheitsvektor ν(p) aus demeindimensionalen Normalenraum NpM , der der Bedingung

det(ν(p), ∂1Φ(a), . . . , ∂n−1Φ(a)) > 0

genugt, wobei a = Φ−1(p) ist. Dies ist wohldefiniert, denn sind Φ1 : V1 → U1,Φ2 : V2 → U2 Karten mit p ∈ U1 ∩ U2 und entsprechenden Wahlen von Einheits-vektoren ν1 bzw. ν2 sowie a1 = Φ−1(p), a2 = Φ−1

2 (p), so ist

DΦ1(a1) = DΦ2(a2)Dϕ(a1),

wenn ϕ den Kartenwechsel Φ−12 Φ1 in einer Umgebung von a1 bezeichnet, und

daher

det(ν2(p), DΦ1(a1)) = det(ν2(p), DΦ2(a2)Dϕ(a1))

= det

((ν2(p), DΦ2(a2))

(1 00 Dϕ(a1)

))> 0,

also ν1(p) = ν2(p).Es bleibt zu zeigen, dass ν stetig ist. Dazu wahlen wir fur gegebenes p ∈ M

eine Umgebung U von p in Rn und eine C1-Funktion f : U → R, so dass M ∩U =x ∈ U : f(x) = 0 ist, gemaß Definition 5.1. Nach Korollar 5.11 ist dann ν ′ : ∇f|∇f |ein stetiges Einheitsnormalenfeld auf M ∩ U . Indem wir f gegebenenfalls durch−f ersetzen, konnen wir außerdem annehmen, dass

det(ν ′(p), ∂1Φ(Φ−1(p)), . . . , ∂n−1Φ(Φ−1(p))

)> 0

fur eine Karte Φ ∈ A um p und also ν ′(p) = ν(p) gilt. Aus Stetigkeitsgrunden istdann aber

det(ν ′(q), ∂1Φ(Φ−1(q)), . . . , ∂n−1Φ(Φ−1(q))

)> 0

122

fur alle q in einer (kleinen) Umgebung von p. Dort ist demnach ν = ν ′ undinsbesondere ν auch stetig.

“⇐”: Es sei nun ν ein stetiges Einheitsnormalenfeld auf M . Zu p ∈M wahleeine Karte Φ : V → U mit p ∈ U . Indem man Φ : V → U gegebenenfallsdurch Φ P : P (V ) → U ersetzt, wobei P die Spiegelung P (x1, . . . , xn−1) =(−x1, x2, . . . , xn−1) ist, kann man erreichen, dass

det(ν(p), ∂1Φ(Φ−1(p)), . . . , ∂n−1Φ(Φ−1(p))

)> 0

ist. Durch eventuelles Verkleinern von V konnen wir aus Stetigkeitsgrunden sogar

det (ν(Φ(x)), ∂1Φ(x), . . . , ∂n−1Φ(x)) > 0

fur alle x ∈ V annehmen. All diese Karten sind nun tatsachlich gleichorientiert:Ist ϕ = Φ−1

2 Φ1 : Φ−11 (U1 ∩ U2) → Φ−1

2 (U1 ∩ U2) ein Kartenwechsel, so ist furx ∈ Φ−1

1 (U1 ∩ U2) (also ϕ(x) ∈ Φ−12 (U1 ∩ U2))

0 < det(ν(Φ1(x)), DΦ1(x)

)= det

(ν(Φ2(ϕ(x))), DΦ2(ϕ(x))Dϕ(x)

)= det

((ν(Φ2(ϕ(x))), DΦ2(ϕ(x))

)(1 00 Dϕ(x)

)).

Dann aber muss auch detDϕ(x) > 0 sein.

Beobachtung: Der zweite Beweisteil zeigt, dass ν in eindeutiger Weise eineOrientierung auf M induziert:

Definition 7.4 Es sei M ⊂ Rn eine Hyperflache mit stetigem Einheitsnorma-lenfeld ν. Die durch die Bedingung

det(ν(p), ∂1Φ(Φ−1(p)), . . . , ∂n−1Φ(Φ−1(p))

)> 0

fur Karten Φ um p ∈ M eines orientierten Atlas festgelegte Orientierung heißtdie durch ν induzierte Orientierung von M .

Beispiele:

1. Ist U ⊂ Rn offen, f : U → R stetig differenzierbar und c ein regularerWert von f , so ist M := f−1(c), das nach der Beobachtung von Seite94 ja eine Hyperflache ist, orientierbar. Ein stetiges Einheitsnormalenfeldist gegeben durch p 7→ ∇f(p)

|∇f(p)| . Insbesondere ist die n-dimensionale Sphare

Sn−1 orientierbar.

2. Das Bild M der Abbildung Ψ : R× (−12, 1

2)→ R3,

Ψ(s, t) =

cos ssin s

0

+t

coss

2

cos ssin s

0

+ sins

2

001

=

(1 + t cos s2) cos s

(1 + t cos s2) sin s

t sin s2

ist ein sogenanntes Mobiusband, s. Abb. 7.1.

Ubung: Zeigen Sie, dass M eine nicht orientierbare Mannigfaltigkeit ist.

123

Abbildung 7.1: Mobiusband.

3. Ist M ⊂ R3 eine orientierbare zweidimensionale Mannigfaltigkeit (also eineFlache im Raum) mit orientiertem Atlas A, so ist ein stetiges Einheitsnor-malenfeld durch

ν(p) :=∂1Φ× ∂2Φ

|∂1Φ× ∂2Φ|(Φ−1(p))

gegeben, wobei Φ eine beliebige Karte aus A um p ist und × das Kreuz-produkt im R3 bezeichnet. In der Tat ist die rechte Seite fur jede Wahl vonΦ ein Einheitsvektor des eindimensionalen NpM , da ja ∂1Φ und ∂2Φ denTpM aufspannen und es gilt

det

(∂1Φ× ∂2Φ

|∂1Φ× ∂2Φ|(a), ∂1Φ(a), ∂2Φ(a)

)> 0

fur a = Φ−1(p) (s.u.), so dass ν wie im ersten Beweisteil von Satz 7.3angegeben ist und dieselbe Orientierung wie A induziert.

Ubung: Fur a, b ∈ R3 ist det(a× b, a, b) = |a× b|2.

7.2 Teilmengen mit glattem Rand

Wir untersuchen nun Teilmengen von Mannigfaltigkeiten mit besonders gutarti-gem Rand. Solche Mengen werden als Integrationsbereiche bei den Integralsatzender folgenden Kapitel auftreten. Dass der Rand eines Integrationsgebietes eine be-sondere Rolle spielt, sieht man ja schon im Eindimensionalen, wenn man Integralemittels Stammfunktionen berechnet.

Ist Ω ⊂M , M eine Mannigfaltigkeit im Rn, so bezeichnen wir mit ∂Ω = Ω\Ωderen Rand. Hierbei ist immer der Abschluss Ω bzw. das Innere Ω in der Toplogievon M gemeint (vgl. Abschnitt 5.1).

124

Definition 7.5 Es sei M eine k-dimensionale Mannigfaltigkeit im Rn und Ω ⊂M eine Teilmenge. Man sagt, dass Ω glatten Rand hat, wenn fur alle p ∈ ∂Ωeine Karte Φ : V → U mit p ∈ U und

Φ(V ∩ x1 ≤ 0) = Ω ∩ U sowie Φ(V ∩ x1 = 0) = ∂Ω ∩ U

existiert. Eine Karte mit diesen beiden Eigenschaften nennt man Rand-adaptiert.

Hierbei steht x1 ≤ 0 als Abkurzung fur den Halbraum x ∈ Rk : x1 ≤ 0 undx1 = 0 fur dessen Rand ∂x1 ≤ 0 = x ∈ Rk : x1 = 0. Lokal liegt dannΩ bis auf eine glatte Koordinatentransformation in M wie ein k-dimensionalerHalbraum im Rk (s. Abb. 7.2).

Abbildung 7.2: Rand-adaptierte Karte.

Lemma 7.6 Es sei M eine k-dimensionale Mannigfaltigkeit im Rn und Ω ⊂Meine Teilmenge mit glattem Rand. Dann gibt es einen Atlas aus Rand-adaptiertenKarten. Ist M orientiert und k ≥ 2, so gibt es sogar einen orientierten Atlas ausRand-adaptierten Karten, der die gegebene Orientierung induziert.

Beweis. Um jeden Randpunkt von Ω gibt es nach Definition eine Rand-adaptierteKarte. Ist dagegen p /∈ ∂Ω, so kann man immer eine Karte Φ : V → U wahlen,so dass V ⊂ x1 < 0 und p ∈ U ⊂ Ω oder V ⊂ x1 > 0 und p ∈ U ⊂ M \ Ωgilt. Die Menge all dieser Rand-adaptierten Karten ist ein Atlas A.

Es sei nun M durch den orientierten Atlas A′ orientiert. Indem wir in derKonstruktion von A die Definitionsbereiche hinreichend klein wahlen, durfen wirannehmen, dass fur jedes Φ : V → U aus A ein Φ′ : V ′ → U ′ aus A′ existiert, sodass U ⊂ U ′ gilt und detD(Φ′−1 Φ) auf V das Vorzeichen nicht wechselt.

Ersetzt man nun alle Karten Φ aus A, fur die dieses Vorzeichen negativ ist,durch die Karte Φ P , wobei P die Spiegelung x 7→ (x1, . . . , xk−1,−xk) ist, soerhalt man einen Atlas A′′, der offenbar wieder Rand-adaptiert ist und

detD(Φ′−1 Φ) > 0 ∀Φ ∈ A′′

125

mit entsprechend gewahltem Φ′ ∈ A erfullt. Damit ist tatsachlich fur je zweiKarten Φ1 : V1 → U1,Φ2 : V2 → U2 aus A′′ mit U1 ∩ U2 6= ∅ und entsprechendenKarten Φ′1 : V ′1 → U ′1 ⊃ U1 bzw. Φ′2 : V ′2 → U ′2 ⊃ U2

Φ−12 Φ1 = Φ−1

2 Φ′2 Φ′−12 Φ′1 Φ′−1

1 Φ1

= (Φ′2 Φ2)−1 (Φ′−12 Φ′1) (Φ′−1

1 Φ1)

orientierungstreu, da Verkettungen und Umkehrungen orientierungstreuer Abbil-dungen wieder orientierungstreu sind. A′ und A′′ induzieren die gleiche Orientie-rung, da fur Karten Φ1 : V1 → U1 aus A′′ mit entsprechender Karte Φ′1 : V ′1 →U ′1 ⊃ U1 aus A′ und beliebiger Karte Φ2 : V2 → U2 aus A′ mit U1 ∩ U2 6= ∅ auchder Kartenwechsel

Φ−12 Φ1 = (Φ−1

2 Φ′1) (Φ′−11 Φ1),

wo er definiert ist, orientierungstreu ist.

Wir kommen nun zum wesentlichen Ergebnis dieses Abschnitts: Der Randeiner glatt berandeten Teilmenge ist selbst eine Mannigfaltigkeit.

Satz 7.7 Es sei M eine k-dimensionale Mannigfaltigkeit im Rn, k ≥ 1, undΩ ⊂M eine Teilmenge mit glattem Rand. Dann ist ∂Ω eine (k−1)-dimensionaleMannigfaltigkeit. Ist M orientierbar, so auch ∂Ω.

Beweis. Ist A ein Rand-adaptierter Atlas fur M und Φ : V → U eine Karte aus Amit ∂Ω∩U 6= ∅, so definieren wir die stetige bijektive Abbildung Φ′ : V ′ → ∂Ω∩Udurch

V ′ := x′ ∈ Rk−1 : (0, x′1, . . . , x′k−1) ∈ V , Φ′(x) = Φ(0, x′1, . . . , x

′k−1).

V ′ ist offenbar eine offene Teilmenge von Rk−1 und ∂Ω∩U eine offene Teilmengevon ∂Ω. (Ist U offen im Rn mit U = U ∩ M , so gilt ∂Ω ∩ U = ∂Ω ∩ U .) Dadie Umkehrabbildung, gegeben durch Φ′−1 = P Φ−1|∂Ω∩U mit P : Rk → Rk−1,P (x) = (x2, . . . , xk), auch stetig ist, ist Φ′ ein Homoomorphismus. Wegen DΦ′ =(∂2Φ, . . . , ∂kΦ) und RangDΦ = k ist DΦ′ außerdem vom Rang k − 1. NachSatz 5.5 ist damit ∂Ω als (k − 1)-dimensionale Mannigfaltigkeit nachgewiesen.Die Menge A′ all dieser aus Karten Φ ∈ A, deren Kartenbereich ∂Ω schneidet,gewonnenen Karten Φ′ bildet einen Atlas fur ∂Ω.

Es sei nun M orientiert. Der Fall k = 1 ist trivial, da nulldimensionale Mannig-faltigkeiten immer orientierbar sind. Ist nun k ≥ 2, so durfen wir nach Lemma 7.6annehmen, dass A aus gleichorientierten Rand-adaptierten Karten besteht. Wirbeschließen den Beweis, indem wir zeigen, dass dann alle Φ′ ∈ A′ gleichorientiertsind:

Dazu seien Φ1 : V1 → U1 und Φ2 : V2 → U2 mit U1 ∩ U2 ∩ ∂Ω 6= ∅ aus Aund Φ′1 : V ′1 → ∂Ω ∩ U1 bzw. Φ′2 : V ′2 → ∂Ω ∩ U2 die entsprechenden induziertenKarten aus A′. Der Kartenwechsel

ϕ′ = Φ′−12 Φ′1 : Φ−1

1 (∂Ω ∩ U1 ∩ U2)→ Φ−12 (∂Ω ∩ U1 ∩ U2)

126

ist gegeben durch

ϕ′(x′) = P Φ−12 Φ1(0, x′) = (ϕ2(0, x′), . . . , ϕk(0, x

′))

fur x′ ∈ Φ−11 (∂Ω ∩ U1 ∩ U2), wobei ϕ den Kartenwechsel

ϕ = Φ−12 Φ1 : Φ−1

1 (U1 ∩ U2)→ Φ−12 (U1 ∩ U2)

bezeichnet. Insbesondere ist Dϕ′(x′) = ∂(ϕ2,...,ϕk)∂(x2,...,xk)

(0, x′) die rechte untere (k−1)×(k − 1)-Untermatrix von Dϕ(0, x′).

Da Φ1 und Φ2 Rand-adaptiert sind, gilt außerdem ϕ1(0, x2, . . . , xk) = 0 undϕ1(x1, . . . , xk) ≤ 0 fur x1 ≤ 0. Daraus folgt aber

∂iϕ1(0, x2, . . . , xk)

= 0 fur i ≥ 2,

≥ 0 fur i = 1.

Zusammengefasst zeigt dies

0 < detDϕ(0, x′) = det

(∂1ϕ1(0, x′) 0∗ Dϕ′(x′)

)= ∂1ϕ1(0, x′) detDϕ′(x′)

und daher tatsachlich detDϕ′(x′) > 0.

Die Konstruktion des Atlas fur ∂Ω aus dem von M induziert nun eine be-stimmte Orientierung:

Definition 7.8 Es sei M eine k-dimensionale Mannigfaltigkeit im Rn, k ≥ 2,und Ω eine glatt berandete Teilmenge. Ist Do(A) eine Orientierung auf M , wobeiA o.B.d.A. Rand-adaptiert sei (vgl. Lemma 7.6), so definiert der im Beweis vonSatz 7.7 konstruierte Atlas die durch Do(A) induzierte Orientierung auf ∂Ω.

Bemerkung: Fur k = 1 muss die zweite Behauptung in Lemma 7.6 nicht gelten.(Warum?) Die induzierte Orientierung lasst sich aber immer noch erklaren: IstM durch A orientiert, so kann man A so wahlen, dass fur alle p ∈ ∂Ω eine KarteΦ : V → U mit p ∈ U , Φ(0) = p und

Φ(V ∩ x1 ≤ 0) = Ω ∩ U oder Φ(V ∩ x1 ≥ 0) = Ω ∩ U

gilt. Im ersten Fall wahlen wir +1 und im zweiten Fall −1 als Orientierung beip ∈ ∂Ω. (Uberlegen Sie sich, dass dies wohldefiniert ist!)

Beispiel: Ist M ⊂ R3 eine zweidimensionale Mannigfaltigkeit, Ω ⊂ M eineTeilmenge mit glattem Rand und A ein orientierter Atlas aus Rand-adaptiertenKarten, so wird ∂Ω durch die Kurven s 7→ Φ(0, s) fur Φ : V → U aus A mit∂Ω ∩ U 6= ∅ parametrisiert und orientiert. In einem Punkt p ∈ ∂Ω sind dieTangentialraume TpM und Tp∂Ω entsprechend durch

(∂1Φ(a), ∂2Φ(a)) bzw. t(p) := ∂2Φ(a),

127

Abbildung 7.3: Berandetes Flachenstuckchen.

a = Φ−1(p), orientiert. Dabei gibt t(p) den Durchlaufsinn der Randkurve an,wahrend ∂1Φ(a) von Ω weg zeigt.

Die Kurve wird also so durchlaufen, dass Ω immer zur Linken liegt. Mit derNormalen ν(p) = ∂1Φ×∂2Φ

|∂1Φ×∂2Φ| gilt die “Rechte-Hand-Regel” (vgl. Abb. 7.3):

ν × t zeigt in Richtung Ω.

Zum Schluss dieses Kapitels bemerken wir noch, dass es fur glatt berandeteTeilmengen im Rn eine spezielle eindeutige Wahl eines Einheitsnormalenfeldesgibt: das außere Einheitsnormalenfeld:

Satz 7.9 Es sei Ω ⊂ Rn eine Teilmenge mit glattem Rand. Dann existiert auf∂Ω genau ein Einheitsnormalenfeld ν, so dass fur jedes p ∈ ∂Ω ein ε > 0 existiertmit

p+ sν(p) /∈ Ω ∀s ∈ (0, ε).

ν ist stetig.

Beweis. Es sei A ein Rand-adaptierter Atlas von Rn. Ist Φ : V → U eine Karteaus A mit p ∈ ∂Ω ∩ U und Inverser Ψ = (Ψ1, . . . ,Ψn) = Φ−1, so wird nachKorollar 5.11 der eindimensionale Normalenraum Np∂Ω von ∇Ψ1 aufgespannt,denn es ist ja ∂Ω ∩ U = x ∈ U : Ψ1(x) = 0.

Setzen wir ν(p) := ∇Ψ1(p)|∇Ψ1(p)| , so ist jedes Einheitsnormalfeld gleich +ν(p) oder

−ν(p) bei p. Des Weiteren gilt

Ψ1(p+ sν(p)) = Ψ1(p) + s∇Ψ1(p)ν(p) + o(s) = 0 + |∇Ψ1(p)|s+ o(s) > 0

fur hinreichend kleine s > 0 und somit Ψ(p + sν(p)) ∈ V ∩ x1 > 0, alsop + sν(p) /∈ Ω. Analog ergibt sich, dass p − sν(p) fur hinreichend kleine s in Ωliegt. Damit ist das gesuchte außere Einheitsnormalenfeld eindeutig durch ν(p)gegeben und insbesondere ist dieser Wert von der Wahl der Karte Φ unabhangig.ν ist zudem offensichtlich stetig.

Beispiel: Der glatte Rand einer Teilmenge in Rn ist nach den Satzen 7.9 und7.3 orientierbar. Das außere Einheitsnormalenfeld legt dabei in eindeutiger Weise

128

eine Orientierung fest. Insbesondere folgt daraus wieder, dass die n-dimensionaleSphare Sn−1 = ∂B1(0) orientierbar ist.

Bemerkung: Betrachtet man nun spezieller Cα-Mannigfaltigkeit, α ≥ 1, soandert sich in diesem Kapitel nichts, außer dass die betrachteten Einheitsnorma-lenfelder nun nicht nur stetig, sondern sogar Cα−1 sind. Daruberhinaus sieht manleicht, dass der glatte Rand einer Teilmenge selbst wieder eine Cα-Mannigfaltigkeitist.

129

Kapitel 8

Die klassischen Integralsatze

Die klassischen Integralsatze der Vektoranalysis involvieren nicht nur skalare In-tegranden sondern vielmehr Vektorfelder, die uber orientierte Kurven und Hyper-flachen in einer Weise zu integrieren sind, die die zugrunde liegende Orientierungberucksichtigt. Wir beschaftigen uns daher zunachst etwas allgemeiner mit Vek-torfeldern, bevor wir zu den zentralen Satzen von Gauß und Stokes kommen.

8.1 Vektorfelder

Eine Abbildung f : U → Rn, wobei U eine offene Teilmenge von Rn ist, nenntman ein Vektorfeld. Solche Abbildungen kommen vor allem in der Physik haufigvor, z.B. als Kraftfeld (etwa der Gravitation), elektrisches Feld, magnetisches Feld,Geschwindigkeitsfeld der Stromung von Gasen und Flussigkeiten. Dabei gibt f(x)gerade den betrachteten physikalischen Wert im Raumpunkt x ∈ U an.

Kurvenintegrale

Es sei γ : I → Rn, I ein Intervall, eine (stuckweise) stetig differenzierbare Kurveund f : U → Rn ein stetiges Vektorfeld. Ganz allgemein definieren wir:

Definition 8.1 Das (orientierte) Kurvenintegral von f langs γ ist∫γ

f(x) · dx :=

∫I

f(γ(s)) · γ(s) ds.

Es geht also darum, nur den zur Kurve tangentialen Anteil von f aufzuintegrieren.Ist sogar γ 6= 0 und γ : I → γ(I) ein Homoomorphismus, so ist γ(I) eine

Mannigfaltigkeit. γ induziert eine Orientierung auf γ(I), die Tpγ(I) durch den

130

Tangenteneinheitsvektor t(p) := γ(s)|γ(s)| , s = γ−1(p), orientiert. Es gilt dann∫

γ

f(x) · dx =

∫I

f(γ(s)) · γ(s) ds

=

∫I

f(γ(s)) · t(γ(s)) |γ(s)| ds =

∫γ(I)

f(x) · t(x) dS(x).

Insbesondere ersieht man hieraus, dass das Kurvenintegral unabhangig von derParametrisierung ist und bei Orientierungsumkehr das Vorzeichen wechselt, wasfur allgemeine Kurven, deren Spur nicht notwendig eine Mannigfaltigkeit ist, auchnoch richtig bleibt, genauer:

Lemma 8.2 Es sei γ : [a, b]→ U , U ⊂ Rn offen, eine stuckweise stetig differen-zierbare Kurve und f ∈ C(U ;Rn) ein stetiges Vektorfeld. Ist nun ϕ : [a′, b′] →[a, b] stetig differenzierbar mit ϕ(a′) = a und ϕ(b′) = b, so gilt∫

γϕf(x) · dx =

∫γ

f(x) · dx.

Ist dagegen ϕ : [a′, b′] → [a, b] stetig differenzierbar mit ϕ(a′) = b und ϕ(b′) = a,so gilt ∫

γϕf(x) · dx = −

∫γ

f(x) · dx.

Beweis. Ubung!

Motivation: Als motivierendes Beispiel fur diese Begriffsbildung nehmen wir an,dass γ die Bahn eines physikalischen Teilchens in einem Kraftfeld f sei. Gemaßdem physikalischen Gesetz

Arbeit = Kraft × Weg,

wobei hier nur der in Richtung des Wegs zeigende Anteil der Kraft zu nehmenist, gibt

∫γ(I)

f(x) · t(x) dS(x) nun tatsachlich die verrichtete Arbeit des Teilchensan.

Integrale uber Hyperflachen

Ist nun M eine durch das Einheitsnormalenfeld ν orientierte Hyperflache, sodefinieren wir:

Definition 8.3 Das (orientierte) Oberflachenintegral von f uber M ist∫M

f(x) · d~S :=

∫M

f(x) · ν(x) dS(x).

Motivation: Eine physikalische Motivation fur diese Definition ergibt sich, wennf etwa das Geschwindigkeitsfeld einer Stromung ist. Das Oberflachenintegral∫Mf(x) · ν(x) dS(x) gibt dann die Menge an Substanz an, die pro Zeiteinheit

die Flache M durchfließt.

131

Die klassischen Differentialoperatoren

Es sei U ⊂ Rn offen. Bekanntlich bezeichnet ∇f = (∂1f, . . . , ∂nf) den Vektor derpartiellen Ableitungen von f : U → R, wenn f differenzierbar ist. Fur Vektorfel-der sind die beiden folgenden Operationen besonders wichtig:

Definition 8.4 Ist f : U → Rn ein differenzierbares Vektorfeld, so bezeichnenwir mit

(i) div f : U → R,

div f =n∑i=1

∂ifi (= SpurDf = “∇ · f”),

die Divergenz von f und,

(ii) falls außerdem n = 3 ist, mit rot f : U → R3,

rot f =

∂2f3 − ∂3f2

∂3f1 − ∂1f3

∂1f2 − ∂2f1

(= “∇× f”),

die Rotation von f . (Im Englischen: curl f.)

∇, div und rot kann man dann als Abbildungen auf Funktionenraumen (“Ope-ratoren”) interpretieren:

∇ : Cα(U)→ Cα−1(U ;Rn),

div : Cα(U ;Rn)→ Cα−1(U),

rot : Cα(U ;R3)→ Cα−1(U ;R3)

fur α ≥ 1.

Ubung: Zeigen Sie rot ∇ = 0 und div rot = 0, genauer: Fur U ⊂ R3 offen undf ∈ C2(U), g ∈ C2(U ;R3) gilt

rot∇f = 0, div rot g = 0.

8.2 Integrabilitat

Eine wichtige Beispielklasse von Vektorfeldern sind die sogenannten konservativenVektorfelder:

132

Definition 8.5 Ein stetiges Vektorfeld f : U → Rn heißt konservativ, wenn furjede stuckweise stetig differenzierbare Kurve γ : [0, 1]→ U mit γ(0) = γ(1) gilt∫

γ

f(x) · dx = 0.

Beispiel: Viele Kraftfelder in der Mechanik sind konservativ: Wenn ein Teilchenwieder am Ausgangspunkt angekommen ist, ist dann die gesamte geleistete Arbeitgleich Null.

Außer im Eindimensionalen hat nicht jedes Vektorfeld f eine Stammfunktion,d.h. eine differenzierbare skalarwertige Funktion F mit ∇F = f . Ist z.B. f(x) =(−x2, x1), so kann es kein solches F geben, da nach dem Satz von Schwarz sonst

−1 = ∂2f1 = ∂2∂1F = ∂1∂2F = ∂1f2 = 1

ware. Physikalisch motiviert, nennt man ein F mit −∇F = f auch ein Poten-tial fur f . Aus dem Satz von Schwarz ergibt sich also allgemein die notwendigeIntegrabilitatsbedingung

∂ifj = ∂jfi ∀ i, j ∈ 1, . . . , n (8.1)

dafur, dass f ∈ C1(U ;Rn) ein Potential besitzt.

Bemerkung: Ist n = 3, so bedeutet (8.1) gerade rot f = 0.

Der folgende Satz besagt insbesondere, dass konservative Vektorfelder geradesolche mit Stammfunktionen sind:

Satz 8.6 Es sei U ⊂ Rn offen und f ∈ C(U ;Rn) ein Vektorfeld. Dann sindaquivalent:

(i) f ist konservativ.

(ii) Es existiert ein F ∈ C1(U) mit ∇F = f .

(iii) Fur alle stuckweise stetig differenzieraren Kurven γ : [a, b] → U hangt∫γf(x) · dx nur von den Endpunkten γ(a) und γ(b) ab.

Beweis. (i) ⇒ (iii): Sind γ : [a, b] → U und γ′ : [a′, b′] → U stuckweise stetigdifferenzierbare Kurven mit γ(a) = γ′(a′) und γ(b) = γ′(b′), so ist auch γ :[0, 1]→ U mit

γ(t) =

γ(a+ 2(b− a)t) fur 0 ≤ t ≤ 1

2,

γ′(b′ + 2(a′ − b′)(t− 12)) fur 1

2≤ t ≤ 1

stuckweise stetig differenzierbar, und es gilt γ(0) = γ(a) = γ′(a) = γ(1), also

0 =

∫γ

f(x) · dx =

∫γ

f(x) · dx−∫γ′f(x) · dx

133

nach Lemma 8.2.

(iii) ⇒ (ii): Es sei V eine Zusammenhangskomponente1 von U . Nach Lemma8.7 (s.u.) gibt es fur alle x, y ∈ V einen stuckweise stetig differenzierbaren Wegγx,y : [0, 1]→ V mit γx,y(0) = x und γx,y(1) = y. Wir fixieren x0 ∈ V und setzen

F (x) :=

∫γx0,x

f(y) · dy ∀x ∈ V.

Da Kurvenintegrale uber f nur von den Endpunkten der Kurve abhangen, folgtfur hinreichend kleine |h|

F (x+ h)− F (x)− f(x) · h|h|

= |h|−1

(∫γx,x+h

f(y) · dy − f(x) · h

)

= |h|−1

(∫ 1

0

f(x+ th) · h dt− f(x) · h)

= |h|−1

∫ 1

0

(f(x+ th)− f(x)

)· h dt,

was fur |h| → 0 gegen 0 konvergiert, und somit ∇F (x) = f(x).

(ii) ⇒ (i): Es sei γ : [0, 1] → U eine stuckweise stetig differenzierbare Kurvemit γ(0) = γ(1) und f = ∇F . Dann ist∫

γ

f(x) · dx =

∫ 1

0

∇F (γ(t)) · γ(t) dt

=

∫ 1

0

d

dt(F (γ(t)) dt

= F (γ(1))− F (γ(0))

= 0.

Es bleibt noch zu zeigen:

Lemma 8.7 Es sei V ⊂ Rn eine offene zusammenhangende Menge. Dann gibtes fur alle x, y ∈ V einen stuckweise stetig differenzierbaren Weg γ : [0, 1] → Vmit γ(0) = x und γ(1) = y.

1Erinnerung: Eine Menge V ⊂ Rn heißt zusammenhangend, wenn sie nicht als disjunkteVereinigung V = V1∪V2 von nicht leeren Mengen V1, V2 geschrieben werden kann, die offenin V sind, d.h. fur die Vi = V ∩ Ui mit offenen Mengen Ui gilt, i = 1, 2. Man nennt Vwegzusammenhangend, wenn es fur alle x, y ∈ V einen stetigen Weg γ : [0, 1]→ V mit γ(0) = xund γ(1) = y gibt. Ist V offen, so fallen diese Begriffe zusammen.

Jede Menge V ⊂ Rn zerfallt in disjunkte (Weg-)Zusammenhangskomponenten: V =⋃j∈JVj ,

wobei die Vj die maximalen (weg-)zusammenhangenden Teilmengen von V sind. Ist V offen,so auch jedes Vj .

134

Beweis. Es sei γ : [0, 1] → V ein stetiger Weg mit γ(0) = x und γ(1) = y.Da γ([0, 1]) kompakt und Rn \ V abgeschlossen ist, gibt es ein ε > 0, so dass|γ(t)− y| ≥ ε fur alle t ∈ [0, 1] und y /∈ V ist. Wir definieren nun γ als den durchlineare Interpolation der Punkte γ(0), γ( 1

m), . . . , γ(1) entstehenden Polygonzug:

γ(t) = (1 + k −mt)γ(k

m

)+ (mt− k)γ

(k + 1

m

)fur

k

m≤ t ≤ k + 1

m.

Aus der gleichmaßigen Stetigkeit von γ folgt, dass |γ(t)−γ(t)| < ε fur alle t ∈ [0, 1]gilt, wenn nur m genugend groß gewahlt ist. Das aber zeigt, dass tatsachlich γganz in V verlauft.

Fur besonders gutartige Gebiete, stellt sich nun heraus, dass die Integrabi-litatsbedingung (8.1) sogar schon hinreichend fur die Existenz eines Potentialsist.

Definition 8.8 Wir nennen eine Teilmenge U ⊂ Rn sternformig bezuglich x0 ∈U , wenn mit x ∈ U auch die Verbindungsstrecke

[x0, x] = (1− t)x0 + tx : t ∈ [0, 1]

ganz in U liegt. U heißt schlicht sternformig, wenn es sternformig bezuglich einesx0 ∈ U ist.

Satz 8.9 [Das Lemma von Poincare] Es sei U ⊂ Rn offen und sternformig undf ∈ C1(U ;Rn) ein Vektorfeld. Dann sind aquivalent:

(i) Es gilt ∂ifj = ∂jfi fur i, j = 1, . . . , n.

(ii) Es existiert ein F ∈ C2(U) mit ∇F = f .

Bemerkung: Es genugt anzunehmen, dass U einfach zusammenhangend ist, waswir hier aber nicht vertiefen wollen.

Beweis. (ii) ⇒ (i): Das ist der Satz von Schwarz.

(i) ⇒ (ii): Es sei U sternformig bezuglich x0. Setze

F (x) =

∫[x0,x]

f(y) · dy =

∫ 1

0

f((1− t)x0 + tx) · (x− x0) dt.

Dann gilt F ∈ C1(U) und

∂iF (x) =

∫ 1

0

∂i

n∑k=1

fk((1− t)x0 + tx)(xk − x0k) dt

=

∫ 1

0

n∑k=1

((∂ifk)((1− t)x0 + tx)t (xk − x0

k) + fk((1− t)x0 + tx) ∂i(xk − x0k))dt.

135

Mit Hilfe der Integrabilitatsbedingung und ∂ixk = δik (“Kronecker-delta”) folgt

∂iF (x) =

∫ 1

0

n∑k=1

((∂kfi)((1− t)x0 + tx)t (xk − x0

k) + fk((1− t)x0 + tx) δik)dt

=

∫ 1

0

td

dtfi((1− t)x0 + tx) + fi((1− t)x0 + tx) dt

=

∫ 1

0

d

dt

(tfi((1− t)x0 + tx)

)dt

= fi(x).

Also ist ∇F = f und F ∈ C2(U).

Beispiel: Das Vektorfeld f(x1, x2) =(−x2x21+x22

, x1x21+x22

)genugt der Integrabilitats-

bedingung (8.1) auf der (nicht sternformigen(!) Menge) R2 \ 0. Es besitzt aberkein Potential.

Ubung: Zeigen Sie dies!

Bemerkung: Es sei U ⊂ R3 offen und sternformig.

1. Dann ist die wegen rot ∇ = 0 notwendige Integrabilitatsbedingung rot f =0 (vgl. die Bemerkung nach (8.1)) fur ein stetig differenzierbares Vektorfeldf nach Satz 8.9 auch hinreichend fur die Existenz eine Potentials F mit−∇F = f .

2. Die Bedingung div f = 0 ist notwendig fur die Existenz eines Vektorfeldesg mit rot g = f , denn rot div = 0. In der Tat gibt es auch fur jedesstetig differenzierbare divergenzfreie Vektorfeld f auf U ⊂ R3 offen undsternformig ein Vektorpotential g mit rot g = f .

Ubung: Zeigen Sie dies! Tipp: O.B.d.A. sei Usternformig bezuglich 0. Setze dann

g(x) =

∫ 1

0

tf(tx)× x dt.

8.3 Der Integralsatz von Gauß

Wir kommen nun zu einem zentralen Ergebnis der Integrationstheorie uber Man-nigfaltigkeiten. Zuvor benotigen wir allerdings noch eine technische Vorbereitung.

136

Glatte Zerlegungen der Eins

Wir konstruieren – ahnlich wie in Definition 6.6 – eine Zerlegung der Eins furkompakte Mengen, die durch offene Mengen im Rn uberdeckt werden, wobei dieauftretenden Funktionen auf ganz Rn definiert und uberall glatt sind. Wie zuvorist dies unser wesentliches Hilfsmittel zur Lokalisierung.

Vorbereitend untersuchen wir die Funktion χ′′ : R→ R,

χ′′(t) =

0 fur t ≤ 0,

e−1t fur t > 0.

Diese Funktion ist C∞-glatt.

Ubung: Zeigen Sie dies. Tipp: Zeigen Sie zunachst, dass sich die k-ten Ablei-tungen, k ∈ N, auf (−∞, 0) durch pk(

1t)e−

1t fur geeignete Polynome pk darstellen

lassen.

Insbesondere ist dann auch die Funktion χ′ : R→ R,

χ′(t) :=χ′′(4− t)

χ′′(4− t) + χ′′(t− 1)

= 1 fur t ≤ 1,

∈ (0, 1) fur 1 < t < 4,

= 0 fur t ≥ 4,

C∞-glatt und somit χ : Rn → R, χ(x) := χ′(|x|2) ebenfalls C∞-glatt und es gilt

χ(x)

= 1 fur |x| ≤ 1,

∈ (0, 1) fur 1 < |x| < 2,

= 0 fur |x| ≥ 2.

Satz 8.10 Es sei K ⊂ Rn kompakt und (Uj)j=1,...,N eine offene Uberdeckung

von K: K ⊂⋃Nj=1 Uj. Dann gibt es eine der Uberdeckung (Uj) untergeordne-

te Zerlegung der Eins (αj) auf einer Umgebung von K mit αj ∈ C∞(Rn) undsuppαj ⊂ Uj.

Beweis. Zu jedem x ∈ K wahlen wir j(x) mit x ∈ Uj(x) und eine Kugel Bε(x)(x)um x mit Radius ε(x) > 0, so dass B3ε(x)(x) ganz in Uj(x) enthalten ist. Da Kkompakt ist, gibt es endlich viele x1, . . . , xM ∈ K mit

K ⊂M⋃i=1

Bε(xi)(xi).

Wir definieren nun βi(x) := χ(x−xiε(xi)

), i = 1, . . . ,M , und damit

α′i(x) =βi(x)∑

k βk(x) +∏

k(1− βk(x)).

137

Der Nenner verschwindet nirgends, denn∑

k βk(x) = 0 =⇒ βk(x) = 0 ∀ k =⇒∏k(1 − βk(x)) = 1, und es ist α′i ∈ C∞(Rn). Fur alle i gilt außerdem wegen

βi = 1 und somit∏

k(1 − βk) = 0 auf Bε(xi)(xi) tatsachlich∑

i α′i = 1 auf⋃M

i=1Bε(xi)(xi) ⊃ K. Nun ist suppα′i = B2ε(xi)(xi) ⊂ Uj(xi) und wir erhalten diegesuchte Zerlegung der Eins indem wir

αj :=∑

i:j(xi)=j

α′i

setzen.

Der Gaußsche Satz

Satz 8.11 (Der Gaußsche Integralsatz) Es sei U ⊂ Rn eine offene Mengeund Ω ⊂ U eine kompakte Teilmenge mit glattem Rand und außerem Einheits-normalenfeld ν. Ist f ∈ C1(U ;Rn) ein stetig differenzierbares Vektorfeld, so gilt∫

Ω

div f(x) dx =

∫∂Ω

f(x) · ν(x) dS(x).

Mit der in Definition 8.3 eingefuhrten Bezeichnung gilt also∫Ω

div f(x) dx =

∫∂Ω

f(x) · d~S(x).

Bemerkung: Die Annahme, dass Ω glatten Rand hat, kann abgeschwacht wer-den. Insbesondere darf ∂Ω “Ecken” und “Kanten” haben.

Der Beweis des Gaußschen Satzes wird in mehreren Schritten gefuhrt, wobeiwir der folgenden Strategie folgen:

• Zunachst betrachten wir das Innere von Ω und behandeln den Fall, dass fkompakten Trager in Ω hat, s. Lemma 8.12.

• In dem zentralen Lemma 8.13 beweisen wir einen Spezialfall fur Rander,die als Funktionsgraphen gegeben sind.

• Lemma 8.14 zeigt dann, dass wir fur hinreichend kleine Umgebungen vonRandpunkten tatsachlich annehmen durfen, dass sie von der eben behan-delten Art sind.

• Mittels einer glatten Teilung der Eins werden diese Ergebnisse schließlichzusammengefugt.

Lemma 8.12 Ist V ⊂ Rn offen und hat f ∈ C1(V ) kompkten Trager in V , soist ∫

V

∂jf(x) dx = 0 ∀ j = 1, . . . , n.

138

Beweis. Setzt man f durch 0 auf ganz Rn fort, ergibt sich aus dem Satz vonFubini 3.38∫

V

∂jf(x) dx =

∫Rn∂jf(x) dx

=

∫Rn−1

∫R∂jf(x) dxj︸ ︷︷ ︸

=0

dx1 . . . dxj−1dxj+1 . . . dxn = 0.

Lemma 8.13 Es sei U = U ′×(a, b) ⊂ Rn eine offene Menge und h ∈ C1(U ′; (a, b)).Setze

Ω− := x = (x′, xn) ∈ U : xn ≤ h(x′),Ω+ := x = (x′, xn) ∈ U : xn ≥ h(x′),M := x = (x′, xn) ∈ U : xn = h(x′)

(vgl. Abb. 8.1). Dann gilt fur f ∈ C1(U) mit kompaktem Trager in U∫Ω±

∂jf(x) dx = ∓∫M

f(x)νj(x) dS(x), j = 1, . . . , n,

wobei ν durch

ν(x) = ν(x′, xn) =(−∇h(x′), 1)√1 + |∇h(x′)|2

gegeben sei.

Abbildung 8.1: Ω±, M und supp f .

139

Beweis. In Abschnitt 6.2 haben wir gesehen, dass M eine Mannigfaltigkeit mitKarte Φ : U ′ → Rn, Φ(x′) = (x′, h(x′)) und zugehoriger Gramscher Determinante1 + |∇h|2 ist. Wir betrachten zunachst Ω−.

Fall 1: j ∈ 1, . . . , n− 1. Definiere F : U → R durch

F (x) = F (x′, xn) =

∫ xn

a

f(x′, t) dt,

so dass

∂iF (x) =

∫ xna∂if(x′, t) dt fur i = 1, . . . , n− 1,

f(x′, xn) = f(x) fur i = n(8.2)

ist, und setze G(x′) = F (x′, h(x′)). G hat kompakten Trager in U ′, so dass man∫U ′∂jG(x′) dx′ = 0

erhalt, s. Lemma 8.12. Mit der Kettenregel fur G = F Φ sieht man

0 =

∫U ′∂jG(x′) dx′ =

∫U ′

(∂jF )(x′, h(x′)) + (∂nF )(x′, h(x′)) ∂jh(x′) dx′.

Zusammen mit (8.2) ergibt sich also nach Fubini∫Ω−

∂jf(x) dx =

∫U ′

∫ h(x′)

a

∂jf(x′, t) dt dx′

=

∫U ′

(∂jF )(x′, h(x′)) dx′

= −∫U ′

(∂nF )(x′, h(x′)) ∂jh(x′) dx′

= −∫U ′f(x′, h(x′)) ∂jh(x′) dx′

=

∫U ′f(x′, h(x′))νj(x

′, h(x′))√

1 + |∇h(x′)|2 dx′

=

∫M

f(x)νj(x) dS(x),

vgl. Proposition 6.9.

Fall 2: j = n. Der Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung zeigt∫ h(x′)

a

∂nf(x′, t) dt = f(x′, h(x′))

140

fur jedes x′ ∈ U ′, da f(x′, ·) kompakten Trager in (a, b) hat. Damit ist nach demSatz von Fubini 3.38 aber∫

Ω−

∂nf(x) dx =

∫U ′

∫ h(x′)

a

∂nf(x′, t) dt dx′

=

∫U ′f(x′, h(x′))νn(x′, h(x′))

√1 + |∇h(x′)|2 dx′

=

∫M

f(x)νn(x) dS(x),

vgl. Proposition 6.9.

Fur Ω+ ergibt sich nun aus Lemma 8.12 und dem eben Bewiesenen∫Ω+

∂jf(x) dx =

∫Ω

∂jf(x) dx−∫

Ω−

∂jf(x) dx = −∫M

f(x)νj(x) dS(x)

fur alle j ∈ 1, . . . , n.

Das ist der wesentliche Schritt im Beweis von Satz 8.11. ν ist die Normale anM , die in Richtung Ω+, also von Ω− aus gesehen nach außen zeigt. Das sieht mandaraus, dass ν senkrecht auf allen ∂jΦ(x′) = (0, . . . , 0, 1, 0, . . . , 0, ∂jh(x′)) steht(die 1 im j-ten Eintrag) und dass νn > 0 ist.

Lemma 8.14 Es sei U ⊂ Rn eine offene Menge und Ω ⊂ U eine kompakte Teil-menge mit glattem Rand. Zu jedem p ∈ ∂Ω gibt es – ggf. nach Umnummerierungder Koordinaten – eine offene Menge U ′ ⊂ Rn−1, ein offenes Intervall I ⊂ R undein ψ ∈ C1(U ′; I), so dass mit V := U ′ × I

∂Ω ∩ V = (x′, ψ(x′)) : x′ ∈ U ′

ist. Dabei ist

Ω ∩ V = x ∈ V : xn ≤ ψ(x) oder Ω ∩ V = x ∈ V : xn ≥ ψ(x).

Beweis. Es sei p ∈ ∂Ω. Indem wir ∂Ω lokal als Nullstellenmenge von Ψ1, wobeiΨ = (Ψ1, . . . ,Ψn) = Φ−1 die Inverse einer Rand-adaptierten Karte ist, schreiben,erhalten wir wie im ersten Beweisteil von Satz 5.2 nach eventueller Umnummerie-rung der Koordinaten offene Mengen U ′ ⊂ Rn−1 und I ⊂ R mit p ∈ V := U ′× I,∂nΨ1 < 0 auf V oder ∂nΨ1 > 0 auf V sowie eine stetig differenzierbare Abbildungψ : U ′ → I, so dass

∂Ω ∩ V = (x′, ψ(x′)) : x′ ∈ U ′

gilt, mit Hilfe des Satzes uber implizite Funktionen. Indem wir U ′ hinreichendklein wahlen, konnen wir dabei o.B.d.A. annehmen, dass I ein Intervall ist. Jenachdem ob ∂nΨ1 positiv oder negativ auf V ist, gilt

141

Ω ∩ U = x ∈ V : Ψ1(x) ≤ 0 =

x ∈ V : xn ≤ ψ(x′) oder

x ∈ V : xn ≥ ψ(x′).

Beweis von Satz 8.11. Da ∂Ω kompakt ist, gibt es nach Lemma 8.14 endlich vieleMengen (Uj)j=1,...,N , die ∂Ω uberdecken, so dass fur jedes Uj nach einer Umnum-merierung der Koordinaten (von j abhangige) offene Mengen U ′ ⊂ Rn−1 undI = (a, b) ⊂ R sowie stetig differenzierbare Abbildungen ψ : U ′ → I existierenmit Uj = U ′ × I und

∂Ω ∩ (U ′ × I) = (x′, ψ(x′)) : x′ ∈ U ′,

Ω ∩ (U ′ × I) =

x ∈ U : xn ≤ ψ(x) oder

x ∈ U : xn ≥ ψ(x).

Ist ν die außere Normale an ∂Ω, so ist dann

ν(x) =(−∇ψ(x′), 1)√1 + |∇ψ(x′)|2

bzw. ν(x) =(∇ψ(x′),−1)√1 + |∇ψ(x′)|2

auf Uj. Es sei nun (αj)j=0,...,N eine (Ω, U1, . . . , UN) untergeordnete glatte Teilungder Eins auf Ω gemaß Satz 8.10. Nach Lemmas 8.12 und 8.13 gilt dann∫

Ω

div f(x) dx =

∫Ω

div (α0f) (x) dx+N∑j=1

∫Ω∩Uj

div (αjf) (x) dx

=N∑j=1

∫Ω∩Uj

n∑k=1

∂k(αjfk)(x) dx

=N∑j=1

∫∂Ω∩Uj

n∑k=1

(αjfk)(x)νk(x) dS(x)

=

∫∂Ω

f(x) · ν(x) dS(x).

8.4 Anwendungen des Gaußschen Satzes

Der Satz von Gauß hat unzahlige Anwendungen. Wir gehen hier zunachst kurzauf eine Anwendung in der Modellierung ein, bevor wir zu wichtigen Umformu-lierungen kommen, die selbst in vielen Anwendungen wichtig sind.

142

Modellierung

Der Gaußche Integralsatz spielt eine wichtige Rolle bei der Formulierung vonphysikalischen Gesetzen durch partielle Differentialgleichungen. Es sei u(x, t) dieKonzentration eines Stoffes im Raumpunkt x ∈ U . Wir betrachten ein kompaktesglatt berandetes “Testvolumen” V ⊂ U . Die zeitliche Veranderung der Konzen-tration

∫Vu(x, t) dx des Stoffes in V ist dann gegeben durch

d

dt

∫V

u(x, t) dx =

∫V

∂tu(x, t) dx

(hinreichende Glattheit von u vorausgesetzt). Bezeichnet F (x, t) die (glatte) Fluss-dichte (Konzentration × Geschwindigkeit), so lasst sich dies auch durch

d

dt

∫V

u(x, t) dx = −∫∂V

F (x, t) · ν(x) dS(x) = −∫V

divx F (x, t) dx

ausdrucken2, wobei wir den Satz von Gauß benutzt haben. Insbesondere ist furjede Kugel Bε(x0) ⊂ Rn∫

Bε(x0)

(∂tu(x, t) + divx F (x, t)

)dx = 0

und damit die durch den Fluss F bewirkte Konzentrationsanderung

∂tu = − divx F,

weshalb man divF auch die Quellstarke des Feldes F nennt.Wir nehmen nun an, dass die Flußdichte proportional zum Konzentrations-

gradienten sei: F = −a∇u. Dann ist divF = −a div∇u = −a∆xu, wobei ∆x denLaplace-Operator2 ∆x =

∑ni=1 ∂

2i bezeichnet. Es gilt dann

∂tu = a∆xu

in U . Das ist die sogenannte Diffusions- oder Warmeleitungsgleichung.Dass F wirklich proportional zum Gradienten von u ist, ist eine konstitutive

Annahme an das untersuchte Modell. Je nach physikalischer Bedeutung von ubeschreibt die Gleichung F = −a∇u ein physikalisches Gesetz. Bezeichnet u etwaeine chemische Konzentration, so ist F = −a∇u das Ficksche Diffusionsgesetz,ist u die Warme eines Mediums in U , das Fouriersche Gesetz der Warmeleitung.

Gibt es zusatzliche Quellen oder Senken, die durch eine Dichte g beschriebenwerden, sodass sich die Konzentration in Testgebieten V zusatzlich um den Term∫Vg(x, t) andert, erhalt man auf diese Weise die inhomogene Gleichung

∂tu = a∆xu+ g.

2Das Subskript x ist nur notig, wenn die betrachteten Funktionen von weiteren Variablen(hier t) abhangen.

143

Im statischen Fall, der Systeme im Gleichgewicht beschreibt, so dass die Großeu nicht von der Zeit abhangt, ergibt sich die Laplace-Gleichung

∆u = 0

oder, wenn Quellen und Senken existieren, die inhomogene Poisson-Gleichung

a∆u = g.

Partielle Integration und Greensche Formeln

Als Korollare des Gaußsschen Integralsatzes erhalt man wichtige Rechenregelnfur mehrdimensionale Integrale. In den beiden folgenden Korollaren sei U ⊂ Rn

eine offene Menge und Ω ⊂ U eine kompakte Teilmenge mit glattem Rand undaußerem Einheitsnormalenfeld ν.

Korollar 8.15 (Partielle Integration) Sind u, v ∈ C1(U), so gilt∫Ω

(∂ju) v dx =

∫∂Ω

u v νj dS −∫

Ω

u ∂jv dx

fur j ∈ 1, . . . , n.

Beweis. Wende den Gaußschen Satz auf das Vektorfeld f(x) = u(x)v(x)ej an.

Wahlt man v ≡ 1, so ergibt sich hieraus die aquivalente Formulierung desGaußschen Satzes ∫

Ω

∂ju dx =

∫∂Ω

u νj dS

fur u ∈ C1(U), j ∈ 1, . . . , n.Ist nun x ∈ ∂Ω, u ∈ C1(U), so bezeichnen wir die Richtungsableitung in

Richtung ν(x) bei x mit ∂νu(x) = Du(x)ν(x).

Korollar 8.16 (Greensche Formeln) Sind u, v ∈ C2(U), so gilt

(i) ∫Ω

∆u dx =

∫∂Ω

∂νu dS.

(ii) ∫Ω

∇u · ∇v dx =

∫∂Ω

u ∂νv dS −∫

Ω

u∆v dx.

(iii) ∫Ω

u∆v − v∆u dx =

∫∂Ω

u ∂νv − v ∂νu dS.

Beweis. Ubung!

144

8.5 Der Integralsatz von Stokes

Wir kommen nun zu einem weiteren beruhmten Satz der klassischen Vektorana-lysis: dem Satz von Stokes. Der klassische Satz von Stokes, auf den wir uns hierbeschranken, behandelt Integrale uber die Rotation eines Vektorfelds in n = 3Dimensionen. Er ist insbesondere fur physikalische Anwendungen wichtig. Derallgemeine Satz ist eine weitreichende Verallgemeinerung des klassischen Satzesauf Mannigfaltigkeiten beliebiger Dimensionen. Er ist auch in der Mathematik,insbesondere der Differentialtopologie, von großer Bedeutung, s. Anhang A.

Der Stokessche Satz

Satz 8.17 (Der Stokessche Integralsatz) Es sei M ⊂ U , U ⊂ R3 offen, einedurch das Normalenfeld ν orientierte zweidimensionale C2-Mannigfaltigkeit. Ω ⊂M sei eine kompakte glatt berandete Teilmenge, deren Rand ∂Ω die induzierteOrientierung trage. Die hierdurch induzierte Orientierung auf Tp∂Ω, p ∈ ∂Ω, seidurch die Tangenteneinheitsvektoren t(p) gegeben. Ist nun f ∈ C1(U ;R3), so gilt∫

Ω

rot f(x) · ν(x) dS(x) =

∫∂Ω

f(x) · t(x) dS(x).

Wir erinnern daran, dass ν und t durch die Rechte-Hand-Regel “ν × t zeigt inRichtung Ω” verknupft sind. Mit der in Definition 8.1 eingefuhrten Bezeichnungfur die “Randkurve” ∂Ω schreibt man (etwas lax) auch∫

Ω

rot f(x) · d~S(x) =

∫∂Ω

f(x) · dx.

Zum Beweis benotigen wir ein elementares Lemma aus der linearen Algebra:

Lemma 8.18 Fur A = (aij) ∈ R3×3, x, y ∈ R3 gilt die algebraische Identitat

(Ax) · y − (Ay) · x =

a32 − a23

a13 − a31

a21 − a12

· (x× y).

Beweis. Fur b, x ∈ R3 ist

b× x = Bx, wo B =

0 −b3 b2

b3 0 −b1

−b2 b1 0

.

Speziell fur b =

a32 − a23

a13 − a31

a21 − a12

ergibt sich

B =

0 a12 − a21 a13 − a31

a21 − a12 0 a23 − a32

a31 − a13 a32 − a23 0

= A− AT

145

und daher

(Ax) · y − (Ay) · x =((A− AT )x

)· y = (b× x) · y = (x× y) · b.

Beweis von Satz 8.17. Es sei A ein orientierter Atlas aus Rand-adaptierten Kar-ten, s. Lemma 7.6. Wir nehmen zunachst an, dass der Trager von f ganz in einemKartengebiet U einer Rand-adaptierten Karte Φ : V → U aus A liegt. Nach Bei-spiel 3 auf Seite 124 und dem Beispiel von Seite 127 ist die Orientierung auf Udurch die Normale

ν(p) =∂1Φ× ∂2Φ

|∂1Φ× ∂2Φ|(a), a = Φ−1(p),

induziert, wahrend die induzierte Orientierung auf ∂Ω ∩ U durch die eindimen-sionalen Karten s 7→ Φ(0, s) bzw. die entsprechenden Tangenteneinheitsvektoren

t(p) =∂2Φ(0, s)

|∂2Φ(0, s)|, (0, s) = Φ−1(p),

gegeben ist.Definieren wir das zweidimensionale Vektorfeld u ∈ C1(V ;R2) durch

u =

((f Φ) · ∂2Φ−(f Φ) · ∂1Φ

),

so ist nach Lemma 8.18

div u = ∂1

((f Φ) · ∂2Φ

)− ∂2

((f Φ) · ∂1Φ

)=((Df) Φ ∂1Φ

)· ∂2Φ + (f Φ) · ∂1∂2Φ

−((Df) Φ ∂2Φ

)· ∂1Φ− (f Φ) · ∂2∂1Φ

=((Df) Φ ∂1Φ

)· ∂2Φ−

((Df) Φ ∂2Φ

)· ∂1Φ.

=

∂2f3 − ∂3f2

∂3f1 − ∂1f3

∂1f2 − ∂2f1

Φ

· (∂1Φ× ∂2Φ)

=((rot f) Φ

)· (∂1Φ× ∂2Φ) .

Nun ist die Gramsche Determinante der Karte Φ gerade durch

g = |∂1Φ× ∂2Φ|2

gegeben.

Ubung: Zeigen Sie dies!

146

Es gilt also∫Ω

rot f · ν dS =

∫V ∩x1≤0

((rot f) Φ

)· ∂1Φ× ∂2Φ

|∂1Φ× ∂2Φ||∂1Φ× ∂2Φ| dx

=

∫V ∩x1≤0

((rot f) Φ

)· (∂1Φ× ∂2Φ) dx

=

∫V ∩x1≤0

div u dx.

u hat kompakten Trager in V , so dass wir u durch 0 auf ganz R2 fortsetzenkonnen. Angewandt auf eine glatt berandete Teilmenge V ⊂ R2 mit V ∩ x1 ≤0 ⊂ V ⊂ x1 ≤ 0 liefert der Gaußsche Satz dann∫

Ω

rot f(x) · ν(x) dS(x) =

∫V ∩x1=0

u(x) · e1 dS(x)

=

∫s:(0,s)∈V

u(0, s) · e1 ds

=

∫s:(0,s)∈V

f(Φ(0, s)) · ∂2Φ(0, s) ds

=

∫s:(0,s)∈V

f(Φ(0, s)) · t(Φ(0, s)) |∂2Φ(0, s)| ds

=

∫∂Ω

f(x) · t(x) dS(x).

(Man kann V etwa als das “Stadium”

V = BR(−R,−R) ∪B1(−R,R) ∪ ([−2R, 0]× [−R,R])

fur hinreichend großes R wahlen.)

Ubung: Zeigen Sie, dass V tatsachlich eine kompakte glatt berandete Teilmengedes R2 ist.

Im allgemeinen Fall gibt es, da Ω kompakt ist, endlich viele Karten (Φj :Vj → Ui) aus A, so dass Ω ⊂

⋃j Uj ist. Ist (αj) eine (Uj) untergeordnete glatte

Teilung der Eins auf einer Umgebung von Ω gemaß Satz 8.10, so ergibt sich ausdem schon behandelten Fall∫

Ω

rot f · ν dS =∑j

∫Ω

rot(αjf) · ν dS =∑j

∫∂Ω

αjf · t dS =

∫∂Ω

f · t dS.

Ahnlich wie die Divergenz die Quellstarke eines Feldes angibt, quantifiziertdie Rotation die Wirbelstarke: Ist Ω ⊂ R3 eine Kreisscheibe vom Radius 1 mitNormale ν und Mittelpunkt x0 ∈ U , so ist nach dem Satz von Stokes∫

rot f(x) · d~S(x) =

∫r∂Ω

f(x) · dx

147

fur Vektorfelder f ∈ C1(U) und r > 0 klein. Die rechte Seite aber misst, wiestark f um den Punkt x0 in der auf ν senkrechten Ebene “wirbelt”, indem sie fuber die x0 in dieser Ebene umlaufende Kurve r∂Ω aufintegriert. Teilt man durchVol2(rΩ) = πr2 und schickt r → 0, erhalt man

rot f(x0) · ν = limr→0

1

πr2

∫r∂Ω

f(x) · dx.

Eine Anwendung

Mit Hilfe der Satze von Gauß und Stokes lassen sich physikalische Gesetze in“integraler Form” in eine “differentielle Form” bringen, die dann mit Methodender partiellen Differentialgleichungen untersucht werden konnen. Wir behandelnhier beispielhaft die Maxwellschen Gleichungen der Elektrodynamik.

Im R3 sei eine Ladungsverteilung durch die Dichte ρ gegeben. Diese Ladungerzeugt ein elektrisches Feld E, so dass fur jedes kompakte glatt berandete GebietΩ ⊂ R3 ∫

∂Ω

E(x, t) · ν(x) dS(x) = ε−10

∫Ω

ρ(x, t) dx

ist. Hierbei ist ε0 die elektrische Feldkonstante. Ist B das Magnetfeld, so gilt∫∂Ω

B(x, t) · ν(x) dS(x) = 0.

(Die Ladung ist die Quelle des elektrischen Feldes, wahrend das magnetische Feldimmer quellenfrei ist.) Mit Hilfe des Gaußschen Satzes folgt nun, da Ω beliebigwar:

divE(x, t) = ε−10 ρ(x, t),

divB(x, t) = 0,

wobei div hier nur auf die Raumkoordinaten x wirkt.Es sei nun Ω ⊂ R3 ein glatt berandetes orientiertes Flachenstuckchen (also

eine glatt berandete Teilmenge einer orientierten zweidimensionalen Mannigfal-tigkeit M ⊂ R3). Das Faradaysche Induktionsgesetz besagt, dass die zeitlicheAnderung des magnetischen Flusses durch Ω ein elektrisches Feld auf dem Rand∂Ω induziert, so dass∫

∂Ω

E(x, t) · τ(x) dS(x) = − d

dt

∫Ω

B(x, t) · ν(x) dS(x)

= −∫

Ω

∂tB(x, t) · ν(x) dS(x)

ist, wobei der Tangenteneinheitsvektor τ(x) auf ∂Ω die durch die Normale ν(x)auf Ω induzierte Orientierung angebe.

148

Umgekehrt induzieren nach dem Ampere-Maxwellschen Gesetz die zeitlicheAnderung des Flusses des elektrischen Feldes und ein durch eine Dichte j gege-bener elektrischer Strom durch Ω ein magnetisches Feld gemaß∫∂Ω

B(x, t) · τ dS(x) = µ0

∫Ω

j(x, t) · ν(x) dS(x) + µ0ε0d

dt

∫Ω

E(x, t) · ν(x) dS(x)

= µ0

∫Ω

(j(x, t) + ε0∂tE(x, t)

)· ν(x) dS(x),

wobei µ0 die magnetische Feldkonstante bezeichnet.Mit dem Stokesschen Satz konnen wir nun auch diese beiden Gesetze um-

schreiben und erhalten, da Ω beliebig war,

rotE(x, t) = −∂tB(x, t),

rotB(x, t) = µ0

(j(x, t) + ε0 ∂tE(x, t)

),

wobei rot hier nur auf die Raumkoordinaten x wirkt.Zusammengefasst ergeben sich die vier Maxwellschen Gleichungen, die die

elektromagnetische Wechselwirkung vollstandig beschreiben:

divE = ε−10 ρ,

divB = 0,

rotE = −∂tB,rotB = µ0

(j + ε0 ∂tE

).

Im statischen Fall, wenn B = B(x) und E = E(x) nicht von t abhangen, folgtinsbesondere rotE = 0. Daher gibt es, da R3 sternformig ist, ein Potential u mit−∇u = E. Aus divE = ε−1

0 ρ erhalt man, dass u der Poissongleichung

−∆u = ε−10 ρ

genugt. Fur B existiert wegen divB = 0 ein Vektorpotential A mit rotA = B.Dieses erfullt die Gleiching

rot rotA = µ0j,

die sich auch in der Form

−∆A+∇ divA = µ0j

schreiben lasst (s.u.).

Ubung: Zeigen Sie rot rot = −∆ +∇ div, genauer: Fur f ∈ C2(U ;R3), U ⊂ R3

offen, giltrot rot f = −∆f +∇ div f.

149

Anhang A

Differentialformen

In diesem Kapitel1 gehen wir noch auf eine weitreichende Verallgemeinerung derklassischen Integralsatze ein: den allgemeinen Satz von Stokes im Differentialfor-menkalkul.

Differentialformen der Ordnung k, k ∈ N0, sind Abbildungen ω auf einerMannigfaltigkeit, so dass ω(p) eine alternierende k-Form auf dem Tangential-raum TpM ist. Diese alternierenden k-Formen sind spezielle Multilinearformenauf TpM . Ist k = 0, so handelt es sich schlicht um Funktionen. Fur k = 1 istω(p) eine Linearform auf TpM . Erinnern wir uns, dass Kurvenintegrale geradeauf den tangentialen Anteil eines Vektorfeldes wirken, so stellen sich im Differen-tialformenkalkul die Differentialformen der Ordnung 1 gerade als die geeignetenIntegranden uber eindimensionale Mannigfaltigkeiten heraus. Das ebenfalls imvorigen Kapitel untersuchte orientierte Integral eines Vektorfeldes uber eine Hy-perflache kann nun als ein Integral uber eine Differentialform der Ordnung n− 1interpretiert werden. Ganz allgemein werden wir Differentialformen der Ordnungk uber k-dimensionale Mannigfaltigkeiten integrieren. Die Multilinearitat vonω(p) stellt dabei sicher, dass wir das k-dimensionale Volumen kleiner ‘Maschen’auf M (vgl. den Beginn von Abschnitt 6.1) richtig messen. Dass ω(p) außerdemalterniert, gibt uns die Moglichkeit, zusatzlich die Orientierung solcher Maschenzu berucksichtigen.

Wir machen uns das Leben hier etwas einfacher, indem wir immer annehmen,dass ω auf einer UmgebungG vonM definiert ist und die alternierenden k-Formenω(p) auf ganz Rn wirken.

A.1 Multilineare Algebra

Es sei V ein n-dimensionaler reeller Vektorraum.

Definition A.1 Eine alternierende k-Form (kurz k-Form) auf V , k ∈ N, isteine Abbildung ω : V k → R, die

1Bonusmaterial: Dieser Anhang ist nicht Teil der Vorlesung.

150

(i) in jedem Argument linear ist und

(ii) bei der Vertauschung zweier Eintrage das Vorzeichen wechselt:

ω(v1, . . . , vi, . . . , vj, . . . , vk) = −ω(v1, . . . , vj, . . . , vi, . . . , vk)

fur i 6= j.

Der Vektorraum der k-Formen wird mit Altk V bezeichnet, wobei man noch Alt0 V =R setzt.

Beispiele:

1. Die Determinantenabbildung (v1, . . . , vk) 7→ det(v1, . . . , vk) ist eine k-Formauf Rk.

2. Ist k = 1, so ist die Bedingung (ii) leer. Es gilt also Alt1 V = V ∗, wobei V ∗

den Dualraum von V bezeichnet.

Bemerkung: Ahnlich wie bei der Untersuchung der Eigenschaften der Determi-nante in der linearen Algebra sieht man, dass fur eine Abbildung ω : V k → R,die (i) genugt, (ii) aquivalent zu jeder der folgenden Bedingungen ist:

(iia) ω(v1, . . . , vk) verschwindet, wenn zwei der Eintrage gleich sind.

(iib) ω(v1, . . . , vk) verschwindet, wenn die v1, . . . , vk linear abhangig sind.

(iic) Ist π ∈ Sk, also eine Permutation auf 1, . . . , k, so gilt

ω(v1, . . . , vk) = sign(π)ω(vπ(1), . . . , vπ(k)).

Neben den Vektorraumoperationen in Altk V gibt es nun eine wichtige zusatz-liche Veknupfung zweier beliebiger Formen:

Definition A.2 Es seien ω ∈ Altk V und η ∈ Altl V . Dann ist das außere Produkt

(oder Dachprodukt) ω ∧ η ∈ Altk+l V von ω und η durch

ω ∧ η(v1, . . . , vk+l) :=1

k!l!

∑π∈Sk+l

sign(π)ω(vπ(1), . . . , vπ(k)) η(vπ(k+1), . . . , vπ(k+l))

definiert.

Mit Hilfe von (iic) erkennt man leicht, dass durch diese Vorschrift tatsachlich einealternierende (k + l)-Form auf V definiert wird.

Das folgende Lemma fasst die wesentlichen Eigenschaften des Dachproduktszusammen.

151

Lemma A.3 Das Dachprodukt ist

(i) bilinear,

(ii) assoziativ,

(iii) antikommutativ, d.h. ω ∧ η = (−1)klη ∧ ω fur ω ∈ Altk V und η ∈ Altl Vund es gilt

(iv) 1 ∧ ω = ω ∧ 1 = ω fur 1 ∈ Alt0 = R und ω ∈ Altk V .

Beweis. (i) und (iv) sind elementar. Fur (iii) beachte, dass die Permutation(1, . . . , k + l) 7→ (k + 1, . . . , k + l, 1, . . . , k) Signum (−1)kl hat.

Es bleibt (ii) zu begrunden.2 Dazu werden wir zeigen, dass fur ω ∈ Altk V ,η ∈ Altl V und ζ ∈ Altm V sowohl ω∧(η∧ζ) als auch (ω∧η)∧ζ auf (v1, . . . , vk+l+m)durch∑π∈Sk+l+m

sign(π)

k!l!m!ω(vπ(1), . . . , vπ(k)) η(vπ(k+1), . . . , vπ(k+l)) ζ(vπ(k+l+1), . . . , vπ(k+l+m))

(A.1)

gegeben ist.Wir behandeln nur ω ∧ (η ∧ ζ)(v1, . . . , vk+l+m), gegeben durch∑π∈Sk+l+m

sign(π)

k!(l +m)!ω(vπ(1), . . . , vπ(k)) (η ∧ ζ)(vπ(k+1), . . . , vπ(k+l+m)). (A.2)

Dass (ω ∧ η) ∧ ζ(v1, . . . , vk+l+m) auch durch (A.1) gegeben ist, folgt analog.Es sei a = (a1, . . . , ak) mit a1, . . . , ak ∈ 1, . . . , k+ l+m paarweise verschie-

den. Die Permutationen π mit π(1) = a1, . . . , π(k) = ak sind gegeben durch

π(j) =

τa(j), j = 1, . . . , k,

τa(k + π′(j − k)), j = k + 1, . . . , k + l +m,π′ ∈ Sl+m,

wobei τa ∈ Sk+l+m eine beliebige Permutation mit τa(1) = a1, . . . , τa(k) = ak ist.Hierbei ist sign(π) = sign(τa) sign(π′). (Das stimmt, wenn π′ die Identitat, alsoπ = τa ist, und ergibt sich im allgemeinen Fall durch sukzessives Anwenden vonTranpositionen.) Indem man (A.1) nun zuerst uber solche π aufsummiert, erhaltman∑

a

sign(τa)

k!ω(va1 , . . . , va1)

1

l!m!

∑π′∈Sl+m

sign(π′)η(vτa(k+π′(1)), . . . , vτa(k+π′(l)))·

· ζ(vk+τa(π′(l+1)), . . . , vτa(k+π′(l+m)))

=∑a

sign(τa)

k!ω(va1 , . . . , va1) (η ∧ ζ)(vτa(k+1), . . . , vτa(k+l+m)).

2Beim ersten Lesen kann man diesen Beweis getrost uberspringen.

152

Summiert man (A.2) nun zuerst uber solche π, ergibt sich tatsachlich auch∑a

sign(τa)

k!ω(va1 , . . . , va1)

1

(l +m)!

∑π′∈Sl+m

sign(π′)

· (η ∧ ζ)(vτa(k+π′(1)), . . . , vτa(k+π′(l+m)))

=∑a

sign(τa)

k!ω(va1 , . . . , va1)(η ∧ ζ)(vτa(k+1), . . . , vτa(k+l+m)),

denn weil η ∧ ζ alternierend ist, liefern alle Summanden in der inneren Summeden gleichen Beitrag.

Bemerkung: Auf ahnliche Weise erhalt man durch Induktion allgemein fur NSummanden: Sind ωi ∈ Altki V , i = 1, . . . N , so gilt

(ω1 ∧ . . . ∧ ωN)(v1, . . . , vk1+...+kN )

=∑

π∈Sk1+...+kN

sign(π)

k1! · . . . · kN !

∏i

ωi(vπ(k1+...+ki−1+1), . . . , vπ(k1+...+ki)).

Sind insbesondere ω1, . . . , ωk ∈ V ∗, v1, . . . , vk ∈ V , so ist also

(ω1 ∧ . . . ∧ ωk)(v1, . . . , vk) = det((ωi(vj))ij

).

Mit Hilfe des Dachprodukts konnen wir aus einer Basis von V (bzw. ihrerdualen Basis von V ∗) Basen aller Altk V konstruieren:

Satz A.4 Es sei (δ1, . . . , δn) eine Basis von V ∗. Dann ist (δi1 ∧ . . . ∧ δik : i1 <. . . < ik) eine Basis von Altk V . Ist (ei) die zu (δi) duale Basis von V , so gilt

ω =∑

1≤i1<...<ik≤n

ai1...ikδi1 ∧ . . . ∧ δik , ai1...ik = ω(ei1 , . . . , eik).

Insbesondere ist dim Altk V =(nk

)und somit Altk V = 0 fur k ≥ n+ 1.

Beweis. Wir zeigen zunachst die angegebene Darstellung von ω. Durch Einsetzensieht man, dass die beiden Seiten angewandt auf (ej1 , . . . , ejk) mit j1 < . . . < jkubereinstimmen und damit als alternierende k-Formen sogar schon uberall.

Ist∑

i1<...<ikbi1...ikδi1 ∧ . . . ∧ δik = 0, so erhalt man durch Einsetzen von

(ej1 , . . . , ejk) mit j1 < . . . < jk, dass bj1...jk = 0 sein muss, was die lineare Un-abhangigkeit der betrachteten Menge zeigt.

Besonders wichtig ist es, zu untersuchen, wie die Dachprodukte mit linearenTransformationen wechselwirken. Ist W ein weiterer reeller Vektorraum und f :V → W eine lineare Abbildung, so kann man jede k-Form auf W mittels f aufV zuruckholen:

153

Definition A.5 Es seien V , W endlichdimensionale reelle Vektorraume und f :V → W linear. Ist ω ∈ AltkW , so ist die zuruckgeholte Form f ∗ω ∈ Altk Vdefiniert durch

f ∗ω(v1, . . . , vk) = ω(fv1, . . . , fvk).

Lemma A.6 Es seien V , W endlichdimensionale reelle Vektorraume. Das Dach-produkt ist vertraglich mit linearen Abbildungen:

f ∗(ω ∧ η) = (f ∗ω) ∧ (f ∗η)

fur ω ∈ AltkW und η ∈ AltlW , f : V → W linear.

Beweis. Klar.

Lemma A.7 Ist speziell W = V und ω eine n-Form, so gilt

f ∗ω = (det f)ω.

Beweis. Da Altn V eindimensional (s. Satz A.4) und die Abbildung f ∗ : Altn V →Altn V linear ist, gibt es ein c ∈ R, so dass

f ∗ω = cω ∀ω ∈ Altn V

gilt. Es sei nun Φ : V → Rn ein Isomorphismus und ω = Φ∗ det (s. Beispiel 1 aufSeite 151). Dann ergibt sich fur die kanonische Basis (ei) von Rn

c = c det(e1, . . . , en)

= cω(Φ−1e1, . . . ,Φ−1en)

= f ∗ω(Φ−1e1, . . . ,Φ−1en)

= ω(fΦ−1e1, . . . , fΦ−1en)

= det(ΦfΦ−1e1, . . . ,ΦfΦ−1en)

= det f.

A.2 Differentialformen im Rn

Im Folgenden sei G ⊂ Rn eine offene Menge.

Definition A.8 Eine Differentialform der Ordnung k (kurz k-Form) auf G, k ∈N0, ist eine Abbildung ω : G→ Altk Rn.

154

Beispiele:

1. Differentialformen der Ordnung 0 sind einfach reellwertige Funktionen aufG.

2. Ist f ∈ C1(G), so ist x 7→ Df(x) eine 1-Form.

Die Menge der k-Formen auf G wird bei punktweiser Addition und punktwei-ser Multiplikation mit Skalaren wieder zu einem Vektorraum. Auch das Dachpro-dukt definiert man punktweise gemaß (ω ∧ η)(x) = ω(x) ∧ η(x) fur eine k-Formω und eine l-Form η.

Das letzte Beispiel fuhrt zu einer Darstellung von Differentialformen in Ko-ordinaten. Ist f : G → R differenzierbar, so schreibt man in der Theorie derDifferentialformen df fur Df . Wir betrachten nun die i-te Koordinatenprojek-tion x 7→ xi. Verwirrenderweise ist es ublich, diese Funktion wieder mit demSymbol xi zu belegen, so dass also

xi : G→ R, xi(x) = xi

gilt. (Wenn man sich immer sorgfaltig klar macht, welche Rolle “xi” gerade spielt,ist das nach etwas Ubung gar nicht mehr so verwirrend.) Es ist dann dxi(x)ej = δijfur alle x ∈ G und i, j ∈ 1, . . . , n, so dass (dxi) die zur Standardbasis (ei) dualeBasis des (Rn)∗ ist3. Nach Satz A.4 lasst sich dann jede Differentialform derOrdnung k eindeutig durch

ω =∑

1≤i1<...<ik≤n

ai1...ikdxi1 ∧ . . . ∧ dxik , ai1...ik(x) = ω(x)(ei1 , . . . , eik)

darstellen.Beispiel: Ist f : G→ R differenzierbar, so gilt

df =n∑j=1

∂f

∂xjdxj,

denn∑n

j=1 ∂jf(x) dxj(ei) = ∂if(x) = Df(x)ei = df(x)ei.

Ahnlich wie alternierende Formen auf Vektorraumen unter linearen Abbildungzuruckgeholt werden konnen, wollen wir nun Differentialformen unter differenzier-baren Abbildungen zuruckholen.

3Im allgemeinen Fall, wenn Differentialformen – wie zu Beginn dieses Kapitels erwahnt– nur auf Mannigfaltigkeiten definiert sind und Werte in

⋃p∈M Altk TpM annehmen, ist die

Abbildung xi als die i-te Komponente der Inversen einer Karte definiert. Deren Ableitungdxi(p) stellt sich dann als lineare Abbildung dxi(p) : TpM → R heraus, die nun i.A. nichtkonstant in p ist. Selbst in unserer vereinfachten Situation wird sich diese – zunachst vielleichtetwas umstandlich wirkende – Notation jedoch als nutzlich erweisen.

155

Definition A.9 Es seien G1 ⊂ Rm, G2 ⊂ Rn offen f ∈ C1(G1;G2) und ω eineDifferentialform der Ordnung k auf G2. Die auf G1 zuruckgeholte Form f ∗ω istdann definiert durch

f ∗ω(x) =((Df)∗ω

)(f(x)

).

Mit anderen Worten:

f ∗ω(x)(v1, . . . , vk) = ω(f(x))(Df(x)v1, . . . , Df(x)vk).

Die wesentliche Begriffsbildung ist nun die außere Ableitung von Differential-formen:

Satz A.10 Es gibt genau eine Moglichkeit, jeder differenzierbaren k-Form ω,k ∈ N0, eine (k + 1)-Form dω zuzuordnen, so dass

(i) d linear ist,

(ii) df = Df fur f : G→ R differenzierbar (also k = 0) gilt,

(iii) die Produktregel gilt:

d(ω ∧ η) = (dω) ∧ η + (−1)kω ∧ (dη),

wo ω eine k-Form und η eine beliebige Differentialform ist, und

(iv) die Komplexitatseigenschaft d d = 0 erfullt ist:

ddω = 0

fur ω ∈ C2(G; Altk Rn).

Ist ω gegeben durch ω =∑

i1<...<ikai1...ikdxi1 ∧ . . . ∧ dxik , so ergibt sich

dω =∑

i1<...<ik

dai1...ik ∧ dxi1 ∧ . . . ∧ dxik .

Definition A.11 Die durch Satz A.10 eindeutig festegelegte Operation wird fort-an mit d bezeichnet. Ist ω eine differenzierbare Differentialform, so heißt dω dieaußere Ableitung (auch Cartansche Ableitung oder Differential) von ω.

Beweis. Es sei d eine solche Operation. Wir bemerken zunachst, dass wir wegen(ii) weiter dxi schreiben durfen. Der Reihe nach aus (i), (iii) und (iv) folgt nun

d∑

i1<...<ik

ai1...ikdxi1 ∧ . . . ∧ dxik =∑

i1<...<ik

dai1...ik ∧ dxi1 ∧ . . . ∧ dxik , (A.3)

was d eindeutig festlegt. Es bleibt nun umgekehrt zu zeigen, dass die durch (A.3)gegebene Abbildung d (i)–(iv) erfullt, wobei d auf der rechten Seite die AbleitungD bezeichnet.

156

(i) und (ii) sind klar. Insbesondere mussen wir im Folgenden nicht zwischenAbleitungen D und d unterscheiden.

(iii): Zum Nachweis von (iii) durfen wir wegen (i) und der Bilinearitat von ∧annehmen, dass

ω = aI dxI , η = aJ dxJ

ist, wobei wir abkurzend dxI = dxi1 ∧ . . . ∧ dxik und dxJ = dxi1 ∧ . . . ∧ dxikfur I = (i1, . . . , ik) und J = (j1, . . . , jl) geschrieben haben und aI sowie aJdifferenzierbare Funktionen sind. Da anderenfalls beide Seiten in (iii) gleich 0ergeben, durfen wir außerdem ir 6= js fur alle r, s annehmen. Aus der Produktregelfur die gewohnliche Ableitung folgt nun

d(aI dxI ∧ aJ dxJ

)= d(aI aJ) ∧ dxI ∧ dxJ= aJ daI ∧ dxI ∧ dxJ + aI daJ ∧ dxI ∧ dxJ= (daI ∧ dxI) ∧ (aJ dxJ) + (−1)k(aI dxI) ∧ (daJ ∧ dxJ).

(iv) Fur 0-Formen f gilt nach dem Beispiel von Seite 155

ddf = dn∑j=1

∂jf dxj =n∑j=1

n∑i=1

∂i∂j dxi ∧ dxj

=∑i<j

(∂i∂jf − ∂j∂if)dxi ∧ dxj = 0

nach dem Satz von Schwarz. Allgemein ergibt sich daraus dann mit der Produkt-regel

dd∑

i1<...<ik

ai1...ikdxi1 ∧ . . . ∧ dxik = d∑

i1<...<ik

dai1...ik ∧ dxi1 ∧ . . . ∧ dxik = 0.

Der Beweis von (iv) zeigt insbesondere, dass die Komplexitatseigenschaft eineweitreichende Verallgemeinerung des Satzes von Schwarz darstellt.Beispiele:

1. Ist f : G→ R differenzierbar, so haben wir oben gesehen, dass

df =n∑j=1

∂jf dxj,

gilt. Die 1-Form∑n

j=1 ∂jf dxj gibt also den Gradienten von f an.

2. Jede (n− 1)-Form ω kann in der Form

ω =n∑j=1

(−1)j−1fj dx1 ∧ . . . ∧ dxj−1 ∧ dxj+1 ∧ . . . ∧ dxn

157

geschrieben werden. Es gilt dann

dω =n∑j=1

n∑i=1

(−1)j−1∂ifj dxi ∧ dx1 ∧ . . . ∧ dxj−1 ∧ dxj+1 ∧ . . . ∧ dxn

=n∑j=1

(−1)j−1∂jfj dxj ∧ dx1 ∧ . . . ∧ dxj−1 ∧ dxj+1 ∧ . . . ∧ dxn

= (div f) dx1 ∧ . . . ∧ dxn.

Die außere Ableitung entspricht hier also der Divergenzbildung.

3. Ist n = 3, so kann jede 1-Form ω als

ω = f1 dx1 + f2 dx2 + f3 dx3

geschrieben werden. Es gilt dann

dω = df1 ∧ dx1 + df2 ∧ dx2 + df3 ∧ dx3

= ∂2f1 dx2 ∧ dx1 + ∂3f1 dx3 ∧ dx1 + ∂3f2 dx3 ∧ dx2 + ∂1f2 dx1 ∧ dx2

+ ∂1f3 dx1 ∧ dx3 + ∂2f3 dx2 ∧ dx3

= (∂2f3 − ∂3f2)dx2 ∧ dx3 + (∂3f1 − ∂1f3)dx3 ∧ dx1

+ (∂1f2 − ∂2f1)dx1 ∧ dx2.

Definieren wir das vektorielle Linienelement d~s, das vektorielle Flachenele-ment d~F und das Volumenelement dV durch

d~s :=

dx1

dx2

dx3

, d ~F :=

dx2 ∧ dx3

dx3 ∧ dx1

dx1 ∧ dx2

und dV := dx1 ∧ dx2 ∧ dx3,

so ergibt sich nach 1, obiger Rechnung und 2 fur die skalare Funktion f unddie Vektorfelder g und h

df = ∇f · d~s, d(g · d~s) = rot g · d~F und d(h · d~F ) = div h dV.

Die Differentialoperatoren ∇, rot und div entsprechen also der außerenAbleitung d. Die Komplexitatseigenschaft d d = 0 ist hier nichts anderesals rot ∇ = 0 und div rot = 0.

Zum Schluss dieses Abschnitts halten wir noch die fundamentale Eigenschaftfest, dass Zuruckholen von Differentialformen und außere Ableitung vertauschen:

Satz A.12 Es seien G1 ⊂ Rm, G2 ⊂ Rn offen f ∈ C2(G1;G2) und ω einedifferenzierbare Differentialform auf G2. Dann ist auch f ∗ω differenzierbar undes gilt

d (f ∗ω) = f ∗(dω).

158

Beweis. Es sei zunachst g eine differenzierbare 0-Form. Dann ist f ∗g = g fdifferenzierbar und

(f ∗dg)(x)(v) = dg(f(x))(Df(x)v) = D(g f)(x)v = d(f ∗g)(x)(v)

fur x ∈ G1 und v ∈ Rm, also f ∗dg = d(f ∗g).Fur allgemeine ω =

∑i1<...<ik

ai1...ikdxi1 ∧ . . .∧ dxik folgt die Behauptung mitLemma A.6 und dem schon behandelten Fall aus

f ∗dω =∑

i1<...<ik

f ∗dai1...ik ∧ f ∗dxi1 ∧ . . . ∧ f ∗dxik

=∑

i1<...<ik

d(f ∗ai1...ik) ∧ d(f ∗xi1) ∧ . . . ∧ d(f ∗xik)

=∑

i1<...<ik

d(f ∗ai1...ik) ∧ dfi1 ∧ . . . ∧ dfik

und

df ∗ω = d∑

i1<...<ik

f ∗ai1...ik dfi1 ∧ . . . ∧ dfik

=∑

i1<...<ik

d(f ∗ai1...ik) ∧ dfi1 ∧ . . . ∧ dfik ,

wobei wir im letzten Schritt die Produktregel und die Komplexitatseigenschaftvon d ausgenutzt haben.

A.3 Integration von Differentialformen

Differentialformen der Ordnung k werden uber orientierte k-dimensionale Man-nigfaltigkeiten integriert. Wir beginnen mit dem Spezialfall k = n, wobei eineoffene Menge G immer die kanonische Orientierung trage, die durch den nur ausder identischen Abbildung bestehenden Atlas induziert ist.

Definition A.13 Eine n-Form ω = fdx1 ∧ . . . ∧ dxn heißt integrierbar uberA ⊂ G messbar, wenn f uber A integrierbar ist. Man definiert dann∫

A

ω :=

∫A

f(x)dx.

Fur Differentialformen gilt die folgende Variante des Transformationssatzes:

Satz A.14 Sind U, V ⊂ Rn offen, ϕ : V → U ein C1-Diffeomorphismus und ωeine integrierbare n-Form auf U , so gilt∫

V

ϕ∗ω =

∫U

ω,

wenn ϕ orientierungstreu ist.

159

Beweis. Das ergibt sich direkt aus Lemma A.7 und dem Transformationssatz 3.44.

Ahnlich wie in Abschnitt 6.1 definieren wir nun Integrale zunachst uber Kar-tenbereiche.

Definition A.15 Es sei M ⊂ G eine k-dimensionale orientierte Mannigfaltig-keit und Φ : V → U eine Karte eines die gegebene Orientierung induzierendenAtlas. Ist ω : G → Altk Rn eine k-Form, so dass ω auf M \ U verschwindet, soheißt ω integrierbar, wenn die zuruckgeholte k-Form

Φ∗ω

auf V gemaß Definition A.13 integrierbar ist. Man setzt dann∫M

ω :=

∫V

Φ∗ω.

Wie nach Definition 6.4 muss man sich wieder davon uberzeugen, dass dieseDefnition unabhangig von der gewahlten Karte ist. Dies folgt hier in analogerWeise mit Hilfe von Satz A.14. Der allgemeine Fall wird wieder mit einer Zerle-gung der Eins nach Definition 6.6 bewerkstelligt:

Definition A.16 Es sei M ⊂ G eine k-dimensionale durch den endlichem At-las (Φj : Vj → Uj)j=1,...,N orientierte Mannigfaltigkeit. Eine k-Form ω heißtintegrierbar, wenn χUjω im Sinne von Definition A.15 integrierbar ist fur alle j.

Ist (αj) eine der Uberdeckung (Uj) untergeordnete Zerlegung der Eins, so dassαj Φj messbar ist, so wird das Integral von ω uber M definiert durch∫

M

ω :=N∑j=1

∫M

αjω,

wobei auf der rechten Seite die schon in Definition A.15 erklarten Integrale ste-hen.

Die Wohldefiniertheit ergibt sich ganz analog zu der von Definition 6.7 inAbschnitt 6.1.

Beispiel: 1-Formen nennt man auch Pfaffsche Formen. Diese werden uber ein-dimensionale Mannigfaltigkeiten integriert. Ist etwa M als Spur γ(I) einer C1-Kurve mit γ 6= 0 und γ : I → γ(I) ein Homoomorphismus gegeben, so ist fur ω =∑n

j=1 fj dxj die durch γ zuruckgeholte Form∑

j(γ∗fj) d(γ∗xj) =

∑j fj γ dγj.

Damit ergibt sich, falls ω integrierbar ist,∫M

ω =

∫I

γ∗ω =

∫I

∑j

fj(γ(t)) γj(t) dt =

∫γ

f · dx,

was ja schon durch unsere Notation fur Kurvenintegrale nahegelegt wird. Wiein Definition 8.1 kann man auf diese Weise Kurvenintegrale

∫γω uber Pfaffsche

Formen definieren, wenn γ(I) nicht notwendig eine Mannigfaltigkeit ist.

160

A.4 Der allgemeine Satz von Stokes

Satz A.17 (Allgemeiner Stokesscher Integralsatz) Es seien M ⊂ G eineorientierte k-dimensionale C2-Mannigfaltigkeit, Ω ⊂M eine kompakte Teilmengemit glattem Rand und ω eine stetig differenzierbare (k − 1)-Form auf G, k ≥ 2.Der Rand ∂Ω trage die induzierte Orientierung. Dann ist∫

Ω

dω =

∫∂Ω

ω.

Beispiele:

1. Fur k = 1 ist das nichts anderes als der Hauptsatz der Differential- undIntegralrechnung.

2. Fur k = n− 1 ist dies eine Umformulierung des Gaußschen Integralsatzes.

3. Im R3 erhalten wir mit der Notation aus dem vorigen Abschnitt∫Ω

div h dV =

∫Ω

d(h · d~F ) =

∫∂Ω

h · d~F ,

fur Ω ⊂ R3 kompakt und glatt berandet, also den Gaußschen Satz, und∫Ω

rot g · d~F =

∫Ω

d(g · d~s) =

∫∂Ω

g · d~s

fur kompakte glatt berandete Flachenstuckchen Ω im R3, was gerade derklassische Satz von Stokes ist. Dies ergibt sich jeweils aus d~F = ν · dS,genauer nach Zuruckholen mittels Karten:

Ubung: Ist Φ ∈ C1(V ;R3), V ⊂ R2 offen, so gilt

Φ∗d~F = (∂1Φ× ∂2Φ) dx1 ∧ dx2.

Der Beweis von Satz A.17 ergibt sich im Wesentlichen aus dem folgendenSpezialfall:

Lemma A.18 Ist ω eine stetig differenzierbare (k − 1)-Form mit kompaktemTrager auf Rk, k ≥ 2, so ist ∫

x1≤0dω =

∫∂x1≤0

ω.

161

Beweis. Schreiben wir ω =∑k

j=1(−1)j−1fj dx1 ∧ . . . ∧ dxj−1 ∧ dxj+1 ∧ . . . ∧ dxkmit fj ∈ C1(Rk), supp fj kompakt, so folgt∫

x1≤0dω =

∫x1≤0

(div f) dx1 ∧ . . . ∧ dxk

=

∫x1≤0

div f(x) dx

nach Beispiel 2 auf Seite 157.Mit dem Satz von Fubini konnen wir den j-ten Summanden in der Divergenz

jeweils zuerst uber xj intgrieren. Dabei ergibt sich∫ ∞−∞

∂jfj dxj = 0

fur j = 2, . . . , k und ∫ 0

−∞∂1f1(x) dx1 = f1(0, x2, . . . xk)

fur j = 1. Es gilt also ∫x1≤0

dω =

∫Rk−1

f1(0, x′) dx′.

Um das Randintegral zu berechnen, bezeichnen wir die Elemente von Rk−1

mit x′ = (x′1, . . . , x′k−1) und schreiben entsprechend dx′j, j = 1, . . . , k − 1. Die

identische Abbildung Φ : Rk → Rk, Φ(x) = x induziert die Karte

Φ′ : Rk−1 → ∂x1 ≤ 0 = x1 = 0, x′ 7→ Φ(0, x′) = (0, x′)

von ∂x1 ≤ 0. Nach Satz A.12 gilt

(Φ′)∗dxj(v) = d(xj Φ′) =

dx′j−1 fur j ≥ 2,

0 fur j = 1,

so dass mit Lemma A.6 folgt∫∂x1≤0

ω =

∫Rk−1

(Φ′)∗ω

=

∫Rk−1

f1(Φ′(x′)) dx′1 ∧ . . . ∧ dx′k−1

=

∫Rk−1

f1(0, x′) dx′,

162

was die Behauptung zeigt.

Beweis von Satz A.17. Es sei A ein orientierter Atlas aus Rand-adaptierten Kar-ten. Da Ω kompakt ist, gibt es endlich viele Karten Φj : Vj → Uj, j = 1, . . . , N , so

dass Ω ⊂⋃Nj=1 Uj ist. Es sei nun (αj) eine der Uberdeckung (Uj) untergeordnete

glatte Teilung der Eins gemaß Satz 8.10. Dann konnen wir Φ∗j(αjω) durch 0 stetigdifferenzierbar auf ganz Rk fortsetzen.

Nach Satz A.12 ist∫Ω

d(αjω) =

∫Ω∩Uj

d(αjω) =

∫Vj∩x1≤0

Φ∗j(d(αjω)

)=

∫Vj∩x1≤0

d(Φ∗j(αjω)

)=

∫x1≤0

d(Φ∗j(αjω)

).

Es sei nun Φ′j = Φj P : V ′j → Uj mit P (x′) = (0, x′) die von Φj induzierteRandkarte (s. den Beweis von Satz 7.7). Dann ist∫

∂Ω

αjω =

∫∂Ω∩Uj

αjω =

∫V ′j

(Φ′j)∗(αjω) =

∫V ′j

P ∗Φ∗j(αjω)

=

∫Vj∩x1=0

Φ∗j(αjω) =

∫∂x1≤0

Φ∗j(αjω)

Aus Lemma A.18 folgt nun ∫Ω

d(αjω) =

∫∂Ω

αjω.

Summation uber alle j beschließt den Beweis.

163

Anhang B

Das Auswahlaxiom

In diesem Anhang1 formulieren wir das Auswahlaxiom und zeigen, dass es aqui-valent zum Lemma von Zorn und zum Wohlordnungssatz ist. Wir gehen dannkurz auf das Prinzip der transfiniten Induktion ein. Im zweiten Abschnitt disku-tieren wir dann allgemein die Machtigkeit von Mengen. Diese Themen kommen inVorlesungen oft zu kurz, gehoren aber eigentlich zum Grundwissen jeder Mathe-matikerin und jedes Mathematikers. Als Anwendung besprechen wir im drittenAbschnitt einen spezielleren Punkt und bestimmen die Machtigkeit der Systemsder Borelmengen auf Rn.

B.1 Auswahlaxiom, Zornsches Lemma und Wohl-

ordnungssatz

Axiom B.1 (Auswahlaxiom) Zu jeder Familie (Ai)i∈I nicht-leerer Mengen gibtes eine “Auswahlfunktion”

f : I →⋃i∈I

Ai mit f(i) ∈ Ai ∀ i ∈ I.

Ob das Auswahlaxiom als gultig angenommen werden soll oder nicht, hat imletzten Jahrhundert immer wieder zu Diskussionen gefuhrt. Die Kritik an diesemAxiom bezieht sich dabei darauf, dass es im Allgemeinen ja schlecht moglich sei,eine solche Abbildung f tatsachlich zu konstruieren. Die uberwiegende Anzahlan Mathematikern aber akzeptiert es. Vom formalen Standpunkt sind beide Mei-nungen zulassig: Die Annahme des Auswahlaxioms fuhrt nicht zu Widerspruchen,wenn die ubrigen Axiome der Mengenlehre widerspruchsfrei sind (Godel 1938).Andererseit folgt das Auswahlaxiom auch nicht aus den ubrigen Axiom (Cohen1963). Viele interessante Resultate insbesondere in der Analysis beruhen aller-dings auf dem Auswahlaxiom und es ware ja schade, auf die zu verzichten.

1Bonusmaterial: Dieser Anhang ist nicht Teil der Vorlesung.

164

Eine aquivalente Formulierung des Auswahlaxioms ist: Zu jeder Menge X gibtes eine Abbildung

f : P(X) \ ∅ → X mit f(A) ∈ A ∀A ∈ P(X) \ ∅.

(Hierbei bezeichnet P(X) die Potenzmenge von X.) f nennt man dann aucheinfach eine Auswahlfunktion fur X. Diese Form folgt unmittelbar aus AxiomB.1 angewandt auf (A)A∈P(X)\∅. Umgekehrt erhalt man Axiom B.1 aus dieserFormulierung indem man X =

⋃i∈I Ai setzt, g : P(X) \ ∅ → X mit g(A) ∈ A

fur A ∈ P(X) \ ∅ wahlt und f : I → X durch f(i) = g(Ai) definiert.Es gibt zwei besonders wichtige zum Auswahlaxiom aquivalente Aussagen:

Das Lemma von Zorn und der Wohlordnungssatz. Zur Erinnerung:

Definition B.2 Es sei X eine Menge.

(i) Eine Relation ≤ auf X heißt Ordnung und (X,≤) ein geordneter Raum,wenn fur alle x, y, z ∈ X gilt:

a) x ≤ x (Reflexivitat),

b) x ≤ y und y ≤ x =⇒ x = y (Antisymmetrie) und

c) x ≤ y und y ≤ z =⇒ x ≤ z (Transitivitat).

(ii) Ist (X,≤) ein geordneter Raum und Y ⊂ X, so heißt ein Element x ∈X mit y ≤ x fur alle y ∈ Y eine obere Schranke oder Majorante fur Y .Entsprechend werden untere Schranken bzw. Minoranten definiert.

Ein x ∈ X heißt maximales (minimales) Element von X, wenn es keineecht großeren (kleineren) Elemente gibt, d.h.:

y ≥ x (bzw. y ≤ x) =⇒ y = x.

(iii) Ein geordeneter Raum (X,≤) heißt total geordnet, wenn je zwei Elementevergleichbar sind, also mit x, y ∈ X x ≤ y oder y ≤ x gilt.

(iv) Ist (X,≤) ein geordneter Raum, so dass es in jeder Teilmenge Y ⊂ X einkleinstes Element gibt, also ein y1 ∈ Y mit y1 ≤ y fur alle y ∈ Y , so nenntman (X,≤) wohlgeordnet. y1 heißt auch das erste Element in Y .

Wir schreiben x < y, wenn x ≤ y und x 6= y ist, sowie x ≥ y (x > y), wenny ≤ x (und x 6= y) gilt. Beachte außerdem, dass jede wohlgeordnete Menge Xauch total geordnet ist, da ja jede zweielementige Menge x, y fur x, y ∈ X einerstes Element enthalt.

Satz B.3 (Zornsches Lemma) Es sei (X,≤) ein geordneter Raum, in demjede total geordnete Teilmenge eine obere Schranke besitzt. Dann gibt es ein ma-ximales Element in X.

165

(Einen geordneten Raum, in dem jede total geordnete Teilmenge eine obereSchranke besitzt, nennt man auch induktiv geordnet.)

Satz B.4 (Wohlordnungssatz) Jede Menge lasst sich wohlordnen.

Satz B.5 Das Auswahlaxiom, das Lemma von Zorn und der Wohlordnungssatzsind aquivalent.

Fur den Beweis, der im Wesentlichen der Darstellung in [Pe] folgt, benotigenwir noch eine kleine Vorbereitung.

Definition B.6 Es sei (X,≤) ein geordneter Raum.

(i) Ist Y ⊂ X, so bezeichnen wir die Menge der echten oberen und unterenSchranken mit Maj(Y ) bzw. Min(Y ):

Maj(Y ) = x ∈ X : x > y ∀ y ∈ Y , Min(Y ) = x ∈ X : x < y ∀ y ∈ Y .

(ii) Ist f eine Auswahlfunktion fur die Familie (A)A⊂XA6=∅

der nicht-leeren Teil-

mengen von X, so nennt man eine Teilmenge C ⊂ X eine f -Kette, wennC bezuglich ≤ wohlgeordnet ist und fur jedes x ∈ C gilt

f(Maj(C ∩Minx)) = x.

Ubung: Uberlegen Sie sich, dass das erste Element einer jeden f -Kette f(X) istund dass f(X) eine (einelementige) f -Kette ist.

Lemma B.7 Sind C1 und C2 f -Ketten in X mit C1 6⊂ C2, so gibt es ein x1 ∈ C1

mitC2 = C1 ∩Minx1.

Beweis. Da C1 \C2 eine nicht-leere Teilmenge der wohlgeordneten Menge C1 ist,gibt es ein erstes Element x1 in C1 \ C2. Alle Elemente aus C1, die echt kleinerals x1 sind, mussen also zu C2 gehoren:

C1 ∩Minx1 ⊂ C2.

Angenommen diese Inklusion ware echt. Dann konnten wir in der nicht-leerenTeilmenge C2 \ (C1∩Minx1) wieder ein erstes Element x2 finden. Die Elementeaus C2, die echt kleiner als x2 sind, wurden dann in C1 ∩Minx1 liegen:

C2 ∩Minx2 ⊂ C1 ∩Minx1.

Nehmen wir wiederum an, dass auch diese zweite Inklusion echt ist, so gabe esauch in C1 ∩Minx1 \ C2 ∩Minx2 ein erstes Element y, das dann ja auch inC2 liegt und kleiner als x1 ist, und es ware

C1 ∩Miny = C1 ∩Minx1 ∩Miny ⊂ C2 ∩Minx2.

166

Diese Inklusion kann aber nicht echt sein. Fur jedes x ∈ C2∩Minx2 (⊂ C1) giltnamlich y 6≤ x, da anderenfalls y ≤ x < x2 und somit y ∈ C2 ∩Minx2 ware, imWiderspruch zur Wahl von y. Dann aber muss x < y sein, da ja beide Elementein der total geordneten Menge C2 liegen, und das heißt, dass x ∈ C1 ∩Minyliegt.

Wenden wir nun f auf beide Seiten von

Maj(C1 ∩Miny) = Maj(C2 ∩Minx2)

an, ergibt sich y = x2. Nach Konstruktion von y und x2 ist jedoch y ∈ C1 ∩Minx1 und x2 /∈ C1 ∩Minx1. Wir mussen also die Annahme, dass die zweiteInklusion echt war, verwerfen und erhalten aus

Maj(C2 ∩Minx2) = Maj(C1 ∩Minx1)

nach Anwenden von f x2 = x1. Das wiederum widerspricht x1 /∈ C2 und x2 ∈ C2;wir mussen also auch die Annahme, dass die erste Inklusion echt war, aufgebenund erhalten

C1 ∩Minx1 = C2.

Wir konnen nun den Aquivalenzsatz B.5 beweisen:

Beweis von Satz B.5.1. Auswahlaxiom =⇒ Zornsches Lemma.Es sei (X,≤) ein geordneter Raum, in dem jede total geordnete Teilmenge eineobere Schranke besitzt. Wahle eine Auswahlfunktion f fur X. Es sei weiter (Cj)die Familie aller f -Ketten in X und C =

⋃j∈J Cj. Dann ist

C ∩Minx = Cj ∩Minx ∀x ∈ Cj.

Wegen C ⊃ Cj ist hier nur “⊂” zu zeigen: Ist y ∈ C ∩ Minx, etwa y ∈Ci ∩ Minx, so ist entweder Ci ⊂ Cj und damit y ∈ Cj ∩ Minx oder aberCi 6⊂ Cj und daher nach Lemma B.7 Cj = Ci ∩ xi fur ein xi ∈ Ci, also wegeny < x < xi (beachte x ∈ Cj) wieder y ∈ Cj.

Tatsachlich ist C selbst eine f -Kette: Da nach Lemma B.7 je zwei f -Kettenineinander enthalten sind, ist C total geordnet. Ist nun Y ⊂ C nicht leer, so istY ∩ Cj 6= ∅ fur ein j. Es sei dann y das erste Element in Y ∩ Cj. Dann aber istwegen

C ∩Miny = Cj ∩Miny = ∅

y sogar das erste Element von C. Schließlich folgt fur x ∈ C, etwa x ∈ Cj

f(Maj(C ∩Minx)) = f(Maj(Cj ∩Minx)) = x.

C ist also (als Vereinigung aller) die langste f -Kette in X.

167

Dann aber ist Maj(C) = ∅, denn anderenfalls ware fur

x := f(Maj(C)) ⊂ Maj(C)

C ∪ x eine langere f -Kette. (Beachte, dass C ∪ x immer noch wohlgeordnetist wegen x > x fur alle x ∈ C und dass f(Maj(C ∩Minx)) = f(Maj(C)) = xgilt.) Nach Annahme besitzt aber C in X eine obere Schranke x, die somit in Cselbst liegen muss. x ist dann das gesuchte maximale Element, denn gabe es einy mit y > x, so ware y ∈ Maj(C) = ∅.2. Zornsches Lemma =⇒ Wohlordnungssatz.Es sei X eine Menge. Auf dem System

M = (C,≤) wohlgeordnet : C ⊂ X

der wohlgeordneten Teilmengen definieren wir eine Ordnung durch (C1,≤1) (C2,≤2) wenn C1 = C2 und ≤1 = ≤2 gilt oder es ein x2 ∈ C2 mit

C1 = C2 ∩Minx2 = x ∈ C2 : x <2 x2 und ≤1 = ≤2|C1

gibt. Wir behaupten, dass dann (M,) induktiv geordnet ist. Sei also N =(Cj,≤j) : j ∈ J ⊂M eine total geordnete Teilmenge. Setze C =

⋃j∈J Cj. Wir

definieren eine Ordnung ≤ auf C, indem wir x ≤ y setzen, wenn x, y ∈ Cj undx ≤j y gilt. Da N total geordnet ist, ist dies wohldefiniert. Wie in 1. behauptenwir, dass

C ∩Minx = Cj ∩Minx ∀x ∈ Cjgilt. Wegen C ⊃ Cj ist wieder nur “⊂” zu zeigen: Ist y ∈ C ∩ Minx, etway ∈ Ci∩Minx, so ist entweder (Ci,≤i) (Cj,≤j) und damit y ∈ Ci ⊂ Cj oderaber (Cj,≤j) (Ci,≤i) und daher Cj = Ci ∩ xi fur ein xi ∈ Ci, also wegeny < x < xi (beachte x ∈ Cj) wieder y ∈ Cj. Genau wie in 1. ergibt sich nundaraus, dass (C,≤) wohlgeordnet ist. Schließlich ist (C,≤) eine obere Schrankefur N : Das ist klar, wenn es ein großtes Element in N gibt, das dann ja gerade Cist. Gibt es kein großtes Element in N , existiert also zu jedem Cj ∈ N ein Ci ∈ Nmit (Cj,≤j) ≺ (Ci,≤i), etwa Cj = Ci ∩Minxi, so ist auch

Cj = Ci ∩Minxi = C ∩Minxi, ≤j = ≤|Cj ,

d.h. (Cj,≤j) (C,≤).

Nach dem Zornschen Lemma existiert nun ein maximales Element (C, ≤) inM . Die Behauptung folgt nun daraus, dass C = X ist. Ware dies nicht der Fall,so gabe es ein x ∈ X \ C. Setzte man dann ≤ durch y ≤x fur alle y ∈ C fort, soware auch (C ∪x, ≤) (C, ≤) wohlgeordnet im Widerspruch zur Maximalitatvon (C, ≤).

168

3. Wohlordnungssatz =⇒ Auswahlaxiom.Ist (Ai)i∈I eine Familie nicht-leerer Mengen, so wahle eine Wohlordnung auf⋃i∈I Ai und definiere f(i) als das erste Element von Ai.

Das Beweisprinzip der vollstandigen Induktion lasst sich auf wohlgeordneteMengen ubertragen: Es sei (X,≤) wohlgeordnet. Das kleinste Element in X be-zeichnen wir mit 1. Eine Aussage uber die Elemente x ∈ X ist wahr, wenn dasFolgende gezeigt ist:

• Die Aussage gilt fur 1.

• Gilt die Aussage fur alle y < x, so gilt sie auch fur x.

Man nennt dieses Beweisschema das Prinzip der transfiniten Induktion. Tatsachlichgenugt es, eine etwas schwachere Variante nachzuweisen, in der man die folgendenFalle unterscheidet. Ist x ∈ X und gibt es ein y ∈ X mit x = minz ∈ X : z > y,so nennt man y einen Vorganger von x. Gibt es keinen Vorganger von x 6= 1,so nennt man x ein Limes-Element. Im Unterschied zu einem Vorganger be-sitzt jedes Element x (außer das evtl. vorhandene großte) einen Nachfolger:minz ∈ X : z > x. Eine Aussage uber die Elemente x ∈ X ist dann wahr,wenn das Folgende gezeigt ist:

• Die Aussage gilt fur 1.

• Gilt die Aussage fur x, so gilt sie auch fur den Nachfolger von x.

• Ist x ein Limeselement und gilt die Aussage fur alle y < x, so gilt sie auchfur x.

Um das einzusehen, wahle aus der Menge aller x, fur die die fragliche Aussagefalsch ist, das kleinste Element x1, sofern diese Menge nicht leer ist. Dann istx1 6= 1. Hat nun x1 einen Vorganger y, so gilt die Aussage fur y und damit auchfur den Nachfolger x1 von y. Ist andererseits x1 ein Limeselement, so gilt dieAussage wieder fur x1, da sie ja fur alle y < x1 erfullt ist. Widerspruch.

B.2 Die Machtigkeit von Mengen

Wir wollen nun allgemeinen Mengen eine Machtigkeit, also ein Maß fur die Anzahlihrer Elemente zuordnen.

Definition B.8 Es seien A,B Mengen.

(i) A und B heißen gleichmachtig, wenn es eine Bijektion A → B gibt. Wirschreiben dann |A| = |B|.

(ii) Wir sagen A ist von kleinerer Machtigkeit als B, also |A| ≤ |B|, wenn eseine injektive Abbildung A→ B gibt.

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Gleichmachtigkeit ist offenbar eine Aquivalenzrelation auf der Klasse der Men-gen. Ihre Aquivalenzklassen nennt man auch Kardinalzahlen. Mit Hilfe des Aus-wahlaxioms lasst sich (ii) auch durch surjektive Abbildungen ausdrucken: Es gilt|A| ≤ |B| genau dann, wenn es eine surjektive Abbildung B → A gibt. Das folgtdirekt aus dem folgenden Lemma.

Lemma B.9 Sind A,B 6= ∅ Mengen, so gibt es eine injektive Abbildung A→ Bgenau dann, wenn es eine surjektive Abbildung B → A gilt.

Beweis. “=⇒”: Es sei f : A→ B injektiv. Wahle a ∈ A und setze

g(y) =

x fur y ∈ f(A) und f(x) = y,

a fur y /∈ f(A)..

g ist dann surjektiv.“⇐=”: Es sei nun g : B → A surjektiv. Dann ist eine Auswahlfunktion f

fur die Familie (g−1(x))x∈A eine injektive Abbildung f : A →⋃x∈A g

−1(x) = B,denn x 6= x′ =⇒ g−1(x) ∩ g−1(x′) = ∅ =⇒ f(x) 6= f(x′).

Es ist leicht zu sehen, dass die Relation “von kleinerer Machtigkeit” reflexiv(klar!) und transitiv ist, da die Verkettung injekiver Abbildungen injektiv ist.Dass sie tatsachlich auch antisymmetrisch ist und somit eine Ordnung auf derKlasse der Mengen definiert, ist der Inhalt des folgenden Satzes.

Satz B.10 (Satz von Schroder-Bernstein) Aus |A| ≤ |B| und |B| ≤ |A|folgt |A| = |B|.

Beweis. Es seien f : A → B und g : B → A injektiv. Dann sind f : A → f(A)und g : B → g(B) bijektiv, und wir bezeichnen deren Inverse mit f−1 bzw. g−1.Setze nun

C =∞⋃k=0

(g f)k(A \ g(B)).

Dann gilt insbesondere A\g(B) = (gf)0(A\g(B)) ⊂ C und damit A\C ⊂ g(B).Wir konnen also definieren:

h(x) =

f(x) fur x ∈ C,g−1(x) fur x ∈ A \ C.

f ist dann tatsachlich bijektiv: Wegen der Injektivitat von f und g−1 ist h|Cund h|A\C injektiv. Damit h insgesamt als injektiv nachgewiesen ist, genugt esalso zu zeigen, dass h(C) = f(C) und h(A\C) = g−1(A\C) disjunkt sind. Waredas aber nicht der Fall, gabe es also ein c ∈ C mit f(c) ∈ g−1(A \ C), so wareg f(c) ∈ A \ C, was nicht sein kann, da nach Konstruktion mit c ∈ C auchg(f(c)) ∈ C ist.

170

Um die Surjektivitat einzusehen, beachte, dass fur y ∈ B mit g(y) ∈ C nachKonstruktion von C g(y) = (g f)k(x) fur ein k ≥ 1 und x ∈ A \ g(B) ist. Dannaber ist y = f (g f)k−1(x) ∈ f(C). Ist also umgekehrt y /∈ h(C) = f(C), so istg(y) ∈ A \ C und damit y ∈ g−1(A \ C) = h(A \ C).

Dass die Machtigkeitsrelation sogar eine totale Ordnung definiert, folgt wiedermit dem Auswahlaxiom:

Satz B.11 Sind A und B Mengen, so gilt |A| ≤ |B| oder |B| ≤ |A|.

Beweis. Auf M = (C, f) : ∅ 6= C ⊂ A, f : C → B injektiv definieren wir eineOrdnung durch

(C1, f1) ≤ (C2, f2) :⇐⇒ C1 ⊂ C2 und f1 = f2|C1 .

Dadurch wird M induktiv geordnet, denn ist Cj : j ∈ J eine total geordneteTeilmenge und setzt man C =

⋃j Cj, so ist

f : C → B, f(x) = fj(x) fur x ∈ Cj

wohldefiniert und wieder injektiv. C ist dann offenbar eine obere Schranke vonCj : j ∈ J. Nach dem Zornschen Lemma gibt es also ein maximales Element

(C, f) in M .Ware nun C 6= A und f nicht surjektiv, gabe es also x ∈ A \ C und y ∈

B \ f(C), so konnte man f durch f(x) = y injektiv auf C ∪ x fortsetzen imWiderspruch zur Maximalitat von (C, f). Es ist also C = A oder f surjektiv. Imersten Fall ist dann offenbar |A| ≤ |B|. Im zweiten Fall wahle b ∈ B und setzef durch f(x) = b fur x ∈ A \ C zu einer surjektiven Abbildung auf ganz A fort.Nach Lemma B.9 ist dann |B| ≤ |A|.

B.3 Die Machtigkeit der Borelmengen

In diesem Abschnitt bestimmen wir die Machtigkeit der σ-Algebra der Borelmen-gen B mit Hilfe des Prinzips der transfiniten Induktion. Die Machtigkeit von Lzu bestimmen ist vergleichsweise einfach: Erstens gilt sicherlich |L| ≤ |P(Rn)| =|P(R)|, zweitens hat schon die eindimensionale Cantor-Menge C genauso vieleElemente wie R. Da jede Teilmenge der Nullmenge C wieder Lebesgue-messbarist, muss auch |L| ≥ |P(R)| sein.

Wir beginnen mit einer kleine Voruberlegung. Mit BA fur Mengen A,B be-zeichnet man die Menge aller Abbildungen von A nach B.

Lemma B.12 Ist |M | ≤ |R|, so ist auch |MN| ≤ |R|.

Beweis. Das sieht man so: Wegen |0, 1N| = |R| ist |MN| ≤ |(0, 1N)N|. Furf : 0, 1N →M surjektiv ist ja auch

F : (0, 1N)N →MN, F (a1, a2, . . .) = (f(a1), f(a2), . . .)

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surjektiv. Andererseits ist fur eine Bijektion φ : N→ N× N auch

G : (0, 1N)N → 0, 1N, G((a(1,k))k∈N, (a(2,k))k∈N, . . .) = (aφ(k))k∈N

bijektiv und somit F G−1 surjektiv. Es folgt |MN| ≤ |0, 1N| = |R|.

Satz B.13 Es gilt |B| = |R|.

Beweis. 1. Es sei X eine uberabzahlbare Menge mit |X| ≤ |R|, etwa X = R, und≤ eine Wohlordnung auf X mit erstem Element 1. Indem wir ggf. ein Elementx zu X hinzunehmen und ≤ durch x ≤ x auf X ∪ x fortsetzen, durfen wirannehmen, dass die Menge

x ∈ X : Minx ist uberabzahlbar

nicht leer ist. Es sei ω das kleinste Element in dieser Menge. Indem wir dann ggf.X durch Minω∪ω = x ∈ X : x ≤ ω ersetzen, durfen wir weiter annehmen,dass ω das großte Element in X ist. ω selbst ist dann ein Limes-Element, denngabe es einen Vorganger y, so ware Miny und damit auch

Minω = Miny ∪ y

abzahlbar.

2. Wir wollen nun eine Abbildung fω → P(Rn) definieren, so dass fω(x) mitwachsendem x immer mehr Mengen enthalt und schließlich fω(ω) = B ist. Wirbeginnen mit dem System E aller halboffener (evtl. auch leerer) Quader, das Berzeugt, d.h. σ(E) = B.

Um fω rekursiv zu generieren, zeigen wir, dass es zu jedem x ∈ X genau eineFunktion fx : Minx ∪ x → P(Rn) mit den folgenden Eigenschaften gibt:

• fx(1) = E ,

• Gibt es einen Vorganger z von y ∈ Minx ∪ x, so ist

fx(y) =

∞⋃j=1

Aj : Aj ∈ fx(z) oder Acj ∈ fx(z) ∀ j ∈ N

.

• Ist y ein Limes-Element, so gilt

fx(y) =⋃z<y

fx(z).

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Ware das nicht der Fall, so gabe es ein kleinstes x ∈ X, fur das eine solcheFunktion nicht existiert oder nicht eindeutig festgelegt ist. Notwendig ist dannx > 1. Beides fuhrt zu einem Widerspruch:

Existenz: Hat x einen Vorganger z, so erfullt die Abbildung

fx(y) =

fz(y) fur y ≤ z,⋃∞

j=1 Aj : Aj ∈ fx(z) oder Acj ∈ fx(z) ∀ j ∈ N

fur y = x

alle Bedingungen. Ist dagegen x ein Limes-Element, so konnen wir

fx(y) =

fz(y), wann immer y ≤ z < x,⋃z<x fz(z) fur y = x

setzen, denn da fz fur z < x eindeutig definiert ist, muss fz1 = fz2|Minz1∪z1 furz1 ≤ z2 gelten.

Eindeutigkeit: Gibt es zwei verschiedene Funktionen fx und fx, die diesenBedingungen genugen, so gibt es ein kleinsten Element y mit fx(y) 6= fx(y), imWiderspruch zu den Bedingungen, die f und f erfullen.

3. E ⊂ fω(x) fur alle x ∈ X: Falls nicht, so gabe es ein kleinstes x mitE 6⊂ fω(x). Dann muss x > 1 sein und sowohl der Fall, dass x einen Vorgangerhat als auch der Fall, dass x ein Limes-Element ist, fuhrt auf einen Widerspruch,da alle fω(y) fur y < x E enthalten.

4. fω(x) ⊂ B fur alle x ∈ X: Das sieht man ganz analog zu 3., da ein minimalesx, das diese Bedingung verletzt, großer als 1 ist und fω(y) ⊂ B fur alle y < x gilt.

5. Wir zeigen nun noch, dass fω(ω) eine σ-Algebra ist. Wegen 3. und 4. folgtdann B = fω(ω).

• Beachte, dass fω(x) ⊂ fω(y) fur x ≤ y gilt. Wegen ∅ ∈ fω(1) ist dann auch∅ ∈ fω(ω).

• Ist nun A ∈ fω(ω), so ist, da ω ist ein Limes-Element ist, A ∈ fω(y) fur einy < ω und damit Ac ∈ fω(x), wenn x der Nachfolger von y (d.h. das ersteElement in Majy) ist, also auch Ac ∈ fω(ω).

• Es seien nun A1, A2, . . . ∈ fω(ω), etwa Aj ∈ fω(xj), xj < ω. Da alleMinxj∪xj abzahlbar sind, gibt es nach Konstruktion von ω ein Elementy < ω mit

y ∈ Minω \⋃

(Minxj ∪ xj).

Dann ist Aj ∈ fω(y) fur alle j und somit⋃j A ∈ fω(x), wenn x der Nach-

folger von y ist. Folglich ist auch⋃j Aj ∈ fω(ω).

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6. Wir schließen den Beweis ab, indem wir mit transfiniter Induktion zeigen,dass fω(x) fur jedes x ∈ X die gleiche Machtigkeit wie R hat. Insbesondere giltdas dann fur fω(ω).

Fur x = 1 ist das wahr, da |E| = |R| ist. Es sei nun x der Nachfolger vony mit |fω(y)| ≤ R. Assoziiert man zu einer Abbildung g ∈ (fω(y))Z die Menge⋃z<0 g(z) ∪

⋃z>0(g(z))c, so erhalt man eine surjektive Abbildung (fω(y))Z →

fω(x), was nach Lemma B.12 |fω(x)| ≤ |R| liefert. Ist andererseits x ein Limes-Element, so gibt es fur alle y < x eine surjektive Abbildung gy : R → fω(y).Indem man fur eine surjektive Abbildung h : R → Minx (beachte |X| ≤ |R|)die dann ebenfalls surjektive Funktion

G : R× R→⋃y<x

fω(y) = fω(x), G(r, s) = gh(r)(s)

betrachtet, ergibt sich auch |fω(x)| ≤ |R2| = |R|.

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Literaturverzeichnis

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