126

Anina Mischau, Redaktion · 2011. 11. 30. · Anina Mischau, Redaktion EDITORIAL. IFF-Info Zeitschrift des Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrum (IFF) 20. Jahrgang / Nr.25

  • Upload
    others

  • View
    2

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Anina Mischau, Redaktion · 2011. 11. 30. · Anina Mischau, Redaktion EDITORIAL. IFF-Info Zeitschrift des Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrum (IFF) 20. Jahrgang / Nr.25
Page 2: Anina Mischau, Redaktion · 2011. 11. 30. · Anina Mischau, Redaktion EDITORIAL. IFF-Info Zeitschrift des Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrum (IFF) 20. Jahrgang / Nr.25

Impressum:

IFF Info, Zeitschrift des Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrum20. Jg., Nr. 25, 2003ISSN 1611-230X

Interdisziplinäres Frauenforschungs-ZentrumUniversität BielefeldPostfach 10 01 31, 33501 BielefeldFon: 0521-1064574, Fax: 0521-1062985Email: [email protected]

Redaktion: Dr. Anina Mischau, Email: [email protected]: Sonja NeußUmschlagdesign: Imke BrunzemaDruck: Zentrale Vervielfältigung der Universität Bielefeld

Page 3: Anina Mischau, Redaktion · 2011. 11. 30. · Anina Mischau, Redaktion EDITORIAL. IFF-Info Zeitschrift des Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrum (IFF) 20. Jahrgang / Nr.25

Info 20.Jg. Nr.25/2003

Liebe Leser/innen,mit der letzten Nummer des IFF Info haben wir begonnen, die Zeitschrift des Inter-disziplinären Frauenforschungs-Zentrum der Universität Bielefeld inhaltlich wie op-tisch neu zu gestalten. Die Resonanz war selbst für uns überwältigend. Die Anerken-nung und positive Rückmeldung langjähriger Leserinnen und Leser hat uns gezeigt,dass wir auf dem richtigen Weg sind, das IFF Info zu einem wichtigen Forum deswissenschaftlichen Diskurses der Frauen- und Geschlechterforschung und zu einemMedium des inner- wie außeruniversitären Informationsaustausches werden zu lassen.Die zahlreichen Beiträge, die für die vorliegende Nummer des IFF Info eingegangensind, bekräftigen dies. Auch bei bisherigen „Nicht-LeserInnen“ erfreute sich das letzteIFF Info einer großen Beliebtheit und einer erhöhten Nachfrage, so dass unsere Auf-lage binnen kurzer Zeit vergriffen war.

Diese Erfahrung spornt uns an und wir möchten uns bei all denen bedanken, dieweder mit Lob noch mit konstruktiver Kritik gespart haben. Auch bei dieser Num-mer haben wir unser Layout kreativ weiterentwickelt. Das IFF Info ist jedoch nur sogut, wie die Beiträge, die wir erhalten. Die Redaktion möchte deshalb wieder alleLeserinnen und Leser dazu ermutigen, durch interessante Aufsätze, Forschungsberich-te, Diskussionsbeiträge, Mitteilungen, Veranstaltungshinweise, Rezensionen oderTagungsberichte daran mitzuwirken, das IFF Info zu einer lebendigen, interdisziplinä-ren, anregenden und informativen Zeitschrift der Frauen- und Geschlechterforschungund zu einem Forum frauen- und geschlechterpolitischer Diskussionen werden zulassen. Die nächste Nummer wird im Oktober 2003 erscheinen, Beiträge können bis15. August eingereicht werden.

Das Interdisziplinäre Frauenforschungs-Zentrum (IFF) führt dieses Jahr zwei großeund spannende Veranstaltungen durch, auf die wir an dieser Stelle besonders hinwei-sen wollen. Bereits im letzten Jahr beging das IFF sein 20jähriges Jubiläum; es ist damitin Deutschland eines der ältesten universitäre Einrichtungen der Frauen- undGeschlechterforschung. Im Mai veranstalten wir eine Tagung in deren Rahmen auchder Festakt anlässlich unseres 20jährigen Bestehens stattfinden wird. Wir würden unsfreuen, wenn wir hierzu viele „alte“ und „neue“ WegbegleiterInnen und Interessiertebegrüßen dürften. Im Sommersemester veranstalten das IFF eine Ringvorlesung zumThema „Work-Life-Balance“. Die Vorträge der Ringvorlesung umfassen sowohl diewissenschaftliche Forschungsperspektive und -diskussion, die praktische Umsetzungwie die gesellschaftlichen Implikationen und Konsequenzen dieses aktuellen und vieldiskutierten Themas. Diese aus der Perspektive der Frauen- und Geschlechterforschungzu reflektieren und zu diskutieren ist Ziel der Veranstaltungsreihe. Die Programmebeider Veranstaltungen sind in der Rubrik „Berichte aus dem IFF“ abgedruckt.

Für diese Ausgabe des IFF Info wünschen wir allen LeserInnen eine anregende Lek-türe!

Anina Mischau, Redaktion

EDITORIAL

Page 4: Anina Mischau, Redaktion · 2011. 11. 30. · Anina Mischau, Redaktion EDITORIAL. IFF-Info Zeitschrift des Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrum (IFF) 20. Jahrgang / Nr.25
Page 5: Anina Mischau, Redaktion · 2011. 11. 30. · Anina Mischau, Redaktion EDITORIAL. IFF-Info Zeitschrift des Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrum (IFF) 20. Jahrgang / Nr.25

IFF-Info Zeitschrift des Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrum (IFF) 20. Jahrgang / Nr.25 / 2003 EDITORIAL

AUFSÄTZE

Gisela Steins, Birgit Sprehe: Maskulin oder schön, Mann oder Frau? Maskulin schön! Auswirkungen von Attraktivität und Geschlechtsspezifität auf die zugeschriebene berufliche Qualifikation

7

Christiane Schmerl: Männliche Reflexe, weibliche Reflexionen: Werbung mit Frauenbilder

16

Marion Franke: Geschlechtsblindheit oder Geschlechtssensibilität? (Arbeits-)Zeit im Forschungsprogramm Organisation-Kultur-Geschlecht

29

Cornelia Muth: Das Dialogische als das Zwischen in der Vielfalt der Anderheiten – eine dialogische Perspektive auf die Gender- und Frauenforschung

43

BERICHTE AUS DER UNIVERSITÄT

Gabriele Abels, Angelika Engelbert: Die Situation von Studierenden und Promovierenden an der Fakultät für Soziologie

53

Uschi Baaken, Lydia Plöger: Gender Mainstreaming: das Thema der Zukunft an der Universität Bielefeld

63

Katharina Gröning, Anne-Christine Kunstmann, Elisabeth Rensing: Modellprojekt „Qualitätssicherung in der häuslichen Pflege dementiell Erkrankter“

72

BERICHTE AUS DEM IFF

Tagung anlässlich des 20jährigen Bestehens des IFF 75

Silja Polzin: Internationale und interdisziplinäre Lehrkooperationen erhöhen Attraktivität des Online-Studiums „VINGS“

79

Dr. Asha Elkarib zu Besuch im IFF 85

Asha Elkarib: Sudanese Women: Overview, Opportunities and Challengenges 87

Ringvorlesung Sommersemester 2003: Arbeitszeit – Familienzeit – Lebenszeit: Verlieren wir die Balance?

95

Arbeitskreis „Geschlechterbezogene Gewaltforschung“ gegründet 96

Page 6: Anina Mischau, Redaktion · 2011. 11. 30. · Anina Mischau, Redaktion EDITORIAL. IFF-Info Zeitschrift des Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrum (IFF) 20. Jahrgang / Nr.25

BERICHTE AUS DER REGION UND NRW

Bielefelder Beginenhöfe e.V. 97

Ulrike Struwe: Das Bundesausbildungsprojekt idee_it 100

Geplante Kürzungen der Landesregierung NRW gefährden Hilfeeinrichtungen für Frauen und Mädchen

103

Christiane Nack: „Studentinnen auf Probe“ erkundeten für drei Tage die Uni. Schnupperstudium für Schülerinnen im natur- und ingenieurwissenschaftlichen Bereich

105

DEBATTE

Birgit Riegraf: Von der Frauen- zur Geschlechterforschung 107

Daniel Wiese: Männer, Frauen, Fantasien. Was die Geschlechter trennt – Gender Studies fassen auch an deutschen Universitäten Fuß

110

TAGUNGSBERICHTE

Ellen Kuhlmann, Sigrid Betzelt: „Wandel im Dienstleistungssektor – Flexibilisierung der Geschlechterverhältnisse“

112

Hannelore Queisser: Mentoring für Frauen 114

REZENSIONEN

Sabine Hering und Gudrun Maierhof: Die unpässliche Frau – Sozialgeschichte der Menstruation und Hygiene (Birgitta Wrede)

116

Ulrike Allroggen, Tanja Berger, Birgit Erbe (Hg.): Was bringt Europa den Frauen? Feministische Beiträge zu Chancen und Defiziten der Europäischen Union (Ingrid Biermann)

117

Caroline Kramer (Hg): FREI-Räume und FREI-Zeiten: Raum-Nutzung und Zeit-Verwendung im Geschlechterverhältnis ((Verena Kiedaisch)

119

NEUERSCHEINUNGEN 121

INFORMATIONEN 124

Page 7: Anina Mischau, Redaktion · 2011. 11. 30. · Anina Mischau, Redaktion EDITORIAL. IFF-Info Zeitschrift des Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrum (IFF) 20. Jahrgang / Nr.25

Maskulin oder schön, Mann oder Frau? Maskulin schön!

7Info 20.Jg. Nr.25/2003

Klischeehafte Vorstellungen überMänner und Frauen sind weit ver-breitet. Männer verkörpern dem-nach das rationale, Frauen das emo-tionale Prinzip. Für Männer ist eswesentlich, leistungsfähig und kom-petent zu sein, bei Frauen steht dasemotionale Erleben und sozialeBeziehungen im Mittelpunkt(Schneider-Düker/Kohler 1988;Alfermann 1994). Diese Zuweisun-gen werden auch als rationalin-strumentell beziehungsweise expres-siv-interpersonell bezeichnet (Bem1974; Cook 1985) und stellen Ge-schlechtsstereotype dar, die mit ver-schiedenen Skalen für eine Reihe vonNationen gefunden wurden. Die re-lative Stabilität dieser Stereotype isterstaunlich: Eine ähnliche Zu-schreibung fanden Rosenkrantz etal. bereits 1968; 1988 konnte diesvon Rustemeyer für den deutsch-sprachigen Raum noch immer be-stätigt werden.

Im Vordergrund unserer Arbeitsteht die Bedeutung dieser Stereo-type für den beruflichen Kontext.Durch die Etikettierung in männli-che und weibliche Eigenschaftenerfolgt die Rollenverteilung häufigunabhängig von persönlicher Eig-nung lediglich aufgrund des Ge-schlechts (Sieverding/Alfermann

1992). Steht der spätere beruflicheErfolg bei Männern in einem pro-portionalen Verhältnis zum frühe-ren Schulerfolg, finden wir bei Frau-en einen disproportionalen Zusam-menhang (Betz/Fitzgerald 1987;Steins 2003). So zeigt sich, dassMänner mehrheitlich die Rolle desErnährers übernehmen und Frau-en für die Kindererziehung und denHaushalt zuständig sind (Deaux1984; Steins 2003). Die Konsequen-zen dieser Rollenstereotype zeigensich insbesondere in Leistungssitu-ationen (Keller 1979). Bei derselbenStellenausschreibung wird mögli-cherweise von einem Bewerber eineandere Qualifikation verlangt als voneiner Bewerberin (Cecil et al. 1973)oder ein angeblich von einer Frauverfasster Aufsatz wird als schlech-ter bewertet als derselbe angeblichvon einem Mann geschriebene(Greenglas 1986). Auch angeblicheKünstlerinnen schnitten im Vergleichzu angeblichen Künstlern schlechterab; de facto wurden aber identischeBilder zur Beurteilung vorgelegt(Pheterson et al. 1971).

Wirkungen von Geschlechts-stereotypen: Eignung für eineFührungspositionUnverändert, so wie es stereotype

Vorstellungen über Männer undFrauen gibt, existieren Vorstellungenüber den erfolgreichen Manager.Die Ergebnisse der Führungsfor-schung belegen eindeutig, dass der„typische“ Mann und der „erfolg-reiche“ Manager nahezu identischbeschrieben werden. Führung istalso männlich (Schein 1973 1975;Powell/Butterfield 1979 1984;Schein et al. 1989; Steins/Wicken-heiser 1995). Diese Erkenntnis spie-gelt sich in den Statistiken wieder:So stieg zwar der Anteil der berufs-tätigen Frauen in der Bundesre-puplik Deutschland seit 1970 von30.2% auf fast 40% im Jahr 1988(Statistisches Bundesamt 1989).Doch trotz dieser Statistik, die denAnschein vermittelt, dass traditionel-le Rollenverteilungen immer mehraufbrechen, sucht man berufstätigeFrauen in Führungspositionen meistvergeblich. Mit lediglich 5-6% sindFrauen im mittleren Managementvertreten. Auf der Vorstandsebeneerreichen sie sogar nur einen Anteilvon knapp 1%. An den Universitä-ten in Deutschland, die mit zu denintegriertesten Arbeitsplätzen gehö-ren dürften, finden wir in Ost-deutschland einen Frauenanteil von11% unter den Professoren/innen,in Westdeutschland von 5% (Nüss-

Gisela Steins, Birgit Sprehe

Maskulin oder schön, Mann oder Frau? Maskulinschön!Auswirkungen von Attraktivität und Geschlechtsspezifität auf die zugeschriebene beruflicheQualifikation

Der Einfluss von Geschlechtsspezifität und Attraktivität auf die zugeschriebene Eignung für eine Führungspositi-on wird untersucht. Die bisherige Forschung zeigt, dass es für Bewerber/innen in Führungspositionen vorteilhaft ist,männlich zu sein, da Führung und Maskulinität mit ähnlichen Attributen belegt sind. Zahlreiche Studien zeigenauch, dass Attraktivität hierbei eine Rolle spielt. Beide Einflussfaktoren sind in empirischen Untersuchungenjedoch häufig konfundiert. Das Ziel der vorliegenden Untersuchung besteht darin, beide Faktoren unabhängig von-einander zu variieren.

Page 8: Anina Mischau, Redaktion · 2011. 11. 30. · Anina Mischau, Redaktion EDITORIAL. IFF-Info Zeitschrift des Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrum (IFF) 20. Jahrgang / Nr.25

Gisela Steins, Birgit Sprehe

8

lein-Volhard 2002). Je besser ausge-bildet Frauen sind, desto größereDiskrepanzen erleben sie zwischentatsächlicher und angemessener Be-zahlung (zusammenfassend in Steins2003). „Auf dem Weg nach obengehen die Frauen verloren“, fassenKirchler et al. (1996 S. 149) die Si-tuation im Managmentbereich zu-sammen. Am Ende des Weges, imTopmanagement, stellen sie dannnur noch eine Minderheit dar (Bi-schoff 1990; Nerge/Stahlmann1991).

Wirkungen von Attraktivität imberuflichen KontextNeben der empirisch belegtenWirksamkeit von Geschlechtsste-reotypen spielt auch das äußere Er-scheinungsbild, die „physische At-traktivität“, bei der Personenbeur-teilung eine Rolle. Nach Dion et al.(1972) gilt folgendes Postulat:„What is beautiful, is good.“ Dem-nach werden attraktiven Menschenmit dem Ausmaß ihrer Attraktivi-tät weitere positive Eigenschaften(Leo et al. 1984; Cunningham 1986;Castellow et al. 1990; Feingold1992) und in ihrem Tätigkeitsbereichgrößere Kompetenzen zugeschrie-ben, sei es für Studierende (Ritts etal. 1992) oder Manager (Marloweet al. 1996).

Allerdings beschreiben Dermerund Thiel (1975) einschränkendeBedingungen für die Wirksamkeitdes Schönheitsstereotyps. So schrei-ben unattraktivere Versuchsteilneh-mer gut aussehenden Stimulusper-sonen mehr negative Eigenschaftenzu (beispielsweise: eingebildeter,egoistischer, unsympathischer) alsunattraktiveren Stimuluspersonen(Eagly et al. 1991). Ebenfalls wirdattraktiven Menschen eher ein pro-miskuitives Verhalten zugeschrieben(Tanke 1982). Dies gilt insbesonde-re für attraktive Frauen (Hocking etal. 1982). Vagt und Majert (1979)

fanden keine Bestätigung des Schön-heitsstereotyps für jugendliche Ver-suchsteilnehmer.

Dass Attraktivität und Ge-schlechtsspezifität zusammenwirkenkönnten, geht indirekt aus einerUntersuchung von Gillen hervor(1981). Studenten mussten Fotosauf den Skalen Feminität, Maskuli-nität und soziale Erwünschtheit ein-schätzen (Bem 1974). Die Fotoswaren zuvor als „sehr attraktiv“,„durchschnittlich“ oder „unattrak-tiv“ eingestuft worden. Dabei kamheraus, dass gutaussehende Frauenals weiblicher und attraktive Män-ner als männlicher wahrgenommenwerden als weniger attraktive Stimu-luspersonen. Durchschnittlich undsehr gut aussehende Personen un-terscheiden sich dabei nicht signifi-kant hinsichtlich positiv zugeschrie-bener Eigenschaften. Weiterhin wer-den ihnen weniger negative Eigen-schaften zugeschrieben als unattrak-tiven Versuchspersonen.

Für Bewerbungssituationen unddie Bewertung einer Eignung fürFührungspositionen bedeutet dieserBefund, dass einerseits zwar einSchönheitsstereotyp gelten mag, diesaber sich paradox bei attraktivenFrauen niederschlagen könnte, diesich für eine Führungsposition be-werben, denn Führung ist männlichund Attraktivität lässt Frauen weib-licher erscheinen. Attraktivität undGeschlechtsspezifität sind also mög-licherweise konfundierte Variablen.Dies soll der nachfolgende Über-blick über eine Reihe von Studienbelegen.

Auswirkungen von Attraktivitätund Geschlechtsstereotypenim beruflichen KontextZunächst ist festzustellen, dass daspostulierte Schönheitsstereotyp vonDion et al. (1972) im beruflichenKontext nicht uneingeschränkt gilt.Im Gegenteil, besonders wenn es

um die Besetzung von Führungs-positionen durch attraktive Frauengeht, kann Attraktivität sogar einNachteil sein. So fanden Cash et al.(1977) und Heilmann/Saruwatari(1979) heraus, dass attraktive Män-ner immer von ihrem Aussehenprofitieren, unabhängig von der Be-rufswahl; auch verdienen sie mehr(Roszell et al. 1989). Attraktive Frau-en hatten jedoch nur in traditionel-len oder neutralen Jobs einen Vor-teil, nicht jedoch bei Positionen imManagmentbereich. Hinsichtlich ih-res Einkommens profitieren Frau-en nicht von dem Ausmaß ihrerAttraktivität. Die Qualifikation at-traktiver Frauen wird in diesem Falldeutlich niedriger eingeschätzt als beiunattraktiven Frauen.

Auch die Geschlechtsrollenorien-tierung der Beurteiler führt zu sy-stematischen Beurteilungen der Sti-mulusperson. So berichten Cashund Kilcullen (1985), dass maskuli-ne und feminine Beurteiler attrakti-ve vor unattraktiven Bewerbern (esging um die Auswahl von Mana-ger/innen) bevorzugten. Als andro-gyn eingestufte Beurteiler hingegenbevorzugten qualifizierte Bewerber,wobei männliche Bewerber vorweiblichen favorisiert wurden.

Die bisherige Forschung weistdeutlich darauf hin, dass beide Fak-toren zusammen – Attraktivität undGeschlechtsspezifität – die Beurtei-lung von Bewerbern und Bewerbe-rinnen beeinflussen. Vor allemdrängt sich die Frage auf, ob Frau-en ihre Weiblichkeit verstecken müs-sen, wenn sie sich auf eine Füh-rungsposition bewerben. Insbeson-dere die Ergebnisse von Cash undJanda (1985) geben besondersweiblich wirkenden Frauen eineschlechte Prognose, in die Manage-mentebene zu gelangen. Allerdingsweisen die Designs der bisher auf-geführten Studien Defizite in denOperationalisierungen „Ge-

Page 9: Anina Mischau, Redaktion · 2011. 11. 30. · Anina Mischau, Redaktion EDITORIAL. IFF-Info Zeitschrift des Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrum (IFF) 20. Jahrgang / Nr.25

Maskulin oder schön, Mann oder Frau? Maskulin schön!

9Info 20.Jg. Nr.25/2003

schlechtsspezifität“ und „Attraktivi-tät“ auf. Bei einigen der vorliegen-den Untersuchungen wird bei derVariable „Attraktivität“ auf eineMischformbedingung verzichtet, soz.B. bei den Studien von Cash et al.(1977), Heilmann/Saruwatari(1979) und Cash/Kilcullen (1985).Lediglich bei Gillen (1981) sowieCash/Kilcullen (1985) wird eine sy-stematische Einteilung der Variablen„Attraktivität“ in attraktiv, unddurchschnittlich unattraktiv vorge-nommen. Die Einbeziehung einergeschlechtsstereotypen Mischformfehlt jedoch in allen bisherigen Stu-dien, eine androgyne Stimulus-person wurde bislang nicht in dieVariation der Geschlechtsspezifitätaufgenommen.

Vorliegende FragestellungEine systematische Variation der Di-mensionen Attraktivität und Ge-schlechtsspezifität führt möglicher-weise in Hinblick auf die zugeschrie-bene Qualifikation und die einge-schätzte Eignung als Führungskraftzu weiteren Erkenntnissen.

Für die vorliegende Untersu-chung wurde eine eigene Fotoserieerstellt, wobei die Geschlechts-spezifität (maskulin-Mischform-fe-minin) und die Attraktivität (attrak-tiv-unattraktiv) der Stimuluspersonvariiert wurde. Ein weiterer wesent-licher Unterschied dieser Studie imVergleich zu bisherigen Untersu-chungen besteht darin, dass auf denFotos nicht verschiedene Frauen undMänner, sondern das identischemännliche bzw. weibliche Modell inverschiedenen Erscheinungsbildernabgebildet ist. Dadurch sind „At-traktivität“ und „Geschlechtsspe-zifität“ in der vorliegenden Unter-suchung zwei unabhängige Dimen-sionen und nicht konfundiert. So-wohl männliche als auch weiblicheVersuchspersonen beurteilten diebeiden Modelle hinsichtlich ihrer

beruflichen Qualifikation und ihrerEignung als Führungskraft.Aus dem bisherigen Forschungs-stand ergeben sich die folgendenHypothesen:1. Männer profitieren von Männ-

lichkeit und Attraktivität. Diemännliche Stimulusperson solltealso bei einem maskulinen undattraktiven Erscheinungsbild einehöhere berufliche Qualifikationals die Mischform und die femi-nine Bedingung erhalten. Außer-dem sollte ihr bei einem attrakti-ven Erscheinungsbild immer einehöhere berufliche Qualifikationzugewiesen werden als in derunattraktiven Vergleichsbedin-gung. Bei einem femininen Er-scheinungsbild sollte die männli-che Stimulusperson die geringsteberufliche Qualifikation zugewie-sen bekommen.

2. Führung wird mit Männlichkeitverbunden. Bei einem maskulinenErscheinungsbild sollte der mas-kulinen Stimulusperson eher eineFührungsposition zugesprochenwerden als in der Mischformoder femininen Vergleichsbe-dingung. Der letzten Bedingungsollte die geringste Führungs-eignung zugewiesen werden.

3. Frauen profitieren von Männlich-keit, nicht von Attraktivität. Dieweibliche Stimulusperson solltebei einem maskulinen Erschei-nungsbild unabhängig von derAttraktivität eine höhere berufli-che Qualifikation als in derMischform oder der femininenBedingung erhalten. Außerdemsollte ihr bei einem maskulin /unattraktiven Erscheinungsbildeine höhere berufliche Qualifika-tion zugeordnet werden als in derattraktiven Vergleichsbedingung.Bei einem femininen Erschei-nungsbild sollte ihr die geringsteberufliche Qualifikation zugewie-sen werden.

VorgehensweiseMaterialDie Stimulusperson wurde aufzwölf Farbfotos als Ganzkörper-portrait abgebildet. Auf allen Bil-dern wird Attraktivität durch einegepflegte Erscheinung und durchdie Wahl von farblich aufeinanderabgestimmter Kleidung hergestellt.Unattraktiv sollen die Modelle durcheine ungepflegte Erscheinung undeine unpassend aufeinander abge-stimmte Garderobe/Accessoireswirken.

Die männliche Stimulusperson istzum Zeitpunkt der Aufnahmen 36Jahre alt und trägt auf allen Fotoseinen dunklen Anzug. Das Modellsitzt vor einem neutralen Hinter-grund auf einem Ledersofa. Dieweibliche Stimulusperson ist 35 Jah-re alt. Das Setting ist identisch mitdem des männlichen Modells. Sieträgt einen dunklen Hosenanzug.

Die Bedingung „maskulin“In der Bedingung „maskulin“ sollder Gesamteindruck eines ge-schlechtstypischen, maskulinen Man-nes beziehungsweise einer ge-schlechtsuntypischen, maskulinenFrau geschaffen werden (siehe fol-gendes Bild für eine maskuline at-traktive Frau).Das männliche Modell trägt eineKrawatte und kurze Haare. AufMake-up und Schmuck wurde ver-zichtet. Bei dem weiblichen Modellwurden die Haare streng zurück fri-siert. Darüber hinaus wurde auf de-korative Kosmetik und Schmuckverzichtet. Das Modell trägt flacheSchuhe ohne Absatz und einenhochgeschlossenen Rollkragen-pullover. Bei der Sitz- und Hand-haltung sollte die Maskulinität da-durch betont werden, dass bei bei-den Personen beide Beine fest aufdem Boden stehen und die Händeauf den Knien liegen.

Page 10: Anina Mischau, Redaktion · 2011. 11. 30. · Anina Mischau, Redaktion EDITORIAL. IFF-Info Zeitschrift des Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrum (IFF) 20. Jahrgang / Nr.25

Gisela Steins, Birgit Sprehe

10

Die Bedingung „Mischform“Die Abgrenzung von einem ge-schlechtstypischen männlichen undeinem weiblichen Gesamteindruckwird hier als Mischform bezeichnet.Hierbei wird das Modell wenigergeschlechtstypisch in Szene gesetzt,beispielsweise wird bei dem männ-lichen Modell eine Krawatte als cha-rakteristisches männliches Merkmalweggelassen; das Hemd ist legergeöffnet. Bei dem weiblichen Mo-dell wurde der Ausschnitt mit einemTop und einem Halstuch verdeckt.Die Haare sind offen, aber glatt fri-siert. Auf auffälligen Schmuck wur-de verzichtet, geschminkt wurde nurganz dezent. Bei beiden Modellensind die Beine zwar fest auf demBoden, allerdings etwas näher zu-sammen als in der „maskulinen“ Be-dingung und die Hände liegen zu-sammengelegt auf einem Knie.

Die Bedingung „feminin“Die Bedingung „feminin“ wurdebei dem männlichen Modell durchdie Verwendung typisch weiblicherAccessoires hergestellt wie beispiels-weise Schmuck und ins Gesicht ge-kämmte Haare. Make-up wurde zur

Verstärkung des Eindrucks vonWeiblichkeit verwendet. Auf einenBart wurde verzichtet und nur einfeiner Lidstrich gezogen. DasHemd des Modells ist geöffnet, umeinen weiblichen Ausschnitt anzu-deuten (siehe folgendes Bild für ei-nen femininen unattraktiven Mann).Das Erscheinungsbild des weibli-chen Modells ist mit typisch weibli-chen Merkmalen ausgestattet. DieStimulusperson trägt lange, offeneHaare, dekoratives Make-up, Sei-denstrümpfe, Schmuck und Schu-he mit hohen Absätzen. Die Beinesind übereinandergeschlagen unddie Hände liegen zusammengelegtauf einem Knie.

Eine VoruntersuchungDiese Fotos wurden in einer Vor-untersuchung hinsichtlich ihres be-absichtigten Eindrucks von Attrak-tivität und Geschlechtsspezifität ge-testet. Jeweils sechs Fotos wurdeninsgesamt 20 Versuchspersonen (10Frauen, 10 Männer unterschiedlicherBerufsgruppen) vorgelegt.1 DasAlter der Versuchspersonen betrugdurchschnittlich 30.5 Jahre. Die Rei-

henfolge der gezeigten Fotos warpermutiert. Die Versuchsperonenbekamen 5-Punkte-Skalen vorgelegtfür die Einschätzung von „Attrak-tivität“ (1=sehr attraktiv, 2=attrak-tiv, 3=mittel, 4=unattraktiv, 5= sehrunattraktiv“) und die Beurteilungder Geschlechtsspezifität (1 =sehrmännlich, 2=männlich, 3= neutral,4=weiblich, 5=sehr weiblich). DerVortest bestätigte, dass die Mittel-werte der Attraktivitäts- und Ge-schlechtsspezifitätsurteile mit denkonstruierten Bedingungen überein-stimmten.

DesignDer nun folgenden Hauptunter-suchung liegt ein 2x3-faktoriellesbetween-subject-Design mit denunabhängigen Variablen „Attrakti-vität“ der Stimulusperson (attraktiv/unattraktiv) und „Geschlechtsspe-zifität“ (maskulin/Mischform/fe-minin) und den abhängigen Varia-blen Berufsnennung und Eignungfür eine Führungsposition zugrun-de.

Stichprobe und SettingDrei Versuchsleiterinnen und einVersuchsleiter sprachen in der Innen-stadt Bielefeld Personen an, ob siebereit wären, an einer kurzen Un-tersuchung zur Eindrucksbildungteilzunehmen. Insgesamt setzt sichdie Stichprobe aus 120 Frauen und120 Männern im Alter von 16 bis81 Jahren (M = 36.06; SD = 14.55)zusammen. Das durchschnittlicheAlter der Frauen betrug 35.53 Jah-re, das der Männer 36.59 Jahre. DieProbanden/innen wurden rando-misiert einer Bedingung zugeteilt,hatten also jeweils ein Bild zu beur-teilen, so dass pro Bedingung dieEinschätzungen von zehn Männernund zehn Frauen vorliegen. Das je-weilige Foto konnte aus einem Ab-stand von ungefähr 30 cm zwölfSekunden angeschaut werden.

maskuline attraktive Frau

feminin unattraktiver Mann

Page 11: Anina Mischau, Redaktion · 2011. 11. 30. · Anina Mischau, Redaktion EDITORIAL. IFF-Info Zeitschrift des Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrum (IFF) 20. Jahrgang / Nr.25

Maskulin oder schön, Mann oder Frau? Maskulin schön!

11Info 20.Jg. Nr.25/2003

FragebogenDie Probanden/innen hatten vierFragen hinsichtlich des Bildes zubeantworten. Die ersten beiden Fra-gen zielen auf eine Manipulations-kontrolle ab, also (1) auf eine At-traktivitätseinschätzung („Für wieattraktiv halten Sie diese Person?“)und (2) eine Einschätzung der Ge-schlechtsspezifität („Für wie weib-lich bzw. männlich halten Sie diesePerson?“). Für beide Fragen stan-den Skalen mit den Polen „1“ („sehrattraktiv“ bzw. „sehr männlich“)und „5“ („sehr unattraktiv“ bzw.„sehr weiblich“) zur Verfügung. (3)Danach folgte eine Frage nach derBerufsnennung („Welchen Berufkönnte diese Person ausüben?“) undschließlich (4) nach der Eignung derStimulusperson zur Führungskraft(„Könnten Sie sich vorstellen, dassdiese Person für eine Führungspo-sition geeignet ist?“); diese Fragekonnte mit „ja“ oder „nein“ beant-wortet werden.

ErgebnisseWeder die Versuchsleiter/innennoch das Geschlecht der Versuchs-teilnehmer/innen übte einen bedeut-samen Einfluss auf die abhängigenVariablen aus.

Die Attraktivitätseinschätzungensowohl für das männliche als auchfür das weibliche Stimulusmodellverhalten sich in der erwartetenRichtung. Die Bilder 1, 3, 5, und 7,9, 11 werden durchschnittlich alsattraktiver eingeschätzt als die Bil-der 2, 4, 6 und 8, 10, 12. Hinsicht-lich der eingeschätzten Geschlechts-spezifität lassen sich ebenfalls Varia-tionen der Einschätzung in der ge-wünschten Richtung erkennen. Die-se fallen aber hinsichtlich des männ-lichen Stimulusmodells gering aus,wenn man die Bedingungen „mas-kulin“ und „Mischform“ vergleicht.Dies gilt auch bei einem Vergleichder Bedingungen „Mischform“ und

„feminin“ des weiblichen Modells.

BerufsnennungenDie Berufe, die auf die Frage „Wel-chen Beruf könnte diese Person aus-üben?“ genannt wurden, stammtenzu 40 Prozent aus dem kaufmänni-schen Bereich. Darüber hinaus wur-den eine Reihe weiterer Berufe ge-nannt wie beispielsweise Unterneh-mer/Geschäftsführer (3.5%), Be-amter (1.6%), Wissenschaftler(1.2%), Ingenieur (0.4%), Architekt(0.8%), Unternehmensberaterin(0.4%), Lehrer (2.7%), Handwerker(1.9%), Maschinenschlosser (0.4%),Handelsvertreter (1.2%), Techniker(0.4%), Wirtschaftsprüfer (1.2%),Versicherung (2.3%), BildendeKünstler (8.5%), Gastwirte (1.9%),Buchhalter (0.4%), Psychologe(1.2%), Werbefachleute (0.8%), La-gerverwalter (0.8%), Kfz-Fahrer(0.4%), Sozialarbeiter, Pädagoge(2.3%), Verkäufer (7-8%), KFZ-

Mechaniker (0.8%), Erzieherin(0.4%), Gärtner, (0.8%), Arzthelfe-rin (0.8%), Friseur (1.6%), Gebäude-reiniger (0.4%). Manche Nennungen

(12.8%) konnten weiterführendnicht ausgewertet werden. Dies be-trifft Antworten wie „alles außerFühungsposition“ , „ziemlich viel“,„etwas Unkonventionelles“, „alles“,„Student“, „Journalist“, „arbeits-los“, „Prostituierte“, „Fotomodell“,„Hausfrau“.

Um ein Kriterium für die Bewer-tung der zugeschriebenen Qualifi-kation zu bekommen, wurde dengenannten Berufen das durch-schnittliche Nettoeinkommen zuge-ordnet (Statistisches Bundesamt1995). Dabei sind zwei verschiede-ne Statistiken für die Zuordnung desdurchschnittlichen Nettoeinkom-mens verwendet worden: eine Ge-samtstatistik für Männer und Frau-en und eine nach Geschlechtern ge-trennte Einzelstatistik. Da Männerund Frauen für die gleiche Berufs-tätigkeit häufig nicht gleich bezahltwerden, erschien uns die zusätzlicheVerwendung der zweiten Statistik

realitätsnäher. Auch wenn diesesKriterium nicht absolut trennscharfist, liefert die Einkommensstatistikdoch quasiobjektive Daten. Die Zu-

Abb.1: Zugeschriebene berufliche Qualifikation, gemessen am durchschnittlichen Nettoein-kommen in Abhängigkeit von Geschlecht, Attraktivität und Geschlechtsspezifität

Page 12: Anina Mischau, Redaktion · 2011. 11. 30. · Anina Mischau, Redaktion EDITORIAL. IFF-Info Zeitschrift des Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrum (IFF) 20. Jahrgang / Nr.25

Gisela Steins, Birgit Sprehe

12

grundelegung eines anderen Krite-riums, z.B. Prestige, wäre nur durchsubjektive Einschätzungen möglichgewesen.

Aus Abbildung 1 geht visuelldeutlich hervor, dass allen „masku-linen“ Modellen unabhängig vonGeschlecht und Attraktivität ein Ein-kommen von fast beziehungsweiseüber DM 3.600.- zugeordnet wer-den kann. Am unteren Ende ran-giert die weibliche Stimulusperson,die „feminin“ bzw. „neutral“ dar-gestellt wurde. Dieser Gruppe wur-de mit knapp DM 3.100.- ein ge-ringeres durchschnittliches Nettoein-kommen als den „maskulinen“ Ver-gleichsbedingungen zugeordnet.Dem männlichen, „femininen“ und„unattraktiven“ Modell wird mitAbstand das geringste durchschnitt-liche Nettoeinkommen zugewiesen(unter DM 3000.-).2

Dieses Bild ändert sich bei der Be-trachtung der nach Geschlechterngetrennten Statistik. Wie Abbildung2 zeigt, belegt die männliche Sti-mulusperson komplett die erstensechs Rangplätze, während dieweibliche Stimulusperson in der un-

teren Hälfte der Tabelle vertreten ist.Das männliche Modell erhält fort-gesetzt ein Einkommen über DM3.000.-, während im Gegensatzdazu dem weiblichen Modell im-mer ein durchschnittliches Nettoein-kommen unter DM 3000.- zuge-ordnet werden muss. Die Bedin-gungen „maskulin/unattraktiv“ und„maskulin/ attraktiv“ gehören da-bei zu den Spitzenverdienern derweiblichen Stimulusperson. Im Ver-gleich zum männlichen Spitzen-verdienst liegt der weibliche Spitzen-verdienst bis zu DM 1.400.- weni-ger.3

Eignung für eineFührungspositionHinsichtlich des Faktors Ge-schlechtsspezifität wurde, wie er-wartet, der Stimulusperson mit demmaskulinen Erscheinungsbild am

häufigsten die Eignung für eine Füh-rungsposition zugesprochen (Ja: 53;Nein: 27; siehe Abbildung 3), Misch-formbedingung und feminine Be-dingungen wurden annähernd gleichhäufig genannt (Mischform: Ja: 42,Nein: 38; feminin: Ja: 41; Nein:

39).4 Ebenfalls zeigen die Ergebnis-se, dass Attraktivität generell einenVorteil darstellt: 76 Versuchsteilneh-mer/innen stimmten einer Eignungfür die Führungsperson zu (gegen-über 44 Ablehnungen), wenn dieStimulusperson attraktiv war. DieAntworten hinsichtlich der unattrak-tiveren Stimulusperson waren mit60:60 genau gleich verteilt.5Wie auch schon in den Ergebnissenzum Nettoeinkommen deutlichwird, spielt auch das biologischeGeschlecht eine Rolle für die Ein-schätzung der beruflichen Qualifi-kation: Die männliche Stimulus-person wurde hier jedoch insgesamtseltener als geeignet wahrgenom-men (Ja: 58; Nein: 62) als die weib-liche Stimulusperson (Ja: 78; Nein:42).6

Hier geben die ermittelten Häu-figkeiten für die Bilder Aufschlussüber die Zusammenhänge der Fak-toren in ihrem Einfluss auf die ab-hängige Variable:7 Der männlichenStimulusperson wird dann am häu-figsten eine Eignung als Führungs-kraft zugetraut, wenn sie „masku-lin/attraktiv“ oder aber „feminin/unattraktiv“ ist. Am schlechtestenschneidet hier die männliche Sti-mulusperson „unattraktiv/Misch-form“ ab. Der weiblichen Stimulus-person wird dann am häufigsten dieEignung für eine Führungspositionzugeschrieben, wenn sie „maskulin/attraktiv“ oder aber „Mischform/attraktiv“ ist. Alle anderen Erschei-nungsbilder werden relativ seltenergenannt.

DiskussionIn welcher Beziehung stehen dieBefunde zu unseren Hypothesen?Hypothese 1 „Männer profitierenvon Männlichkeit und Attraktivität“wird durch die Befunde gestützt: Beieinem „maskulinen“ und „attrakti-ven“ Erscheinungsbild wird in bei-den Statistiken das höchste durch-

Abb.2: Zugeschriebene berufliche Qualifikation gemessen am geschlechtsspezifischen Net-toeinkommen in Abhängigkeit von Geschlecht, Attraktivität und Geschlechtsspezifität

Page 13: Anina Mischau, Redaktion · 2011. 11. 30. · Anina Mischau, Redaktion EDITORIAL. IFF-Info Zeitschrift des Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrum (IFF) 20. Jahrgang / Nr.25

Maskulin oder schön, Mann oder Frau? Maskulin schön!

13Info 20.Jg. Nr.25/2003

schnittliche Nettoeinkommen zuge-ordnet. Weiterhin wurde den attrak-tiven Bedingungen des männlichenStimulusmodells ein höheres Net-toeinkommen zugeschrieben als denunattraktiven Vergleichsbedingun-gen. Schließlich erfährt diese Hypo-these Stützung dadurch, dass diemännliche Stimulusperson bei einem„femininen“ Erscheinungsbild dasgeringste Nettoeinkommen erhältund seltener als geeignet für eineFührungsposition erscheint. Aller-dings muss hier zwischen „attrakti-ver“ und „unattraktiver“ Bedingungdifferenziert werden: Die Kombi-nation eines „unattraktiven“ und„femininen“ Erscheinungsbild wirktsich besonders negativ auf Männeraus.

Hypothese 2 ist aus der bisheri-gen Führungsforschung abgeleitet,demnach Führung mit Männlichkeitverbunden ist. Die Vorhersagekonnte elaboriert werden, insofernMänner nicht nur von Männlichkeit,sondern auch von Attraktivität pro-fitieren. Einen „attraktiven“ und„maskulinen“ Mann halten 65% derBefragten als Führungskraft geeig-net. In der „unattraktiven“ Ver-

gleichsbedingung wird derselbeMann nur noch von 45% der Be-fragten als geeignet angesehen. Eingenerell feminines Erscheinungsbildbei Männern wird nur dann in Hin-blick auf die Frage nach der Füh-rungsposition bestraft, wenn Femi-nität mit Unattraktivität gekoppeltist.

Was zeigen schließlich die Befun-de hinsichtlich der dritten Hypothe-se, „Frauen profitieren von Männ-lichkeit, nicht von Attraktivität“?Diese Hypothese wird durch dieDaten bezüglich der Einschätzungder beruflichen Qualifikation ge-stützt: Sowohl die „attraktive“ alsauch die „unattraktive“ maskulineBedingung führt die Rangfolge beider Ermittlung des Nettoeinkom-mens gegenüber der „femininen“und der „Mischform“ an. Männ-lichkeit stellt also einen generellenVorteil für Frauen dar, unabhängigvon der Attraktivität. Diese Schluß-folgerung wird weiterhin gestütztdurch den Befund, dass bei einem„femininen“ Erscheinungsbild dasgeringste Nettoeinkommen zuge-wiesen wird. Allerdings hilft auchhier hinsichtlich der Einschätzung

„Für eine Führungsposition geeig-net?“ Attraktivität, wenn sie mitMaskulinität kombiniert ist.

Die Befunde zeigen einen weite-ren, neuen Gesichtspunkt auf:Durch die systematische Variationder beiden Dimensionen „Ge-schlechtsspezifität“ und „Attraktivi-tät“ konnte untersucht werden, obsich die „Mischform“ des männli-chen Modells vom weiblichen Mo-dell unterscheidet. Die Rangfolgebeider Statistiken zeigt, dass Attrak-tivität sowohl für Männer wie fürFrauen bei der „Mischformbe-dingung“ einen Vorteil darstellt. Einunattraktives Erscheinungsbild wirktsich hier besonders ungünstig aus.

ImplikationenInsgesamt zeigen die Daten dieserUntersuchung, dass – in Überein-stimmung mit früheren Befunden– Frauen eindeutig von einem „mas-kulinen“ Erscheinungsbild profitie-ren. Der Unterschied zu früherenForschungsergebnissen auf diesemGebiet ist, dass das weibliche Mo-dell von einem attraktiven Aussehenin bezug auf die Eignung als Füh-rungskraft profitiert. Möglicherwei-se deuten diese Daten darauf hin,die aufgestellte These von Dion etal. (1972) im beruflichen Kontextzu ergänzen: „Wer schön maskulin ist,ist gut.“ Frauen sollten also nicht ihreAttraktivität „verstecken“, wohlaber ihre Maskulinität betonen,wenn sie sich für eine Führungspo-sition bewerben. Die mit Weiblich-keit assoziierten Merkmale verstär-ken nicht den Eindruck von Kom-petenz. Geschlechtsstereotype schei-nen, zumindest bei den hier befrag-ten Personen, erstaunlich stabil zusein.Natürlich hängt Personalbeurteilungund -einstellung nicht nur von At-traktivität und Geschlechtsspezifitätab. Auch andere Prozesse spieleneine entscheidende Rolle, wie bei-

Abb3.: Eignung für eine Führungsposition in Abhängigkeit von Geschlecht, Attraktivitätund Geschlechtsspezifität

Page 14: Anina Mischau, Redaktion · 2011. 11. 30. · Anina Mischau, Redaktion EDITORIAL. IFF-Info Zeitschrift des Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrum (IFF) 20. Jahrgang / Nr.25

Gisela Steins, Birgit Sprehe

14

spielsweise persönliche Orientierun-gen derjenigen, die Personalpolitikverantworten. So berichten Snyderet al. (1988), dass Personen mit ei-ner hoch ausgeprägten Selbstüber-wachung eher an der physischenErscheinung von Bewerbern/innen,solche mit einer niedrigeren Ausprä-gung jedoch eher an den persönli-chen Dispositionen der Bewerber/innen interessiert waren. Ebenfallsdürfte die Einstellung zur Gleich-stellung wichtig sein (Hayden 1987;Bundesministerium für Familie, Se-nioren, Frauen und Jugend 1997).Auch die Zuständigkeit der Frauenfür die Familienarbeit in den Köp-fen der Männer und Frauen ist einwichtiger Faktor (Schmitt 1986;Steins 2003). Den geschlechtsstereo-typen Vorstellungen kommt aberwahrscheinlich ein besonderer Stel-lenwert bei der Personalbeurteilungzu.

Solche Orientierungen wurden indieser Untersuchung, die mit Laienauf dem Gebiet der Personalbeur-teilung und -einstellung durchge-führt wurde, nicht erfasst. Dennochzeigen die Befunde, dass, trotz derteilweise nur leichten Unterschiedein den Attraktivitäts- und Ge-schlechtsspezifitätsvariationen, syste-matische Effekte der unabhängigenVariablen auf die erhobenen Maßeder zugeschriebenen beruflichenQualifikation erzielt werden können.Diese Befunde weisen daraufhin,dass diejenige Grundlagenfor-schung wichtig für ein Verständnisder beruflich diskrepanten Situati-on von Frauen und Männern in un-serer Gesellschaft ist, die sich mitden Inhalten von Geschlechtsste-reotypen systematisch auseinander-setzt und ihre Befunde idealerweiseEntscheidungsträger/innen nahe-bringt.

Anmerkungen1 Innerhalb eines within-subject-Designs;

2 Die Ergebnisse einer univariaten Vari-anzanalyse zeigen, dass ein signifikanterEinfluss des Faktors „Bedingung“ auf dieGehaltszuweisung vorliegt (F (11, 224) =2.23, p <. 01). Post-hoc Scheffé-tests (p <.05) weisen allerdings nicht auf signifikanteUnterschiede zwischen den Bedingungen hin.3 Die Ergebnisse einer univariaten Varianz-analyse belegen das visuell deutliche Muster(F(11, 224) = 22.8, p < .001). Post HocScheffé-tests (p < .05) zeigen, dass sich mitAusnahme der Bedingung „feminin/unat-traktiv“ alle Bilder der männlichen Stimulus-person signifikant von den Bildern der weibli-chen Stimulusperson unterscheiden.4 Dieses Gesamtmuster ist, einseitig getestets igni f ikant, (Chi2(1) = 3,07,p < .05).5 Chi2 (1) = 4.344, p < .05, zweiseitig6 Chi2 (1) = 6,79, p < 02; zweiseitig7 Diese weichen signifikant von den zu erwar-tenden Häufigkeiten ab ( Chi2(11) = 26, 61,p < .005, zweiseitig).

LiteraturAlfermann, D.: Geschlechterrollen und

geschlechtstypisches Verhalten, Mün-chen 1994.

Bem, S.L.: The measurement of psy-chological androgyny, in: Journal ofConsulting and Clinical Psychology,42, 1974, S. 155-162.

Betz, N.E./Fitzgerald, L.F.: The CareerPsychology of Woman, New York1987.

Bischoff, S.: Frauen zwischen Macht undMann, Hamburg 1990.

Bundesministerium für Familie, Senio-ren, Frauen und Jugend: Gleichbe-rechtigung von

Frauen und Männern – Wirklichkeit undEinstellungen in der Bevölkerung1994, Berlin 1997.

Cash, T.F./Gillen, B./Burns, D.S.:Sexism and beautyism in personnelconsultant decision making, in: Jour-nal of Applied Psychology, 62, 1977,S. 301-310.

Cash, T.F./Kilcullen, R.: The aye of thebeholder: Susceptibility to sexismand beautyism in the evaluation of

managerial applicants, in: Journal ofApplied Social Psychology, 15, 1985,S. 591-605.

Cash, T.F./Janda, L.H.: Wie schön darfFrau sein?, in: Psychologie Heute, 4,1985, S. 32-37.

Castellow, W.A./Wuensch, K.L/Moore,C.L.: Effects of physical attractivenesson the plaintiff and defendant in se-xual harassment judgements, in:Journal of Social Behavior and Per-sonality, 5, 1990, S. 547-562.

Cook, E.P.: Psychological androgyny,New York 1985.

Cunningham, M.R.: Measuring thephysical in physical attractiveness:Quasi experiments on the socio-biology of female facial beauty, in:Journal of Personality and SocialPsychology, 50, 1986, S. 925-935.

Deaux, K.: From individual differencesto social categories: Analysis of adecade’s research on gender, in: Ame-rican Psychologist, 39, 1984, S. 105-116.

Dermer, M./Thiel, L.: When beauty mayfail, in: Journal of Personality andSocial Psychology, 31, 6, 1975, S. 1168-1176.

Dion, K./Berscheid, E./Walster, E.:What is beautiful is good, in: Jour-nal of Personality and Social Psy-chology, 24, 1972, S. 285-290.

Eagly, A.H./Ashmore, R.D./Makhijani,M.G./Longo, L.C.: What is beautifulis good, but... : A meta-analytic reviewof research on the physical attrac-tiveness stereotype, in: PsychologicalBulletin, 110, 1991, S. 109-128.

Feingold, A.: Good-looking people arenot what we think, in: PsychologicalBulletin, 111, 1992, S. 304-341.

Gillen, B.: Physical attractiveness: Adeterminant of two types of good-ness, in: Personality and Social Psy-chology Bulletin, 7, 1981, S. 277-281.

Greenglas, E.R.C.: Geschlechterrolle alsSchicksal, Stuttgart 1986.

Hayden, V.: A review of some factorsrestricting the advancement of femalemanagers in the UK, in: Management

Page 15: Anina Mischau, Redaktion · 2011. 11. 30. · Anina Mischau, Redaktion EDITORIAL. IFF-Info Zeitschrift des Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrum (IFF) 20. Jahrgang / Nr.25

Maskulin oder schön, Mann oder Frau? Maskulin schön!

15Info 20.Jg. Nr.25/2003

Biographics and Reviews, 12, 1987, S.18-26.

Heilmann, M.E./Saruwatari, L.R.:When beauty is beastly: The effectsof appearance and sex on evaluationsof job applicants for managerial andnonmanagerial jobs, in: Organi-zational Behavior and Human Perfor-mance, 23, 1979, S. 360-372.

Hocking, J.E./Walker, B.A./Fink, E.L.Physical attractiveness and judge-ments following an „immoral act“,in: Psychological Reports, 51, 1982, S.111-116.

Keller, H.: Geschlechtsunterschiede. Psy-chologische und physiologischeGrundlagen der Geschlechterdiffe-renzierung, Weinheim 1979.

Kirchler, E./Wagner, J./Buchleitner, S.:Der langsame Wechsel in Führungs-etagen – Meinungen über Frauen undMänner als Führungspersonen, in:Zeitschrift für Sozialpsychologie, 27,1996, S. 148-166.

Leo, L.J./Adams, G.R./Dobson, W.R.:Male and female attributions andsocial influence behavior towards aphysically attractive female, in: Jour-nal of Psychology, 117, 1984, S. 97-103.

Marlowe, C.M./Schneider, S.L./Nelson,C.E.: Gender and attractiveness biasesin Hiring decisions. Are more ex-perienced managers less biased?, in:Journal of Applied Psychology, 81,1996, S. 11-21.

Nerge, S./Stahlmann, M.: Mit Seiden-tuch und ohne Schlips. Frauen imManagement, Frankfurt/M. 1991.

Nüsslein-Volhard, C.: Mehr Frauen andie Forschungsfront, in: Die ZEIT,22, 2002, S. 36.

Cecil, E.A./Paul, R.J./Olins, R.A.:Perceived importance of selected va-riables used to evaluate male andfemale job applicants, in: PersonnelPsychology, 26, 1973, S. 397-404.

Pheterson, G.I./Kiesler, S.B./Goldberg,P.A.: Evaluation of the performanceof woman as a function of their sex,achievement, and personal history, in:

Journal of Personality and SocialPsychology, 19, 1971, S. 114-118.

Powell, G.N./Butterfield, D.A.: The„good manager“: masculine or an-drogynous?, in: Academy of Man-Agement Journal, 22, 1979, S. 395-403.

Powell, G.N./Butterfield, D.A.: If„good managers“ are masculine,what are „bad managers“?, in: SexRoles, 10, 1984, S. 477-484.

Ritts, V./Patterson, M.L./Tubbs, M.E.:Expectations, impressions, andjudgements of physically attractivestudents: A review, in: Review ofEducational Research, 64, 1992, S.413-426.

Rosenkrantz, P./Vogel, S./Bee, H./Broverman, D.M.: Sex-role stereoty-pes and self-concepts in collegestudents, in: Journal of Consultingand Clinical Psychology, 32, 1968, S.287-295.

Roszell, P./Kennedy, D./Grabb, E.:Physical attractiveness and incomeattainment among canadians, in:Journal of Psychology, 123, 1989, S.547-560.

Rustemeyer, R.: Geschlechtsstereotypeund ihre Auswirkungen auf das So-zial- und Leistungsverhalten, in: Zeit-schrift für Sozialisationsforschungund Erziehungssoziologie, 8, 1988,S. 115-129.

Schneider-Düker, M./Kohler, A.: DieErfassung von Geschlechtsrollen –Ergebnisse zur deutschen Neukon-struktion des Bem Sex-Role-Inven-tory, in: Diagnostica, 3, 1988, S. 256-270.

Schein, V.E.: The relationship betweensex-role stereotypes and requisitemanagement Characteristics, in: Jour-nal of Applied Psychology, 57, 1973,S. 95-100.

Schein, V.E.: Relationship between sexrole stereotypes and requisite mana-gement characteristics among femalemanagers, in: Journal of AppliedPsychology, 60, 1975, S. 340-344.

Schein, V.E./Mueller, R./Jacobson, C.:

The relationship between sex role ste-reotypes and requisite managementcharacteristics among college stu-dents, in: Sex Roles, 20, 1989, S. 103-111.

Schmitt, R.: Frauen und Arbeitswelt: DieUnterrepräsentanz von Frauen inFührungspositionen, in: Informatio-nen für die Frau, 10, 1986, S. 10-15.

Sieverding, M./Alfermann, D.: Instru-mentelles (maskulines) und expres-sives (feminines) Selbstkonzept: ihreBedeutung für die Geschlechts-rollenforschung, in: Zeitschrift fürSozialpsychologie, 1, 1992, S. 6-15.

Snyder, M./Berscheid, E./Matwychuk,A.: Orientations toward personnelselection: Differential reliance onappearance and personality, in: Jour-nal of Personality and Social Psy-chology, 126, 1988, S. 972-979.

Statistisches Bundesamt (Hg.): Daten-report 1989, Wiesbaden 1989.

Statistisches Bundesamt (Hg.): Daten-report 1995, Wiesbaden 1995.

Steins, G.: Die Entwicklung von Mäd-chen zu Frauen und Jungen zu Män-nern. Perspektiven auf die Entwick-lung geschlechtsspezifischer Identität,Lengerich 2003.

Steins, G./Wickenheiser, R.: Konzeptevon „Frau“, „Selbst“ und „Füh-rung“: Ein Vergleich zwischen Mana-gerinnen und Betriebswirtschafts-studentinnen, in: Zeitschrift für Ar-beits- und Organisationspsychologie,39, 1995, S. 78-80.

Tanke, E.D.: Dimensions of the physicalattractiveness stereotypes: A factor/analytic Study, in: Journal of Psy-chology, 10, 1982, S. 63-73.

Vagt, G./Majert, W.: Wer schön ist, istauch gut? Überprüfung eines Vorur-teils, in: Psychologische Beiträge, 21,1979, S. 49-61.

Dr. Gisela Steins, Fakultät fürPsychologie, Universität Bielefeld,Postfach 100131, 33501 Bielefeld,Email: [email protected]

Page 16: Anina Mischau, Redaktion · 2011. 11. 30. · Anina Mischau, Redaktion EDITORIAL. IFF-Info Zeitschrift des Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrum (IFF) 20. Jahrgang / Nr.25

Christiane Schmerl

16

Frauen und Männerbilder wie die-se begleiten uns inzwischen von derWiege bis zur Bahre, vom morgend-lichen Verkehrsstau bis zum abend-lichen Gassi-Gehen, vom Friseurbis zum Zahnarzt. Die Entschei-dung darüber, was wir sehen undhören wollen, entzieht sich schonlange unserem Willen, da wir Au-gen und Ohren nicht dauerhaft ver-stopfen können. Uns bleibt nur dieGewöhnung daran.

Seit mehr als 30 Jahren konstatie-ren Frauen – Feministinnen, Journa-listinnen, Wissenschaftlerinnen, aberauch ganz ‘normale’ Hausfrauen,Mütter und Verbraucherinnen –,dass öffentlich millionenfach Bilderund Bildgeschichten über Frauenverbreitet werden, die ein merkwür-diges Arsenal bestimmter, stets wie-derkehrender Frauen-Inszenierun-gen vorführen: Frauenbilder wer-

den mit Waren kombiniert, die ge-kauft werden sollen. Frauen werdenauf diesen Bildern wie Waren vor-geführt – oft wird die Gleichset-zung eigens noch im Text hervorge-hoben: Frauen sind wie Autos, wieHiFi-Geräte, wie Zigaretten, wieAlkohol, wie Luxusmöbel; sie sindLuxusartikel schlechthin. Es gibt keinProdukt – vom Lakritzbonbon biszur Motorsäge –, das seine bemer-kenswerten Eigenschaften nicht mitdenen einer Frau assoziieren ließe.

Schon Betty Friedan hatte ihrem1963 erschienenen, als Auftakt der2. Frauenbewegung geltenden Buch„Der Weiblichkeitswahn“ eine sorg-fältig recherchierte Analyse derdurch Frauenzeitschriften unddurch Werbung kreierten Frauen-bilder zugrundegelegt und ihreSchlüsse daraus gezogen. 1974 kameine von der Unesco herausgegebe-

ne Untersuchung über den Einflussder Massenmedien auf die Rolle derFrau, an der sich 28 Regierungenund 22 nicht-staatliche Organisatio-nen beteiligten, ebenfalls zu einemäußerst deprimierenden Urteil hin-sichtlich der Darstellungsweise derFrau. Dabei wurde speziell die Wer-bung als die für die Darstellung vonFrauen negativste und bedenklich-ste Erscheinung hervorgehoben.Diesen Ergebnissen nach wurdenFrauen von der Werbung interna-tional in stereotyper Weise als De-koration und als nicht denkende Wesengezeigt. Außerdem würden sie inbeiden Fällen als vom Mann abhän-gig präsentiert.

Die sozialwissenschaftliche Per-spektive auf die Frauenbilder derinternationalen Werbung ist seit die-ser Zeit ständig weitergeführt wor-den (vgl. u.a. Komisar 1971; Hering

Christiane Schmerl

Männliche Reflexe, weibliche Reflexionen: Werbungmit Frauenbildern

Eine junge blonde langbeinige Frau steht auf der Innenseite einer sonnendurchfluteten Veranda. Sie ist bis auf einenschwarzen Tanga und einen trägerlosen schwarzen BH nackt. Sie trägt hochhackige Pumps und bietet sich stehend mitgespreizten Schenkeln und zurückgebeugtem Oberkörper dem Genuss durch einen jungen, bis an den Hemdkragenzugeknöpften Geschäftsmann an (Schnürschuhe, Bügelfaltenhose, weißer Blazer). Er presst einen ihrer Oberschenkelzwischen seine Beine, lehnt sich über sie, seine rechte Hand auf ihrer nackten Hüfte und sein Mund an ihrem Hals. DerRest des offensichtlich überflüssig gewordenen Kleides baumelt noch an ihrem linken Oberarm. Der kleingedruckte Text(„ ... das Geschäftsessen konnte warten. Der klassische Sonnenblazer mit den goldenen Knöpfen passte sowieso besser zuihrem Teint“) weist darauf hin, dass es sich um eine Werbung für Herrenoberbekleidung handelt.

Vor einer düsteren Strandkulisse mit grauem Kai, schmutzigem Sand und schwarz aufragendem Hotel im Hintergrundrennt eine schwarzgekleidete Blondine mit hochgerafften Röcken, wild wogenden Perlenketten und fliegenden Haaren aufden im Vordergrund stehenden PKW zu. Dieser ist halb verdeckt von einem breitschultrigen kräftigen Mann in einerderben Karojacke, der ihr den Rücken zuwendet und sich ruhig und überlegen eine Zigarette anzündet. Text: „Sie wolltejetzt nur weg von hier. Und er war ihre einzige Chance. Denn in seinem (XY-Auto) würde sie sich sicher fühlen.“(PKW-Werbung)

Wir sehen einen als Computer verkleideten Frauenkopf aggressiv-gefräßig den Mund aufreißen. Die Frau/der Compu-ter wird von einer distinguiert-gepflegten Männerhand (weiße Manschetten, Jackettärmel, tadellose Maniküre) mit einerDiskette gefüttert, die ihr der (ansonsten unsichtbare) Mann ins aufgerissene Maul schiebt (Computer-Werbung).

Page 17: Anina Mischau, Redaktion · 2011. 11. 30. · Anina Mischau, Redaktion EDITORIAL. IFF-Info Zeitschrift des Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrum (IFF) 20. Jahrgang / Nr.25

Männliche Reflexe, weibliche Reflexionen: Werbung mit Frauenbildern

17Info 20.Jg. Nr.25/2003

1979; Umiker-Sebeok 1981;Schmerl 1980; Courtney/Whipple1983; Bartos 1982, 1992; Barthel1988; Kilbourne 1979, 1992; Hel-ler 1992; Schmerl 1992a). Dabei ha-ben sich kritische Analysen und Re-cherchen seit nunmehr 30 Jahren inEuropa, in Nordamerika (USA undKanada) und auch in Australien im-mer wieder auf zwei Schwerpunk-te konzentriert: auf die offen beleidigen-de Darstellung von Frauen und aufdie klischeehaft einengende und rückwärts-gewandte. Mit diesen beiden Punktenwar stets mehr gemeint als lediglichdie sexuell provozierende Darstel-lung von (nackten) Frauen oder nurdie Inszenierung als beschränkteHausfrauen. Zwar wurden unterdem ersten Punkt nackte oder se-xuell anzügliche Frauenabbildungenam häufigsten genannt. Doch wur-den stets als Frauen ebenso beleidi-gende Werbemethoden zusätzlichjene erkannt, die Frauen z.B. als nei-disch, raffgierig, verwöhnt, unzu-rechnungsfähig, dumm o.ä. vorfüh-ren, und jene, die Frauen explizit mitKonsumartikeln gleichsetzen.

Auch die Kritik an der klischee-haft-rückwärtsgewandten Rollen-darstellung der Frau meinte mehrals nur die auf Waschen, Putzen,Kochen fixierte Hausfrau. Zusätz-lich ging (und geht) es hier um alljene Bilder, durch die Frauen aufihre alten, dem Mann dienendenund gefallenden Rollen festgelegtwerden, die sie als eindimensionalschön, schwach, passiv und inkom-petent idealisieren. Diese zweite Art,Frauenbilder in der Werbung ein-zusetzen, scheint inzwischen quan-titativ die vorherrschende Methodezu sein: Frauen sind schön und ha-ben nichts zu tun (vgl. Heller 1992).Ihre genormte Attraktivität (schmal,jung, langbeinig etc.) ist Dekorati-on für grundsätzlich jedes möglicheProdukt. Auch die sogenannte ‘neue’Frau macht darin keine Ausnahme:

Als ‘neue Müßiggängerin’ steht oderliegt sie blasiert in der Gegend. Fallssie gelegentlich berufstätig ist, so ent-weder in untergeordneter Position(Sekretärin, Serviererin) oder inTraumberufen (Anwältin, Manage-rin). In beiden Fällen ist aber ihreArbeit nicht sichtbar (denn die erle-digt sich von allein).

Visuelle Bilder sprechen daswichtigste Sinnesorgan des Men-schen an: die Augen. Menschen sindAugentiere. Menschen orientierensich in ihrer Welt hauptsächlich mitHilfe ihres Gesichtssinnes; Erinne-rung wie Selbstbild sind am stärk-sten durch visuelle Eindrücke be-stimmt. Erst an zweiter Stelle kom-men Gehör und Tastsinn, die dasGesehene unterstützen und differen-zieren. Menschen beziehen sogargroße Teile ihrer Identität daraus,wie sie von anderen angeschaut, ge-sehen, wahrgenommen werden.

Niemand wird also ernsthaft an-nehmen, dass die permanente undmassenhafte Präsenz von schönen,exotischen, kunstvollen, schockie-renden oder auch langweiligen Bil-dern – und so insbesondere vonMenschenbildern, die den gesam-ten öffentlichen wie privaten Raumunseres Lebens durchdringen – kei-nerlei Spuren in unseren Vorstellun-gen hinterlassen. Die beabsichtigtenEffekte auf Seiten der Werber sindklar: die Menschen sollen reflexhaftihre Aufmerksamkeit von den schö-nen, den begehrenswerten Bildernauf die damit gekoppelten Konsum-güter übertragen und sie besitzenwollen, sprich kaufen. Sie sollenaußerdem glauben, dass sie ebensoschön und glücklich durch den Be-sitz dieser Dinge werden, wie die inder Werbung abgebildeten schönenund glücklichen Menschen. Unddrittens schließlich sollen sie lernen,dass Kaufen überhaupt glücklichmacht, und dass man ohne ständi-ges Kaufen unglücklich, hässlich,

ohne Freunde und ohne Erfolg ist.Diese beabsichtigten, offenen Ef-fekte der Werbung sind in den da-mit schon länger vertrauten Indu-strieländern halbwegs jeder/m klar– jedenfalls so klar, dass sie oder ersie als kritische Antwort auf Nach-frage abspulen kann (gleich ob manselbst diesen Effekten mehr oderweniger häufig erliegt oder nicht).

Was eine kritische Öffentlichkeitdemgegenüber jedoch oft nochmehr interessiert, ist, ob über die-ses ‘Zum-Konsum-verführen-Wol-len’ hinaus die schönen, begehrens-werten oder auch aggressiven Wer-bebilder nicht noch ganz andereSpuren in den Gemütern der un-freiwilligen Zuschauer und Zu-schauerinnen hinterlassen. Von be-sonderem Interesse war im engerenSinne dabei stets, welche Menschen-bilder die Werbung in ihren milliar-denfachen Appellen verbreitet, undwelche Auswirkungen diese Kunst-Bilder auf das Selbstbild und dasSelbstideal der Menschen haben(können). Je nach Denktradition,Veränderungsinteresse und Fach-disziplin sind Art und Einbettungdieser Fragen wie auch die Akzen-tuierung der Antworten unter-schiedlich (und diese Unterschiedesind nicht uninteressant). Dabei gingtrotz mancher Differenz niemandvon einer automatischen Übernahmeder Menschenbilder nach Art einesplatten, passiven Wirkmechanismusaus. Vielmehr war die gemeinsameGrundannahme bei allen Fragestel-lern die, dass angesichts der vorhan-denen Sachlage – Menschen lernendurch Vorbilder; unterschwelliggleichbleibende Einflüsse sind oftwirksamer als explizit pädagogischgewollte – bestimmte Nachwirkun-gen dieser Bilder im Bewusstseinnicht in Zweifel zu ziehen sind. So-gar die Werbeindustrie selbst brü-stet sich damit, moderne und auf-geschlossene Menschen als Vorbil-

Page 18: Anina Mischau, Redaktion · 2011. 11. 30. · Anina Mischau, Redaktion EDITORIAL. IFF-Info Zeitschrift des Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrum (IFF) 20. Jahrgang / Nr.25

Christiane Schmerl

18

der, Trendsetter, als Lebens- undOrientierungshilfe anzubieten.Auch die Befreiung der menschli-chen Sexualität rechnet sie zu ihrenVerdiensten.

Die übergreifende Frage ver-schiedener Disziplinen lautete alsofür den Bereich des von der Wer-bung verbreiteten Menschenbildes– und damit des von ihr verbreite-ten Geschlechterbildes – stets: Wel-che orientierenden, welche des-orientierenden Auswirkungen ha-ben die öffentlich verbreiteten Bil-der von Frauen und Männern in denwestlichen Industriegesellschaftenhinsichtlich der Vorstellungen vonbeiden Geschlechtern, hinsichtlichihrer idealtypischen Eigenschaftenund hinsichtlich ihres Verhältnisseszueinander? Im folgenden soll ver-sucht werden, eine Übersicht überdie hierzu vorliegenden Antwortenzu geben. In einem zweiten Schrittsollen danach diese Antworten ineinen übergreifenden Rahmen ge-stellt werden, der ihre mögliche Be-deutung zu diskutieren versucht.

1. Antworten, Argumente,TheorienDer Übersichtlichkeit halber werdeneinige der Argumentationsstränge,die häufig kombiniert auftreten undsich gegenseitig stützen, hier zu-nächst getrennt vorgestellt.

1.1. Empirische Untersuchun-gen zu bestimmten Arten derGeschlechterdarstellungDieses Herangehen an Fragen derMenschen-/Frauen-/Männer-Bilderder Werbung bildet die harte, mitnachprüfbaren Fakten ausgestatte-te Grundlage für alle anderen Argu-mentationsstränge. In empirischenMedienuntersuchungen der Sozial-wissenschaften (z.B. Soziologie, So-zialpsychologie, Publizistik, Psycho-logie, Medienpädagogik u.ä.) wer-den quantitative wie qualitative Dar-

stellungen von bestimmten Männer-und Frauenbildern für unterschied-liche Werbeträger erforscht (z.B. TV,Frauenzeitschriften, Publikumszeit-schriften, Männerzeitschriften usw.).Diese Untersuchungen können so-wohl auf einem sehr hohen Verall-gemeinerungs-Niveau angesiedeltsein (z.B. die Frauen- und Männer-darstellungen in der US-amerikani-schen, in der australischen oder inder mexikanischen TV-Werbung;vgl. Gilly 1988; Lovedal 1989;Wyndham 1989; Mazzella et al.1992), oder sie können auch sehrspeziell sein: z.B. Unterschiede derFrauen- und Männerdarstellung derWerbung in US-amerikanischenSportsendungen am Samstagnach-mittag (wenn viele Männer zuschau-en) versus die Frauen- und Männer-bilder in den nachmittäglichen Sei-fen-Opern (wenn überwiegendFrauen und Kinder zuschauen)versus die Geschlechterinszenierun-gen der Werbung zur abendlichenHauptsendezeit (wenn die ganzeFamilie vor dem TV-Set sitzt; vgl.Craig 1992). Untersuchungen die-ser Art werden immer wiederdurchgeführt, um festzustellen, obund was sich über die Zeit, im Me-dienvergleich oder im internationa-len Ländervergleich an den Ge-schlechterbildern ändert oder nicht.Alle diese Ergebnisse sind seit über 30Jahren von verblüffender Gleichförmigkeithinsichtlich ihrer stark polarisierendenGeschlechterdarbietung (siehe vorn).Schwankungen ergeben sich ledig-lich z.B. in der prozentualen Abnah-me und Verjüngung von ‘Hausfrau-en’, dem gelegentlichen Auftauchenvon ‘neuen’ Frauen („Managerin“)oder auch durch ‘neue’ Männer (z.B.Zurstiege 1998). Untersuchungendieser Art sind hilfreich durch dieLieferung von objektiven Faktenund Trends; sie zeigen am deutlich-sten, dass sich trotz aller Kritik ander Geschlechterpräsentation der

Werbung bis auf modische Kleinig-keiten nur sehr wenig verändert hat.

Solche Untersuchungen machenin der Regel keine expliziten Aus-sagen über Auswirkungen ihrer Er-gebnisse. Aus den Schlussdiskussio-nen solcher Veröffentlichungen gehtaber meist hervor, dass sie einen un-günstigen Einfluss dieser Klischeesauf Selbstbild, Idealbild und Ge-schmack der beiden Geschlechterbei potentiellen ZuschauerInnen ver-muten, da empirisch arbeitende So-zialwissenschaftler dieser Couleurvon den gut belegten Erkenntnis-sen des sozialen Lernens ausgehen,die die Nachahmung von realen undTV-Vorbildern nachgewiesen unddie Identifikation mit attraktivenModellen festgestellt haben (vgl.Bandura 1976).

1.2. Wertkonservative undkulturpessimistische AussagenAntworten aus dieser Perspektivebauen auf den in 1.1. geliefertenFakten auf und kritisieren in der Re-gel nicht nur die Werbung, sondernauch andere Trends der modernenMassenmedien (z.B. zuviel Gewalt,zuviel Sex etc.). Ihre Kritik richtetsich ebenfalls auf die unrealistischen,aber attraktiven Vorbilder der Wer-bung und deren Speicherung, Nach-ahmung und Identifikation seitensder ZuschauerInnen. Anders als dievon ihnen zitierten empirischen Un-tersuchungen nehmen sie aber einedirekte und unausweichliche Beein-flussung der Medienvorbilder alsunumstößliche Gewissheit an. Siesehen ZuschauerInnen überwiegendals Medienopfer und unterbewer-ten den aktiven, aufsuchenden, bzw.auswählenden oder wegblendendenPart des Publikums. Die Motivati-on dieses Ansatzes ist einerseits päd-agogisch sehr engagiert, d.h. umfalsche Erziehungseinflüsse und dieBewahrung von Kindern vor fal-schen Vorbildern besorgt, zum an-

Page 19: Anina Mischau, Redaktion · 2011. 11. 30. · Anina Mischau, Redaktion EDITORIAL. IFF-Info Zeitschrift des Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrum (IFF) 20. Jahrgang / Nr.25

Männliche Reflexe, weibliche Reflexionen: Werbung mit Frauenbildern

19Info 20.Jg. Nr.25/2003

deren spricht aus dieser Richtunghäufig aber ein weltanschaulicheskonservatives Bild, das gelegentlichstärker am Aufrechterhalt bestimm-ter Dogmen und Verbote – beson-ders dem der ‘bösen’ Sexualität –interessiert ist, als an Prinzipien mo-derner Erziehung (nämlich Kinderauf das Leben angemessen vorzu-bereiten und sie dabei zu unterstüt-zen). Daher macht diese Argumen-tationsweise es ihren Gegnern oftleicht, sie als altmodisch in die prü-de bzw. reaktionäre Ecke zu stellen.Obwohl die Befürchtungen derVertreter dieser Richtung ernst zunehmen sind, können sie ihre Wir-kungsannahmen natürlich nicht indem Ausmaß beweisen, wie ihre ei-genen Behauptungen es erforderten,sondern nur anhand von Einzelfall-studien (vgl. Glogauer 1993). Dieswird ihnen natürlich von ihren Geg-nern (sowohl unter den ‘neuen’ Me-dienpädagogen als auch unter denWerbern) gern unter die Nase gerie-ben. Trotzdem bleiben Befürchtun-gen, die aus Einzelfallstudien (z.B.zum Bereich der Medienaggressionund deren Wirkung auf Kinder undJugendliche) ihre Argumente herlei-ten, als empirische ‘Wirkungshin-weise’ durchaus ernst zu nehmen, daauch ‘Extremfälle’ direkter Medien-Nachahmung bedenklich sein kön-nen und überdies Rückschlüsse aufden ‘Normalfall’ des ‘nur’ kogniti-ven Speicherns und Erinnerns zu-lassen.

1.3. Aussagen der empirischenWirkungsforschung zumThema ‘Werbung’Empirische Untersuchungen überdie Auswirkungen von Botschaftender Massenmedien haben eine lan-ge Tradition und eine wechselvolleGeschichte an Auseinandersetzun-gen über Methoden und Aussage-kraft ihrer Ergebnisse, die hier nichtnachgezeichnet werden kann. Für

den hier interessierenden Bereich las-sen sich als Hintergrund zwei Punktefesthalten: Das methodische Vorge-hen empirischer Wirkungsprüfun-gen sieht in der Regel einen Vergleichzwischen zwei (oder mehreren) Zu-schauer-/Zuhörergruppen vor, dieunterschiedliche oder gegensätzlicheMedieninhalte angeboten bekom-men und danach direkt um ihreAussagen dazu gebeten werden,oder die danach in ihrem Verhaltenoder ihren Testwerten bezüglichverschiedener Merkmale beobach-tet und untersucht werden. Der Ver-gleich mindestens zweier Gruppen,die sich ansonsten in allen Eigen-schaften ähneln (Kontrollgruppen-versuch), stellt sicher, dass Verhal-tens- und Meinungsunterschiede nurauf die unterschiedliche Mediener-fahrung zurückzuführen sind.

Am gründlichsten wurde derEinfluss von Geschlechterstereoty-pen der Fernsehwerbung auf die Ein-stellungen bei Kindern untersucht.Auf dem Hintergrund, dass in derMedienwirkungsforschung als gesi-chert gilt, dass Kinder durch Beob-achtung und Modell-Lernen anhandvon TV-Bildern genauso effektivVerhaltensweisen übernehmen wievon realen Vorbildern des täglichenLebens (vgl. Bandura/Ross/Ross1963), wurden in verschiedenen Un-tersuchungen Kindern geschlechts-rollenkonforme wie -nichtkon-forme Werbespots gezeigt. Dabeihandelte es sich meist um Berufs-rollenstereotype für Frauen undMänner oder um geschlechterkon-formes bzw. -nichtkonformes Spiel-zeug. Obwohl die Wirkungsfor-schung – dies ist als zweiter wichti-ger Punkt festzuhalten – in der Re-gel keine Medienwirkung nach ein-maligen Darbietungen erwartet (wes-wegen ein ausbleibender Effektnach nur einer Darbietung auch nochnicht deren ‘Wirkungslosigkeit’ be-weist), zeigten alle Untersuchungen

von diesem Typ einen beeindruk-kenden Einfluss nicht-stereotyperGeschlechtsrollen in Werbespotsauf die Mädchen (im Sinne der Er-weiterung ihres Verhaltensreper-toires, ihrer Berufswünsche etc.) undeine Verstärkung klischeehafter Ge-schlechtervorstellungen und Berufs-wünsche bei jenen Kindergruppen,die jeweils die stereotypen Werbe-spots mit Frauen und Männern ge-sehen hatten (Cheles-Miller 1975;Atkin/Miller 1975; O’Bryant/Cor-der-Bolz 1978; Huston et al. 1984).Einige Untersuchungen haben einenvergleichbaren Effekt auch bei er-wachsenen Frauen nachweisen kön-nen. In zwei methodisch aufwendi-gen und sorgfältigen Untersuchun-gen mit konventionellen und ‘umge-kehrten’ Werbespots zeigte sich, dassdie Frauen, die Spots mit progres-siven Frauenrollen angesehen hatten,in entsprechenden Testverfahren da-nach wesentlich höhere Werte für‘Selbstbewusstsein’ und ‘Unabhän-gigkeit’ aufwiesen als die Vergleichs-gruppen mit konventionell-stereo-typen Werbespots. Jene Frauen, dietraditionelle Werbung gesehen hat-ten, äußerten geringere beruflicheLeistungsansprüche als die anderenFrauen und als die Männer (Jenningset al. 1980; Geis et al. 1984). DieErgebnisse dieser speziellen, aufWerbung im Fernsehen zugeschnit-tenen Untersuchungen stimmen imÜbrigen bestens überein mit denTrends jener Untersuchungen, diesich mit den geschlechtsstereoty-pisierenden Wirkungen des Fernse-hens allgemein befasst haben. Siemachen somit deutlich, dass es nichtnur widersinnig wäre, ausgerechnetder Werbung eine geschlechtsrollen-beeinflussende Wirkung abzuspre-chen (die sie ebenso ausübt wie an-dere Sendungen desselben Medi-ums, nur dass die Inhalte hier we-sentlich homogener und überzeich-neter sind als in Unterhaltungs- und

Page 20: Anina Mischau, Redaktion · 2011. 11. 30. · Anina Mischau, Redaktion EDITORIAL. IFF-Info Zeitschrift des Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrum (IFF) 20. Jahrgang / Nr.25

Christiane Schmerl

20

Informationssendungen), sonderndass mit ziemlicher Sicherheit viel-mehr von kumulativen Effekten aus-zugehen ist. Gleiches dürfte für dieWerbung in Printmedien gelten.

1.4. Argumente und Stellung-nahmen der WerbewirtschaftselbstDie Werbewirtschaft selbst beruftsich bei den von ihr gezeigten Ge-schlechterbildern gerne auf das be-kannte ‘Spiegel’-Argument: „Wer-bung ist nur ein Spiegel der Gesell-schaft“. Sie erschaffe die einseitigenGeschlechterbilder nicht, sondernspiegele nur die Realität oder wahl-weise die Ideale einer Gesellschaftund ihres Geschlechterverhältnisseswider. Außerdem seien die von ihrverwendeten Bilder und Spots zu-vor auf ihre Akzeptanz beim Publi-kum getestet worden. Als drittes Ar-gument wird schließlich noch hin-zugefügt, dass Werbung per se kei-ne der ihr nachgesagten spezifischenWirkungen haben könne, da solcheWirkungen (besonders die ihrer Ge-schlechterbilder) methodisch nichtexakt von anderen gleichgerichtetenEinflüssen aus der übrigen Gesell-schaft zu trennen seien. Da Werbe-wirkungen sich nicht isoliert nach-weisen ließen, sei bis zum Beweisdes Gegenteils von der Wirkungs-losigkeit in diesem Bereich auszu-gehen.

Diese Argumente, seit 30 Jahrenbekannt und oft wiederholt, schei-nen nur auf einen oberflächlichenBlick hin stimmig. Natürlich ist Wer-bung auch ein Spiegel der jeweiligenGesellschaft, in der sie agiert. MitSicherheit sagt sie einiges über denZustand und die Funktionsweisender Gesellschaft aus (z.B. über diePrinzipien ihrer Wirtschaft, überVerdrängungswettbewerb, übermangelhafte gesellschaftliche Kon-trolle von Machtausübung, die Pro-duktion überflüssiger Güter, die

Priorität von Schein über Sein, dieVerschwendung von Ressourcen,um nur einige zu nennen). Was siemit Sicherheit aber nicht spiegelt –im Sinne einer Punkt-für-Punkt-Wi-derspiegelung – ist das reale Ver-hältnis der Geschlechter. Werbungübertreibt vielmehr – wie es Goff-man (1981) herausgearbeitet hat –gesellschaftliche Klischees der Ge-schlechter, indem sie sie ‘hyper-ritualisiert’ (so besonders bezüglichGestik, Motorik, Größenverhältnis-sen und Kleidung). Was Werbunghingegen sehr gut reflektiert – ganzim Sinne einer psychologischen Pro-jektion – ist dagegen die Vorstel-lungswelt der Werbemacher: IhreVorstellungen über das Geschlech-terverhältnis, über die ideale Vertei-lung von Aufgaben und Eigenschaf-ten der Geschlechter, über das, wassie – die männlichen ‘Kreativen’ –für ihre eigenen Ideale oder die derKonsumenten hinsichtlich des Ver-wendungszwecks von Frauen undMännern halten. Werbung ist einSpiegel der Vorstellungen ihrer Ma-cher. Darauf wird noch zurückzu-kommen sein.

Die anderen Argumente sindnoch kürzer und knapper zu beant-worten: der große Aufwand um dieempirische Testung von Werbe-annoncen und Werbespots ist leiderwissenschaftlich gesehen unseriösund voller methodischer Fehler.Und so auch besonders hinsichtlichihrer Geschlechterbilder. Schon ausdem einfachen Grund, weil meistnur die ‘Aufmerksamkeit’ und der‘Erinnerungswert’ eines Werbe-Ent-wurfs geprüft wird, und weil zwei-tens keine wirklich alternativen,nicht-sexistischen Entwürfe gegen-getestet werden (ausführlicher dazuHeller 1992; Schmerl 1992c).

1.5. Postmoderne und dekon-struktivistische AntwortenDiese Denkrichtung hat sich erst re-

lativ spät entwickelt und hat erst injüngster Zeit Einfluss auf die Me-dienwirkungsdiskussion und auf diefeministische Medien- und Ge-schlechterdiskussion gefunden. Die-se Richtung geht davon aus, dass diein der menschlichen Wahrnehmungbestehenden Abbilder der (sozialen)Realität durch eben diesen Akt desWahrnehmens gleichzeitig mit-konstruiert sind, und zwar durchkulturelle Tradition, durch sozialenKonsens und durch ständiges eige-nes Denken, Sprechen, Handeln.Nach dieser Sichtweise sind allekulturellen Schöpfungen im weite-sten Sinne (also nicht nur Denkmä-ler, Gemälde, Literatur und Filme,sondern alle Diskurse, Ideologien,Traditionen etc.) ‘Texte’ und Zei-chensysteme, die von ihren Rezipi-enten ‘gelesen’, d.h. gedeutet, geteilt,verstanden, aber auch umgedeutet,interpretiert, widerständig gelesenwerden (können und müssen).

Für den Medienkonsum einesIndividuums (TV, Video, Film, Pres-se etc.) heißt dies, dass jede/r inner-halb gewisser kulturell allgemeinver-ständlicher Codes ihren/seinen ei-genen Film sieht, ihr/sein eigenesBuch liest. Und es bedeutet darüberhinaus die subjektiv aktive Auswahlvon Medien, die eigenständige Hin-wendung zu jenen Medien-Genres,die die eigenen Bedürfnisse erfüllenund Gratifikationen bieten – undweniger ein passives Von-Medien-manipuliert-werden. Kurzum, die-se Sichtweise betont den aktivenRezipienten und Medienkonsu-menten, der aus dem reichhaltigenund heterogenen Strom des Vor-handenen sich sein Privatkino, sei-nen privaten Buchclub, seinen pri-vaten ‘Text’ erschafft und innerhalbdieses subjektiven Gratifikations-Spektrums zusätzlich eigene subjek-tive Deutungs- und Lesekultur be-treibt. Der Forschungsschwerpunktdieser Richtung liegt – wenn empi-

Page 21: Anina Mischau, Redaktion · 2011. 11. 30. · Anina Mischau, Redaktion EDITORIAL. IFF-Info Zeitschrift des Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrum (IFF) 20. Jahrgang / Nr.25

Männliche Reflexe, weibliche Reflexionen: Werbung mit Frauenbildern

21Info 20.Jg. Nr.25/2003

risch gearbeitet wird – in der Regeldarauf, wie Kinder und Jugendlicheeinzelne Sendungen (in der RegelTV-Sendungen) subjektiv verarbei-ten, erinnern und ausphantasieren.Die Verarbeitung von Werbesendun-gen durch Zuschauer wurde nachdieser Methode bisher noch nichtunter die Lupe genommen, wäreaber denkbar.

Die postmoderne feministische Ge-schlechterdiskussion (d.h. die dekon-struktivistische Richtung des Femi-nismus) geht ihrerseits davon aus,dass das, was in einer Kultur als ‘ty-pisch weiblich’ und ‘typisch männ-lich’ gilt, eine kulturelle und keinebiologische Setzung ist. Die domi-nante Geschlechterauffassung einerKultur ist genauso konstruiert wieandere kulturelle Setzungen, ist ge-nauso ‘Text’ und Zeichensystem,der/das ständig gelesen, ausbuch-stabiert und damit nachvollzogenwerden muss, um ihn/es zu versteh-en, zu teilen und aufrechtzuerhalten.Dadurch dass sich (möglichst) alleMitglieder einer Kultur an diesengeschlechtertypischen Aktivitätenund Verhaltensweisen beteiligen,wird die soziale Geschlechterkon-struktion am Leben erhalten, ihreBerechtigung und ‘Natürlichkeit’ständig bewiesen. Da der sozialeGeschlechter-Code kulturell gesetztist (und nicht biologisch unausweich-lich), kann er theoretisch auch ver-ändert, verweigert, oder sogar ab-geschafft werden.

Feministische Medienwissen-schaftlerinnen, die der dekonstruk-tivistischen Denktradition nahe ste-hen, haben sie benutzt, um aufzuzei-gen, dass das hochgradig geschlech-terstereotype Angebot der Massen-medien allgemein eine der mächtig-sten Quellen für die Aufrechterhal-tung bzw. Re-Installation jener Ge-schlechter-Codes und Geschlechter-zeichensysteme ist, in denen hyper-ritualisierte Superfrauen und Super-

männer den alten Code verherrli-chen und Abweichungen davonschlimm enden müssen. Bis zu die-sem Punkt unterscheiden sie sich inder Konsequenz ihrer Aussagennicht von den Fazits der empirischenInhalts- und Wirkungsforschung.Auch deren VertreterInnen warenstets davon ausgegangen – nur miteinem teilweise anderen Fach-vokabular -, dass die gezeigten stili-sierten und polarisierenden Ge-schlechterbilder der Massenmedienauf die Zuschauer sozialisierendebzw. die allgemeine Geschlechter-sozialisation enorm verstärkendeEffekte haben würden. Wobei diesstets im Sinne von statistischer Wahr-scheinlichkeit (durch jahrelange Be-rieselung mit geschlechtshomogenenMedieninhalten) verstanden wurde,nicht in Form von kausaler Einzel-fall-Wirkung oder von one-trial-learning.

Feministische Medienwissen-schaftlerinnen, die speziell mit die-sem Ansatz arbeiten, haben ihr In-teresse zunächst darauf gerichtet,wie die kulturell extrem homogenenGeschlechter-Codes der Massenme-dien (insbesondere hier des TV unddes Films) von weiblichen Zuschau-ern oder Lesern für ihre eigenen Be-dürfnisse umfunktionalisiert werdenkönnen, also gegen den Strich gelesenwerden. Ihr Interesse ist auf jene Re-zipientinnen gerichtet, die aus demklassisch patriarchalen Medienan-gebot sich nach ihren Bedürfnissenund Vorlieben bedienen und ihrenpersönlichen Nutzen ziehen, wobeidie Betonung dieses Ansatzes dar-auf liegt, dass die Entzifferung deskonsumierten ‘Textes’ durchaus nichtden Intentionen des Senders ent-sprechen muss. Diese Forschungs-richtung hat sich besonders um jeneoffiziell verachteten Genres wie‘Seifenopern’ und ihre fast aus-schließlich weiblichen Rezipientenbemüht, um die weiblich-widerstän-

dige Interpretation von Hollywood-Filmen (z.B. mit Marilyn Monroeund Doris Day), sowie um die ‘per-sönlichen Gratifikationen’, die Le-serinnen aus den ebenso misstrau-isch bewerteten Groschenromanenziehen (vgl. Radway 1984; Psaar1991). Dieser Ansatz besteht dar-auf, dass die Konsumentinnen sol-cher Genres nicht wie passive Op-fer der Indoktrination des patriar-chalen Geschlechtersystems strom-linienförmig erliegen.

Interessant ist, dass gerade dasGenre ‘Werbung’ bisher nicht unterdiesem Blickwinkel der widerstän-digen ‘Dekonstruktion’ von enko-dierten Geschlechterbotschaften be-trachtet worden ist. Dies könnte ent-weder daran liegen, dass Inhalte vonWerbesendungen sich in ihrer sim-plen und eindimensional übertriebe-nen Präsentation von Geschlechter-Codes nicht für eine Frage des wi-derständigen Lesens eignen.

Ein dritter Grund – wahrschein-lich der Hauptgrund – aber liegtvermutlich in einem sehr fundamen-talen Unterschied zwischen der üb-lichen Rezeption von Werbung undder von Hollywoodfilmen/Seifen-opern/Groschenheften: Die Men-schen, die diese Medien gerne kon-sumieren (und die ihre Phantasiedamit beschäftigen) tun dies aktiv,selektiv und aus eigenem Interesse.Genau diese Bedingungen sind fürdie tägliche Rezeption von Werbungnicht gegeben. Abgesehen von Be-suchen von Filmvorführungen derCannes-Rolle (wo notabene die ori-ginellste und witzigste Werbungganz Europas vorgeführt wird undnicht die täglichen Niederungen derTV-Werbung) ist der/die normaleWerbebetrachtende eben kein aktivauswählender Rezipient, sondern einheimgesuchter. Widerständiges Le-sen dürfte hier entweder gar nichtoder nur in sehr schmalen Teilseg-menten spontan entstehen können.

Page 22: Anina Mischau, Redaktion · 2011. 11. 30. · Anina Mischau, Redaktion EDITORIAL. IFF-Info Zeitschrift des Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrum (IFF) 20. Jahrgang / Nr.25

Christiane Schmerl

22

1.6. Ethisch-menschenrechtlichorientierte ArgumenteEthische Argumente stecken inmehreren der bisher aufgeführtenArgumentationsstränge. Sie sindaber nicht explizit herausgearbeitetund werden daher oft nicht als sol-che wahrgenommen, oder sie wer-den in ihrem inhaltlichen Gehaltmissverstanden und falsch bewer-tet. Sie besagen im Prinzip u.a., dassbereits die Würde eines Menschenunantastbar ist (d.h. sein muss), weildas Antasten seiner Würde (z.B.durch Beleidigung, Verleumdung,demütigende Behandlung etc.) dererste, vorbereitende Schritt ist fürweitere Verletzungen. Nirgendwoist dieser Zusammenhang so glas-klar und perfekt organisiert vor-exerziert worden wie im national-sozialistischen Deutschland an denBevölkerungsgruppen der Juden,der Sinti/Roma, der Homosexuel-len und der psychisch Kranken undBehinderten. Die letzte systematischorganisierte und durch offiziellePropaganda ebenfalls bestens vor-bereitete Verfolgung einer anderenGruppe in Europa liegt schon eini-ge hundert Jahre zurück – die Er-mordung von einer Million soge-nannter ‘Hexen’ – und ist in der Er-innerung bereits arg verblasst.

Bewahrt worden ist aber in heu-tigen Menschenrechtsdeklarationendie Erkenntnis, dass materielle Dis-kriminierungen und physische Ver-folgungen stets vorbereitende undbegleitende Rechtfertigungen benö-tigen. Es hat lange gedauert und be-durfte großer Anstrengungen an fe-ministischer Aufklärung, bis sich imWesten mancherorts die Erkenntnisdurchsetzte, dass dieser Zusammen-hang auch für die Gruppe der Frau-en gilt. Die UN-Konvention von1979 zur „Beseitigung jeder Formvon Diskriminierung der Frau“, vonden meisten Mitgliedstaaten der EUunterzeichnet, regelt deshalb auch in

Teil I, Artikel 2:„Die Vertragsstaaten verurteilen

jede Form von Diskriminierung derFrau; sie kommen überein, mit al-len geeigneten Mitteln unverzüglicheine Politik zur Beseitigung der Dis-kriminierung der Frau zu verfolgen,und verpflichten sich zu diesemZweck, ... (f) alle geeigneten Maß-nahmen einschließlich gesetzgebe-rischer Maßnahmen zur Änderungoder Aufhebung aller bestehenderGesetze, Verordnungen, Gepflo-genheiten und Praktiken zu treffen,die eine Diskriminierung der Fraudarstellen; ...“.

Alle gegen die Benutzung vonFrauenbildern zu kommerziellenZwecken argumentierenden Positio-nen enthalten also implizit eineethisch-menschenrechtliche Positi-on, die der Auffassung ist, dass Ei-genschaften von, aber auch Vorur-teile gegenüber bestimmten Grup-pen es nicht rechtfertigen, Men-schen wie ein Ding vorzuführen,öffentlich bloßzustellen, lächerlichzu machen oder als Blickfang ein-zusetzen. Dies ist eine andere Posi-tion als jene, die gegen die öffentli-che Thematisierung von Sexualitätist (wie z.B. fundamentalistischeReligionen), obwohl sie oft absicht-lich mit jener in eine Schublade ge-steckt wird.

2. Aus der Werkstatt derGeschlechterkonstrukteureKommen wir nach diesem Über-blick über das Spektrum der Argu-mente und Antworten zum anfangsformulierten Fragenkomplex zu-rück

Wir können konstatieren, dassWerbung durch ihre Bilder und Tex-te permanent Behauptungen undGeschichten über Frauen und Män-ner transportiert. Sie informiert un-aufhörlich über Aussehen und Ei-genschaften von idealen Frauen undMännern. Sie macht Orientierungs-

angebote für beide Geschlechter, in-dem sie traumhaft perfekte Bildervorführt, die in unserer Kultur alsInbegriff für Ästhetik, Attraktivitätund Luxus stehen. Ihr Angebot istinsofern orientierend, als es schonvom rein quantitativen Umfang ih-rer Allgegenwart nichts Vergleich-bares gibt, das unseren Gesichtssinn– unser Hauptsinnesorgan – derar-tig exzessiv und homogen beschickt.Kein Schulbuch, kein Urlaub, keineFete, kein Vereinsleben kann an vi-suellen Eindrücken damit konkur-rieren. Gleichzeitig enthält dieses„Orientierungsangebot“ eine Men-ge desorientierender, d.h. objektivfalscher Eindrücke und Informatio-nen, besonders über die beiden Ge-schlechter und ihr Verhältnis zuein-ander. Frauen sind nicht nur zwi-schen 16 und 36 Jahre alt und sehennicht nur wie geklonte Barbiepup-pen aus. Frauen arbeiten, nicht nurim Haushalt, sondern auch in Beru-fen, und zwar in sehr verschiede-nen. Frauen sind als Gruppe über-haupt äußerst unterschiedlich, so-wohl im Aussehen als auch in ihrensonstigen Eigenschaften. Frauensind nicht nur für Männer da, son-dern auch für sich selbst. Weibliche(Hetero-)Sexualität und Schönheitsind nicht die einzig interessantenund maßgeblichen Gesichtspunktean Frauen. Frauen sind keine Din-ge, Frauen sind keine Luxusgüter,Frauen sind keine Dekoration usw.Mutatis mutandis ließe sich ein ent-sprechender schmalerer Desinfor-mations-Katalog auch für Männererstellen.

Die Kernfrage lautet nun: Wiewirken diese orientierenden undgleichzeitig desorientierenden Bilderauf wirkliche Frauen und Männer?Glauben Menschen blind und un-kritisch alles, was sie auf diesen Ge-schlechterbildern sehen, oder wissensie nicht vielmehr, dass es im ‘wirk-lichen Leben’ ganz anders zugeht?

Page 23: Anina Mischau, Redaktion · 2011. 11. 30. · Anina Mischau, Redaktion EDITORIAL. IFF-Info Zeitschrift des Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrum (IFF) 20. Jahrgang / Nr.25

Männliche Reflexe, weibliche Reflexionen: Werbung mit Frauenbildern

23Info 20.Jg. Nr.25/2003

Natürlich können normale Men-schen beiderlei Geschlechts Abbil-der und Wirklichkeit, Werbung undRealität auf Anfrage unterscheiden.Viele Menschen langweilen sich so-gar oder ärgern sich über Werbung,zappen in andere Kanäle, gehen der-weil auf’s Klo, oder überblättern sie.Menschen sind auch in der Lage,Werbung zu ignorieren, zu überse-hen, sogar zu kritisieren. Manbraucht nicht auf den Mythos vonden ‘geheimen Verführern’ zurück-zugreifen, um trotzdem zu wissen,dass reale visuelle Bilder auch über-sehene oder sogar abgelehnte Spu-ren in Vorstellung und Geschmackhinterlassen, vor allem wenn sie lang-jährig, gleichförmig und äußerstselbstverständlich daherkommen.Sie bestimmen unsere Sehgewohn-heiten für Ästhetik und Proportio-nen (z.B. hinsichtlich des weiblichenKörpers). Frauen und Männer ler-nen, dass dies die ‘richtigen’ Propor-tionen sind, die als schön erst defi-niert, dann auch empfunden wer-den. Dieser Effekt funktioniertebenso bei werbekritisch eingestell-ten Menschen, da sie zumindest, wasdie Perfektion der Geschlechterbil-der angeht, sich dem normsetzen-den ästhetischen Angebot idealerFrauen- und Männerbilder nichtentziehen können. Wir alle lernenvornehmlich an bildlichem An-schauungsmaterial, was in unsererKultur jeweils als ‘schön’ für einenMann oder eine Frau gilt. Das Spek-trum für Frauen ist allerdings sehrviel rigider und enger als das fürMänner – auch das wird ‘gelernt’.Dass Werbebilder sehr wohl neben-bei und nicht-bewusst Vorstellungenbei Menschen hinterlassen, wissenwir spätestens seit den o.a. Wir-kungsuntersuchungen im engerenSinne. Jahrelange Vorbilder vonschönen, aber passiv-konventionel-len Frauen hinterlassen bei Kindernund Erwachsenen ‘Selbstverständ-

lichkeiten’ der Vorstellungswelt überMöglichkeiten und Ansprüche fürFrauen, die ebenso passiv-konven-tionell sind. Bilder, die ‘anders’ ori-entieren – z.B. interessante Berufefür Frauen zeigen oder unkonven-tionelle Frauentypen –, hinterlassenebenso identifikatorische Spuren.Diese möglichen Wirkungen kannWerbung also durchaus haben. Jelänger und gleichförmiger die Ge-schlechterbilder, umso wahrscheinlicherdie Tatsache, dass sich bei sehr vie-len ZuschauerInnen markante Spu-ren davon festsetzen werden – nichtals platter Automatismus, sondernals statistisch hochgradige Wahr-scheinlichkeit.

Dazu kommt ein zweiter Effekt,der vorn bereits kurz angesprochenwurde, der für alle Zuschauer gilt,unkritische wie kritische, und dernoch darüber hinausgeht und ihnvermutlich ergänzt: Um eine Werbe-botschaft zu ‘verstehen’ – sei es einBild, ein TV-Spot, eine Hörfunk-Szene – muss ich ihre kulturellen An-spielungen und Voraussetzungenmental nachvollziehen, um sieentschlüsseln zu können. Das ver-langt von dem/der ZuschauerIn,dem/der ZuhörerIn, sich auf dieSprach-, Denk- und Bedeutungs-ebene der verwendeten Symbole zubegeben, egal, ob sie/er diese teilt,goutiert oder ablehnt. Es ist gewis-sermaßen wie bei einem schlechtenWitz, über den man vielleicht nicht(mehr) lachen kann – dessen Anspie-lung, dessen Konstruktion man abernachvollziehen muss, um herauszu-finden, was er einem als ‘witzig’ ver-kaufen will.

Ein Beispiel mag dies für dendeutschsprachigen Werberaum ver-deutlichen: ein Frauenkopf mit ge-polsterter Schutzkappe, blau ge-schlagenem Auge und spielerischvorgestreckten Fäusten in Boxhand-schuhen erklärt lachend: „Bei uns hatmein Mann die HILTL an.“ Um

diese Anzeige, die für Herrenhosenwirbt, richtig entziffern zu können,muss man Sprüche kennen wie ‘dieHosen anhaben’, ‘die Hosen anha-ben wollen’ oder ‘sie hat die Hosenan’ – altbekannte Slogans, die aus-drücken sollen, wie falsch und lä-cherlich es ist, wenn Frauen etwaseindeutig Männliches – wie hier diefrüher als männlich privilegiertenBeinkleider – für sich beanspruchen.Es gibt zudem eine lange Traditionin Karikatur und Literatur unsererKultur, wo der ‘Streit um die Ho-sen’ glossiert wird: mit Bildern undZuschreibungen für Frauen, die die-se als herrschsüchtig, streitsüchtigund widernatürlich darstellen, dieMänner dagegen als bedauernswer-te und schwache Pantoffelhelden,die sich gegen diesen Übergriffnicht wehren (können). Zweitensgibt es in unserer Kultur ebenso einelange Tradition des Ehefrauenschla-gens, das bis vor ca. 30 Jahren nocheher als komisch bzw. sogar als be-rechtigt galt, wenn der Mann sichanderweitig nicht mehr zu helfenwusste (z.B. wenn sie versuchte, ‘dieHosen anzuhaben’). Und es wurdeihm als legitimes Mittel zugestanden,seiner Frau durch Schläge zu zeigen,wer die Hosen anhatte. Die Annon-ce setzt also diesen historischenKontext und die daran hängendenkulturellen Assoziationen voraus, umihre Aussage an den Mann (und dieFrau) zu bringen. Z.B.: wenn dieFrau versucht, die Hosen anzuha-ben, kriegt sie Dresche (blaues Au-ge) von ihrem Mann. Dieser beweistsomit durch legitime Schläge, dasser die Hosen anhat (hier die der um-worbenen Marke ‘Hiltl’). Die Tat-sache, dass sie trotz blaugeschla-genen Auges noch lacht, zeigt, dasssie ihm recht gibt: sie sagt zustim-mend: „Bei uns hat mein Mann dieH... an“. Zudem ist sie in vollemKampfdress – es wird also so et-was wie ein ‘fairer’ oder freiwilliger

Page 24: Anina Mischau, Redaktion · 2011. 11. 30. · Anina Mischau, Redaktion EDITORIAL. IFF-Info Zeitschrift des Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrum (IFF) 20. Jahrgang / Nr.25

Christiane Schmerl

24

Kampf suggeriert. Sie ist selbstschuld, wenn sie es herausfordert(d.h. sich überschätzt und verliert –das muss man als Sportler eben ein-stecken). Und überdies wird dasFrauen-Schlagen so ganz nebenbeizum ‘Sport’ erklärt. Wenn der Manndie H... anhat und das seiner Frau ineinem Boxkampf Mann gegen Frau‘schlagend’ beweist, dann ist dasSchlagen in der Ehe eben eine Formsportlicher Auseinandersetzung undkein unfairer Einsatz männlicherKörperkraft usw.

Man kann sich mit Werbern stun-denlang darüber streiten, ob solcheAnzeigen vielleicht nur „schlecht ge-macht sind“. Viel wesentlicher dürf-te sein, dass solche Anzeigen über-deutlich demonstrieren, was hier ge-meint ist und was bei ‘milderen’ Ver-sionen ganz genauso funktioniert:Das ständige Nachvollziehen jeneroptischen und kognitiven Botschaf-ten, die sicherstellen, dass bestimm-te Denktraditionen über Frauen(und Männer), bestimmte Vorurtei-le, Assoziationen und Suggestionen,die als diskriminierend in unsererpatriarchalen Kultur existieren undexistierten, ständig belebt, aufrecht-erhalten und durch Phantasie undVerstehen nachvollzogen werden.Das Aufrechterhalten von Ge-schlechterkonstruktionen funktio-niert also nicht nur unterschwellig bei‘verführten’ KäuferInnen mit fal-schem Bewusstsein, sondern es pas-siert auf einer viel alltäglicheren,selbstverständlicheren und öffentli-chen Ebene zusätzlich.

3. Die fatale Kreuzung vonfinanzieller Macht und puber-tären Männer-PhantasienWenn die Geschlechterbilder derWerbung somit kein Spiegel derfacettenreichen gesellschaftlichenWirklichkeit sind, sondern dasGeschlechterdrama noch viel einsei-tiger konstruieren, als es die ande-

rerseits ebenso künstlichen, aber realexistierenden Geschlechterarrange-ments tun, was sagen ihre Konstruk-tionen dann über die inhaltlich-ideo-logische Seite hinaus noch aus? Sindes doch ‘Spiegelungen’ bestimmterPhänomene? Wenn ja, was wird hiergespiegelt?

Zunächst spiegeln sich ganz di-rekt in diesen Entwürfen die Ideenund Vorstellungen ihrer Autoren –der sich selbst als ‘Kreative’ oder‘Art directors’ bezeichnenden, über-wiegend männlichen Werbe-Ent-werfer. Gleich einem projektivenTest verrät die nach außen gewen-dete Ideenprojektion die Phantasi-en und Gedanken ihrer Schöpfer.Was wir in der Werbung täglich anGeschlechterbildern sehen, sind dieauf Papier und Chromdioxyd ge-bannten Materialisierungen jenerIdeen, die sich zuvor in den Köp-fen der Macher – wie der ihrer meistebenso männlichen Auftraggeber –gebildet haben. Es sind also mit-nichten die Phantasien ‘der’ Massen,sondern die Phantasien einer klei-nen männlichen Elite von hochbe-zahlten, hochkonkur-renten Ideen-fabrikanten, die sich aus ihrer eige-nen Vorstellungswelt, aus ihren Vor-stellungen von dem Massenge-schmack und aus ihrer eigenen kon-kurrenten Zwangslage des ständigOriginell-sein-Wollens/Müssens er-geben. In dieser merkwürdigen(Dauer-)Kombination von ‘schnel-ler-besser-auffälliger’ greifen die ge-stressten und ausgelaugten Köpfeauf das zurück, was ihnen ‘schnell’in den Sinn kommt (weil es so ‘nah’liegt) und was sie für ‘originell’ hal-ten: das ‘andere’ Geschlecht zu be-nutzen – vor allem die darüber vor-handenen Klischees –, diese weiterauszubauen und zu übertrumpfen.

Weil alle Werber dies so machen,verleiht es gleichzeitig eine großeSicherheit durch gegenseitige Selbst-bestätigung. „Was mit Frauen zu

machen geht immer“ (von Loben-stein 1994). Immer dann, wenn ei-nem Werber überhaupt nichts mehreinfällt, wenn der Konkurrenz auchnichts mehr einfällt, wenn man aufNummer sicher gehen will undgleichzeitig – die männliche Konkur-renz ist sowohl eigene Bezugsgrup-pe als auch Definitionsmacht – als‘gewagt’ durchgehen will. Also‘wagt’ man sich (mal wieder) an eineFrauen- oder Geschlechterinszenie-rung: noch greller, noch extremer,noch künstlicher. Wenn man dafür– was selten vorkommt – öffentli-che Kritik erfährt, kann man sichsogar als verkannter, verfolgterKünstler gerieren: Die Spießer ha-ben ihn nicht verstanden; das ist inFotografen- und Werberkreisenschon fast ein Adelsprädikat. Be-zugsgruppe ist die eigene Berufs-gruppe, die Konkurrenz und ebennicht die Öffentlichkeit der Kun-dInnen und VerbraucherInnen. Beider Sparte ‘Werbung mit Frauen-bildern’ (und dies ist eine sehr brei-te Einzelsparte im Gesamtwerbe-Spektrum) ist dies ganz genauso:gezielt wird auf den Applaus, dieBeachtung durch die Konkurrenz,und so schaukelt man sich gegen-seitig hoch in seinen Entwürfen, be-stätigt sich gleichzeitig gegenseitig inder Richtigkeit dieses Weges und dereigenen kreativen Potenz.

Insofern sagen die Frauenbilderder Werbung sehr viel aus: über dieIdeenwelt und die männliche Ge-mütsverfassung ihrer Kreatoren,und darüber, wie solche Prozessezustande kommen und ablaufen. Dagleichzeitig sehr, sehr viel Geld imSpiel ist (Budget der deutschen Wer-beindustrie 2001: 33,2 MilliardenEuro), erscheint dieses kindischeSpiel automatisch als ‘erwachsen’,‘richtig’ und furchtbar wichtig – wases ja von seinen Auswirkungen herzwangsläufig auch ist. Was sich alsoin diesen Bildern, der Funktionswei-

Page 25: Anina Mischau, Redaktion · 2011. 11. 30. · Anina Mischau, Redaktion EDITORIAL. IFF-Info Zeitschrift des Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrum (IFF) 20. Jahrgang / Nr.25

Männliche Reflexe, weibliche Reflexionen: Werbung mit Frauenbildern

25Info 20.Jg. Nr.25/2003

se ihrer Entstehung und Verbreitungspiegelt, ist der Mechanismus einerüberwiegend männlichen Phantasie,die sich unter einem enormenProduktionszwang fühlt und sichgegenseitig darin bestätigt, Frauenzu benutzen und vorzuführen. Ineinem Maß, das ihr für andere Men-schengruppen (Ausländer, Schwar-ze, Juden z.B.) als Tabu selbstver-ständlich ist, das aber nach werbe-internem männlichen Konsens fürdie Spezies Frau und ihre Menschen-würde gerade nicht gilt.

Obwohl die Werbeindustrie alsomit erstaunlicher Hartnäckigkeitund Indifferenz seit gut 30 Jahrenan ihren Frauenkonstruktionen fest-hält und so auch an ihren Argumen-ten, mit denen sie dieses Bild legiti-miert (vgl. Schmerl 1992b), so sindfeministische Kritik und Analyse indieser Zeit keinesfalls stehen geblie-ben. Dominierten in den 60er und70er Jahren Kritiken, die das Frauen-bild und das gezeigte Geschlech-terverhältnis als falsch, diskriminie-rend und bewusstseinsvernebelndorteten, so hat sich seit den 80er Jah-ren eine weitere Perspektive entwik-kelt, die dem eine analytische Di-mension hinzufügt. Werbung wirdjetzt auf einer viel grundsätzlicherenund allgemeineren Ebene als einzentraler Faktor im alltäglichen Ge-schäft des ständig stattfindenden,ständig betriebenen öffentlichenGeschlechterdiskurses, bzw. derGeschlechterkonstruktion verstan-den. Zwar wird dieser Prozess vonvielen gesellschaftlichen Quellen ge-speist und aufrechterhalten, undselbstverständlich auch von denMitgliedern der Gesellschaft durcheigenes Verhalten, Sprechen, Inter-agieren etc. mitkonstruiert und amLeben gehalten (wie auch natürlichin Teilen variiert und verweigert).Doch zeigt sich am Aktionsfeld derWerbung in sonst seltener Deutlich-keit, wie gesellschaftliche (Geld-)Eli-

ten mit den ihnen zur Verfügung ste-henden, öffentlich nicht kontrollier-ten/kontrollierbaren Mitteln desGeldes und der Ideologiefabrika-tion ihre Sichtweise der Dinge – hierihre Sichtweise auf Frauen – durch-setzen in Wort und Bild. Die Eindi-mensionalität des Produktions- undVerbreitungsvorgangs, die Vertei-lung und der Einsatz von Macht, dieDefinition und Artikulation von ei-genen Interessen ist hier im Gegen-satz zu anderen gesellschaftlichenBereichen unübertroffen klar. Somitgebührt der Werbung eine Art di-daktischer Paradeplatz im komple-xen Wirkungsgefüge patriarchalerMachtausübung, der überdies visu-ell höchst anschaulich ist.

4. David gegen Goliath?Lassen sich derzeit Möglichkeitenund Strategien erkennen, die aufeine Verweigerung oder auf geziel-te Gegendefinition/Gegenkon-struktion des dominanten, als natür-lich propagierten Geschlechterdis-kurses herauslaufen, und die die ex-emplarisch einmalig gute ‘Sicht-barkeit’ dieser Bild-Konstruktionenfür ihre Zwecke nutzen?Oben war bereits ausgeführt wor-den, dass Werbebilder und -spotsmit dem Zeichen ‘Frau’ so konstru-iert sind, dass sie eine mentale Mo-bilisierung der patriarchalen Kli-schees über ‘die’ Frauen verlangen(z.B. ‘Schlampe’, Konkurrenz umden Mann, etc.), um sie zu verste-hen. Zwar sind manche von ihnenbereits auf der direkten, visuellenEbene so plump und lächerlich, dasssie sich selbst entlarven. In der Re-gel aber sind ihre Botschaften soverpackt, dass sie auch bei gegentei-liger Meinung zunächst nachvollzo-gen werden müssen, um für den/die BetrachterIn Sinn zu machen.Widerständiges, ‘lustvolles’ Lesenzum eigenen Vergnügen ist auf-grund der hochgradig auf Klischees

setzenden Konstruktionen in derRegel nicht ergiebig. Wenn also in-dividuell nur jene zweifelhaften Nut-zen und Gratifikationen aus denFrauenwerbebildern zu ziehen sind,die mit den beabsichtigten Ge-schlechterkonstruktionen konformgehen, welche anderen Möglichkei-ten des De-Konstruierens, des Ent-larvens von Willkürlichkeit, Künst-lichkeit und Ideologielastigkeit derFrauen-Werbebilder gibt es?

Feministische Publikationen, sovor allem Periodika wie z.B. dieamerikanische ‘MS’ oder die deut-sche ‘Emma’ haben lange Zeit regel-mäßig besonders krasse, diskrimi-nierende Werbebeispiele abgedrucktund somit ‘vorgeführt’. Hier wur-de eine Methode zum Einsatz ge-bracht, die die ursprüngliche Inten-tion der Anzeige durch die Platzie-rungen in einen radikal anderenKontext unterläuft und sie der Kri-tik, dem Spott einer bereits ‘vorge-warnten’ Gruppe preisgibt (denfrauenbewegten Leserinnen). Durchdie Regelmäßigkeit des Erscheinenseiner solchen Kolumne in einer fe-ministischen Zeitschrift und durchdie damit ermöglichte Kumulierungähnlicher oder gleichgestrickter Wer-bemaschen mit Frauen wird dieWillkürlichkeit und Künstlichkeitdieser Bilder viel anschaulicher alsin ihrer normalen publizistischenEinbettung. Das gleiche Prinzip nurauf breiterer Grundlage verfolgenAusstellungen und Videofilme, diebesonders typische und gleichför-mige Fraueninszenierungen vorfüh-ren (z.B. Kilbourne 1979, 1992;Schmerl /Fleischmann 1980; Grieß-hammer 1994; GleichstellungsstelleDresden 2002). Sie erreichen brei-tere Rezipientenkreise als nur die Le-serinnen feministischer Zeitungen.

Andererseits sollte die Sprache alsMittel der Auflösung, des Durch-dringens und des Demontierens ei-nes visuellen Bildes, einer visuellen

Page 26: Anina Mischau, Redaktion · 2011. 11. 30. · Anina Mischau, Redaktion EDITORIAL. IFF-Info Zeitschrift des Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrum (IFF) 20. Jahrgang / Nr.25

Christiane Schmerl

26

Geschichte nicht unterschätzt wer-den. Eine verblüffende Erfahrungder völlig veränderten Wirkung vonWerbebildern ist dadurch erzielbar,dass man in der guten alten Art derBildbeschreibung eine Print-Anzei-ge einfach sprachlich wiedergibt.Allein die klare Benennung von Bild-aufbau, von Eigenschaften, Haltun-gen, Aktivitäten und Aussehen derabgebildeten Personen bringt einenSchub in Richtung Ernüchterung,Banalisierung und auch Ridiküli-sierung. Dieser ist ausschließlich demsprachlichen Dingfestmachen, derder Sprache möglichen Klarheit, dermöglichen Benennung von Ambi-valenzen, Gefühlen und Widersprü-chen geschuldet, wie sie auf einernur visuell-emotional wirkendenErlebnisebene der reinen Bild-Re-zeption spontan nicht gegebensind. Am besten wirkt dieses Ver-fahren, wenn man einem Zuhörerein solches Werbebild verbal schil-dert, ohne dass es gleichzeitig zu se-hen ist (vgl. vorn).

Die in einer übertriebenen Wer-beinszenierung steckende Künstlich-keit und Lächerlichkeit wird durchdas Medium Sprache sofort deut-lich, während der optische Eindruckallein zunächst nur Emotionen an-spricht – z.B. die Empfindungenvon Schönheit, Exotik und sexuel-ler Einladung. Die Beschreibung deroptischen Auslöser und der damitangestrebten Gefühle, sowie die er-nüchternden Benennung der ‘Seife’,die dadurch verkauft werden soll,lässt den faulen Zauber platzen. Die-ses Verfahren ist höchst wirksam beiallen Werbebildern und Bildge-schichten. Es lässt sich zwar didak-tisch nur am jeweiligen Einzelfall ein-setzen (etwa im Schulunterricht, vgl.BMFJ 1994) und nicht auf gleicherEbene wie die massenweisen Frau-eninszenierungen der Werbung,trifft aber medienpädagogisch aufpositive Resonanz bei SchülerInnen.

Zum Zweck der öffentlichen Auf-merksamkeit hat sich ein anderesVorgehen der Demontage vonWerbeintentionen als hilfreich erwie-sen: Die witzige, gegen den Strichbürstende Kommentierung von öf-fentlichen Plakatwänden durchSprayerinnen. Jill Posener (1986), diesolch öffentliche Graffiti jahrelangin Großbritannien und Australienphotographiert und publiziert hat,gibt eine Menge schlagender Bei-spiele für diese Methode der Um-Deutung: Das Plakat einer extrava-gant gekleideten Frau, die auf demDach eines Fiat liegt und die Titel-zeile „Er ist so praktisch, Liebling“in den Mund gelegt bekam, kannnicht mehr in der vorgedacht stereo-typen Art rezipiert werden, wenndaneben gesprayt steht: „Wenn ichnicht auf Autos liege, bin ich Neu-rochirurgin.“ Eine bekannte, blond-gelockte Nachrichtensprecherin imschulterfreien Abendkleid, die einenebenso bekannten männlichenNachrichtensprecher im Harald-Juhnke-Look küsst (um auf einenlokalen TV-Sender aufmerksam zumachen) und ihn fragt „Was machstDu heute Abend nach der Arbeit?“bekommt mit der darunter ge-sprühten Antwort „... gehe in dieLesben-Bar“ eine Perspektive ver-passt, die die keimfrei-heterosexu-elle Abend-Party-Kostümierung derbeiden TV-Stars erfrischend an-knackst. Das öffentliche Um-Schrei-ben von Werbewänden ist eine vonFeministinnen und Künstlerinnen seitlängerer Zeit gepflegte Tradition,die sich zunehmender Beliebtheit er-freut, und die darüber hinaus sogareigens hergestellte Werbewände undPlakatserien mit Frauenbildern um-fasst (z.B. in Deutschland: RitaBleschoefski 1989; Beate Ortmeyer1989, u.v.a., vor allem Studentinnenvon Kunsthochschulen und Fach-hochschulen für Design).

Die Strategien von Frauen und

von Feministinnen, die solcherartden von der Werbung reinstalliertenGeschlechter-Codes widersprechen,sind bei weitem nicht so verbreitet,so allgegenwärtig und so finanzkräf-tig wie der von ihnen gepiesackteGoliath. Daher gibt es auch Stim-men, die aus Gründen dieses Un-gleichgewichts Zweifel an der De-kodierbarkeit der Male-stream Wer-bung haben. Diese Zweifel lassensich nicht durch Logik ausräumen– da ja die Machtverhältnisse geklärtsind –, sondern vermutlich nur ‘bydoing’. Es könnte gut sein, dass dieo.a. Nadelstiche im Meer der vonvielen als langweilig und lästig emp-fundenen Werbung doch so etwaswie das Salz in der Suppe bilden,d.h. proportional mehr und andereAufmerksamkeit erregen als die all-tägliche Werbeflut.

Ein anders geartetes Argumentvon SkeptikerInnen bleibt dennauch ernster zu nehmen: die Zwei-fel, ob die kulturell dominante Les-art des Zeichens ‘Frau’ – d.h. dieallen geläufigen Diskurse über Frau-en und Sexualität, Frauen und Na-tur, Frauen und Passivität, Schönheit,Ding, Luxus, Gewalt, Käuflichkeit,Abhängigkeit, Dienstbarkeit etc., etc.– nicht bereits zu unauslöschlich ver-ankert sind, um sie wirksam zu kon-terkarieren, und ob darüber hinausdie Werbung nicht inzwischen diefeministische Empörung bereits ein-kalkuliert für die von ihr gewünschteöffentlichen Aufmerksamkeit. Da-bei geht es sowohl um die Vorfüh-rung von Feministinnen als spießig,puritanisch und dogmatisch, damitman sich selbst als Tabubrecher,Provokateur und mutiger Künstlerprofilieren kann. Zum anderen gehtes auch um das schon geschildertenotwendige ‘Eintauchen’ in denmännlichen Text ‘Frau’, dessen Ver-ständnis der/m Rezipierenden ersteinmal die nötige männliche Per-spektive abverlangt, um seine Be-

Page 27: Anina Mischau, Redaktion · 2011. 11. 30. · Anina Mischau, Redaktion EDITORIAL. IFF-Info Zeitschrift des Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrum (IFF) 20. Jahrgang / Nr.25

Männliche Reflexe, weibliche Reflexionen: Werbung mit Frauenbildern

27Info 20.Jg. Nr.25/2003

deutung zu erfassen und seine Wi-dersprüche zu lokalisieren.

Hinzu kommen die Faktoren Äs-thetik und Vergnügen. Wenn Wer-bung schöne erstrebenswerte Bildervon Menschen und Dingen – undso auch von Frauen – vorführt, soist dies nicht nur ein gewaltsam über-gestülpter Prozess, sondern zu be-stimmten Teilen werden die dortversprochenen Freuden und An-nehmlichkeiten (Schönheit, Erfolg,Liebe) von den Zuschauerinnendurchaus als begehrenswert emp-funden. Ihr Wünschen und Trach-ten geht tatsächlich auf den Besitzschöner vergnüglicher Dinge oderauf das Erlangen von ‘weiblich’ de-finierten, attraktiven Eigenschaftenund Betätigungen.

Somit gibt es auch eine Reihe vonBedenken, was die Effektivität vonmöglichen Gegenstrategien gegendie von der Werbung verstärkten,rückwärts gewandten Geschlechter-bilder betrifft. In irgendeiner Weisenimmt man selbst als KritikerIn undDemonteurIn noch immer auf dievorgegebenen Geschichten und ihreAssoziationen Bezug; gleichzeitig istes sehr wohl möglich, diese durchSprache und Argumente zu entlar-ven.

Der Ausgang dieses ambivalen-ten Prozesses ist derzeit nicht abseh-bar, auch wenn die Machtverhältnis-se eindeutig sind. Nur die Praxis ei-nes ständig geführten Gegen-Dis-kurses kann ausloten, was möglichist – und das Feld den reaktionärenGeschlechter-Konstrukteuren wi-derstandslos zu überlassen, verbie-tet sich von selbst. Also: sprechenwir weiter davon.

LiteraturAtkin, C./Miller, N.: The effects of

television on children: Experimentalevidence, Paper presented to the MassCommunication Division of the In-ternational Communication Asso-

ciation, Chicago 1975.Bandura, A.: Lernen am Modell, Stutt-

gart 1976.Bandura, A./Ross, D./Ross, S.: Imita-

tion of film-mediated aggressivemodels, in: Journal of Abnormaland Social Psychology, 66,1963, S.3-11.

Barthel, D.: Putting on appearances:Gender and advertising, Philadel-phia 1988.

Bartos, Rena: The moving target: Whatevery marketer should know aboutwomen, New York 1982.

Bartos, Rena: Marketing für Frauenweltweit, Wien 1992.

Bleschoefski, Rita (Hg.): Werbewand inFrauenhand!, Hamburg 1989.

Bundesministerium Frauen und Ju-gend: Medienpaket „Gewalt gegenFrauen und Mädchen“. Unterrichts-vorschläge für Deutsch/Geschich-te/Sozialkunde/Geographie/Eng-lisch, Bonn 1994.

Cheles-Miller, R.: Reactions to maritalroles in commercials, in: Journal ofAdvertising Research, 15, 1975, S.45-49.

Courtney, Alice/Whipple, Thomas: Sexstereotyping in advertising, Lexin-gton 1983.

Craig, R.: The effects of television daypart on gender portrayals in tele-vision commercials: A content ana-lysis, in: Sex Roles, 26, 1992, S. 197-211.

Friedan, Betty: Der Weiblichkeitswahnoder die Selbstbefreiung der Frau,Reinbek 1986 (Original 1963).

Geis, F. et al.: TV commercials asachievement scripts for women, in:Sex Roles, 10, 1984, S. 513-525.

Gleichstellungsstelle Dresden: DerFrauenzoo der Werbung. Das Frau-enbild in der Werbung Dresden,Wanderausstellung, Dresden 2002.

Gilly, M.: Sex roles in advertising: Acomparison of television in Australia,Mexico, and the United States, in:Journal of Marketing, 52, 1988, S. 75-85.

Goffman, Erving: Geschlecht und Wer-bung, Frankfurt 1981.

Glogauer, W.: Die neuen Medien ver-ändern die Kindheit, Weinheim1993.

Grießhammer, Birke: „... und immerlockt das Weib“. 100 Jahre Werbungmit der Frau, Wanderausstellung,Erlangen 1994.

Heller, Eva: Frauen haben im Berufnichts zu suchen und zu Hausenichts zu tun – die neue Frau der80er Jahre, in: Schmerl, C. (Hg.): DerFrauenzoo der Werbung. München1992, S. 131-145.

Hering, Heide: Weibsbilder. Zeugnis-se zum öffentlichen Ansehen derFrau, Reinbek 1979.

Huston, A. et al.: Children’s compre-hension of televised features withmasculine and feminine conno-tations, in: Developmental Psy-chology, 20, 1984, S. 707-716.

Jennings, J. et al.: Influence of tele-vision commercials on women’s self-confidence and independent judge-ment, in: Journal of Personality andSocial Psychology, 38, 1980, S. 203-210.

Komisar, Lucy: Das Bild der Frau inder Werbung – die 60er Jahre, in:Schmerl, C. (Hg.): Der Frauenzooder Werbung, München 1992, S. 80-92 (Original 1971).

Kilbourne, Jean: Killing us softly:Advertising images of women,(Film), Cambridge (MA) 1979.

Kilbourne, Jean: Still killing us softly,(Film), Cambridge (MA) 1992.

Lovedal, L.: Sex role messages in tele-vision commercials: An update, in:Sex Roles, 21, 1989, S. 715-724.

Mazella, C. et al.: Sex role stereotypingin Australian television advertise-ments, in: Sex Roles, 26, 1992, S.243-259.

O’Bryant, C./Corder-Bolz, C.: Theeffects of television on children’sstereotyping of women’s work roles,in: Journal of Vocational Behavior,12, 1978, S. 233-244.

Page 28: Anina Mischau, Redaktion · 2011. 11. 30. · Anina Mischau, Redaktion EDITORIAL. IFF-Info Zeitschrift des Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrum (IFF) 20. Jahrgang / Nr.25

Christiane Schmerl

28

Ortmeyer, Beate: Werbematerialien imAuftrag des Bundesministeriums fürJugend, Familie, Frauen und Ge-sundheit zum 40jährigen Jubiläumdes Grundgesetzes. „Männer undFrauen sind gleichberechtigt“. Plakat-und Postkartenserie, Bonn/Frank-furt 1989.

Posener, Jill: Louder than words, Lon-don 1986.

Psaar, Gabriele: „Silvia“ und die Sehn-sucht der Frauen. Ursachen undGründe für den Konsum vonLiebesromanheften, in: Psychologieund Gesellschaftskritik, 15, 3/4,1991, S. 7-31.

Radway, Janice: Reading the romance.Women, patriarchy, and popularliterature, London 1984.

Schmerl, Christiane: FrauenfeindlicheWerbung. Sexismus als heimlicherLehrplan, Berlin 1980; Reinbek 1983.

Schmerl, Christiane: Das Frauen- undMädchenbild in den Medien, Opla-den 1984.

Schmerl, Christiane (Hg.): Der Frauen-zoo der Werbung. Aufklärung überFabeltiere, München 1992a.

Schmerl, Christiane: Thema Frau: dasDiskussionsniveau der deutschenWerber. Glaubensstark, prinzipien-fest und international 20 Jahre zu-rück, in: Schmerl, C. (Hg.): DerFrauenzoo der Werbung, München1992b, S. 260-278.

Schmerl, Christiane: Der Wahn-Sinn alsMethode, oder: Zweck heiligt Mittel,in: Schmerl, C. (Hg.): Der Frauenzooder Werbung, München 1992c, S. 260-278.

Schmerl, Christiane/Fleischmann, Gerd:Die Spitze des Eisbergs. Frauen-feindlichkeit in der Werbung. Wan-derausstellung, Berlin 1980.

Umiker-Sebeok, Jean: Die 7 Lebensalterder Frau – ein Blick auf die 70er Jah-re, in: Schmerl, C. (Hg.): Der Frauen-zoo der Werbung. München 1992, S.93-130 (Original: 1981).

Unesco: Influence of mass commu-

nication media on the formation ofa new attitude towards the role ofwomen in present day society, Gen-eva 1974.

Von Lobenstein, Hubertus: Streitge-spräch in der Zeitschrift „Insight“über ‘Frauenbilder in der Werbung’,No 7, 1994, S. 12-15.

Wyndham, D.: The portrayal of womenin advertising: Surveys and forum,in: Media Information Australia, 51,1989, S. 58-61.

Zurstiege, G.: Mannsbilder – Männlich-keit in der Werbung, Opladen 1998.

Prof. Dr. Christiane Schmerl, Fakultätfür Pädagogik, Universität Bielefeld,Postfach 100131, 33501 Bielefeld,Email: [email protected]

Page 29: Anina Mischau, Redaktion · 2011. 11. 30. · Anina Mischau, Redaktion EDITORIAL. IFF-Info Zeitschrift des Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrum (IFF) 20. Jahrgang / Nr.25

Geschlechtsblindheit oder Geschlechtssensibilität?

29Info 20.Jg. Nr.25/2003

Geschlecht ist paradox oder eineselbsterzeugte Unbestimmtheit:Man kommt der Sache Geschlechtnicht näher, wenn gleich zu AnfangGeschlecht abschließend definiertoder so getan wird, als wüssten alle,wovon man (frau) spricht1 . Mankann sich nicht durch Vermeidungentziehen, auch wenn wir uns als»geschlechtliche« Forscherinnen vor-stellen2 . In unserer Organisations-forschung, in der wir dieses Themamit dem Kunstgriff der Befrem-dung (Hirschauer/Amann 1997)offen und gleichzeitig verdeckt an-gegangen sind, stellten wir fest, dassauch die Organisationen und derenMitglieder gegenüber uns befrem-det sind. Es bleibt paradox. Undwie bescheiden die Forschungsfrageauch gestellt wird, es ist eine »gro-ße« Frage: Wo haben es Organisationenmit Geschlecht zu tun und in welcher Weisegehen Organisationen mit Geschlecht um?Wir sind davon ausgegangen, dassOrganisationen sensibel gegenüberGeschlecht sind. Dass sie Geschlechtdamit beachten und in ihren Pro-zessen und Handlungen eine Wir-kung und Folgen für die Geschlech-ter hervorbringen. Diese Charakte-risierung von Organisationen warder Ausgangspunkt dafür, unserForschungsinteresse einzugrenzenund uns davon zu befreien, den Or-ganisationen (allein) nachzuweisen,dass sie geschlechtssensibel sind.

Unsere Aufmerksamkeit lag aufdenjenigen Aktivitäten und Hand-lungen, die eine Integration vonFrauen und Männern auf allen Ebe-nen der Organisationen bewirkten,beiden Geschlechtern breite Verhal-tensmöglichkeiten auf egalitärer Ba-sis ermöglichten, was wir als »posi-tive Ansätze« bezeichneten. Unterdem Titel der Geschlechterkulturbegannen wir eine Suche nach den»sensiblen Stellen« der Organisatio-nen, hinter vorgehaltener Hand eineVariabilität und verschiedene mög-lichen Ausprägungen vermutend,vorausdenkend und einräumend.

Geschlechterprobleme werdenoft auf Frauenprobleme »zuge-kürzt«. Nicht verwunderlich ist eineForderung nach Dekonstruktionund Etablierung von Aufmerk-samkeitsstrukturen für die Ge-schlechterthematik in Organisatio-nen: Verschleierte Geschlechter-differenzen sollen artikulierte Kon-troversen werden, Geschlecht soll inEntscheidungsprozesse und rou-tinisierte Abläufe integriert und ge-schlechtsblinde Akteure zu ge-schlechtssensiblen werden. Und die-se Forderungen haben ja inzwischeneiniges ausgelöst, man denke nur andie sprunghaft ansteigende Institu-tionalisierung von Chancengleich-heitsprogrammen wie GenderMainstreaming. Dagegen steht un-sere Aussage, dass in Organisatio-

nen Geschlecht schon lange »drin«ist. Eine durchgängige Konstrukti-on einer Differenz von Frauen undMännern gewährleistet nicht mehrdie Legitimierung des Ausschlussesvon Frauen aus Arbeitsbereichen,-tätigkeiten und -positionen. Orga-nisationen leisten kulturelle Arbeit,in der weder ausschließlich Biolo-gie überstrapaziert wird, noch vonGeschlechtsblindheit die Rede seinkann. Geschlechterdifferenzen sindnicht beobachtungsunabhängig.Frauen und Männer sind Konstruk-tionen einer Realität, die auch aufandere Weise, ausgehend von ande-ren Unterscheidungen, konstruiertwerden können. Daher regen wirmit der »geschlechtssensiblen Orga-nisation« eine Kurskorrektur vonGeschlechterprogrammen3 an. Dielogischen Grundlagen dieser Pro-gramme scheinen geklärt, aber inihrem Durchsetzungsvermögen undin ihren praktischen Folgen sind siedahingehend zu hinterzufragen, in-wieweit sie den geschlechtlichenBlick, die Reduzierung von Ge-schlecht auf Frau und altbewährtekulturelle Muster der Differenzenzwischen Frauen und Männern er-neut zum Blühen bringen, also eherkontraproduktiv wirken.

Im Folgenden möchte ich das„Blühen der Differenzen“ an Er-gebnissen aus unserer Studie aufzei-gen. Die These der geschlechtssen-

Marion Franke

Geschlechtsblindheit oder Geschlechtssensibilität?(Arbeits-)Zeit im Forschungsprogramm Organisation-Kultur-Geschlecht

Im Forschungsfeld Organisation Kultur Geschlecht lassen sich in einer qualitativen Studie in neun Organisationenin Deutschland mit der These der Geschlechtsensibilität in und von Organisationen verschiedene Aufmerksamkeitenentziffern. Mit einem systemtheoretischen Ansatz, einem ethnographischen Sehen und einem konstruktivistischenDenken kann am Beispiel von Arbeitszeitdiskussionen und -forderungen zu Teilzeit im Management von Organi-sationen ein konstituierender Blick entlarvt werden, der Frauen in Teilzeit und Männer in Vollzeit zwingt. Derblinde Fleck wird deutlich, wenn Teilzeitmänner und Vollzeitfrauen aus der Wahrnehmung verschwinden. Geschlechter-programme leisten dazu ihren Beitrag.

Page 30: Anina Mischau, Redaktion · 2011. 11. 30. · Anina Mischau, Redaktion EDITORIAL. IFF-Info Zeitschrift des Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrum (IFF) 20. Jahrgang / Nr.25

Marion Franke

30

siblen Organisationen soll unter-mauert werden. Dazu skizziere ichzunächst einige Aspekte zu denStichworten: Organisation als sozia-les System, Geschlechterkultur, For-schungsprogramm. Ein Exkurszum Konstrukt der Blindheitschließt die theoretischen Überle-gungen ab. Anschließend werde ichdann am Beispiel von Zeit in Orga-nisationen, den nicht intendiertenBeitrag von Geschlechterprogram-men zur Konstruktion von Ge-schlechterdifferenzen aufzeigen undzwar mit einem Fokus auf das Ma-nagement von Organisationen undden ManagerInnen in Organisatio-nen. Deutlich wird hier wie Orga-nisationen sich mit Geschlecht be-schäftigen, d.h. wie sie Geschlechtorganisieren und welche Auswir-kung dies auf den Aufstieg vonFrauen in Topmanagementposi-tionen hat. Es werden die Kostenfür die Frauen – die Teilzeitfalle –und der Nutzen für die Männer –die Pflege der firewalls4 – in Orga-nisationen thematisiert.

Organisationen als sozialeSystemeOrganisationen werden als sozialeSysteme bezeichnet und deren Ein-heit Kommunikation bzw. Entschei-dung genannt. In sozialer System-referenz haben wir es mit Produk-tion und Reproduktion von Kom-munikationen zu tun und mit einerbestimmt gearteten Verkettung vonKommunikationen. Auf der Basisvon Entscheidungen, die differenz-erzeugende Operationen sind, ent-wickeln Organisationen ihre eigeneSpezifizität und diese Spezifizierungist die Ausprägung von Grenzen, diedie Organisationen von ihrer Um-welt unterscheidet. Erst diese rele-vanten Unterscheidungen, die eineOrganisation kommunikativ be-gründen, führen zur Konstruktivitätder Unterscheidungen, die die Or-

ganisationen hervorbringen können,und sie als das schaffen, was sie sind(vgl. u.a. Luhmann 1984, 1999,2000, Wolff 1999). Demnach sindOrganisationen soziale Systeme, diesich Geschlecht als Anlass und Ge-genstand ihrer Kultur wählen undgleichzeitig offen für Themen undAnlässe sind, aber geschlossen inbezug auf die Form von Ge-schlecht. Grundlegend ist, dass Or-ganisationen sich »vor« Geschlechtin Sicherheit bringen, von der Un-gewissheit zu einer Gewissheit odervon einer Mehrdeutigkeit in eineEindeutigkeit. Damit ist das ThemaGeschlechterkultur von Organisa-tionen umrissen. Orientierungenoder sog. Entscheidungsprämissensind ein Gemisch von letztlich zwei-wertigen Unterscheidungen, mitderen Hilfe die Grenzen einer Or-ganisation auf der Innenseite arti-kuliert werden. Metaphorisch wirktGeschlechterkultur wie ein Spiegel,in dem sich die Organisation erkenntund die strukturellen Bedingungenfür die Weiterführung ihrer eigenenHandlungen sichtbar werden. Hin-ter allen Beobachtungen und Be-schreibungen treten Paradoxien (sichselbst unbezeichenbar machen müs-sen, um etwas bezeichnen zu kön-nen) oder performative Widersprü-che auf, die durch Unterscheidun-gen entfaltet werden, so dass manim Weiteren mit der Unterscheidungarbeiten und damit diesen Wider-spruch verdecken kann. Die Entfal-tung einer Geschlechterkultur ist dieAntwort der Organisation, die nachwie vor geschlechtlich strukturiert ist,auf die Zumutung sich nicht mehrgeschlechtlich zu strukturieren. MitKultur kann Geschlecht zur Kennt-nis genommen werden. Kultur isteine Beobachtungsstruktur, die Ge-schlecht verzichtbar und unersetzbarzugleich in der Organisation selbstvorführt und zur Disposition stellt.

Das Forschungsprogramm:Organisation Kultur GeschlechtDamit ist das Spielfeld eröffnet, indem die empirische Untersuchungder Geschlechtssensibilität von Or-ganisationen zunächst theoretischund in bezug auf das Forschungs-programm verortet ist. Eine sozio-logische Systemtheorie kann, daselbst mit hoher Komplexität aus-gestattet, einen angemessenen theo-retischen und methodologischenRahmen liefern, in dem der kom-plexe Zusammenhang Organisationbeschrieben wird. Eine »Liaison«mit dem Potential systemischer Zu-sammenhänge von Organisationund Kultur sowie einer konstrukti-vistischen Denkweise »stattet« dieForscherin mit einer Arbeitsweiseaus, mit der sie an soziale Phäno-mene wie Organisationen in ihrenGeschlechterkulturen und ihremVerständnis geschlechtlicher Unter-scheidung beständig herantretenkann. Praktisch ist die empirischeStudie eine ethnographische Studie.Im Mittelpunkt des Forschungs-programms steht die Anwendungeines reflektierten Ansatzes qualita-tiver Forschung: Die GroundedTheory mit ihrem wesentlichen Ele-ment des Theoretical Sampling (vgl.Glaser/Strauss 1967, Glaser 1979,Strauss/Corbin 1996). Die Studiewurde in den Jahren 1998 und 1999in neun Organisationen in Deutsch-land durchgeführt. Wir versuchtenzu entdecken, wo (Geschlechts-)Sensibilität in Organisationen ent-steht, wo (Geschlechts-)Sensibilitätals solche zu erkennen ist und wel-che Auswirkungen dies auf denAufstieg in Managementpositionenhat. Wir stellten uns die Frage: Whatthe hell is going on her?5 Eine Strategie,die in der Erforschung der Organi-sationen angelegt wurde, bezeichne-ten wir als Kosmographie.Das kosmographische Verfahrengründet auf eine Konstruktion des

Page 31: Anina Mischau, Redaktion · 2011. 11. 30. · Anina Mischau, Redaktion EDITORIAL. IFF-Info Zeitschrift des Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrum (IFF) 20. Jahrgang / Nr.25

Geschlechtsblindheit oder Geschlechtssensibilität?

31Info 20.Jg. Nr.25/2003

Kosmos (siehe Konstruktion 1), derals eine künstliche Einheit begriffenund durch den alle Organisationenumspannenden Begriff der Ge-schlechterkultur geschaffen wird6 .Organisationen werden als Räume

vorstellbar und damit begrenzbar.Rekonstruiert wird die Herstellungeines Zustandes, der weiterhin imWerden begriffen ist (Geschlechter-ordnungen). Geschlecht ist nichtschlicht da oder nicht da, sondernein in der Wirklichkeit von Organi-sationen hergestelltes Phänomen.Das Geschlecht hergestellt ist, ist si-cherlich keine Neuigkeit mehr, aberwas sich dahinter aus der Sicht vonOrganisationen verbirgt, bleibt bisjetzt wenig ausgeleuchtet. In Orga-nisationen verankert und in Orien-tierungs- und Wertstrukturen abge-lagert (Geschlechterkulturen), istGeschlecht als »hergestellt« wirklich.Es steht dem zukünftigen Handelnund den Entscheidungen der Or-ganisationen grundsätzlich offen,wenn auch nicht wirklich praktisch.

Das Konstrukt der Blindheit –ein ExkursBlindheit ist die Feststellung oderBeobachtung, dass jemand oder et-was »nicht sehen« kann7 . Die Un-terscheidung sehend (erkennend)

und blind impliziert dieUnterscheidung Wahr-nehmung – Nicht-Wahr-nehmung, wobei dieNicht-Wahrnehmungselbst nicht wahrgenom-men werden kann. Eineandere Umschreibung istder blinde Fleck8 . Einepartielle Form der Blind-heit – z.B. bezogen aufGeschlecht oder ge-schlechtsbezogene Fakto-ren – begründet oderrechtfertigt, dass jemandvon sich selbst behauptet,dem Geschlecht gegen-über neutral zu sein, oderetwas als geschlechts-neutral bezeichnet wird.

Häufig geschieht dies gerade gegen-über Organisationen, sie werden alsgeschlechtsneutrale Systeme/Gebil-de bezeichnet, die geschlechtsneu-trale Arbeitskräfte beschäftigen, diegeschlechtsneutrale Fragestellungenbearbeiten und geschlechtsneutraleProbleme lösen. Der Mythos derGeschlechtsneutralität ist lebendig inder Vorstellung von Organisationenals »an sich« geschlechtslose oderentsexualisierte Gebilde. Ge-schlechtsspezifische Differenzensind in diesen Vorstellungen wederkonstitutiv für die Organisationenund ihre Strukturen, noch spielen sieeine systematische Rolle als Eigen-schaft der Organisationsmitgliederin organisatorischen Prozessen (vgl.Hearn/Parkin 1987, Acker 1991,Rastetter 1994, Wilz 2001). Die ent-gegengesetzte Position, geht vonvergeschlechtlichten Organisationenaus (z.B. Acker 1992, 1999). Or-ganisationen können »keine Inseln

der Neutralität innerhalb eines durchGeschlecht strukturierten Umfeldesdarstellen« (Wilz 2001, S. 99). DieAufmerksamkeit für »genderedorganizations« entwickelt sich hieraus einer gesellschaftlichen Perspek-tive der sozialen Ungleichheit vonFrauen und Männern und der Her-stellung sozialer Ordnung durchgeschlechtliche Klassifikation undDifferenzierung.

Geschlechtsblindheit als Blindheitgegenüber der Tatsache, dass Ge-schlecht eine bedeutsame Rolle inder Beschreibung oder Erklärungsozialer und gesellschaftlicher Phä-nomene spielt, ist ein Vorwurf, denFeministinnen und zwischenzeitlichauch Männerforscher gegen dieWissenschaften erheben (vgl. Lan-ge 1998, Meuser 1998, Müller 1999,Wilz 2001). Die Ausklammerungvon Geschlecht als Kategorie undDimension wird als Ausdruck dergesellschaftlichen Verhältnisse zwi-schen den Geschlechtern gedeutet,die es zu verändern gilt. Geschlechtin die Wissenschaften hineinzuschrei-ben, verspricht die Aufhebung derUnsichtbarkeit der Frauen und dieErhellung derjenigen vergeschlecht-lichten Prozesse und Strukturen, diedie Macht- und Ungleichheits-verhältnisse zwischen Frauen undMännern bedingen. Der Vorwurfdes Blindseins trifft Personen, Insti-tutionen oder soziale Systeme. Eswird von geschlechtsblinden Han-delnden, von geschlechtsblindenWissenschaften oder von ge-schlechtsblinden Organisationen ge-sprochen (vgl. Brück et al. 1992,Müller 1995, 1998). Eine Überwin-dung der Geschlechtsblindheit, d.h.eine »größere Geschlechtersensi-bilität«, – so die Vorstellung – trägtzu »interessanterer und ertrag-reicherer Forschung« bei (Wilz 2001,S. 98).

Geschlechtsblindheit als ein Aus-druck der Wahrnehmungs- oder

Konstruktion 1: Der Kosmos

Page 32: Anina Mischau, Redaktion · 2011. 11. 30. · Anina Mischau, Redaktion EDITORIAL. IFF-Info Zeitschrift des Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrum (IFF) 20. Jahrgang / Nr.25

Marion Franke

32

Beobachtungsfähigkeit in bezug aufGeschlecht ist eine selektive Wahr-nehmung in dem Sinne, dass siemeist unbewusst und deshalb nichtkommunizierbar ist. Nur eine Be-obachterIn (zweiter Ordnung) von»Blinden« kann sie als Nicht-Wahr-nehmung, als blinden Fleck diagno-stizieren9 . Um etwas sehen und er-kennen zu können, werden Unter-scheidungen vorgenommen, dieeine Seite der Unterscheidungpräferieren, die andere im Dunkelnlassen (vgl. Luhmann 1996). Ge-schlechtsblindheit führt also zur Fra-ge nach den zugrunde liegendenUnterscheidungen, eine Unterschei-dung beispielsweise zwischen denGeschlechtern, zwischen Frau –Nicht-Frau etc. Hier findet sich eineLeistung der Beschreibung vonGeschlecht, die ihrerseits vorausge-setzt wird, ohne sie kenntlich zumachen. Der Blindfleck ist konsti-tutiv für das, was eben gesehen wird,was an dessen Stelle markiert odernicht markiert wird. Die Nicht-Wahrnehmung oder Nicht-Beach-tung lässt trotzdem ein »vollständi-ges Bild« von Geschlecht zu. Soführt der Bezug auf Geschlechts-blindheit zwei »Unterstellungen« mitsich. Zum einen wird unterstellt, dassGeschlecht für Organisationen kei-nen Belang hat bzw. für ihre Mit-glieder keine Grundlage zum Han-deln darstellt (weil keine Wahrneh-mung für Geschlecht vorhanden ist).Zum anderen fördert die Ge-schlechtsblindheit, die den Organi-sationen und ihren Mitgliedern »an-haftet«, eine andere Sicht auf dieWelt, eine Interpretation zutage, diezur einseitigen Sicht auf Geschlechtführt (Geschlecht findet damit dochBeachtung). Geschlechtsblindheitkann somit verbunden mit einerspezifischen Sensibilität sein, die ih-rerseits auf bestimmten Interpreta-tionen oder Reflexionen beruht.

Mit der Konstatierung der Ge-

schlechtsblindheit werden nun Stel-len offen gelegt und die Aufmerk-samkeit für Geschlecht als notwen-dig deklariert, um die soziale Rele-vanz von Geschlecht in den ver-schiedensten gesellschaftlichen undwissenschaftlichen Bereichen aufzu-decken. Weist die Sensibilisierung fürdie Bedeutung von Geschlecht aufviele positive Reaktionen hin (z. B.Blickerweiterung in empirischenUntersuchungen, Infragestellungvon wissenschaftlichen Standardsetc.), so verbindet sich damit jedochauch:• eine zum Teil recht unreflektierte

Übernahme von politisch kor-rekten Standards, z.B. der Hin-weis in vielen Büchern auf denGebrauch der Sprache;

• eine Tendenz zur Gleichsetzungvon Geschlecht = Frau, die da-durch noch gesteigert wird, dassüberwiegend Frauen »geschlech-tersensible« Fragestellungen bear-beiten

• und eine Überbetonung oder»Neuthematisierung« der Ge-schlechterdifferenz im Sinne ei-ner erhöhten Aufmerksamkeitfür den Unterschied von Frauenund Männern und anderes.

Geschlechtsblindheit kann nicht vor-ausgesetzt oder als Ergebnis voran-gestellt werden, sondern muss be-obachtet werden10 . Mit der Annah-me der »gendered organization«und »gendered processes« (JoanAcker) werden Organisationen nunu. a. daraufhin betrachtet, wie sieihre blinden Flecken »zurichten«. DasKonstrukt der Blindheit selbst wirddabei fallen gelassen11 . Blindheit alsThese oder Beobachtungskonstrukt,also die Unterscheidung zwischenblind und nicht blind, sagt nochnichts über die faktische Bedeutungoder Bedeutungslosigkeit von Ge-schlecht für die »Blinden« und die»Sehenden« aus. Es wirkt abschlie-ßend und einseitig, in dem Sinne,

dass der Blick auf Frauen gerichtetwird und der Blick auf Geschlechtund die damit ablaufenden Prozes-se mehr verstellt als freigegebenwird. Sensibilität dagegen stellt eineÖffnung dar für Geschlecht, vertre-ten durch Frauen wie Männer, undfür die Frage nach der Praktizierungvon Geschlecht bzw. danach, wasdie Wirklichkeit von Geschlecht aus-macht. Von Sensibilität zu sprechen,eröffnet also die Möglichkeit derSuche und Offenlegung von Stel-len, an denen auf Geschlecht Be-zug genommen wird. Dabei be-inhaltet Sensibilität keine Vorab-definition dessen, was Geschlechtbedeutet.

Gewonnen ist eine »neue« Positi-on der Betrachtung, mit dem Be-griff selbst ist jedoch nichts zemen-tiert.

Hier schließt sich nun der Begrün-dungszusammenhang für die The-se von geschlechtssensiblen Orga-nisationen. Sie wird den Vorstellun-gen der geschlechtsblinden Organi-sationen entgegen gestellt. DennOrganisationen beachten Geschlechtin je spezifischer Weise und bettenes in ihre Strukturen und Prozessenein (Sensibilität der Organisationund ihrer Mitglieder = Organisa-tionssensibilität). Damit geht dieForscherin einen Schritt zurück in-dem sie empirisch erfasst, in wel-cher Weise Organisationen für Ge-schlecht sensibel sind, welche Ge-schlechterprogramme in den Orga-nisationen »gefahren« werden, wel-

Thesen:• Organisationen haben eigene

Vorstellungen von und An-nahmen über Geschlecht

• Organisationen sind ge-schlechtssensibel

Page 33: Anina Mischau, Redaktion · 2011. 11. 30. · Anina Mischau, Redaktion EDITORIAL. IFF-Info Zeitschrift des Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrum (IFF) 20. Jahrgang / Nr.25

Geschlechtsblindheit oder Geschlechtssensibilität?

33Info 20.Jg. Nr.25/2003

che fire-walls, d. h. welche Abwehr-strategien in den Organisationenund/oder im Management vonOrganisationen installiert sind, umFrauen aus Führungs- und Nach-wuchspositionen herauszuhalten.Glass ceilings und glass walls müs-sen als hoch geschlechtssensibleStrukturen in Organisationen inter-pretiert werden, weil sie nur be-stimmte« Organisationsmitgliedertreffen bzw. beschäftigen. Die Theseder geschlechtssensiblen Organisa-tionen soll helfen, den Blick zu er-weitern.

An dieser Stelle soll nun auch eineDefinition von Geschlecht vorge-nommen werden. Blumer (1979)plädiert für die Metapher »denSchleier lüften«. Aufgabe wissen-schaftlicher Untersuchung ist es, denSchleier zu lüften, der das Gesche-hen verdunkelt oder verdeckt.Schleier werden nicht gelüftet, wenndie ForscherIn ihre »vorfabrizier-te(n) Bilder an Stelle von Wissen auserster Hand einsetzt« ( ebd., S. 53).

Lüften wir den Schleier mit einerDefinition von Geschlecht, die nachunserer ethnographischen For-schung aus der Feldphase herausentstanden ist:Geschlecht ist ein »Ergebnis« sozialerProzesse, das in Handlungen (Interak-tionen) und kulturellen Ordnungen her-vorgebracht wird. Sichtbar sind Frauenund Männer als RepräsentantInnen vonGeschlecht, weniger sichtbar sind die»Orte« in Organisationen, an denen Ge-schlecht auffindbar ist. Die Bedeutsamkeitvon Geschlecht muss erst im Kontext derOrganisation aufgespürt werden.Mit dieser Definition geht eine Ab-grenzung einher. Geschlecht wird alsErgebnis permanenter sozialerKonstruktionsprozesse aufgefasst,die die Realität durch Handeln un-ter der Prämisse der Zweige-schlechtlichkeit erst erzeugen. Imalltäglichen Handeln stellt Geschlecht– meist unbewusst und selbstver-

ständlich – eine spezifische »Res-source« zur Strukturierung sozialerFelder dar.

Zeit in OrganisationenSchauen wir nun auf dieDaten der Kosmogra-phie: Zeit in Organisa-tionen wird neben ande-ren Optimierungsgrös-sen wie Kosten undQualität gestellt. Diese –häufig in einem „ma-gisch verbundenenDreieck“ dargestellt –werden als die bestim-menden Faktoren fürden Erfolg eines Unter-nehmens angesehen.Prinzipiell werden sie alsgegenläufig zueinandereingestuft, „denn beimVersuch, eine der Ziel-größen zu optimieren,wird nur allzu oft derErfüllungsgrad einer an-deren Zielgröße ver-schlechtert“ (Braun1996, S. 11f.). Zeit ent-puppt sich als Wettbewerbsfaktornicht nur für die profitorientiertenOrganisationen. Auch die Non-Pro-fit Organisationen, die sozialen Or-ganisationen haben den Faktor Zeitim Wettbewerb mit der Konkurrenzentdeckt bzw. erkannt. Die Kund-Innen- und Dienstleistungsorien-tierung erfordert bedarfsorientier-te Arbeitszeiten und Reaktionszei-ten. Dezentralisierung und Ent-hierarchisierung erfordern breitge-fächerte Kompetenzen der Mitar-beiterInnen und setzen auf Team-und Gruppenarbeit, die wiederumZeitabsprachen und die Fähigkeitzur Selbstorganisation der Beschäf-tigten voraussetzen. Marktwirt-schaftliche Strukturen sind eng ver-bunden mit Halbwertzeiten vonWissen und der permanenten fach-lichen Qualifikation der Organisa-

tionsmitglieder.Zeit in Organisation – Arbeits-

zeit – kann als aktuelle Sensibilitätvon Organisationen entziffert wer-den. In allen Organisationen im

Kosmos (vgl. Konstruktion 2) ist dieFlexibilisierung der Arbeitszeit unddie Entkoppelung der Arbeitszeitvon der Betriebszeit12 ein Thema.Alle Organisationen beschäftigensich mit der Veränderung ihrer(Arbeits-)Zeitmodelle. Die Verände-rungen der Arbeitszeitmodelle sind vongravierender Natur und gehen zumTeil einher mit der Veränderung derZeitdokumentation und/oder Kontrol-le der Anwesenheit von MitarbeiterInnenin der Organisation. Gleichzeitig ist/wird die Flexibilisierung der Zeit mitder Flexibilisierung von Menschenverbunden. Ein modernes Personal-management zielt auf die Qualifikationund die zeitliche wie räumliche Flexibili-tät der MitarbeiterInnen ab. Also, nichtnur die Veränderung der Struktu-ren, sondern auch die Veränderungder Menschen ist ein Thema in den

Konstruktion 2: Organisationen im Kosmos

Page 34: Anina Mischau, Redaktion · 2011. 11. 30. · Anina Mischau, Redaktion EDITORIAL. IFF-Info Zeitschrift des Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrum (IFF) 20. Jahrgang / Nr.25

Marion Franke

34

Organisationen. Eine ganzheitlicheSicht auf die Organisation, flexibi-lisiert die Menschen und die Orga-nisation.

Keine der aktuellen Veränderun-gen bezüglich der Neuausrichtungder Arbeitszeit hat einen geschlecht-lichen Ursprung. Die Flexibilisierungder Arbeitszeit wird also als einwichtiges Thema angesehen, ohneetwas Besonderes für Frauen undMänner tun zu wollen. In vielen Or-ganisationen heißt das Thema „Ko-stensenkung auf Teufel komm raus“ undes geht um Maßnahmen zur Standort-sicherung oder Sanierung des Unterneh-mens. Die neuen Arbeitszeitvariantenerhöhen den Dispositionsspielraumfür die Organisation und/oder dieOrganisationsmitglieder. Trotzdemzeigt das Thema Arbeitszeit die Ge-schlechtssensibilität von Organisatio-nen, wie im Folgenden noch deut-lich werden wird.

(Teil-)Zeit(be)rechnungenZeit in Organisationen wird überTeilzeit und Vollzeit kommuniziertund über Frauen und Männer. Da-bei zeigen sich Auffälligkeiten aufder individuellen und organisatio-nalen Wahrnehmungsebene, wasdenn Vollzeit und Teilzeit ist. Es zeigtsich die große Bedeutung einerGrenzziehung durch die geregelteBerechnung einer Organisation undder ihr zugrundegelegten Messlatteund/oder die geregelte Berechnungeines Organisationsmitgliedes unddes ihr zugrundegelegten Maßsta-bes. Und es zeigen sich die Berech-nungen der Forscherin(nen). Ge-meinsam ist den verschiedenen Be-teiligten ein konstituierender Blick.Differenzen zwischen verschiedenenVarianten gehen dabei ebenso ver-loren, wie Differenzen zwischen derSelbstdefinition welches Arbeitszeit-modell man (frau) denn arbeitet.Gleichzeitig geraten die Unterschie-de zwischen Frauen (also jungen

Frauen, homosexuellen Frauen,Führungsfrauen, Müttern etc.) undzwischen Männer (z.B. Vätern, aus-ländische Männern, alte Männernetc.) aus dem Blick. Die Palette wirdletztendlich reduziert auf ein Vierer-modell.

Es passiert aber noch etwas: DieGegenüberstellung von Teilzeit undVollzeit, sowie Frauen und Männerbündelt das Sehen auf Teilzeit fürFrauen und Vollzeit für Männer (sie-he Konstruktion 3). Über Teilzeitund Vollzeit wird in den Organisa-tionen kommuniziert als Vollzeit, diedie scheinbare Normalität für Män-ner ist und als Teilzeit, die die schein-

bare Normalität für Frauen ist.Frauen in Vollzeit und Männer inTeilzeit werden als Ausnahme wahr-genommen. Markierungen vonFrauen und Markierungen vonMänner können jedoch als Kon-struktionen der Organisationen, derOrganisationsmitglieder und derOrganisationsforscherIn(nen) ent-larvt werden und der blinde Fleckim Sinne des Joharifensters wirddeutlich, wenn der Blick auf Orga-nisationen nur Frauenteilzeit undMännervollzeit erfassen kann. Dasdies so ist, daran haben die Ge-schlechterprogramme einen wesent-lich Beitrag. Geschlechterstellen neh-men Frauen und Männer in den

Blick und Geschlechterprogrammeerzeugen einen Frauenblick.

Geschlechterprogramme inOrganisationenGeschlechterstellen managen Ge-schlecht in Organisationen. Die imKosmos (vgl. Konstruktion 1) be-findlichen Organisationen haben auseigener oder gesetzlicher Initiativeeinen Posten, der sich dem Ge-schlecht in Organisationen annimmt,geschaffen. Eine Gleichstellungsbeauf-tragte, ein Gleichstellungsarbeitskreis, einE-Quality Team, ein Frauenbüro, einFrauenarbeitskreis, ein Frauenrat, einFrauenförderkreis oder wie auch im-mer genannt – nur das gleiche fürMänner war nicht zu finden –nimmt sich der Sache Geschlecht an.Mit realen Frauen und Männernbesetzt, übernehmen die Institutio-nen die Aufgabe, den Faktor Ge-schlecht zu managen, Männer undFrauen zu fördern. Dies kann in ver-schiedener Weise erfolgen und mitverschiedenen Instrumenten über-prüft werden. Jedoch, so ist es wich-tig festzuhalten, gibt es »irgend-etwas«, was getan werden muss aufdiesen Stellen, damit sich die Ko-sten und die Arbeit legitimieren.Einmal installiert leisten die Ge-schlechterprogramme einen bedeu-tenden Beitrag. Über kurz oder langnehmen sie, die in den Organisatio-nen mehr oder weniger stark vor-handenen Diskriminierungen vonFrauen in den Blick. Der Anspruch,auf Geschlecht zu schauen, verkürztsich dabei „auf Frauen zu schauen“,weil die Vergleichsgröße der Män-ner scheinbar keine oder wenigeDiskriminierungen erlebt. Der fo-kussierte Blick der Organisationenist verbunden mit einer Bestands-aufnahme, die mit Zahlen operiert,d.h. mit sogenannten harten Fakten,die das Verhältnis von Frauen zuMännern ausdrücken, um Forde-rungen stellen zu können oder Ver-

Konstruktion 3:Der konstituierende Blick 1

Page 35: Anina Mischau, Redaktion · 2011. 11. 30. · Anina Mischau, Redaktion EDITORIAL. IFF-Info Zeitschrift des Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrum (IFF) 20. Jahrgang / Nr.25

Geschlechtsblindheit oder Geschlechtssensibilität?

35Info 20.Jg. Nr.25/2003

änderungsvorschläge zu unterbrei-ten. Der Überblick, den die »insti-tutionalisierten Geschlechterstellen«durch ihre eigenen Berechungen be-kommen, führt nun in Dokumen-ten zu einer »Abbildung« der Dis-kriminierung in (eigenen) Statistikenoder Veröffentlichungen, die sichdann Routine zur Gleichstellung, Betriebs-vereinbarung zur Gleichstellung, Frau-enförderplan, Frauengleichstellungsplanoder Frauenförderkonzept nennen.Hierin dokumentieren sich die Be-mühungen der Organisationen zumBeitrag einer »geschlechtergerech-ten« Gesellschaft. Die Chancen-gleichheit zwischen Frauen undMänner steht auf dem Prüfstand.Verbunden mit Quoten, Zielvorgaben,Anreizsysteme werden Vorschlägeunterbreitet und Ideen entwickelt,wie diese Chancengleichheit erreichtwerden kann, damit die Realität sichfür Frauen und Männer im Unter-nehmen verändert. Auffallend inden Dokumentationen der Ge-schlechterstellen und/oder in denallgemeinen Dokumenten der Or-ganisation, ist ein Mix von Bilanz(Präsentation des Ist-Zustandes), mitder Darstellung der Zielrichtung(Soll-Zustand), verbunden mit Vor-schlägen zu Maßnahmen (How todo), zum Teil auch mit visionärenZukunftsperspektiven und recht un-terschiedlichen Foki (alle Frauen, alleFrauen und Männer, oder Frauenund Führungskräfte, Frauen undMütter etc.). Unterschiedliche Sensi-bilitäten und die Angliederung derStelle (also auf welcher Höhe posi-tioniert, mit wie ausgebildeten Frau-en oder Männer besetzt, ist es eineStabstelle etc.) bestimmen denSchwerpunkt der Programme inder weiteren Differenzierung. Sogeht es um die:• Qualifizierung von Frauen;• stärkere Berücksichtigung von

Frauen bei Beförderung und Hö-hergruppierung bei gleichwer-

tiger Qualifikation;• Wiedereingliederung nach Fami-

lienphase;• Möglichkeit der generellen Teil-

zeit in Organisationen und zwarfür Frauen und Männer zur Ver-einbarkeit von Beruf und Fami-lie (work-life-balance);

• Jobsharing auf Vollzeitstellen• sowie die bessere Beteiligung von

Frauen an Führungsaufgaben, dieu.a. auch durch Teilzeit in Mana-gementpositionen erreicht wer-den soll.

Sind die Geschlechterstellen länger-fristig installiert, übernehmen siemeist Kontroll- und Prüfungsfunk-tionen, Zwischenberichte, jährlicheBilanzierung von Förderplänen undähnliches. Aktivitäten werden auch,z.B. in den staatlich-hoheitlichen Or-ganisationen, durch Gesetze er-zwungen. Geschlechterstellen undGeschlechterprogramme doku-mentieren den Fortschritt in den Or-ganisationen. Bei dem Blick auf dieBerechnung der Organisationen fürdas Management, die dann dieGrundlage für die Berechnungender Geschlechterstellen bilden unddie Forderung nach Förderung ak-tualisieren, zeigen die Zahlen meistnur grob vereinfachende Zusam-menfassungen prozentualer Anteilevon Frauen und Männern, die Ma-nagerInnen unabhängig der Ma-nagementebenen zusammenfassen.

Geschlecht und Funktion könnenals Grenzziehung der Organisationangewendet werden und zeigen dieGestaltungsfreiheit einer Organisa-tion über Aufnahme und Verteilungihrer Mitglieder. Dass die so kon-struierten Ordnungen sich in den»institutionalisierten Geschlech-terstellen« und zwischen den Ge-schlechterstellen von den Ordnun-gen der Organisation und des Ma-nagements und von den Ordnun-gen der Forscherinnen unterschei-den, soll hier nicht vertieft, sondern

vorausgesetzt werden. Sie weisenauf vorgängige Entscheidungenund Orientierungen und bestimmenden Faktor der Lageverhältnisse, dieerrechnet werden, um die Abwei-chung zwischen Frauen und Män-nern in Führungspositionen zu mar-kieren. Ähnlich wie verschiedensteUntersuchungen und Veröffentli-chungen in den Wissenschaften undder Politik13 kommen die Ge-schlechterstellen in ihren Berechnun-gen zu dem Ergebnis, dass Frauenkaum/oder in einer ansehnlichenAnzahl in Führungspositionen sind,jedoch, dass sie überwiegend in denniedrigen Positionen und in be-stimmten Aufgabenfeldern anzu-treffen sind. In den Blick geraten inden Geschlechterprogrammen dieFrauen in den Organisationen als de-fizitäre Gruppe. In keiner Organi-sation wird in den Dokumenten diewohl privilegierte Position vonMännern genannt, das umgekehrteSystem der Nennung von reinenAnteilen von Männern in bestimm-ten Positionen vorgenommen, odervon einer männerfreundlichen Un-ternehmenspolitik geredet. Ge-schlechterprogramme gehen nunden Weg, mit ihrem Zahlenmaterialzu operieren. Gibt es kein Zahlen-material, wird die generelle Forde-rung nach Frauen auch in Führungs-positionen aktiviert und die Forde-rung nach Teilzeit auch im Mana-gement von Organisationen. Gibtes Zahlenmaterial werden zum Zei-chen des Erfolges (?), oder weil esnicht weiter zu differenzieren ist,Frauen in allen Managementstufenzusammengefasst, eine Zahl errech-net und die dem errechneten Fak-tor der männlichen Beschäftigtengegenübergestellt, bzw. bei der Be-trachtung der Zeit, die geschlechtli-che Unterscheidung im Manage-ment aufgehoben und nur der Un-terschied zwischen Teilzeit und Voll-zeit aktualisiert. Aus dem Blick ge-

Page 36: Anina Mischau, Redaktion · 2011. 11. 30. · Anina Mischau, Redaktion EDITORIAL. IFF-Info Zeitschrift des Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrum (IFF) 20. Jahrgang / Nr.25

Marion Franke

36

rät aus verschiedenen Gründen alsodas Besondere der Managementpo-sition. Nicht unerwähnt, wenn auch

nicht verwunderlich, soll bleiben,dass auch keine anderen Unterschei-dungen getroffen werden (z.B. hin-sichtlich der Dimension Alter, Na-tionalität, Länge der Betriebszuge-hörigkeit, geschlechtliche Orientie-rung etc.).

Fassen wir zusammen, so lassensich Teilzeitforderungen und Teil-zeitumsetzungen als Geschlechtsen-sibilitäten der Organisationen ent-schlüsseln. Geschlechterprogrammeschärfen den Blick auf Teilzeit inFührungspositionen. Geschlechter-programme lenken den Blick aufdas Management und unterscheidenzwischen Frauen und Männer. Sielegen den Blick auf die Teilzeit undunterscheiden zwischen Frauen undMänner. Und schneiden sich Mana-gement und Zeit, werden die Frau-en in Teilzeitpositionen sichtbar –wie gehabt. Hier kommunizieren dieProgramme über die Forderungnach Teilzeit in Führungspositionenund treffen sich mit der Kommu-nikation und mit den Stereotypenin der Kommunikation über Teil-zeit in Führungspositionen undFrauen in Teilzeit in Führungsposi-tionen, sichtbar in vielen Interviews,Beobachtungen und Gesprächen.

Dazu noch einmal eine visuelle Vor-stellung (vgl. Konstruktion 4). Wie-der wird das Verhältnis von Frauenund Männer thematisiert, wiederwerden die Unterscheidungen aufeiner anderen Ebene getroffen undwieder werden die Frauen und dieMänner auf je unterschiedliche Wei-se als Normalität wahrgenommen.Frauen arbeiten Teilzeit in Füh-rungspositionen und Männer arbei-ten Vollzeit in Führungspositionen.Keine Statistik in Organisationenbildet dies ab, weil es eine „unsinni-ge“ Statistik wäre in der Logik derGeschlechterprogramme bzw. eineStatistik wäre, die nur das abbildet,was jedem in der Organisation klarist.

Und hier treffen sich die Ge-schlechterprogramme mit den Be-dürfnissen der Organisationen, sichein modernes Outfit zu geben. Teilzeit-arbeit gibt Organisationen ein frischesImage. Der Wunsch von Mitarbei-terInnen nach Teilzeit und/oder dieForderungen der Geschlechterpro-gramme nach Teilzeit auf allen Ebe-nen der Organisation ist also durch-aus kompatibel mit dem Wunschder Organisation nach Kostenredu-zierung, Sanierung, betriebliche Rationa-lisierung oder allgemeinen Erhöhungder Wirtschaftlichkeit (Abbau von Slack,Abdeckung von Arbeitsspitzen und Ar-beitstälern, Veränderung von Aufga-benzuschnitten), trifft sich aber auchmit der in allen Organisationen pre-kären Situation von Arbeitsplätzen.

In den Geschlechterprogram-men errechnet, in den Organisatio-nen entdeckt, in den Interviews ge-hört, in Statistiken der Organisatio-nen gefunden oder in anderen Do-kumenten gesucht, zeigen die vonuns besuchten Organisationen eineBandbreite von Frauen in Manage-mentpositionen. Sie sind in derGeschäftleitung anzutreffen, arbeitenals Niederlassungsleiterin, stehen einemTeam oder einer Arbeitsgruppe vor,

sind Präsidentin einer Organisation,arbeiten im Vorstand oder leiten einProjekt. Sie sind alt, sie sind jung, siesind verheiratet/gebunden, alleinlebend,hetero- oder homosexuell orientiert, sieverdienen viel oder wenig Geld, sie ha-ben Einfluss über viele oder wenige Per-sonen und sie sind kurz oder schonganz lang in dieser Position. Sie habenKarriere gemacht in der Organisationoder kommen als Quereinsteigerinnenins Unternehmen. Sie sind gefördert wor-den qua Geschlecht oder haben es auchohne geschlechtliche Protektion ge-schafft. Sie unterscheiden sich in ih-ren Arbeitsaufgaben, Arbeitsfeldern undihrer Arbeitsmotivation. Sie sind Weißeund sie sind Deutsche14 . Und sie sind,wie in den Lageverhältnissen deut-lich wird (vgl. Konstruktion 5), injeder Organisation vorhanden undin einigen sogar in dominanter Po-sition, d.h. in der Überzahl.15

Bei den Männern ist es ähnlich.Auch sie sind in unterschiedlicherQuantität und Qualität in den Or-ganisationen als Führungskräfte zufinden. Ein differenzierter Blickzeigt sie in eher höheren Positionen imManagement, weist auf eine größereAnzahl von Menschen hin, die sie lenkenund führen und auf andere Aufgaben-felder. Ihr Gehalt wird durchschnittlichüber alle männlichen Führungskräftehinweg höher liegen, als das der Frau-en, vielleicht zeigen sie eine höhereHeirats- und Familienrate, eine län-gere Zugehörigkeit zur Organisati-on oder sind durch Männerförde-rung in die Position gekommen etc.Ein »geschlechtlich differenzierenderBlick« kann auch in unserem Mate-rial viele Unterschiede entdecken.Männer gehören zur Normalität,auf allen Ebenen und deshalb auchin Führungspositionen in den Wirt-schaftsunternehmen im Kos-mos. In den Sozialorganisationensind sie in geringer Zahl vorhanden.Hier finden sich auch schon mal nurwenig Männer in Führungsebenen

Konstruktion 4:Der konstituierende Blick 2

Page 37: Anina Mischau, Redaktion · 2011. 11. 30. · Anina Mischau, Redaktion EDITORIAL. IFF-Info Zeitschrift des Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrum (IFF) 20. Jahrgang / Nr.25

Geschlechtsblindheit oder Geschlechtssensibilität?

37Info 20.Jg. Nr.25/2003

im Unternehmen oder gar keine(weil es generell keine festangestell-ten Männer gibt). Jedoch für dieForderung nach Männer in Füh-rungsposition und die festgeschrie-bene/dokumentierte Männerför-derung der Organisation lassen sichkeine Hinweise finden.

Firewalls im Management vonOrganisationenUm von Teilzeit in Führungsposi-tionen zu reden/reden zu können,sind alle diese Stellen mit einer An-wesenheitspflicht und/oder Kon-trolle der von der normalarbeit-zeitabweichenden Stundenzahl ver-bunden. Konkret unterliegen dieTeilzeitkräfte in Führungspositioneneiner Stempelpflicht oder einer son-stigen Dokumentation ihrer Anwe-senheit. Genau hier markieren sichdie Besonderheiten für Teilzeit inFührungspositionen. Teilzeit in Füh-rungspositionen bedeutet also dieDokumentation der tatsächlich ab-geleisteten Stundenzahl für das Un-ternehmen, damit man (frau) vonTeilzeit reden kann. Ist die Füh-rungs- oder Leitungsposition von

der Dokumentation der realen kör-perlichen Anwesenheit befreit,macht es eigentlich keinen Sinn vonTeilzeit in Führungspositionen zureden. Deutlich wird dann wederfür die teilzeitarbeitende Mana-gerIn/Führungskraft noch für dierestliche Organisationsspitze bzw.restlichen Organisationsmitglieder,woraus denn die Teilzeit besteht.Und nur das reduzierte Gehaltmacht den Unterschied „schmerz-lich“ deutlich. Blicken wir nun auf„diese“ Teilzeit in Führungspositio-nen, denn eine andere ist nicht an-zutreffen, treffen wir auf die Frau-en in Führungspositionen – und wirtreffen auf die Low-Managerinnen.Männer „kokettieren“ mit der Mög-lichkeit, in ähnlichen Positionen einereduzierte Arbeitszeit zu fahren, tunes aber in der Realität der Organi-sation nicht, d.h. es sind in unserenDaten keinerlei Hinweise auf dieVerwirklichung einer männlichenTeilzeitstelle im Management zu fin-den. Teilzeit in Führungspositionensind ausschließlich Frauen in Füh-rungspositionen. Es verdichten sichsogar die Hinweise, dass Männer (?)

und die Organisationen dies alswirkliche Lösung ausschließen(müssen). Teilzeitstellen im Mana-gement erscheinen als Angebot anFrauen, um ihre „biologischen Pro-bleme“ zu klären oder die ihnenzugeschriebenen und/oder ange-nommenen Reproduktionspflich-ten zu übernehmen. Teilzeit in Füh-rungspositionen wird also zur fa-milienfreundlichen Variante undunterscheidet sich damit nicht mehrvon der generellen Vorstellung inOrganisationen und der Vorstel-lung der Organisationsmitgliederzu Teilzeit und der Entstehungsge-schichte von Teilzeit: Problem-gruppen in den Arbeitsmarkt zuintegrieren (vgl. Stephan 1995). Ge-nau hier zeigt sich die Geschlechts-sensibilität von Organisationen16 .

Organisationsmitglieder und Or-ganisationen können Teilzeit in Füh-rungspositionen strategisch unter-stützen. Die Förderung von Teilzeitin Führungspositionen kann alsKonsequenz der Geschlechterpro-gramme interpretiert werden, oderals Folge von Einzelaktivitäten vonFrauen und Männern in den Orga-nisationen. Sie kann auch eine Folgevon Familienpolitik oder Gewerk-schaftspolitik sein (und den damitverbundenen Aktivitäten in Perso-nalräten oder Betriebsräten) odernur ein politisches Korrektsein derOrganisation. Wesentlich erscheintdie Qualität der Arbeit, die einemveränderten Zeitmodell unterwor-fen wird. Ein engagierter Schritt in dierichtige Richtung wird dann auch voneinigen Frauen und Männern demModell Teilzeit in Führungspositio-nen zugeschrieben17 und zwar un-abhängig von der tatsächlichen In-anspruchnahme des Modells undder möglichen Tatsache, dass Män-ner erkannt haben, dass dies viel-leicht ganz schön ist, sich aber aufjeden Fall als nicht karriereförderndoder klug in den Organisationen

Konstruktion 5: Lageverhältnisse in den Organisationen im Kosmos

Page 38: Anina Mischau, Redaktion · 2011. 11. 30. · Anina Mischau, Redaktion EDITORIAL. IFF-Info Zeitschrift des Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrum (IFF) 20. Jahrgang / Nr.25

Marion Franke

38

herausstellt. Männliche Führungs-kräfte, die für sich Teilzeit in Füh-rungspositionen als Möglichkeit sa-hen und/oder sich als Förderer vonTeilzeitmodellen verstanden, arbei-teten in der Realität in Organisatio-nen, die Teilzeit in Führungspositio-nen nicht erlaubten oder wo es realab einer bestimmten Manageme-ntebene nicht vorkam.

Die Organisationen zeigen ihr fri-sches Image, dies „wir tun was fürFrauen“ und gleichzeitig überneh-men die Frauen den Part, zu de-monstrieren, dass Teilzeit auch imManagement möglich ist. Hier wirdes nun verwirrend und kompliziert:Teilzeitfrauen in Führungspositionensind paradox. Verbinden wir es mitder Vorstellung, dass Teilzeit in Füh-rungspositionen nur dann Sinnmacht, wenn man/frau eine Berech-nungsgröße der Zeit hat, kommt eszu verschiedenen paradoxen Phäno-menen, die Frauen in Teilzeit in Füh-rungspositionen bewirken. Die Mei-nung der Organisationsmitgliedertrifft sich mit generellen Forderun-gen in Politik und Wissenschaft, dieauf den Ausbau von Teilzeitmög-lichkeiten auch in Führungspositio-nen drängt. Die Argumentation um-fasst den „Abschied von der Nor-malbiographie der vollen Zeit“ undvon der „Unteilbarkeit von Füh-rungspositionen“. Frauen, so könnteman (frau) nun sagen, erweisen sichals Zeitpioniere in den Organisatio-nen, weil sie mit „mehr oder weni-ger großem Erfolg“ in den Orga-nisationen vorleben, dass Teilzeit inFührungspositionen möglich ist. Siesind, weil nur sie es sind, auf derTeilzeitebene keine token persons(Kanther 1977)18 . Auf der Ebenedes Vergleichs zu männlichen Füh-rungskräften werden sie hoch sicht-bar und können alle nur möglichenStereotypen auf sich vereinen. Aufder Ebene der Praxis leisten Teil-zeitfrauen in Führungspositionen

ähnlich wie MitarbeiterInnen aufflexibilisierten, d.h. stundenredu-zierten Stellen, mehr für ein Unter-nehmen, weil einerseits die Bezugs-und Berechungsgröße verloren geht(was sind 75 Prozent, was sind 80Prozent?) und andererseits nur zuoft mehr gearbeitet wird oder Ar-beit wie selbstverständlich und un-bezahlt auf diesen Positionen mitnach Hause genommen wird.

Frauen übernehmen in diesen Po-sitionen also vielfältige Aufgabenund das Management einer Orga-nisation kann seine firewalls pflegen,indem es das Teilzeitmanagement-modell unterstützt oder indem Ge-schlechterprogramme installiertwerden bzw. sie ihren Forderungennachgekommen. Die Einschließungder Frauen in Teilzeit und die Ein-schließung der Männer in Vollzeitführt zu starren Grenzen. Die In-stallation bzw. Nicht-Aufhebung derGrenzen, das borderwork, zeigt sichals Strategie in Organisationen, Frau-en den Zutritt in TOP-Manage-mentpositionen zu verwehren. Diesozialorganisierten Grenzen werdenzu einem Bestandteil der firewallsim Management. Eine funktionie-rende Strategie, die scheinbar nureinen geringen und persönlichenAusweg aus der Falle erlaubt, undin der Forderung: Frauen verzichtetauf die Teilzeitstellen, artikuliert wer-den kann oder artikuliert werdenmuss. Klingt es nicht wirklich alsAusstieg, soll jedoch die Idee ver-tieft werden, ohne auf der Ebeneder Polemik stehen zu bleiben.

Der Blick auf Teilzeitfrauen hebtmännliche Leistungen und Aktivitä-ten hervor, d.h. es kommt zu einerparadoxen Situation, dass der Blickauf Frauen zur nicht intendiertenAuseinandersetzung mit Männernführt (über die Ebene des Verglei-ches) bzw. die Folge eine Schärfungund Hervorhebung männlicher Er-rungenschaften, Leistungen und

Aktivitäten in den Organisationenzeigt. Als männliche Leistung trittdas Nicht-Schwanger-Sein auf undder damit verbundene Fakt, dassMänner ihre Arbeitszeit nicht unter-brechen müssen (z.B. für die Ge-burt oder den Erziehungsurlaub)und auch nicht dem Generalver-dacht unterworfen werden, nachder biologischen Auszeit in Teilzeitin Führungspositionen zurückkeh-ren zu wollen. Männern wird alsoeine automatisch höhere Möglich-keit der permanenten und nicht un-terbrochenen Anwesenheitszeit inder Organisation zugesprochen.Dies trifft sich gut mit der Vorstel-lung, die in allen Organisationen zu-mindest für die TOP-Management-positionen auch anzutreffen war(unabhängig davon, ob eine Frau inTeilzeit arbeitete), dass eine Teilzeit-arbeit in dieser Position nicht mög-lich ist, oder wenn, immer mit gro-ßen Schwierigkeiten verbunden, diedie Koordination, Information unddie Absprachen belasten. Es kommtzu einer physischen Konstruktionvon Teilzeit. Der Blick auf Frauenaktiviert die Geschlechtssensibilitätfür das Geschlecht und die „spezi-fische Frau“. Dabei werden Frauenunweigerlich von der Biologie ein-geholt. Thematisiert wird Schwan-gerschaft in Organisationen (undnicht nur da), als „reine Frauen-sache“, die dazu führt, dass es zuFehlzeiten in der Organisationkommt, zu Schwierigkeiten beiZwischenbesetzungen und vielleichtzu der Tatsache, dass die Frau nachder Schwangerschaft nicht mehr insUnternehmen zurückkommt. Män-ner und Frauen, Management undNicht-Management treffen sich inder Argumentation, dass gegen dasbiologische Problem von Frauennichts gemacht werden kann.

Teilzeit wird zu einem doppel-ten Widerspruch. Neben der Beto-nung der Biologie wird ein anderes

Page 39: Anina Mischau, Redaktion · 2011. 11. 30. · Anina Mischau, Redaktion EDITORIAL. IFF-Info Zeitschrift des Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrum (IFF) 20. Jahrgang / Nr.25

Geschlechtsblindheit oder Geschlechtssensibilität?

39Info 20.Jg. Nr.25/2003

Stereotyp deutlich, das besondersdann in Organisationen kommuni-ziert wird, wenn das tatsächliche Be-mühen einer Frau in eine Führungs-position zu kommen, scheitert/ge-scheitert ist. Es ist das Argument dermangelnden Flexibilität von Frau-en, das eng an die Teilzeit geknüpftwird. Mangelnde Flexibilität wird inallen Ebenen der Organisationkommuniziert. Frauen wird in Teil-zeitpositionen automatisch eine ge-ringere Zeitflexibilität zugesprochen,und es wird ihnen eine geringereRaum- und Ortsflexibilität unter-stellt. Hier kollidiert die Wahrneh-mung durch die Organisationsmit-glieder und die Organisation mit derSelbstverständlichkeit für das Top-management von Organisationen:Unbegrenzte zeitliche Verfügbarkeit.Lange Anwesenheitszeiten zählenund nicht etwa die Effektivität dergeleisteten Arbeit.

Durch einen vertiefenden Blickkann die Präsenzkultur im Topma-nagement jedoch sehr schnell alsMythos entlarvt werden, zumindestwas die körperliche Anwesenheit inder Organisation betrifft. EineTopmanagerIn ist in vielen Situatio-nen nicht sichtbar. Eine Ergebnis-orientierung im Management vonOrganisationen ist mit einer Zeit-orientierung in Organisationen, dieauf die reale Präsenz der Führungs-kraft abzielt, nicht vereinbar. Füh-rungskräfte in Organisationen müs-sen über Zeitsouveränität verfügenund sie müssen das sein, was mitdem Begriff flexibel zu fassen ist.Konkret sind sie deshalb häufig nichtanzutreffen, schwer zu erreichen, Außer-Haus, im Kontakt mit einer ande-ren Organisation, in Verhandlungen bei.., auf Reisen zu .., in der Sitzung Zusw. Sie verfügen über ein Sekreta-riat, einen im Netz stehenden Termin-kalender, ein Handy, können gebuchtwerden und sind auch Zuhause zuerreichen etc. All das natürlich in

unterschiedlichem Maße aber häu-fig gilt dies nicht nur für das Top-sondern auch für das Low-Mana-gement. ManagerInnen bewegensich im virtuellen Raum. Sie sind viel-leicht die wenigste Zeit in ihremBüro oder an ihrem Arbeitsplatz zufinden. Vielleicht liegen im virtuel-len Raum die Chancen für Frauen,dem geschlechtlichen und stereo-typisierten Diskurs von Frauen-förderung und Teilzeitfrauen imManagement bzw. den Folgen derGeschlechterprogramme zu ent-kommen. Virtueller Raum verän-dert die Sichtbarkeit von Frauen unddie Sichtbarkeit von Männern.Gleichzeitig zwingt die Tatsache,verschiedenste Anforderungen undAufgaben in Managementpositio-nen erfüllen zu müssen (an verschie-denen Orten, mit verschiedenenMenschen, zu verschiedenen Zeitenetc.), ManagerInnen zu einer ver-dichteten Zeitkommunikation undzu einem differenzierten Zeitma-nagement. Die Arbeitskraftunter-nehmerIn wird im Management(und nicht nur dort) zu einer„ZeitkraftunternehmerIn“ (Simöl/Franke 2003, S. 684). Und warumsollte diese nicht ihre realen Zeitenfür Reproduktionsaufgaben oderihre fiktiven (unterstellten) in einemTime-schedule unterbringen (kön-nen)?

An dieser Stelle schließen nun dieGedanken zur Sensibilität von Or-ganisationen und der Geschlechts-sensibilität in und von Organisatio-nen und der Beitrag der Geschlech-terprogramme zur Konstruktionvon Geschlechterdifferenzen solltedeutlich geworden sein. Der Beitragzur Konstruktion von Geschlechter-differenzen durch Geschlechter-forscherin in Organisation muss aneiner anderen Stelle geklärt werden.Auch Geschlechterforscherinnensind paradox. Doch die Forderungkann nicht im Verzicht auf Ge-

schlechterforschung artikuliert wer-den.

Anmerkungen1 Obwohl Geschlecht ein vielfältig gebrauch-ter Terminus in der alltagssprachlichen undder sozial- und naturwissenschaftlichen Dis-kussion ist und auch in anderen Disziplinenwie z.B. den Wirtschaftswissenschaften,Rechtswissenschaften, Medienwissenschaftenund der Informatik einen immer höheren Stel-lenwert bekommt, zeigt sich eine Auffällig-keit: Selten wird eine Definition, bzw. eineinhaltliche Bestimmung vorgenommen undzwar darüber, was konkret denn Geschlecht„eigentlich“ bedeutet. Es gibt einen scheinbarstillschweigend Konsens über das gemeinsameWissen, was Frauen und Männer ausmacht,Weiblichkeit und Männlichkeit bedeutet, wiedie Geschlechter sich zueinander verhalten undworin der Unterschied zwischen Frau undMann liegt. Geschlecht im individuellen undgesellschaftlichen Sinn wird als „Selbstver-ständlichkeit“ gehandelt und bedarf keinerbesonderen und beständigen Aushandlung.2 Dieser Beitrag basiert auf die Forschungund wissenschaftliche Auseinandersetzungmit Inge Simöl, bzw. dem Ergebnis einerGemeinschaftsdissertation, warum hier vonWir geredet wird.3 Geschlechterprogramme „sind als Gerüsteformalisierter Regeln, Normen und generali-sierter Erwartungen zu begreifen, die die ko-ordinierten Handlungen und Beziehungen derMitglieder und der Organisation unter demAspekt des Geschlechts regeln“ (Franke/Simöl 2000, S. 280). In den Geschlech-terprogrammen (z.B. Frauenförderung,Gleichstellung, Geschlechterdemokratie,Gender Mainstreaming, Total E-QualityManagement) findet man/frau Geschlechter-stellen als Dienstposten oder ähnliches, die fürdie Aufgabe Geschlecht in den Organisatio-nen installiert sind. Entweder werden dafürVollzeitjobs geschaffen oder ein Gremium, einWahljob, eine Zwangsverpflichtung, eine Stel-le mit Entlohnung, oder ein Ehrenamt demGeschlecht gewidmet (vgl. Franke/Simöl2000, S. 280ff.).4 Der Begriff der firewalls soll in die Diskus-sion um Geschlecht in Organisationen einge-

Page 40: Anina Mischau, Redaktion · 2011. 11. 30. · Anina Mischau, Redaktion EDITORIAL. IFF-Info Zeitschrift des Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrum (IFF) 20. Jahrgang / Nr.25

Marion Franke

40

führt werden. Er ergänzt die Forschung undAuseinandersetzung über das Phänomen desglass ceiling und der glasswalls in Organi-sationen. Verändert wird die Perspektive, wennvon firewalls die Rede ist. Entlehnt wird derBegriff aus der Informatik. Hier bezeichneter eine Schaltstelle zur Sicherung und Ver-schlüsselung von Datensystemen. Computerwerden vor Angriffen von außen geschützt.Firewalls in Organisationen nun bezeichnenjene Mechanismen oder Schaltstellen, die da-für sorgen, das Vordringen von Frauen in be-stimmte Bereiche der Organisationen – Füh-rungsebenen – zu verhindern. Die erfolgrei-che Sicherung (auch nicht das erfolgreicheÜberwinden) wird jedoch nicht mit der Infor-mation versehen: Zutritt verboten, an die-ser Grenze gescheitert . Firewalls bleibendaher informationslos oder verschlüsselt.5 Das Interesse lag auf Strukturen/Rege-lungen und institutionalisierte Handlungs-muster in Organisationen, die zu egalitärenVerhältnissen zwischen den Geschlechternbeitragen, unabhängig davon, ob sie als solcheintendiert sind.6 Der Kosmos wird im Allgemeinen bestimmtdurch: Die Fragestellung oder Forschungs-hypothese, d.h. den Ausschnitt des Ethno-graphischen Sehens, die Anzahl der Organi-sationen (eine oder mehrere Organisationen– hier neun), die Anzahl der sozialen Ein-heiten (z.B. Abteilungen, Menschen, Schich-ten, Gruppen etc.), die Triade von ForscherIn,Organisation und Organisationsmitgliedern,das Zeitfenster, das über eine oder mehrereOrganisationen gelegt wird (vgl. zur Kos-mographie den Exkurs bei Simöl/Franke2002, 504ff).7 Geklärt werden kann hier nicht, inwieweites politisch korrekt ist, den Begriff der Blind-heit des Blindseins aus seinem ursprünglichenZusammenhang von Krankheit bzw. körper-licher (und damit einhergehender sozialer) Be-einträchtigung herauszubrechen, um ihn infür die (system-)theoretische Diskussion zuGeschlecht in Organisationen und Geschlechtin der Organisationstheorie als Metapher zunutzen. Der Begriff wird in vielfältigen Zu-sammenhängen und Disziplinen außerhalbseines ursprünglichen Kontextes genutzt. Ex-emplarisch die Psychologie und das Johari-Fen-

ster von Ingham/Luft (vg l. Luft 1974, S.22).8 Der blinde Fleck als örtliche Blindheit be-zeichnet jene Stelle im Augenhintergrund,aus der der Sehnerv austritt. Hier sind keineSehzellen vorhan den. Trotzdem wird ein voll-ständiges Bild vom Auge geliefert, ein ganzesBild »errechnet«. Diese Blindheit fällt nichtdurch einen dunklen Fleck im Gesichtsfeldauf, sondern ist überhaupt nicht wahrnehm-bar. Was wahrgenommen wird, wird flecken-los wahrgenommen (vgl. von Foerster 1990,S. 41).9 Welche Blindheit durch den sog. »male bias«und in der Folge Geschlechtsblindheit in derOrganisationsforschung entstanden ist, habenAcker und van Houten 1992 verdeutlicht.Geschlecht als bedeutsamen Faktor in Orga-nisationen zu übersehen oder nicht zu beach-ten, führte zu verkürzten oder fehlinterpre-tierten Forschungsergebnissen, wie im Fall derHawthorne Studie (zur Hawthorne Studievgl. die Zusammenfassung bei Rosenstiel1995, S. 136ff.). Andere Effekte sind dieVerdeckung bestehender Macht- und Ung-leichheitsverhältnisse zwischen Frauen undMännern, die Marginalisierung oder dasUnkenntlichmachen von zugrunde liegendenGeschlechterdifferenzen. Vielfach wird Ge-schlecht unter dem Charakter des »zufälligenBeiwerks« betrachtet und so eine Sicht aufvergeschlechtlichte Prozesse und Strukturenausgespart/ausgeblendet oder verstellt. Ver-schleierung, Verdeckung etc. sind »Folgen« derBlindheit oder anders gesagt: Formen derNicht-Beachtung.10 Damit stellt Geschlechtsblindheit kein hilf-reiches Konstrukt für die Erforschung dar.Geschlechtsblindheit wird erst im Prozess derForschung empirisch erhoben.11 Geschlechtsblinde Organisationen odergeschlechtsblinde Wissenschaften vermitteln»ein Bild« der sozialen Realität, das paradoxerscheint. Das Interessante daran ist, dass esInterpretationen betont, nämlich die Unfähig-keit zur Reflexion gegenüber der Tatsache,dass Geschlecht in die Organisationen »ein-geht« und das Sensibelsein für Geschlecht undgleichzeitig Organisationen durchaus aufGeschlecht zurückgreifen.12 Arbeitszeit verstanden als persönliche Ar-

beitszeit und Betriebszeit verstanden als Zeit,in der die Maschinen laufen oder die Dienst-leistungen bzw. das Produkt angeboten wird(vgl. Gassner 1996, S. 895). 13 Exemplarisch Bischoff 1990, Neujahr-Schwachulla/Bauer 1993, Geenen 1994, Rau1995, Hadler 1995, Hasenjürgen 1996,Dienel 1996.14 In keiner Organisation haben wir eineAusländerin/Migrantin in Führungspositionangetroffen. Wir haben auch keine »Ostfrau«gefunden. Das gleiche trifft aber auch aufmännliche Führungskräfte zu.15 Die Konstruktion 5 zeigt auch die Mög-lichkeit, wie durch Berechnung von Lage-verhältnisse ein konstituierender Blick undblinde Flecken zu durchbrechen sind. In derausschließlichen Abfrage von Teilzeit/Voll-zeit für Frauen/Männer dagegen erweisen sichdie ForscherInnen als KonstrukteurInnen ei-ner Differenz. 16 Dü, Webasto und TK NL 3 erlaubt keineTeilzeit in Führungspositionen, wobei letzte-re dies nur auf die Managementebenen 1-3bezieht. Das LA und die DB RB Süd erlaubtTeilzeit, hat jedoch nur Frauen; ebenso dasZfW, hier sind die Hälfte der Führungsfrauenin Teilzeit. Die DT erlaubt ebenfalls Teilzeitin Führungspositionen, hat jedoch z. Zt. kei-ne TeilzeitmanagerInnen. Dies trifft auch fürdie Universität Hildesheim zu.17 Und hier treffen sich „einige“ mit „vielen“in der allgemeinen politischen Diskussion undden Forderungen der Frauen- und Ge-schlechterforscherInnen in ihren Publikatio-nen.18 Und weil Teilzeitfrauen die Normalität inOrganisationen sind, d.h. es genügend weitereim Unternehmen gibt. Teilzeit nur in Füh-rungspositionen ist in keiner Organisationauszumachen.

LiteraturAcker, Joan: Gendering Organizational

Theory, in: Mills, Albert J./Tancred,Peta (Hgg.): Gendering Organi-zational Analysis, London 1992, S.248-260.

Acker, Joan: Old and New Boundariesin Gender Relations (or GenderRelations in Troubled Times), in:

Page 41: Anina Mischau, Redaktion · 2011. 11. 30. · Anina Mischau, Redaktion EDITORIAL. IFF-Info Zeitschrift des Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrum (IFF) 20. Jahrgang / Nr.25

Geschlechtsblindheit oder Geschlechtssensibilität?

41Info 20.Jg. Nr.25/2003

Honegger, Claudia et al. (Hgg.):Grenzenlose Gesellschaft. Verhand-lungen des 29. Kongresses der Deut-schen Gesellschaft für Soziologie, des16. Kongresses der österreichischenGesellschaft für Soziologie, des 11.Kongresses der schweizerischen Ge-sellschaft für Soziologie in Freiburgim Breisgau 1998, Teil 1, Opladen1999, S. 77-96.

Acker, Joan/van Houten, Donald R.:Differential Recruitment and Con-trol: The Sex Structuring of Or-ganizations, (Reprint von 1974. In:Administrative Science Quarterly, 19,2), in: Mills, Albert J./Tancred, Peta(Hgg.): Gendering OrganizationalAnalysis, London 1992, S. 15-30.

Bischoff, Sonja: Frauen zwischen Machtund Mann. Männer in der Defensi-ve. Führungskräfte in Zeiten desUmbruchs, Reinbeck 1990.

Blumer, Herbert: Methodologische Prin-zipien empirischer Wissenschaft, in:Gerdes, Klaus (Hg.): Explorative So-zialforschung: einführende Beiträgeaus „Natural Sociology“ und Feldfor-schung in den USA, Stuttgart 1979,S. 41-62.

Braun, Jochen: Aufgaben und Ziele derOrganisationsgestaltung, in: Bul-linger, Hans-Jörg/Warnecke, HansJürgen (Hgg.): Neue Organisations-formen im Unternehmen. EinHandbuch für das moderne Mana-gement, Heidelberg 1996, S. 7-27.

Brück, Brigitte et al.: Feministische So-ziologie. Eine Einführung, Frankfurtam Main 1992.

Dienel, Christiane: Frauen in Führungs-positionen in Europa, München1996

Franke Marion/Simöl Inge: Wie Orga-nisationen Geschlecht organisieren.Geschlechterprogramme in Organisa-tionen, in: Wesely, Sabine (Hg.):Gender Studies in den Sozial- undKulturwissenschaften. Einführungund neuere Erkenntnisse aus For-schung und Praxis, Bielefeld 2000, S.280-315.

Gassner, Peter: Flexible Gestaltung derArbeitszeit, in: Bullinger, Hans-Jörg/Warnecke, Hans Jürgen (Hgg.): NeueOrganisationsformen im Unterneh-men. Ein Handbuch für das moder-ne Management, Berlin 1996, S. 895-900.

Geenen, Elke: Blockierte Karrieren.Frauen in der Hochschule, Opladen1994.

Glaser, Barney G.: Theoretical Sensitivity.Advances in the Methodology ofGrounded Theory, Mill Valley 1979.

Glaser, Barney G./Strauss, Anselm L.:The Discovery of Grounded Theo-ry. Strategies for Qualitative Research,Chicago 1967.

Hadler, Anja: Frauen und Führungspo-sitionen. Prognosen bis zum Jahr2000. Eine empirische Untersuchungbetrieblicher Voraussetzungen undEntwicklungen in Großunterneh-men, Frankfurt am Main 1995.

Hasenjürgen, Brigitte: Soziale Macht imWissenschaftsspiel, Münster 1996.

Hearn, Jeff/Parkin, P. Wendy: Sex atWork. The Power an Paradox ofOrganization Sexuality, Brighton1987.

Hirschauer, Stefan/Amann, Klaus(Hgg.): Die Befremdung der eigenenKultur. Zur ethnographischen Her-ausforderung soziologischer Empi-rie, Frankfurt am Main 1997.

Kanter, Rosabeth Moss: Men andWoman of the corporation, NewYork 1977.

Lange, Ralf: Geschlechterverhältnisse imManagement von Organisationen,München 1998.

Luft, Joseph: Einführung in die Grup-pendynamik, Stuttgart 1974.

Luhmann, Niklas: Soziale Systeme.Grundriß einer allgemeinen Theorie,Frankfurt am Main 1984.

Luhmann, Niklas: Frauen, Männer undmann, Kai-Uwe (Hg.): Niklas Luh-mann: Protest: Systemtheorie undSoziale Bewegungen, Frankfurt amMain 1996, S. 107-155.

Luhmann, Niklas: Die Gesellschaft der

Gesellschaft. Teilband 2, Frankfurtam Main 1999.

Luhmann, Niklas: Organisation undEntscheidung, Opladen 2000.

Meuser, Michael: Geschlecht und Männ-lichkeit. Soziologische Theorie undkulturelle Deutungsmuster, Opladen1998.

Müller, Ursula: Wissenschaftskritik undMethodologie im feministischenDiskurs, in: Aulenbacher, Brigitte/Siegel, Tilla (Hgg.): Diese Welt wirdvöllig anders sein: Denkmuster derRationalisierung, Pfaffenweiler 1995,S. 67-82.

Müller, Ursula: Asymmetrische Ge-schlechterkultur in Organisationenund Frauenförderung als Prozess –mit Beispielen aus Betrieben und derUniversität, in: Rastetter, Daniela(Hg.): Geschlechterdifferenzen undPersonalmanagement, Schwerpunkt-heft Zeitschrift für Personalforschung2, 1998, S. 123-142.

Müller, Ursula: Geschlecht und Organi-sation. Traditionsreiche Debatten –aktuelle Tendenzen, in: Nickel, Hilde-gard Maria/Völker, Susanne/Hü-ning, Hasko (Hgg.): Transformation,Unternehmensreorganisation, Ge-schlechterforschung, Opladen 1999, S.53-75.

Neujahr-Schwachulla, Gaby/Bauer, Si-bylle: Führungsfrauen. Anforderun-gen und Chancen in der Wirtschaft,Stuttgart 1993.

Rastetter, Daniela: Sexualität und Herr-schaft in Organisationen. Eine ge-schlechtervergleichende Analyse, Op-laden 1994.

Rau, Ilona: Weibliche Führungskräfte.Ursachen ihrer Unterrepräsentanzund Konsequenzen für die Förde-rung von Frauen für Führungsposi-tionen, Frankfurt am Main 1995.

Simöl; Inge/Franke, Marion: Organisa-tion Kultur Geschlecht. Eine empi-rische Untersuchung zur (Ge-schlechts-)Sensibilität in und vonOrganisationen, 2003 (in Veröffent-lichung).

Page 42: Anina Mischau, Redaktion · 2011. 11. 30. · Anina Mischau, Redaktion EDITORIAL. IFF-Info Zeitschrift des Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrum (IFF) 20. Jahrgang / Nr.25

Marion Franke

42

Stephan, Gesine: Zur Dynamik desArbeitsangebotes von Frauen. Voll-zeit-, Teilzeit- und Nichterwerbs-tätigkeit, Frankfurt am Main 1995.

Strauss, Anselm L./Corbin, Juliet:Grounded Theory. Grundlagen qua-litativer Sozialforschung. (Original inenglisch: Basics of qualitative Re-search. Grounded Theory Proceduresand Techniques 1990), Weinheim1996.

von Foerster, Heinz: Das Konstruiereneiner Wirklichkeit, in: Watzlawick,Paul (Hg.): Die erfundene Wirklich-keit, München 1990, S. 39-60.

von Rosenstiel, Lutz/Roethlisberger,Fritz. J./Dickson, William J.: Mana-gement at the Worker, in Flick, Uweet. al (Hgg.) Qualitative Forschung.Ein Handbuch, Weinheim1995, S.126-130.

Wilz, Sylvia M.: Gendered Organi-zations: Neuere Beiträge zum Ver-hältnis von Organisationen und Ge-schlecht, in: Berliner Journal für So-ziologie, 1, 2001, S. 97-107.

Wolff, Stephan: Organisationswissen-schaftliche Grundlagen: Das Kran-kenhaus als Organisation, in: Pelikan,Jürgen M./Wolff, Stephan (Hgg.):Das gesundheitsfördernde Kranken-haus: Konzepte und Beispiele zurEntwicklung einer lernenden Organi-sation, Weinheim 1999, S. 37-51.

Dr. Marion FrankeUniversität HildesheimMarienburger Platz 2231141 HildesheimEmail: [email protected]

Page 43: Anina Mischau, Redaktion · 2011. 11. 30. · Anina Mischau, Redaktion EDITORIAL. IFF-Info Zeitschrift des Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrum (IFF) 20. Jahrgang / Nr.25

Das Dialogische - ein Zwischen in der Vielfalt der Anderheiten

43Info 20.Jg. Nr.25/2003

Mit einer Warnung möchte ichbeginnen:Mit Worten allein kann das Dialo-gische nicht dargelegt werden. Des-halb ist das Folgende ein begrenz-tes Unterfangen und führt auch zuMissverständnissen. Das Dialogi-sche in niedergeschriebenen Gedan-ken zu zeigen, ist deswegen schwie-rig, weil ein authentischer Dialogzwischen Menschen mit und jenseitsvon symbolischen Strukturen ge-schieht. Dieses Zwischen erschließtsich nur begrenzt mental, denn esist eine Lebenspraxis und kann mitWorten nur fragmentarisch erfasst,wenn überhaupt analysiert und dochim Gespräch rückwärtig angeschautwerden. Die Rekonstruktion bleibtdabei brüchig. Der damit einherge-hende Distanzierungsakt geschiehtals monologischer, d.h. einseitigerProzess. Demgegenüber passiertdas Dialogische durch gegenseitigesund einzigartiges „Innewerden desGegenübers“ (Buber 1992a, S. 150-153), das sich in der Vielfalt der An-derheiten wiederfindet. „Anderheit“bedeutet für Buber, das mein Ge-genüber grundsätzlich einE Ande-reR ist und ich ihn/sie nur als „Die-ser-Mensch-sein“ bestätigen kann:„Erst wenn der Einzelne den An-deren, in all seiner Anderheit, als sich,als den Menschen erkennt und von

da aus zum Anderen durchbricht,wird er, in einer strengen und ver-wandelnden Begegnung, seineEinsamkeit durchbrochen haben“(Buber 1982, S. 162; vgl. Buber1978, S. 30).

Nun kenne ich Sie, werte Leser-Innen, nicht, wenn ich diesen Textschreibe. Gegenwärtig sind Sie mei-ne Projektion. Ich versuche mich,laut Dialogphilosophie Martin Bu-bers in Sie „hineinzuschwingen“(1992b, S. 268). Aber wie ist daswirklich möglich? Zur Zeit sind Sieein Abstraktum und gleichzeitig viele„Anderheiten“1 . Ist das Ich der Au-torin möglicherweise nur mit sichselbst in Kontakt? Mit anderen Wor-ten frage ich mich, wie Sie und ichuns als unendliche und endliche Dif-ferenz begegnen, in einen wirklichenDialog hier auf dem Papier tretenkönnen, wenn nur dieser zeigt, waser ist?

Zudem habe ich keine Kontrolleüber einen solchen Lebensvorgang.Wenn ein Ich-Du, ein Zwischen zwi-schen meinem Text und Ihnen ist,wird es von Ihrer authentischen Hin-gabe abhängig sein. Nun sind Siemöglicher Weise schon zwischen mei-nen Gedanken? Ihr Ja ist meineHoffnung für unser gegenseitigesVerstehen – unsere Begegnung?

Jetzt und hier kann ich meine dia-

logische Ernsthaftigkeit bekundenund die „sechs gespenstischenScheingestalten“ (Buber 1992b, S.279) akzeptieren, die während derTextgewinnung von beiden Seitenentwickelt werden. Mit diesen Gei-stern sind unsere jeweiligen Fremd-und Selbstbilder2 gemeint, die zuüberwinden die Transformationvom Monolog zum Dialog berei-tet. Sechs Scheingestalten sind zwi-schen zwei Personen, als da wärenzwei Fremdbilder, zwei Selbstbilderund zwei projizierte Selbstbilder,welches das Bild ist, was ich glaube,dass mein Gegenüber von mir hat.Je mehr Menschen an einer Kom-munikation beteiligt sind, desto hö-her ist das Aufkommen der Schein-gestalten. Mit mathematischen Wor-ten bedeutet dies: Die Menge derScheingestalten = 3X2, wobei X dieAnzahl der beteiligten Personen ist.Das mathematische Beispiel zeigt,welch ein Unterfangen der echteDialog in der Vielfalt der Ander-heiten ist.

Das dialogische PrinzipEine erste skizzenhafte Darlegungder wesentlichen Prinzipien des Dia-logischen ist an dieser Stelle notwen-dig:1. Der Dialog ist ein gegenwärtiger

und gegenseitiger Prozeß zwischen

Cornelia Muth

Das Dialogische als das Zwischen in der Vielfalt derAnderheiten – eine dialogische Perspektive auf dieGender- und Frauenforschung

Der Beitrag weist auf die Erkenntnischancen einer, jenseits einer binären Betrachtungsweise liegenden, dialogischenEpistemologie in der Genderforschung hin. Die Autorin verbindet Fragen der erziehungswissenschaftlichen Gender-und Frauenforschung mit dem pluralistischem Denken des jüdischen Dialogphilosophen Martin Bubers. Das „Zwi-schen“ erweist sich dabei als eine spirituelle und lebenspraktische Dimension, die das dualistische Denken in eineechte ambivalente und somit realitätsgerechte Seinsform für die postmoderne Gegenwart wandeln kann. VorläufigesErgebnis ist der Wahrnehmungsprozess eines lebendigen Gender-Dialogs in der Vielfalt der Anderheiten.

Page 44: Anina Mischau, Redaktion · 2011. 11. 30. · Anina Mischau, Redaktion EDITORIAL. IFF-Info Zeitschrift des Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrum (IFF) 20. Jahrgang / Nr.25

Cornelia Muth

44

gleichwertigen Anderheiten.2. Durch das personenhafte Inne-

werden meines konkreten Ge-genübers oder auch der vielenAnderheiten können einengendeZuschreibungen, d.h. die sechsSpukgestalten überschritten wer-den. Die Dialogphilosophiespricht diesbezüglich von zweiunterschiedlichen Ichs. Es gibt dasIch des Ich-Du, das Personenwe-sen, und das Ich des Ich-Es, dasEigenwesen genannt wird. ImIch-Du nimmt das Ich am Duder Anderen teil, d.h. eine wirkli-che Begegnung geschieht. Im Ich-Es legt das Ich die Anderen festund gibt ihnen eine fixierte Iden-tität.

3. Die offene Haltung des Men-schen muss eine echte sein. JederSchein zerstört den Dialog.

4. Das Dialogische ist unkontrollier-bar. Mit Worten allein ist es we-der mach- noch darstellbar.

5. Nur durch persönliche Hingabekann sich die dialogische Wirk-lichkeit offenbaren.

Beim Wort „offenbaren“ könntenSie nun zögern. Es klingt religiös.Diese Konnotation ist dem Dialo-gischen immanent: Gott, Göttin, dasGöttliche, Buddha, eine höhereMacht, ein ewiges Du sind in jedemDialog, den Buber meinte und ichhier beschreibe. Bewegen wir unssomit auf dem Boden einer femi-nistischen Theologie, wenn hier ver-sucht wird, Gender- und Frauen-forschung, Dialogik und Feminis-mus miteinander zu verbinden?

Bubers Ansatz ist keine Theolo-gie3 , sondern eine lebenspraktischePhilosophie. Und damit bin ich(bzw. sind wir?) bei der eingangsformulierten Warnung: DialogischeLebenspraxis ist eine postmoderne/mystische Lebenshaltung, die alleindurch Denken nicht zu begreifen ist.Trotz alledem möchte ich eine Dar-stellung wagen. Ich versuche,

1. Die Dialogphilosophie dem fe-ministisch-spirituellen und femi-nistischen Diskursen zu zuordnenund

2. zu zeigen, wie das DialogischeDenken sowohl theoretisch alsauch praktisch eine Erkenntnis-haltung anbietet, die dem Gestalt-ansatz als postmoderne Mysta-gogie (vgl. Frambach 1994, Sölle1997) ähnelt und für die Gegen-wart Frauen und Männern eineerziehungswissenschaftliche Be-grifflichkeit anbietet, den Dialogzwischen Männern und Frauen,unter Männern und unter Frauenund unter den vielen Anderheitenwahrzunehmen und eine echte in-dividualisierte Pluralität bzw.Transkulturalität (vgl. Krone2002; Muth 1998; Welsch 1994)nicht nur, aber auch in der päd-agogischen Praxis zu leben.

3. Letztendlich möchte ich auf eineWirklichkeit hinzeigen, die Kolk(2000, S. 24) mit „Begegnung mitdem Absoluten“, Dorst (1999, S.7) mit „Spiritualität im gewöhn-lichen Leben“, Stein mit „Wek-ken der Individualität in der Bil-dungsarbeit als lebendigen Glau-ben“ (2000, S. 39) und Buber alsdas „Zwischen“ (1982, S. 164-167) beschreiben.

Zurück auf wissenschaftlichenBodenAuch jenseits spiritueller Betrach-tungsweisen ist das Zwischen alsdritte Dimension zur Überwindungvon dualistischem Denken, was ins-besondere Keller (1986) und Har-ding (1991) für die feministischeForschung beanspruchen, im wis-senschaftlichen Gegenwartsdiskurswieder zufinden: De Lauretis sprichtdiesbezüglich von einem „sozio-symbolischen oder perversen Be-gehren“ (1996, S. 174), Aronsonvon einer „third social space“ (1998,S. 517), Butler von der „Grenze des

Menschlichen“ (2001, S. 127) undWulf von „Mimesis“ (2001, S.257ff.).

Das Dialogische und somit Dia-logisches Denken feministisch underziehungswissenschaftlich einer sy-stematischen Re-Lektüre zu unter-ziehen, ist dabei ein relativ jungerDiskurs (vgl. Emme 1996; Muth1997, Muth 1998, S. 88-90 und S.174-175, Muth 1999, Prengel 1993,Thürmer-Rohr 1999). Infolgedes-sen ist das Folgende eine Grundl-egung feministischer Dialogik, diesich ausschließlich auf die Sozial-philosophie Bubers bezieht. Die lei-tende Fragestellung für die erzie-hungswissenschaftliche Frauen- undGeschlechterforschung ergibt sichaus der gegenwärtigen Forschungs-praxis: Welchen Beitrag kann dasDialogische Denken Bubers für eine„künftige produktive Weiterent-wicklung der Geschlechtertheorie“(vgl. Rendtorff/Moser 1999) er-ziehungswissenschaftlich leisten?

PrämissenHierfür bedarf es der Klärung mei-ner theoretischen Prämissen. DasDialogische Denken Bubers ist insich unsystematisch. Eine reine Lehrehat Buber in seinen Schriften nie an-visiert. Doch insgesamt können die-se Schriften als systemtheoretischeAussagen beschrieben werden, de-ren Erkennen ein hermeneutisch-phänomenlogisches Vorgehen zu-grunde liegt (vgl. Muth 1998, S. 17und S. 31-34). Gleichzeitig ist seinpädagogisches Werk Ausdruck ei-ner anthropologischen Reflexionüber die am Bildungsprozess betei-ligten Menschen, d.h. über die Be-gegnung zwischen Lehrenden undLernenden. Diesbezüglich ist zu hin-terfragen, ob die Dialogphilosophieeine latente Geschlechtertheorie insich trägt und konstruktiv eine femi-nistische Wissenschaftstheorie vor-wärts bringen kann. Letztere Frage

Page 45: Anina Mischau, Redaktion · 2011. 11. 30. · Anina Mischau, Redaktion EDITORIAL. IFF-Info Zeitschrift des Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrum (IFF) 20. Jahrgang / Nr.25

Das Dialogische - ein Zwischen in der Vielfalt der Anderheiten

45Info 20.Jg. Nr.25/2003

ist gleichzeitig meine leitende Hypo-these: Das Dialogische Denken Bu-bers bietet ein Vokabular, das dasbinäre Denken einer Zweige-schlechtlichkeit „in Verwirrungbringt“ (Butler 1991, S. 218) undgleichzeitig auf eine integrale Wirk-lichkeit hinweist, die sich einer aus-schließlich kognitiven Erfassung ent-zieht. Vielmehr geht es um ein Be-greifen von Differenzen und Dis-sonanzen4 , die dem poststruktu-ralistischen Denken verwandt ist(vgl. Rendtorff/Moser 1999, Rend-torff 1996) und integralem Denken(vgl. Fuhr 1999, Jäger 1999 und2000, Ortmann 1998, Prengel 1993,Wilber 1998).

Die Anthropologie dialogi-schen DenkensGrundlegendes Motiv dialogischerAnthropologie ist das Doppelver-hältnis des Menschen zum Leben.Buber unterscheidet diesbezüglichzwei Haltungen, die der Mensch zurWelt und zu seinen Mitmenschenhat: Die Ich-Du-Haltung und dieIch-Es-Haltung. Letztere bezeichnetein Subjekt-Objekt-Verhältnis, erste-re eine Subjekt-Subjekt-Beziehung.Die Ich-Du-Haltung findet nur inder Gegenwart statt und ist durchGleichheit, Wechselseitigkeit undUmfassung gekennzeichnet. Umfas-sung meint das Innewerden des Ge-genübers und die Akzeptanz der an-deren Person als absolute „Ander-heit“. Die Ich-Es-Haltung bezeich-net den Distanzierungsvorgang zuden Menschen und der Welt. In die-ser Haltung betrachtet und analysiertder Mensch seine Mitmenschen unddie Welt wie ein Ding unter Din-gen. Diesbezüglich kann der Menschseine Mitmenschen auch gebrauchenund missbrauchen.

Die Ich-Du-Haltung zwischenden Menschen bereitet den Dialog.Die Ich-Es-Haltung meint den Mo-nolog. Beide Haltungen sind existen-

tiell notwendig. Zum Leben brauchtder Mensch einerseits eine offeneHaltung und andererseits eine Gren-ze zur Existenzsicherung. In der of-fenen Haltung zeigt der Mensch seinPersonenwesen, in der begrenztenIdentitätsfixierung sein Eigenwesen.

Die Ich-Es-Haltung ist die zurDistanzierung, d.h. für kognitiveErkenntnis, benötigte Haltung. DerMensch lernt, die in einer Gesell-schaft herrschenden Kategorien,d.h. die herrschende Symbolikwahrzunehmen. Mit Bubers Wor-ten: Der Mensch erkennt die Ord-nung der Welt. Dafür braucht derMensch die Sprache, der Buber dreiSeinsweisen zuschreibt. Sie lauten:„Bestand, Besitz und Begebnis“ (vgl.Buber 1962b). Bestand meint denindividuellen Sprachschatz und dasjeweilige Ausdrucksvermögen derMenschen. Besitz ist das Ergebnissystematischer Sammlung von Wis-sen, das immer wieder der aktuel-len Interpretation bedarf. Begebnisist das lebendige Sein in der Spra-che, der echte Dialog, das „Sich-ein-ander-Zuwenden von Menschen“(ebd.). Auf die Gender- und Frau-enforschung übertragen, sehe ichmit Bubers Kategorien folgendes:1. Die systematische Sammlung fe-

ministischen Forschungswissen istin den letzten 30 Jahren eklatantund erfolgreich gewachsen. DieGenderforschung kann auf ech-ten feministischen „Besitz“ zu-rückgreifen.

2. In der feministischen und ge-schlechtertheoretischen Diskussi-on gibt es einen sprachlichen „Be-stand“, das binäre Denken zu er-fassen, was sich in der immerwiederkehrenden Frage aus-drückt, ob das Weibliche und dasFrau-Sein und damit ebenso dasMännliche und das Mann-Sein es-sentiell oder eine Denkkategorieist. Da schon in der Frage einDualismus verborgen ist, liegt es

nahe, darauf dualistisch zu ant-worten oder auch eine Lanze fürdas ausschließlich Weibliche zubrechen, was wiederum einenDualismus hervorruft.

Mit der Begrifflichkeit der „zwie-fältigen Haltung“ zur Welt, sieht der„Bestand“ anders aus: Einerseits istdie Geschlechterdifferenz mit denzwei Kategorien Mann/Frau un-hinterfragbar, somit ein Ich-Es: EinIch beschreibt, dass die Welt in zweiWelten eingeteilt ist, in eine Männer-und in eine Frauenwelt. Das bedeu-tet für die analytische Ebene, dassdas Ich des denkenden Menschenmit einem Objekt verbunden wird.Dabei ist es gleichgültig, ob der Be-griff für das Objekt nun Mann oderFrau lautet, denn all diese Begriffedrücken ein Subjekt-Objekt-Ver-hältnis und somit den sprachlichen„Bestand“ aus (vgl. Butler 2001, S.40f.).5 Eine wirkliche Überwindung,d.h. das wahrhaftige Sehen des je-weiligen Menschen passiert jedochnoch nicht.3. Erst im „Begebnis“, im Zwi-

schen begegnet mir mein Gegen-über, das mehr ist als meinesprachlichen Kategorien. Umdiese Wirklichkeit und ein Ge-wahrsein für die Sphäre zwischenIch und Du geht es in der Dialog-philosophie. Diesbezüglich istauch ein dialogisches Begehren inder Frauen- und Genderfor-schung zu entdecken: Heinrichs(2001) argumentiert mit demBegriff „In-Differenz-Werden“.Schmuckli (1996) kritisiert bei-spielsweise „den vereinheit-lichenden Blick, der andere vonsich selbst entfremdet“: „Wirkli-ches Interesse den Anderen ge-genüber – ein aufmerksamesDazwischen-Sein – bedingt, daßfrau die Bereitschaft auf sichnimmt, sich von Selbstfremdhei-ten verwirren und verführen zulassen, und eine partielle Identi-

Page 46: Anina Mischau, Redaktion · 2011. 11. 30. · Anina Mischau, Redaktion EDITORIAL. IFF-Info Zeitschrift des Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrum (IFF) 20. Jahrgang / Nr.25

Cornelia Muth

46

tätsauflösung eingeht. Frau mußalso bereit sein, sich auf ein sozia-les Sterben einzulassen“ (ebd., S.294). Ein weiterer Anknüpfungs-punkt ist Schmucklis Beschrei-bung, wenn sie sich bezüglich derSprache fragt, „wer spricht undwer schreibt?“ Sie stellt einen„Zwischenraum“6 (ebd., S. 200)fest, in dem frau sich bewegt undgleichzeitig Dissonanzen ertragenmuss. Demgegenüber würde derDialogische Denkansatz argu-mentieren, das die Ich-Du-Hal-tung die menschliche Haltung ist,das wirkliche, d.h. ambivalenteLeben zu sein. Im Zwischenraumfindet dementsprechend echteBegegnung jenseits dualistischenHandelns statt.

Dialogisches Denken in derFrauen- und Geschlechter-forschungDie eindringlichste Zusammenfüh-rung dialogischen Denkens femini-stischen Bestandes und Besitzes istbislang Thürmer-Rohr (1999) ge-lungen, die den argumentativen Ich-Es-Spaltungsraum des Feminismusverlässt und sich letztendlich auf dieMenschenrechte bezieht und damitMänner in ihr Denken einbezieht.

Im übrigen gelingt dies auch Ort-mann (1998). Sie bezieht sich jedochnicht vordringlich auf Buber, son-dern auf das integrale Denken Geb-sers und überwindet damit das bi-näre Denken im feministischen Dis-kurs.

Thürmer-Rohr (1999) zeigt einer-seits die monologische Kommuni-kation an deutschen Universitätenund andererseits, welche Bedeutungdas dialogische Prinzip Bubers fürdie Gegenwart hat. Ihr Denkenschildert dies wie folgt: „Dialogesind umwegig. Sie brauchen Zeit. Siehalten auf. Ihr Ausgang ist offen. DieWege sind nicht planbar, die Ein-sichten, Faszinationen und Enttäu-

schungen unerwartet. Im Dialog be-wegen Menschen sich wie Fremde.Niemand weiß genau, was gesche-hen wird. Der Dialog hält nichtKurs, er wird nicht durch Ziele sti-muliert und nicht durch Resultatedirigiert. Er zeigt den einzelnen ihreGrenzen. Er braucht und stiftet Ver-wirrung. Er begibt sich in Gefah-renzonen. Er vervielfältigt das Feldder Fragen. Er löst die Gesten derBelehrung und Bekehrung ab undwird zum Wagnis für Herrschaft je-der Art“ (ebd., S. 61). Die Autorinzeigt, dass die sogenannten Dialog-wissenschaften weniger Lösungswe-ge als vielmehr Verstehenswegeschildern, die nicht ausschließlich alsobjektives Wissen lehrbar sind.Trotzdem lässt sich in der Gesell-schaft ein Bedürfnis nach dem Dia-log feststellen, insbesondere dort,wo moderne Machtansprüche nichtmehr akzeptiert werden. Zudem si-chert der echte Dialog Freiheit unddas Verschiedenseinlassen im Ge-gensatz zum ausschließenden Den-ken in einer eindeutigen kategoria-len Ordnung, die zu suchen, auchdie feministische Forschung Gefahrläuft.

Schließlich warnt Thürmer-Rohr,den echten Dialog misszuverstehen.Es geht nicht um Empathie und„urteilslose Toleranz“, sondern umdie Lust auf Chaos, Begeisterungund Zündstoff. In der Dialogphi-losophie wird diesbezüglich von der„Rückhaltlosigkeit“ (Buber 1992a, S.143) gesprochen, was nicht bedeu-tet, alles zu sagen, was man/frau/mensch denkt, sondern dass dieSprechenden ihr existentielles Seinmit einbringen und dennoch ihre In-timität bewahren.

Thürmer-Rohr (1999) mussschließlich auf die „religiös-meta-physische Sinngebung“ als ethischenInhalt dialogischen Denkens einge-hen, denn ohne diese Dimension7

kann die Dialogphilosophie Bubers

nur unvollständig wiedergegebenwerden: „Das spirituelle Fundamentdes Dialogischen ist in diesem Den-ken die Beziehung zum absolut An-deren des Menschen: Gott, Meta-pher des Nichtabbildbaren, Unbe-kannten und Nichterkennbaren, dasals solches zum Gegenüber mensch-licher Dialogsuche wird. Das Dia-logische ist bei Buber eine Existenz-weise, die einer Art Epiphanie be-darf – nicht um sich mit Gott, son-dern mit der Welt zu befassen. DieDialogerfahrung zwischen ich undabsolutem Du = Gott wird zur In-spiration für den Dialog zwischenden Menschen, und in jedemmenschlichen Gegenüber bleibt dasAndere, die Koexistenz des Ich miteinem absoluten Du anwesend, dasnicht bezeichnet und nach dem nichtgefragt werden kann, zu dem Men-schen aber in Beziehung treten kön-nen und das einerseits mit Menschenin Beziehung tritt“ (ebd., S. 69).

Der Dialog als ethische Haltunggibt Denkraum zu verstehen, dassdie Anderheit grundsätzlich nichtkategorisierbar ist und somit lassensich die Frau, die Frauen, der Mann,die Männer nicht erfassen. Undobwohl Thürmer-Rohr (1999) diespirituelle Seite des dialogischenPrinzips als untrennbar von ihm an-erkennt, stellt sie heraus, dass säkula-risierte Menschen dieses Prinzip eherals politisches akzeptieren. Nur alspolitisches Prinzip kann der Dialogdann offen und von jedem Selbstdefiniert werden, damit das gesche-hen mag, was der Dialog zeigt:„Der Dialog bleibt ebenso wie dieVielfalt der verschiedenen Menschenzweckfrei, er ist zu nichts gut – au-ßer daß diese Verschiedenen sich inder Welt und unter Menschen zuHause fühlen sollen“ (ebd., S. 71).

Insbesondere wird hier der Be-zug zur Dialogphilosophie deutlich.Buber (1962a) spricht im „Problemdes Menschen“ von der Hauslosig-

Page 47: Anina Mischau, Redaktion · 2011. 11. 30. · Anina Mischau, Redaktion EDITORIAL. IFF-Info Zeitschrift des Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrum (IFF) 20. Jahrgang / Nr.25

Das Dialogische - ein Zwischen in der Vielfalt der Anderheiten

47Info 20.Jg. Nr.25/2003

keit des Menschen. Dieser hat seineBehausung, auch die metaphysischeverloren. Was bleibt, ist der Dialog.Aus diesem Grund kann die Frau-en- und Genderforschung wenigwirklich zur Lösung des dualisti-schen Dilemma zwischen den Ge-schlechtern beitragen. Nur die kon-krete Anerkennung der Einzigartig-keit eines jeden Menschen wird derWürde des Menschen gerecht.Thürmer-Rohr zeigt dies deutlichdurch ihre Art und Form sprachli-cher Performanz. Sie verzichtet, dieSubjekte „Frau“, „Mann“ in immerdifferenzierenden Begrifflichkeitenfestzuschreiben. Sie weiß um dieGrenzen der illusionären Kategori-en – auch um die in der Erziehungs-wissenschaft.

Ähnlich argumentiert Ortmann(1998). Sie geht in Anlehnung anGebser (1986) von einer grundsätz-lichen, aber nicht unhinterfragbarenGeschlechterdifferenz aus. Histo-risch haben beide Geschlechter un-terschiedliche Wege hinter sich ge-bracht. Die Postmoderne bringt je-doch die Freiheit, die Geschlechter-historie anzuerkennen und gleichzei-tig neue Wege jenseits mentaler Zu-schreibung zu gehen. Dafür ist esnotwendig, eine nichtdualistischeSichtweise zu entwickeln. Ortmannkritisiert die perspektivische Fixie-rung der Geschlechterbeziehungund formuliert eine neue Bewußt-seinsform, die den Geschlechter-dualismus überwindet. Sie weist aufdie „männer-herrschenden“ Dis-kussionsformen hin. Diese Formmännlicher Dominanz zeigt sich inder mentalen Rechts- und Gerech-tigkeitsordnung. Alles, was in diesekategorische Ordnung nicht passt,wird entweder passend gemachtoder ausgeschlossen. Erst eine Be-freiung aus dieser Ordnung undsomit aus rechts-ordnendem Be-wusstsein kann auch Veränderungbeim Denken und Handeln bewir-

ken. Frauen wie Männer können sichvon dem ausschließenden dualisti-schen Denken befreien, wenn sieihre historisch-bedingten „Irrwege“begreifen: „Wohl aber wird derMann auf manche Anmaßung ver-zichten müssen, damit eine Welt ent-stehen kann, die weder mutter- nochvaterbetont und auch keine bloßvermännlichte Welt ist, sondern diein Frau und Mann den Menschenehrt und nicht nur menschlich, son-dern menschheitlich denkt“ (Gebser1986, S. 224 nach Ortmann 1998,S. 9).

Für die Frauen geht es ihrer Mei-nung darum, sich jenseits desDrucks der Ordnungssucht desMentalen einen Entwicklungsraumzu schaffen, der sie nicht zu einerbloßen Reproduktion des Menta-len verführt. Ein neuer Weg liegt inder Hingabe zur „Wahrheit des an-deren, des anderen Menschen unddes anderen Geschlechts“ (Ortmann1998, S. 12). Dies geschieht jedochausschließlich in der Gegenwart. Andiesem Punkt ihres Denkens beziehtsich Ortmann auf Bubers Dialog-philosophie, weil letztere zeigt, wieim Angesicht der Gegenwart gelebtwerden kann: In der Beziehungs-kraft des Ich-Du. Ortmann über-trägt diese Kraft auf ein „integralesDenken der Geschlechterfor-schung“ folgendermaßen: „Dochhaben wir die Möglichkeit der klei-nen Schritte und des sanften Beginns.Wir können auch sagen, daß jeder,auch der bescheidenste Versuch, die-se Ich-Du-Beziehung zu einemMenschen des eigenen und des an-deren Geschlechts zu realisieren, dasGeschlechterverhältnis verändert, jaauf eine sanfte Art revolutioniert.Und jede Begegnung, in der ein Ichsich der Tatsache bewußt ist, daßes zugleich ein Du hervorbringt, istwahrgebend. In einer solchen Be-gegnung kann ich mich in meinerWahrheit annehmen und den ande-

ren wahrgeben. Es entsteht eine„Welt ohne Gegenüber“ wie Geb-ser sagt. Das heißt, daß das Gegen-über zum Partner = Teilhaber ge-worden ist. Das betrifft zentral das– neue, bzw. neu möglich werden-de – Geschlechterverhältnis“ (ebd.,S. 13).

Sowohl im Denken Thürmer-Rohrs als auch Ortmanns werdenzwei Erkenntniswege der Frauen-und Geschlechterforschung gespie-gelt. Beide setzen auf den Dialogmit dem nicht vorherbestimmbarenDu jenseits rechthabender und un-beweglicher Geschlechterkatego-rien. Schließlich stellt sich die Frage,ob solche einmaligen Erkenntnis-prozesse nachvollziehbar und somitvermittelbar sind?

Wie gelangen Menschen zumdialogischen Denken dervielen Anderheiten?Wie lässt sich die Wirklichkeit derPersonenwesen, des Ich-Du, desZwischen und die Sphäre der Ei-genwesen, des Ich-Es methodischerfassen und untersuchen? Wie ist esmöglich, den Gender-Dialog, dasBegreifen der vielen Anderheitenwissenschaftlich zu erfassen? AlsErkenntnisweg für die Gender-For-schung postuliert von Braun denWeg des beobachtenden Auges, dassich außerhalb der Gesetze vonGemeinschaft stellt. Zudem emp-fiehlt sie neben dem ethnologischenBlick die „‘historische’ Methode“(von Braun 2000, S. 53). Diese solleinen „direkten Zugang“ zur Ent-zifferung der „‘verdrängten’ Teileder kollektiven Erinnerung“ gebenkönnen (ebd.). Dem gegenüberschlage ich methodisch den existen-tiellen Gender-Dialog vor. Ich leh-ne mich einerseits dabei an die Er-kenntnis dialogischer Hermeneutik(vgl. Bruckstein 2001, Muth 1998)und andererseits an den Kontakt-zyklus des Gestaltansatzes (vgl.

Page 48: Anina Mischau, Redaktion · 2011. 11. 30. · Anina Mischau, Redaktion EDITORIAL. IFF-Info Zeitschrift des Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrum (IFF) 20. Jahrgang / Nr.25

Cornelia Muth

48

Gremmler-Fuhr 1999, Mehrgardt1999) an. Der Gender-Dialog kannzeigen, dass Männer und Frauen jen-seits ihrer Eigenwesen, d.h. ihrerGeschlechterbilder, mehr sind alsdiese Bezeichnungen. Im Gender-Dialog offenbaren sich demnach diejeweiligen Personenwesen. In diesenOffenbarungsmöglichkeiten findendie vielen Anderheiten ihren unend-lichen Raum. Bestimmbar und da-mit begrenzt darstellbar werden sieerst im Nachschauen, Daraufschau-en des innerlich und äußerlich Er-lebten. Das folgende Schaubild ver-sucht, diesen Erkenntnisprozess zuverdeutlichen:Der humanistische Erkenntniswegnach dem Gestaltansatz erfolgt indrei Schritten, wobei der zweitenoch einmal unterteilt ist. Der ersteSchritt ist der Vorkontakt, d.h. kon-kret, dass eine Frau, ein Mann, einMensch im Gewahrsein seiner/ih-

rer Kategorien Kontakt zum Ge-genüber aufnimmt. Wird dieser er-widert, haben beide Seiten dieChance, sich wirklich jenseits derKategorien wahrzunehmen, d.h. dasechte Sein, das Ich-Du geschieht. ImGestaltkontaktzyklus bezeichnet dasIch-Du Kontaktnahme und Kon-taktvollzug. Abhängig davon, wielange beide oder mehrere Seiten of-

fen sind, ein kontrollfreies Sein mit-einander zu teilen, beginnt derNachkontakt. Die Menschen befin-den sich wieder im Ich-Es und ge-langen zu ihren Kategorien zurück,diesmal jedoch um ein Gewahrseinreicher: Ihr Gegenüber ist mehr alsdas Geschlechterbild, das sie vonihr/ihm haben. Auch die Geschlech-terordnung ist für den Ich-Du-Pro-zess außer Kraft gesetzt.

Betrachten wir das Bild noch ein-mal, erkennen Sie die Begriffe Erhe-bung, Offenbarung und Erlösung.Diese Begriffe sind aus der Dialog-philosophie Bubers. Im Prozess derErlösung findet das wissenschaft-liche Schauen statt. Im Vergleichzum Ansatz von von Braun wirddeutlich, dass auch die Wissen-schaftlerInnen Teil des Geschehenssind, jedoch jenseits ihrer Kategori-en Gender, WissenschaftlerIn etc.Diesbezüglich bezieht sich der Gen-

der-Dialog originär auf Buber undzeigt, dass auch die Wissenschafthoffnungslos in den Erkenntnis-prozess eingewoben ist und nichtjenseits einer gender-freien Objek-tivität existiert. Wissenschaft musssich demnach als „Partner (In – CM)der Wirklichkeit“ (Buber 1953, S.121), d.h. als Teil der gesellschaftli-chen Geschlechter-Krise verstehen

und an der Veränderung gesell-schaftlichen Denkens durch eigenesveränderndes Denken mitwirken.Dieses Denken ist ein geistreichesDenken. Geist definiert Buber alseine Kontaktfläche zwischen einemIch und einem Du, das keine welt-hafte Erscheinung hat. Es ist dieHaltung des Ich zur Nicht-Welt.Ohne dieses dialogische Sein ist eineechte Verantwortung für die Weltunmöglich. Sie entsteht für Buberin der Seele, die die Kontaktflächedes Menschen zur Welt ist (vgl.Buber 1993a, S. 134ff., Muth 1998,S. 77). Mit anderen Worten: WillPädagogik herrschende Geschlech-terverhältnisse in der Welt verän-dern, müssen PädagogInnen ihreBegegnungskompetenz wahrneh-men und in der Welt ausdrücken.

Der Gender-Dialog – einefeministische Utopie dialogi-scher Erkenntnisprozesse?Methodisch versucht der Gender-Dialog das zu erreichen, was Schilppund Friedman (1963) zur Episte-mologie der Dialogphilosophiefeststellen. Ihrer Meinung nachschafft Buber, „ (...) die zur Un-fruchtbarkeit erstarrten Kategorienzu sprengen“ (S. 10; Hervorhebungim Original). Ein dialogischer Er-kenntnisweg zeigt, dass ein Behar-ren auf den dualistischen Begriffender Geschlechterproblematik dieLebens-Wirklichkeit nicht vorwärts-bringt. Dennoch will der Gender-Dialog darauf nicht ganz verzich-ten, weil es ohne das Benennen dervielen Ich-Es, ohne die echte be-griffliche Distanzierung das Über-winden der Kategorien auch nichtmöglich ist. Der Gender-Dialogbraucht „authentische soziale Ge-danken“ (Buber 1953, S. 121). DieAufgabe der erkennenden Eigen-wesen von Erziehungswissenschaf-tlerInnen beschreibt die Dialog-philosophie entsprechend: „Philoso-

Abb.1:Der Kontakt im Dialog

Page 49: Anina Mischau, Redaktion · 2011. 11. 30. · Anina Mischau, Redaktion EDITORIAL. IFF-Info Zeitschrift des Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrum (IFF) 20. Jahrgang / Nr.25

Das Dialogische - ein Zwischen in der Vielfalt der Anderheiten

49Info 20.Jg. Nr.25/2003

phische Erkenntnis des Menschen istihrem Wesen nach eine Selbstbesin-nung des Menschen, und derMensch kann sich auf sich selbsteben nur so besinnen, daß sich zu-nächst die erkennende Person, derPhilosoph also, der Anthropologietreibt, auf sich selber als Personbesinnt. (...) Die Ganzheit der Per-son und durch sie die Ganzheit desMenschen erkennen kann er erst dann,wenn er seine Subjektivität nichtdraußen läßt und nicht unberührterBetrachter bleibt.“ (Buber 1982, S.19f.; Hervorhebungen im Original).Die Selbstanschauungsweise desGender-Dialogs erfordert, die eige-nen diskriminierenden Haltungengegenüber dem Geschlechterver-hältnis anzuerkennen und in den Er-kenntnisprozess einzuweben, ohnein einem „Selbstbegnügen, im Sich-befassen mit sich selbst“ (Buber1993b, S. 118) haften zubleiben.8

Ein zweites Schaubild soll denBegegnungsaspekt, das Ich-Du des‘methodischen’ Gender-Dialog-We-ges verdeutlichen:Ein Ich-Du, ein Sein jenseits vonGeschlechterbildern und vom Ge-schlechterverhältnis ist das „Offen-baren der reinen Gestalt der Begeg-nung“ (Buber 1993b). Diese kommtweder vom Innern des Menschen,noch füllt sie den Menschen von

Außen, sondern sie ist Wandlung desmenschlichen Seins. Sie drückt sichin der fortwährenden Entwicklungdes Lebens, in den immer wieder-kehrenden Beziehungen aus. Wand-lung geschieht laut Buber in Formeiner „Trias der Weltzeit“, die Hor-witz (1978) so versteht: „ (...) he (=Buber – CM) now speaks of Crea-tion-Revelation-Redemption as atriad of world time (Weltzeit), andsimilarily interprets these three tensesnot as unique event that took placeonce and only once, but as ever-re-curring relations – as the basic orien-tation of man“ (ebd., S. 235). Bubermeint damit, wie schon erläutert,dass die Grundform menschlichenErkennens und damit Ganz-Seins indrei Phasen geschieht: Zuerst Erhe-bung, dann Offenbarung und zu-letzt Erlösung. Da Bubers Haltungeine religiöse ist, sind seine Aussa-gen wiederum auf Gott und dieSchöpfung bezogen. Zur Klärungder ersten Phase sagt er, dass es sichdabei um Gottes Schrei in die Lee-re handelt. Es gibt noch keinen Dia-log zwischen Schöpfer und Schöp-fung. Der Dialog beginnt erst, wenndie Nachricht im Leben, d.h. vomMenschen angenommen wird. „Si-lence still lies brooding before him(= the human being – CM), butsoon things begin to rise and give

answer – their very coming intoexistence is answer.“ (Buber 1965,S. 27).

In der Offenbarung der Men-schen, die in der Akzeptanz Gottesund damit des Selbst des Menschenliegt, wird eine Ich-Du-Welt ge-schaffen. In der gegenwärtigen(Ver-)Antwort(ung) findet derMensch Erlösung. Lehnt derMensch seine mögliche Authentizi-tät ab, macht er sich schuldig an sichselbst und an seinem Gegenüber.Mit anderen Worten: Er steht nichtim Hier und Jetzt: „Wenn ich nichtwirklich da bin, bin ich schuldig. (...)Das ursprüngliche Schuldigsein istdas Bei-sich-bleiben. Zieht aber eineGestalt in Erscheinung des gegen-wärtigen Seins an mir vorüber, undich war nicht wirklich da, dannkommt aus der Ferne ihres Ver-schwinden ein zweiter Ruf, so leiseund heimlich, als käme er aus mirselbst: >Wo bist du?< Das ist derRuf des Gewissens. Nicht mein Da-sein ruft mich, sondern das Sein, dasnicht ich ist, ruft mich. Antwortenaber kann ich nun erst der nächstenGestalt; die gesprochen hat, ist nichtmehr zu erreichen. (Diese nächsteGestalt kann selbstverständlich zu-weilen derselbe Mensch sein, aberdann eben eine andere, spätere, ver-änderte Erscheinung von ihm“(Buber 1962a, S. 363f.; Hervor-hebungen im Original).

Mit diesem spirituellen Vorgehenverabschiedet sich der Gender-Dia-log jedoch nicht von der Wissen-schaft. Im Gegenteil, er erweitertdiese bzw. holt das zurück, was inihr verloren gegangen ist (vgl.Faulhaber 1996, Wilber 1998): DasGewahrsein für das Transzendenteals eine Wirklichkeit, die ich anfangsbeschrieb und die andere Autor-Innen Mimesis, das Dritte etc. nen-nen. Demnach bleibt auch spiritu-elle Erkenntnis das, was eine wis-senschaftliche ist: „Erkenntnis: ImAbb.2: Dialogicher Erkenntnisweg

Page 50: Anina Mischau, Redaktion · 2011. 11. 30. · Anina Mischau, Redaktion EDITORIAL. IFF-Info Zeitschrift des Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrum (IFF) 20. Jahrgang / Nr.25

Cornelia Muth

50

Schauen eines Gegenüber erschließtsich dem Erkennenden das Wesen.Er wird, was er gegenwärtig ge-schaut hat, als Gegenstand fassen,mit Gegenständen vergleichen, inGegenstandsreihen einordnen, ge-genständlich beschreiben und zer-gliedern müssen; nur als Es kann esin den Bestand der Erkenntnis ein-gehen. Aber im Schauen war es keinDing unter Dingen, kein Vorgangunter Vorgängen, sondern aus-schließlich gegenwärtig und duhaftoffenbar. Nicht in dem Gesetz, dasdanach aus der Erscheinung abge-leitet wurde, sondern in ihr selbstgab sich das Wesen kund“ (Buberin Horwitz 1978, S. 265). DiesemErkenntnisweg geht somit etwasvoraus: Erziehungswissenschaftler-Innen sind sich gewahr, dass die Er-fahrung der Wahrheit nicht dieWahrheit der Erfahrung ist. DerenWirklichkeit findet in der wahrhaf-tigen Haltung zum Sein, im Ich-Dustatt.

Lebendiges ErkennenDie Gender-Dialog-Epistemologiegeht davon aus, dass nur eine leben-dige Dialogpraxis zwischen denAnderheiten eine bewegende Er-kenntnistheorie produziert und um-gekehrt. Authentische Gender-Ge-danken können auf die Gesellschaftwirken und zeigen, wo die vielenAnderheiten verkannt werden (vgl.Muth 2003). Doch wie ist diese Er-kenntnis möglich? Zuerst einmal istes wichtig, die Dualität, das zweifa-che Sein als Eigen- und Personen-wesen des Menschen wahrzuneh-men. Es gilt ein Gewahrsein zu ent-wickeln, dass Menschen mehr sindals das realpolitische Geschlech-terverhältnis und Geschlechterbilderbeschreiben können. Das mensch-liche Doppelverhältnis schafft eineFreiheit, den vielen Anderheiten jen-seits von diskriminierenden Katego-rien zu begegnen. Ich-Du geschieht

als das wahrhafte Gegenüber: Daseinzigartige Individuum lebt im An-gesicht der vielen anderen einmali-gen Individuen. Dies bedeutet wie-derum nicht, dass der Gender-Dia-log die detaillierte Analyse vernach-lässigt. Auch der Dialog kann ohneeine wahrheitsgerechte Analyse kei-ne echte gewandelte Sichtweise er-zeugen. Begegnung ist ohne „Ur-distanz“ unmöglich (Buber 1978, S.45). Die Ich-Es-Haltung als episte-mologische Haltung ist demnachweder eine ausschließlich reflektie-rende noch eine zuschauende. Sie isteine „in der Sphäre der eigenenKörperlichkeit“ geschehende Wahr-nehmungsweise (ebd., S. 46). Dasdistanzierte Sein ist jedoch Vorbe-dingung, um in den Dialog zu tre-ten. Der Mensch muss seiner Weltabrücken, er/sie muss sich von deneigenen und fremden geschlechter-bezogenen Bedürfnissen und Pro-blemen in einer Weise entziehen,ohne sich von der Welt ins Innere,ins Irreale zu entfernen.

Die wahrnehmende Person weißdarum, dass sie das wirkliche Er-kennen der vielen Anderheiten erstrealisiert, wenn sie diese im Prozessder „Selbstwerdung-mit-mir“ aner-kennt und bestätigt: „Denn das in-nerste Wachstum des Selbst vollziehtsich nicht, wie man heute gern meint,aus dem Verhältnis des Menschenzu sich selber, sondern aus dem zwi-schen dem Einen und dem Andern,unter Menschen also vornehmlichaus der Gegenseitigkeit der Verge-genwärtigung – aus dem Vergegen-wärtigen anderen Selbst und demsich in seinem Selbst vom anderenVergegenwärtigtwissen – in einemmit der Gegenseitigkeit der Akzep-tation, der Bejahung und Bestäti-gung“ (Buber 1978, S. 36). Erstwenn ich als Erziehungswissen-schaftlerin den vielen Anderheitenpersonenhaft begegnet bin, ist es mirmöglich, sie anerkennend zu den-

ken (vgl. Kron/Muth 2000). Somitist die Erziehungswissenschaft einSpiegel ihres eigenen zwischen-menschlichen Begegnungsreichtums.

Anmerkungen1 Die Überlegung, Bubers Begriff der An-derheit mit Rendtorffs (1999) Argumen-tationsbild der „différance“ gleichzusetzen, istdurchaus möglich.2 Diesbezüglich ist der Begriff „Scheinge-stalt“ von Buber dem Begriff der „Projekti-on“ der Psychoanalyse ähnlich (vgl. Lacan(1991) in Rendtorff 1996, S. 104, Fußno-te 3 und Rendtorff 1999, S. 171). BubersArgumentation geht jedoch nicht davon aus,dass das Dialogische eine Positionierung imSelben ist (vgl. Rendtorff 1996, S. 107).3 Leider werden seine Bücher immer wieder inBibliotheken und Buchläden ausschließlich derTheologie und nicht auch der Philosophiezugeordnet. Eine Erklärung dafür ist derBezug auf seine Übersetzung der jüdischenBibel, des Alten Testaments in die deutscheSprache.4 Eine dialogisch-orientierte Person könntemit Donigers Beschreibung einer androgynenPerson gleichgesetzt werden. Sie vergleicht diesemit einem „roten Pik-As“. DialogischeLebenspraxis wäre danach eine Wirklichkeit,die mehr ist als ein rotes Pik-As symbolisie-ren kann (vgl. Doniger 1999, S. 101f.).5 Auch die provokanten Thesen Haraways(1995) erwirken keine Befreiung aus den fi-xierenden Begriffen. Haraways Vielfalt neu-er Begriffe wird über das Ich-Es nicht hinaus-gehen.6 Es scheint kein Zufall zu sein, dass sichsowohl feministisches als auch jüdisches Den-ken auf das Phänomen des Zwischen bezie-hen, haben doch deren VertreterInnen als„Minderheiten“ begriffliche Diskriminierun-gen erfahren müssen, einen (denkerischen)Freiraum suchen und im Zwischen finden (vgl.Muth 1998, S.176).7 Diese spirituelle Dimension ist wiederum eineandere von der Schäfer (2001) spricht, wennsie die spirituelle Seite des Feminismus kriti-siert (vgl. auch Streit 2001).8 Diesbezüglich stimme ich Walter (2000)zu, dass die Geschlechterforschung in ihrer

Page 51: Anina Mischau, Redaktion · 2011. 11. 30. · Anina Mischau, Redaktion EDITORIAL. IFF-Info Zeitschrift des Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrum (IFF) 20. Jahrgang / Nr.25

Das Dialogische - ein Zwischen in der Vielfalt der Anderheiten

51Info 20.Jg. Nr.25/2003

Argumentation bislang eine Frauenforschunggeblieben ist und das Problem der Geschlechter-verhältnisse kaum aus der ‚männlichen’ Per-spektive diskutiert wird.9 Für die interessierten LeserInnen sei ange-merkt, dass das Gütersloher Verlagshaus eineaus 21 Bänden bestehende Martin BuberWerkausgabe (MBW) geplant hat. Der ersteBand „Frühe kulturkritische und philosophi-sche Schriften 1891-1924“ ist 2001 erschie-nen.

LiteraturAronson, Jane: Lesbians Giving and

Receiving Care: Stretching Concep-tualisation of Caring and Com-munity, in: Women’s Studies Inter-national Forum, Nr. 5, 1998, S. 505-519.

Braun, Christina von/Stephan, Inge(Hgg.): Gender Studies: Eine Ein-führung, Stuttgart 2000.

Braun, Christina von: Gender, Ge-schlecht und Geschichte, in: Dies./Stephan 2000, S. 16-57.

Buber, Martin: Die Forderung des Gei-stes und die geschichtliche Wirklich-keit, in: Ders.: Hinweise, Zürich 1953,S. 121-141.

Buber, Martin: Werke I, München/Hei-delberg 1962a/b.9

Buber, Martin: Das Problem des Men-schen, in: Ders. 1962a, S. 307-407.

Buber, Martin: Das Wort, das gespro-chen wird, in: Ders. 1962b, S. 442-453.

Buber, Martin: Israel and the World,New York 1965.

Buber, Martin: Urdistanz und Bezie-hung, Heidelberg 1978.

Buber, Martin: Das Problem des Men-schen, Heidelberg 1982.

Buber, Martin: Das dialogische Prinzip,Gerlingen 1992a/b.

Buber, Martin: Elemente des Zwischen-menschlichen, in: Ders. 1992a, S. 269-298.

Buber, Martin: Zwiesprache, in: Ders.1992b, S. 137-196.

Buber, Martin: Nachlese, Gerlingen1993a/b.

Buber, Martin: Von der Verseelung der

Welt, in: Ders.: 1993a, S. 134-143.Buber, Martin: Philosophische und reli-

giöse Weltanschauung, in: Ders.1993b, S. 117-123.

Buber, Martin: Der Weg des Menschennach der chassidischen Lehre, Güters-loh 2001.

Butler, Judith: Das Unbehagen der Ge-schlechter, Frankfurt/M 1991.

Butler, Judith: Antigones Verlangen:Verwandtschaft zwischen Leben undTod, Frankfurt/M 2001.

Butler, Judith: Jenseits fixierter Identi-tät, in: Siegessäule, Nr. 6, 2001, S. 40-41.

Bruckstein, Almut Sh.: Die Maske desMoses. Studien zur jüdischen Her-meneutik, Berlin 2001.

Dorst, Brigitte: Über Lernen und Leh-ren in spirituellen Gruppen. Ein Rei-sebericht von unterwegs, in: Schlan-genbrut, Nr. 67, 1999, S. 5-8.

Doninger, Wendy: Der Mann, der mitseiner Frau Ehebruch beging, Frank-furt 1999.

Emme, Martina: „Der Versuch, denFeind zu verstehen“: Ein pädagogi-scher Beitrag zur moralisch-politi-schen Dimension von Empathie undDialog, Frankfurt/M 1996.

Faulhaber, Theo: Die Wiederkehr desSpirituellen. Esoterik als Hoffnung,Wien 1996.

Fuhr, Reinhard/Sreckovic, Milan/Grem-mler-Fuhr, Martina: Handbuch derGestalttherapie, Göttingen 1999.

Fuhr, Reinhard: Ansätze einer Ent-wicklungstheorie für die Gestalt-therapie, in: Ders./Sreckovic, Milan/Gremmler-Fuhr 1999, S. 575-598.

Frambach, Ludwig: Identität und Befrei-ung in Gestalttherapie, Zen undchristliche Spiritualität, Petersberg1994.

Gebser, Jean: Ursprung und Gegenwart,Stuttgart 1986.

Gremmler-Fuhr, Martina: Grundkon-zepte und Modelle in der Gestalt-therapie. In: Fuhr, Reinhard/Srecko-vic, Milan/Dies. 1999, S. 345-392.

Harding, Sandra: Feministische Wissen-

schaftstheorie. Zum Verhältnis vonWissenschaft und sozialem Ge-schlecht, Hamburg 1991.

Haraday, Donna: Die Neuerfindung derNatur: Primaten, Cyborgs und Frau-en, Frankfurt/M 1995.

Heinrichs, Gesa: Bildung Identität Ge-schlecht, Königstein/Ts 2001.

Horwitz, Rivka: Buber’s Way to >I andThou<. An Historical Analysis andthe First Publication of MartinBuber’s Lectures >Religion als Ge-genwart<, Heidelberg 1978.

Jäger, Willigis: Suche nach dem Sinn desLebens. Bewußtseinswandel durchden Weg nach innen. Vorträge, An-sprachen und Erfahrungsberichte,Petersberg 1999.

Jäger, Willigis: Die Welle ist das Meer.Mystische Spiritualität, Freiburg/Br2000.

Keller, Evelyn Fox: Liebe, Macht undErkenntnis. Männliche und weiblicheWissenschaft, München 1986.

Kolk, Sylvia: „Du bist endlich da, wo duimmer schon warst!“ Die Begegnungmit dem Absoluten im Kontextbuddhistischer Praxis, in: Schlangen-brut, Nr. 71, 2000, S. 22-24.

Kron, Tamar/Muth, Cornelia: HearingLevinas und the Revelation of Re-sponsibility, in: Fritsch-Oppermann,Sybille (Hgg.): Das Antlitz des “An-deren“. Emmanuel Levinas’ Philoso-phie und Hermeneutik als Anfrage anEthik, Theologie und interreligiösenDialog, Rehburg-Loccum 2000, S.185-196.

Krone, Wolfgang: Martin Buber – Her-ausforderung durch den Anderen, in:Im Gespräch, Nr. 4, 2002, S. 5-18.

Lacan, Jacques: Jenseits des Imaginären,das Symbolische, oder vom kleinenzum großen Anderen, in: Ders.: DasIch in der Theorie Freuds und in derTechnik der Psychoanalyse, Das Semi-nar Buch II (1954-55), Weinheim1991.

Lauretis, Teresa de: Die Andere Szene.Psychoanalyse und lesbische Sexuali-tät, Berlin 1996.

Page 52: Anina Mischau, Redaktion · 2011. 11. 30. · Anina Mischau, Redaktion EDITORIAL. IFF-Info Zeitschrift des Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrum (IFF) 20. Jahrgang / Nr.25

Cornelia Muth

52

Mehrgardt, Michael: Erkenntnistheore-tische Fundierung der Gestaltthe-rapie, in: Fuhr, Reinhard/Sreckovic,Milan/Gremmler-Fuhr, Martina1999, S. 485-511.

Muth, Cornelia: Wissenschaftlerinnenund Studentinnen im Dialog mit ih-rer Körpersozialisation, in: Macha,Hildegard/Klinkhammer, Monika(Hgg.): Die andere Wissenschaft:Stimmen der Frauen an Hochschu-len, Bielefeld 1997, S. 187-195.

Muth, Cornelia: Erwachsenenbildungals transkulturelle Dialogik, Schwal-bach/Ts 1998.

Muth, Cornelia: Mut und Verantwor-tung als feministische Übergangs-phänomene, in: Fischer, Dietlind/Friebertshäuser, Barbara/Kleinau,Elke (Hgg): Neues Lehren und Ler-nen an der Hochschule – Einblickeund Ausblicke, Weinheim 1999, S.157-167.

Muth, Cornelia/Kron, Tamar: HearingLevinas und the Revelation of Re-sponsibility, in: Fritsch-Oppermann,Sybille (Hgg.): Das Antlitz des „An-deren“. Emmanuel Levinas’ Philoso-phie und Hermeneutik als Anfrage anEthik, Theologie und interreligiösenDialog, Rehburg-Loccum 2000, S.185-196.

Muth, Cornelia (Hgg.): Zwischen Gutund Böse: Mit Martin Bubers sechsSchritten nach der chassidischen Leh-re das eigene Leben gestalten, Güters-loh 2001.

Muth, Cornelia: Der sozialpädagogischeDialog, in: Koch, Gerd (Hgg.): Wör-terbuch der Theaterpädagogik, Milow2003 (im Erscheinen).

Ortmann, Hedwig: Die Zukunft derGeschlechterbeziehung – Vorausset-zungen und Wirkungen eines inte-gralen Bewußtseins. Unveröffentlich-tes Manuskript, Bremen 1998 (Über-arbeitet und veröffentlicht unterwww.die-frankfurt.de/esprid/doku-mente/doc-2000/ortmann 00_01.-htm).

Prengel, Annedore: Pädagogik der Viel-

falt: Verschiedenheit und Gleichbe-rechtigung in Interkultureller, Femi-nistischer und Integrativer Pädagogik,Opladen 1993.

Rendtorff, Barbara: Geschlecht und sym-bolische Kastration: über Körper,Matrix, Tod und Wissen, König-stein/Ts 1996.

Rendtorff, Barbara: Sprache, Geschlechtund die Unerreichbarkeit des Ande-ren, in: Behm, Britta L./Heinrichs,Gesa/Tiedemann, Holger (Hgg.):Das Geschlecht der Bildung – DieBildung der Geschlechter, Opladen1999, S. 169-183.

Rendtorff, Barbara/Moser, Vera: Ge-schlecht als Kategorie – soziale, struk-turelle und historische Aspekte, in:Dies. (Hgg.): Geschlecht und Ge-schlechterverhältnisse in der Erzie-hungswissenschaft – eine Einfüh-rung, Opladen 1999, S. 11-68.

Schäfer, Martina: Die Wolfsfrau imSchafspelz. Autoritäre Strukturen inder Frauenbewegung, München2001.

Schilpp, Paul Arthur/Friedman, Mau-rice: Martin Buber, Stuttgart 1963.

Schmuckli, Lisa: Differenzen und Dis-sonanzen: Zugänge zu feministi-schen Erkenntnistheorien in derPostmoderne, Königstein/Ts 1996.

Sölle, Dorothee: Mystik und Wider-stand: du stilles Geschrei. Hamburg1997.

Stein, Edith: Die Frau: Fragestellungenund Reflexionen, Freiburg/Br 2000.

Streit, Monica: Wohin mit dem Ego?Spiritualität und Psychotherapie, Ber-lin 2001.

Thürmer-Rohr, Christina: Neugier undAskese – Vom Siechtum des dialogi-schen Prinzips an der Dienstlei-stungs-Universität, in: Festschrift fürEkkehart Krippendorf: Für eine le-bendige Wissenschaft, Frankfurt/M 1999, S. 61-74.

Walter, Willi: Geschlecht und Männer-forschung, in: Braun von/Stephan2000, S. 97-115.

Welsch, Wolfgang: Rede zur Kultur, in:

Paragrana, Nr. 1, 1994, S. 200-216.Wilber, Ken: Naturwissenschaft und

Religion. Die Versöhnung von Weis-heit und Wissen, Frankfurt/M 1998.

Wulf, Christoph: Mimesis und per-formatives Handeln. Günther Ge-bauers und Christoph Wulfs Kon-zeption mimetischen Handelns inder sozialen Welt, in: Ders./Göhlich,Michael/Zirfas, Jörg (Hgg.): Grund-lagen des Performativen. Eine Ein-führung in die Zusammenhänge vonSprache, Macht und Handeln, Wein-heim und München 2001, S. 253-272.

Prof. Dr. Cornelia MuthFachhochschule BielefeldFachbereich SozialwesenKurt-Schumacher-Str. 633615 BielefeldEmail: [email protected]

Page 53: Anina Mischau, Redaktion · 2011. 11. 30. · Anina Mischau, Redaktion EDITORIAL. IFF-Info Zeitschrift des Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrum (IFF) 20. Jahrgang / Nr.25

Studierende und Promovierende an der Fakultät für Soziologie

53Info 20.Jg. Nr.25/2003

Gabriele Abels, Angelika Engelbert

Die Situation von Studierenden undPromovierenden an der Fakultät fürSoziologie

Die „Richtlinien zur Gleichstellung der Geschlechter“ der Fakultät für Soziologie sehenregelmäßige Berichte zur Situation von Studentinnen, Wissenschaftlerinnen und Nicht-wissenschaftlerinnen vor. Die Gleichstellungskommission der Fakultät hat es sich in denJahren 2001/02 zur Aufgabe gemacht, hierfür eine empirische Grundlage zu schaffenund Befragungen zur Situation von Studierenden und Promovierenden durchzuführen.Die Studierendenbefragung wurde im Wintersemester 2001/02, die Promovierendenbe-fragung im Sommersemester 2002 durchgeführt; die Analysen wurden im Wintersemester2002/03 abgeschlossen.1 Nachfolgend werden die beiden Befragungen und ihre wichtig-sten Ergebnisse zusammenfassend dargestellt. Hierauf bezogen hat die Gleichstellungs-kommission jeweils Empfehlungen zur Verbesserung der Situation von Studentinnen undPromovendinnen an der Fakultät für Soziologie erarbeitet.2

I. Zur Befragung von Studierenden an der Fakultät für SoziologieIm Zentrum der Studie stand die Studiensituation an der Fakultät für Soziologie.Studentinnen und Studenten aller Fachsemester und aller an der Fakultät vertretenenStudiengänge wurden zu ihren Studienaktivitäten, zu Studienerfahrungen und zu Studien-problemen befragt. Darüber hinaus wurden objektivierbare Studienmerkmale (Studi-engang, Fachsemester, Studienphase, Fach- und Hochschulwechsel), soziodemo-graphische Daten (Alter, Nationalität, Familiensituation) sowie die Erwerbssituationder Studierenden erfasst (Arbeitsstunden während der Vorlesungszeiten und in dervorlesungsfreien Zeit). Berücksichtigt wurden dabei auch Tätigkeiten als studentischeHilfskraft. Neben einer geschlechtsspezifischen Differenzierung dieser Studien- undLebenslagemerkmale interessierten auch allgemeine und geschlechtsspezifische Er-klärungsmodelle für die einbezogenen Indikatoren der Studiensituation. Zentrale Fra-gestellungen der Studie waren somit:• Unterscheiden sich Studenten und Studentinnen an der Fakultät für Soziologie hin-

sichtlich ihrer Studiensituation und hinsichtlich ihrer Studienmerkmale?• In welchem Zusammenhang stehen Studiensituation auf der einen Seite und Studien-

merkmale, Familiensituation und Erwerbssituation auf der anderen Seite?• Gibt es Unterschiede in der Richtung oder in der Stärke solcher Zusammenhänge

zwischen Männern und Frauen?

Methodisches Vorgehen und UntersuchungssampleDie (schriftliche) Befragung der Studierenden fand im Dezember 2001 statt und wur-de während der Veranstaltungszeit in den Seminarräumen durchgeführt. In die Erhe-bung sollten alle Studierenden, die während einer Woche eine Lehrveranstaltung ander Fakultät besuchen, einbezogen werden. Ausgeschlossen wurden dabei lediglichdie Kolloquien, die sich hauptsächlich an DoktorandInnen richten. Insgesamt konnteeine Zahl von 141 Lehrveranstaltungen ermittelt werden, von denen 82% in die Erhe-bung einbezogen wurden.

1 Beide Befragungen wurdenaus Mitteln der Gleichstel-

lungskommission finanziertund mit Hilfe der studenti-

schen Hilfskraft MalteHegeler realisiert. Die

wissenschaftliche Verantwor-tung für die Studieren-

denbefragung lag beiHD Dr. Angelika

Engelbert, für die Promo-vierendenbefragung bei

Dr. Gabriele Abels.

2 Die ausführlichenForschungsberichte sind überdie Homepage der Gleichstel-

lungskommission zugäng-lich (http://www.uni-

bielefeld.de/soz).

Zusammenfassender Bericht mit Empfehlungender Gleichstellungskommission

Page 54: Anina Mischau, Redaktion · 2011. 11. 30. · Anina Mischau, Redaktion EDITORIAL. IFF-Info Zeitschrift des Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrum (IFF) 20. Jahrgang / Nr.25

Berichte aus der Universität Bielefeld

54

Von den insgesamt 624 befragten Studierenden strebten 39,4% das Diplom inSoziologie an, 11,5% den Magisterabschluss, 30,6 % hatten einen Lehramts-studiengang belegt und 8,7% studierten im Hauptfach Pädagogik. Weitere 9,6%kamen aus anderen Studiengängen bzw. Studienangeboten (z.B. Promotions-studiengang, Frauenstudien, Studieren ab 50). Aufgrund der besonderen Situationdieser Studierenden wurden sie bei den weiteren Auswertungen nicht berücksich-tigt. Dies gilt auch für jene Studierenden, die zum Zeitpunkt der Erhebung erst mitihrem Studium an der Fakultät für Soziologie begonnen hatten und demzufolgenoch kaum über Studienerfahrungen an dieser Fakultät verfügten. Damit verbliebein Sample von 341 Studierenden, die in den „Standard“-Studiengängen an derFakultät studierten und bereits auf mindestens ein Semester Studienerfahrung zu-rückblicken konnten. Auf dieses Sample beziehen sich alle hier angeführten Ergeb-nisse.3

Der Frauenanteil in dieser Untersuchungsgruppe beträgt 50,1%. Die studiengangs-spezifischen Frauenquoten weichen von denen der eingeschriebenen Studierenden(jeweils ohne Erstsemester) teilweise recht deutlich ab. So beträgt der Frauenanteilunter den Eingeschriebenen des Diplomstudiengangs 52,4%, der im Sample dage-gen nur 46,2%. Im Magisterstudiengang sind 45,1% der Eingeschriebenen Frauen,von den Befragten sind dies 56,1%. Die Differenzen im Lehramtsstudiengang So-zialwissenschaften sind dagegen eher geringfügig (39,3% bei den Eingeschriebenenversus 42,3% bei den Befragten).

Zentrale ErgebnisseBeim Vergleich der Studienmerkmale von Männern und Frauen wurde – nebenStudiengang, Fachsemester und Studienphase – nach vollzogenem bzw. erwoge-nem Fachwechsel und Hochschulwechsel sowie nach einem absolvierten Studien-aufenthalt im Ausland gefragt. Hier zeigten sich leichte geschlechtsspezifische Un-terschiede. Frauen sind etwas eher „im Studienplan“, d.h. sie haben anstehendePrüfungen eher im vorgesehenen Zeitrahmen absolviert bzw. angemeldet, und ge-hören seltener zu den sog. „Langzeitstudierenden“. Männer haben eher schon ein-mal ihr Studienfach, aber auch den Hochschulort gewechselt bzw. eines von bei-dem in Erwägung gezogen. Frauen dagegen waren etwas öfter zu Studienzweckenim Ausland als Männer (16,4% zu 10,6%). Hinsichtlich der Erwerbssituation wäh-rend des Semesters oder in den Semesterferien unterscheiden sich Männer undFrauen lediglich in einem Punkt: Frauen arbeiten seltener als studentische Hilfskraft(35,5 % der Männer hatten jetzt oder früher schon einmal eine Stelle als studenti-sche Hilfskraft, dagegen nur 27,5% der Frauen). Die Differenzen sind noch deutli-cher, wenn man nur die Studierenden des Diplomstudiengangs betrachtet.

Bezüglich der subjektiven Wahrnehmung der Studiensituation konzentrierten sichdie Auswertungen auf folgende Indikatoren: Unzureichende Rückmeldungen durchLehrende, Erfahrung von Herabsetzung, Versagensängste, Belastungsempfindenund Orientierungsprobleme. Dabei zeigte sich:• Frauen äußern eher als Männer Probleme mit fehlenden oder unzureichenden

Rückmeldungen.• Frauen leiden in deutlich stärkerem Maße unter Versagensängsten als Männer (ge-

messen u.a. an der Angst vor anstehenden Prüfungen, vor Misserfolgen und„Blamagen“). Dieses Ergebnis verweist auf das bekannte Problem geringerSelbsteinschätzung der weiblichen Studierenden und bestätigt Ergebnisse ande-rer Studien nun auch für den Studienkontext einer soziologischen Fachkultur.

Darüber hinaus zeichneten sich einige geschlechtsspezifische Zusammenhänge hin-sichtlich der Erklärung der subjektiven Einschätzung der Studiensituation ab:

3 Neben den oben beschriebenenGruppen fehlen im Unter-suchungssample aus naheliegen-den Gründen diejenigenStudierenden, die ein Prakti-kum absolvieren oder imAusland studieren. AuchStudierende in der Prüfungs-phase, die sich teilweise auf zweiSemester erstreckt, dürftensystematisch unterrepräsentiertsein.

Page 55: Anina Mischau, Redaktion · 2011. 11. 30. · Anina Mischau, Redaktion EDITORIAL. IFF-Info Zeitschrift des Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrum (IFF) 20. Jahrgang / Nr.25

Studierende und Promovierende an der Fakultät für Soziologie

55Info 20.Jg. Nr.25/2003

• Für Frauen spielt die Frage der Nationalität eine wichtige Rolle hinsichtlich derProbleme mit fehlenden bzw. unzureichenden Rückmeldungen. Das bedeutet, dasssolche Probleme eher von ausländischen als von deutschen Studentinnen geäu-ßert werden. Bei den Männern lassen sich diese Zusammenhänge nicht feststel-len.

• Für Männer konnte ein negativer Zusammenhang zwischen empfundenenVersagensängsten und einer Tätigkeit als studentische Hilfskraft festgestellt werden:Wer von den Studenten als studentische Hilfskraft tätig war, hatte solche Proble-me also in geringerem Maße, was darauf hinweisen könnte, dass Studenten auseiner Tätigkeit als studentische Hilfskraft eher Ressourcen ziehen können. (Plau-sibel ist hier allerdings auch der Umkehrschluss: wer sich von den Männern we-niger überfordert fühlt, hat sich eher auf eine studentische Hilfskraftstelle be-worben.). Bei den Studentinnen gab es solche Zusammenhänge nicht.

• Das Belastungsempfinden von Studierenden ist insgesamt recht gut erklärbar. Hierspielen vor allem das Ausmaß der Erwerbstätigkeit im Semester, aber auch inden Semesterferien, ausbleibender Studienfortschritt und familiale Verpflichtun-gen eine wichtige Rolle. Unterschiede zwischen Männern und Frauen betreffenvor allem die Stärke dieser Einflussfaktoren. Männer fühlen sich dann stärkerbelastet, wenn ihr Studienfortschritt nicht den geforderten Kriterien entsprichtund wenn sie aus dem Ausland kommen. Diese klaren Zusammenhänge lassensich bei den Frauen nicht feststellen. Für sie wirkt dagegen eine Erwerbstätigkeitim Semester stärker belastend als für Männer.

SchlussfolgerungenAus der Sicht der Gleichstellungskommission liegt ein besonders problematischerAspekt der Situation von Studentinnen an der Fakultät für Soziologie in ihren imVergleich zu Studenten stärkeren Versagensängsten. Hierin kommt sicherlich nichtnur ein geringeres Selbstbewusstsein der Frauen zum Ausdruck, sondern höchst-wahrscheinlich auch ein verhältnismäßig hohes Anforderungsniveau an eigene Lei-stungen. Dass sich diese Situation auch (aufgrund des hohen Stellenwertes diskursi-ver Lernformen möglicherweise sogar ganz besonders) im Rahmen der hier in denBlick genommenen Fachkultur einer soziologischen Fakultät einstellt (und damitauch hier geschlechtsspezifische Unterschiede fortlaufend (re-)produziert werden),ist sicherlich ein wichtiges Ergebnis der Untersuchung. Zu vermuten ist, dass Stu-dentinnen ihr Studium aus diesen Gründen auch abbrechen oder aber nach erfolg-ter Abschlussprüfung eine weitere wissenschaftliche Karriere für sich nicht in Be-tracht ziehen. Das „cooling out“ der Frauen im Wissenschaftsbetrieb ist deshalbmöglicherweise auch als ein Rückzug aus Arbeitskontexten zu verstehen, die inhohem Maße angstbesetzt sind und (zumindest in der subjektiven Wahrnehmungder Frauen) beständig die Gefahr der „Bloßstellung“ in sich bergen. Eine Weiter-entwicklung von Lehr- und Lernkulturen muss deshalb – soll es nicht zu einerweiteren Produktion und Reproduktion geschlechtsspezifischer Ungleichheit in denUniversitäten kommen, solche Zusammenhänge bedenken und offensiv angehen.Um in diesem Kontext unterstützend wirken zu können und die Studentinnen inihrem Selbstbewusstsein zu stärken, sind Maßnahmen auf verschiedenen Ebenenerforderlich. Sie betreffen sowohl die Sensibilisierung der Lehrenden und Studie-renden für dieses Problem als auch eine Stärkung der Selbstorganisation der Stu-dentinnen sowie konkrete Angebote der Fakultät.

Ein zweites zentrales Ergebnis betrifft die Tätigkeiten als studentische Hilfskraft.Studentinnen hatten nicht nur weniger Erfahrungen als studentische Hilfskraft, son-dern konnten hiervon auch in geringerem Maße „profitieren“ als ihre Kommilito-

Page 56: Anina Mischau, Redaktion · 2011. 11. 30. · Anina Mischau, Redaktion EDITORIAL. IFF-Info Zeitschrift des Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrum (IFF) 20. Jahrgang / Nr.25

Berichte aus der Universität Bielefeld

56

nen. In Anbetracht der Tatsache, dass studentische Hilfskraftstellen u.a. für denAufbau von Beziehungen innerhalb der Universität und für eine Integration inWissenschaftsnetze genutzt werden können, dass sie darüberhinaus nicht nur für diewissenschaftliche Karriere, sondern auch für Weitervermittlungen an außer-universitäre Stellen bedeutsam sein können, wiegt ein solches Ergebnis schwer.

Empfehlungen zur Verbesserung der Situation von Studentinnen1. Erforderlich ist zum einen eine stärkere Sensibilisierung der Lehrenden für offen-

sichtlich geschlechtsspezifische Probleme wie Selbstunterschätzung und Angstvor anstehenden Prüfungssituationen. Dabei ist zu bedenken, dass auch Bespre-chungen in Sprechstunden und das Halten von Referaten von vielen als eine ArtPrüfungssituation erlebt werden. Eine einfühlsame, responsive und unterstüt-zende Beratung ist deshalb ganz besonders für Studentinnen bedeutsam.

2. Grundsätzlich ist der Problematik von inhaltlichen Rückmeldungen an Studie-rende stärker Beachtung zu schenken. Frauen – und insbesondere ausländischeStudentinnen – vermissen solche Rückmeldungen häufiger als Männer. Die Fa-kultät sollte auch vor diesem Hintergrund der hochschuldidaktischen Fortbildung ih-rer Lehrenden (aller Statusgruppen) weitaus stärkeres Gewicht als bislang zu-kommen lassen und eigene diesbezügliche Initiativen entwickeln. Wichtig ist indiesem Zusammenhang auch, entsprechende Kriterien in die zu entwickelndeLehrevaluationsordnung aufzunehmen und auf jeden Fall eine geschlechtsspezi-fische Differenzierung zu ermöglichen.

3. Für den Abbau von Ängsten und Überforderungsgefühlen ist der gegenseitigeAustausch und die gegenseitige Unterstützung von Betroffenen ganz besonderswichtig. Die Fakultät sollte aus diesem Grunde vorhandene Gruppen bzw. Netz-werke von Studentinnen fördern bzw. ihre Gründung initiieren. Dies betrifft einer-seits den bereits seit einigen Jahren erfolgreich arbeitenden „Soziologinnensalon“.Denkbar ist aber auch die Anregung weiterer informeller Strukturen, wie etwaStudienanfängerinnengruppen, Frauenstammtischen, Studiengruppen, Diploman-dinnengruppen etc.

4. In diesem Zusammenhang sollte auch über eine Neuauflage des vor einiger Zeitbegonnenen MentorInnenprogramms nachgedacht werden. Aufgrund der Bedeu-tung weiblicher Identifikationspersonen bietet sich möglicherweise auch einegeschlechtsbezogene Zuordnung von Studentinnen zu Mentorinnen an.

5. An der Fakultät sollte weiterhin Wert darauf gelegt werden, dass im Rahmender studentischen Studienberatung sowohl Studenten als auch Studentinnen einge-setzt werden und dass spezielle Beratungsstunden für Studentinnen eingerichtetwerden. Dies unterstreicht noch einmal entsprechende Vorgaben in den „Richt-linien zur Gleichstellung der Geschlechter der Fakultät für Soziologie“.

6. Die befragten Frauen hatten seltener als ihre Kommilitonen die Möglichkeit, aufstudentischen Hilfskraftstellen Erfahrungen im Wissenschaftsbetrieb zu sammeln. Beider Vergabe von solchen Stellen sollten – bei gleicher Qualifikation – deshalbFrauen bevorzugt berücksichtigt werden. Bereits im Vorfeld sollte darüber hin-aus aber auch eine gezielte Ansprache von Studentinnen erfolgen. Diese Vorga-ben finden sich im übrigen bereits in den „Richtlinien zur Gleichstellung derGeschlechter in Stellenbesetzungsverfahren“, die von der Fakultät 1998 verab-schiedet wurden. Nachzudenken ist des weiteren über Anreizsysteme für dieVergabe von Hilfskraftstellen an Studentinnen. Alle Ausschreibungen sollten aucham Info-Brett der Gleichstellungskommission ausgehängt werden. Die Gleich-stellungskommission verweist in diesem Zusammenhang noch einmal auf dieNotwendigkeit einer konsequenten Einhaltung der Vorgaben und Empfehlun-

Page 57: Anina Mischau, Redaktion · 2011. 11. 30. · Anina Mischau, Redaktion EDITORIAL. IFF-Info Zeitschrift des Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrum (IFF) 20. Jahrgang / Nr.25

Studierende und Promovierende an der Fakultät für Soziologie

57Info 20.Jg. Nr.25/2003

gen der Fakultät zur Gleichstellung der Geschlechter, nach denen auch alle Aus-schreibungen für studentische Hilfskraftstellen zur Information an die Gleichstel-lungsbeauftragte der Fakultät gehen sollen. Zur fortlaufenden Beobachtung derVergabepraxis bei studentischen Hilfskraftstellen empfiehlt sich darüber hinausdie Fortschreibung einer geschlechtsdifferenzierenden Personalstatistik durch dieFakultätsverwaltung.

II. Zur Befragung von Promovierenden an der Fakultät für Soziologie

Ziel der Promovierendenbefragung war es, das Promotionsverhalten und diePromotionssituation von Frauen und Männern speziell im Hinblick auf geschlechts-spezifische Faktoren zu erforschen, die Hinweise auf die – wenn sich auch tenden-ziell abschwächende – Unterrepräsentation von Frauen in der Gruppe der Promo-vierenden bzw. vor allem der abgeschlossenen Promotion geben. Denn währendder Frauenanteil bei den Einschreibungen zum Promotionsstudiengang in den ver-gangen Jahren kontinuierlich anstieg, lag er bei abgeschlossenen Promotionen zumTeil deutlich niedriger (2002: 46,4% Immatrikulationen; 41,7% abgeschlossene Pro-motionen).

Die Befragung konzentrierte sich auf wissenschaftsinterne Faktoren und gingvon der Hypothese aus, dass die Strukturen an der Hochschule – insbesondere dieBetreuungssituation und die Einbindung in ein wissenschaftliches Arbeitsumfeld –ein entscheidender Grund für das Interesse an einer Promotion und ihrem erfolg-reichen Abschluss sind. Es wurde weiterhin angenommen, dass die subjektive Ver-arbeitung dieser Faktoren geschlechtsspezifisch erfolgt. Zentrale Fragestellungenwaren:• Wie stellt sich die Situation Promovierender an der Fakultät für Soziologie dar?• Welche vor allem wissenschaftsinternen Faktoren lassen sich identifizieren, die

einen Einfluss auf die Situation Promovierender an der Fakultät für Soziologiehaben?

• Inwiefern wirken sich geschlechtsspezifische Faktoren auf die Situation promo-vierender Frauen aus?

Methodisches Vorgehen und UntersuchungssampleDie Promovierendenbefragung erfolgte mittels eines standardisierten Fragebogens.4

Angestrebt wurde eine Vollerhebung aller zum Erhebungszeitpunkt an der Fakultätfür Soziologie Promovierenden sowie all derjenigen, die seit Anfang 2001 ihrePromotion entweder abgeschlossen oder abgebrochen hatten.5 Insgesamt wurden230 Promovierende angeschrieben. In der Stichprobe befanden sich 120 Frauen(52,2%) und 110 Männer (47,8%). Damit stellen Frauen im Vergleich zu den Vor-jahren, in denen sie in der Gruppe der Promovierenden unterrepräsentiert waren,derzeit mehr als die Hälfte aller an der Fakultät Promovierenden!

90 Personen beteiligten sich an der Erhebung; dies entspricht einer Rücklaufquo-te von 40%. Das Sample weist drei Besonderheiten auf: (1) Von den Befragten sind47%, in einem Beschäftigungsverhältnis an einer Hochschule oder Forschungs-einrichtung; weitere 17,8% sind Mitglied in einem Graduiertenkolleg. (2) Fast zweiDrittel der eingegangenen 90 Fragebögen sind von Frauen (63,3%), nur gut einDrittel von Männern (36,7%). (3) Gut ein Viertel der Promovierenden ist nicht-deutscher Nationalität (26,7%). In der Gruppe der Frauen ist der Anteil der auslän-dischen Promovierenden etwas niedriger als in der der Männer (24,6% zu 30,3%).

An der Befragung haben sich kaum Personen beteiligt, die ihre Promotion abge-brochen haben (2,2%). Ebenso war der Anteil derjenigen mit einer seit Januar 2001abgeschlossenen Promotion („Ehemalige“) mit 15,6 % relativ niedrig, wobei in

4 Für die Datenanalyse mittelsdes Statistik-Programms SPSS

wurden vor allem deskriptiverAuswertungsverfahren

angewendet. Darüber hinauswurden zu einzelnen Aspekten,einfaktorielle Varianzanalysen(ANOVA) und vor allem dasZusammenhangsmaß Cramer‘s

V berechnet.

5 Die Adressenrechercheerfolgte über die folgenden

Wege: (1) betreuende Fakultäts-mitglieder; (2) Graduierten-

kollegs; (3) Promotions-ausschuss (für die seit 2001

abgeschlossenen Promotionen);(4) Studierendensekretariat

(alle im PromotionsstudiengangImmatrikulierten). Die Namen

und Adressen aus diesenunterschiedlichen Quellen

wurden miteinander abgeglichen,um eine möglichst vollständige

Stichprobe zu erzielen.

Page 58: Anina Mischau, Redaktion · 2011. 11. 30. · Anina Mischau, Redaktion EDITORIAL. IFF-Info Zeitschrift des Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrum (IFF) 20. Jahrgang / Nr.25

Berichte aus der Universität Bielefeld

58

dieser Gruppe der Frauenanteil erheblich niedriger war als der Anteil der Männer(12,3% zu 21,2%). 80% der Befragten sind im Promotionsstudiengang immatriku-liert.

Zentrale ErgebnisseErfreulich ist, dass der Frauenanteil in der Gruppe der an der Fakultät für Soziolo-gie Promovierenden in den letzten Jahren kontinuierlich angestiegen ist und zur Zeitüber 50% liegt. Die quantitative Angleichung kann jedoch nicht darüber hinwegse-hen lassen, dass Frauen und Männer als Promovierende unterschiedliche Erfahrun-gen machen und unterschiedliche Bedürfnisse haben.

Die Promotionssituation wird wesentlich von wissenschaftsinternen Faktorenbestimmt. Hierzu gehört sowohl eine institutionelle Beziehung zur Fakultät als auchdie individuelle Betreuungssituation. Im Hinblick auf beide Aspekte besteht einVerbesserungsbedarf des Ist-Zustandes. Zugleich gibt es außerwissenschaftlicheFaktoren, die jenseits der Gestaltungsmöglichkeiten der Fakultät liegen. So ist einhervorstechendes Ergebnis die geschlechtsdifferente soziale Herkunft der Promo-vierenden. Insbesondere bei Frauen wirkt der Bildungshintergrund der Eltern alsein sozialer Filter für eine wissenschaftliche Qualifizierung und Karriere. Frauen aus„bildungsfernen“ Elternhäuser sind unter den Promovierenden deutlich unterre-präsentiert.

Die Gruppe der Promovierenden kann insgesamt als hoch motiviert bezeichnetwerden; dies gilt für beide Geschlechter gleichermaßen. Fachlich-intrinsische Moti-ve stehen für die Promovierenden im Vordergrund sowohl bei der Entscheidungfür eine Promotion als auch bei der für das Promotionsthema, dieses wird über-wiegend aus persönlichem Interesse gewählt. Bei Frauen spielt allerdings der Bezugdes Themas zur beruflichen Tätigkeit eine etwas größere Rolle und die Promotionwird in geringerem Maße aus der Abschlussarbeit heraus entwickelt.

Zugleich ist festzuhalten, dass die Anzahl derer, die sich mit dem Gedanken aneine Aufgabe der Promotion (ernsthaft) befasst haben oder die Promotion schonmal längere Zeit (durchschnittlich 16 Monate) unterbrochen haben, alarmierendhoch ist (knapp 50%). Die Gründe hierfür sind vermutlich weitgehend identischmit den wichtigsten Gründen, die auch zu einer längeren Unterbrechung der Pro-motion führen. Hier ist allen voran eine zu hohe Arbeitsbelastung durch Tätigkei-ten, die nicht mit der Promotion im Zusammenhang stehen, zu nennen, aber auchfinanzielle Probleme, die für gut ein Fünftel der Befragten zu den wichtigsten Unter-brechungsgründen zählen.

Für die Promovierenden ist die hohe Arbeitsbelastung – sei es durch die Tätig-keit in Forschung und Lehre, sei es durch eine andere Berufstätigkeit – der Aspekt,der die Promotionssituation insgesamt bestimmt (Mittelwert Zustimmung 3,3 aufSkala 1-6). Dabei geben Frauen an, in mehr Tätigkeiten eingespannt zu sein alsMänner (2,5:2,1 Tätigkeiten). Zwar sehen Qualifikations- und drittmittelfinanzierteStellen einen Teil der Arbeitszeit für die eigene Qualifikation vor, doch zumeistwird ein höherer Anteil als arbeitsvertraglich festgelegt für andere Tätigkeiten auf-gewendet, so dass sich die für die Promotion zur Verfügung stehende Zeit entspre-chend verkürzt.

Aus geschlechterpolitischer Perspektive muss ferner zu denken geben, dass Arbeits-probleme mit der Dissertation und Zweifel an der eigenen Eignung ausschließlichvon Frauen (40% bzw. 27%) zu den drei wichtigsten Gründen zählen, die zu einerUnterbrechung führen. Zwar mögen auch für Männer solche Probleme in derPromotionszeit relevant sein, sie sind aber offenbar nicht so gewichtig, dass sie zueiner Unterbrechung (oder gar zum Abbruch) des Promotionsvorhabens führen.

Page 59: Anina Mischau, Redaktion · 2011. 11. 30. · Anina Mischau, Redaktion EDITORIAL. IFF-Info Zeitschrift des Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrum (IFF) 20. Jahrgang / Nr.25

Studierende und Promovierende an der Fakultät für Soziologie

59Info 20.Jg. Nr.25/2003

Erfreulicherweise haben die meisten Befragten eine relativ gute finanzielle Absiche-rung ihrer Promotion entweder über Stipendien, ob innerhalb oder außerhalb ei-nes Graduiertenkollegs (17,8%), oder über eine Stelle an einer Hochschule/Forschungseinrichtung (47%). Dennoch gehören immerhin für gut ein Fünftel derBefragten finanzielle Probleme zu den drei wichtigsten Gründen, um die Promoti-on zu unterbrechen (oder möglicherweise abzubrechen); ein Unterschied zwischenMännern und Frauen besteht nicht. Die befragten Frauen verfügen allerdings übermehr Einkommensquellen als die befragten Männer, da sie stärker durch ihr priva-tes Umfeld finanziell unterstützt werden. Zugleich haben sie signifikant häufigerwissenschaftliche Hilfskraftstellen, die jedoch keine ausreichende Absicherung füreine Promotion bieten.

Im Zentrum der Promotionssituation steht die Betreuungsbeziehung zwischender/dem Promovierenden und der/dem BetreuerIn. Sie ist durch Abhängigkeitund Autonomie gekennzeichnet. Während einerseits ein eigenständiger Beitrag zurWissenschaft geleistet werden soll, ist andererseits die Abhängigkeit von einer Aner-kennung der Leistungen zunächst durch den/die BetreuerIn sehr hoch. Erfreuli-cherweise sind die Befragten mit ihrer Betreuungssituation insgesamt relativ zufrie-den. Zwischen 70-80% gaben an, dass Beratungsgespräche so häufig stattfanden,wie dies von ihnen gewünscht wurde. Relativ zufrieden (Mittelwert 2,75 auf Skalavon 1-6) sind sie mit den Betreuungsleistungen, die von den Betreuenden im Hin-blick auf unmittelbar wissenschaftsrelevante Aspekte erbracht werden (z.B. Dis-kussion inhaltlicher Fragen, Lesen und Kommentieren von Teilen der Doktorarbeitoder Publikationen, Literaturhinweise). Bei Betreuungsleistungen, welche den en-gen fachlichen Rahmen sprengen, die aber dennoch in hohem Maße promotions-relevant sind (z.B. Arbeits- und Schreibhemmungen) fühlen sich Promovierendeinsgesamt nur sehr schlecht betreut (Mittelwert 3,75). Da solche Betreuungsleistungenvon den wissenschaftlichen BetreuerInnen nicht in geeignetem oder zureichendemMaße übernommen werden können, stellt sich hier die Frage nach anderen unter-stützenden Strukturen, welche solche Probleme auffangen und bearbeiten können.Geschlechterpolitische Relevanz gewinnt dieser Aspekt insofern, als solche Proble-me ebenso wie Zweifel an der fachlichen Eignung ausschließlich von Frauen alsUnterbrechungsgrund genannt werden (und möglicherweise ein wichtiger Abbruch-grund sind); Frauen sind in höherem Maße mit der Betreuungssituation unzufrie-den, insbesondere mit der Vorbereitung auf die Disputation (30% Unzufriedene).Hierfür mögen größere Prüfungsängste der Grund sein.

Mit diesem Befund korrespondiert, dass Frauen insgesamt einen höheren Be-darf an Gesprächen bekunden, und zwar sowohl mit ihrer/ihrem BetreuerIn alsauch mit anderen Promovierenden und sonstigen KollegInnen. Der fachliche Aus-tausch steht dabei im Vordergrund, ist aber nicht das alleinige Motiv. Dieses Ergeb-nis, dass Frauen höhere Ansprüche an die Betreuung stellen sowie einen höherenBedarf an persönlicher Ermutigung und Zuspruch haben, werden sowohl in dervon der Gleichstellungskommission durchgeführten Studierendenbefragung auchin einer Befragung von AbsolventInnen der Universität Bielefeld als wichtige ge-schlechtsspezifische Aspekte deutlich und von den befragten Frauen zugleich alsgroßes Manko der realen Situation genannt. Mögliche Gründe hierfür sind diehohen Ansprüche, welche die Frauen an sich selbst stellen, wobei ihre Perfektions-ansprüche zu einer Selbstblockade führen können.

Die Promovierenden schätzen sich selber als mittelmäßig aktiv ein, wenn es umAktivitäten geht, die für eine wissenschaftliche Tätigkeit und eine Integration in dieFachcommunity erforderlich sind wie z.B. Teilnahme an Kolloquien und Tagungen,Kontakte knüpfen, Lehrveranstaltungen durchführen, publizieren. Frauen schätzen

Page 60: Anina Mischau, Redaktion · 2011. 11. 30. · Anina Mischau, Redaktion EDITORIAL. IFF-Info Zeitschrift des Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrum (IFF) 20. Jahrgang / Nr.25

Berichte aus der Universität Bielefeld

60

sich insgesamt als etwas aktiver ein als Männer (Mittelwert 3,4:3,7 auf Skala von 1-6); zugleich fühlen sich 35% der befragten Frauen nicht ausreichend unterstützt(Männer: 31%). Die Betreuenden halten die Promovierenden zwar sehr stark zueiner Teilnahme an Doktorandenkolloquien an, sie unterstützen ihre Promovieren-den allerdings weniger, wenn es um andere Tätigkeiten geht, am wenigsten bei derVeröffentlichung von (Zwischen-) Ergebnissen. Nur 20% der Promovierendenhaben eine Betreuerin, was sicherlich auch mit der Unterrepräsentation von Frauenbei den Professuren zusammenhängt (zurzeit: C4-Prof. 16,6% C3- und C2-Prof.30% Frauenanteil; s. Statistisches Jahrbuch 2002 der Universität Bielefeld). Frauensuchen sich dabei wesentlich häufiger eine Betreuerin als Männer (28,5% zu 6%).Frauen geben ihrer Betreuerin etwas bessere Noten (2,6; Männer: 2,8), Männerumgekehrt ihrem Betreuer.

Gefragt nach Erfahrungen von positiver und negativer Diskriminierung gebenFrauen in stärkerem Maße an, sich benachteiligt zu fühlen; allerdings sind die Fall-zahlen klein. Kein Mann fühlte sich aufgrund seines Geschlechts bevorzugt, wohlaber einige Frauen. In stärkerem Maße fühlen sich Frauen aber benachteiligt – undzwar sowohl aufgrund ihrer sozialen Herkunft als auch ihres Geschlechts (21%bzw. 19%; n=7). Dies trifft insbesondere auf ausländische Frauen zu, wobei hierauch mangelnde Deutschkenntnisse als ein Faktor benannt wurde. Dieser Befundstimmt nachdenklich angesichts der Tatsache, dass die Fakultät durch die Interna-tional Graduate School for Sociology (IGSS) bemüht ist, künftig verstärkt Pro-movierende aus dem Ausland zu erreichen, und unterstreicht die Zielvorgabe, ei-nen Rahmen für die soziale Integration von Promovierenden schaffen zu wollen.

Die Ergebnisse der Befragung zeigen, dass in dem Konzept der IGSS wichtigeAspekte berücksichtigt werden, die für ein erfolgreiches Promovieren wichtig sind.Entsprechend findet das Angebot der IGSS bei den Promovierenden hohe Zu-stimmung, bei den Frauen noch etwas stärker als bei den Männern (Mittelwert2,1:2,5 auf Skala von 1-6). Ein Doktorandenkolloquium wird durchgängig be-grüßt (1,75). Die Bereitschaft zur freiwilligen Teilnahme variiert zwischen den An-geboten und ist bei Frauen insgesamt etwa größer. Entscheidend für die Bewer-tung ist der individuelle Nutzen für die eigene Promotion. Dieser Nutzen wirdgegen den Kostenfaktor Zeit durch den Besuch von Veranstaltungen abgewogen,was mit der durchgängig hohen Arbeitsbelastung durch andere Tätigkeiten sowiedurch die Promotion erklärt werden kann.

SchlussfolgerungenPromotionen sind wissenschaftliche Qualifikationsschritte, die zum einen in eineminstitutionellen Rahmen stattfinden. Zum anderen ist die Promotionsphase durcheine mehr oder weniger intensive Beziehung der/des Promovierenden von ihrer/ihrem BetreuerIn gekennzeichnet. Deshalb müssen Verbesserungen sowohl aufder Ebene der Fakultät als auch bei der Gestaltung der individuellen Betreuungs-situation ansetzen. Die Ergebnisse der Befragung zeigen, dass in dem Konzept desInternationalen Promotionsstudiengangs IGSS wichtige Aspekte berücksichtigtwerden, die für ein erfolgreiches Promovieren wichtig sind.

Aus geschlechterpolitischer Perspektive ist erschreckend, dass das Gefühls dereigenen Unzulänglichkeit (Zweifel an der Eignung) sowie von Arbeitsproblemenmit der Dissertation kontinuierlich auftaucht; diese Faktoren werden auch in derStudierendenbefragung sowie in einer an der Universität Bielefeld durchgeführtenAbsolventinnenbefragung6 als besonderes Problem von Frauen deutlich. Nebenwissenschaftsinternen Faktoren ist dies ein wesentlicher sozialisationsbedingter Fak-tor, der sich auf die Promotionssituation von Frauen auswirkt.

Page 61: Anina Mischau, Redaktion · 2011. 11. 30. · Anina Mischau, Redaktion EDITORIAL. IFF-Info Zeitschrift des Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrum (IFF) 20. Jahrgang / Nr.25

Studierende und Promovierende an der Fakultät für Soziologie

61Info 20.Jg. Nr.25/2003

Empfehlungen zur Verbesserung der Situation von Promovendinnen1. Insgesamt ist eine verstärkte Sensibilisierung der BetreuerInnen für die besonderen

Erfahrungen und Bedürfnisse promovierender Frauen vonnöten.2. Kern der Promotionssituation ist die Beziehung zwischen PromovendIn und

BetreuerIn. Sie ist durch ein einseitiges strukturelles Abhängigkeitsverhältnis ge-kennzeichnet ebenso wie durch vielfach unklare Erwartungen und Ansprücheaneinander. Um diesem Aspekt und der Individualität der BetreuungssituationRechnung zu tragen, halten wir das Instrument von Promotionsvereinbarungen fürsinnvoll.7 Der Zweck solcher Vereinbarungen ist es, die Betreuungsbeziehung zuformalisieren sowie wechselseitige Erwartungen und Verpflichtungen transpa-rent zu machen. Leitlinie hierbei muss der Bedarf sein, der von der/dem Pro-movierenden artikuliert wird. Insbesondere sollte in ihnen das Thema der Dis-sertation, ein Zeit- und Arbeitsplan, Berichtspflichten, Teilnahme an Kollo-quien, die zur Verfügung stehenden Ressourcen, gegebenenfalls die Vereinbar-keit der Dissertation in zeitlicher und fachlicher Hinsicht mit anderen Tätigkeitenin Forschung und Lehre sowie eines individuellen Ausbildungsganges u.ä. geklärtwerden. Bei Promovierenden mit Kind(ern) ist auch die Vereinbarkeit von Pro-motion und Familie zu berücksichtigen. Zu den Leistungen der Betreuendengehören in erster Linie regelmäßige und ausführliche Besprechungstermine. Dar-über hinaus sollten, sofern dies von der/den Promovierenden gewünscht wird,auch Betreuungsleistungen gehören, die auf eine Integration in die wissenschaft-liche Community abzielen, wie etwa Hinweise auf einschlägige Konferenzenund ggf. Hilfe bei Finanzierungsanträgen, Unterstützung bei der Vorbereitungvon Veröffentlichungen, Vermittlung von Kontakten, Ermöglichung von Lehr-aufträgen. Die Unterstützung bei der Vorbereitung auf die Disputation gehörtausdrücklich mit zu den Betreuungspflichten; insbesondere Frauen fühlen sichdiesbezüglich zu wenig unterstützt. Die Fakultät sollte Richtlinien für solchePromotionsvereinbarungen bzw. eine solche Vereinbarung selber entwickeln.

3. Die Arbeitsbelastung durch andere Tätigkeiten neben der Promotion ist für ei-nen Großteil der Befragten das zentrale Problem in der Promotionsphase undder wichtigste Grund für eine Unterbrechung; ferner fühlen sich Frauen in nochstärkerem Maße als Männer durch solche Tätigkeiten belastet. Soweit es sichhierbei um außeruniversitäre (Berufs-)Tätigkeit handelt, liegt dieser Aspekt au-ßerhalb des Handlungsspielraums der Fakultät. Soweit die Promovierenden al-lerdings an der Fakultät selber beschäftig sind, ist es Aufgabe der Hochschul-lehrenden/Betreuenden, denen die promovierenden MitarbeiterInnen zugeord-net sind, auf die Einhaltung der arbeitsvertraglich festgelegten Arbeitszeiten und ihrerVerwendungsanteile für andere Tätigkeiten wie Lehre und Forschungsprojekteinerseits und eigene Qualifizierungsarbeit andererseits zu achten. Die Arbeit ander eigenen Promotion darf nicht den anderen Tätigkeiten nachgeordnet wer-den, sondern ist gleichrangig zu behandeln; bei Drittmittelprojekten ist auf einemöglichst effektive Abstimmung zwischen Projektarbeit und Promotion zu ach-ten.

4. Zweifel an der eigenen Eignung sowie Arbeits- und Schreibhemmungen sindProbleme, die insbesondere von promovierenden Frauen erlebt werden und diezum Teil zu Unterbrechung (und vermutlich zum Teil auch zum Abbruch) derPromotion führen. Gerade promovierende Frauen erleben dann die Grenzender individuellen Betreuungssituation. Dementsprechend ist die psychosoziale Bera-tung von Promovendinnen zu verbessern. Coaching-Gruppen8 , Supervisionenoder informelle Treffen wie ein „Doktorandinnenstammtisch“ können Instru-mente sein, damit promovierende Frauen über ihre Promotions- und Betreuungs-

6 Holzbecher, Monika/Küllchen, Hildegard/Löther,Andrea: Fach- und fakultäts-

spezifisches Ursachen derUnterrepräsentanz von Frauen

bei Promotionen. IFF-Forschungsreihe Bd. 14,

Bielefeld 2002.

7 Diese werden z.B. von einerInitiativgruppe von Promovieren-

den aus den politischenStiftungen als Zielverein-

barungen für Hochschulenempfohlen und an einigen

Universitäten (z.B. am FBGesellschaftswissenschaften derUniversität Frankfurt/Main)

inzwischen bereits erprobt,allerdings ist die Ausgestaltung

variabel.

Page 62: Anina Mischau, Redaktion · 2011. 11. 30. · Anina Mischau, Redaktion EDITORIAL. IFF-Info Zeitschrift des Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrum (IFF) 20. Jahrgang / Nr.25

Berichte aus der Universität Bielefeld

62

situation Beratungs- und Austauschmöglichkeiten erhalten. Neben den zentralenAngeboten der Universität könnten weitere von der Fakultät, insbesondere imRahmen der IGSS, gemacht bzw. Unterstützungsmaßnahmen entwickelt wer-den.

5. Weiterhin ist über ein Mentoring-Programm für Promovendinnen als Instrumentnachzudenken, um ihre Integration in die wissenschaftliche Community zuverbessrn oder um einen Rahmen zum Austausch über Probleme der Promotions-und Betreuungssituation zu schaffen. Als MentorInnen könnten bereits promo-vierte Angehörige des wissenschaftlichen Mittelbaus auftreten.

6. Im Rahmen der IGSS sollten Kursangebote auch im Bereich sog. Schlüssel-qualifikationen angeboten werden. Neben Rhetorik, Präsentationstechniken etc.gehören hierzu auch eine Schreibwerkstatt, Planung und Vorbereitung von Ver-öffentlichungen u.a. Gerade letzteres wird von vielen als vernachlässigter Bereichder Betreuung kritisiert. Da diese jedoch eine Schlüsselqualifikation für eine wis-senschaftliche Tätigkeit ist, sollten entsprechende Angebote in Kooperation mitden zentralen Stellen der Universität entwickelt werden. Hierbei sollten nachBedarf spezielle Kurse für Frauen angeboten werden.

7. Für die Gruppe der ausländischen Promovenden, die außerhalb der IGSS pro-movieren, sollten die Betreuungsangebote der IGGS, welche auf eine soziale Inte-gration der Promovierenden abzielen, geöffnet werden. Dabei sollten die be-sonderen Probleme ausländischer Frauen berücksichtigt und gegebenenfallsspezielle Angebote für sie gemacht werden.

8. Graduiertenkollegs werden als ein guter Rahmen für eine Promotion betrachtet, dasie neben der finanziellen Grundsicherung Voraussetzungen für einen fachlichenAustausch und eine soziale Integration von Promovierenden bieten und somitStrukturen schaffen, welche für eine wissenschaftliche Laufbahn unterstützendwirken. Diese Unterstützung ist insbesondere aus gleichstellungspolitischer Per-spektive relevant, insofern die Kollegs den Bedürfnissen von Frauen entgegen-kommen. Deshalb sollte auch künftig darauf geachtet werden, dass Frauen inausreichendem Umfang in die Graduiertenkollegs an der Fakultät aufgenom-men werden.

9. Die Fakultät sollte schließlich eine Broschüre (Informationsblatt) ausarbeiten, inder fakultätsbezogene sowie allgemeine Informationen für Promovierende ent-halten sind. Hierbei sind die spezifischen Bedürfnisse von Promovendinnen zuberücksichtigen und insbesondere ist auf bestehende Beratungsangebote hinzu-weisen.

Soweit möglich, sollten die Empfehlungen der Gleichstellungskommission zurVerbesserung der Situation von Studentinnen und Promovendinnen in den ent-sprechenden Richtlinien der Fakultät für Soziologie festgeschrieben werden.

Dr. Gabriele Abels, IWT, Universität Bielefeld, Postfach 100131, 33501 BielefeldEmail: [email protected] Dr. Angelika Engelbert, Fakultät für Soziologie, Universität Bielefeld, Postfach100131, 33501 Bielefeld, Email: [email protected]

8 Diese werden von der Zentra-len Studienberatung bereitsangeboten.

Page 63: Anina Mischau, Redaktion · 2011. 11. 30. · Anina Mischau, Redaktion EDITORIAL. IFF-Info Zeitschrift des Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrum (IFF) 20. Jahrgang / Nr.25

Gender Mainstreamig an der Universität Bielefeld

63Info 20.Jg. Nr.25/2003

Uschi Baaken, Lydia Plöger

Die Gleichstellungspolitik an der Universität Bielefeld hat in den letzten Jahren vielverändert, ist in ihren Effekten jedoch hinter den Erwartungen zurückgeblieben. Dieserfordert eine neue Sichtweise von Gleichstellungspolitik und die Auseinandersetzung mitneuen Handlungsstrategien und -möglichkeiten. Im vorliegenden Beitrag werden nebeneiner kritischen Reflektion der bisherigen Gleichstellungspolitik, die Chancen und diestrukturellen sowie inhaltlichen Bedingungen einer möglichen Umsetzung von GenderMainstreaming an der Universität Bielefeld auf der Grundlage erfolgreicher gleichstellungs-politischer Maßnahmen aufgezeigt.

1. Die bisherige gleichstellungspolitische EntwicklungAls erste Universität in Nordrhein-Westfalen setzte die Universität Bielefeld im Juli1988 eine Frauenbeauftragte ein. Mit der Verankerung einer stellungnehmenden Frauen-beauftragten im damaligen Hochschulgesetz und der Einrichtung einer Senats-kommission zur Gleichstellung von Frauen (Frauengleichstellungskommission derUniversität) wurde der Grundstein für die zukünftige Frauenpolitik und für eine langegleichstellungspolitische Tradition gelegt. Allerdings gab es wenige konkrete Vorstel-lungen darüber, was eine Frauenbeauftragte bewirken könnte und wie sie in die beste-henden Strukturen einzupassen wäre. Ein Schwerpunkt der anfänglichen institutionali-sierten Frauenpolitik beinhaltete die Etablierung der Frauenbeauftragten, das Sichtbar-machen der Notwendigkeit von Frauenpolitik und das Bestehen auf der Umsetzungder notwendigen Frauenfördermaßnahmen. Die Umsetzung der Prämisse, Gleich-stellung als Gemeinschaftsaufgabe aller Universitätsangehörigen anzusehen, war nochlange nicht erreicht.

Frauenbeauftragte und Frauengleichstellungskommission erarbeiteten 1989 gegenalle Widerstände den Rahmenplan zur Frauenförderung der Universität, der dann1991 – in einer landesweiten „Vorreiterrolle“ – von der Universitätsleitung verab-schiedet wurde.

Mit der Verabschiedung des Rahmenplans zur Frauenförderung konnte ein wichti-ger Grundstein für Verfahren, die bis heute Gültigkeit haben, gelegt werden. Diesbetrifft einerseits formale Vorgaben wie die grundsätzliche Ausschreibung von Stel-len, die Information und Beteiligung der Gleichstellungsbeauftragten in wichtigenGremien wie Senat, Rektorat und Senatskommissionen sowie bei Berufungs- undStellenbesetzungsverfahren, die Berücksichtigung von Frauen bei der Besetzung vonBerufungskommissionen und die Möglichkeit Sondervoten einzureichen. Weiterhinsieht der Rahmenplan explizit vor, inhaltliche Veränderungen herbeizuführen durchMaßnahmen zur Förderung von Studentinnen, die Etablierung von Frauenforschungund Frauenstudien, ein explizites Fort- und Weiterbildungsprogramm für Frauen undMaßnahmen zur Verhinderung von Gewalt gegen Frauen.

Dadurch wurden in der Arbeit der Gleichstellungsbeauftragten in den vergangenenJahren bis zum heutigen Zeitpunkt einige wesentliche Aspekte der bestehendenveränderungsbedürftigen Verhältnisse behandelt:• die Unterrepräsentanz von Frauen in hoch dotierten Stellen im wissenschaftlichen

wie nichtwissenschaftlichen Bereich;• der geringe Anteil von Frauen in Naturwissenschaften und Technik;• die Vereinbarkeit von Familie und Beruf und damit einhergehend die Kinder-

betreuungsproblematik;

das T

hem

a der Z

uku

nft an

der U

niversität B

ielefeldGender Mainstreaming:

Page 64: Anina Mischau, Redaktion · 2011. 11. 30. · Anina Mischau, Redaktion EDITORIAL. IFF-Info Zeitschrift des Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrum (IFF) 20. Jahrgang / Nr.25

Berichte aus der Universität Bielefeld

64

• die Aufhebung der Entgeltdiskriminierung von Frauen, zunächst vorwiegendim Bereich der Hochschulsekretärinnen;

• sexuelle Diskriminierung und Gewalt an Frauen.Für einige dieser Aspekte konnten in den letzten Jahren Vorhaben begonnen undumgesetzt werden, andere Vorhaben oder Ansätze kollidierten mit eingefahrenenuniversitären Strukturen.

Mit der Verabschiedung des Landesgleichstellungsgesetzes NRW (LGG) Ende1999 wurde auch universitätsübergreifend die gesetzliche Grundlage für Gleich-stellungspolitik geschaffen und zudem der Verantwortungsbereich der Gleichstel-lungsbeauftragten, ihre Instrumente und ihre Rechtsposition erweitert. Dieses Ge-setz bestimmt ausdrücklich Gleichstellung als Aufgabe der Universität und löst dieBeteiligung und weitere Arbeit der Gleichstellungsbeauftragten aus der Abhängig-keit vom „guten Willen“ der Universität.

2. Die Umsetzung der bisherigen gleichstellungspolitischen ArbeitIn den vergangenen Jahren der institutionalisierten Frauenpolitik an der UniversitätBielefeld konnten zahlreiche Projekte und Maßnahmen initiiert und umgesetzt, so-wie Gleichstellung bzw. das Bekenntnis dazu in bestehende Strukturen implemen-tiert werden. Im Folgenden sollen beispielhaft einige erfolgreiche Frauenförder-und Gleichstellungsmaßnahmen in Stichpunkten skizziert werden (vgl. ausführli-cher Baaken/Plöger 2002b).• Seit 1998 wird an der Universität Bielefeld im Rahmen des landesweiten Mo-

dellversuchs zur Finanzautonomie eine Verteilung der Mittel für Forschung undLehre nach leistungsorientierten Indikatoren durchgeführt. Im Rahmen diesesModellversuches erfolgte die Integration des Frauenanteils der Fakultäten in dieinterne Mittelvergabe.

• Eine wichtige Grundlage für die alltägliche Arbeit sind die Ende 2000 erstelltenFrauenförderpläne jeder Fakultät, Einrichtung und der Zentralen Verwaltung.

• Im April 2001 verabschiedete die Universität Bielefeld eine Richtlinie gegen se-xualisierte Diskriminierung und Gewalt mit weitreichenden Konsequenzen.

• Anfang 2002 verabschiedete der Erweiterte Senat der Universität Bielefeld eineneue Grundordnung und verpflichtete sich in der Präambel zu Gender Main-streaming im weiteren Sinne.

• Ganz im Sinne eines Gender Mainstreaming-Ansatzes und eines damit verbun-denen Top-Down-Prinzips wurde in den Zielvereinbarungen zwischen der Uni-versität Bielefeld und dem Land NRW vom Mai 2002 Gleichstellung als in derVerantwortung der Universität liegend implementiert.

Universitätsweiten Förderprojekten kommt bei der Umsetzung der bisherigengleichstellungspolitischen Arbeit ebenfalls eine große Bedeutung zu. Dabei sind diefolgenden Projekte besonders hervorzuheben: Seit 2001 gibt es an der UniversitätBielefeld das Projekt Pea*nuts, ein Projekt der Gleichstellungsbeauftragten derUniversität Bielefeld, das vom Ministerium für Schule, Wissenschaft und Forschungdes Landes NRW für den Zeitraum von drei Jahren (März 2001 bis Dezember2003) gefördert wird. Es zielt auf die Motivierung und Studienorientierung vonSchülerinnen in Bezug auf naturwissenschaftliche und technische Studienfächer. Kerndes Projekts ist eine jährlich stattfindende interdisziplinäre Herbsthochschule, in derSchülerinnen der Sekundarstufe II innerhalb einer Woche die Möglichkeit erhalten,einen Einblick in das gesamte Studienangebot der beteiligten Fächer zu erhalten.

1997-1998 wurde das vom Ministerium für Schule, Wissenschaft und Forschungdes Landes NRW finanzierte Projekt „Asymmetrische Geschlechterkultur“ an derUniversität Bielefeld durchgeführt. Sexismus und sexuelle Belästigung werden als

Page 65: Anina Mischau, Redaktion · 2011. 11. 30. · Anina Mischau, Redaktion EDITORIAL. IFF-Info Zeitschrift des Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrum (IFF) 20. Jahrgang / Nr.25

Gender Mainstreamig an der Universität Bielefeld

65Info 20.Jg. Nr.25/2003

Ausdruck und Elemente einer problematischen „Geschlechterkultur“ an der Hoch-schule aufgefasst. Ziel des Projektes war die Etablierung einer Aufmerksamkeits-struktur, die es zum einen den von Belästigung Betroffenen erleichtern kann, sichmit ihren Erfahrung an zuständige Stellen zu wenden, zum anderen aber mittel-und langfristig präventiv gegen weitere Vorkommnisse sexualisierter Belästigungwirken kann. In den Jahren 1999 und 2000 wurde an der Universität Bielefeld einvom Ministerium für Schule, Wissenschaft und Forschung des Landes NRW finan-ziertes Projekt durchgeführt, das die fach- und fakultätsspezifischen Ursachen derUnterrepräsentanz von Frauen bei Promotionen untersuchte. Die Bundesfrauen-konferenz der Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten an Hochschulen (BuKoF)initiierte zum Nachweis für die ungleiche Bezahlung gleichwertiger Arbeit ein EU-Projekt zur Entgeltdiskriminierung. Das Projekt wurde von der stellvertretendenGleichstellungsbeauftragten der Universität Bielefeld als Kommissionssprecherinder BuKoF maßgeblich begleitet und im Jahr 2000 auch an der Universität Biele-feld durchgeführt.

In den letzten Jahren wurden darüber hinaus zahlreiche kleinere Forschungs-projekte von den jeweiligen Gleichstellungskommissionen einzelner Fakultäten in-itiiert und durchgeführt. Ihnen gemeinsam war es, die je spezifische Situation in deneinzelnen Fakultäten zu erfassen und sichtbar zu machen, um damit auch eine Basisfür notwendige Gleichstellungsmaßnahmen zu erhalten und perspektivische Ansät-ze formulieren zu können. Beispielhaft seien folgende Forschungsprojekte erwähnt:• Die Gleichstellungskommissionen der Fakultäten für Biologie und Chemie initi-

ierten 1998/99 eine Untersuchung zur Situation von Promovendinnen undPromovenden in den Naturwissenschaften an der Universität Bielefeld.

• 2001 führte die Gleichstellungskommission der Fakultät für Mathematik eineUntersuchung von Ursachen und Gründen einer Entscheidung von Mathemati-kerinnen gegen eine Promotion durch.

• In der Abteilung Philosophie begann 2001 durch deren Gleichstellungskommis-sion eine Erhebung zu den Ursachen der hohen Abbruchquote von Studentin-nen im Fach Philosophie.

• Die zentrale Gleichstellungsbeauftragte und die Gleichstellungskommission derFakultät für Physik führten 2001 in Kooperation eine Studie zum geschlechter-spezifischen Studien/-abbruchverhalten im Fach Physik durch.

• Die Gleichstellungskommission der Fakultät für Soziologie führte in den Jahren2001/02 eine Studierendenbefragung und eine Promovierendenbefragung durch.Auf der Basis dieser beiden Umfragen erarbeitete die GleichstellungskommissionEmpfehlungen zur Verbesserung der Situation von Studentinnen und Promo-vendinnen an der Fakultät.

Darüber hinaus gibt es zahlreiche weitere Maßnahmen, die an der Universität Bie-lefeld zur Frauenförderung, Gleichstellung oder Verbesserung der Situation vonFrauen initiiert und umgesetzt wurden bzw. werden (vgl. ausführlicher Baaken/Plöger 2002b): Seit 1996 vergibt die Universität Promotionsstipendien speziell anFrauen; 1999 wurde eine EDV-Hotline für Sekretärinnen eingerichtet; seit 1991besteht die Möglichkeit einer Supervision für Frauen in den Gremien; das interneFortbildungsprogramm der Universität bietet frauenspezifisches Fortbildungsan-gebote für wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiterinnen aus Technik undVerwaltung an; gemeinsam mit dem Frauennotruf wurde ein externes Beratungs-angebot für Frauen bei sexualisierter Belästigung an der Universität Bielefeld instal-liert; eingerichtet wurde ein externes Beratungsangebot für Studierende und Be-schäftigte mit Kind, angeboten werden Fortbildungen zu Gleichstellungspolitik fürneue Beschäftigte; 2001 wurde eine Zukunftswerkstatt für Studentinnen mit

Page 66: Anina Mischau, Redaktion · 2011. 11. 30. · Anina Mischau, Redaktion EDITORIAL. IFF-Info Zeitschrift des Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrum (IFF) 20. Jahrgang / Nr.25

Berichte aus der Universität Bielefeld

66

Migrationserfahrungen durchgeführt; 2002 wurde in der Universität Bielefeld einFrauen-Computerraum eingerichtet.

3. Grenzen der bisherigen Gleichstellungspolitik und Notwendigkeit desUmdenkensWirft man unter einer Gleichstellungs- und Frauenförderperspektive einen Blickauf die Universität Bielefeld, scheint sie ein sehr gutes Beispiel zu sein: Sie kann dieerste Frauenbeauftragte in NRW und die älteste Frauenforschungs-Einrichtung (dasInterdisziplinäre Frauenforschungs-Zentrum IFF) aufweisen, sie setzte sehr früheine zentrale Frauengleichstellungskommission ein, der Anteil an Professorinnenliegt über dem bundesdeutschen Durchschnitt, es lassen sich zahlreiche Projekteund Finanzierungen zur Frauenförderung finden und Gleichstellung hat einen Platzin universitären Dokumenten wie der Grundordnung, dem Rahmenplan zur Frauen-förderung und der Richtlinie gegen sexualisierte Diskriminierung und Gewalt. Aufden ersten Blick lassen sich in diesem Sinne durchaus punktuelle Ansätze finden, dieauch Erfolge zeigen.

Doch trotz rhetorischer Präsenz von Frauenförderung in der Universität aufGrund von 15 Jahren Frauenförderdebatte, hat sich „an der faktischen Marginalitätvon Frauen vor allem in den oberen Rängen der Hochschulhierarchie, bei denStellen also, die mit Status und Prestige und mit dem Privileg einer lebenslangenBeschäftigung ausgestattet sind“ (Wetterer 1998, S. 18) kaum etwas geändert. Nochimmer sind auch an der Universität Bielefeld sehr wenige Frauen in hoch dotierten,attraktiven Stellen vorzufinden. Die statistisch erkennbaren Erfolge der Gleich-stellungspolitik der letzten 15 Jahre sind minimal. Die Geschlechterpyramide imBildungssystem Universität ist offensichtlich und nach wie vor vorhanden.

Zudem wird immer wieder sichtbar, dass nicht – wie zahlreiche Grundlagen-papiere es vorsehen –- alle Universitätsangehörigen die Notwendigkeit von Gleich-stellung in ihrem Bewusstsein tragen, und dadurch das alltägliche Handeln bestimmtwird. Selbstverpflichtungen zur Gleichstellung in den Grundlagenpapieren habenbisher nicht dazu geführt, Gleichstellung als „Gemeinschaftsaufgabe“ auf den Rük-ken aller zu verteilen. Noch immer wird diese Aufgabe gerne (und ausschließlich)an die Gleichstellungsbeauftragten delegiert. Nach wie vor wird der mühsameProzess, den Kreis der Gleichstellungsakteurinnen und -akteure zu erweitern, derGleichstellungsbeauftragten und ihren Mitstreiterinnen auferlegt.

Ausgangspunkt der aktuellen Diskussionen um die Erfolge bisheriger Frauen-bzw. Gleichstellungspolitik ist die Feststellung, dass trotz großem Engagements nurwenig erreicht worden ist. Angelika Wetterer (1994) weist in diesem Zusammen-hang darauf hin, dass die Gleichstellungspolitik als Frauenförderung, wie sie bisheran Hochschulen betrieben wurde, selbst ein Teil des Problems ist. Schon der Be-griff Frauenförderung sei äußerst kontraproduktiv, da er ein Strukturproblem desGeschlechterverhältnisses als Frauenproblem definiert. Dieser Begriff suggeriert,Frauen sind, was sie schon immer auf der Ebene der Geschlechterstereotype wa-ren, anders und defizitär. Dementsprechend war die Umsetzung der gleichstellungs-politischen Forderungen fast ausschließlich auf das Engagement von Frauen ange-wiesen. Frauenförderung wurde schwerpunktmäßig definiert und konzipiert alsStrategie der Qualifizierung von Frauen und als Strategie der Erleichterung derVereinbarkeit von Familie und Beruf. Der Blick auf das Geschlechterverhältnisund die Einbeziehung der Lebens- und Arbeitssituation von Männern fehlt bisherweitgehend (vgl. Wetterer 1994).

Durch das Konzept Gender Mainstreaming erfährt der traditionelle Frauenför-deransatz eine Ergänzung und Erweiterung des politischen Anspruchs seiner Um-

Page 67: Anina Mischau, Redaktion · 2011. 11. 30. · Anina Mischau, Redaktion EDITORIAL. IFF-Info Zeitschrift des Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrum (IFF) 20. Jahrgang / Nr.25

Gender Mainstreamig an der Universität Bielefeld

67Info 20.Jg. Nr.25/2003

setzung. Hierbei geht es darum, die Bemühungen um das Vorantreiben der Chan-cengleichheit nicht auf die Durchführung von Sondermaßnahmen für Frauen zubeschränken, sondern zur Verwirklichung der Gleichberechtigung ausdrücklich sämt-liche allgemeinen politischen Konzepte und Maßnahmen einzuspannen. Dies heißt,dass eine geschlechterbezogene Sichtweise auf allen Ebenen und in allen Phasenvon Entscheidungsprozessen von allen Beteiligten einzubringen ist. Nickel (1998),Schmidt (2001), Roloff (2001), BMFSFJ (2001) u.a. benennen Schlüsselelementezur Implementierung von Gender Mainstreaming an Hochschulen und ihre erfor-derlichen Voraussetzungen. Dazu gehören neben dem klaren politischen Willen,dass die Verantwortung für die Anwendung von Gender Mainstreaming zunächstim Rektorat der Hochschule angesiedelt werden muss. Der Umsetzungsprozessvon Gender Mainstreaming bedarf der Kompetenz auf allen Ebenen der Hoch-schule, geschlechterspezifische Wirkungen von Maßnahmen, Programmen oderEntscheidungen erkennen zu können. Dabei geht es nicht nur um die Berücksichti-gung der spezifischen Situation von Frauen, sondern in den Blick genommen wer-den sollen die Folgen für Männer und Frauen sowie das Verhältnis zwischen denGeschlechtern. Im Sinne des Gender Mainstreamings werden somit Männer nichtnur explizit als Akteure von gleichstellungspolitischen Maßnahmen angesprochen.Männer sollen vielmehr auch an Gleichstellungsmaßnahmen teilhaben und sich hier-durch neue Handlungsspielräume eröffnen.

Die Realisierung von Gender Mainstreaming an der Hochschule setzt Bereit-schaft, Information, Kooperation und Know How voraus. Für die UniversitätBielefeld bedeutet das zunächst die Reflexion der bisherigen Gleichstellungspolitikunter dem Blickwinkel von Gender Mainstreaming und die Entwicklung einer spe-zifischen Umsetzungsstrategie.

4. Voraussetzungen zur Implementierung von Gender MainstreamingFür den Umsetzungsprozess von Gender Mainstreaming bilden die vorhandenenGleichstellungsstrukturen und Akteurinnen, die die notwendige Geschlechter-kompetenz vermitteln können, eine grundlegende Basis. Die Realisierung von GenderMainstreaming an der Universität Bielefeld soll im Kontext der bisherigenGleichstellungs- und Frauenförderpolitik geschehen. Ausgangspunkt sind die bis-herigen erfolgreichen Maßnahmen zur Frauenförderung und Gleichstellung, dieunter Weiterentwicklungsaspekten und neuen Prioritätensetzungen überprüft undzur Diskussion gestellt werden sollen. Während die Verantwortung der bisherigenGleichstellungspolitik der Gleichstellungsbeauftragten auferlegt wurde, erfordertdas Konzept Gender Mainstreaming, dass die Gleichstellung der Geschlechter alsein Ziel der gesamten Hochschulorganisation definiert wird. Die Definition spie-gelt den politischen Willen der Universität zur Umsetzung von Gender Mainstreamingwider und ist damit von zentraler Bedeutung bei der Realisierung. Die Verantwor-tung wird auf die gesamte Organisation übertragen, d.h. alle Organisationseinheitenmüssen sich mit der Auswirkung ihres Bereiches auf die Geschlechter auseinandersetzen (vgl. Schmidt 2001, S. 51). 2000 erarbeitete die Gleichstellungsbeauftragteund die AG „Förderung von Wissenschaftlerinnen“ einen Beitrag zur Leitbild-diskussion „Frauenförderung – Gleichstellung – Gender Mainstreaming und de-mokratische Geschlechterkultur“. Im Rahmen dieser Auseinandersetzung mit derThematik kristallisierte sich heraus, was demokratische Geschlechterkultur undGender Mainstreaming für die Universität Bielefeld konkret bedeuten (vgl. Tätig-keitsbericht der Gleichstellungsbeauftragten 2000, S. 58):• Erhöhung der Geschlechterkompetenz in den Fakultäten, Einrichtungen und

der Zentralen Verwaltung (Untersuchungen zur fachspezifischen Situation von

Page 68: Anina Mischau, Redaktion · 2011. 11. 30. · Anina Mischau, Redaktion EDITORIAL. IFF-Info Zeitschrift des Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrum (IFF) 20. Jahrgang / Nr.25

Berichte aus der Universität Bielefeld

68

Frauen und Männern, Vortragsreihen und Gespräche in den Fakultäten, Gender-Trainings, Seminare zum Geschlechterdialog);

• kontinuierliche Überprüfung der Organisations- und Entscheidungsstrukturenauf Diskriminierungen und Ausschlussmechanismen;

• Kontinuierliche Analyse, welche Auswirkungen Maßnahmen und Entscheidun-gen auf Frauen und Männer haben;

• Weiterführung und Ausbau eines Kommunikationsprozesses über Geschlechter-kultur und Geschlechterdemokratie;

• Nutzung der Kompetenzen der Fakultäten und Einrichtungen (Frauen- undGeschlechterforschung);

• gleichberechtigte Partizipation von Frauen an Forschungsgeldern, z. B. durchQuotierung zu 40% (wie in der EU) oder entsprechend dem Anteil von Frauenam wissenschaftlichen Personal;

• Entwicklung von Arbeitzeitmodellen für Männer und Frauen in verschiedenenLebenssituationen (Elternschaft, Weiterbildung usw.);

• Weiterführung von Sonderprogrammen in Bereichen, in denen Frauen beson-ders unterrepräsentiert sind, bzw. die Sprungbretter für eine wissenschaftlicheKarriere sind (Promotionsförderung, Frauen in Naturwissenschaft und Tech-nik);

• Erhalt und Stärkung der Gleichstellungsstrukturen.Es besteht Handlungsbedarf, wenn das Modell Gender Mainstreaming verwirk-licht werden soll. Dabei stellt sich die Frage, wie der Prozess Gender Mainstreamingvor Ort angestoßen und dauerhaft verankert werden kann.

4.1. Strukturelle PlanungGender Mainstreaming als Strukturierungskonzept bietet die Chance, Ziele in allenOrganisationseinheiten der Universität umzusetzen, wenn sie bereit sind, die Um-setzung von Gender Mainstreaming als gemeinsames Organisationsziel anzuerken-nen. Welche Dimension dieses Organisationsziel umfasst, lässt die Aussage vonNeusel (1998) erahnen: „die besondere Organisation Hochschule funktioniert ohnegemeinsame Zielsetzung, ohne einheitliche Struktur, ohne präzise Handlungsan-weisungen, mit ausgeprägter Individualität und Originalität der Akteure“ (Neusel1998, S. 68).

Im Rahmen der Tagung „Gender Mainstreaming – Konzepte und Strategienzur Implementierung an Hochschulen“ (2002) wurden von den Veranstalterinnenwährend der Podiumsdiskussion erste Ansatzpunkte zur Umsetzung von GenderMainstreaming an der Universität Bielefeld artikuliert: Erstens Bildung einer Ar-beitsgruppe, die sich aus Vertretern und Vertreterinnen der Universitätsleitung, derGleichstellungsbeauftragten und gleichstellungspolitischen AkteurInnen zusammen-setzt zur Intensivierung der Leitbilddiskussion und zur Entwicklung eines GenderMainstreaming-Konzeptsvorschlags und möglichen Umsetzungsstrategien. Zwei-tens wurde ein Aktionstag zum Thema Gender Mainstreaming an der UniversitätBielefeld angeregt. Im Mittelpunkt stehen dabei die Fakultäten und Einrichtungen,die sich unter dem Blickwinkel der spezifischen Fachkultur innovativ und konstruk-tiv mit der Thematik auseinander setzen sollen. Die Gesamtverantwortung für dasGender Mainstreaming-Konzept sollte die Leitungsebene der Universität Bielefeldübernehmen. Ergebnisse der Implementationsforschung zeigen, dass Top-downProzesse nur sinnvoll umgesetzt werden können, wenn viele AkteurInnen aus denunterschiedlichsten Ebenen an der Gestaltung und Umsetzung beteiligt werden(vgl. Meuser 1989). Das bedeutet, die Entwicklung von Konzeptvorschlägen undUmsetzungsstrategien der Arbeitsgruppe sollten zwar klare Ziel- und Zeitvorgaben

Page 69: Anina Mischau, Redaktion · 2011. 11. 30. · Anina Mischau, Redaktion EDITORIAL. IFF-Info Zeitschrift des Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrum (IFF) 20. Jahrgang / Nr.25

Gender Mainstreamig an der Universität Bielefeld

69Info 20.Jg. Nr.25/2003

beinhalten, aber auch offen sein für Gestaltungs- und Umsetzungsvorschläge ausden unterschiedlichen Fachbereichen. Dafür bieten sich Diskussionforen an, dieden Entwicklungsprozess von Gender Mainstreaming in den unterschiedlichenEntwicklungsphasen begleiten können. Der Arbeitsprozess der Leitungsgruppe mussdurch ein hohes Maß an Transparenz und Information gekennzeichnet sein.

Neben der Verankerung der Gesamtverantwortung für das Gender Mainstrea-ming-Konzept auf der Leitungsebene, kommt es maßgeblich darauf an, inwieweitdas Konzept in den einzelnen Fachbereichen verankert werden kann. Denn dieeinzelnen Bereiche zeichnen sich durch unterschiedliche Fachkulturen (auf Grundvon fachspezifischen Normen und Standards) aus, die unterschiedliche Bedeutungfür das Geschlechterverhältnis haben können. Das bedeutet für den BielefelderProzess zur Realisierung von Gender Mainstreaming, dass in den dezentralen Ein-heiten, den Fachbereichen der Universität Bielefeld, Verantwortlichkeiten zur Um-setzung und zur Bewertung von Gender Mainstreaming geschaffen werden müs-sen. Idealtypisch sollte eine Koordinierungsstelle für Gender Mainstreaming mitkompetenter Unterstützung der Gleichstellungsstelle in jeder Fakultät installiertwerden, die personell in der Lage ist, sich mit fachspezifischen Fragen zu GenderMainstreaming auseinander zu setzen. Um mögliche Konflikte über GenderMainstreaming versus Gleichstellungspolitik zu verhindern, sollte die Kompetenzund die Erfahrungen der Gleichstellungsbeauftragten als wichtige Grundlage fürden Gender Mainstreaming Prozess eingebracht werden, wie es schon im Berichtdes Expertenrates zur Situation der Hochschulen in Nordrhein-Westfalen (2001)gefordert wird

4.2. Inhaltliche PlanungWeitere inhaltliche Schritte lassen sich anknüpfen an die klare Positionierung derUniversität Bielefeld zu Gunsten von Gleichstellungspolitik im Bericht für denExpertenrat: Gleichstellungspolitik ist eine wichtige Aufgabe; die Universität Biele-feld schuf frühe institutionelle Voraussetzungen (die Gleichstellungskommission fürFrauen und Männer, das Interdisziplinäre Frauenforschungs-Zentrum und diefakultätsspezifische Geschlechterforschung) und kann Erfolge vorweisen. Für dieZukunft werden neue Akzente in der Gleichstellungspolitik gesetzt, konkrete Maß-nahmen und Problemfelder genannt und soll die Realisierung von Gender Main-streaming durch eine Weiterentwicklung und Systematisierung der bisherigen Gleich-stellungs- und Frauenförderpolitik ermöglicht werden. Ausgangspunkt sind dieerfolgreichen Maßnahmen zur Frauenförderung und Gleichstellung, die unter Weiter-entwicklungsaspekten und neuen Prioritätensetzungen überprüft und zur Diskussi-on gestellt werden sollen. Im Rahmen einer Stärken- und Schwächenanalyse derbisherigen Gleichstellungspolitik, müssen diejenigen Elemente identifiziert werden,die eine perspektivische Weiterentwicklung ermöglichen. Im Mittelpunkt stehen dabei,die Verpflichtung zu Gender Mainstreaming in der 2002 verabschiedeten Grund-ordnung der Universität, der Rahmenplan zur Gleichstellung von Frauen und Män-nern (Frauenförderpläne der Fakultäten), die Zielvereinbarungen zwischen der Uni-versität und dem Ministerium für Schule, Wissenschaft und Forschung des LandesNRW, das Finanzierungsmodell mit integrierten Frauenförderkriterien und dieGespräche des Rektorats mit allen Fakultäten und Einrichtungen zur Gleich-stellungspolitik, die auf Anregung und in Zusammenarbeit mit der Gleichstellungs-beauftragten 1998/1999 an der Universität Bielefeld durchgeführt wurden und in2003 fortgeführt werden. Ziel der Gespräche war und ist es, Gleichstellungs-maßnahmen in den Fakultäten zu aktivieren, den Fakultätsleitungen ihre Verant-wortung aufzeigen und sie dabei zu unterstützen, die spezifischen Probleme der

Page 70: Anina Mischau, Redaktion · 2011. 11. 30. · Anina Mischau, Redaktion EDITORIAL. IFF-Info Zeitschrift des Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrum (IFF) 20. Jahrgang / Nr.25

Berichte aus der Universität Bielefeld

70

Fakultät oder Einrichtung zu erkennen. Zur gleichstellungspolitischen Weiterent-wicklung können die bisherigen Forschungsergebnisse zu den Ursachen der Unter-repräsentanz von Frauen im Studium bzw. bei Promotionen sowie des Projektes„Asymmetrische Geschlechterkultur“ genutzt werden. Mit dem Projekt „Asymme-trische Geschlechterkultur“ wurde ein Kommunikationsprozess unter Hochschul-angehörigen der verschiedenen Ebenen eingeleitet, der einen Beitrag zur Demokrati-sierung der Geschlechterkultur leistete. Der damals begonnene Kommunika-tionsprozess sollte weitergeführt werden. Erfahrungen aus den gleichstellungs-politischen Auseinandersetzungen verdeutlichen, dass eine erfolgreiche Gleichstel-lungspolitik sehr stark von der Diskussions- und Kooperationskultur in der Hoch-schule abhängig ist (vgl. Plöger 1998). Zur erfolgreichen Implementierung vonGleichstellung gehört die Dokumentation von Zielen und Vereinbarungen ebensowie die Information, Kommunikation und Kooperation.

4.3. Gleichstellungspolitik im Kontext von Gender MainstreamingDie Universität Bielefeld verfügt bereits über eine gute, ausbaufähige Basis im Be-reich Gleichstellungspolitik und -forschung. Hier sind unter anderem die Kommis-sion zur Gleichstellung von Frauen und Männern, das Interdisziplinäre Frauen-forschungs-Zentrum (IFF) und die fakultätsspezifische Geschlechterforschung zunennen. Anknüpfend an erfolgreiche gleichstellungspolitische Maßnahmen zur Per-sonalentwicklung, Qualitäts- und Kommunikationsverbesserung und der Vergabevon Ressourcen soll die Gestaltung der zukünftigen Gleichstellungspolitik durchdie Handlungsstrategie Gender Mainstreaming erweitert werden. Die zukünftigeGleichstellungspolitik im Kontext von Gender Mainstreaming erfordert neben ei-nem neuen gleichstellungspolitischen Blickwinkel, den Aufbau neuer Strukturen unddas besondere Engagement der Hochschulleitung in diesem Prozess.

Für die Universität Bielefeld heißt das zunächst: die Einrichtung einer Arbeits-gruppe (Steuerungsgruppe), die sich aus Vertretern und Vertreterinnen des Rekto-rats, der Gleichstellungsbeauftragten und gleichstellungspolitischen Akteuren undAkteurinnen zusammensetzt und bei der Hochschulleitung angesiedelt wird. In ei-nem festen Zeitrahmen entwickelt die AG tragfähige Strategien und einen Kriterien-katalog zur Einführung und Umsetzung des Gender Mainstreaming-Ansatzes fürdie unterschiedlichen Ebenen der Hochschule. Unter dem Blickwinkel von Innova-tion und Kreativität muss ein Raum für experimentelle gleichstellungspolitischeVorhaben weiterhin vorgesehen sein (vgl. Krohn 2001). Der Arbeitsprozess derAG wird durch grundlegende Informationsvermittlung u.a. anhand externer Ex-perten und Expertinnen und intensiver Schulung (z. B. Gender-Trainings) undDiskussionsforen begleitet. Unter einem Qualitätsgesichtspunkt sollten die Mitglie-der der Steuerungsgruppe neben einer theoretischen Einführung zu Beginn derersten Arbeitsphase an einer intensiven Gender-Schulung teilnehmen.

Anknüpfend an die bisherigen Personalentwicklungsmaßnahmen soll die ge-schlechtergerechte Personal- und Organisationsentwicklung das Thema der Zu-kunft sein. Im Rahmen der Podiumsdiskussion der Tagung „Gender Mainstreaming– Konzepte und Strategien zur Implementierung an Hochschulen“ stellte der Kanzlerder Universität Bielefeld zu Recht fest: „wenn wir die Ressource erschließen wol-len, die vorhanden ist und die zum Teil schlicht vergeudet wird, weil qualifizierteFrauen nicht in genügender Zahl in die entsprechenden Funktionen kommen, dannist das einmal für die Frauen gut, aber es ist auch für die Wissenschaft gut“ (Simm2001, S. 4).

Page 71: Anina Mischau, Redaktion · 2011. 11. 30. · Anina Mischau, Redaktion EDITORIAL. IFF-Info Zeitschrift des Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrum (IFF) 20. Jahrgang / Nr.25

Gender Mainstreamig an der Universität Bielefeld

71Info 20.Jg. Nr.25/2003

LiteraturBaaken, Uschi/Plöger, Lydia (Hgg.): Gender Mainstreaming. Konzepte und Strategien zur

Implementierung an Hochschulen, Bielefeld 2002a.Baaken, Uschi/Plöger, Lydia: Gender Mainstreaming im Kontext der Hochschule am Beispiel

Universität Bielefeld, in: Baaken, Uschi/Plöger, Lydia (Hgg.): Gender Mainstreaming. Kon-zepte und Strategien zur Implementierung an Hochschulen, Bielefeld 2002b, S. 113-137.

BMFSFJ (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend): Grundlagenpapierzu Gender Mainstreaming, Berlin 2001.

Expertenrat: Bericht des Expertenrates zur Situation der Hochschulen in Nordrhein-Westfa-len, Münster 2001.

Krohn, Wolfgang: Gender Mainstreaming im Kontext der Gleichstellungspolitik, unveröf-fentlichter Text der Podiumsdiskussion der Tagung „Gender Mainstreaming – Konzepteund Strategien zur Implementierung an Hochschulen“, Bielefeld 2001.

Meuser, Michael: Gleichstellung auf dem Prüfstand. Frauenförderung in der Verwaltungspra-xis, Pfaffenweiler 1989.

Neusel, Aylá: Funktionsweise der Hochschule als besondere Organisation, in: Roloff, Christi-ne (Hg.): Reformpotenzial an Hochschulen. Frauen als Akteurinnen in Hochschulreform-prozessen, Berlin 1998, S. 63-76.

Nickel, Sigrun: Profilbildung oder Profilneurose? Ein Erfahrungsbericht über die Leitbild-und Organisationsentwicklung an Hochschulen, in: Roloff, Christine (Hg.): Reformpotenzialan Hochschulen. Frauen als Akteurinnen in Hochschulreformprozessen, Berlin 1998, S.193-213.

Plöger, Lydia: Gleichstellungspolitik im Wissenschaftsbetrieb, in: Plöger, Lydia/Riegraf, Birgit(Hgg.): Gleichstellungspolitik als Element innovativer Hochschulreform, Bielefeld 1998, S.142-158.

Roloff, Christine: „Gender Mainstreaming“ im Kontext der Hochschulreform: Geschlechter-gerechtigkeit als Reformstrategie an der Universität Dortmund, in: Zeitschrift für Frauen-forschung und Geschlechterstudien, 19 Jg. H. 3, 2001, S. 58-71.

Schmidt, Verena: Gender Mainstreaming als Leitbild für Geschlechtergerechtigkeit in Organi-sationsstrukturen, in: Zeitschrift für Frauenforschung und Geschlechterstudien, 19. Jg.H.1, 2001, S. 45-62.

Simm, Hans Jürgen: Gender Mainstreaming im Kontext der Gleichstellungspolitik, unveröf-fentlichter Text der Podiumsdiskussion der Tagung „Gender Mainstreaming – Konzepteund Strategien zur Implementierung an Hochschulen“, Bielefeld 2001.

Tätigkeitsbericht der Gleichstellungsbeauftragten und der Gleichstellungskommission 1997-2000 der Universität Bielefeld, Bielefeld 2000.

Wetterer, Angelika: Rhetorische Präsenz – faktische Marginalisierung. Zur Situation von Wis-senschaftlerinnen in Zeiten der Frauenförderung, in: Zeitschrift für Frauenforschung, 11Jg., H. 1+2, 1994, S. 93-109.

Wetterer, Angelika: Noch einmal: Rhetorische Präsenz – faktische Marginalität. Die kontra-faktischen Wirkungen der bisherigen Frauenförderung im Hochschulbereich, in: Plöger,Lydia/Riegraf, Birgit (Hgg.): Gleichstellungspolitik als Element innovativer Hochschulre-form, Bielefeld 1998, S. 18-34.

Uschi Baaken, Gleichstellungsbeauftragte der Universität Bielefeld, Postfach 100131, 33501Bielefeld, Email: [email protected] Plöger, IFF, Universität Bielefeld, Postfach 100131, 33501 Bielefeld,Email: [email protected]

Page 72: Anina Mischau, Redaktion · 2011. 11. 30. · Anina Mischau, Redaktion EDITORIAL. IFF-Info Zeitschrift des Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrum (IFF) 20. Jahrgang / Nr.25

Berichte aus der Universität Bielefeld

72

Angesichts demographischer Prognosen und der mit dem „dreifachen Altern“moderner Gesellschaften (Naegle/Tews 1993) gleichzeitig erwarteten Kostenstei-gerung im Gesundheitswesen wird pflegenden Angehörigen gegenwärtig eine indieser Intensität neue Aufmerksamkeit zuteil. Die mit der Pflegeversicherung pro-pagierten Steuerungsziele, die unter dem Stichwort einer „neuen Kultur des Hel-fens“ ihren prägnanten Ausdruck finden, markieren in diesem Zusammenhangeine auf die pflegerische Arbeit der Angehörigen angewiesene Sozialpolitik, dieden Vorrang der ambulanten gegenüber der stationären Pflege ausdrücklich be-tont.

Das Thema familiale Pflege ist „weiblich“. Zum einem deshalb, weil auf derBasis traditioneller intergenerationaler Erwartungen und geschlechtspezifischerRollenverteilungen nach wie vor fast ausschließlich Frauen die Erbringung vonsolidarischen Hilfe- und Pflegeleistungen in der Familie gewährleisten. Conen (1998,S. 141) spricht hier von einer „Mehrfachbemutterung moderner Gesellschaften“,der eine „männliche Verantwortungslücke für generative Verantwortungsbereiche“gegenübersteht. Zum anderen zeichnet sich ein voraussichtlich anhaltender Trendzur Feminisierung des Alters ab. In der familialen Pflege dominiert entsprechendfolgendes Muster: Frauen – im mittleren Erwachsenenalter – pflegen – alte undhochaltrige – Frauen.

Die politisch-gesellschaftliche Zielsetzung zur Förderung häuslicher Pflege-arrangements findet ihre Entsprechung in dem Wunsch und der Erwartung vieler(älterer) Menschen, im Falle eigener Pflegebedürftigkeit möglichst lange in der häus-lichen Umgebung leben zu können und gegebenenfalls dort gepflegt zu werden.Diese sich ergänzenden Entwicklungen werden durch die große Bereitschaft zurÜbernahme von Pflegeverantwortung und der Aufrechterhaltung von teilweiseerheblich belastenden Pflegearrangements durch pflegende Angehörige unterstützt.Dies gilt auch für die Pflege dementiell erkrankter Menschen, von denen die über-wiegende Mehrheit von Angehörigen versorgt wird.

Damit ist grundsätzlich von einer hohen Leistungsfähigkeit des familialen Hilfe-systems auszugehen, das in der Versorgung Hilfe- und Pflegebedürftiger eindeutigdominiert. Faktisch werden derzeit ungefähr 80% aller hilfe- und pflegebedürfti-gen Menschen in häuslichen Pflegearrangements versorgt. Von diesen Hilfebedürfti-gen werden wiederum rund zwei Drittel ausschließlich von ihren Angehörigen,d.h. ohne Einbeziehung professioneller Dienste, gepflegt.

Entsprechend sind pflegende Angehörige als wesentliche Garanten einer Quali-tätssicherung in häuslichen Pflegearrangements und damit als relevanter Bestandteildes Systems pflegerischer Versorgung insgesamt zur Kenntnis zu nehmen. Gleich-wohl sind die bestehenden Hilfesysteme, die für die pflegenden Familien entlas-tend und unterstützend wirken sollen, häufig funktional, expertokratisch und bü-rokratisch konzipiert. Die Hilfesysteme sind zudem vorrangig ökonomisch, anstandardisierten Kosten-Nutzen-Überlegungen, orientiert. Die lebensweltliche Si-tuation von Familien, die Bedeutung der Übernahme von Pflegeverantwortung alsEinschnitt und Umbruch im familialen Gefüge und die durch die Pflegebedürftig-keit eines Familienmitglieds ausgelöste innerfamiliale Dynamik drohen auch nach

Katharina Gröning, Anne-Christine Kunstmann, Elisabeth Rensing

Modellprojekt „Qualitätssicherung inder häuslichen Pflege dementiellErkrankter“

Page 73: Anina Mischau, Redaktion · 2011. 11. 30. · Anina Mischau, Redaktion EDITORIAL. IFF-Info Zeitschrift des Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrum (IFF) 20. Jahrgang / Nr.25

Modellprojekt zur Qualitätssicherung in der häuslichen Pflege

73Info 20.Jg. Nr.25/2003

Einführung der Pflegeversicherung aus dem Blick zu geraten.Sowohl in der Beratungspraxis als auch in der wissenschaftlichen Diskussion ist

der Diskurs um die mit der familialen Pflege verbundenen Belastungen für dieHauptpflegeperson dominierend. Als besonders belastet gelten pflegende Ange-hörige dementiell erkrankter Menschen, für die ein großer Bedarf an unterstützen-den und entlastenden Angeboten konstatiert wird (z.B. Rothenhäusler/Kurz 1997;Meier u.a. 1999). In Anbetracht ihrer erheblichen Beanspruchung und des hohenKonfliktpotentials, das fast zwangsläufig mit der Übernahme und Aufrechterhal-tung der Pflegeverantwortung in Pflegearrangements mit dementiell Erkranktenverknüpft ist, werden die pflegenden Angehörigen entsprechend in wachsendemMaße als eigenständige Zielgruppe konzeptioneller Überlegungen berücksichtigt.Im Vergleich zum stationären Bereich stehen den Angehörigen dementiell erkrank-ter Familienmitglieder jedoch weniger Möglichkeiten einer fachlich angemessenenHilfe zur Verfügung (BMFSFJ 2001).

Seitens der Angehörigen wird ein außerfamilialer Unterstützungsbedarf jedochsehr deutlich wahrgenommen (z.B. Runde 1996). Diese Erwartung der pflegendenAngehörigen kann als Indiz für die Begrenztheit familialer Ressourcen bzw. privaterUnterstützungsnetzwerke insbesondere „im Konfliktfall“ verstanden werden undverweist auf die Notwendigkeit angemessener Entlastungs- und vor allem frühzei-tiger Beratungsangebote (Kunstmann/Rensing 2000).

Vor diesem Hintergrund ist die Entwicklung und Durchführung eines Beratungs-konzeptes als familienunterstützendes Angebot zur erfolgreichen Gestaltung häus-licher Pflegebeziehungen mit dementiell erkrankten Menschen das wesentliche Zieldes im Auftrag des Ministerium für Arbeit, Soziales, Qualifikation und Technologiedes Landes NRW durchzuführenden Projektes.

Pflegefähigkeit erscheint hier nicht nur als Pool von Fertigkeiten, sondern auch alsmehrgenerationale familiale Entwicklungsaufgabe, die alle Familienmitglieder an-geht und bewusste innerfamiliale Aushandlungsprozesse und Entscheidungen ver-langt, statt mit dem Verweis auf Traditionen und „Selbstverständlichkeiten“ gefälltzu werden. Dieses Verständnis verweist auf die Bedeutung von Beratungsangebo-ten und psychosozialen Hilfestellungen auf der Basis von Geschlechtergerechtigkeitund innerfamilialer Gerechtigkeit sowie innerfamilialer Entwicklung. Insofern wer-den in dem Forschungsprojekt die Pflegearrangements nicht nur als Beziehung Fa-milie versus Staat bzw. als Beziehung Pflegebedürftige versus (weibliche) Pflege-person betrachtet, sondern als ein sich aus Pflegebedürftigen, Familien und Kon-text zusammensetzendes Beziehungsdreieck aufgefasst.

Eine Bestandsaufnahme der derzeitigen Beratungspraxis hinsichtlich der Bera-tungsangebote, der Beratungskonzepte und der Beratungsformen sowie der Quali-fikation der Beratenden verweist hier auf erhebliche Lücken. Dies gilt vor allem imHinblick auf das Verständnis von Beratung im Kontext familialer Pflege. Die Lebens-welt der Angehörigen, ihre moralischen Bindungen und Geschlechtervorstellungen,also die innere Realität pflegender Familien, bleiben weitgehend unberücksichtigt.

Hier setzt das Projekt an. Im Projektverlauf werden zum einen problemzentrierte,teilstrukturierte Interviews mit pflegenden Familien durchgeführt, in denen ethi-sche, familiendynamische, frauenspezifische und generationenbezogene Aspekte derPflege dementiell erkrankter Familienmitglieder zu erfassen sind. Ergänzend wer-den die Erfahrungen pflegender Familien in „Pflegegeschichten“ gesammelt. Diese„Pflegegeschichten“ können sowohl in Form ausführlicher Beschreibungen der(Pflege)Beziehungen in der Familie oder als Schilderung der mit der familialen Pfle-ge verbundenen Konsequenzen für das eigene Leben aber auch als Darstellungeines „typischen Tagesablaufes“, als kurze Schilderungen einzelner prägnanter Si-

Page 74: Anina Mischau, Redaktion · 2011. 11. 30. · Anina Mischau, Redaktion EDITORIAL. IFF-Info Zeitschrift des Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrum (IFF) 20. Jahrgang / Nr.25

Berichte aus der Universität Bielefeld

74

tuationen oder herausragender Ereignisse verfasst sein sowie als Auszüge von Tage-büchern oder Briefen zur Verfügung gestellt werden.

Zum anderen wird die Bedeutung von Angehörigengruppen insbesondere fürdas Selbstbild der Pflegenden und ihre Verhandlungsfähigkeit in den Familien er-mittelt. Von besonderem Interesse sind hier sowohl die im Rahmen der Angehörigen-gruppen bearbeiteten Themenschwerpunkte als auch die Reaktion bzw. Interven-tion der Beratenden. Mit entsprechenden Fragestellungen wird eine teilnehmendeBeobachtung in verschiedenen Angehörigengruppen mit sozialpädagogischem Be-ratungsansatz angestrebt.

Neben diesen Forschungsschwerpunkten des Projektes wird die sogenannte„Kompetenzwerkstatt: Gerontopsychiatrische Familienberatung“ als berufsbeglei-tende Weiterbildung für MitarbeiterInnen im Qualitätssicherungsprozess im Be-reich der häuslichen Pflege konzipiert und durchgeführt, so dass schon währenddes Projektes ein kontinuierlicher Theorie-Praxis-Transfer gewährleistet ist.

Ziel ist die Etablierung eines bedarfsgerechten, bedürfnisorientierten und phasen-spezifischen Beratungsangebotes für Pflegende dementiell erkrankter Menschen.Neben dem Ausbau von Fach- und Methodenkompetenzen stellt deshalb die Praxis-entwicklung und -innovation insbesondere durch die Integration von Ansätzen dergerontopsychiatrischen Familienberatung im jeweiligen Arbeitsfeld der Teilnehmen-den eine wesentliche Zielrichtung der „Kompetenzwerkstatt“ dar. Die Kooperati-on verschiedener, mit häuslichen Pflegearrangements konfrontierter Berufsgrup-pen ist hier von entscheidender Bedeutung.

Abschließend wird auf der Grundlage der Ergebnisse der einzelnen Projekt-phasen ein integriertes Curriculum zur Angehörigenberatung erstellt.

Das dreijährige Modellprojekt „Qualitätssicherung in der häuslichen Pflege“ (11/2001 – 12/2004) wird im Auftrag des Ministerium für Wirtschaft und Soziales desLandes NRW unter der Leitung von Prof. Dr. Katharina Gröning an der Fakultätfür Pädagogik, in Kooperation mit der Arbeiterwohlfahrt Bezirksverband Ost-westfalen-Lippe e.V. durchgeführt.

LiteraturBundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Qualität in der Stationären

Versorgung Demenzerkrankter. Dokumentation eines Workshops. Schriftenreihe des Bun-desministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend; Bd. 207/2. Stuttgart 2001

Conen, G.: Generationsbeziehungen sind auch Geschlechterbeziehungen, in: Zeitschrift fürFrauenforschung, 16. Jg. H. 1/2, 1998, S. 137-153.

Kunstmann, A.-Ch./Rensing, E.: Das familiale System und die „Gerechtigkeitsvorstellungen“weiblicher Pflegepersonen in der häuslichen Pflege. Im Auftrag des Ministeriums. Unver-öffentlichter Bericht. 2000.

Meier, D. u.a.: Pflegende Familienangehörige von Demenzpatienten. Ihre Belastungen undBedürfnisse, in: Zeitschrift für Gerontopsychologie und -psychiatrie, 12. Jg., 2, 1999, S. 85-96.

Naegele, G./Tews, H. P. (Hgg.): Lebenslagen im Strukturwandel des Alters. Alternde Gesell-schaft – Folgen für die Politik, Opladen 1993.

Rothenhäusler, H.-B./Kurz, A.: Emotionale Auswirkungen einer HeimunterbringungAlzheimererkrankter auf deren Ehepartner, in: Zeitschrift für Gerontopsychologie und-psychiatrie, 10. Jg., 1, 1997, S. 61-69.

Runde, P. u.a.: Einstellungen und Verhalten zur Pflegeversicherung und zur häuslichen Pflege:Ergebnisse einer schriftlichen Befragung von Leistungsempfängern der Pflegeversicherung,Hamburg 1996.

Kontakt:Universität Bielefeld,Fakultät für Pädagogik,AG 7: Diagnose undBeratung, Postfach 100131,33501 Bielefeld,Tel.: (0521) 106-3139(Sekretariat),

Prof. Dr. KatharinaGröning, Email:[email protected]äd. Anne-ChristineKunstmann, Email: [email protected]äd ElisabethRensing, Email:[email protected]

Page 75: Anina Mischau, Redaktion · 2011. 11. 30. · Anina Mischau, Redaktion EDITORIAL. IFF-Info Zeitschrift des Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrum (IFF) 20. Jahrgang / Nr.25

Tagung zum 20jährigen Jubiläum

75Info 20.Jg. Nr.25/2003

WechselwirkungenRisiken und NebenwirkungenFrauen- und Geschlechterforschung im Kontext von Disziplinen undNetzwerken

„ (...) Wir wollen nicht nur die akademische Wissenschaft um einen sogenannten Frauen-aspekt additiv ergänzen, wir wollen nicht nur Forschungslücken erst entdecken und dannausfüllen. Wir wollen mehr als nur Objekt und Subjekt der Wissenschaft werden: wirwollen sie und die Gesellschaft verändern. Radikal.“

Kaum ein anderes Zitat wie dieses aus einem Beitrag von Gisela Bock anlässlich derersten Sommeruniversität für Frauen 1976 in Berlin verdeutlicht die Aufbruchstimmungder in den 1970er Jahren erwachten Frauenforschungsbewegung in Deutschland. Seit-her befasst sich die Frauen- und Geschlechterforschung nicht nur mit der Entwick-lung der Geschlechterverhältnisse sowie deren Bedeutung für die Verteilung von po-litischer, wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Macht in Vergangenheit, Gegenwartund Zukunft. Sie hat sich seit nahezu drei Jahrzehnten auch der kritischen Wissenschafts-reflexion, dem Aufdecken androzentrischer Grundlagen ihrer jeweiligen Disziplinen,der Reformulierung des wissenschaftlichen Begründungszusammenhanges und derNeuformulierung des wissenschaftlichen Entdeckungszusammenhanges verschrieben.Die Frauen- und Geschlechterforschung hat erfolgreich an der Transformation deshegemonialen Wissenschaftsdiskurses und dessen Deutungsmonopol gearbeitet undein gegenhegemoniales Verständnis von Geschlechterverhältnissen etabliert. Sie hatnicht nur zunehmend Eingang in die Einzelwissenschaften gefunden und deren For-schungen, Lehrinhalte und Lehrformen beeinflusst; sie hat sich über die Jahre auchmehr und mehr theoretisch, methodisch und inhaltlich ausdifferenziert und zu einemintegralen Bestandteil des Wissenschaftssystems entwickelt.

Die zunehmende Etablierung, Institutionalisierung und Implementierung der Frau-en- und Geschlechterforschung dokumentiert sich national und international auch undgerade durch die Gründung von Zentren/Institutionen der Frauen- und Geschlechter-forschung bzw. Gender Studies an zahlreichen Universitäten. In den Jahren zwischen1981 und 2001 wurden z.B. in Deutschland 22 Zentren, Kollegs oder Koordinations-stellen der Frauen- und Geschlechterforschung an Universitäten eingerichtet. Das IFFgehört dabei zu den Einrichtungen der ersten „Gründungsgeneration“. 2002 begingdas IFF ein doppeltes Jubiläum: 1982 ist der Universitätsschwerpunkt „Interdiszipli-näre Forschungsgruppe Frauenforschung“ eingerichtet worden; seit 1992 gibt es dasIFF in seiner jetzigen Form als „Interdisziplinäres Frauenforschungs-Zentrum“. Inden vergangenen 20 Jahren hat sich das IFF als nationales und internationales Forumder Frauen- und Geschlechterforschung etabliert und als eines der ersten universitärenForschungszentren wesentlich zur Entwicklung, Ausgestaltung und Etablierung derFrauen- und Geschlechterforschung in Deutschland beigetragen.

Auch das beste Modell ist jedoch nie so gut, dass es sich selbstzufrieden immerweiter fortschreiben sollte. Daher verfolgt das IFF mit einer großen Tagung, die esaus Anlass des 20jährigen Bestehens am 8. und 9. Mai dieses Jahres im JugendgästehausBielefeld ausrichtet, mehrere Absichten: das Erreichte zu feiern, nicht ohne es zugleichauch kritisch zu reflektieren, Weiterentwicklungen für die Zukunft zu skizzieren undsich beim großen Kreis derjenigen inner- und außerhalb der Universität, der Stadt undRegion, aus dem In- und Ausland zu bedanken, die das IFF bis hierhin begleitet haben

Tag

un

g an

lässlich d

es 20jährig

en B

estehen

s des

Interd

isziplin

ären F

rauen

forsch

un

gs-Z

entru

ms (IF

F)

Page 76: Anina Mischau, Redaktion · 2011. 11. 30. · Anina Mischau, Redaktion EDITORIAL. IFF-Info Zeitschrift des Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrum (IFF) 20. Jahrgang / Nr.25

Berichte aus dem IFF

76

und vorhaben, das auch weiterhin zu tun.Das Programm der Tagung „Wechselwirkungen, Risiken und Nebenwirkungen.

Frauen- und Geschlechterforschung im Kontext von Disziplinen und Netzwer-ken“ lässt die Vielfalt der Frauen- und Geschlechterforschung und ihre anhaltendeFähigkeit zur Selbstreflexion erkennen. Sie widmet sich drei großen Fragekomplexen,die für die meisten Einrichtungen und Lehrstühle der deutschsprachigen Frauen-und Geschlechterforschung bis heute von großer Aktualität sind. Es wird zunächstum die wechselseitige Beeinflussung von Frauen- und Geschlechterforschung und

dem jeweiligen „main-stream“ in einigen relevanten Wissen-schaften gehen; sodann wird anhand einiger Beiträge geprüft,welche Prämissen und Folgen die Forderung nach Inter-disziplinarität für die Frauen- und Geschlechterforschung hatteund welche Entwicklungen sich abzeichnen; und schließlich gehtes um Vernetzung als Brücke zwischen Konkurrenz und Soli-darität.

Diese Mischung aus grundlagenorientierter Forschungs-diskussion und forschungspolitischen Debatten mit renommier-ten Vertreterinnen der Frauen- und Geschlechterforschung lässthochkarätige Beiträge und angeregte Diskussionen erwarten.Sie wird abgerundet durch einen Festakt, der – eingeleitet durcheinen Festvortrag von Prof. Dr. Hildegard Maria Nickel vonder Humboldt-Universität Berlin – Kultur im Sinne vielfältigerleiblicher Genüsse bereithält. Alle Interessierten sind herzlicheingeladen, an der Tagung teilzunehmen und in deren Rahmengemeinsam mit dem IFF sein 20jähriges Bestehen gebührendzu feiern.

Die Redaktion

Tagungsprogramm

Donnerstag 8. Mai 2003

13.00 Begrüßung durch Prof. Dr. Ursula Müller (geschäftsführende Leiterin desIFF)

Frauen-/Geschlechterforschung und »main-stream«: Breaking the wall?13.15Dr. Karola Maltry (Zentrum für Gender Studies und feministische Zukunftsfor-schung der Philipps-Universität Marburg):»Frauen- und Geschlechterforschung als transformative Wissenschaft«

14.00Ao. Univ.-Prof. Dr. Birgit Sauer (Universität Wien):»Veilchen im Moose«. Die (Geschlechter)Politik der Politik(Wissenschaft)

14.45 Kaffeepause

Page 77: Anina Mischau, Redaktion · 2011. 11. 30. · Anina Mischau, Redaktion EDITORIAL. IFF-Info Zeitschrift des Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrum (IFF) 20. Jahrgang / Nr.25

Tagung zum 20jährigen Jubiläum

77Info 20.Jg. Nr.25/2003

15.15Prof. Dr. Sigrid Metz-Göckel (Universität Dortmund):»Gender Mainstreaming und Geschlechterforschung – Gegenläufigkeiten und Über-einstimmungen«

16.00Prof. Dr. Ursula Müller (Universität Bielefeld, Interdisziplinäres Frauenforschungs-Zentrum):»Gender« kommt – die Geschlechter gehen? Bewegungen in den Sozialwissen-schaften

18.00Begrüßung und Eröffnung des Festaktes durch das Rektorat der Universität Biele-feld und dem Vorstand des IFF

18.30 FestvortragProf. Dr. Hildegard Maria Nickel (Humboldt Universität Berlin):»Akademisierung und Vermarktlichung – Zwei Pole der Entpolitisierung der Frau-en- und Geschlechterforschung«

19.15 Kabarett mit Hilde Wackerhagen

20.00 Eröffnung des Buffets

20.30Kulturprogramm mit »Silbertango«, Elke Silber (Gesang) und Harald Kiesling (Ak-kordeon) undAnke Almers, Lisa Unterlinner und Thomas Whittall (Tanz)

Freitag 9. Mai 2003

Interdisziplinarität von Frauen- und Geschlechterforschung zwischenAnspruch, Wirklichkeit und Herausforderung

9.00Prof. Dr. Marion E. P. de Ras (Cornelia Goethe Centrum für Frauenstudien unddie Erforschung der Geschlechterverhältnis, Johann Wolfgang Goethe-UniversitätFrankfurt):»Geschlechterforschung: Die Diskursivität des paradigmatischen Zwischenraumes«

9.45Dr. Sabine Hark (Universität Potsdam):»Material conditions: Chancen und Grenzen von Inter- und Transdisziplinarität inder Geschlechterforschung«

10.30 Kaffeepause

Page 78: Anina Mischau, Redaktion · 2011. 11. 30. · Anina Mischau, Redaktion EDITORIAL. IFF-Info Zeitschrift des Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrum (IFF) 20. Jahrgang / Nr.25

Berichte aus dem IFF

78

11.00Dr. Caroline Kramer (Universität Heidelberg, ZUMA Mannheim):»Soziologie und Sozialgeographie – Schafft die Geschlechterforschung Raum fürInterdisziplinarität?«

11.45Prof. Dr. Karin Hausen (Zentrum für Interdisziplinäre Frauen- und Geschlechter-forschung, TU Berlin):»Interdisziplinarität lehren – eine Gradwanderung der Frauen- und Geschlechter-forschung mit Risiken und verlockenden Aussichten«

12.30Prof. Dr. Ruth Becker (Universität Dortmund, Netzwerk Frauenforschung NRW):»Die Internationale Frauenuniversität ifu – Modell für eine neue Transdisziplinaritätin der Frauen- und Geschlechterforschung?«

13.15 Mittagspause

14.30Vernetzung als Brücke zwischen Konkurrenz und Solidarität?

Podium mit anschließender offener Diskussion

Dr. Beate Kortendiek (Netzwerk Frauenforschung NRW)»Networking« zwischen Konkurrenz und SolidaritätDr. Sünne Andresen (Universität Potsdam):»Von der (Un-)Möglichkeit solidarisch zu sein in Konkurrenzverhältnissen«Prof. Dr. Hannelore Schwedes (Universität Bremen, Zentrum für FeministischeStudien):»Öffnet die Frauen- und Geschlechterforschung den Weg zur Vernetzung der Dis-ziplinen?«Prof. Dr. Ilse Lenz (Ruhr-Universität Bochum):»Vernetzung in Zeiten der Globalisierung – Reichweite und Grenzen«PD Dr. Birgit Blättel-Mink (Universität Stuttgart):»Konkurrenz – notwendig? Solidarität – gewollt? Zum Verhältnis von universitärerund außeruniversitärer Frauen- und Geschlechterforschung«

Voraussichtliches Tagungsende: 16.30

Tagungsort:Jugendgästehaus Bielefeld, Herrmann-Kleinewächter-Str. 1, 33602 Bielefeld, Tel.:0521/52205-0Anreise: ab Hauptbahnhof mit der Straßenbahnlinie 3 in Richtung Sieker-Mitte biszur Haltestelle August-Schroeder-Straße

Tagungsbeitrag:Für beide Tage: 50.- Euro für Verdienende und 30.- Euro für Studierende undNichtverdienende; nur für Donnerstag: 30.- Euro(ermäßigt 20.- Euro); nur fürFreitag: 25.-Euro (ermäßigt 15.- Euro)

Information und Anmeldung:Dr. Anina Mischau oder

Ulla Reißland,Interdisziplinäres

Frauenforschungs-ZentrumUniversität Bielefeld,Postfach 10 01 31,

33501 Bielefeld,Tel.: 0521/106-4573 oder

106-4574, Email:[email protected]

oder [email protected]

Page 79: Anina Mischau, Redaktion · 2011. 11. 30. · Anina Mischau, Redaktion EDITORIAL. IFF-Info Zeitschrift des Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrum (IFF) 20. Jahrgang / Nr.25

VINGS

79Info 20.Jg. Nr.25/2003

Silja Polzin

Internationale und interdisziplinäreLehrkooperationen erhöhen Attraktivitätdes Online-Studiums „VINGS“

Steigende Studierendenzahlen spiegeln das Interesse an Vings (Virtual InternationalGender Studies )wider. Beim Start des bundesweit einmaligen virtuellen Studienan-gebots im April 2002 hatten sich 71 Studierende eingeschrieben. Im Wintersemester2002/03 waren es 135 Studierende, die sich für eine wissenschaftliche Weiterbildungoder eine Ergänzung ihres Präsenzstudiums durch Online-Seminare im Bereich derGeschlechterforschung entschieden.

Im Modelldurchlauf des Studienangebotes1 ist es noch nicht möglich, einenAbschluss zu erzielen. Doch erhalten die Studierenden bereits während der Projekt-laufzeit Scheine2 für die erfolgreiche Teilnahme an einzelnen VINGS-Seminaren, diesie, je nach Studiengang, für ihr Präsenzstudium an einer der kooperierenden Hoch-schulen verwerten können. Dies führt dazu, dass derzeit nur wenige Studierende be-absichtigen, kontinuierlich das komplette VINGS-Programm zu absolvieren. Hinge-gen wählt die Mehrheit der Studierenden aus den vier inhaltlichen Schwerpunktmodulenvon VINGS gezielt bestimmte Seminare aus, die sie für ihr Präsenzstudium verwertenkönnen oder die inhaltlich ihren Forschungsinteressen entsprechen.

Anfragen von Studierenden verdeutlichen jedoch den Wunsch, mit der Teilnahmean VINGS-Seminaren auch einen qualifizierenden Studienabschluss zu erzielen. DieOption eines Abschluss-Zertifikats dürfte das Studieninteresse an VINGS somit deut-lich steigern. An der Implementierung von VINGS als Studiengang im Umfang einesMaster- oder Magisternebenfachs wird im Projekt engagiert gearbeitet.

Internationale LehrkooperationenDas Online-Studium bietet im Vergleich zur traditionellen Präsenzlehre die Chance zuinternationalen und interdisziplinären Lehrkooperationen, die es Studierenden ermög-lichen, mit internationalen Expertinnen und Experten in wissenschaftlichen Austauschzu treten. Vielfältige Sondierungsgespräche zur Knüpfung partieller Kooperationenmit ausländischen Universitäten, insbesondere auch in Osteuropa, zeigen das Interessesowohl an dem modularisiert aufgebauten, interdisziplinär und international angeleg-ten Curriculum Virtual International Gender Studies als auch an internationalenLehrkooperationen mit Expertinnen und Experten der Frauen- und Geschlechter-forschung aus dem inner- und außereuropäischen Ausland.

Das im Wintersemester 2002/03 angebotene VINGS-Seminar „Arbeitsbiographienvon Frauen“ widmete sich beispielsweise der Analyse von Bedingungen, die zu dis-kontinuierlichen Verläufen des Berufslebens von Frauen führen. Ein internationalesTeam renommierter Wissenschaftlerinnen aus Hannover, Potsdam, Moskau und Baselermöglichte eine vergleichende Untersuchung der Auswirkungen politischer Trans-formationen und ökonomischer Umbrüche für berufstätige Frauen aus interdiszipli-närer Perspektive in vier unterschiedlichen Konstellationen (Russland, Papua-Neugui-nea sowie neue und alte Bundesländer in Deutschland). Durch internationale und in-terdisziplinäre Teams von Lehrenden eröffnet sich Studierenden bereits während desStudiums die einmalige Erfahrung reflektierter Multiperspektivität in der Forschungund wissenschaftlichen Debattierens mit Expertinnen anderer Disziplinen.

Das VINGS-Studienangebot für das Sommersemester 2003 umfasst folgende

1 VINGS ist ein vomBundesministerium fürBildung und Forschung

gefördertes Modellprojekt,das unter der Konsortial-

führung des Interdisziplinä-ren Frauenforschungs-

Zentrums der UniversitätBielefeld in Kooperation mitder Fernuniversität Hagen,

der Ruhr-UniversitätBochum und der Universität

Hannover durchgeführtwird. Ziel des Projekts ist die

Entwicklung, Realisierungund Etablierung eines

interdisziplinär undinternational ausgerichtetenvirtuellen Studienprogrammsim Bereich der Geschlechter-

forschung (vgl. IFF Info,19. Jg., Nr. 24, 2002).

2 Leistungen der Studieren-den werden entsprechend dem

europäischen StandardECTS (European Credit

Transfer System) zer-tifiziert.

Page 80: Anina Mischau, Redaktion · 2011. 11. 30. · Anina Mischau, Redaktion EDITORIAL. IFF-Info Zeitschrift des Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrum (IFF) 20. Jahrgang / Nr.25

Berichte aus dem IFF

80

Seminare und Kurse, die an dieser Stelle nur kurz vorgestellt und auf den sichanschließenden Seiten ausführlicher beschrieben werden: Das im Sommersemester2003 angebotene VINGS-Seminar „Sozialgeschichte und Zukunft geschlechtlicherArbeitsteilung“ ist interdisziplinär angelegt. Das Online-Seminar behandelt ausge-wählte sozialgeschichtliche Konstellationen von Öffentlichkeit, Privatheit, Männer-arbeit und Frauenarbeit und deren Wandel. Interdisziplinär angelegt ist auch dasVINGS-Seminar „Denkverhältnisse: Ansätze und Strategien feministischer Er-kenntniskritik“, das im Sommersemester 2003 in die Grundzüge der feministischenErkenntniskritik einführen wird. Der Kurs wird von drei Philosophinnen und einerSozialwissenschaftlerin aus Darmstadt, Hannover und Wien durchgeführt. Interna-tional und interdisziplinär ausgerichtet ist das VINGS-Seminar „Recht, Kontraktund Geschlecht: Globale Dynamiken und lokale Aushandlungen“. Im Zentrumdes Seminars steht die Auseinandersetzung mit Frauenrechten und deren Umset-zung und Institutionalisierung in globaler Perspektive. Der Online-Kurs steht nichtnur Studierenden der Sozial-, Geistes- und Kulturwissenschaften sondern auch Stu-dierenden der Rechtswissenschaften offen.

Das Online-Seminar „Moderne Körper“ bietet eine Einführung in die Geschichtedes modernen Körpers vom ausgehenden 18. Jahrhundert bis zum Beginn desErsten Weltkrieges. Im Sommersemester 2003 erstmals wiederholt wird derVINGS-Grundlagenkurs „Einführung in International Gender Studies“. DerVINGS-Grundlagenkurs „Studieren im Netz“ wird seit dem Start des Studien-programms fortlaufend angeboten. Darüber hinaus werden im Rahmen desVINGS-Weiterbildungsprogramms zur Qualifizierung von Gleichstellungsarbeitund Führungsaufgaben zusätzlich der Kurs „Gender und Schreiben. SchreibprojektDer Frauenstaat“ und der Kurs „Praxis der Gleichstellungsarbeit“ angeboten.3

Leitung des Kooperationsprojekts VINGSProf. Dr. Ursula Müller (Konsortialführung), Universität BielefeldFakultät für Soziologie und Interdisziplinäres Frauenforschungs-Zentrum (IFF)Prof. Dr. Ilse Lenz, Ruhr-Universität-Bochum, Fakultät für SozialwissenschaftUlrike Schultz, AOR, FernUniversität HagenFachbereich Rechtswissenschaft, Zentrum für Fernstudienentwicklung (ZFE)Prof. Dr. Gudrun-Axeli Knapp, Universität Hannover, Psychologisches Institut

KontaktSilja Polzin M.A. (Zentrale Projektkoordination)Universität BielefeldInterdisziplinäres [email protected] Informationenhttp://www.vings.de

3 Weiter Informationen zumVINGS-Weiterbildungspro-gramm unter:http://www.vings.de

Page 81: Anina Mischau, Redaktion · 2011. 11. 30. · Anina Mischau, Redaktion EDITORIAL. IFF-Info Zeitschrift des Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrum (IFF) 20. Jahrgang / Nr.25

VINGS

81Info 20.Jg. Nr.25/2003

VINGS – Grundlagen I

Einführung in International Gender StudiesIlse Lenz (Bochum) und Paula-Irene Villa (Hannover)

• Welche Bilder haben wir im Kopf, wenn wir an Frauen und Männer denken undwo kommen sie her?

• Wie unterscheiden sie sich zwischen den Kulturen?• Welche Rolle spielt dabei die „Natur“?• Warum haben Frauen in Politik, Hochschule und Wirtschaft international nicht

die Zahl an höheren Positionen, die ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerungentsprechen würde?

• Was bedeutet die Globalisierung für die Geschlechterverhältnisse?Es gibt viele Fragen zum Geschlechterverhältnis, aber noch mehr unhinterfragtevermeintliche Gewissheiten. Wir werden in diesem Kurs solchen Fragen nachge-hen, aber auch neue Fragen aufwerfen.

Die Veranstaltung soll eine Einführung in die Geschlechterforschung in interna-tionaler Perspektive und in das Lernen im Netz geben. Zunächst beschäftigen wiruns mit verschiedenen Ansätzen zum Geschlecht als einem grundlegenden gesell-schaftlichen Verhältnis. Dann soll im Zusammenhang von Arbeit, Körpern, Sub-jektivität und Politik gefragt werden, was Geschlecht in modernen Gesellschaftenbedeutet.Beginn: 24.04.2003

Studieren im NetzSilja Polzin und Anne Reckmeyer (Universität Bielefeld)

Für das Online-Studium im Rahmen von VINGS sind Medienkompetenzen imUmgang mit dem Internet als Lernmedium erforderlich. Die praktischen und theo-retischen Kenntnisse können Studierende in diesem Online-Seminar erwerben. Dasvirtuelle Seminar „Studieren im Netz“ vermittelt die für das Online-Studium not-wendigen Kenntnisse und Handlungskompetenzen in folgenden Bereichen:• Handhabung der virtuellen Lernumgebung• Professionelle Nutzung von Internetdiensten• Kommunikation im Netz (Chat, E-Mail, Newsgroups, Mailinglisten)• Zusammenarbeiten im Netz• Einführung in das Kooperationswerkzeug BSCW• Wissenschaftliches Recherchieren im Internet• Lernorganisation und Zeitmanagement• Publizieren im WWWBeginn: 28.04.2003

VINGS – Grundlagen II

Im Sommersemester 2003 werden in VINGS Grundlagen II keine Online-Kurseangeboten.

Vin

gs S

tud

ieren: O

nlin

e-Sem

inare im

So

mm

ersemester 2003

Page 82: Anina Mischau, Redaktion · 2011. 11. 30. · Anina Mischau, Redaktion EDITORIAL. IFF-Info Zeitschrift des Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrum (IFF) 20. Jahrgang / Nr.25

Berichte aus dem IFF

82

VINGS HauptphaseModul: Gesellschaftliche Transformationen im Verhältnis von Arbeitund Geschlecht

Sozialgeschichte und Zukunft geschlechtlicher ArbeitsteilungAxeli Knapp (Hannover), Kerstin Jürgens (Hannover), Ursula Müller (Bielefeld),Jutta Schwarzkopf (Bremen), Karin Hausen (Berlin)

Das Online-Seminar behandelt ausgewählte sozialgeschichtliche Konstellationen vonÖffentlichkeit, Privatheit, Männerarbeit und Frauenarbeit und deren Wandel. Derinterdisziplinäre Kurs besteht aus einer theoretischen Einführung in Analyse-dimensionen von Geschlechterverhältnissen sowie drei inhaltlichen Schwerpunk-ten.

Im ersten Themenblock geht es um die Historizität von Arbeitsteilung undGeschlechterordnung. Dabei werden insbesondere Veränderungen der Geschlech-terordnung am Übergang agrarischer in industrielle Verhältnisse beleuchtet. Imzweiten Themenblock wird das Zusammenwirken der sozialen Strukturkategorien„Klasse“ und „Geschlecht“ in der Phase des Frühkapitalismus im Mittelpunkt ste-hen. Einblicke in die Zukunft geschlechtlicher Arbeitsteilung bietet der dritte Themen-komplex des Seminars. Anhand aktueller Untersuchungen zu Arbeitsteilung inErwerbsarbeit und Familie werden die Wechselwirkungen zwischen den Lebens-bereichen und damit verbundene Hierarchien zwischen den Geschlechtern auf-zeigt.

Ferner wird die Fragestellung behandelt, welchen Beitrag moderne Arbeits- undBildungsorganisationen zur Konstruktion von Geschlechter(a)symmetrie leisten undunter welchen Bedingungen sie für die asymmetrische Geschlechterkultur sensibelwerden, die in ihnen noch vorherrscht. Der Kurs soll verdeutlichen, dass Geschlech-terverhältnisse untrennbar verwoben sind mit gesamtgesellschaftlichen Entwick-lungen und daher ohne diese erweiterte Perspektive nur unzureichend erschlossenwerden können.Beginn: 25.04.2003

VINGS HauptphaseModul: Modul Globalisierung, Europäisierung, Regionalisierung

Recht, Kontrakt und Geschlecht: Globale Dynamiken und lokale Aus-handlungenJoanna Pfaff-Czarnecka (Bielefeld)

Im Zentrum des Seminars „Recht, Kontrakt, Geschlecht: Globale Dynamiken undlokale Aushandlungen“ steht die Auseinandersetzung mit Frauenrechten und derenUmsetzung und Institutionalisierung in globaler Perspektive.

Es wird einerseits davon ausgegangen, dass Rechte von Frauen weltweit zuneh-mend an Geltung gewinnen, was sich in der verstärkten Kodifizierung von Rechts-bestimmungen manifestiert, die frauenspezifischen Problemlagen Rechnung tra-gen. Darüber hinaus organisieren sich Frauen vermehrt in globalen Bewegungenund Netzwerken, in denen Rechtsansprüche, Unrechtsdiskurse und Aktionspläneentworfen und in die Tat umgesetzt werden (Internationale Frauenbewegungen,UN-Frauenkonferenzen, CEDAW-Berichterstattung). Andererseits sind jedochV

ing

s S

tud

iere

n:

On

line-

Sem

inar

e im

So

mm

erse

mes

ter

2003

Page 83: Anina Mischau, Redaktion · 2011. 11. 30. · Anina Mischau, Redaktion EDITORIAL. IFF-Info Zeitschrift des Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrum (IFF) 20. Jahrgang / Nr.25

VINGS

83Info 20.Jg. Nr.25/2003

Ohnmacht, Rechtlosigkeit und rechtliche Marginalisierung von Frauen in vielen Tei-len der Welt unübersehbar.

Der Kurs gliedert sich in sechs Lerneinheiten, die zentrale Facetten dieser The-matik zu behandeln suchen. Aus der Perspektive der Globalisierungsforschung istes notwendig, die Transnationalisierung und die Pluralisierung des Rechts zu be-trachten. Zugleich gilt es zu zeigen, wie internationale Rechtsnormen lokal adaptiertund durch „lokale“ Formen des Rechts, beispielsweise Gewohnheitsrecht oderreligiöses Recht überformt werden. Anhand der Themen „Besitz“, „Heiraten“,„Erben“, „Arbeit“ und „Gewalt gegen Frauen“ werden globale und homogenisie-rende Entwicklungen ebenso in den Blick genommen wie kulturell bedingte Diffe-renzen in den Kontexten einzelner Rechtssysteme (Debatte um die Universalitätvon Menschenrechten, Rechtspluralismus, lokale Aushandlungsprozesse von glo-balen Rechtsnormen). Dabei wird das Spannungsfeld zwischen zunehmender In-stitutionalisierung und Globalisierung von Frauenrechten und den Schwierigkeiten,diese lokal umzusetzen, ausgelotet.Beginn: 22.04.2003

VINGS HauptphaseModul: Modul Körper, Sexualität, Gesundheit

Moderne KörperAnne Fleig (Hannover)

Dieses Online-Seminar bietet eine Einführung in die Geschichte des modernenKörpers vom ausgehenden 18. Jahrhundert bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges.

Foucault hat im ersten Band seiner Studie „Sexualität und Wahrheit“ den ‚Willenzum Wissen’ als produktiven Leitfaden der Konstruktion des modernen Körpersherausgearbeitet.

Diesen Faden greift das Seminar auf und will ihn durch die Diskurse der Hygie-ne-, Lebensreform-, Wandervogel- und Jugendbewegung hindurch verfolgen, dieihrerseits mit der Herausbildung der modernen Wahrnehmung eng verzahnt sind.In der Programmatik dieser Bewegungen treten Rationalisierung und Befreiungdes Körpers in ein höchst widersprüchliches Verhältnis zueinander.

Was bedeuten diese Widersprüche für die verschiedenen Vorstellungen vomKörper? Inwiefern ist dieser Körper geschlechtsspezifisch codiert? Und was folgtdaraus für die Rezeption der Moderne um 1900? Diese Fragen wollen wir imLaufe des Seminars gemeinsam bearbeiten, in netzgestützten Foren diskutieren undschließlich in Form schriftlicher Arbeiten beantworten.Beginn: 14.04.2003

VINGS modulübergreifender Querschnittskurs

Denkverhältnisse: Ansätze und Strategien feministischer ErkenntniskritikAxeli Knapp (Hannover), Petra Gehring (Darmstadt), Cornelia Klinger (Wien),Mona Singer (Wien)

Der Kurs soll in Grundzüge der feministischen Erkenntniskritik einführen. Diedabei leitenden Fragen sind, ob Wissenschaft und Erkenntnis geschlechtlich neutralsind, ob sie es überhaupt sein könnten, und – falls dies verneint werden muss –

Vin

gs S

tud

ieren: O

nlin

e-Sem

inare im

So

mm

ersemester 2003

Page 84: Anina Mischau, Redaktion · 2011. 11. 30. · Anina Mischau, Redaktion EDITORIAL. IFF-Info Zeitschrift des Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrum (IFF) 20. Jahrgang / Nr.25

Berichte aus dem IFF

84

welche Konsequenzen das für die Möglichkeit einer wissenschaftlichen Fundierungfeministischer Kritik an den bestehenden Ordnungen des Wissens hat. Im Rahmendieser Fragestellung werden zentrale Probleme der Wissenschaftstheorie behandelt.

Der von drei Philosophinnen (Mona Singer, Cornelia Klinger, Petra Gehring,und einer Sozialwissenschaftlerin (Axeli Knapp) gestaltete Kurs beginnt mit einemhistorischen Blick auf die Geschlechterstruktur der Universität und der disziplinärorganisierten Wissenschaft. Er zeigt auf, welche Funktion wissenschaftliche Erkennt-nisse in Prozessen der sozialen Platzanweisung von Männern und Frauen hattenund stellt frühe Ansätze feministischer Wissenschaftskritik vor, mit denen gegen diewissenschaftliche Legitimation von Machtverhältnissen aufbegehrt wurde.

Im zweiten Teil des Kurses werden Positionen der internationalen Epistemo-logiedebatte verglichen sowie deren theoretische Ausgangspunkte, Kritik- undBegründungsstrategien beleuchtet. Dabei soll nicht nur das Spannungsverhältnisvon feministischer Wissenschaft und politischem Veränderungsanspruch deutlichwerden, sondern auch die unauflösliche Spannung zwischen Feminismus als Kritikund Feminismus als Erkenntnisprogramm bzw. Aussagensystem. Sowohl die Plu-ralität von Wissensformen als auch Grenzen des Wissenschaftsparadigmas werdendabei im Blick behalten.Beginn: 14.04.2003

VINGS – Anmeldung und InformationWeitere Informationen zum Online-Studienangebot VINGS und zu den An-meldungsmodalitäten erhalten Sie unter:http://www.vings.deoder bei:Andrea Caio, IFF, Raum T7-211, mo - do: 9 - 15 Uhr, fr: 9 - 13 UhrEmail: [email protected]ährend der Modellphase von VINGS müssen sich Studierende formal zunächstals GasthörerInnen an der FernUniversität Hagen einschreiben. Das Anmeldefor-mular können Sie sich unter der oben angegebenen Internetadresse herunterladenund ausdrucken oder bei Andrea Caio (T7-211) abholen. Bitte melden Sie sichfrühzeitig formal an der FernUniversität Hagen als Studierende an, damit Sie zuBeginn der Online-Seminare eine Zugangsberechtigung zur VINGS-Lernumge-bung erhalten.

Vin

gs

Stu

die

ren

: O

nlin

e-S

emin

are

im S

om

mer

sem

este

r 20

03

Page 85: Anina Mischau, Redaktion · 2011. 11. 30. · Anina Mischau, Redaktion EDITORIAL. IFF-Info Zeitschrift des Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrum (IFF) 20. Jahrgang / Nr.25

Sudanese Women

85Info 20.Jg. Nr.25/2003

Dr. Asha Elkarib zu Besuch im IFF

Im Oktober 2002 war Frau Dr. Asha Elkarib, Koordinatorin für ACORD Interna-tional im Sudan und Direktorin des „Gender Centre for Research and Training“ inKhartum (Sudan) im Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrum (IFF) der Univer-sität Bielefeld zu Gast, um sich über die Aufgaben und die Forschungsschwerpunktedes IFF zu informieren. Darüber hinaus hielt sie einen Vortrag über die Situation derFrauen und die Frauenbewegung im Sudan und berichtete über die Arbeitsschwerpunktedes von ihr mitbegründeten und von ihr geleiteten Zentrums.

Das Zentrum für Frauenweiterbildung und Geschlechterforschung (Gender Centrefor Research and Training, GCRT) ist eine gemeinnützige Institution, ohne politischenHintergrund oder Parteizugehörigkeit. Es wurde 1997 von einer Gruppe Frauenrecht-lerinnen gegründet, die Erfahrungen ausverschiedenen Berufsfeldern und unter-schiedlichen kulturellen Hintergründenmitbrachten. Die Aufgabe des GCRTbesteht in der Förderung der Gleichbe-rechtigung von Frauen und Männernsowie der Eingliederung von Frauen indie Gesellschaft. Das Hauptziel des Zen-trums ist daher die Einflussnahme aufpolitische Entscheidungen in allen Berei-chen (Familie, Gemeinschaft, Organisa-tion, Regierung, nationale Belange etc.),um die soziale und berufliche Entwick-lung und Gleichstellung von Frauen zufördern. Durch verschiedene Aktionenversucht das GCRT an der Veränderungdes Geschlechterverhältnisses und dieÜberwindung der (vor allem sozialenund rechtlichen) Kluft zwischen den Ge-schlechtern mitzuwirken.Das GCRTglaubt an das Recht auf Frieden und Ge-rechtigkeit und arbeitet auf die Anerken-nung und Respektierung der vorhande-nen Vielfalt im Sudan hin, in der es auchdessen Stärke und Reichtum sieht. In diesem Sinne versucht es, Mittel und Wege zufinden, um Vertrauen zwischen den Menschen aufzubauen; ein Vertrauen, das aufGleichheit und Gleichberechtigung basiert. Das GCRT ist aktives Mitglied der Frauen-friedensbewegung SuWEP (Sudanese Women Empowerment for Peace), einemNetzwerk von sudanesischen Frauengruppen, dem auch Mitglieder der SudanesischenBefreiungsbewegung SPLM (Sudan People’s Liberation Movement) und der Regie-rung angehören.

Das GCRT bietet im Zentrum selbst, aber auch in anderen Städten und ländlichenGegenden Sudans, vor allem Weiterbildungsangeboten für Frauen (z.B. aus dem Ge-sundheitsbereich, berufliche Qualifikationsprogramme, zur gesellschaftlichen Partizipa-tion usw.) und Schulungen für MultiplikatorInnen aus unterschiedlichen gesellschaftli-chen Zusammenhängen an. Darüber hinaus führt es, sofern Mittel oder Auftragge-berInnen vorhanden sind, eigene Forschungsprojekte durch. Derzeit ist im Zentrumz.B. ein Forschungsprojekt zu „Geschlechterrollen in der Landwirtschaft und Nah-

Das Foto zeigt von links Dr. Anina Mischau, Dr. Asha Elkarib, Anne Rechmyer,Dr. Birgitta Wrede und Hanadi Mohamed (sitzend), Dr. Monika Schröttle, UllaReißland und Christina Rautenstrauch (stehend).

Page 86: Anina Mischau, Redaktion · 2011. 11. 30. · Anina Mischau, Redaktion EDITORIAL. IFF-Info Zeitschrift des Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrum (IFF) 20. Jahrgang / Nr.25

Berichte aus dem IFF

86

rungsmittelversorgung Sudans“ angesiedelt. Seit 1997 hatte das GCRT u.a. an fol-genden Themenschwerpunkten gearbeitet und Vernetzungsaktivitäten mitgewirkt:• Entwicklung einer politischen Struktur im Sudan, mit dem Ziel, die Gleichstel-

lung der Frauen in der Agrarpolitik zu erreichen;• Entwicklung und Durchführung von Bildungsangeboten im Bereich Geschlech-

terbewusstsein;• Mitwirkung an einer Beurteilung der Bedürfnisse von Frauen in verschiedenen

Bereichen des Landes und der sudanesischen Gesellschaft;• Beteiligung an pro-demokratischen Aktionen mit der Zielgruppe Frauen in der

Politik;• Entwicklung und Durchführung eines Seminarangebots, das sich an Entschei-

dungsträger richtet, mit dem Ziel, auf die Rechte der Frauen aufmerksam zumachen;

• Gründung und zentrale Anlaufstelle des „Internally Displaced People Network“(Flüchtlingsnetzwerk);

• Durchführung einer Studie über Straßenmädchen in Khartoum, deren Proble-me und damit verbundene soziale und gesellschaftspolitische Herausforderun-gen;

• Aufbau eines politischen Netzwerkes zur Demokratisierung des Landes;• Initiierung und Förderung eines Projektes zur Friedensförderung zwischen den

verschiedenen ethnischen Völkergruppen im Sudan;• Zusammenarbeit im Netzwerk in verschiedenen frauenrelevanten Bereichen, ins-

besondere hinsichtlich der Rechte der Frauen;• Aktivitäten zur Einkommenssicherung und Berufs- bzw. Qualifikationsmög-

lichkeiten für Frauen mit bürgerkriegsbedingten Verletzungen und Verstümme-lungen oder Krankheiten wie z. B. HIV/AIDS;

• Initiierung von Dialogen (z.B. runden Tischen) über besondere Themen wie z.B.Menschenrechtsverletzungen im Sudan, Strukturanpassungsprogramme und derenAuswirkung auf Frauen, Beschneidung von Frauen usw.

Im Laufe seiner Tätigkeit hat das GCRT einige wichtige Verbindungen zu interna-tionalen und lokalen Spenderorganisationen knüpfen können, die die Arbeit desZentrums finanziell unterstützen. Zu nennen wären z. B. the Canada Fund for De-velopment, Christian Aid Organisation, Oxfam (GB), ITDG (Intermediate Tech-nology Development Group), Deutscher Entwicklungsdienst, die Holländische Bot-schaft im Sudan.

Dr. Asha Elkarib widmet sich in ihrer wissenschaftlichen Arbeit seit vielen Jahrender Integration einer Genderperspektive in entwicklungssoziologischen Fragestel-lungen. Die promovierte Agrarwissenschaftlerin arbeitete z.B. über die Rolle vonFrauenorganisationen in der ländlichen Entwicklung innerhalb der arabischen Län-der, über den Einfluss sozialer Veränderungen auf die Überwindung der Frauenar-mut in Afrika, die Bedeutung von Frauen-NGOs für die Förderung der Frauen imSudan, die Rolle der Frauen in Demokratisierungs- und Modernisierungsprozessender sudanesischen Gesellschaft, Frauen in der Landwirtschaft und ihre Rolle bei derSicherung der Ernährungsgrundlage – um nur einige ihrer Arbeitsschwerpunkte zunennen.

Darüber hinaus ist sie eine weit über den Sudan hinaus bekannte Aktivistin undwichtige Multiplikatorin in der von der Regierung unabhängigen sudanesischen Frau-enbewegung. Ihr Besuch in Deutschland, bei dem das IFF nur eine Station gewesenwar, hatte deshalb auch nicht nur zum Ziel, den wissenschaftlichen Austausch zwi-schen Frauen- und Geschlechterforscherinnen unterschiedlicher Kulturkreise zu för-dern. Dr. Asha Elkarib war und ist es darüber hinaus ein Anliegen, über die Le-

Page 87: Anina Mischau, Redaktion · 2011. 11. 30. · Anina Mischau, Redaktion EDITORIAL. IFF-Info Zeitschrift des Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrum (IFF) 20. Jahrgang / Nr.25

Sudanese Women

87Info 20.Jg. Nr.25/2003

benssituation von Frauen im Sudan und das von ihr geleitete Zentrum zu informie-ren, Vorurteile abzubauen ohne dabei Probleme und Diskriminierung zu verschlei-ern und Unterstützung für die Entwicklung der Rechte der Frauen in einem alsbesonders rigide geltenden islamisch/fundamentalistischen System zu mobilisieren.Der Workshop mit Frau Dr. Asha Elkarib hat interessante Anregungen und wich-tige Impulse für einen weitergehenden Austausch eröffnet. Im Folgenden ist derleicht überarbeitete Vortrag, den Dr. Asha Elkarib innerhalb des Workshops gehal-ten hat, abgedruckt.

Die Redaktion

Asha Elkarib

Sudanese Women: Overview,Opportunities and Challenges

The Country – a background:With an area of 2.505.810 km², Sudan is the largest country in Africa and Arabcountries. Extending north south for 2.000 km, the country contains a wide variationin climate and vegetation cover. The North is desert or semi-desert with no or veryscattered rains, wooded savannah lands cover the centre and receive annual rainsranging between 500-1.500mm; the southern parts are covered with equatorialforests where annual precipitation reaches 1.800mm. These variations and the relatedvariation in natural vegetation and soil types have combined to provide a variety ofdifferent niches for the production of various kinds of crops, animals and livelihoodsystems.

The Sudan has a wide range of ecological zones, bio-diversities and as wellecological problems. What has been, quite evidently, common for these differentzones over the last two decades was the systematic downward trend of degradationand decay both in the quality of the environment and its capacity to sustain thehuman population or the economic activities they undertake. Degradation of theenvironment and the consequent food shortage, famine and human displacementhas been a result of the combination of the evident change in the physicalenvironment (e.g. drought) and more importantly perhaps, the activities of man,conflicts being one major aspect of that.

Sudan is located in a position that places it at the crossroads in terms ofregionalisation in Africa. It is generally considered as part of the Horn of Africa,could also be considered an east African country and often acted as part of theNorth Africa Arab region. The estimated total population in 1999 is 29.7 million.Sudan’s young population, with those under the age of 15 years, takes up 45% ofthe total population (including 30% in the age group of 15-41 years). This reflectsa high dependency ratio and consequent demand for childcare services and basicschool facilities. Those of 60 years and over represent only 4.9 % of the totalpopulation, reflecting relatively short life expectancy.

Page 88: Anina Mischau, Redaktion · 2011. 11. 30. · Anina Mischau, Redaktion EDITORIAL. IFF-Info Zeitschrift des Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrum (IFF) 20. Jahrgang / Nr.25

Berichte aus dem IFF

88

Sudan has experienced dramatic changes in the distribution of population by modeof living. The rural population represented 70.3% of total population in 1993,compared to 91.2% in 1955/56. The rapid growth of the urban population is aresult of the heavy influx of migrants from rural areas since the early 1980s, caused

by neglect of development in therural areas (urban bias develop-ment), drought, spread of famineconditions and the escalation ofcivil war in the south and otherareas of the country. The Suda-nese population is ethnically va-ried, consisting mainly of indi-genous hamitic groupings (Nu-bian, Fur and Beja) and Africangroupings (Nilotic and Equa-torian) as well as immigrant Arabs.The indigenous immigrant ratiois 3:2. Indigenous languages arestill spoken, but everywhere Ara-bic is the lingua franca and the of-ficial language of the country. His-torically Arabicisation of Sudankept pace with Islamisation, bothprocesses proceeding in most ca-

ses in a peaceful manner. Muslims constitute about 75% of the population, the restbeing Christian, animist and other local religions. Sudan has a great ethnic diversityin his country:• The Arabs who constitute 39% of the total population and who are a mixture

of Semitic immigrants and indigenous Negroid.• The Southerners who refer to Nilo-Hamitic and Sudanese Negroid and who

represent 30% of the total population.• The Darfurians who are a mixture of indigenous Negroid with some Hamitic

and Semitic elements and who constitute 9% of the total population.• The West Africans who are described as migrants Negroid and who take up

6%.• The Beja who are referred to as indigenous Hamitic and who represent 6% of

the total population.• The Nuba who are referred to as indigenous Negroid and who represent 6%

of the total population.• The Nubians who are a Negroid mixture with Hamitic and Semitic elements

and who represent 3%.• The Funj who are described as indigenous Negroid and who represent 1.7%.The information above is meant to give a qualitative profile, but not a quantitativeweight of ethnic diversity in the country. This is because, and since 1956 to date, thesocio-economic changes together with natural and man-made disasters (drought,famine and civil war) must have resulted, in one way or another, in changing thedemographic composition and/or weight of the different ethnic groups.

Although Sudan possesses a sizeable fertile land, water, huge livestock population,minerals, etc., yet it is one of the poorest countries in the world. The UNDPPoverty Report (2000)1 quoted an estimate of the overall poverty rate in the country

Table 1: Population Distribution By Age, Sex & Mode of Living (1993)Source: Dep. of Statistics (1993)

Characteristics No. (000) % Growth RateChildren < 5 years 3807 14.9 3.65-14 years 7713 30.1 2.8> 60 years 1274 4.9 3.4Women 15-49 years 6042 23.5 2.8Urban 7504 29.3 6.6Rural 18085 70.3 1.8Males 12963 50.7 2.8Females 12626 49.3 2.9Both Sexes 25589 100 2.9

Page 89: Anina Mischau, Redaktion · 2011. 11. 30. · Anina Mischau, Redaktion EDITORIAL. IFF-Info Zeitschrift des Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrum (IFF) 20. Jahrgang / Nr.25

Sudanese Women

89Info 20.Jg. Nr.25/2003

at 85%. Other authentic academic researches reveal a figure above 90% of theoverall poverty in the country (Ali 1994)2 and that the upper 10% of the populationowns 90% of the national income. The absolute deprivation in the country, coupledwith relative deprivation, is a product of many forms of structural inequalitiesinherent in the distribution of national endowments, be they resources, wealth,income, etc. It is a direct result of combination of structural policy issues, politicalinstability, long-term civil war and tribal conflicts, poor governance and socio-economic and cultural/traditional encumbrances.

The civil war since the dawn of independence in 1956 and the recurrent ofnatural calamities during the 1980s, have both been dividing and/or segmenting theSudanese peoples. They have created the largest number of internal displaced persons(IDPs) in the world3 . Khartoum, the capital city, hosts 2.2 million IDPs of whom340,000 reside in displaced camps. In particular, the UNHCR in 1997 estimatedthat one out of every three people from Southern Sudan is displaced.

Furthermore, the ravaging civil war since 1983 has further continued to sendSudanese peoples as refugees in neighbouring countries and as diasporas in manyparts of the world thus further imposing extra burden on the national budget anda serious disruption in the structures of the human, social, political and economiccapital and/or resources of the country.

Based on the above-mentioned complicated contexts and due to the geographicallocation of Sudan, situations of large-scale poverty, political instability and thecontinuous population movement (IDPs, migrants, soldiers, traders, refugees, etc.),HIV/AIDS in the country has been onspread. Although the first incident ofthe disease was discovered in 1986 inJuba in the South, the government hassince that date been reluctant toformally recognise the existence of thedisease and acknowledge its mag-nitudes and trends.

While the formally detected cases inSudan are 8.630 (until March 2002),estimates give a figure of 600,000 sero-positive cases and that the general rateof spread of the disease is 1% (Al RayAlaam 2002: 15)4 .Table 2 gives some dates who descri-bes the situation of women in Sudan.

Sudanese Women’s MovementThe involvement and participation ofSudanese women during the contem-porary era of the last century datesback to the pre- 1st war period (prece-ding the beginning of formal educationof women) where there was a notablepresence of women in religious educa-tion and cultural events. However, it isnot until 1908, that the colonial authorities agreed for Sheik Babikir Badri to opena local school for girls at his hometown under the condition of assuming no res-ponsibility or obligation from their side. The first expert for women education was

Indicators StatusWomen % of population 48.12%Women basic education rate 45.3 %Women in the labour force 27.3 %Women in the work force 07.8 %Women labour force in agricultural sector 79.2 %Women labour force in the irrigated sector 49.0 %Women in the rain fed agricultural sector 57.0 %Women in the civil service 10.0 %Women in industry 06.0 %Women headed household 25.0 %Allocated political quota representation 10.0 %Women members of federal parliament 05.0 %Women members of state assemblies 04.3 %Women in displaced areas 64.0%

Table 2: Sudanese Women ProfileSource: Different Departments

Page 90: Anina Mischau, Redaktion · 2011. 11. 30. · Anina Mischau, Redaktion EDITORIAL. IFF-Info Zeitschrift des Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrum (IFF) 20. Jahrgang / Nr.25

Berichte aus dem IFF

90

only assigned in the year 1920, and by then education for girls was brought up as anissue publicly and a dialogue started between the supporters and opponents (Allmen). Accordingly, 5 elementary schools for girls were opened, together with ateacher’s training school in 1921. The first ever intermediate school opened in 1939,and by the year 1949 the first secondary school. At the dawn of independence(1956) the total number of elementary schools was 563 (of which 173 or 31% forgirls), 59 intermediate schools (10 or 17% for girls) and 25 secondary schools (only2 or 8% for girls).

By then women started to increasingly work as teachers, midwives, nurses andclerks. The first women ever to enter high (college) school were in 1945, followedby another 4 in 1955.

The wheel started rolling slowly at the beginning (the number increased to 116 in1963; and then doubled in 2 years time to 206, and the pace accelerated to reach400 in 1970 (10%) and by 1990 the number reached 21.000 (43%).

The period of the late 1940s and early 1950s – the last decades of the colonialperiod – witnessed the rise and fall of two types of organizations and unions,generally aimed at improving the quality of life of Sudanese women. They bothfocused on schooling on nursery, sewing, home economics, health issues etc. Theylater understood the early emphasis on education as a strategy for womenemancipation. The famous one is the Rabitate el-Nisa-el Sudaniat (League of Su-danese Women, Dr. Khalda Zahir, the first president (and Sudanese first WomanDoctor). By the 1950s and with the intensification of the nationalist movement aneed was felt once again for a new organisation for women who would moreaddress women concerns and promote their social participation.

In 1952, the Sudanese Women’s Union (SWU) was founded by a group ofeducated women, mainly teachers, government officials, students, nurses, and thelike. Socially, the SWU, campaigned for equal pay for equal work, longer maternityleave with payment, equal opportunities for employment, it demanded politicalrights. Rights to vote, right to be elected. And by 1965, women in Sudan gained theconstitutional right to representation in all public institutions. The SWU, through itsbranches all over the country had managed to advocate for women’s issues chiefamong them is literacy and political participation. The first Sudanese womenparliamentarian was elected in 1965.

The 1990s began with alarming developments in the treatment of women,including imprisonment, torture, violation, harassment, and interference with therights of movement, association, and employment, and type of dress. Generally,Sudanese Women have a long history of participating fully with men in all aspectsof life, sharing responsibilities with men, suffering normal radical changes that hadhappened, but not enjoying the same rights. It is to be noted that the advancementof women in Sudan and their empowerment closely correlated to the type ofgovernance. Authoritative and military governments tend to suppress women andreduce their participation to quota representation. Thus, all rights of women wonand decades of progress are now facing a backlash under the guise of religiousstate and ideology.

Women and DemocracySince 1965, Sudanese women have succeeded to gain practical achievements in thearea of political and economic rights. Nevertheless, factors like political desta-bilization, the absence of development plans that consider women as essential par-ticipants as well as Sharia laws dominance and the absence of democracy have allresulted in great regression in the status of Sudanese women. In practice, however,

Page 91: Anina Mischau, Redaktion · 2011. 11. 30. · Anina Mischau, Redaktion EDITORIAL. IFF-Info Zeitschrift des Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrum (IFF) 20. Jahrgang / Nr.25

Sudanese Women

91Info 20.Jg. Nr.25/2003

many of the laws are/were discriminatory and subordinated against women subjectto patriarchal domination.

The need to redefine/review democracy as perceived by women themselves isan important issue within the women agenda. There is no model of democracythat could be adopted; it is useful to learn from best practices worldwide anyinitiative must be adapted to the circumstances that shaped women’s status in anyway. Therefore, the principles of democracy are essential for the successful practiceof social change. To this end, women must have the will and ability to engage ingenuine consultation and formulation.

They must be able to look beyond the common interests of women and thinkingof a larger mass of women in rural areas is an effort to reach solutions. Democracymust be defined on what women seek to achieve in social change at the outset andthen work towards free political participation.

Women and EconomySudan economy is of a dual nature, it is basically dependent upon agriculture, andalmost 19% of its land is cultivated. According to some studies, the most immediateproblem that has been facing the Sudanese economy since the late 1970s in theacute economic crisis represented in the deficit in the national budget, the increasingamount of debt services etc. This situation was primarily increased due to SAPspolicies, which were adopted sharply since1990s. It negatively marked the role ofwomen in the economic and social development. Development budget has beenoverlooked since 1984. Expenditure on military activities, as percentage of GDP,has increased from 3.8%, during 1970-1975 to 4.1% during 1985-90, and to 13.1%during 1990-95 (US Agency for Arms Control, 1996). On the other hand, expen-diture on social services, as percentage of GDP, has declined from 1.1% at 1988/9-1990/1 to 0.3% in 1991/2 (Sudan National Human Development Report –NHDR, 1998). The actual per capita expenditure on health has been on a declinefrom 1.4 in 1986/87 to 0.5 in 1990/91, and then to 0.24 in 1993/94 (El-Battahaniet. al., 1998)5 .Results of some researches conducted by GCRT, pointed out the following:a) Labour market reforms have undermined workers rights, security, income and

particularly the woman worker. They are faced with the new phenomenon ofincreasing unemployment of which they constitute a large part (24%), accordingto the labour force survey of 1996.

b) Privatisation of public services made affordable services unavailable to the poorand working people particularly women headed households. Thus publicexpenditure reforms and cost recovery requirements put health services in acritical position. The actual government expenditure on health has been on adeclining trend through the past decade.

c) SAPs have evident impact on provision of/and demand for educational services.Regarding the impact on the provision of these services, the effects come throughthe reduction of public spending and the priorities towards the provision offree educational services.

Women and Human rightsHistorically, Women are marginalized in the Sudanese society, however, due to thelong struggle of the Sudanese women they managed to attain some but veryimportant rights, which ensure their advancement and their acquiring of a newposition in the society.

Recently, the situations of Sudanese women deteriorated remarkably due to the

Page 92: Anina Mischau, Redaktion · 2011. 11. 30. · Anina Mischau, Redaktion EDITORIAL. IFF-Info Zeitschrift des Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrum (IFF) 20. Jahrgang / Nr.25

Berichte aus dem IFF

92

imposition of religious law violated women rights in many ways, based oninterpretation by some groups. This law discriminates against women and increasedthe gender gap. We are going to mention some of these indicators of discrimination:

The Work PlaceIn the work places we find that the number of women who terminated their workfor different reasons is exceeding the number of men, taking into consideration thenumber of women in work compared to the number of men. (The case ofKhartoum Bank). The policy of dismissal from work is affecting and directedtowards educated women who work in the formal sector in the urban areas. In therural areas women are over-burdened by the work but their work is not economicallycounted for or valued in the GDP.• Women have no equal chance for training and promotion to high-level jobs, that

no single woman can occupy the under secretary position.• No woman was recruited in the judiciary within the last 12 years.• During the last few years some government institutions and universities issued

regulations by which they obliged the women to wear Islamic clothing &distributed uniforms to all employees and put guards on entries (women)preventing any one from entering the office who was not wearing this particulardress.

Laws and Regulations• Public order law: In this law there are 11 articles related directly to women.

Formulation of the public order forces and given wide authority to attack people.The victims of these forces and laws are poor women who work in informalsectors and they are regularly attacked by these forces, put in prison, and theirequipment is confiscated. In order to earn their living, some of these women areforced to work in illegal activities (according to Islamic laws) such as brewing ofalcohol, which again put them in conflict with law. Students are also a directtarget.

• Khartoum Governor decree of banning women from work in some places(Cafeterias, Hotels, Petrol station..)

• Issuing of Labour Law by Khartoum Governor supported by Presidential decreebarring of women from working some places (hard physical work, night worketc.) known as article 19.

• Refusal of GOs to ratify CEDAW supported by some groups.• Legalization of FGM. (The Shari type)• Restriction on women travel abroad (Conditioned by the approval of a guardian)

Women and ConflictSudan is characterized by multi-ethnicity, culture, races, tribes and religions. Thisdiversity among its population is one of the main reasons for their unity but itsometimes causes conflicts between different groups. There is tribal conflict betweentribes from different ethnicities. Also there is a conflict between nomads and thefarmers over the grazing and the water points. These types of conflicts are usuallylimited and resolved by local traditional mechanisms. But the current war betweenthe North and South, which lasted for about 42 years, formed one of the mostserious and dangerous conflicts in the country. It caused massive displacement forfour and a half million people and a large number of refugees who live in theneighbouring countries, Europe and North America. It generated destruction ofthe infrastructure and the natural resources in the war zones. And it also had a

Page 93: Anina Mischau, Redaktion · 2011. 11. 30. · Anina Mischau, Redaktion EDITORIAL. IFF-Info Zeitschrift des Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrum (IFF) 20. Jahrgang / Nr.25

Sudanese Women

93Info 20.Jg. Nr.25/2003

strong effect on the country as a whole due to the transfer of a large amount ofpublic expenditure to finance the purchases of the war. Women and Children aremostly affected by war consequences, which are:• Displacement; 65% of the displaced are women and children, women become

vulnerable and subject to many hazards in the camps and other areas.• Death of the family members in the war and during the movement from the

war zones.• Fragmentation of the family; that some of the family members are lost in the

way to other areas, some live in the camps & others stay in their areas as foreigners.• Lack of income source and lack of skills to work in towns• 74% of the families in the IDPs camps are female headed and they have to earn

money for their families by working in informal activities.• IDPs camps lack the basic services like health, water, and depend on the INGOs

for supplying these needs.• Massive change in the gender roles (roles assumed by women and men are

reversed sometimes)• Other parts of Sudan (West, East and North) have also been negatively affected

in varying degrees and women are the most affected.

Globalization and WomenImplication on Women:• Advocating more women participation in the political arena of national

governments who have no power to make decisions and who are remotelymanaged by the World Bank and IMF as well as suffering from the lack ofdemocracy and good governance

• Advocating better working conditions for women as workers are not protectedby labour laws and their rights are compromised on the pretext of enhancingprivate investment?

• Advocating better access for girl’s education as we know that capacity ofgovernments to provide education/health is crippled under the pretext ofreducing government budget deficit and the prevailing biases (rural/urban, etc.)?

• Creating access to Micro credit for women as we know that women are unableto sell their products and services either because of the dumping of cheapimported goods because of opening up of markets and the barriers to financeespecially the mobility and the access.

• Advocating women’s land rights when land has become a commodity that ismonopolised by few in the name of liberalisation?

There is a gender difference in:• access to economic resources,• social responsibilities and biological makeup between men and women, which

leads to differences in how women and men integrate in the market and benefitfrom it.

• Cultures and values have placed women in different positions vis à vis the market,e.g. not being able to leave home to operate in the market.

• The majority of the non-literate in Sudanese women

Specific impact on women:• Women are the first to lose their jobs as a result of deregulation of the labour

law• Growth in employment increased burden on women as bread winners

Page 94: Anina Mischau, Redaktion · 2011. 11. 30. · Anina Mischau, Redaktion EDITORIAL. IFF-Info Zeitschrift des Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrum (IFF) 20. Jahrgang / Nr.25

Berichte aus dem IFF

94

• Although employment of women increased in some sectors they are usually lowpaid and work under difficult circumstances.

• Weakening of labour unions meant loss of affordable childcare and maternityleave abuse of human rights.

• The reduction in government spending on health and education means womenhave to work and earn additional income to cover these costs.

Are Some Opportunities being opened by Globalisation?• Increased economic expansion, market, income, etc• Increased employment• Rapid flow of capital and technology for development• Improved quality of life• Access to ICT

Challenges and opportunities (an overview)

Challenges OpportunitiesAbsence of democracy and Civil society movement (Women move-violation of human rights ment in particular) good governance ele-

mentsPoverty and structural inequality Balanced approach to development

based on right based approach and equalaccess to and control over resources

Conflict and displacement Peace talks and negotiation; progress inwomen involvement

Unfavorable legislations and laws Advocating the civil state and acknow-ledging diversity

Gap in political & public leadership International conventions (CEDAW)Illiteracy Public awareness, gender awareness

(engendering budgets)Rural/ urban bias Decentralisation/ federal system – rights

approach to developmentGlobal issues (debt/AIDS, trade, etc.) Global opportunities (communication,

competition, networking, solidarity) Environment Increasing awareness around the envi

ronment, RIO+10

Contact:Asha ElkaribACORD OrganizationSt 33 AmaratKhartoum – SudanP.O. Box 986Email: [email protected]

1 UNDP, Poverty Report2000: Overcoming Human

Poverty, New York.2 Ali, A. G. (1994),

Structural AdjustmentProgrammes and Poverty in

Sudan, Centre for ArabResearch, Cairo. (in Arabic).3 Taking the global estimates

and according to the UNHCR(1999), Sudan has topped thelist of the principal countries

for world’s IDPs, with 4 millionIDPs (out of an average ofabout 16 million), a figurethat is about four times theaverage of other countries.

This high percentage (25%)of the world’s IDPs in Sudan

has been one main pre-occupation for many NGOs

and UN agencies, as they havelaunched many relief and

development programmes, whichare still below the actual needs

of the IDPs. One mainchallenging constraint that

hampers interventions by theseorganizations is the future of

the IDPs in Sudan, whetherthey will be repatriated,

resettled, relocated, orintegrated with the host

communities.4Al Ray Alaam Daily Press,

Issue No. 1809, Monday 28th

August 2002, Page 15,Khartoum, www.rayaam.net.

(In Arabic).5 EL-Battahani, Atta et. al.

(1998), Study of UrbanProblems, Surver Report for

OXFAM Khartoum.

Page 95: Anina Mischau, Redaktion · 2011. 11. 30. · Anina Mischau, Redaktion EDITORIAL. IFF-Info Zeitschrift des Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrum (IFF) 20. Jahrgang / Nr.25

Titel

95Info 20.Jg. Nr.25/2003

Arbeitszeit – Familienzeit – Lebenszeit:Verlieren wir die Balance?

Das IFF veranstaltet im Sommersemester 2003 jeweils mittwochs von 16 – 18 Uhrunter der Leitung von Frau Prof. Dr. Mechtild Oechsle und Frau Dr. Anina Mischaueine Ringvorlesung zum Thema: Arbeitszeit –Familienzeit – Lebenszeit: Verlieren wirdie Balance?Arbeiten ohne Ende, Burn-out, keine Zeit mehr für Familie und Gemeinschaft - siehtso die „schöne neue Arbeitswelt“ aus ? Oder bietet die Flexibilisierung von Arbeitszeitund Beschäftigungsverhältnissen die Chance einer neuen Balance von Arbeit und Le-ben? Wie tragfähig sind betriebliche Konzepte zur Work-Life-Balance, schaffen siewirklich eine bessere Balance von Arbeit und Leben, gewinnen Familien dadurch mehrZeit oder geraten die Beschäftigten nur in neue Zeitfallen? Wie sind solche Konzepteaus der Perspektive der Frauen- und Geschlechterforschung zu beurteilen? Über dieseund andere Fragen diskutieren Experten aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik.

23.4.: Kerstin Jürgens, Universität HannoverArbeitszeitflexibilisierung: Marktanpassung oder neue Balance von Arbeit undBeruf?

7.5.: Karin Jurczyk, DJI MünchenEntgrenzte Arbeit – Entgrenzte Familien?

14.5.: Helga Zeiher, Max-Planck-Institut für Bildungsforschung BerlinNeue Zeiten – neue Kinder? Wandel gesellschaftlicher Zeitbedingungen unddie Folgen für Kinder

21.5.: Christiane Müller-Wichmann, BerlinMythos Freizeit. Über die Zunahme der privaten Alltagsarbeit

4.6.: Norbert F. Schneider, Universität MainzLeben an zwei Orten. Die Folgen beruflicher Mobilität für Familie und Partnerschaft

11.6.: Wilfried Glißmann, Betriebsratsvorsitzender IBM DüsseldorfArbeiten ohne Ende. Die neue Autonomie in der Arbeit und ihre paradoxenFolgen

25.6.: Stefan Becker, Beruf&Familie GmbH, FrankfurtFamilienbewusste Personalpolitik als Wettbewerbsvorteil

2.7.: Annette Henninger, Zentrum für Sozialpolitik, Universität BremenDer Arbeitskraftunternehmer und seine Frau(en). Kritische Anmerkungen zueinem Konzept.

9.7.: Gisela Erler, Familienservice BerlinWork-Life-Balance – Stille Revolution oder Etikettenschwindel?

16.7.: Jürgen Rinderspacher, Sozialwissenschaftliches Institut der Evangelischen Kir-che in Deutschland, BochumZeitwohlstand – Wege zu einem anderen Wohlstand der Nation

23.7.: Ulrich Mückenberger, Hochschule für Wirtschaft u. Politik, HamburgZeitpolitik als gesellschaftliche Gestaltungsaufgabe

Ringvorlesung S

omm

ersemester 2003

Mittw

ochs 16.00-18.00 Uhr, R

aum U

2-147

Page 96: Anina Mischau, Redaktion · 2011. 11. 30. · Anina Mischau, Redaktion EDITORIAL. IFF-Info Zeitschrift des Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrum (IFF) 20. Jahrgang / Nr.25

Berichte aus dem IFF

96

Arbeitskreis „GeschlechterbezogeneGewaltforschung“ gegründetEher im Verborgenen, in dem es aber nicht auf Dauer verbleiben soll, hat einewegweisende Zusammenkunft frauen- und männerbezogener Gewaltforscher und-forscherinnen an der Universität Bielefeld stattgefunden. Prof. Dr. Ursula Müllerund Dr. Monika Schröttle vom IFF führen seit einiger Zeit die erste internationalvergleichbare Prävalenzstudie zur Gewalt gegen Frauen in Deutschland durch. Par-allel dazu hat das auftraggebende Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauenund Jugend eine Pilotstudie zu Gewalterfahrungen von Männern in Auftrag gege-ben, die in Kooperation von Dr. Hans-Joachim Lenz, Dr. Ralf Puchert und demBielefelder Meinungsforschungsinstitut Soko durchgeführt wird. Während somitdas Thema „Gewalt und Geschlecht“ auf der Ebene der seriösen Forschung mehrund mehr Kontur gewinnt und auch bisher tabuisierte Gewalterfahrungen öffent-lich thematisierbar werden, sind zugleich besorgniserregende Tendenzen zu beob-achten, die Thematik verzerrt darzustellen und über falsche Behauptungen zusensationalisieren.

Vor diesem Hintergrund hat sich am 1. November 2002 auf Einladung des IFFeine Gruppe anerkannter Expertinnen und Experten der geschlechterbezogenenGewaltforschung und aus der Interventions- und Präventionsarbeit zu einem eintä-gigen Workshop getroffen, der aktuelle Positionen aus der frauen- und der männer-orientierten Gewaltforschung themenfokussiert diskutierte und weitere Koopera-tionen, Stellungnahmen in Fach- und allgemeinen Öffentlichkeiten sowie die Grün-dung eines Arbeitskreises „Geschlechterbezogene Gewaltforschung“ beschloss.Impulsreferate wurden gehalten von Dr. Monika Schröttle (IFF), Prof. Dr. CarolHagemann-White, Prof. Dr. Barbara Kavemann und Dr. Hans-Joachim Lenz. Ander von Prof. Dr. Ursula Müller (IFF) moderierten Diskussion beteiligten sich u.a.Alexander Bentheim (switchboard, Hamburg), Gerhard Haffner (mannege e.V.),Dirk Bange (Hamburger Senatsverwaltung), Prof. Dr. Cornelia Helfferich (Frei-burg) und Dr. Ralf Puchert (dissens e.V., Berlin). Aktiv beteiligte sich ferner diezuständige Referatsleiterein im BMFSFJ, Dr. Birgit Schweikert, die auch die Auf-traggeberin der beiden eingangs genannten Projekte repräsentierte. Der Arbeits-kreis plant als nächsten Schritt die Herausgabe eines Readers zur geschlechter-bezogenen Gewaltforschung. Nähere Informationen über [email protected].

Page 97: Anina Mischau, Redaktion · 2011. 11. 30. · Anina Mischau, Redaktion EDITORIAL. IFF-Info Zeitschrift des Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrum (IFF) 20. Jahrgang / Nr.25

Bielefelder Beginenhöfe e.V.

97Info 20.Jg. Nr.25/2003

Die Bielefelder Beginenhöfe e. V. sind ein besonderes Wohnprojekt, das ausschließlichFrauen in jeder Lebensphase anspricht. Die Idee für dieses Wohnprojekt hat ihren Ur-sprung im Mittelalter. Die historischen Beginen, alleinstehende junge und ältere Frauen,lebten in Beginenhöfen in autonomen Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaften jenseits vonKlöstern und Ehe. In den modernen Beginenhöfen können Frauen aus unterschiedlichenGenerationen, Lebenssituationen und Einkommensverhältnissen selbstbestimmt unter einemselbstgewählten Dach zusammen leben. Der Beitrag will dieses von Frauen gegründeteWohnprojekt vorstellen und weitere Unterstützerinnen gewinnen.

Wir sind ....Im März 2000 gründeten 24 Frauen einen Verein, der ein alternatives Leben vonFrauen im Alter fördern wollte: ALWiA – Alternatives Leben und Wohnen für Frauenim Alter. Diese Frauen wollten dem gängigen Bild vom Altern als einsames Siechtumeine lebendige gemeinschaftliche Alternative entgegensetzen. Diese Alternative solltebehaglich und bezahlbar sein. Im Dezember 2001 hat sich der Verein ALWiA fürFrauen jeden Alters geöffnet und nennt sich seitdem Bielefelder Beginenhöfe e.V., einWohnprojekt für alte und junge Frauen, für Frauen in jeder Lebensphase, d. h. auchfür alleinerziehende Frauen mit Kindern. Sie alle eint der Wunsch nach bezahlbaremgemeinschaftlichem Wohnen in einem frauen- und kulturpolitisch wirksamen Projekt.

Wir wollen ...Wir alle, junge und ältere Frauen, verstehen uns als Teil einer Bewegung, die im Laufeder letzten fünf Jahre in Deutschland 13 Begineninitiativen und -vereine (z.B. in Ham-burg, München, Bremen, Essen, Köln) hervorgebracht hat. In Bremen leben inzwi-schen 85 moderne Beginen in ihrem Bremer Beginenhof mitten in der Stadt. DieBeginen (12. – 16. Jahrhundert), Teil einer religiösen Reformbewegung nach demVorbild christlicher Urgemeinschaften, lebten eine für diese Zeit einzigartige Formunabhängiger Lebens- und Arbeitsgemeinschaft. Wir wollen ein Stück dieser rebelli-schen Frauengeschichte wiederbeleben, um sie nachträglich anzuerkennen und zu eh-ren, und um sie modern weiterzuleben. Was war das Besondere an den BeginenBeginenbewegung und was hat die heutige Beginenbewegung mit den mitteralterlichenBeginen zu tun?

Die historische Beginenbewegung als AnknüpfungspunktDas späte Mittelalter (12.-16. Jh.), in dem sich auch die große Verbreitung derBeginenbewegung von Florenz, Nord-Frankreich über die Schweiz, Deutschland,Belgien und den südlichen Niederlanden vollzieht, ist eine Zeit des Aufbruchs und derNeuerungen, nicht zuletzt für die Frauen.Zur Entstehung und Verbreitung der Beginenbewegung haben sowohl ökonomische,sozial-emanzipatorische als auch religiöse Gründe beigetragen. Der Zugang zu denKlöstern war den bürgerlichen und ärmeren Frauen verschlossen. Darüber hinauswurden Neugründungen gestoppt, da der Ansturm von Frauen, die eine religiöseLebensweise bevorzugten, enorm zunahm und die kirchliche Obrigkeit sich nicht mehr

Page 98: Anina Mischau, Redaktion · 2011. 11. 30. · Anina Mischau, Redaktion EDITORIAL. IFF-Info Zeitschrift des Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrum (IFF) 20. Jahrgang / Nr.25

Berichte aus der Region und NRW

98

in der Lage sah, die vielen weiblichen Klöster zu kontrollieren.Viele Frauen waren kirchentreu, doch gab es eine starke Strömung, die sich

eigenständige religiöse Lebensformen schaffen wollten. „Gerade in der Beginen-bewegung vereinigte sich die besondere Tatkraft der Frauen dieser Generation – inder „vita activa“, dem tätigen Leben in Handwerk, Krankenpflege und auch Kindes-betreuung und -unterricht – mit dem religiösen Ideal der Weltabkehr und vor allemder Keuschheit ....“ (Chronik der Frauen, S. 164)1 . Wobei das Keuschheitsideal nurein Gebot darstellte und vielmehr konsequent als eine sexuelle Verweigerung ge-genüber Ehemännern, aber auch Mönchen und Klerikern gesehen werden kann.

In dieser Zeit kam es zu einer religiösen Laienbewegung, die das Miteinandervon Männern und Frauen in einem religiösen Aufbruch betont. Die religiöse Frau-enbewegung stand im engen Zusammenhang mit der allgemeinen Laienbewegung.Diese nahm das Leben Jesu zum unmittelbaren Vorbild und wünschte eine Refor-mation der Kirche nach dem Vorbild der Ur-Christen (freiwillige Armut, Keusch-heit, keine Hierarchien, weniger Gesetze, gleichberechtigter). „Als primäre Zielset-zung sei die schichtenunabhängige, eigenständige, religiöse Lebensform der Beginenim wörtlich verstandener Nachfolge Christi anzunehmen.“ (vgl. Spies 1998)2 DieReligiosität und Lebensformen der Beginen, die antiklerikal und antihierarchischausgerichtet waren, widersprachen der herrschenden Ordnung. Der freiwilligeEntschluss, mit Gleichgesinnten in nicht hierarchisch gegliederten Organisationsfor-men zu leben, verweist auf die Verweigerung und den Aufbruch der Frauen amEnde des Hochmittelalters. Seit dem 12. Jh. überwogen (neben Klöstern, Stiften u.ä.) unabhängige Gemeinschaften wie Hospitalgenossenschaften, Bruderschaften,Büßergemeinschaften und Beginen- und Begardengemeinschaften. Die Individuenund Gruppen befanden sich auf der Suche nach einer kollektiven Identität.

Das Leben in Gemeinschaften ist die Antwort auf den gesellschaftlichen Wandelam Ende des Hochmittelalters unter „schwesterlichen“ (brüderlichen) und genossen-schaftlichen Aspekten. Unabhängigkeit von der Amtskirche und größere Gestal-tungsfreiheit unter dem Leitbild der Ur-Kirche sind die Grundlagen dieser neuenGemeinschaftsformen. Sie bilden einen Gegenpol zur Kirche und entzogen sichdem Zugriff der regional und lokal organisierten Kirchen. Das Beginentum eröff-net die Chance, zusammen mit anderen Frauen soziale, religiösem, wirtschaftlicheund vielleicht auch emanzipatorische Bedürfnisse zu verwirklichen und in genos-senschaftlicher Selbstorganisation ein selbstbestimmtes Leben zu führen. In denBeginenhöfen und -konventen lebten Frauen aller Schichten und Altersstufen, Frau-en mit Töchtern, Frauen, die sich von ihren Männern getrennt hatten, Witwen,junge Frauen und Alte.

Die Beginen versahen zentrale gesellschaftliche Aufgaben, waren beiden Kirchenein Stachel im Fleisch und waren ein europäisches Phänomen. Die Beginenbewegungkonnte jedoch über die Jahrhunderte ihren Standort nicht behaupten, da die Zünf-te, die Kirche, die Inquisition und nicht zuletzt die Reformation ihnen systematischdas Wasser abgruben. Diese Frauen wurden als religiöse Laiinnenwohngemein-schaften zunächst vom Papst aufgewertet, dann wegen Ketzerei durch die Inquisi-tion verbrannt und noch später mit der Reformation verboten. Trotzdem habensich Reste dieser Bewegung – ein dritter Weg jenseits von Klöstern und der Ehe –bis in unser Jahrhundert erhalten.

Wir unterscheiden uns ...In den Schulbüchern tauchen die Reformbewegungen des Hochmittelalters natür-lich nicht auf. Erst die neuere Frauenforschung lässt „Frauen wieder sichtbar wer-den“. Und sicherlich ist es sinnig, die Tradition der Beginen im Blick zu haben,

1 Annette, Kuhn (Hg.):Chronik der Frauen, Dortmund

1992.2 Spies, Martina:

Beginengemeinschaften inFrankfurt a.M. Zur Frage der

genossenschaftlichen Selbst-organisation von Frauen im

Mittelalter, Edition Ebersbach,Dortmund 1998.

Page 99: Anina Mischau, Redaktion · 2011. 11. 30. · Anina Mischau, Redaktion EDITORIAL. IFF-Info Zeitschrift des Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrum (IFF) 20. Jahrgang / Nr.25

Bielefelder Beginenhöfe e.V.

99Info 20.Jg. Nr.25/2003

wenn wir – unserer Zeit entsprechend – selbstbestimmte Gemeinschaften für Frauenaufbauen wollen, in denen ökonomische, soziale, emanzipatorische und spirituelleBedürfnisse von Frauen gelebt werden können. Unabhängig von Glaubens- undReligionsgemeinschaften möchte die neue Beginenbewegung die Philosophie dermittelalterlichen Beginen in die heutige Zeit umsetzen und eine andere, frauen-spezifische Lebensform entwickeln.

Die heute verbreitete Stadt- und Wohnraumplanung orientiert sich noch an dentraditionellen Bedürfnissen der „Normalfamilie“ und geht damit an den Bedürf-nissen alleinlebender und alleinerziehender Frauen vorbei. Die Einbindung unsererFrauenwohnprojekte bei der Planung und Konzeption führt die Betreiber zu zu-kunftsorientierten Wohnkonzepten für Alleinlebende mit und ohne Kinder. Dieseswiederum ist die Voraussetzung dafür, dass alleinlebende Frauen in einer selbst-gewählten Gemeinschaft leben können. Dazu kommt, dass die oft recht niedrigenEinkommen (z. B. Rente, Sozialhilfe) eine Finanzierung erforderlich macht, die gün-stigen Wohnraum zur Verfügung stellt, so dass Frauen nach Neigung und nichtnach Einkommen miteinander leben können.

Diese Form der Gemeinschaft mit der gegenseitigen emotionalen und alltags-praktischen Unterstützung fördert unserer Meinung nach die geistig-seelische undkörperliche Gesundheit. Eingeschränkt werden dadurch Isolation, Krankheit undPflegebedürftigkeit, was letzten Endes Einsparungen für die öffentliche Hand be-deutet.

Außerdem kommt es durch die Auseinandersetzung der Projektgruppe mit ih-rem zukünftigen Lebensraum zu einer Identifizierung mit dem Objekt und damitzu einer besseren Pflege der Häuser und der Umgebung. Schon jetzt zeigt sich, dassviele Frauen große Lust haben, Terrassen und Gartenanlagen selbst zu gestalten.

Durch ein durchdachtes und nachhaltiges Nutzen von Ressourcen, das von dendrei Säulen Ökologie, Ökonomie und Soziale Gerechtigkeit im Sinne der Agenda21 getragen wird, werden wir unseren Kindern und Enkelkindern ganz bewusstauch ein Stück Zukunft mitgeben. Damit sind nicht nur neue Energiekonzepte unddas gemeinsame Nutzen von z.B. Waschmaschinen und Autos gemeint, sondernauch Dienstleistungen wie z. B. eine Tauschbörse.

Wir haben uns auch zur Aufgabe gemacht, unter anderem das Bild vom Alternzu ändern. Alt werden bedeutet ja nicht in jedem Fall Krankheit und Pflegebedürf-tigkeit. Wir sind davon überzeugt, dass die von uns angestrebte generationsüber-greifende Lebensform Raum geben wird für emotionale Fürsorge. Unsere Zielesind Selbständigkeit, Unabhängigkeit, Eigenverantwortlichkeit in jeder Lebenspha-se bis ins hohe Alter.

Wir stehen heute ...Nach 3 Jahren Arbeit an sozialen und architektonischen Konzepten haben wir heu-te klare Vorstellungen von den räumlichen Anforderungen. So denken wir an Wohn-anlagen mit maximal 25-30 Wohnungen. Sie sollen Wohnraum bieten für Einper-sonenhaushalte, Frauen mit Kindern, Paare oder Wohngemeinschaften. Neben denWohnungen planen wir auch Gemeinschaftsräume und eventuell gewerblich zunutzende Flächen.

Wir erhalten inzwischen eine professionelle Projektförderung, die zum überwie-genden Teil über Landesmittel finanziert wird. Vorgespräche und Recherchen zupotentiellen Standorten für das erste Projekt haben stattgefunden und werden aus-gewertet. Wir suchen jetzt nach Investoren (Bauträgern), die unsere Vorstellungenumsetzen. Wir werden darüber hinaus von der Stadt Bielefeld (Bau- und Planungs-dezernat, Gleichstellungsstelle) bei der Grundstückssuche intensiv unterstützt.

Kontakt:Bielefelder Beginenhöfe e.V. –GeschäftsstelleMeller Straße 2, 33613BielefeldTelefon: 0521/3367633Email:[email protected]://www.bielefelder-beginenhoefe.de

Page 100: Anina Mischau, Redaktion · 2011. 11. 30. · Anina Mischau, Redaktion EDITORIAL. IFF-Info Zeitschrift des Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrum (IFF) 20. Jahrgang / Nr.25

Berichte aus der Region und NRW

100

Ulrike Struwe

Das Bundesausbildungsprojekt idee_it

Der Zukunftsarbeitsmarkt der Informations- und Kommunikationsberufe wird vonqualifizierten Mädchen in Deutschland zur Zeit nur eingeschränkt wahrgenommen.Dies ist erstaunlich, denn die über die Jahre stark gestiegenen Ausbildungszahlen inden neuen IT-Berufen zeigen, dass insgesamt ein starkes Interesse an diesen Berufs-feldern besteht. Die absolute Anzahl von Ausbildungsplätzen in den neuen IT- Beru-fen hat sich von 665 in 1997 auf 50.782 in 2001 mehr als verzehnfacht, der Anteil vonFrauen blieb jedoch von Beginn an weitgehend konstant bei lediglich 14%.

Die Zurückhaltung der Mädchen liegt nicht an mangelnden Vorkenntnissen derSchulabgängerinnen oder an einem generellen technischen Desinteresse1 . Mädchenverfügen im Vergleich zu den gleichaltrigen Jungen seit einigen Jahren über die höhe-ren Bildungsabschlüsse. Eine Ursache der geringen Beteiligung junger Frauen an denzukunftsweisenden IT-Berufen liegt wahrscheinlich daran, dass ihr Zuschnitt aus Technik,Dienstleistung, Wirtschaft, Planung und Gestaltung kaum erkennbar ist. Die Präsenta-tion der Berufe in den Medien orientiert sich weitgehend an den Interessen jungerMänner. Die Darstellung interessanter Praxisaufgaben, die die neuen Anforderungendeutlich machen, gute berufliche Beispiele, ein modernes berufliches Image für Frau-en und – nicht zuletzt – weibliche Vorbilder scheinen zu fehlen, um mehr Frauen aufdie Karrieremöglichkeiten in diesen Berufen aufmerksam zu machen. Auch die Be-zeichnung der Berufe, d.h. Fachinformatikerin, Informationselektronikerin, Informatik-kauffrau, IT-System-Elektronikerin und IT-System-Kauffrau, klingen weder spannendnoch lassen sie die vielfältigen fachlichen Komponenten dieser Berufe, d.h. den Mixaus Dienstleistung, Projektorientierung, Ökonomie sowie elektro- und dv-technischenQualifikationen erkennen. Nicht zuletzt fehlen ermutigende Signale des Arbeitsmark-tes, dass weibliche Auszubildende gesucht und willkommen sind. All diese Faktorengilt es zu verändern, damit einerseits Frauen ihre Zukunftschancen nutzen und ande-rerseits Unternehmen zukünftig einen deutlich höheren Anteil an qualifizierten Potenzialim IT-Bereich für sich erschließen können.

Die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an der Entwicklung undGestaltung der Informationsgesellschaft stellt eines der strategischen Ziele der deut-schen Bundesregierung in ihrem Aktionsprogramm „Innovation und Arbeitsplätze inder Informationsgesellschaft des 21. Jahrhunderts“ dar (BMBF/BMWi 1999). Dasheißt konkret:• Erhöhung des Angebots an Ausbildungsstellen im IT-Bereich auf 60.000 Plätze bis

2003;• Steigerung des Frauenanteils an IT-Berufsausbildungen auf 40 % bis 2005;• sowie die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern bei der Gestaltung

der Informationsgesellschaft (BMBF/BMWi 1999 und 2002).Zur Umsetzung dieser Vorgaben hat das Bundesministerium für Familie, Senioren,Frauen und Jugend in Kooperation mit der Initiative D212 das Projekt idee_it inAuftrag gegeben. Das Kompetenzzentrum Frauen in Informationsgesellschaft undTechnologie3 hat Planung, Durchführung und Koordinierung des Projektes über-nommen. idee_it bietet unterschiedliche Schwerpunkte an, die das gemeinsame Zielverfolgen, mehr junge Frauen auf die neuen IT-Berufe aufmerksam zu machen.

idee_it Kick-OffIn Zusammenarbeit mit bundesweiten und regionalen Netzwerken, Akteurinnen undAkteuren sowie Expertinnen und Experten motiviert idee_it Mädchen und junge Frauen,

1 Zu den Computer-erfahrungen von jungenFrauen generell und demUmgang von Frauen mitTechnik vgl. Medien-pädagogischer Forschungs-verbund Südwest 2000,Bund-Länder-Kommission2002, Walter 1998.

2 Die Initiative D21 ist eineInitiative namhafterUnternehmerpersön-lichkeiten und Unter-nehmen mit derZielsetzung, den Wandelvon der Industrie- zurInformationsgesellschaft inDeutschland zu beschleuni-gen.

3 Das Kompetenzzentrumbündelt bundesweitMaßnahmen zurChancengleichheit inBildung, Ausbildung,Beruf, Wissenschaft undForschung. Dazu gehört dieHerstellung eines breitengesellschaftlichen Dialogs,die Förderung einesBewusstseinswandels und dieumfassende Informationder Öffentlichkeit durchnationale und internationaleInitiativen, Projekte undMaßnahmen. Mehr über dasKompetenzzentrum unterwww.kompetenzz.de

Page 101: Anina Mischau, Redaktion · 2011. 11. 30. · Anina Mischau, Redaktion EDITORIAL. IFF-Info Zeitschrift des Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrum (IFF) 20. Jahrgang / Nr.25

Bundesausbildungprojekt idee_it

101Info 20.Jg. Nr.25/2003

die neuen IT- und Medienberufe in ihre Berufswahl einzubeziehen. Hierzu werdenbundesweite und regionale Kick-Off Veranstaltungen angeboten, die durch einenMix aus Information, Beratung und Event die Interessen der Mädchen besondersgut treffen. Auch der Veranstaltungsort wird so gewählt, dass er von den Mädchengern aufgesucht wird. In Kinos, als Kulturzentren umgebaute Fabrikgebäude, Mul-ti Media Schulen und Technologiezentren können die Mädchen durch persönlicheGespräche mit weiblichen Auszubildenden und Ausbilderinnen ihren Erfahrungs-und Orientierungshorizont erweitern. In Erzählcafés und Talkrunden berichtenExpertinnen über Berufswahl, Berufsentscheidung, Bewerbungen und Auswahl-verfahren. Wie interessant und vielseitig die neuen IT-Berufe sind, lernen die Mäd-chen durch kleine Aktionen und praktische Arbeiten. Insgesamt erlebten bisher4.500 Mädchen und junge Frauen in Leipzig, Bielefeld, Nürnberg, Zwickau, Biele-feld, Köln und Hannover spannende und abwechslungsreiche Seiten der Arbeit amund mit dem PC: Fotos digital bearbeiten, Informationsrecherche im Internet,Computer zusammen- und auseinanderbauen, Aufbau von PC-Netzwerken, Pro-jektplanung mit dem PC, Webseiten, Collagen und Visitenkarten erstellen sowieTonaufnahme und -bearbeitung – um nur einige der interessanten Seiten der PC-Arbeit zu nennen. Dass das Veranstaltungsformat den Mädchen gefällt und sieanspricht, belegen Aussagen wie „mehr solcher Veranstaltungen“, „ich hab‘ jetzteine Richtung entdeckt, die ich gern einschlagen will“, „wusste nicht, dass dieseBerufe so interessant sein können“ „weil ich jetzt weiß, was IT-Berufe sind“ etc.

Zusätzliche Ansprachen in den Kick-Offs gelten den Lehrerinnen und Lehrernsowie weiteren Multiplikatorinnen und Multiplikatoren, die in der Berufsorien-tierungsphase der Mädchen eine besondere Rolle spielen. Ihnen werden Work-shops angeboten, in denen sie Hinweise und Informationen zur Unterrichtsvorberei-tung mit dem Internet oder neue Lernprogramme für Schülerinnen bekommensowie das Internet als Informationsmedium für die Berufswahl kennenlernen.

Die erfolgreichen Veranstaltungen werden jeweils durch ein Zusammenwirkenvon Ministerien, Senaten, Kammern, Verbänden und/oder Unternehmen in Koope-ration mit dem Projekt idee_it durchgeführt. Veranstaltungen für 2003 sind bereitsgeplant; sie werden in Hannover, Lippstadt, Bielefeld und Frankfurt stattfinden.

Internet, Printmaterialien und die Kooperation mit UnternehmenEin zusätzliches Angebot an Berufsinformationen stellt idee_it über attraktive Print-medien bereit. Durch eine den Mädchen angepasste Sprache und Design erzeugendie Materialien Interesse und heben sich auf diese Weise von anderen Berufs-informationsbroschüren ab.

Mit der interaktiven Homepage www.idee-it.de können sich die Mädchen um-fassend über die neuen Berufe, über Bewerbungsstrategien, Verdienstmöglichkei-ten und Zukunftschancen in den IT- und Medienberufen informieren. Ein monat-lich angebotener Chat gibt den Mädchen die Gelegenheit, sich mit Expertinnen indiesen Berufen zu „unterhalten“. Für diese Kommunikation stehen ihnen Ausbilde-rinnen, Auszubildende, Existenzgründerinnen und MitarbeiterInnen der Personal-büros der ausbildenden Unternehmen zur Verfügung.

Nicht nur die jungen Frauen sind für eine Ausbildung in den IT- Berufen zuinteressieren. Auch die Unternehmen werden auf das Potenzial der gut ausgebilde-ten Frauen aufmerksam gemacht. Hierzu bietet idee_it bundesweit Partnerschaftenan. Die Partnerschaft unterstützt und erleichtert die Suche der Unternehmen nachdem notwendigen Fachkräftepotenzial auch und gerade bei den Frauen. Die Part-nerschaft von idee_it bietet den Unternehmen zudem die Chance, sich als ein Unter-nehmen zu präsentieren, das sich sowohl offen zeigt für gesellschaftlich relevante

Page 102: Anina Mischau, Redaktion · 2011. 11. 30. · Anina Mischau, Redaktion EDITORIAL. IFF-Info Zeitschrift des Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrum (IFF) 20. Jahrgang / Nr.25

Berichte aus der Region und NRW

102

Fragestellungen als auch für Diversity und Gender Mainstreaming engagiert. Gleich-zeitig präsentieren sich die Unternehmen als Mitglied eines kompetenten und inno-vativen Netzwerks.

Die BegleitforschungDie bisherigen Informationsangebote über die neuen Berufe werden von idee_itüber eine Begleitforschung erweitert. Darin wird der Einstieg in die Ausbildung,der Ausbildungsverlauf sowie der Übergang der weiblichen und männlichen Aus-zubildenden in den Beruf näher untersucht. Ziel der Erhebung ist die qualitativeVerbesserung der Ausbildung für Frauen und Männer. Die Begleitforschung glie-dert sich in drei aufeinanderfolgende Erhebungsphasen und begann im Herbst 2002.Befragt werden weibliche und männliche Auszubildenden der IT-Berufe der Aus-bildungsjahrgänge 2000, 2001 und 2002, die in einem Partnerunternehmen des Pro-jektes idee_it bzw. der Initiative ausgebildet werden. Die Befragung erfolgt onlineüber teilstandardisierte Fragebögen.

Die Befragung soll den Auszubildenden die Chance geben, in einem anonymenund eigens für sie vorgesehenen Raum ihre Erfahrungen mit der Ausbildung mitzu-teilen. Es ist zu erwarten, dass die Auszubildenden durch die Möglichkeit der Mei-nungsäußerung und der aktiven Beteiligung an der qualitativen Verbesserung ihrerAusbildung stabilisiert werden. Die Erkenntnisse aus den Befragungen sollen denAusbildern/-innen nach jeder Erhebungsphase zunächst schriftlich mitgeteilt wer-den. Daran anschließend bietet idee_it Train-the-Trainer-Workshops an, in denendie Erfahrungen der Ausbilderinnen und Ausbilder erhoben, die Befragungsergebnissediskutiert und Handlungskonzepte für die Umsetzung der Erkenntnisse erarbeitetwerden sollen. Darüber hinaus dienen die Workshops dazu, über Best-Practice-Beispiele und innovative Ansätze in der Ausbildung zu informieren.

ZusammenfassungMit diesem umfassend angelegten Konzept will das Projekt idee_it die wesentlich ander Berufswahl beteiligten Akteure erreichen und sie auf die Chancen und Möglich-keiten der informationstechnologisch orientierten Berufe aufmerksam machen.Mädchen, die im Berufsorientierungsprozess stehen, erhalten über die von ihnenpräferierten Medien Internet, Berufsinformationsbroschüren und BerufsinfomessenHinweise und Auskünfte zu den neuen Berufen. Unternehmen werden auf die in-teressierten und gut ausgebildeten jungen Frauen aufmerksam gemacht, was ihnenvor allem für die Zukunft einen Vorteil bei der Sicherung ihres Fachkräftepotenzialsverschaffen dürfte.

LiteraturBMBF/BMWi: Innovation und Arbeitsplätze in der Informationsgesellschaft des 21. Jahr-

hunderts, Bonn 1999.BMBF/BMWi: Innovation und Arbeitsplätze in der Informationsgesellschaft des 21. Jahr-

hunderts, Bonn 2002.Bund-Länder-Kommission: Frauen in den ingenieur- und naturwissenschaftlichen Studien-

gängen. Bericht der BLK vom 2. Mai 2002, Materialien zur Bildungsplanung und zurForschungsförderung Heft 100, Bonn 2002.

Feierabend, S./Klingler, W.: JIM 2000. Jugend, Information, (Multi-) Media. Basisuntersuchungzum Medienumgang 12 - 19jähriger in Deutschland, hrsg. v. MedienpädagogischerForschungsverbund Südwest, Baden-Baden 2000. <http://www.mpfs.de/projekte/JIM2000.pdf>

Walter, C. 1998: Technik, Studium und Geschlecht. Was verändert sich im Technik- und Selbst-konzept der Geschlechter?, Opladen 1998.

Ulrike StruweKompetenzzentrum Frauenin Informationsgesellschaftund TechnologieWilhelm-Bertelsmann-Str.10, 33602 BielefeldEmail: [email protected]

Page 103: Anina Mischau, Redaktion · 2011. 11. 30. · Anina Mischau, Redaktion EDITORIAL. IFF-Info Zeitschrift des Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrum (IFF) 20. Jahrgang / Nr.25

Titel

103Info 20.Jg. Nr.25/2003

Geplante Kürzungen derLandesregierung NRW gefährdenHilfeeinrichtungen für Frauen undMädchen

Im letzten IFF Info berichtete wir darüber, dass die schwierigen Haushaltslage inNRW zu einer Diskussion und zu Überlegungen geführt hat, im Landeshaushalt 2003Fördermittel für wichtige frauenpolitische Strukturen zu streichen. Entwürfe sahenvor, insbesondere den Einrichtungen Landeszuschüsse zu streichen, die erst unter derrot-grünen Regierung in die Förderung aufgenommen wurden. Auf Null gesetzt wer-den sollten u.a. die Förderung der Notrufe, Wildwasser und ähnlicher Einrichtungen(47 Einrichtungen), die Zufluchtstätten für Mädchen (3 Einrichtungen), Prostituiertenpro-jekte (3 Einrichtungen), der Landesaktionsplan häusliche Gewalt, die geplante Landesko-ordinierungsstelle Gewalt gegen Frauen und Mädchen (geplante Einrichtung mit 24-stündiger Erreichbarkeit). Darüber waren Kürzungen bei Frauenberatungsstellen (Mittelfür eine neue Beratungsstelle soll gestrichen werden) und bei Prävention/Selbstbe-hauptungskurse geplant.

Die geplanten Kürzungen/Streichungen wurden in der Frauenöffentlichkeit nichtnur frauenpolitisch als eine Provokation verstanden, sondern auch als eine Entsolida-risierung mit Opfern (sexueller) Gewalt, die zu einer Zerstörung wichtiger Infrastruktur-einrichtungen und Projekte für Frauen und Mädchen in NRW führt. Stellvertretendfür viele andere Einrichtungen und Projekte in NRW hatten wir für das letzte IFF Infodrei Einrichtungen in Bielefeld, die Zufluchtstätte des Mädchenhaus Bielefeld e.V.,BellZett und der Frauennotruf Bielefeld e.V., gebeten, hierzu eine Stellungnahme ab-zugeben und aufzuzeigen, was die Kürzungen für ihre Arbeit bedeuten würden. Wasist in der Zwischenzeit passiert und wie ist derzeit der Stand der Dinge? Wir haben beiden drei Einrichtungen in Bielefeld noch einmal nachgefragt.

Der Frauennotruf Bielefeld e.V. berichtete uns, dass die Frauennotrufe in NRW bisheute (Stand Februar 2003) noch keine rechtskräftige Bewilligung erhalten haben, wasin einigen Städten dazu geführt hat, dass den Mitarbeiterinnen aufgrund der ungewis-sen Finanzsituation gekündigt wurde. Zusätzlich hatten im Verlauf der Streichungs-diskussionen bereits einige z.T. langjährige Mitarbeiterinnen der Frauennotrufe gekün-digt – aufgrund der unsicheren individuellen Berufssituation nachvollziehbar. Somitsind durch die Kürzungspläne langjährige Erfahrungen und Kompetenzen verlorengegangen, die so schnell nicht zu ersetzen sind. Auch perspektivisch hat sich an derUngewissheit oder Gewissheit der Landesförderung bedauerlicherweise nichts geän-dert; die Finanzierung in 2004 ist nicht zugesagt.

Das BellZett traf die allgemeinen Kürzungsdiskussionen und -tendenzen der Lan-desregierung stärker als andere Einrichtungen für Frauen und Mädchen in NRW, dasich seine Mittel aus unterschiedlichen Finanztöpfen zusammensetzen. Konkret be-deutet das: Von den in 2002 beantragten 750.000,-€ im Initiativprogramm „Selbstbe-hauptung und Konflikttraining für Mädchen und Jungen an Schulen“ wurden im No-vember 2002 noch 100.000,-€ bewilligt: d.h. die Kürzung betrug 87%. Für Mädchenund Jungen bedeutet das 87% weniger Maßnahmen zur geschlechtsspezifischen Gewalt-prävention in der Schule, da es aktuell keine andere Finanzierungsmöglichkeit fürSchulkurse gibt. Für das Jahr 2003 sind Fördermittel in Höhe von 250.000,-€ bean-tragt. Was in Zukunft mit dem Inhalt „Selbstbehauptung und Konflikttraining fürMädchen und Jungen an Schulen“ geschieht ist unklar.

Nach

trag zu

m aktu

ellen S

tand

Page 104: Anina Mischau, Redaktion · 2011. 11. 30. · Anina Mischau, Redaktion EDITORIAL. IFF-Info Zeitschrift des Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrum (IFF) 20. Jahrgang / Nr.25

Berichte aus der Region und NRW

104

Für die Zufluchtstätte des Mädchenhaus Bielefeld e.V. ist die Einsparung der Landes-mittel in Höhe von 102.258,- € für das Jahr 2003 verhindert worden, wobei derZuwendungsbescheid zunächst nur über einen Zeitraum von 2 Monaten ausgestelltwurde. Auch hier macht sich jedoch die Tendenz zu Einsparungen in den Angebo-ten im inhaltlichen Bereich bemerkbar. Die Auswirkungen und Konsequenzen sindz.Zt. noch nicht klar zu benennen. Die Beratungsstelle hat, wie alle anderen freienTräger in Bielefeld auch, einen Leistungsvertrag mit der Stadt Bielefeld abgeschlos-sen. Dieser erstreckt sich über einen Zeitraum von 3 Jahren und wird zwar unterähnlichen Modalitäten wie der vorherige weitergeführt, beinhaltet jedoch Kürzun-gen im Bereich der strukturellen Personalkostensteigerungen.

Damit bleibt derzeit festzuhalten: Die für das Jahr 2003 vorgesehene Kürzungkonnten auf politischer Ebene nicht wie geplant durchgesetzt werden; dies nichtzuletzt aufgrund des massiven Protestes und der Solidarität von Einzelnen undInstitutionen. Stellvertretend für alle Einrichtungen in NRW dankte der Frauen-notruf Bielefeld e.V. in unserer Anfrage all denen, die durch ihren Protest und ihrEngagement das Anliegen der Einrichtungen für Frauen und Mädchen in NRWunterstützt haben. Dennoch hinterlassen solche Diskussionen ihre Spuren, die dieeinzelnen Einrichtungen zwar auf je unterschiedliche Art und Weise betreffen, ins-gesamt aber die über lange Jahre aufgebaute Infrastruktur von Hilfs- und Unter-stützungseinrichtungen für Frauen und Mädchen mittel- wie langfristig gefährden.Ob sich in den nächsten Haushaltsdiskussionen das „Kürzungskarussell“ wiederanfängt zu drehen, bleibt ungewiss. Wenngleich also vielleicht im Moment „dasSchlimmste“ abgewendet werden konnte, ist die Situation insgesamt sehr unbefrie-digend und, auf die nähere Zukunft bezogen, wenig planbar. Alle drei BielefelderEinrichtungen (sowie natürlich generell alle Einrichtungen in NRW) sind weiterhinund mehr denn je, auf eine finanzielle, politische und ideelle Unterstützung derfrauenpolitischen Öffentlichkeit angewiesen. Solidarität braucht einen langen Atem!

Kontaktadressen:Frauennotruf e.V., Jöllenbecker Str. 57, 33613 Bielefeld, Tel.: 0521-12 42 48BellZett – Frauen machen Frauen fit, Sudbrackstr. 36a, 33613 Bielefeld, Tel. 0521-122109Mädchenhaus Bielefeld e.V., Bahnhofstr. 4, 33602 Bielefeld, Tel.: 0521-17 30 16

Die Redaktion

Page 105: Anina Mischau, Redaktion · 2011. 11. 30. · Anina Mischau, Redaktion EDITORIAL. IFF-Info Zeitschrift des Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrum (IFF) 20. Jahrgang / Nr.25

Schnupperstudium

105Info 20.Jg. Nr.25/2003

Christiane Nack

„Studentinnen auf Probe“ erkundeten fürdrei Tage die Uni

Der Frauenanteil in den natur- und ingenieurwissenschaftlichen Studiengängen ist ander Universität Paderborn wie auch an anderen Hochschulen immer noch gering. Vorallem die fehlende Kenntnis technischer und naturwissenschaftlicher Inhalte und Berufs-felder wird Studien zufolge als Hauptfaktor dafür gesehen, warum Mädchen undjunge Frauen derartige Studienrichtungen nicht wählen und sich nach wie vor ehertraditionellen (Frauen-)Berufen zuwenden. Um das Berufs- und Studienwahlspektrumjunger Frauen zu erweitern, mögliche Hemmschwellen in Bezug auf naturwissen-schaftlich-technische Inhalte abzubauen und gezielt über die entsprechenden Studien-gänge zu informieren, wurde an der Universität Paderborn in den Herbstferien spezi-ell für Schülerinnen der Jahrgangsstufen 11 bis 13 ein Programm aus Vorlesungen,Workshops und weiteren Veranstaltungen zusammengestellt. Informationen zu die-sem Projekt erhielt die Zielgruppe im Schwerpunkt über die vorab telefonisch undschriftlich kontaktierten Schulen des Regierungsbezirkes, über Pressemitteilungen re-gionaler Zeitungen sowie über Werbespots einer ortsansässigen Rundfunkanstalt. Unddie Nachfrage war groß: Aufgrund der zahlreichen Anmeldungen wurde die Anzahlder Plätze von sechzig auf knapp neunzig Plätze ausgeweitet.

Auf Initiative der Gleichstellungsbeauftragten Frau Dipl.-Päd. Irmgard Pilgrim,der Organisation „Frauen gestalten die Informationsgesellschaft“ unter der Leitungvon Frau Dipl.-Inf. Christiana Nolte und in Zusammenarbeit mit den Fakultäten fürWirtschaftswissenschaften, Naturwissenschaften, Maschinenbau, Elektrotechnik/Infor-matik/Mathematik sowie der „Regionalstelle Frau, Wirtschaft und Beruf“ erhieltendie Schülerinnen Gelegenheit, sich über die Studiengänge Chemie, Elektrotechnik, In-formatik, Informationstechnik, Maschinenbau, Physik, Wirtschaftsinformatik undWirtschaftsingenieurwesen „aus erster Hand“ und „live vor Ort“ zu informieren. DieVorlesungen waren so konzipiert, dass sie im ersten Teil zunächst einen allgemeinenEinblick in die Fachinhalte und im weiteren Informationen über die Studienrichtungenund spätere Berufsfelder lieferten. So erfuhren die Schülerinnen z. B. welche Interes-sen und Fähigkeiten für die Aufnahme eines Informatik-Studiums von Nutzen seinkönnen, welche Kenntnisse und wissenschaftlichen Inhalte im Studium vermittelt wer-den, welche Möglichkeiten bezüglich der Fächer- bzw. Studiengangswahl existierensowie in welchen konkreten Berufsbereichen Informatikerinnen überhaupt tätig sind.

Informatives „Schnuppern“Die Oberstufenschülerinnen bewerteten viele der von ihnen besuchten Vorlesungen inder Abschlussdiskussion des Schnupperstudiums sowie in den erhobenen Fragebö-gen als „sehr gut verständlich“, „informativ“ und „vom zeitlichen Umfang her genaurichtig bemessen“.

Mit auf dem Programm waren auch praktisch orientertere Workshops der einzel-nen Studienfächer, die die Schülerinnen nach ihren eigenen Interessen besuchen konn-ten. Zur Wahl standen z. B. Workshops mit den Themen „Programmierung einesMini-Roboters“ (Informatik), „Hexerei der Schnelligkeit“ (Informationstechnik),„Künstliche Wesen“ (Elektrotechnik), „Ein Auto klebt an einem Kran“ (Maschinen-bau/Wirtschaftsingenieurwesen) etc., in denen die Schülerinnen kleine Arbeitsaufträgeerhielten und selbständig Lösungen erarbeiteten. Hier wurden insbesondere „die in-teressanten Themen“ und „der gelungene Wechsel aus Theorie und Praxis“ gelobt.

Sch

nu

pp

erstud

ium

für S

chü

lerinn

en im

natu

r- un

d in

gen

ieurw

issensch

aftlichen

Bereich

Page 106: Anina Mischau, Redaktion · 2011. 11. 30. · Anina Mischau, Redaktion EDITORIAL. IFF-Info Zeitschrift des Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrum (IFF) 20. Jahrgang / Nr.25

Berichte aus der Region und NRW

106

Die Informationen „Rund ums Studium“ durch die Studienberatung, das Akade-mische Auslandsamt, den AStA, das Studentenwerk, das Arbeitsamt, die Biblio-thek und die Firma Siemens (Projekt „Yolante“) wurden als sehr sinnvoll und hilf-reich beurteilt, denn sie lieferten den Schülerinnen für alle zukünftigen Studien-richtungen wichtige Hintergrundinformationen.

„Alleine unter Männern“Es gab auch die Möglichkeit an einer Gesprächs-runde mit studierten Fachfrauen aus den verschie-denen ingenieur- und naturwissenschaftlichen Be-rufen, die teilweise in regionalen Firmen (GirindusAG Künsebeck, Hella KG Hueck & Co.,INCONY AG, PESAG AG) tätig sind, teilzu-nehmen. Die Frauen berichteten über ihren per-sönlichen Werdegang, ihren Arbeitsalltag, ihre be-ruflichen Positionen, reichten individuelle Emp-fehlungen an die Schülerinnen weiter und mach-ten ihnen Mut, im natur- und ingenieurwissen-schaftlichen Bereich ihre „Frau“ zu stehen. Ange-sprochen wurden Themen wie „alleine unterMännern“, Studienmotivation, der Erwerb von

Zusatzqualifikationen etc. Insbesondere stieß auch die Thematik „Kind und Kar-riere“ bei den Schülerinnen auf großes Interesse. Sie gaben an, im Rahmen dieserTalkrunde aus dem Erfahrungsschatz der berufstätigen Frauen wichtige Erkennt-nisse für ihre eigene Berufs- und Lebensplanung geschöpft zu haben, offen undehrlich informiert worden zu sein und setzten die Gesprächsrunde in der Abschluss-auswertung des Schnupperstudiums ganz oben auf ihre Positivliste.

FazitInsgesamt erhielt das Schnupperstudium von der überwiegenden Mehrheit derTeilnehmerinnen die Note „gut“. Die Schülerinnen bewerteten vor allem die Work-shops als positiv, in denen sie selbst praktisch mitarbeiten konnten, außerdem dievielseitigen Informationen zu den verschiedenen Fächern, die Betreuung durch dieStudierenden sowie die Gesprächsrunde. Für einen Großteil der Schülerinnen gingdas Schnupperstudium mit neuen Denkanstössen und einer genaueren Vorstellungbezüglich der Studienwahl einher.

Die Evaluation der Veranstaltung erfolgte zum einen in Form von vorab konzi-pierten Fragebögen mit geschlossenen und offenen Fragestellungen zum Schnupper-studium, die die Schülerinnen während des Projekts ausfüllten und bei der Abschluss-veranstaltung abgaben, zum anderen in einer abschließenden „Feedback-Runde“innerhalb der Veranstaltung. Insgesamt zeigte sich hier, dass die Erwartungen undWünsche der Schülerinnen an das Schnupperstudium erfüllt werden konnten. „DasSchnupperstudium hat mir geholfen, einen besseren Einblick in einzelne Studienfä-cher zu bekommen und mich für ein Studium zu entscheiden.“ Auch der Austauschunter den Schülerinnen habe sehr gut funktioniert, sie hätten viele „nette Leutekennen gelernt“, als positiv wurde auch die gute Organisation der Veranstaltunggelobt. „Wir wurden hier sehr gut betreut, alleine hätte ich mich in diesem „Uni-Dschungel“ wohl nicht zurechtgefunden!“

Aufgrund der positiven Resonanz und der großen Nachfrage ist eine Weiterfüh-rung des Projekts im Herbst 2003 geplant.

Kontakt:Universität Paderborn,

Frauenbüro,Christiane Nack,

Warburger Str. 100,33098 Paderborn

Mail: [email protected].

Page 107: Anina Mischau, Redaktion · 2011. 11. 30. · Anina Mischau, Redaktion EDITORIAL. IFF-Info Zeitschrift des Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrum (IFF) 20. Jahrgang / Nr.25

Debatte

107Info 20.Jg. Nr.25/2003

Birgit Riegraf

Von der Frauen- zurGeschlechterforschung

In der Zeit Nr. 16, 2002 erschien unter dem Titel „Män-ner, Frauen, Fantasien“ ein Artikel von Daniel Wieseüber die Entwicklung in der Frauen- und Geschlechter-forschung an deutschen Hochschulen. Obwohl in demArtikel ein verzerrtes Bild von dem Verhältnis von Frau-enbewegung und Frauenforschung, dem Zusammenhangvon feministischer Forschung Frauen- und Geschlechter-forschung gezeichnet wird, blieb er bislang in der öffentli-chen Debatte unwidersprochen. Diese Auseinanderset-zung soll mit diesem Beitrag nachgeholt werden. Im An-schluß ist noch einmal der Originalartikel von DanielWiese aus der Zeit abgedruckt.

Die Frauen- und Geschlechterforschung ist seit ihrerEntstehung eng, aber nicht konfliktlos mit der Dyna-mik der Frauenbewegung verzahnt. Die feministischeForschung und die Frauenbewegung eint der herr-schaftskritische Anspruch, gesellschaftliche Benachteili-gungen von Frauen sichtbar zu machen und zu derenBeseitigung beizutragen. Gegenseitig aufeinander ver-wiesen, trennen Wissenschaft und politische Bewegungunterschiedliche Rationalitäten. Die Frauen- und Ge-schlechterforschung formuliert den Anspruch gesell-schaftliche Ungleichheit und Ungerechtigkeit mit denMitteln der wissenschaftlichen Erkenntnis zu verändernund beharrt auf der nötigen Distanz zu den politischenPraxen der Frauenbewegung, um sich das kritischePotential und unvoreingenomme Erkenntnismöglich-keiten zu erhalten. Die Frauenbewegung ihrerseits be-dient sich der Mittel des politischen Macht-, Willens-bildungs- und Entscheidungsprozesses. Im Zuge derzunehmenden Institutionalisierung der feministischenWissenschaft an den Hochschulen und den Professio-nalisierungsprozessen der Forscherinnen ersetzt dietheoretische Auseinandersetzung über das Verhältnisvon Wissenschaft und Politik die direkte Verbindungmit der politischen Praxis der Frauenbewegung. Deremanzipatorische Anspruch der feministischen For-schung blieb dabei keineswegs auf der Strecke undseit den 1980er Jahren werden selbst die eigenen wis-senschaftlichen Prämissen radikal an diesen Ambitio-nen gemessen.

In den letzten Jahren warf die feministische Wissen-schaft einen kritischen Blick auf ihre theoretischen

Grundlagen, um deren emanzipatorischen Gehalt zuüberprüfen. Eine differenzierte Selbstreflexion entwik-kelte sich, die wiederum zu einer Verunsicherung derpolitischen Praxis führte. Die zentrale Erkenntniskate-gorie „Frau“ und damit der Gegenstand der Forschungselbst wurde grundsätzlich auf den Prüfstand gestellt.Hervorgerufen wurden die erkenntnistheoretischenDenkbewegungen unter anderem durch die Kritik der„women of colour“ an einer Theorie und Politik, dieauf einem Kollektivsubjekt „Frau“ basiert, das dieErfahrungen des weißen, heterosexuellen Mittelstan-des widerspiegelt und andere „weibliche“ Lebens-kontexte ausgrenzt. Demnach liegt feministischer Wis-senschaft und Politik ein abstraktes Konzept „Frau“zugrunde, das sich über einen hegemonialen Diskurskonstituiert, der die Erfahrungen einiger weniger privi-legierter Frauen widerspiegelt. Die Kategorie „Frau“schließt beispielsweise die Lebenskontexte von Migran-tinnen oder schwarzen Frauen aus. Die Differenzenzwischen Frauen werden negiert. Diese Diskussion führ-te dazu, dass die Polarisierung zwischen Mann und Frauals Grundlage des wissenschaftlichen Erkenntnisin-teresses und als Bezugspunkt feministischer Politik nichtmehr als selbstverständlich vorausgesetzt werden kann,sondern als erklärungsbedürftig gilt. Damit verbundenist die grundlegende Abgrenzung von theoretischenKonzepten, die „Mann“ und „Frau“ und das Systemder Zweigeschlechtlichkeit als etwas biologisch begrün-detes begreifen. Eine Abwendung von den wider-spruchsfreien Kategorien „Mann“ und „Frau“ und einestärke Hinwendung zu der Kategorie „Geschlecht“verweist auf den erkenntnistheoretischen Wandel.

Eine zentrale Herausforderung, die gegenwärtig inder Verschiebung der Erkenntnisgrundlagen steckt, liegtin folgenden Fragen: Auf welche „Frauen“ bezieht sichdie Frauenforschung? Wie können Differenzen undsoziale Ungleichheiten zwischen Frauen in den femini-stischen Konzepten sichtbar werden, ohne die eigenenGrundlagen zu verlieren? Welche Konzepte von „Ge-schlecht“ verbergen sich hinter dem Begriff „Frau“und was macht das Gemeinsame von „Frauen“ aus?Bleibt die Frauenforschung – ohne es zu wollen undentgegen des ursprünglichen Anspruches – einem Herr-schaftsgestus verhaftet, wenn sie von „Frau“ sprichtund damit die Unterschiede zwischen Frauen verdun-kelt? Werden Alltagsvorstellungen über Zweigeschlecht-lichkeit und essentialistische Vorstellungen über Mannund Frau unhinterfragt reproduziert? Wer sind danndie Subjekte und Adressatinnen feministischer Politik?Die konsequente wissenschaftliche Auseinandersetzungmit den eigenen Prämissen und emanzipatorischen

Page 108: Anina Mischau, Redaktion · 2011. 11. 30. · Anina Mischau, Redaktion EDITORIAL. IFF-Info Zeitschrift des Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrum (IFF) 20. Jahrgang / Nr.25

Debatte

108

Ansprüchen bliebt auch institutionell nicht ohne Fol-gen: So entscheiden sich die Mitglieder der Sektion„Frauenforschung“ in der Deutschen Gesellschaft fürSoziologie in einer Abstimmung, zukünftig den Na-men „Frauen- und Geschlechterforschung“ zu tragen.Stellen werden nicht mehr für Frauenforschung, son-dern für „Frauen- und Geschlechterforschung“, bzw.„Geschlechterforschung“ ausgeschrieben.

„Prä“ und „Post“? Oder ein aufgeklärter Blickzurück?Daniel Wiese grenzt in seinem Artikel historisch undinhaltlich die feministische Wissenschaft bzw. Frauen-forschung deutlich von der Geschlechterforschung ab– und steht mit dieser Perspektive sicherlich nicht al-lein. Frauen- und Geschlechterforschung sind aus sei-ner Sicht Ausdruck linearer historischer Entwicklungs-phasen („veraltet“ – „modern“), repräsentieren unter-schiedliche Generationen („alt“ – „jung“) und lassensich nach Inhalten („Frauen“ – „Geschlechter“) sowiein ihrem Anspruch („politisch“ – „wissenschaftlich“)unterscheiden. Die Frauenforschung wird implizit derVergangenheit zugeordnet, sie ist durch feministischesVokabular verunreinigt, das dem politischen Kampfder Frauenbewegung entspringt. Die Geschlechterfor-schung gehört demgegenüber der Gegenwart an. Dasfeministische Vokabular des Geschlechterkampfesweicht in der Geschlechterforschung einer kühleren –somit wohl rationaleren und wissenschaftlicheren – Be-trachtungsweise. Im Gegensatz zur Frauenforschungbeschäftigt sich nun die Geschlechterforschung (end-lich) mit dem Geschlechterverhältnis, d.h. sie beziehtMänner mit in die Untersuchungsperspektive ein. Einesolch einfache Historisierung erlaubt eine schnelle Ori-entierung, die allerdings der komplexen und vielschich-tigen Entwicklung nicht gerecht wird.

Die gewählten Frauen-Bilder unterstreichen diesevereinfachte Gegenüberstellungen und Grenzziehungen:Alice Schwarzer, Symbolfigur der westdeutschen Frau-enbewegung, die wiederum die Frauenforschung starkprägt(e), wird als Vertreterin der älteren, der „brain“Generation einer Verona Feldbusch gegenübergestellt.Verona Feldbusch, ganz modern, Produkt der Spaß-generation, körperbewusst, agiert mit einer (zumindestminimalen) Distanz zu sich selbst und kann aus einersolchen Perspektive das „weibliche“ Element spiele-risch für ihre Zwecke einsetzen. „Brain“ versus „body“,„veraltet“ versus „modern“, „alt“ versus „jung“, „po-litisch“ versus „wissenschaftlich“ – Frauenforschungversus Geschlechterforschung. Frauenforschung undFrauenbewegung ist out – Geschlechterforschung ist

in. Eine Epocheneinteilung in „Alt“ und „Modern“übernimmt deutlich eine komplexitätsreduzierende undentlastende Funktion: Der Bezug auf das „Danach“ermöglicht sich kritisch von dem „Davor“ abzusetzenund damit sind alle weiteren Reflexionen und Ausein-andersetzungen mit störenden Standpunkten nicht mehrnötig. Ein Sündenbock für alle unliebsamen Aspekteder Frauen- und Geschlechterforschung ist gefunden.

Aber: Weder ist die Entwicklung von der Frauen-zur Geschlechterforschung mit einer simplen Eintei-lung in ein „Davor“ und „Danach“ zu fassen, nochsind die Fragestellungen der Frauenforschung überholtund ist die Abgrenzung der Geschlechterforschunggegenüber der Frauenbewegung so endgültig wie derArtikel von Herrn Wiese dies nahelegt. Im Gegensatzzu Wieses Behauptung konzentrierte sich die Frauen-forschung nicht „nur“ auf die Kategorie „Frau“, son-dern bezog schon immer auch (mehr oder wenigerexplizit) Männer mit in Untersuchungen ein. Das Ge-schlechterverhältnis gehörte immer zu den originärenThemen der feministischen Forschung (z.B. Becker-Schmidt), ebenso wie männliche und weibliche Lebens-lagen (z.B. Müller) und kulturgeschichtliche Untersu-chungen zur Entstehung und Bedeutung von Männ-lichkeit und Weiblichkeit (z.B. Mead). Neu ist allerdingsein radikales, distanziertes und souveränes Nachden-ken über die eigenen Denkvoraussetzungen und Prä-missen im Hinblick auf die Kategorien „Frau“ und„Mann“ und die konsequente Überprüfung derGrundlagen in Bezug auf den eigenen emanzipatori-schen Anspruch. Die Frauen- und Geschlechterfor-schung sind also thematisch aufeinander bezogen, sodass eine klare inhaltliche Abgrenzung kaum möglichist. Herrn Wiese hat diese starke Überlappungen durcheinen raschen und oberflächlichen Blick in das Ange-bot an Lehrveranstaltungen der als „Geschlechterfor-schung“ ausgewiesenen Professuren ja durchaus reali-siert. Seine Schlussfolgerungen sind dann jedoch äus-serst irritierend: Er bedauert das fehlende Profil derLehre der Geschlechterforschung gegenüber derFrauenforschung. Wiese führt die fehlende inhaltlicheAbgrenzung auf die Inkompetenz eines großen Teilsder Lehrenden in diesem Fach und die „immer nochstarken“ feministischen Impulse der Frauenforschunginnerhalb der Geschlechterforschung zurück. Weder dieStudierenden noch die Lehrenden haben demnach bis-lang verstanden, dass es sich bei der Geschlechterfor-schung um andere, moderne (nämlich endlich auchMänner einbeziehende) Inhalte und um einen wissen-schaftlicheren, weil rationaleren und weniger politischenBlick geht. Die skizzierte erkenntnistheoretische Zäsur

Page 109: Anina Mischau, Redaktion · 2011. 11. 30. · Anina Mischau, Redaktion EDITORIAL. IFF-Info Zeitschrift des Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrum (IFF) 20. Jahrgang / Nr.25

Debatte

109Info 20.Jg. Nr.25/2003

bleibt einer schlichten „Vorher“ – „Nachher“ Perspek-tive verborgen.

Woran macht Herr Wiese die deutliche Absetzungund Abgrenzung der Geschlechterforschung gegenüberder Frauenforschung fest? Als Begründung für das ei-genständige Profil der Geschlechterforschung beziehtsich Herr Wiese u.a. auf die Erkenntnisse der – in derFrauen- und Geschlechterforschung prominenten –poststrukturalistischen Theoretikerin Judith Butler.Demnach wird die Einführung der Geschlechter-forschung im wesentlichen darauf zurückgeführt, dasssich – wie u.a. Butler behaupten würde – Geschlechts-identitäten auflösen.

Judith Butlers Buch „Gender Troubles“ war sicher-lich ein Auslöser der Debatte über die Kategorie „Ge-schlecht“ in der Bundesrepublik. Butler steht für denskizzierten erkenntnistheoretischen Wechsel innerhalbder deutschen Frauen- und Geschlechterforschung undführt zu weiterführenden theoretischen Reflexionenüber das Verhältnis von Wissenschaft und Politik. DieKonsequenzen ihrer Analysen sind nun (darauf wurdebereits hingewiesen) tatsächlich wissenschaftlich undpolitisch weitreichend. Butler beschäftigt sich mit derVoraussetzung zweier Geschlechter und deren kultu-rellen Repräsentationen. Sie betont in ihren Arbeiten,dass das körperliche Geschlecht kein biologischesSchicksal ist, sondern „männliche“ und „weibliche“Körper diskursiv hergestellt sind. Wenn der Körper alsKlassifikationsmerkmal nicht eindeutig, sondern kul-turell konstruiert ist, es also keine essentielle, naturhafteAndersartigkeit von Mann und Frau existiert, wer sinddann diese „Frauen“, auf die sich die bundesrepubli-kanischen Frauenforschung sowie die Frauenbewegungin der Vergangenheit berufen haben?

Ein Resultat dieser Debatte ist, Geschlechterdifferenz,weibliche Subjektivität oder die Identität von Frauenals durch und durch sozial konstruiert und relationalzu bestimmen, es innerhalb spezifisch-historischer Kon-texte zu analysieren und selbst den Körper als Ergeb-nis politischer Aushandlungsprozesse zu betrachten. DieThese, die u.a. von Judith Butler vertreten wird, dassder Körper kein biologisches Schicksal in sich trägt,sondern das Ergebnis kultureller Konstruktionen ist,bedeutet nun aber keinesfalls, dass Geschlechts-identitäten sich im gesellschaftlichen Kontext auflösenund die Kategorien der Geschlechtszugehörigkeit fak-tisch an Bedeutung verlieren. Das Wissen um die kul-turelle Konstruktion der Zweigeschlechtlichkeit, dieKenntnis von der heterosexuellen Zwangsidentität (But-ler) macht die gesellschaftliche Zuordnung zu einemmännlichen und weiblichen Geschlecht nicht weniger

wirksam, nicht weniger zwingend und nicht wenigermit Herrschaft und Macht durchsetzt. Die Erkenntnisvon der heterosexuellen Matrix allein – und darauf ver-weist Butler mehrfach – bedeutet also nicht, daß siebereits überflüssig wird, sondern verweist u.a. auf dieNotwendigkeit einer starken Frauenbewegung, die sichpolitisch (allerdings mit veränderten Strategien als bis-lang) gegen diese Matrix wendet. Die Problematik istdabei eine politische Handlungsfähigkeit jenseits nor-mativer politischer Konzepte, jenseits einer Politik imNamen „der Frau“, zu entwickeln. Damit ist das poli-tische Projekt der Frauenbewegung nicht erledigt, son-dern es ist hochaktuell und wird unter einer neuen Per-spektive diskutiert. Die Frage nach Macht und Herr-schaft in den Geschlechterverhältnissen bleibt weiter-hin virulent und die Frauen- und Geschlechterforschungbleibt auch zukünftig auf die Frauenbewegung ver-wiesen – und umgekehrt.

Dr. Birgit Riegraf, Fakultät für Soziologie, UniversitätBielefeld, Postfach 100131, 33501 Bielefeld, Email:[email protected]

Page 110: Anina Mischau, Redaktion · 2011. 11. 30. · Anina Mischau, Redaktion EDITORIAL. IFF-Info Zeitschrift des Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrum (IFF) 20. Jahrgang / Nr.25

Debatte

110

Daniel Wiese

Männer, Frauen,FantasienWas die Geschlechter trennt – GenderStudies fassen auch an deutschenUniversitäten Fuß

Als Verona Feldbusch im vergangenen Sommer zum„Fernsehduell“ gegen Alice Schwarzer antrat, begeg-neten sich nicht nur zwei Welten – „brain“ gegen„body“, hatte die Bild-Zeitung geschrieben –, sondernauch zwei Generationen. Unter dem Beifall der Zu-schauer zog Verona Feldbusch, ganz Produkt der Spaß-gesellschaft, ihr weißes Jackett aus, um ihr Dekolleté zupräsentieren. Als Alice Schwarzer ihr vorwarf, sie spie-le das Weibchen, verteidigte sie sich mit den Worten:„Ich bin auch ein Weibchen!“

Die Frage ist nur, ob sie das ernst meinte oder ob essich in ihrem Fall nicht um eine besonders raffinierteArt von Inszenierung handelte. Kann jemand ein Weib-chen sein, die von sich selbst sagt: „Ich nehme auchgern die Barbie-Karte“? Oder setzt dieser Satz nichtvielmehr eine minimale Distanz zu sich selbst voraus?

Das „Phänomen Feldbusch“ (Alice Schwarzer) wärein seiner Zweideutigkeit ein gutes Studienobjekt für dieGender Studies, einen Studiengang, der in Amerikaschon länger populär ist und nun auch in Deutschlandan Zulauf gewinnt. Nachdem die Berliner Humboldt-Uni 1997 das Fach eingeführt hatte, folgten 1998 Ol-denburg, 2001 Freiburg und Göttingen. In Hamburgund in Konstanz sind Studiengänge geplant. In Berlin,bisher die einzige Stadt, in der es Gender Studies auchals Hauptfach gibt, liegt die Zahl der Studierenden in-zwischen bei knapp sechshundert. Wegen des großenAndrangs besteht ein interner Numerus clausus.

Eigentlich sind Gender Studies aus der feministi-schen Frauenforschung heraus entstanden, doch andersals diese beschäftigen sie sich mit Geschlechterverhält-nissen überhaupt, beziehen also auch Männer ein. ImPrinzip kommt für die Gender Studies jeder Bereichinfrage, in dem das Mann- oder Frausein eine Rollespielt, wobei die Fragestellungen weit auseinander ge-hen. Empirische Ansätze, die die Unterschiede zwischenmännlichen und weiblichen Lebenslagen aufdecken,gehören genauso dazu wie kulturgeschichtlich orientierteVorgehensweisen, die nach der Entstehung dessen fra-gen, was zu einer bestimmten Zeit als „männlich“ oder„weiblich“ gilt.

Besonders innerhalb der kulturwissenschaftlichen

Fraktion ist zu beobachten, dass das feministische Vo-kabular des Geschlechterkampfs allmählich einer küh-leren Betrachtungsweise weicht. Viele Studentinnen hät-ten für die Frauenbewegung nur noch „ein müdes Lä-cheln“ übrig, sagt die Kulturwissenschaftlerin Christinavon Braun, eine der Initiatorinnen des Berliner Studi-engangs. Das Interesse an den Gender Studies erklärtsie sich damit, dass die Geschlechtsidentitäten sich auf-lösen. Massenmedien wie der Film verschaffen denZuschauern die Möglichkeit, sich sowohl in weiblicheals auch in männliche Personen hineinzuversetzen, undEntwicklungen wie der Chatroom, in dem jeder be-haupten kann: „Mein Körper ist fünfzehn und weib-lich“, machen die Kategorie der Geschlechtszugehö-rigkeit vollends obsolet. „Mein Körper“, sagt Christi-na von Braun, „besagt nichts darüber, was ich sexuellempfinde.“

Pornografie und TheologieBefördert wird das Bewusstsein, dass Fragen des Ge-schlechts so eindeutig nicht mehr zu beantworten sind,von populären Gender-Theoretikerinnen wie JudithButler, die die These vertritt, dass Geschlecht kein bio-logisches Schicksal ist, sondern das Ergebnis einer kul-turellen Produktion. Butler hat der „heterosexuellenMatrix“ den Kampf angesagt, nach der der Körperdas Geschlecht bestimmt und das Geschlecht das Be-gehren. Bei ihr gibt es nicht einfach „Männer“ und„Frauen“, sondern eine Vielzahl von schwulen, lesbi-schen, bi- und heterosexuellen Identitäten, die sich durchsubversive Strategien den herrschenden „Diskursen“entziehen.

Inzwischen werden in der Gender-Forschung radi-kale Theorien diskutiert, nach denen sogar die Eindeu-tigkeit des körperlichen Geschlechts eine Chimäre ist.„Es gibt so viele Geschlechter, wie es Menschen gibt“,heißt es zu diesem Thema bei der Berliner FachschaftGender Studies, in der Judith Butler schon wieder outist. Im Fachschaftszimmer, in dem nicht geraucht, aberTee getrunken werden darf, wird sehr poststruktura-listisch von „Differenzen“ geredet, denen „an Macht-und Hierarchieachsen entlang Bedeutung zugemessenwird“. „Geschlecht“ gilt hier nur als eine, wenn auchwichtige Perspektive, die durch Kapitalismuskritik undpostcolonial studies ergänzt werden müsse.

Die konkreten Motive, sich mit Gender Studies zubeschäftigen, kommen einem dann aber wieder selt-sam vertraut vor. „Wenn man nicht in die Norm passt“,sagt Andrea, 23, „dann stößt man auf Texte, die sichdamit beschäftigen.“ In ihrem Fall war das zuerst Si-mone de Beauvoir, an deren Thesen sie aber zu zwei-

Page 111: Anina Mischau, Redaktion · 2011. 11. 30. · Anina Mischau, Redaktion EDITORIAL. IFF-Info Zeitschrift des Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrum (IFF) 20. Jahrgang / Nr.25

Debatte

111Info 20.Jg. Nr.25/2003

feln begann, weil ihr dieses Denken dann doch ziem-lich „männlich“ erschien. Das Interesse an Frauen-themen war auch für Ronja, 31, ausschlaggebend, auchwenn für sie inzwischen weniger das „feministischeSubjekt Frau“ im Vordergrund steht als „die Diffe-renzen, auch innerhalb der Geschlechter“. In der Fach-schaft Gender Studies versammeln sich allerdings auchdie Studierenden, die politisch besonders bewusst sind.

Die Studienberaterin am Berliner Studiengang, IllonaPache, erzählt auch von ganz anderen Fällen wie derSchülerin aus Cottbus, die mit ihrer Mutter kam undsofort wissen wollte: „Was kann man damit machen?“(Eine der Antworten wäre gewesen: „Frauenbeauftrag-te.“) Die Schülerin entschloss sich, Gender Studies mitWirtschaftswissenschaften zu kombinieren.

Wahrscheinlich sollte man sowieso trennen. Das eineist die Attraktivität von bestimmten Gender-Theorien,das andere das real existierende Lehrangebot, und dassieht oft ziemlich gemischt aus. In Freiburg etwa wer-den die neuesten Pornografiedebatten genauso verhan-delt wie die „Partnersuche aus evolutionsbiologischerSicht“, und entsprechend weit gehen die Meinungenauseinander. Lässt man in Freiburg das Reizwort „Ju-dith Butler“ fallen, spricht die Soziologin Nina Degelehöflich von „unglaublich wichtigen Anstößen“, die mannur „empirisch auf den Boden holen“ müsse. DieAnthropologin Ursula Wittwer-Backofen dagegen hältButler für eine Extremistin. „Natürlich gibt es biologi-sche Unterschiede“, sagt sie, „nur wenn man die alsBasis anerkennt, hat man die Möglichkeit, die verblei-benden Disparitäten zu interpretieren.“

Die vielen Fächer (von der Theologie über die Forst-wissenschaft bis zur Informatik), die an den Gender-Studiengängen beteiligt sind, sind wohl kaum unter ei-nen Hut zu bringen. Erschwerend kommt hinzu, dassmanche Professorinnen Gender Studies als eine Fort-setzung der Frauenforschung unter neuem Etikett ver-stehen. In Göttingen etwa heißt ein Seminar schlicht„Einführung in die feministische Theorie“, andere Ver-anstaltungen beschäftigen sich mit „Modellen derSchwangerschaft“ oder „Frauen und ihren Gärten“.In Oldenburg soll eine Juniorprofessorin eingestellt wer-den, die sich mit den Fantasien befasst, die in die bio-technologische Reproduktion von Körpern einfließen.„Das sind Fantasien von Männern, und wir wollenwissenschaftskritisch untersuchen, wie sich das entwik-kelt hat“, heißt es da.

Der soldatische MannDie feministischen Impulse sind immer noch mächtig,und so ist es vermutlich kein Zufall, dass die Mehrzahl

der Studierenden weiblich ist. Männliche Gender-Do-zenten bilden eine verschwindende Minderheit, obwohlsich das Fach ja explizit auch mit Männerfragen ausein-ander setzt. So geht es in einem Seminar an der Hum-boldt-Universität, in dem Texte von Ernst Jüngers InStahlgewittern bis zu Klaus Theweleits Männerphan-tasien gelesen werden, um den „soldatischen Mann“.Dass die Dozentin eine Frau ist, ist Gender-theoretischin Ordnung, warum sollten sich Frauen nicht mitMännerthemen beschäftigen? Es steht nur zu befürch-ten, dass der umgekehrte Fall selten eintritt.

Manche Gender-Professorinnen wie Christina vonBraun bedauern dieses Ungleichgewicht ausdrücklich.Mancherorts wäre es aber vielleicht auch an der Zeit,die Gender Studies selbst einer Gender-kritischen Prü-fung zu unterziehen. Die Verantwortlichen könntendabei von Verona Feldbusch lernen. Die sagte im Fern-sehduell mit Alice Schwarzer: „Ich habe nichts gegenMänner.“

(c) DIE ZEIT 16/2002

Page 112: Anina Mischau, Redaktion · 2011. 11. 30. · Anina Mischau, Redaktion EDITORIAL. IFF-Info Zeitschrift des Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrum (IFF) 20. Jahrgang / Nr.25

Tagungsberichte

112

Das Netzwerk „Wandel im Dienstleistungssektor –Flexibilisierung der Geschlechterverhältnisse“ wendetsich an WissenschaftlerInnen aus unterschiedlichen Dis-ziplinen, die aus der Geschlechterperspektive zu denVeränderungen im Dienstleistungssektor arbeiten. DieInitiative ging im letzten Sommer von der Abteilung„Geschlechterpolitik im Wohlfahrtsstaat“ am Zentrumfür Sozialpolitik, Universität Bremen, aus. Ziel ist es,unterschiedliche theoretische Ansätze und empirischeErgebnisse der Geschlechterforschung zum Dienstlei-stungssektor zusammenzuführen und die bisher nursporadische Zusammenarbeit von Wissenschaftlerin-nen zu vertiefen.

Der Dienstleistungssektor gilt traditionell als Be-schäftigungsfeld mit einer hoher Beteiligung von Frau-en. Dieses Feld weist aktuell ausgeprägte Dynamikenund Innovationspotenziale auf. Die Wandlungsprozessesind wesentlich durch veränderte Erwerbsmuster, Kar-riereaspirationen und Zeitstrukturen von Frauen mit-gestaltet. Neue Erwerbsformen wie die „Alleinselb-ständigkeit“, flexibilisierte Arbeitszeiten sowie tenden-ziell „entgrenzte“ Arbeits- und Lebenssphären sind ei-nige Merkmale moderner Dienstleistungsfelder, die ins-besondere für hochqualifizierte Frauen Karrierechanceneröffnen und mit der zugewiesenen familiären Sorge-verantwortung leichter vereinbar scheinen als dasindustriezeitliche „männliche Normalarbeitsverhältnis“.Auch in traditionellen Dienstleistungssegmenten wiedem Gesundheitswesen und dem Wissenschaftssystemzeichnen sich seit einiger Zeit Veränderungen in denGeschlechterverhältnissen und Partizipationschancen fürFrauen ab. Zugleich wird die soziale Ungleichheit zwi-schen den Geschlechtern reproduziert; ebenso liegenHinweise auf neue prekäre Beschäftigungssituationeninsbesondere von Frauen vor.

Die Wandlungsprozesse im Dienstleistungssektorwerden gegenwärtig aus unterschiedlichen Perspekti-ven analysiert. Kennzeichnend ist dabei, dass sich derMainstream der Forschung nach wie vor primär anmännlichen Akteuren orientiert. In den Analysen zeich-net sich durchgängig ab, dass die Verknüpfungen zwi-schen Erwerbsarbeits- und Lebenssphäre nicht ange-messen erfasst werden. Es steht darüber hinaus zurDiskussion, ob die Heterogenität und Dynamik des

Dienstleistungssektors in traditionellen Kategorien wie„Institution“, „Organisation“, „Profession“ oder „Ar-beitskraft“ überhaupt abgebildet werden kann. Zu klä-ren ist auch, welche Einflüsse von neuen Technologienund hybriden Organisationsformen sowie von über-geordneten gesellschaftlichen Entwicklungen wieGlobalisierung und Neoliberalismus ausgehen. DieBündelung unterschiedlicher Ansätze und Erfahrungenim Netzwerk eröffnet eine neue Perspektive und Mög-lichkeiten, diese Fragen zu bearbeiten.

Ein zweitägiger Workshop im November 2002 zumThema „Geschlechterverhältnisse im Dienstleistungs-sektor – Dynamiken, Differenzierungen und neueHorizonte“ brachte erste Ergebnisse. In einem ausge-wählten Kreis von Wissenschaftlerinnen wurden Er-klärungsangebote in verschiedenen Dienstleistungs-feldern mit ihren spezifischen institutionellen Rahmun-gen und Akteuren empirisch geprüft.

Nach den einleitenden Beiträgen stellte SusanneVölker (Humboldt-Universität Berlin) Ergebnisse derTransformationsforschung vor. Aus der Perspektive derSubjekte wurden erwerbsbezogene Handlungsstrate-gien und „hybride Selbstverortungen“ exploriert, diezu einer Vervielfältigung von Optionen führen. Im näch-sten Block ging es um Erwerbssubjekte als „Arbeits-kraftunternehmer“ vor dem Hintergrund neuer Tech-nologien. Annette Henninger (Zentrum für Sozialpoli-tik Universität Bremen) deutete schon mit ihrem pro-vokativen Titel „Der Arbeitskraftunternehmer undseine Frauen“ auf die Defizite auch in neueren erwerbs-soziologischen Konzepten hin. Sie fragte, welcheFrau(en) dem Arbeitskraftunternehmer zur Seite ste-hen und welche Effekte auf die familiale Arbeitstei-lung zu erwarten sind, wenn Frauen zu Arbeitskraft-unternehmerinnen werden. Den Arbeits- und Lebens-arrangements in der Internetbranche unter Vermarkt-lichungsdruck ging Alexandra Manske (TU Berlin) nachund machte Zusammenhänge zwischen den Zwängendes Marktes, Rationalisierungsdruck und Privatsphäresichtbar. Susanne Maaß (Universität Bremen) wies amBeispiel „Selbstbedienung im Internet“ auf die ge-schlechtlichen Prägungen der Kommunikation hin. Diemangelnde gesellschaftliche Wertschätzung von Emo-tionsarbeit, so ihre These, setzt sich in der fehlenden

„Wandel im Dienstleistungssektor –Flexibilisierung der Geschlechterverhältnisse“Initiative für ein multidisziplinäres Netzwerk

Page 113: Anina Mischau, Redaktion · 2011. 11. 30. · Anina Mischau, Redaktion EDITORIAL. IFF-Info Zeitschrift des Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrum (IFF) 20. Jahrgang / Nr.25

Tagungsberichte

113Info 20.Jg. Nr.25/2003

technischen Unterstützung dieser Aufgaben fort. DieDiskussion wurde fortgesetzt mit zwei Vorträgen zuden Arbeitsbeziehungen im Callcenter. UrsulaHoltgrewe (TU Chemnitz) kam in ihrer Untersuchungzu dem Ergebnis, Geschlecht sei weiterhin relevant, aberauf eine nicht völlig vorhersehbare Weise. Eine Offen-heit in den Geschlechterverhältnissen stellte auch Edel-gard Kutzner (Sozialforschungsstelle Dortmund) fest.Sie zeigte jedoch, dass die strukturellen Rahmenbedin-gungen und die mikropolitischen Prozesse auch in denneuen Organisationsformen des Callcenter als Deter-minanten der Geschlechterverhältnisse wirken.

Die beiden folgenden thematischen Blöcke um-fassten professions- und organisationsbezogene Arbei-ten. Ellen Kuhlmann (Zentrum für Sozialpolitik Uni-versität Bremen) konfrontierte aktuelle Entwicklungenim Gesundheitswesen mit dem (männlichen) Idealty-pus der Professionstheorien. Während im sozialen Feldeine zunehmende Pluralisierung von Differenzierungs-linien und Regulierungsmechanismen zu beobachten ist,sind die theoretischen Konzepte durch einen spezifi-schen Typus geprägt, der einen Gender Bias und kul-turellen Bias aufweist. Hildegard Theobald (Wissen-schaftszentrum Berlin) betrachtete die BerufsfelderUnternehmensberatung und Altenpflege, die noch umProfessionalisierung ringen. Sie konnte zeigen, wiegeschlechterspezifische und soziale Ungleichheiten inden Neudefinitionen des Zusammenspiels von Markt,Staat und Familie verstärkt werden. In den Beiträgenvon Christiane Schnell und Sigrid Betzelt (Zentrum fürSozialpolitik Universität Bremen) ging es um die Kultur-berufe. Schnell hob die Transformation der Professio-nalität und die Wandlungsprozesse in der Konstellati-on von Wissen, Markt und Macht hervor. Sie wies aufdie Erklärungspotenziale dieser Entwicklungen in denKulturberufen für die professionssoziologischeTheoriedebatte hin. Betzelt stellte die mangelnde Er-fassung der Hybridität moderner Professionen als ‚blin-den Fleck“ der Theorien heraus und wies anhand em-pirischer Befunde auf die mit der ökonomischenDienstleistungsdynamik verbundenen Implikationensozialer Ungleichheit hin. Marianne Friese (UniversitätLüneburg) und Barbara Thiessen (Universität Bremen)diskutierten Möglichkeiten der Kompetenzentwicklungim personenbezogenen Dienstleistungsbereich. Für eineProfessionalisierungsstrategie, so ihre These, ist das Zu-rückweisen von vermeintlichen Wesensmerkmalen vonFrauen sowie eine Klärung der Bezüge zum Privatenevident.

„Unter welchen Bedingungen und in welchem Aus-maß sind Organisation überhaupt lernfähig“, fragte

Birgit Riegraf (Universität Bielefeld) und stellte Vor-schläge vor, wie die Debatte um Organisationslernenfür die Geschlechterforschung fruchtbar gemacht wer-den kann. Weitere Beispiele für organisationsbezogeneAnsätze lieferten Hildegard Matthies (Wissenschafts-zentrum Berlin) und Sylvia Wilz (Universität Bielefeld).Matthies analysierte geschlechterdifferente Karrieren imWissenschaftssystem. Sie identifizierte eine ‚männlicheArbeitskultur“ als Merkmal der Wissenschaft, die je-doch in unterschiedlichen Instituten variabel ist unddemzufolge einen Handlungsspielraum der Organisa-tion offen legt. Sylvia Wilz betrachtete Prozesse derPersonalauswahl und der Legitimation von Entschei-dungen am Beispiel eines Versicherungsunternehmens.Diese Entscheidungen werden einerseits situativ inhalt-lich gefüllt und sind kontextspezifisch variabel, so ihrFazit, doch zugleich eingebunden in Machtverhältnisse.Mit ihrem Titel „Zwischen schöpferischer Zerstörungund organisationalem Lernen“ lenkte Birgit Blättel-Mink(Universität Stuttgart) den Blick auf die Grenzen derLernfähigkeiten hinsichtlich der Geschlechtergleichheit.Sie setzte Konzepte der Innovationsforschung in Be-zug zu Organisationsansätzen und machte auf das Pa-radox der Geschlechterdebatte aufmerksam: Einerseitsist ein „Prozess des Vergessens“ und ein Entlarven desalltäglichen „gendering“, andererseits jedoch „ein stän-diges Erinnern“ notwendig. Mit der Frage nach den‚Irritationen, die Organisationen zu Veränderungenveranlassen“, wurde der Bogen zu der Eingangsfragenach den Dynamiken und den Visionen gespannt.

Die Beiträge bestätigen zusammengenommen, dassGeschlecht nach wie vor relevant ist im Dienstleistungs-sektor und weder neue Technologien, Organisations-formen oder professionelle Leitbilder und Qualifi-kationsstrategien für sich genommen symmetrischeBeziehungen zwischen den Geschlechtern garantieren.In sehr unterschiedlichen Feldern des Dienstleistungs-sektors zeichnen sich jedoch übereinstimmend flexi-blere Beziehungen und Öffnungsmomente für Frauenab, die in ihren Ergebnissen gegenwärtig diffus undwidersprüchlich scheinen. Die Diskussion zeigte, dasskeiner der theoretischen Ansätze diese Entwicklungenzufriedenstellend erfassen kann, und machte spezifi-sche „blinde Flecken“ sichtbar.

Der Vergleich verschiedener Theorieansätze undsozialer Felder erwies sich als weiterführender Ansatzin der Debatte um Dienstleistungsarbeit und Geschlecht.Hierdurch wurden vor allem zentrale Fragen offenge-legt, die durch die Einführung von Geschlecht in dieDebatten auf die Tagungsordnung kommen, aber ins-gesamt weit über Geschlechterfragen hinausweisen. Im

Page 114: Anina Mischau, Redaktion · 2011. 11. 30. · Anina Mischau, Redaktion EDITORIAL. IFF-Info Zeitschrift des Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrum (IFF) 20. Jahrgang / Nr.25

Tagungsberichte

114

nächsten Schritt sollen weniger die theoretischen Zu-gänge, sondern übergreifende Fragestellungen undKategorien in den verschiedenen Beschäftigungsfeldernden Rahmen für die Diskussion spannen – wie z.B.soziale Sicherung, New Public Management, Globa-lisierung/ Neoliberalismus, Professionalität als Regu-lierung, KundInnenorientierung, Arrangements zwi-schen Arbeits- und Lebenssphäre oder neue Formen/Definitionen der Kompetenzentwicklung/Qualifikati-on. Vorschläge für diese möglichen Themenkomplexesowie für die Erweiterung der Betrachtungs-perspektiven werden gegenwärtig noch ausgetauscht.

Die Ergebnisse des Workshops sind in einer gemein-samen Buchpublikation Geschlechterverhältnisse imDienstleistungssektor zusammengefasst, die im Som-

mer/Herbst 2003 im Nomos Verlag erscheinen undvon Ellen Kuhlmann und Sigrid Betzelt herausgege-ben wird. Geplant ist darüber hinaus eine Tagung imJanuar 2004, mit der die Diskussion fortgeführt wer-den soll.Wir laden alle Interessierten zur Zusammenarbeit ein!

Dr. Ellen Kuhlmann, Zentrum für Sozialpolitik, Parkallee39, 28209 Bremen, e-mail: [email protected]

Dr. Sigrid Betzelt, Zentrum für Sozialpolitik, Parkallee 39,28209 Bremen, e-mail: [email protected]

Am 10. Dezember 2002 hatte das Zentrum für inter-disziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung (ZIF)der Fachhochschule Hildesheim/Holzminden/Göttin-gen und der Universität Hildesheim gemeinsam mitder Landeskonferenz Niedersächsischer Hochschul-beauftragter (LNHF) zu einem ganztägigen Workshopeingeladen. Thema des Workshops war die Förderungvon Frauen an der Hochschule durch ein Mentoring-programm.

Mentoringprogramme für Frauen an Hochschulenwerden seit den 1990er Jahren praktiziert. Im Mittel-punkt steht bei dieser Idee einer zeitlich befristeten Part-nerschaft das individuelle Coaching einer Nachwuchs-kraft aber auch die gleichzeitige Entwicklung derFührungskultur von Mentorin/Mentor und Organisa-tion. In der politischen Diskussion wird Mentoring alsein individuelles Förderinstrument betrachtet. Schwer-punkt des Workshops bildete aber nicht primär derGesichtspunkt Förderung, sondern die Fragestellung:Ob und wie Mentoring zur Veränderung von Hoch-schulstrukturen in Richtung auf mehr Geschlech-tergerechtigkeit beitragen kann.

Den Einführungsvortrag hielt Frau Dr. Sylvia Neu-häuser-Metternich (Ada-Lovelace-Mentoring e.V.). Sieerläuterte am Beispiel des Ada-Lovelace-Mentoring wiestrukturelle Veränderungen in Hochschulen durchMentoringprogramme eingeleitet und begleitet wer-

den können und bezog sich auf Frauen in technisch-naturwissenschaftlichen Studiengängen. Zu einem er-folgreichen Konzept „Mentoring an Hochschulen“gehöre neben einem ergebnisorientierten Controlling,kontinuierliche Weiterbildung von Mentees undMentorInnen, Evaluation und regelmäßiges Feedbackfür alle Beteiligten vor allem eine gute Öffentlichkeits-arbeit nach innen und außen, fasste sie in ihren Forde-rungen an ein Mentoring-Programm zusammen.

Im Mittelpunkt des Workshops standen die Aus-führungen von Dr. Astrid Franzke vom ZIF Hildes-heim, die ihre Evaluationsergebnisse aus einen Projekt,in dem sie neun Mentoringprojekte an niedersächsi-schen Hochschulen untersucht hatte, vortrug.

Frau Dr. Astrid Franzke vom ZIF Hildesheim brach-te es stellvertretend für alle Mentoringprojekte auf denPunkt als sie erläuterte, welche strukturellen Veränderun-gen durch Mentoringprojekte bereits erreicht werdenkonnten. Dies sind u.a.:• Verankerung von Frauenförderplänen (dezentral/

zentral);• Intensivierung bzw. Neuaufbau von Kooperationen

in der Region;• Impulse für Partnerorganisationen;• Andere Wahrnehmung von Frauenarbeit in der ei-

genen Institution.

Mentoring für FrauenIndividuelle Förderung als Chance zur institutionellen Veränderung an Hochschulen?

Page 115: Anina Mischau, Redaktion · 2011. 11. 30. · Anina Mischau, Redaktion EDITORIAL. IFF-Info Zeitschrift des Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrum (IFF) 20. Jahrgang / Nr.25

Tagungsberichte

115Info 20.Jg. Nr.25/2003

Aber auch die strukturellen Hindernisse wurden von derReferentin benannt. Diese sind z.B.:• Gewinnung von Mentees und Mentorinnen;• Überlastungssituation der Professorinnen;• Regionale Strukturentwicklung;• Hochschulen mit mehren Standorten;• Personelle und sächliche Ausstattung des Programms.

Veränderungsbedarf für nachfolgende Mentoringpro-gramme für Frauen sieht Franzke in folgenden Punk-ten:• Vorbereitungszeit (nicht unter drei Monate);• Intensivere Öffentlichkeitsarbeit (u.a. Werbung von

Mentees);• Präzisierung des Begleitprogramms in Abhängigkeit

von konkreten Bedarfen;• Formelles Mentoring bedarf der Koordinierung (ist

nicht nebenher zu bewältigen).

Eine Ausstellung im Foyer der Fachhochschule Hildes-heim präsentierte die Arbeit der „Mentoringprojektefür Frauen an niedersächsischen Hochschulen“ und botGelegenheit mit den Projektmitarbeiterinnen Erfahrun-gen auszutauschen.

In vier Arbeitsgruppen wurden am Nachmittag dieErfahrungen an Hochschulen mit Mentoringpro-grammen diskutiert. Es stellten sich die Mentoring-projekte der Universität Heidelberg, der FachhochschuleNordostniedersachsen, der Universität Wien und derUniversität Zürich vor.

Die Teilnehmerinnen des Workshops waren sich ab-schließend darin einig, dass die bestehenden Mentoring-programme für Frauen weiterhin der Förderung desjeweiligen Bundeslandes bedürfen und sich diese Inve-stition, wie die bestehenden Programme zeigen, lohnt.Den Förderprogrammen sollte mehr Gestaltungs-spielraum gelassen werden und sie sollten auf andereWissenszweige erweitert werden. Auch sei es wichtig,die Hochschulen für dieses Programm zu interessie-ren. Notwendig sei auch, die Programme weiterhinextern zu evaluieren.

Hannelore Queisser, IFF, Universität Bielefeld, Postfach100131, 33501 Bielefeld, Email: [email protected]

Page 116: Anina Mischau, Redaktion · 2011. 11. 30. · Anina Mischau, Redaktion EDITORIAL. IFF-Info Zeitschrift des Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrum (IFF) 20. Jahrgang / Nr.25

Rezensionen

116

Sabine Hering und Gudrun Maierhof:Die unpässliche Frau – Sozialgeschichte derMenstruation und Hygiene, Mabuse-Verlag,Frankfurt am Main 2002, 192 Seiten, 19.90 €;ISBN 3-933050-99-5

Die Geschichte der Men-struationslehren ist auch eineGeschichte der Erkenntnisseüber den weiblichen Körperund des allgemein verbreite-ten Bildes vom „Charakterdes Weibes“. Die Monatsblu-tung hatte schon immer et-was mystisches, geheimnis-volles, über das nur hintervorgehaltener Hand gespro-chen wurde. Aus dem Men-

strualblut werde das Kind geformt und außerhalb derSchwangerschaft sei das Menstrualblut unrein undmüsse ausgeschieden werden (Plinius 23-79 v. Ch.). Pa-racelsus (1493-1541 ) behauptete „Es gibt kein Giftauf der Welt, das schädlicher ist als das menstruum“.Diese Auffassung herrschte viele Jahrhunderte und inabgeschwächter Form noch heute. In Schwaben wur-de sogar gemunkelt, dass das Mensblut zum Gatten-mord einzusetzen sei. Noch 1920 beobachtete ein Pro-fessor, dass Rosen, die er seiner Haushälterin zum wäs-sern gab, einen Tag später verdorrt waren, da diesegerade ihre Periode hatte. Erst 1958 wies der ArztBurger nach, dass Menstrualblut völlig ungiftig sei. Dochdie Vorurteile, dass mit der Regel das Schlechte ausdem Körper müsse, halten sich bis heute in großenTeilen der Bevölkerung. Dieser „Reinigungsgedanke“führt dazu, dass Frauen sich mehr Gedanken über zuwenig Blutung machen, als über ein schädigendes zuviel. Auch werden deshalb oft Tampons abgelehnt, weildort ja das „Blut nicht richtig abfließen kann“.

Dies alles und noch viel mehr Geschichte(n) um dieMenstruation sind nachzulesen in dem empfehlenswer-ten Buch „Die unpässliche Frau“ von Sabine Heringund Gudrun Maierhof. Um die gesellschaftspolitischeBedeutung der Menstrualfrage aufzuzeigen, beleuch-ten die Autorinnen nicht nur die Sozialgeschichte derMenstruation und Hygiene, sondern auch die der Se-xualität und Bevölkerungspolitik, der Entwicklung derGynäkologie und der Entdeckung der „Frauenkrank-heiten“.

Vor dem Hintergrund der jeweiligen politischen undgesellschaftlichen Kontexte wird der Leserin ein span-nender und sehr lehrreicher Blick auf die unterschied-

lichen Frauenbilder der Epochen gewährt: Die leiden-schaftliche, die gefährliche, die kranke, die hysterische,die labile, und die unzurechnungsfähige Frau – sie allefinden sich wider in den Beschreibungen und Inter-pretationen des weiblichen Zyklus aus medizinischerSicht. Aber das Buch zitiert auch Quellen, die die Men-struation als Zeichen der Erneuerung und als Symbolweiblicher Kraft deuten: Vor allem die neue Frauenbe-wegung hat sich den Verdienst erworben, nicht nur„vorgeschichtliche“ und ethnologisch bedeutsame Zu-gänge zu einem positiven Menstruationsverständnisfreizulegen, sondern auch zur Entmystifizierung derSache beizutragen.

Die zahlreichen Abbildungen von Originalanzeigenund Werbeträgern, die vielen Zitate und Dokumenteermöglichen der Leserein schon beim Durchblätterndes Buches eine kleine Zeitreise durch die Geschichtedes Menstruationserlebens und seiner gesellschaftlichenInterpretationen. Hier will ich nur einige kurze Blitz-lichter auf das inhaltsreiche Buch werfen.

So galt bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts nur dieSchwangerschaft als gesunder Zustand der Frau, denfrühen Menstruationsforschern erscheint die Periodeals krankhaft, als eine all monatlich wiederkehrendeKrise. Die Menstruation wird aber auch als ein nervö-ses Phänomen interpretiert. Mit großem wissenschaft-lichen Aufwand werden Studien über das quasi „peri-odische Irre-Sein“ der Frauen erstellt. Da die Frau füreinen wildgewordenen Uterus nichts kann und ihre„Irrsinnsanfälle“ dem Erregungsvorgang der Eierstök-ke entspringen, gebührt ihr nach Ansicht der Psycho-logen und – was in rechtskräftigen Urteilen zum Tra-gen kommt – Gerichtsmediziner besondere Nachsicht.Dass auch diese Klassifizierung „der Regel“ – wie ei-gentlich alle Interpretationen der Besonderheiten derMenstruation – den Ausschluss der Frauen vom öf-fentlichen Leben legitimierte, wird uns im Verlaufe desBuches immer wieder vorgeführt.

Auch viele der empfohlenen Verhaltensregeln – vor-rangig von männlichen Ärzten formuliert – sind aufeiner solchen Folie zu interpretieren: So wird ein Bildder migränegeplagten, leidenden, bürgerlichen Frau ge-schaffen, die in den „kritischen Tagen“ des Monats imBett ruhend ihr Seelenleben schont. Doch ist es wirk-lich so gewesen? Wird nicht die Frau durch die wohl-meinenden Ratschläge der Ärzte ans Bett gefesselt, aus-geschlossen und ausgegrenzt? Keine Spaziergänge, keineGesellschaft, denn die Menstruierende erkennt man(n)– so sagt der Volksglaube – an ihrem schlechten Atem!

Der Hygienediskurs hat ähnliche Effekte. Denn dieAuseinandersetzungen über die Frage, ob Frau sich

Page 117: Anina Mischau, Redaktion · 2011. 11. 30. · Anina Mischau, Redaktion EDITORIAL. IFF-Info Zeitschrift des Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrum (IFF) 20. Jahrgang / Nr.25

Rezensionen

117Info 20.Jg. Nr.25/2003

während der „Tage“ aus gesundheitlichen Gründen lie-ber nicht zu waschen habe, auf jeden Fall nicht „daunten“ oder nun doch lieber auf den Gebrauch einerBinde verzichten solle, da diese den Blutstrom stoppe,ist auch in dem Kontext zu betrachten, das die Frauwieder in die häusliche Sphäre verwiesen wird. Dennwo soll sich sie sich ungewaschen und womöglich nochohne Binde in die Öffentlichkeit wagen?

Für das Menstruationserleben war die Entwicklungder Monatshygiene von entscheidender Bedeutung.Denn lange waren Frauen auf – z.T. selbstgenähte –Stoffbinden angewiesen. 1926 kam dann endlich diegut bekannte „Camelia“ auf dem Markt. Natürlich hatsie vielfache Veränderungen und Verbesserungen durch-laufen. Sie hat aber seitdem zum einen den Frauen zudeutlich mehr Bewegungsfreiheit verholfen und, wasvielleicht noch wichtiger ist: der Einführung dieser Bindeist eine zumindest teilweise Enttabuisierung der Men-struation und der Menstruationshygiene zu verdanken.Dies ist vor allem auf die Vermarktungsstrategien derProduzenten zurückzuführen.

Die dennoch langanhaltende Tabuisierung desBindenkaufes fand einen ihrer (hoffentlich letzten)Höhepunkte in den 1950er Jahren: Da er quasi non-verbal vonstatten gehen musste, war an der verbrauch-ten Packung ein kleiner Abschnitt zum Ausreisen, den„Frau“ beim „Kauf-Mann“ an der Kasse nur mit nie-dergeschlagenen Augen rüberschieben brauchte, um diedezent verpackte Ware zu erhalten, ohne auch nur einWort über das unaussprechliche zu verlieren.

Viele der „Menstruationslehren“ muten uns heutemehr als abenteuerlich an. Dennoch haben sie bis indie Mitte des 19. Jahrhunderts hinein das Verständnisder Ärzte geprägt – und sie finden im allgemeinenVolksglauben noch immer ihren Niederschlag. Selbstin den 1990iger Jahren behaupten allen Ernstes nochemanzipierte Frauen, dass es kein Wunder sei, dass derComputer immer abstürze, da sie gerade ihre Tagehaben.

Nachdem die Menstruation aufgrund der wissen-schaftlichen Erkenntnisse der letzen Jahrzehnte nichtmehr als Krankheitszustand angesehen werden konn-te, traten an die gleiche Stelle sehr eng gesteckte Gren-zen und Regeln und machten aus der bei jeder Frauindividuell ausgeprägten Naturerscheinung Menstrua-tion die sogenannte „Regel“: ein Geschehen, das sichbei allen Frauen in immer gleichen Abständen und inimmer gleicher Weise zu wiederholen hat.

Menstruation erweist sich in der Lektüre der „Un-pässlichen Frau“ als kein festumrissener, vorwiegendpathologischer Vorgang, sondern als Plattform für die

unterschiedlichsten zeitgeistigen Projektionen und Zu-schreibungen. Und vor allem eines wird deutlich: dieRegel ist keine Regel, sondern ein differenzierter, indi-vidueller Prozess, aus dem keine allgemeingültigenNormen und Verbote abzuleiten sind. Trotz aller Fort-schritte und aller Aufklärung gilt die Menstruation imallgemeinen Verständnis jedoch noch immer als etwasAn-Rüchiges und Scham-Volles. Das Tabu ist nichtgebrochen. Es braucht mehr Bücher wie das vorlie-gende, um die Bedeutung der gesellschaftlichen Inter-pretationen eines ‚natürlichen’ Phänomens nachvollzieh-bar zu machen. Schön, das die Autorinnen und derMabuse-Verlag in der zweiten überarbeiteten Auflage„Die unpässliche Frau“ der Öffentlichkeit noch einmalzugänglich gemacht haben.

Dr. Birgitta Wrede, Interdisziplinäres Frauenforschungs-Zentrum (IFF), Universität Bielefeld,[email protected]

Ulrike Allroggen/Tanja Berger/Birgit Erbe (Hg.):Was bringt Europa den Frauen? FeministischeBeiträge zu Chancen und Defiziten der Europäi-schen Union, Argument Verlag, Hamburg 2002,184 Seiten, 17.90 €, ISBN 3-88619-289-X,

Der aus neun Beiträgen beste-hende Band gibt Einblicke inzentrale Felder der EU-Poli-tik: die europäische Wirt-schafts- und Währungsunion(EWWU), die Strukturpolitik,die Gleichstellungspolitik unddas Gender Mainstreaming,die Osterweiterung sowie dieAusarbeitung einer europäi-schen Verfassung. Damit wer-den wesentliche Teile desMaastricht-Vertrags (1992), des Amsterdamer Vertrags(1997) und des Nizza-Vertrags (2000) behandelt. DerBand bildet eine wichtige Grundlage für die Diskussi-on über die Frauenpolitik der EU.

Aufgrund der wachsenden wirtschaftlichen Konkur-renz im europäischen Binnenraum prognostizierenmehrere Beiträge eine höhere Sockelarbeitslosigkeit unddas „working poor“, die Einkommensarmut trotzVollzeitarbeit oder Mehrfacharbeitsverhältnissen. Eszeichne sich eine neue Unterschichtung der Gesellschaf-

Page 118: Anina Mischau, Redaktion · 2011. 11. 30. · Anina Mischau, Redaktion EDITORIAL. IFF-Info Zeitschrift des Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrum (IFF) 20. Jahrgang / Nr.25

Rezensionen

118

ten entlang von z.T. kulminierenden Merkmalen wieunzureichende (Aus)Bildung, soziale und ethnische Her-kunft, Zuwanderung und weibliche Geschlechts-zugehörigkeit ab. Zurückgeführt werden diese Ent-wicklungen auf die von der EU zur Steigerung derWettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaften(u.a. durch die Währungsunion) eingeleiteten Prozesseder Deregulierung sowie der Privatisierung staatlicherLeistungen und sozialstaatlicher Verpflichtungen. DerBeitrag von Susanne Schunter-Kleemann zeigt auf, dassdie damit verbundenen strikten Budgetkriterien diearbeitsmarkt- und sozialpolitischen Handlungs-möglichkeiten der Mitgliedsstaaten schmälern. Sieschlägt vor, den Vorrang der Stabilitätspolitik vor derBeschäftigungspolitik zu widerrufen, um dadurch auchder Frauenerwerbstätigkeit stärkere Impulse zu geben.Von der Explosion schlecht entlohnter und tariflichungeregelter Arbeit sind in der EU vor allem Arbeit-nehmerinnen betroffen. 1999 waren 52,6% der Frau-en und 71,6% der Männer in Europa erwerbstätig,davon 33% der Frauen und 6% der Männer in Teil-zeitbeschäftigung. Eine Arbeitsmarkt- und Sozialpoli-tik solle deshalb eine eigenständige Sicherung von Frau-en an die Stelle der abgeleiteten Sicherung setzen undeiner Aushöhlung des Prinzips der Familiensubsidiaritätgerade entgegenwirken. Ein Anwendungsfall für dieseVorschläge könnten die Hauptarbeitsbranchen vonFrauen, d.h. dienstleistungs- und personbezogene Ar-beiten, sein. Anstatt sie noch stärker marktförmig zugestalten, wird der skandinavische Weg empfohlen, d.h.sie (wohlfahrts)staatlich zu organisieren. Damit soll so-wohl eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen vonFrauen, als auch eine gleichverteiltere Partizipation andiesen Leistungen erreicht werden.

Henriette Meseke zeigt auf, dass die europäischenStrukturfonds (EFRE = Ausgleich regionaler Ungleich-gewichte, ESF = Entwicklung von Arbeitsmarkt undHumanressourcen, EAGFL = Unterstützung derLandwirtschaft) nur sehr bedingt der Förderung derFrauenerwerbsarbeit dienen. Die Fonds fördern zu ei-nem großen Teil Strukturen und Investitionen. DieEinbeziehung von frauenspezifischen Ansätzen hat sichals schwierig erwiesen, weil sie argumentativ über dieWirkungen der Fonds vermittelt werden müssen. DieAutorin merkt zudem kritisch an, dass die Nutzungder Strukturfonds den einzelnen Staaten unterliegt, sieinsofern nur ein indirekt von der EU gesteuertes Mit-tel sind, die Chancengleichheit von Frauen voranzu-treiben. Für den frauenfördernden Einsatz der Fondskomme es maßgeblich auf die Lobbyarbeit nationalerFrauenorganisationen an.

Seit dem Inkrafttreten des Amsterdamer Vertrags1997 ist die Gleichstellung von Frauen und MännernGemeinschaftsziel und steht im Vertragswerk gleich-berechtigt neben dem Ziel der Errichtung eines ge-meinsamen Marktes. Das damit auch verankerteGender Mainstreaming – alle Aktivitäten der EU sol-len die Chancengleichheit berücksichtigen – befindetsich im Hinblick auf seine Umsetzung noch am An-fang. Ein erster Schritt dazu ist das „Fünfte Aktions-programm für Chancengleichheit 2001-2005“, das Bir-git Erbe erläutert. Zu seinen Zielen gehört u.a., dass inallen Ausschüssen der EU-Kommission 40% Frauenvertreten sein müssen und dieses Beispiel in denEntscheidungsgremien aller Mitgliedsländer Schulemacht.

Ab 2004 werden die Länder Mittel- und Osteuropasder EU beitreten. Die bislang 15 Mitgliedsstaaten wer-den auf 25 erweitert. Elisabeth Schroedter zeigt, dassdie Frauenarmut in den Beitrittsländern in den letztenzehn Jahren stark angestiegen. Arbeitsplätze sind indrastischem Ausmaß verloren gegangen. Der Anteilvon Frauen in öffentlichen Funktionen ist von 30% aufbis zu 3% geschrumpft. Vermutlich würden die vonder EU vorgegebenen Gleichstellungsregeln als Bedin-gungen des Beitritts formal anerkannt, aber keineUmsetzung finden. Dem Erweiterungsprozess fehlees an Strategien, diesen Prozess der Verdrängung undVerarmung von Frauen aufzuhalten.

Der Beitrag von Tanja Berger und Maria Beyer-Gasse plädiert für die Vernetzung von Frauen-NGOsvor allem auch zwischen Ost und West. Sie beschrei-ben die Arbeit einer Netzwerk- und einer Lobby-Or-ganisation: des Ost-West-Europäischen-Frauen-netzwerks (OWEN) und der European Women’s Lob-by (EWL). OWEN wurde 1992 gegründet. Das Netz-werk unterstützt Frauen in Mittel- und Osteuropa so-wie russischsprachige Zuwanderinnen in Berlin-Bran-denburg, sich auf lokaler Ebene zu organisieren. DieEWL – ansässig in Brüssel – wurde 1991 mit Unter-stützung der EU-Kommission ins Leben gerufen. Siebildet einen Zusammenschluss von 26 Dachverbän-den aus den Einzelstaaten und 26 europäischen Frauen-organisationen. Es handelt sich um eine Frauen-organisation, die versucht, direkt auf politische Ent-scheidungen Einfluss zu nehmen. An der Verankerungdes Gender Mainstreaming im Amsterdamer Vertragwar sie maßgeblich beteiligt.

Dass in der im Jahr 2000 proklamierten europäi-schen Verfassung spezifische Frauenrechte (z.B. Verur-teilung häuslicher Gewalt) ebenso fehlen wie die Aner-kennung struktureller Benachteiligungen von Frauen,

Page 119: Anina Mischau, Redaktion · 2011. 11. 30. · Anina Mischau, Redaktion EDITORIAL. IFF-Info Zeitschrift des Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrum (IFF) 20. Jahrgang / Nr.25

Rezensionen

119Info 20.Jg. Nr.25/2003

arbeitet Birgit Erbe heraus. Ihr Beitrag fordert zahlrei-che Nachbesserungen, so u.a. die paritätische Beteili-gung von Frauen am Verfassungsprozess selbst, dieVerankerung von Rechten, die Frauen wirtschaftlicheSelbständigkeit gewähren und den Schutz individuellerFreiheitsrechte auch im privaten Bereich.

Während sich die Europäische Kommission als trei-bende Kraft der Förderung der Chancengleichheit vonFrauen bezeichnet, zeigen feministische Europa-forscherinnen schon seit Jahren ein Auseinanderklaffenvon verankerten Ansprüchen auf Chancengleichheit undfaktischen Lebensbedingungen von Frauen auf. DerBand weist nicht nur auf zum Teil gravierende Defizi-te der europäischen Gleichstellungspolitik hin. Es wer-den auch vielfältige Vorschläge ausgearbeitet, dasGemeinschaftsrecht und seine Instrumente zugunstender Gleichstellung von Frauen zu verbessern.

Ingrid Biermann, Interdisziplinäres Frauenforschungs-Zentrum (IFF), Universität Bielefeld. [email protected]

Der Beitrag wurde auch veröffentlich in:Querelles–Net. Rezensionszeitschrift für Frauen– undGeschlechterforschung, http://www.querelles–net.de, Num-mer 9, März 2003

Caroline Kramer (Hg): FREI-Räume und FREI-Zeiten: Raum-Nutzung und Zeit-Verwendung imGeschlechterverhältnis (Schriften des Heidel-berger Instituts für Interdisziplinäre Frauen- undGeschlechterforschung (HIFI) e.V., Band 5),Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2002,252 Seiten, 24 €, ISBN 3-783789-08338-0

Wie frei können Frauen undMänner über die Nutzungdes Raumes und die Verwen-dung ihrer Zeit verfügen?Diese Frage wurde aus ver-schiedenen Perspektiven an-lässlich einer Tagung, die imJuli 2002 unter der Leitungvon HIFI in Heidelberg statt-fand, erörtert und die Ergeb-nisse sind nun im vorliegen-den Tagungsband vorgestellt.Gemäß der interdisziplinären Ausrichtung des Heidel-berger Instituts thematisieren Expert/innen aus Wis-

senschaft und Praxis und den Fachrichtungen Geogra-phie, Soziologie, Stadt-, Landschafts- und Raumpla-nung, Wirtschaftswissenschaften, Sozialpädagogik undSportwissenschaften Aspekte der Raumaneignung undRaumnutzung – ergänzt um die verschiedenen Gesichts-punkte von Zeit. Dabei stellt die Betrachtung vonGender das verbindende Element zwischen den bei-den Dimensionen Raum und Zeit dar.

Der erste Themenblock widmet sich den „FREI-Räumen im Geschlechterverhältnis“. Dabei gibt derBeitrag von Dr. Caroline Kramer (Universität Heidel-berg) und Dr. Anina Mischau (Universität Bielefeld)zunächst einen differenzierten Überblick zur „Entwick-lung der raumbezogenen Genderforschung“. Anhandrelevanter Schwerpunkte wie „Stadt- und Raumpla-nung“, „Verkehrsplanung“, „Sicherheit“ und „Partizi-pation“ werden unterschiedliche Phasen der raum-bezogenen Frauen- und Genderforschung und derenWirkung auf die Planungspraxis aufgezeigt.

Innerhalb dieses Themas der „FREI-Räume“ be-schäftigt sich ein erster Schwerpunkt mit der „Aneig-nung von öffentlichem Raum im Lebenslauf“. Dr.Gabriele Sobiech (Universität Oldenburg), Nina Feltz(Universität Hamburg) und Heide Studer (Landschafts-planungsbüro „tilia“ Wien) stellen geschlechtsspezifi-sche Raumaneignungen sowie deren Ursachen undFolgen vor. Welche Bedeutung hat die Aneignung vonSport-Spiel-Räumen? Welche Rolle spielen räumlichesVerhalten, Körper, Bewegung bei der Raumaneignung?Auf diese Fragen geben die Beiträge Antworten, wo-bei nicht nur neue Untersuchungsmethoden, sondernmit dem „Mädchengarten“ auch konkrete Beispielevorgestellt werden.

In einem zweiten Themenschwerpunkt werden die„Angsträume“ – auch in ihrer Begrifflichkeit – kritischbetrachtet. Prof. Dr. Ruth Becker (Universität Dort-mund) eröffnet den Diskurs mit dem Appell „Über-windet die Angsträume!“. Mit der Demaskierung des„Angstraums“ zeigt sie auf, dass die bisherige Begriff-lichkeit das Phänomen auf ein psychisches Problemder Frauen reduziert und damit Rollenstereotype ver-festigt. Dr. Herbert Glasauer (Universität Kassel) stelltdemgegenüber in seinem Beitrag das Phänomen desUnsicherheitsempfindens in den Vordergrund. Er plä-diert als Schlussfolgerung für eine Entwicklung „urba-ner Kompetenz“, um die risikoarme Aneignung undNutzung des öffentlichen Raumes zu erreichen.

„Planungsräume für Männer und Frauen“ werdenim dritten Themenschwerpunkt betrachtet. Ilona Hakert(Stadt Offenbach) prüft zentrale Forderungen undThesen aus der frauengerechten Stadt- und Regional-

Page 120: Anina Mischau, Redaktion · 2011. 11. 30. · Anina Mischau, Redaktion EDITORIAL. IFF-Info Zeitschrift des Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrum (IFF) 20. Jahrgang / Nr.25

Rezensionen

120

planung. So ist es zwar gelungen, eine „raumbezogeneGender Praxis“ zu etablieren, vor dem Hintergrundknapper Kassen und starker – auf die Planung einwir-kender – Interessengruppen, z.B. aus der Wirtschaft,stellt sich jedoch die Frage, inwiefern Frauenbelangeauch langfristig berücksichtigt noch sind. Anhand kon-kreter Beispiele zeigt sie schließlich auf, wie eine Raum-planung für Männer und Frauen aussehen kann. Ein-blicke in die Gestaltung des öffentlichen Raumes an-derer europäischer Länder vermittelt Dr. Susanna vonOertzen (Universität Kassel). Sie zeigt Interaktions- undAneignungsmuster aus geschlechtsdifferenzierenderSicht am Beispiel von Quartiersgärten und -plätzen inBarcelona, Paris und Berlin und stellt fest, dass einesog. Nutzungsoffenheit zur Folge hat, dass sich „derStärkere“ durchsetzt. Entsprechend empfiehlt sie, weib-liche Raumaneignung durch das Schaffen von geschütz-ten Freiräumen zu fördern.

„FREI-Zeiten im Geschlechterverhältnis“ stehen imMittelpunkt des zweiten großen Themenblocks. Da-bei wird im ersten Teil die Frage gestellt, inwieweit diesich verändernden Arbeitszeiten und ihre zunehmendeFlexibilisierung für Frauen ein Hindernis darstellen odereine Chance bieten können. Dr. Monika Heinrich undDr. Angelika Schmidt (beide WirtschaftsuniversitätWien) stellen in ihrem Beitrag fest, dass die neuenArbeitszeitmodelle vor allem Frauen mehr Zugang zuerwerbsorganisationalen Räumen verschaffen, sie aberin Hinblick auf Karrieremöglichkeiten kritisch zu se-hen sind. Dieser Sicht schließen sich Dr. Marion Fran-ke (Universität Bielefeld) und Dr. Inge Simöl (Fach-hochschule Regensburg) mit dem Bericht über „Teil-zeit im Management von Organisationen“ an. Sie zei-gen auf, dass alle von ihr betrachteten – und ausschließ-lich von Frauen wahrgenommenen – Formen der Teil-zeitarbeit dazu führen, dass Frauen nicht ins Top-Ma-nagement aufsteigen. Auf Perspektiven weist Dr. Brit-ta Maid (Physikerin bei Phillips Deutschland) in ihremBericht aus der Praxis hin: Wenn das private und be-triebliche Umfeld eine Frau in ihrer Führungspositionunterstützen, lässt sich eine berufliche Karriere auch inTeilzeitarbeit realisieren.

Der zweite Teil des Themenblocks Zeit behandelt„Zeitzwänge im Alltag – Realität und Wahrnehmung“und geht in verschiedenen Beiträgen auf die Restrik-tionen ein, die FREI-Zeiten gegenüberstehen. Mit demProjekt „Bremen 2030 – eine zeitbewusste Stadt“ stelltdie Leiterin des Zeitbüros Gisela Hülsbergen (Univer-sität Bremen) anhand konkreter Beispiele vor, wie durchverbesserte Abstimmung von städtischen Zeitstrukturenmit den Bedürfnissen von Bürgerinnen und Bürgern

größere FREI-Zeiten geschaffen werden sollen. Wiees mit der Gleichstellung von weiblicher und männli-cher Zeit bestellt ist, zeigt Bettina Langfeld (UniversitätGießen). An den geschlechtsspezifischen Rollenmusternhat sich demnach nur wenig geändert, da die Hauptlastder Hausarbeit nach wie vor noch in den Händen –auch erwerbstätiger – Frauen liegt. Dem schließt sichder Beitrag von PD Dr. Ingrid Oswald und ElenaChikadze (beide Centre for Independent Social Re-search / Staatliche Universität St. Petersburg) an. Sieschildern ihre Eindrücke aus Russland und stellen fest,dass sich hier die traditionellen geschlechtsspezifischenArbeitsteilungen trotz politischer Veränderungen kon-stant erhalten haben. Eine neue „Zeitnot“ ist entstan-den, was sie auch mit dem Titel „Überhaupt ist allesviel, viel schneller geworden...“ als resümierende Ein-schätzung zum Ausdruck bringen.

Mit ihrem abschließende Beitrag „Raum, Zeit undGeschlecht im internationalen Kontext“ fasst PD Dr.Birgit Blättel-Mink (Universität Stuttgart) die verschie-denen Inhalte der Tagung noch einmal zusammen undgeht auf die wichtigsten Diskussionsstränge ein. Sieberücksichtigt dabei Unterschiede zwischen Frauen inverschiedenen kulturellen, institutionellen und struktu-rellen Kontexten. Dabei zeigt sie Gemeinsamkeiten, wiez.B. dass Zeit vom familialen Kontext bestimmt wirdund macht ebenso auf unterschiedliche Möglichkeitenbeim Zugang zu Bildung und Partizipation aufmerk-sam. Sie widmet sich der Frage, inwieweit sich das Ge-schlechterverhältnis international annähert. So kommtsie zu dem Schluss, dass sich vor dem Hintergrundunterschiedlicher nationaler und kultureller Besonder-heiten alternative Möglichkeiten für sich entwickelndeLänder ergeben: Sich abweichend von den westlichenMustern zu entfalten kann neue Optionen für Fraueneröffnen.

Die Verbindung von Raum und Zeit mit der Klam-mer einer genderorientierten Betrachtungsweise und ausder Sicht verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen– geschlechtsspezifische Ungleichheiten werden hier be-stätigt, ebenso werden aber auch die Chancen aufge-zeigt, wie Frauen sich mehr Raum und Zeit aneignenkönnen. Mit diesem Tagungsband ist die Schriftenrei-he des Heidelberger Instituts für Interdisziplinäre Frau-en- und Geschlechterforschung um einen wahrlich ge-lungenen Band erweitert worden.

Verena Kiedaisch, city concepts, Heidelberg, mail: [email protected]

Page 121: Anina Mischau, Redaktion · 2011. 11. 30. · Anina Mischau, Redaktion EDITORIAL. IFF-Info Zeitschrift des Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrum (IFF) 20. Jahrgang / Nr.25

Neuerscheinungen

121Info 20.Jg. Nr.25/2003

Regula Julia Leemann: Chancenungleichheitenim Wissenschaftssystem. Wie Geschlecht undsoziale Herkunft Karrieren beeinflussen, RüggerVerlag, Chur/Zürich 2002, 350 Seiten, 35.80 €,ISBN 3-7253-0722-9

Obwohl Frauen in denletzten Jahrzehnten ver-mehrt Zugang zur uni-versitären Ausbildunggefunden haben, sind siein den höheren Positio-nen des wissenschaftli-chen Arbeitsmarktesstark untervertreten. Fürjunge Leute aus tieferensozialen Schichten ist be-reits der Zugang zumHochschulabschlussdeutlich eingeschränkt.

Über deren weiteren Berufsverlauf als wissenschaftli-cher Nachwuchs und die Zugangschancen zur ScientificCommunity ist kaum etwas bekannt.

Im Zentrum dieses Buches steht die Frage nachChancenungleichheiten im wissenschaftlichen Karriere-verlauf. Welche Unterschiede zeigen sich zwischen Frau-en und Männern, welche zwischen Nachkommen ausunterschiedlichen sozialen Schichten. Welche Rolle spielthierbei die disziplinäre Fachzugehörigkeit? Die je nachGeschlechts- und Schichtzugehörigkeit unterschiedlichenZugangs- und Integrationschancen in der Hochschul-laufbahn werden entlang der folgenden Fragenkom-plexe beschrieben und analysiert. Beeinflusst die Ge-schlechtszugehörigkeit und die soziale Herkunft dieMöglichkeiten, sich wissenschaftlich weiterzuquali-fizieren? Gibt es dabei Unterschiede zwischen den Fach-bereichen? Sind Frauen und Nachkommen aus unte-ren sozialen Klassen gleich gut in wissenschaftliche Kon-taktnetze eingebunden wie Männer und Oberschicht-nachkommen? Wie beeinflussen Geschlecht und sozialeHerkunft die Leistungsfähigkeit der Nachwuchskräf-te? Publizieren Männer mehr als Frauen? Ist der wis-senschaftliche Nachwuchs aus tieferen sozialen Schich-ten gleich produktiv wie die Akademikersöhne und -töchter?

Das Buch beantwortet diese Fragen anhand empi-risch quantitativer Analysen für den wissenschaftlichenArbeitsmarkt in der Schweiz und zieht daraus Schlüssefür die wissenschaftliche Nachwuchsförderungspolitik.

Gisela Ecker, Claudia Breger, und SusanneScholz (Hrsg.): Dinge. Medien der Aneignung –Grenzen der Verfügung , Ulrike Helmer Verlag,Königstein/Taunus 2002, 24.80 €,ISBN 3-89741-094-X

Der Band widmet sichder Art, wie wir Dingearrangieren, archivierenund aneignen. Er unter-sucht insbesondere, wiedie mediale Inszenie-rung von Dingen ihnenSinn und Funktion zu-schreibt, dabei aberauch Ambivalenzen er-zeugt: Der uneinge-schränkte Zugriff aufdie Dinge wird in ver-schiedenster Weise im-mer wieder durchkreuzt.

Dinge werden beschrieben, abgebildet, gedacht undgezeigt. Sie fungieren als Schmuck des Körpers eben-so wie als Schmuck des Hauses und demonstrieren soden Geschmack, den Wohlstand sowie die sozialen undgeschlechtlichen Zugehörigkeiten ihrer BesitzerInnen.Auch unsere Erinnerungen an vergangene Zeiten, an-dere Menschen und Orte werden von Dingen geprägt:Fotos wie Souvenirs scheinen uns den Zugang zu ih-nen zu eröffnen. Aber lassen sich die Dinge wirklich soleicht aneignen und unseren Zwecken unterwerfen, oderentziehen sie sich bei näherer Betrachtung den eindeu-tigen Zuordnungen und der uneingeschränktenVerfügungsmacht ihrer BesitzerInnen und Be-trachterInnen? Sind die Fragen „Wer besitzt wen?“,„Wer dient wem?“, „Wer bezeichnet wen?“ überhaupteindeutig zu beantworten? Inwiefern bestimmt dasGeschlecht die Macht über die Dinge? Der Band wid-met sich der Art, wie wir Gegenstände arrangieren,archivieren und aneignen. Er untersucht insbesondere,wie die mediale Inszenierung von Dingen (in Kunstund Literatur, Fotografie und Internet) ihnen ihren Sinnund ihre Funktion zuschreibt, dabei aber immer wie-der auch Ambivalenzen erzeugt: Der uneingeschränkteZugriff des Selbst auf die Dinge wird in verschieden-ster Weise immer wieder durchkreuzt. Die Beiträgebehandeln Arrangements von Schmuck, Kleidung undMöbeln, die sprachliche, fotografische und filmische`Bannung` von Gegenständen und loten dabei nichtzuletzt die Schnittstelle zwischen philosophischen undkulturwissenschaftlichen Zugängen zu den Dingen aus.

Page 122: Anina Mischau, Redaktion · 2011. 11. 30. · Anina Mischau, Redaktion EDITORIAL. IFF-Info Zeitschrift des Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrum (IFF) 20. Jahrgang / Nr.25

Neuerscheinungen

122

Eva Schäfer/Bettina Fritzsche/Claudia Nagode(Hg.): Geschlechterverhältnisse im sozialenWandel. Interdisziplinäre Analysen zu Ge-schlecht und Modernisierung. (Reihe Ge-schlecht und Gesellschaft Bd. 26), Leske +Budrich, Opladen 2002, 347 Seiten, 35 €,ISBN 3-8100-3010-4

Das von der DFG geförderte und zwischenzeitlichabgeschlossene Graduiertenkolleg „Geschlechter-verhältnis und sozialer Wandel“, getragen von denUniversitäten Bielefeld, Bochum, Dortmund und Es-sen, hat mit dem von den Ex-Kollegiatinnen Eva Schä-fer, Bettina Fritzsche und Claudia Nagode herausge-gebenen Band „Geschlechterverhältnisse im sozialenWandel. Interdisziplinäre Analysen zu Geschlecht undModernisierung“ eine Art Bilanz seines wissenschaftli-chen Ertrags vorgelegt. Neben einer Einleitung derbeiden Sprecherinnen Sigrid Metz-Göckel (Dortmund)und Ursula Müller (Bielefeld), die dieses erste Gradu-iertenkolleg sozialwissenschaftlicher Frauen- und Ge-schlechterforschung als Lehr-Lem-Erfährung in einerKultur der Anerkennung und Kritik beleuchten, ent-hält der Band drei große Themenblöcke: l. Verall-täglichung der Frauenbewegung: Netzwerke und neueRäume (hierin auch ein Beitrag der Bielefelder Dokto-randin Beate Kortendiek), 2. Staat, Organisationen undProfessionen - Verschiebungen und Widersprüche(„Bielefelder“ Beiträge von Birgit Riegraf sowie vonEllen Kuhlmann/Edelgard Kutzner/Ursula Müller/Sylvia Wilz), und 3. Subjektkonstitution und Handlungs-spielräume - empirische Dimensionen von Ermögli-chung und Verhinderung eigensinniger Lebenspraxisvon Frauen („Bielefelder“ Beiträge von Gabriele Wag-ner, Eszter Belinszki und Mechtild Oechsle).

Renate Nestvogel: Aufwachsen in verschiede-nen Kulturen. Weibliche Sozialisation undGeschlechterverhältnisse in Kindheit undJugend, Deutscher Studien Verlag, Weinheim/Basel 2002, 600 Seiten, 39 €, ISBN: 3-407-32010-8

Diese Studie vermittelt exemplarische Einblicke in dieVielfalt weiblicher Sozialisationsverläufe in verschiede-nen Kulturen und Gesellschaften des heutigen Welt-systems. Im Zentrum stehen ausgewählte Sozialisations-aspekte zur Kindheits- und Jugendphase, z.B. zum Auf-wachsen in der Familie oder unter Gleichaltrigen, zu

Erfahrungen in der Schule oder bei Kinderarbeit, zurEntwicklung von Kreativität über Spiele, Feste, kultur-spezifische Märchen, Legenden etc., zur Geschlechterund Körpersozialisation, zur Identitätssuche, zur mo-ralischen, religiösen, politischen und beruflichen Sozia-lisation sowie zum Umgang mit »kritischen« Lebenssi-tuationen wie der ersten Menstruation, Sexualität, un-gewollter Schwangerschaft und der Ablösung vomElternhaus oder der Erfahrung mit Benachteiligungen,Diskriminierung und kulturellen Zuschreibungen. Zudiesen und weiteren Aspekten wurden Textauszüge ausErzählungen, Romanen, Biographien und Autobiogra-phien von Frauen aus verschiedenen Ländern zusam-mengestellt. Die theoriegeleiteten Einführungen zu je-dem Sozialisationsaspekt enthalten Ergebnisse aus derForschung sowie Begriffserklärungen, die zu einemVerstehen der dargestellten kulturellen Heterogenität inder »Einen Welt« beitragen sollen.

Gather, Claudia/ Geissler, Birgit/ Rerrich, MariaS. (Hg.): Weltmarkt Privathaushalt. BezahlteHaushaltsarbeit im globalen Wandel (ForumFrauenforschung Band 15), Verlag Westfäli-sches Dampfboot, Münster 2002, 238 Seiten.20.50 €, ISBN 3-89691-215-1

Über vier MillionenHaushalte in Deutsch-land beschäftigen Perso-nen für Haushaltsarbei-ten; die haushaltsbezo-genen Dienstleistungen(außerhalb des Haushaltsselber) in Markt, Staatund Drittem Sektor neh-men zu. Aber: Die Sozi-alwissenschaften thema-tisieren Hausarbeit –wenn überhaupt – als„unbezahlte Hausar-beit“; die Arbeitssoziologie interessiert sich bisher nichtfür die Erwerbsarbeit im Haushalt. Auch in der Dis-kussion zur Dienstleistungs-Gesellschaft spielt sie keineRolle.

Zur Auslotung des Forschungsfeldes thematisierendie Beiträge des Bandes Struktur, Inhalt und künftigenBedarf an bezahlter Haushaltsarbeit, die interaktiveGestaltung der Arbeitsverhältnisse und die Lebensläu-

Page 123: Anina Mischau, Redaktion · 2011. 11. 30. · Anina Mischau, Redaktion EDITORIAL. IFF-Info Zeitschrift des Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrum (IFF) 20. Jahrgang / Nr.25

Neuerscheinungen

123Info 20.Jg. Nr.25/2003

Renate Kroll (Hg.): Metzler Lexikon GenderStudies - Geschlechterforschung. Ansätze,Personen, Grundbegriffe, Metzler Verlag,Stuttgart 2002, 450 Seiten,39.90 €, ISBN 3476018172

Ein Lexikon zum The-menkomplex „GenderStudies/Geschlechter-forschung“ ist imdeutschsprachigen Raumkonkurrenzlos. SeineNotwendigkeit ergibtsich aus der bahnbre-chenden Entwicklungder Gender Studies seitden 1960er Jahren. Ihrevielfältigen Denkansätzeund Forschungsrichtun-gen wie z. B. Frauenfor-schung, Women’s Studies, Men’s Studies und QueerStudies gründen auf der Erkenntnis, dass „gender“ eineelementare Analysekategorie in den Geistes- undKulturwissenschaften ist, die eine Revision desWissenschaftsverständnisses notwendig macht. DiesesLexikon spiegelt den aktuellen Forschungsstand derGender-Theorien in den einzelnen wissenschaftlichenBereichen wider.

fe der Beschäftigten, ihre soziale und ethnische Zusam-mensetzung und die Verbindung mit globalenMigrationsprozessen, und - nicht zuletzt - Entwicklungs-perspektiven und politischen Regulierungsbedarf.

Britta Zangen (Hg.): Feministische Utopien.Zukunftsmodelle aus Frauensicht. Brücken &Sulzer Verlag, Overath 2002, 137 Seiten, 9.50 €,ISBN 3-936405-04-2

Das Buch ist eine Zusam-menfassung der Berichteder Tagung „FeministischeUtopien“, die von der fe-ministischen Partei „DieFrauen“ am 13. April2002 ausgerichtet wur-de.Die Autorinnen desSammelbandes lieferneine anregende Fülle derunterschiedlichsten Ge-dankenspiele, Visionenund Zukunftsmodelle -Utopien eben - aus den

Bereichen Soziologie, Ökonomie, Naturwissenschaf-ten, Politik, Kultur und Religion. So unterschiedlich dieAnsätze auch sind, es verbindet sie doch ein gemeinsa-mer Nenner: Sie gehen alle davon aus, dass es die Frauensein müssen und sein werden, die die Alternativen er-denken und umsetzen.

Page 124: Anina Mischau, Redaktion · 2011. 11. 30. · Anina Mischau, Redaktion EDITORIAL. IFF-Info Zeitschrift des Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrum (IFF) 20. Jahrgang / Nr.25

Infos

124

Politics of Belonging: Gender and Trans-national Migration16. 05. 2003 BochumWorkshop der Marie-Jahoda-Gastprofessur für Inter-nationale Frauenforschung in Bochum mit den Gast-professorinnen Nadje Al-Ali und Nira Yuval-DavisWeitere Informationen unter: http://www.ruhr-uni-bochum.de/femsoz und Koordination Gastprofessur,Charlotte Ullric, Fakultät für Sozialwissenschaft,Universitätsstr. 150, 44780 Bochum, Tel.: 0234-3222986, Email: [email protected]

Gender Studies zwischen Theorie und Praxis:Standortbestimmungen24. - 25.04. 2003, Universität KonstanzGemeinsame Tagung des Kompetenzzentrum GenderStudies Zürich und des Frauenrat der Universität Kon-stanz gemeinsam eine Gender StudiesDie rasante Zunahme von Publikationen und For-schungsarbeiten zum Thema Gender hat einerseits zurInstitutionalisierung der Gender Studies beigetragen,andererseits aber zu einer Diversifizierung geführt, diedas Feld der Gender Studies unübersichtlicher undschwerer greifbar werden lassen. Die Tagung möchtedaher ein Diskussionsforum für Standortbestimmun-gen und Zukunftsperspektiven der Gender Studies bie-ten. Themenschwerpunkte sind: Von Sex zu Genderund zurück?, Qeering Gender - Gendering Queer,Gender Studies zwischen Wissenschaftstheorie undGesellschaftskritik, Erfahrungen mit Gender-Studien-gängen.Weitere Informationen und Anmeldung:Frauenrat Universität Konstanz, Postfach D 94, 78457Konstanz, Tel.: 07531-88 20 32; oder unter http://www.genderstudies.unizh.ch/aktuell.htm

Interdisziplinäres Colloquium: Pazifistinnen/Pazifisten – Friedens- und Konfliktforschung alsGeschlechterforschung09.05. - 10.05.2003 BerlinDas Colloquium will neue Ansätze und Ergebnisse ausder historischen und sozialwissenschaftlichen Friedens-und Konfliktforschung vorstellen und diskutieren. Zielist es dabei nicht nur die aktuelle Relevanz einer alsGeschlechterforschung betriebenen Friedens- undKonfliktforschung zu zeigen. Zugleich soll dasüberkommene Bild von PazifistInnen und Pazifismusin Geschichte und Gegenwart differenziert werden. ImMittelpunkt des interdisziplinären Colloquiums soll die

Frage stehen, wie in den historischen und aktuellenDiskursen zu Friedenspolitik, Demilitarisierung und„Peacekeeping“ Weiblichkeit und Männlichkeit konstru-iert werden und wie umgekehrt Geschlechterbilder dieMöglichkeiten und Grenzen der Demilitarisierung unddie Ausformung von Friedenspolitik und PeaceKeeping beeinflussen. Der Zeitraum, der dabei in denBlick genommen wird, reicht von den Anfängen derpazifistischen Bewegung im späten 19. Jahrhundert biszur Gegenwart.Organisation: Heinrich-Böll-Stiftung und Zentrum fürInterdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschungder Technischen Universität Berlin in Kooperation mitder Arbeitsgemeinschaft für Friedens- und Konflikt-forschung und dem Arbeitskreis Historische Friedens-forschung.Weitere Informationen:http://www.tu-berlin.de/zifg/events/tagungen.html

29. Kongress von Frauen in Naturwissenschaftund Technik29.05.-01.06.2003 in BerlinDer Kongress bietet seit seiner Gründung im Jahr 1977Naturwissenschaftlerinnen, Technikerinnen und Hand-werkerinnen (zunehmend aber auch Interessierten an-derer Disziplinen) ein Forum zum Austausch. Zweiwesentliche Ziele werden dabei traditionell verfolgt: 1.Über fachliche und persönliche Auseinandersetzung mitder Studien- und Berufssituation weitreichende Netz-werke schaffen und pflegen und 2. mehr junge Frauenfür eine Karriere in Naturwissenschaft und Technikgewinnen.Dieses Jahr steht der Kongress unter dem Mottostandard: abweichung. Standardisierung und Normie-rung beeinflussen unsere Wahrnehmung der Welt - sieerleichtern uns die Orientierung im Alltag. Im Bereichvon Naturwissenschaft und Technik haben Standardsund Raster ein besonderes Gewicht: Hier gelten Stan-dards als Garant für klare Resultate und reproduzierbareErgebnisse. Während der vier Kongresstage geht esdarum, diese scheinbar objektiven Richtwerte zu be-nennen und zu hinterfragen:Weitere Informationen und Anmeldung:Käthe und Clara, Verein zur Förderung von Frauenund Mädchen in Naturwissenschaft und Technik e. V.,c/o TU Berlin, Sekr. EN 9, Straße des 17. Juni 135,10623 Berlin, http://finut2003.leipzigerinnen.de

Page 125: Anina Mischau, Redaktion · 2011. 11. 30. · Anina Mischau, Redaktion EDITORIAL. IFF-Info Zeitschrift des Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrum (IFF) 20. Jahrgang / Nr.25

Infos

125Info 20.Jg. Nr.25/2003

Körper und Identität. Gesellschaft auf den LeibgeschriebenTagung vom 13. - 15. Juni 2003 in MarburgDie Tagung findet im Rahmen des Arbeitsbereichs IV„Körper und Identität“ des Zentrums für GenderStudies und feministische Zukunftsforschung der Phil-ipps-Universität Marburg statt. Referent(inn)en sind u.a.:Prof. Barbara Duden von der Universität Hannover,Prof. Klaus Theweleit von der Albert-Ludwigs-Uni-versität Freiburg, Prof. Dr. Elisabeth Rohr von derUniversität Marburg und Prof. Karin Flaake von derCarl von Ossietzky Universität Oldenburg. Neben denvier Hauptvorträgen finden themenbezogene interdis-ziplinär ausgerichtete Workshops statt.Weitere Informationen und Anmeldung:Zentrum für Gender Studies und feministische Zu-kunftsforschung, Karl-von-Frisch-Straße 8a, 35032Marburg, Tel.: 06421-28 248 23, http://www.uni-marburg.de/genderzukunft/

5th European Feminist Conference: Gender andPower in the New Europe19. - 24.08. 2003, Lund University, SüdschwedenThe conference will be structured around parallelthematic workshops, some directly related to the maintheme and others focused upon wider issues in thefield of feminist and gender studies. The workshopswill address, illuminate, integrate, question ordeconstruct the central categories of class, ethnicity,sexualities and generations. In the tittles of these broadworkshop streams, the terms, gender, power, women,class, ethnicity, sexualities and generations are notrepeated since we assume that these concepts are treatedin a variety of ways in every workshop stream. Thesethemes are: Global and Changing Europe, Equality,Resistance and Empowerment, Normativity andHegemony, Bodies and Pleasure, Academy, Science andTechnology Studies and Feminism/Space and Diversity,Bodies, Embodiment and Health, Violence, Militarism,War and Peace, Critical Studies of Men, Women’s/Gender/Feminist Studies in Europe, Theory, Metho-dology and Epistemology, Language, Images and Re-presentation, Working, Welfare States, Labour Marketsand Migration, Narratives and Memories, Sources forResearch and Action - the politics of feminist per-spectives on information and documentation.Information und Anmeldung:http://www.5thfeminist.lu.se

Informatica Feminale 20036. Sommerstudium in der Universität Bremenvom 25. August - 5. September 20033. Baden-Württembergisches Sommerstudiumin der Fachhochschule Furtwangenvom 14. - 20. September 2003Zum sechsten Mal wird die Universität Bremen imRahmen der Informatica Feminale ein Sommerstudiumfür Frauen in der Informatik veranstalten. DieInformatica Feminale schafft Orte des Experimentie-rens, um neue Konzepte in der Informatikausbildungzu finden.Nach zwei erfolgreichen Sommerhochschulen 2001 ander Fachhochschule Furtwangen und 2002 in der Uni-versität Freiburg findet 2003 die dritte baden-württembergische Informatica Feminale wieder an derFH Furtwangen statt. Das Programm soll neben An-geboten für Frauen in der Informatik auch Kurse fürStudentinnen in den Ingenieurwissenschaften umfas-sen, die sich mit informationstechnischen Fragen aus-einandersetzen möchten. Mit diesem Angebot wird esInteressierten aus dem Süden Deutschlands erleichtert,sich in einer lernförderlichen Atmosphäre nur unterFrauen weiter zu qualifizieren.Beide Sommerstudien in Bremen und Furtwangen sindoffen für Dozentinnen und Studentinnen aus dem ge-samten Bundesgebiet und sehr gern darüber hinaus!Es wird zugleich auf das neue österreichische Ange-bot ditact_women´s IT summer studies (http://www.ditact.ac.at) hingewiesen, das vom 01.-13.9.2003in Salzburg stattfinden wird.Weitere Informationen:http://www.informatica-feminale.de/Sommer-studium/Call.html

Page 126: Anina Mischau, Redaktion · 2011. 11. 30. · Anina Mischau, Redaktion EDITORIAL. IFF-Info Zeitschrift des Interdisziplinären Frauenforschungs-Zentrum (IFF) 20. Jahrgang / Nr.25

Infos

126