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Argumente und Materialien zum Zeitgeschehen Nr. 52 ... · Einführung Nicolai von Rimscha Zu den Standardaussagen in der Reform-debatte um den Sozialstaat gehört die Fest-stellung,

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ISBN 978-3-88795-309-6

© 2007 Hanns-Seidel-Stiftung e.V., MünchenAkademie für Politik und ZeitgeschehenVerantwortlich: Dr. Reinhard C. Meier-Walser (Chefredakteur)

Redaktion:Barbara Fürbeth M.A. (Redaktionsleiterin)Susanne Berke Dipl.-Bibl. (Redakteurin)Christa Frankenhauser (Redaktionsassistentin)

Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form(durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren)ohne schriftliche Genehmigung der Redaktion reproduziertoder unter Verwendung elektronischer Systemeverarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

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Inhaltsverzeichnis

Nicolai von RimschaEinführung..............................................................................................................................5

Adalbert EversWie lassen sich die Ressourcen der Zivilgesellschaft für den Sozialstaat nutzen?................7

Konrad HummelDie Bürgerkommune als Ernstfall des Sozialstaates............................................................15

Bud A. WillimUnterstützung bürgerschaftlichen Engagements im sozialen Bereichals Aufgabe der Sozialverwaltung in München ...................................................................19

Knut LehmannDie Rolle der Wohlfahrtsverbände im sich wandelnden Sozialstaat ...................................27

Petra KinzlCorporate Social Responsibility (CSR) in der Praxis am Beispielder betapharm Arzneimittel GmbH......................................................................................33

René SchmidpeterBürgerschaftliches Engagement von Unternehmen .............................................................39

Konstanze FrischenAshoka – Social Entrepreneurship als Prinzip nachhaltiger Entwicklung...........................45

Matthias SehlingFinanzierung bürgerschaftlichen Engagements ...................................................................51

Fritz MorgensternBürgerstiftungen als Instrument der Mobilisierung und Kanalisierungbürgerschaftlichen Engagements: Beispiel Landkreis Fürstenfeldbruck .............................57

Marieluise DulichDie Kooperation mit den staatlichen Behörden aus der Sicht einerFreiwilligenagentur ..............................................................................................................61

Josef MartinSeniorengenossenschaft Riedlingen.....................................................................................71

Hannelore KietheFinanzierung sozialen Engagements am Beispiel der Münchner Tafel ...............................75

Autorenverzeichnis...............................................................................................................79

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Einführung

Nicolai von Rimscha

Zu den Standardaussagen in der Reform-debatte um den Sozialstaat gehört die Fest-stellung, der Staat "stoße an die Grenzenseiner Leistungsfähigkeit" und müsse sichdaher auf seine "Kernaufgaben" konzent-rieren. Auch die Forderung nach mehr bür-gerschaftlichem Engagement wird häufigin diesem Sinne verstanden. Das Konzepteiner aktiven Bürgergemeinschaft bedeutetjedoch nicht, dass der Staat sich aus be-stimmten Aufgaben einfach zurückziehtund deren Erfüllung den Bürgern überlässt.Seine Tätigkeit verändert sich vielmehr: erschafft Raum für bürgerschaftliches Enga-gement, fördert es, koordiniert und koope-riert. Ziel ist kein Nebeneinander vonstaatlichem und bürgerschaftlichem Tun,und natürlich auch kein Gegeneinander,sondern ein Miteinander im Sinne der vonder Bürgergesellschaft propagierten Ver-antwortungsgemeinschaft zwischen Bürgerund Staat. Hierfür reicht es nicht aus, denBürger zu "aktivieren", vielmehr muss derStaat seine Institutionen dem bürgerschaft-lichen Engagement öffnen und in fast allenBereichen staatlichen Handelns bedenken,ob und wie die Bürgergesellschaft einge-bunden werden kann. Auch die staatlichenInstitutionen müssen also umlernen, damitdie Ressourcen gesellschaftlichen Enga-gements ausgeschöpft werden können.

Die folgenden Beiträge beruhen auf einerFachtagung der Hanns-Seidel-Stiftung inWildbad Kreuth. Sie reichen von der Be-schreibung "klassischer" Formen bürger-schaftlichem Engagements im sozialenBereich bis hin zur Schilderung innovati-ver Ansätze, bei denen die Verwaltungkomplementär mit Bürgern zusammenar-beitet, wie bei dem Augsburger Modell der

"Paten": Dort öffnen sich die Ämter denfreiwilligen Sozial-, Familien- oder Ju-gendpaten, die eigenständig und auf Au-genhöhe mit den Mitarbeitern der Behördearbeiten. Diese haben ihre Tätigkeit umge-stellt und koordinieren jetzt die Bera-tungstätigkeit der Paten, anstatt die Bera-tungen selbst durchzuführen.

Eine durchaus erwägenswerte Alternativebesteht in einem "dritten Weg" zwischenunentgeltlichem und entgeltlichem Tätig-werden: So erhalten beispielsweise dieMitglieder der Riedlinger Seniorengenos-senschaft, die Betreuungs- und Pflegeauf-gaben für alte Menschen erbringen, für ihreDienste ein niedriges Entgelt oder sie spa-ren die geleisteten Stunden an, um sichspäter – bei eigener Hilfsbedürftigkeit –Leistungen zu sichern.

Durch die Vielzahl der hier versammeltenBeispiele wird die Bandbreite bürger-schaftlichen Engagements deutlich und derBegriff "Bürgergesellschaft" konkret. Eszeigt sich auch, dass gesellschaftlichesEngagement nicht auf bestimmte Nischen-bereiche und traditionelle Engagementfor-men beschränkt ist.

Mit der Publikation soll aber nicht nur diebestehende Vielfalt der Formen bürger-schaftlichen Engagements dargestellt, son-dern Wege gewiesen werden, wie die Zu-sammenarbeit zwischen Bürgern – wozuauch die "Unternehmensbürger" gehören –und dem Staat im Bereich des Sozialenintensiviert und verbessert werden kann.Handlungsbedarf besteht hier vor allem aufSeiten des Staates: Soziale Einrichtungenmüssen sich in einem weitaus größeremMaß der Bürgergesellschaft öffnen, zur

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Mitarbeit einladen und ermuntern, eineneue Kultur der Mitwirkung und Mitver-antwortung der Bürger schaffen. Dabeiwäre eine größere Autonomie sozialer Ein-richtungen sowie ihre bessere Vernetzunguntereinander von Nutzen.

Ein Hindernis für bürgerschaftliches Enga-gement sind außerdem oft die rechtlichenRahmenbedingungen, beispielsweise imVersicherungs-, Steuer- und Gewerberecht.

Hier ist die Politik gefordert, entsprechen-de Änderungen in die Wege zu leiten.

Die Grenzen bürgerschaftlichen Engage-ments liegen darin, dass es aufgrund seinerFreiwilligkeit in gewisser Weise "unzu-verlässig" bleibt. Bürgerengagement kannöffentliche Systeme daher nicht ersetzen,sondern immer nur ergänzen – zum Bei-spiel um Angebote, die ansonsten nichtfinanzierbar wären.

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Wie lassen sich die Ressourcen der Zivilgesellschaft für den Sozialstaat nutzen?∗

Adalbert Evers

Zur Einleitung: Aufwertung von Enga-gement und Bürgergesellschaft – Wegeund Sackgassen

Wenn man das Thema Sozialstaat undBürgergesellschaft diskutiert, soll zunächstdaran erinnert werden, dass der Begriff derBürgergesellschaft zugleich Wirklichkeits-beschreibung und Programm ist: Im Rah-men einer sozialstaatlichen Demokratiesind die Gesellschaftsmitglieder dieserBundesrepublik Mitglieder einer Bürgerge-sellschaft. Gleichzeitig ist die Bürgerge-sellschaft – zu messen an Kriterien wie derBereitschaft zur Beteiligung an Angele-genheiten des Gemeinwesens, der Fähig-keit sich zusammenzutun und den Mög-lichkeiten, auch tatsächlich etwas zu be-wegen – aber auch ein unvollendetes undimmer wieder gefährdetes Projekt. Mankönnte also fragen: Wie viel der geradeangesprochenen bürgergesellschaftlichenRessourcen gibt es eigentlich Anno 2006in Deutschland? Und wie offen ist der So-zialstaat dafür? Eine weit verbreitete Ant-wort lautet dann: Der Sozialstaat tut viel,aber manches kann nur durch das Engage-ment der Bürger geleistet werden. Unddafür braucht es dann eine Extra-Unterstützung des Sozialstaates. Eine an-dere Antwort würde lauten: Die mit demSozialstaat einhergehende Bürokratisie-rung und Ursupation von Verantwortungmacht es heute dem Bürger überall dortschwer mitzugestalten, wo er nicht ohnehinals "Notnagel" gefragt ist. Auf eine Nut-zung der Ressourcen der Bürgergesell-schaft auch jenseits der dafür schon bereit-gehaltenen Nischen sind beide Seiten nochkaum eingestellt – Politik und Verwaltungund oft auch die Bürger selbst. Diese The-se würde auch ich vertreten.

Für die Frage, wie nun zukünftig ein brei-terer und eigenständiger Beitrag der Bür-gergesellschaft zum Umgang mit sozialpo-litischen Herausforderungen Anerkennungfinden soll, stehen neue Slogans schon seitJahren bereit: So z.B. mit der Rede vom"ermöglichenden" oder "aktivierenden"Staat, der eher in Fähigkeiten zur Eigen-verantwortung und Engagementbereit-schaft investiert, statt lediglich zu versor-gen. Aber man darf skeptisch sein; viel-leicht sind die professionellen Wortschöp-fer auch hier der Realität von Politik weitvorausgeeilt.

Im Folgenden soll es nicht um ein Gesamt-design gehen, sondern um eine Reihe vonBefunden und Vorschlägen zur Verbesse-rung des Wechselverhältnisses von Sozial-staat und Bürgergesellschaft. Meine Ar-gumentationsführung möchte dabei derTatsache Rechnung tragen, dass das Ver-ständnis von der Sache, das in der öffentli-chen Diskussion vorherrscht, in vieler Hin-sicht vorgeprägt und verfestigt ist. Es gilt,sich mit diesen verfestigten Vorverständ-nissen zu konfrontieren, wenn man zurFrage der mögliche Nutzung von Ressour-cen der Bürgergesellschaft etwas Weiter-führendes sagen will. Das, was den Betei-ligten heute im Wege steht, ist ein be-stimmter Diskurs über das Ehrenamt unddas, was man üblicherweise die "Verbesse-rung der Rahmenbedingungen für bürger-schaftliches Engagement" nennt. MeineKritik daran würde lauten, dass dieser Dis-kurs an entscheidenden Punkten die Her-ausforderung zu einer Einbeziehung derRessourcen der Bürgergesellschaft ver-niedlicht, und zwar, insoweit nach demMotto verfahren wird: Wir machen weiterwie bisher und fördern außerdem auch

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noch ehrenamtliches Engagement – z.B.durch bessere soziale Absicherung, Preis-verleihungen und durch die Einrichtungvon Ehrenamtagenturen. Demgegenübermeine ich: Wenn es um Ressourcen derBürgergesellschaft geht, dann ist individu-elles ehrenamtliches Engagement nur eineFacette davon. Und die Berücksichtigungdieser Ressourcen erfordert einen Umbausozialpolitischer Einrichtungen undDienste, ihre umfassende "Öffnung" zurBürgergesellschaft. Vor allem davon wirdim Folgenden die Rede sein. Dargestelltwerden soll aber auch, was es für Sozial-staat und Politik bedeuten könnte, wennAnerkennung und Nutzung von Beiträgender Bürgergesellschaft als Quer-schnittsaufgabe der Gesamtpolitik undnicht allein als Spezialaufgabe "Ehren-amtsförderung" begriffen werden. In sechsAbschnitten soll das alles nun anschaulichgemacht werden – eine Einladung zu ei-nem sicherlich unbequemen aber auch loh-nenswerten Umdenken in Sachen Sozial-staat und Bürger.

1. Statt so viel vom Ehrenamt zu reden,sollte man sehr viel mehr die Vielfaltheutiger Formen des Engagements an-erkennen

Das Ehrenamt ist ja lediglich der stark ver-fasste und formalisierte Teil von Engage-ment. Das gibt es aber auch in Form vonMitgliedschaften, Spendenbereitschaft undvielen anderen Formen der Überwindungvon Indifferenz – im lokalen und weiterenUmfeld, aber auch im Beruf. Wenn manbedenkt, dass mit einem funktionierendenöffentlichen Dienst auch immer so etwaswie ein spezieller Ethos der Gemeinwohl-orientierung der dort Beschäftigten einher-ging, stellt sich die Frage, ob man heutedarauf verzichten kann, oder ob es nicht anangemessenen Formen der Engagement-förderung für diejenigen, die "im öffentli-chen Dienst" arbeiten, fehlt. Und mansollte ebenfalls bedenken, dass die socialweekends von Managern bei einer Dro-

genberatungsstelle ihre Pointe ja darin ha-ben sollen, den Blickwinkel, unter dem siealltäglich ihr Leben und ihre Arbeit be-trachten, zu verändern. Fragen des Enga-gements gewissermaßen in einem eige-nen Bereich und speziell in der Form derEhrenamtlichkeit abzugrenzen, mag Vor-teile haben; der Nachteil ist, dass man da-mit womöglich andere Formen und Berei-che, in denen Engagement nicht so präg-nant verfasst ist, in ihrer Bedeutung unter-schätzt – Mitgliedschaften, gelegentlichesEngagement, Spenden und einen be-stimmten Ethos, der auch in der Be-rufsausübung eine Rolle spielen sollte.Ausgedrückt mit einem Beispiel: In denöffentlichen Einrichtungen einer Kommu-ne ein bestimmtes Klima der Anstrengung,Aufmerksamkeit und Verantwortlichkeitzu fördern, kann sehr viel wichtiger sein,als Gelder für eine Ehrenamtsagentur ab-zusegnen.

2. Statt bürgerschaftliches Engagementin einigen speziellen Bereichen der So-zialpolitik zur zentralen Größe zu ma-chen, sollte es eher als begrenzter Bei-trag auf möglichst vielen sozialpoliti-schen Aufgabengebieten verstandenwerden

Es gibt einen viel verwendeten Spruch, dereine verräterische Doppelbedeutung hat:Engagement ist dort unersetzlich, wo Staatund Markt an ihre Grenzen geraten. Zu-nächst einmal: Wo sind die Grenzen fürstaatliche und/oder marktliche Lösungen?Wer legt sie politisch fest? Und zumZweiten: Bedeutet das, dass im marktli-chen und sozial-staatlichen Bereich bür-gergesellschaftliche Beiträge nichts verlo-ren haben? Fast will es so scheinen. Wennheute z.B. Wohlfahrtsverbände ihr Enga-gement fürs Ehrenamt mit Verweis auf diekleinteiligen Bereiche von stadtteilnaherArbeit, Angeboten für Jugendliche,Migranten u.Ä. illustrieren, ist ja daraneigentlich das interessanter, was sie dabeinicht thematisieren: Ihre großen Ge-

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schäftsbereiche bei der Krankenhausver-sorgung z.B., die üblichen Formen derKindertagesstättenbetreuung, die Sozial-stationen, Heime u.a.m. Besteht nicht dieGefahr, dass Engagement überall dort fürzentral erklärt wird, wo weder ein Geschäftzu machen noch Wählerzuspruch zu er-warten ist? Und ist nicht die Kehrseite die-ser Hochschätzung von kleinen Projektenund Initiativen, dass Staat, Kommunen undgroße Träger Engagement weitgehend ausden Geschäften der sozialstaatlichenGroßinstitutionen herauszuhalten suchen?Kann sich jemand etwas unter Bürgeren-gagement bei der Neugestaltung unsererKrankenhäuser vorstellen? Hat das Wortvon der Öffnung der Schule noch Gültig-keit, wenn die Politik gerade ihre Muskelnspielen lässt und verspricht, die Schulenaus eigener Kraft zum perfekten Ganztags-angebot aufzurüsten? Ist man in den letztenJahren mit dem "Laien"-Engagement vonKirchen, Gewerkschaften u.a. Vertreternder örtlichen Bürgergesellschaft nicht allzuschnell fertiggeworden – im Rahmen derProfessionalisierung von Arbeitsmarktpo-litik durch Fallmanager aus Arbeits- undSozialämtern? Prüfstein für einen Sozial-staat, der ein produktiveres Verhältnis zurBürgergesellschaft zu finden sucht, wärealso nicht so sehr das Loblied auf das auf-opferungsvolle Engagement in den Lü-cken, die er nicht selbst bearbeitet, sondernvielmehr die (Wieder-)Einführung einerbürgerschaftlichen Dimension dort, woSozialstaat schon längst präsent ist – undzwar zumeist mit Alleinvertretungsan-spruch von Staat und Professionen. Mitanderen Worten: Eine entscheidende Her-ausforderung bei der Neugestaltung desVerhältnisses von Sozialstaat und Bürger-gesellschaft liegt darin, welche Konse-quenzen aus der Tatsache gezogen werden,dass der Sozialstaat auch in seinen eigenenKompetenzbereichen nicht alles richtenkann – soll das allein zu einer Ausweitungkommerzieller Elemente, zu mehr Marktim Sozialbereich führen, oder sollte esnicht weit stärker als bisher auch als Auf-gabe der Stärkung bürgergesellschaftlicher

Beiträge begriffen werden? Im Gesund-heitswesen z.B. pendeln die üblichen Kon-troversen allein zwischen Markt und Sozi-alstaat: Wenn der Sozialbürger stärker zumselbst zahlenden Kunden wird, soll dasmehr Eigenverantwortung produzieren.Aus der bürgergesellschaftlichen Perspek-tive könnte die Frage der Stärkung vonEigenverantwortlichkeit aber nun auchanders formuliert werden: Die Mündigkeitder Adressaten kann im Gesundheitsbe-reich z.B. oft vor allem dadurch gefördertwerden, dass sie etwa bei chronischen Be-schwerden Zugang zu Informationen, Kur-sen, gesundheitsförderlichen Angebotenerhalten, um so im Rahmen dieser anderenForm von eigener Beteiligung mehr Fähig-keit zur Eigenverantwortung zu erwerben;die so erworbene Mündigkeit kann sichdann auch dort auszahlen, wo die BürgerKunden und Klienten sind – im Kranken-haus oder in der Arztpraxis. Das führt zueinem nächsten Punkt:

3. Statt die Aufwertung von Bürgerge-sellschaft vor allem als Gewinnung vonmehr Ehrenamtlichen zu interpretieren,sollte sie im Bereich der Sozialpolitikeher als die Aufgabe verstanden werden,soziale Einrichtungen hin zur Bürgerge-sellschaft zu öffnen

Die Fixierung öffentlicher Stellen und frei-er Träger auf Ehrenamtsrekrutierung lenktvon der grundlegenderen, den gesamtennicht-kommerziellen Bereich von Ange-boten und Diensten betreffenden Frage ab:Wie kann durch vielfältige Bezüge zurBürgergesellschaft eine Kultur der Beteili-gung entstehen und gefördert werden, imRahmen derer dann auch ehrenamtlicheFormen ihren Stellenwert erhalten? EineUntersuchung, die der Verfasser diesesBeitrags bei Einrichtungen der Kultur,Schulen und Angeboten der Altenpflegedurchgeführt hat, – also bei öffentlichenEinrichtungen im weiteren Sinne – hat u.a.Folgendes gezeigt: Soll ehrenamtlicheMitarbeit nicht, gewissermaßen als Fremd-

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körper, einer professionellen und lokalkaum präsenten und eingebunden Organi-sation angehängt werden, dann geht eszunächst um etwas anderes: Leitbilder undHandlungsstile von öffentlichen und sozi-alen Einrichtungen zu entwickeln, die de-ren "Resozialisierung" betreiben. Ein kur-zer illustrativer Einstieg mag verdeutli-chen, worum es geht.

Im Schulbereich sind in jüngster Zeit unterdem Eindruck des 'PISA–Schocks' vorallem Modellbeispiele in den Vordergrundgerückt worden, die Marktelemente imweitesten Sinne stärken sollen: mehr Ent-scheidungsfreiheit der einzelnen Schule,auch in finanziellen Angelegenheiten; eingrößeres eigenes Budget; Raum für eineigenes Personalmanagement, im Rahmendessen man nicht nur Lehrer, sondern auchandere, z.T. nur vorübergehend benötigteFachkräfte anstellen kann (für Kinder-betreuung, ein Theaterprojekt o.Ä.); Aus-bildung spezifischer Schulprofile, so dassSchulen im Wettbewerb miteinander Qua-lität definieren können. Weitere Entwick-lungen werden in der schulinternen Dis-kussion unter der Überschrift 'Öffnung derSchule nach innen und nach außen' disku-tiert. Öffnung nach innen meint vor allem,alle Beteiligten, insbesondere aber auch dieSchüler, tatsächlich an der alltäglichenVerwaltung der Schule zu beteiligen – jen-seits eingefahrener Rituale der Schüler-selbstverwaltung; Öffnung nach außenmeint die Aufwertung von Beziehungen zuElternfördervereinen, die materiell zu denRessourcen der Schule beitragen, z.B. zumAufbau von Kapazitäten zur Tagesbetreu-ung von Schülern; Fördervereine und ande-re Beteiligungsangebote bieten aber auchsymbolische Identifikationsmöglichkeiten;'Öffnung nach außen' meint weiterhinPartnerschaften mit Betrieben als spätererpotenzieller Ausbilder der Schüler und denErwerb von Qualifikationen wie Gemein-schaftsfähigkeit und Bürgersinn durch dieBeteiligung an Initiativen im Stadtteil. Ausder Schulanstalt wird so eine Institution,die das soziale Kapital vor Ort nutzt und

die sich 'lokalisiert' – vor Ort vernetzt undeinbindet. Ähnliche Entwicklungen gibt esaber auch in anderen Bereichen:

─ ein Theater modernisiert sein Mana-gement, stärkt seinen Förderverein,betreibt mehr Öffentlichkeitsarbeit,sucht nach Sponsoren und baut ent-sprechende Ressourcen in seinen Ar-beitsablauf ein;

─ ein Museum baut auf der Suche nachzusätzlichen Einnahmen einen kom-merziellen Museumsshop auf, den esdann mit Ehrenamtlichen betreibt, dieein lokaler Förderverein für Engage-ment vermittelt;

─ ein Schwimmbad, das sonst hätte ge-schlossen werden müssen, wird einemlokalen Trägerverein überantwortet –die Stadt verpflichtet sich zu einemfesten Zuschuss; zur Schlüsselgrößeder weiteren Entwicklung wird nun dieFähigkeit des Vereins, Unterstützer zugewinnen und zu halten, u.a. durch dieEntwicklung unternehmerischer Initia-tive zur Verbesserung von Manage-ment und Angeboten; Markt und Bür-gergesellschaft halten Einzug.

Alles in allem: Nutzung von Ressourcender Bürgergesellschaft übersetzt sich beisozialstaatlichen Diensten und Einrichtun-gen in die Forderung nach einer besserenVernetzung mit Partnern im näheren undweiteren Umfeld – aus Verwaltung, Ge-sellschaft, Kultur und Politik. Vom Verfas-ser dieses Beitrags ist an anderer Stelle derVorschlag gemacht worden, öffentlicheEinrichtungen des Sozialstaates stärker als"soziale Unternehmen" zu profilieren. Alssolche sind sie – wie die besprocheneSchule – Gemeinwohlzielen verpflichtetund staatlich gefördert; sie nutzen aberauch mit unternehmerischem Impetus dieMöglichkeiten von Wettbewerb, neuenFormen des Schulmanagements und eige-nen Budgets. Und sie verankern sich stär-ker in der Bürgergesellschaft. An diesemBeispiel wird auch eines noch einmaldeutlich: Es geht um mehr als nur um indi-

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viduelles Engagement, noch dazu in derstandardisierten Form des Ehrenamts. Esgeht auch um das Engagement von Organi-sationen und eine große Vielzahl von For-men, individuell aktiv zu werden. Daraufverweisen beim Beispiel Schule Partner-schaften mit Vereinen und der lokalenWirtschaft, Kooperationen mit Förderver-einen, Sponsoren und die Einbeziehung derSchüler und Eltern – vom gelegentlichenMittun beim Schulfest bis zur kontinuierli-chen Mitarbeit in der Selbstverwaltung.

4. Statt Engagement allein unter demBlickwinkel von Einsparpotenzialen undEffizienzüberlegungen zu betrachten,sollte man sich für die zusätzlichen undweiteren Ziele und Qualitätsmerkmalesensibilisieren, die damit ins Spiel kom-men

Eine Schwierigkeit mit Beteiligungs- undEhrenamtskonzepten besteht ja darin, dassderen Effekte sich nach Meinung vielerEntscheider nicht rechnen – wie z.B. in derPflege, wo mehr Zuwendung mehr subjek-tive Zufriedenheit schaffen mag, aber we-der Kostenersparnisse bringt, noch De-menz verringern kann. Das hat auch damitzu tun, dass Beteiligung einzig und alleinunter kurzfristigen Effizienzgesichtspunk-ten gewertet wird: Wenn z.B. bei der Ar-beitsmarktintegration lediglich auf die Zahlder pro Jahr in den ersten ArbeitsmarktVermittelten gesetzt wird, dann wird zu-nächst der Vertrag mit einem privatwirt-schaftlichen Subunternehmer – auf derBasis einer Fallprämie pro gelungenerVermittlung – die effizienteste Lösungsein. Wenn es aber darum geht, eine großeund diversifizierte Übergangszone zuschaffen, Brücken für einen oft erst mittel-fristig möglichen Übergang in normaleBeschäftigung zu schlagen, dann ist auchdie engagierte Kooperationsbereitschaftlokaler Unternehmen und Handwerksbe-triebe und sonstiger, nicht auf Arbeits-marktintegration spezialisierter Stellen, ihr"Engagement", eine Schlüsselfrage. Ob

Engagement einen Beitrag leisten kann,hängt also auch davon ab, wie man dieAufgaben der Pflege oder der Arbeits-marktintegration definiert und was man insKalkül zieht. Wer den Wert von Engage-ment unter Beweis stellen will, operiert inder Regel mit größeren Zielbündeln undschenkt Effekten Aufmerksamkeit, die auseiner rein betriebswirtschaftlichen Rech-nung als nicht genau quantifizierbare Ne-benwirkungen herausfallen. Das bedeutetauch, nicht aus dem Blick zu verlieren,dass viele Beteiligte ihrem Mittun zu Rechteinen Eigenwert zumessen und sie sich zuRecht instrumentalisiert fühlen, wenn ihrEngagement nur am Maßstab sozialwirt-schaftlicher Überlegungen gemessen wird.Wenn wir Ziele und Aufgaben weiter fas-sen, dann darf vor allem nicht übersehenwerden, dass sogenannte Nebeneffekte wiedie Förderung von Gemeinschaftsfähigkeit,Identifikation mit dem öffentlichen Anlie-gen oder der Einrichtung, die man unter-stützt, das Einüben von Verhandlungsfä-higkeit und anderes mehr, ein durchauseigenständiges und wichtiges Ziel sind.Zugespitzt könnte man sogar formulieren:Der hauptsächliche Wert engagierter Be-teiligung besteht in der Pflege des "unspe-zifischen" Kapitals an bürgerschaftlicherEngagementbereitschaft und bürgerschaft-licher Kompetenz. Wem es nur um dieOptimierung von Output geht, der ist si-cherlich mit "mehr Markt" im öffentlichenBereich besser bedient. Das führt zu zweiÜberlegungen, die bewusst an den Schlussgestellt worden sind – handeln sie dochvon Bürgergesellschaft als Zumutung fürihre Protagonisten.

5. Die im Kontext von Bürgergesell-schaft gern gebrauchte Rhetorik von"Rechten und Pflichten" sollte stärkerüberdacht werden

Dies gilt nicht so sehr deshalb, weil man zulange die Seite der Pflichten vernachlässigthätte, sondern eher, weil dieses Thema zuschwierig ist, um es den heute vielfach

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beschworenen einfachen Antworten undderen Vertretern zu überlassen. Was mitSchwierigkeiten gemeint ist, wird z.B.dann rasch sichtbar, wenn man die allseitsbeliebte Sentenz des "Förderns und For-derns" nicht nur auf die Gruppe der Sozi-alhilfeempfänger ( als "die anderen"), son-dern auf uns selbst – z.B. als Eltern mitSchulkindern – überträgt. Was heißt för-dern und fordern in Sachen Schulreform?Welche Verantwortung zu einem Min-destmaß an Kooperation, evtl. finanziellenBeiträgen für bestimmte Leistungen derSchule u.ä. kommt hier z.B. Eltern zu?Schwierigkeiten in Bezug auf Rechte undPflichten bemerkt man aber auch, wennman eine solche Sentenz auf die Wirtschaftbezieht – z.B. bei Programmen wie der"sozialen Stadt": Was kann man im jeweilsbedrohten Viertel und auf gesamtstädti-scher Ebene von der bislang immer geför-derten Wirtschaft hier auch fordern – wiekönnten eigene Beiträge dieser Seite der"corporate citizens" aussehen? Undschließlich, an alle Sozialbürger gewandt:Wenn es richtig ist, dass eine gute Schule,eine gute Gesundheitsversorgung, gutePflegedienste vor Ort Partner brauchen, –Bürger und Organisationen, die sich zurMitarbeit und Unterstützung bereit erklä-ren – dann heißt das auch, dass das, was sieim Rahmen einer solchen bürgergesell-schaftlichen Konzeption an Qualität bietenkönnen, immer von Ort zu Ort unter-schiedlich sein wird. Ein großer Teil derLeistungen öffentlicher Einrichtungen wirdfolglich nicht als garantiertes Recht zuetablieren sein, sondern nur als ein Kranzvon Leistungen und Angeboten, der jenach Stand bürgerschaftlicher Mitwirkunggrößer oder kleiner ausfällt. Dass die Ver-wirklichung bestimmter sozialer Ansprü-che nicht einklagbar ist, sondern von unsals der Bürgergesellschaft eigene Beiträgefordert, dieser Zusammenhang von Rech-ten und Eigenverantwortlichkeit ist viel-fach noch unbegriffen. Und für die Politikist es vielfach nicht opportun, diesen As-pekt zu thematisieren. Das führt zum letz-ten Punkt: dem demokratiepolitischen As-

pekt der Beziehung von Sozialstaat, Enga-gement und Bürgergesellschaft.

6. Statt zu versprechen, dass die Politik"Macht an die Bürgergesellschaft zu-rückgeben" wird, sollte man – realisti-scher und bescheidener – eher fragen,wie beide Seiten lernen können, mit ih-rem Teil an Entscheidungsmacht ver-antwortlicher umzugehen

Heute wird vieles aus Parlamenten undRathäusern an Stadtteilmanager, freie Trä-ger und public-private-partnerships ausge-lagert, an ein Bündnis für Arbeit delegiertoder mit einschlägigen Verbänden be-schlussfertig vorverhandelt. DerartigeFormen von "Verhandlungsdemokratie",die auf den ersten Blick Bürgergesellschaftaufzuwerten scheinen, bedeuten aber viel-fach durchaus einen Verlust an Demokratie– wenn sie z.B. weniger Verantwortung fürdiejenigen, die keine eigenen unmittelba-ren Interessen an der Sache haben, wenigerÖffentlichkeit und weniger Kontrolle desprofessionellen politischen Geschäfts undevtl. mehr Filz und Klüngel mit sich brin-gen. Das Finden demokratiepolitisch bes-serer Lösungen ist äußerst schwierig. Essetzt zunächst einmal voraus, dass mandamit aufhört, von Seiten der professio-nellen Politik den schwarzen Peter denWählern und Interessengruppen zuzu-schieben und umgekehrt. Wo es das Diktatder Politik nicht mehr geben kann und manzu Recht den kleinsten gemeinsamen Nen-ner eines Kuhhandels von Lobbys und In-teressengruppen fürchtet, stellt sich dieFrage, wie Kooperationsformen und Öf-fentlichkeitszugänge gefunden werdenkönnen, die vor allem den Politikern, Ver-waltungsvertretern, Bürger- und Interes-sengruppen mehr Chancen geben, die sichmehr als andere von so etwas wie einerbürgerschaftlichen Verantwortung leitenlassen, nicht zum kreis der "old boygroups" und der bloßen Lobbyisten gehö-ren. Was im Argen liegt im Verhältnis von

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Staat und professioneller Politik zur Bür-gergesellschaft zeigt sich, wenn man sehenmuss, wie sehr – bei den Verhandlungenzur Gesundheitsreform auf zentraler oderden Verhandlungen um Stadtentwicklungauf lokaler Ebene – die "üblichen Ver-dächtigen" im Zentrum stehen und speziellKonsumentenschutz- und Bürgerorganisa-tionen nur am Rande Platz haben. Wo gibtes Allianzen von professioneller Politikund Bürgergesellschaft, die in der Sacheinnovativ sind und gleichzeitig Demokratierevitalisieren? Das wäre m.E. eine Preis-frage für einen öffentlichen Wettbewerb.

Zusammenfassung

Die Diskussion über Engagement in derZivilgesellschaft sollte nicht auf das Enga-gement von Einzelpersonen verengt wer-den – genauso wichtig ist das Engagementvon Organisationen, öffentlichen und pri-vaten. Dort wo es dann um individuellesEngagement geht, sollte man sich wieder-um nicht auf die fiktive Standardgröße"ehrenamtliche Mitarbeit" fixieren: Es gibteine Vielzahl von Engagementformen –vom Diskussionsbeitrag über passive Mit-gliedschaft und Spende bis hin zur tragen-den Rolle in einem Beirat.

Das Problem der Nutzung von Ressourcender Bürgergesellschaft im engeren Bereichder Sozialpolitik und sozialstaatlicherLeistungen, ist nicht zuerst fehlende Enga-gementbereitschaft, sondern es ist eineKultur der Dienste, die kaum zur Mitarbeiteinlädt und ermuntert – weder die Adres-saten noch andere Dienste und Mitspielerim Feld. Engagementförderung brauchtauch eine Diskussion über neue Leitbilderfür sozialstaatliche Einrichtungen undDienste. Moderne öffentliche Einrichtun-gen benötigen:

─ mehr Vernetzung mit Partnern vor Ort,─ mehr Unterstützung von "stakeholdern"

aus Gesellschaft und Wirtschaft,

─ mehr Mitwirkung und Mitbestimmungvon Nutzern und Konsumenten.

Dafür brauchen sie einen Umbau, derStaat, Wirtschaft und Bürgergesellschaftgleichermaßen betrifft – mehr Autonomie,unternehmerisches Handeln, Kooperationund Beteiligung.

Wo es um eine neue Balance von solidenstaatlichen Beiträgen, Mitträgerschaft derBürgergesellschaft und marktwirtschaftli-chen Prinzipien geht, entsteht auch dieChance und Aufgabe, das Subsidiaritäts-prinzip in der Sozialpolitik neu zu stärkenund zu formulieren; das Prinzip, dass grö-ßere Einheiten kleineren Hilfe zur Selbst-hilfe geben sollen, ließe sich im Zusam-menhang der Einbeziehung von Ressour-cen der Bürgergesellschaft in den Auftragdes Sozialstaates so formulieren: der Sozi-alstaat sichert Kerne und fördert, dass dar-an durch Engagement etwas anwachsenkann.

Eine so beschriebene Erneuerung und Öff-nung von sozialen Einrichtungen für Res-sourcen der Bürgergesellschaft brauchtaber ein bestimmtes "Klima" – eine neueKultur der Einflussnahme, Mitgestaltungund praktischen Mitarbeit, des Mitredensund Mitverantwortens. Aufwertung derZivilgesellschaft sollte also weniger aufFreiwilligenarbeit und mehr auf das "Tä-tigwerden" setzen: Ermunterung zurWortmeldung in der Öffentlichkeit, zuMitverantwortung und Mitgestaltung.

All das erfordert, umzulernen. Unterwei-sungen, Kurse und Fortbildungen für frei-willig Engagierte sind heute ein beliebtesGeschäft – nicht zuletzt auch für staatlicheFörderungen. Was hier ausgeführt wurde,weist in eine andere Richtung. Nicht zuerstdie Engagierten brauchen Schulung – vorallem bei Politikern, Managern und Fach-kräften ist ein Umdenken und Lernen ge-fragt, wenn Ressourcen der Bürgergesell-schaft für den Sozialstaat genutzt werden

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sollen. Es sind ein verändertes Bild vonGesellschaft und Sozialpolitik und

schließlich auch ein neues Berufsverständ-nis gefragt.

Anmerkung

∗ Hierbei handelt es sich um eine veränderte,aktualisierte und erweiterte Fassung des Bei-trags: Bürgergesellschaft, Engagement und

Sozialstaat. Warum es um mehr als das Ehren-amt geht, in: Roland Koch (Hrsg.), Die Zu-kunft der Bürgergesellschaft, München 2002.

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Die Bürgerkommune als Ernstfall des Sozialstaates

Konrad Hummel

Mit dem fortdauernden, ernüchternden undkostenschweren Umbau des Sozialstaatestreten Grundfragen des sozialen Zusam-menhaltes von Gesellschaft hervor. Washält die moderne Gesellschaft zusammen,wenn der Kitt sozialer Ausgleichsleistun-gen wegfällt oder nicht mehr ausreicht?Was macht Solidarität aus, wenn Sorgen,Neid und Abgrenzungen überhandnehmen?Was muss der Staat sichern, wie viel mussdie Bürgerschaft selbst übernehmen, wieviel kann die Bürgerschaft übernehmen?

Das Unbehagen am Sozialstaat nimmt zu.Dieser kostet mit Ausbau jeder weiterenVersicherungssäule, Grundsicherung, Ar-beitsmarktreform und – aktuell – der Kin-dergeldleistungen ständig mehr und er-scheint dem Einzelnen und den sozialenUnternehmen und Trägern als ein einzigesKürzungsmanöver. Ein Teufelskreis ist inGang gekommen. Ständig wachsen dieAusgaben und die Unzufriedenheit. Stän-dig wachsen die Aufgaben und die Ohn-macht, sie zu lösen.

Im Verhältnis von Bürger und Staat ordnensich damit auch die Verhältnisse zurKommune, zur Selbstverwaltung und zurSubsidiarität, dem Vorrang von Wohl-fahrtverbänden, neu. Die meisten Refor-men erfolgen national und werden lokalumgesetzt, erlitten und verändert, wieHartz IV gezeigt hat. Die meisten Refor-men werden ideologisch diskutiert undbrechen sich praktisch und pragmatisch anlokalen Behörden, Verbänden und Fach-kräften, denen die Schwierigkeit zukommt,dem Klient oder Kunden die bürgerschaft-liche Philosophie von Freiheit und Ver-antwortung klar zu machen. Den Kommu-nen kommt allein schon deshalb eineSchlüsselstellung zu, was die Reform desSozialstaates angeht.

1. Die kommunale Aufgabe

Die inneren Gesetzmäßigkeiten von gesell-schaftspolitischen Widersprüchen, Wertenund Teufelskreis werden in der Kommuneeher konkret und sinnlich fassbar. Schnellwerden lokale Beispiele wie die BerlinerHauptschule zum Exempel der nationalenIntegrationsproblematik.

Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf,der demographische Wandel, Fragen vonReichtum und Armut werden auf konkreteDienstleistungsziffern auf kommunaler E-bene reduziert. Wie viel Krippenplätze hatdie Kommune, wie viel Heimplätze, wieviel Sozialhilfeempfänger?

Erneut reduziert sich der soziale Zusam-menhalt und der Wandel der Gesellschaftauf Defizite, messbare Indikatoren und dieStadt als Dienstleistungskonzern. Alle Be-mühungen um eine bürgerorientierte Stadtwerden konterkariert.

Die Bürgerkommune bleibt in vielen Fäl-len eine kosmetische Operation von Ehren-amtsempfängen und Freiwilligenagenturenfür eine kleine, gutwillige, altruistischeLeistungselite der Bürgerschaft.

Ein Blick auf die Gesetzmäßigkeiten kannaber zeigen, dass Bürgerengagement ent-steht an den Schnittstellen gesellschaftli-cher Prozesse, weniger bei der Vermei-dung von Konflikten oder der Optimierungvon Teillösungen. Der "harte Kern" neuenBürgerengagements will an realen Prob-lemlösungen mitarbeiten, hat Erfahrungenmit klassischen Formen von Ehrenamt,Selbsthilfe oder Initiativen und will nunetwas tun, was über das eigene Milieu hi-nausgeht, will mitgestalten, Kompetenzeneinbringen und reagiert kritisch auf einen

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Staatsapparat oder eine Stadtverwaltung,die indifferent mit Bürgerengagement um-geht. Nicht eine einzelne Engagementver-mittlungsstelle steht im Vordergrund, son-dern ein gemeinsames Interesse, etwas zurProblemlösung aller zu tun.

2. Freie, gleiche Bürgerschaft

Eine der aufbrechenden Grundfragen derGesellschaft im Umbau ist die Ungleich-heit und Verschiedenheit. Sie wird, je viel-fältiger die Lebensstile, die kulturellenHerkünfte und der intergenerative Aufbauder Stadtgesellschaften sind, umso unaus-weichlicher. Ungleichheiten und Verschie-denheiten allein schon auf engem Raumauszuhalten und zu erkennen, gehört nachÜberzeugung von Michael Walzer ("ÜberToleranz", 1998) und als Kernaussagenvon Bundespräsident Horst Köhler1 zu denaktuellen Grundbedingungen sozialenFriedens. Bürgerengagement beginnt nichtmit einer Aktivität, etwa einem helfendenHandeln, sondern mit einer Wahrnehmungund Haltung in einer gegebenen Situation.Solche Situationen zu stabilisieren oder imEinzelfall zu "retten", bedarf oft unauffäl-liger Formen des Ehrenamts oder der Zi-vilcourage.

Bürgerengagement kann von einer Kom-mune in der Situation aktueller Ungleich-heit und Verschiedenheit geschöpft wer-den, als die Bereitschaft, aus der Wahr-nehmung von gesellschaftlich geprägterSituationen etwas für sich und andere zutun. Meist konzentriert sich das freiwilligeEngagement bei diesem Thema auf Lob-byinitiativen von Betroffenen oder aufwertgestütztes Helfen von kirchlichenGruppen. Der strategische und nachhaltigeUmgang wird vom Verwaltungsapparaterwartet. Dies verschärft die Missverständ-nisse zwischen zivilgesellschaftlichemHandeln und sozialstaatlichen Maßnah-men, weil die Einen spontan vorgehen undOhnmacht beklagen, die Anderen langfris-tig vorgehen, eher auf Misstrauen stoßen

und sich Kooperation und Loyalität "er-kaufen" müssen. Kommen jedoch käufli-che Dienstleistungen ins Spiel, wechseltdie "Tauschwährung". Die Bürgerschafterwartet nun Leistung für Gegenleistungund nicht Solidarität.

Schnittstellen der Ungleichheit im urbanenRaum sind neben Armut und ReichtumFragen der Gesundheit und Behinderung,deutscher und nicht-deutscher kulturellethnischer Zugehörigkeit, alt und jung, Ar-beitsplatzbesitzer und Arbeitslose, Mannund Frau, traditioneller und neuer Milieus,Wohnsitzlose und Wohnungsbesitzer. Un-gleichheit kann gleichermaßen Ausdruckvon eigenem Lebensstil sein, wie auch vonUngerechtigkeit. In der Zivilgesellschaftselbst steckt eine Vielzahl von Ungleich-heit etwa zwischen Interessensgruppen undihren Chancen, sich zu artikulieren. Vielfreiwilliges Engagement kann Chancenanderer zurückdrängen und verschärftAuseinandersetzungen. GesellschaftlicheArbeit an der Ungleichheit bedeutet des-halb, die Wirkfaktoren zu kennen, die Ei-gendynamik gesellschaftlichen Engage-ments und die Teufelskreise sozialstaatli-cher Maßnahmen einzuschätzen und durchkommunikative Prozesse zu steuern.

Die Kommunikationsstrategie der StadtAugsburg ist es, gesellschaftliche Heraus-forderungen der Ungleichheit und Ver-schiedenheit als Aufgaben zu definierenund darin einen Platz für Bürgerengage-ment von Anfang an einzuräumen, unab-hängig von Politikressort und Wohlfahrts-verband.

3. Das Augsburger Beispiel

Hierfür hat die Stadt Augsburg ein Bünd-nis für Augsburg konstituiert, das sich alsDach solcher Projekte versteht und inForm einer Steuerungsgruppe aus Vertre-tern von Stadtrat, Wirtschaft und aktivenBürgern die symbolische Verbindung zwi-schen diesen drei Sektoren der Bürger-

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gesellschaft hält. Die in Projekten aktivenBürgerinnen und Bürger wählen ihrerseits"Botschaftervertreter" und sorgen selbst ineiner Projekteversammlung für den Erfah-rungsaustausch der derzeit etwa 20 Groß-projekte. Das am Ort befindliche Freiwilli-genzentrum wurde einbezogen in Bündnis,Bürgertreff und Schulung.

Das Sozialreferat der Stadt Augsburg hatseinerseits die Verwaltungsstrukturen er-heblich umgebaut und deren Aufgaben inveränderter Form kommuniziert. Die ge-samte Sozialverwaltung von Kindern bisSenioren, von Arbeitsmarkt bis Woh-nungsbau wurde sozialräumlich in vier Re-gionen mit je etwa 70.000 Einwohnernaufgeteilt, um so zu gleichen "Verantwor-tungsräumen" zu kommen. Indem Ämterzusammengelegt und die Prävention ver-stärkt wurde, konnte ein Kompetenz-zentrum geschaffen werden. Im Amt fürSoziale Leistungen wurde eine sozial-räumliche Kompetenzgruppe Armutsprä-vention gebildet. Von Seiten der Sozial-raumplanung wurden alle integrativenFragen der Stadtentwicklung in einemGrünbuch der Problemstellungen und Da-ten zusammengetragen, das mit den Stel-lungnahmen zivilgesellschaftlicher Grup-pen ergänzt als Weißbuch auf den Marktkommt. Das Buch stellt die interkulturel-len, intergenerativen und soziokulturellenUnterschiede der Stadt Augsburg dar, zeigtdie empirischen Tendenzen auf und weistauf Handlungsfelder hin. Schließlich habenBildungs- und Sozialausschuss nicht nurbeschlossen, gemeinsam zu tagen, sondern2007 eine Ratssitzung der Partizipation derJugend zu widmen. Ermutigung dazu istein Bündnisprojekt "Change in", in demsich jedes Schulhalbjahr Hunderte vonvierzehnjährigen Schülern freiwillig enga-gieren.

4. Bürger machen mit

In dieser kommunalen "Landschaft" ist esgelungen, rund um die Armutsprävention

60 freiwillige "Sozialpaten" zu gewinnenund auszubilden, die unmittelbar in ver-schuldeten Familien als Berater auftretenund die volle Rückendeckung des Amteshaben.

Es ist gelungen, ca. 60 deutsch-russische,ca. 25 deutsch-türkische Freiwillige undca. 150 "Stadtteilmütter" als "interkultu-relle Botschafter" zu gewinnen, die dieRückendeckung des Jugendamtes habenund 20 Job- und Jugendpaten zu gewinnen,die die Rückendeckung der ARGE für Be-schäftigung haben.

Die jeweilige sozialstaatliche Institutionschafft Ansprechpartner, sichert gewisseSpielräume (z.B. Orte für ein besetztesSorgentelefon), kooperiert mit dem Frei-willigenzentrum bezüglich der Schulungund Fachberatung, nutzt politische Vertre-ter bis tief in die zivilgesellschaftlichenGruppen und Milieus hinein (etwa bei tür-kischen Vereinen, katholischen Hilfsorga-nisationen etc.) und wirbt über örtlicheMedien und Wirtschaftsvertreter (z.B.Verbindungen zur Stadtsparkasse) Freiwil-lige.

Die Lokalpresse, die Staatsregierung, dieBosch-Stiftung, die RWE-Stiftung u.a. ha-ben inzwischen die Nachhaltigkeit und den"Ernstfallcharakter" dieses Bürgerengage-ments in Augsburg erkannt und mit Preisenund Zuschüssen unterstützt. Dem Stadtratwerden Armutsprävention, Grünbuch etc.vorgelegt und neue Konzepte – wie dieFamilienstützpunkte K.I.D.S. mit Pau-schalbudgets je Stadtregion – von Anfangan zivilgesellschaftlich "ausgelegt".

Die Stadt erwartet bei ihren Förderungen,Maßnahmen und Dienstleistungen von An-fang an die strategische Komponente Soli-darität und Eigenverantwortung durchBürgerengagement. Dies gelingt noch nichtin allen Ämtern, bei allen Verbänden undFachkräften. Unübersehbar aber ist, dassdiese "Projektarchitektur" (Amt – Fach-kraft – Freiwilliger – Betroffener) zu ei-

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nem wachsenden Vertrauensverhältnis derBetroffenen führt. Sie werden als "Kun-den" in der Dienstleistungskommune ver-geblich umworben und als "Klienten" derSozialstaatsgemeinde verrechtlicht. In derBürgerkommune sind sie Akteure, Partner,Subjekt und Objekt gleichermaßen. Daskann auch bei Migranten gelingen, bei Ju-gend und bei kulturfernen Schichten.

Die Ungleichheiten sind damit nicht besei-tigt, aber sie können gewendet werden alsBausteine einer aktiven Demokratie. Mit-ten im Umbau des Sozialstaates scheitertdie Bürgerkommune deshalb nicht am"Ernstfall" gesellschaftlicher Ungleichheitund Widersprüche, sondern nimmt diesezum Anlass einer neuen, politischen Kulturder Teilhabe.

Anmerkung1 Anlässlich des Festaktes 450 Jahre Augsburger

Religionsfrieden am 26.09.2005.

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Unterstützung bürgerschaftlichen Engagements im sozialenBereich als Aufgabe der Sozialverwaltung in München

Bud A. Willim

1. "Munich-Volunteers: Freundefragen Freunde – Freunde hel-fen Freunden": Positive Bilanzzur Fußball-WM 2006

Die Munich-Volunteers haben der zur WM2006 gestarteten Gastfreundschaftsinitiati-ve der Stadt München "München magDich" ein freundliches, internationales undkompetentes Gesicht gegeben. DieEinsatzbereiche umfassten neben demSchwerpunkt Gästebetreuung auch Einsät-ze für andere städtische Begleitangeboterund um die Fußballweltmeisterschaft.

"Die Munich-Volunteers waren ab dem 1.Juni und während der gesamten WM-Zeitin München präsent. Insgesamt waren 282überwiegend junge, engagierte Menschenbürgeraktiv im Einsatz. 75% der Munich-Volunteers waren weiblich. Sie leistetenim Gesamtzeitraum [...] insgesamt 14.308Einsatz-Stunden. Zuzüglich wurden über3.000 Stunden ehrenamtliches Engagementin die organisatorische Abwicklung desProjekts eingebracht.[...] Die mediale Re-sonanz und die durchweg positiven Reak-tionen der Münchner Gäste bestätigen unsden Erfolg dieser neuen Münchner Frei-willigen-Plattform. Ihr Erhalt für künftigeGroßveranstaltungen in München ist ange-dacht."1

2. Bürgerschaftliches Engagementund Stadtverwaltung

2.1 Bürgerbefragung 2005

Im Jahr 2005 wurden den Bürgern imRahmen der vom Referat für Stadtplanung

und Bauordnung und vom Sozialreferatdurchgeführten "Münchner Bürgerinnen-und Bürgerbefragung 2005" zum Thema"Informationsangebote und Bürgerbeteili-gung" Fragen zur Engagementbereitschaftund zum tatsächlichen Engagement ge-stellt. Das mit der Durchführung der Be-fragung beauftragte Sozialwissenschaftli-che Institut München kommt in seinerAuswertung zu folgenden Ergebnissen2:

Die Quote der bürgerschaftlich Engagier-ten ist von 13% (Bürgerumfrage 2000) auf17% gestiegen, es ist also eine Zunahmevon 4% zu verzeichnen. Männer und Frau-en sind gleichermaßen bürgerschaftlichtätig, Selbstständige, die mittleren Jahr-gänge (40-49 Jahre), Personen mit höhererBildung, höherem Einkommen sowie Be-fragte aus Familien mit Kindern engagie-ren sich häufiger als andere. Das nicht aus-geschöpfte Potential für bürgerschaftlicheAufgaben hat sich ebenfalls positiv verän-dert: 49% (2000: 43%) sind potentiell zueinem Engagement bereit, wobei 16% einesichere Bereitschaft, die restlichen 34%eine eher vage Bereitschaft bekunden.

2.2 Info-Point

− Im Jahr 2001 in der Stadtinformationim Rathaus als bereichsübergreifen-de Informationsplattform für bürger-schaftlich Interessierte erstmalig einge-führt,

− Schirmherrschaft: OB Ude,− jeweils 1 Informationstag pro Monat,− 2005 stellten sich 20 Initiativen/

Projekte vor.

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20 Bud A. Willim

2.3 Neuauflage "Handbuch Bürger-schaftliches Engagement"

"Rund die Hälfte der Münchnerinnen undMünchner wären grundsätzlich bereit, sichfreiwillig zu engagieren, doch sie wissenoft nicht, wo sie entsprechende Informati-onen bekommen können. Um diesem Defi-zit zu begegnen, hat die Stadt im Jahr 2001erstmals ein Handbuch über städtischebzw. von der Stadt unterstützte Angeboteherausgegeben, das für viele Möglichkei-ten zum Mitmachen in München wirbt.Dieses stark nachgefragte 'Handbuch Bür-gerschaftliches Engagement' wurde imHerbst 2005 neu aufgelegt. Es zeigt Mög-lichkeiten für bürgerschaftliches Engage-ment in den verschiedensten Themenfel-dern, nennt Kontaktadressen, Vermitt-lungs- und Beratungsstellen, Qualifizie-rungsmöglichkeiten und weitere Informati-onen […]."3

2.4 Beitritt zum Netzwerk SINN

Das Netzwerk SINN (Senioren-InitiativeNachhaltigkeits-Netzwerk), ein Projekt derBürgerstiftung "Zukunftsfähiges Mün-chen", ist durch ein Zusammenwirken vonWirtschaftsunternehmen, aus denen Mitar-beiterinnen/Mitarbeiter in den Vorruhe-/Ruhestand ausscheiden, Bildungswerken,Vermittlungsorganisationen und Initiativengekennzeichnet. Ziel ist es, Menschen fürdie nachberufliche Phase eine neue Orien-tierung aufzuzeigen und sie für ein bürger-schaftliches Engagement in München zugewinnen.4

2.5 AG "BürgerschaftlichesEngagement"

Dieses Gremium unter Federführung desDirektoriums, mit Vertretungen aus allenReferaten, hat unter anderem den Stadt-ratsauftrag, in allen Referaten günstigeRahmenbedingungen für Partizipation vonMünchner Bürgerinnen und Bürgern in

Form von bürgerschaftlichem Engagement(BE) zu schaffen.

3. Zur Position des Sozialreferatesder Landeshauptstadt München

Vorab ist anzumerken, dass sich das So-zialreferat nicht erst seit kurzem diesesThemas angenommen hat, vielmehr wirdbürgerschaftliches Engagement innerhalbdes Sozialreferates seit Jahrzehnten(Stichwort: 26 Jahre Förderung der Frei-willigenagentur Tatendrang, 21 JahreSelbsthilfezentrum) als ein für die profes-sionelle Arbeit wichtiges Unterstützungs-instrumentarium erlebt und gefördert.

3.1 Zum Begriff "BürgerschaftlichesEngagement"

"Bürgerschaftliches Engagement ist derselbstbestimmte und zielgerichtete Einsatzfür nachhaltige Verbesserungen, sowohl impersönlichen Lebensumfeld als auch imGemeinwesen. Es reagiert auf individuellesowie gesellschaftliche Herausforderungenund versteht sich als Ergänzung zu staatli-chem Handeln.

Bürgerschaftliches Engagement eröffnetkreative und gemeinschaftliche Lösungenin allen Bereichen des gesellschaftlichenLebens durch die Verbindung von Eigen-initiative und sozialer Verantwortung.

Bürgerschaftliches Engagement umfasstFreiwilligenarbeit, Ehrenämter, Selbsthilfe,Bürgerinitiativen und selbstorganisierteProjekte. Es lebt von den Fähigkeiten,Kompetenzen und Interessen der Enga-gierten.

Bürgerschaftliches Engagement basiert aufdemokratischen Grundregeln und Tole-ranz. Es ist angewiesen auf öffentlicheAnerkennung, auf rechtliche, strukturelleund finanzielle Förderung sowie entspre-chende Rahmenbedingungen."5

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Unterstützung bürgerschaftlichen Engagements im sozialen Bereich 21

So wird bürgerschaftliches Engagement alsOberbegriff für die vier Bereiche verstan-den:

− traditionelles Ehrenamt,− Selbsthilfe,− Initiativenarbeit und− "Neues Ehrenamt".

"Die Zusammenfassung der genannten vierDimensionen soll auch deutlich machen,dass es keine Wertung gibt und geben sollzwischen den verschiedenen Ausprägun-gen des bürgerschaftlichen Engagements.Vielmehr sind diese Ansätze gleichsambedeutsam. Sie nehmen jeweils Bezug aufdie spezielle Situation und auf die Motiva-tion derjenigen/desjenigen, die/der sichengagiert."6

"Bürgerschaftliches Engagement dientnicht der Konsolidierung öffentlicherHaushalte und ersetzt keine [professionel-len] Sozialleistungen, sondern hat eineneigenen Stellenwert in den [Wirkungsbe-reichen des Sozialreferates]."7

Bürgerschaftliches Engagement ist nichtgleich Regelerwerbsarbeit: "Bürgerschaft-liches Engagement hat einen eigenen Stel-lenwert und eine eigene Qualität, die esvon der Regelerwerbsarbeit maßgeblichunterscheidet. Bestimmungskriterien sindvor allem:

− frei gewähltes 'Arbeitsfeld',− [weitgehend] selbstbestimmter Zeit-

und Arbeitseinsatz,− [weitgehend] individuell geprägte

Gestaltung der Arbeit/Arbeitsweise,− emotionale Befriedigung [d.h. Sinn-

haftigkeit und vor allem Lust/Spaß]."8

Bürgerschaftliches Engagement ist keinErsatz zur Erwerbsarbeit/für professionel-les Handeln: "Weder ist bürgerschaftlichesEngagement ein Ersatz für Erwerbsarbeit,noch in seiner Ausprägung als freiwilligessoziales Engagement ein Ersatz für profes-sionelle soziale Arbeit. Bürgerschaftliches

Engagement ergänzt die professionel-le/hauptamtliche soziale Arbeit um Kom-ponenten, die "Profis" so nicht einbringenkönnen oder auch dürfen, z.B.

− die unmittelbare oder mittelbare Be-troffenheit,

− den nach den eigenen Bedürfnissengestalteten "Arbeitsplatz" und die Ar-beitsweise,

− eine gewisse "Unverbindlichkeit", z.B.hinsichtlich der Dauer des Engage-ments."9

3.2 Rahmenbedingungen für einbürgerschaftliches Engagement

Von äußerst konkreter und greifbarer Be-deutung ist es für die bürgerschaftlich En-gagierten, eine anerkennende Haltung undunterstützende Rahmenbedingungen vor-zufinden, durch die es Ihnen "Lust undSinn" macht, sich für einander zu engagie-ren.10

Die folgenden notwendigen Aspekte wer-den vom Sozialreferat als unerlässlich,jedoch nicht als abschließend verstanden:

1. Bürgerinnen/Bürger und Unternehmen,die Interesse am aktiven bürgerschaftlichenEngagement haben, müssen ausreichendeund flächendeckende Vernetzungsstruktu-ren vorfinden, die es ihnen ermöglichen,sich bei den richtigen Zuständigkeiten fürdie richtige Zielgruppe "zeitnah" und "be-darfsgerecht" zu engagieren.11

2. Um eine sinnhafte und erfolgreichePartizipation von Bürgerinnen und Bürgernzu ermöglichen, ist das Installieren undEtablieren von "ansprechenden" und an-gemessenen Anreizsystemen (z.B. Auf-wandsentschädigung/Auslagenersatz bzgl.der Übernahme von Fahrtkosten, Bastel-material, Eintrittsgelder etc.) und Aner-kennungsformen (z.B. Zertifikate, Jahres-empfang etc.) unabdingbar.12

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22 Bud A. Willim

3. Bürgerinnen/Bürger, die sich als Frei-willige bei der Landeshauptstadt Münchenund beim Sozialreferat engagierten, enga-gieren und engagieren wollen, fordern zuRecht ausreichende organisatorische, "aufBürgerschaftliches Engagement vorberei-tete Kunden, Projekte, Mitarbeiterin-nen/Mitarbeiter": Einrichtungen bzw.Dienststellen, die mit Freiwilligen arbeiten(wollen), müssen von ihrer Struktur herdarauf eingerichtet sein, den Freiwilligeneine aktive Partizipation zu ermöglichen,d.h. Aus-/Mitgestaltung der Engagement-bereiche etc. Zusätzlich sind folgendeRahmenbedingungen nötig: Fachliche –kontinuierliche Beratung und Begleitung,regelmäßige BE-Treffen, praxisnaheQualifizierungs- und Schulungsangeboteetc., versicherungstechnische (Unfall- undHaftpflichtversicherung), haftungsrechtli-che (Aufsichtspflicht, Garantenstellung)und steuerrechtliche (Aufwandsentschädi-gung, Auslagenersatz), Abgrenzung vonGeringfügig-Beschäftigungsverhältnissenoder 1-Euro-Jobs.13

4. Die Schwelle der Bürokratie darf fürsich engagierende Bürgerinnen/Bürger undUnternehmen nicht höher sein, als wirklicherforderlich, d.h. Zuständigkeiten, Rollenund Kompetenzen sind geklärt und ein-deutig, bürokratische Instrumentarien wieAufnahmeformulare (inkl. polizeilichesFührungszeugnis) sind einheitlich und ver-bindlich. An dem Punkt einer unbürokrati-schen Anschub-Finanzierung für Erfolgversprechende Ideen oder Projekte derBürgerbeteiligung sieht vor allem das So-zialreferat einen hohen Diskussions- undKlärungsbedarf.

5. Sinnhafte Bürgerbeteiligung bedeutetfür das Sozialreferat auch, gemeinsam mitden "einschlägigen" Organisationen derBürgerbeteiligung an einem Strang zu zie-hen, um den möglichen Parallel-Strukturenbezüglich des Verständnisses von Bürger-beteiligung, Rahmenbedingungen etc. aktiventgegenzuwirken. Stichwort: Forum BE,

Arbeitsgemeinschaft BE, ArbeitskreisWirtschaft und Soziales etc.14

3.2.1 Organisatorisches zum bürger-schaftlichen Engagement undSozialreferat

Der Fachbereich "Bürgerschaftliches En-gagement und Selbsthilfe", existiert bei derReferatsleitung als eine ämter- und steue-rungsbereichsübergreifende Aufgabe be-reits seit 1995 und in der unten genanntenAufgabenstellung seit 2005.

Ein kurzer Aufriss über das Profil der BE-Koordination:

− Projektmanagement:a.) Beratung und Begleitung der Mit-

arbeiterinnen/Mitarbeiter in Pro-jekten, für die Zeit "von der Ideebis zur Umsetzung", d.h. verbindli-che Festlegung der Projektdefiniti-on, Projektstruktur (Projektphasen),der Projektkostenplanung und dasControlling durch Berichtwesen,

b.) Initiieren und fachliche Begleitungvon Modellprojekten, z.B. BE-Beauftragte,

c.) Ausweitung der Philosophie desPatenprojektes auf weitere Ziel-gruppen bzw. Lebenslagen.

− Außenvertretung des Referates,− Referatsbeauftragter für Sponsoring

und Fundraising (d.h. Gewinnen vonGeldern als ergänzende Unterstützungfür Projekte des Sozialreferates sowiedas Beraten von Projekten/Einrich-tungen bzgl. Sponsoring-Modulen),

− Firmenkontakte (In Kooperation mitder Freiwilligenagentur Tatendrang):Stichworte: "Day of Care"; "Volunteer-week" etc.,

− Unterstützung von Sozialen Einrich-tungen15 im Bereich Marketing (Pres-semappe, Flyer etc.),interne PR und Öffentlichkeitsarbeit inder Causa "BE": Diese Aufklärungsar-

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Unterstützung bürgerschaftlichen Engagements im sozialen Bereich 23

beit ist immer wieder vonnöten, umaufzuzeigen, dass der "freilaufende Eh-renamtliche an sich" nicht böse ist undkeine Gefahr für den eigenen Arbeits-platz bedeutet, sondern vielmehr auseinem anfänglichen Mehraufwand(´Belastung´) schnell eine Entlastungund Unterstützung im Rahmen des Hil-fe- und Lösungsangebots der Haupt-amtlichen werden kann und tatsächlichauch wird.

− Implementieren von "BE-Beauftrag-ten" (vor allem in den Sozialbürger-häusern); d.h. dieses fungieren als regi-onale Ansprechpersonen für Mit-arbeiterinnen/Mitarbeiter, Bürgerinnen/Bürger und Einrichtungen des jeweili-gen Sozialraums betreffend, mit derAufgabe und dem Ziel der tatsächli-chen Bürgerbeteiligung vor Ort. AlsBeispiel sei hier das Sozialbürgerhaus-Plinganserstraße genannt: Hier wurdenneben der sog. Einzelfall-Betreuung(Freizeitgestaltung und Lern-/Haus-aufgabenhilfe für Kinder etc.) u.a. dreiProjekte "Alt und Jung online", "Auto-genes Training", "Lern dich schlau"eingerichtet. Anmerkung: Für die Be-reiche "Angebote der Jugendhilfe" und"Zentraleinheit Wohnen/Wohnungs-losigkeit" sind BE-Beauftragte instal-liert worden.

− Installieren und Ausbauen von An-reiz- und Anerkennungssystemen (u.a.Versicherungsschutz, Auslagenersatz,Schulungen etc.). In diesem Zusam-menhang wird wohl bald der Punkt dermöglichen Einführung eines sog. Frei-willigenpasses innerhalb der Stadtver-waltung diskutiert werden.

3.3 Engagementbereiche im und fürdas Sozialreferat16

3.3.1 Amt für Soziale Sicherung undbürgerschaftliches Engagement

− Senioren-Besuchsdienst für ältere undalleinstehende Münchner(innen),

− Alten- und Service-Zentren (ASZ),− rechtliche Betreuung Erwachsener,− Projekt "Hauswirtschaftliche Beratung",− Seniorenbeirat.

3.3.2 Jugendamt und bürgerschaft-liches Engagement

− Eltern-Kind-Initiativen (2004: 182 ge-förderte Initiative mit 3400 Plätzenund einem Finanzvolumen von12.800.000,- Euro),

− Ausbildungspaten A-Z,− BE-Beauftragter (ab 09/06),− INFOFON,− "Kinder- und Jugendkultur",− Ferienangebote,− Vormundschaften, Pflegschaften,− öffentliche private Partnerschaft: Das

Sozialreferat unterstützt Firmen, diegemeinsam mit der Stadt München einProjekt im Rahmen der öffentlichenprivaten Partnerschaft realisieren wol-len, z.B. betriebsnahe Kinderbetreuung.Hier wurden bisher bereits 8 Kinder-krippen gemeinsam implementiert.

3.3.3 Amt für Wohnen und Migrationund bürgerschaftliches Engage-ment

− Beauftragte für bürgerschaftliches En-gagement (insbesondere im Bereich derWohnungslosigkeit),

− Patenprojekt: "Aktiv gegen Wohnungs-losigkeit",

− "BE im Mohrhof".

3.3.4 Sozialbürgerhäuser

Derzeit sind nur 2 BE-Beauftragte für alleSozialbürgerhäuser zuständig, bis 2008werden aber in allen 13 Sozialbürgerhäu-sern BE-Beauftragte tätig sein. Anmer-kung: Vor allem in den Sozialbürgerhäu-sern gewinnt der Aspekt, die Kundschaft

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im Rahmen ihrer Potentiale und Ressour-cen als Freiwillige einzusetzen, eine immergrößere Bedeutung!

3.3.5 Weitere Engagementbereiche

− "switch® – die andere Seite": Füh-rungskräfte aus der Wirtschaft "integ-rieren" sich für eine Woche als Mitar-beiter auf Zeit in einer sozialen Ein-richtung, z.B. im Bereich der Woh-nungslosen- oder Jugendhilfe, in einerBehindertenwerkstatt oder in einerFlüchtlingsunterkunft. Ziel ist es, beiFührungskräften Prozesse und Denkan-stöße in Gang zu setzen, die helfen, deneigenen Horizont zu erweitern und ei-gene Wertvorstellungen zu hinterfra-gen. Sie können Kompetenzen im Um-gang mit menschlichen Problemenweiterentwickeln, um durch diese Er-fahrungen ihren Führungsalltag effi-zienter zu gestalten. Außerdem wirddas Interesse an freiwilligem sozialemEngagement geweckt bzw. intensiviert.Der Einsatz der Führungskräfte wirdorganisatorisch und inhaltlich durch einVorbereitungs- und ein Nachtreffenprofessionell begleitet. Seit 1995 nah-men bisher 165 Führungskräfte an"switch – die andere Seite teil".17

− 7 Patenprojekte in Kooperation mitexternen Trägern, davon 5 mit Bewoh-nertreffs (sozialraumbezogen), 1x "DasSchwule Patenprojekt!" (SUB e.V.)und das Neueste mit der ARGE undden Beruflichen Fortbildungszentrender Bayerischen Wirtschaft (bfz) –"U25". Alle Patenprojekte richten sichan Bürgerinnen und Bürger, die ehren-amtlich Patenschaften für Bürgerinnenund Bürger in sozialen Schwierigkeitenübernehmen.

3.3.6 Selbsthilfe

Für das Sozialreferat engagieren sich ca.7000 Bürgerinnen und Bürger. Das Sozial-referat fördert Selbsthilfe in allen sozialenBereichen:

− Familienselbsthilfe (Familien-/Mütter-zentren, Eltern-Kind-Initiativen),

− sonstige soziale Initiativen, vor allemaus den Bereichen Migration, Frauen,Behinderung, Nachbarschaftshilfe, Se-niorinnen/Senioren (40 Initiativen undProjekte mit einen Finanzvolumen von255.000 Euro),

− Gesundheitsselbsthilfe (Förderung überdas Referat für Gesundheit und Um-welt der Landeshauptstadt Münchenund indirekt über das Sozialreferatdurch die Förderung des Selbsthilfe-zentrums, welches auch von den Ge-sundheitsgruppen genutzt wird).

Da das Sozialreferat zum Einen derzeitnoch keine ausreichende statistische Mög-lichkeit hat und zum Anderen sich konti-nuierlich neue Engagementbereiche er-schließen, seien folgende beispielhafteNennungen erlaubt:

− gefördert werden u.a. 2 Einrichtungenzur Förderung des Freiwilligen Sozia-len Jahres (FSJ), 3 beratende Einrich-tungen zur Freiwilligenengagementund Selbsthilfe, 40 Initiativen undProjekte über die sog. Selbsthilfeförde-rung,

− in den 28 Alten- und Service-Zentren(ASZ) sind derzeit ca. 900 Freiwilligetätig, davon 80 mit Migrationshin-tergrund,

− in den Senioren-Begegnungsstätten: ca.250 Freiwillige; Helferkreise nach demPFLEG für Demenzkranke: 200 Frei-

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Unterstützung bürgerschaftlichen Engagements im sozialen Bereich 25

willige,− ehrenamtliche Betreuerinnen: Im Jahr

2005 waren 5.399 ehrenamtliche Bet-reuerinnen tätig,

− 8 Patenprojekte: ca. 110 Patinnen undPaten,

− Sozialbürgerhäuser: 25 Freiwillige,− Ferienangebote: 60 Freiwillige.

3.4 Persönlichkeits- und Ressourcen-profil der Freiwilligen

3.4.1 Einzelpersonen

"Der Freiwillige im Sozialreferat an sich"ist:

− weiblich,− zwischen 35 und 45 Jahre jung18,− beruflich oder als Hausfrau und Mutter

erfolgreich und− engagiert sich unermüdlich bis zu 3,7

Jahre (Durchschnitt!), mit einem wö-chentlichen Stundenkontingent von 4Stunden,

− ist in nahezu jeder sozialen Lebenslage,Problemsituation tätig,

− engagiert sich im Rahmen eines kon-kreten Auftrages, der auf die Bedürf-nisse und zeitlichen Möglichkeiten ab-gestimmt ist,

− kann auch Kunde (!) sein, z.B. im So-zialbürgerhaus Plinganserstraße: "Roll-stuhl und Schach".

3.4.2 Firmen/Unternehmen

Die Rolle und mögliche Verantwortungvon Unternehmen, die sich bzgl. CorporateCitizenship/Corporate Social Responsibi-lity oder Private Public Partnership für diekommunale Gesellschaft einsetzen wollen,muss derart reizvoll sein, dass sie einenGewinn über den reinen Image-Gewinn

hinaus erkennen können, z.B. Mitsprache-Möglichkeiten bei der Gestaltung einesSozialraumes, in dem eine Unternehmenverortet ist.19

Stichworte: "Kooperation mit Tatendrang","Arbeitskreis Wirtschaft und Soziales".

3.4.3 Motiv und Motivation

Nicht die Tatsache von viel verfügbarerZeit ist es, die zu bürgerschaftlichem En-gagement führt, sondern ein spezifischesMotiv, z.B. soziale Verantwortung, Neu-orientierung, Durchsetzung bestimmterZiele.20

Wer etwas mitgestaltet hat, wird sich damitidentifizieren, sich weiter dafür interessie-ren und es pfleglich behandeln und anderemotivieren, ebenso aktiv zu werden.21

"Ich suche eine sinnstiftende Beschäfti-gung außerhalb meiner beruflichen Tätig-keit, denn mir geht es gut, und ich möchteetwas davon tatkräftig abgeben."

"Ich möchte nicht einfach nur spenden,sondern mich aktiv engagieren und unmit-telbar helfen, d.h. ich muss sehen, wie ichwem wirklich helfen kann."

4. Abschließendes

Wie kommt das Sozialreferat zu seinenEhrenamtlichen, "wenn diese nicht vonsich aus zu ihm kommen?" Durch einehervorragende Zusammenarbeit mit derFreiwilligenagentur Tatendrang und mitden Freiwilligenzentren der Caritas (f-net),sowie "Info-Point" im Rathaus, "Hand-buch Bürgerschaftliches Engagement",1. Münchner Freiwilligen Messe.

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26 Bud A. Willim

Anmerkungen1 Hermann Artmaier, Koordinator WM-

Volunteers, Stadtjugendamt, 4.7.06.2 Sitzungsvorlage "Bürgerschaftliches Engage-

ment", Vollversammlung 5.7.06.3 Ebd. Das Handbuch Bürgerschaftliches Enga-

gement ist in pdf-Format im Internet unter:www.muenchen.de/engagiert-leben zu finden.

4 Ebd. Vgl. www.sinn-muenchen.de.5 Forum BE, November 2001.6 Dr. Petra Schmid-Urban, Fachtag 1998.7 Dr. Petra Schmid-Urban, Münchner Charta,

20.7.2005.8 Ebd.9 Ebd.10 Vgl. Bud A. Willim, Münchner Charta

20.7.2005.11 Ebd.12 Ebd.

13 Ebd.14 Ebd.15 Soziale Einrichtungen, hier verstanden als

sozialreferatseigene sowie vom Sozialreferatgeförderte Einrichtungen.

16 Beispielhafte Nennung, aus Zeitgründen kannhier nicht ausführlich auf Einzelengagementbzw. Firmenengagement sowie auf das bürger-schaftliche Engagement von Einrichtungen,die vom Sozialreferat bezuschusst werden,eingegangen werden.

17 Siehe im Internet unter folgender Domain:www.muenchen.de/rathaus/soz/sozplan/switch/154158/index.htlm

18 Aktuelle Tendenz: Das bürgerschaftliche En-gagement im Sozialreferat "altert", d.h. 55Jund älter engagieren sich wieder verstärkt!

19 Ebd.20 Frau Dr.Schmid-Urban, 1998.21 Frau Dr.Schmid-Urban, Münchner Charta,

2005.

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Die Rolle der Wohlfahrtsverbändeim sich wandelnden Sozialstaat

Knut Lehmann

Die normativen Prinzipien und Grundlagendes Sozialstaates sind mit den folgendenBegriffen im Wesentlichen beschrieben.Die gesamte Sozialpolitik hat sich, wie alleanderen staatlichen Tätigkeiten auch, ander Würde des Menschen, der Beachtungseiner Personalität und Individualität zuorientieren. Sozialstaatliches Handelnmuss das Prinzip der Solidarität beachtenund stärken, zur sozialen Gerechtigkeitbeitragen, wobei der Begriff der sozialenGerechtigkeit zunehmend durch den derChancengerechtigkeit ersetzt wird. Sozial-staatliches Handeln hat sich wie bisher amPrinzip der Subsidiarität zu orientieren.

Im Laufe der letzten 50 Jahre sind sozial-staatliche Hilfestrukturen aufgebaut wor-den. Beim Aufbau dieser Hilfestrukturenwie auch bei den notwendigen Reformpro-zessen sind folgende Prinzipien konstituie-rend: die Sicherung der Teilhabe der Men-schen, der Erhalt bzw. die Wiederherstel-lung ihrer Selbstständigkeit, die Bewah-rung und Förderung der Autonomie derHilfebedürftigen. Die Angebote und dieArbeit mit den Klienten haben sich vomGrundgedanken "Hilfe zur Selbsthilfe"leiten lassen. Diese müssen Hilfe dort er-halten, wo Hilfe erforderlich ist, so langeund so viel wie notwendig. Dabei sindnicht-fachliche Hilfen fachlichen Hilfenvorzuziehen. Dort wo fachliche Hilfennotwendig sind, sind sie uneingeschränktzu erbringen. Bei der Entwicklung der Hil-festrukturen selber ist der Grundsatz "am-bulant vor stationär" in den letzten Jahr-zehnten ein wenig zu kurz gekommen.Eine Reform der Hilfestrukturen wird die-sem Prinzip mehr Geltung verschaffenmüssen.

In der Bundesrepublik sind sehr unter-schiedliche Formen der Finanzierung vonsozialstaatlichen Leistungen entwickeltworden. Für die Rentenversicherung,Krankenversicherung und die Pflegeversi-cherung ist, mit gewissen Einschränkun-gen, eine Umlagefinanzierung konstituie-rend. Sie ist gebunden an sozialversiche-rungspflichtige Beschäftigungsverhältnis-se. In den Berufsgenossenschaften sindausschließlich die Arbeitgeber zahlungs-pflichtig. Auch hier ist eine Form der Um-lagefinanzierung konstituierend. In derKinder-/Jugendhilfe und der Behinderten-hilfe erfolgt die Finanzierung aus Steuer-mitteln.

Auf Grund vielfältiger Entwicklungen, diehier im Weiteren nicht dargestellt werden,haben sowohl die umlage- wie die steuer-finanzierten sozialen Sicherungssystemezunehmend Finanzierungsprobleme. Den-noch muss auch für die Zukunft gelten,dass soziale Sicherungssysteme verlässlichfinanziert werden müssen. Dort wo fachli-che Arbeit für die Unterstützung und Hilfeunverzichtbar ist, wie z.B. in der Kinder-/Jugendhilfe, der Behindertenhilfe, derAltenhilfe, ist die notwendige fachlicheKontinuität und die Beachtung fachlicherPrinzipien in der Arbeit nur auf verlässli-cher Grundlage möglich. Deswegen kannbei allem Reformbedarf von diesemGrundsatz nicht abgewichen werden.

Die Politik und die Gesellschaft in derBundesrepublik sind mit radikalen Wand-lungen und Entwicklungen konfrontiert,die mit erheblichen Konsequenzen verbun-den sind. Zu solchen Prozessen gehörender demographische Wandel, die Globali-

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28 Knut Lehmann

sierung, die Probleme in den Finanzie-rungssystemen, die zunehmende Mobilität,die Veränderung des Arbeitsmarktes unddie Konsequenzen für die Berufsbiogra-phien, veränderte Familienstrukturen, eineintensive ordnungspolitische Debatte zumUmfang von Staatstätigkeit, die Europäi-sierung und Internationalisierung wichtigerBereiche der Politik, wie Wirtschaftspoli-tik, Finanzpolitik, Außenpolitik, aber auchSozialpolitik und die Diskussion um dieEntwicklung und Stärkung der Zivilgesell-schaft. Dies ist keine vollständige Auf-zählung. Sie soll nur deutlich machen, wietiefgreifend und vielfältig die Wandlungs-prozesse sind, mit denen die Gesellschaftder Bundesrepublik konfrontiert ist.

Daraus hat sich eine intensive Reformde-batte entwickelt, z.B. etwa im Bereich derBildung, der Finanzierung der sozialenSicherungssysteme, der Staatstätigkeit ge-nerell, der Strukturen der sozialstaatlichenLeistungserbringung, des Ausmaßes, indem der Einzelne nicht nur Verantwortungfür sich selbst, sondern auch Verantwor-tung für die Finanzierung von sozialstaatli-chen Sicherungssystemen zusätzlich über-nehmen soll, der Steuerung der Leistungs-erbringung in diesem Bereich, der Frageder Evaluation bzw. der Effektivität undEffizienz sozialstaatlicher Leistungserbrin-gung – um nur einige zu nennen.

Für die Aufgaben der Freien Wohlfahrts-pflege in der sich verändernden Gesell-schaft ist daher die Frage zu stellen, ob undwenn ja, in welchem Umfang und auf wel-chen Prinzipien sich Reformnotwendig-keiten innerhalb der Freien Wohlfahrts-pflege ergeben. Ich möchte im Folgendenversuchen, einige dieser Reformnotwen-digkeiten zu beschreiben.

Zunächst gilt für die Freie Wohlfahrtspfle-ge, weiterhin für die Prinzipien des Sozial-staates wie Menschenwürde, Teilhabe,soziale Gerechtigkeit bzw. Chancenge-rechtigkeit, Hilfe zur Selbsthilfe, konse-quent einzustehen und allen Versuchen, die

normativen Grundlagen des Sozialstaatesin Frage zu stellen, eine klare und deutli-che Absage zu erteilen.

Auch die anwaltschaftliche Funktion fürdie behinderten, sozial benachteiligtenbzw. sozial ausgegrenzten Menschen unddie Migranten muss weiterhin von derFreien Wohlfahrtspflege wahrgenommenwerden. Sie hat darauf kein Monopol, aberohne eine konsequente Wahrnehmung die-ser Funktion würden die anderen gesell-schaftlichen Kräfte, die auch anwaltschaft-liche Funktion übernehmen, entscheidendgeschwächt.

Daraus resultiert für die Freie Wohlfahrts-pflege ein weiter Begriff von Sozialpolitik.Es geht also nicht nur um unmittelbareHilfe für die, die dieser Hilfe und Unter-stützung bedürfen, sondern auch um Mit-verantwortung für die Gestaltung der ge-sellschaftlichen und politischen Lebens-verhältnisse mit dem Ziel,

– die Entwicklung von Armut und Aus-grenzung zu verhindern,

– Folgen von Armut und Ausgrenzung zuminimieren und

– Wege aus der Armut zu entwickeln undChancen für Teilhabe zu eröffnen.

Seit einigen Jahren wird ganz intensiv dieDiskussion um die Weiterentwicklung derZivilgesellschaft und des Bürgerschaftli-chen Engagements geführt. In dieser De-batte werden eine Vielzahl von Modellen,Konzepten und demokratietheoretischenÜberlegungen sowie praktischen Umset-zungsvorschlägen diskutiert. In gewisserWeise allen diesen Vorschlägen gemein-sam ist eine Neujustierung des Verhältnis-ses von staatlicher Tätigkeit und zivilge-sellschaftlicher Tätigkeit. Würden dieseÜberlegungen umgesetzt, käme es zu einerVerstärkung der Rolle von zivilgesell-schaftlichen Strukturen, durchaus mit derÜbernahme von politischer Verantwortungfür bestimmte Leistungsbereiche und einerAbnahme unmittelbarer staatlicher Tätig-

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Die Rolle der Wohlfahrtsverbände im sich wandelnden Sozialstaat 29

keit. Festzuhalten ist aber unter Berück-sichtigung der genannten sozialstaatlichenNormen die Gewährleistungsfunktion desStaates. Innerhalb der Freien Wohlfahrts-pflege ist in einem beträchtlichen Umfangehrenamtliches Engagement organisiertund insoweit repräsentiert die Freie Wohl-fahrtspflege in diesem Bereich im erhebli-chen Umfang zivilgesellschaftliche Struk-turen. Darüber hinaus aber stellt sich mei-nes Erachtens für die Freie Wohlfahrts-pflege die Notwendigkeit, sich intensiv ander Debatte um die Zivilgesellschaft zubeteiligen. Werden derartige Konzepterealisiert, wird das Folgen für die heraus-gehobene Rolle der Freien Wohlfahrtspfle-ge in der Bundesrepublik bei der sozial-staatlichen Leistungserbringung haben,vermutlich auch Folgen für die bisher je-denfalls stark institutionalisierten Hilfe-formen der Freien Wohlfahrtspflege. Indiesem Zusammenhang wird es darüberhinaus eine Debatte um das Verhältnis vonzivilgesellschaftlichem Engagement undprofessionellem Handeln geben. Vermut-lich wird es auch eine Debatte darüber ge-ben, auf welche Weise und durch wen dieVerantwortung für sozialstaatliche Dienst-leistungen im Rahmen von zivilgesell-schaftlichen Strukturen wahrgenommenwerden.

In den letzten Jahren hat sich eine intensiveDebatte um Teilhabe und die Realisierungdes Grundsatzes "ambulant vor stationär"entwickelt. Dabei wird diese Debatte unterunterschiedlichen Gesichtspunkten geführt.Die einen vertreten die Position, mit derkonsequenten Umsetzung dieses Prinzipskönnte die Chance der Teilhabe erhöhtwerden, für andere Diskussionsteilnehmersteht insbesondere die Frage der vermeint-lichen Einsparung bei ambulanten Struktu-ren eine wesentliche Rolle. Die FreieWohlfahrtspflege sollte meines Erachtensdiese Debatte intensiv führen, den Teilha-beaspekt betonen, sich gegen Versuchewehren, die ambulanten Versorgungs-strukturen als Einsparpotenzial zu definie-ren und sich intensiv und konstruktiv mit

der Frage auseinandersetzen, wie das per-sönliche Budget in diesem Sinne konse-quent umgesetzt werden kann.

Im Bereich der Arbeitsmarktpolitik wirddie Freie Wohlfahrtspflege darauf achtenmüssen, dass das Prinzip des Fördernsnicht durch Drohung und Sanktionen des-avuiert, sondern mit Anreizen tatsächlichpraktisch wird. Möglicherweise muss sichdie individuelle Verantwortung für dasGelingen von Integrationsprozessen undFörderprozessen stärker betonen. Sie wirdsich auch in der Diskussion von Konzeptenfür einen sogenannten 2. oder 3. Arbeits-markt beteiligen müssen, weil absehbar ist,dass die jetzigen Arbeitsmarktangebote füreine Vielzahl der SGB II-Empfänger nichterreichbar sind.

Im Bereich der Kinder- und Jugendhilfewird es ganz wesentlich darauf ankommen,präventive Kinder- und Jugendpolitik mitdem Ziel zu konzipieren und umzusetzen,Ausgrenzungsprozesse zu vermeiden undinsbesondere für die Kinder und Jugendli-chen Bildungschancen und individuelleFörderung innerhalb bestehender Bil-dungsinstitutionen mit zu entwickeln undsicherzustellen.

Auch für diese Arbeitsbereiche ist dieEntwicklung und Nutzung von bürger-schaftlichem Engagement und zivilgesell-schaftlichen Strukturen eine große Chance,Hilfeprozesse "zu vergesellschaften", d.h.sie nicht nur den jetzt verantwortlichenInstitutionen und Professionellen zu über-lassen, sondern ein gutes und konstruktivesMiteinander von professionellen Hilfenund der Nutzung zivilgesellschaftlichenund bürgerschaftlichen Engagements si-cherzustellen.

Sozialstaatliche Leistungserbringung ist imhohen Maße überreguliert. Die Diskussionum den Bürokratieabbau meint mehr alsnur den Abbau staatlicher Verwaltung,sondern ist Ausdruck eines weit verbreite-ten Unbehagens an überbordenden und

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übergriffigen Regelungen. Nun leidet dieFreie Wohlfahrtspflege nicht nur unterdieser Überregulierung, sondern sie istgleichzeitig Nutznießer dieses Systems. Esbietet eine bestimmte Sicherheit und Sta-bilität, es minimiert Risiken. Wenn also diePrinzipien der Teilhabe, der individuellenAutonomie, der Hilfe zur Selbsthilfe undder Unterstützung zur Erlangung einermöglichst großen Selbstständigkeit stärkerhandlungswirksam werden sollen als bis-her, dann ergeben sich daraus ganz be-stimmte Reformziele. Dazu gehört dieEntbürokratisierung, d.h.

– die Rücknahme einer Vielzahl vonverwaltungstechnischen Überregulie-rungen, aber auch die fachliche Arbeitund Autonomie einschränkender Re-gelungen,

– die Veränderung der Finanzierungs-systeme, die einerseits stationäre Ver-sorgung bevorzugen, individualisierteLeistungserbringung erschweren undden Erfolg von Arbeit nicht belohnen,

– die Übernahme von mehr Verantwor-tung durch die Leistungserbringer,

– die Erhöhung der Transparenz in Be-zug auf die Beschreibung der Erfolge(Ergebnisqualität) sozialpolitischer Ar-beit, soweit sie klienten- und einrich-tungsbezogen ist,

– eine Stärkung von ambulanten Struktu-ren mit dem Ziel, die Chance von Teil-habe und Selbstständigkeit zu erhöhen,

– die Beteiligung an der Diskussion umdie Zivilgesellschaft,

– die Weiterentwicklung des ehrenamtli-chen Engagements, um das sich dieFreie Wohlfahrtspflege über Jahrzehntesehr verdient gemacht hat, in RichtungBürgerschaftliches Engagement.

Flankiert und begleitet werden muss dieseEntwicklung durch entsprechende Bemü-hungen im Bereich der kommunalen undstaatlichen Sozialverwaltungen, der So-zialleistungsträger und einer Überwindungder zersplitterten Zuständigkeit in den so-

zialstaatlichen Sicherungssystemen in derBundesrepublik.

Unter Zugrundelegung dieser zielorientie-renden Überlegung gibt es Handlungs- undReformbedarf (nicht nur bei der FreienWohlfahrtspflege) im Bereich des Gesund-heitssystems, der Arbeitsmarktintegration,der Behindertenhilfe und der Kinder-/Jugendhilfe. Flankierend muss die FreieWohlfahrtspflege sich an der Reform vonRahmenbedingungen, wie z.B. des Ge-meinnützigkeitsrechts, der Investitions-finanzierung, der Entwicklung der europäi-schen Sozialpolitik (Dienstleistungen vonallgemeinem Interesse) engagiert beteili-gen bzw. diese Beteiligung einfordern.Nach der Föderalismusreform gibt es zu-dem jeweils auf Länderebene Herausforde-rungen etwa durch die Landeszuständigkeitfür das Heimgesetz und mögliche Folgenfür das SGB VIII und das SGB IX, die imEinzelnen noch nicht absehbar sind.

Daneben muss sich die Freie Wohlfahrts-pflege noch konsequenter mitdem Legitimationsproblem sozialstaatli-cher Leistungserbringung auseinanderset-zen, die auch gleichzeitig die Legitima-tionsprobleme der Freien Wohlfahrtspflegeselber sind. Dazu gehört wie bisher eineengagierte Beteiligung im Rahmen derMissbrauchsdebatte der Sozialleistungen,darüber hinaus gehört zu diesen Bemühun-gen auch die stärkere Herausarbeitung undBegründung der wirtschaftlichen Bedeu-tung der Arbeit der Freien Wohlfahrtspfle-ge bzw. sozialstaatlicher Leistungserbrin-gung. Die volkswirtschaftliche Bedeutungder Freien Wohlfahrtspflege kann im Be-reich des Arbeitsmarktes, der Kreislauf-effekte der Verausgabung von Transfer-leistungen, der Effekte für regionale Wirt-schaftsstrukturen beschrieben werden. Zuden Auseinandersetzungen gehört aucheine theoretische Diskussion und Ausei-nandersetzung mit dem Wettbewerbs- undMarktbegriff, dessen Steuerungslogik nichtden Steuerungsanforderungen im Bereich

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Die Rolle der Wohlfahrtsverbände im sich wandelnden Sozialstaat 31

sozialstaatlicher Leistungserbringung ent-spricht bzw. nur partiell entspricht. Dazugehört aber auch die Diskussion um dieEffektivität und Effizienz sozialstaatlicherLeistungserbringung und damit die Be-

schreibung des Erfolgs sozialstaatlicherLeistungserbringung für die verschiedenenZielgruppen unter genauer Berücksichti-gung der weiter oben dargestellten Prin-zipien.

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Corporate Social Responsibility (CSR) in der Praxisam Beispiel der betapharm Arzneimittel GmbH∗

Petra Kinzl

Was sollten angehende CSR-Managervor allem lernen? Auf alles gefasst zusein!

Das ist in Kurzform die Lehre, die ich ausmeiner siebenjährigen Erfahrung als Ver-antwortliche für dieses Gebiet gezogenhabe. Im Detail heißt das: Jeder Aspirantfür diese Position muss sich mit allen Be-langen eines Unternehmens auskennen undsich damit befassen – von Unternehmens-steuerung über Marketing/Vertrieb bis Per-sonal und wo vorhanden auch mit For-schung/Entwicklung. Sie oder er muss sichin das Unternehmen hineindenken können.Dazu ist es wichtig, direkt an die Ge-schäftsleitung angebunden und mit ihr imDialog zu sein. Sehr gute Antennen fürPolitik und sich ständig ändernde gesell-schaftliche Strömungen sind unerlässlich.Und schließlich muss diese Gemengelageimmer wieder neu unter einen Hut ge-bracht werden - zwischen Vertrieb undPolitik, zwischen Unternehmensführungund gesellschaftlichen Anforderungen. DasWirken muss man auch ständig betriebs-wirtschaftlich hinterfragen, noch bevor esdas Controlling tut…

1. Die Stunde Null

Der erste Schritt: So untypisch wie meineAufgabe begann, so typisch war sie füreine CSR-Managerin am Anfang der Un-ternehmensentscheidung für ein gesell-schaftliches Engagement. Das ist auchheute noch so, wenn ein Unternehmen sichohne praktische Erfahrungen dazu ent-schließt.

"Wir haben eine soziale Einrichtung ken-nen gelernt und möchten mit ihr kooperie-ren. Machen Sie etwas Gutes daraus", hießes bei meiner Einstellung 1998 als Assis-tentin der Geschäftsleitung. Dieses an-fängliche Sponsoring zu betreuen undweiterzuentwickeln, sollte eine meinerersten Aufgaben sein.

Den Begriff CSR kannte damals inDeutschland fast keiner. Also machten wiruns bei betapharm als Pioniere auf denWeg. Für diesen Weg gab es zumindesteine klare Leitlinie: betapharm-Geschäftsführer Walter hatte es verstan-den, dass das damals noch relativ kleineUnternehmen im Wettbewerb ein Allein-stellungsmerkmal braucht, um es dauerhafthervorzuheben. Zumal wir in einemMarktsegment agieren, das sich aus über30 Mitbewerbern mit austauschbaren Pro-dukten zusammensetzt.

2. Das Know-how im Markt nutzen

Die Ressourcen: Es wurde vor allem einKapital verwertet, das bei einem Unter-nehmen sonst in der Regel nur intern ge-nutzt wird: Unternehmenskultur. Wir hat-ten seit jeher eine auf den Menschen undseine Bedürfnisse ausgerichtete Philoso-phie und Kultur. Diese war die Grundlage,auf der unser Engagement entstehen undsich entwickeln konnte.

Gemeinsam führten wir erste Kooperati-onsprojekte durch. Im Dialog entwickeltenwir diese Projekte weiter, denn wir kanntendie Strukturen und auch die Schwachstel-

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len im Gesundheitsbereich – warum alsodieses Wissen nicht zum Nutzen aller Be-teiligten einsetzen?

Das ernsthafte Hinauswachsen über denTellerrand der eigenen Branche ist einwichtiger Punkt, der letztendlich Glaub-würdigkeit schafft. Wenn beim Engage-ment nicht mehr direkte Rückschlüsse zumeigentlichen Wirtschaftsziel (Umsatz, Ver-kauf) geschlossen werden und die positivePositionierung eine Selbstverständlichkeiterlangt, dann hat sich das Unternehmen als"Mitspieler" qualifiziert.

3. Ein Unternehmer entscheidetsich

Die Voraussetzung: Was macht CSR aus?Es muss nach außen als auch nach innenwirken. Dabei war es ein klarer Vorteil,dass mit Peter Walter als Geschäftsführerein gestandener Unternehmer an der Spitzestand, der mit seiner Erfahrung den Zu-sammenhang zwischen wirtschaftlicherExpansion und sozialem Engagement er-kannte, der gleichzeitig intern als Leitfigurfungierte und sich in seine Mitarbeiter hin-einfühlen konnte. "Sponsoring alleinereicht nicht", sagte Walter, und er sollteRecht behalten. CSR wurde Teil der strate-gischen Unternehmensplanung und derTagesarbeit bei einem Großteil der Mitar-beiter. betapharm setzte sich zum Ziel,Patienten bei der ganzheitlichen Krank-heitsbewältigung zu unterstützen, die psy-chosoziale Gesundheit zu fördern und so-zialmedizinisches Wissen allgemein ver-fügbar zu machen.

Von da an begann das Unternehmen, dasEngagement zu "leben". Die Mitarbeiterließen sich gerne in Aufgaben integrieren,waren stolz auf die gemeinsamen Leistun-gen und die Motivation stieg spürbar. Mehrnoch: Als Multiplikatoren auch im kleins-ten privaten Kreis trugen die Angestelltendas Wir-Gefühl nach außen, waren stolzauf sich und ihren Arbeitgeber.

4. Auf dem Weg zum CorporateCitizen: Wir müssen etwasbewegen!

Die Umsetzung: Obwohl wir 1998 auchden weiterreichenden Begriff CorporateCitizen bei betapharm noch gar nichtkannten, verlief die Entwicklung vom rei-nen Sponsor hin zum verantwortungsbe-wussten Partner und Bürger aus meinerSicht idealtypisch. Die zentrale Kernideewar: Wir müssen etwas bewegen! Wirwollen Sinnvolles tun!

Der erste gemeinnützige Partner war der"Bunte Kreis e.V." in Augsburg. Ideal fürdie weitere Entwicklung war, dass sichbetapharm und der Bunte Kreis in dersel-ben Stadt befanden. Dadurch war es auchfür die Mitarbeiter von betapharm leichter,sich mit ihrem neuen "Patenkind" zu iden-tifizieren – und natürlich sind in der An-fangsphase kurze Wege vorteilhaft, umsich mit den Projektpartnern auch kurzfris-tig persönlich abzustimmen.

Aufgabe des Vereins ist es, die Versor-gungslücke zwischen Kinderklinik undheimischem Kinderzimmer zu schließen –die Mütter, Väter und Kinder also nichtallein zu lassen bei der Nachsorge, beimAustausch mit Leidensgenossen, bei denAnträgen auf Kuren und so weiter. Betrof-fene müssen ansonsten erst mühsam er-kunden, auf welche Hilfen sie zurückgrei-fen können. Gebündelte und individuelleInfos standen selten bis gar nicht zur Ver-fügung. Dabei beschleunigt eine ganzheit-liche Versorgung nachweislich die Gesun-dung und spart langfristig hohe Kosten.Genau hier setzte betapharm an.

5. Vom Sponsor zum Partner zumBürger

Die Ausweitung: Als klar wurde, dass die-ses Modell für alle betroffenen Familien inDeutschland sinnvoll ist, musste auch be-tapharm einen Schritt weiter denken. Um

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Corporate Social Responsibility (CSR) in der Praxis 35

die Weiterentwicklung des AugsburgerNachsorgemodells zu fördern, innovativepsychosoziale Modelle zu entwickeln unddas Engagement langfristig anzulegen,errichtete betapharm 1998 die betapharm-Nachsorgestiftung.

Die Schaffung einer Institution: 1999gründeten betapharm und der Bunte Kreisdas gemeinnützige beta Institut für sozial-medizinische Forschung und Entwicklung.Es arbeitet an Methoden für eine umfas-sende Herangehensweise an die Patienten-versorgung, die neben den rein medizini-schen Aspekten vor allem auch die jewei-lige psychosoziale Situation des Menschenund die Struktur des Gesundheitswesensberücksichtigt. Das beta Institut erhöhtdurch angewandte Forschung, Fortbildungund Dienstleistung rund um die Patienten-versorgung nicht nur die LebensqualitätBetroffener und ihrer Familien, sondernsteigert auch die Effizienz in Teilbereichendes Gesundheitssystems.

Bereits das erste Forschungsprojekt desbeta Instituts war höchst erfolgreich: Eine1999 begonnene Kosten- und Nutzenana-lyse der pädiatrischen Nachsorge desBunten Kreises konnte sowohl den sozia-len als auch den ökonomischen Nutzensozialmedizinischer Nachsorge belegen.Das Institut startete auf Basis dieser Er-kenntnisse eine Gesetzesinitiative, die Ge-schäftsführer Horst Erhardt persönlich undmit Erfolg an Gesundheitsministerin UllaSchmidt und an Horst Seehofer übergab:2003 wurde das Recht auf sozialmedizini-sche Nachsorge für Kinder unter zwölfJahren als neue Leistung ins SGB V(Krankenversicherungsrecht) aufgenom-men.

Das Modell einer begleitenden Patienten-versorgung in der Pädiatrie wurde 2002mit der Schaffung von mammaNetz, einerBegleit- und Orientierungsstelle für Frauenmit Brustkrebs, erfolgreich auf den Er-wachsenenbereich übertragen. Das bun-desweit einmalige Augsburger Pilotprojekt

informiert, berät und begleitet Frauen mitBrustkrebs in allen Phasen der Erkrankung,von der Diagnose bis zur Nachsorge. Zwi-schenzeitlich wurde ein integrierter Ver-sorgungsvertrag mit der AOK Bayern ab-geschlossen und begonnen, das ModellmammaNetz auf Kliniken in anderen Re-gionen Deutschlands zu übertragen.

Im Rahmen der Institutsarbeit wurden nochweitere Voraussetzungen für eine Ver-besserung der Patientenversorgung inDeutschland geschaffen. So zum BeispielbetaCare, ein im April 2000 ins Leben ge-rufener Informationsservice für sozialeFragen im Gesundheitswesen. Die Dienst-leistung bietet eine in Deutschland einzig-artige sozialmedizinische Beratungskom-petenz und besteht aus der Informations-hotline für soziale Fragen betafon, demSoziallexikon betaListe und der Internet-Suchmaschine www.betanet.de.

Basierend auf dem Erfahrungsschatz seinerMitarbeiter hat das Institut seit seinerGründung viele nachhaltige Schulungs-sowie Aus- und Weiterbildungsprogrammefür medizinische Einrichtungen und Fach-leute entwickelt und veranstaltet.

6. Das Aha-Erlebnis

Ob Politik, Kassen, Ärzte oder Patienten-gruppen – überall waren die Ansprechpart-ner äußerst dankbar für konkrete neue Lö-sungsmodelle, für die Vermittlung vonKontakten untereinander oder für den An-stoß von Impulsfinanzierungen neuer Pro-jekte, wobei die Mittel nicht unbedingt vonbetapharm kommen mussten.

Für betapharm bedeutete dies, dass dasUnternehmen nun ein hochkompetentesAlleinstellungsmerkmal besaß, das Ärzte,Apotheker und Endverbraucher gleicher-maßen überzeugte. Mehr noch: Aus demanfänglichen "wir wissen nicht so recht,wie wir vorankommen", entstand ein akti-ves Handlungs-Instrument, mit dem be-

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tapharm als Teil eines Netzwerks in derLage ist, ständig Lösungen zu erarbeiten.Lösungen, die in der gesamten Gesund-heits-Community (Ärzte, Apotheker, Kas-sen, Verbände, Kliniken, Universitäten,Selbsthilfegruppen und Fachverlage) be-achtet und geachtet werden. Wir sind damitaktiv handelnden Mitgestalter und nichtnur ein Lieferant von Arzneimitteln.

Letztendlich nabeln wir (Patienten, Ärzte,Apotheker, Kassen, Pharmafirmen) uns mitdieser Team-Vernetzung von den Kaprio-len der staatlichen Gesundheitspolitik lang-fristig ab. CSR wird so zur Lösung einergesamtgesellschaftlichen Aufgabe, zumAnsatz einer Systemveränderung in derPatientenversorgung! Für ein CSR-Engagement ist es somit typisch, sich amAnfang Fragen zu stellen wie: Wo bleibtder Mensch?

7. Unternehmenswachstum alsFolge von CSR

Das Ergebnis: Letztlich bestätigt dasWachstum von betapharm entgegen demBranchentrend, dass sich professionelleund nachhaltige CSR für alle auszahlt. Un-sere Partner profitieren von einem starkenUnternehmen, das sich weiter tatkräftigfinanziell engagieren kann und einen ef-fektiven Apparat für Problemlösungenaufgebaut hat. Intern können Marketingund Vertrieb von einer Reputation imMarkt profitieren, die ihnen Türen öffnet,wo Werbung und Sponsoring allein nichtannähernd derlei Erfolge brächten. DasManagement kann auf einer stabilen Basisplanen und muss durch weitere Einschnitteim Markt nicht ständig kurzfristige Strate-gien auflegen, und letztlich sind auch unse-re Gesellschafter überzeugt von CSR undspornen uns an, damit fortzufahren. Im-merhin kletterten wir seit der Einführungvon CSR von Platz 15 auf Position vier inunserem Marktsegment und gehören zu

den am schnellsten wachsenden Unter-nehmen.

8. Erfolge in der Öffentlichkeit

Auf Initiative von betapharm wurde dasRecht auf sozialmedizinische Nachsorgefür jedes Kind unter zwölf Jahren fest imKrankenversicherungsrecht verankert. Wirgewannen Preise und Ehrungen für unsereArbeit, bis hin zu einer Auszeichnungdurch Alt-Bundespräsident Johannes Rau.Die Medien begannen, von unserem Enga-gement Notiz zu nehmen und mittlerweileberichten neben TV-Sendern wie RTL un-ter anderem Handelsblatt, Financial TimesDeutschland, Capital und SüddeutscheZeitung darüber.

9. Fazit aus dem Engagement vonbetapharm

Ein Vakuum in sozialer und auch kommu-nikativer Sicht ist prädestiniert für CSR.Der Staat zieht sich zurück, einzelne Be-troffene sind orientierungslos und findennicht den Weg zu passenden Ansprech-partnern und Helfern. Die Aufgabenstel-lung war und ist weitaus komplexer, alslediglich ein Projekt zu unterstützen. Esgeht um ganzheitliche Lösungsansätze,nicht um einzelne Projekte und Sponso-ring-Maßnahmen. Ein ganzes gesellschaft-liches Gebiet muss ausgelotet, analysiertund grenzüberschreitend mit einem strate-gischen Lösungsansatz versehen werden.

Erst bei jahrelanger Konsequenz, einemanalytischen Unterbau und einer professio-nellen Einbindung der Mitarbeiter kann einUnternehmen seine sozialen Aktivitätenglaubwürdig mit dem Label CSR – Corpo-rate Social Responsibility – versehen. Wirkönnen heute mit Recht behaupten: Mitseinem Engagement hat sich betapharm einunverwechselbares Profil in einem hartumkämpften Markt gegeben.

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Corporate Social Responsibility (CSR) in der Praxis 37

10. Der Anspruch an die CSR-Manager der Zukunft

Bei den einzelnen Qualifikationen stelleich die praktischen Fähigkeiten obenan,denn selbst ein noch so guter Theoretikerwird bei konkreten Projekten und derenUmsetzung scheitern, wenn er nicht dieerforderlichen Soft Skills mitbringt. Nebenabsoluter Flexibilität (neue Projekte, neueProbleme, neue Impulse der Geschäftslei-tung, neue Strategien) zusammen mit In-novationsgeist, (was kann mit welchenneuen Ideen erreicht werden) steht fürmich Durchhaltevermögen an der Spitzeder Anforderungen. CSR birgt ständigRückschläge, weil wir es mit Menschen zutun haben und mit Partnern, die nicht wieUnternehmen denken.

11. Aufgaben und Umsetzung

Aus der Erfahrung heraus kann ich meineAufgaben und damit meine Empfehlung andie Ausrichtung künftiger CSR-Managerso zusammenfassen:

− Integrität: Ich darf weder die Ziele desUnternehmens noch der Partner miss-achten.

− Problemlösungskompetenz− Kooperationsfähigkeit− Kommunikationsfähigkeit: Der CSR-

Manager betreibt Public Relations so-wohl intern, extern, als auch Business-to-Business

− Dolmetscher-Fähigkeit: GemeinnützigePartner verstehen Business-Sprachenicht zwingend. Die Unternehmensfüh-rung braucht professionelle Aussagenzu Projekten und umgekehrt.

− Durchsetzungskraft: Rückhalt in derGeschäftsleitung ist hilfreich.

− Unternehmergeist: CSR ist keine Ver-waltungsaufgabe, sie muss als Unter-nehmen im Unternehmen verstandenwerden.

− Analytisches Verständnis: Jede Ent-scheidung muss auf Vor- und Nachteileabgewogen werden.

− Ergebnisorientierung: CSR ist kein Jobfür Sozialarbeiter. Das soziale Enga-gement muss im Einklang mit den be-triebswirtschaftlichen Zielen erreichtwerden.

Die Umsetzung:

− Hier ist es zunächst wichtig, den Part-nern zuzuhören, sich in deren Lage zuversetzen und diese zu verstehen.

− Chancen zu entdecken, ist ein kreativerund wichtiger Prozess – wie kann mitwem im Sinne des Unternehmens ko-operiert werden.

− Kompetenzen auf beiden Seiten zuSynergien zusammenfassen: Wer weißund kann etwas, und wie kann dies ge-nutzt werden?

− Ziele setzen: Wo führt der Weg aufbeiden Seiten idealerweise hin?

− Konzipieren: Erscheint ein Engage-ment und eine ganze Reihe von Maß-nahmen und Verknüpfungen als sinn-voll, muss mit höchster Präzision darangegangen werden, daraus ein langfris-tiges Konzept zu entwerfen, damit füralle Seiten eine transparente Road Mapmit Zwischenschritten und messbarenErfolgen entsteht.

− Umsetzen und Ergebnisse messen: Wersich auf den Weg gemacht hat, mussständig am Ball bleiben und jedes Er-gebnis intern "verkaufen". Abweichun-gen gilt es, früh zu identifizieren undmessbare Ergebnisse (Erfolge bei derZielgruppe, die auch Umsatzrelevanzhat) intern zu kommunizieren.

12. Persönliches Resümee

Zusammenfassend kann ich für meineAufgabe sagen: Ich verstehe mich alsProblemlöserin für Wachstumsprobleme

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im Unternehmen und in der Gesellschaft.Das Spannende daran: Ich wirke sowohlauf Geschäftsmodelle, Strategien und Un-ternehmenskultur als auch auf die Öffent-lichkeit, die Politik und sogar die Wissen-schaft ein. Das geht bis hin zu echten Ver-änderungen im Gemeinwesen.

Meine Vision ist, dass es für Unterneh-menslenker selbstverständlich ist, verant-wortlich zu handeln und dadurch ge-sellschaftliche Probleme zu lösen, um da-mit ein wirtschaftlich erfolgreicheresund gesünderes Unternehmen führen zukönnen.

Anmerkung

∗ Der Wiederabdruck dieses Artikels aus demBuch Tiemeyer, Ernst/Wilbers, Karl (Hrsg.):Berufliche Bildung für nachhaltiges Wirt-schaften. Konzepte – Curricula – Methoden –

Beispiele. Bielefeld 2006, S.152-159 erscheintmit freundlicher Genehmigung des W. Ber-telsmann Verlages.

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Bürgerschaftliches Engagement von Unternehmen

René Schmidpeter

1. Globalisierung als Heraus-forderung für Unternehmenund Politik

Der rasche Wandel zu einer globalen Wis-sensgesellschaft, die sich durch grenzüber-schreitende Zusammenarbeit und funda-mentale technische und gesellschaftlicheVeränderungen auszeichnet, prägt den Be-ginn des 21. Jahrhunderts.

Die tragenden Systeme unseres wirtschaft-lichen und sozialen Zusammenlebens –Wirtschaft, Familie und Bürgergesellschaft(Civil Society) – werden sich grundlegendverändern. Sowohl in der sozialwissen-schaftlichen Forschung als auch in der po-litischen und unternehmerischen Praxiswerden vermehrt neue Fragestellungen undinnovative Ansätze diskutiert, die insbe-sondere die steigende internationale Ar-beitsteilung und Spezialisierung und denimmer größer werdenden Wettbewerbs-und Innovationsdruck erfolgreich begeg-nen. Dabei begründet die steigende Be-deutung von weichen Standortfaktoren(Bildung, Innovationsbereitschaft, Risiko-kultur etc.) und Informationen über Kun-den und Märkte immer neue Investitions-und Marktstrategien der Unternehmen.

Von den Menschen wird eine erhöhte be-rufliche Mobilität und Flexibilität gefor-dert, was sich wiederum in einer steigen-den Individualisierung und Pluralisierungunserer Gesellschaft niederschlägt. Ob-wohl dieser Prozess oft beruflichen Erfolgund einen höheren materiellen Wohlstandmit sich bringt, verursacht er auch negativeBegleiterscheinungen, denen mit neuenStrategien begegnet werden muss.

Insbesondere die fehlenden Investitionenin unsere nachkommenden Generationenführen zu einer Schwächung des so wichti-gen Humanvermögens unserer Gesell-schaft. Nicht nur die soziale Absicherungdes Einzelnen, sondern auch die wirt-schaftliche Leistungsfähigkeit der Gesell-schaft im Ganzen wird auf diese Weisedurch die gegenwärtige Entwicklung ge-fährdet1. Sie stellt somit die größte Gefahrfür eine nachhaltige gesellschaftliche wieökonomische Entwicklung dar.

Um neue Lösungsansätze in der Politik zuentwickeln, gilt es, die Synergiepotenzialezwischen den drei Sphären (Wirtschaft,Familie und Bürgergesellschaft) zu identi-fizieren und durch innovative Projekte zuaktivieren.

2. Verantwortung von Unter-nehmen - Corporate SocialResponsibility

Ein wichtiger Baustein, um die wichtigengesellschaftlichen Strukturen neu zu stär-ken, ist die Diskussion über die gesell-schaftliche Rolle der Unternehmen. Wel-che Verantwortung tragen Unternehmenbzw. welche Rechte und Pflichten werdenihnen von ihren Mitarbeitern, Kunden undder Gesellschaft zugeschrieben? Dieseeuropäische Diskussion um die sogenannteCorporate Social Responsibility gewinntdurch die steigende wirtschaftliche Be-deutung der Unternehmen in unserer Ge-sellschaft zunehmend an Dynamik.2 51 der100 größten wirtschaftlichen Einheitensind bereits Unternehmen, nur mehr 49davon sind Staaten. Die 500 größten Un-

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40 René Schmidpeter

ternehmen kontrollieren 42% der wirt-schaftlichen Prosperität in unserer Welt.Der Umsatz der 10 größten Transnationa-len Unternehmen übertrifft bereits dasBruttosozialprodukt der 100 kleinstenLänder zusammengerechnet. Diese wirt-schaftliche Dominanz führt, verschärftdurch vermehrte gesellschaftliche Proble-me und durch Skandale in der Geschäfts-welt (Enron, Worldcom, Parmalat, Man-nesmann, Zusammenbruch der New Eco-nomy etc.), zu einem steigenden Misstrau-en gegenüber der Wirtschaft in unsererGesellschaft. Es ist mittlerweile offen-sichtlich, dass ein größerer Beitrag derWirtschaft zur Lösung drängender Proble-me eine der wichtigsten Bedingungen fürdie Zukunftsfähigkeit unseres Wirtschafts-systems darstellt.3

Ziel der Unternehmer und Manager musses daher sein, verlorenes Vertrauen wiederaufzubauen und zusammen mit der Politikund der Bürgergesellschaft ihre Rechte undPflichten in der globalen Wissensgesell-schaft neu zu definieren. In Europa befasstsich die Europäische Kommission intensivdamit, die neue Rolle von Unternehmenauf dem Weg zu einem wettbewerbsfähi-gen, wissensbasierten, sozial integriertenEuropa zu definieren. In den einzelnenMitgliedsstaaten der EU gibt es bereitsinnovative Initiativen seitens der Wirt-schaft – z.B. Business in the Community inGroßbritannien, respACT (www.respact.at)in Österreich und econsense (www.econsense.de), CSR Germany (www.csrgermany.de) sowie UPJ (www.upj-online.de) in Deutschland – um den stei-genden Ansprüchen der Gesellschaft ge-recht zu werden. Insbesondere das gesell-schaftliche Engagement von mittelständi-schen Unternehmen stellt einen wichtigenFaktor für eine funktionierende Bürgerge-sellschaft dar.4

In dieser Diskussion wird daher wirt-schaftlicher Erfolg und gesellschaftlicherwünschtes Handeln nicht mehr als einWiderspruch gesehen.

3. Bürgergesellschaft als neuesParadigma in der Politik

Der vermehrte soziale und gesellschaftli-che Handlungsdruck der Länder, Städteund Gemeinden sowie der erhöhte Wett-bewerbsdruck in der Wirtschaft lassen er-kennen, dass klassische Lösungen – sozi-alpolitische Zuwendungen des Staates oderausschließlich appellative Forderungen andie Unternehmen - an ihre Grenzen stoßen.So wird zum Beispiel immer deutlicher,dass ohne die Förderung des aktiven Enga-gements von Bürgerinnen und Bürgern fürihr Gemeinwesen in allen gesellschaftlichund wirtschaftlich wichtigen Handlungs-feldern keinerlei weitere Handlungsspiel-räume mehr bestehen. In den aktuellenDiskussionen um die Stärkung des Stand-orts Deutschland fällt daher der Begriff derBürgergesellschaft und der Corporate So-cial Responsibility immer häufiger.5

Die in der Bürgergesellschaft vorhandenenPotenziale, das soziale Kapital – Bürger-schaftliches Engagement, Vernetzung undgemeinsames Handeln – können durchgeeignete Rahmenbedingungen aktiviertwerden.6 Durch das Zusammenwirken dervor Ort vorhandenen diversen Know-how-Träger (Wirtschaft, Verwaltung, Politik,Kirche, Sozialwesen, Bildungswesen, Ver-eine) mit ihren jeweiligen Ressourcen kön-nen neue soziale und wirtschaftliche Inno-vationen initiiert werden, um so die sozialeMarktwirtschaft im Sinne der Subsidiaritätvon unten zu erneuern.7

Empirische Untersuchungen zeigen, dassdieses Potenzial an gesellschaftlichem En-gagement der Bürgerinnen und Bürger inDeutschland noch längst nicht ausge-schöpft ist.8 Viele Menschen, aber auchUnternehmen sind verstärkt bereit, sichaktiv in die kommunale Entwicklung ein-zubringen, wenn die dafür notwendigenRahmenbedingungen geschaffen werden.Genau hier setzen Instrumente an, wie dieFamilien-Tische des Bayerischen Staats-ministeriums für Familie9 und Auszeich-

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Bürgerschaftliches Engagement von Unternehmen 41

nungen im Bereich des BürgerschaftlichenEngagements (z.B. Bürgerkulturpreis desBayrischen Landtags 2006: Bürgerschaftli-ches Engagement von Unternehmen).

Der logische nächste Schritt hin zu eineraktivierenden Sozialpolitik ist die konse-quente Stärkung dieser neuen Sichtweiseauf die Rollen von Wirtschaft, Politik undBürgergesellschaft sowie deren Verhältniszueinander.

4. Neue Partnerschaften zwischenWirtschaft und Gesellschaft:New Social Partnerships

Für die Etablierung von New Social Part-nerships – sozusagen "Neue Bündnisse fürgesellschaftliche Innovation" – ist das Zu-sammenwirken von Wirtschaft, nichtstaat-lichen Organisationen, Politik und Bürger-gesellschaft notwendig. Die Beteiligungder Wirtschaft – insbesondere von mittel-ständischen Betrieben, die in Deutschlanddie Mehrzahl der Arbeitsplätze schaffen –an neuen gesellschaftlichen Initiativen istdabei die Grundvoraussetzung. Unterneh-men verfügen über besonders weitreichen-de Fähigkeiten, sich als Bürger für ihreKommune oder Region zu engagieren. Dashängt nicht nur mit ihren finanziellenMöglichkeiten zusammen. Durch ihrendirekten Einfluss auf die Lebensbedingun-gen der Menschen vor Ort und durch ihreorganisatorische Stärke stellen Unterneh-mer einen der Schlüsselfaktoren einer akti-ven Bürgergesellschaft dar. Diese Fest-stellungen ist durch das jahrelange Enga-gement von Unternehmern etwa im Be-reich der lokalen Sport- und Kulturförde-rung, der dualen Ausbildung von Lehrlin-gen, der großzügigen Spendenpraxis fürsoziale Zwecke etc. belegt.

5. Die Logik des gesellschaftlichenEngagements von Unternehmen

Dabei gilt es jedoch in Zukunft zu beach-ten, dass Unternehmen sich immer wenigeraus rein altruistischen Motiven engagierenkönnen und wollen, sondern zunehmendauf Wettbewerbsvorteile aus ihrem Enga-gement bedacht sein müssen. Kooperatio-nen zwischen Unternehmen und Gesell-schaft sind deshalb nur dann nachhaltig,wenn in der Zusammenarbeit Vorteile füralle Beteiligten, Unternehmen und Sozial-einrichtungen, Verwaltung und den Men-schen vor Ort etc. realisiert werden. Eineeinseitig auf finanzielle Hilfen fixierteSichtweise auf die Partnerschaft mit derWirtschaft weckt den Widerstand der Un-ternehmen, die sich angesichts hoher Steu-er- und Abgabenlasten gegen die Rolle derLückenbüßer für leere Stadt- bzw. Ge-meindekassen wehren würden. Vielmehrsieht ein Großteil der Bürger ein umfas-sendes gesellschaftliches Engagement vonUnternehmen, das über ein rein finanziel-les Engagement hinausgeht, als gewünschtan: 87 % der Bevölkerung finden gesell-schaftliches Engagement von Unternehmenpositiv, 76 % der Bevölkerung sehen es alsGrundaufgabe von Unternehmen, sich beider Lösung von gesellschaftlichen Proble-men zu engagieren. Wichtiger noch: 86 %der Bevölkerung sind der Ansicht, dassUnternehmen, die sich aktiv gesellschaft-lich engagieren, langfristig auch erfolgrei-cher sind, als Unternehmen, die sich nichtengagieren.10 Das Mitwirken in neuenPartnerschaften stellt demnach in den Au-gen der Bürger keinen Gegensatz zumwirtschaftlichen Erfolg dar, sondern ist zudiesem komplementär zu sehen.

Die eigentliche Herausforderung bestehtsomit nicht darin, Unternehmen für die

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42 René Schmidpeter

bloße Finanzierung bestimmter Maßnah-men zu gewinnen, sondern allgemein ihreBeteiligung an der Suche nach Problem-lösungen zu erwirken. Die (Wieder-)Herstellung einer Gesprächsebene zwi-schen Unternehmen einerseits und Kom-mune bzw. kommunalen Einrichtungenandererseits, auf der es um die gemeinsameBearbeitung kommunaler und regionalerProbleme geht, stellt dabei eine zentraleAufgabe der kommunalen Politik dar. Da-bei geht es um kontinuierliche Gespräche,die auf die gemeinsame Veränderung derlokalen Rahmenbedingungen für die Men-schen vor Ort abzielen. Diese Dialogekönnen eher situativ, etwa bei Eröffnungs-feiern und Empfängen, in Beiräten undKuratorien, aber auch ganz gezielt in kon-kreten Veranstaltungen initiiert werden.

6. Neue Partnerschaften –Best-practice Beispiele

Gerade der Bereich der Familien- und Ju-gendförderung ist ein attraktiver Bereichfür Unternehmen, um sich in das gesell-schaftliche Umfeld einzubringen. Der Sie-ger der Initiative "Freiheit und Ver-antwortung" (www.freiheit-und-verantwortung.de), die Microsoft GmbH, arbeitet imRahmen des Projektes "Schlaumäuse"bundesweit mit Kindergärten zusammen,um die Medien- und Internetkompetenz inder vorschulischen Bildung aufzubauen(www.schlaumaeuse.de). Microsoft förderthier mit seinem Know-how, seinen Kom-petenzen und Mitarbeitern die Zukunfts-fähigkeit der Kinderbetreuung in deutschenKindergärten. Ähnlich arbeitet das Bauun-ternehmen Ytong in ostdeutschen Kom-munen mit Jugendklubs zusammen undbringt seine Ressourcen (Know-how, Lo-gistik und Netzwerke) zur Schaffung vonJugendhäusern ein. Auf diesem Wege ge-

winnt Ytong Akzeptanz bei den Jugendli-chen und kann auf das Potenzial an Nach-wuchskräften in der Region zugreifen. DasProblem der lokalen Kinderbetreuung hatder Freizeitausrüster Vaude durch eineenge Kooperation mit der örtlichen Ver-waltung, mit Schulen und mit den Vaude-Mitarbeitern gelöst. So entstand ein Kin-derhaus, welches sowohl den eigenen Mit-arbeitern als auch anderen Eltern aus derRegion zugänglich ist. Vaude arbeitet kon-tinuierlich mit anderen kommunalen Grup-pen zusammen, um die Familienfreund-lichkeit in der Kommune zu fördern. DieBi-Log AG bringt ihre Kernkompetenzenin der modernen IT-Technologie über viel-fältige Projekte in die Gesellschaft ein.Durch die speziell entwickelte Initiative"FamilyNet" (www.family-net.de) werdenbeispielsweise Eltern und Kinder gemein-sam mit Internet und Computer vertrautgemacht. Die betapharm ArzneimittelGmbH engagiert sich gemeinsam mit ih-rem Partner, der gemeinnützigen Selbsthil-fegruppe "Bunter Kreis", für die Entwick-lung und Verbreitung neuer Nachsorgemo-delle für chronisch kranke Kinder. Durchdieses Engagement hat die betapharmGmbH nicht nur die Rahmenbedingungenim Gesundheitswesen verändert, sondernauch für Familien mit schwer krankenKindern neue Handlungsspielräume ge-schaffen (www.beta-institut.de). Gleich-zeitig konnten sowohl die Mitarbeitermoti-vation und -zufriedenheit als auch die Un-ternehmensreputation gesteigert werden.Beide Faktoren trugen maßgeblich zumwirtschaftlichen Erfolg des Unternehmensbei.

Diese Beispiele zeigen auf, dass Unter-nehmen wichtige Partner sein können,wenn es um die Entwicklung neuer Lösun-gen für die Verbesserung der Lebensbe-dingungen für die Familie vor Ort bzw. in

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der Region geht. Es ist daher wichtig, trag-fähige lokale Strukturen aufzubauen, dieunternehmerisches Engagement aktiv inkonkrete Problemlösungen einbinden hel-fen.

7. Schaffung von Rahmenbedin-gungen durch die Politik

Die Frage nach der Weiterentwicklung derSozialen Marktwirtschaft und die neuerenDiskussionen um das gesellschaftlicheEngagement von Unternehmen sowie umdie Allianzen für Familie stellen ein sichgegenseitig verstärkendes Diskussionsbün-del dar. Neue Forschungsergebnisse undjüngste Praxiserfahrungen deuten daraufhin, dass Investitionen in Sozialkapital –z.B. bereichsübergreifende Netzwerke,neue Partnerschaften etc. – in der Tatsowohl die gesellschaftliche als auch die

wirtschaftliche und politische Entwicklungpositiv beeinflussen11. Genau hier liegt dieChance der Politik. In Zukunft kommt esvermehrt auf die Moderation und Stärkungder bürgergesellschaftlichen Kräfte an, d.h.die Politik muss vermehrt neue Aufgabenwahrnehmen und andere gesellschaftlicheKräfte mit in die Lösung der drängendenProbleme einbeziehen. Gleichzeitig müs-sen Unternehmen, wollen Sie ihre Wett-bewerbsfähigkeit steigern, auch ihrer ge-sellschaftlichen Verantwortung gerechtwerden. Freiheit und Verantwortung sindzwei Seiten einer Medaille, d.h. wirt-schaftliche und soziale Interessen dürfennicht länger als Gegensatz gesehen wer-den, sondern ergänzen einander. In dieserSichtweise liegen die größten Potenzialefür die Zukunft, sowohl im Bezug auf dieWettbewerbsfähigkeit als auch im Bezugauf die soziale Sicherheit für den StandortDeutschland.

Anmerkungen1 Enquete-Kommission des Deutschen Bundes-

tages zur Zukunft des Bürgerschaftlichen En-gagements: Zukunft des BürgerschaftlichenEngagements – Abschlussbericht. Opladen2002.

2 Habisch, A./Jonker, J./Wegner, M./Schmid-peter, R. (Hrsg.): Corporate Social Responsi-bility across Europe, Berlin 2004.

3 World Economic Forum (2003): Results of theSurvey on Trust. www.weforum.org/site/homepublic.nsf/Content/Annual+Meeting+2003%5CResults+of+the+Survey+on+Trust,11.9.2004.

4 Maaß, F./Clemens, R.: Corporate Citizenship –Das Unternehmen als guter Bürger, Wiesbaden2002; Spence, L./Habisch, A./Schmidpeter, R.(Hrsg.): Responsibility and Social Capital –The World of SMEs. Hampshire 2004.

5 Glück, A./Magel, H. (Hrsg.): Neue Wege inder Kommunalpolitik. Durch eine neue Bür-ger- und Sozialkultur zur Aktiven Bürgerge-sellschaft, München 2000; Habisch,A./Schmidpeter, R.: Das Unternehmen alsBürger der Kommune. Corporate Citizenshipund Initiativen regionaler Arbeitsmarkt- undSozialpolitik, in H. Backhaus-Maul/H. Brühl

(Hrsg.), Bürgergesellschaft und Wirtschaft –zur neuen Rolle von Bürgern, Verwaltungenund Unternehmen, Berlin 2003; Habisch,A./Schmidpeter, R.: Unternehmen in der Akti-ven Bürgergesellschaft: Die Fortschreibungder Sozialen Marktwirtschaft auf kommunalerEbene, in: M. Söder/P. Stein (Hrsg.), Moral imKontext unternehmerischen Denkens undHandelns. Argumente und Materialien zumZeitgeschehen Nr. 39,. München 2003,www.hss.de/downloads/argu39(1).pdf,5.8.2004.

6 Wüst, J./Schmidpeter, R.: Leitfaden Kommu-nale Familien-Tische. Bayerisches Staatsmi-nisterium für Arbeit und Sozialordnung, Fa-milie und Frauen (Hrsg.), München 2004.

7 Habisch, A./Schmidpeter, R.: Unternehmen inder Aktiven Bürgergesellschaft. München,2003.

8 BMFSFJ - Bundesministerium für Familie,Senioren, Freuen und Jugend (Hrsg.): Freiwil-liges Engagement in Deutschland. Ergebnisseder Repräsentativerhebung zu Ehrenamt, Frei-willigenarbeit und bürgerschaftlichem Enga-gement, Band 1: Gesamtbericht, Stuttgart2000.

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9 Habisch, A./Schmidpeter, R.: Das Unterneh-men als Bürger der Kommune; www.stmas.bayern.de/familie/tische.htm; BayerischesStaatsministerium für Arbeit und Sozialord-nung, Familie und Frauen. Kommunale Fami-lientische Bayern. München 2002. www.stmas.bayern.de/familie/tische.htm, 5.8.2004.

10 Institut für Wirtschaftsethik der Universität St.Gallen: Soziale Verantwortung aus Bürger-sicht, St. Gallen 2003. www.iwe.unisg.ch/org/iwe/web.nsf/wwwPubLiteraturTyp?OpenView&Count=9999&Expand=6#6, 11.9.2004.

11 Enquete-Kommission 2002.

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Ashoka – Social Entrepreneurshipals Prinzip nachhaltiger Entwicklung

Konstanze Frischen

1. Der Gedanke

"Hinter jeder Innovation steht ein Mensch"war der Ursprungsgedanke von 'Ashoka –Innovators for the Public', der ersten undweltweit größten Organisation zur Unter-stützung von Social Entrepreneurship("Sozialunternehmertum").

1980 entstanden, hatte Ashoka von Anfangan das Ziel, nachhaltig gesellschaftlichenWandel voranzutreiben, den Graben zwi-schen Nord und Süd zu überwinden unddie Zivilgesellschaft zu stärken. AshokasGründer, Bill Drayton, hatte sich seit sei-ner Jugend mit diesen Themen beschäftigt,beeindruckt u.a. vom Civil Rights Move-ment in den USA oder der gewaltlosen Re-volution in Indien unter Mahatma Gandhi.

Was Ashoka besonders macht, ist das"wie", also die Mittel, mit denen die Zieleerreicht werden. Drayton hatte wenig Lust,dass Ashoka eine weitere der vielen Hilfs-organisationen würde, die mit beiden Hän-den Gelder von Spendern in Projektesteckt, die sich nach kurzer Zeit als man-gelhaft oder nicht nachhaltig erweisen. E-benso wenig wollte Ashoka vermeintlicheLösungen aus dem Norden dem Südenauferlegen und Entwicklung durch einentop-down ("von oben nach unten") Ansatzerzwingen.

Forschung und vergleichende Studien gin-gen der Frage nach, was das Geheimnishinter nachhaltigen gesellschaftlichen Re-formen sei. Die Ergebnisse ließen sich aufeinen gemeinsamen Nenner bringen: Da-mit Innovation im sozialen Sektor entstehtund verbreitet wird, bedarf es der richtigen

Menschen, die bottom-up ("von unten")neue Lösungswege entwickeln. Alle dieseMenschen, die Drayton und seine Mit-streiter in verschiedenen Ländern fanden,hatten gemeinsame Charakteristika: Siehatten neue Ideen, vereinten Wissen undunternehmerischen Geist, handelten unter-nehmerisch, gingen kreativ mit Widerstän-den um und ließen sich nicht schnell ausder Bahn werfen. Drayton nannte diese ge-sellschaftlichen Innovationstreiber SocialEntrepreneurs.

Ein paar Beispiele aus Ashokas Netzwerk:Muhammad Yunus hat den Mikrokrediterfolgreich für die Bekämpfung von Armutangewendet und verbreitet. Peter Eigen hatdie Bekämpfung von Korruption weltweiterfolgreich auf die politische und wirt-schaftliche Agenda gebracht. David Greenmacht medizinische Vorsorge für Armebezahlbar. Andreas Heinecke nimmt Men-schen die Scheu vor Behinderten und in-tegriert diese in die Gesellschaft. SintaBarr gibt Frauen in ruralen Gebieten Afri-kas südlich der Sahara mehr wirtschaftli-che und soziale Macht. Barbara und Tho-masz Sadowski öffnen neue Marktchancenfür Arbeitslose und Obdachlose in Osteu-ropa. Albina Ruiz hat Müll-Recycling undGesundheitsvorsorge in ElendsgebietenSüdamerikas eingeführt und damit neuewirtschaftliche Aufstiegschancen für Armegeschaffen.

Wenn Business Entrepreneurs ("Wirt-schaftsunternehmer") die Motoren derWirtschaft sind, dann sind Social Entre-preneurs die Motoren gesellschaftlichenWandels. Natürlich brauchen sie eine Or-ganisation, Mitstreiter und Netzwerke, um

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nachhaltig zu wirken, aber das Grund-muster einer neuen Lösung für ein gesell-schaftliches Problem entwickeln sie.

Social Entrepreneurs hat es immer schongegeben – Franz von Assisi, FlorenceNightingale oder Maria Montessori sindhistorische Beispiele. Aber da die Zivilge-sellschaft seit 1980 in Größe und Ge-schwindigkeit wächst wie niemals in derGeschichte zuvor, gibt es sie heute mehrdenn je. Ashokas Aufgabe ist es seit jeher,herausragende Social Entrepreneurs syste-matisch zu finden und ihnen zu helfen,groß zu werden, um so im Sinne desSubsidiaritätsgedanken gesellschaftlichenWandel voranzutreiben.

2. Die Anfänge: Suche und Auswahlvon Social Entrepreneurs

Die Suche und Auswahl der vielverspre-chendsten Social Entrepreneurs stand undsteht bei Ashoka im Vordergrund. Über dieersten Jahre kristallisierten sich die Aus-wahlkriterien heraus: Niemand sollte auf-genommen werden, der Gewalt anwendetoder rassistisches Gedankengut pflegt oderverherrlicht oder solche Pläne verfolgt odersolche Strukturen errichten will, auch I-deologen (ob politischer oder religiöserNatur) sollten außen vor bleiben. Hingegensuchte Ashoka nach Menschen,

─ die ein innovatives Konzept zur nach-haltigen Lösung eines gesellschaftli-chen Problems haben: Sie kopierennicht einfach Vorhandenes, machennicht einfach "ein Projekt". Ihr Plan istalso nicht, eine neue Schule oder eineneue Klinik zu bauen. Stattdessen ent-wickeln sie grundsätzlich neue Ansät-ze, z.B. eine neue Lehrmethode odereinen neuen Ansatz zur Versorgungund Prävention von Krankheiten undwollen diese verbreiten (wozu der Baueiner neuen Schule ein Schritt und so-mit Teil des Planes sein mag).

─ die unternehmerisch sind, d.h. ihre Vi-sion nicht aus dem Auge verlieren undwirklich umsetzen können, also prag-matisch und realistisch in Bezug aufdie Einschätzung ihrer Umwelt sind,die keinen Tunnelblick haben, sonderndas Gesamte im Auge behalten, die ihrFachgebiet kennen, die so lange anStellschrauben drehen, an Strategientüfteln, bis es klappt, die sich von Hin-dernissen und Schwierigkeiten nichtaus der Bahn werfen lassen und diediese Fähigkeiten in ihrer Biographieschon bewiesen haben.

─ die kreativ sind, was Zielsetzung undLösungsweg angeht, die neu und oftauch unkonventionell denken, Proble-me lösen und Hindernissen aus demWeg gehen, die richtigen Interessen-vertreter gewinnen und die nötige Un-terstützung mobilisieren.

─ deren Vorhaben eine hohe gesell-schaftliche Breiten- und Tiefenwirkunghat, d.h. ein replizierbares Unterfangenist, das möglichst vielen Menschen innachhaltiger Weise zu Gute kommt unddas systematisch Weichen für Verände-rung stellt.

─ die ethisch glaubwürdig und integersind, die also keine versteckte Agendahaben, keine ethisch und weltanschau-lich zweifelhaften Ziele verfolgen, dieam offenen und unideologischen Aus-tausch interessiert sind.

Ein Vorschlagssystem sowie ein mehrstu-figes Auswahlsystem auf nationaler undinternationaler Ebene, u.a. mit einem ex-ternen Ausschuss, soll für eine möglichstoptimale Auswahl sorgen. Eine Faustregelsagt, dass die Organisation im Schnitt ineinem Land auf 10 Millionen Einwohnerpro Jahr einen Social Entrepreneur findet,der Ashokas Kriterien erfüllt.

Mit Gloria de Souza, einer Lehrerin inBombay, wurde vor 25 Jahren der Erste"Ashoka Fellow" ausgewählt. De Souzawar aufgeschreckt worden, als sie merkte,

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Ashoka – Social Entrepreneurship als Prinzip nachhaltiger Entwicklung 47

dass die Mehrzahl ihrer Schüler zwar uni-sono englische Gedichte aus der Kolonial-zeit auswendig aufsagen konnte, aber aufdie Frage, wo der Monsun herkommt, kei-ne Antwort wussten und ihre braune Haut"minderwertig" fanden. De Souza begann,den Unterricht umzukrempeln: Sie ersetztebritische Namen in den Lesebüchern derGrundschüler durch indische und dachtesich Geschichten aus, die – anders als inden Lehrbüchern – nicht in London, son-dern in Bombay spielten. Sie ermutigte dieKinder, ihre eigenen Erzählungen mitzu-bringen und mitzuteilen. Statt britische Ge-schichtsdaten zu pauken, zog sie mit denKindern in die Parks, um einheimischePflanzen zu sammeln und zu katalogisie-ren. Statt Frontalunterricht (Lehrer lehrt,Kinder schreiben mit und lernen auswen-dig) führte sie Arbeitsgruppen und Diskus-sionsrunden ein und ermutigte die Schüler,Klassensprecher und Schülervertretungenzu wählen. Und sie überzeugte Lehrer undDirektoren in anderen Schulen, ihre Me-thode zu übernehmen. Zwei Jahre nach ih-rer Auswahl als Ashoka Fellow lernten be-reits mehr als eine Million Schüler in 1700Schulen im Bombay danach. Ende derachtziger Jahre wurde ihre Methode inganz Indien beispielhaft in den Lehrplanfür Abermillionen Grundschüler aufge-nommen.

Inzwischen hat Ashoka fast 2000 SocialEntrepreneurs in mehr als 60 Ländern aus-gewählt. Die Ashoka Fellows arbeiten inBereichen wie Umweltschutz, Bildung,Kinder, Familie, Menschenrechte, Integra-tion, Bürgerbeteiligung, Armutsbekämp-fung, Mikrokredite und wirtschaftlicheEntwicklung oder Gesundheitsvorsorge. 94Prozent aller Fellows sind auch fünf Jahrenach ihrer Auswahl noch aktiv am Projektbeteiligt, mehr als 80 Prozent reproduzie-ren ihr Projekt national oder internationalund knapp 60 Prozent erreichen Gesetzes-änderungen.

Seit 2005 ist die Organisation auch inWesteuropa vertreten, in Deutschland wur-

den bis 2006 sieben Fellows ausgewähltaus den Bereichen Integration, Migration,Gesundheit, Schule und Familie sowieEntwicklung strukturschwacher Regionen.

Klassischerweise werden Fellows dannausgewählt, wenn sie ihr Spezialgebietkennengelernt, sich ihre Sporen verdient,ihre Vision artikuliert und ihr Projekt be-gonnen haben und kurz vor dem Durch-bruch stehen. Solchen Fellows, die relativfrüh in ihrem Lebenszyklus stehen, ge-währt Ashoka für die Dauer von drei Jah-ren Stipendien (wenn sie denn finanziellbenötigt werden), die den gesamten Le-bensunterhalt abdecken und es dem SocialEntrepreneur so ermöglichen, sich ohneExistenznöte ganz seinem Vorhaben zuwidmen1.

Zentral für die Social Entrepreneurs istdarüber hinaus der Austausch mit anderenAshoka Fellows, die Weitergabe von Wis-sen, Erfahrungen und Ideen sowie die Zu-sammenarbeit über Grenzen hinweg. Wasin Bombay Erfolg hat, kann auch für Riode Janeiro relavant sein oder für Berlin,was in Kapstadt funktioniert, kann auch fürBerlin Bedeutung haben. Angesichts glo-baler Herausforderungen wie Umweltver-schmutzung oder Migration schließen sichAshoka Fellows über Grenzen hinweg zu-sammen, um gemeinsam ein Spezialgebietweiterzuentwickeln.

3. Die zweite Stufe: GroupEntrepreneurship/Initiativen

Nachdem Ashoka in den neunziger JahrenHunderte von Fellows ausgewählt hatte,wurde beim Vergleichen der verschiedenenFälle klar, dass Muster ("Mosaics") zu er-kennen waren, die geographisch unabhän-gig waren. Beispielsweise hatten alle Fel-lows, die im Bereich "Kinder und Bildung"arbeiten, die Sichtweise, Kinder wertzu-schätzen als aktives, zur Gemeinschaftbeitragendes Subjekt und als gesellschaft-liche Ressource, nicht als Belastung oder

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im Zaum zu haltendes Objekt. Ein weiteresPrinzip war, dass alle Fellows Kindern denFreiraum und die Möglichkeit gaben,selbstverantwortlich Dinge auszuprobierenund zu experimentieren ("Put Children inCharge"). Die "Innovative Learning Initia-tive", die Ashoka daraufhin startete, hatzum Ziel, Fellows, die in einem Themen-gebiet arbeiten, zusammenzuführen undmit ihnen solche und ähnliche Prinzipienzu suchen und relevante Lösungsansätzeinternational zu verbreiten und bekannt-zumachen.

Aus dem "Put Children in Charge"-Prinzipentwickelte Ashoka das Projekt "YouthVenture", das in den USA und in Südame-rika inzwischen als eigene Organisationläuft. "Youth Venture" ist eine Art "Mini-Ashoka" und ermutigt Kinder, in ihrenGemeinden mit ihren Mitschülern oderFreunden eigene Unternehmungen zustarten. Es gibt kleine "Kredite", es gibtebenfalls ein Auswahlverfahren (Kindersind Teil der Jury), es gibt ein Netzwerkvon Youth Venture Champions. Die Ideeist, Kindern so früh wie möglich die Erfah-rung machen zu lassen, dass sie führenkönnen, dass sie umsetzen können, dass sieals Menschen grundsätzlich "fähig sind".Die Annahme dahinter ist, dass positiveErfahrungen in relativ jungem Alter prä-gend und stärkend für die weitere Ent-wicklung sind.

Neben der "Innovative Learning Initiative"hat Ashoka weitere Initiativen entwickelt,vor allem im Bereich Umwelt, Menschen-rechte und wirtschaftliche Entwicklung.Das von Ashoka produzierte Online-Magazin "Changemakers" (www.changemakers.net) sammelt und verbreitet Fall-studien von Fellows aus aller Welt, Me-thodologien und neue Entwicklungen imsozialen Sektor.

4. Die dritte Stufe: Brücken zurWirtschaft

Ebenfalls in den neunziger Jahren wurdeimmer deutlicher, dass Ashoka – um wirk-lich zur Stärkung der Zivilgesellschaft bei-zutragen – auch systemisch ansetzen unddazu beitragen müsste, den sozialen Sektorstärker und unternehmerischer zu machensowie Brücken zwischen sozialem undWirtschafssektor zu schlagen. Eine Reihevon Initiativen entwickelten sich mit die-sem Ziel, hier einige Beispiele:

─ Angeregt durch Nichtstaatliche Organi-sationen aus Entwicklungsländern, dieklagten, sie fühlten sich stark vonstaatlichen internationalen Geldgebernwie z.B. der Weltbank abhängig, hatAshoka die "Citizen Base Initiative"gestartet. CBI sucht und verbreitet diebesten Ideen und Strategien, Organisa-tionen auf eine breite gesamtgesell-schaftliche Basis zu stellen, von ein-zelnen Geldgebern unabhängig zu ma-chen und zu stärken. Schwerpunkteliegen in den Bereichen finanzielleRessourcen, Mitarbeitergewinnung undInformationsverarbeitung/ Marketing.

─ Die "Alternative Financial Services"Initiative arbeitet gemeinsam mit Fi-nanzinstituten an der Entwicklung neu-er Investment Produkte, damit mehrund dringend benötigte Investitionengezielter in die Zivilgesellschaft fließenund so neue Errungenschaften erzieltwerden können.

─ Die Initiative "Full Economic Citizen-ship" bringt Unternehmen und SocialEntrepreneurs zusammen zur Ent-wicklung neuer Geschäftsmodelle, diesowohl nachhaltigen wirtschaftlichenals auch gesellschaftlichen und sozia-len Ertrag versprechen.

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Ashoka – Social Entrepreneurship als Prinzip nachhaltiger Entwicklung 49

Durch die Unterstützung von Fellows, vonGemeinschaften von Fellows und durchBrücken zur Wirtschaft möchte Ashokadazu beitragen, die Zivilgesellschaftdynamisch und unternehmerisch zu ma-chen. Ziel ist es, mit neuen sozialen Inves-titionen das Programm auszubauen und,statt wie bisher rund 200 Social Entrepre-

neurs, in den nächsten fünf Jahren bis zu500 Fellows im Jahr auszuwählen. DieVision ist, dass jeder Bürger sich(selbst)verantwortlich fühlt und das nötigeSelbstvertrauen hat, auf gesellschaftlicheMissstände zu reagieren und an ihrer Lö-sung mitzuwirken ("Everyone a Change-maker").

Anmerkung

1 Die Logik hinter der Gewährung von Stipen-dien (also nicht der Projektbezuschussung)mag ein fiktives Beispiel verdeutlichen: Einjunger Forscher, Mediziner vielleicht, arbeitetim Rahmen seiner Habilitation mit Feuereiferan der Erzeugung eines wichtigen Impfstoffesund hat realistische Anzeichen, kurz vor derentscheidenden Entdeckung zu stehen. Müssteer – um sein Geld zu verdienen und Frau undKinder ernähren zu können – jeden Tag achtStunden anderswo arbeiten, in der Kantine

oder der Verwaltung der Universität, würde erseine Zeit nicht sonderlich effektiv verbringen.Höchstwahrscheinlich wird ihm die Universi-tät also ein Stipendium gewähren, so dass erden ganzen Tag im Labor mit seiner For-schung verbringen kann. Analog zu diesemBeispiel zahlt Ashoka seinen Fellows ein Sti-pendium, um ihnen zu ermöglichen, zu 100Prozent und frei von Existenzängsten ander Entwicklung ihres Vorhabens arbeiten zukönnen.

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Finanzierung bürgerschaftlichen Engagements

Matthias Sehling

1. Bürgerschaftliches Engagement:unentgeltlich, aber nicht kostenlos

Die "Finanzierung bürgerschaftlichen En-gagements" ist heute mein Thema. Dasmag zunächst als Widerspruch in sichklingen, verstehen wir doch im allgemei-nen Bürgerschaftliches Engagement als dasaltruistische, in aller Regel unentgeltlicheHandeln für einen anderen.

Bürgerschaftliches Engagement wird häu-fig gleichgesetzt mit ehrenamtlichem Han-deln. Die Anwendung der beiden Bezeich-nungen im Alltag zeigt aber den Unter-schied, dass bürgerschaftliches Engage-ment nicht nur das Element "ohne direkteBezahlung", also gegenleistungslos um-fasst, sondern auch das Merkmal "für einenanderen", eine bestimmte Art von Gemein-nützigkeit.

Dass bürgerschaftliches Engagement trotzdes Merkmals der Unentgeltlichkeit derLeistungserbringung durch Bürgerinnenund Bürger Kosten verursacht und Finan-zierungen notwendig sind, ist mittlerweileAllgemeingut. Bürgerschaftliches Enga-gement ist zwar unentgeltlich, aber nichtkostenlos. Im neuesten Akademie-Reportder Akademie für politische Bildung Tut-zing findet sich dazu die passende Über-schrift. "Bürgergesellschaft und Ehrenamtnicht zum Nulltarif."1

In meinem Problemaufriss zum Thema"Finanzierung des Bürgerschaftlichen En-gagements" werde ich zunächst darstellen,welche Finanzierungsbeiträge vom Bundund vom Freistaat Bayern für das Bürger-schaftliche Engagement geleistet werden,welchen Beitrag die Kommunen, dieSpender/Sponsoren sowie die ehrenamtlichAktiven in Vereinigungen selbst leisten

und welche Arten von Finanzierung für dieverschiedenen Formen von Bürgerschaftli-cher Tätigkeit vorherrschen. Sodann werdeich Anmerkungen dazu machen, dass Bür-gerschaftliches Engagement auch volks-wirtschaftlichen Nutzen erzeugt, undschließlich einen kurzen Ausblick auf dis-kutierte künftige Finanzierungsmaßnah-men vornehmen.

2. Finanzierungsbeiträge von Bundund Freistaat Bayern

Die Finanzierung von BürgerschaftlichemEngagement gestaltet sich äußerst vielfäl-tig. Die Methodik reicht von der Finanzie-rung von Modellprojekten durch Bund,Länder oder Kommunen über institutio-nelle Zuschüsse zu dauerhaft betriebenenEinrichtungen bis hin zur Selbstfinanzie-rung von Vorhaben im Wege der – bereitsangesprochenen – Bürgerstiftungen, umnur einige der Finanzierungsarten zu nen-nen.

Für die Haushaltsansätze des Bundes 2006hat vor dem Unterausschuss Bürgerschaft-liches Engagement beim Familienaus-schuss des Deutschen Bundestags vor kur-zem der Parlamentarische Staatssekretärim Familienministerium Dr. HermannKues folgende Angaben2 gemacht:

– für die geplanten Mehrgenerationen-häuser stehen 88 Mio. € auf die nächs-ten vier Jahre verteilt zur Verfügung,davon entfallen in diesem Jahr etwa 6bis 7 Häuser auf Bayern,

– für Lokale Bündnisse in 2006 5,2 Mio.Euro,

– zur Förderung zentraler Maßnahmenund Organisationen des Ehrenamts undder Selbsthilfe rund 1,2 Mio. €,

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52 Matthias Sehling

– zur Förderung des Projekts Frauen inder FFW (Freiwillige Feuerwehr) rund200.000 €,

– für das Modellprogramm Erfahrungs-wissen für Initiativen und das EU-Kooperationsprojekt "LACE" insge-samt rund 6 Mio. €,

– für die Freiwilligen Sozialen Diensterund 18,2 Mio. € (2 Mio. mehr als2005); hinzu kommen Mittel aus demESF (Europäischer Sozialfonds), fürden Europäischen Freiwilligendienstaus dem Aktionsprogramm "Jugend".

– Schließlich zahlt der Bund zur Förde-rung von Modellvorhaben zur Umset-zung der Empfehlungen der Kommis-sion "Impulse für die Zivilgesellschaft"rund 12 Mio. € in 2006.

In Bayern verteilt sich die direkte oderindirekte Förderung des BürgerschaftlichenEngagements auf verschiedene Geschäfts-bereiche. Eine umfassende Erhebung istnoch nicht gemacht, würde aber die tat-sächliche Bedeutung des Bürgerschaftli-chen Engagements endlich ins rechte Lichtsetzen. Allein das bayerische Sozialminis-terium fördert in meinem Referat A 5 dieinstitutionelle Infrastruktur des Landes-netzwerks und anderer zentraler Knoten-punkte wie lagfa, Seko und Mütterzentrenmit ca. 320.000 € im Jahr. Für die beglei-tende Unterrichtung zum freiwilligen Sozi-alen Jahr 'Generationsübergreifende Frei-willigendienste' stehen 350.000 € zur Ver-fügung. Das Modellprojekt EFI (Erfah-rungswissen für Initiativen) wird mit ca.75.000 € unterstützt. Selbsthilfegruppen,Förderung von Behindertenverbänden so-wie das Netzwerk für Frauen und Selbst-hilfekontaktstellen werden mit ca. 770.000Euro im Jahr gefördert. Für die Mütterzent-ren und die kommunalen Familientische istinsgesamt ein Betrag von 760.000 € indiesem Jahr eingeplant.

Im Bayerischen Umweltministerium istseit Jahren die Förderung der Agenda 21angesiedelt, die als kommunale Agenda 21weitergeführt wird. Über 800 Agenda-

Prozesse sind gestartet, in rund 40% allerGemeinden. Insgesamt ist eine Summe von300.000 € vorgesehen.

Im Bayerischen Innenministerium, bei derObersten Baubehörde, ist das ProgrammSoziale Stadt angesiedelt. Seit Beginn derInitiative 1999 wurden bis 2004 mehr als109 Mio. € durch den Bund und Bayernbereitgestellt3, davon jährlich (Stand 2005)über 18 Mio. €, davon mehr als die Hälfteaus bayerischen Landesmitteln.

Zur Förderung des Ehrenamts im weitestenSinne im Bereich des Sports wurden durchdas Bayerische Kultusministerium 2005für den Betrieb der Sportverbände (jeweilsca.) 10 Mio. € ausgegeben, für den Sport-stättenbau 5,9 Mio. €, für Übungsleiterzu-wendungen 12,4 Mio. €, für die Erwachse-nenbildung 15,35 Mio. € und für die Ju-gendarbeit rund 4,3 Mio. €.

3. Finanzierungsbeiträge derKommunen

Wenn die Kommune der zentrale Ort akti-ver Bürgerschaft4 ist, was wohl als allge-mein gesichert angesehen werden kann, soist die örtliche Engagementförderung einewichtige, ihrem verfassungsmäßigem Auf-trag entsprechende Aufgabe der Kommu-nen. So sieht es auch Professorin GiselaJakob von der Fachhochschule Darmstadtin ihrer neuesten Veröffentlichung "Enga-gementförderung als Beitrag zur lokalenBürgergesellschaft" in der ZeitschriftKommunalPraxis5. Durch Freiwilligen-agenturen und -zentren, Seniorenbüros undSelbsthilfekontaktstellen hat sich in mehre-ren Entwicklungsschüben eine neue, viel-fältige Landschaft von engagementför-dernden Einrichtungen und Kooperations-strukturen herausgebildet, die meist vonder jeweiligen Gemeinde durch Sach- oderFinanzmittel gefördert werden. Ein Ge-samtbetrag der Förderung zum Beispiel fürden Bereich des Freistaats ist wissen-schaftlich noch nicht ermittelt worden.

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Durchgehender Befund der Beurteilungvon Frau Jakob ist jedoch die großteilsungesicherte Situation der Einrichtungen.Mit Ausnahme von wenigen "Leuchttür-men", deren Existenz jedenfalls mittelfris-tig gesichert erscheint, verfügen die meis-ten Einrichtungen über sehr eingeschränktePersonal- und Finanzressourcen, die voneiner halben bis zu ein oder maximal zweiMitarbeiterstellen reichen6. Positive Son-dersituationen gibt es bei den Selbsthilfe-kontaktstellen, die eine gesetzliche Aufga-be nach dem Krankenversicherungsrecht (§20 SGB V) erfüllen oder bei Seniorenbü-ros, die an den kommunalen Auftrag zurSicherstellung der Angebote der Altenhilfeanknüpfen können.7

4. Finanzierungssituation der Ver-eine, klassischer Hort des bürger-schaftlichen Engagements

Der Löwenanteil des bürgerschaftlichenEngagements, nämlich 80% aller Aktivi-täten, erfolgt in Deutschland im Rahmenvon Vereinen.8 Seit 1960 gibt es eineWachstumsdynamik bei den Vereinen zuerkennen, pro Jahr werden derzeit rund15.000 Vereine neu gegründet. Eine Groß-zahl der Vereine ist erst in den letzten 15Jahren entstanden. Dabei bestimmt derKleinstverein bis 50 Mitglieder die Ver-einslandschaft. Über die Hälfte aller Ver-eine sind in den Bereichen Sport und Frei-zeit angesiedelt. Einen vergleichbarenGründungsboom gibt es auch bei Stiftun-gen, wo jährlich 800 neue Stiftungen meistmit geringerem Finanzvolumen ins Lebengerufen werden.

Die Finanzierungslage der Vereine ist ge-prägt durch die Faktoren abnehmende öf-fentliche Finanzierung, vergleichsweisegeringer Mittelzufluss durch Spenden undmangelnden Kontakt zu potenziellen pri-vaten Geldgebern. Daraus folgt häufig einemangelnde Planungssicherheit für die Ver-eine.

Im Ergebnis wird in Deutschland dieFinanzierung des Dritten Sektors bzw.des Non-Profit-Bereichs im Wesentlichendurch die öffentliche Hand getragen. Nachletzt verfügbaren Zahlen aus den 90er-Jahren – daran dürfte sich aber kaum etwasgeändert haben – des SachverständigenPriller vom Wissenschaftszentrum Berlinfür Sozialforschung9 aus der Anhörung vordem Unterausschuss "BürgerschaftlichesEngagement" vom 7. April beträgt derAnteil öffentlicher Mittel an der Finanzie-rung rund 64%, rund ein Drittel – nämlich32% – stammt aus Einnahmen und Gebüh-ren wie zum Beispiel Eintrittsgeldern. Nurzu 3,4% tragen Spenden zur Finanzierungbei. Interessant ist hier der Vergleich zuminternationalen Durchschnitt: Dort werden42% (statt wie in Deutschland 64%) ausöffentlichen Händen finanziert, 47%stammen aus Gebühren und Beiträgen undrund 11 Prozent aus Spenden. Der Staatspielt also auch international – übrigensauch in den USA – eine Finanzierungs-Hauptrolle, wenn auch nicht so stark wie inDeutschland.

5. Gegenrechnung: Bürgerarbeiterzeugt Werte

Anlässlich der Diskussion um die Finan-zierung des Bürgerschaftlichen Engage-ments möchte ich ausdrücklich einen An-satz zu einer Art Gegenrechnung machen:Zu selten wird erwähnt, dass Ehrenamtli-che Arbeit im Wege des Bürgerschaftli-chen Engagements auch volkswirtschaftli-che Werte erzeugt. Vielfach wird deshalbschon die – schwierige – Frage nach dem"Wert der Bürgerarbeit" gestellt. Nach derbundesweiten Untersuchung "Freiwilligen-survey 2004" leisten die ehrenamtlich Tä-tigen in Bayern ca. 75 Mio. Stunden proMonat, das entspricht zeitmäßig (nichtwertmäßig) ca. 10% der Arbeitszeit derErwerbstätigen. Ihnen allen dürften dieSchwierigkeiten einer wissenschaftlichfundierten Berechnung bewusst sein:

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– Es stellt sich die Frage nach der zutref-fenden Bewertung von Freiwilligen-stunden;

– die unterschiedlichen Qualitätsstan-dards sind nur schwer fassbar;

– unzulänglich oder überhaupt nicht er-fassbar wären auch Merkmale wie so-ziale Zufriedenheit des Einzelnen, ge-fühlte Lebensqualität und anderes.Trotzdem wäre es für die Akzeptanzvon Bürgerarbeit ein spürbarer Fort-schritt, wenn belegbare Zahlen an Bei-spielsfällen zur Verfügung stünden.

Eine amerikanische und eine anlässlicheines bayerischen Modellversuchs erar-beitete Studie10 haben die in die Bürgerar-beit investierten staatlichen Zuwendungenund die dadurch ersparten Aufwendungenfür Sozialkosten (z.B. Einsparungen anSozialhilfekosten) ins Verhältnis gesetzt.Die amerikanische Studie kam auf denWert 1:4, die IPP-Studie für Bayern kamauf den Wert 1: 2,7. Das würde bedeuten,dass jeder in die Bürgerarbeit investierteEuro sich mit dem Vierfachen oder2,7fachen an ersparten Sozialkosten rech-net. Eine aussagefähige größere Untersu-chung mit Differenzierungen gegebenen-falls nach Arten bürgerschaftlichen Enga-gements ist meines Wissens bislang nochnicht erstellt worden, wäre aber eine Er-leichterung im Dialog mit den kommuna-len Entscheidungsträgern, wozu ja immerauch und zu Recht der jeweilige Stadt-kämmerer zählt.

6. Ausblick: Finanzierungsmöglich-keiten in der Zukunft

Die Finanzierungsquellen des bürger-schaftlichen Engagements sind also so ver-schieden wie die Erscheinungsformen desbürgerschaftlichen Engagements selbst.Eines scheint festzustehen: der Anteil derFinanzierung durch den Staat, zur Zeit wieerwähnt mit 64% noch stark dominierend,wird angesichts der Haushaltslage der öf-

fentlichen Hand eher zurückgehen. Im Be-reich des Einkommensteuer- und Stiftungs-rechts sind erst in der vorletzten Legisla-turperiode Reformen durchgeführt worden;hier wartet die Politik die Auswirkungennoch ab. In der Koalitionsvereinbarung istunter der Überschrift "Bürgergesellschaftstärken" eine Weiterentwicklung des Ge-meinnützigkeitsrechts angekündigt.11 Miteiner ferner angekündigten Weiterent-wicklung des Stiftungs- und des Steuer-rechts sollen "Anreize geschaffen werden,sich durch Stiftungen an der Förderung desGemeinwohls zu beteiligen."12

Der Staat wird auf die Frage nach verbes-serten Finanzierungsmöglichkeiten desBürgerschaftlichen Engagements außer dengenannten Verbesserungen der Rahmenbe-dingungen in aller Regel keine zusätzli-chen Gelder zur Verfügung stellen können.Zur Erhöhung des Eigenanteils der Ehren-amtsfinanzierung werden daher überwie-gend eigene Antworten gefunden werdenmüssen. Für den Bereich der Vereine ha-ben die Sachverständigen in der genanntenAnhörung im Bundestag vom 5. April spe-zifische Organisationsprobleme der Verei-ne benannt und auf denkbare Lösungsan-sätze für zusätzliche Finanzierungsmög-lichkeiten hingewiesen. Die Vorschlags-reihe der Sachverständigen – wohlgemerkt:das sind nicht Positionen der Bundes- oderder Bayerischen Staatsregierung – geht vonder Einführung eines "Ein-Prozent-Gesetzes" wie in Ungarn, wonach die Bür-ger ein Prozent der Einkommensteuer einerbestimmten Organisation zukommen las-sen können, über neue Anreize für Förder-stiftungen bis hin zur Ausweitung derMöglichkeit wirtschaftlicher Betätigungfür die bisherigen Ideal-Vereine. Schon vorderartigen sehr weitgehenden Rechtsände-rungen könnte aber schon das Vereinsma-nagement zur Requirierung von potenziel-len Spendern durch z.B. effektivere Öf-fentlichkeitsarbeit der Vereine verbessertwerden. Das wäre immerhin schon einerster Schritt.

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Anmerkungen

1 Akademie für politische Bildung Tutzing,Akademie-Report, 2/2006, S.29.

2 Deutscher Bundestag, Ausschuss für Familie,Senioren, Frauen und Jugend (Hrsg.): Sit-zungsprotokoll 16/03 vom 10.5.2006.

3 bau intern, 12/2004, S.266.4 Enquete-Kommission "Zukunft des Bürger-

schaftlichen Engagements" 2002, S.333.5 KommunalPraxis spezial, 2/2006, S.5.6 Jakob: Engagementförderung als Beitrag zur

lokalen Bürgergesellschaft, in: KommunalPra-xis spezial, 1/2006, S.6.

7 Ebd.

8 Deutscher Bundestag, Ausschuss für Familie,Senioren, Frauen und Jugend, Unterausschuss"Bürgerschaftliches Engagement" (Hrsg.): Öf-fentliches Expertengespräch Berlin, ProtokollNr.16/02 vom 5.4.2006, SachverständigerPriller S.12f.

9 Ebd., S.14.10 Institut für Praxisforschung und Projektbe-

gleitung (IPP), 2001, unveröffentlichte Studieim Auftrag des StMAS.

11 Koalitionsvertrag CDU, CSU, SPD v. 11.11.2005, Rz. 5366ff.

12 Koalitionsvertrag, Rz. 5373.

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Bürgerstiftungen als Instrument der Mobilisierung undKanalisierung bürgerschaftlichen Engagements:

Beispiel Landkreis Fürstenfeldbruck

Fritz Morgenstern

Herkömmliche Stiftungen, die i.d.R. vonEinzelpersonen, Familien oder Unterneh-men gegründet und mit z.T. sehr viel Geldausgestattet einen bestimmten Stiftungs-zweck verfolgen, sind uns so weit geläufig.Aus den Erträgen des Stiftungskapitalswerden Vorhaben meist externer Organi-sationen gefördert, die dem Stiftungszweckentsprechen, manchmal weltweit oder dochmit großem Aktionsradius.

Bürgerstiftungen hingegen sind die Ange-legenheit Vieler, die eine Idee zusammen-führt, die Idee nämlich, sich um die Dingevor der eigenen Haustür zu kümmern, d.h.Einfluss zu nehmen auf das gesellschaftli-che Zusammenleben im eigenen heimatli-chen Umfeld.

Dem liegt die Erkenntnis zu Grunde, dassder stark überdehnte Sozialstaat so nichtmehr finanziert werden kann mit der Folge,dass der verwöhnte (und in gewisser Weiseentmündigte) Bürger viele seiner an sichureigensten Aufgaben wieder selbst in dieHand nehmen muss, besser gesagt: kann.

Bürgerstiftungen verstehen sich als vonPolitik, Verwaltung, Kirchen etc. unabhän-gig. Sie beschränken ihren Wirkungskreisauf die heimatliche Region, also z.B. Stadtoder Landkreis. Ihre Stiftungszwecke um-fassen fast alle gesellschaftlich relevantenBereiche, sind also breit gefächert, um dasgesellschaftliche Zusammenleben als Gan-zes mitgestalten zu können. Daraus ergibtsich auch der Anspruch, identitätsstiftendfür die Region zu wirken, was etwa für einrein verwaltungstechnisches Gebilde, wieden Landkreis Fürstenfeldbruck, von be-sonderer Bedeutung ist.

Die Arbeitsbereiche unserer Stiftung sind:

– Jugend und Soziales,– Kunst, Kultur und Denkmalpflege,– Natur und Umwelt.

So weit ein grobgerastertes Bild einer Bür-gerstiftung, die nur dann diese Bezeich-nung führen sollte, wenn sie die genanntenMerkmale erfüllt. (Dafür wird sie alle zweiJahre vom Bundesverband Deutscher Stif-tungen zertifiziert).

Eine Bürgerstiftung startet finanziell buch-stäblich bei Null, d.h. Leute mit einer Ideelegen Geld zusammen, um das erforderli-che Kapital für eine rechtsfähige Stiftungbürgerlichen Rechts aufzubringen; einen"Big Spender" gibt es in der Regel nicht.Das bedeutet: Das Stiftungskapital, unddamit die Möglichkeiten finanzieller För-derung von Stiftungszwecken, ist geringund wächst nur langsam über die Jahre auf.Neben der finanziellen Fördertätigkeit trittdeshalb von Anbeginn die operative Ar-beit, d.h. die Initiierung eigener Projekte,deren Finanzierung über Spenden undSponsoren und deren Durchführung durchehrenamtliche Mitstreiter.

Das GeldDie Finanzausstattung der Bürgerstiftungfür den Landkreis Fürstenfeldbruck wirdgeleistet von bis dato 270 Stiftern und fünfErrichtern von Treuhandstiftungen, die vonuns verwaltet werden. Hinzu kommenSpenden und Sponsorenleistungen vonBanken und Wirtschaftsunternehmen so-wie kostenlose Dienstleistungen von Steu-erberatern, Unternehmen, Notaren und

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Privatspendern. Das direkte und indirektefinanzielle Engagement ist also breit gefä-chert, und wenn es auch nicht zu überwäl-tigenden Bilanzen führt, so ist es doch be-eindruckend. So beträgt das Gesamtver-mögen der Stiftung z.Z. knapp 1 Mio. €,der Ausgabenposten im Jahr 2005, alsounser Jahresbudget, knapp 100 000 €. DieIdee hat also eine überwältigende Reso-nanz in bürgerschaftlichem Engagementfür die Region gefunden, Tendenz stei-gend.

Die VerwaltungNatürlich muss die Stiftung geführt undverwaltet werden, die umfangreiche opera-tive Arbeit organisiert und kontrolliertwerden. Dazu gibt es einen Vorstand, dersich einen Mitarbeiterstab einrichtet – beiuns sind das z.Z. drei plus 6 – und einenStiftungsrat mit 18 Mitgliedern. Hier tref-fen sich Sonderschullehrerin, pensionierterOffizier, Ex-Phillips Verkaufsleiter, Ex-Siemens Buchhalter, Beamtin und Haus-frau mit PR-Expertise und halten denDampfer auf Kurs.

Der Stiftungsrat repräsentiert alle größerenGemeinden im Landkreis. Es wurdezugleich versucht, den erforderlichenSachverstand für die Stiftungsziele zu be-rücksichtigen.

Die Kuratorien der Treuhandstiftungensind ähnlich besetzt, dort finden sich, jenach Zweckbestimmung der auch Fondsgenannten Treuhandstiftungen Bürger-meister, Seniorenbeauftragte, Kulturfach-leute, Finanzfachleute usw.

Diese im weiteren Sinne als Verwaltungs-gremien zu verstehenden Gruppierungenführen eine beachtliche Anzahl ehemaligerund aktiver Entscheidungsträger zusam-men, die sich mit z.T. erheblichem Arbeits-einsatz und gesellschaftlicher Präsenz bür-gerschaftlich engagieren. Alle arbeitenstrikt ehrenamtlich, d.h. wirklich unent-geltlich.

Die ProjekteDer große Bereich der Projekte führt z.Z.nicht weniger als 190 ehrenamtliche Helferzusammen, die Projektleiter eingeschlos-sen.

Hier mischt sich nun eine ganze Palette deran einer ehrenamtlichen Tätigkeit interes-sierten Landkreisbürger. Alle Beteiligtenhandeln (zwangsläufig) weitgehend eigen-verantwortlich, wozu ein erheblicher Ver-trauensvorschuss unerlässlich ist, diese"lange Leine" ist für die verantwortlicheFührung nicht unproblematisch. Anderer-seits erfüllt die Bürgerstiftung damit einenihrer wichtigen Zwecke, nämlich dasEhrenamt zu kultivieren und attraktiv zumachen.

Alle z.Z. 10 Projekte zu erläutern und vondaher auf den Charakter der Mitstreiter zuschließen, die wir im Übrigen "Zeitspen-der" nennen und für die wir jährlich einZeitspenderfest veranstalten, sprengt unse-ren Rahmen. Nur so viel: Die Bürgerstif-tung für den Landkreis Fürstenfeldbruckbetreibt vier Tafeln, für die der weitausgrößte Teil der Zeitspender, darunter derehemalige Chefarzt des Kreiskrankenhau-ses Fürstenfeldbruck, arbeiten.

Die übrigen Projekte, die sich mit Kindern,Jugendlichen, Senioren, aber auch mit ei-ner Kunstsammlung und einem nahTour-Band genannten Wegenetz durch denLandkreis befassen, führen speziell Inte-ressierte zu einer Thematik zusammen undwerden auf diese Weise zuverlässig undmit beachtlicher Qualität fortgesetzt. Dazufolgende zwei Beispiele:

Zur Erstellung einer Teilstrecke des nah-TourBandes finden sich die örtlichen Ver-treter der Naturschutz- und Agenda 21-Gruppierungen zusammen, stellen die Ver-bindung zu den Bürgermeistern undGrundeigentümern her und sind bis zurEröffnung des Teilstücks vollverantwort-lich für alle Details. Die Stiftung kontrol-liert lediglich die Einhaltung der Projekt-

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Bürgerstiftungen als Instrument der Mobilisierung und Kanalisierung 59

philosophie und die Finanzierung. Diesbringt Bürger der anliegenden Gemeindenzusammen, interessiert Bürgermeister undGemeinderäte und stiftet so ein StückLandkreis-Identität.

Streitschlichterausbildung an 24 Haupt-und Realschulen des Landkreises: Diesessehr effektive Projekt wird von zwei Stif-tungsräten betrieben, die von der Organi-sation bis zur Finanzierung über Sponso-rengewinnung und dem alljährlichen"Streitschlichterfest" völlig autonom ar-beiten. Hier setzt ein ehemaliger Unter-nehmer zusammen mit einer Gemeinderä-tin seine Berufserfahrung in sinnvolle Frei-zeitgestaltung um.

Wie bekommen wir unsere Zeitspender?Indem wir mit unseren Aktivitäten, insbe-sondere den Projekten, in der Öffentlich-keit präsent sind. Das Übrige geschiehtdurch Mundpropaganda der bereits tätigenMitstreiter. Wir brauchten bisher nichtgezielt zu werben. Ebenso verhält es sichmit – meist projektbezogenen Spenden.Für das Einwerben größerer Spenden,Sponsorengeldern und Zustiftungen mussallerdings ein planmäßiges "Fundraising"betrieben werden, denn auch mit Geldkann man sich bürgerschaftlich engagieren.

Eine besondere Rolle in der Werbung fürunsere Ziele stellt die rekordverdächtigeListe der Stifter, zugleich Stifterversamm-lung, dar. Die 270 Stifter, dabei Landkreis-bürger bzw. Ehepaare, Firmen, Institutio-nen wie Banken und Zeitungsredaktionen,Clubs wie Rotary und Lions etc. stellen ein"Who-is-who" der Region dar und regendazu an, "dazugehören" zu wollen. Für dieWeiterentwicklung der Stiftung zu einerführenden gesellschaftlichen Institution imLandkreis ist dies unser wichtigster "Trei-ber".

Zuletzt ein Wort zum Personalmanage-ment. Nicht jeder Bewerber findet in unse-rem Angebot einen geeigneten Platz, nichtjede Projektidee kann angenommen wer-

den, wenn auch alle Angebote geprüftwerden und ggf. auf andere Bedarfsträgerhingewiesen wird. Unvermeidlich sindauch Unebenheiten und Reibereien, dieauch mal eine Trennung unvermeidlichmachen.

Ehrenamtliche, meist in gereiftem Alter,sind fertig entwickelte Charaktere, dienicht mehr formbar sind. Ohne die klassi-schen Führungsmittel aus dem Berufslebenund nur auf den "good will" der freiwilligMitarbeitenden angewiesen, gleicht dieLeitung eines solchen Gebildes oft einemEiertanz, Frustrationen inbegriffen.

Zum Schluss deshalb ein kurzer Blick aufdie Besetzung der Führungsorgane einerBürgerstiftung. Auch dies ist Teil unseresThemas und vielleicht der kritischste. VomUmfang und der Vielfältigkeit der Stiftunghabe ich Ihnen ein grobes Bild gezeichnet.Das Problem ist nun, die richtigen Leutefür die erforderlichen Leitungsaufgaben zufinden, die bereit sind, sich ihrer Aufgabemit ganzem Herzen zu widmen, d.h. Zeit,auch Geld, aber vor allem das eigene Ner-venkostüm zur Verfügung zu stellen unddabei die volle persönliche Verantwortungzu übernehmen. Hinzu kommt, dass einzuverlässiges, längerfristiges Engagementgefordert ist.

Jeder, der sich für eine leitende Funktion ineiner solchen Organisation interessiert,sollte über Qualitäten der Menschenfüh-rung verfügen, Stehvermögen beweisenund sich auf eine hohe Arbeitslast einstel-len.

Dazu bedarf es keiner besonderer Heroen,sondern nur solcher Mitbürger, die nacheinem einigermaßen anspruchsvollen Be-rufsleben in ihrem heimatlichen Umfeldeine Rolle übernehmen wollen und aufunabhängigem Terrain weiter mitwirkenund Einfluss nehmen wollen. Die Mobili-sierung dieser Kategorie von Mitstreiternist ein besonders kritisches und stets prä-sentes Problem.

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Die Kooperation mit den staatlichen Behördenaus der Sicht einer Freiwilligenagentur

Marieluise Dulich

1. Entwicklung der Freiwilligen-agentur Tatendrang und dieKooperation mit den staatlichenBehörden

Tatendrang hat im letzten Jahr sein 25-jähriges Bestehen gefeiert. Tatendrangist die älteste Freiwilligenagentur inDeutschland. "Aktivierung von freiwilligenHelfern im sozial-kulturellen Bereich", soist der erste Antrag im Jahr 1977 vonMünchner Stadträten an das Sozialreferatübertitelt. In der Begründung dazu heißt esunter anderem: "Da die öffentliche Handim Laufe der Zeit immer mehr Aufgabenübernommen hat, droht die Gefahr, dassdie ehrenamtliche Tätigkeit bei uns ver-kümmert... Viele wollen neben ihrer sons-tigen Tätigkeit Gemeinschaftsaufgabenübernehmen; sie wollen sich im sozialenoder kulturellen Bereich engagieren, umetwas für andere zu tun, um neue Erfah-rungen zu machen und neue Kontakte zuknüpfen. Auf der anderen Seite gibt es eineVielzahl von Organisationen, die dringendehrenamtliche Mitarbeiter brauchen, weiles zahlreiche Aufgaben gibt, die ohne dasEngagement und die Mithilfe der Bürgernicht zu lösen sind."

Gleichzeitig ergaben Studien, dass hohesMotivationspotenzial, sich für ein sozialesMiteinander und das Gemeinwohl zu en-gagieren, vorhanden war. Häufig fehlt denMenschen im Alltag jedoch der Zugangdazu. Es galt also, die bisherigen Verfah-rensweisen zur Gewinnung und Einbin-dung von freiwilligen Mitarbeitern zu re-formieren und dem Abbau von Hindernis-sen entgegenzuwirken. Es mussten Infor-mationsmöglichkeiten auch für Menschengeschaffen werden, die keine Verbindung

zu Institutionen der Sozialarbeit hatten.Angebot und Nachfrage zusammenzubrin-gen war die Aufgabenstellung.

Im Jahr 1979 wurde der Verein für Frau-eninteressen e.V. vom Sozialreferat mitdem Aufbau einer "zentralen Informations-und Anlaufstelle für freiwillige und ehren-amtliche Mitarbeiter im sozial-kulturellenBereich in München beauftragt". Schwer-punkt sollte sein: "Freiwillige Helfer fürgemeinnützige Aufgaben anzuwerben, zumotivieren und Tätigkeitsfelder bereitzu-stellen, wo sich die Interessierten – ihrenNeigungen entsprechend – aktiv einsetzenund befriedigende Aufgaben finden kön-nen". Als wesentliche Voraussetzung fürein Engagement wurde erachtet, Tätig-keitsfelder und Bedingungen für Freiwilli-ge in den Institutionen vorzubereiten, so-dass ehrenamtliches Engagement in opti-maler Weise zum Einsatz gebracht werdenkonnte. Die Arbeit in der Agentur war vonAnfang an auch für die Mitarbeit Freiwilli-ger konzipiert. Es war also politischerWille, dass es in München eine Institutionzur Förderung des ehrenamtlichen Enga-gements geben sollte. Vorbilder für die"Münchner Helfer Information" waren diesog. Volunteer Bureaux in England undSchottland. Bereits ein Jahr später,1980, wurde die 1. Freiwilligen-AgenturDeutschlands eröffnet – die "MünchnerHelfer Information".

Im Jahr 1998 gelang die Kooperation miteiner Werbeagentur, Kommunikationspro-fis und Sponsoren. Eine komplett neueCorporate Identity wurde entwickelt; ausder "Münchner Helfer Information" wirddie Freiwilligenagentur Tatendrang Mün-chen mit dem Slogan "Spenden Sie Zeit

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statt Geld". Mit einer groß angelegtenWerbekampagne wird ein modernes Imagefür das Bürgerschaftliche Engagement inMünchen kreiert, pro bono. Noch heute istdie Werbeagentur und das Netzwerk von"Zeitspendern" für Tatendrang unentgelt-lich tätig.

2. Entwicklung von Freiwilligen-agenturen in anderen Bundes-ländern

1988 wird die Berliner Freiwilligenagentur"Der Treffpunkt Hilfsbereitschaft" unterdem damaligen Senator für Gesundheit undSoziales, Ulf Fink, initiiert. Mit einer lan-desweiten großen Werbekampagne for-derte er die Berliner Bürgerinnen und Bür-ger zum Engagement auf und stellte den"Treffpunkt Hilfsbereitschaft" als neueInformations- und Vermittlungsstelle insZentrum. Im Jahr 1995 wird die BremerFreiwilligenagentur eröffnet. Die BremerFreiwilligenagentur wurde nicht auf Initia-tive der Politik gegründet. Träger derFreiwilligenagentur war und ist der Evang.Friedensdienst Bremen e.V. Im Jahr1995/1996 gründet der Caritasverband ineinem "Bundesweiten Modellverbund" 15Freiwilligenzentren an 15 Standorten inDeutschland. In München entsteht dasFreiwilligenzentrum München Freimann.In den folgenden Jahren entstehen unterder Trägerschaft anderer Wohlfahrtsver-bände bundesweit Freiwilligenagenturen/Zentren.

Die Berliner Freiwilligenagentur "DerTreffpunkt Hilfsbereitschaft" und dieMünchner Freiwilligenagentur "Taten-drang" haben eine gemeinsame Grün-dungsinitiative, und die ging ausschließlichvon der Politik aus. Dadurch waren für diebeiden Freiwilligenagenturen von Anfangan völlig andere Voraussetzungen zur gesi-cherten Förderung, Akzeptanz und Koope-ration mit den staatlichen Behörden gege-ben. Die Berliner Freiwilligenagentur wird

auch heute noch vorbildhaft in der finan-ziellen Absicherung genannt.

3. Förderung der Infrastruktur fürdas freiwillige Engagement

Im Jahr 1999 gibt das Bundesministeriumfür Familie, Senioren, Frauen und Jugendden 1. Freiwilligensurvey in Auftrag: "Eh-renamt, Freiwilligenarbeit, Bürgerschaftli-ches Engagement". Ergebnis: 34 % derBevölkerung über 14 Jahre sind freiwilligeengagiert.

Mittlerweile gibt es landes- und bundes-weite Vernetzungs- und Unterstützungs-strukturen für Bürgerschaftliches Engage-ment:

− die Stiftung Bürger für Bürger,− die Bundesarbeitsgemeinschaft der

Freiwilligenagenturen/bagfa,− die Landesarbeitsgemeinschaft der

Freiwilligenagenturen/lagfa.

4. Situation zum BürgerschaftlichenEngagement in Bayern

Im Jahr 1998 treffen sich erstmals Vertre-ter der bayerischen Freiwilligenagenturen/Zentren. Das bayerische Sozialministeriuminitiiert und fördert das Projekt Bürgerar-beit: 13 Initiativen und Projekte werdenbayernweit für 3 Jahre gefördert und wis-senschaftlich begleitet. Darunter sind auchdie Freiwilligenagenturen/Zentren Augs-burg, Kitzingen, Vaterstetten, Germering,Deggendorf und das ZAB in Nürnberg.Ergebnis des Projekts Bürgerarbeit: Es sindAnlaufstellen vor Ort nötig für Menschen,die eine freiwillige Aufgabe für die Ge-meinschaft suchen.

Im internationalen Jahr der Freiwilligen,2001, beantragt die Landesarbeitsgemein-schaft der Freiwilligenagenturen in Bayern(lagfa) Fördermittel für die gemeinsamen

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Die Kooperation mit den staatlichen Behörden aus der Sicht einer Freiwilligenagentur 63

Treffen der in Bayern bestehenden Frei-willigenagenturen/Zentren (FWA/Z).

Bei unseren gemeinsamen Treffen hattenwir festgestellt, dass viele Vertreter vonFWA/Z an den Treffen nicht teilnehmenkönnen, weil ihnen kein Budget für dieFahrtkosten zur Verfügung steht. Danebenhielten wir es für notwendig, einmal imJahr eine 2-tägige Veranstaltung zu organi-sieren, um gemeinsam Grundlagen für dieArbeit in FWA/Z zu erarbeiten. Das inter-nationale Jahr der Freiwilligen erschienuns ein guter Zeitpunkt, um Erfolg ver-sprechend auf die lagfa aufmerksam zumachen. Den Antrag stellte die Vorstands-vorsitzende unseres Trägervereins undLandtagsabgeordnete Dr. Hildegard Kro-nawitter. Es handelte sich um 3000 DM,die wir dann auch am Jahresende erhielten.Im selben Jahr organisierte die Landes-hauptstadt München eine Werbekampagnefür Bürgerschaftliches Engagement unterEinbeziehung aller maßgeblichen Akteurefür Bürgerschaftliches Engagement inMünchen. Es gab neben der Werbekam-pagne "Engagiert leben in München" Ver-anstaltungen auf dem Marienhof und neudem Info-Point zum BürgerschaftlichenEngagement an zentraler Stelle in derStadtinformation.

Zum ersten bayerischen Freiwilligentag imJahr 2003 stellte das Sozialministerium derlagfa und den FWA/Z unbürokratisch dieSumme von 8000 € zur Verfügung. Damitkonnten sich auch die mit minimalstenMitteln ausgestatten FWA/Z am Freiwilli-gentag beteiligen. Der damalige Vorsitzen-de der CSU Landtagsfraktion Alois Glückempfing Vertreter der lagfa und wir konn-ten so unser Anliegen auf weitere Förde-rung persönlich vortragen. Das bayerischeSozialministerium installierte und fördertedas Landesnetzwerkes für Bürgerschaftli-ches Engagement in Nürnberg mit denKnoten:

− Selbsthilfe,− Mütterzentren,

− Freiwilligenagenturen/Zentren,− Seniorenbüros.

Dies ist ein großer Erfolg für die doch sehrneuen Institutionen Freiwilligenagentu-ren/Zentren. Wir hatten in Alois Glückauch den richtigen Mann, der erkannte,dass Bürgerschaftliches Engagement neueWege braucht, um die Bürgerinnen undBürger zum Mitmachen zu gewinnen.

Im Jahr 2006 finanzierte das bayerischeSozialministerium für alle interessiertenFWA/Z in Bayern eine Datenbank zur in-ternen Verwaltung der Angebote undNachfragen für Freiwilligenarbeit – mit derOption, diese ins Netz zu stellen.

Laut Liste der Landesarbeitsgemeinschaftder Freiwilligenagenturen gibt es derzeit inBayern etwa 35 FWA/Z. Davon sind 21 inTrägerschaft der Wohlfahrtsverbände und14 FWA/Z direkt bei den Kommunen oderbei lokalen freien Trägern, zum Teil mitkommunaler Förderung. Nicht alle FWA/Zhaben das klassische Profil einer Freiwilli-genagentur; etwa 5 FWA/Z befinden sichaktuell im Aufbau.

5. Vergleich zur Situation in Baden-Württemberg

Bereits zu Beginn der 90er-Jahre instal-lierte das Land im dortigen Sozialministe-rium eine Abteilung zur landesweiten För-derung des Bürgerschaftlichen Engage-ments – unter der Leitung von Dr. KonradHummel. Durch den Aufbau von zielge-richteten Vernetzungsstrukturen und derErmöglichung und Förderung von Eigen-initiative, z.B. dem landesweiten Aufbauvon Seniorengenossenschaften und weite-ren Einrichtungen für Bürgerinnen undBürger, engagieren sich heute in Baden-Württemberg mehr Menschen als in ande-ren Bundesländern.

Dies ist eine sehr verkürzte Darstellung,aber es soll hier nicht unerwähnt bleiben,

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64 Marieluise Dulich

dass in der Politiklandschaft des LandesBaden-Württemberg sehr früh die Notwe-nigkeit erkannt wurde, dass eine sich ver-ändernde Gesellschaft den Mitbürgern die-ser Gemeinschaft neue Möglichkeiten undAnreize der Teilhabe und des Mitwirkensschaffen muss.

6. Folgerungen für das LandBayern

Aus dem neuen Freiwilligensurvey 2004geht sehr deutlich hervor: Engagement istvorhanden und steigt zunehmend, zumVergleichsjahr 1999 um 2%.

Abb1.: Freiwilligensurvey 2004

8Tatendrang, 6.Juli 2006

Verbesserung der Information und Beratung

Wesentliche Ergebnisse daraus sind:

Die Menschen wünschen bessere Informa-tion und Beratung über Möglichkeiten desfreiwilligen Engagements. Interessant istauch, dass die Forderungen nach finan-ziellen/steuerlichen Anreizen rückläufigsind; der Slogan "Spenden Sie Zeit stattGeld", geprägt durch Tatendrang, hat denTrend erfasst und vielleicht sogar beein-flusst.

Die einzigen Forderungen, die gestiegensind, sind die nach mehr Anerkennung inden Medien und durch die öffentlicheHand. Dies hängt sehr eng mit der guten

Öffentlichkeitsarbeit von FWA/Z zusam-men. Gute Öffentlichkeitsarbeit ist sehrzeitintensiv und kommt bei der geringenPersonaldecke neben der eigentlichen Auf-gabe der Beratung und Vermittlung oft zukurz. Tatendrang hat hier durch sein Netz-werk von Werbe- und Kommunikations-Fachleuten ein gute Position, dennoch odergerade deswegen muss hier viel Zeit in-vestiert werden – was natürlich den Be-kanntheitsgrad und damit den Zulaufenorm steigert – mit der Gefahr, dass dieBeratung nicht mehr mit hinreichenderQualität geleistet werden kann, wenn hiernicht entsprechend personell aufgestocktwird.

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Die Kooperation mit den staatlichen Behörden aus der Sicht einer Freiwilligenagentur 65

7. Verbesserungsvorschläge zurStärkung des BürgerschaftlichenEngagements

1. Jede Stadt und jeder Landkreis brauchteine verlässliche, zentrale Koordinierungs-stelle mit kundenorientierten Öffnungszei-ten, an der alle wichtigen Informationenzum Bürgerschaftlichen Engagement zu-sammenkommen. Folgende Interessen-gruppen sollten hierbei angesprochen wer-den:

− Bürgerinnen und Bürger,− Organisationspartner in den sozial-

kulturellen und ökologischen Einrich-tungen,

− Firmen, Gruppen und Schulklassen,− Geldspender.

2. Eine stabile Basisfinanzierung für Frei-willigenagenturen/Zentren ist eine Voraus-setzung für die erfolgreiche Etablierungvor Ort. Es kann nicht sein, dass die Ver-treter von FWA/Z ihre originäre Aufgabenicht wahrnehmen können, weil sie sichimmer wieder um die Mittelbeschaffungkümmern müssen.

3. Es sollten aufgabenspezifische Fortbil-dungen für die Freiwilligen – je nach Tä-tigkeit – angeboten werden, vor allem zurUnterstützung während des Engagements.Parallel dazu Fortbildungen für die Haupt-amtlichen, um die Zusammenarbeit mitden Freiwilligen zu optimieren.

4. Ein Unterrichtsfach soziales Engage-ment mit praktischen Projekttagen sollte anallen Schulen als Pflichtfach eingeführtwerden. Vielfach ist derzeit dieses Enga-gement von einzelnen motivierten und en-gagierten Lehrerinnen und Lehrern abhän-gig, und deshalb noch nicht flächende-ckend sichtbar.

5. Die Vermittlung von Grundlagen in derKooperation mit Freiwilligen und derenIntegration und Begleitung sollte festerBestandteil in der Ausbildung für soziale

Berufe werden, mittlerweile bekannt unterdem Begriff "Freiwilligenmanagement".

6. Freiwilliges Engagement sollte öffent-lich und politisch anerkannt und gewürdigtwerden.

8. Finanzielle Förderung am Bei-spiel der FreiwilligenagenturTatendrang

Seit der Gründung bis zum Jahr 1999 för-derte das Sozialreferat der Landeshaupt-stadt München Tatendrang mit einer hal-ben Stelle, sowie Sachkosten und Auf-wandsentschädigungen für 5 ehrenamtlicheMitarbeiterinnen.

Im Jahr 1984 förderte die Stadt die Unter-suchung "Zusammenarbeit zwischenhauptamtlichen und freiwilligen Mitarbei-terinnen in sozialen Institutionen".

Ergebnis: "Angesichts der wachsendenZahl ehrenamtlicher Mitarbeiter in densozialen Institutionen erscheint es dringendnotwendig, die für die Anleitung und Be-gleitung freiwilliger Helfer erforderlichenKompetenzen endlich in das Fortbildungs-system für soziale Berufe einzubeziehen...Als sehr nützlich hat es sich auch erwiesen,wenn Professionelle selbst einmal freiwil-lig tätig waren und somit einschlägige Er-fahrungen gesammelt haben."

Im Jahr 1995 wird die Studie "Ehrenamtli-che Arbeit in der städtischen Gesellschaft –Universität Regensburg" gefördert. Ergeb-nis: Mit der zur Verfügung gestellten per-sonellen und räumlichen Ausstattung hatdie Münchner Helfer Information (MHI)ihren Gründungsauftrag übererfüllt.

Im Jahr 1998, nach der Kooperation mitdem Netzwerk von Zeitspendern, geneh-migte die Landeshauptstadt München eineweitere Teilzeitstelle. Die Stadt hattewahrgenommen, was an sichtbarer undnachweisbarer Vorleistung unentgeltlich

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66 Marieluise Dulich

erbracht wurde: Das waren die neue Cor-porate Identity, eine professionelle Werbe-kampagne mit Plakataktionen, Anzeigen inden Print-Medien, Hörfunkspots, ein Kino-und TV Spot und eine enorme Resonanzund Berichterstattung in allen Medien.Unsere Werbeagentur "Xynias, Wetzel"hat für dieses Engagement den Preis "Frei-heit und Verantwortung" der Arbeitgeber-verbände vom Bundespräsidenten verlie-hen bekommen.

Zum internationalen Jahr der Freiwilligenwurden weitere 10 Stunden für die erhöhte

Beratungsleistung und die Kooperation mitder Landeshauptstadt München gefördert,im Jahr 2005 weitere 10 Stunden für dieBeratung und Vermittlung von Firmen ansoziale Einrichtungen.

Derzeitige personelle Ausstattung: Geför-dert werden 2 Teilzeitstellen von je 19,25Stunden , die Sachkosten sowie die stun-denweise Aufwandsentschädigung, für 5Beraterinnen oder Berater. Zusätzlich sind2 x 10 Stunden für 3 Jahre aus dem so ge-nannten Selbsthilfetopf in der Förderungenthalten.

Abb. 2: Freiwilligensurvey 2004

12Tatendrang, 6.Juli 2006

Wünsche der Freiwilligen an die Organisationen

9. Kosten/Nutzen Aufstellung für dieFreiwilligenagentur Tatendrang

Hintergrund: Studenten der Wirtschafts-wissenschaftlichen Fakultät Regensburghaben eine Kosten-Nutzen-Analyse desEhrenamtes am Beispiel der Freiwilli-genAgentur Regensburg erstellt.(www.freiwilligenagentur-regensburg.de)

Bewertungsgrundlage: Ausgangspunkt wardie Zahl der Freiwilligen, die in der Frei-willigenagentur beraten wurden. MittelsFragebogen wurden sowohl die Freiwilli-gen als auch die Organisationen sehr diffe-renziert befragt. Wichtigste Fragen die fürdie Bewertung relevant sind, z.B.:

− Wurde eine ehrenamtliche Tätigkeitübernommen?

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− Welche Tätigkeit?− Wie viele Stunden pro Woche?− Wie viele Stunden waren produktiv?

(Die daraus ermittelte Zeit betrug3,9Std. pro Woche.)

Die Tätigkeiten wurden in 3 Gruppen ein-geteilt, unterschiedlich monetär bewertetund auf Grund der Befragung prozentualzugeordnet. Daraus ergab sich pro Personund Woche eine Summe von 40,9 €, proJahr 2130 €.

Ich habe nun dieses Muster für Tatendrangangewandt, denn die FreiwilligenAgenturRegensburg hat ein vergleichbares Profil:

Anzahl der Beratungen in der Freiwilligen-agentur Tatendrang im Jahr 2005: 646neue Freiwillige. In der Studie wurde eine

Vermittlungsrate von 86,7 % aus Befra-gungen ermittelt.

Anzahl der erfolgreich von Tatendrangvermittelten Freiwilligen im Jahr 2005:559 neue Freiwillige.

559 Freiwillige à 2.130 € = 1.190.670 €.Bruttowertschöpfung für die Landeshaupt-stadt München im Jahr 2005: 1.190.670 €.

Förderung durch die Stadt München imJahr 2005: ca. 125.000 €. Nettowertschöp-fung im Jahr 2005: ca. 1.065.670 €.

Natürlich möchten wir diese Wertschöp-fung nicht nur auf die monetäre Förderungreduzieren. Alle Beteiligten haben einenenormen ideellen Gewinn und tragen zueiner solidarischen Gesellschaft bei.

Abb. 3:

15Tatendrang, 6.Juli 2006

Beschäftigtenstatus der vermittelten Freiwilligen im Jahr 2005

Statistik Freiwilligenagentur Tatendrang 2005

Arbeitnehmer/in30%

Arbeitslose/r18%Familienfrau/mann

10%

Rentner/in20%

Schüler/in2%

Selbstständige/r11%

Student/in9%

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68 Marieluise Dulich

Abb. 4:

16Tatendrang, 6.Juli 2006

Altersstruktur der vermittelten Freiwilligen im Jahr 2005

Statistik Freiwilligenagentur Tatendrang 2005

70 Jahre und älter1%

60-69 Jahre16%

50-59 Jahre15%

40-49 Jahre17%

30-39 Jahre30% 20-29 Jahre

19%

19 Jahre und älter2%

10. Persönliche Bewertung und Ver-besserungsmöglichkeiten in derKooperation mit den staatlichenBehörden

Ich bin zu einer Zeit, 1998, Leiterin vonTatendrang geworden, als Freiwilligenar-beit einen enormen Aufschwung erfuhr. Inallen staatlichen Institutionen habe ich Of-fenheit und ehrliche Bemühungen erfahren,meine Anliegen anzuhören und Lösungenzu finden. Vielleicht spielt hier eine Rolle,dass ich nicht zu hohe finanzielle Forde-rungen gestellt habe und die staatlichenBehörden dafür sehr dankbar waren, so-dass der Wunsch nach finanzieller Unter-stützung leichter gefallen ist. Daneben hatsich unser Trägerverein, der Verein fürFraueninteressen e.V., mit verschiedenenProjekten zum Bürgerschaftlichen Enga-gement in Kooperation mit der Landes-hauptstadt München als verlässlicher undsparsamer Partner einen Namen gemacht.

Aktuell vermisse ich in München den Mutzur Steuerung, Entscheidung und Zusam-menführung der verschiedenen Akteure imBereich des Bürgerschaftlichen Engage-ments. Dabei ist die vielfältige Unterstüt-zung sehr beachtlich und vorzeigbar unddie Stadt München hat deshalb auch iminternationalen Jahr der Freiwilligen den 1.Preis des Bundes für die beste Infrastrukturzu Bürgerschaftlichem Engagement verlie-hen bekommen. Daneben wünsche ich mirmehr Anerkennung für Menschen, die sichengagieren. Ein persönlicher Brief desOberbürgermeisters mit einem schönenSiegel bzw. eine Urkunde würde vieleMenschen weiter motivieren, weil sie ge-nerell feststellen: "Freiwilliges Engage-ment wird wahrgenommen und respek-tiert". Die wirkungsvollste und befriedi-gendste Form der Anerkennung und Wür-digung bleibt trotzdem immer noch diepersönliche durch die Hauptamtlichen inden Einrichtungen sowie durch die Men-

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Die Kooperation mit den staatlichen Behörden aus der Sicht einer Freiwilligenagentur 69

schen, welche die Hilfe bekommen: Einpersönliches Wort, ein "Danke", ein Lob,Ermunterung, Verständnis für die schwie-rigen Situationen und hier auch Angebotefür Fortbildungen oder ggf. fachliche Su-pervision.

Die Steuerung und Förderung auf Landes-ebene erscheint mir derzeit konzentrierterzu sein, dabei aber äußerst knapp und kei-neswegs ausreichend. Hier möchte ichnochmals an die Ergebnisse des Freiwilli-gensurvey 2004 erinnern – die Bürgerinnenund Bürger wünschen sich "bessere Infor-mation und Beratung über Möglichkeitendes freiwilligen Engagements". Eben dasbieten Freiwilligenagenturen/Zentren.

Freiwilligenagenturen brauchen eine kon-tinuierliche Förderung, damit sie sich e-tablieren und bekannt machen können –sowohl für potenzielle Freiwillige als auchfür die Organisationen, an die vermitteltwird. Dabei ist die Beratungsarbeit für dieOrganisationen ein besonderer Schwer-punkt. Denn hier ergibt sich ein sichselbstverstärkender Faktor. Nur dies wirdvon den staatlichen Institutionen zu wenigoder gar nicht berücksichtigt, er ist nichtmessbar und nicht offensichtlich auf dieBeratungstätigkeit von Freiwilligenagentu-ren zurückzuführen. Die Anzahl der Bera-tungen und Vermittlungen von Freiwilli-

gen in den Freiwilligenagenturen sind imErgebnis nachweisbar, daran wird ihreEffizienz gemessen und damit ihre Förde-rungswürdigkeit eingeschätzt.

Die Freiwilligenagenturen/Zentren in Trä-gerschaft der Wohlfahrtsverbände kämpfenbesonders um eine gesicherte Förderung.Sie sind häufig mit einem Minimum anfinanzieller Unterstützung ausgestattet, oftnur mit einer Modellförderung von 3 Jah-ren und danach wird erhofft, dass dieKommunen die Erhaltung der Einrichtunggewährleisten. Hier wurde Aufbau undVernetzungsarbeit geleistet, die nach derModellförderung im Sande verläuft.

Freiwilliges Engagement braucht Freiheit,Mut, Anreize, Möglichkeiten und Bedin-gungen, damit die Bürgerinnen und BürgerLust zum Mitmachen bekommen.

Dazu wünsche ich mir aufgeschlossene,offene und kreative Hauptamtliche, dieFreiwillige schätzen, als Bereicherung inihre Einrichtung einbinden und ihnen ge-gebenenfalls weitere Möglichkeiten derTeilhabe oder Verantwortung offerieren.Die Zeit für die Koordinations- und Be-ratungstätigkeit von Freiwilligen musshierzu in der Aufgaben- bzw. Stellenbe-schreibung der Hauptamtlichen festge-schrieben werden.

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Seniorengenossenschaft Riedlingen

Josef Martin

1. Was ist die Seniorengenossen-schaft Riedlingen?

Eine von Riedlinger Bürgern im Jahr 1991gegründete Selbsthilfeeinrichtung. Sie trägtden Namen Seniorengenossenschaft, istaber ein eingetragener Verein, der nachdem genossenschaftlichen Prinzip "Einerfür alle, alle für Einen" arbeitet. Auslöserfür die Namensgebung war eine Aus-schreibung der Landesregierung Baden-Württemberg im Jahr 1990 (Textauszug):"Die Landesregierung beabsichtigt, einModellprogramm Seniorengenossenschaftdurchzuführen. An zehn verschiedenenEinzelbeispielen soll die Umsetzung dieserSolidarform in Baden-Württemberg er-probt werden. Auf der Basis dieser Erfah-rungen soll die weitere Verbreitung derIdee erfolgen."

2. Warum Seniorengenossen-schaften?

Die AusgangslageEs gibt immer mehr ältere Menschen inunserer Gesellschaft:

– Die Lebenserwartung steigt und dieGeburtenzahlen gehen zurück. Diedurchschnittliche Lebenserwartung derMänner ist seit 1950 um zehn auf 74,6Jahre gestiegen. Die Lebenserwartungder Frauen ist sogar um zwölf auf 80,5Jahre geklettert.

– Familienstrukturen verändern sich(Großfamilien wie früher gibt es immerweniger, weil die heutige ArbeitsweltMobilität erfordert).

– Die Renten stagnieren.– Die Finanzierung unserer sozialen

Systeme durch die öffentliche Hand istnur bedingt möglich.

Unser Lösungsansatz– Gründung von bürgerschaftlichen

Selbsthilfeeinrichtungen als Ersatz fürwegbrechende Familienstrukturen.

– Aktivierung von Menschen, die nichtmehr berufstätig sind, zur Mitarbeit indiesen Selbsthilfeeinrichtungen. Dieshat den Nebeneffekt der Verlängerungvon Lebensarbeitszeit für diese Perso-nen.

Unsere Ziele– Wir bieten alle erforderlichen Hilfen,

um es unseren Mitgliedern zu ermögli-chen, bis zum Lebensende in ihremWohnumfeld verbleiben zu können.Eine Übersiedlung in ein Heim sollmöglichst auf Schwerpflegefälle redu-ziert werden.

– Den Freiwilligen Mitarbeitern eröffnenwir die Möglichkeit, eine zusätzlicheVorsorge für das eigene Alter zu leis-ten.

– Wir organisieren Hilfe für Ältere undnutzen dabei gleichzeitig das Potenzialälterer Menschen.

Unsere Rahmenbedingungen– Für alle Dienstleistungen die wir

erbringen, bezahlt der Nutzer 7,50 € jeStunde.

– Unsere freiwilligen Mitarbeiter erhal-ten davon ein Entgelt von 6,15 € jeStunde.

– Die Mitarbeiter arbeiten auf der Basisder geringfügigen Beschäftigung, da-durch entfallen Abgaben.

– Die Mitarbeiter können wählen, ob siesich das Entgelt auszahlen lassen oderaber bei der Seniorengenossenschaftansparen. Wer anspart, kann anschlie-ßend so viele Stunden kostenfrei in

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72 Josef Martin

Anspruch nehmen, wie er Stundenent-gelte angespart hat. Selbstverständlichkann das angesparte Geld auch jeder-zeit wieder bar abgeholt werden.

– Die Mitarbeiter sind umfassend versi-chert, bei einem Unfall über die Be-rufsgenossenschaft; außerdem gibt eseine Haftpflichtversicherung, eineVollkaskoversicherung bei Schäden amFahrzeug und eine Versicherung beiVerlust des Schadenfreiheitsrabattes,wenn man mit einem Fahrzeug imAuftrag der Seniorengenossenschafteinen Schaden erleidet oder verursacht.

– Die Seniorengenossenschaft ist finan-ziell unabhängig. Sie finanziert sich ü-ber Mitgliedsbeiträge und die Differenzzwischen den Beträgen, die den Leis-tungsnehmern in Rechnung gestelltwerden (7,50 €/h) und den Entgeltenfür die Mitarbeiter (6,15 €/h).

3. Die Dienstleistungen derSeniorengenossenschaft

Betreutes Wohnen– Umfasst alle Hilfen im Haushalt und in

der Versorgung der Personen.– Art und Umfang kann frei gewählt

werden.– Kann in jeder beliebigen Wohnung in

der Stadt sowie in der betreuten Wohn-anlage stattfinden.

Hilfen rund ums HausBeispiele:

– Einfache Handwerks- oder Haushalts-arbeiten (z.B. Glühbirnen auswechseln,Bohrlöcher bohren, Fahrradreifen fli-cken).

– Wertstoffe zum Wertstoffhof bringen.– Gartenarbeiten wie Hecken oder Bäu-

me beschneiden.

– Gehwege sauber halten oder im WinterSchnee räumen.

Essen auf RädernFür das leibliche Wohl sorgt unser tägli-cher Mittagstisch mit Essen auf Rädern. Inder Küche des Konrad-Manopp-Stiftesfrisch gekocht, erhalten die Senioren, aufPorzellanteller angerichtet, ein vitaminhal-tiges und abwechslungsreiches Menü, mitSuppe, Hauptspeise und Dessert, direkt inihre Wohnung geliefert. Ein Thermobe-hälter hält das Essen warm. Es gibt Nor-mal-, Schon- und Diätkost. IndividuelleWünsche werden in der Küche nach Mög-lichkeit berücksichtigt.

BeratungMitarbeiter besuchen die Senioren aufWunsch und helfen bei Problemen im All-tag, zum Beispiel zur:

– Unterstützung und Hilfe beim Ausfül-len von Anträgen und Formularen,

– Begleitung bei Behördengängen.

FahrdiensteMitarbeiter der Seniorengenossenschaftübernehmen Fahrdienste. Mitglieder, diez.B. zum Arzt müssen oder einen Besuchmachen wollen, können den Fahrdienst inAnspruch nehmen. Sie werden an derHaustüre abgeholt und zur gewünschtenStelle gefahren; auch Besucher unsererSenioren können den Fahrdienst in An-spruch nehmen.

Hilfe beim Umgang mit Computer undInternetZusammen mit der Volkshochschule wer-den Kurse angeboten, um die notwendigenKenntnisse zu erwerben. Die Nutzung von

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Seniorengenossenschaft Riedlingen 73

E-Mail eröffnet vielen Älteren die Mög-lichkeit, auch bei eingeschränkter Mobili-tät Kontakte aufrechtzuerhalten, unterein-ander und zu Kindern und Enkeln.

Barrierefreie WohnanlageDie Seniorengenossenschaft ist Betreu-ungsträger von zwei zentral gelegenen be-treuten Wohnanlagen mit 68 barrierefreienWohnungen. In diesen Wohnanlagen ha-ben die Bewohner die Wahl zwischen ab-soluter Eigenständigkeit bis hin zur Voll-versorgung durch die Seniorengenossen-schaft. Die Konditionen sind auf Grund derbürgerschaftlichen Organisationsform sehrgünstig. Das Angebot beinhaltet:

– ortsübliche Miete,– sehr niedrige Betreuungspauschale

(18,00 € je Wohnung und Monat),– günstige Preise für Dienstleistungen.

Mit der Betreuungspauschale sind folgendeEinzelleistungen abgegolten:

– Vorhaltung der Betreuungs- und Pfle-geinfrastruktur,

– Rufbereitschaft und Bereitschafts-dienst,

– Besuchsdienst,– Nutzung von Gemeinschaftsräumen

nach Absprache.

TagespflegeDie Seniorengenossenschaft betreibt eineTagespflege mit 30 Plätzen. Mit der Ta-gespflege nahm die Seniorengenossen-schaft von 1996 bis 2002 an dem BETA-Projekt des Bundes und einiger Bundes-länder teil. In diesem Projekt sollte eineneue Form von Tagespflege erprobt wer-den, nämlich die bürgerschaftlich betriebe-ne Tagespflege. Es sind weitgehend frei-willige Mitarbeiter im Einsatz, nur für diefachliche Leitung existieren hauptamtlichfestangestellte Fachkräfte. Durch dieseOrganisationsform ist es möglich, guteQualität bei günstigen Preisen anzubieten.

Die Organisation– Die Seniorengenossenschaft hat über

600 Mitglieder und 110 freiwilligeMitarbeiter.

– Sie wird geführt von 9 Vorstandsmit-gliedern, die ehrenamtlich tätig sind.Jedes Vorstandsmitglied ist für einenbestimmten Arbeitsbereich verant-wortlich und organisiert diesen ge-meinsam mit seinen freiwilligen Mitar-beitern.

– Es ist vorgesehen, dass die Vorstands-mitglieder künftig für die geschäftsfüh-renden Aufgaben, die sie erledigen, e-benfalls ein Entgelt erhalten.

Die Seniorengenossenschaft hatte noch nieProbleme, Mitarbeiter zu finden, bishergab es sogar immer ein Überangebot.

Erfolgsfaktoren– Freiwillige sehen für sich Vorteile –

ein Entgelt, das Ansparmodell, eineinteressante und sinnvolle Betäti-gungsmöglichkeit,

– ein breites, preisgünstiges und im Ver-bund mit anderen Dienstleistern abge-stimmtes Angebot,

– sorgfältige Personalentwicklung,– gutes Arbeitsklima,– eigenständig und eigenfinanziert,– die Mitarbeiter fühlen sich als eigener

Unternehmer.

Umsetzungsmöglichkeit– Die Gründung solcher Selbsthilfeein-

richtungen ist überall möglich.– Geeignete Menschen für solche Pro-

jekte gibt es in großer Zahl.– Wichtig: Diese brauchen Rückende-

ckung während der Startzeit, um per-sönliche Risiken zu vermeiden. Kom-munen sollten diese Rückendeckunggeben, sie haben ja auch einen direktenVorteil dadurch, dass Bürger sozialeBelange wie die kostengünstige Ver-sorgung älterer Menschen eigenständigorganisieren.

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Finanzierung sozialen Engagementsam Beispiel der Münchner Tafel

Hannelore Kiethe

Ziel der Münchner Tafel ist die Versor-gung Bedürftiger mit Lebensmitteln, wel-che noch gut verzehrbar sind, aber imWirtschaftsprozess nicht mehr verwendetwerden können aufgrund kleiner Schön-heitsfehler oder kurz bevorstehenden Ab-laufdatums. Diese Nahrungsmittel würdensonst entsorgt werden. Unser Motto: Ver-teilen statt vernichten.

1. Gründung und Aufbau derMünchner Tafel

Im Jahr 1994 gründete eine Gruppe vonsieben Personen einen Verein, der als"mildtätiger Verein" staatlich anerkanntund daher berechtigt ist, Spendenquittun-gen auszustellen. Am Anfang arbeiteten 10ehrenamtlich Tätige mit 8 Firmensponso-ren zusammen und verteilten eine halbeTonne Lebensmittel pro Woche an 500Bedürftige. Heute gibt es 120 ehrenamtlichTätige, davon 7 fest Angestellte, 1 Zivil-dienstleistenden (gesponsert von den Jo-hannitern), 6 Ein-Euro-Jobler, 130 Firmen-sponsoren. Es werden 14.000 Bedürftigepro Woche mit 80 t und mehrLebensmitteln versorgt und der Bedarfnimmt täglich zu.

Am Anfang machte man sich noch keineGedanken um die Finanzierung. Die Wa-ren wurden mit privaten PKWs auf eigeneKosten verteilt. Bei aktuellem Bedarf, z.B.Räumlichkeiten für ein Büro, Büroein-richtung usw., wurden Sponsoren gesuchtund glücklicherweise immer gefunden.Nachdem man Kontakte zu Stiftungen auf-genommen hatte, erfolgten die erstenGeldspenden und es konnte ein Auto ge-

kauft werden. Als erste Schirmherrenkonnten Herr Prof. Dr. Claus Hipp undIKKH Regina von Habsburg gefundenwerden. Um diese Tatsache gebührendbekanntzugeben, wurde eine Pressekonfe-renz einberufen. Dank reger Teilnahme dereinschlägigen Münchner Presse und Me-dien und deren positiven Berichterstattungkam bei der Stadt München Interesse aufan diesem unabhängigen privaten Verein,dessen Anliegen es ist, bedürftigenMünchnern zu helfen. Die Stadt bot Unter-stützung an bei der Suche nach sozialenEinrichtungen und machte einen Einzug indie Großmarkthalle möglich. Die Groß-markthalle ist seither die Heimat derMünchner Tafel. Sie bekommt seitens derDirektion und vieler großherziger Händlerjede hilfreiche Unterstützung: Die neunvereinseigenen Fahrzeuge dürfen kostenlosgeparkt werden, außerdem wird ihr Lager-fläche, sogar wertvolle Tiefkühllagerflächesowie Platz für die tägliche Arbeit zur Ver-fügung gestellt. Obwohl die MünchnerTafel im organisatorischen Ablauf derGroßmarkthalle ein ständiger Störfaktorist, wird sie mit viel Nachsicht und Geduldertragen.

1999 konnte das Büro im Kontorhaus derGroßmarkthalle bezogen werden, nachdemein Sponsor für die Miete gefunden war.Danach wurde das Projekt offiziell demMinisterium für Arbeit und Sozialordnung,Familie Frauen und Gesundheit und demstädtischen Veterinäramt vorgestellt. DasVeterinäramt gab den Freiwilligen Rü-ckendeckung und Anerkennung für ihreArbeit und wies sie in die gesetzlichenVorschriften im Umgang mit Lebens-mitteln ein.

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Fest angestelltes Personal war zuerst nichtfinanzierbar, aber 1995 konnte dank derguten Verbindung zum Sozialreferat eineerste BSHG-Kraft (Bundessozialhilfege-setz) als Sekretärin im Büro mit Zeitar-beitsvertrag eingestellt werden.

2. Finanzierung und Sponsoring

Die Tafel wächst gewaltig und wird immerbekannter. Allmählich wächst auch derBedarf an Geld. Es wurden Flyer – eben-falls gesponsert – gedruckt, um Mitgliederzu gewinnen. Mit einem kleinen Jahresbe-trag (59 Cent die Woche, 30,68 Euro jähr-lich) soll jedem die Möglichkeit gegebenwerden, zu helfen. Dieser Mitgliedsbeitragist die konstante Größe, die für eine sinn-volle Arbeit nötig ist. Aber das Salz in derSuppe sind die Gelder der Banken, Firmenund privaten Sponsoren, die für eine Lang-zeitunterstützung sorgen, zudem die vielenspontan eingehenden Geldeingänge vonFirmen und Privatpersonen aus ganzDeutschland.

Unser Bestreben war immer, gute Über-zeugungsarbeit zu leisten und professionellzu sein. Hierbei war auch die gute und po-sitive Begleitung der Medien und Pressewichtig. Wir führen Sponsoren in Listenauf, sowohl im Internet als auch in unse-rem Flyer. Heute legen Sponsoren bereitsWert darauf, in unserer Liste aufgeführt zusein. So kamen eine hervorragende PR-Agentur und eine der größten Werbeagen-turen auf uns zu, um uns bei unserer Arbeitzu unterstützen. Die Werbeagentur kreiertefür uns zwei sehr eindrucksvolle, inzwi-schen mit Preisen versehene Sozialkam-pagnen, die große Resonanz hervorriefen.

Immer mehr Menschen in Not wissen überuns Bescheid und der Zulauf wird immergrößer. Unser Plan, die verschämte, ver-steckte Armut zu erreichen, geht voll aufmit der Einrichtung der Lebensmittelaus-gabestellen in allen Stadtteilen mit hohemAnteil an bedürftigen Menschen. Die Emp-

fänger an den Ausgabestellen werden nachihrer Bedürftigkeit überprüft und bekom-men dann einen Berechtigungsschein. Die-se Kontrollmaßnahmen sind wir unserenSponsoren schuldig, so kann Missbrauchvorgebeugt werden.

Die Folge des enormen Zulaufs ist einwachsender Bedarf an Fahrzeugen, Fahrernund vielfach die Notwendigkeit, Grund-nahrungsmittel dazukaufen zu müssen,wenn die Sponsorenware nicht ausreicht.Heute fahren wir neun eigene Fahrzeuge,deren Unterhalt der größte Kostenfaktorist. Wir haben inzwischen sieben fest ange-stellte Fahrer mit BSHG-Verträgen – einBetrieb wie der unserige ist nicht mehrausschließlich mit ehrenamtlichen Mitar-beitern aufrechtzuerhalten. Die Fahrer sindmorgens ab 7 Uhr unterwegs, um Sponso-renware abzuholen, nach sorgfältig einge-teilten Tourenplänen. Es werden täglichüber 30 Lebensmittelmärkte angefahren,zusätzlich wird die Abholung von spontaneingehenden Spendenwaren eingebaut.Logistik und Organisation spielen einegroße Rolle. Bei den großen Lieferungen(bis 30 Paletten) helfen uns teilweise Spe-ditionen mit kostenloser Anlieferung oderdas ehrenamtliche Rote Kreuz, welchesgroße Lastwagen mit Fahrern für uns ein-setzt. Dies ist eine weitere hilfreiche Er-weiterung unseres Netzwerkes. Ohne diefesten Fahrer wäre diese Arbeit nicht zuleisten.

2005 wurden alle unsere BSHG-Verträgegekündigt, und wir standen vor der großenHerausforderung, wie wir unsere Mitar-beiter halten sollten. Ein Jahr haben wirum Unterstützung seitens der Stadt ge-kämpft. Alle wollten uns dabei helfen, un-sere sinnvolle Arbeit fortsetzen zu können,aber wie? Als privater unabhängiger Ver-ein haben wir ja keinen Anspruch auf fi-nanzierte Personalstellen. Doch es fandsich eine gute Lösung: In Anerkennungunserer Leistung für bedürftige MünchnerBürger wurde uns vom Referat für Arbeitund Wirtschaft ein Sachkostenzuschuss

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Finanzierung sozialen Engagements am Beispiel der Münchner Tafel 77

über 60.000 Euro zugesprochen. DieserBetrag deckt ungefähr die Kosten unseresFuhrparks, so dass wir nun vier Fahrerselbst einstellen konnten. Die Restkostenfinanzieren wir über Spenden.

Seit der Euroeinführung und der Einfüh-rung von Hartz IV ist die Bedürftigkeitsprunghaft angestiegen. 1994 gab es lautArmutsbericht der Stadt München 120.000Münchner, welche unterhalb der Armuts-grenze lebten, heute sind es 177.000. Wirsind immer bekannter geworden und derZulauf ist entsprechend groß. Wir versor-gen heute wöchentlich 14.000 Menschenund es werden täglich mehr. Armut machteinsam, und so sind wir für viele Bedürfti-ge nicht nur Lebensmittelbeschaffer (diemeisten leben heute von uns), sondernauch Ansprechpartner und Zuhörer. Beider Lebensmittelausgabe in den Stadtteilenbeschäftigen wir auch Bedürftige und ü-bertragen ihnen Verantwortung. Dies wirddankbar angenommen und der meist zu-verlässige Einsatz dieser Helfer ist auch fürsie selbst aufbauend und hilfreich. Mit ei-nigen der Sozialhilfeempfänger wurden sogute Erfahrungen gemacht, dass sie so-

gar wieder in den Arbeitsmarkt integriertwerden konnten.

3. Ausblick

Die Geschichte der Münchner Tafel zeigtauf, wie sinnvoll und effizient ehrenamtli-che Tätigkeit in guter Kooperation mit derStadt oder dem Staat laufen kann, ohnedabei die Unabhängigkeit eines privatenVereins einbüßen zu müssen.

Mit guter Überzeugungsarbeit und Moti-vation der Mitarbeiter kann so eine sinn-volle Tätigkeit Spaß machen und ein gutesGefühl geben. Es ist keine Frage, dass fürdie Zukunft noch viel mehr Engagement indieser Richtung stattfinden muss, da derStaat und die Kommunen immer wenigerin der Lage sein werden, Hilfeleistungenzu finanzieren. Eine sehr positive Erfah-rung ist die zunehmende Anzahl an Schul-praktikanten. Sowohl Schulen als auchEltern legen inzwischen größeren Wert aufdie Bildung von sozialen Kompetenzenund die Möglichkeit, den Jugendlichenauch einen anderen Aspekt der Gesell-schaft zu zeigen.

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Autorenverzeichnis

Dulich, MarieluiseLeiterin Freiwilligenagentur Tatendrang,München

Evers, Adalbert, Prof. Dr.Professor für vergleichende Gesundheits-und Sozialpolitik an der Justus-Liebig-Universität, Gießen

Frischen, KonstanzeGeschäftsführerin Ashoka DeutschlandGmbH, Frankfurt/Main

Hummel, Konrad, Dr.Stadtrat, Referat Soziales, Jugend, Familie,Frauen, Senioren, Stiftungen und Wohnen,Augsburg

Kiethe, HanneloreVorstandsvorsitzende des Vereins Münch-ner Tafel e.V., München

Kinzl, PetraMitglied der Geschäftsleitung betapharmArzneimittel GmbH, Leiterin der Abtei-lung "Corporate Citizenship", Augsburg

Lehmann, KnutGeschäftsführer des Paritätischen Wohl-fahrtsverbandes, Landesverband Bayerne.V., München

Martin, JosefSenator E.h., Gründer und Vorsitzenderder Riedlinger Seniorengenossenschaft,Riedlingen

Morgenstern, FritzVorsitzender des Vorstands Bürgerstiftungfür den Landkreis Fürstenfeldbruck, Fürs-tenfeldbruck

Rimscha, Nicolai vonReferent für Wirtschafts-, Finanz- und So-zialpolitik der Akademie für Politik undZeitgeschehen der Hanns-Seidel-Stiftung,München

Schmidpeter, René MADipl.-Betriebswirt (BA), Kabinett der Ös-terreichischen Bundesministerin UrsulaHaubner, Ministerium für Soziale Sicher-heit, Generationen und Konsumenten-schutz, Wien

Sehling, MatthiasMinisterialrat, Bayerisches Staatsministe-rium für Arbeit und Sozialordnung, Fami-lie und Frauen, München

Willim, Bud A.Sozialreferat der Landeshauptstadt Mün-chen, Zentrale Leitung Koordination Bür-gerschaftliches Engagement und Firmen-kontakte, München

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Verantwortlich:Dr. Reinhard C. Meier-WalserLeiter der Akademie für Politik und Zeitgeschehen, Hanns-Seidel-Stiftung, München

Herausgeber:Nicolai von RimschaReferent für Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik der Akademie für Politik und Zeit-geschehen, Hanns-Seidel-Stiftung, München

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"Argumente und Materialien zum Zeitgeschehen"

bisher erschienen:

Nr. 1 Berufsvorbereitende Programme für Studierende an deutschen Universitäten(vergriffen)

Nr. 2 Zukunft sichern: Teilhabegesellschaft durch Vermögensbildung (vergriffen)

Nr. 3 Start in die Zukunft – Das Future-Board (vergriffen)

Nr. 4 Die Bundeswehr – Grundlagen, Rollen, Aufgaben (vergriffen)

Nr. 5 "Stille Allianz"? Die deutsch-britischen Beziehungen im neuen Europa (vergriffen)

Nr. 6 Neue Herausforderungen für die Sicherheit Europas (vergriffen)

Nr. 7 Aspekte der Erweiterung und Vertiefung der Europäischen Union (vergriffen)

Nr. 8 Möglichkeiten und Wege der Zusammenarbeit der Museen in Mittel- und Osteuropa

Nr. 9 Sicherheit in Zentral- und Südasien – Determinanten eines Krisenherdes

Nr. 10 Die gestaltende Rolle der Frau im 21. Jahrhundert (vergriffen)

Nr. 11 Griechenland: Politik und Perspektiven

Nr. 12 Russland und der Westen (vergriffen)

Nr. 13 Die neue Familie: Familienleitbilder – Familienrealitäten (vergriffen)

Nr. 14 Kommunistische und postkommunistische Parteien in Osteuropa – AusgewählteFallstudien (vergriffen)

Nr. 15 Doppelqualifikation: Berufsausbildung und Studienberechtigung – Leistungsfähige in derberuflichen Erstausbildung

Nr. 16 Qualitätssteigerung im Bildungswesen: Innere Schulreform – Auftrag für Schulleitungenund Kollegien (vergriffen)

Nr. 17 Die Beziehungen der Volksrepublik China zu Westeuropa – Bilanz und Ausblick amBeginn des 21. Jahrhunderts (vergriffen)

Nr. 18 Auf der ewigen Suche nach dem Frieden – Neue und alte Bedingungen für die Frie-denssicherung (vergriffen)

Nr. 19 Die islamischen Staaten und ihr Verhältnis zur westlichen Welt – Ausgewählte Aspekte(vergriffen)

Nr. 20 Die PDS: Zustand und Entwicklungsperspektiven (vergriffen)

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Nr. 21 Deutschland und Frankreich: Gemeinsame Zukunftsfragen (vergriffen)

Nr. 22 Bessere Justiz durch dreigliedrigen Justizaufbau? (vergriffen)

Nr. 23 Konservative Parteien in der Opposition – Ausgewählte Fallbeispiele

Nr. 24 Gesellschaftliche Herausforderungen aus westlicher und östlicher Perspektive –Ein deutsch-koreanischer Dialog

Nr. 25 Chinas Rolle in der Weltpolitik

Nr. 26 Lernmodelle der Zukunft am Beispiel der Medizin

Nr. 27 Grundrechte – Grundpflichten: eine untrennbare Verbindung

Nr. 28 Gegen Völkermord und Vertreibung – Die Überwindung des zwanzigsten Jahrhunderts

Nr. 29 Spanien und Europa

Nr. 30 Elternverantwortung und Generationenethik in einer freiheitlichen Gesellschaft(vergriffen)

Nr. 31 Die Clinton-Präsidentschaft – ein Rückblick (vergriffen)

Nr. 32 Alte und neue Deutsche? Staatsangehörigkeits- und Integrationspolitik auf demPrüfstand (vergriffen)

Nr. 33 Perspektiven zur Regelung des Internetversandhandels von Arzneimitteln

Nr. 34 Die Zukunft der NATO (vergriffen)

Nr. 35 Frankophonie – nationale und internationale Dimensionen (vergriffen)

Nr. 36 Neue Wege in der Prävention (vergriffen)

Nr. 37 Italien im Aufbruch – eine Zwischenbilanz (vergriffen)

Nr. 38 Qualifizierung und Beschäftigung (vergriffen)

Nr. 39 Moral im Kontext unternehmerischen Denkens und Handelns (vergriffen)

Nr. 40 Terrorismus und Recht – Der wehrhafte Rechtsstaat (vergriffen)

Nr. 41 Indien heute – Brennpunkte seiner Innenpolitik (vergriffen)

Nr. 42 Deutschland und seine Partner im Osten – Gemeinsame Kulturarbeit im erweitertenEuropa

Nr. 43 Herausforderung Europa – Die Christen im Spannungsfeld von nationaler Identität,demokratischer Gesellschaft und politischer Kultur (vergriffen)

Nr. 44 Die Universalität der Menschenrechte

Nr. 45 Reformfähigkeit und Reformstau – ein europäischer Vergleich

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Nr. 46 Aktive Bürgergesellschaft durch bundesweite Volksentscheide? Direkte Demokratie inder Diskussion

Nr. 47 Die Zukunft der Demokratie – Politische Herausforderungen zu Beginn des21. Jahrhunderts

Nr. 48 Nachhaltige Zukunftsstrategien für Bayern – Zum Stellenwert von Ökonomie, Ethik undBürgerengagement

Nr. 49 Globalisierung und demografischer Wandel – Fakten und Konsequenzen zweierMegatrends

Nr. 50 Islamistischer Terrorismus und Massenvernichtungsmittel

Nr. 51 Rumänien und Bulgarien vor den Toren der EU

Nr. 52 Bürgerschaftliches Engagement im Sozialstaat

Nr. 53 Kinder philosophieren

Ab der Ausgabe Nr. 14 stehen unsere Hefte unter www.hss.de auch zum Download zur Verfügung.