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Argumente und Materialien zum Zeitgeschehen Nr. 53 'Kinder … · 2009. 5. 14. · bildung und Offenheit gegenüber Anders-denkenden. Durch dieses Projekt wachsen Menschen heran,

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  • ISBN 978-3-88795-302-7© 2007 Hanns-Seidel-Stiftung e.V., MünchenAkademie für Politik und ZeitgeschehenVerantwortlich: Dr. Reinhard C. Meier-Walser (Chefredakteur)

    Redaktion:Barbara Fürbeth M.A. (Redaktionsleiterin)Claudia Magg-Frank, Dipl. sc. pol. (Redakteurin)Benedikt Seidenfuß, Dipl.-Pädagoge (Univ.), M.A.Christa Frankenhauser (Redaktionsassistentin)

    Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form(durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren)ohne schriftliche Genehmigung der Redaktion reproduziertoder unter Verwendung elektronischer Systemeverarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

  • Inhaltsverzeichnis

    Vorworte

    Hans ZehetmairWerte sind das Herz einer jeden Kultur .................................................................................7

    Bertram BrossardtWarum die bayerische Wirtschaft das Philosophieren mit Kindern fördert ..........................9

    Roswitha WiesheuKinder philosophieren – und kommen dem Leben auf die Spur! ........................................11

    Siegfried HöflingZur Einführung.....................................................................................................................15

    Kinderphilosophie – Vorstellung des Projekts

    Roswitha WiesheuSapere aude – das Projekt "Kinder philosophieren" in Bayern............................................19

    Gareth B. MatthewsWarum mit Kindern philosophieren?...................................................................................27

    Maughn GregoryWas ist Philosophie für Kinder?..........................................................................................35

    Karlfriedrich HerbPerspektiven eines Projekts in Bayern – Kinder philosophieren .........................................37

    Barbara Weber"Kinder philosophieren"? Sinnorientierung und Wertebildungim Dialog zwischen Gestern, Heute und Morgen ................................................................41

    Katharina Zeitler"Kinder philosophieren" – ein integratives Modell zur Sinnorientierungund Wertebildung.................................................................................................................45

  • 2 Inhaltsverzeichnis

    Philosophie und Entwicklung

    Rolf Oerter Welt- und Menschenbilder bei Kindern und Jugendlichen..................................................53

    Gabriele Osthoff-MünnixMeine Welt – deine Welt – unsere Welt? Gemeinsame Identitätsbildungdurch Philosophieren mit Kindern .......................................................................................59

    Benedikt SeidenfußDie Entwicklung der Freiheit des Willens im Kontext des strukturgenetischenAnsatzes................................................................................................................................77

    Kinderphilosophie – Chancen und Möglichkeiten einer noch jungenDisziplin

    Ekkehard MartensLust am Philosophieren – nicht nur für Kinder ...................................................................99

    Barbara WeberDie Würde der Zukunft ist unantastbar. Der generationenübergreifende Dialog überPhilosophie und Werte bei G. Matthews im Diskurs mit H. Arendt und E. Lévinas.........109

    Christophe RudeKinder philosophieren – Pilotprojekt und pädagogischer AnsatzOder: Wenn Antworten nicht der eigentliche Sinn des Fragens sind ................................121

    Kinderphilosophie in der Praxis

    Mechthild RallaKinderphilosophie als Beruf und/oder Berufung ...............................................................127

    Ekkehard Martens Philosophie als Unterrichtsfach und Unterrichtsprinzip ....................................................131

    Eva Marsal/Takara DobashiSpielend philosophieren – Ein Filmbeispiel: Das philosophische Fragespiel"Wer ist ein Freund?" .........................................................................................................143

    Hans-Jürgen DunklPhilosophieren mit Kindern – Fortbildungskonzepte.........................................................151

  • Inhaltsverzeichnis 3

    Oliver HidalgoDer Zauberring – ein philosophischer Lehrfilm.................................................................157

    Ekkehard MartensPhilosophieren mit Kindern in Kindergarten und Grundschule –Wie geht das eigentlich? ....................................................................................................161

    Kinderphilosophie in der öffentlichen Diskussion

    Gesprächsrunde 1Philosophie zum Wohle der Bildung .................................................................................169

    Gesprächsrunde 2Philosophie zum Wohle der Gesellschaft...........................................................................173

    Gesprächsrunde 3Philosophie zum Wohle der Wirtschaft .............................................................................179

    Autorenverzeichnis.............................................................................................................185

  • Vorworte

  • Werte sind das Herz einer jeden Kultur

    Hans Zehetmair

    "Das Herz einer Kultur sind ihre Werte"behauptet der niederländische Kulturfor-scher Geert Hofstede. Wendet man dieseMetapher konkret an, dann müsste mansagen, dass das Herz Deutschlands, viel-leicht sogar das Herz der ganzen westli-chen Welt, krank ist. Es muss behandeltoder revitalisiert werden. Mit Werten ver-leihen wir Ereignissen, Gedanken, Gefüh-len eine Bedeutung, einen Sinn. Diese Be-deutungs- oder Wertzuweisungen sind ab-hängig von der Kultur in der wir leben undvon der eigenen persönlichen Entwicklung.

    Welche Werte sind in einem System wiedem Kindergarten und der Schule von kri-tischer Relevanz, sodass unsere Kinder ausihren eigenen Bedürfnissen heraus dieWerte formen, die menschliche Grund-rechte stärken, friedvolle Konfliktlösungenermöglichen und unsere Erde als Ernähre-rin erhalten werden?

    Werte können nicht übergestülpt werden.Kinder erschaffen sich diese als Mitge-stalter ihrer Weltaneignung. Sie suchennach Antworten auf die großen Lebensfra-gen, die sich aus ihrem Alltag oder auseinschneidenden Lebenserfahrungen erge-ben.

    Die Philosophie und ihre Didaktik des Fra-gens und tiefgründigen Hinterfragens istbesonders geeignet bei der Aneignung vonWerten. Der Untertitel unseres Kongresses"Staunen - Fragen - Denken - Werte fin-den“ formuliert treffend diesen aktivenErlebens- und Aneignungsprozess.

    Ich möchte Frau Roswitha Wiesheu fürihre engagierte Anregung, Werteaneignungmit philosophischen Mitteln in Kindergar-ten und Grundschule zu initiieren und um-zusetzen, herzlich danken. Mit fachlichem

    Rat zur Seite steht ihr Prof. Dr. Karlfried-rich Herb von der Universität Regensburg.Auch ihm gebührt mein herzlichster Dankdafür, dass er die Hanns-Seidel-Stiftung alsPlattform zur Verwirklichung des Projek-tes "Mit Kindern philosophieren" gewählthat.

    Werte sind nicht nur bei der Kindererzie-hung, sondern auch in der Wirtschaft vonwachsender Bedeutung. Arbeit hat nichtnur mit Lohn oder Entlohnung zu tun. Ar-beit zeugt von Engagement und Gestal-tungswillen, birgt Überraschungen undUnsicherheit und wird getragen von unse-rem Bestreben, unserem Inneren Ausdruckzu geben. Indem wir unsere Ideen undVorstellungen bekunden, verleiht die anre-gende Erfahrung des Entdeckens, Erfor-schens und Leistens unserer Arbeitserfah-rung Würze. Wir erfahren persönlichesWachstum, indem wir einen Prozess zumeistern lernen und die Ergebnisse unsererBemühungen im Produkt verkörpert sehen.Will man im globalisierten Wettbewerbbestehen, dann sind zunehmend mehr dif-ferenzierte Mitarbeiter mit Eigendynamik,Kreativität, Lern- und Entwicklungsfähig-keit von Nöten, die ihr Handeln einemWertekodex unterordnen, den sie selbstwiederum mitgestalten können. Es ist da-her für mich sofort nachvollziehbar, dassdie Vereinigung der Bayerischen Wirt-schaft und allen voran ihr Hauptgeschäfts-führer Stefan Götzl das Projekt "Mit Kin-dern philosophieren" jetzt und in den fol-genden Jahren tatkräftig unterstützen.

    Bei aller Unterschiedlichkeit der Wertvor-stellung in unserer pluralistischen Weltmüssen jedoch die Grundsätze des Grund-gesetzes und der Bayerischen Verfassunggelten. Sie verpflichten auf die im christ-lich - abendländischen Traditionszusam-

  • 8 Hans Zehetmair

    menhang entstandenen Grund- und Men-schenrechte. Der neue Bayerische Bil-dungs- und Erziehungsplan für Kinder, derjetzt in die Erprobung gegangen ist, legtauf diese christlich-abendländische Fundie-rung deutlichen Wert. Ich hoffe, dass vonunserem Kongress die notwendige Impuls-und Schubkraft ausgehen möge, um Erzie-

    herinnen, Erzieher, Lehrerinnen und Leh-rer - aber auch Eltern - nachhaltig zu er-mutigen, mit Kindern gemeinsam dasStaunen über die Welt und über das Lebenzu pflegen, den Dingen auf den Grund zugehen und verantwortungsbewusste Ver-haltensregeln für die Gemeinschaft zu for-men.

  • Warum die bayerische Wirtschaft das Philosophierenmit Kindern fördert

    Bertram Brossardt

    "Wieso, weshalb, warum – wer nicht fragtbleibt dumm!" Kinder stellen Fragen, Kin-der wollen Antworten, Kinder sind neugie-rig. Sie wollen ihre Welt entdecken undverstehen. Diesen Wissensdurst muss manernst nehmen. Entwicklungspsychologenund Neurowissenschaftler verweisen aufdas enorme frühkindliche Lernpotenzialvon Kindern. In einer anregenden undspielerischen Lernumwelt können sie indi-viduell gefördert und gefordert werden.Chancen, die sie zu einem späteren Zeit-punkt nur schwer nachholen können.Chancen, die das Fundament für den Bil-dungsverlauf und damit für Lebenswegund Lebenskarrieren legen.

    Das Projekt "Kinder philosophieren", eingemeinsames Projekt der Hanns-Seidel-Stiftung, der Universität Regensburg undder bayerischen Arbeitgeberverbände vbw– Vereinigung der Bayerischen Wirtschaftund VBM – Verband der BayerischenMetall- und Elektro-Industrie, setzt an die-sem wichtigen Punkt an. Ich bin deshalbFrau Wiesheu dankbar, dass sie die Ideefür das Projekt geboren, getrieben und uns"mit ins Boot" genommen hat.

    Warum beteiligen sich Unternehmen undVerbände der Wirtschaft an einem solchenProjekt? Unternehmen werden in starkemMaße ihrer sozialen Verantwortung ge-recht. Die Verbesserung der Bildung nach-folgender Generationen ist dabei ein zent-rales Anliegen. Kinder brauchen eine qua-litativ gute Bildung. Denn Fähigkeiten,Fertigkeiten und Talente der Menschensind ihre wichtigsten Ressourcen – undzugleich die wichtigsten Ressourcen so-wohl der Wirtschaft als auch unserer Ge-sellschaft. Die Investition in unsere Kinder

    ist deshalb eine Investition in die Zukunftunseres Landes.

    Wir engagieren uns deshalb in besondererWeise im Bereich der Bildungspolitik.Hier haben wir zahlreiche Projekte ange-stoßen, die in Vorschule, Schule, berufli-cher Bildung, Weiterbildung und Hoch-schule innovative Lösungsansätze zeigen.Mit der Studie "Bildung neu denken" ha-ben wir ein völlig neues und ganzheitlichesBildungskonzept vorgelegt. Anstatt z.B.Kinder und Jugendliche in ein Lernschemazu pressen, das sich ausschließlich am Le-bensalter orientiert, haben wir Bildung infünf verschiedene Lebensphasen eingeteilt.Lebenslang lernen und altersgerecht lernenist das Ziel.

    Aber Lernen ist Bildung des Geistes unddes Herzens. Das ist das Besondere an demProjekt "Kinder philosophieren". Es ver-mittelt kindgerecht philosophische Inhalteund motiviert die Kinder spielerisch, sichmit einem bestimmten Thema auseinanderzu setzen. Auf diese Weise wird die Per-sönlichkeitsentwicklung der Kinder imbesten Sinne beeinflusst: Die Kinder lernenkreatives Denken, eigenständige Urteils-bildung und Offenheit gegenüber Anders-denkenden. Durch dieses Projekt wachsenMenschen heran, die neben Fachwissenauch über mehr soziale Kompetenzen ver-fügen. Und genau diese Kompetenzen sindganz wesentlich – sowohl für das Fortbe-stehen unseres demokratischen Gemeinwe-sens, als auch für den langfristigen Erfolgunserer Wirtschaft. Mit anderen Worten:Kinder sind unsere Zukunft. Deswegenunterstützen wir sehr gerne das Projekt"Kinder philosophieren".

  • Kinder philosophieren – und kommen dem Leben auf die Spur!

    Roswitha Wiesheu

    Und was bringen wir unseren Kindern in der Schule bei?Dass zwei mal zwei vier ist und Paris die Hauptstadt Frankreichs.

    Wann wird man sie lehren, was sie selbst sind?Jedem dieser Kinder sollte man sagen:

    Weißt Du auch, was Du bist?Du bist ein Wunder!

    Du bist einmalig!Auf der ganzen Welt gibt es kein zweites Kind, das genauso ist wie du.

    Und Millionen von Jahren sind vergangen,ohne dass es je ein Kind gegeben hätte wie dich.

    Schau deinen Körper an, welch ein Wunder!Deine Beine, deine Arme,

    deine geschickten Finger, deinen Gang.Aus dir kann ein Shakespeare werden,

    ein Michelangelo, ein Beethoven.Es gibt nichts, was du nicht werden könntest.

    Jawohl, du bist ein Wunder.Und wenn du erwachsen sein wirst,

    kannst du dann einem anderen weh tun,der, wie du selbst, auch ein Wunder ist?

    Pablo Casals

    Das Projekt "Kinder philosophieren" willdie Lebenskompetenz von Kindern stärken,indem es das aktive Philosophieren in Kin-dergärten, Schulen und Horten etabliert.Der Name der Initiative ist bewusst ge-wählt, weil es ihr darum geht, das Philoso-phieren als natürliche Tätigkeit des Kindeszu entdecken und zu fördern und gleich-zeitig als Kulturtechnik zu erschließen.Das Projekt hat nicht die Absicht, eine"Philosophie light" für Kinder zu entwi-ckeln oder klassische Philosophiege-schichte zu lehren. Im Zentrum steht dasPhilosophieren als neuartiges Erziehungs-prinzip, das den Kindern einen unvorein-genommenen, kritischen und selbstbe-wussten Blick auf die Welt eröffnet undüber die Thematisierung existenzieller undmoralischer Fragen Sinnorientierung undWertebildung ermöglicht.

    Hier wird ein Prozess angestoßen, der einUmdenken in der Gesellschaft bewirken

    soll. Nicht die Vermittlung vorgefertigterInhalte, das Kind selbst mit seinen Gedan-ken und Fragen soll künftig im Mittelpunktder Erziehung stehen. Kinder denken nochnicht in gefestigten Bahnen, das macht siefrei im Denken. Ziel ist, die Philosophie inder Lebenswelt der Kinder zu verankern.Erwachsene, die professionell mit Kindernzu tun haben, sollen sie darin unterstützen,ihre Fragen und Probleme zu formulieren,Argumente zu diskutieren und sichschließlich darum bemühen, plausibleAntworten zu finden. Erzieher und Lehrernehmen hier eine neue Rolle wahr, die siegleichermaßen zu Vorbildern und Ge-sprächspartnern der Kinder macht. Beson-dere Verantwortung kommt auch den El-tern zu, die für eine philosophisch moti-vierte Persönlichkeitsbildung der Kinderunverzichtbar sind.

    Ist doch Familie die erste Gemeinschaft,die das Kind in die Gesellschaft integriert

  • 12 Roswitha Wiesheu

    und ihm die Entfaltung seiner Person erstermöglicht, indem es hier Zuwendung er-fährt. "Sie ist somit die seins- und ver-nunftnotwendige Ursprungsquelle dermenschlichen Gesellschaft" (Oswald vonNell-Breuning).

    Die Begriffstrias STAUNEN – DENKEN– WERTEN gibt eine Vorstellung davon,wann kindliches Philosophieren stattfindet.Das STAUNEN ist der Anfang aller Philo-sophie. Mit seiner Unbefangenheit ent-deckt das Kind die Welt auf eine Weise,die sich den Erwachsenen verschließt. Eszweifelt Vorurteile und Zusammenhängean, die Ältere längst hingenommen haben.Mit dem Staunen verbunden ist das FRA-GEN, das Hinterfragen von alltäglichenund außeralltäglichen Phänomenen. Andieser Stelle beginnt der philosophischeDialog zwischen den Generationen, der dieProbleme der Kinder ernst nimmt und ih-nen hilft, sich in einer immer unübersicht-licheren Umwelt zurechtzufinden.

    "Jeder beurteilt nur das richtig, was er ver-steht" (Aristoteles). Im DENKEN setztsich das Kind mit seiner eigenen Lebens-welt auseinander. Es sucht Antworten aufseine Fragen, versucht sie zu ordnen, lerntden Umgang mit Be-griffen und Katego-rien und schult dadurch die Fähigkeit zuSPRECHEN, zu analysieren und logischzu argumentieren. In der Begegnung mitanderen entsteht nach und nach ein Gefühlfür die eigene Persönlichkeit.

    Im Verstehen seiner sozialen Umwelt ent-wickelt das Kind schließlich Maßstäbe fürsein WERTEN. In einer durch die philoso-phische Praxis inspirierten Wertebildungbleiben Ideale wie Freundschaft, Respekt,Toleranz und Solidarität keine abstraktenGrößen, sondern werden verinnerlicht undgelebt.

    Wahre Selbstwerdung bildet sich auch inder produktiven Verarbeitung von Enttäu-schungen, Versagungen und im Aushaltenvon Durststrecken. Die einseitige Privile-

    gierung von Selbstentfaltungsprozessen inunserer Gesellschaft führt immer wieder zuenttäuschten Erwartungshaltungen. Es istein Phänomen unserer Zeit, dass trotz realgewachsener Freiheitsräume vermehrt"Fremdbestimmung" empfunden wird.Philosophische Werteerziehung muss da-her zu einer Wertesynthese finden. Kinderlernen dies, indem sie nach einer Werte-balance suchen – Selbstbewusstsein z.B.bedingt Selbstbeherrschung, Durchset-zungsvermögen braucht Verzichtfähigkeitund Ich-Stärke erfordert Rollendistanz.

    Die moralische Urteilskraft selbstbe-stimmter junger Menschen ist nicht zuletztdie Basis für verantwortliches HANDELNin einer demokratischen Gesellschaft undformt ihre Demokratiefähigkeit.

    Das Projekt Kinder philosophieren will dasStaunen, Denken und Werten von Kindernfördern und damit über kulturelle Grenzenhinaus zum Dialog, zur Begegnung undzum gemeinsamen Handeln anregen. DasPhilosophieverständnis, das diesemBestreben zu Grunde liegt, begreift dieLiebe (philia) zur Weisheit (sophia) alseine Lebenshaltung, die weder vermitteltnoch von heute auf morgen verinnerlichtwerden kann. Es handelt sich vielmehr umeinen längeren Prozess, der bereits im Vor-schulalter beginnen und sich über dieGrundschule bis in die Sekundarstufe hin-ein fortsetzen muss. Insofern geht es derProjektinitiative in erster Linie darum, dasPhilosophieren von Kindern fächerverbin-dend und einrichtungsübergreifend in Bay-ern und Deutschland zu verbreiten. DasStaunen, Denken und Werten darf sichnicht nur auf einige Oasen beschränken,sondern verlangt großes gesellschaftspoli-tisches Engagement. Dass ein solchesProjekt nur langsam von unten nach obenwachsen kann, versteht sich wie von selbst.Doch es entfaltet dabei eine neue erzieheri-sche und persönlichkeitsbildende Kraft, diedie pluralistische Gesellschaft im Span-nungsfeld einer wertbewussten Kinderer-ziehung nachhaltig und lebensfördernd

  • Kinder philosophieren – und kommen dem Leben auf die Spur! 13

    beeinflusst. Kinder sind Chancen- undnicht Mängelwesen: Deshalb muss sichunsere nach Sinn suchende Gesellschaft

    wieder von den Kindern in Anspruch neh-men lassen und von diesen lernen, damitZukunft auch Zukunft hat.

  • Zur Einführung

    Siegfried Höfling

    Wir haben uns daran gewöhnt, von "Wer-ten" stets im Plural zu sprechen. Das istweder ein Zufall noch eine jener vorüber-gehenden Modeerscheinungen, die man fürgewöhnlich vor allem der jungen Generati-on zuschreibt. Der Plural, in dem wir von"Werten" sprechen, hängt systematisch mitdem Pluralismus moderner Massendemo-kratien zusammen.

    Dieser Pluralismus ist dabei Ausdruck desgemeinhin geschätzten Umstands, dassjeder nach seiner Façon glücklich werdensoll. So lieb und teuer uns dieser Pluralis-mus geworden ist, es liegt eine große Ge-fahr darin: der Relativismus. Das Beklagendieses Relativismus, gerade was unserVerständnis von Werten anbelangt, gehörtmittlerweile zum guten Ton einer jedenKulturkritik. Nun bedarf es keiner großenphilosophischen Überlegungen, um einzu-sehen, dass mit dem Relativismus nieman-dem so recht geholfen ist. Wer den Plura-lismus will, muss ihn begründen könnenund gegen den Relativismus abzugrenzenwissen; wer den Pluralismus gestalten und

    weiter entwickeln will, muss die ihn tra-genden Werte ausfindig machen und ver-mitteln können.

    Wertebildung jenseits von Relativismusund Indoktrination ist von daher das zent-rale Anliegen des Projektes "Kinder philo-sophieren", das von der Hanns-Seidel-Stiftung und der Universität Regensburgmit Unterstützung des Verbands der Baye-rischen Wirtschaft ins Leben gerufen wur-de. Den Schlüssel dazu sucht dieser Sam-melband dort, wo Werte ihren systemati-schen Ursprung haben: in der Philosophie.Die Vorstellung des angesprochenen Pro-jekts, der Zusammenhang von Philosophieund Entwicklung, die Eruierung der Chan-cen und Möglichkeiten des Projekts selbst,die Kinderphilosophie in der Praxis und inder öffentlichen Diskussion stellen dabeidie zentralen Wegmarken dieser Suche dar.

    Dass Werte die entscheidenden Essentialenunserer Kultur sind, daran besteht wenigZweifel; wie sie zu vermitteln sind, soll imFolgenden weiter entfaltet werden.

  • Kinderphilosophie –Vorstellung des Projekts

  • Sapere aude – das Projekt "Kinder philosophieren" in Bayern

    Roswitha Wiesheu

    1. Überblick

    Seit mehreren Jahren beschäftigt sich diedeutsche Bildungspolitik mit demschlechten Abschneiden deutscher Schülerim internationalen Vergleich. Das gesamtedeutsche Bildungssystem steht auf demPrüfstand, die unterschiedlichsten Reform-ansätze, auch im Hinblick auf eine früh-kindliche Förderung werden diskutiert. Dabloße Veränderungen der Rahmenbedin-gungen noch keinen zwingenden Einflussauf die Unterrichts- und Erziehungsqualitäthaben, müssen andere Wege beschrittenwerden. Unter dem Aspekt, dass BildungTeilhabe an Kultur bedeutet, wird sich diebildungspolitische Diskussion der Fragestellen müssen, wie Kindern und Jugendli-chen neben der Vermittlung von "Schlüs-selqualifikationen" auch persönlichkeits-bildende Orientierungshilfen angebotenwerden. Die jungen Erwachsenen vonmorgen haben ein Recht darauf, dass sichdie Gesellschaft um ihre Bedürfnissekümmert und nicht nur darauf bedacht ist,das Fortbestehen des status quo zu sichern.Deutschland braucht mündige Bürger, dieVerantwortung für sich und das Gemein-wohl übernehmen. "Wo Staatsgewalt vomVolk ausgeht", so der BundespräsidentHorst Köhler, "kann es nicht gleichgültigsein, in welcher geistigen Verfassung sichdas Volk befindet (...)." Dies setzt Maßstä-be an eine ganzheitliche Bildung, die nichtnur reflexives Wissen, sondern auch Befä-higung zur Urteilskraft und Charakterbil-dung im Visier hat. Wenn es der Bildungs-politik tatsächlich um das "Wohl ihrerKinder und Jugendlichen" geht, dann istdie kritische und kindgerechte Auseinan-dersetzung mit ursprünglichen Erziehungs-und Bildungszielen unabdingbar. Begriffewie Wertebildung, Sinnorientierung und

    Demokratieerziehung erhalten dabei eineneigenen Stellenwert.

    Seit über 35 Jahren wird weltweit in sehrunterschiedlicher Weise die Philosophieund ihr reichhaltiger Schatz an Gedankenund Grundfragen des Menschen, sowieunterschiedlichste Weisen zu denken, fürdie Arbeit mit Kindern erschlossen. Ergän-zend zu den grundlegenden Kulturtechni-ken Lesen, Schreiben und Rechnen eröff-net das Philosophieren die Möglichkeit,viele kindliche Basiskompetenzen ab ei-nem Alter von vier Jahren systematischund ganzheitlich zu fördern. Soziale, kog-nitive und emotionale Fähigkeiten werdenin philosophischen Gesprächen gleicher-maßen angesprochen und beansprucht.

    Ausgehend von der konkreten Lebenssitu-ation der Kinder in Kindertagesstätte undSchule soll das gemeinsame Philosophie-ren Orientierungshilfe gewähren und Sinn-ausrichtung ermöglichen. Wertebildungwird dabei im philosophischen Dialog er-lebt und im kindlichen Alltag gelebt. DasPhilosophieren soll daher in allen Typenvon Bildungseinrichtungen in Bayern undDeutschland als Erziehungs- und Unter-richtsprinzip etabliert werden. Damit wirdeine Entwicklung angestoßen, die von derreinen Wissensvermittlung zu einem Klimagelangt, in dem Integration gelebt werdenkann und das die Entwicklung wichtigerLebenskompetenzen fördert. Kinder sindkeine Mängel- sondern "Chancenwesen".Im Vertrauen auf die Fähigkeit, selbst zudenken (sapere aude), sollen die Kinderdem Leben auf die Spur kommen, indemsie das Wesentliche hinter den Erschei-nungsformen entdecken und dadurch eineselbst bestimmte philosophische Haltungentwickeln.

  • 2 Roswitha Wiesheu

    1.1 Vorhaben

    Die Initiative "Kinder philosophieren"steht im Dienste einer frühen Förderungdemokratischer Fertigkeiten wie morali-scher Urteilskraft, Dialogfähigkeit undHandlungskompetenz. Das Philosophierenals natürliche Tätigkeit des Kindes sollentdeckt und bewahrt werden. Gleichzeitigwird es methodisch und didaktisch alsKulturtechnik erschlossen und die Ausei-nandersetzung mit philosophischen Inhal-ten gefördert. Im Zentrum steht der philo-sophische Prozess selbst: Kinder, Lehr-kräfte, pädagogische Fachkräfte, Elternund Wissenschaftler bemühen sich ge-meinsam, diejenigen Bedingungen freizu-legen, unter denen Kinder philosophierenkönnen. Den Erwachsenen von morgenwird so ein selbstbewusster und kritischerBlick auf die Welt eröffnet. Die Auseinan-dersetzung mit existenziellen und morali-schen Fragen ermöglicht und erfordert in-dividuelle Sinn-orientierung sowie einHerausbilden und die Verinnerlichung vonWerten.

    Philosophieren als integratives Prinzip fürUnterricht und Erziehung zielt in Kinder-tageseinrichtungen auf die Schulung vonBasiskompetenzen jeglicher Art und in derSchule unter anderem auf Fächer verbin-dendes Lernen und Projektarbeit ab. DasKinderphilosophieren soll ausgehend vonder kindlichen Frühförderung über dieGrundschule bis in die Sekundarstufe hin-ein auch als ein Einrichtungen übergrei-fendes Modell entwickelt werden. Die ent-sprechenden Konzeptionen und Vorschlägesind dabei auf die bestehenden Lehrpläneund den neuen Bayerischen Bildungs- undErziehungsplan abgestimmt. Es ist nichtbeabsichtigt, ein Unterrichtsfach ‚Philoso-phie' in Bayern einzuführen.

    1.2 Ziele

    Die Initiative "Kinder philosophieren" willdie Lebenskompetenz von Kindern stärken,

    indem es das aktive Philosophieren in Kin-dergärten, Schulen und Horten etabliert.Die Erwachsenen von morgen erhalten Hil-festellung zur

    − Bewältigung der Herausforderung ineiner modernen globalisierten Gesell-schaft,

    − Urteils- und Entscheidungsfindung imRahmen ihrer gesellschaftlichen Ver-antwortung,

    − Vermittlung einer lebensbegleitendenLernkultur und zur

    − Erlangung von Demokratiefähigkeit.

    Es soll deshalb erreicht werden, dass dasPhilosophieren als Prinzip für Unterrichtund Erziehung fester und verbindlicher Be-standteil der flächendeckenden Fortbildungder Frühpädagogen und Lehrkräfte fürKindergärten, Horte und Schulen wird. DesWeiteren werden neben den derzeitigenModellstandorten in den nächsten Jahrenweitere Modelleinrichtungen mit der Ziel-setzung der Einrichtung und Pflege einesNetzwerks philosophierender Einrichtun-gen in Bayern entstehen. Als ein Einrich-tungen übergreifendes Element auf demErziehungs- und Bildungsweg soll dasPhilosophieren den Schuleintritt und denWechsel auf weiterführende Schulen er-leichtern und eine Abstimmung zwischenKindertagesstätten und Schulen bewirken.

    1.3 Erfolgsfaktoren

    Die Operationalisierung der Initiative"Kinder philosophieren" hat 2005 mit einer2-jährigen Pilotphase begonnen. Es zeigtsich bereits jetzt, dass der gewählte Ansatzrichtig ist und positive Ergebnisse erwartenlässt. Wesentliche Erfolgsfaktoren der Ini-tiative sind:

    − Zweijährige Pilotphase mit eingespiel-tem Projektteam: Ein interdisziplinäresProjektteam ist seit mehr als 2 Jahrenin Theorie und Praxis gemeinsam mitder Realisierung des Vorhabens be-

  • Sapere aude – das Projekt "Kinder philosophieren" in Bayern 3

    fasst.− Enge Verzahnung von Theorie und

    Praxis: Auf Basis praktischer Erfah-rungswerte erfolgt die wissenschaftli-che Begleitung und Grundlegung desProjekts durch die Universität Regens-burg und die Hochschule für Philoso-phie in München.

    − Enges und aktives Netzwerk zu Politik,Wissenschaft und Wirtschaft: Für diePilotphase erhält das Projekt finanziel-le, organisatorische und strukturelleUnterstützung von den BayerischenStaatsministerien für Soziales und Bil-dung, der Hanns-Seidel-Stiftung, derVereinigung der Bayerischen Wirt-schaft (vbw) und dem Institut für Filmund Bild in Wissenschaft und Unter-richt (FWU).

    2. Aktuelle Situation und Sachstand

    2.1 Historische Betrachtung

    Die Initiative "Kinder philosophieren"wurde im Jahr 2003 von Frau RoswithaWiesheu und Prof. Dr. Karlfriedrich Herbgegründet. Nach der Konzeptionsphasewurde im Januar 2005 ein Pilotprojekt an12 Modellstandorten in Bayern gestartet,das Ende 2006 beendet sein wird. Das Pi-lotprojekt wird wissenschaftlich und aus-bildungsseitig durch die Universität Re-gensburg und die Hochschule für Philoso-phie in München unterstützt. Begleitendzur Fortbildung der Modellstandorte wur-den Einzelprojekte wie z.B. philosophischeKinder- und Familientage (Philo & Sophiein der Glyptothek München) durchgeführt,um die Öffentlichkeit für das Anliegen derInitiative zu gewinnen.

    Die Initiative "Kinder philosophieren"wird derzeit in Projektform durchgeführt.Das Projekt besteht aus einem Netzwerkmit ca. 145 Mitgliedern, die wiederum inverschiedensten Organisationen tätig sind.Das Netzwerk agiert im Wesentlichen aufideeller Basis. Diese virtuelle Organisation

    ist an die Grenzen der Leistungsfähigkeitgestoßen. Die mit Abschluss der Pilotphaseanstehende Evaluierung der Ergebnisse,Weiterentwicklung des konzeptionellenAnsatzes, Ausbildung zusätzlicher Multi-plikatoren und Implementierung der Initia-tive in weiteren Kindergärten, Horten undSchulen erfordert neue Strukturen mit ei-gener Rechtsform. Dies ist bereits in Pla-nung.

    2.2 Partner

    Die Initiative "Kinder philosophieren" ver-fügt über ein enges und aktives Netzwerkzu Politik, Wissenschaft und Wirtschaft.Ihre Partner sind

    − die Vereinigung der Bayerischen Wirt-schaft (vbw),

    − der Verband der Bayerischen Metall-und Elektroindustrie (VBM),

    − die Hanns-Seidel-Stiftung e.V.,− das Institut für Film und Bild in Wis-

    senschaft und Unterricht (FWU),− das Bayerische Staatsministerium für

    Arbeit und Sozialordnung, Familie undFrauen,

    − das Bayerische Staatsministerium fürUnterricht und Kultus,

    − die Universität Regensburg,− die Hochschule für Philosophie in

    München,− die Service und Beratung für den Mit-

    telstand GmbH (SBM),− Diverse Stiftungen: Allianz Kulturstif-

    tung (München), Stiftung Propter Ho-mines (Liechtenstein) und

    − Private Sponsoren.

    2.3 Auftrag und Arbeitsfelder

    Die Initiative "Kinder philosophieren" hatsich drei Schwerpunkte gesetzt:

    − In der zweijährigen Pilotphase, die imJanuar 2005 begonnen hat, liegt dasAugenmerk auf der Fortbildung von

  • 4 Roswitha Wiesheu

    Lehrkräften und pädagogischen Fach-kräften an 12 ausgewählten Mo-dellstandorten sowie einer begleitendenEvaluation. Ein wissenschaftlichesTeam, angesiedelt an der UniversitätRegensburg und der Hochschule fürPhilosophie in München, ist mit derwissenschaftlichen Grundlegung desProjekts befasst, die in Hochschulse-minaren reflektiert und weiterentwi-ckelt wird. Weiterhin stellt das TeamQuellen und Anregungen für das Philo-sophieren an Kindertageseinrichtungenund Schulen zusammen, die auf Fort-bildungen umgesetzt und erprobt wer-den.

    − Eine langfristig angelegte Kooperationzwischen Philosophen und Pädagogenermöglicht eine optimale Erschließung,Erprobung und didaktische Aufberei-tung der verschiedenen Quellen undImpulse für das Philosophieren. Nichtder Philosoph lehrt in Kindergärten undSchulen, sondern die professionellenExperten vor Ort unterstützen den Pro-zess des kindlichen Philosophierens.

    − Auf Basis von Erfahrungswerten ausder Praxis erfolgt die wissenschaftlicheBegleitung und theoretische Grundle-gung des Projekts. Entwickelt wird einintegratives Modell, welches das Kindund seine ureigene Bedürfniswelt vordem Hintergrund eines christlich-humanistischen Menschenbildes er-fasst.

    2.4 Aus- und Fortbildung

    Dieser Projektabschnitt beinhaltet die Aus-und Fortbildung pädagogischer Fachkräfteaus Kindertageseinrichtungen und Schulen.An acht Wochenenden werden sie in philo-sophische Inhalte und Methoden des Philo-sophierens mit Kindern eingeführt.Schwerpunkte sind das gemeinsame Philo-sophieren in der Gruppe, Streifzüge durchdie Philosophiegeschichte sowie Vorträgezu relevanten Fragestellungen aus derPhilosophie und interdisziplinären For-

    schungsfeldern, die Arbeit an philosophi-schen Primärtexten, Didaktisierung vonphilosophischen Methoden, Gesprächsfüh-rung, Rollenspiele, die didaktische Aufbe-reitung philosophischer Impulse und einselbstständiges Erarbeiten von philosophi-schen Einheiten für Kinder sowie die Ges-taltung philosophischer Praxisprojekte.

    Die während der Fortbildung entstandenenKonzeptionen und Projekte werden in denjeweiligen Einrichtungen durchgeführt undper Supervision begleitet. Thematisch sinddie Fortbildungen an den drei Begriffspaa-ren Staunen und Fragen, Denken und Spre-chen sowie Werten und Handeln orientiertund beschäftigen sich mit philosophischenGrundfragen aus Metaphysik, Ontologie,Ethik, Anthropologie oder Sprachphiloso-phie.

    Im Jahr 2006 liegt der Schwerpunkt derFortbildungen auf der selbstständigen Er-arbeitung und Durchführung von philoso-phischen Einheiten. Diese sollen sowohlinnerhalb der Fortbildungen als auch späteran den Einrichtungen erprobt und hospi-tiert werden.

    Jeder Teilnehmer soll die Chance bekom-men, seine spezifischen Stärken und mög-lichen Schwächen während des philosophi-schen Prozesses kennenzulernen und anihnen zu arbeiten. Ziel ist der vertrauteUmgang mit philosophie-didaktischenMethoden, die Sensibilisierung für philo-sophische Fragen und Gedanken bei Kin-dern sowie die Herausbildung einer origi-nären philosophischen Haltung.

    Im Rahmen der Initiative "Kinder philoso-phieren" werden philosophische Inhalteund Methoden mit Kindern erprobt und anausgesuchten Modellstandorten wissen-schaftlich ausgewertet. Je nach Einrichtungnehmen ein bis drei Lehrkräfte bzw. Erzie-her/innen auch an den Veranstaltungen ander Hochschule für Philosophie teil.

  • Sapere aude – das Projekt "Kinder philosophieren" in Bayern 5

    2.5 Auswahl einzelner Projekte

    Die nachfolgend aufgeführten Projektesind teils parallel, teils ergänzend zum Pi-lotprojekt entstanden und sollen die wis-senschaftliche und öffentliche Akzeptanzder Initiative weiter fördern. Abgeschlos-sene und aktuelle Projekte sind:

    − die Internationale Fachtagung in Wild-bad Kreuth (06/2005),

    − die Philosophische Projektwoche ander Josef-Zerhoch-GS Peißenberg(07/2005),

    − "Kinder philosophieren" auf der Bun-desgartenschau (08/2005),

    − das Philosophische Jahresprojekt "Ge-rechtigkeit" an der W.-von-Siemens-GS Augsburg (06/2005),

    − das Filmprojekt/DVD/Filmpremiere"Zauberring" (Kooperation mit FWUund BR) (10/2005),

    − die Fotoausstellung "Kinder philoso-phieren (06/2006),

    − der Philosophische Kinder- und Fami-lientag in der Glyptothek München(06/2006),

    − die "Lange Nacht der Philosophie" imKiGa St. Achaz (07/2006),

    − ein Filmwettbewerb an der Hochschulefür Film und Fernsehen in München(ab 11/2006) und

    − das Praxishandbuch zur Projektimple-mentierung (bis 12/2006).

    2.6 Ergebnisse Pilotphase

    Mit Abschluss der Pilotphase der Initiative"Kinder philosophieren" werden Ende2006 im Wesentlichen folgende Ergebnissevorliegen:

    − ein Praxishandbuch mit den metho-disch-didaktischen Ergebnissen,

    − ein Lehrfilm für die Erzieher und Pä-dagogen,

    − Lehraufträge an der Hochschule fürPhilosophie in München

    − Fortbildungskooperationen mit Trägern

    wie der Akademie für Lehrerfortbil-dung in Dillingen und der Stadt Mün-chen, der Caritas etc. und

    − Zertifikate des bayerischen Kultusmi-nisteriums und des bayerischen Sozi-alministeriums für die Lehrkräfte undpädagogischen Fachkräfte, die erfolg-reich an der Pilotphase mitgewirkt ha-ben.

    2.7 Evaluierung Pilotphase

    Um die Initiative "Kinder philosophieren"über die zweijährige Pilotphase hinausfortsetzen zu können, muss das Projekt-team einzelne Arbeitsfelder regelmäßigevaluieren. Qualitative Analysen und sta-tistische Erhebungen fließen nicht nur ineine abschließende Gesamtevaluation desProjekts für Wissenschaft und Projektpart-ner ein, sondern sind auch die zwingendeVoraussetzung für die Erstellung einesPraxishandbuchs zur angestrebten bayern-weiten Implementierung des Vorhabens"Kinder philosophieren".

    Im Zentrum der Evaluierung steht die Do-kumentation und Hospitation der philoso-phischen Einheiten, die über zwei Jahre anden Modellstandorten des Projekts gehal-ten werden. Dazu wurde ein Dokumentati-onsbogen für die durchführenden Pädago-gen und ein ergänzender Beobachtungsbo-gen für Hospitationen konzipiert. So wirdversucht, den Ablauf, die Ziele und die di-daktische Umsetzung der philosophischenEinheit, sowie eventuell auftretendeSchwierigkeiten aus der Sicht des Beob-achters und aus der Sicht des involviertenPädagogen zu erfassen. Die Dokumentati-onsberichte und Hospitationsbesuche sinddie Grundlage für eine stetige Anpassungvon Fortbildungsinhalten und Lehrunterla-gen. Die Evaluierung fließt zudem in diewissenschaftliche Grundlegung des Pro-jekts sowie als Basisdaten für empirischeArbeiten in Promotionen mit ein.

    Das Betreuungskonzept umfasst, neben

  • 6 Roswitha Wiesheu

    den regelmäßigen Hospitationen der Ein-richtungen durch Mitarbeiter des Projekts,Befragungen von Pädagogen und Leiternder Modellstandorte. Diese persönlich ge-führten Interviews sollen eventuell auftre-tende Probleme und Schwierigkeiten er-kennbar machen und dabei helfen, dieBetreuungsarbeit zu optimieren.

    Im Rahmen der Evaluierung in der Pilot-phase wurden auch Promotionsthemenvergeben, die sich mit Fragen der Verände-rung des Kinderbildes und der Konsequen-zen für die Lehrer- und Erzieherpersön-lichkeit durch das Philosophieren mit Kin-dern ergeben.

    3. Ausblick

    3.1 Wissenschaftliche Weiterentwick-lung

    Mittels eines stetigen Austauschs zwischenTheorie und Praxis, zwischen Universitätund Modellstandorten, sollen die Leitlinienund Prinzipien für eine theoretischeGrundlegung und praxisnahe Umsetzungvon "Kinder philosophieren" weiter ent-wickelt werden. Einerseits werden geeig-nete philosophische Inhalte, Impulse undMethoden gesammelt, methodisch sowiedidaktisch aufbereitet und, wenn nötig,produziert. Auf der anderen Seite werdenvon der Pädagogik und der Philosophie herKategorien definiert und erforscht, nachwelchen sich das Philosophieren als kindli-che Tätigkeit wissenschaftlich bestimmenlässt. Die gewonnenen Erkenntnisse flie-ßen in Module für Schulungen von Lehr-kräften, pädagogischen Fachkräften, in dieAusbildung von Multiplikatoren und inLehrveranstaltungen an Universitäten inRegenburg und München ein.

    Zur wissenschaftlichen Begleitung gehörtes auch, an Hand einer kritischen Ausei-nandersetzung mit aktuellen Ansätzen ausPädagogik, Psychologie und philosophi-scher Anthropologie die Möglichkeit und

    Grenzen des "Kinderphilosophierens" zubestimmen und im Hinblick auf die ange-strebte Förderung von personalen, sozialenund ethischen Kompetenzen auszuwerten.

    3.2 Permanente Evaluierung

    Im Rahmen der ständigen Weiterentwick-lung des Erziehungsansatzes und der fort-laufenden Implementierung in Kindergär-ten, Horten und Schulen ist eine ständigeEvaluierung des Prozesses und der Errei-chung des Ziels erforderlich, dass die Kin-der lernen, Lebenssituationen selbstständigzu beurteilen und entsprechend zu handeln.Dazu sind u.a. folgende Fragestellungen zubearbeiten:

    − Wie ändern sich Kindertagesstättenund Schulen durch das Erziehungsprin-zip "Kinder philosophieren"?

    − Findet die gewünschte Wertebildungstatt?

    − Erfolgt die angestrebte Integration?− Werden wohnortspezifische Problem-

    lösungen möglich?− Wird die Urteilskraft und Urteilsfähig-

    keit der Kinder gestärkt?− Welche philosophischen Basiskompe-

    tenzen brauchen Pädagogen und Lehr-kräfte?

    Diesen und weiteren Fragestellungen mussim Rahmen der zukünftigen Tätigkeit derInitiative nachgegangen werden.

    3.3 Zukünftige Schulungsangebote

    Die Planung für den Zeitraum 2007 bis2009 sieht vor, mit den wichtigsten Fort-bildungsträgern für die Schulung von Er-zieher/innen in Bayern zusammenzuarbei-ten. Zunächst sollen Informationstage fürFachberatungen und Referent/innen fürErzieher-Fortbildungen durchgeführt wer-den. Anschließend beginnt die Schulungvon Multiplikatoren, die ab 2008 Erzie-her/innen in ganz Bayern fortbilden kön-

  • Sapere aude – das Projekt "Kinder philosophieren" in Bayern 7

    nen. Hierzu ist es erforderlich, Handrei-chungen, Stundenbilder, Verzeichnisse fürphilosophische Literatur, Verzeichnissevon Kinderbüchern und Unterrichtsmateri-alien für Erzieher und Lehrkräfte bereit zustellen. Geplant sind

    − ein Praxisleitfaden Philosophieren,− ein philosophischer Geschichtsband für

    Kinder,− ein Planspiel Philosophie für die Se-

    kundarstufe,− ein Dokumentationsfilm zur Projekt-

    vorstellung und− ein Sammelband mit wissenschaftli-

    chen Aufsätzen.

    Die Entwicklungsarbeiten erfolgen durchMitarbeiter der Initiative.

    3.4 Multiplikatorenausbildung undImplementierung

    Die Ausbildung von pädagogischen Fach-kräften und Absolventen des Philosophie-studiums zu "Multiplikatorentandems" er-folgt in Fortbildungen und Hochschulse-minaren. Die ausgebildeten und mit derKonzeption von "Kinder philosophieren"vertrauten Multiplikatoren bilden Lehr-kräfte und pädagogische Fachkräfte aufdezentralen Lehrgängen oder Veranstal-tungen von Fortbildungsträgern fort. DieKostenübernahme erfolgt hier durch denjeweiligen Träger. Frühestens für das Jahr2009 kann daher mit einer Refinanzierungder Ausbildung durch Einkünfte aus Fort-bildungen gerechnet werden.

    Im Rahmen der Implementierung sinddurch die Initiative Verhandlungen mitMinisterien, Universitäten, Fachakademienund gesellschaftlichen Interessensgruppenzu führen, damit die Konzepte und Inhaltevon "Kinder philosophieren" in die Lehr-und Bildungspläne von staatlichen undnicht-staatlichen Trägern integriert werden.Dazu müssen Ausbildungsmodule erarbei-tet und wissenschaftliche Unterstützung

    gewährt werden. Ziel der Initiative ist es,hier beratend tätig zu werden.

    3.5 Zielgruppen

    Die Leistungen des Projekts "Kinder philo-sophieren" richten sich an alle Kinder, El-tern und Großeltern, an Träger, Leitungund Personal von Schulen und Kinderta-geseinrichtungen, an ehrenamtlich undhauptberuflich Engagierte in der Jugendar-beit sowie jeden, der sich für das Philoso-phieren als Kulturtechnik interessiert undals Multiplikator geeignet ist. Vergleichba-re Projekte werden in Bayern derzeit nichtangeboten.

    4. Resümee

    Bildung als eines der wertvollsten Güterunserer Gesellschaft kostet entweder nichtsoder ungemein viel. Ein sich selbst regulie-render Markt existiert nicht oder nur inwenigen für die private Wirtschaft zu-gänglichen Bereichen. Eine weitere Kon-sequenz der staatlichen Dominanz im Bil-dungswesen sind die starken Abhängig-keiten von der Haushaltslage im Bund undin den Ländern, wodurch sich Budget-zwänge bei den Bildungsträgern nicht ver-hindern lassen. Dadurch können privateBildungsleistungen nur sehr eingeschränktzugekauft werden. Da philosophisch aus-gerichtete Projekte zudem derzeit nur alsErgänzung zum normalen Unterricht ver-standen werden und keinen eigenen Platzin den Lehrplänen haben, sind finanzielleZuwendungen von staatlichen Bildungsein-richtungen nur sehr eingeschränkt zu er-warten. Andererseits sind mit dem Vorha-ben vereinbare Zielsetzungen, Methodenund Inhalte in den Lehrplänen zu allenSchultypen aufgeführt – im neuen Bayeri-schen Bildungs- und Erziehungsplan istdas Philosophieren mit Kindern sogar aus-drücklich erwähnt.

    Aufgrund dieser Rahmenbedingungen

  • 8 Roswitha Wiesheu

    kann sich die Initiative "Kinder philoso-phieren" unter Marktbedingungen nichtselbst finanzieren und ist auf Unterstützungangewiesen. Tatsächlich aber nimmt sieden Auftrag wahr, das Kind und seine Be-dürfnisse wieder in den Mittelpunkt dergesellschaftspolitischen Auseinanderset-zung zu stellen. Die Initiative definiert sichals Teil einer gesamtgesellschaftlichenAufgabe und will neue Impulse im Rah-men der derzeitigen bildungspolitischenDiskussion setzen. Ein weiteres Zitat desBundespräsidenten Horst Köhler unter-

    stützt dieses Anliegen: "Deshalb müssenwir den Mut und die politische Kraft ha-ben, anderes zugunsten der Bildung zu-rückzustellen. Sie ist die wichtigste Inves-tition, die unsere Gesellschaft und jederEinzelne tätigen kann. Wer an der Bildungspart, spart an der falschen Stelle. 'Es gibtnur eine Sache auf der Welt, die teurer istals Bildung – keine Bildung' (John F. Ken-nedy). (...) Bildung für alle – das gelingtam besten, wenn sich alle dafür einsetzen,wenn wir uns alle bewegen. Was hindertuns? Auf geht's!"1

    Anmerkungen1 Die hier wiedergegebene Passage stammt aus der Rede des Bundespräsidenten Horst Köhler, gehalten in

    der Berliner Kepler-Oberschule am 21.9.2006.

  • Warum mit Kindern philosophieren?

    Gareth B. Matthews

    In dieser Arbeit werden die Antworten vonSchülerinnen und Schülern der "Fragege-meinschaft" einer fünften Klasse auf diefolgenden Fragen diskutiert: Erstens: Heißtvollständiges Glück, etwas so zu genießen,dass man in diesem Moment nichts anderesmöchte? Zweitens: Ist es eine gute Idee,sich selber als aus verschiedenen Teilengemacht zu verstehen, z.B. einem rationa-len und einem lustvollen Teil? Und drit-tens: Ist das Vergeben eines ersten Preisesfür ein Bild in einem Schulkunstwettbe-werb das Gleiche wie zu sagen "Ich magSchokoladeneis lieber als Vanilleeis"? Die-se Arbeit beinhaltet Gedanken darüber,weshalb es wichtig ist, dem Nachgehensolcher Fragen in der Schule Raum zu ge-ben.

    Im Rahmen dieses Kongresses möchte ichIhnen ein bestimmtes Modell für das Phi-losophieren mit Kindern vorstellen underläutern, demzufolge man die Fragestel-lung einer ausgewählten Geschichte einerGruppe von Schülern zeigt und dieseSchüler bittet, bei der Problemlösung zu-sammenzuarbeiten. Meine Herangehens-weise, die ich Ihnen im Folgenden nochnäher zu bringen versuche, rekurriert aufdie Lektüre einiger ausgewählter Passagenklassischer philosophischer Texte. Diezwei Geschichten, die ich heute beispiel-haft vorstellen möchte, sind von Platoninspiriert. Die erste handelt vom vollkom-menen Glück; die zweite versucht der Fra-ge nachzugehen, ob wir, d.h. das, was mandas Selbst nennen könnte, aus Teilen be-stehen.

    Ein zweites Modell, mit dem ich auch sehrgute Erfahrungen gemacht habe, arbeitetmit existierenden Kindergeschichten, dienicht spezifisch für philosophische Diskus-sionen mit Kindern geschrieben wordensind, die aber trotzdem etwas zum Aus-

    druck bringen, das in Hinsicht auf einwichtiges Konzept philosophisch proble-matisch ist. Ein interessantes Beispiel wäredie Kindergeschichte "Emily's Art" (also"Emilys Kunst"), die sich mit dem Konzeptvon Kunstwerken befasst, und im Zusam-menhang damit, mit der Beurteilung vonKunstwerken als gut, oder nicht so gut.

    Wenden wir aber jetzt der Methode zu,ausgedachte Geschichten zu verwenden,die auf klassischen philosophischen Textenbasieren, um mit Kindern zu philosophie-ren.

    Worin besteht vollkommenes Glück? Indem platonischen Dialog Gorgias willSokrates herausfinden, was Glückseligkeit(vgl. Gorgias 494b-95b) ist. Sein Ge-sprächspartner Kallikles meint, dass derMensch, der alle Begierden habe und sieauch befriedigen könne, glückselig sei.

    SOKRATES: "Nun sage mir zunächst,wenn jemand sich ständig kratzt, weil esihn juckt, und er kann sich in Fülle juckenund sein ganzes Leben mit Jucken zubrin-gen, -- heißt das auch glücklich leben?"KALLIKLES: "Unverschämt, Sokrates!"SOKRATES: "Nicht schimpfen, Kallikles,antworte nur!"KALLIKLES: "So sage ich denn, auch wersich kratzt, wird sich angenehm fühlen."SOKRATES: "Also, wenn angenehm, auchglückselig?"KALLIKLES: "Freilich."

    Hier folgt eine Erzählung, die ich ge-schrieben habe, um die Aporie in der Gor-gias-Passage zu aktualisieren:

    "Wie war's heute in der Schule?" fragteTonys Mutter, als sie ihrem Sohn einePortion Spagetti hinstellte. Die Mitglieder

  • 28 Gareth B. Matthews

    der Familie Allen saßen am Tisch und aßenihr Mittagessen.

    "Heute ist etwas echt Cooles passiert",antwortete Tony. "Wir haben einen Neuenin unserer Klasse; ich glaube, er heißt Royoder so ähnlich. Jedenfalls machte er unsmit dem, was er sagte, total stutzig." "Washat er denn gesagt?" fragte TonysSchwester Heather. "Na ja, weißt du", er-klärte Tony, "unsere Lehrerin, Frau Her-nandez, erzählte uns diese Geschichte, inder ein Kind sagt, es will ‚vollkommenglücklich' sein. Als Frau Hernandez mitder Geschichte fertig war, fragte sie, ob wiruns an eine Situation erinnern könnten, inder wir uns mal so richtig glücklich gefühlthätten." "Das ist wirklich eine spannendeFrage", warf Tonys Vater ein. "Ja, da hastdu wohl Recht. Aber weißt du, was derNeue gesagt hat? Er hat gesagt, wenn ereinen Wanzenbiss an seinem Arsch hätteund es würde wie verrückt jucken und erkönnte sich so lange und so kräftig kratzenwie er wollte, dann, ja dann würde er sich'vollkommen glücklich' fühlen".

    "Das ist aber ziemlich krass", sagte Hea-ther und verzog ihr Gesicht vor Ekel."Klar, das war wirklich voll krass",pflichtete Tony seiner Schwester bei, "aberes hatte den Effekt, dass jeder wachgerüt-telt wurde. Die ganze Klasse lachte so laut,dass keiner mehr Frau Hernandez angese-hen hat und ruhig war."

    "Das war wirklich eine sehr unanständigeBemerkung von ihm", schaltete sich TonysMutter missbilligend ein. "Ja", stimmteHeather zu, "so wie er es ausgedrückt hat,ist es wirklich widerlich. Auf der anderenSeite hat er aber inhaltlich Recht. WennDich ein Insektenstich so richtig plagt undDir das Kratzen so viel Freude bereitet,dass Du in dem Moment gar nichts andereswillst, als Dich zu kratzen, dann bist Du indem Moment 'vollkommen glücklich'"."Ich würde nicht von 'vollkommenemGlück' sprechen", protestierte Tony. "Wa-rum nicht?", wandte Heather ein. "Voll-

    kommen glücklich bedeutet doch, dassman etwas vollkommen genießt. Dabei istes doch völlig egal, worin das Genießenbesteht, ob man nun gerade seinen Insek-tenstich kratzt oder sich beispielsweise mitSchokoladenkuchen voll stopft. 'Vollkom-men glücklich' bedeutet doch, etwas so zugenießen, dass man zu diesem Zeitpunktgar nichts anderes will. Oder hast du einebessere Erklärung, was 'vollkommenglücklich' ist?"

    Tony entschied sich, das Thema zu wech-seln. Er wünschte, er hätte seiner Familienicht erzählt, was Roy in der Schule gesagthatte. Er glaubte nicht, dass Heathers Auf-fassung über 'vollkommenes Glück' richtigsei; aber er wusste auch nicht, wie er zei-gen sollte, dass sie Unrecht hatte. Vor allenDingen hasste er es, dass sie dauernd alsSiegerin aus Diskussionen hervorging.

    Immer noch verdutzte ihn die Frage, wasGlück denn nun eigentlich sei und vor al-len Dingen, was man unter 'vollkommenglücklich' zu verstehen habe. Besteht 'voll-kommen glücklich' wirklich darin, etwasso zu genießen, dass man an nichts anderesmehr denken kann? Irgendwie schien ihmdieser Gedanke nicht ganz richtig zu sein.Was aber könnte er Heather als Argumentgegen ihre Auffassung von 'vollkommenerGlückseligkeit' entgegnen?

    Im letzten Juni habe ich diese Geschichteeiner fünften Klasse in Osaka, Japan gege-ben. Die Lehrerin hat die Kinder zuerstgebeten, die japanische Übersetzung zulesen. Nachdem sie das getan hatten, batsie jeden Schüler einen kurzen Absatz lautzu lesen und dabei in der Klasse herumzu-gehen. Danach fragte sie, welche Kom-mentare und Fragen sie haben, um diese andie Tafel zu schreiben. Nachdem die Tafelmit Fragen und Kommentaren gefüllt war,begannen wir mit der Diskussion, die zumZiel hatte, die Kommentare und Fragen zubeantworten. Diese japanischen Schülerinteressierten sich sofort für die Problema-tik des vollkommenen Glücks. Nachdem

  • Warum mit Kindern philosophieren? 29

    einige von ihnen einführende Kommentaremachten, kam Yoshimoto direkt zum Kernder Sache. "Wie sehr eine Person auchglücklich ist," sagte Yoshimoto aufgeregt,"sie sollte mehr Wünsche haben als die-sen", das heißt mehr Wünsche als das Be-gehren, das Kratzen eines Insektensticheszu genießen.

    Nach ein paar anderen Kommentarenführte Tomoharu Yoshimotos Punkt wei-ter, indem er sagte "Für jede Person mussvollkommenes Glück viele [verschiedene]Dinge beinhalten, die diese Person glück-lich machen."

    Karini machte einen wichtigen Schrittweiter in der Diskussion als sie sagte,"Vollkommenes Glück muss lange andau-ern." Das war ein nahezu aristotelischerKommentar. Wenn Aristoteles im erstenBuch der "Nikomachischen Ethik" dieNatur des Glücks, der eudaimonia behan-delt, streitet er ab, dass Glück ein momen-taner Zustand sein könnte. Wenn manglücklich ist, sagt er, kann das nur das gan-ze Leben bedeuten, von dem man sagenkann, dass es glücklich ist.

    Yuuho nahm Karinis Punkt auf und ver-deutlichte ihn: "Ein glücklicher Moment istnicht genug für vollkommenes Glück."

    Ein Kind, dessen Namen ich nichtverstand, fügte eine humorvolle Bemer-kung hinzu. Sie sagte, "Wenn das Kratzeneines Insektenstiches vollkommenes Glückist, was passiert dann, wenn man viele In-sektenstiche hat? Wie soll man dann wis-sen, welchen Stich man kratzen soll?" Allelachten. Aber ihre Frage deutete auf einenwichtigen Punkt hin.

    Eine prägnante Zusammenfassung derDiskussion kam von einem Kind, dessenNamen ich nicht weiß. Das Kind sagte,"Das Kratzen eines Insektenstiches so zugenießen, dass man im Moment nichts an-deres möchte, ist nur ein Blütenblatt derBlume des Glücks."

    Ich wende mich jetzt der zweiten Ge-schichte zu, die ebenfalls ihren Anfang inPlaton hat. Besteht unser Selbst aus Tei-len? Im Buch IV von Platons "Der Staat"findet sich eine berühmte Diskussion überdie Teile der menschlichen Seele, wennman so will über die Teile des menschli-chen Selbst. Platon behauptet, dass er da-von ausgehen muss, dass das Selbst ausverschiedenen Teilen besteht, um deutlichmachen zu können, was die menschlichenTugenden sind. Da er vermutet, dass diePolis (der Stadtstaat) wie ein Individuumim Großen ist, kann er davon ausgehen,dass alles, was er über Individuen sagt,auch eine Parallele in Bezug auf das hat,was er über die Stadt oder den Staat sagt.Und genau wie er vermutet, dass es dreiTeile der Polis gibt – eine herrschendeKlasse, die Armee und die Arbeiterklasse –denkt Platon auch, dass es drei Teile in derindividuellen Seele oder in dem Selbst gibt– Vernunft, Geist und Lust.

    Obwohl spätere Philosophen und Psycho-logen Platon in seiner Analyse des Selbstnicht genau gefolgt sind, haben viele, ins-besondere Freud, einige Unterscheidungenvorgenommen. In der Tat folgte FreudPlaton darin, dass die Seele drei Teile hat,obgleich er diese anders benennt. AndereDenker haben angenommen, dass die Seelezwei Teile hat, womöglich das bewussteund unbewusste Selbst, oder das rationaleund irrationale Selbst. Und sogar Leute,die nicht viel darüber nachgedacht haben,könnten geneigt sein zu sagen ‚Ein Teilvon mir möchte das tun, ein anderer Teilmöchte es nicht.' Solche allgemeine Aus-sagen laden uns auch dazu ein, uns so zuverstehen, dass wir aus Teilen bestehen.

    Ich habe die Idee von Platon als Inspirationfür eine Geschichte benutzt, die zum Zielhat, eine philosophische Diskussion mitKindern zu beginnen. Sehen wir sie unsnäher an.

    Anna: "Vati, glaubst du, dass du Teilehast?"

  • 30 Gareth B. Matthews

    Vater: "Natürlich, Anna. Ich habe zweiBeine, zwei Arme, einen Körper und einenKopf. Das sind alles Teile von mir." AnnasVater war gerade dabei, sich in seinen Ses-sel vor dem Fernseher zu setzen, um sichein Fußballspiel anzusehen.

    Anna: "Nein, das ist nicht, was ich meine.Zum Beispiel als wir heute das Thanksgi-ving-Essen hatten, hatte ich schon so vielgegessen, dass ich kurz davor war, zu plat-zen. Aber Mutti hatte Kekse gemacht, diewir mit Eiskrem als Nachtisch gegessenhaben. Sie sagte, da heute Thanksgivingist, kann ich so viele Kekse essen, wie ichwill. Deshalb habe ich zwei gegessen undman könnte sagen, dass ein Teil von mirnoch einen Keks wollte, während ein ande-rer Teil von mir sagte, dass ich lieber auf-hören sollte, damit mir nicht schlecht wird.Glaubst du, dass ich wirklich verschiedeneTeile habe, einer der will, dass ich nochmehr Kekse esse und einer, der vernünfti-ger ist und sagt, dass ich lieber aufhörensoll?"

    Vater: "Ja, warum sollte man das nichtsagen?"

    Anna: "Das sagt mein Freund Tony auch.Er sagt, dass man aus verschiedenen Teilenbesteht, ein Teil will eine Sache machenund der andere Teil will etwas anderes tun.Wir hatten gestern während des Mittages-sens in der Schulcafeteria einen Streit dar-über. Ich sagte, dass solche Sachen zu sa-gen, na ja, du weißt schon, so eine Redens-art ist. Ich sagte zu ihm, dass wir ja nichtwirklich verschiedene Teile haben. Es istnur so, dass wir verschiedene Sachen wol-len, weißt du, unterschiedliche Wünschehaben. Und manchmal merken wir, dasswir nicht alle unsere Wünsche erfüllenkönnen. Zum Beispiel können wir nichtden Wunsch befriedigen, immer mehrKekse zu essen, und gleichzeitig auch denWunsch, dass uns nicht schlecht wird.Deshalb kämpft der Wunsch, noch einenKeks zu essen, mit dem Wunsch, dass ei-nem nicht schlecht wird."

    Vater: "Ich finde, das klingt ziemlich ver-nünftig."

    Anna: "Ja, aber warte ab! Was Tony sagenwollte, war, dass Wünsche im Kopf nichteinfach so herumtreiben wie Blätter aufeinem Teich. Du hast ja keinen Wunsch,außer du bist es, der etwas möchte. Aber eskann nicht beides du sein, du der noch ei-nen Keks will und auch du, der aufhörenwill zu essen, damit dir nicht schlechtwird."

    Vater: "Warum nicht?"

    Anna: "Na ja, Tony sagt, das wäre wie zusagen, dass man stillsitzt und sich auchbewegt. Ein Teil von dir könnte sich bewe-gen, sagen wir mal, deine Hand und einanderer Teil bewegt sich nicht. Aber du,als Ganzes, kannst nicht beides machen.Aber hör mal, willst du wissen, was ichdazu gesagt habe?"

    Vater: "Klar, erzähl es mir, Anna."

    Anna: "Ich sagte, und ich bin ja ziemlichstolz darauf, dass mir das eingefallen ist,dass du im Schulbus sitzen kannst, also duals Ganzes still auf deinem Platz sitzen,aber du als Ganzes könntest dich auch be-wegen, da der Schulbus fährt."

    Vater: "Das ist ziemlich clever, muss ichzugeben."

    Anna: "Ja, aber Tony hatte auch daraufeine Antwort. Er ist so klug. Er sagte, dukannst dich nicht gleichzeitig bewegen undstill sitzen in Bezug auf die gleiche Sache.Du als Ganzes kannst dich in Bezug aufmeinetwegen die Erde nicht gleichzeitigbewegen und stillsitzen. Mit dem letztenKeks vor dir auf dem Teller ist das so ähn-lich. Du als Ganzes kannst ihn nicht wollenund auch nicht wollen. Aber ein Teil vondir kann ihn wollen und ein anderer Teilkann ihn nicht wollen. Meinst du, dass erRecht hat?"

  • Warum mit Kindern philosophieren? 31

    Vater: "Weiß ich nicht, Anna. Aber ichmöchte jetzt das Fußballspiel sehen."

    Anna: "Och, Vati, kannst du mir nicht hel-fen…ich glaube, ich muss das allein he-rausfinden. Bestehe ich nun aus verschie-denen Teilen oder nicht? Das ist es, wasich wissen möchte."

    Ich diskutierte diese Geschichte mit Schü-lern der fünften Klasse in zwei verschiede-nen Klassen einer Grundschule inNorthampton, Massachusetts. Beide Klas-sen begannen ihre Diskussion mit demFokus auf der Analogie in der Geschichtezwischen körperlicher Bewegung undWünschen. Tony hatte in der Geschichtegesagt, dass man sich nicht gleichzeitigbewegen und stillsitzen kann. Aber er fügtehinzu, dass ein Teil einer Person, zum Bei-spiel eine Hand, sich bewegen könnte,während der Rest der Person stillsitzt.

    Anna hatte betont, dass man in einemSchulbus stillsitzen kann, während der Bussich bewegt. Die ganze Person kann dannstill auf einem Platz sitzen und gleichzeitigkann sich diese ganze Person auch bewe-gen. Aber das Stillsitzen und die Bewe-gung wären dann in Bezug auf verschiede-ne Dinge.

    Ein Kind wollte sofort wissen, was ‚in Be-zug auf' heißt. Ich versuchte, die Idee desStillsitzens in Bezug auf den Sitz und derBewegung in Bezug auf die Erde vorzu-spielen, indem ich so tat als ob ich in ei-nem Bus sitze. Ich sah wahrscheinlichziemlich albern aus. Die Kinder schienensich zu amüsieren. Aber ich glaube, siehaben es verstanden.

    Was die Kinder zuerst interessierte, wardie Vorstellung, dass sich ein Körpergleichzeitig bewegt und auch nicht bewegt.Sie begannen darüber nachzudenken, obder Körper jemals völlig ruhig ist. "Mankönnte stillsitzen, aber das Herz würdeimmer noch schlagen," sagte Jason. "Einmenschlicher Körper kann niemals nichts

    tun," bemerkte Esther. "Sogar wenn manatmet, tut man etwas," fügte Carl hinzu.

    Aber wie war es mit der Hauptidee derGeschichte – Platons Vorstellung, dassjedes Selbst aus mindestens zwei Teilenbesteht? Mehrere Kinder fanden diese Vor-stellung sofort plausibel, oder sogar natür-lich. Alex identifizierte die Teile des Selbstspontan in einer wahrlich platonischenWeise als Vernunft und Lust. Er schienjedoch nicht nur etwas zu wiederholen, dasihm schon mal erzählt worden ist, denn erentwickelte seine eigene Terminologie fürVernunft und Lust. "Es gibt einen Weise-ren," sagte er, sorgsam seine Worte wäh-lend, "und einen, der etwas möchte; derje-nige, der etwas möchte, will etwas habenund der Weisere sagt "Nein." Der Unter-schied zwischen Vernunft und Lust, aufden Alex verwies, geht durch die gesamteGeschichte der westlichen Philosophie.Trotzdem schien Alex ihn neu zu entwer-fen.

    Mehrere Kinder erwähnten die Vorstellungdes Gewissens. Aber sie waren nicht völligsicher, was sie über das Gewissen denkensollten. Ist es eine innere Kraft? Ist es eineArt Zensor, oder nur eine "innere Stim-me"? Sie schienen unsicher zu sein. (Undich bin es auch!)

    In der zweiten Klasse, in der ich diese Ge-schichte diskutiert habe, schlug Laura vor,dass jeder einen "Engel" hat, der in ein Ohrflüstert und einen "Teufel", der in das an-dere Ohr flüstert. Lilly und Eddy verban-den Ideen, die sie über Neurophysiologiehatten, um vorzuschlagen, dass wenn wirsich widersprechende Wünsche haben,verschiedene und sich widersprechendeBotschaften zum Gehirn kommen. Siedachten, dass eine Botschaft von der Zungekommen könnte, die das Süße des Keksesschmeckt, über die Anna in der Geschichtespricht und das Gehirn dazu einlädt, nocheinen Keks zu essen. Eine andere Botschaftkönnte vom Magen kommen, der, wie wirvermuten können, voll war und begann,

  • 32 Gareth B. Matthews

    vor der Möglichkeit des Erbrechens zuwarnen. Die Kinder schienen zu denken,dass die neurophysiologische Geschichtewissenschaftlicher war als die Geschichteüber den Engel und den Teufel.

    Alex blieb bei der Vorstellung, dass ver-schiedene Gedanken zum Gehirn kommenund nicht von verschiedenen Teilen desSelbst. "Es sind weniger verschiedeneTeile als vielmehr verschiedene Gedan-ken," sagte er, "und das Gehirn muss ent-scheiden, welchem Gedanken es folgt."

    An dieser Stelle der Diskussion schlugenverschiedene Kinder vor, dass es mehr alszwei sich widersprechende Wünsche gebenkönnte. Dieser Vorschlag, unspektakulärwie er erscheinen könnte, beinhaltet einegrundlegende Kritik der traditionellen Auf-fassung des Konflikts zwischen Wünschenals einen Kampf zwischen Vernunft undLust. Manchmal bemerken wir, dass eszwei oder mehr gute Sachen gibt, die wirtun möchten, obwohl wir nur eine tun kön-nen. Oder wir bemerken, dass es zwei odermehr schlechte Dinge gibt, die wir tunmöchten, obwohl wir höchstens eine davontun können. Wenn eine von diesen Sachenpassiert, können wir die Lage nicht verste-hen als ein Wettkampf zwischen Vernunftund Lust, oder zwischen Engel und Teufel.Es könnten zwei Engel miteinander strei-ten, oder zwei Teufel, - oder drei, oder sie-ben. Aus diesem Grund könnte ich hin undher gerissen sein, zur Weihnachtszeit mei-ne Ersparnisse entweder in die Sammeldo-se der Heilsarmee zu werfen oder stattdes-sen ein Spielzeug für meine kleineSchwester zu kaufen. Beide Sachen wärengut, aber ich kann nur eine tun. Oder ichkönnte unfähig sein, mich zu entscheiden,ob ich nicht zum Klavierkonzert meinesBruders gehe, da er nicht zum Konzertmeiner Gruppe gekommen ist, oder zumKonzert zu gehen und zu versuchen, ihn sonervös zu machen, dass er sich verspielt.Das wären beides schlechte Dinge und ichkönnte beide tun wollen, obwohl ich be-merke, dass ich nur eine davon tun kann.

    Die grundlegende Schlussfolgerung dessenist, dass ein Konflikt zwischen Wünschennicht unbedingt ein Konflikt zwischen ei-ner guten und einer schlechten Idee seinmuss.

    Das Modell der Konflikte zwischen Wün-schen, das diese Kinder am anziehendstenfanden, ist viel flexibler als die traditio-nelle platonische Geschichte. Wenn manden Verstand als Gehirn versteht, dannkönnen wir die Situation als eine verste-hen, in der verschiedene Botschaften dasGehirn erreichen und das Gehirn merkt,dass es den Körper nicht alle ausführenlassen kann. Dann können wir eine vielgrößere Vielfalt von Motivationskonfliktenberücksichtigen. Vielleicht kommen dieBotschaften oft als Paare: "Das ist süß, alsoiss es!" und "Davon wird dir schlecht, hörauf, es zu essen!" Aber im Prinzip kann esdrei oder vier Botschaften geben. Und so-gar wenn sie in Paaren kommen, muss esnicht sein, dass eine für das weisere Selbstund die andere für das gierige Selbstspricht.

    Ich verließ diese beiden Klassen mit demGedanken, dass die Diskussionen interes-sant und provokativ waren, aber dass siesich nicht unbedingt mit der Frage befassthaben, die ich in der Geschichte stellenwollte. Zu sagen, dass ein Teil von mirnoch einen Keks essen möchte, währendein anderer Teil aufhören möchte, Keksezu essen, bringt mich nicht ins Spiel. Pau-lus sagt in den Römerbriefen (7:17): "Nunaber vollbringe nicht mehr ich es, sonderndie Sünde, die in mir wohnt." Wenn ichmich jetzt überesse, oder mehr als meinenTeil der Kekse esse, könnte ich versuchtsein, möglicher Kritik eben in der Weiseabzutun, wie sie in dem Pauluszitat zumAusdruck kommt: "Das habe nicht ich ge-tan, sondern die gierige Lust, die in mirhandelt.”

    Als ich auf der Heimfahrt im Auto über dieDiskussion nachdachte, wurde mir klar,dass die Kinder in diesen beiden Klassen

  • Warum mit Kindern philosophieren? 33

    sich doch mit dem Problem der Verant-wortung befasst hatten. Sie hatten ent-schieden, dass es weniger so ist, dass wirwirklich aus Teilen bestehen, ein Teil, dereine Sache tun möchte und ein anderer, derstattdessen etwas anderes tun möchte.Vielmehr schlugen sie vor, dass verschie-dene Botschaften das Gehirn erreichen,also den Verstand. "Aber man tut nichts,wenn der Verstand nicht zustimmt," hatteein Kind bemerkt. Wenn der Verstandwirklich verantwortlich ist, dann kann ichmich gewiss nicht damit herausreden, dasses der gierige Teil in mir war, der michdazu brachte, es zu tun. Der gierige Teilsendet dem Gehirn eine verführerischeBotschaft, aber nichts passiert, wenn dasGehirn dem gierigen Vorschlag nicht zu-stimmt.

    Die philosophischen Fragen, die ich heutehier dargelegt habe, sind diese: Erstens: Istvollkommenes Glück, etwas so sehr zu

    genießen, dass man in diesem Augenblicknichts anderes möchte?

    Und zweitens: Ist es eine gute Idee, sichselber als aus Teilen bestehend zu verste-hen, zum Beispiel aus einem vernünftigenund einem lustvollen Teil?

    Meiner Meinung nach gehört es zu einerumfassenden Bildung die Gelegenheit,über Fragen wie diese zwei nachzudenkenund nach einer intensiven Diskussion mitanderen Menschen, die Ergebnisse zu for-mulieren. Solch eine Diskussion kannschon in frühen Schuljahren zum Vorteilfür Schüler und auch Lehrern stattfindenund darüber hinaus zum Vorteil des Ver-hältnisses zwischen Lehrern und Schülern.In der Tat denke ich, dass solche Diskussi-onen auch während des Erwachsenwerdensund im späteren Leben fortgesetzt werdensollten. Wie Sokrates einmal gesagt hat,"Das unerforschte Leben ist nicht lebens-wert."

  • Was ist Philosophie für Kinder?

    Maughn Gregory

    Die zentrale Frage, die immer wieder ge-stellt wird, ist diese: Warum Philosophie-ren mit Kindern? Kinder haben sehr wohlein vergleichbares Spektrum sozialer Er-fahrungen wie es auch für Erwachsenezutrifft. Dabei sind es nicht selten diesel-ben Fragen die Kinder und Erwachsenenbeschäftigen, allerdings auf unterschiedli-che Weise: Kinder stellen politische, ethi-sche und metaphysischen Fragen, sie ha-ben also selbst philosophische Erfahrungengleichsam als Kinder, die ihnen daher nichterst gegeben werden müssen.

    Die einschlägigen vom IAPC und anderenInstitutionen durchgeführten Untersuchun-gen zeigen indes, dass das Philosophierenmit Kindern die kognitiven Kompetenzen,die Sozialkompetenzen, die sprachlichenKompetenzen im Umgang mit Syntax undSemantik, den Umgang mit Erfolg undFrustration und nicht zuletzt die Offenheitfür andere und neue Wissensbereiche be-fördert. Um den methodischen Zugangzum Philosophieren mit Kindern abzusi-chern, hat das IAPC in den späten 60er-Jahren die so genannte P4C-Methode ent-wickelt, die dabei stets denselben Gesetz-mäßigkeiten folgt. Immer geht es dabei umdie einleitende Lektüre, das gemeinschaft-liche und gleichberechtigte Formulierenvon Fragen über den dargebotenen Text,die Diskussion über diese Fragen, das Her-ausstellen zentraler Probleme, die Erar-beitung einer konsensualen Lösung und dieUmsetzung solcher Ergebnisse in künstle-rische Leistungen. Es sind insbesonderesoziale und kognitive Aspekte, die imRahmen dieser Methode im Vordergrundstehen. In der Gesprächssituation selbst giltgrundsätzlich das Gebot der Gleichberech-tigung, im Mittelpunkt stehen immer posi-tiv befördernde Denkweisen und Denkan-stöße. Die Diskussion wird nicht extern

    gelenkt, sie folgt ihren ursprünglichen Inte-ressen. Zwangsläufig hat dies alles mitdem Phänomen der Metakognition zu tun.

    Dieser Rahmen bedingt bestimmte Anfor-derungen an den so genannten "philo-sophical facilitator"; dieser "philosophicalfacilitator loves ideas, doesn't think sheknows everything, sees herself as a co-inquirer with the children, models andprompts good inquiry (asks open-endedquestions; poses alternative views; asks forclarification; helps make connections;challenges reasons; self-corrects openly),doesn't force the inquiry to pre-determinedends, doesn't attempt to validate everyopinion, respects children as persons, tak-ing what they have to say seriously, drawsout the philosophical significance of thechildren's contributions, expects studentsto internalize the procedures of philosophi-cal inquiry.”Grundlegend gilt jedoch: Im-mer sind es mehrere Lehrkräfte, die eineGruppe betreuen, niemals nur eine einzel-ne.

    Um den Konnex des IAPC mit den ent-sprechenden öffentlichen Schulen zu er-möglichen, gibt es einen regen Austauschzwischen dem Institut und den Schulen.Insbesondere die wöchentlich stattfinden-den Sitzungen in den Klassenzimmern derteilnehmenden Schulen sorgen dafür, dassdieser Konnex Struktur bekommt. Ein spe-zielles Zertifizierungssystem für das Per-sonal des IAPC stellt dabei die Qualität derEinrichtungen und Angebote sicher.

    Diskussion

    − Die Erfahrung zeigt, dass die wöchent-lichen Sitzungen den Rahmen des

  • 36 Maughn Gregory

    Möglichen ausmachen, keineswegs a-ber genug sind. Um den philosophi-schen Bedarf der Kinder, der über dieseeine Sitzung pro Woche hinausgeht,aufzufangen, gibt es eine Reihe vonaußerschulischen so genannten "Philo-sophie-Clubs".

    − Das Philosophieren mit Kindern hatu.a. gezeigt, dass insbesondere langsa-mere Kinder von diesen Angebotenprofitieren.

    − Auffallend ist dabei, dass es bei denEltern, weniger bei den Kindern selbst,Vorbehalte gegen das Philosophierenmit Kindern gibt.

    − Das Beispiel Montclaire zeigt, dass indiesen Kursen die unterschiedlichstenReligionen zusammenkommen. Aller-dings gibt es, wiederum vor allem vonden Eltern her, Vorbehalte gegen dieLektüre von Texten anderer religiöserOrientierungen. Gerade deswegen istdas Programm des IAPC überreligiös

    angelegt. Es geht also nicht so sehr umbestimmte Moralvorstellungen, die jenach Religion unterschiedlich ausfallenkönnen, sondern um den ethischenDiskurs.

    − Die Problematik der unterschiedlichenSchultypen stellt sich in der Vereinig-ten Staaten nicht so sehr, wie in ande-ren Ländern; grundsätzlich versuchtdas IAPC ihr Programm offen für alleBildungsschichten zu gestalten. Aller-dings gibt es erhebliche Unterschiedehinsichtlich des Verhaltens von Jungsund Mädchen. Es zeigt sich zumeist,dass vor allem Mädchen an diesenKursen teilnehmen. Das Verhalten derKinder ist indes abhängig von derKlassenstärke.

    − Der Punkt, der immer wieder im Zu-sammenhang mit einschlägigen Ver-haltensphänomenen auffällt, ist, dassKinder ein sehr feines Gespür für Fair-ness haben.

  • Perspektiven eines Projekts in Bayern – Kinder philosophieren

    Karlfriedrich Herb

    Der Projektname "Kinder philosophieren"ist nicht der Versuch, sich radikal von be-reits existierenden Bezeichnungen wieetwa Kinderphilosophie, Philosophierenmit Kindern oder Philosophie für Kinder,abzugrenzen.

    Dennoch ist der Name "Kinder philoso-phieren" sehr bewusst gewählt.

    In unserem Projekt geht es weder darum,eine "Philosophie light" für Kinder zu ent-wickeln, noch darum, klassische Philoso-phiegeschichte zu lehren. Unser Ziel ist esvielmehr, die Philosophie in der Lebens-welt der Kinder zu verankern. Es sind dieFragen und Themen der Kinder, die dasPhilosophieren in Gang bringen. Gemein-sam thematisieren die Kinder ihre Fragen,entwickeln und diskutieren Argumente undbemühen sich, Antworten zu finden. Dabeikommt es weniger auf endgültige Lösun-gen als vielmehr auf den Prozess des Phi-losophierens selbst an. Damit kann manbekanntlich nicht früh genug anfangen.

    Warum?

    Es stellt sich die Frage des Warums. Wa-rum sollen Kinder philosophieren? UnserProjekt will sich den Herausforderungender modernen Gesellschaft stellen. DasWohl des Kindes steht im Mittelpunkt un-seres Interesses und wir versuchen mittelsder Philosophie im Durcheinander unserermodernen Zeit Orientierung zu bieten.

    Was?

    Die Begriffstrias Staunen – Denken –Werten spiegelt die wesentlichen Inhaltedes Projekts wider.

    Das Staunen ist der Anfang aller Philo-sophie. Die kindliche Unbefangenheit lässtdas Kind die Welt auf eine Weise entde-cken, die wir längst verloren haben. Esstellt Zusammenhänge in Frage, die Er-wachsene längst hingenommen haben.

    Mit dem Staunen verbunden ist das Fragen,das Hinterfragen von alltäglichen und au-ßeralltäglichen Phänomenen, die Suchenach Sinnzusammenhängen und Orientie-rung. Der deutsche Existenzphilosoph KarlJaspers erblickt in den Fragen der Kinderein wunderbares Zeichen dafür, dass derMensch als solcher ursprünglich philoso-phiert. "Gar nicht selten hört man aus ei-nem Kindermund, was dem Sinne nachunmittelbar in die Tiefe des Philoso-phierens geht", so Jaspers.

    Im Denken setzt sich das Kind mit seinereigenen Lebenswelt auseinander. Es suchtAntworten auf seine Fragen, versucht siezu ordnen, lernt den Umgang mit Be-griffen und Kategorien und schult dadurchdie Fähigkeit zu sprechen, zu analysierenund logisch zu argumentieren. In der Be-gegnung mit anderen und im gemeinsamenGespräch entsteht nach und nach ein Ge-fühl für die eigene Persönlichkeit.

    Bereits John Locke ermahnte uns dazu,selbst kleine Kinder als rationale Wesen zubehandeln. Die frischen und unverbildetenIdeen nachdenklicher Kinder könnten ofteinem verständigen Manne viel zu denkengeben. Und ich denke, so Locke weiter, esgibt oft von den unerwarteten Fragen einesKindes mehr zu lernen als von Männerge-sprächen.

    Im Verstehen seiner sozialen Umwelt undin der Auseinandersetzung mit anderenentwickelt das Kind schließlich Maßstäbe

  • 38 Karlfriedrich Herb

    für sein Werten. Moralische Urteilskraft istdie Basis des verantwortlichen Handelns ineiner demokratischen Gesellschaft. DieFörderung selbstbestimmter Individuensteht im Mittelpunkt einer durch die philo-sophische Praxis inspirierten Wertebil-dung. Werte wie Freundschaft, Respekt,Toleranz und Solidarität sollen keine abs-trakten Werte bleiben, sondern verinner-licht und gelebt werden.

    Womit?

    Die Kinder werden durch geeignete Quel-len zum staunen, denken und werten inspi-riert. Wir stützen uns auf verschiedensteQuellen, die innerhalb des Gesamtprojektszur Anregung und Begleitung des Philoso-phierens von Kindern herangezogen wer-den. Unterschieden wird zwischen philo-sophischen Texten, philosophischen Kin-dergeschichten, literarischen Texten undalternativen Quellen. Dazu zählen Kunst,Musik, Gedankenexperimente, Hörspiele,Naturphänomene, Filme, um nur einige zunennen.

    Philosophie als "Lebenshaltung" kann we-der vermittelt, noch von heute auf morgenverinnerlicht werden. Es handelt sich umeinen Prozess des Philosophierens, derbereits im Vorschulalter beginnen und sichüber die Grundschule bis in die Sekundar-stufe hinein weiterentwickeln muss.

    Insofern geht es der Projektinitiative Kin-der philosophieren in erster Linie darum,das Staunen, Denken und Werten von Kin-dern Fächer verbindend und einrichtungs-übergreifend in Kindergärten, Schulen undHorten zu etablieren. Wissenschaftler,Lehrer und Lehrerinnen, Erzieher und Er-zieherinnen und Eltern unterstützen ge-meinsam das kritische Fragen und verant-wortliche Handeln von Kindern im Diensteder Förderung von analytischen, sprachli-chen und ethischen Kompetenzen mitBlick auf eine umfassende Entwicklungder Persönlichkeit. Dass ein solches Pro-

    jekt nur langsam von unten nach obenwachsen kann, versteht sich von selbst.

    Wer?

    An der praktischen Umsetzung des Pro-jekts "Kinder philosophieren" sind gegen-wärtig mehrere Institutionen und Gremienbeteiligt, die eng miteinander vernetzt sind.Das Projekt haben Roswitha Wiesheu undProf. Dr. Karlfriedrich Herb ins Lebengerufen. Die Projektleitung ist in derHanns-Seidel-Stiftung angesiedelt undliegt bei Herrn Prof. Dr. Dr. SiegfriedHöfling. Die inhaltliche Arbeit wird vondem Projektteam der Universität Regens-burg unter der Leitung von Herrn ProfessorHerb geleistet. Als Partner gewähren dieHanns-Seidel-Stiftung und die Vereinigungder Bayerischen Wirtschaft (vbw/VBM)dem Projekt finanzielle, organisatorischeund strukturelle Unterstützung. Ein exter-ner Arbeitskreis bündelt die Ziele der be-teiligten Institutionen. Er setzt sich zu-sammen aus den Initiatoren, der Leitungund den Partnern des Projekts, Vertreternder bayerischen Sozial- und Bildungsmi-nisterien sowie weiteren Repräsentantenaus Politik und Wirtschaft.

    Wie?

    Die Operationalisierung des Projekts kon-zentriert sich derzeit auf drei Schwer-punkte.

    Der erste Schwerpunkt in der zweijährigenPilotphase liegt in der Ausbildung vonErziehern und Erzieherinnen, Lehrern undLehrerinnen und Pädagogen an 18 ausge-wählten Modellstandorten sowie in einerbegleitenden Evaluation. Das Projektteamstellt Quellen und Anregungen für dasPhilosophieren an Kindergärten, Grund-schulen und Horten zusammen, die inFortbildungsseminaren mit den Erziehernund Erzieherinnen und Lehrern und Lehre-rinnen umgesetzt und erprobt werden

  • Perspektiven eines Projekts in Bayern – Kinder philosophieren 39

    (2005 haben bereits vier Fortbil-dungsseminare stattgefunden).

    In dieser engen Kooperation von Theorieund Praxis besteht der zweite Schwer-punkt, der mittel- und langfristig einGrundprinzip des Kinderphilosophierensavancieren soll. Der intensive Austauschzwischen Philosophen und Pädagogen er-möglicht eine optimale Erschließung, Er-probung und didaktische Aufbereitung derverschiedenen Quellen und Inputs. Dasheißt, nicht der Philosoph geht in die Kin-dergärten und Schulen, sondern die profes-sionellen Experten vor Ort unterstützenden Prozess des kindlichen Philoso-phierens.

    Der dritte Schwerpunkt liegt auf der wis-senschaftlichen Begleitung und Grundle-gung des Projekts. Entwickelt wird einintegratives Modell, das das Kind und sei-ne ureigene Bedürfniswelt vor dem Hinter-grund eines christlich-humanistischenMenschenbildes erfasst. Die kritische Aus-einandersetzung mit aktuellen Ansätzenaus Pädagogik, Psychologie und philoso-phischer Anthropologie öffnet den Blickfür ein zeitgemäßes Kinderbild. Auf dieserBasis und ausgehend von einem lebensna-hen Philosophieverständnis entstehen Leit-linien und Prinzipien, die in der Praxiserprobt werden.

    Diese grundlegende Konzeption wird Aus-gangspunkt sein für eine Anzahl weitererwissenschaftlicher Arbeiten, die spezielleFragen vertiefen, empirische Untersuchun-gen durchführen und didaktische Hilfe-stellung bieten. Angedacht ist dabei diePublikation in einer gemeinsamen Buch-reihe.

    Das Projektteam Regensburg erarbeitetdarüber hinaus Module für die Lehreraus-und -fortbildung und konzipiert Inhalte fürdie Schulung von Multiplikatoren. DieseModule bilden die Grundlage für einigeSeminare, die an der Universität Regens-burg sowie an der Hochschule für Philoso-

    phie bereits seit dem WS 2005/06 angebo-ten werden. Am Ende dieses Prozesses solldie Installation eines Zusatzstudiums Kin-derphilosophie stehen.

    Was passiert noch?

    Um den Erfahrungsaustausch mit den For-schern anderer Einrichtungen zu gewähr-leisten, organisiert die Projektleitung nati-onale und internationale Expertentagun-gen. Begleitend werden philosophische"Events" durchgeführt, in deren Rahmensich die Einrichtungen mit philosophischenEinheiten darstellen können und das Pro-jekt einer breiten Öffentlichkeit vorgestelltwird. (Zum Beispiel eine "philosophische"Ferienprogrammgestaltung auf der Bun-desgartenschau in München sowie einphilosophischer Kindertag in der Glyptho-tek).

    In diesem Zusammenhang ist noch zu er-wähnen, dass das Projektteam in Zusam-menarbeit mit der Firma rs-medien-beratung, der FWU sowie dem Bayeri-schen Rundfunk einen ca. 15-minütigenFilm konzipiert hat, der als Lehrfilm imSchulunterricht eingesetzt wird.

    Das Projekt "Kinder philosophieren" setztsich mit den existierenden und bereits er-folgreich umgesetzten Ansätzen des Philo-sophierens mit Kindern auseinander. DieseExpertentagung bietet für uns die Chance,sich mit Ihnen über Erfahrungen auszutau-schen und im Raum stehende Fragen zudiskutieren.

    Das Projekt "Kinder philosophieren" willvon den bekannten Wegen profitieren undgleichzeitig neue Wege eröffnen. Die kon-tinuierliche Kooperation zwischen Theorieund Praxis sowie der dynamische Charak-ter des Gesamtprojekts sollten es uns er-möglichen, neue Inhalte und Methoden zuentwickeln sowie die didaktische Umset-zung philosophischer Einheiten an Kinder-gärten, Schulen und Horten zu optimieren.

  • 40 Karlfriedrich Herb

    Herausforderungen

    Ohne Zweifel gibt es viele Fragen, die aufder Agenda stehen:

    − Das Kardinalproblem ist sicherlich,welcher Philosophiebegriff dem Gan-zen zu Grunde liegt? Was sind über-haupt philosophische Fragen und anwelcher Stelle begibt man sich in dieNähe eines "Etikettenschwindels"? Wiebekommt man es hin, anspruchsvoll zusein, ohne zu überfordern?

    − Die Grundfrage mancher Skeptiker, obPhilosophieren überhaupt als kindlicheTätigkeit anzusehen ist, wirft die Frageauf, von welchem Kinderbild Kinder-philosophie ausgehen muss. Ist einKind ein "Mängelwesen", wie es Aris-toteles definiert, oder muss man das"Kindsein" überhöhen, wie es Rous-seau getan hat – dies sind die beidenExtrempositionen, zwischen denen eszu vermitteln gilt. Die Eigenständigkeitdes "Kindseins" verlangt dabei in je-dem Fall, das Philosophieren in die Le-benswelt der Heranwachsenden zu ver-orten. Doch wie kann dies gelingen,welche Prinzipien müssen befolgt, wel-che Konzessionen möglicherweise ge-macht werden?

    − Eine weitere Frage ist, wieviel ein Pä-dagoge über Philosophie wissen muss,welche Hintergrundinformationen erbenötigt, um den Prozess des Philoso-phierens bei Kindern in Gang zu brin-gen, zu unterstützen und anzuleiten?Inwieweit muss der Pädagoge den Pro-zess des Philosophierens steuern, sichzurückhalten oder in konkreten Situati-onen Stellung beziehen?

    − Des Weiteren können wir dem Problemnicht ausweichen, welches Verhältnis

    die Philosophie zur Religion einnimm